Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache 421, der den Entwurf eines Gesetzes über unveränderte Rohmilch betrifft, trägt den Wünschen sowohl der Verbraucher als auch der Erzeuger in weitgehendem Maße Rechnung. Er beweist damit erneut, daß es sehr wohl möglich ist, die Interessen dieser beiden großen Gruppen unserer Volkswirtschaft zu koordinieren.
Weite Kreise der Verbraucherschaft fordern seit langem und mit Recht, daß ihnen eine unveränderte Rohmilch, also Milch, die weder entrahmt noch pasteurisiert wird und aus anerkannt gesunden Milchviehbeständen kommt, angeboten wird. Sie weisen darauf hin, daß in einer Zeit, in der ganz allgemein dahin gestrebt wird, die Nahrungsmittel soweit wie irgend möglich in ihrem natürlichen Zustand dem Verzehr zuzuführen, die Trinkmilch nicht nur durch die Entrahmung entwertet wird, sondern auch durch die Pasteurisierung eine Beeinträchtigung erfährt.
Nun gibt es bereits die sogenannte Vorzugsmilch, die diesen Wünschen entspricht. Aber diese ist bei einem Preis von zirka 1 DM pro Liter für die große Masse der Verbraucher einfach zu teuer. Sie steht auch, da sie unter Ausschluß der Meiereien von spezialisierten Einzelbetrieben geliefert wird, nur in einem sehr geringen Umfang zur Verfügung.
Meine Fraktion ist der Überzeugung, daß die Annahme ihres Antrags den Weg frei macht, um den Verbraucher sehr viel billiger und in jeder gewünschten Menge mit gesunder unveränderter
3) Rohmilch zu beliefern.
Das Interesse der Erzeuger geht in erster Linie dahin, den Trinkmilchabsatz zu heben. Bisher sind alle Bemühungen in dieser Richtung ohne Erfolg geblieben. Wir glauben, daß die beste Absatzwerbung für ein Produkt seine Qualität und seine Preiswürdigkeit sind. Die Preiswürdigkeit der bisherigen 3 %igen, pasteurisierten Trinkmilch ist unbestritten; ihre Qualität aber hat ganz offensichtlich keine ausreichende Werbekraft gehabt. Die nunmehr geplante verbreiterte Einführung der GradA-Milch, die sich von der übrigen Trinkmilch lediglich dadurch unterscheidet, daß sie nicht bis auf 3 %, sondern nur bis auf 3,5 % entrahmt wird, dürfte den Absatz auch kaum beleben.
Die Rohmilch, wie wir sie wünschen, wird, da sie unverändert bleibt, einen Fettgehalt haben, der etwa zwischen 3,5 und 4,2 % schwanken dürfte. Ihr Preis soll nicht dem Fettgehalt nach berechnet werden, sondern gleichmäßig sein. Es bestehen auch keine Bedenken, den Preis für diese Milch völlig freizugeben. Vieles spricht sogar dafür. Nach unserer Errechnung wird er sich bei etwa 65 Pf pro Liter bewegen.
Die Rohmilch soll nur auf Flaschen gefüllt in den Verkehr gelangen, die Datum und Uhrzeit der Auffüllung tragen. Sie kann dann in jedem Lebensmittelgeschäft gehandelt werden. Die technische Durchführung der Anlieferung der Milch, ihre Auffüllung auf Flaschen und ihre Verteilung bieten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Vielleicht
wird es nötig sein, die Einzugsgebiete hier und dort zu vergrößern. Es wird sich vermutlich auch ein Zusammenschluß einzelner Trinkmilchmeiereien auf diesem Spezialgebiet empfehlen. Ich verweise auf Überlegungen, die Herr Dr. Korth vom Institut für landwirtschaftliche Marktforschung in BraunschweigVölkenrode kürzlich veröffentlichte und die mir ganz besonders für den Rohmilchabsatz geeignet zu sein scheinen.
Die Widerstände, die der Einführung der unveränderten Rohmilch entgegenstehen, sind mir bekannt. Ich habe zahlreiche Zuschriften von Befürwortern und von Gegnern erhalten. Der wesentlichste Einwand ist der, daß die Milch, wenn sie nicht pasteurisiert wird, noch Krankheitserreger haben könnte. Es gibt Wissenschaftler, die diese Bedenken äußern, und es gibt Wissenschaftler, die sie nicht so hoch bewerten. Das wird wohl auch so bleiben.
Wir meinen, die Vorschriften des § 2 unseres Gesetzentwurfs gehen so weit, daß sie vollauf genügen. Man sollte die Bakterienangst auch nicht übertreiben, und man sollte sie vor allen Dingen nicht als Vorwand benutzen, eine so gute Sache wie diese schon im Entstehen zu erledigen. Ich möchte glauben, daß jeder Türdrücker, den man anfaßt, und jeder schmutzige Geldschein, den man in die Hand nehmen muß, ungleich größere Infektionsgefahren bieten.
Vielleicht darf ich darauf verweisen, daß in der Schweiz unveränderte Rohmilch verkauft wird, daß diese über 90 % der gesamten Trinkmilch ausmacht und daß in der Schweiz der Trinkmilchabsatz pro Kopf der Bevölkerung doppelt so hoch ist wie bei uns. Das sollte uns zu denken geben. Es ist wirklich nicht einzusehen, weshalb es bei uns nicht gehen sollte. Daß der Buttermarkt durch eine fettreichere Trinkmilch eine Entlastung erfährt, sei nur am Rande vermerkt.
Meine Damen und Herren, es ist keine reine Freude, einen Antrag zu vertreten, von dem man von vornherein weiß, daß er trotz seiner Güte nur geringe Erfolgsaussichten hat. Aber das soll uns nicht abhalten, unsererseits einen Beitrag zu leisten, von dem wir glauben, daß er sowohl im Verbraucher- als auch im Erzeugerinteresse liegt und insbesondere der Milchwirtschaft zugute kommt, deren Wirtschaftlichkeit nach einer kurzen Zeit der Erholung schon wieder gefährdet ist.
Aber mit der Annahme unseres Antrags allein ist es auch nicht getan. Er wird nur dann den letzten und großen Erfolg haben, wenn sich alle, die es angeht, für seine praktische Durchführung mit Überzeugung und Hingabe einsetzen.