Protokoll:
18128

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 128

  • date_rangeDatum: 2. Oktober 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:14 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/128 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 128. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015 Inhalt: Begrüßung der neuen Abgeordneten Elfi Scho-Antwerpes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12423 A Tagesordnungspunkt 17: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015 Drucksache 18/6100 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12423 B b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: 25 Jahre Deutsche Einheit – Leistun- gen würdigen, Herausforderungen angehen Drucksache 18/6188 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12423 C Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin BMWi . . . 12423 D Dr . Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12425 A Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12428 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . 12430 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12431 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 12432 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12433 B Dr . Peter Ramsauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12434 D Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12436 A Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12437 B Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12438 D Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12439 B Tagesordnungspunkt 18: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 18. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspoli- tik Drucksache 18/5057 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12441 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 17. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Drucksache 18/579 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12441 D Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 12442 A Azize Tank (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12443 C Dr . Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . 12444 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12446 C Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12448 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12449 B Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12450 B Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12452 A Dr . Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 12453 A Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12454 B Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12455 B Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr . Gregor Gysi, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015II DIE LINKE: Ungerechtigkeiten bei Müt- terrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben Drucksache 18/4972 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12457 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr . Gregor Gysi, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben Drucksachen 18/1644, 18/5290 . . . . . . . . . 12457 A Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 12457 B Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12458 C Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 12459 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12461 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 12462 B Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 12463 C Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12465 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12441 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12468 B Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Alphabetisierung in Deutschland umsetzen Drucksachen 18/5090, 18/6179 . . . . . . . . . . . 12466 D Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12466 D Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 12471 A Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12472 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12473 C Sven Volmering (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12474 D Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12476 C Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Alpenkonvention voranbrin- gen und nachhaltig gestalten Drucksache 18/6187 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12478 A b) Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Tourismuspro- tokoll der Alpenkonvention umsetzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten Drucksache 18/4816 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12478 A Dr . Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 12478 B Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12480 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12480 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12482 B Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12483 C Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen Drucksache 18/6198 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12485 A b) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete Drucksache 18/6192 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12485 A Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12485 B Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 12486 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12489 C Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12491 A Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12492 B Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12494 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12495 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 12497 C Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 12498 B Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12423 128. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Dr. Daniela De Ridder (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12497 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 2 .10 .2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Becker, Dirk SPD 2 .10 .2015 Beckmeyer, Uwe SPD 2 .10 .2015 Daldrup, Bernhard SPD 2 .10 .2015 Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 2 .10 .2015 Dörmann, Martin SPD 2 .10 .2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 2 .10 .2015 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E . CDU/CSU 2 .10 .2015 Freitag, Dagmar SPD 2 .10 .2015 Gabriel, Sigmar SPD 2 .10 .2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 2 .10 .2015 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Gröhe, Hermann CDU/CSU 2 .10 .2015 Groth, Annette DIE LINKE 2 .10 .2015 Heil (Peine), Hubertus SPD 2 .10 .2015 Hendricks, Dr . Barbara SPD 2 .10 .2015 Hinz (Essen), Petra SPD 2 .10 .2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 2 .10 .2015 Jung, Dr . Franz Josef CDU/CSU 2 .10 .2015 Jüttner, Dr . Egon CDU/CSU 2 .10 .2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 2 .10 .2015 Kipping, Katja DIE LINKE 2 .10 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kiziltepe, Cansel SPD 2 .10 .2015 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Kolbe, Daniela SPD 2 .10 .2015 Lange (Backnang), Christian SPD 2 .10 .2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 2 .10 .2015 Lauterbach, Dr . Karl SPD 2 .10 .2015 Lay, Caren DIE LINKE 2 .10 .2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 2 .10 .2015 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 2 .10 .2015 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 2 .10 .2015 Mast, Katja SPD 2 .10 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 2 .10 .2015 Nahles, Andrea SPD 2 .10 .2015 Nick, Dr . Andreas CDU/CSU 2 .10 .2015 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 2 .10 .2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 2 .10 .2015 Pflugradt, Jeannine SPD 2 .10 .2015 Radomski, Kerstin CDU/CSU 2 .10 .2015 Rawert, Mechthild SPD 2 .10 .2015 Riesenhuber, Dr . Heinz CDU/CSU 2 .10 .2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 201512498 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Rohde, Dennis SPD 2 .10 .2015 Röspel, René SPD 2 .10 .2015 Roth (Heringen), Michael SPD 2 .10 .2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 2 .10 .2015 Schmidt (Berlin), Matthias SPD 2 .10 .2015 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 2 .10 .2015 Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2 .10 .2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 2 .10 .2015 Steinmeier, Dr . Frank- Walter SPD 2 .10 .2015 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 2 .10 .2015 Troost, Dr . Axel DIE LINKE 2 .10 .2015 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 2 .10 .2015 Vries, Kees de CDU/CSU 2 .10 .2015 Wanderwitz, Marco CDU/CSU 2 .10 .2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 2 .10 .2015 Wicklein, Andrea SPD 2 .10 .2015 Wiese, Dirk SPD 2 .10 .2015 Zech, Tobias CDU/CSU 2 .10 .2015 Zimmermann, Pia DIE LINKE 2 .10 .2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 936 . Sitzung am 25 . Sep- tember 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Fischetikettierungsgeset- zes und des Tiergesundheitsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Häftlingsgesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes – Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes – Gesetz zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) – Gesetz zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan zur Ver- meidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 23. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonfe- renz vom 24. bis 26. August 2014 in Olsztyn, Polen Drucksachen 18/4601, 18/5162 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Un- terzeichnung und Ratifizierung europäischer Ab- kommen und Konventionen durch die Bundesre- publik Deutschland für den Zeitraum März 2013 bis Februar 2015 Drucksachen 18/4881, 18/5162 Nr. 2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Leitlinien der Bundesregierung zur internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Urbanisierung – Partner in einer Welt der Städte Drucksachen 18/4924, 18/5162 Nr. 4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Europäischen Über- brückungs¬mission in der Zentralafrikanischen Republik mit strategischem Verwundetenlufttrans- port und Personal¬beteiligung an multinationalen Hauptquartieren in Larissa und Bangui Drucksachen 18/5132, 18/5285 Nr. 2 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12499 (A) (C) (B) (D) Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 9. und 10. September 2012 in Paphos (Zypern) Drucksachen 18/5133, 18/5285 Nr. 3 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 24. und 25. März 2013 in Dublin (Irland) Drucksachen 18/5134, 18/5285 Nr. 4 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 4. bis 6. September 2013 in Wilna (Litauen) Drucksachen 18/5135, 18/5285 Nr. 5 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 3. und 4. April 2014 in Athen (Griechenland) Drucksachen 18/5136, 18/5285 Nr. 6 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 5. bis 7. November 2014 in Rom (Italien) Drucksachen 18/5137, 18/5285 Nr. 7 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 4. bis 6. März 2015 in Riga (Lettland) Drucksachen 18/5138, 18/5285 Nr. 8 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Energieforschung 2015 Forschungsförderung für die Energiewende Drucksachen 18/4899, 18/5162 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Programme zur Innovations- und Technologieförderung im Mittelstand, in der lau- fenden Legislaturperiode, insbesondere über die Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand für die Jahre 2012 bis 2014 Drucksachen 18/5058, 18/5162 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Evaluation des Verfahrens zur Zulassung von Be- wachungsunternehmen auf Seeschiffen gemäß § 31 der Gewerbeordnung Erfahrungsbericht des Bundesamtes für Wirt- schaft und Ausfuhrkontrolle im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrogra- phie und der Bundespolizei Drucksachen 18/5456, 18/5976 Nr. 1.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/5459 Nr . A .1 EuB-BReg 40/2015 Drucksache 18/5459 Nr . A .2 EP P8_TA-PROV(2015)0213 Drucksache 18/5982 Nr . A .1 EP P8_TA-PROV(2015)0232 Drucksache 18/5982 Nr . A .2 EP P8_TA-PROV(2015)0271 Drucksache 18/5982 Nr . A .3 Ratsdokument 10549/15 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 201512500 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Innenausschuss Drucksache 18/6146 Nr . A .3 Ratsdokument 11844/15 Sportausschuss Drucksache 18/4504 Nr . A .3 Ratsdokument 6720/15 Drucksache 18/4504 Nr . A .4 Ratsdokument 6721/15 Finanzausschuss Drucksache 18/5982 Nr . A .17 Ratsdokument 9949/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/2935 Nr . C .1 EP P7_TA-PROV(2013)0227 Drucksache 18/4152 Nr . A .6 Ratsdokument 5744/15 Drucksache 18/4152 Nr . A .7 Ratsdokument 5745/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .27 EP P8_TA-PROV(2015)0252 Drucksache 18/5982 Nr . A .34 Ratsdokument 11411/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/5982 Nr . A .35 Ratsdokument 8475/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .36 Ratsdokument 8477/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .37 Ratsdokument 9942/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .38 Ratsdokument 11008/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .39 Ratsdokument 11009/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/5982 Nr . A .41 EP P8_TA-PROV(2015)0266 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/1393 Nr . A .41 Ratsdokument 7632/14 Drucksache 18/1524 Nr . A .16 Ratsdokument 9042/14 Drucksache 18/5165 Nr . A .13 Ratsdokument 8707/15 128. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 17 Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2015 TOP 18 Berichte zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik TOP 19 Renten in Ostdeutschland TOP 8 Alphabetisierung in Deutschland TOP 21 Ziele der Alpenkonvention TOP 22 Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812800000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung .

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte
ich Sie darauf hinweisen, dass die Kollegin Christina
Kampmann auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag verzichtet . Für sie ist die Kollegin Elfi Scho­
Antwerpes nachgerückt . Im Namen des Hauses begrüße
ich Sie herzlich . Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit .


(Beifall)


Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/5921 – hier handelt es sich um das Gesetz zur Ver-
besserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung
ausländischer Kinder und Jugendlicher – zur Mitbera-
tung an den Haushaltsausschuss zu überweisen . Sind Sie
damit einverstanden? – Ich vermute, ja; ich höre nichts
Gegenteiliges . Dann haben wir das so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der Deutschen Einheit 2015

Drucksache 18/6100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen wür-
digen, Herausforderungen angehen

Drucksache 18/6188

Zum Jahresbericht der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache insgesamt 77 Minuten vorgesehen . –
Auch dazu kann ich Einvernehmen feststellen . Dann ver-
fahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


I
Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1812800100


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden hier nur noch selten über die alten Ost-West-Unter-
schiede und über all das Holpern und Stolpern auf unse-
rem Weg der letzten 25 Jahre . Vielleicht ist das ja auch
ein Indiz dafür, dass unser Blick nach vorne gerichtet ist .
Den jungen Leuten bedeuten diese alten Unterschiede
ohnehin nicht mehr viel . Das ist eigentlich ermutigend .
Aber uns anderen, den Älteren und den nicht mehr ganz
so Jungen, steckt so manches in den Knochen, was sich
nicht so einfach abschütteln lässt . Wer im Jubiläumsjahr
nur Sekt trinken oder nur Trübsal blasen möchte, hat
nicht begriffen, was im Osten in den letzten 25 Jahren
eigentlich passiert ist .

Meine Damen und Herren, der Prozess der deutschen
Einheit ist nicht immer in geraden Bahnen, sondern
zum Teil auch sehr widersprüchlich verlaufen . Ich hoffe
sehr, dass das in meinem Bericht deutlich geworden ist .
Das liegt mir sehr am Herzen . Wir dürfen nicht darüber
schweigen, dass nicht wenige von denen, die vor 25 Jah-
ren hoffnungsvoll und mit großen Träumen in die neue






(A) (C)



(B) (D)


Gesellschaft gestartet sind, bittere und zum Teil demüti-
gende Niederlagen erlebt haben .

Es gab nicht nur andauernden Erfolg und immerwäh-
rendes Wachstum . Es gab auch Deindustrialisierung und
verheerende Massenarbeitslosigkeit . Es gab falsche Ver-
sprechungen und verheerende Fehleinschätzungen . Es
wurde eben längst nicht so schnell alles besser, wie sich
die meisten Ostdeutschen das erhofft hatten . Und: Die
Einheit war eben auch nicht aus der Portokasse zu bezah-
len, wie die meisten Westdeutschen es geglaubt hatten .
Wir fanden uns gemeinsam recht schnell wieder in den
Mühen der Ebenen .

Bereits 1992 titelte der Spiegel „Opfer für den Osten –
Das Teilen beginnt“ . Und schon 1995 entdeckte die glei-
che Zeitschrift das „Milliardengrab ‚Aufschwung Ost‘“ .

Natürlich lässt sich die deutsche Einheit nicht auf die-
se Irrungen und Wirrungen reduzieren, aber sie gehören
dazu . Man kann lange darüber streiten, ob sich das alles
hätte anders und besser managen lassen . Einige Fehler –
davon bin ich persönlich überzeugt – hätten sich schon
vermeiden lassen . Aber eine Partei, die nach eigener De-
finition immer recht hat, gibt es Gott sei Dank bei uns
nicht mehr, und die Unfehlbarkeit ist meines Wissens
dem Papst vorbehalten .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich nehme sie jedenfalls für mich nicht in Anspruch und
kann auch allen anderen nur abraten .

Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, uns die Ge-
schichte zurechtzubiegen und das zu beschönigen, was
nicht ganz so gut gelaufen ist oder was vielleicht sogar
total schiefgelaufen ist . Das wäre Wasser auf die Mühlen
der Vereinfacher und Populisten, die sich dann ihrerseits
die Vergangenheit zurechtbiegen und mit Halbwahrhei-
ten und Lügen auf Stimmenfang gehen . Wir dürfen kei-
ne nachträgliche Verklärung einer Diktatur hinnehmen,
in der es Bautzen und den Schießbefehl gab und in der
man Jugendliche dazu gebracht hat, sich gegenseitig zu
bespitzeln . Und es darf nicht beschönigt werden, wenn
es darum geht, welch totalen Umbruch die Ostdeutschen
erlebt haben und wie viele von ihnen dabei gescheitert
sind .

Trotz alledem fällt meine Bilanz positiv aus . Der Auf-
bau Ost ist insgesamt gelungen . Das Ziel gleichwertiger
Lebensverhältnisse ist in vielen Bereichen erreicht . Wir
verfügen heute über eine moderne mittelständisch ge-
prägte Wirtschaft und eine gut ausgebaute Infrastruktur .
Massive Umweltschäden wurden beseitigt, die Städte
wurden saniert und viele Altbauten liebevoll restauri-
ert . In vielen Bereichen ist der Angleichungsprozess gut
vorangekommen . Aber – und das ist ein großes Aber –
Ostdeutschland hinkt bei der Wirtschaftskraft und bei
den Steuereinnahmen weiter deutlich hinterher . Die Ar-
beitslosigkeit ist deutlich höher als im Westen, und die
Löhne sind deutlich niedriger . Der Aufholprozess kommt
schon seit Jahren nur noch sehr langsam voran . Die ost-
deutsche Wirtschaft wächst zwar, aber die westdeutsche
Wirtschaft wächst eben auch . Man könnte sagen: Wir

verfolgen ein Ziel, das sich genauso schnell bewegt wie
wir selbst, und deswegen kommen wir ihm derzeit leider
nicht näher . Wir brauchen einen langen Atem .

Zurückzuführen ist das vor allem auf die Kleinteilig-
keit der ostdeutschen Wirtschaft . Diese Kleinteiligkeit ist
ein strukturelles Problem . Uns fehlen im Osten die Groß-
unternehmen und Konzerne und ihre Forschungs- und
Entwicklungsabteilungen . Angesichts dessen vertreten
manche unterdessen die Auffassung, dass der Osten den
Westen niemals einholen kann . Das ist eine sehr gefähr-
liche Argumentation . Wer ihr folgt, könnte glatt auf die
Idee kommen, dass man komplett aus der Ostförderung
aussteigen könnte .

Meine Damen und Herren, ich bin nicht naiv . Ich
weiß, dass diese Auffassung längst von manchen vertre-
ten wird, bislang allerdings noch eher hinter vorgehalte-
ner Hand . Aber ein Ende der Ostförderung würde bedeu-
ten, einen Motor abzuwürgen, den man gerade mit viel
Aufwand zum Laufen gebracht hat . Das wäre grotesk .
Dann wäre vieles, ganz vieles umsonst gewesen . Eine
reine Ostförderung ist nach dem Auslaufen des Solidar-
pakts II im Jahr 2019 allerdings auch niemandem mehr
zu vermitteln . Was unser Land deshalb für die Zeit nach
dem Solidarpakt braucht, ist eine zuverlässige Förderung
der strukturschwachen Regionen in Ost und West .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was der Osten außerdem braucht, ist ein fairer Bund-Län-
der-Finanzausgleich, der dafür sorgt, dass besonders in
den von Abwanderung betroffenen Regionen die zent-
ralen Aufgaben, etwa im Bereich der Daseinsvorsorge,
auch in Zukunft erfüllt werden können .

Meine Damen und Herren, es gibt noch ein Thema,
das mir auf der Seele liegt . Das ist die für 2019 verspro-
chene Angleichung der Renten in Ost und West . Ich bin
den Koalitionsfraktionen dafür dankbar, dass sie dieses
Versprechen mit ihrem Antrag noch einmal bekräftigt
haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es handelt sich um die letzte Rechtsungleichheit von grö-
ßerer Bedeutung . Es geht dabei natürlich um die Vollen-
dung der sozialen Einheit . Die Rente, meine Damen und
Herren, darf nicht zum Symbol der Ungleichheit werden .


(Zuruf von der LINKEN: Ist sie doch längst!)


Meine Damen und Herren, wir haben viel erreicht,
und den Rest schaffen wir auch noch . Die Deutschen in
Ost und West, wir alle haben morgen allen Grund, zu fei-
ern . Ich wünsche mir – nicht nur für diesen Tag – ein
Deutschland, das seine Einheit feiert, ohne seine Ge-
schichte zu vergessen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812800200

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812800300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute

halte ich meine letzte Rede als Fraktionsvorsitzender im
Deutschen Bundestag .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Ah! – Heiterkeit bei der SPD)


– Warten Sie! Los sind Sie mich noch nicht; denn ich
bleibe ja im Bundestag .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Schade!)


Aber ich werde dann deutlich seltener und auch zu ande-
ren Anlässen reden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wissen gar nicht, ob wir uns freuen oder Mitleid haben sollen!)


Ich muss schon deshalb aufhören, weil ich jetzt länger
eine Abgeordnetengruppe bzw . eine Fraktion leite als
Herbert Wehner oder Wolfgang Mischnick . Da sagte ich
mir: Gregor, nicht übertreiben!


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Lassen Sie mich etwas zur deutschen Teilung sagen .
Die deutsche Teilung war das Ergebnis der NS-Diktatur
und des Zweiten Weltkrieges, der 50 Millionen Men-
schen das Leben kostete . Die Sowjetunion allein erlebte
den Tod von 27 Millionen Menschen . Die Vernichtung
der europäischen Jüdinnen und Juden kostete 6 Millio-
nen Menschen das Leben . Viele Länder waren zerstört,
auch Deutschland . Deutschland selbst verzeichnete
6,3 Millionen Tote .

Die Strafe der Siegermächte für Deutschland war eine
Verringerung des Territoriums und letztlich auch die
deutsche Teilung . West- und Ostdeutsche hatten keine
freie Entscheidung hinsichtlich des Systems . 1952 gab
es die Stalin-Note mit dem Angebot geheimer Wahlen in
beiden deutschen Staaten . Ich meine, Adenauer hätte da-
rauf eingehen sollen;


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Sicherheit nicht!)


aber es gab schon den Kalten Krieg .

Das wichtigste Ergebnis der deutschen Einheit 1990
bestand darin, dass durch diese Einheit ein Krieg zwi-
schen den beiden deutschen Staaten ausgeschlossen
wurde . Wäre der dritte Weltkrieg in der Zeit des Kalten
Krieges je begonnen worden, dann hätte er – da waren
sich die USA und die Sowjetunion einig – zwischen den
beiden deutschen Staaten begonnen . Uns alle hätte es
nicht mehr gegeben .

Die Einheit ist auch dank des Mutes vieler Ostdeut-
scher zustande gekommen . Die Vorteile für den Osten
sind offenkundig: Es ist ein Gewinn an Freiheit und De-
mokratie . Nie wieder wird es eine Mauer in Deutschland
geben . Wir haben eine funktionierende Wirtschaft, keine
Mangelwirtschaft . Endlich hatten die Ostdeutschen eine
frei konvertierbare Währung, die Deutsche Mark statt der
Mark der DDR, das heißt eine Währung, die man welt-
weit einsetzen konnte .

Trotzdem: Die Vor- und Nachteile hängen von der
subjektiven Bewertung jeder und jedes Einzelnen ab . Für
viele gab es eine Bereicherung, auch für mich; aber sehr
viele wurden auch arbeitslos . Ein 50-Jähriger, der bis zur
Rente arbeitslos blieb, hat die Bereicherung kaum emp-
funden . Und Männer sind anders gestrickt als Frauen .
Männer empfinden ihre Bedeutung nur über ihre beruf-
liche Tätigkeit


(Unruhe bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Sie! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha? Vielleicht in Ihrer Generation!)


– hören Sie doch mal zu! – und unterliegen dann noch
dem Irrtum, dass sie, wenn sie höher bezahlt werden,
eine höhere Bedeutung haben . Frauen bringen neues Le-
ben zur Welt und haben deshalb eine andere Perspektive
als wir Männer . Aber auch für Frauen gab es Verluste,
und zwar insbesondere bei den Kindereinrichtungen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Frauen gehen in Kindereinrichtungen!)


Wir Menschen sind außerdem so gestrickt: Wir genießen
weniger, was wir haben, und leiden mehr unter dem, was
wir nicht haben .

Nun lassen Sie mich aber auch Kritisches sagen . Un-
ser Vorschlag für die Wirtschaft bestand 1990 darin, ab
1 . Juli ein Jahr lang sämtlichen DDR-Unternehmen als
Subvention die Lohnkosten zu erstatten, ein Jahr später
nur noch 90 Prozent davon, wieder ein Jahr später nur
noch 80 Prozent – also eine degressive Subvention über
zehn Jahre hinweg . Alle Unternehmen hätten die Chance
gehabt, die Produkte in besserer Qualität oder auch neue
Produkte herzustellen, dafür zu werben . Natürlich wären
auch bei diesem Weg viele Unternehmen in Konkurs ge-
gangen, aber nicht so viele, wie es tatsächlich geschehen
ist . Stattdessen entschied die Treuhandanstalt: manchmal
scheinbar – zum Beispiel, wenn Konkurrenz beseitigt
wurde –, manchmal tatsächlich eher willkürlich, manch-
mal auch sinnvoll .

Nach Abschluss der Privatisierung Ende 1994 gab es
nur noch 1,5 von einst 4,1 Millionen Arbeitsplätzen in
den Treuhandunternehmen . Die Treuhandverluste bei der
Privatisierung betrugen 200 Milliarden Euro . Wie jetzt
festgestellt wurde, bleibt die Wirtschaft im Osten wohl
fast ewig hinter der westdeutschen zurück . Nur die Poli-
tik könnte wirksame Schritte dagegen einleiten .


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Was mich aber besonders störte, waren zwei Dinge:
der Mangel an Respekt vor ostdeutschen Biografien und
dem dortigen Leben und kein genaues Hinsehen .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)


Vieles musste überwunden werden – das steht fest –,
aber einiges hätte sinnvoll in ganz Deutschland einge-
führt werden können . Wenn man eine Gleichstellung der
Frauen will, auch bei der Erwerbsarbeit, dann muss es
genügend Kindertagesstätten und Nachmittagsbetreuung
an Schulen geben . Da Ferien länger dauern als der Ur-
laub der Eltern, muss es Schulferienspiele und Kinderer-
holungseinrichtungen geben .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das gibt es alles nicht?)


Das war nicht schlecht und hätte vom Osten übernom-
men werden können .


(Beifall bei der LINKEN)


Das gilt auch für Polikliniken, die wir jetzt Ärztehäuser
nennen .

Im Osten gab es bei der Bildung leider – wirklich lei-
der; nicht zu vertreten – eine politische Ausgrenzung,
aber keine soziale . Vor allem Kunst, Kultur und öffent-
licher Nahverkehr waren für jede und jeden erschwing-
lich . Heute kann die Tochter einer Hartz-IV-Empfängerin
niemals die 9 . Sinfonie von Beethoven im Original hö-
ren, nur verquetscht auf dem Computer . Wir müssen uns
darüber wirklich Gedanken machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Lothar Späth hat mir erzählt: Als er die Geschäftsfüh-
rung von Jenoptik übernahm, hat er sofort den Betriebs-
kindergarten geschlossen, weil er der Meinung war: Das
sind völlig unnötige Kosten . Dann wollte er zwei fran-
zösische Ehepaare, die hochqualifiziert waren, für sein
Unternehmen gewinnen . Die hatten aber beide je zwei
Kinder und fragten ihn, ob das Unternehmen einen Kin-
dergarten habe . Da sagte er: Natürlich nicht . Dann sag-
ten sie: Dann kommen wir nicht . – Daraufhin hat er den
Kindergarten wieder eröffnet . Manchmal lohnt es sich,
länger nachzudenken .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war das?)


– In Jena .

Das Wichtigste ist: Wenn wir diesen Weg gegangen
wären, wenn wir bestimmte Dinge eingeführt hätten,
dann hätte das das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen
gestärkt . Was aber noch wichtiger gewesen wäre: Die
Westdeutschen würden mit der Vereinigung verbinden,
dass in diesen Punkten ihre Lebensqualität gesteigert
wurde . Das wäre doch viel positiver gewesen als die jet-
zige Einstellung .


(Beifall bei der LINKEN)


Trotzdem sage ich: Wir sind für die neue Generati-
on gut vorangekommen bei der Herstellung der inneren
Einheit . Aber es müssen schnellstens zwei Dinge passie-
ren: die Angleichung der Löhne und der Arbeitszeit in

Ost und West und die Angleichung der Renten . Für die
gleiche Lebensleistung muss es endlich die gleiche Rente
geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Bevor ich wenige weitere Wünsche und Bitten über-
mittle, muss ich Ihnen mittels eines jüdischen und des-
halb wohl intelligenten Witzes die Dialektik erklären . Es
kommt ein Jude nach Hause und ist stark frustriert . Sein
Bruder fragt ihn, warum er so sauer sei . Er antwortet,
dass er wütend sei, weil er den Rabbiner gefragt habe, ob
er beim Beten rauchen dürfte, was dieser strikt verneint
hätte . Sein Bruder erwidert, dass er ein Depp sei, weil er
die Frage falsch gestellt habe . Er hätte fragen müssen, ob
er beim Rauchen beten dürfe, was der Rabbiner immer
erlaubt hätte . – Sehen Sie: Das ist die Dialektik .


(Beifall bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen hat der Witz einen Bart!)


Jetzt komme ich zu einigen Wünschen und Bitten, die
über das hinausgehen, was ich eben in Bezug auf Ost/
West schon gesagt habe .

Erstens . Wir müssen Flüchtlinge anständig behandeln
und Fluchtursachen wie Krieg, Rüstungsexporte, Hun-
ger, Armut und Rassismus bekämpfen . Aber wir dürfen
die Benachteiligten bei uns nicht vernachlässigen . Wir
brauchen eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine
soziale Mindestrente gegen Altersarmut .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Wenn man einen Abstand zwischen Sozi-
alleistungen und Erwerbseinkommen haben will, dann
braucht man einen höheren flächendeckenden gesetzli-
chen Mindestlohn: 10 Euro brutto die Stunde .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Wir müssen die Mitte der Gesellschaft ent-
lasten . Es sind die mittleren Verdiener, die die Gesell-
schaft bezahlen, nicht die Vermögenden, nicht die mit
hohen Einkommen – weil Sie sich an die nicht heran-
trauen oder nicht heranwollen –, und nicht die Armen,
denn die können es nicht . Dasselbe Beispiel gilt für die
Wirtschaft: Die kleinen Unternehmen können nicht die
Steuern bezahlen, die Konzerne und die Banken drücken
sich davor . Nur der Mittelstand bezahlt ehrlich die Steu-
ern . Wir müssen lernen, die Mitte in der Gesellschaft zu
schützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Wir müssen die Bildungsstrukturen erwei-
tern . Ich bitte Sie: Wir haben 16 verschiedene Schul-
systeme, weil wir 16 Bundesländer haben . Das passt ins
19 . Jahrhundert, aber nicht ins 21 . Jahrhundert .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das heißt, das bayerische für alle!)


Wir brauchen endlich flächendeckend Kitas, mehr und
gut bezahlte Erzieherinnen und vor allem Erzieher . Wir
brauchen in diesem Bereich Gebührenfreiheit und auch

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


ein gebührenfreies, gesundes, vollwertiges Mittagessen
sowohl in Kindertagesstätten als auch in Schulen .


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens . Wir müssen die prekäre Beschäftigung und
die Altersarmut überwinden, jetzt und in Zukunft .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Was wir nicht brauchen, ist die Linkspartei!)


Sechstens . Wir müssen die schlechte Bezahlung der
sogenannten Frauenberufe überwinden . Das heißt, end-
lich gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Siebtens . Wir müssen zum Primat der Politik zurück,
und wir müssen die Macht der Banken und Konzer-
ne deutlich zurückfahren; ich erinnere an Bankenkrise
und TTIP . Dass die Deutsche Bank entscheidet, was die
Kanzlerin macht, und dass nicht mehr die Kanzlerin ent-
scheidet, was die Deutsche Bank macht, muss geändert
werden .


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Achtens . Wir müssen die Europäische Union und den
Euro deutlich demokratischer, sozialer und ökologischer
hinsichtlich ihrer Wirkungen gestalten .

Neuntens . Wir haben eine geringe Wahlbeteiligung .
Sozial Benachteiligte gehen nur noch zu 30 Prozent wäh-
len . Sie überlegen sich, Wahllokale länger öffnen zu las-
sen . Das wird nicht helfen . Wir müssen die Demokratie
attraktiver machen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Was halten Sie von einer dritten Stimme bei der Bundes-
tagswahl, mit der die Bürgerinnen und Bürger die Rei-
henfolge auf der Liste der Parteien verändern können?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der SPD: Haben wir doch längst!)


Nicht nur die direkt Gewählten, sondern auch die auf
Listen Gewählten wären doppelt unterstellt: Sie müssten
ihrer Partei so nahe sein, dass sie auf die Liste kommen,
und sie müssten den Bürgerinnen und Bürgern so nah
sein, dass ihr Name von ihnen auch angekreuzt wird .

Was halten Sie davon, dass jede Partei, die im Bun-
destag vertreten ist, anlässlich der Bundestagswahl eine
Frage an die Bevölkerung stellen kann, die mit Ja oder
Nein zu beantworten ist? Das Bundesverfassungsgericht
muss in einem kurzen Verfahren prüfen, ob sowohl die
Antwort „Ja“ als auch die Antwort „Nein“ grundgesetz-
gemäß ist . Außerdem muss es Begrenzungen hinsichtlich
der Bindungen des Bundeshaushalts geben, weil wir Lin-
ken sonst mit unserer Frage gleich zwei Bundeshaushalte
auf einmal ausgeben würden . Das verstehe ich .

Was halten Sie von einer Ergänzung unserer Debat-
tenkultur? Bisher haben wir doch nur Reden . Wenn wir
nur Reden haben, entscheidet man selbst, auf welche Ar-
gumente des Vorredners man eingeht oder nicht eingeht .
Stellen Sie sich doch einmal vor, neben den Reden hätten

wir eine Streitdebatte, zum Beispiel zehn Minuten lang
ein Streitgespräch zwischen Kauder und Gysi, immer
redet jeder je eine Minute: Ich kann seinen Argumenten
nicht ausweichen, er kann meinen Argumenten nicht aus-
weichen . Glauben Sie mir, es würde hier sehr viel span-
nender werden, wenn wir solche Dinge im Bundestag
einführen würden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Ruf der Politikerinnen und Politiker in unserer
Gesellschaft ist ziemlich schlecht .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Dank Ihnen!)


Das hat viele Gründe . Aber die wichtige Arbeit der Mit-
glieder des Bundestages in den Ausschüssen kann die
Öffentlichkeit nicht wahrnehmen . Ich verstehe, dass man
dort kameragerechtes Verhalten verhindern will . Aber
vielleicht kann man Ausschusssitzungen teils öffentlich,
teils nichtöffentlich durchführen, damit die Bürgerinnen
und Bürger wissen, wo Abgeordnete außerdem arbeiten
und wie viel sie arbeiten .

Auch die Fragestunde zur Politik der Bundesregierung
muss meines Erachtens dringend kulturell belebt werden .

Zehntens und letztens . Ich wünsche mir eine andere
politische Kultur . Ich weiß, dass die Union auch in den
seltenen Fällen voller Übereinstimmung zusammen mit
uns keine Anträge stellt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)


Ich glaube, das stärkt falsche Ansichten in der Union und
bei uns . Denken Sie darüber nach .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die repräsentative Demokratie zeichnet sich dadurch
aus, dass unterschiedliche Parteien unterschiedliche In-
teressen vertreten . Die meisten Linken haben begriffen,
dass ein Bundestag ohne Union nicht gut wäre, weil dann
bestimmte Interessen nicht mehr vertreten wären . Damit
keine Missverständnisse aufkommen: Kleiner, auch deut-
lich kleiner, dürfen Sie schon werden, aber nicht fehlen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wie großzügig!)


Aber ich befürchte, dass es noch zu viele in der Union
gibt, die sich einen Bundestag ohne Linke gut vorstellen
können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Sehen Sie . – Damit verletzten Sie aber die repräsenta-
tive Demokratie; denn wir vertreten andere Interessen,
bei denen es vielleicht wichtig ist, dass auch diese im
Bundestag vertreten sind .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wähler entscheidet!)


Denken Sie darüber nach .

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812800400

Herr Kollege, denken Sie an die Zeit .


(Thomas Oppermann [SPD]: Die letzte Rede!)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812800500

Das ist die letzte Seite, Herr Präsident .

Ich wünsche mir ein anderes Verhältnis zu histori-
schen Persönlichkeiten .


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Stalin!)


Ich kenne die Kritik der Linken an Bismarck . Sie ist
berechtigt; trotzdem sage ich: Er war auch ein herausra-
gender Mann . Ich weiß, dass an der Kremlmauer Clara
Zetkin und Fritz Heckert beerdigt sind, wichtige Persön-
lichkeiten . Wenn Sie Franzosen wären – ich schwöre es
Ihnen –: Selbst der konservativste Präsident wäre an den
Gräbern vorbeigegangen und hätte schon mal eine Blu-
me niedergelegt . Noch nie war ein Bundespräsident dort,
noch nie ein Kanzler oder eine Kanzlerin . Lassen Sie uns
diesbezüglich doch ein bisschen französische politische
Kultur und Toleranz einführen . Das stärkt Sie und uns
und unser Land .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Niels Annen [SPD])


Zum Schluss . Ich habe bisher die Abgeordneten nie
als Kolleginnen bzw . Kollegen begrüßt . Das wird Ihnen
gar nicht aufgefallen sein . Das hängt mit den Diskrimi-
nierungen und Verletzungen zusammen, die ich erlebt
habe, auch im Immunitätsausschuss . Die FDP hat bei
mir immer einen kleinen Stein im Brett, und zwar, weil
sie als Einzige nicht mitgemacht hat . Inzwischen werde
ich aber auch mit Respekt behandelt . Nun muss auch ich
mir einen Ruck geben . Deshalb sage ich Ihnen jetzt: Herr
Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche
Ihnen allen aufrichtig beste Gesundheit, schöne Erleb-
nisse, viel Glück und nur ein wenig vom Gegenteil, um
nicht zu verlernen, Glück zu schätzen . Außerdem wün-
sche ich Ihnen allen größte politische Erfolge – natür-
lich nur insoweit, wie sie mit meinen politischen Sichten
übereinstimmen .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Und da Sie für mich immer eine Herausforderung waren,
was zweifellos zu meiner Entwicklung beigetragen hat,
sage ich Ihnen auch: Danke .


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812800600

Lieber Kollege Gysi, Ihre letzte Rede als Fraktions-

vorsitzender der Linken hatte ja streckenweise fast den
Charakter einer Regierungserklärung .


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Dazu fehlt es jetzt nur noch an den erforderlichen Mehr-
heiten .


(Zuruf von der LINKEN: Wir arbeiten daran!)


Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem verein-
ten Deutschland – an die Wiedervereinigung erinnern
wir an diesem Wochenende in besonderer Weise – und
dem Staat, der vor 25 Jahren dem Geltungsbereich des
Grundgesetzes beigetreten ist, besteht darin, dass in die-
sem Parlament nicht nur überhaupt auch Minderheiten
zu Wort kommen, sondern regelmäßig auch mit längeren
Redezeiten als ihnen statistisch überhaupt zusteht .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun tun wir so, als wäre das eine ganz normale Debat-
te . Ich rufe den nächsten Redner auf . Das ist der Kollege
Hauptmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1812800700

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ich

freue mich, dass der Bundesbeauftragte für die Stasiun-
terlagen heute dieser Debatte beiwohnt . – Lieber Thü-
ringer Landsmann Roland Jahn, seien Sie herzlich will-
kommen bei dieser Debatte im Deutschen Bundestag .
Verehrte Gäste und Freunde auf den Tribünen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident, eine Regierungserklärung sieht schon
anders aus . Wir haben hier einen Gregor Gysi erlebt,
der wie ein Hobbypsychologe die Geschichte verklären
will, wie er die Westanbindung Deutschlands ein Stück
weit infrage stellt, das war schon ein starkes Stück, Herr
Kollege . Deswegen möchten wir Sie gleich einmal daran
erinnern – damit Sie das auch nach Ihrer letzten Rede
als Fraktionsvorsitzender nicht vergessen –: Es waren die
Adenauers, die Brandts und die Kohls, die die Einheit
herbeigeführt haben und nicht die Lafontaines, die Hone-
ckers und die Gysis dieser Republik .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Es war das Volk!)


Liebe Kollegen, wir feiern morgen, am 3 . Oktober
2015, auch zentral hier, direkt vor dem Reichstagsgebäu-
de, unser silbernes Einheitsjubiläum, 25 Jahre deutsche
Einheit . Dass Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren
enorm aufgeholt hat, das bestreitet niemand, nicht einmal
Herr Gysi . Was mich an dieser Debatte allerdings immer
wieder stört, ist der nostalgische Aspekt, der ein Stück
weit mitschwingt, auch in Ihren Worten, wodurch unsere
geschichtliche Leistung ein Stück weit kleingeredet und
auch verklärt wird .

Die immensen Anstrengungen der Menschen in Ost-
deutschland, die Solidarität der Bürger in Westdeutsch-
land, die Integration eines vereinigten Deutschlands






(A) (C)



(B) (D)


innerhalb der Europäischen Union quasi über Nacht,
der wirtschaftliche Erfolg, den wir heute im Jahr 2015
feiern – all das sind Beispiele und Kennzeichen dafür,
dass wir hier einen Transformationsprozess erfolgreich
gemeistert haben, der einmalig ist auf der ganzen Welt .
Darauf können wir stolz sein und sollten es auch .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen geht es heute bei dieser Debatte nicht nur
um den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit –
die Staatssekretärin hat ihn vorgestellt –, sondern auch
um einen Antrag seitens der Koalitionsfraktionen, der die
deutsche Einheit als das würdigt, was sie ist, nämlich ein
Erfolg und ein Geschenk unserer deutschen Geschichte .
80 Prozent der Menschen in den neuen Ländern erleben
das auch persönlich so; sie erleben quasi die Wiederver-
einigung als das größte historische Glück, das sie erreicht
haben .

Mit den Worten „Wir sind das Volk“ haben die Ost-
deutschen Freiheit und ein besseres Leben angestrebt .
Sie waren auch in den schwierigen Jahren, die es nach
der Wiedervereinigung ohne Zweifel gab, in diesem
Transformationsprozess bereit, hart anzupacken und da-
ran mitzuwirken, die deutsche Einheit zu einem gesamt-
deutschen Erfolg zu machen . Diesen können wir heute
feiern .

Das hört sich immer sehr abstrakt an; dabei ist es
unglaublich konkret, wenn es um die Lebensqualität
der einzelnen Menschen geht, wenn es um den Um-
weltschutz in den neuen Ländern geht, wenn es um die
bessere Anbindung Deutschlands in Europa durch eine
moderne Infrastruktur geht und wenn es darum geht,
wie es eine innovative Wirtschaft geschafft hat, sich in
diesem Transformationsprozess von der Miss- und Plan-
wirtschaft hin zur sozialen Marktwirtschaft zu verändern .
Das sind ganz konkrete Leistungen, die wir hier heute
würdigen wollen .

Das schönste Geschenk haben sich letztendlich die
Menschen selbst gegeben . Denn dank der Lebens- und
Arbeitsbedingungen und der medizinischen Versorgung
ist die Lebenserwartung in Ostdeutschland heute sieben
Jahre länger, als sie noch 1989 war . Das heißt, die Men-
schen profitieren selber davon und können tagtäglich
nicht nur bei Besuchen von Bundesgartenschauen und
Landesgartenschauen erleben, dass blühende Landschaf-
ten heute Realität geworden sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Ogottogott!)


Dass wir es geschafft haben, in der Infrastruktur Lü-
cken zu schließen und marode Infrastruktur zu besei-
tigen – über die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“
wurden über 40 Milliarden Euro investiert und Schienen-
projekte und Autobahnprojekte aufgelegt –, zeigt doch
letztendlich, dass in vielen Bereichen unglaublich viel
passiert ist . Dies kommt heute unserem gesamten Land
zugute und nicht nur den Ostdeutschen .

Wachstum und Innovation sind ein Bereich, in dem
in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt wurden,
und das trotz des Strukturwandels, den wir in den letzten
Jahren durchschritten haben . Dieser Aufholprozess, den

die neuen Bundesländer erlebt haben, zeigt, dass hier ein
gewaltiger Fortschritt erzielt wurde . Wir haben heute bei
der Zahl der Arbeitslosen einen historischen Tiefstand:
750 000 Menschen in den neuen Ländern sind noch ar-
beitslos; jeder Einzelne von ihnen ist zu viel . Aber das
ist der niedrigste Stand, den wir seit 25 Jahren haben .
Die Arbeitslosigkeit ist 18 Prozent geringer als 1991 . Die
Arbeitslosigkeit in meinem Südthüringer Wahlkreis liegt
mit 5 Prozent knapp 1,5 Prozentpunkte unterhalb des
deutschen Bundesdurchschnittes . Das sind doch Leistun-
gen, die wir nach außen tragen können, auf die wir stolz
sein können, liebe Freunde .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Erfolge sehen wir nicht nur im Bereich der Le-
bensqualität und nicht nur im Bereich des Umweltschut-
zes – knapp 5 Prozent des Staatsterritoriums in den neuen
Ländern haben wir als Biosphärenreservate und Natur-
parks unter besonderen Schutz gestellt –, sondern wir
sehen sie auch bei über 94 000 Arbeitsplätzen in inno-
vativen Bereichen der Forschung und Entwicklung und
bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich
heute teilweise als Hidden Champions zu Weltmarktfüh-
rern entwickelt haben . Wer hätte vor 25 Jahren gedacht,
dass wir Weltmarktführer in den neuen Ländern haben?


(Zuruf von der LINKEN: Ja, warum denn nicht?)


Das ist ein Erfolg, den wir nicht kleinreden sollten . Wir
unterstützen ihn vielmehr mit den Instrumenten unserer
staatlichen Förderung . ZIM, INNO-KOM-Ost, aber auch
die Programmfamilie „Unternehmen Region“ zeigen,
dass wir als Staat unserer Verantwortung gerecht werden,
weiterhin einen erfolgreichen wirtschaftlichen Aufstieg
zu gewährleisten .

Sehr geehrte Damen und Herren, eines darf man nicht
vergessen: Wir sollten heute mit dieser Debatte keinen
Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED-Diktatur
ziehen . Werter Herr Kollege Gysi, man kann 25 Jahre in
verschiedenen Bereichen und für verschiedene Aspekte
durchaus nutzen. Ich empfinde es schon ein Stück weit
als eine Schande, dass Sie und Ihre Kollegen als Nach-
folgepartei der SED die Verantwortung für Stacheldraht,
Schießbefehl und Schlussverkauf in der Planwirtschaft
nicht aufgearbeitet, nicht analysiert und nicht geradege-
rückt haben .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Es ist letztendlich ein Stück weit eine Schande der deut-
schen Geschichte, dass Sie diese 25 Jahre nicht genutzt
haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Junge, Junge!)


Sehr geehrten Kollegen, das ist nicht abstrakt . Das ist
sehr konkret . Die Mehrheit Ihrer Regierungskoalition im
Thüringer Landtag beträgt eine Stimme, und das bei zwei

Mark Hauptmann






(A) (C)



(B) (D)


ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi. Das ist
die Realität im Jahr 2015 .


(Thomas Jurk [SPD]: Das ist Demokratie! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine Schande ist das! – Zurufe von der LINKEN)


Hier werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht . Die
Stasimitarbeiter von gestern sind heute noch in maßgeb-
licher Verantwortung mit dabei . Das ist ein Stück weit
eine Schande .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812800800

Herr Kollege Hauptmann, darf die Kollegin

Wawzyniak Ihnen eine Zwischenfrage stellen?


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1812800900

Gerne .


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812801000

Herr Kollege Hauptmann, Sie haben gerade gesagt,

dass die Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden ist .
Nun haben wir mit der Drucksache 18/3145 einen Ge-
setzentwurf zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher
Vorschriften und zur SED-Opferrente vorgelegt, in dem
wir unter anderem vorgeschlagen haben, dass auch die-
jenigen unter das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz
fallen sollten, die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen des
MfS waren . Diesen Gesetzentwurf haben Sie mit brei-
ter Mehrheit abgelehnt . Der Kollege Vaatz hat sich dazu
hinreißen lassen, zu sagen, dass dieser Gesetzentwurf nur
eingebracht worden ist, um den Staat zu zerstören . Wie
verträgt sich das in Ihren Augen damit, dass die Vergan-
genheit aufgearbeitet werden soll?


(Beifall bei der LINKEN)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1812801100

Werte Frau Kollegin, wenn der Thüringer Landtag

feststellt, dass zwei ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter
der Stasi parlamentsunwürdig sind,


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Danach hat sie nicht gefragt! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie hat etwas ganz anderes gefragt!)


dann erwarte ich von einer Partei – und auch von einem
Regierungsbündnis –, dass sie ihre Mehrheit nicht von
diesen zwei Stimmen abhängig macht, sondern einen
ganz klaren Schlussstrich unter die Geschichte zieht .
Diesen Schlussstrich haben Sie nicht gezogen .


(Ulli Nissen [SPD]: Das war doch gar nicht die Frage! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie können nicht antworten! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kriege ich auch eine Antwort auf die Frage?)


Von daher sind die von Ihnen angesprochenen Punkte
keineswegs ernst zu nehmen .

Herr Gysi, Sie haben uns ein langes Pamphlet vorge-
tragen und gesagt, wo Sie überall Veränderungen erwar-
ten . Wir wünschen uns als Veränderung, dass Sie damit

anfangen, die Nationalhymne hier in diesem Haus mitzu-
singen . Da fängt es doch bereits an!


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bitte, das ist doch unwürdig! – Tino Sorge [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ich schicke Ihnen gerne mal den Text! Und den vom Grundgesetz gleich mit!)


– Bleiben Sie doch ganz ruhig . Wer sich aufregt, hat per-
manent unrecht; das müssten Sie doch wissen .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Peinlich!)


Sehr geehrte Damen und Herren, die Frau Kollegin
hat mich gefragt, was wir ganz konkret machen, um den
Punkt der Erinnerungskultur zu würdigen; das war ja Ihre
Frage . Da hilft ein Blick in den Antrag, den wir heute
verabschieden . Denn wir wollen mit diesem Antrag da-
für sorgen, dass auch weiterhin eine lebendige Kultur der
Erinnerung gepflegt wird, wir wollen Wissensdefizite,
gerade der jüngeren Bevölkerung, bekämpfen, und wir
wollen – das ist der zentrale Punkt – das Gedenken an die
Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft fortführen,
und das mit einem eigenen Denkmal an einem zentra-
len Ort hier in Berlin . Das ist Bestandteil dieses Antrags .
Wir verpflichten uns in dieser Legislaturperiode zu der
Initiative für dieses Denkmal für die Opfer der kommu-
nistischen Gewaltherrschaft . Das ist die große Leistung,
die diese Regierungskoalition heute mit diesem Antrag
erbringt .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812801200

Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege .


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1812801300

Herr Präsident, ich komme zum Schluss . – Begonnen

habe ich mit den Worten „Wir sind das Volk“, dem zent-
ralen Ausspruch der Bürgerinnen und Bürger, die diesen
Transformationsprozess herbeigesehnt und auch bewäl-
tigt haben . Heute können wir auch den zweiten Teil die-
ser zentralen Aussage von 1989 bestätigen: Ja, wir sind
auch ein Volk, und wir gehen die Herausforderungen der
Zukunft, egal ob in Ost oder West, gemeinsam als ein
Volk an . Das ist letztendlich die wunderschönste und
größte Errungenschaft, die wir nach 25 Jahren deutscher
Einheit feiern können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812801400

Stephan Kühn ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .

Mark Hauptmann






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Ich gehöre zu der Generation, die in
der DDR ihre Kindheit verlebt hat und im vereinigten
Deutschland aufgewachsen ist . Um zu sehen, was sich
in den 25 Jahren nach der Wiedervereinigung entwickelt
hat, brauche ich nur vor die Haustür zu treten . Meine
Berliner Wohnung liegt in der Oderberger Straße . Diese
war 40 Jahre lang eine Sackgasse, denn an der Ecke Ber-
nauer Straße verlief die Mauer . Von Westberliner Seite
konnte man von einer Plattform in die Oderberger Straße
schauen . Heute sind die Häuser, die in den 80er-Jahren
noch durch Neubauten ersetzt werden sollten, saniert .
Zahlreiche originelle Läden und Restaurants säumen die
Straße . Dort, wo früher der Todesstreifen verlief, pulsiert
heute im Mauerpark das Leben .

An diesem historischen Ort wird versucht, das Wissen
darüber zu erhalten, wie es war . Entlang des Grenzstrei-
fens ist eine bemerkenswerte Ausstellung über die Tei-
lungsgeschichte entstanden . An diesem Ort lehrt uns die
Geschichte, dass Demokratie und Freiheit nicht selbst-
verständlich sind, sondern immer wieder neu erkämpft
und bewahrt werden müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es waren der Mut und die Entschlossenheit vieler Bür-
gerinnen und Bürger in der damaligen DDR: Wären sie
im Herbst 1989 nicht zu Hunderttausenden auf die Straße
gegangen, dann hätten sie die SED-Diktatur nicht zu Fall
gebracht, und es gäbe nicht seit 25 Jahren ein in Frieden
und Freiheit vereinigtes Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Seit dem 3 . Oktober 1990 haben die Menschen in Ost
und West einen beispiellosen Prozess des Zusammen-
wachsens zweier, in vielerlei Hinsicht sehr unterschied-
licher Systeme bewältigt . Dabei gab es nicht wenige
Hindernisse zu überwinden: vom Rechts- und Staatsver-
ständnis über die Wirtschafts- und Arbeitswelt, das sozia-
le, kulturelle und gesellschaftliche Leben bis hin zur All-
tagssprache . Auf das Verdienst, diese Herausforderungen
bis heute so gut gemeistert zu haben, können wir in Ost
und West gemeinsam stolz sein .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dass inzwischen eine Generation junger Erwachse-
ner in unserem Land lebt, die Mauer, Stacheldraht und
die Teilung Deutschlands nur aus Büchern und Filmen
kennt, ist ein Glücksfall der Geschichte, was allerdings
nicht dazu führen darf, dass – um Freya Klier aus der
gestrigen Ausgabe der Leipziger Volkszeitung zu zitie-

ren – die DDR so weit weg ist wie das Römische Reich .
Das darf nicht passieren;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


daran müssen wir gemeinsam arbeiten .

Der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit stellt
zutreffend fest, dass der gesellschaftliche Umbruch – bis
hin zu vielen einschneidenden Veränderungen im persön-
lichen Leben – den Ostdeutschen viel abverlangt hat . Ich
finde, ihre Leistungen gilt es heute zu würdigen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Ihr Wissen und ihre Erfahrungen – man könnte es auch
Transformationskompetenz nennen – brauchen wir er-
neut; denn der demografische Wandel stellt insbesondere
die ostdeutschen Bundesländer vor besondere Herausfor-
derungen .

Der Aufholprozess Ostdeutschlands ist in den zu-
rückliegenden Jahren vorangeschritten; aber er hat an
Dynamik verloren. Trotz unverändert breitflächiger
Strukturschwäche in Ostdeutschland und einer seit Jah-
ren stagnierenden wirtschaftlichen Angleichung gelingt
es der Bundesregierung nicht, neue Impulse zu setzen .
Um die zentralen Handlungsbedarfe im Jahresbericht
zusammenzufassen, braucht die Bundesregierung gerade
eine DIN-A4-Seite . Es gibt keine vernünftige Analyse
und auch keine Evaluation der bisherigen Maßnahmen,
aus denen sich Handlungsempfehlungen zur künftigen
Wirtschaftsförderung ableiten ließen . Wenn zum Bei-
spiel die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ angeb-
lich die Grundlage für einen erfolgreichen Aufbau Ost
waren, warum ist dann trotz moderner Infrastruktur die
Wirtschaftskraft in den letzten Jahren kaum gestiegen?
Solche Fragen müsste man ehrlich beantworten .

Der Bericht liefert viele Zahlen, aber keine neuen Ide-
en . Ist die bisherige Form – eine Art Statistisches Jahr-
buch – für Ostdeutschland überhaupt noch zeitgemäß?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bloße Beschreiben des Status quo hilft doch nicht
weiter .

Wenn wir mit herkömmlichen Rezepten nicht weiter-
kommen, müssen wir uns fragen, wie ein selbsttragender
Zukunfts- und Entwicklungspfad für die neuen Länder
aussehen kann . Es hilft nichts, regelmäßig die Kleintei-
ligkeit der ostdeutschen Wirtschaft und das Fehlen von
Konzernzentralen zu beklagen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, die Wirtschaftspolitik muss weg von der In-
vestitions- und Infrastrukturförderung hin zu einer Bil-
dungs- und Innovationsförderung . Richtig ist dabei der
Ansatz, die Förderprogramme der ostdeutschen Länder
in ein gesamtdeutsches System für strukturschwache Re-
gionen zu überführen . Wir müssen uns aber fragen, ob
die derzeitigen Strukturen so beschaffen sind, dass die






(A) (C)



(B) (D)


Eigenverantwortung und die Engagementbereitschaft der
Menschen befördert statt behindert werden .

Patentrezepte gibt es freilich nicht . Wir werden regi-
onal angepasste Konzepte und Lösungen brauchen, zum
Beispiel für die Lausitz, die sich durch das Auslaufen der
Kohleförderung und den demografischen Wandel mitten
im Strukturwandel befindet. Die Bundesregierung muss
aber endlich erkennen, dass sich die Neugestaltung der
Daseinsvorsorge beispielsweise im ländlichen Raum und
das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht durch
eine Aneinanderreihung von Pilotprojekten und Modell-
vorhaben erreichen lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage das bewusst mit Blick auf die bevorstehen-
de Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen .
Denn dabei muss das eine zentrale Rolle spielen .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812801500

Das Wort erhält nun der Kollege Axel Schäfer für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1812801600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

1950, angesichts der deutschen Teilung, schrieb Bertolt
Brecht das prophetische Gedicht Kinderhymne:

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass dieses realisiert werden konnte, hat auch etwas mit
unserem gemeinsamen Europa zu tun .

1990, nach der erfolgreichen friedlichen Revolution,
haben im Europäischen Parlament unter Vorsitz eines
spanischen Christdemokraten, einer französischen Libe-
ralen und einer dänischen Sozialdemokratin die Abge-
ordneten den Weg planiert, dass wir durch die deutsche
Wiedervereinigung nicht noch einmal der EU beitreten
mussten . Ohne den sozialistischen Kommissionspräsi-
denten Jacques Delors wäre das auch nie in so kurzer Zeit
so problemlos gelungen . Es besteht eine ewig dauernde
Dankbarkeit unsererseits gegenüber unseren europäi-
schen Nachbarn, dass dies damals so möglich war .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht aber noch etwas weiter zurück . 1866 hat die
Sozialdemokratie in ihrem ersten Wahlprogramm ge-
schrieben: Wir wollen die deutsche Einheit und betrach-
ten diese einfach als Anfang eines solidarischen europä-

ischen Staates . – 1866! Stellen wir uns nur eine Minute
lang vor, was uns allen erspart geblieben wäre, wenn wir
diese Form von deutscher Einheit in einem gemeinsamen
Europa schon vor 150 Jahren hätten realisieren können .
Auch das gehört an einem Tag wie diesem einmal ausge-
sprochen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten
wir – gerade weil sehr viele jüngere Menschen anwe-
send sind – daran denken, was 1990 gelungen ist . 1990
ist es gelungen, dass letztendlich alle Parteien mit einer
Ausnahme zum überwiegenden Teil gesagt haben: Wir
vollenden die Einheit . – An dieser Stelle muss auch ge-
sagt werden – das hätten die Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU etwas verdeutlichen sollen –: Das ist und
bleibt das Verdienst von Helmut Kohl als Bundeskanzler .
Das sollten wir ihm, gerade weil er nicht mehr unserem
Hause angehört, noch einmal öffentlich zurufen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass ohne
die Schlauheit von Gregor Gysi vielleicht die Volkskam-
mer der Bundesrepublik beigetreten wäre, aber nicht die
DDr .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das stimmt!)


Auch das sollte man an dieser Stelle sagen: dass jemand,
der zwar gegen den Beitritt gestimmt hat, aber dafür war,
dass er möglich wurde .

Auch wenn wir politische Gegner sind, kann man res-
pektvoll sagen: Gregor Gysi, wir danken Ihnen für Ihre
historische Leistung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir gehen nach Thüringen!)


– Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet .

Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass wir bei
der anderen entscheidenden Frage vor der Geschich-
te nicht versagt haben . Ich sehe, dass von damals noch
mein Freund Michael Stübgen und Edelgard Bulmahn
auf der SPD-Seite anwesend sind . Wir haben letztlich un-
ser Versprechen gehalten, dass Berlin nach der deutschen
Wiedervereinigung Hauptstadt wird . Heute ist das alles
selbstverständlich . Aber fragen Sie einmal Bärbel Bas
aus Nordrhein-Westfalen oder mich, was damals los war!
Denjenigen im Westen, die für Berlin waren, hat man ge-
sagt: Ende der Karriere! Du wirst nie etwas .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So etwas gibt es nur bei der SPD!)


Wir beide sind im Deutschen Bundestag angekommen .


(Thomas Jurk [SPD]: Das ist Solidarität!)


Es geht sogar weiter . Manch einer in diesem Hause,
der sich heute für unfehlbar hält, hat sich damals geirrt,

Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


weil er für Bonn gestimmt hat . Es ist schön, dass wir hier
in Berlin gemeinsam angekommen sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will etwas Persönliches hinzufügen . Ich war glück-
lich, mit meinem damals zehnjährigen Sohn am 2 . und
3 . Oktober in Berlin sein und an den Einheitsfeiern teil-
nehmen zu können . Heute bin ich noch glücklicher, weil
die deutsche Einheit für meine Familie zur Folge hatte,
dass ich eine Schwiegertochter aus Mecklenburg-Vor-
pommern habe .


(Beifall des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Zuruf von der SPD: Ah! Das ist deutsche Einheit!)


Willy Brandts Worte „Jetzt wächst zusammen, was zu-
sammengehört“ haben hier für mich eine besondere Be-
deutung .

Ich will mit Bertolt Brecht auch schließen . Seine Kin-
derhymne endet mit den Worten:

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir‘s
Und das liebste mag‘s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812801700

Ich erteile das Wort der Kollegin Baerbock für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Ich bin Ihnen, Frau Gleicke, sehr dankbar, dass
Sie in Ihrer Rede betont haben, dass es keinen Schluss-
strich geben wird . Angesichts mancher Redebeiträge in
dieser Debatte frage ich mich aber, ob das bedeutet, dass
wir heute die gleiche Diskussion wie vor 25 Jahren füh-
ren müssen . Herr Hauptmann, sorry, aber wenn Sie den
Stand der deutschen Einheit daran messen, wer die Nati-
onalhymne mitsingt, dann könnten wir Brandenburg aus
der Bundesrepublik Deutschland komplett ausschließen .
Wir, alle Fraktionen und die Menschen aus Brandenburg,
haben dort in der letzten Woche 25 Jahre Landtag gefei-
ert und dabei Ode an die Freude gesungen oder nur zu-
gehört . Die Nationalhymne spielte jedenfalls dabei keine
Rolle .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Schlimm genug!)


Herr Gysi, Sie haben als Beispiel die Krippenplätze
genannt . Das ist nun 25 Jahre her . Ich habe zwei kleine
Kinder, die in Brandenburg in die Kita gehen . Ich bin

dankbar, dass es dort eine Versorgung mit Krippen- und
Kitaplätzen zu 90 Prozent gibt .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gute Regierung!)


Das sage ich als Westdeutsche, die in Hannover gebo-
ren ist . Aber uns, auch denjenigen, die in Ostdeutsch-
land geboren sind wie mein Kollege Norbert Müller, ist
ziemlich egal, ob wir aus West oder Ost kommen . Auch
Männer interessieren sich dafür, ob es ausreichend Kita-
plätze gibt, und auch Frauen wollen arbeiten gehen . Die
Klischees von Mann und Frau im Zusammenhang mit
Berufstätigkeit treffen nach 25 Jahren so vielleicht nicht
mehr zu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Der Grund, warum ich denke, dass es wichtig ist, kei-
nen Schlussstrich zu ziehen, ist, dass die Mauer – daran
müssen wir uns immer wieder erinnern – nicht einfach
umgefallen ist, sondern dass Menschen, die teilweise auf
brutalste Weise verfolgt wurden, dafür eingetreten sind,
nicht mehr in einer Diktatur und in einem Willkürstaat,
sondern in Frieden und Freiheit zu leben . Gerade in die-
sen Tagen sollte man sich des Kampfes für Freiheit, den
einige vor 25 Jahren geführt haben, immer wieder be-
wusst sein. Wir sollten uns an die Botschaftsflüchtlinge
und die Fluchthelfer erinnern . Wenn wir uns das in Erin-
nerung rufen, dann denken wir auch an das, was Sie zu
Recht angesprochen haben, nämlich die herben Brüche,
die Unsicherheiten, die existenziellen Ängste und auch
daran, was es bedeutet, wenn man über Jahrzehnte nicht
arbeiten kann .

Wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann sollten wir
die Beschlüsse, die wir in der nächsten Sitzungswoche
hier fassen wollen, noch einmal überdenken . Es reicht
nicht, wenn wir den Menschen, die für Freiheit kämp-
fen, die vor Diktatur geflohen sind, sagen: Ihr könnt bei
uns arbeiten, aber erst nach 15 Monaten . – Das sollten
wir uns gerade bei solchen Feierlichkeiten immer wieder
vergegenwärtigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir sollten uns auch vergegenwärtigen, warum die
IHKen, die Kammern, in Ostdeutschland gerade jetzt
wieder fordern, dass Flüchtlinge eine Ausbildung begin-
nen können,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


nämlich weil wir einen Fachkräftemangel haben, wie
Ihr Bericht ja auch betont. Warum findet sich das in den
Vorschlägen der Bundesregierung zur Flüchtlingspolitik
nicht wieder, obwohl Sie es in Ihrem Bericht selber an-
sprechen und es ausgerechnet die IHKen, die Kammern,
immer wieder gefordert haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Axel Schäfer (Bochum)







(A) (C)



(B) (D)


Wenn man Ihren Bericht liest und sich auch den demo-
grafischen Wandel anguckt, dann sollte man in der Dis-
kussion über die Flüchtlingskrise doch auch die Chancen
sehen, gerade für Ostdeutschland . Ich meine nicht, dass
wir sagen sollten: „Da steht alles leer; jetzt sollten dort
alle einquartiert werden“, sondern ich meine die kleinen
positiven Beispiele, das, was Menschlichkeit ausmacht .

So gibt es in Märkisch-Oderland ein Dorf, das aus-
stirbt, 850 Einwohner . Die Grundschule sollte geschlos-
sen werden, weil es statt der notwendigen 15 Erstklässler
kurz vor der Einschulung nur noch 14 Erstklässler gab .
Dort gibt es einen Bürgermeister, der sagt: In der Erst-
aufnahme in Eisenhüttenstadt leben derzeit so viele Fa-
milien mit Kindern . Könnten nicht welche in unser Dorf
kommen? – Die wurden nicht zwangszugewiesen; nein,
es wurde proaktiv darauf zugegangen und aufgezeigt,
dass doch welche in dieses Dorf kommen könnten . Das
hat dazu geführt, dass diese Grundschule, die eigentlich
keine erste Klasse mehr haben sollte und damit über kurz
und lang hätte geschlossen werden müssen, durch die
sechs syrischen Kinder, die dort mit eingeschult wurden,
sozusagen wieder zum Leben erweckt wurde und das
Dorf eine neue Zukunft bekommen hat .

Das funktioniert nicht überall problemlos; auch dort
wird es Herausforderungen mit sich bringen . Aber das
sind Maßnahmen und Geschichten, die wir in den Vor-
dergrund rücken sollten .

Wenn wir den demografischen Wandel beklagen,
wenn wir sagen: „Leider wandern die Menschen gera-
de aus den ländlichen Regionen ab“ – darauf ist mein
Kollege Stephan Kühn schon eingegangen –, dann muss
es doch die Aufgabe eines politischen Berichts sein, hin-
zuzuschreiben: Und das sind die Maßnahmen, mit denen
wir dagegen angehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich glaube, aktuell haben wir viele Chancen, die wir in
dieser Krise nutzen sollten .

Ich würde gern noch auf einen anderen Punkt in Ihrem
Bericht eingehen, Frau Gleicke . Sie hatten beim letzten
Bericht betont, dass Sie es nicht sonderlich hilfreich fin-
den, wenn wir nur Zahlen und Fakten aneinanderreihen .
Das ist jetzt leider wieder genau so passiert . Gerade beim
Thema „Rückstand bei der Wirtschaftskraft“ – ein Drittel
niedriger als in Westdeutschland – fällt mir das besonders
auf . Es hilft nicht, wenn wir pauschal sagen – selbst wenn
Sie im Wirtschaftsministerium angesiedelt sind –: Wir
setzen die Wirtschaftsprogramme so fort, wie wir das
auch in Westdeutschland tun . – Wenn in Ostdeutschland
kein einziges DAX-Unternehmen zu Hause ist, wenn
dort die Wirtschaft vor allen Dingen mittelständisch ge-
prägt ist, dann können wir doch nicht eine Mittelstands-
politik betreiben, die für den Westen geschrieben ist, wo,
in Baden-Württemberg etwa, ein KMU 500 Mitarbeiter
hat, während es in Brandenburg 50, wenn nicht gar nur
10 hat . Wir brauchen eine Mittelstandspolitik, die genau
auf die besonderen Herausforderungen dort abgestellt ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wäre aus meiner Sicht eine Aufgabe für einen solchen
Bericht, auch das anzusprechen; denn sonst beschreiben
wir immer nur den Sachstand und kommen von diesen
Unterschieden nicht weg .

Da wäre ein Ansatz zum Beispiel, zu sagen: Wir gu-
cken in Ostdeutschland nicht nur auf die Existenzförde-
rung –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812801800

Frau Kollegin .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– ich komme zum Schluss –, weil das große Problem in
Ostdeutschland die Unternehmensnachfolge ist . Wenn in
einer Region 7 500 Unternehmen keinen Nachfolger fin-
den, dann geht es auch bei im Schnitt nur 10 Beschäftig-
ten um 75 000 Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlie-
ren könnten . Da müssen wir zum Beispiel in die Lausitz
schauen . Wir müssen auf die Nachfolge bei diesen Un-
ternehmen schauen und nicht immer nur auf die großen
Konzerne, Vattenfall zum Beispiel, wo 8 000 Menschen
beschäftigt sind .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812801900

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Ramsauer für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1812802000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir können heute wirklich sagen, dass wir zu
unserem Glück seit 25 Jahren wiedervereinigt sind . Wo
stünde die frühere DDR, und wo stünde die Bundesre-
publik Deutschland, wenn dies nicht erfolgt wäre? Ich
bin stolz darauf und glücklich darüber, dass ich – mit gar
nicht mehr so vielen Kolleginnen und Kollegen – diesem
Parlament genau diese 25 Jahre angehöre .

Aus der Distanz von 25 Jahren erscheint uns all dies
ziemlich selbstverständlich . Auf den Tribünen sitzen
heute wieder viele junge Menschen . Ich diskutiere sehr
viel mit jungen Besuchern und mit Schülergruppen . Da-
bei mache ich immer wieder die Erfahrung, dass 25 Jahre
Wiedervereinigung, dass das wiedervereinigte Deutsch-
land, dass die Tatsache, dass die Mauer gefallen ist, dass
Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen der Vergangen-
heit angehören, als selbstverständlich betrachtet werden .

Wenn man diesen jungen Menschen dann berichtet,
wie das damals war, was man selbst miterlebt hat, dann
beschleicht einen dasselbe Gefühl, das unsereins in die-
sem Alter hatte, wenn früher ältere Menschen oder die
eigenen Eltern über den Zweiten Weltkrieg berichtet ha-
ben . Das ist die gleiche, quasi historische, zeitliche Dis-
tanz . Deswegen ist es ungeheuer wichtig, dass wir gerade
auch der jungen Generation über all diese Dinge berich-

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


ten . Es ist auch ungeheuer wichtig, dass heute, Herr Prä-
sident, diese Debatte in unserem Parlament geführt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Siegmund Ehrmann [SPD])


Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein: Selbstver-
ständlich ist in der Geschichte nichts .

Daher ist die Frage berechtigt: Wem haben wir denn
diese Wiedervereinigung zu verdanken? Sie ist zualler-
erst – dazu ein klares Ja – dem Mut und dem Freiheits-
willen der Menschen in der DDR zu verdanken . Und –
meine Damen und Herren, das gehört auch dazu – wir
haben dies Helmut Kohl zu verdanken, weil er die Zei-
chen der Zeit richtig deutete . Weil er in der deutschen
Wiedervereinigung niemals nur eine deutsch-deutsche
Frage sah, sondern eine zutiefst europäische Frage sah,
und weil er dies alles in einen europäischen Zusammen-
hang einbettete, hatten wir das Vertrauen unserer europä-
ischen Freunde und Partner .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Menschen in der DDR wollten den maroden Un-
terdrückerstaat nicht reformieren . Nein, sie wollten ihn
vollkommen überwinden . Sie wollten Freiheit statt Sozi-
alismus . Sie wollten soziale Marktwirtschaft anstatt sozi-
alistischer Mangelwirtschaft . Sie wollten Menschen- und
Bürgerrechte anstatt Ideologie und Klassenkampf . Sie
wollten die Einheit, und zwar schnell . Sie wollten auch
die Wirtschafts- und Währungsunion zum 1 . Juli 1990
einführen – mit der Begründung: Wenn die Mark nicht zu
uns kommt, dann kommen wir zur Mark . Unser Dank gilt
daher auch den Architekten der Wirtschafts-, Währungs-
und Sozialunion Theo Waigel und Wolfgang Schäuble .
Sie haben zusammen mit Sabine Bergmann-Pohl und
Lothar de Maizière die Einheit in Freiheit vollendet .

Meine Damen und Herren, dass dies alles überhaupt
so kommen konnte, verdanken wir Deutsche – lassen Sie
mich dies ausdrücklich unterstreichen – einem europäi-
schen Bayern, vielleicht dem glühendsten Verfechter der
deutschen Einheit, Franz Josef Strauß .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ah! – Zurufe von der LINKEN)


– Sie sollten sich für diese komische Reaktion schä-
men . – Herr Gysi, ich lobe Sie ausdrücklich: Ihnen ist
das nicht herausgerutscht, jawohl, aber den anderen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht wegen Strauß auf die Straße gegangen!)


Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau,
dass sich Bayerns Klage gegen den Grundlagenvertrag
als Glücksfall der deutsch-deutschen Geschichte erwie-
sen hat; denn das Bundesverfassungsgericht hat klipp
und klar festgelegt: Das Wiedervereinigungsgebot ist
für alle Verfassungsorgane bindend, und das Grundge-
setz gilt für alle Deutschen, auch für die Menschen in
der DDR . – Das waren die Kernsätze des Urteils . Die
Verweigerung der völkerrechtlichen Anerkennung war

Bayerns Beitrag zum Fall des Unrechtsstaates; denn so
blieben wir Deutsche, was wir trotz Teilung immer wa-
ren: ein Volk .

Trotz all dieser Freude dürfen wir die Opfer der DDR
nicht vergessen . Wir halten die Erinnerung wach an die
Helden und Toten des 17 . Juni . Wir denken an die, die
resignierten und in die innere Emigration flüchteten. Wir
fühlen mit den Unzähligen, die Opfer von Bespitzelung,
Willkürjustiz und Rechtsbeugung waren, und wir neh-
men Anteil am Schicksal derer, die Gefangene in Hohen-
schönhausen, Bautzen, Schwedt und anderswo waren . Ja,
die DDR war ein Unrechtsstaat, nicht nur in der Konse-
quenz, sondern auch von Grund auf .

Heute steht Deutschland herausragend da . Wir sind
stark nach innen und nach außen, und wir tragen die ent-
sprechende Verantwortung . Aber wenn wir diese starke
und großherzige Gesellschaft, die wir sind, bleiben wol-
len, dann müssen wir auch erkennen, wo unsere Gren-
zen sind; denn die Bindekräfte unserer Gesellschaft sind
nicht grenzenlos, sondern sie sind endlich . Ich sage des-
halb mit ausgesprochen großer Besorgnis: Wenn heute
mehr Menschen als Flüchtlinge zu uns kommen als bei
uns geboren werden, dann zeigt das: Die Grenze unserer
Aufnahmefähigkeit ist erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen deswegen Zuwanderung begrenzen . Wenn
wir eine Gesellschaft des Miteinanders bleiben wollen
und keine des Neben- und Gegeneinanders werden wol-
len – die Krawalle und Kämpfe in den Aufnahmelagern
lassen grüßen –, dann müssen wir entscheiden, wer zu
uns kommen kann und wer nicht . Wer sonst, kann man
fragen, wenn nicht wir, sollte das in bestmöglicher Weise
tun? Dafür muss Europa Fluchtursachen bekämpfen, sei-
ne Außengrenzen schützen und mit den Mitgliedstaaten
in der Europäischen Union feste Aufnahmekontingente
verabreden .

Meine Damen und Herren, es klingt banal, aber den-
noch ist es so: Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht
ganz dicht .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das auf Menschen zu beziehen, das gibt es doch nicht!)


Wir müssen alles dafür tun, dass wir weltoffen bleiben;
aber wir dürfen nie grenzenlos werden . Wir brauchen im-
mer die Rückbindung an die eigene kulturelle Identität,


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir brauchen die Mauer!)


an die gemeinsam getragene Verbindlichkeit unserer
Leitkultur . Danke, dass dieser Begriff der Leitkultur in-
zwischen auch von anderen Parteien dieses Hauses ganz
selbstverständlich gebraucht wird .


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie wollen die Mauer wiederhaben!)


Ich kann mich an Zeiten vor wenigen Jahren erinnern, als
von den Unionsparteien und gerade von dir, liebe Gerda
Hasselfeldt, dieser Begriff gebraucht und man hämisch
beschimpft wurde . Gut, dass dieser Begriff der deutschen

Dr. Peter Ramsauer






(A) (C)



(B) (D)


Leitkultur, der Gültigkeit hat, nun auch zur Selbstver-
ständlichkeit in anderen Parteien geworden ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ja, wir müssen uns dazu bekennen – ohne Angst, aber
auch ohne Träumereien .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vergangenen
25 Jahre haben gezeigt, was wir Deutsche alles schaf-
fen können: eine Wiedervereinigung, die ohne Rezept-
buch, ohne irgendein Beispiel in der Geschichte von uns
geschafft wurde . Wir haben gelernt, dass Einigkeit und
Recht und Freiheit Errungenschaften sind, die immer
wieder aufs Neue errungen werden müssen . Ich ermah-
ne und ermuntere uns: Lassen Sie uns diesen Tag zum
Anlass nehmen, unsere Anstrengungen für ein gemeinsa-
mes, gutes Deutschland fortzusetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sabine Poschmann [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812802100

Das Wort hat nun der Kollege Thomas Jurk für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1812802200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Das geeinte Deutschland gibt es
seit nunmehr 25 Jahren . An Situation und Stimmung des
Jahres 1990 vermag ich mich irgendwie noch gut zu er-
innern: Ich war seit knapp einem Jahr Mitglied der Sozi-
aldemokratischen Partei, kandidierte für den Sächsischen
Landtag und arbeitete immer noch bei der PGH, der Pro-
duktionsgenossenschaft des Handwerks, Elektro-Rund-
funk-Fernsehen in Weißwasser .

Der Umbruch war 1990 mit Händen greifbar . Noch
herrschte eine gewisse Unbefangenheit im Umgang mit
den gesellschaftlichen Veränderungen . Aber, viele Men-
schen hatten große Hoffnungen, die Hoffnung, dass die
ostdeutschen Betriebe in der Marktwirtschaft bestehen
würden, die Hoffnung, dass viele Investoren kommen
und neue Arbeitsplätze schaffen würden, die Hoffnung,
als Selbstständiger den eigenen Lebensunterhalt bestrei-
ten zu können, oder die Hoffnung, im goldenen Westen
sein Glück machen zu können .

Einige dieser Hoffnungen haben sich erfüllt, andere
haben sich als Illusion erwiesen . So blieb von den eins-
tigen ostdeutschen Unternehmen nicht viel übrig . Bei-
spielsweise sind von den 110 000 Arbeitsplätzen im ost-
deutschen Braunkohlebergbau vor 25 Jahren heute nur
noch ein paar Tausend erhalten geblieben . Die Auswir-
kungen dieses gigantischen Strukturbruchs spürt man in
meiner Region immer noch deutlich . Ich spreche dies an
dieser Stelle an, da ja gelegentlich die Auffassung ver-
treten wird, der Strukturwandel müsse nun endlich be-
ginnen . Vielmehr muss er auch weiterhin mit staatlicher
Begleitung forciert werden .

Trotz großen Engagements konnten viele Selbststän-
dige langfristig nicht bestehen . Neben der mangelnden
Erfahrung und den völlig veränderten Rahmenbedin-
gungen fehlte es oft am nötigen Kapitalstock, um Zah-
lungsausfälle zu verkraften und die nötigen Investitionen
zu stemmen . Nicht zuletzt hat die desaströse Privati-
sierungspolitik der Treuhandanstalt dafür gesorgt, dass
häufig nur die unliebsame Ostkonkurrenz aus dem Weg
geschafft wurde . Echte Investitionen, aus denen sich
konkurrenzfähige Unternehmen entwickeln konnten,
waren eher die Ausnahme; verlängerte Werkbänke ja,
Unternehmenszentralen nein .

Damals wurde die Grundlage für die jetzige kleinteili-
ge Wirtschaftsstruktur im Osten gelegt, was die wesent-
liche Ursache für das noch immer niedrigere Produktivi-
täts- und Lohnniveau ist . Viele Familien wurden durch
die Abwanderung gerade junger Leute auseinandergeris-
sen . Das hat gerade auch die ältere Generation schmerz-
lich erfahren müssen . Neben den gesellschaftlichen Ver-
änderungen und den vielen Umwälzungen im Leben der
Ostdeutschen waren die letzten 25 Jahre so auch ein Ab-
schied von falschen Vorstellungen .

Bei all den Spuren, die dies bei den Ostdeutschen hin-
terlassen hat, ist die deutsche Einheit politisch jedoch
unzweifelhaft geglückt; denn die wesentlichen Ziele der
Ostdeutschen von 1989 wurden erreicht: Demokratie,
Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, ein besserer Lebensstan-
dard oder die Verbesserung der einst katastrophalen Um-
weltsituation . Wer unsere Städte und Gemeinden heute
anschaut und mit der damaligen Tristesse vergleicht, der
weiß auch, was in den letzten 25 Jahren städtebaulich
Unglaubliches geschaffen wurde .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke hier nur an die Stadt Görlitz in meinem Wahl-
kreis, die aus diesem Grund inzwischen ein Produktions-
standort für internationale Kinoproduktionen geworden
ist .

Zu den großen Erfolgen der deutschen Einheit gehört
zweifellos die Integration Ostdeutschlands in die sozi-
alen Sicherungssysteme der alten Bundesrepublik . Die
gesundheitliche Versorgung hat sich deutlich verbessert,
und so ist es nicht verwunderlich, dass die Lebenserwar-
tung seitdem stark gestiegen ist .

Auch wenn es leider noch Unterschiede bei der Ren-
tenberechnung gibt, war die Einführung des umlagefi-
nanzierten dynamischen Rentensystems im Zuge der
deutschen Einheit ein Meilenstein, konnten so doch die
Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern mit
deutlichen Rentensteigerungen an der Lohnentwicklung
der Beschäftigten teilhaben . All dies war und ist noch im-
mer mit einem gewaltigen Finanztransfer von West nach
Ost verbunden – eine großartige Solidarleistung, über die
man immer wieder froh und dankbar sein sollte .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dennoch hatten die Ostdeutschen in das wiederverein-
te Deutschland mehr als nur das Ampelmännchen oder
den grünen Pfeil einzubringen . Ich will an dieser Stelle

Dr. Peter Ramsauer






(A) (C)



(B) (D)


aber auch meine Hochachtung und meinen Respekt für
all jene Menschen aus Ost und West zum Ausdruck brin-
gen, die in Ostdeutschland eine gewaltige Aufbauleis-
tung auf sich genommen und einfach angepackt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es geht der großen Mehrheit der Ostdeutschen nach
eigener Auskunft heute viel besser als vor 25 Jahren .
Wenn wir heute Bilanz ziehen, können wir mit gutem
Recht sagen: Das meiste ist geglückt, und wir haben vie-
les erreicht . Es sicherlich wichtig, an Tagen wie diesen
innezuhalten und auf unsere Geschichte zurückzuschau-
en . Jedoch ist die deutsche Einheit für mich weniger ein
Feiertag, an dem wir gemeinsame Erinnerungen auffri-
schen, sondern vielmehr eine Aufgabe, eine Aufgabe, an
der wir alle gemeinsam weiterarbeiten müssen .

Bei allem Für und Wider: Wir Deutschen können zu
Recht stolz auf unsere staatliche Einheit sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812802300

Katharina Landgraf erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1812802400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Zahlenspiele zum Stand der
deutschen Einheit sind nicht mein Ding . Die überlasse
ich gerne den Wirtschaftspolitikern .

Es gibt zu unserem heutigen Thema viele kräftige
schwarze Zahlen, die mein Kollege Hauptmann schon in
die Debatte eingebracht hat . Die roten Zahlen überlasse
ich gerne der Opposition; denn ich will Ihnen, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, nicht die Show stehlen . Die gol-
denen Zahlen, die den Gesamterfolg des Unternehmens
deutsche Einheit untermauern, entnehmen Sie bitte dem
Jahresbericht der Bundesregierung .

Daneben gibt es auch noch die grünen Zahlen . Die
überlasse ich nicht der Grünenfraktion; die lasse ich mir
nicht streitig machen . Grüne Zahlen sind für mich bei-
spielsweise die Milliardensummen für die Bergbausanie-
rung seit 1991 .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Ulrich Freese [SPD])


Mein Wahlkreis Leipzig‑Land profitiert von diesem wohl
stärksten Programm für den Osten .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber schauen Sie einmal nach Bayern!)


Kommen Sie einmal nach Ostdeutschland und nach
Mitteldeutschland . Das müssen Sie sehen! Hier ist eine

völlig neue Landschaft entstanden . Die Wunden der
DDR-Wirtschaft sind hier geschlossen .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Sicherlich schon vergessen ist, dass hier über
40 000 Bergleute über Nacht ihren Job verloren haben .
Nicht vergessen werden darf, dass der deutsche Sozi-
alstaat mit seinen Sozialsystemen und die vielen enga-
gierten Gewerkschafter und Betriebsräte den Prozess des
Wandels mit viel Weitsicht getragen haben . Ganz persön-
lich sage ich hier meinem SPD-Kollegen Ulrich Freese
ein herzliches Dankeschön . Er ist ein Gewerkschafts-
mann der ersten Stunde, der mit all seinen Erfahrungen
und seinem Engagement zu uns in den Osten gekommen
ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das war und ist gelebte Solidarität unter Deutschen, die
aus zwei völlig verschiedenen Welten zueinander gefun-
den haben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Landwirt-
schaftspolitikerin greife ich hier ein besonderes Thema
der deutschen Einheit auf: die Landwirtschaft . An die-
sem Wochenende feiern wir in allen Regionen Deutsch-
lands das Erntedankfest . Der Geburtstag der deutschen
Einheit passt dazu . Wir alle sagen den unzähligen Men-
schen Dank, die sich Tag für Tag um landwirtschaftliche
Produkte und Lebensmittel kümmern – bei jedem Wetter
und zu allen Zeiten . Ihnen gebühren dafür Achtung und
Anerkennung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer jedoch meint, man könnte die Landwirtschaft in
Deutschland wie andere Wirtschaftszweige zurückbauen,
der ist auf dem berühmten Holzweg; denn zu den wich-
tigsten Lebensthemen gehört die Ernährung der Men-
schen . Das ist für uns in der Union ein fundamentaler
Wert . Die Landwirtschaft darf kein Spielball von Ideo-
logen sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für die Landwirtschaft in den jungen Bundesländern
war der Eintritt in das geeinte Deutschland eine unglaub-
liche Herausforderung . Es war am Ende eine ganz spezi-
elle Reifeprüfung . Kurz und knapp: Der Systemwandel
ist gelungen . Er hat vor allem in den 90er-Jahren viel
Kraft gekostet . Die Landwirtschaft im Osten ist heute
modern und leistungsstark . Sie ist und bleibt der ent-
scheidende Faktor für lebendige ländliche Räume . Heute
können wir sagen: Die gesamte deutsche Landwirtschaft
ist gelebte Einheit in Vielfalt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Augenblick
hier und jetzt empfinde ich persönlich als Gnade. Die gibt
es in der grauen und ungeliebten Politik auch .

Am Abend des 2 . Oktober 1990 stand ich auf den Stu-
fen des Reichstages und blickte in Richtung Westen . Ich
sah auf eine riesige, fröhliche Menschenmenge, die zu
uns herauf Richtung Osten blickte . Wir Volkskammerab-

Thomas Jurk






(A) (C)



(B) (D)


geordnete waren an diesem historischen Abend mit unse-
rer Arbeit fertig . Um Mitternacht war mein Arbeitsplatz
in Berlin weg, das Mandat der Volkskammer war erlo-
schen . Wir haben uns selbst abgeschafft .

Auf diesen Augenblick haben wir ein gutes halbes
Jahr hingearbeitet . So kann eine Diktatur auch enden:
ohne einen Schuss, aber mit riesigem Feuerwerk, fried-
voll und mit vielen Tränen der Freude .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben damals in Ost und West als Gesellschaft
und als Politik die Reifeprüfung bestanden . Und dafür
gebe ich noch heute allen Beteiligten die Bestnote . Das
Verhalten der Akteure und der gesamte Prozess waren lo-
benswert: Anders kann ich die Vereinigung in Frieden,
Recht und Freiheit nicht bezeichnen . Es ist damals etwas
geschehen, was es in der Geschichte so noch nie gegeben
hat . Ohne Gewalt vereinte sich eine geteilte Nation mit
einer eigenen, einer souveränen Entscheidung .

Meine Anmerkungen hier sind persönliche Reflexio-
nen auf das Gestern und auf unser Heute . Ich möchte aus
dem damaligen Geschehen Schlüsse ziehen für unsere
heutige Zeit . Die Kreativität der Volkskammer von 1990,
mit Problemen des Landes umzugehen, ist ein bleibender
Wert . Ich wünschte mir eine solche Arbeitsweise auch für
unsere Tage in der gesamten Politik .

Deutschland ist nicht mehr eine Insel der Glückselig-
keit . Die Nöte und das Elend in anderen Regionen der
Welt sind plötzlich durch unzählige Hilfesuchende in
unserem gut bestellten Hause präsent . Für diese neue Si-
tuation haben wir genau genommen keine Rezepte . Die
hatte die Volkskammer damals auch nicht . Wir sahen
zwar das Ziel, aber nicht den Weg dorthin . Also haben
wir einfach losgelegt . Da gab es keine Konjunktur für
Bedenkenträger . Die eigentliche Arbeit zur Gestaltung
der Einheit wurde ein gemeinsamer Lern- und Lebens-
prozess .

Details erspare ich mir; auch die Diskussion über Ge-
lungenes oder über Webfehler der Einheit . Viel wichtiger
ist die staatliche und private Solidarität zwischen den
Ländern und den Menschen in West und Ost . Immerhin
sollte der Wandel für alle verträglich, erträglich und am
Ende auch einträglich sein . Und das war er zumeist, trotz
zahlreicher Schicksale von Menschen, die ihren Arbeits-
platz verloren haben .

Wir haben in den zurückliegenden 25 Jahren im geein-
ten Deutschland ein Gemeinwesen geformt, das von den
Grundwerten des christlichen Abendlandes geprägt ist .
Der Fleiß der arbeitenden Menschen hier in Deutschland,
die engagierten Unternehmerinnen und Unternehmer,
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherten und
sichern dem Land und seinem Staatswesen eine starke,
tragfähige Basis . Die politische staatliche Einheit ist ge-
geben .

Wie können wir aber die vorhandenen Entwicklungs-
defizite zwischen alten und neuen Bundesländern in den
kommenden Jahren überwinden? Können wir das über-
haupt mit neuen und mit einem Mehr an Gesetzen leis-
ten? Ich glaube: kaum .

Jetzt zum 25 . Geburtstag der Einheit habe ich einen
besonderen Wunsch: Es sollte künftig jährlich einen
Bericht zur Lage der deutschen Nation geben, der die
Entwicklung des gesamten Landes und seine Stellung
in Europa und der Welt in den Fokus nimmt . Mit einem
scharfen Blick auf die innere Situation des gesamten Lan-
des – und nicht nur des Ostens – wären wir dann ganz be-
stimmt zu einer besseren und gerechteren Bundespolitik
in der Lage . Einen Bericht der Bundesregierung zur Lage
der Nation hat es schon einmal gegeben – allerdings für
das geteilte Deutschland .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss und am
Vorabend unseres gemeinsamen 25 . Geburtstages noch
ein Wunsch: Gehen wir auf die Besucherplattform des
Reichstages . Von diesem „Dach der Republik“ haben
wir einen freien Blick in alle Himmelsrichtungen . Wir
schauen nicht mehr nur nach Westen oder Osten . Diesen
Weitblick brauchen wir für den Umgang mit der neuen,
komplizierten Situation unserer Tage .

Wir stehen wieder einmal vor einer Reifeprüfung,
ähnlich wie 1990 . Das erfolgreiche geeinte Deutschland
ist in der jüngsten Geschichte zu einem starken Magne-
ten geworden . Jetzt steht die Frage im Raum: Halten wir
dank unserer gelebten Werte diesem Druck stand, oder
stehen wir vor einer noch nie gekannten Spaltung der Ge-
sellschaft? Gibt es eine Spaltung in Offenheit und Ableh-
nung, in Angst und Gleichgültigkeit, in Akzeptanz und
Ignoranz, in Freunde und in Feinde?

Wir müssen antworten – bei all unserer Freude über
diesen Tag der Deutschen Einheit erst recht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812802500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Poschmann

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sabine Poschmann (SPD):
Rede ID: ID1812802600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Morgen jährt sich zum 25 . Mal die politische
Einheit Deutschlands . Auch nach einem Vierteljahr-
hundert empfinde ich – und wohl wir alle – Freude und
Dankbarkeit, diesen Tag feiern zu können .

Die Wiedervereinigung war mit vielen Hoffnungen
und Wünschen verbunden . Heute können wir sagen:
25 Jahre später haben sich vielleicht nicht alle, aber doch
zahlreiche Hoffnungen erfüllt . Die Lebensverhältnisse in
Ost und West haben sich angenähert, die Unterschiede in
der Arbeitslosenquote und in der Wirtschaftskraft zumin-
dest verringert .

Mithilfe verschiedenster Förderprogramme von Bund,
Ländern und der Europäischen Union hat die Wirtschaft
in Ostdeutschland einen starken Aufholprozess gestartet .
Diese Entwicklung müssen wir Ende 2019, nach Auslau-
fen des Solidarpaktes II, weiterhin kontinuierlich unter-
stützen, möglichst sogar beschleunigen .

Katharina Landgraf






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben in den vergangenen 25 Jahren einiges er-
reicht . Wir wissen aber auch, dass wir in vielen Punk-
ten noch lange nicht am Ziel sind . Bei allem Fortschritt
sehen wir weiter große Herausforderungen . An obers-
ter Stelle steht der Bau eines neuen, gesamtstaatlichen
Fördersystems für mehr Wachstum und Innovation . Wir
benötigen kein Fördersystem, das seine Prioritäten an
den Himmelsrichtungen orientiert . Wir benötigen eine
Förderarchitektur, von der alle schwächeren Regionen in
Deutschland profitieren, ohne gleichzeitig Strukturbrü-
che in den neuen Ländern zu riskieren; denn die Trenn-
linie verläuft meines Erachtens schon lange nicht mehr
haarscharf zwischen Ost und West .

Die Trennlinie, meine Damen und Herren, verläuft
zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regio-
nen in ganz Deutschland . Die Unterschiede sind teilwei-
se enorm: Auf der einen Seite gibt es starke und attrak-
tive Wirtschaftsräume, die vor allem junge Menschen
anlocken, auf der anderen Seite haben wir altindustrielle
Regionen mit oft mäßiger Wirtschaftskraft, niedriger Er-
werbsquote, hartnäckig hohen Arbeitslosen- und sinken-
den Bevölkerungszahlen . Dies gilt für Ost wie für West .

Unsere Aufgabe muss es sein, die vorhandenen För-
derprogramme noch flexibler zu gestalten. Wir benötigen
eine Förderung, die passgenauer auf die Bedürfnisse der
jeweiligen Region ausgerichtet ist, gleich ob Ost oder
West .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunk-
te sind dafür eine erste Grundlage . Hierüber müssen wir
weiter diskutieren . Unsere Präferenzen der Struktur- und
Wirtschaftsförderung müssen noch stärker jenen Re-
gionen und Bundesländern gelten, die den Anschluss
aus eigener Kraft nicht schaffen . Das muss die künftige
Richtschnur bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Ländern für die Zeit ab 2020 sein .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im 25 . Jahr der Ein-
heit ist unseren heutigen Schulkindern der Gedanke an
ein geteiltes Deutschland völlig fremd . Sie kennen es
nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen . Lassen Sie
uns weiter jene Wirklichkeit schaffen, die in den Köp-
fen vieler unserer Kinder bereits existiert und die uns das
Grundgesetz vorgibt: ein vereintes Deutschland mit über-
all gleichwertigen Lebensverhältnissen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812802700

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1812802800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren im Plenum und auf der Tribüne! Ich möchte mit der

Frage beginnen, was uns Deutsche in Ost und West die
ganze Zeit, unabhängig von Teilung oder Nichtteilung,
zusammengehalten hat . Das ist in hohem Maße unsere
gemeinsame Kultur . In unserer gemeinsamen Kultur gibt
es einen kleinen Teil, und das sind die deutschen Volks-
märchen .

Ein Volksmärchen ist das Märchen vom Fischer und
seiner Frau . Ich weiß nicht, ob es jeder im Saal kennt .
Deshalb ganz kurz der Inhalt: Der Fischer fängt einen
Butt . Der Butt bittet darum, am Leben zu bleiben und
gewährt dem Fischer im Gegenzug einen freien Wunsch .
Da der Fischer und seine Frau in einem alten Kahn, Pott
genannt, leben, wünschen sie sich ein festes Haus, eine
kleine Hütte . Sofort gibt es einen Knall, und die kleine
Hütte ist da . Nach einer gewissen Zeit wird die Frau
unzufrieden und schickt den Fischer wieder zum Butt . –
Das ergänzt auf schöne Weise das Bild von Herrn Gysi
von der Arbeitsteilung von Mann und Frau .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg . Roland Claus [DIE LINKE])


Jedenfalls wird der Butt erneut herbeizitiert, und als
Nächstes spendiert er ein größeres Haus . So geht das im-
mer weiter . Als Nächstes möchte sie Fürst, dann König,
dann Kaiser, dann Papst und zuletzt der liebe Gott wer-
den .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fürstin, Königin, Kaiserin! – Zurufe von der LINKEN)


Dann gibt es wieder einen Knall, und plötzlich landen der
Fischer und seine Frau wieder im alten Pott .

Ich möchte Sie, insbesondere diejenigen, die in der
DDR geboren und aufgewachsen sind, einfach mal einla-
den, sich vorzustellen, es gäbe einen Knall und wir lan-
deten alle binnen einer Sekunde in der DDr .


(Ulla Schmidt furchtbar!)


Wie sähe es dort aus? Wir wollen jetzt einfach mal über
die Lebenswirklichkeit nachdenken, die es damals dort
gab und die einige von uns noch kennen .

Es beginnt bei den Schülern . Es war bei uns üblich –
ich weiß nicht, ob sich diejenigen, die in der DDR zur
Schule gegangen sind, noch erinnern –, dass man viel-
leicht monatlich einmal mittwochs in der großen Pause
auf dem Appellplatz antrat .


(Zuruf von der LINKEN: Das war montags!)


– Oder montags, je nachdem; da hatten alle ihre eigene
Zeitrechnung .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Zeit muss sein!)


Jedenfalls standen wir dort in Reih und Glied, wie die
Soldaten . Dort wurden die Schüler, die Fortschritte zeig-
ten, belobigt und die etwas schlechteren Schüler runter-
gemacht, und zwar in einer Weise, die man sich heute
überhaupt nicht mehr vorstellen kann . Heute haben wir

Sabine Poschmann






(A) (C)



(B) (D)


Datenschutz: Schlechte Leistungen dürfen überhaupt
nicht mehr mit guten Leistungen verglichen werden .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damals wurde in einer Rigorosität mit Schülern umge-
gangen, die man sich heute überhaupt nicht mehr vor-
stellen kann .

Nächstes Beispiel . Die Schule beginnt im September .
Was passierte Ende September, Anfang Oktober? Da
ging es auf die Kartoffelfelder .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den 80er-Jahren war es nicht mehr so! – Zuruf von der CDU/CSU: 20 Pfennig gab es pro Kilo!)


Das heißt, die Schüler mussten Kartoffeln sammeln .
Das halte ich aus pädagogischen Gründen gar nicht für
so verfehlt . Aber dass eine Gesellschaft in diesem Maße
auf Kinderarbeit angewiesen war, ist natürlich eine ganz
andere Sache .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Als Nächstes wurden die Kinder erwachsen . Sie grün-
deten eine Familie und zogen, wenn sie Glück hatten, in
eine Wohnung .


(Zurufe von der LINKEN)


Die Wohnung musste dicht, warm und sicher sein; das
waren die Kriterien .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Vaatz, was haben Sie heute Morgen genommen? – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So etwas im Deutschen Bundestag!)


Sie werden sich erinnern; so war das . Wir hatten damals
alle Kohleheizungen . In Dresden wurden die Kohlefuh-
ren Ende der 70er-Jahre noch in Säcken in die Keller ge-
tragen . Nach einer gewissen Zeit hatten sie wahrschein-
lich keine Säcke mehr .


(Zurufe von der LINKEN)


Da wurden 100 Zentner Kohlen einfach vor das Haus ge-
kippt . Dann hieß es: reinschaufeln . Wenn man fertig war,
dann kriegten die Nachbarn, das ältere Ehepaar, auch
noch Kohlen . Dann konnte man nicht anders, als für sie
auch noch die Kohlen hereinzuschaufeln . Dann war man
ziemlich fertig .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dann gab es ein häufiges Problem, nämlich den Zu-
stand der Öfen . Im Herbst kam die Feuerwehr und stellte
fest: Die Öfen sind nicht in Ordnung, da muss was ge-
macht werden . – Man ging also zum Ofensetzer und frag-
te, ob er vielleicht bereit wäre, den Ofen zu reparieren .
Die Antwort war, dass er bis nächstes Jahr ausgebucht
sei, es sei denn, man hätte blaue Fliesen – das war West-
geld . Meine Damen und Herren, das war die Realität .


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ist das die Geschichte vom Fischer und seiner Frau?)


Wie sah es in Forschung und Entwicklung aus? Wir
hatten fantastische Ingenieure . Diese haben beispiels-
weise in den Trabant-Werken alle paar Jahre ein neues
Modell kreiert . Mangels wirtschaftlicher Möglichkeiten
konnte aber keines dieser Modelle jemals gebaut werden .
Die Konsequenz: Es sind Tausende Mannjahre Ingeni-
eurarbeit in Ostdeutschland im Papierkorb gelandet . Das
war Arbeitslosigkeit am Arbeitsplatz, meine Damen und
Herren . Das war das Problem .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiterer Punkt, der etlichen von Ihnen auch noch
in Erinnerung sein dürfte, waren die Beratungsmuster .
Ich weiß nicht, ob jemand etwas mit diesem Begriff an-
zufangen weiß .


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Nee!)


Wir hatten ja wunderbare technische Errungenschaf-
ten, zum Beispiel Warmwasserboiler . Die wärmten nicht
nur das Wasser, sondern gleich noch die ganze Wohnung
mit .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Zähler rotierte wie die Hinterräder unserer Giganten
der Landstraße, der Friedensfahrer .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Und was passierte, wenn sie einen neuen Warmwas-
serboiler brauchten, weil sie kleine Kinder hatten, die
auch einmal baden mussten? Sie gingen ins Centrum
Warenhaus nach Dresden, und dort sahen Sie einen wun-
derbaren Boiler, genau wie Sie ihn sich vorgestellt haben,
ausgestellt . Wenn Sie sagten: „Einen solchen Boiler will
ich kaufen“, entgegnete Ihnen der Verkäufer: Dabei han-
delt es sich um ein Beratungsmuster .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Das heißt, das Ganze war überhaupt nicht erhältlich, son-
dern es war zur Täuschung der westlichen Öffentlichkeit
als Potemkin’sches Dorf im Centrum Warenhaus ausge-
stellt .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, dies alles sind die Din-
ge, mit denen wir die schönen statistischen Vorteile der
DDR – die unsere Linkspartei gerne gegenüber der Bun-
desrepublik Deutschland herausstreicht – erkauft haben .


(Zurufe von der LINKEN)


Nachdem wir einen Blick darauf geworfen haben,
möchte ich in diesem Zusammenhang noch einen Punkt
hinzufügen . Nach der Wiedervereinigung gab es in der
ehemaligen SED in Bezug auf das, was die DDR aus-
machte, sehr viel Ehrlichkeit .


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


Arnold Vaatz






(A) (C)



(B) (D)


Diese Ehrlichkeit, zum Beispiel beim Politbüromitglied
Günter Mittag, sah damals so aus – ich zitiere, was er im
Spiegel zu diesem Thema gesagt hat –:

Ohne die Wiedervereinigung wäre die DDR einer
ökonomischen Katastrophe mit unabsehbaren sozi-
alen Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer
allein nicht überlebensfähig war .


(Ulla Schmidt Und weiter sagte er: Das sozialistische System insgesamt war falsch, wie wir heute wissen . Es ist eine Illusion, in der Planwirtschaft nach einem Weg zu suchen und ihn zu finden. Die Wirtschaft muss mit Gewinn arbeiten, wie das in einer Marktwirtschaft ist . Enorme Einsicht von einem Mitglied des Politbüros der SED . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Toller Kronzeuge!)


Herr Gysi, Sie haben vorhin gesagt, wie nötig Sie bei-
spielsweise die CDU brauchen . Nun sage ich Ihnen ein-
mal, wie ich mir eine Linke, deren Vorstellungen nicht
etwa mit meinen hätten übereinstimmen müssen, vorge-
stellt hätte:


(Lachen der Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hätte mir eine Linke gewünscht, die mit der Ehr-
lichkeit, wie ich sie eben zitiert habe, vorangeht und die
nicht bei jeder Gelegenheit mit den alten Rezepten, die
die DDR zugrunde gerichtet haben, in immer neuer Ver-
packung die Diskussion in der Bundesrepublik Deutsch-
land befeuert,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Welche sollten das denn sein? Geben Sie einmal ein Beispiel!)


und eine Linke, die sich gefragt hätte: Wie können wir
das wiedergutmachen, was wir in Ostdeutschland ange-
richtet haben?


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie abgelehnt!)


Wie können wir helfen, dass Deutschland zusammenfin-
det? Was können wir tun? Was können wir einbringen?

Aber genau das machen Sie nicht . Vielmehr überprü-
fen Sie alle Ihre Argumente darauf, inwieweit sie geeig-
net sind, die Bundesrepublik Deutschland auf denselben
Weg zu führen, auf den Sie die DDR geführt haben . Das
ist das Problem .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Wenn Sie das ablegen, meine Damen und Herren, dann
heiße ich Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkom-
men .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das war eine Beleidigung unserer Wählerinnen und Wähler, Herr Kollege!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812802900

Na ja, jedenfalls hat sich auch bei mir zum Schluss der

Eindruck doch sehr verfestigt, dass aus einem möglichen
gemeinsamen Projekt von Gysi und Vaatz, aufzuzei-
gen, wie eine gesamtdeutsche Partei eigentlich aussehen
müsste, wohl nichts Richtiges werden könnte .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Mit dieser ernüchternden Einsicht schließe ich die
Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6100 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Der Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6195
soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden . Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/6188 mit dem Titel „25 Jahre Deutsche Einheit –
Leistungen würdigen, Herausforderungen angehen“ . Wer
möchte für diesen Antrag stimmen? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Nun hat Gregor Gysi selbst
die historische Chance verpasst, gegen diesen Antrag zu
stimmen .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Er hat viele Chancen verpasst!)


Damit hat er unwillentlich dazu beigetragen, dass dieser
Antrag angenommen worden ist .

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

18. Bericht der Bundesregierung zur Auswär-
tigen Kultur- und Bildungspolitik
Drucksache 18/5057
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

17. Bericht der Bundesregierung zur Auswär-
tigen Kultur- und Bildungspolitik
Drucksache 18/579
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Sportausschuss

Arnold Vaatz






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsauschuss

Auch hier soll die Aussprache nach einer interfraktio-
nellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . Hat jemand da-
gegen Einwände? – Das ist nicht der Fall . Also machen
wir das so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ulla Schmidt für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812803000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Gäste! Die Berichte, über die wir heute diskutieren
und die Gott sei Dank wieder von einem Außenminis-
ter vorgelegt wurden, für den diese dritte Säule der Au-
ßenpolitik eine ganz wichtige Bedeutung hat, legen das
Hauptaugenmerk auf die Krisen‑ und Konfliktpräventi-
on .

Ich glaube, gerade angesichts der derzeitigen Situati-
on gilt: Eigentlich war Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik nie so aktuell wie heute . Wenn wir berücksichti-
gen, dass sich laut UNHCR rund 60 Millionen Menschen
auf der Flucht befinden – so viele wie seit dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr –, zeigt das sehr deutlich, wie in
einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, die so-
ziale Kraft der Kultur in der Frage der Krisen- und Kon-
fliktprävention eine immer größere Bedeutung erhält.
Denn viele der Krisen, die wir heute als humanitäre Kri-
sen erleben, sind ja, wie es der Bundesaußenminister im-
mer sagt, auch Krisen der Humanität, also der Mensch-
lichkeit, die in Gefahr ist aufgrund von Terrorismus,
ideologischem Radikalismus und auch aufgrund der Si-
tuation, dass in immer mehr Staaten jede zivile Ordnung
auseinanderbricht und dass gerade in den Krisenregionen
dem staatlichen Gewaltmonopol überhaupt keine Bedeu-
tung mehr zukommt .

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen
wir in diesen Bereich der auswärtigen Politik investieren .
Denn all das, worüber wir heute im Hinblick auf Fluchtur-
sachen, worüber wir im Hinblick auf Hilfe beim Aufbau
zivilgesellschaftlicher Strukturen in den verschiedenen
Ländern, worüber wir im Hinblick auf die Vermittlung
von Werten diskutieren, ist von großer Bedeutung, und
hier muss mit und von unseren Mittlerorganisationen
sehr viel geleistet werden . Für uns, die Mitglieder des
Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspoli-
tik, war immer wichtig, dass wir mithilfe unserer Mittler-
organisationen dafür sorgen, dass in den Flüchtlingsla-
gern und in all den bedrohten Regionen keine verlorene
Generation aufwächst, und dass wir zugleich in Bildung,
in Kultur, in die Vermittlung von Werten investieren, dass

wir den jungen Menschen die Chance geben, überhaupt
wieder an Demokratie zu glauben und dafür einzutreten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte heute einmal den Blick auf die deutschen
Auslandsschulen richten . Sie sind seit jeher eine tragende
Säule der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik . Sie
haben Tag für Tag damit zu tun, mit unterschiedlichen
Biografien umzugehen, die Menschen in den Herkunfts-
ländern kennenzulernen, Kindern die Chance zu geben,
Werte zu entwickeln, an Demokratie zu glauben . Sie sind
im Grunde genommen Orte der Begegnung, der Vielfalt,
und sie sind oft Orte des Beginns des interkulturellen
Austauschs . Weil sie so dafür prädestiniert sind, diese
unterschiedlichen, heterogenen Aufgaben zu meistern,
müssen wir in die Auslandsschulen investieren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Viele von Ihnen haben sich bei Ihren Besuchen in den
verschiedenen Ländern immer wieder vor Ort von der
hervorragenden Arbeit der Auslandsschulen überzeugen
können . Sie haben sich davon überzeugen können, wie
dort Schülerinnen und Schüler mit den verschiedensten
persönlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Hinter-
gründen miteinander und voneinander lernen, wie dort
mithilfe der Lehrerinnen und Lehrer diese Schülerinnen
und Schüler zu weltoffenen, toleranten, selbstbewussten
jungen Erwachsenen herangebildet werden und wie die
Auslandsschulen über ihre Arbeit vor Ort mit den ver-
schiedenen Kulturen verwachsen .

Ich habe heute Morgen mit der Kollegin Müntefering
darüber gesprochen, welche Chancen sich für unsere
Auslandsschulen bieten, auch innerhalb Europas, ins-
besondere in Osteuropa . Denken wir an die Diskussio-
nen, die wir derzeit über eine gerechte Behandlung der
Flüchtlinge und eine wirklich europäische Flüchtlings-
und Asylpolitik führen . Unsere Schulen können dazu
beitragen, dass dort Menschen heranwachsen, die mit
ihren Familien dafür eintreten und vielleicht in manchen
Punkten einen Sinneswandel in der Gesellschaft herbei-
führen können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die Schulen so
gut sind, haben wir im Ausschuss und hier im Parlament
entschieden, dass sie auch im Bereich der inklusiven
Bildung Aufgaben wahrnehmen sollen . Wir wollen bei
der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention voran-
gehen . Wir wollen, dass von unseren Auslandsschulen
vor Ort das Signal ausgeht: Ja, auch für behinderte Men-
schen, für behinderte Kinder ist Teilhabe ein Menschen-
recht; denn dieses Menschenrecht ist unteilbar .

Schließlich wollen wir auch, dass über die Auslands-
schulen unsere hervorragenden Erfahrungen im Bereich
der dualen Berufsbildung vermittelt werden können .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ich füge aber hinzu: Wenn wir all das wollen, wenn
wir die Möglichkeiten der Auslandsschulen nutzen wol-
len und wenn wir die Qualität der Ausbildung in diesen
Schulen beibehalten wollen, dann müssen wir investie-
ren; denn gute Schulen brauchen hervorragende Lehre-
rinnen und Lehrer .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Dem entspricht nicht, dass die Auslandsschulen seit Jah-
ren an Attraktivität einbüßen . Mittlerweile liegen die
Lehrerinnen und Lehrer an Auslandsschulen 23 Prozent
hinter der Gehaltsentwicklung von Bundesbeamten im
Ausland zurück . Wir erleben derzeit, dass Lehrerinnen
und Lehrer sagen: Ich würde das gerne machen, aber ich
kann doch meine Familie, meine Kinder nicht schlechter-
stellen, nur weil ich eine wichtige Aufgabe wahrnehmen
möchte . – Ich bitte Sie alle darum, dass wir gemeinsam
daran arbeiten . Wir müssen die Besoldung der Lehrerin-
nen und Lehrer an die Besoldung aller anderen ins Aus-
land entsandten Beamten und sonstigen Kräften anpas-
sen . Wir müssen die seit 1999 geltende Abkopplung ihrer
Besoldung beenden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass wir ausrei-
chend Geld zur Verfügung haben, damit die Auslands-
schulen die Aufgaben, die sie im Bereich der Inklusion
und hinsichtlich der Förderung der beruflichen Bildung
wahrnehmen sollen, erfüllen können . Wir müssen aber
auch die Chance haben, mit entsprechenden Mitteln die
Schulen zum Beispiel in Erbil im Nordirak oder in Kabul
zu unterstützen,


(Beifall des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und dort, wo es noch keine Auslandsschulen gibt, kleine
Schulen zu unterstützen, damit dort langsam Auslands-
schulen aufgebaut werden können . Ich bitte Sie dafür um
Unterstützung . Im Ausschuss werden wir darüber noch
reden . Ich glaube, wir müssen jetzt investieren .

Wir brauchen zusätzliches Geld im Haushalt . Dafür
werbe ich bei Ihnen allen . Sie wissen, in der Kulturpo-
litik ist es immer so: Mit wenig Geld kann man viel er-
reichen, aber durch Entzug von wenig Geld kann man
vieles kaputtmachen . Wir jedoch sollten in die Zukunft
investieren .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812803100

Nun erhält die Kollegin Tank für die Fraktion Die Lin-

ke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Azize Tank (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812803200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich freue mich, dass die Bundesregierung laut
dem vorgelegten 18 . Bericht vom bisherigen Kurs in der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik abweichen
möchte . Infolge des Paradigmenwechsels ab 2011 hieß
es – ich zitiere –:

Es geht für Deutschland darum, Einfluss in der Welt
zu sichern . . .

Stattdessen möchte Bundesaußenminister Steinmeier
nun zur traditionellen Rolle der Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik als dritte Säule der Außenpolitik zurück-
kehren . Das ist eine überfällige Kurskorrektur; denn aus
Sicht der Linken kommt gerade der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik angesichts der aktuellen Krisen in
Europa eine besondere Bedeutung zu .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik darf nicht
länger als Einbahnstraße begriffen werden, sondern muss
auf gegenseitigem Austausch, Respekt und Toleranz be-
ruhen . Sie darf nicht als Instrument der Interessenvertre-
tung deutscher Außenpolitik benutzt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Um einen echten Wandel zu vollziehen, benötigen wir
finanzielle Mittel. Von den 400 Millionen Euro, die dem
Auswärtigen Amt 2015 für humanitäre Hilfe zur Verfü-
gung stehen, muss die Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik einen ausreichenden Anteil erhalten .

Betonen will ich hier den internationalen Jugendaus-
tausch . Ohne Planungssicherheit kann er seine nachhalti-
ge Wirkung nicht entfalten . Im Unterausschuss bemühen
wir uns gerade um die langfristige Gewährleistung der
Bildungs- und Erinnerungsarbeit in Sobibor und Belzec,
zwei ehemaligen deutschen Vernichtungslagern in Polen
an der Grenze zur Ukraine . Hierfür braucht es seit lan-
gem mehr finanzielle Mittel. Doch das allein reicht nicht.
Es müssen auch Projekte entwickelt werden, die die Zi-
vilgesellschaft einbinden, die Wege zum Ausbau der Ge-
denkstätteninfrastruktur aufzeigen und Mittlerorganisati-
onen wie das Deutsche Historische Institut einbeziehen .

Den Absichtserklärungen des 18 . Berichtes müssen
jetzt konkrete Maßnahmen folgen . Angesichts der aktu-
ellen Lage müssen die Projekte für und mit Flüchtlingen
in Lagern Priorität haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei kann das Goethe-Institut im Bereich der Sprach-
vermittlung helfen . Sprache ist Grundlage der Integrati-
on .

Als einen neuen Schwerpunkt nennt die Regierungs-
koalition im 18 . Bericht die Östliche Partnerschaft . Wir
als Linke sehen das kritisch .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Wundert uns nicht!)


Es stellt sich die Frage, ob es sich bei der Östlichen Part-
nerschaft um eine wirklich gleichberechtigte Partner-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


schaft handelt . Aus unserer Sicht bestehen da begründete
Zweifel .

Kritisch sehen wir in diesem Zusammenhang auch die
strukturelle Neuaufstellung der Deutschen Welle, die im
18 . Bericht als Werkzeug, so wörtlich, „zur Reputation
Deutschlands in der Welt“ verstanden wird . Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik darf aber nicht zum Sprach-
rohr der Interessen deutscher Außenpolitik werden .


(Beifall bei der LINKEN)


In der Kultur- und Bildungspolitik brauchen wir einen
Wandel hin zu einem Dialog auf Augenhöhe und gegen-
seitige Anerkennung .


(Beifall bei der LINKEN)


Werte wie Demokratie und Respekt vor der Men-
schenwürde, die von Deutschland ins Ausland getragen
werden sollen, müssen umgekehrt auch von uns gelebt
werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu ein per-
sönliches Erlebnis, das mich sehr bewegt: Vor wenigen
Tagen war ich an der kroatisch-ungarischen Grenze in
Botovo . Hunderte Flüchtlinge, Babys in Decken gehüllt,
alte und kranke Menschen, deren Rollstuhl im Schlamm
stecken blieb, und die schließlich Stacheldrahtzaun und
Grenzsoldaten passieren mussten – ein unvergesslicher
Anblick, der bei mir und anderen Trauer und Wut aus-
löste .

Mir wurde außerdem berichtet, dass die Geflüchteten
danach in Ungarn vom Militär eskortiert und geschubst
und getreten wurden, wenn sie nicht schnell genug wa-
ren . Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Men-
schen danken, die den Geflüchteten in Deutschland und
in Europa selbstlos geholfen haben und helfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Enttäuscht bin ich hingegen von dem sogenannten
Flüchtlingsgipfel . Die Chance für eine faire und gerech-
te Aufnahmepolitik wurde vertan . Die Bundesrepublik
setzt erneut auf Abschreckung und Entrechtung . Sie teilt
Asylsuchende in vermeintlich gute und schlechte Flücht-
linge ein, in potenzielle Fachkräfte und Unqualifizierte
und plant weitere Abschreckungsmaßnahmen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Wo sind hier die demokratischen, die humanistischen
Werte, wo die Menschenwürde, die Willkommenskultur?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke steht für
eine von Toleranz getragene, dialogorientierte Auswärti-
ge Kultur- und Bildungspolitik . Wir wollen ihre Bedeu-
tung klar nach außen sichtbar machen und gegen jede
Einflussnahme schützen. Dafür benötigen wir aber, wie
meine frühere Kollegin Luc Jochimsen bereits vor Jahren
vorgeschlagen hat, die Einführung einer Bundeskultur-
ministerin mit Kabinettsrang .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? Haben wir doch!)


Ich möchte diesen Vorschlag noch einmal aufgreifen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812803300

Ja, Frau Kollegin, aber vielleicht in einem zusammen-

fassenden Satz .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau! Nicht mehr heute!)



Azize Tank (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812803400

Es kann doch nicht sein, dass ein Land wie Deutsch-

land kein Kulturministerium besitzt .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Hallo? Da hinten! Frau Grütters heißt sie!)


Nur ein Ministerium kann die verschiedenen Aufgaben-
felder und die Belange der Kultur sowohl gegenüber an-
deren Ressorts als auch auf europäischer Ebene bündeln
und wirksam vertreten . Lassen Sie uns die Möglichkei-
ten internationaler, friedlicher Kulturförderung durch ein
Kulturministerium stärken .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812803500

Für die Bundesregierung hat nun die Staatsministerin

Maria Böhmer das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1812803600


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Tank, lassen Sie mich zunächst
einmal feststellen: Die Anwesenheit der Kulturstaatsmi-
nisterin Professor Monika Grütters ist gegeben .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: So sieht es aus!)


Deshalb sage ich an Monika Grütters einen ganz herzli-
chen Gruß .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
schaffen wir ein stabiles Fundament für unsere internati-
onalen Beziehungen, weil wir auf Dialog zwischen Men-
schen und zwischen Kulturen setzen . Dazu gehört, dass
wir die deutsche Sprache in Europa und weltweit fördern .
Wir tragen dazu bei, dass überall kulturelle Identität und
Vielfalt erhalten bleiben . Damit leisten wir zweifellos ei-
nen Beitrag zur weltweiten Krisen‑ und Konfliktpräven-
tion . Kulturelle Arbeit bereitet im vorpolitischen Raum
den Boden für Verständigung, für Krisenprävention und
Krisenbewältigung . Sie werden erst dadurch richtig mög-
lich, und das ist heute wichtiger als je zuvor .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist
das Ziel verbunden, ein wirklichkeitsgetreues, ein le-
bendiges Bild von Deutschland zu vermitteln . Wir sind
ein Land, in dem Bildung und berufliche Entwicklung,
Wissenschaft und Forschung im Fokus stehen . Wir sind
ein Land, in dem Kreativität und Kultur eine wesentliche

Azize Tank






(A) (C)



(B) (D)


Rolle spielen . Wir sind aber nicht nur Goethe und Schil-
ler . Wir sind auch – das sage ich ganz bewusst als Frau –
eine begeisterte Fußballnation . Es ist wichtig, auch ein
solches Bild nach außen zu tragen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich, dass wir uns hier einig sind; das gilt
auch für die Bundesregierung . Ich stimme mit dem
Bundesaußenminister überein, dass wir die Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik weiter stärken müssen . Be-
sonders gefordert sind wir angesichts der dramatischen
Flüchtlingssituation . Gestern haben wir uns hier im
Deutschen Bundestag auf die Situation in Deutschland
konzentriert . Wir haben ein wichtiges Gesetzespaket auf
den Weg gebracht . Damit stützen wir die Solidarität und
die Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land .
Diese Hilfsbereitschaft und diese Solidarität sind unge-
brochen . Dafür sage ich herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir werden diese Flüchtlingskrise nur bewälti-
gen, wenn es uns gelingt, die Fluchtursachen wirksam
zu bekämpfen: in Syrien, im Irak, in Afghanistan und in
großen Teilen Afrikas; auch diese Bereiche müssen wir
im Blick behalten . Wir müssen dort verstärkt helfen, wo
humanitäre Hilfe gebraucht wird und wo es oft um das
nackte Überleben geht .

In den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon
ist die Lage zunehmend dramatisch . Das darf uns nicht
ruhen lassen . Anders ist die Situation in den Flücht-
lingslagern in der Türkei . Ich war kürzlich in Antakya,
an der türkisch-syrischen Grenze . In dem Zeltlager, das
ich besucht habe, sind 3 000 Flüchtlinge untergebracht,
darunter 600 Kinder . Es ist – zugegeben – ein kleineres
Flüchtlingslager . Aber – was ich jetzt sage, gilt für alle
Flüchtlingslager in der Türkei – die Versorgung ist gut;
es gibt einen Kindergarten, eine Schule, medizinische
Versorgung und einen Supermarkt . Das ist den erhebli-
chen Anstrengungen zu verdanken, die in der Türkei un-
ternommen werden . Und das gilt es auch anzuerkennen .

Aber ich frage auch: Was ist mit den vielen anderen
Flüchtlingen, die kein Dach über dem Kopf haben, die
keine Schule für ihre Kinder finden, die keine Arbeit
haben, deren Ersparnisse jetzt zur Neige gehen, die ver-
zweifelt sind und denen in dieser Verzweiflung kein an-
derer Weg offensteht, als sich auf die Flucht zu begeben,
die Grenzen zu überschreiten, um nach Europa und nach
Deutschland zu kommen? Diese Flüchtlinge brauchen
eine Perspektive . Sie haben mir immer wieder gesagt, sie
wollen eines Tages in ihre Heimat zurückkehren . Dann
müssen sie in der Lage sein, ihr Land wieder aufzubauen,
und dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen . Genau
hier muss die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
ansetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will anhand von vier Beispielen erläutern, was das
Auswärtige Amt in die Wege leitet .

Erstens . Zusammen mit dem Deutschen Akademi-
schen Austauschdienst haben wir im vergangenen Jahr
ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge unter
dem Motto „Leadership for Syria“ aufgelegt . Wir fördern
damit 100 junge Menschen auf dem Weg zum Bachelor,
zum Master oder einem Doktorgrad . Jetzt könnte man
fragen: 100 junge Menschen angesichts dieser großen
Zahl von Flüchtlingen? Aber es werden genau diejenigen
sein, auf die Schlüsselpositionen zukommen . Es werden
diejenigen sein, auf die sich die Blicke richten, wenn es
darum geht, morgen voranzugehen, Verantwortung für
ihr Land wieder zu übernehmen .

Zweitens . Dazu passt, was wir mit der Alexan-
der-von-Humboldt-Stiftung unternehmen . Wir haben
ein Scholars-at-Risk-Programm für Wissenschaftler im
Exil aufgelegt, damit diese später den Brückenschlag in
ihre Heimat schaffen und der Wiederaufbau dann auch
gelingt .

Drittens . Das Goethe-Institut leistet wichtige pädago-
gische Arbeit in den Flüchtlingslagern . Ja, Frau Schmidt,
wir stimmen überein . Auch ich sage: Wir dürfen keine
verlorene Generation zulassen . Wir müssen gerade Kin-
dern und Jugendlichen eine Hoffnung, eine Perspektive
geben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Viertens ist mir wichtig: Das Deutsche Archäologi-
sche Institut leistet in Flüchtlingslagern in Jordanien, im
Libanon, im Irak und in der Türkei wichtige handwerk-
liche Qualifizierungsarbeit. Ich weiß, wie gut sie gerade
vom Kreis des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik begleitet wird . Das stärkt den Einzelnen,
das hilft, Kulturgüter zu erhalten und wiederherzustellen .
Das ist eine grundlegende, eine unverzichtbare Aufgabe,
wenn es um Identität, wenn es um den dringend notwen-
digen Zusammenhalt geht .

Die beiden Berichte, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, die Ihnen heute vorliegen, belegen eindrucksvoll
die große Bandbreite der Auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik . Ich will auf nur einen Themenschwerpunkt
eingehen:

Das Interesse an Deutschland ist groß, und es hat sich
verändert . Bei Kultur und Lebensqualität, Regierungs-
führung, Qualität von Produkten haben wir Bestnoten .
Darauf können wir stolz sein . Aber ich sage auch, dass
uns das nicht übermütig machen soll . Die Wertschätzung
muss uns ein Ansporn sein .

Deutsch als Fremdsprache erlebt einen weltweiten
Aufschwung . 15,4 Millionen Menschen lernen Deutsch,
und das sind mehr als vor fünf Jahren . Das Interes-
se an den deutschen Auslandsschulen und den knapp
1 800 Schulen, die sich an unserer Partnerschulinitiative
PASCH beteiligen, ist ungebrochen .

Es gibt immer mehr Studierende, die es nach Deutsch-
land zieht . Ich bin guten Mutes, dass wir im Jahr 2020 die
Zahl von 350 000 ausländischen Studierenden erreichen
werden .

Das alles ist wichtig, weil die Schüler, die Studenten,
die Deutschlerner unsere Partner von morgen sind . Sie

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer






(A) (C)



(B) (D)


legen die Grundlage für eine gute internationale Zusam-
menarbeit, und sie alle sprechen im wahrsten Sinne des
Wortes unsere Sprache .

Aber ich sage auch: Es wartet noch ein gutes Stück
Arbeit auf uns, wenn es um die Auslandsschulen geht;
ich will das hier mit aller Deutlichkeit unterstreichen .
All diejenigen, die dabei waren, als im Januar die Jah-
restagung der Schulleiterinnen und Schulleiter stattfand,
wissen, wie schwierig es ist, deutsche Lehrerinnen und
Lehrer für deutsche Auslandsschulen zu gewinnen . Das
wird noch schwieriger werden angesichts des großen
Bedarfs, den wir gegenwärtig in unserem Land haben,
angesichts der steigenden Schülerzahlen durch mehr
Flüchtlingskinder in den Schulen; das macht es für die
Auslandsschulen nicht leichter . Wir haben darüber im
Unterausschuss gesprochen, und ich hatte gestern einen
sehr intensiven Austausch mit der Präsidentin der Kul-
tusministerkonferenz, Frau Kurth . Wir waren uns einig:
Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass es zu Verbes-
serungen kommt . Das heißt, wir brauchen eine bessere
Wertschätzung der Arbeit an Auslandsschulen . Der Aus-
landsschuldienst darf nicht zum Karriereknick werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen diese Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer
interkulturellen Kompetenz . Sie werden anderen eine
Richtung geben. Es gilt, die eklatante Schieflage endlich
zu beseitigen: Eine Gehaltsdifferenz von 23 Prozent ist
natürlich ein Hemmnis für die Entscheidung, an eine
Auslandsschule zu gehen . Wir haben im Auswärtigen
Amt einen entsprechenden Vorschlag vorbereitet, der Ih-
nen bereits zugegangen ist . Er liegt Ihnen vor, und wir
werden darüber sprechen . Meine herzliche Bitte ist: Las-
sen Sie uns an einem Strang ziehen . Wir brauchen dafür
die entsprechenden Finanzmittel . Es geht um eine gute
Zukunft für die Auslandsschulen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich darf mit einem sehr herzlichen Dank an Sie alle
enden . Denn Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
braucht starke Partner, und ich empfinde alle im Deut-
schen Bundestag – ganz besonders die Mitglieder aus
dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik, aber ich binde auch unsere Haushälterinnen und
Haushälter mit ein – als solche starken Partner . Lassen
Sie uns weiter an einem Strang ziehen . Die Erwartungen
an diesen Politikbereich sind groß . Es liegt an uns, sie zu
erfüllen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812803700

Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Welt ist im Umbruch, und wie Ulla Schmidt auch
mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen und die vielen
Konfliktherde gesagt hat: Die Welt ist eigentlich längst
aus den Fugen geraten . In dieser Welt im Umbruch, die
wie nie zuvor von der Globalisierung geprägt ist, erhält
die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine immer
größere Bedeutung .

Die Welt von heute ist aber auch geprägt von einer
Repolarisierung, von Schwarz-Weiß-Denken und alten
und neuen Feindbildern . Alte Gräben werden wieder auf-
gerissen wie zwischen Russland, Europa und den USA,
zwischen Iran und Saudi-Arabien, zwischen der türki-
schen Regierung und den Kurden, zwischen Juden und
Palästinensern oder auch innerhalb Europas, wie wir es
in diesem Sommer ganz besonders und sehr erschrocken
beobachten mussten .

Aber auch die neuen Gräben vergrößern sich von Tag
zu Tag . So lässt die Umsetzung des Friedensprozesses in
der Ukraine weiter auf sich warten, und die Konflikte,
die entgrenzte Gewalt in Syrien, im Jemen, in Afghanis-
tan, in Libyen und im Irak verschlimmern sich immer
mehr . Wir erleben in dieser Welt von heute postkoloniale
Umbrüche, das Entstehen neuer Autokratien und die Ent-
rechtung der universellen Menschenrechte .

Dort, wo politische Kontakte nicht mehr stattfinden,
sondern wo Schweigen oder, schlimmer noch, nur noch
Waffengewalt herrscht, dort, wo eigentlich politisch
nichts mehr geht, braucht es Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es braucht sie als leisen und vorsichtigen Brückenbau-
er . Es braucht sie als ersten Türöffner für den Dialog . Es
braucht sie zur Stärkung einer geschwächten Zivilgesell-
schaft .

Es muss uns Sorgen bereiten, dass in den letzten Jah-
ren in über 80 Staaten sogenannte NGO-Gesetze verab-
schiedet wurden, die keinen anderen Inhalt haben, als die
Rechte und Räume von NGOs einzuschränken, manch-
mal sogar, um ihre Arbeit zu erdrosseln . Wenn Presse-
und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst kaum
mehr vorhanden sind, dann braucht es die Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik, die geschützte Räume für
kritische Gedanken schafft und ziviles Engagement und
oppositionellen Mut beheimaten kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Auch dort, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo ter-
roristische Gewalt nicht nur Menschenleben fordert,
sondern auch kulturelles Menschheitserbe systematisch
zerstört wird, wie die Tempel von Palmyra in Syrien, die
Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan, die Bib-
liothek von Timbuktu in Mali und die assyrischen Stät-
ten in der Ninive-Ebene im Irak oder jetzt im Jemen, wo

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer






(A) (C)



(B) (D)


Saudi-Arabien das Land ins Mittelalter bombt und die
Weltkulturerbestätten von Sanaa und Schibam zerstört
werden, braucht es die Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik, die versucht, zu schützen und zu erhalten, was
unsere gemeinsame globale Identität ausmacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Sie gibt sich nicht zufrieden mit einem Eintrag in die rote
UNESCO-Liste, sondern versucht, Druck – auch politi-
schen – auszuüben .

Es ist dringend notwendig – wir begrüßen das –, dass
das Deutsche Archäologische Institut stärker unterstützt
wird . Dieses Institut plant nun zum Beispiel in Teheran
eine Ausstellung zur Geschichte der deutsch-iranischen
Forschung und zur 50-jährigen Geschichte der Außen-
stelle des Instituts in der iranischen Hauptstadt . Auch
Archäologie ist Kulturerhalt . Mehr noch: Sie bietet die
Chance, über die Arbeit am Gestern ein gemeinsames
Morgen zu eröffnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Wir brauchen die Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik aber auch als Teil unserer Erinnerungskultur . Das
haben wir gerade in diesem Jahr erleben und beweisen
können . 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
werden emotional erfahrbar beispielsweise durch Install-
ationen von Sigalit Landau – unterstützt vom Auswärti-
gen Amt –, die wir in unserem Haus ausstellen konnten,
oder durch ein Konzert mit den „Violinen der Hoffnung“ .
Das Gedenken an den Genozid an den Armeniern vor
100 Jahren vermag noch heute, Politik zu prägen und
Konsequenzen für die Lebenden zu fordern . Genau da
setzt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik an;
denn sie zeigt in der Erinnerungskultur, wie wir mit un-
serer Vergangenheit verantwortlich umgehen und ob wir
wirklich bereit sind, uns ihr vollständig zu stellen, um
so Vertrauen bei den Nachgeborenen des Naziterrors zu
schaffen . Unsere Debatte über den deutschen Völker-
mord an den Herero zeigt doch exemplarisch, dass es
nicht reicht, vergangenes Leid bzw . Schuld anzuerken-
nen, wenn damit nicht gleichzeitig eine Verantwortungs-
übernahme einhergeht . Da ist noch sehr viel zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die
dritte Säule der Außenpolitik . Damit das alle wissen: Sie
ist kein Sahnehäubchen und auch kein Accessoire, das
man sich nur in guten Zeiten leisten kann . Nein, oft ist sie
gerade Voraussetzung für eine auswärtige Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber auch hier müssen wir uns die Frage nach der Kohä-
renz stellen; denn die Maßnahmen der klassischen Au-

ßenpolitik dürfen nicht den Zielen der Auswärtigen Kul-
tur- und Bildungspolitik zuwiderlaufen . Gerade beim
Instrument der Sanktionen ist das künftig viel stärker zu
bedenken . Es darf doch nicht sein, wie wir es im Fall
Iran erlebt haben, dass die verhängten Sanktionen gegen
das Regime auch und gerade die Bildungszusammenar-
beit zwischen deutschen und iranischen Universitäten
unmöglich machen . Dort, wo mit Sanktionen auch zivile,
kulturelle und wissenschaftliche Kooperationen getrof-
fen werden, werden die Falschen bestraft, zur Freude des
Regimes . Dann läuft etwas falsch .

Im Kultur- und Bildungsaustausch sollten wir die
originären Akteure in den Mittelpunkt stellen; denn es
sind die Künstler, die Kreativen, die Pädagogen und die
Wissenschaftler, die zumeist selbst am besten wissen, wo
in den eigenen Bereichen die spannenden Ansätze beste-
hen und welche Initiativen und Projekte zukunftsträch-
tig sind . Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist also
nicht einseitig als Instrument der Cultural Diplomacy zu
definieren; denn der Eigensinn von Kunst und Kultur, die
kreative Kraft, droht sonst unter die Räder zu geraten .
Es geht also nicht vorrangig um Sichtbarkeit, um rie-
sengroße Ausstellungsformate . Ich erinnere mich an die
Deutschlandjahre der Vergangenheit zur höheren Ehre
der deutschen Wirtschaft . Das ist nicht das, was ich mir
unter Auswärtiger Kulturpolitik vorstelle .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es sind die vielen kleineren Formate, Tausende Kulturbe-
gegnungen, das nachhaltig angelegte Alltagsgeschäft der
Goethe-Institute und die Stipendien des Deutschen Aka-
demischen Austauschdienstes beispielsweise für Syrerin-
nen und Syrer, für die Frauen des Arabischen Frühlings,
die endlich wieder eine Perspektive brauchen . Das alles
ist Humus für die Demokratie und die Menschenrechte .
Das sind auch und gerade die deutschen Schulen im Aus-
land; da kann ich mich Ulla Schmidt voll und ganz an-
schließen . Denn es geht bei der Vermittlung von Sprache
auch um Wertevermittlung . Dafür braucht es die allerbes-
ten Lehrerinnen und Lehrer . Diese brauchen anständige
Löhne . Ich hoffe, Frau Böhmer, dass Sie das dem Finanz-
minister so richtig beibringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Doch was sind die neuen großen Herausforderungen
und Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik? Wir erleben im Nahen und im Mittleren Osten
das Entstehen neuer riesengroßer Städte . Es sind die gro-
ßen Flüchtlingslager im Libanon, in der Türkei, im Irak,
in Jordanien . Wir sollten auch nicht den afrikanischen
Kontinent mit Millionen von Flüchtlingen vergessen .
Beispielhaft dafür steht das Lager Dadaab in Kenia . Die
Menschen in diesen neuen Zeltstädten werden voraus-
sichtlich nicht nur wenige Jahre, sondern wohl eher Jahr-
zehnte, vielleicht sogar immer dort leben müssen . Das
sind die neuen Orte, wo Kultur, wo Bildung Nahrungs-
mittel für die Menschen bedeuten, wo Bildung und Kunst
so wichtig sind wie Wasser und Brot, weil sie helfen kön-
nen, sich ein neues Leben einzurichten und Traumata zu
überwinden .

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb ist es eine großartige Initiative des Goethe-In-
stituts, in Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen
Kultur- und Bildungsprojekte zu realisieren, die beson-
ders Kindern und Jugendlichen, aber auch Künstlern
selbst, die zu Flüchtlingen geworden sind, sinnvolle Be-
schäftigung vermitteln, die das Erlebte verarbeiten helfen
und die kreative Alternativen entwickeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es geht dabei um den Versuch, zu verhindern, dass durch
das aktuelle Flüchtlingselend tatsächlich eine weitere
verlorene Generation entsteht .

Auch da, wo Menschen in ihre Heimat zurückkeh-
ren können, wie zum Beispiel Erbil, die Hauptstadt des
kurdischen Nordirak, bilden die Kulturmittler und die
deutschen Auslandsschulen ein zivilisatorisches Funda-
ment für den perspektivischen Wiederaufbau und für die
Selbstermächtigung der Menschen . Aber gerade diese
Schule ist von der Schließung bedroht, weil die finanziel-
le Unterstützung fehlt . Da muss etwas passieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Also: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
geht dorthin, wo sonst nichts mehr oder noch nichts
möglich ist . Sie öffnet Türen, wo politische Diplomatie
noch nicht angekommen ist oder wo sie am Ende ist . Sie
bereitet Wege, die Begegnungen hin zu Frieden und Aus-
söhnung ermöglichen, und das muss uns viel, das muss
uns sehr viel mehr wert sein .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812803800

Die Kollegin Michelle Müntefering hat für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michelle Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1812803900

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie auch die

Kinderzeichnung gesehen, die ein syrisches Kind der Po-
lizei geschenkt hat? Auf der einen Seite, unter syrischer
Flagge, bewaffnete Terroristen, abgetrennte Gliedma-
ßen; unter deutscher Flagge ein Weg, ein Haus, eine Zu-
flucht. – Es ist nicht ganz klar, wie alt das Kind war, das
das gezeichnet hat, ob es Mohammed oder Fatma hieß .
Aber wie auch immer, wir wissen: Es zeigt die Realität .

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Wirklich-
keit von Millionen Menschen . Viele von ihnen suchen
Schutz, auch bei uns . Um helfen zu können, brauchen wir
alle Kräfte . Meine Vorrednerinnen haben es gesagt: Der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt hierbei
eine besondere Rolle zu . Denn die Kulturdiplomatie als

tragende Säule deutscher Außenpolitik hat eine besonde-
re, eine eigene Kraft .

Unser verstorbener Kollege Philipp Mißfelder, den ich
in unseren Reihen vermisse, hat vor gar nicht allzu langer
Zeit an diesem Pult gesagt: Die AKBP ist das Zaunkönig-
tum des Deutschen Bundestages . – Ich weiß nicht, wie
viele Hobbyornithologen unter uns ihn damals verstan-
den haben, aber das stimmte: Der Zaunkönig ist winzig
klein, sein Gefieder recht unscheinbar, aber sein Gesang
ist laut und über Hunderte Meter weit zu hören, im Som-
mer wie im Winter .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ja, so ist das auch mit unserer Arbeit im Ausschuss .

Liebe Kollegen, die AKBP ist nicht weniger als die
„sanfte Macht“ der Außenpolitik, das, was wir durch die
Beziehungen von Künstlern, Wissenschaftlern und der
Zivilgesellschaft an Verständigung und Veränderung be-
wirken können . Sie kann helfen, kulturell, religiös oder
weltanschaulich bedingte Konflikte zu bewältigen, und
auch zu ihrer Prävention beitragen . Deswegen ist klar,
dass wir sie brauchen . Fluchtursachen bekämpfen wir am
besten, wenn wir Menschen nicht nur ein Bett, ein Dach
und etwas zu essen geben, sondern wenn wir ihnen auch
eine Perspektive geben: auf ein sicheres Leben, auf Bil-
dung und auf Arbeit – in ihren Heimatländern, aber auch
denjenigen, die bei uns bleiben .

Es ist gut, dass Außenminister Frank-Walter
Steinmeier diesen Bereich fördert, und zwar weit mehr
als seine Vorgänger . Da wir im Unterausschuss als Zaun-
könige für die gemeinsame Sache arbeiten, bin ich sehr
froh, dass auch Frau Böhmer und alle anderen Kollegin-
nen und Kollegen beim Finanzminister noch einmal kräf-
tig vorsingen werden .

Die Flüchtlingsfrage zeigt, wie die Trennung von in-
nen und außen aus der Zeit gefallen ist . Willy Brandt hat
schon in meinem Geburtsjahr 1980 gesagt:

Die Globalisierung von Gefahren und Herausforde-
rungen – Krieg, Chaos, Selbstzerstörung – erfordert
eine Art „Weltinnenpolitik“ . . .

Daran arbeiten wir heute noch .

Wenn sich also wie heute die Trennung von innen und
außen, von „hier bei uns“ und „dort bei den anderen“ so
sehr aufhebt, dann muss auch die AKBP den Blick nach
innen richten . Unsere Mittler können dabei helfen . Sie
haben Kompetenz und Erfahrung . Sie können bei Sprach-
vermittlung und Integration helfen . Sie kennen kulturelle
Vielfalt und wissen um die Bedeutung unserer Werte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber einiges müssen wir noch verbessern – das muss
an dieser Stelle in einer solchen Debatte gesagt werden –:
Wir müssen unsere Mittler besser koordinieren und ihre
Kompetenzen eben auch im Inland stärker nutzen . Ich
will zwei Beispiele nennen, um deutlich zu machen, wie
das gehen kann .

Erstes Beispiel . Auch in meinem Wahlkreis Her-
ne-Bochum II haben wir Asylsuchende aufgenommen

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


und dazu Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes NRW
errichtet . Wie viele von Ihnen war auch ich vor Ort, habe
mit Ehrenamtlichen, mit Betroffenen und mit Anwohnern
gesprochen . Mir ist aufgefallen: Wir schicken die Kinder
in den Kindergarten, die Jugendlichen in Aufnahmeklas-
sen in die Schule . Für die jungen Erwachsenen haben wir
meistens Tischtennisplatten . Aber wir wissen doch: Wo
die jungen Männer nix zu tun haben, gibt es Kloppe; das
war schon immer so . Darüber müssen wir uns auch nicht
wundern .

Deswegen: Nutzen wir doch, was da ist: Smartpho-
nes, die jeder hat, mit Onlineangeboten, damit alle die
Möglichkeit haben, unsere Sprache und auch etwas über
unser Land, über Deutschland, zu lernen . Der Langen-
scheidt-Verlag zum Beispiel hat als privates Unterneh-
men sein Deutsch-Arabisches Wörterbuch frei zur Verfü-
gung gestellt; das ist gut . Auch unsere Mittler steigen ein:
Die Deutsche Welle hat eine Internetseite geschaltet, und
das Goethe-Institut will nun auch eine App bereitstellen .

All das ist gut und prima . Aber nicht jeder darf jetzt
für sich allein loslegen, sondern das muss koordiniert
werden . Das AA, das Auswärtige Amt, dem ich für seine
Arbeit ganz ausdrücklich danke, ist bereits auf dem Weg,
die Akteure zusammenzuholen . Mein Rat: Fragen Sie
auch einmal die Menschen, die es betrifft . Diese werden
Ihnen sagen, sie müssen nicht nur eine Zahnbürste kau-
fen gehen, sondern sie müssen auch auf der Behörde mit
dem Amtsdeutsch zurechtkommen .

Zweites Beispiel . Der DAAD und das Deutsche Ar-
chäologische Institut arbeiten in Kairo zusammen . Dabei
ist etwas Außergewöhnliches entstanden . Während die
Terroristen von Daesch, von ISIS, in ganz Arabien jahr-
tausendealte Kulturgüter zerstören, haben sie begonnen,
junge Menschen auszubilden, und zwar gleichermaßen
an einer deutschen und an einer ägyptischen Universität .
Sie lernen von Experten, wie man Kultur erhalten kann,
aber auch für die Bevölkerung nutzbar machen kann, und
zwar gerade nicht dadurch, dass ausländische Fachkräf-
te eingeflogen werden, sondern indem junge Menschen
vor Ort befähigt werden, ihr eigenes Erbe zu sichern . Das
zeigt das Potenzial gemeinsamer Programme .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir brau-
chen, sind gleichermaßen Sprachdolmetscher und Kul-
turdolmetscher . Tragen wir unseren Teil dazu bei!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812804000

Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812804100

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Paradigmenwech-
sel in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, ein

Dialog auf Augenhöhe als dritte Säule, wurde heute
schon vielfach angesprochen . Ich möchte noch einmal
unterstreichen, warum er aus kulturpolitischer Sicht
überfällig war .

Vor zwei Tagen erläuterte Klaus-Dieter Lehmann im
Tagesspiegel, welche Aufgabe die Goethe-Institute, de-
ren Präsident er ist, angesichts der aktuellen Flüchtlings-
situation übernehmen könnten . Im Zentrum steht dabei
natürlich die Vermittlung der Sprache, aber genauso
gehört die kulturelle Vermittlung dazu . Gemeinsam mit
Flüchtlingsorganisationen hat das Goethe-Institut Kul-
tur- und Bildungsprojekte für die Arbeit in den Flücht-
lingslagern der Nachbarländer von Syrien und Irak ent-
wickelt . Sie wollen das Leben in den Flüchtlingslagern
erträglicher gestalten und Beschäftigung bieten, wo es
ansonsten keine Möglichkeit zum sinnvollen Tun gibt .
Sie wollen bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrun-
gen helfen und mit Bildung und Kultur einer verlorenen
Generation entgegenwirken . Hier zeigt sich die große
Bedeutung, die der Auswärtigen Kultur und Bildungs-
politik zukommt . Mit ihr können durch Dialog und über
den Weg des kulturellen Austausches Räume für Huma-
nität geschaffen und kann für gegenseitiges Verständnis
geworben werben .

Ein weiteres Beispiel kultureller Vermittlung ist auch
das vom Deutschen Archäologischen Institut koordinier-
te Projekt, bei dem Geflüchtete und Einheimische für
den Kulturerhalt sensibilisiert werden und ihnen wissen-
schaftliche und handwerkliche Kenntnisse dafür vermit-
telt werden sollen . Programme dieser Art müssen aus den
umfangreichen Mitteln, die das Auswärtige Amt aktuell
für humanitäre Hilfe bereitstellt, adäquat finanziert wer-
den . Dies ist ein explizites und interfraktionelles Anlie-
gen des Unterausschusses für Auswärtige Kultur und
Bildungspolitik . Eine dialogorientierte Auswärtige Kul-
tur und Bildungspolitik kann dazu beitragen, Konflikte
zu minimieren und stabilisierend in Krisenregionen zu
wirken . Aber wahr ist auch: Kulturpolitik kann nicht wie-
derherstellen, was durch Kriegseinsätze verloren ging .
Projekte dieser Art dienen nicht nur dazu, Fähigkeiten
und Fertigkeiten zu vermitteln . Sie sollen vor allem auch
für die Bedeutung des kulturellen Erbes und die Not-
wendigkeit seines Erhalts sensibilisieren . Die Zerstörung
von Nimrud, Hatra und Palmyra durch den sogenannten
„Islamischen Staat“ belegt, dass wir uns dringend um
Strategien für einen nachhaltigen Schutz des vielfältigen
Erbes der Weltgemeinschaft kümmern müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch vor diesem Hintergrund begrüßen wir Linke
die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes . Bei aller
öffentlichen Aufregung darum geriet eine wesentliche
Absicht des Gesetzesvorhabens ins Hintertreffen: der
Versuch, den illegalen Handel mit geraubten Kunst und
Kulturgütern zu unterbinden bzw . ihn wenigstens einzu-
dämmen und zu erschweren . Die Novelle ist aber auch
nötig, weil das Kulturgüterrückführungsgesetz von 2007
sich als wirkungslos erwiesen hat . Abgesehen von frei-
willigen Rückgaben konnte seit 2008 nicht ein einziger
Antrag auf Rückführung von unberechtigt nach Deutsch-
land verbrachtem Kulturgut bewilligt werden . Grund da-
für waren die viel zu hohen Anforderungen an die antrag-

Michelle Müntefering






(A) (C)



(B) (D)


stellenden Staaten . Wir müssen uns in einem öffentlichen
Diskussionsprozess darüber verständigen, was wir unter
national wertvollem Kulturgut verstehen . All das, was
wir hier in Deutschland halten wollen? Was verstehen
wir unter dem gemeinsamen Erbe der Menschheit? All
das, was im Zuge des Kolonialismus in die Sammlungen
der deutschen Völkerkundemuseen gelangte und was als
geteiltes Erbe einfach hierbleiben sollte?

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Hum-
boldt-Forum zu sprechen kommen – nicht als wie-
deraufgebautes Preußenschloss, sondern als Ort der
Debatte zwischen Kunst, Kultur, Wissenschaft und
Medien in wirklich internationaler und interkultureller
Perspektive . Minister Steinmeier hat in seiner Rede bei
der Konferenz des Goethe-Instituts im Februar 2015 das
Sechs-Augen-Prinzip angesprochen . Gemeint ist damit
ein gegenseitiger Austausch im Sinne des Voneinan-
der-lernen-Wollens, indem neben der eigenen Perspek-
tive die des anderen einbezogen und zugleich eine dritte
gemeinsame Perspektive entwickelt wird . Aktuell hat
dazu Martin Roth, Direktor des Londoner Victoria and
Albert Museums, den wirklich innovativen Vorschlag
gemacht, auch Flüchtlinge aus den nahöstlichen Bür-
gerkriegsgebieten in die Planung zum Humboldt-Forum
einzubeziehen. Er empfiehlt außerdem, bereits zum jetzi-
gen Zeitpunkt Vertreter jener Länder in die Gremien des
Humboldt-Forums zu integrieren, mit denen in Zukunft
ein kultureller Austausch stattfinden soll. Denn es sollte
nicht um Projekte gehen, so sagt er, „die hier erfunden
und dort ‚unten‘ und ‚da drüben‘ akzeptiert werden, son-
dern um wirkliche Co-Entwicklungen“ . Wir unterstützen
diesen Ansatz und hoffen, dass ihm Taten folgen, un-
terstreicht er doch, dass die Auswärtige Kultur und Bil-
dungspolitik nicht länger nur der Repräsentation und der
Sicherung des deutschen Einflusses in der Welt dienen
sollte .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812804200

Der Kollege Dr . Bernd Fabritius hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1812804300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! In der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs,
der immer größeren europäischen Familie und der immer
tiefer werdenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
in der Europäischen Union – untereinander und mit den
Nachbarschaftsstaaten in Partnerschaft – wähnten wir
uns in einer Epoche des Friedens in Europa . War dieser
Blick womöglich zu sehr nach innen gekehrt? Haben wir
nicht bemerkt, dass um uns herum Konflikte schwelten,
und darauf etwa zu spät reagiert? Diese Interpretation fa-
vorisieren die Gegner Europas, und ich halte sie entschie-
den für falsch . Wir sollten nicht der Versuchung erliegen,
mit zu einfachen Antworten all jenes infrage zu stellen,
was – aktuellen Schwierigkeiten zum Trotz – eines der
größten friedenspolitischen Projekte der Geschichte ist .

Um dieses wieder in gutes Fahrwasser zu bringen und
weiterzuführen, sind konstruktive Lösungen gefragt . Die
Diplomatie kennt viele Instrumente, mit denen die aktu-
ellen Konflikte in der Welt gelöst werden könnten. Ein
solches Instrument ist mit Sicherheit auch die Auswärti-
ge Kultur- und Bildungspolitik .

Der vorliegende 18 . Bericht der Bundesregierung
zur AKBP beschreibt, wie dieses Instrument in den
Jahren 2013 und 2014 angewendet worden ist . Seither
hat sich die weltpolitische Lage deutlich verändert . Der
Bericht sollte daher vorausschauend auch als Anleitung
zur Lösung aktueller Krisen gelesen werden . Denn: Die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wirkt präven-
tiv und kann verhindern, dass Konflikte überhaupt erst
entstehen . Sie wirkt krisenbegleitend zur Linderung der
Konfliktauswirkungen und leistet Pionierarbeit im Vor-
feld der klassischen Diplomatie .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zudem ist sie Nachbereiterin sowohl nach Erfolgen
als auch dann, wenn Herausforderungen nicht ganz so
überzeugend gelöst werden konnten . Die jüngsten dip-
lomatischen Erfolge in den Atomverhandlungen mit dem
Iran könnten ein gutes Beispiel für einen unterstützenden
Beitrag der AKBP zu den Bemühungen des Bundesau-
ßenministers sein . Im Jahr 2010, als der UN-Sicherheits-
rat letztmalig und drastisch die Sanktionen gegen den
Iran verschärfte, reiste eine Delegation des Unteraus-
schusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gera-
de in den Iran und signalisierte so der damaligen irani-
schen Regierung: Trotz des notwendigen internationalen
Drucks bleibt die Tür für Gespräche geöffnet . Die von
Ihnen, Frau Kollegin Roth, genannten Einschränkungen
betrafen wenige und konkrete Ausnahmen, etwa techni-
sche Studiengänge .

Dasselbe Prinzip gilt auch für den Umgang mit Russ-
land im Hinblick auf die Ukraine-Krise . Von den Sankti-
onen, die wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der
Krim verhängt wurden, sind die Mittel der Auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik explizit ausgenommen wor-
den. Häufig fiel damals der Satz: Man müsse trotz der
Differenzen weiter mit Russland sprechen . – Das war
selbstverständlich zutreffend, und damit war auch die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gemeint .

Sosehr ich von der AKBP als Krisenbegleiterin und
Wegbereiterin bei der Lösung von Konflikten überzeugt
bin, so muss ich zugleich auch Grenzen erkennen . Zur
Lösung des Syrien‑Konflikts kann die Auswärtige Kul-
tur- und Bildungspolitik derzeit leider wenig beitragen .
Von der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees im
Juni in Bonn unter der Leitung von Staatsministerin
Böhmer ist aber ein deutliches Signal für einen besseren
Schutz der Welterbestätten vor der Zerstörungswut des
sogenannten „Islamischen Staates“ ausgegangen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir unterstützen Sie, Frau Staatsministerin, in Ihrem
Engagement zum Schutz des Kulturerbes ebenso wie bei
Ihrem Vorhaben einer strukturellen Reform des Welter-
bekomitees .

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


Mindestens genauso wichtig wie der Schutz des Welter-
bes ist der Schutz der Menschen vor Krieg und Terror .
Hier kann die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu-
mindest die Not der Menschen lindern, die durch Flucht
und Vertreibung Opfer derartiger Ereignisse geworden
sind . Ein Ansatz: Durch AKBP kann dazu beigetragen
werden, dass in den Zufluchtsregionen dieser Welt, in
den Lagern, aus denen es zur Sekundärmigration kommt,
die Situation erträglicher wird und Menschen, die bereits
gerettet sind, sich nicht erneut auf Wanderschaft begeben
müssen. Es muss die allererste Pflicht der gesamten Staa-
tengemeinschaft sein, die notwendigsten Bedürfnisse der
Menschen in den Flüchtlingslagern – etwa in Jordanien,
der Türkei und im Libanon – zu decken, ausreichend
Nahrung, Schlafplätze und ärztliche Versorgung zu si-
chern . Gleich danach, meine Damen und Herren, sind es
aber auch die kulturellen und pädagogischen Angebote,
die für die oftmals traumatisierten Menschen eine deut-
liche Hilfe sind .

Sie erleichtern den tristen Alltag und helfen, Traumata zu
überwinden . Lebhaft in Erinnerung bleiben später, wenn
Negatives aus dem Gedächtnis verschwindet, gerade die
kulturellen Angebote . Hier können wir mit relativ wenig
Einsatz viel bewirken . Sie, Frau Kollegin Roth, haben
das zu Recht deutlich angesprochen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sicherlich wird es neben der dringlichen Aufbau- und
Entwicklungshilfe gerade auch die AKBP sein, die als
eine der Ersten wieder nach Syrien zurückkehren wird,
wenn dieser grausame Konflikt beendet ist. Noch mehr
kann Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bewirken,
wenn sie präventiv ansetzt und dazu beiträgt, dass Kon-
flikte erst gar nicht entstehen.

Wenn im Zuge der Flüchtlingskrise in den vergan-
genen Wochen häufig die Rede davon war, dass die
Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann ist damit
zumindest begleitend auch die Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik gemeint . Am Beginn eines friedlichen
Miteinanders von Kulturen, von Religionen und von
Nationen steht das gegenseitige Verständnis . Ein solches
Verständnis kann nicht verordnet werden . Es entsteht
langsam und muss im gegenseitigen Dialog auf Augen-
höhe erarbeitet werden .

Hier setzt der Schwerpunkt „Kooperation und Dialog“
der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik an . Jeder
Euro, den wir in die Prävention von Konflikten investie-
ren, ist gut angelegtes Geld .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Je früher dieses Prinzip in den Bildungsbiografien
einer Gesellschaft ansetzt, desto besser . Deshalb fördert
die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik den Kinder-
und Jugendaustausch gerade auch durch Begegnungen
an historischen Gedenkorten . Sie fördert darüber hinaus
über verschiedenste Stipendienprogramme unter ande-
rem Schüler, Studierende, Wissenschaftler und Künstler .
Diese Investition in das kulturelle Verständnis und die

Toleranz der kommenden Generationen ist eine Investiti-
on in eine friedliche Zukunft .

Damit komme ich zum wichtigsten Kapital, das die
deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu bie-
ten hat . Es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Mittlerorganisationen, Entsandte, Lektoren, Redakteure,
Kulturmanager, Lehrer und andere . Sie, meine Damen
und Herren, setzen Tag für Tag das um, was die Aus-
schüsse, der Bundestag, das Auswärtige Amt und die an-
deren beteiligten Ministerien beschließen . Dafür sage ich
an dieser Stelle deutlich: Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Gruppe möchte ich besonders hervorheben,
nämlich unsere Auslandslehrkräfte . Das deutsche Aus-
landsschulwesen ist ein Flaggschiff der deutschen Aus-
wärtigen Kultur- und Bildungspolitik, was auch in dem
vorliegenden Bericht klar seinen Niederschlag findet.
Die deutschen Auslandslehrkräfte vermitteln unsere Wer-
te in Regionen der Welt, in denen oftmals ein Mangel an
Chancengleichheit und Demokratie herrscht . Sie leisten
damit wertvolle Arbeit als Bildungs- und Wertebotschaf-
ter der Bundesrepublik Deutschland .

Sie vermitteln und fördern als primäre Aufgabe die
deutsche Sprache im Ausland . Die Vermittlung von
Deutsch als Fremdsprache schafft eine nachhaltige Bin-
dung an Deutschland bei denen, die dann auch unsere
Sprache sprechen . Mindestens ebenso wichtig ist nach
meiner Überzeugung die Vermittlung von Deutsch als
Muttersprache dort, wo eine entsprechende Nachfrage
besteht . Muttersprachlicher Unterricht ist für im Ausland
lebende Deutsche und deren Kinder existenziell wichtig .
Die Sprache ist Teil ihrer Persönlichkeit und Identität .
Ohne entsprechende Angebote wären gerade diese in
allen Gebieten im Ausland, in denen deutsche Gemein-
schaften leben, erheblich gefährdet .

Ich komme zurück auf die entsandten deutschen
Lehrer . Seit bald 15 Jahren sind deren Bezüge von der
Lohnentwicklung abgekoppelt . Der Unterausschuss für
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist sich in wei-
ten Teilen darüber einig, dass sich die Probleme bei der
Personalfindung für die deutschen Auslandsschulen er-
heblich verschärfen werden, wenn wir nicht bereits im
nächsten Haushalt deutlich gegensteuern .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Siegmund Ehrmann [SPD])


Ich komme zum Ende . – Mir ist natürlich klar, dass
wir schon wegen der aktuellen Flüchtlingskrise vor gro-
ßen Herausforderungen stehen . Trotzdem und gerade
wegen der vorher dargelegten Bedeutung und Wirkungs-
weise der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wäre
ein nachlassendes Engagement auf diesem Gebiet fatal .
Ich werbe daher eindringlich um die Unterstützung des
gesamten Bundestages für diesen Bereich .

Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Claudia Roth NIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812804400

Die Kollegin Doris Barnett hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1812804500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schön, zu sehen, dass der Unterausschuss Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik sich hier in weiten Tei-
len einig ist und wie eine Front steht . Das müssen wir als
Haushälter auch zur Kenntnis nehmen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Aber auch bei uns – das wissen Sie – gibt es Grenzen .
Ich sage einmal ganz unumwunden: Diese Grenzen kann
praktisch nur der Bundesfinanzminister beseitigen. Wir
haben zwar alle ein Einsehen bezüglich der Forderungen,
die Sie stellen . Aber aus den Mitteln, die wir jetzt für die
humanitäre Hilfe zusätzlich bekommen, die Gelder für
die Schulen herauszuziehen, davor kann ich nur warnen .

In der Tat ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspo-
litik als unverzichtbarer Teil der Außenpolitik und damit
auch der friedenstiftenden Politik zu begreifen . Deswe-
gen haben wir zu Beginn dieser Legislatur bei den Mit-
teln kräftig zugelegt, und zwar wir Abgeordnete zusam-
men mit dem Außenministerium .

Begonnen hat dies alles mit dem Review-Prozess im
Dezember 2013 . Daraus haben sich dann für die AKBP
Schwerpunkte herauskristallisiert . Ich nenne zum Bei-
spiel – darauf wurde immer hingewiesen – die Zusam-
menarbeit mit der Zivilgesellschaft . Das gilt insbesonde-
re für die Länder der Östlichen Partnerschaft . 82 Projekte
konnten gefördert werden . Wir konnten diesen Ländern
damit helfen, einen Neuanfang zu beginnen, insbesonde-
re was den Kampf gegen die Korruption betrifft .

Das ist ein weiter Weg, den die Staaten gehen müssen .
Aber ich denke, dass die Mittel, die wir in den – so will
ich es einmal nennen – Ukraine-Topf hineingeben, gut
angelegtes Geld sind . Ich kann aus eigener Erfahrung ein
Beispiel nennen . In meiner Heimatstadt gibt es einen of-
fenen Kanal . Ich habe die Verantwortlichen angeschubst
und gesagt: Helft doch mal mit! – Die haben ein Projekt
in der Ukraine auf den Weg gebracht . Jetzt entsteht in der
Ukraine ein Bürgerfernsehen, also ein Fernsehprogramm
gemacht von Bürgern für Bürger . Auch in Kaliningrad
gibt es Menschen, die dieses Projekt kopieren möchten .
Das ist die Arbeit, die wir uns wünschen . Dafür stellen
wir auch die nötigen Mittel bereit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben gute Kulturmittler wie das Goethe-Institut,
die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, den DAAD oder
das Deutsche Archäologische Institut . Es wurde schon
darauf hingewiesen: Es ist wichtig, dass DAAD und das
Deutsche Archäologische Institut vor Ort den Menschen
helfen, zu begreifen, was alles in ihrer Heimat zerstört
wird: Das ist ihre eigene Identität . An dieser Stelle müs-
sen wir helfen . Wir sind dabei, die notwendigen Mittel
bereitzustellen .

Für mich ist ganz wichtig, dass wir dem Goethe-Insti-
tut zu altem Glanz, so will ich es sagen, verholfen haben .
In der letzten Legislaturperiode wurden dem Goethe-Ins-
titut einfach mal so 15 Millionen Euro genommen . Diese
Kürzung haben wir zurückgenommen . Das Goethe-Insti-
tut kann nun mit dem alten Ansatz wieder vernünftig ar-
beiten . Ich glaube, ich spreche auch im Namen des Kol-
legen Karl – ich sehe ihn im Augenblick nicht –, wenn
ich sage: Vor Ort in Windhuk konnten wir sehen, wie toll
das dortige Goethe-Zentrum angenommen wird . Wir ha-
ben mitgeholfen, dass es jetzt zu einem Institut ausgebaut
werden kann . Darauf sind wir als Haushälter natürlich
ein Stück weit stolz .

Ein anderes Beispiel . Wenn wir auf Auslandsreisen
sind, schauen wir uns immer die Schulen an . Im letzten
Jahr haben wir die deutschen Schulen in Washington und
in Accra, in Ghana, besucht . Natürlich gibt es schon allein
hinsichtlich der baulichen Substanz riesige Unterschiede .
Aber was immer wieder auffällt, ist, wie engagiert unsere
Lehrer sind und welcher Glanz in den Augen der Kinder
zu sehen ist, wenn man mit ihnen Deutsch spricht . Das
ist eine Bestätigung dafür, dass wir hier hervorragende
Arbeit leisten .

In Accra haben wir nicht nur etwas für die Bildung,
sondern auch etwas für die Wirtschaftsförderung getan .
Wir haben nämlich gesehen, wie schlecht dort die Strom-
versorgung ist . Als wir wieder zu Hause waren, haben
wir gesagt: Es wäre doch eine gute Idee, der deutschen
Schule in Accra Solarpaneele zu geben, damit der Strom
vor Ort erzeugt werden kann . Dann können auch die
Klassenzimmer gekühlt werden, sodass die armen Kin-
der nicht bei 40 Grad lernen müssen .

Das passiert jetzt gerade . Hier zeigen wir nicht nur, dass
wir ein wirtschaftsstarkes Land sind, sondern auch, wie
erneuerbare Energie erzeugt werden kann, und lernen sie
an . Sonne haben sie reichlich . Dieses Modellprojekt an
unserer Schule kann Schule machen . So kann man vieles
miteinander verbinden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Claudia Roth NIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin froh, dass wir sowohl eine vernünftige Außen-
und Kulturpolitik als auch ein Stück weit Wirtschaftspo-
litik machen können . Ich möchte darum bitten – bei der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben wir auch
eine Regierungsvertreterin an unserer Seite –, dass wir
unseren Finanzminister davon überzeugen, wie wichtig
unsere Auslandsschulen und unsere Lehrer dort sind .
Deswegen müssen wir für zusätzliches Geld trommeln .
Hier setze ich auf uns alle, damit es uns gelingt .

Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812804600

Der Kollege Dr . Christoph Bergner hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1812804700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wer die Broschüre-Ausgabe des 18 . Berichts zur Aus-
wärtigen Kultur- und Bildungspolitik durchblättert,
findet sehr viele schöne, ansprechende und sympathie-
weckende Fotos . Diese angenehmen Bilder dürfen uns
allerdings nicht – das zeigt die bisherige Debatte – dar-
über hinwegtäuschen, dass sich die Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik im Moment in einer Welt bewähren
muss, die aus den Fugen geraten ist . Unsere Aufgabe als
Parlamentarier besteht ganz wesentlich darin, die Arbeit
der Mittlerorganisationen, die Arbeit unserer Auslands-
vertretungen mit Kulturpartnern und anderen in den
Kontext der bestehenden Konflikte zu rücken und die Lö-
sungsansätze, die dabei gefunden werden, zu unterstüt-
zen . Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht sehr viel
anspruchsvoller ist, als es auf den ersten Blick scheint .
Gelegentlich ist die politische Analyse leichter als die
Analyse der kulturellen und geistigen Hintergründe von
Konfliktsituationen.

Ich will deshalb an zwei aktuellen Stichworten ver-
suchen, zu demonstrieren, was ich damit meine . Die
Stichworte sind: Ukraine-Krise und Flüchtlingsfrage –
Stichworte, die von Kolleginnen und Kollegen schon an-
gesprochen wurden .

Wenn ich „Ukraine-Krise“ sage, meine ich sehr viel
mehr . Der 18 . Bericht betont zu Recht, Frau Tank, den
Schwerpunkt der Östlichen Partnerschaft in der Auswär-
tigen Kultur- und Bildungspolitik; denn es geht um den
Wunsch der osteuropäischen und südkaukasischen Län-
der, besser: Gesellschaften, sich an europäischen Leitbil-
dern zu orientieren – ein Wunsch, der in einen Kontrast,
einen Gegensatz zu den politischen Leitbildern Russlands
geraten ist . Es ist an dieser Stelle wichtig, sich klarzuma-
chen, dass hinter den politischen Leitbildern Russlands
auch geistig-kulturelle Vorstellungen stehen . Ich erinnere
an die Schriften von Alexander Dugin, der die eurasische
Idee pflegt und dies mit einem derartigen Sendungsbe-
wusstsein vertritt, dass die Wirkung bis zu Marine Le
Pen nach Frankreich reicht . Diese Dimensionen müssen
wir im Blick haben, wenn wir Östliche Partnerschaft mit
den Mitteln der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
fördern und unterstützen wollen . Insofern ist es richtig,
dass die Kulturzusammenarbeit aus den Sanktionsmaß-
nahmen der EU ausdrücklich ausgenommen ist . Mit der
gemeinsamen Pflege von Strawinsky oder Puschkin bis
hin zu deutschen Autoren und deutscher Literatur schaf-
fen wir gewissermaßen ein Gegengewicht zu trennenden

Ideologien und trennenden Ansätzen und sorgen dafür,
dass dieses Gegengewicht Raum erhält .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Claudia Roth Es ist richtig, dass wir einen Sondertitel – er ist schon erwähnt worden – zur Pflege zivilgesellschaftlicher Kontakte im Rahmen der Östlichen Partnerschaft haben . Auch das ist ein ganz wertvolles Instrument . Wir haben uns im Rahmen der Berichterstattung im Unterausschuss darüber informieren lassen . Ich will aber darauf hinweisen, dass es Disparitäten gibt, die bei diesem Aufgabenfeld durchaus problematisch sind . 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es in der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik nach wie vor Disparitäten zwischen Ost und West . Ich könnte mehrere Zahlen nennen, will aber beispielhaft nur die Zahl der Goethe-Institute nennen: Während es in Frankreich und Italien je sieben Goethe-Institute gibt, gibt es in Polen zwei und in der Tschechischen Republik nur ein Goethe-Institut . Wenn wir die Zahl der ins Ausland entsandten Lehrer miteinander vergleichen, kommen wir zu einer ähnlichen Betrachtung . Wenn wir uns also mit dem Thema der Östlichen Partnerschaft in der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik befassen, das ich für außerordentlich wichtig halte und das im 18 . Bericht auch ausdrücklich hervorgehoben wird, dann müssen uns die bestehenden Disparitäten beunruhigen . Ich komme zum zweiten Punkt, der Flüchtlingsbzw . Migrationskrise . Hierzu ist schon viel gesagt worden . Ich fände es richtig, wenn es sich bestätigen sollte, dass von den zusätzlichen Mitteln, die für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden, ein bestimmter Anteil für die Auswärtige Kulturund Bildungspolitik reserviert wird . Ich halte es für einen außerordentlich wichtigen Beitrag, nicht allein bei den unmittelbaren, „harten“ humanitären Maßnahmen anzusetzen, sondern durchaus auch Maßnahmen der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik mit im Blick zu haben . Die Flüchtlingslager sind schon angesprochen worden . Wir dürfen nicht zulassen, dass eine verlorene Generation entsteht . Das zu verhindern, ist richtig und sollte von uns unterstützt werden . Ich will aber in diesem Kontext auf einen anderen Punkt hinweisen, der mir Sorge macht – ich erkenne hier ein Bewährungsfeld der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik –: Wir wollen, dass die Flüchtlingsaufnahme europäisch gelöst wird; das heißt, wir wollen gemeinsame Verfahren und eine faire Verteilung der Aufgenommenen . Wir kennen die Probleme, auf die wir dabei gestoßen sind und die im Moment durch Mehrheitsentscheidung im JI-Rat vorübergehend gelöst scheinen . Die Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, interpretieren wir im Moment mit einer gewissen Berechtigung als einen Mangel an Solidarität . Aber ich glaube, sich allein darauf zu berufen, greift zu kurz . Als Politiker im Bereich der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik sollten wir uns herausgefordert fühlen, wenn der slowakische Innenminister sagt: „Die Slowakei will keine Muslime aufnehmen“ und wenn der Doris Barnett ungarische Ministerpräsident sein Land in die historische Tradition stellt, Bollwerk des christlichen Abendlandes zu sein . Dies sind Sichtweisen, die eine gewisse nationale Prägung zum Ausdruck bringen . Wenn wir Auswärtige Kulturund Bildungspolitik ernst nehmen, dann müssen wir die Herausforderung annehmen, in einen Dialog über die Frage einzutreten, wie wir bei so unterschiedlichen nationalen Prägungen gewissermaßen zu einem europäischen Gemeinwohlbegriff kommen können . Ich glaube, der dogmatische Verweis auf die Grundwerte der Europäischen Union allein löst dieses Problem nicht . Der Gedanke der Schaffung gemeinsamer kultureller Identitäten im vereinten Europa und unter den Mitgliedstaaten hat schon im Review-Prozess des Auswärtigen Amtes eine Rolle gespielt . Insofern wünsche ich mir durchaus, dass wir auch hier, bei dieser Frage, Dialogformen und -möglichkeiten organisieren, die das Ganze nicht allein zu einer Frage von Mehrheit oder Minderheit, sondern zu einer Frage der kulturellen Verständigung machen . Herzlichen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


(Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


(Beifall bei der CDU/CSU)





(A) (C)


(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812804800

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Martin Rabanus

das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1812804900

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-

ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich finde, wir hatten bisher eine richtig gute Debatte;
denn sie belegt, dass es im ganzen Hause sehr viel Über-
einstimmung hinsichtlich der Bedeutung der Auswärti-
gen Kultur- und Bildungspolitik gibt, und sie hat noch
einmal klargestellt: Auswärtige Kultur- und Bildungspo-
litik ist kein Sahnehäubchen – wie Frau Kollegin Roth
das gesagt hat –, sondern sie ist eine tragende Säule der
deutschen Außenpolitik .


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das möchte auch ich als Bildungspolitiker und als Mit-
glied des Ausschusses für Bildung und Forschung unter-
streichen .

Es ist auch deutlich geworden, welche wichtigen
Funktionen die Mittlerorganisationen wahrnehmen, dass
sie zum Teil unter schwierigsten Bedingungen Menschen
zusammenbringen, auch zusammenhalten, getreu dem
Motto „Wer miteinander spricht, wird gegeneinander
weniger gewalttätig“ . Deswegen gebührt denjenigen, die
diese Arbeit leisten, unser aller Dank; Herr Dr . Fabritius
hat auch schon dafür gedankt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt natürlich auch noch einiges zu besorgen . Für
den Bereich der deutschen Auslandsschulen ist das be-
reits angedeutet worden . Daher muss ich nicht das wie-

derholen, was Frau Kollegin Schmidt gesagt hat und was
Sie, Frau Staatsministerin Böhmer, bestätigt haben . Ich
ahne, dass der Kollege Feist nachher noch etwas dazu
beiträgt,


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ihr immer ahnt!)


nämlich was die Stärkung der beruflichen Bildung an den
deutschen Auslandsschulen angeht .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, richtig!)


Wir sind da ja auch ganz einer Meinung . Wir diskutieren
das in Bildungszusammenhängen immer wieder. Das fin-
de ich auch richtig und wichtig .

Ich will ein weiteres Stichwort nennen, über das wir
noch nicht gesprochen haben: Das ist die Außenwissen-
schaftspolitik .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Bundesrepublik Deutschland, liebe Kollegin De
Ridder, haben einiges dazu beizutragen, wenn ich an die
Fachhochschulen und die anwendungsorientierten Hoch-
schuleinrichtungen denke .

Zurück zu dem, was wir aktuell leisten . Der Studie-
rendenaustausch und der Wissenschaftleraustausch sind
angesprochen worden . Im Bereich des Bundesbildungs-
ministeriums stellen wir dafür – über den dicken Daumen
gepeilt – 140 Millionen Euro bereit . Liebe Frau Kollegin
Roth, ich würde mich Ihrer Forderung, dass wir mit dem
Herrn Finanzminister auch noch einmal über den Bil-
dungshaushalt sprechen, gerne anschließen wollen .


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Gut!)


Auch da hätten wir noch ein paar Dinge zu besorgen, um
bereits begonnene, aber auch sinnvolle weitere Projekte
anschieben zu können – das aber nur als Fußnote –, das
betrifft insbesondere den DAAD .

Wir lassen uns die Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik relativ viel kosten, um das Bild Deutschlands in
der Welt positiv zu prägen . Die Welt hat ja auch ein tolles
Bild von Deutschland . Das merken wir an unserer aktu-
ellen Beliebtheit bei den Flüchtlingen . Ich will es einmal
so herum sagen: Wir dürfen durchaus stolz darauf sein,
dass alle der Auffassung sind: In Deutschland kann man
ein gutes Leben führen . – Das ist nicht zu beklagen . Viel-
mehr ist die Frage, wie wir produktiv damit umgehen .
Und es ist bereits angedeutet worden: Unsere Mittleror-
ganisationen sind nicht nur im Ausland gut, sie sind auch
im Inland gut .

Die Vorschläge des Goethe-Institutes sind angespro-
chen worden . Auch der DAAD hat Vorschläge entwi-
ckelt, wie man diese Kompetenz im Inland einsetzen
kann. Ich finde tatsächlich – Frau Müntefering hat es
angesprochen –, dass wir die Frage der Onlineplattfor-
men, der MOOCs, die sehr schnell eine große Reichweite
haben können, sehr ernst nehmen müssen . Es gibt viele
Hochschulen, die entsprechende Angebote machen . Wir
haben Partner, die sie in die Fläche bringen können . Das

Dr. Christoph Bergner






(A) (C)



(B) (D)


wird nicht zum Nulltarif zu machen sein . Umso wichtiger
ist, dass wir hier etwas tun .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein konkretes
Beispiel nennen, wie es aussehen kann, wenn sich Start-
ups dieses Themas annehmen . Die Kiron University in
Berlin – der eine oder andere wird das in den Medien
verfolgt haben – ist ein Start-up, das eine Hochschu-
le speziell für Flüchtlinge gegründet hat . In den ersten
zwei Jahren tritt sie ausschließlich mit Onlineangebo-
ten an Flüchtlinge heran . Im dritten Jahr möchte sie mit
Partneruniversitäten arbeiten . Das soll zu einem Bache-
lorabschluss führen . Das ist eine ganz großartige Sache .
Ich finde, dass wir solche Initiativen unterstützen sol-
len, können und müssen . Ich werde das später an Herrn
Rachel vom BMBF weitergeben, weil ich glaube, dass
so mit relativ wenigen Mitteln sehr viel geholfen werden
kann, sodass viele Menschen hier möglichst optimale
Bildungsangebote bekommen und Ressourcen nicht ver-
schwendet, sondern für unser Land erschlossen werden .


(Beifall der Abg . Ulla Schmidt [SPD] und Claudia Roth NIS 90/DIE GRÜNEN])


Dann können wir mit Recht sagen: Wir schaffen das .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812805000

Der Kollege Dr . Thomas Feist hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1812805100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe mir bei den vorherigen Reden einmal
die Zeit genommen, auf die Tribünen zu schauen .


(Zuruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE])


– Doch, ich kann gleichzeitig hören und schauen . Wenn
Sie das nicht können, müssen Sie es einmal trainieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Kollege Gysi kann das auch . Schauen Sie es sich
einmal ab von ihm! – Ich habe die Konzentration in den
Gesichtern der jungen Menschen gesehen – ich würde es
zumindest freundlicherweise als Konzentration interpre-
tieren –, wenn von Auswärtiger Kultur- und Bildungs-
politik gesprochen wurde . Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik, was für ein sperriger Ausdruck! Ich weiß
nicht, wie es Ihnen geht: Bei mir im Wahlkreis muss ich
jedes Mal erklären, was das ist . Da Plenarsitzungen so-
zusagen das Schaufenster des Parlaments sind, würde ich
das auch an dieser Stelle gerne einmal versuchen: Die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist gewisserma-

ßen der sichtbare Teil der Außenpolitik . Während Diplo-
maten meistens hinter verschlossenen Türen agieren und
später mit irgendeinem Ergebnis herauskommen, werden
die Ergebnisse in der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik sichtbar gemacht .

Da wir am Vortag des 25 . Jahrestages der deutschen
Einheit sind, möchte ich das gern einmal aus einer per-
sönlichen Sichtweise heraus illustrieren . Ich habe mein
halbes Leben in einem Land verbracht, das es nicht mehr
gibt . Es hieß Deutsche Demokratische Republik oder,
wie Erich Honecker immer nuschelnd gesagt hat, „Deut-
sche Kratische Plick“ .


(Heiterkeit)


In diesem Land hatten wir zwar Westfernsehen – ich bin
in Leipzig groß geworden, nicht im Tal der Ahnungs-
losen – und konnten uns informieren; natürlich wurden
wir über den schwarzen Kanal von Karl-Eduard von
Schnitzler, bei uns liebevoll „Sudel-Ede“ genannt, auch
immer informiert, wie schrecklich „da drüben“ alles ist .
Aber wirklich interessant war, was sich mit Kultur ver-
bunden hat; denn Kultur spricht jeden Menschen an . Sie
spricht die Sinne an, die Vernunft und die Emotionen .
Genau dafür bieten wir Orte an, beispielsweise mit den
weltweit vorhandenen Goethe-Instituten, aber auch mit
anderen Einrichtungen . Dadurch erreichen wir nicht nur
den Verstand, sondern auch die Herzen der Menschen .
Deswegen ist Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
eine gute Art der Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es gab und gibt zum Glück noch heute in Leipzig das
Polnische Informations- und Kulturzentrum . Nun kann
man sich über Polen auch über Bücher informieren; das
machen viele sicher auch . Sie lesen und schauen im In-
ternet – das hatten wir damals noch nicht –, was da so
los ist . In diesem Informations- und Kulturzentrum gab
es genau das, was mich als jungen Menschen damals in-
teressiert hat, zum Beispiel Musik von Czeslaw Niemen,
elektronische Musik oder die sogenannten Lizenzplatten
von den Sex Pistols .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Sex Pistols?)


– Ja, kennst du die noch, Michaela? Super Musik! – Da-
rüber hinaus gab es – das organisieren auch unsere Go-
ethe-Institute – Veranstaltungen . Die Veranstaltungen,
die das Polnische Informations- und Kulturzentrum
durchgeführt hat – das waren meistens irgendwelche wil-
den Free-Jazz-Konzerte, was vielleicht nicht jedermanns
Musik ist –, boten die Möglichkeit, mit Menschen aus
anderen Ländern zusammenzukommen, mit Künstlern,
mit Kreativen, mit Verrückten . Das war eine tolle Sache .
Deswegen ist das, was wir hier machen, wirklich gut .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Martin Rabanus [SPD] – Claudia Roth NEN]: Ja, bei Verrückten fühle ich mich angesprochen!)


Martin Rabanus






(A) (C)



(B) (D)


– Claudia, ich habe die Toten Hosen nicht erwähnt . Ton
Steine Scherben sind auch gut gewesen .

Außerdem gab es zu DDR-Zeiten gar nicht weit von
hier, Unter den Linden, ein französisches Kulturzentrum,
gar nicht weit weg von der Berliner Mauer . Ich hatte da-
mals als zweite Fremdsprache – Russisch war ja für alle
als erste Fremdsprache verpflichtend – nicht Englisch,
sondern Französisch gewählt .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Gute Wahl!)


Nun, mit wem konnte man in der DDR Französisch spre-
chen? Mit niemandem! Deswegen war es unheimlich
wichtig, dass es hier in Berlin ein französisches Kultur-
zentrum gab, wo es Bücher gab, wo man sich auch ein-
mal eine Schallplatte kaufen konnte . Das war sozusagen
unser Blick in die Welt, und zwar ein Blick, der nicht von
irgendwelchen Klischees geprägt war; der war echt .

Es ist daher wichtig, dass wir mit den Goethe-Insti-
tuten weltweit Möglichkeiten für einen solchen Blick in
die Welt schaffen . Ich gebe dem Kollegen Bergner recht:
Wir müssen schauen, wie man das in Zukunft noch ein
bisschen ausgeglichener gestalten kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber etwas Gewachsenes abzusägen, ist sehr schwierig;
das muss man schon sagen . – Für Menschen die Mög-
lichkeit zu schaffen, sich auszutauschen, das ist eine tolle
Sache, und das ist Außenpolitik . So verstehe ich die Aus-
wärtige Kultur- und Bildungspolitik . Sie ist Außenpolitik
nah am Menschen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Claudia Roth (Augsburg)


Es ist außenpolitisch wichtig, wenn Menschen mit klang-
vollen Namen von A nach B reisen, sich tief in die Augen
schauen und sich die Hände schütteln . Das ist alles gut;
ich habe nichts dagegen . „Nah am Menschen“ heißt aber,
dass wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, in
diese Begegnungen einzusteigen; denn die jungen Men-
schen von heute sind diejenigen, die morgen oder über-
morgen Verantwortung übernehmen müssen . – Gemeint
seid auch ihr auf der Tribüne .

Wir haben einen Antrag vorgelegt, in dem es darum
geht, im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik den Jugendaustausch zu verstärken. Ich finde, das
ist eine gute und sinnvolle Sache . Leider gibt es verschie-
dene Stellungnahmen von Kulturorganisationen, die das
gar nicht gut finden. Sie sagen: Wieso? Jetzt wollt ihr uns
vorschreiben, was wir machen sollen, in welche Rich-
tung wir gehen sollen? – Dazu kann ich nur sagen: Liebe
Kulturorganisationen, fragt, bevor ihr das nächste Mal
eine solche Kritik äußert, vorher die Menschen, die die-
sen Antrag geschrieben haben, die sich damit beschäftigt
haben . Natürlich haben wir das Feld der freien Jugendar-
beit und des Jugendaustausches, wo eigene Ideen einflie-
ßen können . Dafür ist aber ein anderes Ministerium zu-
ständig . Bei uns geht es darum, mehr jungen Menschen
im Bereich der auswärtigen Politik die Möglichkeit zu
geben, an diesem Austausch teilzunehmen, und zwar be-
zogen auf die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben . Die

Östliche Partnerschaft ist angesprochen worden; aber es
gibt auch andere . Die jungen Menschen sollen verstärkt
die Möglichkeit erhalten, durch Partizipation, durch ei-
genes Erfahren zu lernen, wie wichtig das ist . Warum ist
das wichtig? Jetzt komme ich noch einmal ganz kurz auf
die Bücher zurück: Aus Büchern kann man viel über ein
Land lernen – mittlerweile kann man sich auch im In-
ternet informieren ; aber die Begegnung von Menschen
kann durch Bücher nicht ersetzt werden . Genau diese
Begegnung von Menschen ermöglichen wir durch den
Jugendaustausch im Rahmen der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik . Deswegen ist es richtig, dass wir als
Parlament diesen Titel aufstocken wollen . Ich bitte alle
herzlich dabei um Unterstützung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Es ist immer schwer, Beifall zu spenden, wenn der
Redner keine Pause macht . Ich verstehe das; aber so ist
das nun einmal, wenn es einen mitreißt . Frau Kollegin
Schmidt, Sie wissen ja selber, wie das ist .

Ich möchte auf die deutschen Auslandsschulen zu-
rückkommen, um deutlich zu sagen, wie wichtig sie sind .
Die deutschen Auslandsschulen sind mitnichten Schulen,
die exklusiv die Beschulung von Deutschen im Ausland
übernehmen, sondern sie sind offen für junge Menschen
aus diesen Ländern . Deswegen ist es wichtig, dass wir
diese deutschen Schulen in Zukunft besser ausstatten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wichtig ist auch, dass die Lehrer – über sie ist schon
mehrfach gesprochen worden – so vergütet werden, dass
sie es attraktiv finden, im Ausland zu unterrichten. Die
Lehrer bleiben ja nicht immer dort . Sie kommen zurück .
Angesichts der Entwicklungen in Europa und in unserem
Land sind das genau die Lehrkräfte, die wir brauchen .
Sie haben einen breiten interkulturellen, interreligiösen
Hintergrund und können deswegen eine bessere Beschu-
lung von Kindern und Jugendlichen hier vor Ort ermög-
lichen . Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Be-
reich tätig sind .

Frau Präsidentin, mit Verlaub, an dieser Stelle möchte

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1812805200
Ich finde Ihr
Engagement sehr gut . Es gab schon andere Staatsminis-
terinnen, die sich nicht so engagiert eingesetzt haben . Mit
Ihnen wissen wir eine verlässliche Partnerin an unserer
Seite . Bitte richten Sie das auch dem Außenminister aus .
Wir kämpfen für die Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik . Wenn Sie das im Ministerium auch machen, kann
gar nichts schiefgehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812805300

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/5057 und 18/579 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .

Dr. Thomas Feist






(A) (C)



(B) (D)


Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Dr . Gregor Gysi, Matthias W . Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ost-
deutschland und beim Übergangszuschlag
beheben

Drucksache 18/4972
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Roland Claus, Dr . Gregor Gysi, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur
der Rentenüberleitung beheben

Drucksachen 18/1644, 18/5290

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812805400

Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass Sie bei diesem

Tagesordnungspunkt präsidieren . Meine Damen und
Herren! Wir hatten heute früh eine sehr umfangreiche
und intensive Debatte zur deutschen Einheit . Bei allen
Rednerinnen und Rednern ist deutlich geworden, dass
die Menschen – trotz mancher Defizite – auf das stolz
sein können, was wir in den 25 Jahren erreicht haben,
und zwar die Menschen in Ost und West .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Aber eines bleibt: Bei der Rente haben wir weiterhin
ganz große Defizite. Wir als Linke haben heute, ein Vier-
teljahrhundert nach Herstellung der deutschen Einheit,
diese Debatte beantragt, um am Tag vor diesem Jubilä-
um ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen für mehr soziale
Gerechtigkeit . Deswegen lassen wir im Übrigen auch
namentlich abstimmen . Ich hoffe, dass insbesondere die
ostdeutschen Abgeordneten, die häufig in Wahlkämpfen
sagen, dass sie sich dafür einsetzen werden, diese Gele-
genheit nutzen und heute so abstimmen, wie sie es ihren
Wählerinnen und Wählern versprochen haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Mehrheit des Hauses muss heute einfach nur den
Anträgen der Linken zustimmen und die Bundesregie-
rung beauftragen, die Ungerechtigkeiten bei der Ren-
tenüberleitung und bei der Mütterrente zu beenden . Hier
spricht ein Haushälter zu Ihnen . Daher möge niemand
mit dem Argument kommen, das sei nicht zu bezah-
len . Ich könnte Ihnen jetzt ganz viele Beispiele nennen,
die zeigen, für welche Bereiche wir in letzter Zeit sehr
schnell sehr große Summen beschlossen haben . Wenn
wir das beschließen würden, hätten Tausend Ältere in
unserem Land morgen noch einen Grund mehr, zu feiern .


(Beifall bei der LINKEN)


Es bleibt: Die fehlende Angleichung der Renten ist
zum Symbol der Rechtsungleichheit Ost/West geworden .
Die Beseitigung der Rentenungerechtigkeit wäre ein
wichtiger Beitrag zur deutschen Einheit .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will daran erinnern, dass Frau Merkel auf dem Seni-
orentag im Juni 2009 gesagt hat:

Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung
von Ost und West brauchen . Ich würde . . . sagen,
dass das Thema in den ersten beiden Jahren der
nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird .

Das wäre 2011 gewesen . Wir schreiben inzwischen das
Jahr 2015 . Jetzt sagen Sie, es solle eventuell bis 2019
geschehen . Das wäre wieder die nächste Legislaturpe-
riode . Das glaubt Ihnen niemand . Den Ankündigungen
der Kanzlerin müssen endlich Taten folgen . Heute ist die
Gelegenheit dazu .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Überleitung der Alterssicherungssysteme der
DDR in bundesdeutsches Recht Anfang der 90er-Jahre
war zweifelsfrei eine sehr komplexe Herausforderung .
Ich will auch deutlich sagen, dass vieles dabei gelungen
ist . Vieles ist, Gott sei Dank, auch erkämpft worden . Aber
es ist nicht alles gut . Viele Menschen aus der DDR haben
nach der Herstellung der staatlichen Einheit Rentenge-
rechtigkeit leider nicht mehr erlebt . Die Beendigung aller
Diskriminierung und Regelungen, die die Lebensleistung
aus DDR-Zeiten nicht anerkennen, wäre für viele Ältere
finanziell wichtig; dies wäre soziale Gerechtigkeit. Ich
will Ihnen drei Beispiele nennen .

Erstens: die Mütterrente . Es gibt unterschiedliche
Rentenentgeltpunkte Ost und West und damit Kinder
erster und zweiter Klasse . Das gilt nicht nur für Kinder,
die in der DDR geboren sind, sondern auch für Kinder,
die nach der Wende auf dem Territorium der ehemali-
gen DDR geboren sind . Es ist so, dass ein Kind, das im
Jahre 1991 in Stuttgart geboren wurde, für die Mutter
29,21 Euro wert ist, ein Kind, das in Schwerin geboren
wurde, allerdings nur 27,05 Euro . Ja, geht‘s noch? Das
ist doch völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie kann man akzeptieren, dass Kinder unterschiedlich
viel wert sind, meine Damen und Herren von der Gro-

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


ßen Koalition? Das ist neues Unrecht, das Sie geschaffen
haben .

Ein zweiter Punkt: die Überführungslücken für viele
Beschäftigungsgruppen . Ich will die in der Braunkoh-
leveredelung Beschäftigten – wahrhaftig nicht „staats-
nah“ – nennen . Es leben noch 400 Betroffene, deren
Rentenansprüche nicht anerkannt werden . Das ist weder
sozial noch gerecht . Das ist einfach kleinkariert . Es geht
in der Braunkohleveredelung um 400 Menschen . Das
muss doch zu machen sein!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt übrigens weitere Berufsgruppen, für die dasselbe
gilt .

Ich will ein drittes Problem nennen: die aus der DDR
Geflüchteten, Abgeschobenen und Ausgereisten. Einer
der Betroffenen, Gundhardt Lässig, sitzt heute Mittag auf
der Tribüne . Wir haben damals, vor der Wende, so man-
chen Abend zusammen verbracht, auch viele Tage im
schönen Prerow, wo wir manchmal zusammen am Strand
gestanden haben . Er hat, als er damals gegangen ist, wie
viele andere auch den „Wegweiser“ des Bundesministe-
riums des Innern für Flüchtlinge und Übersiedler aus der
DDR bekommen, in dem es heißt:

Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR oder
Berlin (Ost) werden in der gesetzlichen Renten-
versicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie
ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik
Deutschland zurückgelegt hätten .

Für sie galt das sogenannte Fremdrentengesetz . Durch
eine kleine Gesetzesänderung im Jahre 1993 – kaum
beachtet – wurde diese Regelung abgeschafft . Für die
DDR-Arbeitszeiten werden sie seitdem rentenrechtlich
wieder behandelt wie ehemalige DDR-Bürger . Für ihn,
für Gundhardt, sind das 500 Euro Monatsrente weniger .
Jeden Monat! Das ist völlig inakzeptabel . Betroffen sind
200 000 Einzelpersonen . Ändern Sie das! Ändern Sie das
wenigstens für diese Personengruppe!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist im Übrigen egal, was das Bundesverfassungsge-
richt dazu ausführt . Es urteilt darüber, ob eine Regelung
gegen das Grundgesetz verstößt . Hier geht es aber um
eine soziale Frage . Diese Regelung ist nicht sozial ge-
recht,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


zumal für diejenigen, die in die Schweiz gegangen sind,
etwas anderes gilt . Für diejenigen, die in der Schweiz le-
ben, gilt die alte Regelung weiterhin . Das ist doch völlig
inakzeptabel . Nehmen Sie sich ein Beispiel daran!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, 25 Jahre deutsche Einheit,
das ist eine gute Gelegenheit, Bestrafungen von ehemali-
gen DDR-Bürgern und von Bundesbürgern, die auf dem
Gebiet der ehemaligen DDR gelebt haben, zu beenden .

Sie haben eine ganz einfache Möglichkeit: Stimmen Sie
mit der blauen, nein, roten, Stimmkarte ab! Dann tun Sie
am Vortag der Feierlichkeiten zu 25 Jahren deutscher
Einheit ein sehr gutes Werk .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812805500

Die Kollegin Jana Schimke hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1812805600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben heute Morgen eine sehr interessante, sehr aufschluss-
reiche Debatte geführt, weil wir morgen unseren Natio-
nalfeiertag begehen und 25 Jahre deutsche Einheit feiern .
Diese Debatte hat vor allem eines deutlich gemacht: Sie
hat nicht das gezeigt, was Kollege Bartsch gerade dar-
gestellt hat – wo Unterschiede bestehen –, sondern sie
hat gezeigt, wo wir einig geworden sind, wie weit wir
letztendlich vorangekommen sind .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber es gibt auch noch Unterschiede!)


Das Projekt „Deutsche Einheit“ zielt darauf ab, Einheit
zu schaffen . Wenn man zwei unterschiedliche Staaten
zusammenführt, dann ist es schlichtweg nicht möglich,
dafür zu sorgen, dass sich wirklich jeder Einzelne bis ins
letzte Detail mit all seinen Interessen wiederfindet.


(Sabine Weiss nau!)


Es geht darum, eine gesamte Gesellschaft zusammenzu-
führen . Wir erleben das bei unserer Arbeit täglich, wenn
wir mit Bürgerinitiativen oder mit größeren Gruppen von
Menschen sprechen: Es ist nie möglich, für alle immer
das Bestmögliche zu erreichen . Letztendlich kommt es in
einer Demokratie aber darauf an, dass sich die Mehrheit
wiederfindet und dieses System akzeptiert. Ich glaube, da
sind wir nach 25 Jahren sehr weit gekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe es schon einmal gesagt: Die Wiederverei-
nigung war ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt – das
muss man so deutlich sagen –, auf den ganz Deutschland,
auf den wir alle sehr stolz sein können . Wir können ins-
besondere auf die politische und die soziale Einheit stolz
sein, die von den Kollegen der Linken immer wieder in
Zweifel gezogen und abgelehnt wird .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Rede für die Debatte heute Morgen! Wir sind jetzt bei einem anderen Thema! Sagen Sie doch mal was zu den Unterschieden!)


Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Gerade im Bereich der sozialen Einheit sind wir sehr
weit vorangekommen; das gilt es auch anzuerkennen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten sozi-
alpolitischen Entscheidungen der deutschen Einheit war
das Renten-Überleitungsgesetz . Es steht für eine großar-
tige Leistung aller Versicherten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Letztendlich kam es ja darauf an, zwei unterschiedlich
aufgebaute und finanzierte Sozialsysteme miteinander in
Einklang zu bringen, und das vor dem Hintergrund einer
heruntergewirtschafteten DDr . Wer glaubt denn ernst-
haft, dass solch ein Prozess ohne Nachteile für den einen
oder anderen vonstattengeht? Es war und ist schlicht-
weg nicht möglich, alle Härte- und Einzelfälle sowie
die damals entstandenen Ansprüche des einen Systems
abzubilden . Ganz ehrlich: Bei der Frage, wie wir unser
Rentenrecht ausgestalten, kam es eben nicht darauf an,
ob jemand „staatsnah“ war . Das sehen wir gerade auch
bei der Vielzahl an Gruppen, die heute mitunter noch ihr
Recht einklagen . Es ging um die gesamte Gesellschaft
und nicht darum, was jemand geleistet oder auch nicht
geleistet hat .

Dennoch ist es nachvollziehbar, dass sich Betroffene
durch entsprechende Regelungen benachteiligt fühlen;
das gebe ich durchaus zu . So nehmen wir zum Beispiel
das Anliegen der DDR-Flüchtlinge sehr ernst .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen! Nicht nur ernst nehmen!)


Wir alle wissen, dass diese Menschen sehr viel gewagt
und auch aufgegeben haben . Aber das Fremdrentenge-
setz galt als Ausnahmetatbestand und war ausweislich
der Gesetzesbegründung von Beginn an nur als Über-
gangslösung vorgesehen . Auch das gehört zur Wahrheit,
und auch das muss gesagt werden . Sie werden dadurch
nicht zu Bürgern der DDR gemacht, wie es oftmals von
der Linken behauptet wird .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Was geschieht, ist lediglich, dass man bei der Renten-
berechnung an Sachverhalte aus DDR-Zeiten anknüpft .
Aber sie werden nicht zu Bürgern der DDR gemacht,
meine Damen und Herren .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sind wir alle nicht mehr!)


Auch bei den in der DDR Geschiedenen ist die Lage
eindeutig . Man muss wissen, dass das Recht in der DDR
im Scheidungsfall keinen Versorgungsausgleich kannte .
Deshalb wurde er auch mit dem Renten-Überleitungsge-
setz nicht nachträglich eingeführt .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812805700

Kollegin Schimke, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Matthias W . Birkwald?


Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1812805800

Gerne . – Herr Birkwald .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812805900

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen . – Sie haben gesagt, die soziale Einheit sei
sehr weit gediehen und wir Linken würden das nicht an-
erkennen . Dazu möchte ich zunächst einmal sagen, dass
wir gerade, was die Rentnerinnen und Rentner angeht,
sehr wohl anerkennen, was mit der Überleitung geleistet
worden ist, dass es für viele Rentnerinnen und Rentner
deutliche Verbesserungen gegeben hat . Das erkennen wir
ausdrücklich an . Aber wir kritisieren die Lücken und die
Ungerechtigkeiten, die es in diesem Prozess in der Ver-
gangenheit gegeben hat und die es heute noch gibt, und
das machen wir ebenso deutlich .

Eben haben Sie von denen gesprochen, die aus der
DDR – in der Regel aus guten Gründen – geflohen sind
und heute, wie Kollege Bartsch vorhin ausgeführt hat,
zum Teil 500 Euro Rente im Monat weniger bekommen .
Nur für alle Menschen, die bis 1936 geboren wurden, gab
es einen entsprechenden Schutz . Wer nach 1936 geboren
wurde und aus der DDR in die Bundesrepublik geflo-
hen ist, dem wurde zugesichert: Du bekommst dieselbe
Rente, als wenn du hier immer als Ingenieur, Kranken-
schwester oder Lehrerin gearbeitet hättest . – Das ist aber
nicht der Fall . Diese Betroffenen sagen selbst: Wir wer-
den nachträglich wieder zu DDR-Bürgerinnen und -Bür-
gern gemacht, zu Bürgern des Staates, aus dem wir ge-
flohen sind. – Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich habe noch eine andere Frage . Wir haben am
12 . Juni 2015 einen Beschluss des Bundesrates auf den
Tisch bekommen, in dem der Bundesrat die Bundesre-
gierung auffordert, mit den Vorbereitungen zur Verein-
heitlichung der Rentenwerte nicht erst 2016, sondern
umgehend zu beginnen . In der Stellungnahme der Bun-
desregierung dazu heißt es: Nö, das haben wir gar nicht
nötig . – Die Zeitung Die Welt wiederum schrieb am
21 . September, dass es einen gemeinsamen Antrag


(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)


der Koalition gibt – Sie haben gerade auf die Debatte von
heute Morgen Bezug genommen –, worin steht, dass die
Bundesregierung sofort mit der Teilangleichung begin-
nen soll .


(Dr . Astrid Freudenstein [CDU/CSU]: Da müsste die Sitzungsleitung reagieren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben keine Redezeit!)


Ich habe es in der Drucksache nachgelesen: Der Satz
steht nicht mehr drin . Bitte erklären Sie uns, warum Sie
die Ostrentnerinnen und Ostrentner im Regen stehen las-
sen und sie auf 2019 vertrösten . Alle Erfahrung sagt uns:
Das wird wieder nichts .

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812806000

Kollege Birkwald .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812806100

Die Kanzlerin hat es vor zehn Jahren versprochen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812806200

Sie hatten die Chance, zu wählen, ob Sie eine Frage

stellen oder eine Bemerkung machen . Aber Sie sollten
das dann auch deutlich machen .


Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1812806300

Herr Birkwald, vielen Dank für Ihre Anmerkungen,

die ich selbstverständlich zur Kenntnis genommen habe .
Was wir in Bezug auf die Angleichung der Renten im
Jahr 2016 tun, ist, uns an den Koalitionsvertrag zu halten .


(Beifall der Abg . Waltraud Wolff mirstedt)


So ist es auch in unserem Antrag, den wir heute Morgen
beraten haben, festgehalten . Wir werden uns im kom-
menden Jahr mit diesem Thema auseinandersetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich war in meinen Ausfüh-
rungen bei den in der DDR Geschiedenen stehen geblie-
ben . Zur Erinnerung: Der Versorgungsausgleich wurde
in der alten Bundesrepublik 1977 eingeführt . Die Ge-
setzgeber haben sich damals darauf verständigt, dass der
Versorgungsausgleich nur für Ehen gilt, die ab diesem
Zeitpunkt geschieden wurden . Somit können auch die
in Westdeutschland vor diesem Stichtag geschiedenen
Ehepartner nicht von der Regelung des Versorgungsaus-
gleichs profitieren.

Auch die Mütterrente ist heute wieder Gegenstand
unserer parlamentarischen Debatte . Ja, es stimmt, dass
eine Rentnerin im Osten 27 Euro und im Westen 29 Euro
Mütterrente pro Kind erhält, und ja, wir wissen, dass dies
ein Unterschied ist, der uns perspektivisch nicht zufrie-
denstellen kann . Aber wir haben bei der Einführung der
Mütterrente nichts anderes gemacht – das adressiere ich
gerade auch an die Linke, die uns immer wieder mit die-
sen Fragen konfrontiert –, als uns schlichtweg an gelten-
des Recht zu halten .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind der Gesetzgeber! Wir können geltendes Recht ändern! Dazu sind wir da!)


Wir haben geltendes Recht eingehalten und angewandt .

Natürlich würden wir uns auch wünschen, dass Ost
und West 25 Jahre nach der Wiedervereinigung keine
Unterschiede mehr aufweisen . Aber wirtschaftlicher
Aufschwung und Wachstum – damit hängt die Renten-
politik nun einmal zusammen – können nicht politisch
verordnet werden; ich habe Verständnis dafür, dass man

das gerade den Linken immer wieder erklären muss . Wir
haben uns doch etwas dabei gedacht, als wir nach der
Wiedervereinigung den Hochwertungsfaktor in der Ren-
te eingeführt haben . Auch er ist an die jährliche Lohnent-
wicklung und damit an die wirtschaftlichen Gegebenhei-
ten unseres Landes angepasst . Der Rentenwert ist nichts
anderes als Ausdruck dessen, wo wir momentan stehen,
und ich bin davon überzeugt – das ist heute schon in vie-
len Reden der Kollegen deutlich geworden –: Wir stehen
nicht schlecht da . Im Gegenteil: Wir stehen gut da .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben seit der Wiedervereinigung bei der Anglei-
chung der Renten große Fortschritte erzielt . Seit der Wie-
dervereinigung stiegen die Renten in den neuen Bundes-
ländern um deutlich mehr als 100 Prozent . In den alten
Bundesländern hingegen betrug der Anstieg nur 25 Pro-
zent . Der Rentenwert Ost beträgt heute mehr als 92 Pro-
zent, und er steigt jährlich. Wir können uns trefflich dar-
über streiten, ob das Glas halb voll oder halb leer ist . Ich
glaube, es ist ersichtlich, dass wir ein großes Stück vor-
angekommen sind, und absehbar, dass wir jährlich weiter
vorankommen . Das sage ich auch den Bürgerinnen und
Bürgern in meinem Wahlkreis immer wieder, und das ist
sehr einleuchtend .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal die Union!)


Ich kann auch keine spezifische Altersarmut Ost er-
kennen, von der Sie immer wieder sprechen, Kollegen
der Linken . Nur 2,1 Prozent der Menschen in den neu-
en Bundesländern beziehen Grundsicherung im Alter . In
den alten Bundesländern sind es 3,2 Prozent . Auch im
Osten gehen die Menschen heute früher in Rente, trotz
Abschlägen . Das ist sehr interessant; denn das belegt,
dass sich kontinuierliche Erwerbsbiografien lohnen. Das
zeigt sich gerade bei den Frauen: Die durchschnittliche
Rente von Frauen im Osten ist um 44 Prozent höher als
die von Frauen in den alten Bundesländern . Wir reden
jedes Jahr im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day
auch über den sogenannten Gender Pay Gap, den Ein-
kommensunterschied bei Frauen und Männern, der unter
anderem erwerbs- oder berufsbedingt ist . Für den Gender
Pension Gap gilt: Auch er ist bei den Rentnerinnen und
Rentnern im Osten deutlich geringer als bei den Rentner-
innen und Rentnern in den alten Bundesländern .

Diese Fakten zeigen, dass die Linke mit ihren Anträ-
gen stets versucht, den Osten gegen den Westen auszu-
spielen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Definitiv nicht! Im Gegenteil!)


und das auch noch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung .
Noch einmal: Niemand behauptet, dass das Rentenrecht
im Zuge der Wiedervereinigung alle individuellen An-
sprüche berücksichtigte . Den Müttern und Vätern der
deutschen Einheit, denke ich, ist es aber hervorragend






(A) (C)



(B) (D)


gelungen, ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen und
die soziale Einheit in Deutschland herzustellen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt kein einheitliches Rentenrecht! Es gibt zwei Rentenrechte!)


Ich bin der Meinung, dass neben der erneuerten Infra-
struktur und den restaurierten Städten, die wir täglich in
unseren Wahlkreisen sehen, die Einheit Deutschlands
gerade am Rentenrecht ablesbar ist . Diese Einheit zielte
von Beginn an darauf ab, Lebensleistung anzuerkennen .
Dass wir nach 25 Jahren nach wie vor den Hochwer-
tungsfaktor verwenden, ist nichts anderes als die Aner-
kennung von Lebensleistung .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Den wollen Sie ja abschaffen!)


Natürlich haben wir uns mit unserem Koalitionspart-
ner – die Kollegen haben mich schon darauf angespro-
chen – auf einen Fahrplan zur vollständigen Angleichung
des Rentenwerts verständigt; das ist richtig . Wir werden
2016 den Angleichungsprozess gemeinsam prüfen und
schauen, ob eine Angleichung mit Wirkung ab 2017 not-
wendig ist .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812806400

Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812806500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Frau Schimke, das Geeier vonseiten der Union, das man
nach 25 Jahren deutsche Einheit noch immer und immer
wieder hört, wenn es um einen einheitlichen Rentenwert
in Ost und West geht, ist wirklich nur noch schwer zu
ertragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


„Das wird geprüft“ oder „Dann werden wir mal sehen“,
das alles sind wachsweiche Formulierungen . In der Zei-
tung kann ich derweil lesen, dass der Ministerpräsident
von Mecklenburg-Vorpommern, Herr Sellering, auf
Eckhardt Rehberg, der ebenfalls aus Mecklenburg-Vor-
pommern stammt, losgeht und dass sich die beiden strei-
ten . Bei dieser Gelegenheit ist eines klar festzustellen –
das wird gerne vergessen –: Die einzige Fraktion hier im
Deutschen Bundestag, die eine sofortige Angleichung
der Rentenwerte Ost und West will und konsequent bei
neuen Ansprüchen auf die Höherwertung verzichten will,
die einzige Fraktion, die eine Angleichung und damit den
Vollzug der deutschen Einheit im Rentenrecht will, ist
Bündnis 90/Die Grünen und niemand sonst, noch nicht
einmal die Linke . Das darf man nicht vergessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind in den letzten 25 Jahren viel differenzierter
geworden . Es gibt auch zwischen Nord und Süd, zwi-

schen Schleswig-Holstein und Bayern große Lohnunter-
schiede . Regionale Ausgleichsmechanismen könnte man
beispielsweise auch innerhalb Brandenburgs begründen .
Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn man sich
die Unterschiede bei Lohn und Tarifbindung zwischen
Potsdam und Templin oder anderen Städten in der Ucker-
mark vor Augen führt . Wir sehen, dass wir im Bereich
der Tariflöhne – erst kürzlich war dies im Tarifarchiv
der Hans-Böckler-Stiftung zu lesen – bei der Ost-West-
Angleichung gut vorangekommen sind . Der Lohn- und
der Rentenunterschied zwischen Ost und West besteht,
weil im Osten Deutschlands die Tarifbindung so gering
ist . Das ist der Kern des Problems . Das Rentenrecht kann
an dieser Stelle nicht alle Probleme lösen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Bartsch, wenn sich der Antrag Ihrer Fraktion
nur auf die beiden Gruppen beschränkte, die Sie bei-
spielhaft als Härtefälle angeführt haben, würden wir ihm
zustimmen; denn die aus der DDR Geflüchteten hatten
bestimmte Zusagen, quasi Rechtsgarantien bekommen,
die ihnen nachträglich aberkannt wurden . Das ist der ent-
scheidende Punkt, Frau Schimke . Es geht nicht darum,
jede individuelle Ungerechtigkeit mit dem Rentenrecht
zu nivellieren; das geht selbstverständlich nicht . Aber
in diesen Fällen ist Personen etwas zuerkannt worden .
Diese haben sich auf eine bestimmte Lebensplanung ver-
lassen


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!)


und haben bereits Jahre vor dem Mauerfall beispielswei-
se in Köln und Dortmund gearbeitet . Es ist absolut nach-
vollziehbar, dass an dieser Stelle etwas geschehen muss .
Herr Bartsch, wenn Sie sich beispielsweise auf diesen
Punkt konzentriert hätten, würden wir dem Antrag Ihrer
Fraktion zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt auch für die in der DDR geschiedenen Frauen .
Wir weisen schon seit vielen Jahren auf die besondere
Härte in diesen Fällen hin . Wir sind der Meinung, dass
dort Regelungsbedarf besteht . Die in der DDR Geschie-
denen kämpfen seit Jahren um ihr Recht . Wir schätzen
ihre Zahl auf Hundertausende . Viele von ihnen leben lei-
der in bitterer Armut .

Dann gibt es noch zwei Berufsgruppen, die nach mei-
ner Auffassung Besonderheiten aufweisen, darunter die
in der Braunkohle Beschäftigten . Dabei handelt es sich,
wie Sie zu Recht gesagt haben, um eine sehr geringe An-
zahl .

Aber Sie beschränken sich nicht auf die Gruppen,
bei denen dies nachvollziehbar und begründbar ist, son-
dern, Herr Bartsch, Sie nehmen auch noch andere Grup-
pen dazu, die bestimmte Sonderansprüche in der DDR
hatten, die aber keine Entsprechung im westdeutschen
Rentenrecht, im SGB VI, haben . Ich nenne auch einmal
Beispiele, die zeigen, wo man das nicht nachvollziehen
kann . Das ist etwa bei den Spitzensportlerinnen und Spit-
zensportlern der Fall, die Sonderrentenansprüche gehabt
haben . Man würde wiederum Privilegierungen einfüh-
ren, und das ist in der Tat nicht sachgerecht . Deswegen

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag
an dieser Stelle enthalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Mutige Enthaltung!)


– Nein, nein .

Was die aus der DDR Geflüchteten anbelangt, muss
man auch noch einmal eines sagen . In der letzten Legis-
laturperiode haben Linke, SPD und Grüne gemeinsam
ihren politischen Willen bekundet, an dieser Stelle etwas
zu machen . Jetzt hat es im Petitionsausschuss eine Pe-
tition gegeben . Und was stellen wir fest? Die SPD hat
ihre Position um 180 Grad geändert, lässt diese Petition
abschließen und lässt Grüne und Linke in ihrem Einsatz
für die aus der DDR Geflüchteten im Regen stehen. Ich
finde es unmöglich, wirklich, dass Sie an dieser Stelle Ihr
Fähnlein so sehr nach dem Wind hängen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir werden – das ist im Moment das parlamentarische
Verfahren – das im Petitionsausschuss natürlich noch
einmal aufrufen . Sie können sicher sein: Früher oder
später werden wir parlamentarische Initiativen zu diesem
Punkt starten – vielleicht kann man das, beschränkt auf
diesen Punkt, Herr Bartsch, auch einmal gemeinsam in
diesem Parlament machen –,


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gern!)


und dann werden Sie Farbe bekennen müssen in der Fra-
ge, ob Sie den aus der DDR Geflüchteten diese vernünf-
tige und ihnen zustehende Rente zugestehen . Das werden
Sie dann entscheiden und hier bekennen müssen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen wir zusammen! Können wir gerne zusammen machen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812806600

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1812806700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin seit
1998 Mitglied dieses Hauses, und ich kann nicht mehr
zählen, wie viele Gespräche ich zu den Ostrenten ge-
führt habe: mit Menschen, die zu mir ins Büro gekom-
men sind, auf Veranstaltungen, auch mit Menschen, die
sich zusammengetan haben, um ihre Situation deutlich
zu machen . Ich muss sagen: Vieles, was diese Menschen
mir erzählt haben, hat mich persönlich sehr berührt . Ich
habe mich damals auch aufgerufen gefühlt, zu Lösungs-
ansätzen beizutragen . Da will ich auch die Landesgruppe
Ost ansprechen, die wir von der SPD haben . Wir haben
in unzähligen Diskussionen das Thema rauf und runter

behandelt . Wir haben uns mit Berufsgruppen getroffen .
Wir haben Vorschläge erarbeitet, und die meisten, meine
Damen und Herren, muss ich sagen, haben wir wieder
verworfen . Die Frage ist: Warum?

Erstens müssen wir heute – wie damals – zur Kenntnis
nehmen, dass zum 1 . Januar 1992 das Rentenrecht der
DDR in das Sechste Buch Sozialgesetzbuch übernom-
men wurde . Was man auch wissen muss: Die Sondersys-
teme sind gerade nicht in die Sondersysteme der Bundes-
republik eingeordnet worden .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


Dazu kommt: 1999 hat das Bundesverfassungsgericht
abschließend darüber befunden .

Zweitens haben wir festgestellt: Selbst wenn wir die
Rentensystematik außer Kraft setzen würden, würden
wir bei den vielen Sonderfällen, die heute auch schon
zur Debatte standen, nur wieder neue Ungerechtigkei-
ten schaffen . Wir hätten kein Recht besser gemacht . Ich
weiß, nach 25 Jahren ist das keine frohe Botschaft . Aber,
meine Damen und Herren, es ist eine ehrliche Botschaft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schon die PDS hat in jeder Wahlperiode


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Anträge mit bis zu 18 Berufsgruppen eingebracht, für die
sie Korrekturen bei der Rentenüberleitung gefordert hat .
Die Linke hat dies fortgesetzt . Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Linken, ich sage das jetzt wirklich mit
ganz großer Ernsthaftigkeit: Mit Ihren immer wiederkeh-
renden Anträgen machen Sie doch den Menschen falsche
Hoffnungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie machen ihnen Hoffnungen, wohl wissend, dass sie
nicht erfüllt werden können .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, weil Sie es ablehnen!)


– Nein . – Sie senden lieber frohe Botschaften als ehrli-
che .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich weiß, dass viele Men-
schen im Osten der Republik diese heutige Debatte ver-
folgen. Ich finde, auch wenn es keine gute Botschaft ist:
Alle haben diese Ehrlichkeit verdient .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU])


Zu dieser Ehrlichkeit gehört, dass nicht alles, was die
Linken als ungerecht beschreiben, wirklich ungerecht ist .


(Beifall bei der Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Sie beklagen zum Beispiel, die Anrechnung der Mütter-
rente – das haben wir eben gehabt – auf den Übergangs-
zuschlag sei ungerecht . Der Übergangszuschlag ist ein
Zuschlag zum Bestandsschutz, auf den die Rentensteige-
rungen die ganze Zeit angerechnet werden . Da ist es in
der Rentensystematik doch logisch, dass auch die Erhö-
hung der Mütterrente darauf angerechnet wird. Ich finde
das nicht schön, aber das gehört zur Rentensystematik
dazu .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU])


Wir haben das im Bundestag nicht extra beschlossen,
sondern das ist die Rentensystematik . Das ist Renten-
recht in der Bundesrepublik Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört
auch, dass ich als Mitglied der SPD Verständnis für die
Menschen habe, die gerne besser behandelt werden wol-
len .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gleich behandelt werden wollen, nur gleich, nicht besser!)


Das Gefühl, dass einem keine Gerechtigkeit widerfährt,
das kenne ich sehr gut, und das kann ich auch nachvoll-
ziehen . Aber wir müssen doch feststellen, dass die Mes-
sen 1992 gesungen wurden . Da ist Schluss . Alles andere,
was wir jetzt tun würden, würde zu neuer Ungerechtig-
keit führen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU] – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Dann können wir Politik einstellen!)


Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass die Änderungen im
Rentenrecht Auswirkungen auf zukünftige Renten haben
können . Das gilt für Positives wie die Mütterrente . Das
gilt aber auch für Negatives, zum Beispiel die Anrech-
nung der Ausbildungszeiten . Das gilt im Osten, und das
gilt im Westen . Hier wieder Ausnahmen zuzulassen, hie-
ße, Rentenrecht nach Gutdünken zu machen . Das wollen
wir nicht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl,
dass es bei der Rentenüberleitung Ungerechtigkeiten ge-
geben hat; das steht zweifellos fest . Aber sie sind nicht im
Rentenrecht zu lösen . Wir brauchen deshalb eine andere
Lösung . Wir als SPD haben im letzten Wahlprogramm
den Vorschlag gemacht, die Probleme in einem Renten-
überleitungsabschlussgesetz endgültig und abschließend
zu klären und die Probleme zu beseitigen . Wir haben ge-
sagt: Wir wollen einen steuerfinanzierten Härtefallfonds
einrichten, um damit einzelne Problemfälle besserzustel-
len .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Mindestrente!)


Zu diesem Vorschlag stehe ich und steht die SPD noch
immer .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, noch in
dieser Legislaturperiode dieses Rentenüberleitungsab-
schlussgesetz vorzulegen . Darin heißt es: 2019 soll es
einheitliche Rentenwerte geben . – Auch daran halte ich
fest .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812806800

Frau Kollegin .


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1812806900

25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist für das Ge-

fühl von niedrigerer Wertschätzung der eigenen Lebens-
leistung einfach kein Platz mehr . Wir setzen uns für klare
Lösungen ein: gleicher Rentenwert, Härtefallfonds, kei-
ne neuen Ungerechtigkeiten . Das ist für viele, wie ich am
Anfang sagte, nicht die frohe Botschaft, aber die ehrliche
Botschaft .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812807000

Die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1812807100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie
schreiben in Ihrem Antrag von einer spezifischen Alters‑
armut Ost . Sie schreiben weiter, dass eine armutsfeste
und den Lebensstandard sichernde Rente für viele Men-
schen in Ostdeutschland nicht möglich sei . Der Zeitpunkt
Ihres Antrages ist natürlich nicht zufällig gewählt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau!)


Zum 25 . Jahrestag der deutschen Einheit wollen Sie nun
endlich Rentengerechtigkeit zwischen Ost und West her-
stellen .

Liebe Kollegen der Linksfraktion, ich bin der Mei-
nung, dass Sie Ihr Gerechtigkeitsempfinden nachjustie-
ren müssen . Die Rentner im Osten sind im Endeffekt und
im Gesamten eben nicht so benachteiligt, wie Sie das be-
harrlich darstellen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Doch, wenn man Äpfel mit Äpfeln vergleicht, ist das so!)


Nehmen wir die Durchschnittsrenten von ost- und west-
deutschen Frauen und Männern: Die durchschnittliche
Altersrente für Ostrentner ist deutlich höher als die der
Westrentner . Zusätzlich haben Versicherte in den neuen
Ländern bei gleichem Entgelt und gleicher Beitragszah-
lung aktuell um 6 Prozent höhere Rentenansprüche als
Versicherte in den alten Ländern . Es ist richtig, dass die

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)







(A) (C)



(B) (D)


gesetzliche Rente für Ostrentner oft die einzige Bezugs-
quelle ist, während viele Westrentner zusätzlich Betriebs-
renten und Lebensversicherungen haben . Das ändert aber
nichts daran, dass es das von Ihnen beschworene Prob-
lem der spezifischen Altersarmut Ost so nicht gibt.


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich aber ändern!)


Nehmen wir noch einmal den Wert, den Sie so gerne
nutzen, wenn Sie Deutschland wieder einmal in Armut
versinken sehen: die Armutsgefährdungsquote . Diese Ar-
mutsgefährdungsquote liegt für die über 65-Jährigen in
den neuen Bundesländern deutlich niedriger als in den
alten Bundesländern . Schauen Sie sich den Anteil der
Menschen an, die auf Grundsicherung im Alter angewie-
sen sind: Ostdeutsche Rentner, und zwar Frauen ebenso
wie Männer, sind dort deutlich seltener auf die Grundsi-
cherung angewiesen als westdeutsche Rentner .

Insgesamt bewegen sich alle Zahlen auf niedrigem
Niveau . Wir haben kein generelles Problem der Altersar-
mut in Deutschland . Der Anteil der Rentner, die Grund-
sicherung brauchen, liegt unter 3 Prozent . So bitter es ist:
Das größte Armutsrisiko in Deutschland ist eben nicht
das Alter . Das größte Armutsrisiko in Deutschland haben
Menschen ohne ordentliche Schulbildung, ohne Berufs-
ausbildung und Alleinerziehende . Junge sind in unserem
Land stärker von Armut betroffen als Alte .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen sollten uns die Alten nicht egal sein!)


Vor allem aber haben wir kein spezifisch ostdeutsches
Problem der Altersarmut . Das wird auch nicht wahrer,
wenn Sie das immer wiederholen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich aber ändern! Gucken Sie mal ein bisschen in die Zukunft und nicht in die Gegenwart! Politik muss vorausschauend sein!)


Damals, bei der Wiedervereinigung – es wurde er-
wähnt –, wurde ein allgemein akzeptiertes Verfahren
der Rentenberechnung gefunden . Es berücksichtigt un-
terschiedliche Erwerbsbiografien und Lohnunterschiede.
Dass dieses Verfahren im Einzelfall als ungerecht emp-
funden wird und auch im Einzelfall ungerecht ist, ist
richtig . Es stimmt aber nicht, dass sich nur Ostrentner
ungerecht behandelt fühlen könnten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das hat auch niemand behauptet!)


Ich kann Ihnen sagen: Es gibt auch westdeutsche Frauen
und Männer, die sich durch das Renten-Überleitungsge-
setz diskriminiert und benachteiligt fühlen . Die Planwirt-
schaft der SED-Diktatur wirkte sich ja im Nachhinein
positiv für die Bürger in den neuen Ländern aus . Es gab
in der sozialistischen Planwirtschaft eine vermeintli-
che, eigentlich eine künstliche Vollbeschäftigung, somit

durchgängige Erwerbsbiografien und damit vor allem
längere Versicherungszeiten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Den Satz schreiben wir auf Plakate und schicken ihn rum!)


Davon profitieren die Ostrentner heute.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ganz speziell betrifft das die Frauen im Osten . Sie
bekommen heute deutlich mehr Rente als westdeutsche
Rentnerinnen,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Länger gearbeitet!)


im Schnitt 50 Prozent mehr . Es ist eben mitnichten so,
dass nur die Frauen im Osten gearbeitet hätten . Frauen
im Westen haben natürlich ganz genauso viel geleistet:
Sie haben Kinder erzogen, die Familie organisiert und
sich vielfach ehrenamtlich engagiert . Weniger wert ist
auch das nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Unruhe)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812807200

Kollegin Freudenstein, ich habe die Uhr angehalten

und würde gern für Gerechtigkeit sorgen, dass wir hier
auch den letzten beiden Rednern in dieser Debatte fol-
gen können . Ich bitte also darum, unbedingt notwendige
Gespräche vor den Plenarsaal zu verlagern . Wir haben
uns im Präsidium hier vorne davon überzeugt, dass für
jeden Kollegen und für jede Kollegin, die an dieser De-
batte teilnehmen, eine Sitzgelegenheit im Saal vorhan-
den ist . Wir brauchen also auch keine Warte- und Dis-
kussionsgruppen hier in den Gängen zu bilden . Ich bitte
jetzt wirklich darum, die Gespräche einzustellen und der
Debatte – in diesem Fall der Kollegin Freudenstein – zu
folgen .


Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1812807300

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Die westdeutschen

Frauen stehen heute rentenrechtlich deutlich schlechter
da als die Frauen im Osten . Von daher hätten vermutlich
die westdeutschen Rentnerinnen am ehesten Grund, sich
jetzt zu beschweren .

Meine Kolleginnen und Kollegen, die Überführung
der Renten gehörte und gehört zur Wiedervereinigung
dazu . Es ist im Großen und Ganzen ein gutes Verfahren,
das in der Gesamtheit eben nicht ungerecht ist .

Es bringt uns auch nicht weiter, wenn Sie von der
Linksfraktion sich hier immer wieder als Anwalt der ar-
men Rentner im Osten verkaufen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind leider die Einzigen! Sie machen es ja nicht!)


und es ist schon gar nicht in Ordnung, wenn Sie das zum
25 . Jahrestag der deutschen Einheit tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Ich meine, wir sollten in diesen Tagen das gemeinsam
Erreichte feiern und nicht so tun, als lägen immer noch
Welten zwischen Ost und West .

Wenn Sie, Herr Kollege Bartsch, vorhin empfohlen
haben, mit Hellblau – also mit Ja – zu stimmen, dann
stimme ich Ihnen in diesem Falle zu: Auch die Große Ko-
alition empfiehlt heute, mit Hellblau abzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Sie machen doch sonst immer das Gegenteil von dem, was gesagt wird!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812807400

Das Wort hat der Kollege Dr . Martin Rosemann für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1812807500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Was mich am meisten an die-
ser Debatte ärgert, ist die Unehrlichkeit, mit der Sie hier
auftreten; denn Sie haben mit keinem Satz erwähnt, dass
der Höherwertungsfaktor für die Einkommen in Ost-
deutschland deutlich höher ausfällt als die Differenz zwi-
schen den Rentenentgeltpunkten Ost und den Rentenent-
geltpunkten West . Das haben Sie nämlich verschwiegen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Was Sie wollen, ist ja: Sie wollen den gleichen Ren-
tenwert plus den Höherwertungsfaktor . Das müssen Sie
einmal den Menschen beispielsweise in Schleswig-Hol-
stein erklären, die 20 Prozent und mehr weniger verdie-
nen als die Menschen bei mir in Baden-Württemberg,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie wissen, dass das falsch ist!)


Ich will mich aber auf Punkt 4 Ihres Antrages kon-
zentrieren . Das ist das Thema „DDR-Übersiedler und
Rentenüberleitung“, also das Thema, das wahrscheinlich
das größte politische Interesse, das größte öffentliche
Interesse erfährt . Ich selber wurde mit diesem Thema
konfrontiert, weil ich einen Herrn kennengelernt habe,
der 1984 aus der DDR übergesiedelt ist . Nennen wir ihn
Herrn Meyer . Er stellte nun bei Renteneintritt fest, dass
die Rente nicht so hoch ausgefallen ist, wie er sich das
immer dachte . Der Grund dafür ist, dass für diejenigen,
die vor 1989, als es die DDR noch gab, in die Bundes-
republik übergesiedelt sind, das Fremdrentengesetz galt .
Das heißt, da DDR-Beschäftigungszeiten nicht direkt er-
fasst werden konnten, wurden ihnen fiktive Tabellenent-
gelte zugeordnet, die dem durchschnittlichen Verdienst
einer vergleichbaren Tätigkeit in der Bundesrepublik
entsprachen .

Es ist schon gesagt worden: Mit der Wiedervereini-
gung wurde dann ein einheitliches Rentenrecht geschaf-

fen, das SGB VI . Damit wurden für alle Bürgerinnen und
Bürger, alt wie neu, Ost wie West, für die Rentenberech-
nung auch die tatsächlichen Einkommen herangezogen .
Diese Regelung – das ist sicher richtig – war für Herrn
Meyer mit finanziellen Einbußen verbunden. Meine erste
Reaktion war auch: Das ist eine Ungerechtigkeit . Hier
müssen wir etwas tun . – Ich weiß, dass es quer durch alle
Fraktionen vielen Kolleginnen und Kollegen in diesem
Haus so gegangen ist . Ich habe mich dann – wie viele
von Ihnen auch – sehr intensiv damit beschäftigt . Mein
Fazit vorneweg: Es gibt keine gerechte Lösung für dieses
Problem, zumindest keine, ohne neue Ungerechtigkeiten
zu schaffen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das erste Problem ist die Abgrenzung der Gruppe, die
da überhaupt erfasst werden soll . Ein erster Anhaltspunkt
könnte ja sein, diejenigen davon profitieren zu lassen,
die einen sogenannten Feststellungsbescheid bekommen
haben . Aber eben nicht alle, die vor dem Mauerfall in
den Westen gegangen sind, gerade in den Wendemonaten
kurz vor dem Mauerfall, haben einen Feststellungsbe-
scheid bekommen .

Deswegen wäre die Alternative vielleicht ein Stichtag .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war der Vorschlag der SPD in der letzten Legislaturperiode!)


Aber, meine Damen und Herren, welches wäre denn der
richtige Stichtag, der Tag des Mauerfalls am 9 . November
1989 oder der Tag des Staatsvertrags am 18 . Mai 1990?
Gerechter wäre wahrscheinlich das Erste . Aber bisher hat
man immer den zweiten verwendet . Alle Stichtage haben
auch noch ein Problem; denn es gibt Leute, die gar nicht
nachweisen können, an welchem Tag sie eigentlich über-
gesiedelt sind .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Haarspalterei!)


Noch schwerer wiegt aber, dass es neue Ungerech-
tigkeiten gegenüber anderen Personengruppen geben
würde: gegenüber den SED-Verfolgten mit einem ver-
gleichbaren Versicherungsverlauf, vor allem dann, wenn
diese weder in ein Zusatz- oder Sonderversorgungssys-
tem noch in die freiwillige Zusatzrentenversicherung der
DDR eingezahlt haben . Sie wären auch deutlich besser-
gestellt als in der DDR Gebliebene, beispielsweise Leu-
te, die auch flüchten wollten, denen die Flucht aber nicht
geglückt ist oder denen die Ausreise nicht genehmigt
wurde . Schließlich wären sie auch gegenüber der großen
Gruppe der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjet-
union bessergestellt . Für die gilt nämlich weiterhin das
Fremdrentenrecht, allerdings bekommen sie nur noch
60 Prozent von den ursprünglichen Tabellenentgelten .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehört die Sowjetunion zu Deutschland, oder ist das nicht der Fall? Das ist doch ein ganz anderer Fall! Es ist eine unerhörte Geschichte, dass sich DDR-Flüchtlinge durch die Einheit verschlechtert haben!)


Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Seit Anfang der 90er-Jahre ist es nämlich auch im Fremd-
rentenrecht zu Verschlechterungen gekommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eines kommt noch hinzu: Im Fremdrentenrecht wur-
den Frauen gegenüber Männern systematisch benachtei-
ligt, weil Frauen im Westen auch in den gleichen Berufen
im Durchschnitt weniger verdient haben als Frauen im
Osten . Würde man zum Fremdrentenrecht zurückkehren,
dann wäre das eine Diskriminierung von Frauen, die vor
dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich keinen
Bestand haben könnte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt sogar Frauen, die sich durch den Vorschlag
systematisch schlechterstellen würden . Herr Birkwald,
Sie würden dann bestimmt gleich „Günstigerprüfung“
rufen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)


Ich will Ihnen sagen: Wenn wir im Rentenrecht an einer
Stelle mit der Günstigerprüfung anfangen, dann müssen
wir für jeden Fall, für jede Personengruppe und für jede
Rechtsänderung zukünftig Günstigerprüfungen einfüh-
ren . Das Ergebnis wäre, wir könnten das Rentenrecht
überhaupt nicht mehr ändern .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig normal! Die gibt es ständig!)


Ich komme zum Schluss . Es gilt nun einmal der
Grundsatz, dass immer das Rentenrecht gilt, das in dem
Moment im Gesetzblatt steht, in dem man in Rente geht .
Das müssen wir all denjenigen, die davon betroffen sind,
der Ehrlichkeit halber auch sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Weil Sie – auch die Kollegen von den Grünen – sa-
gen, Sie wollen dazu wieder einen Antrag vorlegen: Ich
finde, wir sind es den Betroffenen – wie meinem Herrn
Meyer – 25 Jahre nach der deutschen Einheit schuldig,
hier eine endgültige Entscheidung zu treffen,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ja, zu seinen Gunsten!)


auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle hart ist .
Eine ehrliche Entscheidung, wie Kollegin Wolff gesagt
hat, ist besser .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812807600

Kollege .


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1812807700

25 Jahre nach der deutschen Einheit, denke ich, brau-

chen diese Leute eine klare Antwort .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812807800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4972 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Spezifische Altersarmut Ost
durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5290, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/1644 abzulehnen . Wir stimmen
nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der
Fraktion Die Linke namentlich ab . Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen . – Sind alle Schriftführerinnen und Schrift-
führer an ihrem Platz? – Das ist der Fall . Ich eröffne die
Abstimmung über die Beschlussempfehlung .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall .
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .1)

Ich wäre jetzt den Kolleginnen und Kollegen, die an
den weiteren Beratungen nicht teilhaben wollen und kön-
nen, sehr verbunden, wenn sie uns die Möglichkeit schaf-
fen würden, unsere Beratungen fortzusetzen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf .

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die De-
kade für Alphabetisierung in Deutschland
umsetzen

Drucksachen 18/5090, 18/6179

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion; er ist freundli-
cherweise schon am Redepult .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Xaver Jung (CDU):
Rede ID: ID1812807900

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Lesen und schreiben können ist ein
wesentlicher Schlüssel zur Teilhabe am alltäglichen
Leben . Ich freue mich, dass wir Anfang September am

1) Ergebnis Seite 12468 B

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


Weltalphabetisierungstag die Nationale Dekade für Al-
phabetisierung begrüßen durften . Der Bund übernimmt
Verantwortung im Kampf gegen Analphabetismus in un-
serem Land . Damit steht das Thema ganz oben auf der
bildungspolitischen Agenda .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Ja, da kann man klatschen .

Frau Ministerin Wanka hat gemeinsam mit unserer
Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, Brunhild
Kurth, verkündet, dass in den kommenden zehn Jahren
180 Millionen Euro investiert werden, um Menschen zu
helfen, die nicht richtig lesen und schreiben können . Mit
dieser Menge an zusätzlichem Geld kann man ordentlich
was machen . Vielen herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das eigentliche Ziel unseres Antrags wäre damit fast er-
reicht, so könnte man sagen . Ich sage: Es ist ein weiterer,
ein großer Schritt .

Im Jahr 2008 wurden wir durch die Ergebnisse der
„leo . – Level-One“-Studie wachgerüttelt . Seither wissen
wir, dass 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen
Alter zwischen 16 und 65 Jahren in Deutschland nicht
richtig lesen und schreiben können . Es handelt sich um
sogenannte funktionale Analphabeten . Diese Zahl klingt
nicht nur erschreckend, sie ist gerade für ein Hochtech-
nologieland wie Deutschland auch nicht hinnehmbar .

Dennoch sagen mir viele Menschen, mit denen ich
über diese Zahl spreche, dass sie keinen Erwachsenen
kennen, der nicht lesen und schreiben kann . Statistisch
gesehen hat aber jeder – Sie alle – mindestens einen
Nachbarn, auf den das zutrifft . Oft weiß man es nur nicht;
den Betroffenen ist es unangenehm, sich zu bekennen .
Genau darin liegt das eigentliche Problem: Wie kommen
wir mit unseren Angeboten an die Menschen heran?

Mit dieser Debatte wollen wir auf das Problem auf-
merksam machen . Wir wollen Barrieren abbauen, und
wir müssen das soziale Umfeld sensibilisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir wissen, die meisten aller funktionalen Analpha-
beten sind Muttersprachler . Über die Hälfte der Men-
schen sind über 50 Jahre alt . 80 Prozent haben sogar
einen Schulabschluss; wie auch immer sie das geschafft
haben . Als Antwort auf diese Studie hatten wir bereits
2012 gemeinsam mit den Ländern ein Bündnis für Al-
phabetisierung vereinbart . Diese nationale Strategie für
Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener haben
wir vom Bund mit 20 Millionen Euro unterstützt und ge-
meinsam mit zahlreichen Partnern viele Projekte in den
Bundesländern durchgeführt . An dieser Stelle möchte ich
mich für das Engagement der verantwortlichen Partner,
aber auch besonders der vielen ehrenamtlichen Helfer
herzlich bedanken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit den sogenannten Alphabetisierungskursen haben
wir circa 500 000 Lerner erreicht . Das ist eine Menge .

Aber wir können und werden uns damit nicht zufrieden-
geben .

Nach Abschluss dieser nationalen Strategie haben wir
Bilanz gezogen und geschaut, welche Bildungsangebote
gut funktionieren und wo es hilfreiche Multiplikatoren
gibt . Besonders erfolgreich laufen die Maßnahmen am
Arbeitsplatz . Die Betriebe entwickeln immer mehr Inter-
esse an solchen Angeboten .

Darüber hinaus fordern wir in unserem Antrag mehr
Kompetenzen und Möglichkeiten für die Bundesagentur
für Arbeit . Deren Mitarbeiter müssen sensibilisiert an die
Bewerber herangehen . Mit der folgenden Dekade wollen
wir erreichen, dass alle Initiativen, die erfolgreich waren,
verstetigt werden und in die Breite getragen werden . Wir
wollen erreichen, dass es zu den passenden Bildungsan-
geboten auch die nötige Infrastruktur gibt und sich lände-
rübergreifend Synergieeffekte bilden . Aus diesem Grun-
de freue ich mich ganz besonders, dass sich das BMBF
auf unseren Vorschlag hin dazu bereit erklärt hat, eine
Monitoringstelle beim Bundesinstitut für berufliche Bil-
dung einzurichten, welche die Projekte in den nächsten
zehn Jahren begleiten wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir geben nicht nur Geld und lassen die Initiativen
allein, sondern wir bieten Unterstützung vor Ort . Wir
übernehmen Verantwortung und Koordination .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jetzt lang genug gepennt!)


Wir setzen hiermit ein klares Zeichen . Im Rahmen der
Bildungsberichterstattung wird das Parlament regelmä-
ßig über die Entwicklung auf dem Laufenden gehalten .
Für die Betroffenen, aber auch für deren engste Vertrau-
te, also das wissende Umfeld, bedarf es kurzer Wege .
Wir appellieren an die Länder, die Zahl der regionalen
Grundbildungszentren und Koordinierungsstellen zu er-
höhen . Nur so wird der Austausch zwischen Verbänden
und Lernern schnell und unkompliziert stattfinden. Digi-
tale Angebote zur Fort- und Weiterbildung sind gefragt
und werden künftig für die Betroffenen zur Verfügung
stehen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Defizite gibt es nicht nur bei der Lesekompetenz.
Selbstlernplattformen bieten einen guten niederschwelli-
gen Zugang zu den wichtigsten Grundkompetenzen wie
Lesen, Schreiben und Mathematik sowie zu demokrati-
scher Grundbildung. Auch im Bereich der beruflichen
Bildung werden Konzepte der Grundbildung weiterent-
wickelt und umgesetzt . Selbstverständlich sollen diese
Angebote auch Menschen zur Verfügung stehen, die
derzeit zu uns kommen, und ihnen Berührungspunkte
mit der deutschen Sprache, der Verfassung und unserer
Kultur ermöglichen . Die genauen Inhalte und Orte der
Kurse, die im Rahmen der Dekade für Alphabetisierung
stattfinden, nehmen die gesamte Familie in den Blick und
suchen Alltagsbezug . So unterstützt das Projekt ABCami
gezielt Frauen am Lernort Moschee, um die Menschen
dort abzuholen, wo sie gerade sind . Ich spreche von
Kochkursen in Mehrgenerationenhäusern . Ich spreche

Xaver Jung






(A) (C)



(B) (D)


von Kursen wie zum Beispiel Computer für Anfänger
oder KettensägePlus, welche die Menschen bei der Ar-
beit abholen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: „KettensägePlus“: Sehr gut!)


Über den Deutschen Volkshochschul-Verband wollen
wir gemeinsam mit den Ländern die Aus- und Fortbil-
dung der Kursleitenden unterstützen und Standards dafür
setzen . Dies gilt genauso für standardisierte Lehrpläne
und optimierte Lehrmaterialien . Dann werden wir auch
messbare Erfolge verzeichnen .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut!)


Um ständige Wechsel beim Lehrpersonal zu vermei-
den, fordern wir die Länder auf, die Kursleitenden ange-
messen zu honorieren und ihnen eine sichere Perspektive
zu geben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer schön an die Länder verweisen! – Gegenruf der Abg . Marianne Schieder [SPD]: Die sind aber zuständig, wie Sie wissen! – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Leider!)


Ebenso appellieren wir an die Länder, dafür zu sorgen,
dass kein Kind und kein Jugendlicher von der Schule
geht, ohne richtig lesen und schreiben zu können . Ich
hoffe darauf, Herr Mutlu, dass sich die Länder nicht wie-
der in dem Maße aus der Finanzierung zurückziehen, in
dem sich der Bund beteiligt .

Die Dekade wird von weiterer Forschung zu sozialen
und schulischen Ursachen von Analphabetismus beglei-
tet . Wir wissen zwar, dass viel Vorlesen kleinen Kindern
beim Zugang zu Büchern und zum Erlernen des Lesens im
Allgemeinen hilft . Allerdings brauchen wir mehr Kennt-
nis: Wieso gibt es Menschen, die einen Schulabschluss

schaffen und nicht richtig lesen und schreiben können?
Und wieso kann es immer noch Kinder und Jugendliche
geben, denen niemand hilft, obwohl man feststellt, dass
sie Schwierigkeiten oder Probleme haben? Wir müssen
herausfinden: Welche Rolle kommt dabei Eltern, Erzie-
hern, Lehrern und Sozialarbeitern zu?

Meine Damen und Herren, dieser Antrag richtet sich
an alle in unserem Land; es ist eine gemeinsame Aufga-
be . Ich freue mich darüber, dass die Opposition angekün-
digt hat, nicht dagegen zu stimmen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hast du gut gemacht!)


Es wäre schön, wenn Sie zustimmten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bedanke mich bei meiner Kollegin Frau Schieder
für die wunderbare Zusammenarbeit .

Ich darf darauf hinweisen, dass der Antrag auch in
leichter Sprache vorliegt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


2018 wird es wieder eine „Level-One“-Studie geben .
Dann werden wir sehen, was wir erreicht haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812808000

Vielen Dank . – Bevor ich die nächste Rednerin aufru-

fe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 501 .
Mit Ja haben gestimmt 403, mit Nein haben gestimmt 45,
und 53 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten .
Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Arbeit und Soziales angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 501;
davon

ja: 402
nein: 46
enthalten: 53

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning

Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann

Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein

Dr . Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler

Xaver Jung






(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum

(Dort mund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne

Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Gerd Müller
Dr . Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel

Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)


(Wies baden)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich

Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen

Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Sabine Poschmann
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho‑Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke

Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Als nächste Rednerin hat jetzt Frau Dr . Rosemarie
Hein, Fraktion Die Linke, das Wort . Bitte schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812808100

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ja, in Deutschland können 7,5 Millionen
Menschen im erwerbsfähigen Alter nicht richtig lesen
und schreiben . Man kann die Zahl gar nicht oft genug
wiederholen, allerdings nicht, um sich daran einfach nur
in irgendeiner Art und Weise abzuarbeiten . Vielmehr
müssen wir etwas tun, müssen Strategien entwickeln und
überlegen, wie wir diesen Menschen helfen können, ihre
Fähigkeiten zu erweitern und Grundbildung zu erwerben .
Wir müssen endlich entsprechend handeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass
die Fragen der Grundbildung ganz dringend angegangen
werden müssen; denn wer nicht richtig lesen und schrei-
ben oder nicht richtig rechnen kann, ist in der Gesell-
schaft doppelt und dreifach benachteiligt . Allerdings hilft
es wenig, die Nationale Strategie für Alphabetisierung
und Grundbildung Erwachsener, die 2011 von Bund und
Ländern ausgerufen wurde, nun als Dekade für Alpha-
betisierung fortzusetzen, wenn damit im Wesentlichen
keine neuen Maßnahmen und Ziele verbunden sind und
es – was auch wichtig ist – zunächst einmal nur um Ver-
stetigung der Mittel geht .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist denn dagegen einzuwenden?)


Die Maßnahmen gibt es schon . Die Mittel zu verstetigen,
ist gut .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Mehr als Verstetigen geht nicht!)


Aber wir müssen uns auch etwas Neues einfallen lassen;
denn obwohl es viele gute Konzepte und Ideen gibt, gibt
es bisher noch keinen messbaren Fortschritt . Das Prob-
lem scheint nicht kleiner geworden zu sein .

Eine gute Idee war zum Beispiel die multimediale
Wanderausstellung . Sie war zum Kampagnenstart im
Magdeburger Rathaus zu sehen . Die Frage ist nur: Wen
erreichen solche Ausstellungen? Im Magdeburger Rat-
haus trafen sich diejenigen, die man von der Notwendig-
keit der Alphabetisierung nicht mehr überzeugen musste .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann muss man dorthin gehen, wo die Leute sind!)


– Deshalb muss man dorthin gehen, wo die Leute sind,
nämlich zum Beispiel in die Einkaufstempel .

Es reicht auch nicht aus, wenn wir immer nur an den
Symptomen herumdoktern . Herr Jung hat es vorhin
schon gesagt: Wir denken zu wenig über die Ursachen
fehlender Grundbildung nach . Herr Jung, Sie sind Leh-
rer, ich bin Lehrerin . Wir beide wissen, in welchen Zwän-
gen man als Lehrer vor der Klasse steht und was Lehr-
kräfte unter den heutigen Umständen, in den Situationen,
in denen sie sich heute befinden, noch merken. Wir beide
wissen auch, dass wir – ich bin Deutschlehrerin – zu we-

nig Strategien haben, um damit umzugehen . Das heißt,
wir brauchen die Möglichkeit, Lehrkräfte in die Lage zu
versetzen – zeitlich, didaktisch und fachlich –, Defizite
rechtzeitig zu erkennen und sie wirksam zu beheben .
Diese Möglichkeit gibt es zu wenig .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen uns auch die Frage stellen: Warum ent-
steht Analphabetismus eigentlich nach dem Abschluss
schulischer und beruflicher Bildungsphasen neu? Of-
fensichtlich merken wir nicht, wenn jemand die Schule
verlässt, aber nicht richtig lesen und schreiben kann . Die
Studien, die uns dazu vorliegen, sind sehr aussagekräftig:
Viele haben sich durchgeschummelt . Das ist aber nicht
das Problem . Manche können lesen und schreiben – viel-
leicht nicht auf einem besonders hohen, aber auf einem
akzeptablen Niveau – und machen den Schulabschluss,
aber nach einigen Jahren können sie es nicht mehr . Wa-
rum ist das so? Ich glaube, auch hier bedarf es einer in-
tensiveren Forschung, die es gegenwärtig so noch nicht
gibt . Das haben uns Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, die in diesem Bereich arbeiten, auch bestätigt .

Ich finde, nach den vielen Exzellenzprogrammen wäre
es an der Zeit, ein Forschungsprogramm zu den Ursachen
fehlender Grundbildung aufzulegen und gleichzeitig fun-
dierte Strategien entwickeln zu lassen, die aufzeigen, wie
man dem entgegenwirken kann . So etwas könnten wir,
der Bund, sogar leisten . Also machen wir das doch .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es auch richtig, dass wir Wert darauf legen,
dass die Arbeitsweltorientierung Teil der Alphabetisie-
rungsstrategie wird . Trotzdem lässt mich die Sorge nicht
los, dass die Jobcenter und Arbeitsagenturen die Mög-
lichkeit, Alphabetisierungskurse anzubieten, willfährig
annehmen, weil sie damit ein Problem gelöst kriegen,
und dass man jemanden in einen Alphabetisierungskurs
schickt, bevor überhaupt versucht wird, ihn in Arbeit zu
vermitteln. Ich finde, solche Kurse müssen berufsbeglei-
tend bzw . arbeitsplatzbegleitend angeboten werden . Sie
sollten nicht die Voraussetzung dafür sein, vielleicht ir-
gendwann einmal Arbeit zu bekommen .

Viele Punkte in dem uns vorliegenden Antrag sind
nicht falsch, sie sind aber auch nicht neu . Uns fehlt vor
allem der präventive Ansatz . Weil das so ist und weil
viele Fragen offen bleiben, weil Ziele nicht klar genug
formuliert sind und es lediglich bei einem Appell an die
Länder bleibt, werden wir uns bei diesem Antrag der
Stimme enthalten .

Sie haben es vorhin zitiert:

Alphabetisierung und Grundbildung müssen als ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe aufgefasst werden .

So steht es im Antrag . Nehmen wir das doch als Motto!
Lassen Sie uns die Hemmnisse für eine effektivere Zu-
sammenarbeit von Bund und Ländern endlich aufheben!


(Beifall bei der LINKEN)


Dann könnten wir gemeinsam viel mehr für die Grund-
bildung tun und müssten nicht befürchten, dass sich die
Länder aus ihrer Verantwortung stehlen . Vielleicht kön-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


nen wir dann am Ende der Dekade, wenn nicht sogar
schon 2018, einen messbaren Erfolg verzeichnen .

Ich will Sie noch ganz kurz auf einen Fehler hinwei-
sen . Ich muss nun alle Berichterstatterinnen und Be-
richterstatter kritisch anschauen; denn wir alle haben
uns die erste Seite unseres Berichts nicht richtig angese-
hen . Es betrifft natürlich die erwerbsfähige Bevölkerung
zwischen 18 und 64 Jahren und nicht zwischen 18 und
24 Jahren . So ausbeuterisch sind wir dann doch nicht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812808200

Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin Marianne

Schieder für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1812808300

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer-
mehr“ – ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen die-
se Redewendung kennen . In diesen Worten steckt viel
Wahrheit; denn in der Tat lernen Kinder sehr viel leichter
und sehr viel schneller als Erwachsene . Aber wir wissen
genauso gut – das gilt für uns alle –: Wir brauchen die
Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, und es ist nie zu
spät, etwas Neues dazuzulernen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Xaver Jung [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen brau-
chen aber nicht nur die Motivation, sondern auch die
Möglichkeit, Neues dazuzulernen . Für 7,5 Millionen
funktionale Analphabeten in unserem Land möchten wir
mit der Dekade für Alphabetisierung neue Möglichkeiten
und neue Strategien eröffnen, um Neues dazuzulernen .

Politik muss nach unserer sozialdemokratischen
Grundüberzeugung dafür Sorge tragen, dass allen Men-
schen gesellschaftliche Teilhabe möglich wird . Selbst-
verständlich ist richtig lesen und schreiben können eine
der wichtigsten Fähigkeiten, um gesellschaftliche Teil-
habe realisieren zu können . Deswegen haben wir bereits
im Koalitionsvertrag dafür gekämpft, dass aus der Nati-
onalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung
eine Dekade für Alphabetisierung geworden ist .

Der Antrag von Union und SPD, den wir heute ab-
schließend beraten, beschreibt, wie diese Alphabetisie-
rungsdekade ausgestaltet werden kann . Auch ich darf,
lieber Herr Kollege Jung, mich herzlich bei Ihnen bedan-
ken für die gute Zusammenarbeit . Ich meine, es ist wirk-
lich ein guter Antrag geworden, den wir erarbeitet haben .

Die Kritik daran im Ausschuss war wenig substanziell
und hat wenig Neues gebracht . Deswegen kann ich wirk-
lich nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken und von den Grünen, warum Sie nicht mit-

stimmen können, warum Sie nicht gemeinsam mit uns an
einem Strang ziehen können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es wurde bereits darauf hingewiesen: Die Gesellschaft
für deutsche Sprache hat unseren Antrag in einfache
Sprache übersetzt . Diese neue Version unseres Antrags
soll es den Betroffenen ermöglichen, sich selbst über ihre
Belange zu informieren . Das ist also ein erster Schritt,
um auf die Betroffenen zuzugehen .

Ausgerufen wurde unsere Alphadekade bereits durch
die Frau Ministerin und die Präsidentin der Kultusmi-
nisterkonferenz; jetzt muss es also darum gehen, sie mit
Leben zu füllen . Dabei muss das Rad nicht neu erfunden
werden . Es gibt bereits viele gute und erprobte Ansätze,
etablierte Projekte, die heute schon den Menschen helfen
und die weitergeführt werden können . Genauso müssen
wir aber Pilotprogramme, die sich bewährt haben, in die
Breite tragen, und wir brauchen neue Förderprogramme,
um die Träger der Erwachsenenbildung zu motivieren, in
entsprechende Programme einzusteigen und Neuangebo-
te zu entwickeln .

Auch darauf ist schon hingewiesen worden, aber ich
möchte es wiederholen: Trotz der Vielfalt der erfolgrei-
chen Projekte haben sie eines gemeinsam: Sie sind für
die Betroffenen leicht zu erreichen . Zum Beispiel lässt
sich der Anruf beim Alphatelefon schnell und ohne Ver-
pflichtung realisieren. Es droht keine öffentliche Brand-
markung, weil der Kontakt anonym bleiben kann . Ähn-
liches gilt für Onlineangebote . Man könnte hier viele
weitere Beispiele aus den unterschiedlichen Bereichen
aufzählen .

Wir brauchen, liebe Frau Kollegin Hein, natürlich
auch die Ausstellung im Magdeburger Rathaus; denn wir
müssen schon mehrgleisig fahren . Wir müssen die Be-
troffenen erreichen, und wir müssen aber auch all dieje-
nigen erreichen, die mit den Betroffenen zusammenkom-
men, die als Multiplikatoren in den Volkshochschulen,
in den Betrieben, in den Schulen, in den Verbänden, in
den Vereinen und wo auch immer mit Analphabeten zu-
sammenkommen . Auch sie brauchen wir . Es geht darum,
dass sie sich überlegen: Was können wir denn tun, um die
Menschen anzusprechen?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Unsere Alphadekade soll zuerst den Betroffenen selbst
helfen – das ist ganz klar ; denn durch das Erlernen von
Lesen und Schreiben, durch die Verbesserung des Lesens
und Schreibens wird natürlich ein weiterer Grundstein
gelegt für gesellschaftliche Teilhabe, aber auch für den
weiteren beruflichen Erfolg. Immerhin ist ein Großteil
der Betroffenen – darüber dürfen wir sehr froh sein, mei-
ne ich – berufstätig. Über berufliche Weiterbildung bie-
ten sich neue Chancen, aus einer geringfügigen Beschäf-
tigung in eine bessere berufliche Position zu kommen.

Eins wissen wir doch alle miteinander: Das Angebot
an Arbeitsplätzen für Menschen, die nicht richtig lesen
und schreiben können, wird in diesem Land weniger und
nicht mehr . Deswegen besteht auch ein gesamtgesell-

Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


schaftliches Interesse, die Situation von Analphabetinnen
und Analphabeten zu verbessern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen aber auch all den Menschen helfen – Herr
Kollege Jung hat darauf hingewiesen; das ist dringend
notwendig –, die diese Angebote durchführen, also den
vielen Kursleiterinnen und Kursleitern; denn sie brau-
chen wirklich endlich verlässliche Perspektiven und eine
gerechte Bezahlung .

Wir brauchen aber auch neue Forschungsaufträge;
denn um die richtigen Wege zu finden, brauchen wir
noch mehr wissenschaftlich fundierte Daten . Die „leo . –
Level-One“-Studie war ein guter Anfang; aber sie muss
fortgesetzt und differenziert werden .

Wir müssen heute den Menschen helfen, die betroffen
sind . Aber wir müssen auch in Zukunft dafür Sorge tra-
gen – das möchte ich auch betonen –, dass keine Schü-
lerin und kein Schüler mehr die Schule verlässt, ohne
wirklich rechnen, schreiben und natürlich auch lesen zu
können . Deswegen liegt uns daran, dass dieses Thema
Teil des Bildungsberichtes wird . Denn wenn wir dieses
Problem wirklich erfolgreich in Angriff nehmen wollen,
müssen wir es langfristig im Auge behalten und müssen
kontinuierlich an einer Lösung arbeiten . Nur dann wer-
den wir erfolgreich sein .

Ich muss zu guter Letzt noch einmal auf die Finanzie-
rungsfrage zu sprechen kommen . Frau Ministerin Wanka
hat 180 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre an-
gekündigt . Für 2016 stehen im Haushalt 16,5 Millionen
Euro zur Verfügung . Mal zehn genommen ergeben sich
daraus keine 180 Millionen Euro . Frau Ministerin Wanka
verweist zu Recht darauf, dass es auch einen Bedarf an
Alphabetisierungsangeboten für Flüchtlinge gibt . Die er-
rechneten Zahlen und der Bedarf von 180 Millionen Euro
beziehen sich aber auf Zahlen, die vor dem Einsetzen des
Flüchtlingsstroms erhoben wurden . Es ist richtig, auch
für Flüchtlinge Angebote zu schaffen; aber dafür müssen
weitere Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch ich möchte allen Akteuren danken, die sich
landauf, landab engagieren, um Analphabetismus zu
bekämpfen . Vor allen Dingen möchte ich aber all denen
Danke sagen, die sich trauen und öffentlich bekennen,
dass sie von diesem Problem betroffen sind . Damit tra-
gen sie dazu bei, dass dieses Phänomen aus der Tabuzone
herauskommt und sich letztlich mehr Menschen trauen,
sich ihrem Problem zu stellen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812808400

Frau Kollegin Schieder, jetzt müssen Sie aufhören mit

dem Danken .


Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1812808500

Sofort, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen und lie-

be Kollegen, ich glaube, eine sehr spannende und sehr
lohnende Aufgabe liegt vor uns . Unterstützen Sie alle un-
seren Antrag, um all den Menschen, die besser lesen und
schreiben lernen wollen, die Möglichkeit dazu zu geben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812808600

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Özcan Mutlu das Wort .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812808700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2,3 –

7,5 – 13 – das sind drei Zahlen, die im Kontext von An-
alphabetismus für sich selbst sprechen: 2,3 Millionen er-
werbsfähige Menschen können lediglich einzelne Wörter
lesen, verstehen und schreiben, jedoch nicht ganze Sätze .
7,5 Millionen Menschen – wir haben es hier wiederholt
gehört; das sind 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevöl-
kerung – gelten als funktionale Analphabeten, können
nicht richtig lesen und schreiben . Circa 13 Millionen
Menschen – das sind ganze 25 Prozent der erwerbsfähi-
gen Bevölkerung – haben in ihrer Schulzeit nicht gelernt,
wie man richtig schreibt . – Das sind drei Zahlen, hinter
denen sich knapp 23 Millionen Biografien und ganz un-
terschiedliche Schicksale verbergen . Diese Zahlen sind
erschreckend, und wir können nicht einfach so tun, als
wäre das nicht unser Geschäft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marianne Schieder [SPD]: Tun wir auch nicht!)


Dass wir in puncto Alphabetisierung neue Wege ein-
schlagen müssen, das wissen wir spätestens seit Ver-
öffentlichung der „leo . – Level-One“-Studie aus dem
Jahr 2010 . Das ist im Übrigen fünf Jahre her . Funktio-
nalem Analphabetismus wirksam zu begegnen und so
mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen, muss unser
aller Aufgabe sein . Ich denke, dass hier Ideologie fehl
am Platze ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann stimmt doch einfach zu!)


Eine neue Studie zum Analphabetismus ist deshalb drin-
gend nötig . Sie wird hoffentlich spätestens 2018 vorge-
legt werden .

Ich gebe gerne zu, dass Sie sich in puncto Alphabe-
tisierung zumindest auf den Weg gemacht haben, zwar
spät, aber immerhin . In Ihrem Antrag stellen Sie Richti-
ges und Wichtiges fest .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Er enthält Vorschläge, die man tatsächlich begrüßen
kann . Weil uns das aber noch nicht ausreicht, werden wir
uns enthalten und Sie auf dem Weg weiter begleiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


Erstens . Die bisher ergriffenen Maßnahmen sind in
der Tat nicht falsch, aber sie reichen nicht aus; denn mit
Ihren Maßnahmen erzielen Sie keine flächendeckende
Verbesserung . Es gilt, das, was sich als Good Practice
bewährt hat, zu verstetigen und in der Breite umzusetzen,
nicht nur punktuell .

Zweitens . Die 180 Millionen Euro an Investitionen
für die Dekade für Alphabetisierung sind schön und gut .
Aber gut gemeint ist in den seltensten Fällen auch gut
gemacht .


(Marianne Schieder [SPD]:Manchmal schon!)


Wenn Sie die 180 Millionen Euro für zehn Jahre allein
auf die 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten herun-
terbrechen, kommen Sie auf einen Betrag von 2,40 Euro
pro Person . Das ist in Anbetracht von 23 Millionen Men-
schen, die einen Förderbedarf haben, nicht ausreichend .


(Marianne Schieder [SPD]: Das sind ja nur die Bundesmittel! Das wissen Sie doch!)


– Ja, das sind nur die Bundesmittel, genau .


(Marianne Schieder [SPD]: Eben!)


Das reicht trotzdem nicht .

Drittens . Was uns bei Ihnen fehlt, ist die Auseinan-
dersetzung mit den Gründen, mit den Ursachen des An-
alphabetismus . Wir können gerne einmal darüber nach-
denken, ob zwischen der Nichtzuständigkeit des Bundes
und den besagten 23 Millionen nicht vielleicht doch ein
Zusammenhang besteht .


(Marianne Schieder [SPD]: Wie war das mit der Ideologie?)


Unser Bildungssystem ist unterfinanziert. Wir sind der
Meinung, dass hier deutlich mehr Engagement des Bun-
des erforderlich ist; denn wenn ein Viertel der Schülerin-
nen und Schüler die Schule verlässt, ohne richtig lesen
und schreiben zu können, dann machen wir zu früh etwas
falsch, dann machen wir zu lange und zu viel falsch . Das
können wir nicht einfach auf die Bundesländer abschie-
ben . Dafür tragen wir alle gemeinsam Verantwortung .
Da hätte mehr geliefert werden müssen . Da haben Sie –
Stichwort „Kooperationsverbot“ – leider mit der letzten
Verfassungsänderung die Chance verpasst .

Kollege Jung, es ist ja schön und gut, dass Sie vieles
an die Länder delegieren, aber das reicht nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Politik repariert etwas, das nie hätte sein dürfen .
Menschen müssen erst beschämt werden, bevor sie ihre
Würde wieder zurückerlangen können . Da, so sagen wir,
läuft etwas gewaltig schief .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage hier und jetzt in aller Deutlichkeit: Dass die
Kommunen 20 Prozent, die Länder 70 Prozent und der
Bund knapp 10 Prozent der gesamtstaatlichen Bildungs-
ausgaben tragen, kann so im Kern nicht richtig sein .

Deshalb sagen wir: Früher und gezielter investieren, das
muss unser Motto sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da ist zum Beispiel das Programm „Lesestart – Drei
Meilensteine für das Lesen“ zu nennen, das ganz früh
ansetzt; es ist hier bisher nicht zur Sprache gekommen .
Die Evaluationsergebnisse der ersten Projektphase bele-
gen sowohl die hohe Durchdringung des Programms in
den Kinderarztpraxen als auch die Akzeptanz und Nut-
zung der Lesestartangebote durch die Eltern . Das ist ein
erfolgreiches Programm . Wir fordern hier deshalb – da
können Sie zeigen, wie ernst Sie es meinen –, dieses Pro-
gramm über 2018 hinaus zu verfestigen und nachhaltig
zu sichern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Summa summarum sage ich zum Schluss: Das, was es
an Good Practice in puncto Alphabetisierung gibt, gilt es
nun in die Breite zu tragen,


(Marianne Schieder [SPD]: Stimmen Sie zu! Das wollen wir!)


und zwar landauf, landab, und finanziell nachhaltig ab-
zusichern . Die 180 Millionen Euro, die Sie für die nächs-
ten zehn Jahre im Haushalt festschreiben wollen, reichen
nicht und sind auch keine Antwort auf die aktuellen po-
litischen Entwicklungen, die unser Land zu bewältigen
hat . Deshalb enthalten wir uns .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das war eine super Begründung! – Marianne Schieder [SPD]: Das ist aber mutig!)


Wir hoffen, dass wir in Zukunft bei dieser Frage viel-
leicht an einem gemeinsamen Strang ziehen können .

Danke sehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812808800

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Sven Volmering,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sven Volmering (CDU):
Rede ID: ID1812808900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist ein Zufall, dass Frau Hein mir jetzt direkt eine Vorlage
gegeben hat, indem sie auf einen Fehler hingewiesen hat .
Der chinesische Philosoph Konfuzius hat gesagt: „Wer
einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht
einen zweiten .“ Damit mir dies nicht passiert, möchte ich
zu Beginn einen Fehler korrigieren, der mir im Rahmen
der ersten Debatte über diesen Antrag unterlaufen ist . Die
Beiträge dieser Debatte wurden ja bekanntlich zu Proto-
koll gegeben . Wahrscheinlich wäre der Fehler auch un-
bemerkt geblieben, wenn wir nicht alle zur Vorbereitung
auf die heutige Debatte noch einmal nachgelesen hätten,
was die anderen Kolleginnen und Kollegen über den
wirklich guten Antrag von CDU/CSU und SPD denken .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


Der Kollege Spiering ist leider nicht da . Ich möchte
mich bei ihm entschuldigen, dass sein Name in meinem
Redemanuskript falsch geschrieben wurde . Er war auch
leider nicht der Berichterstatter aufseiten der SPD, dem
zu danken war .


(Marianne Schieder [SPD]: Das ist natürlich schlimm, dass Sie das nicht bemerkt haben!)


– Jetzt hören Sie doch zu . – Das ist dem Kollegen Jung
aufgefallen, der nicht nach dem Motto „Egal ob Stiering
oder Spiering, Hauptsache SPD“ gehandelt hat, sondern
mich direkt darauf hingewiesen hat, dass die Kollegin
Schieder den Antrag aufseiten unseres Koalitionspartners
mit ausgearbeitet hat . Daher gilt mein Dank zu Beginn
diesmal richtigerweise den Kollegen Jung und Schieder
für ihre ausgezeichnete Arbeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt davon, wenn man zu viel Redezeit hat!)


Beim Lesen des Protokolls sind mir noch zwei weitere
Dinge aufgefallen, die, zumal sie teilweise in der heuti-
gen Debatte wieder angeklungen sind, Herr Mutlu und
Frau Hein, nicht unwidersprochen bleiben dürfen .

Liebe Kollegin Hein, Sie erkennen ja durch Ihre Ent-
haltung die Leistungen der Koalitionsfraktionen und
auch der Bundesregierung an . Wir sind uns ja auch
fraktionsübergreifend einig, dass die Bekämpfung des
Analphabetismus eine gesamtgesellschaftliche Dauer-
aufgabe ist, deren Lösung Zeit braucht, da dieser trotz
vieler Bemühungen und Initiativen immer noch zu oft ein
Tabuthema ist . Von heute auf morgen werden natürlich
auch Scham, Vorurteile und Halbwissen in diesem Be-
reich nicht verschwinden . Aber ich bin davon überzeugt,
dass im Rahmen der Dekade deutliche Fortschritte erzielt
werden . Gestört hat mich daher vor allem eines: Sie ha-
ben in Ihrer ersten Rede behauptet, dass den Regierungs-
fraktionen „‚die schwarze Null‘ wieder näher als die
Lese- und Schreibkompetenz der Menschen in unserem
Land“ sei. Ich finde, in dieser Einfachheit und auch in
dieser Zuspitzung kann das nicht unwidersprochen blei-
ben . Wir als CDU und CSU sind stolz auf die schwarze
Null . Sie leistet einen enormen Beitrag zur Generatio-
nengerechtigkeit. Sie ermöglicht finanzielle Handlungs-
spielräume . Die Bildungsausgaben sind seit Beginn der
Kanzlerschaft von Angela Merkel permanent gestiegen .
Das Volumen des Haushalts des BMBF hat sich verdop-
pelt; in diesem Jahr packen wir 7,2 Prozent drauf . Ge-
nauso gerne stellen wir jetzt auch finanzielle Mittel für
die Dekade zur Verfügung . 180 Millionen Euro sind eine
stolze Summe, mit der man eine Menge auf die Beine
stellen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kollege Kaczmarek hat in der letzten Debatte völlig rich-
tig gesagt, dass die Dekade für Alphabetisierung einen
deutlichen Schritt nach vorne bedeutet .

Die Grundfarben dieses Themas sind nicht Schwarz
und Weiß wie auf einem Schachbrett, lieber Herr Mutlu .
Es ist nicht so, dass – Zitat – „die Betroffenen ange-
schmiert sind“ und ihnen in – Zitat – „keiner Weise ge-

holfen wird“ . Es ist auch nicht so, dass die Abschaffung
des Kooperationsverbotes der Zaubertrank zur Unbesieg-
barkeit des deutschen Bildungssystems ist .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht gesagt!)


Es ist gut, dass das BMBF jetzt die Federführung
bei der Koordinierung all dieser Maßnahmen hat; dort
gibt es ja auch sehr viel Kompetenz und sehr großes
Engagement . Aber die Auswirkungen der notwendigen
Maßnahmen haben auch viele Berührungspunkte mit der
Familien-, der Integrations- und der Arbeitsmarktpoli-
tik . Alphabetisierung und Grundbildung sind eine Quer-
schnittsaufgabe für alle gesellschaftlichen Akteure:


(Dagmar Ziegler [SPD]: Jawohl!)


für Gewerkschaften genauso wie für Arbeitgeber, für
Länder und Kommunen ebenso wie für den Bund . Des-
halb sind die Regionalen Grundbildungszentren, die wir
einführen wollen, lokale Bündnispartner und Netzwerke
unabdingbar für den Erfolg der Dekade .

Im Gegensatz zu den Grünen habe ich die Antwort
der Regierung auf die Anfrage nicht als PR empfunden,
sondern als eine gelungene Übersicht über die Vielzahl
bereits existierender Programme und Fördermaßnahmen,
die hier gerade auch alle schon genannt worden sind . Von
daher möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Betei-
ligten,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danken Sie uns doch für unsere Anfrage! die sich seit Jahren beruflich und ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren, für ihren Einsatz bedanken, Es ist nicht so, dass wir jetzt einfach weitermachen wie bisher . Es ist auch niemand damit zufrieden, dass die Lesekompetenz in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt liegt . Deshalb ist es selbstverständlich – wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen das ausdrücklich –, dass wir die Maßnahmen aufgrund neuer, veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen stärker mit der Lebenswirklichkeit der Menschen verknüpfen müssen . Wir brauchen eben qualitativ hochwertige Aktivitäten am Arbeitsplatz, in der Ausund Fortbildung und in der Weiterbildung ebenso wie auch in den Sportvereinen . Deshalb ist es richtig, dass im Antrag die Qualitätsfrage, beispielsweise hinsichtlich der Curricula, gestellt und gefordert wird, die bisherigen Forschungsund Evaluationsergebnisse im Hinblick auf erfolgreiche Maßnahmen weiter zu berücksichtigen . Aber es ist genauso wichtig, dass die Teilnehmer an all diesen Maßnahmen auch von Anfang an das Gefühl haben, dass ihre Teilnahme kein Zeichen der Schwäche oder Demütigung, sondern ein Zeichen der Stärke ist, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sven Volmering






(A) (C)



(B) (D)


dass die Maßnahmen ihnen einen Mehrwert bringen und
sie bei allem Ernst auch Spaß machen können .

Des Weiteren möchte ich als Berichterstatter für das
Thema „Digitale Bildung“ auf die entsprechenden Poten-
ziale hierzulande zu sprechen kommen . Die Ministerin
hat in ihrer Haushaltsrede zu Recht darauf hingewie-
sen, dass bereits 500 000 Lernende an den Selbstlern-
programmen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes
teilgenommen haben . Qualitativ gute Blended- und Mo-
bile-Learning-Angebote bieten enorme Chancen, kosten-
los, zeit-, orts- und lehrerunabhängig ohne Druck zu ler-
nen . Als Lehrer kann ich nur bestätigen, dass das Gefühl
permanenter Beobachtung durch jemanden, der jeden
Fehler sieht, oftmals dazu führt, dass man gehemmt ist .
Von daher ist das eine gute Idee. Deswegen, finde ich,
können die Plattformen „www .ich-will-lernen .de“ und
„www .ich-will-deutsch-lernen .de“ nicht oft genug posi-
tiv erwähnt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil die digitale Welt auch ein Bestandteil der Le-
bensrealität von Menschen ist, die nicht ausreichend
lesen und schreiben können, möchte ich die Bundesre-
gierung bestärken, auf diesem Weg fortzuschreiten . Die
Entwicklung einer App zum Deutschlernen für Flüchtlin-
ge ist bereits angesprochen worden; über die Bildungs-
maßnahmen in diesem Bereich diskutieren wir gleich .
Das ist, finde ich, eine sehr gute Idee. Man kann durchaus
überlegen, ob man einmal mit der Bundesagentur für Ar-
beit darüber spricht, ob es möglich ist, diesen Ansatz auf
die Grundbildung auszuweiten . Wir sollten auch darüber
nachdenken, ob es sinnvoll ist, die Informationskampa-
gne des Bundesbildungsministeriums über funktionalen
Analphabetismus, die bald startet, zu einem großen Teil
im Internet und in sozialen Netzwerken durchzuführen .

Auch ich möchte auf den präventiven Ansatz des Pro-
jektes „Lesestart“ der Stiftung Lesen hinweisen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Bund auch in
der Schule helfen kann und dass Koordination und Ko-
operation dort funktionieren bzw . funktionieren können .
Der Parlamentarische Abend in dieser Woche hat auch
noch einmal verdeutlicht, welch hohe Sympathie dieses
Projekt genießt .

Da ich am Anfang über Fehler gesprochen habe,
möchte ich nicht damit enden, dass ich hier die Redezeit
überziehe .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr gut!)


Vielmehr möchte ich mit einem weiteren Konfuzius-Zi-
tat schließen, das auch passt, weil Sie, lieber Herr Mutlu,
auch von Wegen gesprochen haben . Konfuzius sagt näm-
lich: „Wenn du siehst, dass dein Ziel noch fern ist, dann
fang an, dich auf den Weg zu machen .“ Meine Damen
und Herren, CDU/CSU und SPD sind bereits auf dem
Weg .


(Marianne Schieder [SPD]: Wir sind kurz vor dem Ziel!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
den Linken, bleiben Sie jetzt nicht am Rand stehen und
enthalten sich, sondern stimmen Sie unserem Antrag zu .

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und
uns morgen allen einen schönen 25 . Jahrestag der Deut-
schen Einheit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812809000

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1812809100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist

einer der seltenen Fälle, in denen wir über eine Anregung
des Parlaments reden, die die Regierung zwischen der
ersten und der zweiten Lesung des Antrags direkt schon
in die Tat umsetzt .

Wir finden es erst einmal gut, dass das jetzt Fahrt auf-
genommen hat . Wir wollen als Parlament mit diesem An-
trag aber auch deutlich machen: Wir wollen das Thema
jetzt nicht für zehn Jahre abgeben, sondern es aktiv mit-
gestalten . Das zeigt auch die engagierte Debatte hier . Ge-
meinsam – Parlament und Regierung – schaffen wir das .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist aber auch wichtig, zum Schluss der Debatte
einen Blick auf die Frage zu werfen: Was wollen wir
eigentlich nach den zehn Jahren der Alphabetisierungs-
dekade erreicht haben? Ich möchte gerne vier Anmer-
kungen dazu machen .

Erstens . Wir müssen besser machen, was in der Ver-
gangenheit nicht geklappt hat . Die Vereinten Nationen
haben 2003 bis 2012 zur Weltalphabetisierungsdekade
aufgerufen mit dem Ziel, die Zahl der betroffenen Men-
schen zu halbieren . Das Ergebnis war, dass weltweit die
Zahl der betroffenen Menschen von 20 auf 17 Prozent
gesunken ist . Das war gut, aber nicht ausreichend .

Wir müssen aus dieser Weltalphabetisierungsdekade
für unsere nationale Dekade lernen . Wir brauchen rea-
listische Ziele . Wir brauchen geeignete Instrumente . Wir
brauchen Personen, die vorangehen . Deswegen war es
gut, dass die Ministerin gemeinsam mit der Kultusminis-
terkonferenz den Impuls gesetzt hat . Und wir brauchen
Geld . Ich will daran erinnern, dass Tony Blair in Großbri-
tannien 3,6 Milliarden Euro für die Skills-for-Life-Stra-
tegie mobilisiert hat . Das kann man mit unserer Summe
nicht vergleichen, weil wir hier nur über Bundesgeld
reden; die Länder werden noch ein Vielfaches draufle-
gen . An dieser Stelle wollen wir jedoch auch sagen: Die
180 Millionen Euro, die die Ministerin in den Raum ge-
stellt hat, finden wir gut, aber das kann nur eine Unter-
grenze sein . Wir helfen gern mit, da noch mehr Geld zu
mobilisieren .


(Beifall bei der SPD)


Sven Volmering






(A) (C)



(B) (D)


Zweite Anmerkung . So gut es ist, dass Bund und Län-
der jetzt vorangegangen sind: Allein werden sie es nicht
schaffen . Wir müssen in den nächsten zehn Jahren ein
tragfähiges Alpha-Netzwerk aufbauen . Wir brauchen
die Kompetenz derjenigen, die sich teilweise schon seit
Jahrzehnten in der Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungsarbeit engagieren, sei es die Volkshochschule in
meiner Heimatstadt, die schon seit den 80er-Jahren Al-
phabetisierungskurse anbietet, oder seien es die großen
Verbände: der Deutsche Volkshochschul-Verband allen
voran, die Stiftung Lesen ist schon genannt worden, der
Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, um
nur drei Beispiele zu nennen . Das sind diejenigen, die die
Kurse durchführen . Sie beraten am Alpha-Telefon, stel-
len die Unterrichtsmaterialien zusammen und qualifizie-
ren die Kursleiter . Die Einbeziehung der Akteure der Al-
phabetisierungs- und Grundbildungsarbeit in die Dekade
ist daher auch eine Frage der Wertschätzung der Arbeit,
die dort teilweise schon seit Jahrzehnten geleistet wird .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe eine Bitte: Lassen Sie uns auch die lokalen
Netzwerke, die sich in letzter Zeit gebildet haben, im
Blick behalten . Die regionalen Grundbildungszentren
sind sicherlich ein guter Ansatz; das ist hier schon the-
matisiert worden .

Vor Ort, in den Städten, können wir weitere Akteure
an den Tisch holen, die wichtig sind: die Schulen, die
Jobcenter, die lokale Wirtschaft, die Stadtverwaltung und
viele andere mehr . Direkte Hilfe vor Ort zu organisieren,
das könnte auch ein Erfolgsrezept dieser Dekade sein .
Deswegen lassen Sie uns auch die Vor-Ort-Ebene im
Blick behalten .

Dritte Anmerkung . Was wollen wir in zehn Jahren er-
reicht haben? Wir wollen in zehn Jahren mehr über An-
alphabetismus und seine Ursachen wissen . Viele stehen
immer noch ratlos vor dem Phänomen und fragen sich:
Wie ist das eigentlich möglich – 7,5 Millionen betrof-
fene Menschen in Deutschland trotz Schulpflicht, trotz
Erwerbstätigkeit, trotz Muttersprache Deutsch? Und wie
können sie das eigentlich in unserem schriftgeprägten
Alltag verheimlichen?

Die Wahrheit ist: Wir wissen etwas über das Aus-
maß des funktionalen Analphabetismus, aber wir wissen
herzlich wenig über die Ursachen und die Wechselwir-
kungen des Analphabetismus . Deswegen ist es gut, dass
die „leo .“-Studie – sie ist hier mehrfach genannt wor-
den – fortgesetzt wird . Wir brauchen in diesem Bereich
kontinuierliche und gut ausgestattete Forschung . Die
„leo .“-Studie ist ein Teil davon . Wir wollen, dass da in
den nächsten Jahren noch mehr passiert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In dem Zusammenhang möchte ich neben der For-
schung und den anderen Akteuren auch die Menschen
benennen, die sich in den letzten Jahren getraut haben,
als Betroffene an die Öffentlichkeit zu gehen und zu zei-
gen, wie sie gelebt haben . Wir haben von denjenigen, die
sich getraut haben, als Botschafter und Lernende an die

Öffentlichkeit zu gehen, viel gelernt . Herzlichen Dank
dafür, und Respekt vor dem Mut!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vierte Anmerkung . Wir wollen in diesen zehn Jah-
ren erreichen, dass kein Analphabet mehr am Rande der
Gesellschaft steht; wir wollen, dass ihm oder ihr gehol-
fen wird . Wir wollen Menschen ermutigen, Lesen und
Schreiben zu lernen . Das ist oft ein langwieriger Prozess .
Dabei reicht es nicht aus, einen Kurs zu besuchen . Es
braucht Anreize, sich der Herausforderung zu stellen und
zu erkennen, dass man mit dem Problem des Analphabe-
tismus nicht allein ist .

Aber es braucht auch – Frau Kollegin Schieder hat
darauf hingewiesen – einen Anreiz, zu erkennen, wo
ein Mitmensch von Analphabetismus betroffen ist . Wir
brauchen mehr ausgestreckte Hände: in der Familie, im
Betrieb, in den Verwaltungen oder anderswo . Dabei sind
die Öffentlichkeitskampagnen, die dort gestartet werden,
besonders wichtig . Es geht nicht um eine Werbekampa-
gne . Die Kampagne soll diejenigen erreichen, die einen
Kurs besuchen wollen, wie auch diejenigen, die erken-
nen, dass jemand ihre Hilfe braucht . Deswegen ist auch
das ein ganz besonders wichtiger Teil .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Wir haben viele gute Ziele in unseren Antrag
aufgenommen . Wir werden die Dekade als Parlament be-
gleiten . Ich bin zuversichtlich, dass wir einen wichtigen
Fortschritt dabei erzielen, dass wir die Menschen unter-
stützen, Lesen und Schreiben zu lernen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812809200

Vielen Dank . – Mit dem Beitrag von Herrn Kaczmarek

ist die Aussprache beendet .

Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel
„Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Al-
phabetisierung in Deutschland umsetzen“, der, wie Sie
alle gehört haben, auch in einfacher Sprache vorliegt und
damit auch für uns im Bundestag beispielhaft ist auf dem
Weg zu einem barrierefreien Parlament .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/6179, den Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5090
anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Al-
penkonvention voranbringen und nachhaltig
gestalten

Drucksache 18/6187
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Tourismusprotokoll der Alpenkonvention um-
setzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten

Drucksache 18/4816
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe bei
Ihnen keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie jetzt alle, die Plätze einzunehmen . – Dann
eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Hans-Joachim Schabedoth, SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1812809300

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Als Hannibal 218 vor Christus mit großem
Heer und vielen Elefanten über die Alpen zog, hat das
den Alpen wohl weniger geschadet als den Elefanten . Die
Verkehrsströme von heute wirken sicherlich deutlich be-
lastender . Deshalb sind die Alpen auf schützende Regeln
angewiesen . Denn die Alpen sind eine Schatztruhe für
Europa, in vielerlei Hinsicht einzigartig und von existen-
zieller Bedeutung . Sie sind Erholungs-, Wirtschafts- und
Lebensraum . Sie zeigen atemberaubende Landschaften .

Die Gletscher, Seen und Schneefelder halten wichtige
Süßwasserreserven für große Teile Europas . Die Berg-
wälder schützen vor Erosion, Lawinen und Hochwas-
ser . Insgesamt leben in den Alpen rund 30 000 Tier- und
13 000 Pflanzenarten. Einige davon sind nach der Roten
Liste gefährdet, und leider nicht nur Edelweiß und En-
zian .

Der Reichtum der Alpen ist allerdings auch ein Ma-
gnet der Wünsche . Eine Vielzahl von Interessen trifft
hier aufeinander . Knapp 14 Millionen Menschen leben
in den Alpen . In der Alpenregion mit Voralpenland leben
70 Millionen . Alle wollen hier irgendwie gut leben und
wirtschaften, ihren Traditionen nachgehen und möglichst
auch den kommenden Generationen ein Naturerbe hin-
terlassen . Mindestens 100 Millionen Menschen suchen
jährlich in den Alpen Erholung und Vergnügen beim
Skifahren, Klettern, Radfahren, Wandern, Gleitschirm-
fliegen und beim Golfen. Die Vielzahl der Interessen,
die hier aufeinandertreffen, zeigt sich in der Dichte der
Initiativen, Vereine, Verbände, Projekte und Programme
über die Nutzung, den Schutz und den Erhalt der Alpen .

Mittlerweile gibt es vier makroregionale Strategien
der EU für den Alpenraum . Die älteste der europäischen
Alpenstrategien ist die Alpenkonvention . Auf sie bezieht
sich unser Antrag . Was ist die Alpenkonvention? Sie ist
ein regionales politisches Programm, ein völkerrechtli-
cher Vertrag, mit dem sich die Alpenstaaten verpflichten,
ihr Handeln im Alpenraum grenzüberschreitend zu koor-
dinieren . Ziel ist, den Lebens- und Wirtschaftsraum im
Einklang mit den natürlichen, ökologischen und sozialen
Anforderungen zu gestalten . Dabei sollen die Interessen
der Alpenstaaten, der alpinen Regionen, der EU, der Zi-
vilgesellschaft und der alpinen Netzwerke aufgenommen
und berücksichtigt werden .

Mitglieder der Alpenkonvention sind die EU und die
acht Alpenstaaten . Wer jetzt beim Aufzählen nur auf Ös-
terreich, Deutschland, Italien, die Schweiz und Frank-
reich kommt, der hat Slowenien, Liechtenstein und Mo-
naco vergessen .

Die Alpenkonvention besteht aus einer Rahmenkon-
vention sowie ihren Durchführungsprotokollen und De-
klarationen. Die Rahmenkonvention definiert über zwölf
Themenfelder die allgemeinen Maßnahmen und Grund-
sätze, nach denen die Alpenstaaten gemeinsam agieren
wollen . Durchführungsprotokolle gibt es zu acht Facht-
hemen: Raumplanung und nachhaltige Entwicklung,
Naturschutz und Landschaftspflege, Berglandwirtschaft,
Bergwald, Tourismus, Energie, Bodenpflege und Ver-
kehr .

Was ist aber das Besondere an der Alpenkonvention?
Sie ist eine von unten gewachsene Organisation, eine so-
genannte Bottom-up-Institution, entstanden auf Initiative
der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA . Sie
bezieht ihren Anwendungsbereich auf ein klar definiertes
regionales Gebiet . Die Ziele sind zwischen den Alpen-
staaten abgestimmt und bilden die Grundlage für alpen-
weit integrative und nachhaltige Strategien . Hervorheben
will ich deshalb diesen ganzheitlichen Ansatz . Sowohl
Schutzbedürfnisse als auch Wertschöpfungsinteressen
im Alpenraum werden aufgenommen und in Einklang
gebracht .


(Beifall bei der SPD)


Die Alpenkonvention verfügt über ein bewährtes Meh-
rebenen-Steuerungssystem . Sie verbindet die europäi-
sche, die nationale und die kommunale Ebene . Das Ge-
samtkonzept der Alpenkonvention ist äußerst ehrgeizig,
wie Sie daran erkennen können . Es hat Vorbildcharakter

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


für andere Gebirgsregionen der Welt . In den Karpaten ist
inzwischen eine Schwesterkonvention entstanden, die
Karpatenkonvention . Die westlichen Balkanstaaten ha-
ben 2010 eine Erklärung unterzeichnet, die den Weg für
eine künftige internationale Rechtsvereinigung – ähnlich
der Alpenkonvention – bereiten soll . Auch im Kaukasus,
in Zentralasien und sogar in den südamerikanischen An-
denstaaten gibt es Überlegungen, die Gestaltung von Po-
litiken für Bergregionen in einer gemeinsamen Strategie
über die jeweiligen Ländergrenzen hinaus zu koordinie-
ren .


(Beifall der Abg . Gabriele Hiller-Ohm [SPD] und Heike Brehmer [CDU/CSU])


Die Bundesrepublik hat im November 2014 von Itali-
en – ich glaube, darauf sind wir alle stolz – den Vorsitz
der Alpenkonvention übernommen und gibt diesen Vor-
sitz im November 2016 an Österreich weiter . Die deut-
sche Haltung ist dabei nicht: Jetzt haben wir den Vorsitz
und bringen das irgendwie mit Anstand hinter uns . – Wir
wollen den Vorsitz nutzen, um unter dem Motto „Die Al-
pen – Vielfalt in Europa“ Schrittmacherdienste zu leis-
ten . „Vielfalt“ steht hier für die Vielfalt der Kulturen der
Alpenstaaten, für die biologische Vielfalt der Bergregi-
on, für die Einbindung in europäische Verkehrsströme,
für die Infrastrukturentwicklung und die Einbindung in
die Entwicklung einer europäischen makroregionalen
Strategie .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesrepublik hat den Ehrgeiz, gemeinsam mit der
Bayerischen Staatsregierung die Ziele der Alpenkonven-
tion maßgeblich und beispielhaft voranzubringen .

Bis 2016 hat sich der deutsche Vorsitz eine Vielzahl
an Projekten vorgenommen . Ich nenne hier die Themen-
felder Biodiversität, nachhaltiger Tourismus, Transport
und Mobilität, Bodenschutz, Berglandwirtschaft, Berg-
wald, Raumplanung, Wasserwirtschaft . Und eine digitale
Agenda gibt es auch . Aus der Fülle der Beispiele will ich
nur wenige hervorheben:

Bad Hindelang arbeitet derzeit an einer Digitalisie-
rung seines gesamten Tourismusangebots . Es gibt bereits
eine virtuelle Pistenabfahrt und eine Gästekarte, mit der
öffentlicher Nahverkehr, Bergbahnen und verschiedene
Freizeitangebote genutzt werden können . Das Projekt
„Digitales Bad Hindelang“ ist ein Gewinner des Wettbe-
werbs „Zukunftsstadt 2030+“ und wird bereits im aktuel-
len Bundeshaushalt verdientermaßen gefördert .

Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „Crossing Bor-
ders“, ein transnationales Projekt mit Italien und Öster-
reich . Es soll die Elektromobilität im Alpenraum fördern .

Zum Ausbau der digitalen Infrastruktur wird unter
dem deutschen Vorsitz erstmals ein Erfahrungsaustausch
zwischen den Vertretern der Alpenstaaten angeregt . Da-
bei will man die Möglichkeiten für einen flächendecken-
den und grenzüberschreitenden Ausbau von schnellem
Internet und Funkdiensten identifizieren und dann koor-
dinieren .

Allen Projekten gemeinsam ist der Grundgedanke,
im Einklang mit den Grundsätzen der Alpenkonvention
und orientiert an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort
musterhafte Lösungen für einen nachhaltigen und res-
sourcenschonenden Tourismus zu entwickeln .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit un-
serem Antrag das höchst ambitionierte Programm der
Bundesregierung im Vorsitz der Alpenkonvention un-
terstützen . Wir greifen das Konzept der Vielfalt auf . Wir
verstehen auch den Tourismus als Querschnittsthema, das
in viele Ressorts hineinwirkt: Wirtschaft und Umwelt,
Verkehr, Arbeit und Soziales, Ernährung und Landwirt-
schaft, Sport, Europa-, Länder- und Kommunalpolitik .

Nun liegt ein zweiter Antrag, nämlich von den Grü-
nen, vor . Er enthält auch gute Ansätze .


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das angestoßen! Der war vor eurem da!)


– Das erwarten wir auch von Ihnen . – Doch wie schon
ein rascher Vergleich belegt, ist unser Ansatz doch etwas
umfassender und weiterführender .


(Heike Brehmer [CDU/CSU]: Genau!)


Der grüne Antrag verengt die Thematik auf innovative
Tourismuskonzepte, zu sehr konzentriert auf den Winter-
tourismus . Wenn Sie unseren Antrag noch einmal etwas
sorgfältiger lesen, werden Sie sehen: Wir verknüpfen
die Anliegen des nachhaltigen Tourismus mit der Fülle
der eben genannten sonstigen Herausforderungen . Die
Interessen der Bewohner des Alpenraums, der Zivilge-
sellschaft und der alpinen NGOs werden mit berücksich-
tigt . Wir heben die sozioökonomische Bedeutung des Al-
pentourismus hervor, beziehen uns auf die Lebens- und
Arbeitsbedingungen der ansässigen Bevölkerung und auf
die ländlichen Siedlungsstrukturen .

Für den Tourismus geht es uns um die Entwicklung
eines ausgewogenen ganzjährigen Tourismusangebots,
also nicht nur im Winter, um eine Balance zwischen den
Interessen und der Lebensqualität der Ortsansässigen und
einer schonenden touristischen Nutzung . Wir legen sehr
viel Wert darauf, die grenzüberschreitende Zusammenar-
beit zu vertiefen, um ein kohärentes Gesamtkonzept für
den gesamten Alpenraum aufzustellen, Synergieeffekte
zu identifizieren und zu nutzen.

Fazit: Die Alpenkonvention enthält eine Fülle etab-
lierter Strukturen und Arbeitsweisen, die dem deutschen
Vorsitz beste Anknüpfungspunkte bieten, um den Le-
bensraum Alpen für Natur und Mensch nachhaltig zu
sichern .

Wir wollen ganz besonders dazu beitragen, dass wir
nicht nur Nutzer, sondern auch Schützer der Alpen sind .
Ich bitte um die Zustimmung zu unserem Antrag .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812809400

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die

Kollegin Kerstin Kassner das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Hans-Joachim Schabedoth






(A) (C)



(B) (D)



Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812809500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Für mich hat dieses Thema – zumal am Vorabend des
25 . Geburtstages – die Dimension der deutschen Ein-
heit . In den 90er-Jahren – Sie werden sich vielleicht er-
innern – gab es die Fernsehserie Ein Bayer auf Rügen .
Jetzt spricht eine Rüganerin über die Alpen in Bayern .
Allerdings gehören die Alpen ja nicht nur zu Deutsch-
land, sondern, wie wir gerade von Herrn Dr . Schabedoth
gehört haben, zu vielen Ländern . Deshalb ist das eine
spannende Aufgabe .

Nun kenne ich mich, ehrlich gesagt, in den Alpen nicht
so gut aus . Ich habe noch nicht so oft Gelegenheit gehabt,
dort Urlaub zu machen oder mich über das Thema noch
weitgehender zu informieren . Allerdings habe ich beim
Studium der beiden Anträge, aber auch der Konvention
an sich erfahren, dass die Problematiken, die wir Rüga-
ner oder Bewohner von Küstenländern haben, mit denen
der Bewohner der Alpen vergleichbar sind: Überall dort,
wo es sehr viele Touristen gibt und wo der Tourismus die
stärkste Wirtschaftskraft ist, gibt es ähnliche Probleme .
Man muss eben die Herausforderungen, die die weltwei-
te Klimaerwärmung mit sich bringt, anpacken und Stra-
tegien entwickeln, wie man damit umgeht .

Uns bereitet die ansteigende Meeresoberfläche Pro‑
bleme . In den Alpen ist es der auftauende Permafrostbo-
den, der nur noch am Gipfel der Alpen fest vereist ist . In-
zwischen beginnt dieser Permafrostboden schon 150 bis
200 Meter höher, also die Fläche, die lange genug über
ausreichend Schnee verfügt . Das stellt viele vor große
Herausforderungen .

Man muss auch sagen: Das hat noch weitere Folgen .
Durch das Abschmelzen werden die Berge auch brüchi-
ger . Man muss in dieser Gegend mit Schlammlawinen
und Steinschlag rechnen . All das macht das Leben dort
nicht leichter . Deshalb suchen wir gemeinsam nach Stra-
tegien, wie man aus dieser Situation herauskommt .

Ein Thema, das auch wir kennen, ist die Saisonverlän-
gerung . Dabei wird nicht nur auf eine Saison gesetzt, hier
die Wintersaison, sondern auch auf eine andere Saison,
also hier die Sommersaison; bei uns ist das genau um-
gekehrt . Man reagiert mit vielfältigen Angeboten, etwa
durch die Schaffung von zusätzlichen Wandermöglich-
keiten und anderen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung,
die man den Gästen offeriert, also nicht nur das Skifah-
ren . Weitere Möglichkeiten sind verkehrliche Angebote,
indem man tatsächlich Alternativen schafft . Ich nenne
hier nur das Stichwort „Elektrofahrzeuge“ .

Eine ganz wichtige Sache – das möchte ich sogar an
den ersten Punkt der Liste stellen – ist, dass man die
Menschen mitnimmt, dass man den Menschen von An-
fang an darlegt, was das Besondere in der Region ist und
wie wichtig und erhaltenswert sie ist . Natürlich muss
auch das, was vorhanden ist, miteinander verknüpft wer-
den, also Alpen und Landwirtschaft – das kennen wir –,
aber auch gesunder Raum mit Flora und Fauna . Damit
kann man eine ganze Menge an zusätzlichen Angeboten
entwickeln .

Eines aber sage ich ganz bewusst: Das Berieseln der
Hänge mit Schneekanonen ist wahrscheinlich nicht der
richtige Weg . Er bringt vielleicht kurzfristig Erfolg, aber
auf lange Sicht ist das nicht die Lösung für die Probleme
in den Alpen; das muss man ganz deutlich sagen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe gerade auf einer Website etwas über ein Ski-
gebiet zwischen Bayrischzell und Brandenburg gelesen;
Frau Ludwig wird dazu bestimmt etwas sagen .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja!)


In einem Winter werden dort 430 000 Kilowatt Strom
benötigt, um dieses Skigebiet mit Schnee zu versorgen .
Weiterhin wird da ein CO

2
-Ausstoß von 79 Tonnen pro

Jahr angegeben und dieser Wert – jetzt hören Sie einmal
genau hin – mit dem Ausstoß eines Diesel-Pkw vergli-
chen . Wir wollen einmal ehrlich sein: So richtig glauben
wir dem alle nicht . Deshalb sage ich: Andere Strategien,
wie ich sie vorhin nannte, die soziokulturelle und ver-
kehrliche Alternativen umfassen, sind der deutlich besse-
re Weg, um aus dieser Situation herauszukommen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg . Daniela Ludwig [CDU/CSU])


Ich wünsche dem deutschen Vorsitz wirklich gute Er-
gebnisse . Bei der XIV . Alpenkonferenz, die am 13 . Okto-
ber 2016 stattfinden wird, soll ja ein Handbuch mit dem
Titel 10 Jahre ökologische Konnektivität in den Alpen
vorgelegt werden . Ich bin sehr gespannt auf die Ergeb-
nisse, die uns beispielsweise die Raumordner dort vorle-
gen . Denn ich bin mir sicher: Das, was wir dort erfahren,
wird nicht nur für die Alpen Modellcharakter haben, son-
dern auch für uns .

An die Kollegen der Großen Koalition habe ich eine
Bitte: Sie haben einen Antrag vorbereitet, der viel ent-
hält . Vielleicht gelingt es Ihnen, die 500 000 Euro, die
wir für den Titel „Leistungssteigerung im Tourismusge-
werbe“ verlieren, wiederzubekommen, beispielsweise
für innovative Vorhaben in der Alpenregion . Ich würde
mich darüber sehr freuen, auch als Rüganerin .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812809600

Vielen Dank . – Als Nächste hat Daniela Ludwig,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1812809700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Kassner, ich darf mir Ihre letzte Aufforderung
persönlich und ganz wörtlich ins Stammbuch schreiben .
Ich habe schon am vergangenen Mittwoch im Ausschuss






(A) (C)



(B) (D)


genau das gleiche Anliegen formuliert . Wir sind jetzt ge-
rade dabei, dies auch unseren Haushältern näherzubrin-
gen . DZT-Mittel sind schön und gut, aber wir brauchen
auch weiterhin eine Förderung innovativer Projekte von-
seiten des Bundes . Da können wir diese 500 000 Euro
sehr gut gebrauchen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dafür werden wir uns einsetzen . Wenn Sie uns dabei un-
terstützen, freut uns das natürlich umso mehr .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist auch
2015 das geblieben, was es bereits in den vergangenen
Jahren war: eines der attraktivsten Reiseziele der Welt .
Allein im ersten Halbjahr 2015 konnten wir die Zahl der
Übernachtungen von in- und ausländischen Gästen bei
uns im Land um 3 Prozent steigern . Wir dachten schon,
2014 sei ein Rekordjahr . Das Ergebnis von 2015 wird das
von 2014 definitiv noch toppen. Das liegt sicherlich nicht
nur daran – das wissen wir alle –, dass wir in Deutschland
eine breite Palette touristischer Angebote haben, sondern
das liegt insbesondere auch daran, dass uns der Erhalt un-
serer Landschaft, und zwar von Rügen bis zu den Alpen,
wie auch der biologischen Vielfalt sehr am Herzen liegt
und wir sie trotz Tourismus weiter aufrechterhalten wol-
len . Insofern ist es ganz besonders schön – das ist auch
der Anlass unseres Antrages –, dass die Bundesrepublik,
namentlich die Bundesregierung, derzeit den Vorsitz der
Alpenkonvention hat . Das Motto ihres Programms ist
„Die Alpen – Vielfalt in Europa“ . Besonderes Augen-
merk wird der deutsche Vorsitz auf eine Politik des „Grü-
nen Wirtschaftens im Alpenraum“ richten . Ich glaube, da
sind wir schon sehr nah beieinander .

Es sind viele Ziele formuliert worden . Ich möchte
mich auf einige wenige konzentrieren .

Zum einen müssen wir uns die Verkehrsströme im Al-
penraum sehr genau anschauen . Sehr viele touristische
Orte erreicht man am Ende des Tages eigentlich nur mit
dem Pkw, weil die Bahn vielleicht nicht ins letzte Ber-
gdorf fährt, das aber ein ordentliches touristisches An-
gebot vorhalten kann . Das heißt, wir müssen die Alpen
als sensiblen Lebensraum dringend vom Pkw-Verkehr
entlasten und deutlich mehr Augenmerk auf den öffentli-
chen Personennahverkehr, aber eben auch auf den Schie-
nenfernverkehr legen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das können wir auch schaffen . Die Alpen bieten uns
nämlich praktischerweise etwas an, was wir sonst selten
finden: Die touristische Infrastruktur konzentriert sich
auf ein paar wenige Regionen . 46 Prozent der Beherber-
gungsbetriebe befinden sich in 5 Prozent der Alpenge-
meinden . Das heißt, wenn wir uns darauf konzentrieren,
diese Gemeinden ordentlich an den Schienenverkehr an-
zubinden, muss das keine Vision bleiben, sondern kann
tatsächlich Wirklichkeit werden .

Einiges ist dazu in der Vergangenheit bereits getan
worden . Frau Kassner, Sie hatten es angesprochen: 2012
wurde schon das Projekt AlpInfoNet unter Federführung
des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft ins

Leben gerufen . Das ist keine neue Informationsplatt-
form, sondern sie führt vielmehr alle Informationssys-
teme aus den Bereichen Tourismus und Verkehr zusam-
men, sodass sich jeder, der in die Alpen reisen will, sehr
konzentriert informieren kann, wie er sich dort am besten
fortbewegt . Das sollten wir ausbauen . Deswegen unter-
stützen wir mit unserem Antrag die Bundesregierung in
diesem Bemühen .

Wichtig ist natürlich, dass wir eine weitere Touris-
mussteigerung in den Alpen erwarten können . Man geht
davon aus, dass sich der Tourismus in den Alpen bis zum
Jahr 2030 noch um weitere 30 Prozent steigern lassen
wird . Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch mit dem
CO

2
-Ausstoß in diesem sensiblen Lebensraum stärker

befassen; denn die Emissionen nehmen demgemäß von
Jahr zu Jahr zu . Daher müssen wir den Aktionsplan für
die Alpen, den es bereits gibt, auch an dieser Stelle sehr
ernst nehmen; denn, wie zu Anfang schon gesagt, Tou-
rismus bei uns funktioniert nur deshalb so gut, weil wir
ihn immer zusammen mit dem Erhalt unserer Landschaft
betrachten . Es bedarf also einer starken Unterstützung
des Aktionsplans, der unter anderem sagt: Wir müssen
die Baubeschränkungen in Gletschergebieten und in sen-
siblen Naturräumen sehr ernst nehmen . Wir müssen den
Verkehr besser bündeln . Renovierung von touristischen
Betrieben muss vor ständigen Neubauten gehen . Das
sind, glaube ich, Kernpunkte, die wir alle unterstützen
können .

Wichtig ist ferner, dass wir, auch wenn ein Gebiet zu
einem großen Teil von Erholung und Tourismus lebt, die
einheimische Bevölkerung nicht vergessen und sie mit-
nehmen . Ich denke, dass das in Zukunft im Prinzip für
fast jeden touristischen Ort gelten muss, wenn wir von
nachhaltigem Tourismus sprechen und nicht nur von
kurzlebigen Aktionen, die da vor Ort stattfinden.

Natürlich bringt der Tourismus oftmals Probleme mit
sich bringt . Die Debatten, die wir zurzeit führen über die
Zulässigkeit von Ferienwohnungen in Wohngebieten und
dergleichen mehr, können wir selbstverständlich eins zu
eins auf die Alpen übertragen . Die touristischen Ziele
in den Alpen haben die gleichen Probleme wie wir: de-
mografische Entwicklung, Umweltbelastungen, zu viel
Zuzug von Neubürgern und zu viel Wegzug von Leuten,
die dort aufgewachsen sind und mal gedacht haben, sie
könnten sich dort ihre Zukunft aufbauen . Auch hier muss
man schauen, dass man die Interessen der Fremdenver-
kehrswirtschaft langfristig mit den Interessen der einhei-
mischen Bevölkerung zusammenbringt .

Wir unterstützen ganz ausdrücklich das Netzwerk der
sogenannten Bergsteigerdörfer – ich finde, das ist eine
ganz tolle Initiative –, wir haben es in unserem Antrag
explizit erwähnt . Es werden mit nationalen und EU-Mit-
teln beispielsweise Südtiroler Dörfer gefördert, die eine
ganz besondere Infrastruktur für Bergsteiger ausgebaut
haben . Dies geschieht nicht auf Kosten der Natur, weil
damit letztlich nicht zu viel Bautätigkeit verbunden ist .
Es soll bei einer exzellenten Landschaftsqualität ein
Bergsteigererlebnis auf ganz hohem Niveau angeboten
werden können . Ich glaube, dass das ganz wichtig ist .
Das ist nur eine von vielen Initiativen, mit denen sich die

Daniela Ludwig






(A) (C)



(B) (D)


Alpenkonvention beschäftigt und die in ihrem Rahmen
realisiert werden .

Ich möchte noch eine nennen, die zeigt, wie wichtig es
ist, auch die Jugend nicht nur in Erhalt und Förderung der
Tourismuswirtschaft in den Alpen mit einzubinden, son-
dern auch in Fragestellungen wie: Wie erhalten wir unse-
re Berglandschaft? Wie erhalten wir dieses einzigartige,
wahnsinnige Berggebilde, das uns in der Mitte Europas
so auszeichnet?

Das Akademische Gymnasium in Innsbruck hatte
2006 die Idee, ein Jugendparlament ins Leben zu rufen .
Dieses Jugendparlament begleitet sozusagen regelmäßig
die Alpenkonvention . Es soll den Jugendlichen, die in
den Alpen leben, die Möglichkeit geben, sich unterein-
ander auszutauschen: Wie ist die Perspektive? Was stellt
ihr euch vor? Was wünscht ihr euch? Wie können wir die
Alpen ganz besonders schützen?

Das Karolinen-Gymnasium in meinem Wahlkreis, in
Rosenheim, beteiligt sich seit Jahren daran . Es ist wirk-
lich eine tolle Sache, wenn man sieht, wie engagiert sich
die jungen Leute in diesem institutionalisierten Rahmen
mit der Thematik auseinandersetzen .

Insofern ist die Alpenkonvention eine tolle Sache . Es
ist schön, dass wir in diesem und im nächsten Jahr den
Vorsitz haben dürfen . Es zeigt sich natürlich auch: Qua-
lität ist die Zukunft auch im Tourismus, nicht die Quan-
tität. Ich finde, viele Touristiker, gerade im Alpenraum,
machen dies in toller Weise vor . Der Tourismusausschuss
hat Südtirol besucht und konnte sich davon überzeugen,
dass auch hier die Qualität an oberster Stelle steht und
nicht unbedingt der Massentourismus . Ich glaube, dass
wir hier gemeinsam noch viel erreichen können . Das ist
der Grund unseres Antrages .

Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit und
darf um Ihre Zustimmung bitten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812809800

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Markus Tressel das Wort .


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812809900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben jetzt schon viel über die Bedeutung der Tou-
rismusbranche und auch über die Bedeutung der Alpen
gehört . Wir alle, die wir Tourismuspolitik betreiben, wis-
sen, dass die Tourismusbranche vor allem von intakter
Natur lebt .

Die Alpen sind nicht nur eines der wertvollsten und ar-
tenreichsten Ökosysteme, sondern auch ein touristischer
Hotspot in Europa, und wir wissen auch, dass sie nicht
immer die politische Aufmerksamkeit bekommen, die
sie verdienen . Deshalb ist es wichtig und richtig, dass sie
mit dem deutschen Vorsitz in den Fokus rücken und dass
wir diese Debatte im Deutschen Bundestag heute auch

im Kontext eines der wichtigsten Wirtschaftszweige der
Alpen, des Tourismus, führen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wichtig ist – deswegen diskutieren wir das heute
auch –, dass Deutschland mit dem Vorsitz die Verantwor-
tung dafür trägt, Treiber und Vorreiter für eine nachhal-
tige Entwicklung des Alpenraumes zu sein . Wir haben in
dieser Zeit des Vorsitzes die Chance, eine Zukunftsstrate-
gie voranzutreiben, um die Alpen zu einem zukunftsfes-
ten Urlaubsziel zu machen, sie ökologisch zu bewahren
und als Lebens- und Wirtschaftsraum zu erhalten und zu
entwickeln .

Wenn wir uns die Bilder der Alpen ansehen – im Fern-
sehen, aber auch, wenn wir selber vor Ort sind – und da-
bei einen Rückgang der Artenvielfalt und zerstörte Hän-
ge erkennen, die nach immer milder werdenden Wintern
zum Vorschein kommen, dann wissen wir: Dagegen müs-
sen wir etwas tun, und zwar grenzüberschreitend, aber
auch national .

Damit sich die Alpen als Reiseziel im Wettbewerb
erfolgreich behaupten können, müssen Politik und Un-
ternehmen schnellstens auf die Klimakrise und die de-
mografischen Veränderungen reagieren. Gerade bei
rückläufiger Schneesicherheit brauchen wir Alternativen
zum Skitourismus, der die Wertschöpfung im Alpenraum
erhält .

Herr Kollege Schabedoth, der Wintertourismus belas-
tet die Alpen am meisten – nicht der Sommertourismus .
Deswegen haben wir in unserem Antrag auch einen Fo-
kus darauf gelegt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Tourismus muss seinen Beitrag leisten, um die
Umwelt und das Klima zu schützen und die Region
gleichzeitig attraktiver zu gestalten . Die Lösung heißt
hier „Innovation und unternehmerische Weiterentwick-
lung“ . Es geht auch darum – das hat die Kollegin gerade
ja auch gesagt –, die Menschen in der Region zu halten,
sodass wir die Fachkräftebedarfe vor Ort decken können .
Deswegen brauchen wir ein entsprechendes Konzept .

Aus diesem Grunde müssen wir hier auch Bundesmit-
tel einsetzen, um zum Beispiel einen Forschungsschwer-
punkt zum Thema „Innovationsprozesse im Tourismus
am Beispiel des Alpenraumes“ zu finanzieren, dessen
Ergebnisse am Ende auch für die Mittelgebirgsregionen
nutzbar wären . Da muss jetzt investiert werden – auch
außerhalb der klassischen Genres der vergangenen Jahr-
zehnte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wichtig ist auch, dass wir die Alpen zur Klimamo-
dellregion entwickeln müssen . Das bedeutet auch Ver-
besserungen im Verkehrsbereich – das ist angesprochen
worden –: Wie komme ich dahin? Wie bewege ich mich
vor Ort? Daneben müssen wir auch sehr intensiv über die
Energieeffizienz und den Flächenverbrauch diskutieren.

Daniela Ludwig






(A) (C)



(B) (D)


Hier spielt die E-Mobilität sicher eine Rolle, aber auch
andere Themen sind hier wichtig .

Wie sieht das in der Praxis aus? Die Kollegin Kassner
hat das Skigebiet Sudelfeld mit dem, ich glaube, mitt-
lerweile größten Speicherteich der Bundesrepublik ange-
sprochen . Angesichts der Klimakrise waren die Anschaf-
fung von 250 neuen Schneekanonen und die weiteren
Maßnahmen dort kein Weg, der weiter gangbar sein wird .
Dort sind über 3 Millionen Euro deutsches Steuergeld in
eine Technik investiert worden, die eben nicht zukunft-
strächtig ist . Ich glaube, das Geld wäre in der Forschung
für zukunftsträchtige touristische Produkte und deren
Förderung besser angelegt gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die Protokolle
der Alpenkonvention müssen schnellstmöglich umge-
setzt und zum besseren Schutz der alpinen Arten- und
Ökosystemvielfalt weiterentwickelt werden . Dazu haben
wir jetzt die Chance . Diese sollten wir nutzen .

Bereits bestehende Förderprogramme müssen dar-
aufhin überprüft werden, ob ihre Auswirkungen mit den
Zielen der Alpenkonvention in Einklang stehen . Hier
muss die Bundesregierung verstärkt auf die großen Zu-
sammenhänge achten . Wir müssen das Know-how gren-
züberschreitend bündeln und gucken, was wir hier gren-
züberschreitend noch mehr tun können – insbesondere
im Hinblick auf die Klimakrise .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle will ich festhalten, dass Ihre For-
derungen durchaus in die richtige Richtung gehen . Ich
glaube auch, dass wir im Grunde genommen nicht weit
voneinander entfernt sind, liebe Frau Kollegin Ludwig .
Ich habe mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass
Sie eben, als die Kollegin das Sudelfeld angesprochen
hat, geklatscht haben . Wenn Sie das vor Ort als CSU
dann auch einmal umsetzen würden, dann könnten wir
alle ganz froh sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kerstin Kassner [DIE LINKE])


An dieser Stelle muss ich aber auch deutlich sagen:
Es ist bedauerlich, dass wir es bei einem so wichtigen
Thema nicht geschafft haben, heute hier einen gemeinsa-
men Antrag vorzulegen . Die Initiative dazu gab es ja . Ich
glaube, das wäre ein Signal der Geschlossenheit und da-
für gewesen, dass wir den Alpenschutz ernst nehmen und
gemeinsam voranbringen wollen . Ich glaube, die Alpen
und auch die Branche würden es uns danken, wenn wir
da einen gemeinsamen Weg finden für die restliche Zeit
des deutschen Vorsitzes .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810000

Und ich danke Ihnen . – Jetzt erhält die Kollegin Heike

Brehmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Heike Brehmer (CDU):
Rede ID: ID1812810100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der Koalitions-
fraktionen und den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
zur nachhaltigen Gestaltung der Alpenkonvention . Der
Alpenraum – wir haben es heute schon mehrfach ge-
hört – ist landschaftlich einzigartig und eines der wich-
tigsten Erholungsgebiete Europas .

120 Millionen Touristen nutzen die Alpen jedes Jahr
zur Erholung sowie für Sport- und Freizeitaktivitäten .
Unsere Gäste schätzen besonders den direkten Zugang
zur Natur, die beeindruckenden Landschaften und das
breite Spektrum touristischer Angebote . Der Erfolg der
Alpen als eine der führenden Destinationen auf dem
internationalen Touristikmarkt ist maßgeblich auf ihre
Vielfalt zurückzuführen . Die breite Palette regionaler
Ressourcen und das kulturelle Erbe erfüllen zu jeder Zeit
die Erwartungen der Gäste .

Der Tourismus boomt, nicht nur in den Alpen, son-
dern in allen Regionen unseres Landes . Die Tourismus-
branche ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren:
2,9 Millionen Beschäftigte und rund 97 Milliarden Euro
Bruttowertschöpfung in Deutschland sind dafür der bes-
te Beleg . Mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent ist
und bleibt Deutschland das Lieblingsreiseland heimi-
scher Landsleute . Diese Zahlen zeigen, dass Deutschland
in der ganzen Welt für seine Gastfreundschaft geschätzt
wird . Dieser Erfolg ist aber kein Selbstläufer . Er ist das
Ergebnis von Fleiß und harter Arbeit . Deshalb möchte
ich den Beschäftigten der Branche, die täglich mit viel
Engagement im Tourismus arbeiten, ein herzliches Dan-
keschön aussprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass der Deutschlandtourismus insgesamt boomt, da-
ran haben die Alpen einen erheblichen Anteil . Sie sind ei-
nes unserer wichtigsten Urlaubs- und Erholungsgebiete .
Mit der Alpenkonvention haben sich acht Staaten und die
Europäische Union verpflichtet, das einzigartige natürli-
che und kulturelle Erbe der Alpen zu schützen und den
Tourismus nachhaltig zu gestalten .

Der Antrag von CDU/CSU und SPD zur Alpenkon-
vention ist daher ganz bewusst auf Nachhaltigkeit und
den Schutz natürlicher Ressourcen ausgelegt . Wir wollen
unser Handeln mit Blick auf die Lebensqualität nachfol-
gender Generationen langfristig ausrichten . Mit der Al-
penkonvention sind wir auf einem sehr guten Weg . Zu
den wichtigsten Grundlagen des Tourismus zählen eine
intakte Natur und Umwelt . Die Konvention legt Min-
destanforderungen zum Bergtourismus fest und berück-
sichtigt dabei wirtschaftliche, soziale und ökologische
Auswirkungen .

Deutschland hat gemeinsam mit dem Freistaat Bayern
im Dezember 2014 für zwei Jahre den Vorsitz der Alpen-

Markus Tressel






(A) (C)



(B) (D)


konvention übernommen . Wir wollen einen konkreten
Beitrag zum Erhalt des landschaftlichen und kulturellen
Erbes der Alpenregion leisten . Dazu zählt der Abschluss
des Interreg-Projektes zum länderübergreifenden Aus-
tausch von Verkehrs- und Tourismusdaten als Grund-
lage für gemeinsame statistische Erhebungen . Es wird
zusätzlich eine Arbeitsgruppe „Nachhaltiger Tourismus“
eingerichtet . Sie führt die Erkenntnisse aus dem Vierten
Alpenzustandsbericht kontinuierlich fort .

Wir arbeiten eng mit den Vertragsparteien, der Zivil-
gesellschaft vor Ort und den alpinen Netzwerken zusam-
men . Die Bundesregierung wird Vertreter der Alpenstaa-
ten, der lokalen Wirtschaft sowie von Verbänden und
Politik zu einem Erfahrungsaustausch zusammenbrin-
gen . Die Zusammenarbeit der Alpenstaaten ist für den
Tourismus bedeutender denn je; denn manche Chancen
und Herausforderungen lassen sich in diesem Naturraum
nur gemeinsam und grenzüberschreitend lösen .

Beispielhaft nenne ich das Projekt „Crossing Bor-
ders“ – wir haben es heute schon gehört – zur Förderung
der Elektromobilität im Alpenraum und das Gemeinde-
netzwerk „Allianz in den Alpen“ . Es setzt sich mit seinen
Projekten für den Erhalt der Biodiversität und die Ver-
marktung regionaler Produkte ein . Der deutsche Vorsitz
hat für sein Programm den Titel „Die Alpen – Vielfalt in
Europa“ gewählt . Unser heutiger Antrag zeigt konkrete
Möglichkeiten auf, unterschiedliche Interessen und An-
sprüche mit dem Erhalt lokaler Landschaften und Tra-
ditionen in Einklang zu bringen . Nachhaltiger Touris-
mus erfordert ein konzertiertes Vorgehen auf nationaler,
regionaler und lokaler Ebene . Hier ist das Land Bayern
Vorbild . Mit seiner nachhaltigen Tourismusstrategie ge-
hört Bayern zweifellos zu den Vorreitern der deutschen
Tourismuswirtschaft .

Mit über 31 Milliarden Euro Bruttoumsatz und über
84 Millionen Übernachtungen sichert die Leitökonomie
Tourismus das Einkommen von mehr als 560 000 Ein-
wohnern im Freistaat . Der Ressourcenreichtum – beson-
ders in den bayerischen Alpen – ist Verpflichtung, scho-
nend damit umzugehen und ihn als Lebensgrundlage für
künftige Generationen zu bewahren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Dr . Hans-Joachim Schabedoth [SPD])


Der Erhalt von Natur und regionaler Identität hat auch
aus tourismuspolitischer Sicht hohe Priorität . In den
bayerischen Alpen gibt es eine Fülle erstklassiger Lö-
sungsansätze für den nachhaltigen Tourismus, die unein-
geschränkt zur Nachahmung empfohlen werden können .
Nennen möchte ich zum Beispiel das Ökomodell Achen-
tal zum grenzüberschreitenden Schutz lokaler Kultur-
landschaften . Davon hat sich unser Tourismusausschuss
bei seiner Reise in das Berchtesgadener Land selbst
überzeugen können . So sind im Nationalpark Berchtes-
gadener Land die Wanderwege barrierefrei ausgebaut .
Die meisten Ziele sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln
ohne eigenes Auto zu erreichen, und spezielle Wegeleit-
konzepte schützen Flora und Fauna .

Deutschland führt aus gutem Grund gemeinsam mit
dem Freistaat Bayern den Vorsitz der Alpenkonvention .
Die aktuellen Herausforderungen in den Alpenländern
betreffen den Ausbau nachhaltiger Tourismuskonzepte .
So wollen wir beispielsweise im Rahmen der Alpenkon-
vention die Verkehrsbelastung senken – das haben wir
heute schon mehrmals gehört – und eine nachhaltige Ver-
kehrspolitik umsetzen . Dazu gehört die bessere Erreich-
barkeit von Tourismusdestinationen mit öffentlichen Ver-
kehrsmitteln und die Förderung der Elektromobilität .

Weiterhin wollen wir als CDU/CSU und SPD die
barrierefreie Erreichbarkeit touristischer Ziel verbessern
und Best-Practice-Lösungen aus dem Bereich Barriere-
freiheit bekannter machen .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zur
Weiterentwicklung der Alpenkonvention wird die Bun-
desregierung eine Arbeitsgruppe einrichten, die einen
Mehrjahresentwurf unter den bereits genannten Gesichts-
punkten erarbeitet . Weiterhin wird es in Zusammenarbeit
mit der Bayerischen Staatsregierung im Juni 2016 eine
Konferenz der Alpenstaaten zum Thema „Nachhaltiger
Tourismus und Innovation im Alpenraum“ geben . Die
Konferenz wird konkrete Politikempfehlungen für die
XIV . Alpenkonferenz erarbeiten . Weiterhin begrüßen
wir, dass die Bundesregierung Vertreter der Alpenstaaten
und der alpinen Regionen zu einem Erfahrungsaustausch
zusammenbringen wird, um über Initiativen zum Thema
„Digitale Netze und Mobilität“ zu beraten .

Unser Antrag von CDU/CSU und SPD sieht weiter-
hin vor, die Deutsche Zentrale für Tourismus als größte
Einrichtung zur Vermarktung Deutschlands als Urlaubs-
und Reiseland in die Beratungen der Fachkonferenzen
einzubeziehen . Unser Antrag enthält wichtige Ansätze
zur sinnvollen Weiterentwicklung der Alpenkonvention .
Dies gelingt uns nur in überlegter Zusammenarbeit mit
den Alpenstaaten und den Bewohnern des Alpenraums .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, Ihren Antrag lehnen wir natür-
lich ab, weil er die nachhaltige touristische Entwicklung
des Alpenraums zu oberflächlich behandelt und die Po-
tenziale für die Weiterentwicklung des naturnahen Tou-
rismus in den Alpen nicht ausreichend berücksichtigt .


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat euch das denn aufgeschrieben?)


Unser Antrag hingegen entwickelt den Wirtschaftsfaktor
Tourismus weiter . Wir wollen die vorhandenen Wachs-
tumspotenziale nutzen und langfristig sichern . Daran las-
sen Sie uns gemeinsam arbeiten .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810200

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/6187 und 18/4816 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –

Heike Brehmer






(A) (C)



(B) (D)


Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist es so
beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan
Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge
Flüchtlinge sicherstellen

Drucksache 18/6198
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Gleicher Zugang zur Bildung auch für Ge-
flüchtete

Drucksache 18/6192
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe hier
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Wenn jetzt Frau Kollegin Hiller-Ohm und Herr Kol-
lege Tressel Ihre Gespräche draußen fortsetzen würden,
könnte ich die Aussprache eröffnen .

Ich eröffne jetzt die Aussprache . Das Wort hat Beate
Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Liebe Gäste! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wer in die-
sen Tagen die flüchtlingspolitische Debatte verfolgt,
bekommt nicht selten abenteuerliche und absurde Vor-
schläge zu hören . Da will zum Beispiel eine CSU-Lan-
desgruppenchefin Menschen abschieben, bevor sie über-
haupt in Deutschland angekommen sind, da will ein
Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt Schutzsuchende
benutzen, um den Mindestlohn zu untergraben, und da
will ein Finanzminister aus Bayern Zäune zur Flücht-
lingsabwehr an den deutschen Grenzen errichten .

Solche Vorschläge, meine sehr geehrten Damen und
Herren, widersprechen geltendem Recht,


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!)


vergiften das gesellschaftliche Klima und bringen in der
Sache rein gar nichts, sagen dafür aber einiges über die

Mauern in den Köpfen derjenigen aus, die ganz offen-
sichtlich Politik mit Polemik verwechseln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Den Hasselfeldts, Haseloffs und Söders dieses Landes
möchte ich deshalb sagen: Lassen Sie diesen Unsinn!
Hören Sie auf, Menschen in gute und schlechte Flücht-
linge zu sortieren!


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!)


Leisten Sie stattdessen endlich einen Beitrag dazu, dass
wir die großen Herausforderungen meistern!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine der großen, vielleicht sogar die größte Herausfor-
derung bei der Integration von Flüchtlingen ist der offene
und schnelle Zugang zu Bildung und Ausbildung . Über
die Hälfte der Menschen, die bei uns Schutz suchen, die
hierherkommen, um eine bessere Zukunft zu haben, die
in diesen Wochen in Passau, München, Rosenheim und
anderswo in der Republik ankommen, ist unter 25 Jah-
re alt . Allein dieses Jahr wird es vermutlich eine halbe
Million junger Menschen sein . Es muss vor allen Dingen
auch Ihnen, Frau Ministerin, ein Anliegen sein, dass die-
se 500 000 jungen Menschen schnell und unbürokratisch
in Kitas, Schulen, Berufsschulen und Unis kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Zugang zu Bildung ist ja keine kleine Fußnote in
einer allgemeinen Flüchtlingsagenda, sondern Bildung –
davon sind wir überzeugt – ist der zentrale Dreh- und An-
gelpunkt jeder gelungenen Asyl- und Integrationspolitik .
Kitas, Schulen, Betriebe und Universitäten verschaffen
diesen jungen Menschen nicht nur einen neuen Alltag,
sondern geben ihnen auch Halt und Sicherheit . Ihr Be-
such ist der erste und wichtigste Schritt im neuen Leben
dieser jungen Menschen . Wer das nicht sieht, der will es
nicht sehen oder weigert sich aus parteipolitischer Tak-
tiererei, in der Realität des 21 . Jahrhunderts anzukom-
men. Das muss man einfach, finde ich, so sehen.

Länder, Kommunen und die vielen ehrenamtlichen
Helfer, die wir überall haben, leisten heute schon Beacht-
liches . Ihnen gelten unser Respekt und unser Dank . Sie
bemühen sich, den jungen Flüchtlingen einen Zugang zur
Bildung zu vermitteln, so gut es geht. Aber wir finden,
dies sollte den Bund herausfordern, mehr Verantwortung
zu übernehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Auch die Bundesregierung muss sich endlich ihrer Ver-
antwortung stellen . Das hören Sie heute nicht zum ersten
Mal – das weiß ich –, und Sie hören es auch nicht nur
von mir .

Wenn ich feststellen muss, dass Ihnen als Bildungs-
ministerin – verzeihen Sie bitte! – nicht mehr einfällt als
eine Smartphone-App und Ihnen dann nur noch der Geis-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


tesblitz kommt, auf noch mehr Ehrenamtliche zu setzen,
dann sehe ich schwarz für die Zukunft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Das ist jetzt auch polemisch!)


Wenn ich mir einen kleinen Scherz erlauben darf: Dass
Sie, Frau Ministerin Wanka, nicht mit Zahlen rechnen,
wissen wir spätestens seit der heute-show; aber wenn
Sie allen Ernstes glauben, fehlende Investitionen in Mil-
liardenhöhe mit einem 130-Millionen-Euro-Programm
wettmachen zu können, dann haben Sie sich dieses Mal
richtig verrechnet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bildung – das sollten Sie als Bildungsministerin doch
am besten wissen – gibt es nicht zum Nulltarif . Statt
Smartphone-Apps und kleine Modellprojekte brauchen
wir eine große Bildungsoffensive, die auch in der Fläche
wirkt . Das kostet Geld, das Sie, geehrte Frau Ministerin,
offenbar nicht investieren wollen .

Seit vielen Monaten drängt die Wirtschaft zum Bei-
spiel auf ein sicheres Bleiberecht für Menschen in der
Berufsausbildung . Hören Sie doch zur Abwechslung
mal auf Ihre Freunde aus der Wirtschaft, und schaffen
Sie endlich eine rechtssichere Lösung, die diesen Namen
auch verdient!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Gleiche gilt für den Zugang zu Unterstützungsan-
geboten während der Ausbildung . Asylsuchende und Ge-
duldete sind hier immer noch stark benachteiligt . Es ist
doch einfach absurd, einen jungen motivierten Menschen
in den ersten 15 Monaten von jeder dieser Hilfen aus-
zuschließen, obwohl er vielleicht schon nach drei oder
sechs Monaten eine Ausbildung oder auch ein Studium
aufnehmen könnte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Warum sperren Sie sich so gegen die Vorschläge von
Arbeitgebern und Gewerkschaften? Geben Sie sich doch
einen Ruck, und lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen,
dass alle jungen Flüchtlinge in Deutschland vom ersten
Tag an unterstützt werden .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!)


Wir dürfen in dieser Debatte eines nicht vergessen:
Bildung ist nicht nur der Grundstein für ein selbstbe-
stimmtes Leben . Teilhabe durch Bildung ist auch der
soziale Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält . In
unserem Antrag finden Sie ein paar sehr konkrete Vor-
schläge, wie dieser Kitt gestärkt werden kann . Wir sind
der Meinung: Eine Selbstlern-App – so gut sie als nied-
rigschwelliges Angebot auch sein kann – wird hier defi-
nitiv nicht ausreichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810300

Vielen Dank . – Für die Bundesregierung erhält jetzt

Frau Bundesministerin Professor Dr . Johanna Wanka das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
ben eine sehr große humanitäre Aufgabe vor uns . Da-
mit, dass Hunderttausende, vor allen Dingen viele junge
Menschen, deren Bildungsbiografien wir anerkennen
müssen, in unser Land kommen, müssen wir umgehen .
Es ist natürlich allen klar, dass es in den Gesprächen
zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten jetzt
vor dem Winter um die akute Versorgung mit Wohnraum,
mit Essen und Trinken geht; denn das ist im Moment das
akute Problem .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD] – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)


– Sehr schön .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die eigentliche Aufgabe besteht aber darin, eine solch
große Zahl junger Menschen zu integrieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Und Integration durch Bildung – da sind wir uns mit den
Antragstellern der beiden Anträge, die heute vorliegen,
einig –,


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja zustimmen!)


ist die effektivste Form . Deswegen ist das ganz wichtig .
Wenn es gelingt, Integration so zu vollziehen, wie wir
das vorhaben, dann profitieren alle davon, und zwar nicht
nur der Arbeitsmarkt, sondern das ganze Land . Das ist
für mich deswegen eine sehr wichtige Aufgabe .

Sie haben etwas völlig missverstanden .


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Okay?)


Wir haben in meinem Haus überlegt: Was muss jetzt so-
fort passieren? Wir beschäftigen uns nicht erst in Anträ-
gen zum nächsten Haushalt mit der Frage: Wie kriegen
wir das Geld, und was können wir stemmen? Ein großes
Programm, wie wir es planen, um viele Jugendliche in
Arbeit zu bringen, kostet sehr viel Geld . Wir werden da-
rüber diskutieren müssen: Wird das mitgetragen? Ist das
möglich? Ist das finanzierbar? Die 130 Millionen Euro
für die Integration junger Flüchtlinge legen wir aber so-
fort auf den Tisch . Wir sagen nicht: „130 Millionen, das
ist die Summe, die wir für Bildung brauchen“, und for-
dern auch nicht nur das im Haushalt . Vielmehr bedarf es
einer großen Anstrengung im Haus . Deswegen verwahre
ich mich dagegen, dass behauptet wird, dass wir glauben,

Beate Walter-Rosenheimer






(A) (C)



(B) (D)


dass mit 130 Millionen Euro das Problem zu lösen sei .
Nein, natürlich nicht!


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das ist der Anfang!)


Der Bereich Schule liegt natürlich in Länderhand . Sie
haben doch mitbekommen, wie viele Milliarden wir letz-
ten Donnerstag beschlossen haben, den Ländern für die
Bewältigung der damit zusammenhängenden Aufgaben
zu geben . Natürlich ist es klar, dass die Jugendlichen, die
schulpflichtig sind, jetzt Schulklassen besuchen müssen.
Das ist eine große Aufgabe für die Länder . Das ist aber
nicht der Punkt, an dem wir als BMBF sofort aktiv wer-
den können .

Entscheidend sind also drei Punkte: Erwerb der deut-
schen Sprache, Erkennen der Kompetenzen, also was
Ausbildungen, was Qualifikationen hier in Deutschland
wert sind und was man damit machen kann, und natürlich
Integration in Ausbildung oder Beruf .

Wenn Sie zustimmen, dass es von ganz zentraler Be-
deutung ist, die Sprache zu lernen, würde ich mich an
Ihrer Stelle nicht lustig darüber machen, dass wir sagen:
Wir wollen Hunderttausende junge Menschen, die sich
jetzt als Flüchtlinge in Deutschland aufhalten, per App
über ihre Smartphones erreichen . Damit haben sie ihre
Flucht organisiert; da sind sie wunderbar vernetzt . Ein
niedrigschwelliges Angebot für jeden dieser Jugendli-
chen, der schnell ins Deutsche einsteigen will, ohne dass
er Kurse oder sonst etwas besucht, ist ein klasse Angebot .
Und das kostet nicht einmal viel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810400

Frau Ministerin, der Kollege Mutlu möchte eine Zwi-

schenfrage stellen .

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Nein . Hinterher gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810500

Hinterher geht nicht mehr . Jetzt oder nie .

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Gut, okay, dann nicht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810600

Gut .

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Das heißt, es ist genau wie beim Programm Lesestart .
Dieses Programm hat bei deutschen Kindern funktio-
niert,


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Hervorragend!)


und wir haben zusammen mit der Stiftung Lesen den
Zugang zum ihm sofort auch Flüchtlingskindern ermög-
licht .

Den Einsatz von Lernbegleitern finden Sie nicht toll.
Wissen Sie denn nicht, was in den Ländern los ist?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir sehr wohl!)


Haben Sie denn keine Ahnung davon, wie viele Leh-
rer – ich denke da nicht nur an Deutsch-, sondern auch
an andere Lehrer – für diese vielen Willkommensklassen
fehlen?


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Doch! Ja, eben!)


Anscheinend haben Sie keine Ahnung davon . Es ist je-
denfalls nicht unsere Aufgabe, diese Lehrer einzustellen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wieder einmal die Länder schuld? – Zuruf des Abg . Norbert Müller LINKE])


Wir aber können zum Beispiel etwas machen, was
Sie ebenfalls abgetan haben, nämlich Tausende von
Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie jetzt sofort
Deutsch als Alltagssprache vermitteln können . Da arbei-
ten wir mit den Volkshochschulen zusammen . Ich spiele
auf die Lernbegleiter an . Das heißt, Menschen, die sich
engagieren wollen,


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie können nicht das Ehrenamt immer mehr und mehr fordern!)


bekommen in der Volkshochschule eine Grundausbil-
dung – es geht nicht darum, dass sie Lehrer für Deutsch
werden –,


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein wichtiger Unterschied!)


sodass sie in der Lage sind, einer arabischen oder einer
türkischen Familie schnell und konsequent etwas klarzu-
machen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


zum Beispiel, wie man sich in Deutschland bewegt, was
für Vokabeln man im Gesundheitssystem braucht, wie
man beim Einkaufen zurechtkommt . Das sind praktische
Dinge . Sie zu vermitteln, das funktioniert nicht mit An-
weisungen von oben, etwa von Lehrern, sondern es muss
in der Fläche vermittelt werden . Deswegen ist die Idee,
Lernbegleiter auszubilden, richtig gut . Die Volkshoch-
schulen sind, Herr Rossmann, ein breites Netz, das beste,
das wir haben . In jedem Landkreis gibt es eine Volks-
hochschule, und deswegen ist das von mir gerade Dar-
gestellte das Instrument . Das Ganze ist also nicht als Pe-
anuts abzutun; vielmehr steckt dahinter eine kluge Idee .
Diese Idee aber hatten wir .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Stichwort „Berufsorientierung“: Wie gelingt es, junge
Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen? Alle jungen
Flüchtlinge, die jetzt in die Schule kommen und dort

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


normal beschult werden, müssen, wenn sie in der sieb-
ten und achten Klasse sind, sofort qualifiziert erfahren,
was man in Deutschland lernen kann, welche Berufe es
gibt und was man dafür wissen muss . Deswegen führen
wir Potenzialanalysen und Berufseinstiegsbegleitungen
durch . Die damit verbundenen Maßnahmen haben wir,
Frau Nahles und ich, nicht im Rahmen von Modellver-
suchen getestet; vielmehr haben wir für die Qualifizie-
rung von mindestens 500 000 jungen Leuten im Haushalt
1,2 Milliarden Euro verankert . Diese Mittel stehen sofort
zur Verfügung; sie stehen auch zur Qualifizierung jedes
Flüchtlingsjungen und jedes Flüchtlingsmädchens zur
Verfügung, wenn sie in der entsprechenden Klasse sind .

Wir müssen über die Frage reden: Reicht das? Müs-
sen wir diese Mittel in den nächsten Jahren weiter auf-
stocken? Im Moment ist dieses Geld auf jeden Fall vor-
handen; es ist veranschlagt . Deswegen setzen wir es an
dieser Stelle ein .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich komme auf etwas zu sprechen, was wir in den
letzten Jahren ebenfalls gefördert haben: die KAU-
SA-Beratungsstellen . Dort motiviert man beispielsweise
Unternehmer mit Migrationshintergrund, etwa türkische
Gemüsehändler, junge Leute auszubilden .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir müssen da noch etwas mehr tun!)


In KAUSA-Beratungsstellen werden auch Eltern und
Großeltern entsprechender Personen mit Migrations-
hintergrund unterrichtet . Die KAUSA-Beratungsstellen
funktionieren . Aber angesichts vieler Tausend Flüchtlin-
ge müssen wir die Zahl dieser Beratungsstellen erhöhen;
vielleicht müssen wir sie verdoppeln, verdreifachen


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eher vervierfachen!)


oder vervierfachen, sodass in den Ballungsgebieten qua-
lifizierte Personen vorhanden sind, die das nötige Wissen
vermitteln können .

Wenn wir in Deutschland junge Flüchtlinge in Aus-
bildung bringen wollen, dann müssen wir das Vertei-
lungsproblem lösen . Es gibt unversorgte Bewerber, die
keinen Ausbildungsplatz haben, und gleichzeitig gibt es
freie Ausbildungsplätze . Was meinen Sie, wie schwierig
es wird, junge Flüchtlinge zum Beispiel nach Mecklen-
burg-Vorpommern zu vermitteln! Wenn dort ein Maler,
ein Bäcker oder ein Fleischer zum allerersten Mal seit
Jahren einen Lehrling bekommen soll, dann müssen wir
das organisieren . Das ist kein Wünsch-dir-was; das funk-
tioniert nicht automatisch .

Seit dem 1 . August 2015 ist für die Geduldeten, also
für die, die in ihre Herkunftsländer eventuell zurück-
gehen müssen, geregelt – es geht nicht um diejenigen,
die die Anerkennung haben; diese bekommen vom ers-
ten Tag an nahezu alles, worauf man in Deutschland ein
Anrecht hat –, dass sie, wenn sie eine Ausbildung ange-
fangen haben, diese auch abschließen können, da deren
Aufenthaltsgenehmigung in diesem Zeitraum sicher ist .

Die Gesetzeslage in Deutschland ist des Weiteren so,
wie ich sie jetzt darstelle: Wenn einer eine Ausbildung,

etwa als Bäcker, erfolgreich abgeschlossen hat, dann
kann er im gelernten Beruf in Deutschland für zwei Jahre
ohne Vorrangprüfung und ohne andere Hindernisse ar-
beiten, wenn er einen Arbeitsplatz hat .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn also ein Bäcker sagt: „Den nehme ich“, dann kann
der Geduldete hierbleiben . Wenn der Geduldete zwei
Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, dann kann er auch
weiterhin in Deutschland bleiben, und dann kann er auch
in einem anderen Beruf arbeiten . Wenn er vier Jahre hier
war, hat er die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht .
Das ist doch, wie ich finde, eine sehr gute Regelung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Etwas kompliziert! Aber es ist immerhin eine Regelung!)


Meine Damen und Herren, was den gesamten Bereich
Anerkennung angeht: Es kommen ja auch Menschen
nach Deutschland, die in einem ganz anderen Land ei-
nen Beruf erlernt haben . Ein Anerkennungsgesetz in der
Form, wie es in Deutschland gilt, gibt es in keinem an-
deren Land .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Man hat nämlich einen Rechtsanspruch darauf, dass zum
Beispiel festgestellt wird, was eine Ausbildung in Syrien
als Ingenieur hier in Deutschland wert ist .

Mit diesem Anerkennungsgesetz haben wir auch von
Anfang an dem Umstand Rechnung getragen, dass auch
Menschen zu uns kommen, die kein Zeugnis mehr ha-
ben, die zum Beispiel kein Facharbeiterzeugnis haben,
weil es das in ihren Heimatländern vielleicht gar nicht
gibt . In diesen Fällen gibt es die Möglichkeit, durch Ar-
beitsproben und Fachgespräche festzustellen, ob derjeni-
ge schweißen kann oder in der Lage ist, bestimmte Ma-
schinen zu bedienen . Diese Methoden haben wir mit den
Handwerkskammern und den IHKs in den letzten Jahren
ganz intensiv erprobt, um sicherzustellen, dass überall in
Deutschland die gleichen Qualitätsstandards gelten . Die-
se Methoden können jetzt eingesetzt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


In den Kommunen und Kreisen haben wir ja Bündnis-
se für Bildung . Ich bin besonders stolz darauf – das sage
ich in Richtung Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir jetzt
in der Lage sind, über mein Ministerium in 400 Kom-
munen bzw . Gebietskörperschaften die Koordination der
Bildungsangebote für die Flüchtlinge vor Ort zu finanzie-
ren . Das ist wichtig, weil ganz viel parallel läuft . Ich den-
ke, das ist eine handfeste Unterstützung der Kommunen
vor Ort, die für die Realisierung zuständig sind und damit
zum Teil alleingelassen werden .

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


Meine Redezeit ist gleich zu Ende . Ich möchte aber
noch eine Bemerkung machen: In dem Antrag der SED
stand:


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „SED“? – Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU]: Der war gut!)


– Ja .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das war ja extrem witzig!)


– Nein, das ist nicht witzig, Frau Gohlke . Die Partei heißt
jetzt anders, aber das ist die SED .


(Beifall des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU] – Zurufe von der LINKEN)


Sie ist nie aufgelöst worden .


(Karin Binder [DIE LINKE]: 25 Jahre verpennt! Das ist eine Unverschämtheit!)


– Nein . – Heute früh hat jemand hier am Pult gesagt, das
sei die Nachfolgeorganisation .


(Zuruf von der LINKEN: Oh mein Gott!)


Das ist keine Nachfolgeorganisation .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist die gleiche Partei!)


Sie haben Ihren Namen geändert .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen es nur noch schlimmer! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ganz schlechter Stil!)


– Frau Gohlke, Sie sind vielleicht zu jung .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 Jahre Wiedervereinigung! – Zurufe von der LINKEN)


– Es stimmt aber trotzdem . Manches stimmt noch nach
50 Jahren .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist leider wahr! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es wird nicht besser!)


In Ihrem Antrag steht, wir sollen die Hochschulen für
Flüchtlinge öffnen . – Sie sind offen . Es ist ganz eindeutig
möglich, an diese Hochschulen zu kommen .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Hier in Berlin ist es zum Beispiel nicht möglich! Es scheint nicht so einfach zu sein!)


Wir haben ein großes Paket geschnürt, um den jungen
Flüchtlingen zu zeigen, wie das geht und wie man Tests
leichter bestehen kann. Außerdem übernehmen wir finan-
zielle Verpflichtungen. Es geht aber nicht um das Absen-
ken von Standards . Eine Hochschulzugangsberechtigung
muss schon vorhanden sein .

Meine Redezeit ist zu kurz, um zu allem Ausführun-
gen zu machen . Ich glaube, dass wir gezeigt haben, dass
es für uns beim Thema Bildung nicht nur um die Forde-

rung nach mehr Geld in riesigen Dimensionen geht . Wir
haben gezeigt, dass wir anpacken können . Wir haben so-
fort etwas auf den Tisch gelegt . Wir brauchen aber auch –
ich verspreche Ihnen, mich dafür einzusetzen – weiteres
Geld .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810700

Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die Fraktion Die

Linke ist die Kollegin Nicole Gohlke .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Für die SED! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht SED?)


– Nein, hier sitzt die Fraktion Die Linke .


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812810800

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Eine

sachfremde Bemerkung muss ich vorwegschicken: Ich
glaube tatsächlich, dass Ihre Bundeskanzlerin mit der
SED und der FDJ etwas mehr zu tun hatte, als ich jemals
zu tun hatte .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre schön, wenn Sie 25 Jahre später vielleicht auch
so weit denken könnten .

Der Antrag der Linken, der heute auch vorliegt, will
den gleichberechtigten Zugang zu Bildung für Geflüch-
tete sicherstellen; denn jeder weiß, wie zentral Bildung
und Sprache dabei sind, Menschen gesellschaftliche Teil-
habe und Perspektiven zu eröffnen . Aus zwei Gründen ist
diese Initiative der beiden Oppositionsparteien dringend
nötig:

Erstens . Die Regierung darf nicht länger mit dem
Finger auf die Länder zeigen . Es ist ja völlig klar: Vie-
le Dinge fallen in die Zuständigkeit der Länder und der
Kommunen, und sie tragen bislang die finanzielle Haupt-
last . Genauso klar ist aber doch wohl auch, dass wir es
hier mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu tun
haben . Das Herumschieben von politischen Verantwort-
lichkeiten ist der Situation absolut unwürdig,


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist kein Herumschieben! Das ist Realität!)


und der Bund ist viel stärker als bisher gefordert .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens . Die Initiative ist auch deswegen nötig,
weil die eigentlich selbstverständliche Haltung, nämlich
schnell und unbürokratisch Unterstützung für Menschen
in Not zu leisten, leider nicht in allen Teilen der Großen
Koalition selbstverständlich ist . Es war zwar wirklich po-
sitiv – es fällt mir jetzt gerade zwar ein bisschen schwer,
das zu sagen, aber ich sage es trotzdem, weil es wirklich
positiv war –, dass die Bildungsministerin nicht in die
schrille Tonlage von manch anderem eingestimmt hat


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


und stattdessen, auch im Rahmen der Allianz für Aus-
und Weiterbildung, Maßnahmen zur Integration von Ge-
flüchteten angekündigt hat.

Aber gleichzeitig sind es Ihre Fraktionskollegen, die ei-
nen ganz dumpfen Rassismus bedienen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!)


zum Beispiel, wenn aus Bayern Parolen kommen wie
die, dass Deutschland „nicht das Sozialamt für den Bal-
kan“ sei, und wenn Horst Seehofer große Verbrüderung
mit einem Rassisten wie Viktor Orban feiert .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich muss sagen: Ich erwarte von der Bildungsminis-
terin auch mal ein paar klare Worte, wenn hierzulande
Flüchtlingskinder von der Polizei mitten aus dem Un-
terricht geholt werden, weil den Eltern die Abschiebung
droht,


(Beifall bei der LINKEN)


oder wenn so unglaubliche Vorschläge gemacht werden
wie der, die Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern
gleich ganz abzuschaffen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Der kommt übrigens aus Thüringen! Da regieren Sie!)


Kolleginnen und Kollegen, hier geht es um ein Men-
schenrecht, um das Recht auf Bildung . Dieses Recht gilt
universell. Es ist nicht verhandelbar. Ich finde, das hat die
Bildungspolitik auch einmal klarzustellen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Es ist sehr gefährlich, wenn hier stän-
dig nach Gruppen gesucht wird, für die diese Rechte
nicht gelten sollen . Mal sind es die Asylsuchenden insge-
samt, dann versucht man, Menschen über die Konstruk-
tion von sogenannten sicheren Herkunftsstaaten von Ar-
beit und Bildung auszuschließen . Wer so denkt und so
Politik macht, hat die Menschenrechte nicht verstanden .


(Beifall des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesregierung steht in der Pflicht, allen Menschen,
auch den zugewanderten, gute Bildung zu ermöglichen
und die Länder und Kommunen dabei zu unterstützen,
das umzusetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen fordert die Linke ein Bund-Länder-Pro-
gramm für Sofortmaßnahmen in der Bildung . Und die
beginnt in der Kita . Da brauchen wir endlich ausreichend
Plätze . Das war schon richtig, bevor eine größere Zahl
von Geflüchteten zu uns gekommen ist, und jetzt gilt
es erst recht . Viel zu lange haben Sie in der Regierung
mit der sinnlosen Herdprämie herumgemurkst und den
Kitaausbau hinten angestellt .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, na! Nicht alle Teile!)


Mehr als ein Drittel der Geflüchteten ist jünger als
18 Jahre . Es ist mit bis zu 400 000 neuen Schülerinnen
und Schülern zu rechnen, die in den Schulalltag integriert
werden müssen . Da sage ich Ihnen: Dem Bildungsminis-
terium muss natürlich mehr einfallen als eine Smartpho-
ne-App zum Deutschlernen und ehrenamtliche Flücht-
lingshelfer als Lernbegleiter .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Haben Sie zugehört?)


Diese Aufgabe kann man nicht auf diese Weise abwäl-
zen . Was es braucht – jetzt können Sie mir zuhören –,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Tue ich!)


sind mehr festangestellte, qualifizierte und gut bezahlte
Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, und zwar an öf-
fentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Können Sie in den Ländern, wo Sie Verantwortung haben, machen! – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Fangen Sie in Thüringen an!)


und da muss der Bund mithelfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist der Unterschied zwischen uns, Frau Wanka:
Ihre Partei hat Stellen von Lehrerinnen und Lehrern zum
Beispiel in Brandenburg in der Zeit der Großen Koalition
zu Tausenden – ich glaube, es waren über Zehntausend –
abgebaut . Wir wollen Lehrerinnen und Lehrer neu ein-
stellen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir in Bayern haben es gemacht!)


weil wir wissen, vor welchen Aufgaben wir im Bildungs-
bereich stehen .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie wollen es, und wir haben es gemacht!)


An dieser Stelle wird wieder einmal deutlich, was für
ein Hemmnis das Kooperationsverbot, das Verbot der
Zusammenarbeit von Bund und Ländern, in der Bildung
ist .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Bitte konkret statt Ideologie!)


Sie als Regierung hätten es in der Hand, damit endlich
Schluss zu machen und dieses unnötige Problem aus dem
Weg zu räumen und einfach das Selbstverständliche zu
tun und gesamtgesellschaftliche Bildungsaufgaben auch
gemeinsam zu stemmen . Es wäre schön, wenn die neue
Situation wenigstens dazu führte, dass Sie einmal darü-
ber nachdenken .


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich noch einen Satz zur Finanzierung
sagen . Es ist unredlich, wenn aus der Politik suggeriert
wird, die neue Situation brächte das Land an seine Be-
lastungsgrenze . Was uns an die Belastungsgrenze bringt,
ist schlechtgemachte Politik . Die Bundesrepublik hat im
ersten Halbjahr dank der guten Konjunktur den höchs-
ten Überschuss seit rund 15 Jahren erzielt . Bund, Länder

Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


und Kommunen haben deutliche Mehreinnahmen zu ver-
zeichnen . Ich weise Sie gerne noch einmal darauf hin,
dass wir ein Land mit einer sehr hohen Steuerbasis sind .
Es kommt auf die richtige Verteilung an . Haben Sie den
Mut, endlich die Verteilungsfrage zu stellen!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ideologie! Ideologie! Ideologie!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812810900

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Dr . Karamba Diaby .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karamba Diaby (SPD):
Rede ID: ID1812811000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was tut die
Bundesregierung für die Bildung von Geflüchteten? Öff-
nung von Integrations- und Sprachkursen,


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!)


bereits nach 15 Monaten Zugang zu BAföG,


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch sehr gut!)


zusätzlich 130 Millionen Euro vonseiten des Bildungs-
ministeriums


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein guter Anfang!)


und nicht zuletzt die dauerhafte Unterstützung der Län-
der und Kommunen .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Richtig!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren der Linken
und der Grünen, viele Ihrer Forderungen sind gut ge-
meint, aber wir haben bereits viele davon auf den Weg
gebracht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Uns allen ist doch bewusst: Mit guter Bildungspolitik
steht und fällt ein gutes Zusammenleben; denn de fac-
to bleibt der Großteil der Menschen über viele Jahre bei
uns . Die Frage ist also, wie Integration gemeinsam er-
folgreich gestaltet werden kann . Ob Spracherwerb, der
Aufbau sozialer Netzwerke oder die berufliche Ausbil-
dung: Bildung ist ein zentraler Baustein für Integration .
Ob Kita, Schule, Ausbildungsstelle, Hochschulen: Unse-
re Bildungseinrichtungen sind für eine erfolgreiche Inte-
gration der Menschen, die zu uns kommen, von großer
Bedeutung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei können die Bildungseinrichtungen an die vorhan-
denen vielfältigen schulischen und beruflichen Qualifika-
tionen der Geflüchteten anknüpfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Integration der
Geflüchteten ist eine Chance für unser Bildungssystem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tatsache, dass Menschen in unser Land kommen
und hier bleiben, hat bildungspolitische Konsequenzen .
Unser Bildungssystem muss dieser Tatsache Rechnung
tragen . Ich nenne drei Punkte, die für die SPD-Fraktion
besonders wichtig sind:

Erstens . Spracherwerb ist eine entscheidende Vor-
aussetzung, um an Bildungsprozessen und am gesell-
schaftlichen Leben teilhaben zu können. Geflüchtete
mit Bleibeperspektive erhalten daher rasch Zugang zu
Sprachförderung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Sprachförderung müssen wir aber flexibel und prag-
matisch gestalten, zum Beispiel Praktikum und Sprach-
kurs gleichzeitig .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche
Bemerkung . Heute vor genau 30 Jahren bin ich um
15 .15 Uhr als Stipendiat in die DDR gekommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Tag eins: Da war meine Ankunft . Tag zwei: Anmeldun-
gen . Tag drei: Gesundheitscheck; auch das musste sein .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Tag fünf: Sprachkurs .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Oh! Was sagt denn da Frau Wanka?)


Sicherlich, die Situation ist nicht eins zu eins übertrag-
bar . Aber sie kann uns ein Ideengeber dafür sein, wie es
laufen sollte .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das könnte vielleicht als Orientierung dienen .

Beim Thema Spracherwerb dürfen wir zudem unsere
Lehrkräfte nicht vergessen . Für sie brauchen wir ordent-
liche Beschäftigungsverhältnisse und eine angemessene
Bezahlung .


(Beifall bei der SPD)


Zweitens . Die Aufhebung des Kooperationsverbots
für den Hochschulbereich eröffnet dem Bund bereits
Handlungsspielräume . Wir wollen die Länder dabei un-
terstützen, Geflüchteten den Zugang zu Hochschulen
zu ermöglichen . Hierfür sollten wir auf die vorhandene
Expertise unserer Organisationen zurückgreifen . DAAD,
Alexander-von-Humboldt-Stiftung und andere: Sie alle
haben Ideen, die Hochschulen dort zu unterstützen, wo
zum Beispiel Zeugnisse fehlen – auch Frau Ministerin
hat davon gesprochen –, nämlich um die Studier- und
Promotionsfähigkeit zu überprüfen, um Sprachkompe-
tenzen festzustellen und Spracherwerb zu fördern und

Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


um Beratungsangebote zu bündeln und zielgruppenge-
recht auszubauen .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: So muss man das machen!)


Die Kompetenzen von Geflüchteten dürfen wir nicht
brachliegen lassen . Wir müssen sie fördern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens geht es um die Anerkennung beruflicher Qua-
lifikationen. Geflüchtete sind unsere Nachbarn und Kol-
legen von morgen . Aber das ist kein Selbstläufer, meine
Damen und Herren .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Es gibt viele Unternehmer, die Asylsuchende einstellen
oder ausbilden wollen . Das ist ein wunderbares Signal
für unser Land . Es zeigt: Ihr seid willkommen, und ihr
werdet gebraucht . – Wir wissen aber auch: Nicht jeder
Asylsuchende hat bereits eine Ausbildung oder ein Stu-
dium abgeschlossen, zum Beispiel weil ein Großteil noch
sehr jung ist . Außerdem müssen wir neue Wege gehen,
um berufliche Kompetenzen festzustellen; denn Teilhabe
über Arbeit ist ein wichtiger Hebel für Integration .

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon –
auch meine Fraktion ist überzeugt davon –, dass das
Anerkennungsgesetz seine volle Wirkung erst entfalten
kann, wenn es finanziell ausgestattet wird. Wir brauchen
endlich ein Darlehensprogramm . Es liegt im Interesse
der Geflüchteten und in unserem Interesse, wenn wir ihre
Fähigkeiten fördern .

Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung
zum Thema Schulpflicht. In unserem demokratisch ver-
fassten Staat darf die Schulpflicht auf keinen Fall ange-
tastet werden .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)


Es liegt in unser aller Interesse, dass Kinder und Jugend-
liche von Anfang an unsere Schulen besuchen – Frau Prä-
sidentin, ich komme zum Ende -; denn mit guter Bildung
legen wir den Grundstein für unser Zusammenleben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns eint folgender
Gedanke: Bildung ist ein Menschenrecht . Wir setzen die-
ses Recht für alle Menschen gleichermaßen um .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812811100

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Giousouf für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1812811200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi-

nisterin Wanka! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine
Bemerkung vorab: Bei der Einhaltung der Menschen-

rechte brauchen wir uns von Ihnen, liebe Kollegen der
linken Fraktion, bestimmt nichts erzählen zu lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Fakt ist: Wenn wir die Integration der Neuzuzügler, der
Flüchtlinge – da stimme ich mit dir, lieber Karamba, voll-
kommen überein – nicht ausreichend unterstützen, wer-
den wir verlorene Biografien in Deutschland haben. Das
widerspricht nicht nur unserer persönlichen politischen
Ethik, darüber hinaus ist Integration auch ganz einfach in
unserem eigenen Interesse, wenn wir weiterhin als Nati-
on stark und wettbewerbsfähig sein wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deutschland hat über Jahrzehnte Einwanderer und
Flüchtlinge aufgenommen . Wir sind ein Einwanderungs-
land . Aber wir haben am Anfang auch Fehler gemacht .
Die sogenannte Gastarbeitergeneration hatte eben keine
Sprachkurse und Beratungsangebote – eine Situation, die
übrigens in den meisten Ländern der Welt bis heute so ist .
Aber wir haben dazugelernt . Es war die unionsgeführ-
te Bundesregierung, die Integrationspolitik maßgeblich
konzeptionell entwickelt hat .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein guter Witz!)


Deshalb müssen wir, wenn wir über Integration von
Flüchtlingen sprechen, den Menschen auch sagen: Wir
fangen heute nicht bei null an .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: In der Tat!)


So hat sich auch das Bildungsministerium seit knapp
zehn Jahren intensiv mit dieser Thematik auseinander-
gesetzt . Die Rede der Hausherrin des integrationspoliti-
schen Schlüsselministeriums hat gerade sehr eindrücklich
deutlich gemacht, dass sich das Ministerium für Bildung
und Forschung dieser Aufgabe nicht nur im aktuellen
Kontext stellt . Bereits seit vielen Jahren setzt die uni-
onsgeführte Bundesregierung bei der Integration auf den
Bildungsbereich . Ich möchte daher kurz folgende Fragen
aufwerfen: Wo wären wir heute angesichts der aktuellen
Herausforderungen ohne das Anerkennungsgesetz, ohne
die frühkindliche Bildung, ohne Sprachtests in den Kitas,
ohne unsere Allianz für Aus- und Weiterbildung, ohne
die Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wo wären wir ohne eine deutsche Ausbildung in islami-
scher Theologie? Kein Zweifel, die zukünftigen Prob-
leme wären ohne diese Initiativen des BMBF sehr viel
größer .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen kann das BMBF auch mit großer Zuver-
sicht in die Zukunft blicken . Wir haben eindrücklich ge-
hört: Die eben vorgestellten Maßnahmen sind ein erster
Schritt und nicht abschließend zu betrachten .

Kommen wir zu den Anträgen, die schon im Ansatz
problematisch sind . Beim Antrag der Linken steht in der
Präambel:

Dr. Karamba Diaby






(A) (C)



(B) (D)


Der finanzielle Reichtum der Bundesrepublik
Deutschland basiert auch auf der Verarmung großer
Teile der Weltbevölkerung .

Ich möchte dazu nur eines sagen: Ich bin fest davon
überzeugt, dass die zu uns kommenden Flüchtlinge ein
sehr viel positiveres Bild von Deutschland haben als
ganz offenbar die Bundestagsfraktion der Linken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielleicht können Sie von den Zuwanderern in Landes-
kunde schon sehr bald lernen, ich sehe da durchaus Be-
darf .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Zum milliardenschweren Entlastungspaket für die
Kommunen und Länder kein einziges Wort in Ihren An-
trägen! Stattdessen werden Länderaufgaben mit leichter
Hand dem Bund zugeschoben . Natürlich brauchen wir
mehr Lehrer . Ich muss Sie aber nicht daran erinnern, dass
das der schulische Bereich ist und in Länderhoheit liegt .
Sie suggerieren, der Bund täte nichts . Genau nach diesem
Muster werden auch Forderungen an das BMBF adres-
siert, die gar nicht in dessen Ressort liegen, wie, speziel-
le Beratungen der Flüchtlinge bei der Bundesagentur für
Arbeit zu etablieren .

Das Problem ist auch: Vieles von dem ist bereits in der
Praxis eingeführt und als Handlungsaufforderung damit
längst überholt . Erstens wird in beiden Anträgen für junge
Geflüchtete und Geduldete der Schutz vor Abschiebung
in der Ausbildung gefordert . Das ist eine wichtige Forde-
rung, keine Frage . Aber mit dem 1 . August 2015 wurde
für jugendliche und heranwachsende Geduldete, die eine
qualifizierte Berufsausbildung aufnehmen, für die Dauer
der Ausbildung ein Schutz vor Abschiebung erreicht . Es
gibt diese Rechtssicherheit bereits .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Falle eines erfolgreichen Ausbildungsabschlusses
können die jungen Menschen dann eine Aufenthaltser-
laubnis erhalten und damit in Deutschland bleiben . Ihr
Gerede von der Rechtsunsicherheit führt lediglich zu
mehr Verunsicherung bei den Betrieben .

Zweitens monieren Sie die BAföG-Regelungen . Zum
Mitschreiben: Geduldete und Inhaber bestimmter huma-
nitärer Aufenthaltstitel müssen künftig nicht mehr eine
Vierjahresfrist abwarten, ehe sie BAföG-berechtigt sind,
sondern können bereits nach 15 Monaten Unterstützung
erhalten .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wir wollen das runtersetzen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nach 15 Monaten! Na toll!)


Ursprünglich sollte diese Frist zum 1 . August 2016 ge-
kürzt werden . Jetzt wurde dies aber auf den 1 . Januar
2016 vorgezogen, um noch schneller helfen zu können .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: 15 Monate waren zu lang! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig so!)


– Genau . – Sie fordern, dass diese 15 Monate Mindestau-
fenthalt bei der BAföG-Berechtigung auf drei Monate

reduziert werden sollen . Nach drei Monaten sollen nach
Ihren Vorschlägen faktisch alle Asylberechtigten BAföG
bekommen können . Um studierfähig zu sein, braucht
man das Sprachniveau B 2 . Wie schnell soll das gehen?
Welchen Sinn macht es, dass gegebenenfalls Menschen
BAföG erhalten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit wie-
der ausgewiesen werden? Deswegen ist es richtig, dass
die Bundesregierung die Mindestaufenthaltsdauer von
vier Jahren auf 15 Monate reduziert hat . Ihre drei Monate
sind purer Aktionismus . Wir müssen auch auf den Kos-
tenfaktor achten und realistisch bleiben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein dritter Punkt ist die Beschäftigungsverordnung .
Auch hier kann ein Blick in die Dokumente erhellend
sein: Das Bundeskabinett hat am 3 . August 2015 eine
Änderung beschlossen, mit der jungen Asylsuchenden
und Geduldeten, die gute Bleibeperspektiven haben, der
Zugang unter anderem zu berufsorientierenden und stu-
dienbegleitenden Praktika erleichtert wird .

Kommen wir viertens zu Ihrer Forderung nach zu-
sätzlichen Sprach- und Alphabetisierungskursen auch für
erwachsene Flüchtlinge . Unser Bundesinnenminister ist
Ihnen auch hier bereits voraus . Die bewährten Integrati-
onskurse werden für Asylbewerber mit guter Bleibeper-
spektive geöffnet, und die hierfür vorgesehenen Mittel
werden entsprechend dem gestiegenen Bedarf aufge-
stockt .

Auch das BMBF wird in den nächsten Jahren rund
130 Millionen Euro zusätzlich für den Erwerb der deut-
schen Sprache, das Erkennen von Kompetenzen und Po-
tenzialen von Flüchtlingen und für Ausbildung und Be-
ruf investieren . Wohlgemerkt, das sind Mittel neben dem
milliardenschweren Finanzpaket, mit dem der Bund die
Länder und die Kommunen unterstützen wird .

Es ist richtig, dass Sprachlehrer für die Integrations-
kurse fehlen . Auch hier setzt das BMBF an, und die zahl-
reichen Ehrenamtlichen sollen in Schnellkursen zu Lern-
begleitern ausgebildet werden .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder auf die Ehrenamtlichen schieben!)


Ich möchte damit nicht sagen, dass die beiden Opposi-
tionsanträge völlig obsolet sind .


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist nett!)


Aber Sie sollten schon zur Kenntnis nehmen, dass die
Bundesregierung, das BMBF und auch ganz persönlich
Ministerin Wanka diese Themen mit großer Ernsthaftig-
keit behandeln . Eine solche Ernsthaftigkeit würde ich
mir von allen politischen Akteuren sehr wünschen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das schließt die CDU auch ein!)


Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812811300

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die

Kollegin Daniela De Ridder .


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal Tacheles reden! Keine Märchenstunde!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1812811400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Hinter uns liegen zwei harte
Sitzungswochen, in denen wir sehr viel über Flüchtlings-
politik geredet haben . Ich fahre – das will ich als letzte
Rednerin in dieser Woche sagen – frohen Mutes nach
Hause . Das hat nicht nur mit den Maßnahmen zu tun,
die wir auf den Weg gebracht haben, sondern auch mit
dem Besuch von Schülerinnen und Schülern aus meiner
Heimatstadt Schüttorf . In der Radio-AG, die mich be-
sucht hat, waren lauter Zweit-, Dritt- und Viertklässler,
und ich habe, ehrlich gesagt, noch nie mit Schülerinnen
und Schülern dieser Altersgruppe gesprochen, die so of-
fenherzig, neugierig und vehement mit mir über Flücht-
lingspolitik reden wollten . Zugegeben: Das lag auch da-
ran, dass sie gute Lehrerinnen und Lehrer haben, die im
wahrsten Sinne des Wortes politische Bildung mit ihnen
betrieben haben . Auf diesem Feld müssen wir unbedingt
weiter arbeiten .

Lassen Sie mich deshalb noch einmal die Gelegenheit
nutzen, diesen Lehrerinnen und Lehrern, aber auch den
Erzieherinnen und Erziehern herzlichen Dank zu sagen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der ganzen Republik! Ja!)


Politische Bildung ist in der Tat etwas, das wir weiter
betreiben müssen . Davon habe ich aber in Ihren Anträgen
wenig gelesen, liebe Oppositionskolleginnen und -kolle-
gen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt klatsche ich nicht mehr!)


Darüber bin ich sehr enttäuscht . Ich sage das auch mit
Blick auf die Fernsehbilder, die wir zu sehen bekommen .
Für mich ist es unerträglich – ich hoffe, das teilen Sie
mit mir –, wenn in Deutschland wieder Flüchtlingsheime
brennen . Wir haben hier eine ganz maßgebliche Aufgabe .
Ich finde es geradezu fahrlässig, dass Sie hier den Ein-
druck erwecken, wir würden nichts oder zu wenig tun,
die vielen helfenden Hände vor Ort ignorieren oder die
Kommunen im Stich lassen .


(Beifall des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU])


Ich will nur drei Zahlen nennen, damit Sie wissen,
was ich genau meine . 4 Milliarden Euro zusätzlich wird
es – Frau Ministerin Wanka hat das bereits erwähnt – in
diesem und im kommenden Jahr für diese wichtige und
wertvolle Arbeit geben . Damit stärken wir Länder und
Kommunen . Diese sind dann an der Reihe, das Geld
entsprechend einzusetzen . Mit zusätzlich 350 Millionen

Euro jährlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung
von Kindern und Jugendlichen, die unbegleitet in unser
Land kommen, also ohne ihre Eltern . Das ist eine min-
destens ebenso wichtige Aufgabe . Als dritten Punkt will
ich die 900 Millionen Euro nennen, die aus den Mitteln
für das gestoppte Betreuungsgeld stammen, Frau Wanka .
Wir müssen ehrlich zugeben, dass es in Sachen Betreu-
ungsgeld sehr unglücklich verlaufen ist . Aber ich freue
mich, dass das Geld nun insgesamt für die Qualitätssi-
cherung in den Kitas und bei der frühkindlichen Bildung
eingesetzt werden und so – ich hoffe, dass Sie mir darin
zustimmen – allen Kindern in diesem Land, unabhängig
von der Herkunft, zugutekommen kann .


(Beifall bei der SPD)


Ich will keinen Hehl daraus machen, dass es mir und
meiner Fraktion darum geht, solche Maßnahmen auf den
Weg zu bringen – auch dank der Unterstützung unseres
Koalitionspartners – und es den Menschen, die aufgrund
von Kriegs- und Krisensituationen in ihren Heimatlän-
dern zu uns kommen, zu ermöglichen, ganz schnell Fuß
auf dem Arbeitsmarkt zu fassen . Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, unabhängig welcher politischen Couleur
Sie angehören, will ich Ihnen mit auf den Weg geben;
denn das hat auch etwas mit der Würde dieser Menschen
zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mir geht es auch um die Sprachkompetenz . Hier kön-
nen wir gar nicht genug tun . Hier freue ich mich auf
Ihre kritisch-konstruktiven Vorschläge . Es geht darum,
Sprach- und Integrationskurse weiterhin zu betreiben .
Sprache ist der Schlüssel zur Verständigung und dafür,
im Alltag zurechtzukommen . Sprache ist aber auch ein
Schlüssel für gelungene Integration . Sprache ist immer
auch Träger von Kultur . Sprache ist zudem das Vehi-
kel – ich sage das vor allem in Richtung CSU, weil ich in
dieser Woche interessante Töne von dort gehört habe –,
um unsere Werte zu transportieren . Deshalb müssen wir
als Bildungspolitikerinnen und -politiker hier in der Tat
weiter investieren, liebe Frau Wanka . Mir ist das ganz
besonders wichtig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wie Sie wissen, wurde jahrelang gesagt – ich habe das
persönlich zu spüren bekommen –, dieses Land sei kein
Einwanderungsland . Die aktuelle Krisensituation, die
wir nun erleben, belehrt uns eines Besseren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie erinnern sich vielleicht daran, dass bereits 1965 Max
Frisch mit Blick auf die sogenannten Gastarbeiterinnen
und Gastarbeiter sagte – Sie alle kennen sicherlich dieses
Zitat –: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Men-
schen .“ Dass es hier immer auch um Menschen geht, dür-
fen wir nie vergessen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Gleichwohl geht es um ein gutes Paket, an dem wir
weiter arbeiten wollen . Liebe Frau Gohlke, wir sind nicht
verlegen, gute Ratschläge von Ihnen anzunehmen, wenn
sie denn finanzierbar und umsetzbar sind.


(Beifall des Abg . Dr . Karamba Diaby [SPD])


Aber auf das, was Sie in Ihren Anträgen vorschlagen, ha-
ben wir weiß Gott nicht gewartet; denn in der Tat sind
wir bereits aktiv geworden und haben das in Rede ste-
hende Paket mit Erfolg auf den Weg gebracht . Nehmen
Sie es einfach mit in Ihren Wahlkreis, und haben Sie dort
hoffentlich viele Termine an Schulen, die Sie dann be-
glücken können .

Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812811500

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angekommen .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/6198 und 18/6192 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, dass das der
Fall ist . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung
angekommen .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 14 . Oktober 2015, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen
ein gutes Wochenende .