Rede von
Dr.
Otto
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Problem, das wir heute hier verhandeln, ist tatsächlich über 30 Jahre alt. Im allgemeinen geht es in dieser Auseinandersetzung um das Verhältnis von Privatrecht und Steuerrecht und im besonderen um die Fragen der Steuerpflicht und der wirtschaftlichen Beurteilung des Tatbestandes der Erhöhung von Stammkapital aus Gesellschaftsmitteln. Darüber gibt es eine umfassende Literatur. Das ist nicht etwa eine Angelegenheit der Propaganda der letzten zwei Jahre, sondern das ist rechtstheoretisch und wirtschaftspolitisch eine Grundauseinandersetzung.
In dieser Grundauseinandersetzung hat es zwei akute Augenblicke gegeben, in denen im Sinne dieses Gesetzentwurfes entschieden worden ist: das eine war die Dividendenabgabeverordnung des Jahres 1941, in der man den Berichtigungsvorgang ähnlich behandelt hat, und das zweite war die D-MarkEröffnungsbilanz-Verordnung; auch hier hatte man
2488 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode - 44, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
Dr. Schmidt
erkannt: man muß endlich einmal aus der Doktrin herausspringen, um einem wirtschaftlichen Tatbestand gerecht zu werden.
Das Kernproblem der Auseinandersetzung zwischen Bundesrat und Bundestag in dieser Frage, die in jener merkwürdigen Fristbestimmung zum Ausdruck kommt, Herr Kollege Harm, ist doch im Grunde genommen: Soll die alte Doktrin, die seit dreißig Jahren bekämpft wird, noch einmal, zum dritten Male ad hoc gelten, nämlich bis zum Jahre 1960, oder .sollen wir endlich aus der alten Doktrin herausspringen, einen wirtschaftlichen Tatbestand endgültig anerkennen und uns ein für allemal an wirtschaftliches Denken im Steuerrecht gewöhnen? Das ist das Kernproblem der ganzen Geschichte. Denn was hat der Bundesfinanzhof und was hat vor ihm der Reichsfinanzhof im Grunde genommen getan? In Abweichung des § 1 des Steueranpassungsgesetzes, der den Bundesfinanzhof und den Reichsfinanzhof und alle Steuerrechtler verpflichtet, eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde zu legen, hat er sich von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise entfernt und hat zivilistisch-konstruktivistisch gedacht und hat nach dem positiven Handelsrecht geurteilt: im Aktiengesetz wie im GmbH-Recht gibt es das Institut der Erhöhung des Gesellschaftskapitals aus Mitteln der Gesellschaft überhaupt nicht, sondern da gibt es nur die Bareinlage oder die Sacheinlage als Deckung der Kapitalerhöhung. Infolgedessen hat man nun mit der berühmten Theorie der Doppelmaßnahme versucht, auch steuerrechtlich den Tatbestand in diese zivilistischpositivistische Konstruktion hineinzuzwängen.
Der wirtschaftliche Vorgang war aber völlig anders. Der Bundesfinanzhof und vor ihm der Reichsfinanzhof haben in ihren Urteilen außerordentlich subtile Erörterungen angestellt, warum dieser Vorgang wirtschaftlich doppelt besteuert werden müsse. Sie haben im Grunde genommen auch erkannt, daß bei einer Gesellschaft zunächst einmal etwas abfließen müsse, wenn einem anderen etwas zufließen solle. Das Gesellschaftsvermögen müsse sich doch vermindern. Wenn Dividende ausgeschüttet wird, wird die Gesellschaft um diesen Vermögensposten ärmer und der Gesellschafter, der Empfänger reicher. Aber wenn, wie in diesem Falle, Rücklagen, die versteuert sind — ich komme nachher noch auf dieses spezielle Problem , in Gesellschaftskapital verwandelt werden, ändert sich in der Vermögensstruktur überhaupt nichts. Bei der Gesellschaft fließt nicht das geringste ab, weder wirtschaftlich noch formal.
Nur im Verhältnis zum Gesellschafter wird dieser Vermögensteil mittelbar insofern verändert, als der Gesellschafter durch die Kapitalbindung stärker belastet wird. Dieser kann nämlich schwerer darüber verfügen, und zwar mit Rücksicht auf Gläubigerschutzinteressen. Insoweit wird dieser Vermögensbestandteil im Gesellschaftskapital gebunden. Aber wirtschaftlich fließt in Wirklichkeit gar nichts ab.
Beim Aktionär, beim Gesellschafter, fließt auch nicht das geringste zu. Darin unterscheiden Herr Kollege Harm und ich uns allerdings grundsätzlich.
— Ich komme auf dieses Steuerproblem noch. Wenn ihm wirtschaftlich nichts zufließt, braucht er auch nichts zu zahlen. Es wäre ja unsinnig, wenn er dann etwas zahlen müßte.
Im Grunde genommen, Herr Kollege Harm, kommt die Differenz zwischen Ihrer und unserer Auffassung dadurch zustande, daß Sie nicht einsehen können oder nicht anerkennen wollen, daß der einzige Eigentümer des Vermögens der Aktiengesellschaft mittelbar der Aktionär, der Gesellschafter ist.
— Insofern mittelbar, als eine juristische Person dazwischensteht. Die Anteilsrechte repräsentieren das Eigentum. Ein anderer Eigentümer ist nicht da. Infolgedessen, Herr Kollege Harm, kann sich nichts verändern, auch nicht in der Vermögenslage und im Eigentum des Betreffenden; denn auf der Passivseite der Bilanz der juristischen Person wird nur der eine Posten in den anderen umgebucht, die Rechtsnatur wird verändert, aber in dem Vermögen, in dem Einkommen und dem Ertrag des Aktionärs und des Gesellschafters ändert sich überhaupt nichts. An die Stelle einer Aktie treten in Zukunft zwei, drei, vier Aktien. Aber die vier repräsentieren, rechtlich und wirtschaftlich gesehen, genau dasselbe wie die eine Aktie.
Diesen wirtschaftlichen Vorgang löst man durch eine komplizierte juristisch-zivilistische Denkweise auf, aber nicht — das ist das Entscheidende —, um einen Realisationsvorgang steuerlich zu belasten, sondern nur um der Möglichkeit vorzubauen, daß künftige Realisationen nicht steuerpflichtig werden. Dies stellt eine Art fiktive Vorbeugung dar; denn, Herr Kollege Harm, wie realisiert sich bei dem Eigentümer — Aktionär oder Gesellschafter — nun tatsächlich der Mehrwert der Aktie, der Beteriligung? Er realisiert sich entweder durch eine Kapitalherabsetzung oder durch die Veräußerung der Beteiligung oder durch eine Form des Rückkaufs durch die Gesellschaft in Gestalt eigener Anteile. Das letzte ist ein ganz klarer Umgehungsfall, ein Fall verdeckter Gewinnausschüttung. Der Bundesfinanzhof hat in einer Reihe von Entscheidungen gesagt, daß das nach § 6 des Steueranpassungsgesetzes selbstverständlich ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten ist; ungeachtet des Mißbrauchs muß die Besteuerung Platz greifen. Im Gegensatz zu diesem letzten Fall, der im Grunde genommen der einzige Fall der Umgehung des Gesetzes ist, sind die beiden anderen Fälle, nämlich der Fall der Veräußerung der Beteiligung und der Fall der Herabsetzung des Kapitals, echte Fälle der Realisierung.
Herr Kollege Harm, Sie haben gesagt, das Gesetz gehe so weit, sogar diese Veräußerungsvorgänge von der Einkommensteuer und von der Ertragsteuer — sogar die Vermögensteuer haben Sie erwähnt — zu befreien. Herr Kollege Harm, ich darf Sie bitten, den Text noch einmal nachzulesen.
— Nein, beides ist nicht richtig, Herr Kollege Harm.
Es wird hier nur — nur! — der Erwerb der neuen
Dr. Schmidt
Anteilsrechte sowohl von den Steuern vom Einkommen und Ertrag wie von der Gesellschaftsteuer befreit. Die Veräußerung, da, wo nämlich die echte Realisation erfolgt — die Realisation der stillen Werte, die darin liegen —, wird durch den Gesetzentwurf nicht betroffen. Die hier entstehenden Fragen werden gerade durch den § 3, der sich mit den Anschaffungskosten befaßt, vorbereitend gelöst, so daß dann die §§ 17 und 21 des Einkommensteuergesetzes und der § 53 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung angewendet werden können; denn — und da liegt das eigentliche Problem — wir haben für den Fall der Veräußerung ganz verschiedene Regelungen. Im Falle der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung ist die Regelung eine andere als in dem Fall, in dem das Schachtelprivileg, z. B. für Körperschaften, Anwendung findet. Wieder anders ist die Regelung für den Kleinaktionär, der unter einer Beteiligung von 25 % in einer Gesellschaft bleibt. Er wird bei der Veräußerung nur erfaßt, wenn er unter die Spekulationsgewinnsteuer fällt, wenn er also innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Frist einen Snekulationsgewinn macht, der über einen bestimmten Betrag hinausgeht. Das sind die Möglichkeiten, die jeweils für den Kleinaktionär, für den Wesentlich-Beteiligten und für die Körperschaften — soweit sie das Schachtelprivileg in Anspruch nehmen können — verschieden liegen. Dieser verschiedenen Rechtslage trägt der § 3 Rechnung, der sich mit den Anschaffungskosten befaßt.
Herr Kollege Harm, bei der ganzen Frage des Steuergeschenks kann man folgendes nicht übersehen. Ich habe soeben versucht, klarzumachen, daß nichts zugeflossen ist. Darüber hinaus habe ich zweimal durch Zwischenrufe zu erkennen gegeben, daß es sich um versteuerte Rücklagen handelt. Sie sind nämlich belastet, zum Teil noch mit dem alten Körperschaftsteuersatz von 60 %, zum Teil mit dem Satz von 45 %, zum Teil mit dem Satz von 51 %. Wenn Sie, Herr Kollege Harm, bei der Dauerregelung, die dieses Gesetz vorsieht, die Situation einmal alternativ betrachten, so stehen die Gesellschaften in Zukunft tatsächlich vor folgenden Möglichkeiten. Sie können den Gewinn ausschütten; dann zahlen sie 15% Körperschaftsteuer. Dann kommt es aber ganz darauf an, wie der Einkommensteuerpflichtige nach dem Tarif belastet ist. Er zahlt unter Umständen gar nichts, wenn er ein kleiner Mann ist. Er muß schon ein erhebliches Einkommen haben, wenn er 20, 30, 40 % Einkommensteuer zahlen soll, die dann zu den 15 % hinzukommen. Im Einzelfalle, z. B. bei einer GmbH, wo drei, vier oder fünf Gesellschafter sind, kann es sehr wohl interessant sein, zu überlegen, ob man den Weg der Barausschüttung des Gewinns zur Kapitalerhöhung wählt, oder ob es sinnvoll ist, den Gewinn zurückzustellen, ihn mit 51 % Körperschaftsteuer belasten zu lassen, um dann im Wege der Verwendung von Gesellschaftsmitteln das Kapital zu erhöhen und dann diese Zusatzanteile auszuschütten. Diese Alternative besteht in Zukunft, und wir werden sicherlich im Ausschuß noch die Frage zu erörtern haben, Herr Kollege Harm, ob das alles harmonisch in das Gesetz hineinpaßt, insbesondere
auch die Frage, ob das Problem der Anschaffungskosten richtig geregelt ist und da nicht möglicherweise Ungerechtigkeiten entstehen können.
Wenn nach einer früheren falschen Theorie eine Einkommensteuerpflicht statuiert wurde, die dem Fiskus überhaupt nichts eingebracht hat, weil sie prohibitiv wirkte, so ermöglicht dieser Entwurf, einen Weg einzuschlagen, der den Kapitalmarkt auflockert, weiter in Bewegung bringt und die Aktie billiger macht, da sie den kleineren Nennwerten angepaßt ist und so auch vom kleinen Mann erworben werden kann. Das ist die ausgesprochene Absicht des Entwurfs.
Das alles, meine verehrten Damen und Herren, stellt die Chance dar, die dieser Entwurf uns gibt. Wir sollten mutig ja dazu sagen und uns nicht etwa durch falsche Überlegungen — ich erinnere an die vom Bundesrat gewünschte Befristung — wieder in eine alte falsche, formalistische und fiktive Denkweise zurücklocken lassen. Es ist ein Glück, daß sich in diesem Entwurf endlich die wirtschaftliche Betrachtungsweise durchgesetzt hat.