Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Wir kön-
nen gleich in unsere Tagesordnung einsteigen, weil es
bedauerlicherweise nicht einmal Geburtstage nachzufei-
ern gibt. Das muss uns aber nicht daran hindern, mit der
sonst auf diesem Wege hergestellten Fröhlichkeit in die
Beratung einzutreten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatz-
punkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Einsetzung einer „Kommission zur Überprü-
fung und Sicherung der Parlamentsrechte bei
der Mandatierung von Auslandseinsätzen der
Bundeswehr“
Drucksache 18/766
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Marieluise Beck ,
Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung einer „Parlamentarischen Kom-
mission zur Überprüfung, Sicherung und
Stärkung der Parlamentsrechte bei der Man-
datierung von Auslandseinsätzen der Bundes-
wehr“
Drucksache 18/775
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Für diese Debatte ist nach einer interfraktionellen
Vereinbarung eine Aussprachezeit von 96 Minuten vor-
gesehen. Ich vermute, dagegen gibt es keinen Wider-
spruch. – Das ist so. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Wir befassen uns heute mit der Ein-setzung einer Kommission zur – ich zitiere – „Überprü-fung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Man-datierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“. Dasklingt technisch, vielleicht ein bisschen technokratisch.Dahinter verbirgt sich aber in Wirklichkeit eine wichtigeund für dieses Parlament zentrale Debatte.
Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hatin seinem Urteil im Jahre 1994 festgestellt, dass grund-sätzlich jeder Einsatz der Bundeswehr im Ausland derZustimmung des Deutschen Bundestages bedarf.
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1620 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
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– Da kann man ruhig klatschen. Ich freue mich, dass hierso ein detailliertes Wissen vorhanden ist; das kann manauch voraussetzen. – Die Karlsruher Richter haben da-mit die Bundeswehr als Parlamentsheer definiert. In sei-nem Lissabon-Urteil im Jahre 2009 hat Karlsruhe dieParlamentsbeteiligung noch einmal gestärkt, sodass sieheute – das konnten wir eben erleben – ein unumstößli-cher Teil der Verfassungsidentität unseres Landes ist.
Mit der Verabschiedung des Parlamentsbeteiligungs-gesetzes im Jahr 2005 hat der Bundestag Form und Aus-maß der parlamentarischen Beteiligung festgelegt. Die-ses Gesetz hat sich bewährt. Es hat dem DeutschenBundestag eine stärkere Rolle in der Außen- und Sicher-heitspolitik gegeben, hat die Rolle unseres Parlamentesüber die Detailentscheidung hinweg erweitert. Ichglaube, dass das gut so ist.
Diese Beteiligungsrechte wollen wir sichern.
In unseren Diskussionen müssen wir allerdings denTrend zu integrierten Stäben und Strukturen von Streit-kräften berücksichtigen. Diese Entwicklung hat zum ei-nen ökonomische Gründe. Wir alle kennen den Druckauf die Verteidigungshaushalte, nicht nur in Deutsch-land, sondern auch bei unseren Verbündeten in Europaund in Nordamerika. Zum anderen hat diese Entwick-lung politische Gründe.
Schon heute – das wissen Sie alle; wir kennen das ausder Parlamentspraxis und den Diskussionen, die wir indiesem Hause führen – wirken immer mehr deutscheSoldatinnen und Soldaten in integrierten Strukturen undStäben auf NATO- und EU-Ebene mit.Meine Damen und Herren, diese Arbeits- und Aufga-benteilung innerhalb des Bündnisses muss auch zukünf-tig nicht nur mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbarsein, sondern sie muss auch funktionieren. Die GroßeKoalition hat deshalb die Einsetzung einer Kommissionin ihrem Koalitionsvertrag beschlossen. Das, was wir Ih-nen vorschlagen wollen – ich möchte das zitieren, damitkeine Legenden entstehen –, ist ganz einfach und klar.Wir wollen eine Kommission einsetzen, die – ich zitiere –„binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreiten-der Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Auf-gaben die Parlamentsrechte gesichert werden können“.
Die Kommission soll dazu Vorschläge erarbeiten.
Wir sind uns alle einig, dass die Bundeswehr auch inZukunft ein Parlamentsheer bleibt. Die parlamentarischeBeteiligung hat sich bewährt und ist eine Grundlage fürdie Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung.Sie verschafft den Einsätzen Legitimität und sichert de-mokratische Kontrolle.Ich bin auch davon überzeugt: Für unsere Soldatinnenund Soldaten ist es wichtig, zu wissen, dass dies der Ortist, an dem über jeden Einsatz diskutiert und entschiedenwird. Ein wichtigeres Signal zur Unterstützung derschwierigen Arbeit der Bundeswehr kann es nicht geben.
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, betrach-ten wir als Sozialdemokraten die Parlamentsbeteiligungnicht als Schwäche, sondern als Stärke der deutschenPolitik und keineswegs als Bürde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von den Grü-nen, ich hätte mich sehr darüber gefreut, wenn wir heuteüber einen gemeinsamen Einsetzungsantrag hätten bera-ten können.
Denn es ist manchmal schwieriger, sich an kompliziertenund komplexen Fragen zu beteiligen, als hier herumzu-pöbeln.
Herr Kollege Annen, gelegentliche auch etwas kräf-
tige Zwischenrufe rechtfertigen die Charakterisierung
als Pöbelei noch nicht.
Herr Präsident, ich nehme das natürlich zurück.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1621
Niels Annen
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Ich bin mir sicher, dass sich hinter der etwas erhöhtenLautstärke ein konstruktiver Vorschlag verborgen hat.
Aber ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen:Ich hätte es gut gefunden, wenn wir einen gemeinsamenAntrag eingebracht hätten. Ich verstehe, dass das einekomplexe Materie ist und dass damit vielleicht auch Be-fürchtungen verbunden sind; ich bin aber überzeugt,dass wir diese ausräumen können. Deswegen werden wirauch weiterhin den Versuch unternehmen, mit Ihnen zueiner Vereinbarung zu kommen.Ich finde es deswegen auch gut, dass wir heute nichtüber den Antrag abstimmen, sondern ihn erst einmal andie Ausschüsse überweisen. Das kann ich Ihnen verspre-chen: Wir werden uns weiterhin um eine Verständigungauf einen gemeinsamen Auftrag bemühen.Eines will ich Ihnen noch sagen: Man hatte nach derLektüre des einen oder anderen Presseberichtes und beider einen oder anderen Äußerung von Ihnen ein bisschenden Eindruck, als würden wir heute über die Ergebnisseder Kommission diskutieren. Wir diskutieren aber überdie Einsetzung einer Kommission.
Eine Vorfestlegung vonseiten meiner Fraktion auf mög-liche Ergebnisse gibt es nicht.
Ich will noch eines draufsetzen: Selbst die Möglichkeit,dass am Ende der Beratung das Ergebnis steht, dass wirvielleicht gar nichts an dem Gesetz verändern, steht imRaum. Das ist durchaus möglich.
Deswegen, meine Damen und Herren: Beteiligen Siesich an den notwendigen Diskussionen! Denn ichglaube, dass man eines klar sagen muss: Wer für eineeuropäische Armee als langfristige Vision ist – das habeich hier von Vertreterinnen und Vertretern nicht nur mei-ner Partei von diesem Podium aus häufig gehört –, mussauch die schwierigen Debatten führen. Denn eines istdoch klar: Die Aufgabe von Souveränitätsrechten dereinzelnen Staaten setzt gegenseitiges Vertrauen voraus.Wir wissen doch, dass es auch Interpretationen unsererParlamentsbeteiligung bei europäischen Nachbarn gibt,die dazu führen, dass Misstrauen herrscht und dass sichVerbündete fragen: Wenn wir gemeinsame Fähigkeitenschaffen und damit Souveränitätsrechte abgeben, könnenwir uns am Ende eigentlich darauf verlassen, dassDeutschland, der Deutsche Bundestag und die deutscheRegierung, dann die entsprechenden Fähigkeiten zurVerfügung stellt, wenn es nötig ist?Ich sage Ihnen ganz klar: Ich als Parlamentarier bin esmanchmal leid, auf Konferenzen und in Diskussionenimmer wieder zu hören, die deutsche Parlamentsbeteili-gung sei sozusagen ein Hindernis für Bündnistreue.Wenn wir ganz ehrlich sind – ich beziehe das nicht aufdie amtierende Regierung, sondern allgemein auf dasVerhältnis zwischen Regierung und Parlament –, müssenwir zugeben: Wir haben das eine oder andere Mal ge-hört, dass sich unterschiedliche Bundesregierungen einbisschen hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt ha-ben.
Deswegen will ich Ihnen sagen: Eine Regierung, dieüberzeugt ist, dass ein Einsatz notwendig ist, kann jedenEinsatz im Deutschen Bundestag durchsetzen und hatbisher auch jeden Einsatz, den sie für notwendig erachtethat, im Deutschen Bundestag durchgesetzt. Mit anderenWorten: Die Parlamentsbeteiligung ist kein Hindernis,sondern eine Stärke. Aber darüber, wie wir das in dereuropäischen Praxis umsetzen, müssen wir diskutieren.Dabei müssen wir uns auch kritischen Fragen stellen.Dazu möchten wir Stellungnahmen von Expertinnen undExperten – das ist die einzige Aufgabe der nun einzuset-zenden Kommission –, aber auch den Beitrag aus demParlament berücksichtigen, um binnen Jahresfrist da-rüber zu entscheiden.Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist ge-prägt – das wissen wir alle – von den Erfahrungen unse-rer Vergangenheit. Ich glaube, sie ist ein Garant dafür,dass die Kultur der militärischen Zurückhaltung, sicher-gestellt durch unsere Beteiligung, auch in Zukunft einCharakteristikum der deutschen Außen- und Sicherheits-politik bleiben wird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
Danke sehr, Herr Präsident. – Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Der Kollege Niels Annen hatin einem einzigen Punkt recht: Es soll über die Einset-zung einer Kommission debattiert werden, die sich da-mit zu befassen hat, inwieweit das Parlament gefragtwerden muss, wenn die Bundeswehr im Ausland einge-setzt wird. Einsätze im Ausland bedeuten sehr oftKriegseinsätze. Wir reden über den Einsatz der Bundes-wehr in Kriegen. Das ist der Hintergrund; darauf mussman zurückkommen.
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1622 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Wolfgang Gehrcke
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Mit dem, was Herr Annen zum vorliegenden Antraggesagt hat, hat er in keinem Punkt recht. Die Einsetzungder Kommission ist mit einem Auftrag gekoppelt. DerAuftrag lautet nicht – das taucht an keiner Stelle im An-trag auf –, die Parlamentsrechte zu stärken, sondern erlautet, Parlamentsrechte zurückzunehmen. Das ist derHintergrund des vorliegenden Antrags.
Da ich die Debatten aus der Union kenne, hätte mich dasnicht so beschäftigt. Aber dass das auch von Sozialde-mokraten mitgetragen und vorgelegt wird! Das ist derPreis für die Regierung, die Sie gebildet haben und dieeine andere politische Ausrichtung hat. Darum kann mannicht herumreden.
Was hier vorliegt, bedeutet nichts anderes als eine Auf-weichung der Parlamentsrechte.Kollege Annen, man sollte schon einmal einen Ge-danken darauf verschwenden, in welcher Situation wirüber so etwas reden. Ich gehöre zu einer Generation, diegeglaubt hat, dass das Thema Krieg nicht mehr einThema unserer Zeit ist. Ich war immer sicher, dassmeine Tochter und mein Enkelkind nicht mehr mit Kriegbefasst sein werden. Ich finde es katastrophal, dass mitdem Jugoslawien-Krieg der Krieg nach Europa zurück-gekehrt ist und dass wir mit dem Afghanistan-Krieg ineinen großen Krieg verwickelt sind. Ich befürchte ange-sichts der Debatte über die Krim und der dortigen Situa-tion, dass wir wieder in eine Phase des Kalten Kriegesoder zumindest in eine Phase der Aufrüstung kommen.Vor diesem Hintergrund Parlamentsrechte abbauen zuwollen, ist einfach unverantwortlich. Dem Vorwurf müs-sen Sie sich stellen.
Eigentlich müsste man jetzt einen Abschnitt mit denWorten einleiten: Es war einmal. Es war einmal eine Re-publik, die einen Art. 26 im Grundgesetz hat, nach demdie Beteiligung an Angriffskriegen unter Strafe zu stel-len ist. Es war einmal eine Republik, in der die Bundes-wehr ausschließlich zur Verteidigung eingesetzt werdensollte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist be-reits eine Aufweichung dieser Position. Ich will Ihnennur drei Zahlen vortragen: Seitdem waren 320 000 Bun-deswehrsoldaten in Auslandseinsätzen. Soll das fortge-setzt werden? In 24 Ländern ist die Bundeswehr einge-setzt worden. Insgesamt betrugen die einsatzbedingtenZusatzkosten fast 18 Milliarden Euro. Ist das der Kurs,der mit dieser Kommission gesteuert werden soll?Es lohnt sich, sich die Sache im Einzelnen anzu-schauen. Wenn man Ihren Antrag liest, stellt man fest,dass er noch nicht einmal ergebnisoffen ist. Das Ergeb-nis, das Sie erreichen wollen, ist im Text festgehalten.Das ist doch für jeden klar. Ich hätte keinen Anlass, dasGesetz über den Parlamentsvorbehalt zu verteidigen. Eshat bei keiner Abstimmung geholfen, einen Einsatz derBundeswehr zu verhindern, wie ich es gerne gehabthätte. Es bringt aber drei Vorteile mit sich, die ich vertei-digen möchte:Erstens sind Parlamentsrechte auch in dieser Fragebesser als Regierungsrechte, und Parlamentsrechte mussman verteidigen.
Der zweite Vorteil ist: Es zwingt zu einer gewissenTransparenz. Jede Regierung wird ihre Absichten hierim Parlament zu erklären und zu begründen haben. Dasbietet nicht nur die Chance zur Gegenrede, sondern esbietet auch die Chance, dass sich die Bevölkerung selbsteine Meinung bilden kann, ob sie einen Einsatz will odernicht. Das ist für mich ein wichtiges Argument. Deswe-gen will ich, dass die Parlamentsrechte ausgebaut undnicht abgebaut werden.
Der dritte Punkt ist: Ich möchte, dass jeder hier dieVerantwortung übernimmt, wenn er Ja sagt, aber auch,wenn er Nein sagt. Jeder soll offen die Verantwortungfür die Soldaten übernehmen und sich nicht in derAnonymität verstecken. Man soll sich namentlich dazubekennen müssen, ob man einen Einsatz will oder nicht.Auch das ist ein großer Fortschritt durch das Gesetz:dass Verantwortung namentlich wahrgenommen wirdund nicht anonym bleibt. Deswegen möchte ich das Ge-setz verteidigen.Schauen wir uns die Anträge an. Im Koalitionsantraggeht es um eine Abstufung der Intensität der parlamenta-rischen Befassung je nach Art des Einsatzes. Wie über-setzen Sie das? Es kann dann aus Ihrer Sicht Einsätze ge-ben, über die gar nicht mehr geredet werden soll odernur noch am Rande? Muss dazu kein Antrag mehr ge-stellt werden? Wollen Sie das? Diesen Auftrag geben Sieder Kommission, nämlich vorzuschlagen, sich nichtmehr mit einem Einsatz auseinanderzusetzen? Das stehtin Ihrem Text. Sie schreiben, die Kommission solle „zurÜberprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte“ ein-gesetzt werden.
Da fehlt doch etwas.
Warum taucht nicht die Formulierung „Stärkung der Par-lamentsrechte“ auf? Diesen Begriff vermeiden Sie in Ih-rem Antrag wie der Teufel das Weihwasser.
Sie wollen die Parlamentsrechte eben nicht stärken.In dieser Hinsicht ist der Grünen-Antrag entschiedenbesser. Ich bedanke mich übrigens für die faire Bereit-schaft, in dieser Frage mit uns zusammenzuarbeiten. Daich gerade die Grünen immer sehr robust kritisiere, kann
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1623
Wolfgang Gehrcke
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ich mir auch erlauben, zu sagen: Das fand ich ganz ange-nehm.
Herzlichen Dank dafür.
Ich sage für uns: Wenn der Auftrag der Kommissionso bleibt, wie er laut dem Antrag ausgestaltet werdensoll, dann werden wir uns an dieser Kommission nichtbeteiligen, sondern wir werden alternativ arbeiten. Wirwerden nicht der Diskussion ausweichen, aber ichmöchte nicht den Namen der Linken unter die Arbeit ei-ner Kommission setzen, die letzten Endes empfiehlt, dieParlamentsrechte aufzuweichen. Das machen wir nichtmit. Deshalb werden wir in dieser Kommission auchnicht arbeiten.Danke sehr.
Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch von mir einen wunderschönen guten Morgen! Fürzurzeit insgesamt 13 Auslandseinsätze haben wir derBundeswehr ein Mandat erteilt. Das heißt, wir befassenuns in erster und zweiter Beratung des jeweiligen Antra-ges in 22 Sitzungswochen des Deutschen Bundestages26-mal mit einer Mandatsverlängerung. Wenn wir alleeinmal ehrlich sind, müssen wir feststellen: Das ist invielen Fällen zu einer rein förmlichen Routine gewor-den,
die der Aufgabe – da gebe ich allen recht –, die das Par-lament haben muss, nicht gerecht wird.Ich kämpfe seit 2005 dafür, dass wir uns einmalgrundsätzlich mit der Rolle und auch der verfassungs-rechtlichen Verantwortung des Parlaments auseinander-setzen. Dass wir das heute in einer grundsätzlichen De-batte über die Form unserer Beteiligung tun, das müsstenSie alle als eine Stärkung des Parlamentes sehen; dasmüssten Sie alle begrüßen.
– Herr Trittin, ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, dasauch in Ihren Zwischenrufen zu tun.Insofern will ich gerne begründen, warum ich die Ein-setzung einer solchen Kommission für erforderlich halte.Wir sind uns in diesem Hause, zumindest zum größtenTeil, darüber einig: Wenn Europa seine Interessen wah-ren und seiner Verantwortung in der globalisierten Weltauch künftig nachkommen will, wird es einen wirksa-men außenpolitischen, sicherheitspolitischen und auchmilitärischen Beitrag dazu leisten müssen. Unser Außen-minister hat zu Recht auf der Münchner Sicherheitskon-ferenz gesagt:Deutschland will … Impulsgeber sein für eine ge-meinsame europäische Außen-, Sicherheits- undVerteidigungspolitik.Impulsgeber einer europäischen Verteidigungspolitikzu sein, heißt insbesondere, die militärische Integration,also nicht Alleingang, sondern Integration, in Europa vo-ranzubringen, einschließlich im Übrigen der europäischenRüstungszusammenarbeit. Das aber bedeutet konkretmehr Verantwortung Deutschlands und mehr gegensei-tige Abhängigkeit, auch mit Blick auf militärische Ein-sätze als äußerstes Mittel bei der Mandatierung von Bun-deswehreinsätzen.Der Außenminister hat in München weiter gesagt:Nur wenn wir unser Gewicht gemeinsam in dieWaagschale werfen … wird Europas Außenpolitikmehr sein als die Summe vieler kleiner Teile.Das gilt ebenso für die europäische Verteidigungspo-litik. Darum arbeiten wir an der Stärkung der Gemeinsa-men Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU.Wie notwendig das ist, machen doch die verschiedenenHerausforderungen in Afrika deutlich, die wir im Mo-ment vordringlich behandeln und die europäische unddeutsche Interessen direkt berühren.In diesem Zusammenhang möchte ich, bevor Legen-den entstehen, in aller Deutlichkeit sagen, was für unsalle selbstverständlich ist:Erstens. Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mit-tel. Er darf aber auch nicht verweigert werden, wenn eu-ropäische und deutsche Interessen betroffen sind.
Zweitens. „Wir wollen“, so heißt es in der Koalitions-vereinbarung, die seit ein paar Monaten existiert, „dassgemeinsame europäische Einsätze zur Wahrung undStärkung der Sicherheit Europas vorrangig in unserergeografischen Nachbarschaft durchgeführt werden.“Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten ver-mehrt regionalen Partnern und Organisationen wie derAfrikanischen Union oder ECOWAS übertragen werden,und diese sollten dafür ertüchtigt werden. Was wir inMali und künftig in Somalia tun, ist genau das, was wirvereinbart haben: diese Länder bzw. Regionalorganisa-tionen so zu ertüchtigen, dass sie ihre Sicherheitspro-bleme künftig weitgehend eigenständig regeln könnenund dass europäische Soldatinnen und Soldaten ihr Le-ben dafür nicht riskieren müssen. Der Weg dorthin ist al-lerdings noch weit; deshalb werden wir in Afrika wahr-scheinlich noch weitere Einsätze zur Wahrung undStärkung der Sicherheit Europas leisten müssen.
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1624 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dr. Andreas Schockenhoff
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– Das liegt doch auf der Hand. Den Kopf in den Sand zustecken, macht doch das Leben der Menschen inDeutschland, in Europa und auch in Afrika, die direktunter diesen Bedrohungen zu leiden haben, nicht siche-rer.Tatsache ist aber auch: Unsere Fähigkeiten und Kapa-zitäten sind begrenzt. Es ist deshalb unbestritten, dass er-hebliche Fortschritte, insbesondere in den BereichenTransport, Luftbetankung, medizinische Versorgung undAufklärung, erforderlich sind. Zugleich aber haben alleEU-Länder mit rückläufigen Verteidigungsbudgets zukämpfen. In der Konsequenz heißt das, dass wir diese not-wendigen Fortschritte nur durch Zusammenlegung vonKapazitäten und durch eine vertiefte Aufgabenteilung er-reichen können. Deswegen haben wir uns in unserer Ko-alitionsvereinbarung dafür ausgesprochen, soweit sinnvollund möglich nationale militärische Fähigkeiten und Ka-pazitäten im Rahmen von Pooling und Sharing zu nut-zen. Mit anderen Worten: Nationale Streitkräfte werdenintegriert und sind voneinander abhängig. Deutschlandist heute beispielsweise durch die AWACS-Aufklärungs-flugzeuge, durch Battle Groups und durch das Eurocorpsin gegenseitiger Abhängigkeit mit seinen europäischenPartnern.Konzepte vertiefter Aufgabenverteilung funktionie-ren allerdings nur, wenn sich die Partner darauf verlas-sen können, dass Deutschland grundsätzlich zu einemEinsatz seiner Streitkräfte bereit ist. Die deutsche Politik– damit auch hier keine Legenden entstehen – mussselbstverständlich weiterhin bei jeder einzelnen Missionentscheiden, ob deutsche Streitkräfte daran teilnehmenoder ob sie aus gravierenden Gründen nicht daran teil-nehmen sollen. Allerdings sage ich auch: Letzteres musseher ein Einzelfall bleiben, sonst würde Deutschland vonunseren Partnern als Hinderungsgrund angesehen wer-den mit der Konsequenz, dass Pooling und Sharing mitDeutschland nur leere Worthülsen sind.Das alles hat auch seine Bedeutung für die Rechte desBundestages bei der Mandatierung von Auslandseinsät-zen der Bundeswehr. Dazu möchte ich drei Grundsatzbe-merkungen machen:Erstens. Der Parlamentsvorbehalt ist keine SchwächeDeutschlands; er ist vielmehr eine Stärke,
weil die parlamentarische Beteiligung an der Entschei-dung über den Einsatz der Bundeswehr eine Grundlagefür die breite Verankerung der Bundeswehr und ihrerEinsätze in der Gesellschaft darstellt.
Zweitens. Der Parlamentsvorbehalt war – das hat derKollege Annen schon völlig zu Recht gesagt – noch nieein Grund für Deutschland, sich einem Einsatz zu entzie-hen, aber er war sehr wohl ein möglicher Rechtferti-gungsgrund, politisch nicht gewollte Entscheidungen garnicht erst auf die Tagesordnung zu setzen. Insofern gehtes mit Blick auf eine zunehmende Integration europäi-scher Streitkräfte um die Frage, ob die Beteiligungs-rechte des Bundestages von unseren Partnern – zu Rechtoder zu Unrecht sei dahingestellt – als Hinderungsgrundangesehen werden in Bezug darauf, sich mit Deutsch-land in eine vertiefte Integration wie beispielsweise eineAnlehnungspartnerschaft zu begeben. Das wird zu klä-ren sein. Wenn dies so gesehen wird, dann stellt sich dieFrage, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen undwelche Veränderungen wir für erforderlich halten.Drittens. Durch die zunehmende Integration europäi-scher Streitkräfte wird es künftig möglich sein – auchdas spreche ich ganz offen an –, dass deutsche Soldatenin einen EU- oder NATO-Einsatz gehen, den die deut-sche Regierung und der Deutsche Bundestag aus eigenerInitiative – ich betone: aus eigener Initiative – nicht aufdie Tagesordnung gesetzt hätten. Ich erinnere beispiels-weise an die Entscheidung, im Zusammenhang mit demLibyen-Konflikt deutsche Soldaten in AWACS-Aufklä-rungsflugzeugen über Afghanistan einzusetzen, obwohlman das eigentlich nicht wollte.
– Ja, darum geht es. Nur halten wir es für richtig, dasswir das auch ansprechen. Wir halten es für richtig, dasswir sicherheitspolitisch handlungsfähig sind. Wir betrei-ben hier doch kein Versteckspiel. Ganz im Gegenteil:Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese drei Aspekte,die ich gerade genannt habe, gilt es in Einklang zu brin-gen, wenn es um die Sicherung der Parlamentsrechtegeht. Deshalb hat die Kommission einen doppelten Auf-trag:Erstens. Sie soll rechtlich und politisch prüfen, wieauf dem eben beschriebenen Weg fortschreitender Bünd-nisintegration die Parlamentsrechte gesichert werdenkönnen.Zweitens. Der Auftrag, zu prüfen, wie Parlaments-rechte gesichert werden können, impliziert, dass dieKommission Handlungsoptionen erarbeiten soll, wie derfortschreitenden Bündnisintegration durch Pooling undSharing sowie eine Anlehnungspartnerschaft durch eineAnpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Rech-nung getragen werden kann.Diese Aufgabe soll binnen Jahresfrist erledigt wer-den, sodass wir noch im Laufe dieser Legislaturperiodegegebenenfalls entsprechende Anpassungen vornehmenkönnen.Lassen Sie mich abschließend noch einige Aspekteder Arbeit der Kommission ansprechen, die deutlich ma-chen, warum wir die Einsetzung einer solchen Kommis-sion für notwendig und für ein Gebot der Transparenzhalten. Die Arbeit der Kommission soll sich auf fol-gende Aspekte konzentrieren:Erstens soll sie die verschiedenen, künftig zu erwar-tenden Formen militärischer Integration aufzeigen. Ichhabe bereits die Stichworte AWACS und multinationaleKooperation im Rahmen von Pooling und Sharing sowie
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1625
Dr. Andreas Schockenhoff
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eine Anlehnungspartnerschaft genannt. Weitere Bei-spiele sind integrierte Hauptquartiere und Stäbe, aberauch Ad-hoc-Hauptquartiere, wie wir sie zurzeit im Zu-sammenhang mit dem Einsatz in der Zentralafrikani-schen Republik in Larissa und Bangui haben. Wichtig istdabei, dass die Kommission untersucht und aufzeigt, inwelchen Bereichen durch die zunehmende Integrationmöglicherweise ein Spannungsverhältnis zur derzeitigenAusgestaltung der Parlamentsbeteiligung besteht.Zweitens ergibt sich daraus die Aufgabe, Handlungs-optionen vorzuschlagen, wie ein solches Spannungsver-hältnis überwunden werden kann. Dabei soll es – wie esin unserem Auftrag heißt – um die gesamte Bandbreitemöglicher Instrumente gehen, beispielsweise das Rück-holrecht – wie wir es übrigens bereits im Gesetz haben;das ist also nichts Neues –, befristete Einspruchsmög-lichkeiten, Vorabzustimmung, Berichtspflichten, Zitier-rechte oder die Einrichtung von spezifischen Gremien.Nicht zuletzt gehört dazu – es wurde gerade genannt –auch die Weiterentwicklung des Instruments einer Ab-stufung der Intensität der parlamentarischen Beteiligung.Auch dafür ist bereits jetzt im Parlamentsbeteiligungsge-setz mit dem vereinfachten Zustimmungsverfahren einBeispiel gegeben.Drittens – dies ist eine pure Selbstverständlichkeit;ich erwähne es aber noch einmal – muss die Formulie-rung konkreter Handlungsoptionen unter Berücksichti-gung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerich-tes erfolgen.Ich denke, allein diese Punkte machen deutlich, wa-rum es sinnvoll und angemessen ist, für diese schwierigeAufgabe – das sage ich mit Blick auf die Grünen – ex-terne Fachleute hinzuzuziehen.Meine Fraktion ist sehr dankbar, dass sich unser ehe-maliger Kollege und Verteidigungsminister Volker Rühebereit erklärt hat, den Vorsitz für eine solche Kommis-sion zu übernehmen.
– Ja, wir finden auch, dass er genau der Richtige ist.
Er hat als Verteidigungsminister und als Vorsitzenderdes Auswärtigen Ausschusses detaillierte Erfahrungenmit Bundeswehreinsätzen, seit das Bundesverfassungs-gericht im Juli 1994 die Parlamentsbeteiligung vorge-schrieben hat.
Er kennt sich sehr genau aus mit der Entwicklung militä-rischer Integration. Er weiß um die Stimmungslage ge-genüber Deutschland und die Erwartungen im Bündnisund in der EU, und er hat nach wie vor ein sehr hohesAnsehen hier im Lande wie auch im Bündnis. Wir freuenuns ganz besonders, dass ihm mit Walter Kolbow einsehr erfahrener und von uns hochgeschätzter Kollege zurSeite steht.
CDU/CSU und SPD waren sehr daran interessiert– ich will das noch einmal sagen –, diesen Antrag ge-meinsam mit Bündnis 90/Die Grünen einzubringen. HerrSchmidt, dies war leider nicht möglich, weil die Grüneneine völlig andere Kommission und einen erheblich ver-änderten Auftrag wollten.
– Ja, es ist Demokratie, dass wir uns dem stellen unddass wir Ihnen das Angebot machen, dort mitzuarbeiten.
Wenn Sie dieses Angebot nicht annehmen, ist auch diesIhre freie Entscheidung. Nur dürfen Sie sich hinterhernicht beschweren, nicht dabei gewesen zu sein.
– Herr Trittin, es war gerade die Frage, ob man den Ver-gleich mit einem Vierbeiner wählen darf. Das mache ichnicht, Herr Präsident – keine Angst. Aber Sie, als Zwei-beiner, tragen mir einen zu großen Federkranz, lieberHerr Kollege.
Der in unserem Antrag beschriebene Ansatz erlaubteine ergebnisoffene Kommissionsarbeit – das will ichnoch einmal ausdrücklich sagen – mit der Chance aufkonkrete Verbesserungsvorschläge und eine bessereWahrnehmung des Parlamentes. Die Änderungen, dieSie von den Grünen vorgeschlagen haben, würden dieKommissionsarbeit bereits a priori einschränken und be-grenzen. Das ist im Sinne notwendiger und zugewandterParlamentsbeteiligung und im Sinne unserer verfas-sungsgemäßen Verantwortung nicht sachgerecht undkommt unserem Selbstverständnis als Parlamentariernicht entgegen.Die Erwartungen an die Arbeit der Kommission sindhoch. Sie übernimmt eine schwierige Aufgabe. Es gehtauch in diesem Bereich um das, was AußenministerSteinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz ge-sagt hat:Deutschland muss bereit sein, sich … sicherheits-politisch früher, entschiedener und substanziellereinzubringen.Die Koalition ist dazu bereit.Vielen Dank.
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1626 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält jetztder Kollege Frithjof Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieKoalitionsfraktionen wollen eine Kommission einsetzen,die sich mit den Parlamentsrechten bei Auslandseinsät-zen der Bundeswehr beschäftigt, vor dem Hintergrundder europäischen Integration und der Bündnisintegrationder NATO. Da gibt es Fragen – kein Zweifel! Deswegenwaren und sind wir auch bereit, über eine ergebnisoffeneEnquete-Kommission zu reden,
die prüft, ob es überhaupt Handlungsbedarf gibt, und,wenn ja, welchen. Vielleicht ist ja auch eine Stärkungder Parlamentsrechte notwendig.
Das Problem ist hier, dass Sie dazu nicht bereit sind.Sie legen uns hier einen Text vor, der vorab eine klarepolitische Zielrichtung hat: Sie wollen für eine soge-nannte „Abstufung der Intensität parlamentarischer Be-teiligung“ – was ist das wohl? –
bei der Mandatserteilung für Auslandseinsätze der Bun-deswehr „konkrete Handlungsoptionen“, also Gesetzes-vorschläge, formulieren. Ihre politische Absicht ist es,den Parlamentsvorbehalt zu relativieren; das ist in IhremAntrag deutlich erkennbar, und das ist politisch falsch.
Wir reden hier über eine wichtige Errungenschaft un-serer Demokratie: Der Parlamentsbeschluss gibt denAuslandseinsätzen der Bundeswehr die nötige demokra-tische Legitimation und sorgt davor für öffentliche De-batten. Eine solche öffentliche Debatte ist nötig; dennnur sie schafft es, in der Gesellschaft breit abzuwägen,ob und warum wir Soldatinnen und Soldaten in schwie-rige und gefährliche Einsätze schicken sollten, und nursie schafft es, dafür dann auch eine gesellschaftliche Un-terstützung zu erzeugen.
Eine Schwächung dieses Vorgehens ist eine Schwächungder Demokratie.Sie erklären, Sie würden gerne einen Konsens mit derOpposition darüber finden, wie wir mit dem Problem derinternationalen Vernetzung umgehen sollten. Was habenSie getan, um einen Konsens zu finden?
Die Opposition hat aus den Medien erfahren,
dass es eine Hybridkommission zu den Parlamentsrech-ten geben wird, die in erster Linie nicht aus Abgeordne-ten, sondern vor allem aus anderen Akteuren bestehensoll. Die Namen der ausgeguckten Vorsitzenden, HerrRühe und Herr Kolbow, wurden gleich mitgeliefert, unddas Ziel einer Flexibilisierung des Parlamentsvorbehaltswurde ventiliert. Spiegel Online grüßt das ahnungsloseParlament. Das ist doch nicht in Ordnung.
Das alles passiert im Kontext der Äußerungen von Frauvon der Leyen, dass eine Kultur der militärischen Zu-rückhaltung in Deutschland wohl überholt sei.Nach dieser Überraschung hat man uns dann gesagt,dass man eigentlich auch gerne mal mit uns darüber re-den möchte. Kurz danach stand dann schon der Terminfür die Debatte und die Abstimmung über Ihren Antragin der Plenumsvorschau. Das ist doch nicht das üblicheVerfahren, wenn man gemeinsam mit allen Fraktionendie Schaffung einer Kommission sondiert.
Da redet man erst einmal miteinander und klärt Vor-schläge ab. Das alles haben Sie nicht getan.
Ich sage Ihnen: Es ist Ihr gutes Recht, der Oppositionmit Ihrer Mehrheit eine Entscheidung zu diktieren; aberdann heucheln Sie uns bitte nicht gleichzeitig denWunsch nach Konsens vor.
Danach haben wir informell einen Text bekommen– übrigens nicht von der Union, sondern von den Sozial-demokraten – und haben Ihnen daraufhin andere Vor-schläge für eine Kommission genannt, die politisch Sinnmachen würde. Fünf zentrale Punkte:Wir wollen die klare Festlegung, dass die Kommis-sion ergebnisoffen arbeitet. Wir wollen, dass die Mög-lichkeit der Stärkung der Parlamentsrechte genausowichtig wird wie ihre Überprüfung. Wir wollen die Vor-festlegung auf eine „Abstufung der Intensität“ der Parla-mentsbeteiligung streichen. Wir wollen die Möglichkeitintegrierter Mandate prüfen, die es ermöglichen, Maß-nahmen auf unterschiedlichen politischen Feldern imZusammenhang zu thematisieren und so transparent zumachen. Wir wollen, dass eine Kommission, die über dieParlamentsrechte berät, aus Abgeordneten besteht, weildas die ureigenste Sache der Abgeordneten und des Par-lamentes ist, und dass jede Fraktion außerdem zweiSachverständige berufen kann.
Das finden Sie auch in unserem Antrag.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1627
Dr. Frithjof Schmidt
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Die politische Antwort war klar: Nichts davon kommtfür die Koalition infrage. Was Sie uns hier als Arbeits-auftrag für die Kommission vorlegen, das ist die gezielteVorbereitung, die Rechte des Parlamentes in diesen Fra-gen zu schwächen. Eine solche Kommission ist politischfalsch. Die wollen wir nicht.
Wir sind auch nicht bereit, nach Ihrem politischenDiktat dann in der Kommission das Feigenblatt für IhrManöver zu geben.
Deshalb wird sich meine Fraktion an einer solchen Kom-mission nicht beteiligen.
Aus den Reihen der Union wird angedeutet, dass Siesogar überlegen, das Grundgesetz zu ändern.
Das wäre dann ein Bruch mit einer unserer wichtigstenVerfassungstraditionen. Da müssen Sie mit unserem ent-schiedenen Widerstand rechnen.
– In Ihren Vorschlägen haben Sie die verfassungsrechtli-che Prüfung ausdrücklich aufgenommen. Daran siehtman doch deutlich, wo Sie hinwollen.
Tun Sie doch nicht so, als sei das kein Thema für Sie.
Nun rudern Sie zurück und tun so, als könnten Sie keinWässerchen trüben. In der Realität sieht es anders aus.Gut, dass Sie auf die heutige Abstimmung verzichten– ursprünglich war das anders geplant – und jetzt we-nigstens eine Diskussion in den Ausschüssen zulassen.Sie sollten das als Chance begreifen, die Wende zu ei-nem ergebnisoffenen Auftrag, verbunden mit einer ande-ren Zusammensetzung der Kommission, zu schaffen.Danke für die Aufmerksamkeit.
Rainer Arnold ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Schmidt, das waren ziemlich starke Worte,die Sie hier gefunden haben.
Sie waren ziemlich unangemessen und auch unzutref-fend.Natürlich entscheidet nach wie vor das Parlament undnicht die Kommission. Sie sollten nicht so tun, als ob dieKommission irgendetwas entscheidet. Am Ende ent-scheiden wir im Parlament.
Überprüfen heißt nicht einschränken, sondern über-prüfen heißt: überprüfen in alle Richtungen.
Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Mit der Einset-zung der Kommission verfolgen wir das Ziel – das habenwir in unserem Antrag auch so formuliert –, auch bei ei-ner vertieften europäischen Integration den deutschenparlamentarischen Vorbehalt zu sichern. Das ist das ei-gentliche Ziel.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen– die Linken spreche ich nicht an; denn mit denen gehtin diesem Bereich gar nichts –,
Herbert Wehner hat zu Recht gesagt: Wer die parlamen-tarischen Gremien verlässt, muss irgendwann wiederreinkommen. – Das ist nun einmal so.
Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass Sie in denAusschüssen im Zuge der Beratungen über die Kommis-sion merken, dass Sie mitgestalten können. Sie könnengerne zwei Parlamentarier dort hinschicken.
Das ist doch viel klüger, als Befürchtungen in den Raumzu stellen, die mit der Realität der Arbeit in der Kommis-sion nichts zu tun haben werden.
Wir sind alle gemeinsam einen langen Weg gegangen,was den Bereich der Auslandseinsätze der Bundeswehr
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1628 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Rainer Arnold
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betrifft: beginnend 1992 in Kambodscha bis zum heuti-gen Tag. Die Welt hat sich seitdem verändert. Es istselbstverständlich, dass Deutschland wichtige Beiträgezu Krisenprävention und Konfliktverhütung, aber auchzu Konfliktbewältigung und Friedenskonsolidierungleistet. Richtig ist auch, dass wir immer wieder diskutierthaben, inwieweit die Verfassung Auslandseinsätze legi-timiert. Das ist doch keine neue Debatte.In Art. 24 Grundgesetz steht, dass sich die Bundesre-publik an einem System der kollektiven Sicherheit betei-ligen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat dies 1994in einem Grundsatzurteil deutlich bestätigt – immer ge-bunden an kollektive Sicherheit –, aber auch eindeutigfestgestellt, dass der Deutsche Bundestag jedem einzel-nen Einsatz vorher zustimmen muss.In der parlamentarischen Praxis haben wir über sieb-zigmal zugestimmt. Gemeinsam mit den Kollegen vonden Grünen haben wir damals unter Rot-Grün ein Gesetzauf den Weg gebracht, das die Spielregeln definiert. Daswar richtig und notwendig. Auf dieser Gemeinsamkeitwürden wir als Sozialdemokraten – ich glaube, auch dieUnion – gerne bestehen. Deshalb sage ich nochmals: Siesind eingeladen, mitzumachen.Das Verfassungsgericht hat mit dem AWACS-Urteildiese parlamentarische Praxis bestätigt und unsereRechte gestärkt. Es bleibt dabei – mit oder ohne Kom-mission –: Das Völkerrecht reduziert die Einsatzmög-lichkeiten Deutschlands. Der Spielraum ist sehr eng. Dasmuss auch so sein. Das Grundgesetz definiert unsereRechte und Pflichten. Damit ist auch klar: Wenn irgend-welche Leute über Vorratsbeschlüsse nachdenken, ist dasmit unserer Verfassung nicht vereinbar und mit uns alsSozialdemokraten nicht machbar.
Ich könnte es auch anders sagen: Die grundgesetzli-chen Rechte sind viel höher zu bewerten als irgendwel-che Gedanken über Effektivität und Einsatzfähigkeit derStreitkräfte. Die Verfassung wiegt schwerer. Deshalbsind Vorratsbeschlüsse nicht zulässig.Richtig ist aber auch: Es ist wichtig, dass die Bundes-regierung mit jeder Einsatzentscheidung im Parlamentdie Verantwortung mit uns allen teilt. So verstehen wirden Begriff Parlamentsarmee. Deshalb hat sich das Par-lamentsbeteiligungsgesetz letztendlich bewährt. Das istüberhaupt keine Frage. Es ist ein gutes Gesetz; es funk-tioniert.Trotzdem nehmen wir wahr, dass unsere Partner inden Bündnissen manchmal fragen: Seid ihr Deutschenverlässliche Partner?
Diese Frage können wir nicht wegdrücken. Die ist ja la-tent im Raum. Da gibt es Erklärungsbedarf. Nicht dasParlamentsbeteiligungsgesetz und unsere Verfassung imHintergrund sind für die Zweifel an der VerlässlichkeitDeutschlands verantwortlich, sondern die mangelndeBereitschaft, manchmal auch der mangelnde Mut vonBundesregierungen, notwendige Einsatzentscheidungendem Deutschen Bundestag vorzulegen.
Dazu braucht man Mut für politische Entscheidungenund die Kraft, das Parlament damit zu befassen. Das Par-lament war in vielen Bereichen sogar innerhalb vonStunden in der Lage, Einsatzentscheidungen zu treffen.
Man kann also auch nicht damit argumentieren, das Par-lamentsbeteiligungsgesetz mache die Bundesrepublikunflexibel. Das ist alles nicht richtig.Wir sind mit unserer Position auch nicht alleine in derNATO. 13 von 28 NATO-Partnern haben ähnliche ge-setzliche Regelungen, bei 7 NATO-Partnern ist es diegängige politische Praxis. Wenn man beobachtet, wie dieBriten, die Franzosen und die Vereinigten Staaten in denletzten 2 Jahren das Parlament stärker einbezogen haben,kann man erkennen, dass sich manche NATO-Partnerunserem Weg annähern.Nun kann man natürlich fragen: Wenn das alles so gutist, warum brauchen wir dann diese Kommission?
Ja, diese Frage kann man tatsächlich stellen. Ich ant-worte ganz ehrlich: Weil wir in einer Koalition sind
und weil man in einer Koalition auch Kompromissemacht. So ist die Welt. Das ist keine neue Erkenntnis.
Liebe Freunde von den Grünen, wir haben nun einmalmit der CDU einen Koalitionsvertrag abgeschlossen undnicht mit Ihnen.
In diesem Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Lö-sung, eine Kommission einzusetzen, verständigt. Das istüberhaupt kein Aufreger.
Aber jenseits der Kompromissformulierungen lohntes sich doch vielleicht für uns alle, liebe Kolleginnenund Kollegen, über ein paar Klarstellungen im Parla-mentsbeteiligungsgesetz nachzudenken. Es geht umKlarstellungen. Was ist denn mit den internationalen Stä-ben? Im Gesetz selbst steht dazu gar nichts. In der Be-gründung stehen zu den Stäben zwei Bemerkungen: ImFall von integrierten Stäben, die ständig funktionieren,darf Deutschland Soldaten entsenden. Sollten solcheStäbe für spezielle Einsätze neu gebildet werden, mussdas Parlament entscheiden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1629
Rainer Arnold
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Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob das eine ab-solut gültige Logik ist oder ob man möglicherweise dieparlamentarischen Rechte stärkt bzw. andere Regeln indiesem Bereich definiert. Es lohnt sich doch, sich diesenWiderspruch einmal genauer anzuschauen und zu prü-fen, ob man an der einen oder anderen Stelle nicht unnö-tigerweise Mandate erteilt.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja mit demAWACS-Urteil unsere Rechte nochmals gestärkt, indemes – darüber waren wir alle sehr froh – die Erwartungausgedrückt hat, dass der parlamentarische Vorbehalt imZweifelsfall parlamentsfreundlich interpretiert wird.Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht aber auchfestgestellt: Es muss mit hinreichender Klarheit sichtbarsein, dass bei einem Einsatz die Verwicklung in eine mi-litärische Konfrontation droht. – So lautet sinngemäßdieses Urteil. Da frage ich mich: Wenn deutsche Schiffeim Mittelmeer fahren, um Seesicherheit herzustellen,was im Rahmen des Bündnisses für die deutsche Marineein Routineauftrag ist, ist das dann wirklich ein Einsatzbewaffneter Streitkräfte? Darüber müssen wir doch ein-mal miteinander reden.
In der Vergangenheit hat dieser Parlamentsvorbehaltauch dazu geführt, dass deutsche Bundesregierungen im-mer in den Rückspiegel schauen mussten, um festzustel-len, ob das Parlament und die deutsche Gesellschaftmitgehen. Das ist ein großer Vorteil des Parlamentsvor-behalts. Er verhindert Fehler von Bundesregierungen.Mit Ausnahme der Linken, mit denen man über diesenPunkt nicht reden kann, weil für die Linke schon derEinsatz von fünf Soldaten, die unbewaffnet im Rahmeneiner UN-Mission Beobachteraufgaben erfüllen, einenKriegseinsatz darstellt – so sehen Sie das; mit Ihnenkann man über diese Frage nicht ernsthaft diskutieren;bei den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen istdas anders –,
bestand in der Vergangenheit bei allen anderen Fraktio-nen dieses Hauses das Bewusstsein, dass der Beschlussüber den Einsatz von Soldaten und damit der Beschlussüber Krieg und Frieden, über Leben und Tod – darumging es bei vielen Beschlüssen, wenn auch nicht bei al-len – eine Gewissensentscheidung ist. Deshalb wurdebei fast allen Entscheidungen fraktionsübergreifend eineMehrheit gesucht und gefunden, und Einzelne konntenfür sich entscheiden: Ich kann das nicht mittragen. – Ichsage das mit großem Respekt vor der Überzeugung desEinzelnen, vor dieser Gewissensentscheidung.Weil es diesen Grundkonsens hinsichtlich des Verfah-rens gibt, bitte ich darum, dass die Grünen sich noch ein-mal überlegen, ob es nicht besser ist, mit am Tisch zu sit-zen und die für sie wichtigen Punkte einzubringen, wennes um die Ausgestaltung des Parlamentsvorbehalts unddamit die Ausgestaltung dieses parlamentarischenGrundkonsenses geht.Ich sage Ihnen für die Sozialdemokraten und, wie ichdenke, auch für die Union: Es geht nicht um die Ein-schränkung des parlamentarischen Vorbehalts. Es gehtallenfalls um Präzisierungen. Ja, es kann auch um dieStärkung des parlamentarischen Vorbehalts hinsichtlichdes Einsatzes des KSK, also der Spezialkräfte, gehen.Auch diese Dinge würden wir in der Kommission mitei-nander betrachten. Warum vergeben Sie die Chance, beider Kommission mitzumachen?
Das wäre schade. Sie verpassen eine Möglichkeit zurpolitischen Gestaltung. Sie sind eingeladen, mitzudisku-tieren. Sie sind eingeladen, das Kommissionsergebnismitzugestalten.
Es bleibt dabei: Am Ende wird nicht die Kommissionentscheiden, sondern der Deutsche Bundestag.
Herr Kollege.
Ich bin sofort fertig. – Es bleibt dabei, dass beide Ko-
alitionspartner sich für den Weg des Konsenses entschie-
den haben. Wir sind auf einen Konsens aus, und wir wer-
den ihn auch in der Kommission und nach der
Kommission anstreben.
Recht herzlichen Dank.
Alexander Neu ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Die Linke ist die einzige Fraktion in diesemHaus, die bislang alle Auslandseinsätze abgelehnt hatund das auch weiterhin tun wird. Damit vertreten wir diegesellschaftliche Mehrheit.
In einer Umfrage von Infratest dimap vom 6. Februar2014 sprachen sich 75 Prozent der Befragten gegen Aus-landseinsätze aus. Sie hingegen missachten mehrheitlichdiesen Willen. Über 90 Prozent der Damen und Herrenin diesem Hause stimmen regelmäßig für Auslands- undKriegseinsätze der Bundeswehr. Nehmen Sie endlich zurKenntnis, dass die Mehrheit der Menschen in diesem
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1630 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dr. Alexander S. Neu
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Land keine Auslandseinsätze möchte. Respektieren Siediesen Wunsch.
Ich räume ein: Sie nehmen das zur Kenntnis; aber Sierespektieren diesen Wunsch nicht. Ihre Konsequenz istnicht, weniger Auslandseinsätze oder überhaupt keineAuslandseinsätze zu beschließen, was etwas Neueswäre, sondern Sie fordern quasi den Abbau des Parla-mentsbeteiligungsgesetzes, um gesellschaftliche undparlamentarische Debatten zu verhindern. Genau das istder Auftrag der Kommission.Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Bis-lang hat das Parlamentsbeteiligungsgesetz noch keinenKrieg und noch keinen Auslandseinsatz verhindert.Selbst der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegenJugoslawien wurde nicht verhindert. Worin besteht alsoder Wert des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, wennschon nicht darin, Einsätze zu verhindern? Er besteht inder namentlichen Abstimmung. Keiner der Volksvertre-ter hier im Haus kann anonym bleiben und sich vor denWählerinnen und Wählern verstecken. Jeder läuft Ge-fahr, in seinem Wahlkreis und seinem KreisverbandRede und Antwort stehen zu müssen, und das ist eine Er-rungenschaft.
Genau dieses Recht der Kontrolle der Volksvertreterdurch den Bürger geht einigen in diesem Hause zu weit.Die Bundesregierung soll wohl die Entscheidungshoheitüber Auslandseinsätze komplett zurückgewinnen unddiese gegebenenfalls an EU- und NATO-Technokratendelegieren, ganz nach dem Motto: Wenn die Gesellschaftzu friedlich ist und nicht kapieren will, wie wichtig einemilitärisch abgesicherte Interessenpolitik ist, dann wer-den wir das Recht der parlamentarischen Beteiligungeinschränken.Wir, die Linke, sagen Nein zu diesem Demokratieab-bau. Wir brauchen nicht weniger Demokratie, sondernmehr Demokratie, auch und vor allem in der Außen- undSicherheitspolitik.
Das heißt übersetzt: nicht weniger Parlamentsvorbehalt,sondern mehr Parlamentsvorbehalt.Ich möchte hier auf zwei wesentliche Lücken bei derParlamentsbeteiligung eingehen. Die erste Lücke bestehtbei der Unterrichtung über den Einsatz von Spezialkräf-ten. Obschon im Parlamentsbeteiligungsgesetz keineAusnahmeregelung für die Unterrichtung über den Ein-satz von Spezialkräften fixiert ist, wird genau dies seitvielen Jahren so praktiziert. Diese Ausnahme hat sogareinen eigenen Titel: besonderes Unterrichtungsverfah-ren. Das Besondere an diesem besonderen Unterrich-tungsverfahren ist, dass von 631 gewählten Volksvertre-tern gerade einmal 17 über den Einsatz des KSKinformiert werden. Das heißt, 2,7 Prozent der gewähltenMitglieder dieses Hauses wissen, ob das KSK im Einsatzist. So viel zur Parlamentsarmee.Die zweite Lücke wird uns demnächst zunehmendpolarisieren. Dabei geht es um den Einsatz unbemannterKampfsysteme, also Drohnen. Es ist doch ein offenesGeheimnis, dass es auch in diesem Hause durchausStimmen gibt, die die Beschaffung von bewaffnetenDrohnen begrüßen. Es muss also die Frage gestellt wer-den – auch in der Kommission –, wie der Einsatz vonKampfdrohnen, sofern kein Soldat in einen entsprechen-den Auslandseinsatz geht, parlamentarisch entschiedenund kontrolliert werden kann. Das ist eine ganz wesentli-che Frage, die Gegenstand der Arbeit der Kommissionsein müsste. Dazu finde ich aber nichts.
Es wurden zahlreiche Argumente angebracht, warumdas Parlamentsbeteiligungsgesetz zwar super ist, man esaber zugleich irgendwie abbauen muss. Ich möchte garnicht darauf eingehen; denn diese Argumente sind alle-samt widerlegbar. Aber einige Redner haben ein gefähr-liches Argument angeführt, das den Kern der Sachetrifft: die Bündnissolidarität, integrierte Stäbe und inte-grierte Verbände. Es darf doch nicht sein, dass die ge-wählten Volksvertreter hier im Haus demokratischeRechte für NATO- und EU-Kriege oder für Kriege ausökonomischen Gründen, wie ich gerade von HerrnAnnen gelernt habe, abbauen. Volksvertreter in diesemHause haben Demokratie zu leben und demokratischeRechte zu verteidigen. Sie dürfen nicht die Intensitätparlamentarischer Beteiligung herabstufen. Die Fragevon Krieg und Frieden ist schlimm genug, aber sie ge-hört, wenn sie gestellt wird, in dieses Haus und darfnicht an EU- und NATO-Technokraten oder Bündnis-partner delegiert werden.
Genau dieses Argument, das Sie angebracht haben, zeigtdie Richtigkeit unserer Forderung nach einem Austrittaus den militärischen Strukturen der NATO.Einige Worte an die SPD: Zur Zeit der rot-grünen Ko-alition haben Sie das Parlamentsbeteiligungsgesetz ge-schaffen. Die Grünen waren zwar auch dabei – das istgar keine Frage –, aber meine Worte gehen jetzt an dieSPD. Die Frage ist, ob sich nun die SPD als Juniorpart-ner in der Großen Koalition daran beteiligt, genau diesesGesetz der parlamentarischen Beteiligung zu demontie-ren. Diese Frage müssen Sie beantworten. Ich bin dasehr skeptisch. Ich hoffe, dass Sie sich in der Kommis-sion durchsetzen werden. Die Linke wird sich an einerKommission, die genau dieses Ziel hat, nicht beteiligen;denn wir wollen nicht mit in die Haftung genommenwerden. Wir werden einen eigenen Antrag einbringen,der Ihnen nächste Woche vorliegen wird.Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält nun der Kollege Philipp Mißfelderfür die CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1631
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein-
mal, Herr Neu, möchte ich zwei Klarstellungen vorneh-
men. Es ist richtig, dass nur der von Ihnen angegebene
Prozentsatz von Kollegen dieses Hauses regelmäßig
über den Einsatz des Kommandos Spezialkräfte unter-
richtet wird. Dass Sie dies mühsam in Fleißarbeit ausge-
rechnet haben, spricht für die Vorbereitung Ihrer Rede.
Man muss allerdings sagen: Die Realität ist, dass der
Deutsche Bundestag zu jedem Zeitpunkt dank des be-
währten Mittels der doppelten Federführung beim Aus-
wärtigen Ausschuss und beim Verteidigungsausschuss,
die wir bei Bundeswehreinsätzen haben, unterrichtet ist.
In diesem konkreten Fall werden die Obleute unterrich-
tet, und zwar in der Regel persönlich durch den Verteidi-
gungsminister bzw. die Verteidigungsministerin und den
Generalinspekteur. Wir können wirklich jede Frage, die
wir haben, stellen. Ich finde, das angewandte Verfahren
hat sich sehr bewährt. Wir können, glaube ich, insgesamt
sagen, dass es ein gutes Beispiel dafür ist, wie Regierung
und Parlament an dieser Stelle zusammenarbeiten. Sie
haben das als negatives Beispiel dargestellt. Dagegen
meine ich: Es ist keine Geheimniskrämerei, die da statt-
findet, sondern ein verantwortungsbewusster Umgang
mit Informationen, zu denen ich wirklich sagen muss:
Ich wäre dagegen, dass die Bundesregierung die auf ihre
Homepage stellt. Ich finde es richtig, nämlich auch zum
Schutz der Soldaten, die dort im Einsatz sind, zum
Schutz derjenigen, die uns helfen, Informationen im Ein-
satzgebiet zu beschaffen – gerade in einem Fall wie
Afghanistan –, dass wir da in einem so vertrauten Kreis
zusammensitzen. Ich muss übrigens sagen, dass das Par-
lament dort alle Fragen stellen kann und jederzeit alle
Antworten bekommt und dass das auch nachprüfbar und
nachvollziehbar ist.
Insofern ist die Unterrichtung zum Kommando Spezial-
kräfte ein gutes Beispiel für die Parlamentsbeteiligung.
Zum Thema Drohnen. Da lasse ich Ihnen eines nicht
durchgehen; ich habe das hier neulich schon in einer
Rede gesagt. Wir haben im Zusammenhang mit dem Ko-
alitionsvertrag intensiv diskutiert – im Auswärtigen Aus-
schuss und darüber hinaus ist es ebenfalls regelmäßig ein
Thema –: Wie wollen wir mit der Frage von extralegalen
Tötungen – um dieses schlimme oder beschönigende
Wort hier einmal zu benutzen – umgehen?
– Herr Ströbele, ich wollte Sie gerade loben. Herr
Ströbele hat verdienstvollerweise vor ein paar Wochen
eine Gruppe aus Pakistan hierhergebracht. Leider hat es
mit den Terminen nicht so geklappt, wie wir uns das ge-
wünscht haben. Ich möchte unsererseits noch einmal den
Wunsch signalisieren, sich auch mit denjenigen zu tref-
fen, die die Anliegen der Hinterbliebenen derjenigen
vertreten, die im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und
Pakistan ums Leben gekommen sind.
Die Debatte um extralegale Tötungen findet nicht nur
hier in Deutschland statt, sondern auch in den USA, wo
dieses Mittel in sehr starkem Maße angewandt wird. Ei-
nes ist in den Koalitionsverhandlungen klar geworden:
Wir sind nicht per se gegen die Drohnen, weder gegen
Überwachungsdrohnen noch gegen bewaffnete Drohnen.
Aber wir sind schon der Meinung, dass es eine fragwür-
dige Angelegenheit ist, dieses Mittel in der Vielzahl an-
zuwenden, in der das geschehen ist, oder es als Mittel
der modernen Kriegsführung so einzusetzen, wie es die
Amerikaner teilweise gemacht haben. Das ist in Ame-
rika genauso umstritten wie bei uns. Deshalb haben wir
uns dazu klar geäußert.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal eines beto-
nen: Sie vermengen immer bewaffnete Drohnen und un-
bewaffnete Drohnen. Kunduz wäre mit der Drohne nicht
passiert,
weil wir dann mehr Aufklärungsmaterial gehabt hätten.
Zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten brauchen
wir alle Informationen, die wir bekommen können. Des-
halb spreche ich mich dafür aus, dass wir ohne ideologi-
sche Begrenzung auch über so etwas diskutieren, aber in
dem Rahmen, den ich gerade beschrieben habe. Das ist
genau das, was der Koalitionsvertrag an dieser Stelle
hergibt und worüber wir intensiv diskutiert haben.
Darf der Kollege Gehrcke eine Zwischenbemerkung
machen oder eine Zwischenfrage stellen?
Sehr gern.
Danke sehr, Herr Präsident. Danke sehr, KollegeMißfelder. – Ich wollte eigentlich keine Bemerkung ma-chen, sondern eine Frage stellen.Finden Sie nicht, dass das eigentliche Problem in dembesteht, was mein Kollege Neu angesprochen hat? Ichgehörte ja zu dem Kreis derer, die informiert wordensind. Wir haben oft über solche Fragen debattiert. Daseigentliche Problem ist, dass es Abgeordnete zweierleiInformationsstände gibt. Es gibt einen ausgewähltenKreis von Abgeordneten, der vieles – auch nicht alles –wissen darf und erfährt, und einen größeren Kreis vonAbgeordneten, der das nicht erfahren darf oder soll.Durch die Einstufung von Material als Geheim ist man jaoftmals gehalten, darüber nicht zu reden.Dass es Abgeordnete zweierlei Kenntnisstände gibt,ausgewählte und nicht ausgewählte, ist, finde ich, ein de-mokratisches Problem. Es muss doch die Zielsetzungsein, dass die Abgeordneten, die alle gleich verlässlichsind, mit den gleichen Informationen Politik machenkönnen. Das ist meiner Auffassung nach das, was Kol-lege Neu Ihnen hier aufgezeigt hat. Zumindest das Pro-
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1632 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Wolfgang Gehrcke
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blem ist da. Sie können das beantworten, wie Sie wollen,aber das Problem ist da.
Ich würde mir persönlich auch wünschen, dass ich
über jedes Detail, was zum Beispiel die Euro-Rettung
angeht, was wichtige Schwerpunktsetzungen im Bereich
der Verteidigungspolitik angeht oder was das PKGr an-
geht, umfassend informiert werden würde. Es gibt da
viele Bereiche, wo ich persönlich großes Interesse hätte,
die Dinge bis ins Detail zu erfahren. Das Problem ist
schlichtweg, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Deshalb
hat jeder hier im Bundestag ein Fachgebiet, auf das er
sich konzentriert.
– Frau Keul, bei der Euro-Rettung war es ja auch so. Wir
haben gesagt: Wir müssen aus operativen Gründen
schnell agieren. Deshalb haben wir dem Haushaltsaus-
schuss eine besondere Verantwortung übertragen.
Mein Vertrauen in meine Fraktion zumindest – ich
weiß nicht, wie es bei Ihnen ist – geht so weit, dass ich
sage: Bei den Kolleginnen und Kollegen, die uns etwa
im PKGr vertreten, Herr Grosse-Brömer zum Beispiel,
vertraue ich darauf, dass sie dort in meinem Sinne agie-
ren und die politische Auffassung umsetzen, für die wir
uns als Fraktionsgemeinschaft zusammengefunden ha-
ben. Das müssten Sie einfach bei sich in der Fraktion
klären. Sie sitzen ja dort. Sie können doch – selbst bei
klassifizierten Informationen – grob, ohne ins Detail zu
gehen, sagen, ob Sie bereit sind, das politisch mitzutra-
gen oder eben nicht. Ich bin mir sicher, Herr Gehrcke
– ohne Ihnen das jetzt persönlich unterstellen zu wollen –:
Wenn bei einer freitagmorgendlichen Unterrichtung ein
Fall dabei wäre, der Ihnen nicht gefallen würde, wäre die
Wahrscheinlichkeit, dass das nachher – spätestens Frei-
tagmittag – in der Zeitung steht, relativ groß.
Selbst wenn es nicht in der Zeitung stehen sollte, traue
ich Ihnen so viel Verantwortungsbewusstsein zu, dass
Sie – –
Herr Kollege Mißfelder, ich würde vorschlagen, dass
sich der Kollege Gehrcke in der Zwischenzeit wieder
setzen darf, –
Er darf sich hinsetzen, sehr gerne.
– auch damit ich die Uhr wieder laufen lassen kann.
Genau. Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie so rück-
sichtsvoll sind gegenüber dem Kollegen. Aber ich kenne
seine Kondition: Er ist belastungsfähig.
Ich bin der Meinung, dass wir insoweit über ein be-
währtes Mittel reden; deshalb können wir es auch dabei
belassen. Ich wäre dagegen, dass sich die Kommission
mit solchen Fragen aufhält.
Es geht doch vielmehr um die Frage: Wie gehen wir
mit der Außensicht auf den Parlamentsvorbehalt um? Ei-
nes ist ja klar: Selbst wenn wir uns hier eindeutig dafür
aussprechen, es beim Parlamentsvorbehalt zu belassen
– womit wir uns im Rahmen der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bewegen –, fremdeln viele
Verbündete von uns bei diesem Instrument etwas. Wir
finden den Parlamentsvorbehalt richtig; aber wir müssen
nach außen durchaus manche Absurditäten dokumentie-
ren, wie Herr Arnold gerade am Beispiel der internatio-
nalen Stäbe deutlich gemacht hat. Dabei geht es gar
nicht um die Frage, wer das letzte Wort hat. Ich bin der
Meinung: Wir haben hier im Deutschen Bundestag im-
mer die Entscheidung zu treffen. Daran sollten wir
nichts ändern, und das ist übrigens auch nicht der Auf-
trag der Kommission.
Jetzt sehe ich einen zweiten Kollegen, der eine Frage
stellen möchte.
Der Kollege Neu würde gerne noch einmal das vor-
letzte Wort ergreifen. Ich bitte aber darum, das wirklich
knapp zu machen; denn wir haben uns immer auch auf
eine Gesamtredezeit verständigt, und es wird nicht leich-
ter, sie einzuhalten, wenn diejenigen, die ohnehin das
Wort erhalten, sich zwischendurch noch zu Zwischenfra-
gen melden.
Herr Kollege Mißfelder, Ihre Antwort auf die Fragevon Herrn Gehrcke war zwar nett, aber wenig inhalts-reich. Ich möchte noch einmal nachhaken. Es ist dochso: Was wir im Verteidigungsausschuss über die norma-len Streitkräfte erfahren, tragen wir in dieser Form auchnicht unbedingt nach außen. Im Hinblick auf das KSK– oder auf die SEK der Marine – möchten wir keine Na-men oder sonstige Details wissen, sondern nur: Sind sieim Einsatz, und was ist das grobe Operationsziel? Wirhaben in den vergangenen Jahren mehrfach erlebt, dasswir stattdessen über den Spiegel bzw. Spiegel Online– der Name ist gerade schon gefallen – informiert wor-den sind. Die Presse stand draußen, und die MdBs desVerteidigungsausschusses und vermutlich auch des Aus-wärtigen Ausschusses waren nicht informiert, waren so-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1633
Dr. Alexander S. Neu
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zusagen sprechunfähig. Das ist ein Problem, mit dem wirumgehen müssen.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich ärgere ich mich ge-
nauso wie Sie, wenn ich zuerst in der Zeitung lesen
muss, dass irgendetwas geplant ist oder dass irgendetwas
passiert. Manchmal ist es aber auch so – das muss man
dazusagen –, dass von der Presse Gerüchte an uns heran-
getragen werden, die sich nachher dann auch als solche
entlarven. Ich muss die Informationspolitik seitens des
Bundesverteidigungsministeriums hier ausdrücklich lo-
ben. Es hat gerade in den vergangenen Monaten Fälle
gegeben, in denen schon etwas in der Presse stand, als
im Grunde noch nicht einmal eine offizielle Voranfrage
unserer Verbündeten bei uns eingegangen war.
Herr Kollege Mißfelder, ich schlage einmal vor, –
Er darf sich auch hinsetzen.
– dass sich der Kollege Neu das Lob der Bundesregie-
rung nicht im Stehen anhören muss.
Herr Präsident, ich habe mich extra von ihm abge-
wendet, um zu dokumentieren, dass die Frage beantwor-
tet ist. Ich werde in Zukunft formal anzeigen, wenn die
Beantwortung der Frage zu Ende ist.
Das Lob geht trotzdem unvermindert weiter; denn in
der Tat ist es so, dass, gerade nachdem zu einem sehr
frühen Zeitpunkt – man kann jetzt lange darüber streiten:
wieso ist es dazu gekommen? – aus Verwaltungen etwas
herausgedrungen ist, das Verteidigungsministerium eine
sehr transparente und auch sehr frühzeitige Informa-
tionspolitik pflegt, egal zu welcher Tages- oder Nacht-
zeit und auch am Wochenende. Es ist im Kreis der Ob-
leute unbestritten, dass diese Information stattfindet.
Aber, wie gesagt: In einem solchen Fall – er kann immer
einmal vorkommen – ärgere ich mich genau wie Sie. In
der Regel entpuppt sich das allerdings als nicht so spek-
takulär wie anfangs vermutet.
Zurück zur Kommission. Ich habe gerade nicht nur
unsere Regierung gelobt, sondern auch Herrn Arnold.
Was die Frage der internationalen Stäbe angeht, müssen
wir darüber reden, ob wir hier tatsächlich im Bundestag
in Grundsatzdebatten darüber diskutieren wollen, ob
Soldaten, die einem solchen Stab angehören, in diesem
Stab verbleiben sollen oder eben nicht. Der Bedeutungs-
rahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist so eng
gefasst, dass es bei Verbündeten von uns große Verwun-
derung auslöst, wenn für einen oder zwei Stabssoldaten
ein Bundestagsmandat auf den Weg gebracht werden
muss. Wir müssen uns damit beschäftigen: Wollen wir
das, oder wollen wir das nicht? Es geht hier nicht darum,
irgendwo Kampfeinsätze zu befehligen. Ich gehe sogar
noch weiter: Natürlich würden sich Verbündete von uns
beispielsweise dann, wenn die EU-Battle-Group in einen
gefährlichen Einsatz geschickt werden soll, sicherlich
wünschen, dass darüber nicht der Deutsche Bundestag
letztendlich entscheidet, sondern dass die Verteidigungs-
ministerin das auf einer Konferenz einfach zusagen
kann. Das möchte ich nicht, um meine persönliche Mei-
nung dazu zu sagen, weil ich der Ansicht bin, dass wir
aufgrund der Größe und des Gefahrenpotenzials letzt-
endlich immer hier den Abwägungsprozess vollziehen,
diskutieren und auch namentlich abstimmen müssen.
Ich bin auch dafür, dass das, wie heute, in der Kern-
zeit stattfindet bzw. zu einer Zeit, in der das Plenum gut
besetzt ist. Insofern, glaube ich, ist das in unserem Sinne.
Trotzdem kommen wir nicht darum herum, uns auch mit
den anderen Fragen, zum Beispiel der Mitwirkung in in-
ternationalen Stäben, zu beschäftigen.
Wir haben es bei Active Endeavour gesehen: Die
Grundlagen mancher Mandate verändern sich in der
Zeit. Deshalb muss man auch überlegen, ob das Parla-
mentsbeteiligungsgesetz immer und zu jeder Zeit die ad-
äquate Antwort ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Keul, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Auftrag der von Ihnen gewünschtenKommission hört sich nur auf den ersten Blick harmlosan, er hat es aber in sich.
Wozu brauchen wir eine Überprüfung und Sicherung derParlamentsrechte, wenn doch das Verfassungsgericht,wie wir es hier jetzt schon öfter gehört haben, diese so-wohl 1994 als auch 2008 wiederholt betont und ihre Be-deutung bestätigt hat?Der Parlamentsvorbehalt steht zwar nicht ausdrück-lich im Grundgesetz, weil es 1949 schier undenkbar war,dass deutsche Soldaten jemals wieder im Ausland einge-setzt werden könnten, aus dem Gesamtzusammenhangder wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften leitet sichallerdings ein allgemeines Prinzip ab, wonach jeder Ein-satz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven Zustim-mung des Deutschen Bundestages bedarf – so das Bun-desverfassungsgericht 1994.
2008 wurde es dann noch konkreter: Wegen der poli-tischen Dynamik eines Bündnissystems sei es umso be-deutsamer, dass die größer gewordene Verantwortungfür den Einsatz bewaffneter Streitkräfte in der Hand des
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1634 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Katja Keul
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Repräsentationsorgans des Volkes – also bei uns hier –liegt. Diesbezüglich bestehe gerade kein eigenverant-wortlicher Entscheidungsspielraum der Bundesregie-rung. Der Parlamentsvorbehalt sei Teil der Gewaltentei-lung und nicht deren Durchbrechung.
Weiter urteilte das Verfassungsgericht: Die Reich-weite des Parlamentsvorbehaltes dürfe nicht restriktivbestimmt werden. Vielmehr sei er im Zweifel parla-mentsfreundlich auszulegen.Ich sage Ihnen ganz klar: Eine „Abstufung der Inten-sität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Ein-satzes“, wie Sie es anstreben, ist damit nicht vereinbar.
Um das festzustellen, brauchen wir keine Kommission.Der Parlamentsvorbehalt ist sicher, wenn sich die Regie-rung an die Verfassung hält.Für den Fall, dass Sie ernsthaft erwägen sollten, Ihre80-Prozent-Mehrheit auszunutzen, um das Grundgesetzzu ändern, lege ich Ihnen noch einmal das Lissabon-Ur-teil von 2009 ans Herz. Dort stellte das Bundesverfas-sungsgericht klar, dass der Parlamentsvorbehalt zu demdurch Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz geschützten unantast-baren Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentitätgehört. Dieser Kern steht nicht zu Ihrer Disposition, undwenn Ihre Koalition auch noch so groß ist.
Was soll das Ganze also dann? Sie suggerieren, esgäbe ein Spannungsverhältnis zwischen fortschreitenderBündnisintegration und Parlamentsrechten. Das sehe ichnicht:
Erstens bedeutet Bündnisintegration keinen Automa-tismus der Beteiligung von Soldaten. Das will auch nie-mand in der NATO.Zweitens ist das Parlament bei seiner Entscheidungnicht weniger verantwortungsvoll gegenüber den Bünd-nispartnern als die Exekutive. Woher dieses Misstrauengegenüber den Volksvertretern?Drittens hat der Parlamentsbeschluss noch nie zu ei-ner Verzögerung irgendwelcher Einsätze geführt. Das istschlicht erfunden.
– Doch, das haben Sie gesagt.
Auch das Eilverfahren bei Gefahr in Verzug hat in derPraxis funktioniert. Leider haben Sie sich geweigert, dieEvakuierungsaktion in Libyen 2011 anschließend zurGenehmigung vorzulegen, sodass wir auch dort wiederdas Bundesverfassungsgericht bemühen mussten.Viertens kann es bei einem bewaffneten Einsatz keineBagatellfälle geben; denn der Einsatz von Waffengewaltist nie eine Bagatelle.
Dennoch wird in regelmäßigen Abständen aus derUnion heraus der Parlamentsvorbehalt ohne sachlichenGrund problematisiert. Diesmal haben Sie sich vomNATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 inspirieren las-sen, als es darum ging, wie man Kosten durch engereZusammenarbeit sparen könnte.Es gibt viele Gründe, warum die Zusammenlegungvon militärischen Fähigkeiten so schwerfällt. Die Parla-mentsrechte gehören definitiv nicht dazu.
Statt unnötige Kommissionen ins Leben zu rufen,wäre es Ihre Aufgabe gewesen, gegenüber den Bündnis-partnern für die Vorteile einer Parlamentsarmee wie derBundeswehr zu werben und die bestehenden Missver-ständnisse auszuräumen. In dieser Hinsicht haben Sievöllig versagt.
Der Parlamentsvorbehalt ist keine pazifistische Ma-rotte, sondern dient der demokratischen Legitimation derEntsendung von Soldaten zur Durchsetzung des Gewalt-monopols des UN-Sicherheitsrates. Teilweise haben un-sere Partner die Vorteile trotzdem erkannt und von unsgelernt, wie bei den Debatten im US-Kongress oder imbritischen Unterhaus im Zusammenhang mit dem Sy-rien-Krieg zu sehen war. Unseren Streitkräften tun Siemit einer Abkehr von diesem Prinzip jedenfalls keinenGefallen. Denn gerade die sind dringend auf eine breiteöffentliche sicherheitspolitische Debatte angewiesen.
Der Parlamentsvorbehalt muss in der Tat vor einerGefahr gesichert werden: Und das sind Sie und dieseKommission.
So, wie unsere Parlamentsarmee uns verteidigen soll,werden wir unsere Parlamentsarmee verteidigen, wennes sein muss. Darauf können Sie sich verlassen.Was ist das überhaupt für eine merkwürdige Zusam-mensetzung, die Sie sich da ausgedacht haben? Wenn esschon keine Parlamentarierkommission geben soll, dannsollte es wenigstens eine Expertenkommission geben,für die wir die Experten einvernehmlich bestimmen. Siehaben sich aber schon 80 Prozent Ihrer Experten ge-
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Katja Keul
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bucht. Wenn die Opposition mitreden will, darf sie aberkeine Experten benennen.
Das zeugt nicht von einem ergebnisoffenen Prozess, beidem wir irgendetwas bewegen könnten. Deswegen wer-den wir uns dafür auch nicht hergeben.
Wenn Sie unsere Parlamentsrechte beschneiden wol-len, müssen Sie das ohne uns tun. Wir machen da nichtmit.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Henning Otte das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bundeswehr ist als Streitkraft der Bun-desrepublik Deutschland eine Parlamentsarmee. Das hathistorische Gründe und verlangt von der jeweiligen Bun-desregierung eine besondere Rechtfertigung und Be-gründung für die Entsendung deutscher Soldaten in Ein-sätze, die außerhalb unseres Landes stattfinden. Darangibt es gar keinen Zweifel. Die Linken tun gerade so, alsstünde der Weltuntergang kurz bevor. Ich kann auch derFraktion Bündnis 90/Die Grünen nur sagen: Lassen Siedie Kirche im Dorf.Ich will versuchen, aufzuzeigen, wie die Sachlagewirklich ist. Mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz, das2005 in Kraft getreten ist, wurde eine Praxis bei Aus-landseinsätzen bestätigt, die auf ein Bundesverfassungs-gerichtsurteil von 1994 zurückgeht. Das Parlamentsbe-teiligungsgesetz regelt die Beteiligung der Legislative inDeutschland, also des Deutschen Bundestages, an derEntscheidung über Einsätze von Streitkräften im Aus-land. Mit diesen weitreichenden Bestimmungsrechtensoll mit dem sogenannten Parlamentsvorbehalt erreichtwerden, dass Soldaten nicht ohne Zustimmung des Par-laments in Auslandseinsätze entsendet werden dürfen,bei denen sie in bewaffnete Unternehmungen einbezo-gen werden oder eine Einbeziehung zu erwarten ist. DieBundesregierung muss daher rechtzeitig vor Beginn desAuslandseinsatzes einen Antrag mit detaillierten Anga-ben zu den Kosten, zu der geplanten Zahl der Soldaten,zu den Fähigkeiten und zur voraussichtlichen Dauer desEinsatzes stellen.Vorbereitende Maßnahmen, Hilfs- und humanitäreEinsätze, bei denen Waffen nur zur Selbstverteidigungmitgeführt werden, gelten nicht als Einsatz. Eine Ein-schränkung besteht bei Gefahr im Verzuge oder bei Ret-tungsmissionen, wenn durch Bekanntwerden dieser Mis-sion die zu Rettenden in Gefahr geraten. Hier muss dieBundesregierung den Deutschen Bundestag aber sofortanschließend und umfassend mit diesem Auftrag befas-sen. Verweigert das Parlament die nachträgliche Zustim-mung, dann ist der Einsatz zu beenden. Es besteht alsoein sogenanntes Rückholrecht.Für kleinere Auslandseinsätze mit wenigen Soldatengibt es ein vereinfachtes Verfahren; Herr Gehrcke, Siehaben das angesprochen. Da reicht es, wenn die Frak-tionsvorsitzenden, die Ausschussvorsitzenden oder dieObleute des Verteidigungsausschusses oder des Auswär-tigen Ausschusses informiert werden. Es handelt sichdabei aber nicht um privilegierte Abgeordnete: Sie wer-den ja aus der Mitte des Deutschen Bundestages be-stimmt. Von daher ist dem Demokratieanspruch hierauch ausreichend Rechnung getragen. Man kann zusam-menfassend sagen, dass sich das Parlamentsbeteili-gungsrecht in den vergangenen Jahren in der parlamen-tarischen und auch in der sicherheitspolitischen Praxisbewährt hat.
Richtig ist: Nicht eine Kabinettsentscheidung über einMandat wurde von diesem Parlament verhindert. KeinEinsatzmandat erging zu spät, weil das Parlament zulange diskutiert hatte. Die Bundeswehr ist eine Parla-mentsarmee. Das bewirkt auch eine zusätzliche gesell-schaftspolitische Rückendeckung für die Einsätze unse-rer Soldatinnen und Soldaten, weil immer zumindest dieMehrheit der Volksvertreter eine solche Mandatierungbeschließt und damit beauftragt.
Durch die öffentliche Debatte im Deutschen Bundes-tag, wie auch heute Morgen, ist die Öffentlichkeit überdie Mandatierung und den Willensbildungsprozess in-formiert und wird auch, wie es auf Neudeutsch heißt,mitgenommen. Manch ein Land beneidet uns um denParlamentsvorbehalt. Jede Befassung des Parlaments miteiner Mission der Streitkräfte bringt eine breit angelegtesicherheitspolitische Debatte mit sich: Jeder ist gut infor-miert.Und doch lohnt es sich, meine Damen und Herren,über eine Weiterentwicklung des Parlamentsbeteili-gungsgesetzes nachzudenken und es auch in gewissemMaße zu überprüfen; denn die politische Lage entwickeltsich eben auch weiter. Insgesamt hat sich die Bundes-wehr seit 1990 an mehr als 130 humanitären Einsätzenbeteiligt. Seit 1990 hat sich die Bundeswehr an frie-denserhaltenden und friedensstiftenden Einsätzen betei-ligt, auch „out of area“, also außerhalb des NATO-Ge-bietes.
Dies ist nach Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz abgedeckt, dadiese Einsätze im Rahmen des Systems der gegenseiti-gen und kollektiven Sicherheit erfolgen.Die Bundeswehr leistet hierbei einen sehr erfolgrei-chen und wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Terrorund war in Spitzenzeiten wie zum Beispiel 2002 mitüber 10 000 Soldatinnen und Soldaten an Einsätzen be-
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Henning Otte
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teiligt. Zurzeit sind ungefähr 4 800 Soldaten im Einsatz.Für diesen Dienst für Frieden, Freiheit und Sicherheitdanken wir als CDU/CSU-Fraktion und als Koalition un-seren Soldaten sehr herzlich.
Alle Einsätze erfolgen hierbei in verbündeten Struktu-ren, stets mit anderen Nationen im Rahmen der Europäi-schen Union und der NATO, teils sogar nicht nur neben-einander, sondern zunehmend auch in integriertenmilitärischen Stäben und Verbänden; einige Beispielesind heute angeführt worden. Bei Aufklärungsmissio-nen, bei der medizinischen Versorgung, bei der Luftbe-tankung kann man darüber nachdenken, ein Grundman-dat zu erteilen, das konkret und präzise gefasst ist undbis auf Widerruf gelten könnte.
Eine solche Anpassung würde auch dem Anspruch desBundesverfassungsgerichts zur Abstufung der Rege-lungsdichte nachkommen.
Wir wollen hierzu schlicht und einfach eine Kommis-sion einsetzen, die diese Sachlage einmal überprüft.Liebe Frau Kollegin Keul, die Experten, die dort sitzen,sind ja wohl allesamt fernab davon, einer parteipoliti-schen Ideologie zu folgen.
Da kann man nur sagen: Lassen Sie doch diese Expertenerst einmal zu Wort kommen! Haben Sie doch nicht denAnspruch, immer schon vorher zu wissen, was dabei he-rauskommt, weil Sie Ihre Meinung schon festgelegt ha-ben! Wir sollten diese Expertise unvoreingenommennutzen und auf die Ergebnisse warten.
Ziel der Kommissionsarbeit sollte es sein, die Hand-lungsfähigkeit der Bündnisse mit dauerhaften Stäben,Fähigkeiten und Verbänden noch weiter zu erhöhen undunsere Bündnisfähigkeit zu stärken, gegebenenfalls zupräzisieren. Bei bewaffneten Einsätzen mit militäri-schem Wirkzusammenhang sollte jedoch die nationaleVerantwortung nicht aus der Hand gegeben werden. Wirsind gespannt auf die Arbeit der Kommission. Über dieErgebnisse wollen wir dann in den einzelnen Arbeits-gruppen, im Auswärtigen Ausschuss und dem Verteidi-gungsausschuss miteinander diskutieren und sie bewer-ten. Darauf freuen wir uns.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Bartels
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LassenSie mich in dieser Debatte, in der wir einiges an gespiel-ter Empörung erlebt haben, einige sachliche Anmerkun-gen machen.
Erstens zu der Frage: Ist der Parlamentsvorbehalt einHindernis für Deutschlands aktive Rolle in den Bündnis-sen? Wir führen eine Debatte über eine aktivere Politik,die wir in der EU, der NATO und auch in der UNO be-treiben wollen. Wir sind in diesen Bündnissen schon ak-tiv, aber unsere Beteiligung soll sichtbarer werden. DieFrage ist: Ist die Parlamentsbeteiligung dafür in irgend-einer Weise ein Hindernis? Aus der Praxis der letzten20 Jahre können wir sagen: Niemals, zu keinem einzigenZeitpunkt, war die Beteiligung des Parlaments ein Hin-dernis für unsere aktive Rolle.
Wir haben einmal nachgerechnet: Wie lange dauertees vom Kabinettsbeschluss bis zur endgültigen Entschei-dung des Parlaments? Im Durchschnitt aller bisher er-teilten Mandate dauerte das elf Tage. Die schnellsteMandatserteilung dauerte einen Tag: vormittags Kabi-nettssitzung, am frühen Nachmittag Einbringung in denBundestag, Fristverzichtserklärung der Fraktionen, Be-ratung in den Ausschüssen, um 15 Uhr Wiedereröffnungdes Plenums, und um 16.30 Uhr war das Mandat be-schlossen. Wenn es wirklich schnell gehen muss, dannist dieses Parlament schnell. Das ist die Praxis.
Übrigens, wenn es noch schneller gehen müsste, stehtschon jetzt im Gesetz: Bei Gefahr im Verzuge kann imAusnahmefall die Genehmigung auch nachträglich er-teilt werden. – Das Parlament verursacht also kein Zeit-problem. Es gibt kein Verhinderungsproblem.Was manchmal in der Vergangenheit – KollegeArnold hat es angesprochen – ein bisschen schwierigwar, war das Verhalten der Bundesregierung, die denVorbehalt des Parlaments in den Bündnissen vorgescho-ben hat, um bei Verhandlungen die Zurückhaltung derBundesregierung zu begründen. Das kann man so ma-chen. Davon darf man sich selbst aber nicht in die Irreführen lassen.Das Parlament ist nicht das Hindernis. Wenn aber dieBundesregierung sagt: „Wir wollen hier nicht so weit ge-hen“, dann liegt das nicht daran, dass das Parlamentnicht will, sondern weil die Bundesregierung und die sietragende Mehrheit im Parlament das für richtig halten.
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Dr. Hans-Peter Bartels
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Das ist kein Problem des Parlaments insgesamt, sonderngegebenenfalls ein Problem der Mehrheit, aber wir wol-len gar nicht, dass es ein Problem ist.Die jetzt verkündete aktive Politik heißt ja: Wir wol-len von Anfang an, im Parlament und in der Öffentlich-keit sowieso, darüber diskutieren, was das Bündnis tunsoll, nicht darüber, was Deutschland tun soll. Vielmehrgeht es darum, was nach unserer Erwartung die Bünd-nisse, die EU und die NATO, in Krisen tun sollen, aufdie wir reagieren wollen.Die erste Schlussfolgerung ist also: Die Hindernisthe-orie ist ein Popanz. Es gibt kein Problem, was unsereEinsatzfähigkeit in den Bündnissen angeht.
Zweitens: Gibt es ein Problem mit mehr Integration inEuropa? Wenn wir uns auf den Weg zu einer europäi-schen Armee machen, wie wir das im Koalitionsvertragvereinbart haben – das werden wir nicht bis 2017 schaf-fen, aber für die mittlere Zukunft streben wir das Zielan –: Ist dafür der deutsche Parlamentsvorbehalt einHindernis? Ich glaube, nicht. Zu jedem einzelnen Fall, indem sich Europa an einer Krisenbewältigung mit Militärbeteiligt und damit sich auch deutsche Soldaten beteili-gen, möchte ich die Frage stellen: Worin liegt das Pro-blem, wenn wir darüber eine Debatte führen und dazu imDeutschen Bundestag einen Beschluss fassen? Das istkein Problem. Vertiefte europäische Integration und Par-lamentsvorbehalt gehen zusammen.
– Ich finde die Zustimmung der Grünen super. FrauKeul, Sie hatten völlig recht, als Sie sagten: In der Praxishaben wir durch die Parlamentsbeteiligung kein Zeitpro-blem.
Darin sind wir uns einig. Dieses Gesetz über die Parla-mentsbeteiligung haben wir ja zusammen gemacht.
– Nein, ich nenne Ihnen nachher noch ein paar Vor-schläge – das ist der letzte Punkt –, wo man in diesemGesetz eine Präzisierung vornehmen könnte.Ein dritter Punkt im Anschluss an die Europäisierung,die wir wollen. Die Parlamentsbeteiligung bei Auslands-einsätzen der Bundeswehr ist nicht der einzige Punkt,bei dem das Bundesverfassungsgericht dem BundestagRechte eingeräumt hat. Das gab es ja auch in einem an-deren Bereich der Europäisierung unserer Politik: Beiden Rettungsschirmen in der Euro-Krise hat uns dasBundesverfassungsgericht auch einen Parlamentsvorbe-halt vorgegeben. Über jedes einzelne Programm desEuropäischen Stabilitätsmechanismus muss dieser Bun-destag entscheiden.
– Ja, aber das ist Verfassungslage. Genauso wie bei derBundeswehr ist es jetzt auch in der Euro-Politik Verfas-sungslage. Der Parlamentsvorbehalt für Bundeswehrein-sätze ist nicht singulär, sondern es gibt ein anderes gro-ßes Feld, zu dem das Bundesverfassungsgerichtentschieden hat – das ist jetzt auch Staatspraxis –: Dasnationale Parlament, der Bundestag, muss über europäi-sche bzw. internationale Maßnahmen entscheiden. Auchdas ist in diesem Bundestag verantwortungsvoll umge-setzt worden.Es gibt einen anderen Trend in diesem Zusammen-hang; das ist schon angesprochen worden. Wir sind nichtdie Einzigen, die die Parlamentsbeteiligung für gut hal-ten; andere Länder haben sie auch schon oder führen siejetzt ein. Sie gehen unseren Weg. Das ist also kein Aus-laufmodell, sondern die Parlamentsbeteiligung des Deut-schen Bundestages ist ein Modell für andere europäischeLänder. Darauf können wir stolz sein.
Herr Kollege Bartels, darf die Kollegin Brugger Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Aber gerne.
Vielen Dank. – Herr Kollege Bartels, es klingt alles
schön und gut, was Sie gerade gesagt haben. Sie haben
auch in dem einen oder anderen Punkt Applaus von den
Grünen bekommen.
Es gibt aber eine Diskrepanz zwischen dem, was Sie ge-
rade gesagt haben, und dem, was der vorliegende Antrag
zum Ausdruck bringt.
Vielleicht können Sie ganz konkret erklären, warum die
Koalition unseren Vorschlag, auch die Stärkung der Par-
lamentsrechte zum Auftrag dieser Kommission zu ma-
chen und darüber zu diskutieren, nicht übernommen und
explizit gesagt hat, dass sie dies nicht will.
Frau Kollegin Brugger, die Kommission arbeitet er-gebnisoffen. Alles, was die Teilnehmer der Kommissioneinbringen, ist Gegenstand der Kommissionsarbeit. DerBundestag, der sich nach einem Jahr mit den Ergebnis-sen auseinandersetzt, kann ebenfalls frei beraten, wie ermit den Ergebnissen verfahren will.Ich erwarte allerdings, dass die Kommission nicht nurvor sich hin arbeitet, sondern auch zu Ergebnissenkommt. Es gibt schon Ideen – jetzt fahre ich mit meiner
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1638 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dr. Hans-Peter Bartels
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Rede fort –, an welchen Stellen das bewährte Parla-mentsbeteiligungsgesetz noch ergänzt werden kann. Wirmüssen darüber diskutieren, aber es ist denkbar, dass wirdas Gesetz vor dem Hintergrund der Erfahrungen, diewir gemacht haben, ändern.Vielleicht brauchen wir neben dem Positivkatalog imGesetz, in dem beschrieben wird, was mandatiert werdenmuss, auch einen Negativkatalog, damit nicht nur in derBegründung steht, dass eine integrierte Verwendung inNATO-Stäben nicht dem Parlamentsvorbehalt unterliegt,sondern auch im Gesetz. Ein Positiv- und Negativkata-log im Gesetz wäre also eine Möglichkeit der Präzisie-rung.Es gibt Einsätze – das ist bereits angesprochen wor-den –, bei denen ich in der Diskussion darüber, ob wirsie mandatieren müssen, auch nicht vom Einsatz bewaff-neter Streitkräfte ausgehe. Das Eskortieren eines Han-delsschiffes im Mittelmeer ohne konkrete Bedrohung,also bei einer rein abstrakten Bedrohung, wie sie bei je-dem Schiff auf den Weltmeeren besteht, kann zwar man-datiert werden. Die Bundesregierung geht auf Nummersicher zugunsten einer parlamentsfreundlichen Ausle-gung des Gesetzes. Aber ist das wirklich gesetzlich ge-meint, wenn es gar keine Gefahr der Einbeziehung in be-waffnete Konflikte gibt, sondern eher eine symbolischeMaßnahme ist? Wir wollten das gerne mit dem NATO-Russland-Rat verbinden. Das war als großes Symbol ge-dacht; aber das geht nun aus anderen Gründen nicht.Solche Fragen müssen wir in der Kommission disku-tieren. Auch die Intensität der Beratungen ist ein Pro-blem. Müssen ein Einsatz in Afghanistan mit 5 000 Sol-daten in der Spitze und eine Beobachtermission mit einerHandvoll an Soldaten in gleicher Weise im Plenum be-handelt werden, oder gibt es da unterschiedliche Be-handlungsmöglichkeiten? Wir haben das vereinfachteVerfahren bereits gesetzlich geregelt, allerdings für ei-nen anderen Fall, nämlich für die Verlängerung vonMandaten ohne Änderung am Text. Vielleicht müssenwir hier zu einer Präzisierung kommen. All das kannman konkret diskutieren.Schließlich komme ich noch zu einem Punkt, dermich bei den Mandaten, die uns vorgelegt wurden, undihrer öffentlichen Wahrnehmung immer geärgert hat:Wir reden immer nur über die Bundeswehr. In der Wahr-nehmung mancher in der deutschen Öffentlichkeit sinddie 5 000 Soldaten bzw. derzeit 2 500 Soldaten inAfghanistan die Kräfte, die das Schicksal Afghanistanswenden. Manchmal wird sogar im Parlament entspre-chend diskutiert. Als ob an ihnen alles hinge. Nein, eshängt an dem, was die gesamte NATO und auch die in-ternationale Staatengemeinschaft in Afghanistan tun.Das steht aber nicht im Mandat. Darin steht nur: Im Rah-men der NATO setzen wir 5 000 Soldaten ein. Dass da100 000 Soldaten anderer Nationen eingesetzt werden,wird nicht erwähnt. In Zukunft könnte in solchen Man-daten deutlich gemacht werden, wie viele Soldaten wel-cher Nationalität zu welchem Zweck eingesetzt werden.Immerhin haben wir die Mandatspraxis insoweit ver-bessert, dass nun deutlich wird, welchen zivilen BeitragDeutschland im Rahmen solcher Missionen leistet. Eswird aber nicht deutlich, was andere Nationen tun. DieInternationalisierung im Mandat selbst sichtbarer zu ma-chen, könnte eine Verbesserung des Parlamentsbeteili-gungsgesetzes darstellen.Wir sind guter Hoffnung, dass die nun einzusetzendeKommission zu Ergebnissen kommen wird, die etwas imSinne der Verbesserung und der Stärkung des Parla-mentsvorbehalts verändern.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Uhl für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen von den Grünen und der Linken, ich habe Ih-ren Reden aufmerksam zugehört, in denen Sie Ihre Be-fürchtungen und Sorgen zum Ausdruck gebracht haben,dass wir in der Großen Koalition das Grundgesetz mitFüßen treten und den Parlamentsvorbehalt abschaffenwollen. Sie wollen noch nicht einmal der Kommissionbeitreten, weil Sie bei diesem rechtswidrigen Treiben aufkeinen Fall dabei sein wollen. Wehret den Anfängen! Sokann es nicht sein. – Das ist Ihre Position.Lassen Sie mich einen versöhnlichen Vorschlag ma-chen – vielleicht nur an die Grünen; denn ich weiß nicht,ob bei Ihnen von der Linken noch etwas zu retten ist –:
Gehen Sie in die Kommission! Nach dem Proporz stehenIhnen dort zwei Plätze zu. Ich mache Ihnen auch einenpersonellen Vorschlag. Ich bedauere zutiefst, dass meinguter Freund von der deutschen Sozialdemokratie,Dieter Wiefelspütz, heute nicht anwesend ist.
Er war immer mächtig stolz auf seine wissenschaftlichenAusarbeitungen, die zum Teil sehr profund waren.
Genau zu diesem Thema hat er ein umfangreiches Werk– ich glaube, es war sogar seine Doktorarbeit – mit demTitel „Das Parlamentsheer“ geschrieben. Man stelle sichvor, welch flammende Rede er heute von diesem Podiumaus gehalten hätte, und zwar mit hochtheatralischemAufschlag!
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von denGrünen, Dieter Wiefelspütz als Ihren Vertreter in derKommission vorschlagen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1639
Dr. Hans-Peter Uhl
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Es gibt keinen besseren Anwalt für die Anliegen derGrünen in dieser Kommission als Dieter Wiefelspützvon der SPD.
– Die Zeit ist fortgeschritten. Wir wollen die Sache nichtüber Gebühr verlängern.Als Jurist lernt man gleich zu Beginn: Ein Blick insGesetz erleichtert die Rechtsfindung. – Das gilt vor al-lem für einen Blick in das Grundgesetz. Da werden SieÜberraschendes feststellen. Bei einem Blick in dasGrundgesetz lernen wir, dass in diesem Zusammenhangvom Parlament überhaupt keine Rede ist. Die Zuständig-keit für den Einsatz der Streitkräfte im Verteidigungsfallgeht auf die Kanzlerin über. Ansonsten verbleibt die Zu-ständigkeit bei der Verteidigungsministerin. Nur diesebeiden Damen sind zurzeit in diesem Land für solcheEinsätze zuständig.
Es könnte sich im Notfall auch einmal um Männer
handeln. Schließlich reden wir über eine abstrakte Ver-
fassungslage und nicht über eine konkrete Rollenvertei-
lung.
Darf der Kollege Meiwald Ihnen eine Zwischenfrage
stellen?
Wenn es denn sein muss.
Vielen Dank, Herr Kollege Uhl. – Ich will es nicht in
die Länge ziehen. Aber der Personalvorschlag, den Sie
uns gerade unterbreitet haben, sorgt für eine gewisse Er-
heiterung. Damit verhält es sich so, als ob wir Ihnen vor-
schlagen würden, Franz Alt zum Vorsitzenden der
Atomendlagersuchkommission zu machen.
–
Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Nein,
das macht bei uns Heiner Geißler!)
Er kommt aus Ihren Reihen. Insofern wäre das eine Op-
tion, über die man in diesem Zusammenhang reden
könnte.
Vielen Dank.
Zu solchen Vorschlägen und Vergleichen pflegt IhrParteikollege Trittin zu sagen: Nicht alles, was hinkt, istein Vergleich. – So habe ich es neulich von ihm in einerTalkshow gehört. Er ist zurzeit jeden Abend in Talk-shows zu sehen. Da können Sie solche Sachen hören.
– Ich bin nicht neidisch. Herr Trittin hat genauso wie ei-nige andere aus meiner Fraktion ein Abonnement aufTalkshows; das ist nun einmal so. Deswegen lohnt essich auch nicht, Talkshows anzuschauen.Zurück zum Blick in das Grundgesetz. Dort ist es – wiebeschrieben – so geregelt. Dann kam die Out-of-Area-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994.Darauf folgte 2005 – so will ich es einmal bezeichnen –das Parlamentsheergesetz. Das heißt, im Grundgesetzsteht davon nichts.
Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. DieBegründung des Verfassungsgerichts, dass der Parla-mentsvorbehalt einer Verfassungstradition seit 1918 ent-spreche, ist einfach nicht ganz korrekt. Dennoch ist dasErgebnis richtig. Wir alle wollen den Parlamentsvorbe-halt. Das heißt, hören Sie bitte auf, uns zu unterstellen,dass wir den Parlamentsvorbehalt einschränken, ab-schaffen oder sonst etwas damit machen wollen. Nein, esgeht darum, dass wir das Gesetz weiterentwickeln, eva-luieren und vor dem Hintergrund der Entwicklungenüberprüfen müssen.Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, klar; abersie ist auch eine Bündnisarmee. Dass daraus Zielkon-flikte entstehen können, ist doch evident. Dass man sichdarüber in dieser Kommission unterhalten muss, ist auchklar. Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit inner-halb des Bündnisses, die Internationalisierung der Trup-penaufstellung und die Gemeinsame Sicherheits- undVerteidigungspolitik sind Bündnisverpflichtungen, die ineinem gewissen Zielkonflikt zum Parlamentsvorbehaltstehen können. Ich möchte auf Cyberwar-Fragen garnicht eingehen, weil man sich durchaus vorstellen kann,dass hier die Vorgabe einer Parlamentsentscheidung be-sondere Probleme bereiten kann.Lassen Sie mich auf die Sinnhaftigkeit der Verpflich-tung des Parlaments kurz eingehen. Ich halte es, geradewie Sie es dargestellt haben, aber mit umgekehrter Ziel-setzung, für ganz wichtig, dass man das Parlament ein-schaltet, wenn es darum geht, die Ultima Ratio der Poli-tik zum Einsatz zu bringen. Wir erleben es gerade jetztbei der Diskussion über die Ukraine. Wir sagen alledurch die Bank, alle Fraktionen: kein Militäreinsatz indiesem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.Alle sagen das. Aber es gibt andere Fälle – und es gabsie bereits –, in denen wir, bis auf die Linken, sagen: EinMilitäreinsatz ist als Ultima Ratio unumgänglich. Da istes für uns, für die deutsche Gesellschaft und vor allemfür die Soldaten wichtig, zu wissen, wer hinter ihnensteht, wenn sie in solche Einsätze, in denen es um Lebenund Tod geht, geschickt werden.
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1640 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dr. Hans-Peter Uhl
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Wer begründet den Einsatz, und wie wird er begründet?Wie lange soll der Einsatz gehen und warum? Das istsehr wichtig. Deswegen wollen wir den Parlamentsvor-behalt. Wir wollen damit auch darstellen, wer verant-wortungsbewusst genug und regierungsfähig ist, wer dieGeschicke unserer Menschen verantwortungsbewusst indie Hand nehmen kann. Da gehören ewige Verweigerer,die die Verantwortung nicht übernehmen, wie zum Bei-spiel die Partei der Linken, erkennbar nicht dazu.
Interessant ist auch ein internationaler Vergleich. Wiegehen andere demokratisch strukturierte Staaten, Parla-mente und Rechtsstaaten damit um? Alle Spielarten gibtes. Es gibt nicht nur einen Weg des Parlamentsvorbe-halts. Es gibt die Möglichkeit, dass nur bestimmte Mili-täreinsätze dem Parlament vorgelegt werden. Dafür gibtes Beispiele. Es gibt zum Beispiel das Vetorecht des Par-laments. Das haben Irland, Schweden und die Schweiz,mehr Staaten nicht. Das ist also nicht ein konstitutiverAkt, sondern nur ein Vetorecht. Es gibt auch die Mög-lichkeit der nachträglichen Zustimmung, die es bei unszwar auch gibt, aber nur im Ausnahmefall. Diese gibt esals Regelfall in Österreich, in Japan und in Tschechien.
Es gibt die Möglichkeit, das Parlament überhaupt nichtzu beteiligen, wenn es um Einsätze in Bündnisstrukturender NATO oder der EU geht. Diese Regelung haben dieosteuropäischen Länder. Das ist verständlich aus ihrerVergangenheit. Es gibt die Möglichkeit, das Parlamentlediglich zu konsultieren. Diese Regelung wird bei-spielsweise in den Niederlanden angewandt. Es gibt alsoeine ganze Fülle von Möglichkeiten, die man in derKommission erörtern und dem Parlament vorlegen kann.Dann können Sie sich über das Ergebnis der Kommis-sion, das zu einem Gesetz gemacht werden wird, aufre-gen oder auch nicht aufregen.
Lassen Sie mich zum Schluss ein Letztes zum Thema„Polizeieinsätze und Parlamentsvorbehalt“ sagen. Alsfrüherer Innenpolitiker habe ich dazu eine Anmerkung.Ich habe in der letzten Legislaturperiode versucht, einenentsprechenden Antrag ins Parlament zu bringen, weilich das Bedürfnis verspüre, dass wir Polizeieinsätze imAusland parlamentarisch begleiten, aber nicht in demSinne, dass jeder einzelne Polizeieinsatz vorher im Par-lament genehmigt werden muss, sondern dass wir eineabstrakt-generelle Regelung finden, wann wir die Polizeiins Ausland entsenden wollen und wann nicht. Es gibtBeispiele dafür, dass Polizeieinsätze im Ausland ge-scheitert sind, ohne dass man daraus einen Vorwurf ab-leiten könnte. Wir hatten von der EU den Auftrag, inWeißrussland für die Polizeiausbildung zu sorgen, habenaber feststellen müssen, dass der dortige Diktator seinePolizei auf schändliche Weise missbraucht. Dann wurdeder deutschen Polizei zum Vorwurf gemacht, dass siedort tätig war. Meine Damen und Herren, so etwas mussim Parlament festgelegt werden. Das darf nicht auf demRücken der Polizeibeamten ausgetragen werden. Deswe-gen bin ich für eine abstrakt-generelle Regelung, wannunsere Polizei im Ausland tätig ist, aber nicht für einengenerellen Parlamentsvorbehalt, wie er für das Militärgilt. Für das Militär muss er natürlich gelten.Danke schön.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Siemich zum Abschluss dieser durchaus spannenden De-batte noch ein paar Aspekte vertiefen. Blicken wir ein-fach einmal auf den Sitzungskalender dieser Woche undden Veranstaltungskalender mancher Ministerien: ImBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung fand eine Veranstaltung zur Zusam-menarbeit Deutschlands mit Afghanistan statt. DieCDU/CSU-Bundestagsfraktion führte eine fraktionsof-fene Sitzung zum Thema Afrika durch. Nicht nur imAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung, sondern auch im Auswärtigen Ausschuss undim Verteidigungsausschuss fanden Diskussionen überSyrien, Afrika und Bosnien statt. – Es ist die Gleichzei-tigkeit der Ereignisse, die uns Europäer, die uns Parla-mentarier vor die Frage stellt: Wie schaffen wir es in derEuropäischen Union, diese Herausforderungen zu be-wältigen, ohne gleich an militärische Eskalation und an-dere Bereiche zu denken? Wie schaffen wir es, dieRechte dieses Parlaments zu wahren, wenn die Europäi-sche Union, wenn die NATO versuchen, auch aufgrunddes Kostendrucks und der verstärkten ZusammenarbeitFähigkeiten zusammenzulegen?Diese Herausforderungen berühren unser Parlamentunmittelbar. Es ist Art. 42 des Lissabonner Vertrags, deruns sogar nahelegt, frühzeitig auf der Basis der jeweili-gen verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Mit-gliedsländer festzulegen, dass wir unsere parlamentari-sche Beteiligung zukunftsfest machen. Meine Damenund Herren von den Grünen und den Linken, es geht umnichts anderes als darum, dass wir die Mitwirkungs-rechte von uns allen bei einer vertieften Zusammenarbeitwahren. Dieses Haus hat eine sehr starke Tradition derparlamentarischen Begleitung bei bewaffneten Einsät-zen. Diese Tradition wollen wir bewahren und erhalten.Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Die Aufgabe derKommission ist es aus meiner Sicht und auch aus Sichtunserer Fraktion, diese Beteiligungsrechte zu wahren,wenn es um Vertiefung geht. Ich möchte das an folgen-den Bereichen festmachen:
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1641
Roderich Kiesewetter
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Wir als Parlament sollten frühzeitig beteiligt werden.Die Kommission sollte durchaus darüber diskutieren,wie eine engere Abstimmung zwischen Regierung undParlament erfolgen kann. Insofern ist Ihr Antrag, liebeKolleginnen und Kollegen von den Grünen, zu limitie-rend. Sie sagen nämlich: Wir wollen auch Einsätze imBereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Poli-zei mandatieren. – Wir sollten uns, glaube ich, auf diebewaffneten Einsätze konzentrieren; denn da, wo wirParlamentarier Verantwortung für Einsätze tragen, in de-nen es um Leben und Tod geht, sind wir besonders ge-fordert. Für uns sollte es nicht um Einzelabstimmungendarüber gehen, wann wo welche EntwicklungshelferEntwicklungszusammenarbeit leisten. Die frühzeitigeEinbindung ist der eine Aspekt.Der andere Aspekt ist, dass wir das Parlament nicht inder Rolle sehen, Einsätze zu beschleunigen. Es gehtnicht darum, Einsätze zu beschleunigen. Dass das Par-lament Einsätze noch nie hat scheitern lassen, ist nichtder Grund dafür, dass wir diese Kommission einsetzen.Aber wir als Parlamentarier wollen auch nicht, dass dieRegierung die Parlamentsbeteiligung als Vorwand dafürnimmt, bestimmte Einsätze nicht durchzuführen. Dasbringt mich zu der entscheidenden Forderung, dass wirfrühzeitig an der strategischen Debatte beteiligt werden,dass uns die Regierung über die Ausschussarbeit, überdie Debatten im Parlament beteiligt, sodass wir strate-gisch Einfluss nehmen können.Mein letzter Punkt. Auf der Münchner Sicherheits-konferenz haben der Bundespräsident, der Außenminis-ter und die Verteidigungsministerin einen Beitrag zurDebatte über die sicherheitspolitische Strategie geleistet.Hier geht es um folgende Fragen: Was sind die deut-schen Interessen? Welche Aufgaben wollen wir erfüllen?Welche Instrumente – die Frage nach den Instrumentenführt zur Frage der militärischen Beteiligung – wollenwir einsetzen? In welchen Regionen wollen wir die Bun-deswehr einsetzen? Allein die Debatte über eine Beteili-gung in Afrika oder die Frage des Umgangs mit denLändern in der östlichen Nachbarschaft zeigen diesenVierklang auf: Interessen, Instrumente, Aufgaben undRegionen. Wir als Parlament wollen an dieser Debatteteilhaben. Die Kommission sollte einen Beitrag dazuleisten, dass dieses Parlament stärker daran mitwirkenkann. Das sollte das Ziel sein. Natürlich muss die Arbeitder Kommission ergebnisoffen sein. Das heißt aber ebenauch, dass wir in strategischen Fragen möglicherweisestärker beteiligt werden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, dasdiese Kommission aber durchaus verfolgen sollte.Ich wünsche mir jedenfalls, dass wir in der nächstenWoche, wenn es um die Mandatierung geht, eine Stern-stunde des Parlaments erleben werden mit starker Redeund Gegenrede, um deutlich zu machen: Dieses Parla-ment möchte mitwirken, wenn sich unsere Bundesrepu-blik Deutschland in der Europäischen Union stärker fürvereinte Fähigkeiten, für eine abgestuftere Beteiligungder Mitgliedstaaten einsetzt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Sternstunde.
Ich frage Sie, ob Sie mit der Überweisung der Vorla-gen auf den Drucksachen 18/766 und 18/775 an die ander Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse einverstan-den sind. – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-gen so beschlossen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 12 aund 12 b:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarcusWeinberg , Gudrun Zollner, BettinaHornhues, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenSönke Rix, Birgit Kömpel, Ulrike Bahr, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDMehr Zeitsouveränität – Neue Wege für glei-che Chancen von Frauen und MännernDrucksache 18/763Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend InnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlleSchauws, Katja Dörner, Kerstin Andreae, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENMehr Frauen auf allen FührungsebenenDrucksache 18/773Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und SozialesAuch für diese Aussprache ist nach einer interfraktio-nellen Vereinbarung eine Dauer von 96 Minuten vorge-sehen. Können wir so verfahren? – Das ist ganz offen-sichtlich der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wortzunächst der Bundesministerin Manuela Schwesig.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Der Internationale Frauentagist mehr als 100 Jahre alt; wir haben gerade den 103. ge-feiert. In diesen über 100 Jahren haben viele Frauen undeinige Männer vieles erkämpft, was für Frauen heuteselbstverständlich ist: Frauen können wählen und wer-
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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den gewählt. Sie haben erreicht, was Clara Zetkin schongefordert hat, bevor es den ersten Frauentag gab: keineSonderrechte, sondern Menschenrechte. – Es geht in die-ser Debatte um die Gleichstellung von Frauen und Män-nern nicht um Sonderrechte für Frauen, sondern darum,dass die Menschenrechte auch für Frauen gelten.
Bei aller gesetzlichen Gleichstellung, die Frauen auchmithilfe von Männern für sich errungen haben: Wir müs-sen weiter für gleiche Chancen von Frauen und Männernkämpfen; denn die rechtliche Gleichstellung muss auchin der Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern an-kommen. Zurzeit ist das noch nicht so. Deshalb ist eswichtig, dass Frauen nicht nur das Gleiche verdienenwie Männer, sondern auch wirklich das Gleiche bekom-men. Frauen sollen die Möglichkeit haben, mit ihremPartner Beruf und Familie so aufzuteilen, wie sie es wol-len. Frauen sollen ihre Qualifikationen auch in Füh-rungspositionen einbringen können. Frauen sollen vorallem auf eigenen Beinen stehen können und befreit vonAbhängigkeiten sein.
Gleichstellung ist für mich ein zentrales Thema, wennes um Gerechtigkeit geht, weil die gleichberechtigteTeilhabe von Frauen und Männern Grundvoraussetzungfür einen gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Gleich-stellung ist für mich auch ein zentrales Thema gesell-schaftlicher Solidarität; denn eine Gesellschaft kann nursolidarisch sein, wenn beide Geschlechter die gleichenAufstiegsmöglichkeiten und die gleichen Beteiligungs-möglichkeiten haben.
Gleichstellung ist auch ein zentrales Freiheitsthema;denn nur wer selbstbestimmt lebt, ist wirklich frei.
Deshalb ist die Gleichstellung eine Frage von gesell-schaftlichem Fortschritt. Diesen Fortschritt wird es nurgeben, wenn die gesetzliche Gleichstellung von Frauenund Männern für beide Geschlechter in der Lebenswirk-lichkeit ankommt. Da gibt es noch eine ganze Menge zutun.Fakt ist, dass die Lohnunterschiede bei Frauen undMännern immer noch sehr groß sind. Frauen erhalten22 Prozent weniger als Männer, obwohl sie das Gleicheverdienen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionenist immer noch extrem gering. Selbst die VereinigtenArabischen Emirate liegen in Bezug auf den Anteil vonFrauen in Führungspositionen vor Deutschland. Auchdie Gewalt gegen Frauen steht immer noch auf der Ta-gesordnung; sie darf kein Tabuthema sein. Diese undviele andere Ungerechtigkeiten sind ein Problem für dieFrauen, aber auch ein Problem für unsere Gesellschaft;denn die Fähigkeit unserer Gesellschaft, die Fragen derZukunft zu meistern, hängt davon ab, wie gleichberech-tigt Frauen und Männer zusammen leben und arbeiten.
Um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, müssenwir neue Wege gehen. Diese neuen Wege werden imErsten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung mitder sogenannten Lebensverlaufsperspektive aufgezeigt.Es werden Brüche, Entscheidungen und Momente desÜbergangs im Leben von Männern und Frauen beschrie-ben, an denen sich Handlungsmöglichkeiten erweiternoder auch verengen. Wir müssen die Gleichstellungs-politik an dieser Lebensverlaufsperspektive orientieren.Ich möchte deshalb den Gleichstellungsbericht aus derSchublade holen und freue mich, dass der Antrag derRegierungskoalition genau an diesen Gleichstellungsbe-richt anknüpft.
Was bedeutet das für Frauen und Männer, die sichheute diese Debatte zum 103. Frauentag anhören? Waserwarten sie von ihrem Gesetzgeber?Sie erwarten, dass wir die zwischen Frauen und Män-nern bestehende Lohnlücke schließen, indem wir die in-direkte Lohndiskriminierung beseitigen, indem vor al-lem typische Frauenberufe wie Pfleger und Erzieheraufgewertet werden, indem wir die Möglichkeit schaf-fen, dass Frauen nicht in der Teilzeitfalle hängen blei-ben. Deswegen begrüße ich, dass die Arbeitsministerinangekündigt hat, das Rückkehrrecht von Teilzeit aufVollzeit durchzusetzen.
Wir müssen aber auch die direkte Lohndiskriminie-rung angehen. Wir haben uns deshalb darauf verständigt,die direkte Lohndiskriminierung zwischen Frauen undMännern mit gesetzlichen Regelungen zu beseitigen, in-dem zukünftig Unternehmen ab 500 Beschäftigte ver-pflichtet werden, einen Bericht zur Entgeltgleichheitvorzulegen. Das wird dazu führen, dass sich viele Unter-nehmen mit diesem Thema beschäftigen und dass mannachhaken kann. Wir wollen ein individuelles Aus-kunftsrecht einführen; auch das ist wichtig. Zudem wer-den wir verbindliche Verfahren regeln, wie Unterneh-men diese Entgeltdiskriminierung beseitigen können.Das sind gesetzliche Regelungen, für die in diesem Jahrdie Eckpunkte erarbeitet und die dann nachhaltig, un-bürokratisch und wirkungsvoll gemeinsam auf den Weggebracht werden sollen.
Was können wir noch tun, um die Lebenswirklichkeitzu verbessern? Wir wollen vor allem die Partnerschaft-lichkeit stärken. Frauen und Männer wollen heute einePartnerschaft auf Augenhöhe führen. Sie wollen sich Er-ziehungsarbeit und die Arbeit im Erwerbsleben teilen.Um diese Herkulesaufgabe „Familie und Beruf“ verein-
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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baren zu können, wünschen sich 60 Prozent der Paaremit kleinen Kindern, es gemeinsam zu schaffen. Leidergelingt das nur 14 Prozent der Paare. Die Realität ist:Die Männer arbeiten 40 Stunden plus Überstunden, dieFrauen bleiben oft mit wenig Stunden in der Teilzeitfallehängen. Beide haben nicht die Möglichkeit, der Erzie-hungsarbeit und der regulären Arbeit auf Augenhöhenachzugehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir über diepartnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit disku-tieren, dass wir aber auch etwas tun, zum Beispiel mitdem ElterngeldPlus. Das ElterngeldPlus wird dazu füh-ren, dass wir die Benachteiligung der Paare, die wiederfrüh in den Beruf einsteigen und sich die Elternzeit tei-len, aufheben. Damit wollen wir die Partnerschaftlich-keit fördern.In meiner ersten Rede im Plenum hatte ich verspro-chen, auch auf die Argumente der Opposition einzuge-hen. Ich weiß nicht, ob Herr Wunderlich heute da ist. –Ja. Hallo, Herr Wunderlich! Sie hatten ja gesagt:Gut, das Blümchen „ElterngeldPlus“ soll es geben.Ich glaube, das fällt bei den Blumen, um in diesemGenre zu bleiben, in die Rubrik Stinknelke.Herr Wunderlich, ich muss Ihnen sagen: Ich werdevon vielen Familien angeschrieben, die sich wünschen,dass das ElterngeldPlus auf den Weg kommt, um dieseBenachteiligung aufzuheben und mit einem Partner-schaftsbonus die Partnerschaftlichkeit zu stärken. Sie se-hen also: Das ist mehr als eine Stinknelke. Seien Siefroh, dass Sie kein Florist geworden sind, sonst müsstenSie jetzt Insolvenz anmelden.
Dritter wichtiger Schwerpunkt: mehr Frauen in Füh-rungspositionen. Der Anteil von Frauen in Führungs-positionen ist beschämend gering. Das liegt nicht daran,dass wir zu wenige qualifizierte Frauen haben. Es liegtdaran, dass es immer noch die sogenannte gläserne De-cke gibt. Diese wollen wir durchstoßen, ich gemeinsammit Justizminister Heiko Maas, mit einem gemeinsamenGesetz zur Förderung von Frauen in Führungspositio-nen. Wir erarbeiten derzeit die rechtlichen Leitlinien da-für, um sie dann mit der Wirtschaft, mit den Gewerk-schaften, mit denen, die davon betroffen sind, zudiskutieren und gemeinsam weiterzuentwickeln.Wir werden erstens eine verbindliche Quote von min-destens 30 Prozent für Aufsichtsräte von börsennotiertenund voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen einfüh-ren. Zweitens werden wir Unternehmen, die mitbestim-mungspflichtig und börsennotiert sind, dazu verpflichten,selbst Vorgaben für ihre Aufsichtsräte, Vorstände undobersten Etagen zu machen. Drittens wollen wir natür-lich im öffentlichen Bereich mit gutem Beispiel voran-gehen; denn wir können nicht der Wirtschaft Dinge vor-schreiben, die wir selber nicht einhalten. Da gibt es nocheine Menge zu tun.
Ich bin sicher, dass diese Quote zu mehr Gerechtig-keit und mehr Gleichstellung von Frauen und Männernführt, was der Gesellschaft guttut. Die Quote wird nichtden Untergang des Abendlandes bringen. Im Gegenteil:Sie wird unser Land aufblühen lassen. Es muss nur dererste Dominostein fallen.Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, dieRedezeit reicht nicht, um auf alle Punkte einzugehen,aber ich möchte eines sagen: Wir werden am 23. Maiden 65. Jahrestag des Grundgesetzes feiern. Im Grund-gesetz ist die gleichberechtigte Teilhabe von Männernund Frauen verankert. Dort steht auch, dass wir sie aktivfördern müssen. Ich möchte das tun, und ich bitte Sie da-bei um Unterstützung.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Kipping
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-den heute, knapp eine Woche nach dem InternationalenFrauentag, über Geschlechtergerechtigkeit. In dem dazuvorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen steht derbemerkenswerte Satz: „Zeit ist eine Schlüsselressource.“Ich habe mich gefreut, diese bemerkenswerte Erkenntnisin einem Papier von CDU/CSU und SPD zu lesen; dasmuss ich sagen. Ich denke da eher an Karl Marx, beidem es heißt: „Ökonomie der Zeit, darin löst sichschließlich alle Ökonomie auf.“ Aber bevor jetzt dieAutorinnen und Autoren der Anträge von den Fraktions-spitzen Ärger wegen zu viel Nähe zu Karl Marx bekom-men, kann ich sagen: Keine Sorge! Ich muss kritisch an-merken: Im weiteren Antragstext ist vom Marx’schenErkenntnisstreben relativ wenig zu erkennen.Im Koalitionsantrag wird das Thema Zeitsouveräni-tät, finde ich, allein auf die Frage der Vereinbarkeit vonBeruf und Familie reduziert. Das ist eine wichtige Fa-cette, aber sie reicht in den Kämpfen um Zeit eben nichtaus. Es kann doch nicht allein darum gehen, dass wirständig zwischen Trubel in der Familie und Stress imJob hin- und herhetzen. Ich meine, es geht um mehr. DieLinke meint: Im Leben von Männern und Frauen mussgleichermaßen und gleichberechtigt viel Zeit sein fürerstens Erwerbsarbeit, zweitens Familienarbeit, drittenspolitische Einmischung und gesellschaftliches Engage-ment und viertens Weiterbildung und Muße. Ja, letztlichgeht es um nicht mehr und nicht weniger als ein gutesLeben für alle.
Im Koalitionsantrag ist viel von Wahlfreiheit dieRede. Aber wir wissen doch alle – Hand aufs Herz! –:Von wirklicher Wahlfreiheit sind viele Frauen und Män-ner in diesem Land weit entfernt. Es gibt dafür vieleGründe, aber aus Redezeitmangel kann ich nur auf dreikurz eingehen:Erstens. Das heutige Ehegattensplitting belohnt finan-ziell, wenn der eine der Hauptverdiener und der andere– dreimal darf man raten, wer es ist – nur der Hinzuver-
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Katja Kipping
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diener ist. Die Linke meint: Wir sollten nicht den Trau-schein fördern, sondern Kinder. Deswegen weg mit demEhegattensplitting und her mit einer ordentlichen Kin-dergrundsicherung!
Der zweite Grund. Das Kinderbetreuungsangebot unddie Anforderungen der Arbeitswelt gehen vielerortsnoch weit auseinander. Selbst dort, wo es viele Kitasgibt, ist die Suche nach einem Kitaplatz alles andere alsein Zuckerschlecken.Ich erinnere mich noch: Ich war gerade einmal imvierten Monat schwanger, als ich angefangen habe, ei-nen Kitaplatz für meine Tochter zu suchen. Von einigenEinrichtungen bekam ich zu hören: Oh, für das über-nächste Jahr sind die Listen schon voll, da hätten Sieeher kommen sollen. – Man fragt sich: Wann? Womög-lich vor der Empfängnis, oder was? In anderen Kitaswiederum hieß es: Wir nehmen überhaupt erst eine An-meldung an, wenn die Geburtsurkunde des Kindes vor-liegt. – Wieder andere wollten entweder nur im Herbstoder im Sommer die Anmeldung entgegennehmen.Allein um die unterschiedlichen Bewerbungsterminezu koordinieren, bedurfte es wirklich Managementfähig-keiten. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit anderen Fa-milien: Die Suche nach einem Kitaplatz wurde für vielezwischendurch zu einem echt anstrengenden Zweitjob.Ich kann nur sagen: Beim Ausbau von Kitabetreuungs-plätzen gibt es noch viel Luft nach oben.
Dritter Grund. Noch immer sind vielerorts traditio-nelle Vorstellungen wirkungsmächtig. Ja, hier ist diePolitik gefragt, für neue Role Models zu sorgen. Inzwi-schen gibt es in fast allen Fraktionen junge Mütter, dietagtäglich beweisen: Kinder und Karriere – das passt zu-sammen. Aber damit die Emanzipation eine vollständigewird, muss auf die Emanzipation der Frauen jetzt eineEmanzipation der Männer folgen.
Wir brauchen jetzt junge Männer in Spitzenämtern, inden Ministerien und Rathäusern, die ganz selbstver-ständlich 50 Prozent der Erziehungs- und Familienarbeitübernehmen, die partnerschaftliche Arbeitsteilung prak-tizieren und darüber auch reden. Das tut nämlich nichtnur der eigenen Beziehung gut, sondern das bringt auchden gesellschaftlichen Fortschritt voran.
Abschließend möchte ich auf einen Widerspruch imKoalitionsantrag hinweisen. Sie fordern, das Recht aufTeilzeit zu verankern. Allerdings problematisieren Sieselber einige Seiten davor zu Recht, dass Frauen in ver-antwortungsvolle Positionen in der Regel nicht durchTeilzeit kommen.Ich spreche das jetzt nicht an, um Sie vorzuführen.Der Widerspruch besteht darin: Einerseits sind Men-schen, die besonders in Familienarbeit eingebundensind, meist auf Teilzeitstellen, auf kürzere Arbeitszeitenangewiesen. Andererseits wissen wir, dass Teilzeit im-mer noch als Karriereknick gilt. Wer auf wirklich ein-flussreiche, so richtig gut bezahlte Stellen will, der mussin der Regel ausstrahlen, 7 Tage die Woche, 16 Stundenam Tag im Einsatz zu sein.
In solch einer Arbeitswelt machen Menschen, die wirk-lich Verantwortung in der Sorge- und Familienarbeitübernehmen, ganz schnell den Zweiten.Die Frage ist: Wie gehen wir jetzt mit diesem Wider-spruch um? Ich schlage vor, wir nutzen diesen Wider-spruch für einen gedanklichen Fortschritt. Womöglich istes für unsere Gesellschaft insgesamt besser, wenn gene-rell kürzere Arbeitszeiten zum Standard werden,
dass also gilt: kurze Vollzeit für alle, wie es eher in ge-werkschaftlichen Kreisen bezeichnet wird, oder – ummit Frigga Haug zu sprechen – längere Teilzeit für alle.Längere Teilzeit für alle? Das klingt erst einmal ver-dammt ungeheuerlich. So manchem mag die Vorstel-lung, dass die 30-Stunden-Woche oder ganz visionär die20-Stunden-Woche irgendwann zum gesellschaftlichenStandard wird, als Zumutung erscheinen. Man hat sich jaauch so gut eingerichtet in der affektierten Überarbei-tung, in der sicheren 90-Stunden-Woche, die vor demunsicheren Terrain Familien- und Sorgearbeit schützt.
Aber ich habe eine gute Nachricht: Workaholismus istheilbar. Das Leben ist viel zu vielseitig, als dass wir unsallein auf Erwerbsarbeit reduzieren sollten. Wagen wiralso kürzere Arbeitszeiten für alle!
Erinnern wir uns: „Ökonomie der Zeit, darin löst sichschließlich alle Ökonomie auf.“ Ja, wer über die Zeit an-derer verfügt, verfügt über deren Lebenszeit. Insofernsind die Kämpfe um Zeit, die Kämpfe um Arbeitszeit-verkürzung auch Kämpfe um die Verfügungsgewalt überdas eigene Leben. Es geht also um viel, es geht umSelbstbestimmung und um Emanzipation von Männernund Frauen gleichermaßen.Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Nadine Schön das Wort.
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Nadine Schön (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der 8. März erinnert uns an die Stärke von Frauen, er er-innert uns aber auch an diskriminierende Bedingungen,die dazu führen, dass Frauen hier in Deutschland, inEuropa und überall in der Welt schwach gemacht undauch schwach gehalten werden.Unser Antrag beschäftigt sich in diesem Jahr mit demThema Zeitsouveränität; denn Zeitsouveränität ist einganz wichtiges Element im Leben von Menschen; natür-lich nicht nur im Leben von Frauen, auch Männer kämp-fen genauso wie Frauen jeden Tag mit der Vereinbarkeitvon Familie und Beruf. Sie kämpfen damit, dass der Tagimmer zu wenig Stunden hat.Frau Kollegin Kipping, eine 20-Stunden-Woche füralle wäre ja prima,
aber dann könnten Sie hier auch Freibier für alle verspre-chen.
Das hätte etwa den gleichen Realitätsgehalt. Politikmuss immer zwischen Wünschbarem und Machbaremeinen Mittelweg finden. Die 20-Stunden-Woche für alle,das klingt zwar sehr schön,
aber sehr realistisch ist das, glaube ich, nicht.
Mehr als Männer haben Frauen das Problem, dass dieEntscheidungen, die sie zugunsten von Zeit für Familietreffen, im Laufe ihres Lebens zu negativen Konsequen-zen führen, etwa bei den Karrierechancen, beim Ein-kommen, bei der beruflichen Weiterentwicklung oderauch im privaten Bereich.
Das Anliegen unseres Antrags ist es, die Vorausset-zungen für Zeitsouveränität zu schaffen. Entscheidun-gen, die getroffen werden, sollen im weiteren Lebens-verlauf ausgeglichen werden können, dass Frauen nichtimmer die Gelackmeierten sind, wenn sie zwei oder dreiJahre aus gutem Grund beruflich zurückstecken, wennsie sagen: Ich will auch Zeit für meine Familie haben,ich will mein kleines Kind gern zu Hause betreuen. –Männer wie Frauen müssen die Möglichkeit haben, Zeitfür Familie zu haben, ohne dass die Karriere anschlie-ßend vorbei ist.
Es kann in unserem Land doch nicht sein, dass manwährend 40, 45 oder 50 Jahren Berufstätigkeit dem Ar-beitgeber rund um die Uhr zur Verfügung stehen mussund die Karriere abgemeldet ist, wenn man auf Berufstä-tigkeit teilweise verzichtet oder zugunsten von Familie,Pflege oder Kindererziehung ein bisschen zurücksteckt.Wir wollen, dass es mehr Möglichkeiten gibt. Wirwollen nicht, dass diese Wege in eine Sackgasse führen.Wir wollen, dass die Taktgeber des Familienlebens sichbesser miteinander abstimmen. Da ist die Politik gefragt,und zwar auf allen Ebenen, vor allem auch auf kommu-naler Ebene. Da ist die Wirtschaft gefragt. Da ist die Ge-sellschaft gefragt. Das ist in diesem Jahr der Schwer-punkt unseres Antrags.Wir wollen aber aus Anlass des Weltfrauentags auchnicht vergessen, dass es in unserem Land nicht nur Men-schen gibt, die sich Gedanken um Karriere oder die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf machen, sondern dasses auch Frauen gibt, die tagtäglich von häuslicher Ge-walt bedroht sind. Gerade wurde von der Agentur derEuropäischen Union für Grundrechte ein Bericht vorge-legt, der zeigt, wie hoch der Anteil der häuslichen Ge-walt in Europa ist. Nach wie vor gibt es einen großenAnteil häuslicher Gewalt im Hellfeld, aber einen nochviel größeren im Dunkelfeld. Allein die Zahl von30 000 Frauen, die jährlich mit ihren Kindern denSchutz von Frauenhäusern in Anspruch nehmen, ist er-schreckend. Das sind 30 000 Frauen, die nicht mehr wei-terwissen, die nichts anderes tun können, als den Schutzeines Frauenhauses zu suchen. Es ist unsere Aufgabe,anlässlich des Weltfrauentags auch an diese Frauen zudenken und diesen Frauen besser zu helfen.
Das haben wir in der letzten Legislatur durch die Ein-führung des bundesweiten Hilfetelefons getan. Das warein Anliegen des ganzen Hauses. Das haben wir umge-setzt.
Seit einem Jahr gibt es nun das bundesweite Hilfetelefon„Gewalt gegen Frauen“. Ich fordere alle auf – Gastrono-men, Hoteliers, Geschäfte, Banken –: Überall dort, woÖffentlichkeit ist, wo Menschen sind, soll auf dieses An-gebot hingewiesen werden. Das muss möglichst niedrig-schwellig sein. Alle müssen im Hinterkopf haben, dasses die Möglichkeit gibt, dort anzurufen; denn über diesesHilfetelefon bekommen alle Menschen in unserem Land,die von Gewalt im häuslichen Bereich bedroht oder be-troffen sind, zielgerichtet Informationen. Sie bekommenHilfestellung, und ihnen wird gesagt, wie sie weiter vor-gehen können, wie man ihnen helfen kann. Besondersgut ist, dass das Hilfetelefon auch in mehreren Sprachenzur Verfügung steht. Ich finde, es ist ein sehr gutes Pro-jekt. Ich danke vielmals den Kollegen, die sich seit vie-len Jahren dafür eingesetzt haben, dass es das Hilfetele-fon gibt. Seit einem Jahr haben wir es nun. Es ist einguter Baustein im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen.
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Nadine Schön
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Wir besprechen derzeit andere aktuelle Themen wiedas Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel. Esgibt Netzwerke, die Frauen ausnutzen, die Frauen zurWare machen. Es gibt Netzwerke, die Geld damit verdie-nen, dass Frauen zur Prostitution gezwungen werden.Wir werden alles dafür tun, die schlechten Entwicklun-gen, die es in unserem Land in diesem Bereich gibt, wie-der einzudämmen. Wir werden alles dafür tun, gegenMenschenhandel und Zwangsprostitution vorzugehen.Wir müssen international besser zusammenarbeiten, aberwir müssen vor allem unsere Gesetze anpassen, dassdiese Auswüchse in Deutschland nicht mehr vorkom-men.
Wir werden außerdem menschenunwürdige Praktikenwie etwa Flatratebordelle verbieten. Ja, man kann Prosti-tution auch als Beruf ansehen; aber ich kann mir nichtvorstellen, dass es in diesem Land eine Frau gibt, diesich freiwillig und gern einem Flatratetarif unterstellt.Das sind menschenunwürdige Praktiken. Das muss ver-boten werden. So etwas darf es in unserem Land nichtgeben.
Wenn wir einen Blick in die Welt werfen, dann sehenwir, dass Frauen in vielen Ländern Opfer von Vergewal-tigung als Mittel des Krieges sind. Wir sehen, dassFrauen von Zwangsheirat, von Ehrenmorden, von häus-licher Gewalt, von Frauenhandel betroffen sind. Wir ha-ben eine große Verantwortung, nicht nur im eigenenLand – die Kollegen werden auf diese Herausforderun-gen noch eingehen –, sondern auch für die Frauen welt-weit. Wir sind eine Solidargemeinschaft. Der Weltfrau-entag erinnert an genau diese Verantwortung. Deshalbdanke ich den Kolleginnen und Kollegen herzlich, dasswir uns zu dieser prominenten Stunde Zeit für diese De-batte nehmen. Ich hoffe, dass wir gerade beim Thema„Gewalt gegen Frauen“ in dieser Legislaturperiode eingutes Stück vorankommen.
Wir wollen aber auch für die Frauen im eigenen Landmit Blick auf den privaten Bereich deutlich vorankom-men. Dabei geht es um das Thema Gewalt, aber auch umdie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Entgelt-ungleichheit und die Karriereaussichten. Diese GroßeKoalition ist eine Koalition, die sich für die Frauen ein-setzen wird.
Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit.
Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In den Zeitungen bin ich in der letzten Wocheauf zahlreiche Werbeanzeigen der Blumen- und Parfum-industrie anlässlich des Weltfrauentages gestoßen. Ichhabe den Eindruck, dass dieser Tag mittlerweile zu ei-nem Konsumtag verkommt, bei dem es rein um Profitgeht: Hotels bieten Wellnesspakete für das gestressteweibliche Geschlecht an; Discos werben gar mit Män-nerstripshows. Das ist ernüchternd; denn dadurch wer-den der politische Hintergrund dieses Tages und die Er-innerung an den Kampf um Gleichberechtigung und dasFrauenwahlrecht vor über 100 Jahren vergessen. Darumist es dringend notwendig und richtig, hier und heuteüber dieses Thema zu debattieren.
Die Liste der gleichstellungspolitischen Versäumnisseder letzten Jahre ist nach wie vor lang. Die aktuellenZahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaft haben esuns ja gerade wieder gezeigt: Der Anteil von Frauen inFührungspositionen der Wirtschaft ist nach wie vorgering. In den DAX-30-Unternehmen stieg er in denAufsichtsräten auf gerade einmal 22 Prozent und in den200 umsatzstärksten Unternehmen auf 15 Prozent, abergleichzeitig sank in den DAX-30-Unternehmen der An-teil von Frauen in den Vorständen, und zwar auf geringe6,3 Prozent, die 200 größten Unternehmen in Deutsch-land wiederum bringen hier nur einen Frauenanteil von4 Prozent hervor. Ein ähnlich ambivalentes Bild zeigtsich auch in Unternehmen mit Bundesbeteiligung. DieseDaten machen eines unmissverständlich klar: Die Wirt-schaft tut sich immer noch schwer, maßgebliche Schlüs-selpositionen mit Frauen zu besetzen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Ko-alition, jetzt haben Sie eine Frauenquote von 30 Prozentfür Aufsichtsräte angekündigt und sich dafür mit großemGetöse bereits Ende letzten Jahres feiern lassen. MinisterMaas und Ministerin Schwesig wollten schon letzte Wo-che hierzu Eckpunkte vorlegen; gesehen haben wir da-von bis heute leider noch nichts. Es greift aber viel zukurz, nur ein Drittel Frauen ab 2016 nur für die Neube-setzung von Aufsichtsräten in voll mitbestimmten undbörsennotierten Unternehmen einzufordern; denn solcheine kleine Quote tangiert lediglich 120 Unternehmen.Sie würden damit nur sehr wenigen Frauen an die Spitzeverhelfen.
Angesichts der Tatsache, dass ein breites Bündnis vonFrauen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schon inder letzten Wahlperiode 30 Prozent gefordert hat, klingtdieser Vorschlag ziemlich mutlos. Mit anderen Worten:Ein halbherziges Quötchen auf leisen Pfötchen, das istvor allem eines, nämlich eine riesengroße verpassteChance für Frauen.
Wir als Grünen-Fraktion fordern eine Mindestquotein Aufsichtsräten von 30 Prozent ab 2015 und 40 Prozent
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Ulle Schauws
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ab 2017. Dies fordert übrigens auch die EU-Kommis-sion. Bei der Besetzung von Vorständen wollen wir dieErhöhung des Frauenanteils mit gesetzlichen Maßnah-men fördern. Zudem muss das Bundesgremienbeset-zungsgesetz überarbeitet werden; denn Unternehmen mitBundesbeteiligung sollten selbstverständlich ihre Vor-bildrolle bei der Beteiligung von Frauen in Führung aus-füllen.
Aber uns ist wichtig, dass Frauen auf allen Ebenen inFührungspositionen vertreten sind. Denn sie steckennach wie vor in den unteren und mittleren Unternehmens-ebenen fest. Die gläsernen Decken sind immer nochexistent – Sie sagten es eben, Frau Ministerin –, undzwar in der Privatwirtschaft, in der Wissenschaft, in denMedien, in der Medizin. Die Liste ließe sich fortsetzen.Diese Verschwendung von Potenzialen und Fähigkeitenvon Frauen können wir uns gesellschaftlich und auchökonomisch nicht leisten.
Aber ich sage eines auch ganz klar: Es geht hier inerster Linie um Gerechtigkeit für Frauen. Wir alle sindgefordert, von der Regierung Meilensteine für ge-schlechtergerechte Maßnahmen zu fordern, und zwarjetzt, umgehend.
Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Abschaffung über-langer Arbeits- und Anwesenheitszeiten in Unterneh-men. In Schweden zum Beispiel finden keine Gremien-sitzungen nach 16 Uhr statt. Da gehört es zurArbeitskultur, wenn Frauen und Männer der Familie amNachmittag und Abend den Vorrang geben.
Wöchentlich erreichen uns neue Zahlen zur Lage derFrauen auf dem Arbeitsmarkt. Richtig bleibt: Zwei Drit-tel der insgesamt 7 Millionen Beschäftigten in Minijobssind Frauen. Im Jahr 2012 haben nur 45 Prozent derFrauen durch eigene Erwerbs- und Berufstätigkeit ihrenLebensunterhalt decken können. 45 Prozent, einmal ehr-lich! Minimalistischste Steigerungen bei der Erwerbs-quote sind kein riesiger Fortschritt für Frauen und führenmitnichten zu dem sogenannten guten Leben, schon garnicht mit kleinen Einkommen. Fakt ist: Frauen sind inerheblichem Maße benachteiligt. Sie verdienen imDurchschnitt 23 Prozent weniger als Männer. Da sageich: Es ist zynisch, dass Sie das Problem der Minijobs,die Sackgasse für viele Frauen, nicht anpacken undFrauen nur mit verbesserten Informationsangeboten ab-speisen wollen.
Davon haben zum Beispiel Alleinerziehende, deren Ar-mut weiter steigt, gar nichts.Ernsthafter politischer Gestaltungswille sieht andersaus. Dazu gehört auch endlich die schnelle Abschaffungder Entgeltdiskriminierung. Ich finde es sehr enttäu-schend, dass Sie in Ihrem Antrag hier und heute als ein-zige sehr konkrete Forderung einen zweiten Gleichstel-lungsbericht einfordern, und dies auch noch unterHaushaltsvorbehalt. Fordern Sie Ihre Ministerien docherst einmal auf, die Empfehlungen des ersten Gleichstel-lungsberichtes umgehend zu realisieren.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie haben genugZahlen, Sie kennen die Statistiken, die Analysen liegenklar vor Ihnen. Jetzt, wo Sie die Mehrheiten haben, sindSie auch in der Pflicht, zu handeln. Tun Sie es einfach!Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Carola Reimann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schonangesprochen worden: Frauen bekommen ganze 21 Pro-zent weniger Lohn als Männer. So groß ist der Unter-schied bei den Stundenlöhnen. Diese Lohnlücke istskandalös. Das ist keine Frage.
Noch skandalöser ist aber die Benachteiligung vonFrauen, wenn wir die Erwerbseinkommen in der ge-samten Erwerbsbiografie, also in einem gesamtenFrauen- oder einem gesamten Männerleben, in den Blicknehmen. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Be-rufsforschung kürzlich getan und dabei Erschütterndesfestgestellt: Eine Akademikerin erreicht ein Lebens-erwerbseinkommen von 800 000 Euro. Ihr männlicherKollege bekommt fast das Doppelte: 1,4 Millionen Euro.In den anderen Berufsgruppen sieht das sehr ähnlich aus.Ganze 43 Prozent beträgt nach dieser Rechnung der Ein-kommensunterschied zwischen Frauen und Männern.Das führt dann – wie könnte es auch anders sein? – zuvöllig unterschiedlichen Renten im Alter.Frauen werden über das ganze Erwerbsleben hinwegdiskriminiert. Kolleginnen und Kollegen, wir haben bis-lang nur zum Teil die richtigen Antworten darauf gefun-den. Deshalb bin ich froh, dass wir heute eine Debatte überZeitpolitik führen. Zeit ist die wichtigste Währung derGleichstellungspolitik; so bringt es Jutta Allmendinger aufden Punkt.Wir reden immer noch vom Normalarbeitszeitverhält-nis und meinen damit männliche lebenslange Vollzeitbe-schäftigung: ein Mann, ein Arbeitsplatz – Vollzeit –, einUnternehmen, ein Leben lang. Dabei wird ignoriert, dassdie meisten Frauen von dieser sogenannten Normalität in
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Dr. Carola Reimann
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ihren Lebensläufen und in ihren Lebensverhältnissenweit entfernt sind.Frauen steigen wegen der Geburt eines Kindes vielhäufiger und länger aus dem Erwerbsleben aus als Män-ner. Frauen kehren, wenn überhaupt, dann viel zu häufigin Teilzeit – das ist schon genannt worden – oder gar inMinijobs zurück. Es sind in erster Linie wiederumFrauen – da geht es nicht um Kinder –, die sich um pfle-gebedürftige Eltern und Schwiegereltern kümmern unddeshalb beruflich kürzer treten.Frauen zahlen ihr Leben lang für den Umstand, dasssie Kinder bekommen oder auch nur hypothetisch be-kommen können. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen,Frau Schauws, werden wir ganz konkrete Maßnahmengegen Lohndiskriminierung auf den Weg bringen:
Erstens. Wir führen den gesetzlichen Mindestlohnein. Der hilft vor allem Frauen; denn sieben von zehnBeschäftigten in Niedriglohnbereichen sind Frauen. DerMindestlohn hilft vor allem Frauen.Zweitens. Wir werden ein individuelles Auskunfts-recht für alle Beschäftigten einführen, damit Lohnun-gleichheit in den Unternehmen überhaupt sichtbar wird;die Ministerin hat es angesprochen.Wir regeln drittens die verbindlichen Verfahren, damitBetriebe eigenständig für Lohngerechtigkeit sorgen.Kolleginnen und Kollegen, wir machen noch mehr.Wir ergreifen zudem Maßnahmen, die Einfluss auf dieErwerbsverläufe von Frauen und Männern haben. Wirwerden einen Rechtsanspruch für Teilzeitbeschäftigteeinführen, mit dem sie in einen Vollzeitjob zurückkehrenkönnen.
So wird Teilzeit nicht länger zur Falle für Frauen.Wir machen weiter beim Ausbau von Kitas; denn El-tern müssen Beruf und Familie gut vereinbaren können.Wir regeln die Quote gesetzlich, damit Frauen obenankommen, in den Vorstandsetagen der Unternehmengenauso wie in den Chefpositionen der Bundesministe-rien und der öffentlichen Verwaltung.
Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das Rad derZeitpolitik aber auch noch etwas weiter drehen; dennFrauen wünschen sich oft, mehr zu arbeiten. Sie wün-schen sich eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit, und umge-kehrt wünschen Männer, für den Arbeitgeber nicht län-ger Vollzeit rund um die Uhr zur Verfügung zu stehenund in der Familie dann allenfalls noch einen Minijob zuhaben. Auch Männer wünschen sich mehr Zeit für Fami-lie und für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Ministerin Schwesig hat mit ihrem Vorschlag der Fa-milienarbeitszeit meiner Ansicht nach die wichtigstegleichstellungs- und familienpolitische Debatte angesto-ßen.
Mit dem ElterngeldPlus, das junge Eltern bei der partner-schaftlichen Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit un-terstützen soll, machen wir da einen ersten wichtigenSchritt.Kolleginnen und Kollegen, was macht ein gutes Le-ben aus? Ich glaube, da sind wir gar nicht weit auseinan-der, ganz gleich, ob mit oder ohne Kinder. Zu einem gu-ten Leben gehört natürlich ein Beruf, der einen ausfüllt,gehört aber auch Zeit für die Partnerin oder den Partner.Gut lebt doch, wer Zeit für Kinder, für Angehörige, fürFreunde hat, wer auch ein paar Stunden Zeit für Fortbil-dung, für Weiterbildung, für ein Ehrenamt hat und werschlicht auch mal eine Pause und Zeit für sich hat.
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir bezahlteund unbezahlte Arbeit fairer auf Frauen und Männer ver-teilen können, damit wir alle diesen gesellschaftlichenAnforderungen gerecht werden und in besserer Balanceleben können. Davon profitieren wir alle.Danke.
Jetzt hat die Kollegin Cornelia Möhring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für die, die den Antrag, den wir hier diskutieren, nichtvorliegen haben: Er trägt den Titel „Mehr Zeitsouveräni-tät – Neue Wege für gleiche Chancen von Frauen undMännern“. Ich finde diesen Titel wirklich schön; aberich habe mich gefragt, warum so ein langer Antrag undso wenig neue Wege. Ich vermute, es liegt daran, dasssich die Große Koalition nicht auf viel Konkretes eini-gen kann. Auch Punkt 8 des Antrags, die angekündigteAnhebung des steuerlichen Entlastungsbetrages für Al-leinerziehende, ist – das haben wir heute morgen bei ei-ner Anfrage der Linken gehört – erst einmal verschoben.Vielleicht haben Sie deshalb wirklich alles, was Sie zwi-schen Frauentag und Equal Pay Day einmal sagen möch-ten, in diesen Schaufensterantrag gepackt.In den Maßnahmen des Antrags heißt es wenig kon-kret: „einen …bericht vorzulegen“, „der Ressource Zeitmehr Aufmerksamkeit zu widmen“, „die Daten … aus-zuwerten und … zu berichten“, „soll weiterentwickeltwerden“ – dabei ist noch gar nicht klar, was denn eigent-lich weiterentwickelt werden soll. Ehrlich gesagt, liebeKolleginnen und Kollegen von der SPD: Das erinnertmich dunkel an den Überprüfungswahn, den die letzteBundesregierung an den Tag gelegt hat. Da muss man
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Cornelia Möhring
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sich wirklich fragen, ob Sie nicht doch den falschen Ko-alitionspartner ausgewählt haben.
Dummerweise helfen Beschwörungsformeln so garnicht gegen die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf.Die richtigen Lösungen für konkrete Schritte findet manbekanntlich nur, wenn man zunächst die Ursachen analy-siert. Meine Kollegin Katja Kipping hat einen Satz ausIhrem Antrag zitiert, den ich ausdrücklich teile: „Zeit isteine Schlüsselressource“ für die Gleichstellung vonFrauen und Männern und für die Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf. Wenn das so ist, dann müssen wir dochgenau da politisch ansetzen. Ein wirklich brauchbarerVorschlag für mehr Zeitsouveränität lag im Januar aufdem Tisch: eine 32-Stunden-Woche für junge Eltern zuermöglichen. Was hat die Große Koalition daraus ge-macht? Der Vorstoß wurde in Windeseile zur persönli-chen Meinung der Familienministerin degradiert, undArbeitgeberverbände rufen sogar den Untergang desAbendlandes aus.Dabei geht eine Reduzierung der Erwerbsarbeitszeitgenau in die richtige Richtung. In der Arbeitswelt eska-lieren nämlich munter die Zeitkonflikte: Zeitstress durchausufernde Arbeitstage, Überstunden, Mehrfachjobs,weil der Lohn einfach nicht reicht, Minijobs, Leiharbeit,befristete Verträge. Hamsterrad für die einen, null Ar-beitsstunden für viele andere. Genau vor diesem Hinter-grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, diskutieren wirhier über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, überZeitsouveränität und über neue Wege der Gleichstellung.Vereinbarkeit heißt aus meiner Sicht: Schluss mit derKultur der langen Anwesenheit! Schluss mit Überarbeitund Wochenendarbeit! Vereinbarkeit heißt auch: Über-windung von Erwerbslosigkeit und unfreiwilliger Teil-zeit.
Da liegt eine Verkürzung der Arbeitszeit und eine Um-verteilung der Arbeit doch eigentlich auf der Hand. Stattimmer mehr Sorge- und Pflegetätigkeiten in die Fami-lien zu verlagern, muss die gesamte Arbeit fair neu ver-teilt werden.
Im Antrag der Großen Koalition sind leider auchkeine neuen Wege zu erkennen, um Frauen ein indivi-duelles und existenzsicherndes Einkommen zu sichern.Frauen hängen weiter in Minijobs, Teilzeit und Niedrig-lohn fest. Väter müssen in langer Vollzeit arbeiten, ob-wohl sie sich mehr um ihre Kinder kümmern möchten.Alle Familienformen – im Übrigen auch die, über dieder Antrag schweigt – benötigen eine neue Zeitpolitik.
Die heißt ganz kurz: Arbeitszeitverkürzung. Solangediese ungleiche Verteilung von Arbeitszeit und Einkom-men den Alltag bestimmt, können Frauen und Männernicht frei aushandeln, wie sie leben wollen, gibt es keine– ich weiß, dass das ein neues Modewort ist – Wahlfrei-heit. Sie müssen daher ganz tapfer sein: Wahlfreiheit isterst dann hergestellt, wenn diese Rahmenbedingungengeändert sind.
Frauen und Männer – immer mehr Männer – wollenweder starre noch ausufernde Arbeitszeiten. Sie wolleneine Flexibilität, die ihnen mehr Zeit zum Leben lässt,und zwar für alle Bereiche des Lebens. Sie brauchen da-für ein existenzsicherndes Einkommen, mit dem sie amgesellschaftlichen Leben teilhaben können und das ihneneine auskömmliche Rente sichert.Frau Schön, Sie haben uns vorgeworfen, wenn wireine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit fordern, entspre-che das dem Motto „Wünsch dir was!“ oder „Freibier füralle!“.
Ich will Ihnen einmal sagen: Die neue Norm, die einereiche und gerechte Gesellschaft setzen sollte – der ge-sellschaftliche Fortschritt, den Frau Schwesig vorhineingefordert hat –, würde genau in einer 30-Stunden-Ar-beitswoche für alle bestehen, die die Politik wirklichdurchsetzt.
– Na gut, ich erkläre mich bereit, bei 30 anzufangen. Da-rauf können wir uns ja gemeinsam einigen.Um zu zeigen, dass das möglich ist, möchte ich einBeispiel der Kollegin Margareta Steinrücke von der Ar-beitnehmerkammer in Bremen ausleihen und hier anfüh-ren. Sie hat nämlich festgestellt: Die Produktivität derArbeit, also wie viel wir pro Zeiteinheit produzieren, istgigantisch gewachsen. In den 60er-Jahren brauchten wirim Vergleich zum Jahr 2000 für die Herstellung vielerProdukte im Durchschnitt 100 Prozent mehr Zeit. Dasheißt, wenn die Herstellung eines Brotes 1960 noch20 Minuten dauerte, brauchen wir heute nur noch 10 Mi-nuten dafür. Bei vielen Metall- und Elektroerzeugnissenist dieser Produktivitätszuwachs noch viel größer. Wür-den wir diesen Zuwachs eins zu eins umsetzen und un-sere Arbeitszeit entsprechend reduzieren, dann müsstenwir heute nur noch 24 Stunden in der Woche arbeiten;denn 1960 waren es noch 48 Stunden – und 48 geteiltdurch 2 sind 24.
Daraus ergibt sich doch eine ganz einfache Schluss-folgerung: Die Unternehmen müssen einfach nur einbisschen auf Extragewinne verzichten. Abgesehen vonder gestiegenen Arbeitsproduktivität fällt nämlich auf,dass der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen stetigsteigt, während die Lohnquote sinkt. Das ist eine ganzeinfache Rechnung.
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Cornelia Möhring
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Wenn wir das in diesem Sinne machen würden, dannhätte Ihre schöne Überschrift wirklich einen Sinn, dannwäre nämlich Zeitsouveränität für alle drin; denn eineArbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ist bezahlbar.Eine Umverteilung von Arbeit zeigt für die einen denWeg aus dem Hamsterrad und für die anderen den Wegzurück in eine chancengleiche und gerechte Arbeitswelt.Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege Marcus Weinberg das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich will gerne an den Grundge-
danken der Debatte anknüpfen, weil ich glaube, es ist
wichtig, dass wir diese Debatte um den 8. März, den
Weltfrauentag, herum hier im Deutschen Bundestag füh-
ren – und auch zu einer exklusiven Zeit. Ich denke, das
ist auch den Männern und Frauen geschuldet, die in den
letzten Jahren, Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten da-
für gekämpft haben, dass wir in Deutschland Gleichbe-
rechtigung und auch Gleichstellung erlangt haben, und
ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir Abgeordnete des
Deutschen Bundestages ein Signal in die Länder und Re-
gionen entsenden, in denen es noch keine Gleichberech-
tigung gibt. Auch das ist unser Auftrag.
Ich denke, dass wir mit Blick auf Deutschland da-
rüber diskutieren müssen, wo wir trotz einer formalen
Gleichberechtigung noch immer Nachholbedarf in Be-
zug auf die Themen Chancengerechtigkeit und Gleich-
stellung haben.
Ich finde es gut und wichtig, dass wir mit dem Antrag
der Großen Koalition um den 8. März 2014 herum die
Themen aufgegriffen haben, die in den nächsten Jahren
– die Vorrednerinnen haben es deutlich gemacht – eine
entscheidende Bedeutung haben. Es geht um die The-
men Zeitsouveränität und Zeitpolitik als Ressource für
Frauen und Männer und insbesondere für Familien und
Kinder. Dies ist unter der Überschrift „Partnerschaftlich-
keit in der Familienpolitik“ zu sehen. Hier gilt für uns
weiterhin der Grundsatz der Wahlfreiheit in Bezug auf
die Gestaltung der familiären Situation; dieser muss for-
muliert werden.
Wir reden über Teilzeit und darüber, wie sich die Fa-
milien das aufteilen. Wenn das freiwillig geschieht und
wenn das eine Entscheidung der Familie ist, von Mann
und Frau, dann ist das gut und richtig so. Wenn das aber
gewissen Zwängen ökonomischer, sozialer oder gesell-
schaftlicher Art unterliegt, dann muss die Politik reagie-
ren. Für uns stehen die Freiheit von Restriktionen und
die Freiheit zu bestimmten Optionen, also die Möglich-
keit, verschiedene Lebensentwürfe zu realisieren, im
Vordergrund.
Das wollen wir erreichen, und wir haben das, was in den
nächsten Jahren zur Umsetzung ansteht, in dem Antrag
konkretisiert.
Ich muss jetzt auch noch einige Sätze zu den Wortbei-
trägen der Linken, von Frau Möhring und Frau Kipping,
sagen:
Frau Kipping, haben Sie keine Sorge: Viele von uns
und auch ich haben Karl Marx gelesen. Weil ich ihn ge-
lesen habe, sitze ich auf der rechten Seite des Plenums
und nicht bei Ihnen.
– Um es so zu formulieren: Die Lokomotive, die voran-
geht, sitzt auf der rechten Seite.
Für uns ist entscheidend, dass wir uns fragen, was Fa-
milien wollen. Was wollen Familien? In Bezug auf die
Veränderung der Rahmenbedingungen haben wir bereits
in den letzten Jahren Maßnahmen entwickelt, und das
wollen wir fortsetzen.
In diesem Zusammenhang muss ich auch noch einige
Sätze zu Ihrer Forderung der 20-Stunden-Woche bei vol-
lem Lohnausgleich und dem, was es da sonst noch alles
gibt, sagen: Wenn wir 5,4 Milliarden Euro mehr für den
Krippenausbau und – richtigerweise – 5 Milliarden Euro
mehr für das Elterngeld ausgeben, wenn wir also weitere
Milliarden für familienpolitische Leistungen und Maß-
nahmen ausgeben, müssen diese auch erwirtschaftet
werden.
Herr Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Kipping?
Sie möchte, glaube ich, wissen, wann und wo ich Karl
Marx gelesen habe.
Gerne.
– Das mit dem Verständnis ist so eine Sache, genau.
Es freut mich ja, zu hören, dass Sie hier verkünden,Karl Marx gelesen zu haben, und daraus offensichtlichIhre Politisierung abgeleitet haben. Vor dem Hinter-grund, dass Sie das hier ansprechen, würde mich interes-
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Katja Kipping
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sieren, welche Schriften und welche Aussagen Ihnendenn besonders in Erinnerung geblieben sind.
Ich hätte jetzt wirklich Lust, einiges von Karl Marx zuzitieren, um dadurch klarzumachen, warum Karl Marxschon in der Theorie irrte. Haben Sie aber bitte Verständ-nis dafür, dass wir jetzt über das Thema Gleichstellungdiskutieren wollen.
Wir beide können aber gerne einmal ein kleinesHauptseminar abhalten, in dem wir uns insbesondereüber die volkswirtschaftlichen Thesen oder Gedanken-gänge von Karl Marx austauschen. Auf diese Weise kön-nen wir sehen, warum er geirrt hat, was leider in der Pra-xis bewiesen werden musste.
Sie sagen, was Sie sich vorstellen und wie Familienzu agieren haben. Wir von der Koalition dagegen ok-troyieren nicht und skizzieren auch nicht dogmatisch einBild von Familien. Wir wollen im Kern vielmehr dieWahlfreiheit für Familien. Wir fragen: Was wollen Fami-lien? Wir fragen natürlich insbesondere auch: Was ist gutfür Familien, was wollen Kinder, und was ist gut fürKinder?Wenn man sich mit den Themen Zeitsouveränität undPartnerschaftlichkeit beschäftigt, stellt man fest, dass inder deutschen Gesellschaft ein schiefes Bild existiert.Der Familienreport 2011 hat sich mit folgenden Fragenbeschäftigt: Was wollen die Familien? Was wollen dieFrauen? Was wollen die Männer? Was ist momentan tat-sächlich in der Gesellschaft gegeben? Der Report hat ge-zeigt, dass 60 Prozent der Väter ihre Arbeitszeit gernereduzieren würden, um mehr Zeit mit ihren Kindern zuverbringen. 34 Prozent der Frauen würden gerne mehrarbeiten als nur Teilzeit. Von diesen 34 Prozent arbeiten81 Prozent übrigens deshalb in Teilzeit, weil die famili-äre Situation ihnen das vorgibt. Das liegt am sozialenund gesellschaftlichen Hintergrund und natürlich auchan der Einkommensdifferenz. Diese Faktoren führendazu, dass sich Familien so entscheiden. Ein weitererwichtiger Punkt ist, dass bei 70 Prozent der Paare derMann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit arbeiten. Beinur 3 Prozent der Paare ist es so, dass beide es sich er-lauben können, in Teilzeit zu arbeiten, um sich mehr umdie Familie zu kümmern.In der Debatte um Zeitsouveränität und Partnerschaft-lichkeit muss auch gefragt werden: Was wollen eigent-lich die Kinder? Was wünschen sich die Kinder? Dasvergessen wir zu häufig, weil wir nur über uns selbst re-den. Man muss auch die Kinder fragen. 80 Prozent derKinder von Müttern, die in Teilzeit arbeiten, sagen, dasssie mit diesem Zeitmanagement gut zurechtkommen. InBezug auf das Zeitmanagement der Väter sind es weni-ger. Kinder erwarten von beiden Eltern Zeit, Aufmerk-samkeit, Liebe und Zuwendung.
Sie erwarten aber nicht, dass ihnen die Eltern rund umdie Uhr zur Verfügung stehen. Die Kinder, die sich ge-rade in der Phase der Adoleszenz befinden, erwarten daswahrscheinlich überhaupt nicht. Das müssen wir auchberücksichtigen, wenn wir darüber nachdenken, wie diePolitik eingreifen soll. Die Berufstätigkeit beider Elternsichert finanziell ab und bringt auch vom sozialen Statusher Veränderungen mit sich, die Kinder immer begrüßen.Wenn man all diese Aspekte sozusagen als Überbaubetrachtet, ergeben sich für uns fünf Maßnahmen, diewichtig sind, um Zeitsouveränität zu gewährleisten:Das erste Thema – es wurde von der Ministerin undvon Nadine Schön bereits angesprochen – ist die Teil-zeitarbeit und das Recht auf Rückkehr in die Vollzeitbe-schäftigung, das auch für Frauen in Führungspositionengelten muss.Das zweite Thema ist das Thema der Flexibilisierungder Elternzeit.Der dritte Bereich ist das ElterngeldPlus. Dies soll aufden Weg gebracht werden und kommt zu den 5 Milliar-den Euro, die wir bereits jetzt ausgeben, hinzu. Dabeigeht es um die Inanspruchnahme von Partnermonatenund um eine stärkere Beteiligung der Väter bei Reduzie-rung auf 25 oder 30 Wochenstunden und bei Zahlung ei-nes Zuschlags in Höhe von 10 Prozent. Wir sagen: DieElternzeit muss flexibilisiert und das Elterngeld erwei-tert werden. Auf diese Weise können wir eine gerechtereEinteilung von Erwerbsleben und Familienleben zwi-schen Frauen und Männern hinbekommen.Viertens geht es um den gesamten Bereich der Famili-enzeit, um Entlastungsmaßnahmen und Koordinierungs-maßnahmen, Stichwort Kindertagesbetreuung. Wann hateine Kindertagesbetreuungseinrichtung eigentlich geöff-net? Wird sie dem Bedarf und der Nachfrage wirklichgerecht, oder aber ist das nur sehr begrenzt der Fall?Hier werden wir uns über familienunterstützende Dienst-leistungen Gedanken machen müssen, also darüber, wiewir gewährleisten können, dass Familien weiter entlastetwerden.Fünftens bleibt der große Bereich des Ausbaus derKindertagesbetreuung. Hier haben wir quantitativ etwasgemacht. In der nächsten Epoche geht es unter dem bil-dungspolitischen Gesichtspunkt von Familienpolitik umdie Qualität in Kitas. Denn Eltern wollen nicht nur einenBetreuungsplatz haben; Eltern wollen einen guten Be-treuungsplatz haben.
Außerdem wollen sie die Sicherheit, dass es den Kinderngut geht, und die Sicherheit, dass das, was sie sich fürihre Kinder wünschen, auch unter bildungspolitischen
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Marcus Weinberg
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Gesichtspunkten auf den Weg gebracht wird. Die The-men Zeitsouveränität und Partnerschaftlichkeit werdenvon der Großen Koalition nicht nur formuliert, sondernsie sind bei uns auch gut aufgehoben. Es gibt eine Reihevon Maßnahmen, die wir in den nächsten Jahren ge-meinsam abarbeiten werden, um das hinzubekommen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme gerne zum Schluss.
Mit einem netten Blick auf die linke Seite des Hauses
sage ich: Das alles kann man machen. Aber es muss
auch finanziert werden. Deswegen ist es für uns Fa-
milienpolitiker wichtig, dass wir für die Dinge, die wir
fordern, die Akzeptanz der Wirtschaft, des Mittelstandes
und derjenigen haben, die sie auch mitzutragen haben,
wenn es um die Finanzierung geht. Ich glaube, diese
Maßnahmen sind gut angelegt: für Mütter, Väter,
Frauen, Männer und Kinder, also für Familien insge-
samt.
Herzlichen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Katja Dörner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Der Antrag und auch die Reden derKolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktio-nen erinnern mich an einen kleinen Reim aus meinerSchulzeit – etwas salopp –: Lyrik ist schwyrig, sie wirdschnell schmyrig. – Genau das passiert nämlich hier.Warum ist das so? Schließlich liest sich der Antragerst einmal ganz gut. Die Koalitionsfraktionen greifenein wirklich wichtiges Thema auf, nämlich die Zeitpoli-tik. Im Intro des Antrags wird der zeitliche Druck, derauf Familien lastet, sehr richtig beschrieben, so auch derWunsch insbesondere vieler Väter, mehr Zeit mit ihrerFamilie verbringen zu können, und der Wunsch vielerEltern, Erwerbs- und Familienarbeit endlich partner-schaftlich aufteilen zu können. Aber, liebe Kolleginnenund Kollegen, schöne Lyrik reicht eben nicht. Von schö-ner Lyrik haben Familien noch längst nicht mehr Zeit.
Wenn man sich den langen Forderungsteil des An-trags anschaut, dann stellt man fest: Er bleibt weitgehendblumig; alles bleibt im Ungefähren. Wenn alle, aus-nahmslos alle Forderungen an die Bundesregierung aus-drücklich unter Haushaltsvorbehalt gestellt sind, dannmüssen sich die Frauen trotz dieser schönen Lyrik sehrkonkret Sorgen machen, wie es mit der Beförderung vonChancengleichheit und Gleichstellung durch diese Bun-desregierung aussehen wird.
Ich finde, das ist in der Woche nach dem InternationalenFrauentag ein schlechtes Signal. Dabei hätten doch ge-rade die Frauen, die dreieinhalb Jahre mit einer Ministe-rin zu tun hatten, die – ich will es einmal so ausdrücken –eine durchaus eigenwillige Vorstellung von Frauenpoli-tik und Feminismus hatte,
endlich einen richtigen Schub in der Frauenpolitik ver-dient.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte die Zeitpo-litik tatsächlich für eine sehr wichtige Frage. Dass dieRegierungsfraktionen einen ellenlangen Antrag dazuschreiben, der aber in mickrige, unkonkrete Vorschlägemündet,
bestätigt mich doch sehr stark in meinem Eindruck, dasssich die Große Koalition sehr bewusst vor den schwieri-geren Themen wegduckt, die wir aber auch angehenmüssen, wenn es uns tatsächlich um die Gleichstellungvon Frauen geht.
Welche Themen sind das? Das sind zum einen dieMinijobs. Rund zwei Drittel der Minijobber sind weib-lich. Mehr als die Hälfte verdient weniger als 8,50 Eurodie Stunde. Es ist klar: Die Minijobs haben sich als eineberufliche Sackgasse insbesondere für Frauen erwiesen.Wir brauchen deshalb dringend eine Reform des Nie-driglohnsektors. Die Minijobs müssen durch sozialver-sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetztwerden.
Wir brauchen insbesondere Anreize für eine eigenstän-dige Existenzsicherung von Frauen.
Das Kabinett hat in dieser Woche den Fortschrittsbe-richt zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung bera-ten. Wir haben dazu eine Befragung der Bundesregierungdurchgeführt. Es ist ganz aktuell deutlich geworden:Deutschland hat im EU-Vergleich die niedrigste Er-werbsbeteiligungsquote von Frauen. Dabei will jedefünfte Frau mit Teilzeitjob gerne mehr arbeiten. Hiermuss ganz klar die Bundesregierung handeln. Die abseh-bare Dauertauchstation der Großen Koalition werden wirGrüne im Interesse der Frauen nicht akzeptieren.
Die Koalition duckt sich auch beim Thema Ehegat-tensplitting weg. Ich finde es regelrecht fahrlässig, dass
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die Union hier weiterhin die drei Affen gibt: nichts se-hen, nichts hören, nichts sagen. Die Gesamtevaluationder familienbezogenen Leistungen, die die vorherigeGroße Koalition selbst in Auftrag gegeben hat, kommtzu dem Ergebnis, dass das Ehegattensplitting erheblichenegative Auswirkungen hat. Weil die Mütter ihre Ar-beitszeit verkürzen und dadurch berufliche Nachteile ha-ben, stärkt das Ehegattensplitting trotz der steuerlichenVorteile langfristig die wirtschaftliche Situation der Fa-milien gerade nicht. Es führt vielmehr zu einer Verdrän-gung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt. Das macht dieEvaluation ganz deutlich.Diese Ergebnisse werden seit Jahren von Studie zuStudie, inklusive des angesprochenen Gleichstellungsbe-richts der Bundesregierung, immer wieder bestätigt. Siehaben gesagt, Frau Ministerin, Sie wollen den Gleich-stellungsbericht aus der Schublade holen. Es wäre bessergewesen, Sie hätten ihn aus der Schublade geholt, bevordieser Antrag geschrieben wird. Dann wären nämlichdeutlich konkretere Forderungen zu erwarten gewesen.
Wer es mit der Chancengleichheit von Frauen undMännern ernst meint, der kommt an einer Reform desEhegattensplittings nicht vorbei. Aber was auch klar seinmuss: Eine solche Reform darf natürlich nicht zulastender materiellen Absicherung von Familien gehen; das istuns Grünen ganz wichtig. Wir wollen eine Familienför-derung, die sich nicht am Trauschein festmacht, sondernwir brauchen Instrumente, mit denen Kinder direkt ge-fördert werden.
Was das Wegducken angeht: Dass das Betreuungs-geld bleibt, ist ein frauenpolitischer Offenbarungseiddieser Bundesregierung und insbesondere der SPD.
Ich möchte noch auf einen Aspekt zu sprechen kom-men, der auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so vielmit Chancengleichheit zu tun hat. In der vergangenenWoche wurde eine EU-Studie vorgestellt – mit erschre-ckendem Ergebnis: EU-weit ist jede dritte Frau Opfersexueller oder physischer Gewalt. Die Gefahr häuslicherGewalt ist ganz besonders groß: 22 Prozent aller Frauenhaben Gewalt durch den eigenen Partner erlebt.Gewalt gegen Frauen ist ein brandaktuelles Thema.Ich war gestern bei der Abschlussveranstaltung derKampagne der Frauenhäuser: „Schwere Wege leicht ma-chen“. Auch diese Kampagne macht ganz deutlich: Esist nicht akzeptabel, dass die Frage der Finanzierung derFrauenhäuser im Koalitionsvertrag mit keinem Wort er-wähnt wird.
Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, dieguten und konstruktiven Vorschläge aus den Debattender vergangenen Legislaturperiode aufzugreifen. WirGrüne sind ganz klar der Meinung, dass sich der Bundendlich an einer soliden Finanzierung der Frauenhäuserbeteiligen muss, damit von Gewalt betroffene Frauenund ihre Kinder überhaupt den Hauch einer Chance aufChancengleichheit in ihrem Leben haben.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat die Kollegin Birgit Kömpel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Ministerin!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen imDeutschen Bundestag! Seit 1911 gibt es den Internatio-nalen Frauentag, das Symbol für den Kampf um Frauen-rechte und Gleichberechtigung. Blicken wir auf diesegut 100 Jahre zurück, dann sehen wir eine sensationelleErfolgsgeschichte, oder? Frauenwahlrecht, Gleichbe-rechtigung von Männern und Frauen, gleiche Bezahlungvon Männern und Frauen, gleiche Pflichten in Ehe undFamilie, etc., etc. Meine Damen und Herren, dies allesist längst Gesetz – allerdings nur teilweise gesellschaftli-che Realität.Wir können es hier deutlich sehen: Frauen sind zwarAbgeordnete, Ministerin, ja, wir haben sogar eine Bun-deskanzlerin. Frauen sind in allen gesellschaftlichen Be-reichen sichtbar, aktiv und engagiert.
Frauen haben längst in Männerberufen Fuß gefasst. Seitdem Jahr 2000 dienen wir gleichberechtigt unseremLand als Soldatinnen.Aber! Sie haben recht: Es gibt ein riesiges Aber. Auchin 2014 verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent wenigerals ihre männlichen Kollegen. 70 Prozent der Niedrig-lohnjobs werden von Frauen ausgeübt, und besondersauf den Führungsebenen und in den Chefetagen sindFrauen noch immer unterrepräsentiert.Wir haben die Zahlen schon gehört – ich will Sie da-mit verschonen. Aber sie zeigen uns: Unsere Aufsichts-räte werden durch die Arbeitnehmergremien, sprich: dieGewerkschaften, besetzt. Im Klartext: Es sind die Ge-werkschaften, die ihre Frauen in die Führungspositionenund Aufsichtsräte schicken; es sind nicht unsere Arbeit-geber. Das ist für mich ein handfester Skandal.
Es ist skandalös, dass 65 Jahre nach der Verankerungder Gleichberechtigung im Grundgesetz, reichlich50 Jahre nach der beruflichen Gleichstellung und satte50 Jahre nach der Gleichstellung im Bürgerlichen Ge-setzbuch noch solche Zahlenverhältnisse vorherrschen.
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1654 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Birgit Kömpel
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Der Skandal wird besonders deutlich, wenn wir noch einpaar mehr Zahlen hinzunehmen.Heute studieren mehr Frauen als Männer. Frauenschließen ihr Studium dabei oft erfolgreicher ab, und wirFrauen streben im Anschluss nach Karriere und berufli-cher Entfaltung. In den Chefetagen, in Forschung undWissenschaft und in der Politik sind wir aber weiterhinunterrepräsentiert, und zwar in einem unerträglichenMaße. Die Ursachen kennen wir alle: fehlende Be-treuungsplätze, fehlende Ganztagsschulen, fehlende fa-milienfreundliche Arbeitszeiten und Vorurteile gegen-über Frauen, vor allem Müttern, in Führungspositionen.Daran scheitern die Karrieren von Frauen auch noch2014.Aber was sind die Folgen? Man traut vielleicht seinenOhren nicht, aber in erster Linie schadet es der Wirt-schaft: Unzählige Studien haben bewiesen, dass Unter-nehmen mit gemischter Führungsebene viel erfolgrei-cher sind. Es lohnt sich also – rein wirtschaftlichbetrachtet –, Frauen zu fördern.
Aber die Erhöhung des Frauenanteils bewirkt nochviel mehr. Frauen bringen Eigenschaften mit, die Füh-rung verbessern. Frauen führen anders, oder wie diedeutsche Unternehmerin und IndustriemanagerinAnnette Winkler es ausdrückt:Mitarbeiter lassen sich lieber von einer Frau über-zeugen als von einem Mann anschreien.
Frauen führen mit größerer sozialer Kompetenz.Ja, Sie haben richtig gehört, meine Herren: Die hoheVerantwortung und die logistischen Herausforderungen,die ein Leben mit Kindern mit sich bringt, qualifizierenFrauen zusätzlich für Führungspositionen. Denn jedeFrau, die Kinder erzieht, bringt neben ihren beruflichenQualifikationen per se auch eine Menge Sozialkompe-tenzen mit.
Und an diesen – das kann ich als Personalberaterin wirk-lich beurteilen – mangelt es in unseren Führungsetagenhäufig. Ich wage, zu behaupten: oft ganz erheblich,meine Damen und Herren. Hier besucht man lieber Se-minare über Menschenführung. Wann begreifen wir end-lich, dass wir diese Soft Skills, diese weichen Führungs-qualitäten, schlicht die soziale Kompetenz quasi freiHaus bekommen, wenn wir Frauen einstellen?
Die Frage muss also nicht lauten, ob, sondern, wie wirden Anteil von Frauen in Führungspositionen wirksamerhöhen. Die Antwort ist ganz simpel: Wir brauchenschlicht und einfach eine Quote. Denn nur die Quote be-wirkt die so dringend benötigten Verbesserungen fürFrauen, weil nur die Quote dazu zwingt, Frauen – auchmit Kindern – gezielt zu fördern, weil nur sie dazuzwingt, dass Unternehmen, aber auch die öffentlicheVerwaltung und die Behörden endlich frauen- und fami-lienfreundlicher werden, weil sie zur flexibleren Gestal-tung von Arbeitszeiten zwingt und weil sie die Errich-tung von Tele- und Heimarbeitsplätzen fördert.Liebe Frau Dörner, die gesetzliche Einführung derQuote ist nicht mickrig, sondern sie ist historisch. Ichbin stolz darauf, dass wir das in dieser Legislaturperiodeschaffen.
Es geht aber nicht nur um die Erhöhung des Frauen-anteils in Führungspositionen. Es geht nicht nur um dieEinführung der Quote. Es geht auch um den gesell-schaftlichen Wandel. Es geht darum, die Männerquotevon 90 Prozent in den Führungsetagen abzuschaffen.
Keine Sorge, meine Herren, gute Männer schaffen esauch trotz Frauenquote an die Spitze.
Es geht darum, liebe Frau Kipping – da sind wir garnicht so weit voneinander entfernt –, das Ideal der All-zeitverfügbarkeit infrage zu stellen. Es geht darum, dassauch Männer in Teilzeit arbeiten. Es geht darum, dasssich Frauen und Männer im Beruf und in der Familiepartnerschaftlich begegnen können.Wir wollen neben einer starken Frauenpolitik vor al-lem eine starke Familienpolitik. Also, liebe Herren, liebeDamen, packen wir’s an!Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gudrun Zoll-
ner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Lassen Sie mich eingangs meine Freudedarüber zum Ausdruck bringen, dass über Themen desFamilienausschusses nicht zu später Stunde, also nachts,debattiert wird, sondern erfreulicherweise heute Vormit-tag. Ich hoffe, Frau Präsidentin, dass dies von nun anUsus wird.Die Frauenquote ist nicht unbedingt ein Schlagwort,mit dem man sich Freunde schafft. Es gibt Seitenblicke,weil man eine Quotenfrau ist, ein Wort, über das auch
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Gudrun Zollner
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unter uns Frauen kontrovers diskutiert wird. Aber kön-nen wir es uns in der heutigen Zeit noch immer leisten,gut ausgebildete und hochqualifizierte Frauen vor dieWahl zu stellen: Kind oder Karriere? – Nein! Bildungs-gewinnerinnen dürfen nicht weiterhin die Karriereverlie-rerinnen sein.
Der demografische Wandel schreitet voran. Alle re-den vom Fachkräftemangel. Aber unsere Topfachkräftesitzen zu Hause oder sind in Teilzeit oder sind geringfü-gig beschäftigt, weil sie Frauen sind, die irgendwannschwanger werden könnten oder bereits Kinder haben,die irgendwann einmal krank werden könnten – so zu-mindest die häufigsten Aussagen bei Bewerbungsge-sprächen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Unter-nehmer und Wirtschaftsvertreter, ich gebe zu: Ich warlange Zeit auch keine Freundin einer Frauenquote in derWirtschaft. Aber die Zahlen zeigen, dass sich in den letz-ten Jahren so gut wie nichts bewegt hat. Der Anteil derFrauen in den DAX-30-Vorständen ist im Jahr 2013 so-gar von 7,8 auf 6,3 Prozent zurückgegangen. Bis letztesJahr hatten 21 Prozent der 200 größten deutschen Unter-nehmen nicht eine einzige Frau im Aufsichtsrat.
Praktisch folgenlos ist die Selbstverpflichtung der Wirt-schaft aus dem Jahr 2001 verpufft.
Deshalb: Die Zeiten der Freiwilligkeit sind vorbei.Jetzt muss die Frauenquote umgesetzt werden:
30-Prozent-Geschlechterquote für Aufsichtsräte von vollmitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unter-nehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, ver-bindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteilsim Aufsichtsrat, im Vorstand und in den obersten Mana-gerebenen mitbestimmungspflichtiger oder börsenno-tierter Unternehmen! Hierüber muss transparent berich-tet werden.Die ersten Zielgrößen müssen innerhalb der 18. Wahl-periode des Deutschen Bundestages erreicht werden unddürfen nachträglich nicht nach unten korrigiert werden.Kurzum: so viel Staat wie nötig, so viel unternehmeri-sche Freiheit wie möglich.
Und: Keine Angst vor der Frauenquote, sehr geehrte Her-ren Unternehmer, DAX-Vorstände und Aufsichtsräte!Frauen sind eine Bereicherung für jede Führungsetage,besonders im operativen Geschäft.
Um das alles zu erreichen, müssen wir selbst eineVorbildfunktion übernehmen. Wir werden im Einfluss-bereich des Bundes eine gezielte Gleichstellungspolitikvorantreiben und das Bundesgremienbesetzungsgesetzund das Bundesgleichstellungsgesetz proaktiv umsetzen.Durch konsequentes Controlling soll die verbindlicheUmsetzung sichergestellt werden. Vor dem Gleichheits-satz des Grundgesetzes sage ich deshalb bewusst und ausvoller Überzeugung Servus zur „gläsernen Decke“ und„Viel Erfolg!“ zu allen Frauen wie Mary Barra von Ge-neral Motors, Marissa Mayer von Yahoo, Janet Yellenvon der US-Notenbank und natürlich auch zu unsererBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Wenn wir die Frauenquote in allen Bereichen auf ei-nen erfolgreichen Weg bringen möchten und die Anzahlder weiblichen Führungskräfte erhöhen wollen, müssenwir passende Rahmenbedingungen für unterschiedlicheLebensmodule schaffen. Nur so können wir die kinder-wunschhemmende Rushhour des Lebens entzerren.Leistung ist nicht immer gleichbedeutend mit Anwesen-heit.
Auch in Führungspositionen müssen Telearbeit oderHomeoffices möglich sein. Dies gelingt erst dann, wennwir von der Ideologie der Vollzeitpräsenz wegkommen,dafür flexible Arbeitszeitmodelle anbieten und mehr Zeitfür die Familie einräumen, was sich übrigens auch diemeisten Väter wünschen.
Von dieser modernen Zeitpolitik würden auch die fast1,6 Millionen Ein-Eltern-Familien in Deutschland profi-tieren. 90 Prozent bestehen aus Kindern und Frauen, denwahren Meisterinnen des Zeitmanagements.
Gerade sie brauchen die Unterstützung der Politik; dennsie stoßen trotz ihres Organisationstalents immer wiederan ihre Grenzen. Wer betreut die Kinder bei sechs Wo-chen Sommerferien? Wer passt auf das Kind der allein-erziehenden Krankenschwester beim Nachtdienst auf?Wer fährt die Tochter zum Fußballtraining und holt denSohn vom Freund ab? Hinzu kommt die meist schwie-rige finanzielle Situation.Obwohl laut der neuesten Studie der Bertelsmann-Stiftung 70 Prozent der Alleinerziehenden erwerbstätigsind, darunter 45 Prozent in Vollzeit, reicht das Einkom-men meist nicht aus. Von den rund 2,2 Millionen Kin-dern, die nur mit einem Elternteil aufwachsen, ist jedeszweite Kind auf Grundsicherungsleistungen angewiesen.Alleinerziehende leben fünfmal so oft im Hartz-IV-Be-zug wie Paarfamilien.Ich bin seit langem alleinerziehende Mutter von zweiSöhnen, und ich weiß, wie schwierig es ist, den Lebens-alltag allein zu meistern, neben Beruf und Haushalt auchfür die Kinder da zu sein, ihnen den Start in ein erfolg-
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Gudrun Zollner
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reiches und zufriedenes Leben zu ermöglichen. OhneZeitmanagement und einen straff durchorganisierten Ta-gesablauf kommt keine Ein-Eltern-Familie aus.Aber wie sieht es mit Zeitsouveränität aus? Wie siehtes mit den persönlichen Wünschen und Bedürfnissenaus? Egal ob selbstständige Unternehmerin, Topmanage-rin, Angestellte, Arbeiterin oder Hartz-IV-Empfängerin,keine von ihnen ist Souverän ihrer eigenen Zeit. LassenSie uns deshalb die Koalitionsvereinbarungen umsetzen,den Antrag zügig verabschieden und passende Rahmen-bedingungen für alle schaffen.Vielen Dank.
Herzlichen Glückwunsch, liebe Kollegin, zu Ihrer
ersten Rede.
Beim nächsten Mal achte ich ein wenig genauer auf die
Uhr.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Bettina
Hornhues das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen De-batte zum Internationalen Frauentag sollten wir uns vorallem eines vor Augen führen: Zeit hat in der gegenwär-tigen Gesellschaft einen anderen Stellenwert als noch inder Generation unserer Eltern und Großeltern. Zeit istheute eine Schlüsselressource und sollte auch so behan-delt werden. Wir brauchen daher eine moderne, lebens-lauforientierte und bewusste Zeitpolitik für Frauen undMänner,
eine Zeitpolitik, die Freiräume schafft für die Vereinbar-keit von Familie und Beruf, aber auch Wahlmöglichkei-ten offenlässt und sowohl verschiedene Lebensverläufeberücksichtigt als auch unterschiedliche Familienmo-delle akzeptiert.Als berufstätige Mutter von drei Kindern weiß ich nurzu gut, wovon ich rede, und ich weiß auch, dass der Spa-gat zwischen Familie und Beruf häufig immer noch einegroße Herausforderung, insbesondere für die Frauen,darstellt. Wir brauchen daher ein Gesamtpaket an Maß-nahmen, insbesondere um die Chancengleichheit vonFrauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt zu verwirkli-chen.
Wir setzen deswegen für eine bessere Vereinbarkeitvon Familie und Beruf auf das Zusammenspiel von, ers-tens, materieller Sicherheit durch familienpolitischeLeistungen, zweitens, einer familienunterstützenden In-frastruktur und, drittens – das ergibt sich daraus –, mehrZeit für Familien. Was heißt das ganz konkret? Mit demElterngeld und dem Ausbau der Kinderbetreuungsange-bote sind wir in den letzten Jahren schon ein ganzesStück weitergekommen.Aber um den Bedürfnissen von Eltern noch stärkergerecht zu werden, brauchen wir eine Flexibilisierungder Elternzeit.
Zukünftig sollen 24 statt 12 Monate flexibel zwischendem dritten und achten Lebensjahr des Kindes von Müt-tern und Vätern in Anspruch genommen werden können.Dieser Ansatz zeigt Wirkung: Bereits seit Jahren steigtkontinuierlich der Anteil der Väter, die Elternzeit neh-men. Dies hat nicht nur positive Effekte auf die Vater-Kind-Beziehung, sondern auch auf das gesamte Famili-enmodell mit einem modernen Rollenverständnis vonFrauen und Männern.
Das bestätigt, dass wir mit unserer Politik auf demrichtigen Weg sind. Dazu gehört auch eine flexiblere El-terngeldregelung. Mit der Einführung des sogenanntenElterngeldPlus soll Eltern unter anderem für die Dauervon bis zu 28 Monaten die bestmögliche Inanspruch-nahme ermöglicht werden. Insbesondere in Kombinationmit einer nicht geringfügigen Teilzeittätigkeit wird dieneue Elterngeldregelung den Wiedereinstieg auch fürAlleinerziehende erleichtern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf das ThemaWiedereinstieg möchte ich Sie in diesem Zusammen-hang besonders aufmerksam machen, da es meiner Mei-nung nach eine zentrale Rolle in dieser zeitpolitischenDebatte spielt. Denn fehlende Rahmenbedingungen er-schweren und verhindern im schlimmsten Fall den be-ruflichen Wiedereinstieg von Frauen nach einer Fami-lienphase. In den Beruf zurückzukehren, steigert nichtnur das Selbstwertgefühl der Frauen, sondern es trägt invielen Fällen auch zur Existenzsicherung der Familiebei. Das Modell mit einem männlichen Brotverdiener, indem der Mann als Alleinverdiener der Familie fungiert,hat, wie wir alle wissen, längst ausgedient.Der Wiedereinstieg der Frauen in den Beruf ist keinpunktuelles Ereignis, sondern ein Prozess, der sowohlgesetzlich flankiert als auch gesellschaftspolitisch be-gleitet werden muss.
Einen wichtigen Beitrag zum Gelingen leistet dabei derArbeitgeber. Eine familienbewusste Arbeitswelt und fa-milienfreundliche Arbeitszeiten sind das eine, Kinderbe-treuungsmöglichkeiten im Betrieb bzw. auf kommunalerEbene sind das andere, um dem Anspruch auf eine guteInfrastruktur für Familien gerecht zu werden.Dazu gehört für mich auch das Recht auf Teilzeit-arbeit. Dies muss überarbeitet und weiterentwickelt wer-den, gerade auch mit Blick auf die jungen Mütter ohne
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Bettina Hornhues
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Berufsausbildung. Hier sollten wir Angebote wie dieTeilzeitausbildung weiter ausbauen und fördern.Damit verbunden ist für mich auch das Thema Rück-kehrrecht. Wer sich zeitlich begrenzt eine Auszeit für dieKindererziehung oder die Pflege von Angehörigen nimmt,der leistet einen wichtigen gesellschaftlichen Beitragund sollte daher die Möglichkeit haben, zu seiner frühe-ren Arbeitszeit zurückkehren zu können.Das Arbeitskräftepotenzial der Frauen darf grundsätz-lich, gerade aber in Zeiten des Fachkräftemangels unddes demografischen Wandels nicht unausgeschöpft blei-ben. Im Wettbewerb um die besten Köpfe haben vieleUnternehmen dieses bereits erkannt und bieten eine fa-milienfreundliche Infrastruktur in ihren Firmen an, wiezum Beispiel Betriebskitas. Firmen sollten Betriebskitasdabei nicht als finanzielle Belastung, sondern als Vorteilim Wettbewerb um gute und motivierte Arbeitskräfte an-sehen
und nicht zuletzt Familienfreundlichkeit als Chance beiihrer Profilbildung begreifen.Gerade solche familienfreundlichen Maßnahmen undAngebote sind für die jungen Mütter und Väter vonheute, der sogenannten Generation Y, besonders wichtigund Kriterium bei der Jobsuche. Wie jüngst in einem Ar-tikel in der Zeit beschrieben wurde, stellt diese Genera-tion die Zeitsouveränität in den Mittelpunkt ihres Le-bensverlaufs und fordert selbstbewusst Freiräume ein.An dieses Lebensgefühl muss unsere Zeitpolitik anknüp-fen. Ich sage aber auch: Dem Beispiel vorbildlicherFirmen, die Verständnis für neue Formen der Lebens-zeitplanung aufbringen, könnten sich noch viele andereUnternehmen anschließen.
Ich halte fest: Nur die Kombination aus familienpoli-tischen Leistungen und einer verlässlichen Infrastrukturfür Familien ebnet den Weg für eine bessere Vereinbar-keit von Familie und Beruf und ermöglicht Frauen wieMännern mehr Zeitsouveränität, vor allem für ihre Frei-zeit und somit auch für ihre Familie.Vielen Dank.
Auch Ihnen, Kollegin Hornhues, herzlichen Glück-
wunsch zu Ihrer ersten Rede.
Als nächster Redner erhält Sönke Rix das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Wir reden überZeitsouveränität. Ich versuche, die Zeit, die wir für diesesehr gute Debatte länger gebraucht haben, ein wenig auf-zuholen. Das beruhigt Sie hoffentlich.Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will gleich mit einem Thema beginnen, über das wirgestern sehr aktuell diskutiert haben, nämlich mit demThema Gewalt gegen Frauen. Es gibt hierzu eine Studieder EU. Wir waren alle sehr erschrocken und, wie ichglaube, überrascht, obwohl wir uns mit dem Thema in-tensiv beschäftigen, wie hoch das Gewaltpotenzial ge-gen Frauen in Europa ist. Das ist dramatisch. Wir wis-sen, dass wir in diesem Bereich sehr viele Maßnahmenan vielen Stellen zu treffen haben.
Gerade in den Frauenhäusern beschäftigt man sichunter anderem mit den Opfern von Gewalt. Sie haben zuRecht angemerkt: Im Koalitionsvertrag steht zu diesemThema nichts Konkretes. Aber viele Themen, die nichtim Koalitionsvertrag stehen, stehen trotzdem auf unsererAgenda. Wir sind sehr stark daran interessiert, gemein-sam mit den Ländern und in Absprache mit den Kommu-nen zu einem verlässlichen Finanzierungskonzept für dieFrauenhäuser zu kommen. Das kann ich für die Sozial-demokraten wie auch für unseren Koalitionspartner sehrdeutlich sagen.
Dazu gehört aber auch eine Bereitschaft der Länder, sichdiesem Thema zu widmen. Wir können alle dazu beitra-gen; denn unsere Parteien sind alle in unterschiedlichenKonstellationen in den Landesregierungen vertreten:Rot-Grün, Rot-Rot, Schwarz-Grün, Schwarz-Rot usw.Wir müssen dafür sorgen, dass die Bereitschaft dort ge-nauso hoch ist, über ein solches Gesamtkonzept zu re-den.
Gestern sind Unterschriften an das Bundestagspräsi-dium, ich glaube auch an Sie, Frau Präsidentin, überge-ben worden. Beim nächsten Mal können ruhig auch derPräsident und alle anderen Vizepräsidenten dabei sein,wenn Unterschriften übergeben werden, um die Bedeu-tung des Anliegens noch einmal zu unterstreichen.
Ich bin gerne bereit – das wurde gestern bei dem Terminauch besprochen –, dass wir uns interfraktionell mit die-sem Thema auseinandersetzen. Die Arbeit der Frauen-häuser darf nicht nur in Reden gewürdigt werden, son-dern es bedarf einer gesamtstaatlichen Anstrengung füreine dauerhafte gute Finanzierung.
Wir haben heute sehr intensiv über gleiche Bezahlungfür gleiche Arbeit – Stichwort Entgeltgleichheitsgesetz –gesprochen. Dieser Aufgabe werden wir uns in dieserWahlperiode stellen. Wir reden darüber, ob Frauen inden Betrieben für die gleiche Arbeit das gleiche Entgelterhalten. Hier müssen wir zu gesetzlichen Regelungenund vor allem zu Sanktionsmöglichkeiten kommen;
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Sönke Rix
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denn sonst brauchen wir kein Gesetz, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Wenn wir über Lohngleichheit oder über eine ge-rechte Bezahlung von Frauen in den typischen – ich be-tone: in Anführungsstrichen – Frauenberufen sprechen,dann müssen wir festhalten, dass es nach wie vor so ist,dass die Bezahlung in den Bereichen Erziehung, Pflege,soziale Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig sind,nach wie vor schlechter ist als in handwerklichen odertechnischen Berufen, in denen überwiegend Männer tä-tig sind. Für mich ist klar: Diese Arbeit ist nicht nurgleichwertig, sondern sie muss auch gleich bezahlt wer-den und die gleiche gesellschaftliche Anerkennung be-kommen.
Das eigentlich Skandalöse, wenn wir über das Themasprechen, warum es zu wenig Männer in den Erzie-hungsberufen gibt – ich selbst bin Erzieher – ist, dassimmer gesagt wird: Weil der Job so schlecht bezahltwird; deshalb muss er besser bezahlt werden, damit esdort mehr Männer gibt. – Das ist genau der verkehrteAnsatz. Wir müssen nicht diesen Job besser bezahlen,damit ihn mehr Männer ausüben, sondern wir müssenden Job besser bezahlen, weil gerade viele Frauen darun-ter leiden, dass er so schlecht bezahlt ist, liebe Kollegin-nen und Kollegen.
Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. Wir ha-ben nicht nur eine ungerechte Bezahlung und eine unge-rechte Verteilung von finanziellen Mitteln, sondern wirhaben auch eine ungerechte Verteilung von Zeit. Des-halb ist es genau richtig, dass Manuela Schwesig die De-batte angestoßen hat, dass gerade Eltern eine andereZeitsouveränität benötigen und eventuell eine geringeregrundsätzliche Arbeitszeit haben sollten.
Die Debatte wird auch fortgeführt. Wir haben diesesThema im Koalitionsvertrag mit der Vereinbarung zumElterngeldPlus und zum Thema Elternteilzeit und Rück-kehr zur Vollzeit aufgegriffen.Es gibt aber ein sehr interessantes Spannungsfeld.Wir haben beispielsweise von World Vision gehört, dasseine Kinderbefragung ergeben hat, dass die Kinder, beidenen beide Eltern voll berufstätig sind, zufriedener mitder Elternzuwendung sind als diejenigen, bei deneneventuell beide arbeitslos oder erwerbslos sind oder viel-leicht nur ein Elternteil erwerbstätig ist. Dazu gibt es ei-nen Widerspruch in der Studie der AOK. Viele empfin-den als größte Belastung durch ihre Arbeitssituation dieTatsache, dass sie zu wenig Zeit für die Familie haben.Diesen Widerspruch aufzuarbeiten und gesetzliche Rah-menbedingungen zu schaffen, um mehr Platz für Part-nerschaftlichkeit und Flexibilität einzubauen, muss Zieldieser Debatte sein, die wir sehr intensiv führen sollten,liebe Kolleginnen und Kollegen.Abschließend zu der Tatsache, dass auch mehr Män-ner in der Frauenpolitik tätig sind, wie zum BeispielHerr Kollege Weinberg und andere. Ich glaube, dass wirbei dieser Debatte einen Schritt weiter sind, was männli-che Vorbilder für die Gleichstellungspolitik angeht. Esist nicht die Tatsache, dass zufällig zwei Männer denVorsitz für die zuständigen Arbeitsgruppen in den Koali-tionsfraktionen haben. Es ist zum Beispiel die Tatsache,da
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zeitsouveränität ist für die Vereinbar-
keit von Familie und Beruf auch für mich wichtig. –
Auch das ist natürlich ein wichtiger Schritt; es ist ein gu-
ter Ansatzpunkt.
Lassen Sie uns, Männer und Frauen gemeinsam,
Gleichstellungspolitik machen, insbesondere für Frauen,
weil sie benachteiligt sind.
Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Groden-
Kranich das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Gäste! Wenn man so spät in einer Debattereden darf, könnte man fast sagen: Es ist schon alles ge-sagt, außer von mir. Daher wende ich mich speziell demThema Entgeltgleichheit zu, auch wenn Herr Rix mirjetzt gerade zwei, drei Punkte geklaut hat; aber das zeigtja, dass wir in der Sache einig sind.
„Zeit ist Geld“, heißt es. Und „Gleiches Geld für glei-che Arbeit“ klingt selbstverständlich und banal, ist esaber leider längst noch nicht. Auch wenn es selbstver-ständlich erscheint, dass überall dort, wo gleiche Leis-tung erbracht wird, auch gleiche Entlohnung erfolgt, istes in der Realität ganz anders. Am schlimmsten ist, dassdie Verdienstabstände nach den Ausarbeitungen des Fa-milienministeriums mit höherer Ausbildung und zuneh-mendem Alter größer werden. Ich empfinde das als be-schämend. Dass es beim Bruttostundenverdienst eineLücke von 22 Prozent gibt, ist eine mehr als traurige Tat-sache. Es tröstet auch nicht, dass Frauen überall in Eu-ropa weniger verdienen als Männer. Leider sind wir imeuropäischen Vergleich das Schlusslicht in Sachen Ent-geltgleichheit.Equal Pay ist kein nettes, kleines Instrument oder einevon vielen Forderungen. Im Gegenteil: Equal Pay ist einelementarer Baustein in Sachen Chancengleichheit.
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Ursula Groden-Kranich
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Oder anders gesagt: Würde Equal Pay konsequent umge-setzt werden, könnten viele andere Forderungen undDiskussionen vielleicht obsolet werden. Das gilt für dieForderung nach einer Frauenquote oder die Diskussionzu Frauen in Führungspositionen; denn nichts ist attrak-tiver als eine angemessene Vergütung. Das gilt auch fürdie Diskussion um Teilzeitarbeit und Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf; denn bei guter und gleicher Bezah-lung können sich Eltern leichter entscheiden, und esbleiben auch mehr Mittel übrig, um eine professionelleUnterstützung zu finanzieren.
Die Ursachen für Entgeltungleichheit zwischenFrauen und Männern sind hinlänglich bekannt. Frauenfehlen in bestimmten Berufen, Branchen und auf den hö-heren Stufen der Karriereleiter. Ich erinnere mich anmeine Berufstätigkeit zurück: Ich war im Bereich derAnlageberatung tätig, und meine erste Anlageberaterta-gung begann mit den Worten: Sehr geehrte Frau Groden!Meine Herren! – Ich war die einzige Frau. Das hat sichheute zum Glück geändert.
Es heißt, die beruflichen Qualifikationen und Kompe-tenzen von Frauen und Männern würden gleichermaßengeschätzt und entgolten. Die Wirklichkeit sieht andersaus. Bei Frauen gibt es sehr viel häufigere und längerefamilienbedingte Erwerbsunterbrechungen und damitauch Erwerbsreduzierungen als bei Männern. Frauensind sechsmal so häufig in Teilzeit erwerbstätig wieMänner. Sie verbringen aber fast doppelt so viel Zeit mitunbezahlter Familienarbeit.Individuelle und kollektive Lohnverhandlungen habengleichermaßen nicht nachhaltig dazu beitragen können,dass typische Frauentätigkeiten nicht mehr schlechter be-wertet werden. Herr Rix hat es schon angesprochen: Wassind denn „typische Frauentätigkeiten“? – Erziehungs-arbeit ist eine Tätigkeit für Männer und Frauen, und dasmuss auch in einer entsprechenden Entlohnung zumAusdruck kommen.
Damit wir uns richtig verstehen: Equal Pay zwingt dieFrauen nicht in die Berufstätigkeit, sondern erzwingthoffentlich endlich die Gleichbezahlung von Mann undFrau für gleiche Leistungen. Das wird jetzt leider erstdurch gesetzliche Regelungen möglich, weil die Freiwil-ligkeit nicht gegriffen hat.Die Folgen dieser Entgeltungleichheit sind drama-tisch. Finanziell am gravierendsten ist – neben den aku-ten Auswirkungen während des Erwerbslebens vonFrauen – der Dominoeffekt in Sachen Rente. Die Un-gleichheit während der Erwerbstätigkeit führt zu einerAlterssicherungslücke zwischen Frauen und Männern,auch bekannt als Gender Pension Gap; dieser liegt inDeutschland bei atemberaubenden 59 Prozent. Hier istmit der Mütterrente ein erster kleiner Schritt dagegen ge-tan.Mindestens genauso schlimm sind aber die indirek-ten, quasi psychologischen Folgen der Tatsache, dassFrauen für die gleiche Arbeit immer noch kein gleichesGehalt bekommen. Erwerbstätigkeit, vor allem Vollzeit-stellen, und erst recht Führungspositionen lohnen sichoft buchstäblich gar nicht. Sie werden daher nicht ange-strebt oder bei geringem Anlass wieder aufgegeben.Kein gutes Signal an unsere Mitbürgerinnen oder an dieGeneration unserer Töchter!Das Problem wurde aber immerhin erkannt und auchschon einiges unternommen. Der Equal Pay Day, der in-ternationale Aktionstag für die Entgeltgleichheit zwi-schen Männern und Frauen, der auf Initiative der Busi-ness and Professional Women Germany eingeführtwurde, wird vom Familienministerium gefördert. Ichlade Sie übrigens herzlich ein: Der nächste Equal PayDay findet am nächsten Freitag statt. Es gibt zahlreicheAktionen, nicht nur hier in Berlin am BrandenburgerTor.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz betrifft nichtnur, aber auch Frauen. Insofern ist die Gleichbehandlungund Gleichbezahlung von Frauen und Männern im Beruflängst gesetzlich verankert.Alle diese Maßnahmen sind gut und wichtig, abergleiche Bezahlung und Chancengleichheit haben nichtnur mit Gesetzen zu tun, sondern in erster Linie mit kon-kret handelnden Personen. In meinem Berufsleben habeich dies mal erfahren müssen, aber auch mal erfahrendürfen. Mit Gesetzen allein ist es also nicht getan, aberauch nicht mit Geld; das sage ich, um noch kurz dasklassische Totschlagargument „Wer soll das bezahlen?“vorzunehmen. Da kann ich Sie beruhigen: Das ThemaEqual Pay ist finanzpolitisch unproblematisch. Es gehtschon per definitionem eben nicht darum, die Leistungzusätzlich, sondern „nur“ gleichwertig zu bezahlen.Unsere Forderungen sind: konsequenter Ausbau derbestehenden Maßnahmen, um die genannte Ungleichheitabzubauen, die Förderung von Frauen in allen Branchenund Lohnsektoren sowie die Einführung von Konse-quenzen für Unternehmen, die sich nicht daran halten,oder, wie es unsere Bundeskanzlerin in einer Regie-rungserklärung sagte: Wir haben es lange genug im Gu-ten versucht, das hat leider nicht viel genutzt.Darum begrüße und unterstütze ich alle schon beste-henden Maßnahmen und Gesetze, bin aber überzeugt,dass die wichtigste Waffe im Kampf gegen die Entgelt-ungleichheit das Umdenken in den Köpfen der Arbeitge-ber, Vorgesetzten und in weiten Teilen unserer Gesell-schaft sowie ein Wandel der bestehenden Rollenbilderist.Entgeltgleichheit und Chancengleichheit müssen eineSelbstverständlichkeit werden, für die es keiner zusätzli-chen Maßnahmen mehr bedarf. Wenn wir diese Über-zeugung verinnerlicht haben, sind wir bald am Ziel.Vielen Dank.
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1660 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
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Auch Ihnen, liebe Frau Groden-Kranich, herzlichen
Glückwunsch zur ersten Rede.
Als letzte Rednerin hat jetzt die Kollegin Karin Maag
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sind ja nun am Ende der Debatte: Ich habe mir langeüberlegt: Wie beginne ich eigentlich? – Ja, auch 2014sind Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen ge-genüber den Männern benachteiligt. Keine Frage! Aberich bin genauso davon überzeugt, Frau Schauws, FrauDörner, dass wir im Sinne der Frauen und der Familienin Deutschland vorankommen.Ich will dafür ganz konkrete Beispiele benennen. DieVereinbarkeit von Familie und Beruf hat nicht erst, aberentscheidend mit den Ministerinnen Ursula von derLeyen und Kristina Schröder und mit dem Rechtsan-spruch auf einen Kitaplatz und den entsprechenden Bun-deszuschüssen – ich spreche hier immerhin von Investi-tionen in der letzten Legislatur von 5,4 Milliarden Europlus Betriebskosten von jährlich 845 Millionen Euro –einen Schritt nach vorne gemacht.
Meine Damen und Herren, wir haben es gehört: ZurEntgeltgleichheit ist es ein ganz weiter Weg. Es bleibtselbstverständlich ein Skandal, dass 8 Prozent derFrauen noch immer weniger verdienen als ihre männli-chen Kollegen – bei haargenau derselben Tätigkeit, beiderselben Leistung und bei derselben Kompetenz. Aber,Herr Rix, wir fördern immerhin, zum Beispiel auch mitBundesmitteln, dass sich die Mädchen in Richtung derMINT-Berufe orientieren, also auch in die besser vergü-teten Berufsfelder gehen. Sie kennen den NationalenPakt für Frauen in MINT-Berufen. Da gibt es mittler-weile über 180 Partner aus Politik, Wirtschaft und Wis-senschaft.Liebe Kolleginnen und Kollegen, eins ist mir als Vor-sitzende der Gruppe der Frauen in meiner Fraktion ziem-lich wichtig. Die Arbeit und die Zeit von Frauen wie vonMännern sind gleichermaßen anerkennenswert, unab-hängig davon, ob sie nun für Erwerbsarbeit, im Ehren-amt oder in der Familie eingesetzt werden. Deshalb ist eswichtig, dass auch Familienarbeit die notwendige Aner-kennung erfährt. Das geschieht beispielsweise durch dieMütterrente, für die die Frauen in meiner Fraktion rundezehn Jahre gekämpft haben.
Wenn wir nun den internationalen Kontext des Welt-frauentags betrachten: Es gibt – wir haben es gehört –weltweit immer noch unzählige Frauen, die wegen ihresGeschlechts oder ihrer Religionszugehörigkeit Gewalterfahren. Da freut es mich – auch das ist ein positiverEffekt –, dass unser Bundespräsident das Thema zumBeispiel bei seiner Indien-Reise aufgegriffen hat. Wirsollten uns alle gemeinsam dafür einsetzen, dass dasThema „Gewalt gegen und Unterdrückung von Frauen“regelhaft bei den außenpolitischen Terminen nachgefragtund abgefordert wird. Nadine Schön hat dazu berichtet.In Deutschland haben wir das Hilfetelefon „Gewalt ge-gen Frauen“. Das ist zumindest für unsere Frauen einFortschritt. Ich sage also: Wir sind deutlich vorangekom-men. Mit dem dicken Absichtspaket aus dem Koalitions-vertrag im Rücken verbessern wir weiter die gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen für Familien undFrauen.Jetzt will ich mich im Einzelnen zu zwei Punkten äu-ßern, und zwar zu den Frauen in Führungspositionen undzur Familienarbeit.Erster Punkt. Es sollte eigentlich längst der Normal-fall sein – wir haben es gehört –, dass der Anteil vonFrauen in Spitzenpositionen den Frauenanteil in der Be-legschaft eines Unternehmens widerspiegelt. Tatsächlich– und das ist beschämend – sind unter den 191 Vor-standsmitgliedern der DAX-30-Konzerne 12 Frauen. Inden Aufsichtsräten – das ist nicht zuletzt dem durch dieQuotendiskussion entstandenen Druck geschuldet – be-trägt der Anteil immerhin 22 Prozent. Es geht aber– auch das haben wir schon gehört – natürlich nicht nurum die Wirtschaft. Auch im Geltungsbereich des Bundesmüssen wir nachbessern, in Staatskonzernen wie Post,Telekom, Bahn, aber auch in unseren Behörden.Deshalb stelle ich aus meiner Sicht zwar bedauernd,aber mittlerweile auch sehr entspannt fest: Quoten sindnicht mein Mittel der ersten Wahl, aber das einzig wirk-same Mittel. Selbstverpflichtungen und Appelle habennicht geholfen. Deswegen ist es richtig, dass wir jetztdiese Maßnahmen gesetzlich verankern: eine 30-Pro-zent-Quote für die Aufsichtsräte; zusätzlich kommt dieFlexi-Quote. Unternehmen, die entweder börsennotiertoder mitbestimmungspflichtig sind, müssen ab 2015eben die gesetzlich verbindlichen Zielvorgaben darstel-len. Wir verlangen, dass transparent berichtet wird; dasmuss sein. Ich kann Ihnen versichern: Ich werde aufdiese Berichterstattung ein sehr genaues Auge werfen.
Problematisch ist die Quote übrigens doch höchstensfür diejenigen, die immer noch nicht sehen wollen, wel-che Chance in der Geschlechtervielfalt liegt oder, wie esin der Zeit kürzlich formuliert wurde, die immer nochnicht sehen wollen, „dass sie den wahrscheinlich we-sentlichsten Wandel unserer Jahrzehnte verpassen“.Frauen- und Flexi-Quote sind natürlich kein Allheil-mittel. Verbesserungen, die daraus resultieren, werdenwir erst dann erleben, wenn in der Folge der verbesser-ten Präsenz von Frauen auf allen Hierarchieebenen einefrauenfreundlichere Unternehmenskultur existiert, wennes mehr Transparenz bei Einstellungen oder Beförderun-gen gibt und wenn wirklich eigene ambitionierte Selbst-verpflichtungen beim Frauenanteil in den Unternehmendie Regel sind.Mehr Frauen in Führungspositionen sind kein Selbst-zweck. Die Arbeit in gemischten Teams – wir haben esgehört – ist erfolgreicher. Frauen sind zum Beispiel risi-
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Karin Maag
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kobewusster als Männer, auch wenn der Markt einmalheißläuft. Sie verwickeln sich deutlich weniger in Sta-tuskämpfe, und sie orientieren sich stärker an der tat-sächlichen Leistung, aber vor allem – das ist der ganzzentrale Punkt – wissen Frauen am besten, wie sie ihrUnternehmen für andere Frauen, nämlich für die bestenFrauen, attraktiv machen können. Dafür lohnt es sich zukämpfen.
Im Mittelstand wird diese Zukunft übrigens schonlange gelebt. Fast ein Drittel der Führungsposten im Mit-telstand haben Frauen inne, und das nicht etwa, weil dieEigentümer – in Anführungsstrichen – „bloß“ Töchterhätten. Mir zumindest ist kein Unternehmen bekannt, beidem die Unternehmenskultur oder der Unternehmenser-folg mit der Verweiblichung des Vorstands – ich beziehemich überwiegend auf mein Heimatland Baden-Würt-temberg – in irgendeiner Form, vorsichtig ausgedrückt,gelitten hätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt,den ich ansprechen möchte, ist die Wertschätzung vonFamilienarbeit.Dabei geht es mir zum einen um das Rückkehrrechtvon Teilzeit auf Vollzeit. Die Teilzeitarbeit – das wissenSie – ist neben den familienbedingten Erwerbsunterbre-chungen ein wesentlicher Grund für die Lohnlücke. Teil-zeitarbeit darf keine Einbahnstraße sein. Deswegen müs-sen wir Frauen dafür sensibilisieren, dass sie bei derEntscheidung für Elternzeit eben nicht nur die aktuelleSituation, sondern auch das Alter und die Folgen für dieeigene Rente im Blick haben. Das ist wichtig.Zum anderen geht es um eine bessere Vereinbarkeitvon Beruf und Pflege. Familie zu haben bedeutet eine le-benslange Verantwortung – für Kinder und Eltern. Wirwerden den Raum geben, damit auch Erwerbstätige zeit-weise, wenn sie diesen Wunsch haben, dieser Verant-wortung gerecht werden können. Ein erster Schritt ist dieAusgestaltung einer bezahlten zehntägigen Auszeit fürAngehörige mit dem Rechtsanspruch auf Lohnersatzleis-tung analog zum Kinderkrankengeld, also finanziertdurch die Kassen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dank des Pa-kets, das die beiden Damen auf der Regierungsbank inden Koalitionsverhandlungen geschlossen haben, sehrzuversichtlich, dass wir auch nächstes Jahr am 8. Märzweitere Verbesserungen berichten können. Ich bin sehrzuversichtlich und sage deshalb: Das Glas ist nicht halbleer, sondern halb voll.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/763 und 18/773 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Rentenniveau anheben, Leistungen verbes-
sern und die wesentlichen Ursachen für sin-
kende Renten und Altersarmut bekämpfen
Drucksache 18/767
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsauschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Vollständige Gleichstellung und gerechte Fi-
nanzierung der Kindererziehungszeiten in
der Rente umsetzen – Mütterrente verbessern
Drucksache 18/765
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Birkwald hat
zunächst das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Seit Mitte Januar gibt es einen Entwurf der Bun-desregierung für das Rentenversicherungs-Leistungsver-besserungsgesetz. Seitdem wird darüber diskutiert. Man-che Menschen glauben sogar, dass das, was drinsteht,schon beschlossen sei. Dem ist aber gar nicht so. Weil esnur und ausschließlich einen Gesetzentwurf der Bundes-regierung gibt, findet die erste Lesung noch nicht einmalim Bundestag statt, sondern im Bundesrat. Und wann?Heute. Weil das so ist und weil wir Linken sagen: „Die-ses Rentenpaket muss auch im Deutschen Bundestagdiskutiert werden“, haben wir unsere Anträge einge-bracht, die wir heute beraten.Mit diesen Anträgen werden wir Ihnen unsere linkenAlternativen darstellen. Ich will auch mit Kritik nichtsparen. Damit fange ich einmal an.
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1662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Matthias W. Birkwald
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Man kann sagen: Ja, es gibt Leistungsverbesserungen,die ersten in der Rente seit 1977. Das will ich durchausanerkennen. Aber insgesamt muss man schon sagen,dass Ihr Rentenpaket nach dem Motto gestrickt ist: Man-ches wird besser, aber nichts wird gut. Warum? Das Al-lerwichtigste, das repariert werden muss, fehlt nämlichin Ihrem Rentenpaket. Das ist der Punkt, dass das Ren-tenniveau dringend wieder angehoben werden muss.
Seit dem Jahr 2000 sinkt das Rentenniveau. Damalslag es noch bei 53 Prozent. Das sicherte den Lebensstan-dard im Alter. Heute liegt es bei 47,9 Prozent, und, wennnichts geändert wird – so steht es schon im Gesetz –,wird das Rentenniveau bis auf 43,7 Prozent im Jahr 2030sinken. Das heißt, alle Ihre schönen Verbesserungen,Frau Staatssekretärin, werden durch das sinkende Ren-tenniveau, gegen das Sie nichts tun, wieder aufgefressen.Deswegen sage ich: Das Rentenpaket enthält Schritte indie richtige Richtung, aber es ändert nichts an dem zen-tralen Problem, und das ist falsch.
Wer im Jahr 2001 eine Rente von 1 000 Euro hatte, wird,wenn sich nichts ändert, bei einem Rentenbeginn im Jahr2030 nur 810 Euro Rente bekommen. Das ist das Pro-blem. Deswegen müssen wir eine wirkliche Renten-reform machen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, reichtnicht.Der zweite Punkt. Sie haben die Rente ab 63 vorge-schlagen. Dazu sage ich Ihnen: Auch das ist zwar einSchritt in die richtige Richtung, aber so, wie Sie es vor-geschlagen haben, ist es eine Mogelpackung. Viele Men-schen wissen ja überhaupt nicht, dass die Rente ab 63nach diesem Gesetzentwurf nur für anderthalb Jahrgängevorgesehen ist, nämlich für die Menschen, die 1952 ge-boren sind, sowie für die Menschen, die ab Juli 1951 ge-boren sind. Für alle anderen Menschen gilt die Rente ab63 nicht. Sie müssen mit mehreren Monaten mehr rech-nen. Wenn sie im Jahr 1964 oder später geboren wurden,dann gilt für sie die Rente ab 65. Das ist also eine Mo-gelpackung. Insgesamt profitieren auch viel zu wenigMenschen davon. Nach den Aussagen der Bundesregie-rung sind es nur 50 000 zusätzlich. Das reicht nicht.
Wer 45 Jahre hart gearbeitet hat, hat ein Recht auf eineanständige Rente und auf den Ruhestand.
Sie diskutieren außerdem allen Ernstes darüber, dassZeiten der Arbeitslosigkeit bei der Berechnung derRente ab 63 nicht zählen sollen. Ja, Sie sagen: Okay,Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I zählen wirdazu, aber Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe re-spektive Zeiten von Hartz IV zählen wir nicht dazu. Ichfrage Sie jetzt: Was ist denn der Unterschied zwischeneinem Maurer, der einmal vier Jahre am Stück arbeitslosgewesen ist und demzufolge auch Arbeitslosenhilfe-oder Hartz-IV-Zeiten hatte, und einem Maurer, der vier-mal ein Jahr arbeitslos gewesen ist? Die Lebensleistungist aus meiner Sicht die gleiche. Deswegen sagen wirLinken: Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei derBerechnung der Rente ab 63 bzw. ab 65 berücksichtigtwerden.
Im Übrigen ist 63 schon viel zu spät. Es gibt eineneue Studie vom Institut Arbeit und Qualifikation derUniversität Duisburg-Essen. In einem Artikel dazu mitder Überschrift: „Vor der Ziellinie ausgebrannt“ steht– ich will Ihnen ein kurzes Zitat nennen –:Schlechte Karten, bis zur Regelaltersgrenze im an-gestammten Beruf arbeiten zu können, haben dem-nach Bauarbeiter, was wenig überrascht, zudemaber auch Menschen in Textil- und Bekleidungs-berufen, in der Holz- und Kunststoffverarbeitung,Hilfsarbeiter, Polsterer, Maschinisten, Warenprü-fer, Versandfertigmacher und Ernährungsberufe.Die Mehrheit von ihnen scheidet noch vor dem60. Geburtstag aus ihrem Beruf aus.Bauarbeiter sind im Durchschnitt 57,6 Jahre alt, wennsie aufhören, zu arbeiten, Krankenschwestern 60,9 Jahre.Das zeigt: Selbst diese Berufe haben keine Chance, dieRente ab 63 zu erreichen.Deswegen sagen wir Linken: Wer 40 Jahre lang gear-beitet hat, soll die Chance haben, ab 60 abschlagsfrei inRente zu gehen. Das wäre sozial und gerecht.
Das ist ein guter Vorschlag. Was würde seine Umsetzungbedeuten? Es würde bedeuten, dass ein Fliesenleger, dermit 20 Jahren angefangen hat, auf den Knien auf demFußboden herumzurutschen, und eine Altenpflegerin,die 40 Jahre lang Patienten geschleppt hat, endlich ab60 in Rente gehen dürften. Das wäre völlig richtig. Des-wegen sagen wir: Wir müssen insgesamt die Rente erstab 67 wieder abschaffen.
Denn alle anderen, die nicht 40 oder 45 Beitragsjahre ha-ben, schaffen noch nicht einmal das. Die Rente erst ab67 ist eine gigantische Rentenkürzung. Sie zu beseitigen,würde Durchschnittsverdienende nur 7,26 Euro kosten.Ich habe keinen gefunden, der das nicht machen will.Deswegen: Weg mit der Rente erst ab 67!
Jetzt will ich noch etwas zur Mütterrente sagen. Der-zeit kriegt eine Frau, die ein Kind vor 1992 geboren hat,für dieses Kind im Westen 28,14 Euro und im Osten25,74 Euro auf dem Rentenkonto gutgeschrieben. Ichbitte Sie! 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sind Kinderauf dem Rentenkonto in Ost und West unterschiedlichviel wert? Das ist absolut nicht akzeptabel. Wir wollenden vollen Satz für alle Kinder, egal ob sie in Köln oderin Leipzig oder in Dresden geboren worden sind.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1663
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(B)
Kollege Birkwald, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss und
sage noch: Die Mütterrente muss aus Steuermitteln
finanziert werden.
Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, und diese darf nicht allein den Beitragszahlern
und Beitragszahlerinnen übergeholfen werden.
Es darf nicht sein, dass die Sprechstundenhilfe für ihren
Arzt die Mütterrente finanziert; der ist nämlich im Ver-
sorgungswerk.
Das sagt nicht nur die Linke; das sagen eigentlich fast
alle Fachleute. Das Beispiel gerade ist vom Präsidenten
der Deutschen Rentenversicherung. Hören Sie auf ihn!
Wir brauchen insgesamt eine Rente, von der man le-
ben kann, die vor Altersarmut schützt und den Lebens-
standard sichert.
Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Albert
Stegemann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Lieber Kollege Birkwald, in Ihrem Antrag be-teuern Sie, dass Sie das Rentenniveau anheben, Leistun-gen verbessern und die wesentlichen Ursachen für sin-kende Renten und die Altersarmut bekämpfen wollen.Durch eine nur ganz leichte Abänderung des Titels IhresAntrags hätten Sie sicherlich mehr Zustimmung in derRegierungskoalition bekommen. Hätten Sie den Titel Ih-res Antrags doch nur wie folgt formuliert: Rentenniveaukünftiger Generationen anheben, Leistungen verbessernund die wesentlichen Ursachen für zukünftig sinkendeRenten bekämpfen – dann wären wir deutlich näher bei-einander gewesen.
Und dennoch: Ihr Antrag geht in die vollkommen fal-sche Richtung. Eine sofortige Anhebung des Renten-niveaus hätte unweigerlich zur Folge, dass wir schonkurzfristig die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversiche-rung massiv anheben müssten. Die daraus resultierendenLohnkostensteigerungen wären gewiss kein Beitrag zurWettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Damit nicht genug: Sie gefährden mit Ihrem Antrag dieGrundlage unserer momentan guten Situation und grei-fen zugleich in die Taschen der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer.Womit begründen Sie den vorliegenden Antrag? Sieverweisen auf das Argument der vorherrschenden Al-tersarmut. Schauen wir uns hier einmal die Faktenlagean: Im Jahr 2013 waren in der Bundesrepublik Deutsch-land 2,5 Prozent der Menschen über 65 Jahre auf Grund-sicherung angewiesen.
Jeder Einzelne ist einer zu viel.
Zum Vergleich: Im Jahr 2003 lag dieser Wert noch bei1,7 Prozent. Leider ist davon auszugehen, dass sich diehier aufgezeigte Entwicklung fortsetzen wird. Dennochkann in diesem Zusammenhang heute keineswegs voneinem Massenphänomen die Rede sein. Das ist Teil derdemografischen Herausforderung.Die Wahrscheinlichkeitsszenarien der DeutschenRentenversicherung zeigen deutlich, wohin die Reisegeht. Bis 2030 bleiben die Beitragssätze und das Renten-niveau zwar im langfristig angepeilten Korridor;dennoch können wir die Entwicklung für unsere Alters-sicherung nicht ausblenden. Deshalb ist es von entschei-dender Bedeutung, mit Augenmaß zu handeln. Dennwenn etwas verteilt werden soll, muss es zuerst auch er-wirtschaftet werden. Nach diesem Prinzip handelt dieRegierungskoalition.
Wir sorgen mit unserem Gesetzentwurf für eine deut-liche Besserstellung vieler Rentnerinnen und Rentner inunserem Land. Weil circa 42 Millionen Menschen in Ar-beit sind – das ist Beschäftigungsrekord –, haben sichdie Kassen der Rentenversicherung in den letzten Jahrensehr gut gefüllt. Mit der Mütterrente, mit den Verbesse-rungen bei der Erwerbsminderungsrente, mit dem zu-sätzlichen Rehabudget und mit der Rente für besonderslangjährig Versicherte sollen jene von der guten Lageprofitieren, die diesen Zustand maßgeblich mit herbeige-führt haben, egal ob sie nun in der Erwerbstätigkeit ihreFrau oder ihren Mann gestanden haben oder ob sie dieFamilie zusammengehalten und hier ihre Arbeit verrich-tet haben.
Mit dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition gehenwir einen großen Schritt nach vorn, um die bestehendenGerechtigkeitslücken für jene zu schließen, die bereits
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1664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Albert Stegemann
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ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Finanzierungüberhaupt erst möglich ist.Die Tatsache, dass wir im kommenden Jahr erstmalsseit 1969 wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushaltvorlegen können, womit wir einen aktiven Beitrag zurGenerationengerechtigkeit leisten, ist auch dem Um-stand geschuldet, dass die Finanzierung des Rentenpa-ketes auch die Mittel mit einbezieht, die sich bereits inder Rentenversicherung befinden. Welche schwäbischeHausfrau würde sich denn zulasten künftiger Generatio-nen verschulden, obwohl sie noch Bares unter demKopfkissen hat?
Was aber fordern Sie? Sie fordern die Anhebung desSicherungsniveaus von 48 auf 53 Prozent, ein Zurückzur Rente mit 65, die abschlagsfreie Erwerbsminde-rungsrente mit einem zusätzlichen Jahr, die Anerken-nung von ALG-II-Zeiten bei der Rente mit 63, eine voll-ständige Angleichung der Mütterrente. Den Wunschnach einer Rente mit 60 möchte ich gar nicht erst zuEnde denken. Insgesamt macht dies über 45 MilliardenEuro aus. Ihre Forderungen erinnern mich an die RaupeNimmersatt, die sich durch unser aller rentenpolitischeZukunft frisst.
Sie tun ja gerade so, als ob es überhaupt kein Morgengäbe. Angesichts der Altersstruktur Ihrer Partei
fange ich zwar an, Verständnis für Ihre Forderungen zuentwickeln; aber wenn Sie etwa ein Siebtel des Bundes-haushaltes für zusätzliche Rentenversprechen ausgebenwollen, dann müssten Sie gleichzeitig eine neue Defini-tion für den Begriff der Verhältnismäßigkeit mitliefern.Mit anderen Worten: Wer, bitte schön, soll das bezahlen?Zum Schluss möchte ich auf Ihre Forderung nach ei-ner sofortigen Gleichstellung der Kindererziehungszei-ten eingehen. Im Grunde genommen ist es ja in Ord-nung, wenn die Linke der Union darin zustimmt, dass eseine bessere Würdigung der Erziehungszeiten in derRente für Mütter geben muss, die ihre Kinder vor 1992geboren haben. Aber denken Sie doch bitte nicht nur andie Mütter, sondern auch an die Kinder! Werte Kollegenvon der Fraktion Die Linke, machen Sie doch bitte lieberVorschläge, die auch für die Arbeitnehmer von heuteund Rentner von morgen hilfreich sind.Deshalb muss ich Ihre Anträge nicht nur als kontra-produktiv bezeichnen; nein, als Vertreter auch der jun-gen Generation muss ich leider sagen: Ihre Anträge sindabsolut unverantwortlich.
Kurzsichtige Wohltaten sind wir von Ihrer Partei ge-wohnt. Dafür jedoch die Zukunft der Rentenversiche-rung aufs Spiel zu setzen, werden wir nicht hinnehmen.Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen.Vielen Dank.
Herzlichen Glückwunsch, Kollege Stegemann, zu Ih-
rer ersten Rede!
Jetzt hat der Kollege Markus Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich bin der Fraktion DieLinke dankbar dafür, dass sie den TagesordnungspunktRente aufgesetzt hat.
Das gibt uns zum einen die Gelegenheit, über ge-rechte Finanzierung der Rente, über Altersarmut und Er-werbsminderungsrente zu sprechen; denn das sind diewesentlichen rentenpolitischen und sozialpolitischenHerausforderungen, bei deren Bewältigung die GroßeKoalition erwartbar scheitern wird.
Zum anderen dürfen wir das besondere Schauspielbewundern, wie die CDU/CSU genau nach dem Musterder Partei Die Linke Politik macht: viel Geld in die Handnehmen, es mit der Gießkanne verteilen und sich nichtum die Finanzierung scheren.
Der entscheidende Unterschied zur Fraktion Die Linkeist allerdings, dass Letztere die Summen nur aufs Papierschreibt, weil sie nicht regiert, wohingegen die Uniondiese Großausgaben tatsächlich tätigt. Deswegen, HerrStegemann, wäre ich vorsichtig, die Backen so dick auf-zublasen und anderen unseriöse Finanzierung vorzuwer-fen.
Ihre Politik folgt dem Motto „Nach uns die Sintflut!“ miteinem Rentenpaket, das bis zum Jahr 2030 zusammen-genommen deutlich mehr als 160 Milliarden Euro kos-tet. Trotz des vielen Geldes bringen Sie es nicht fertig,die Armut durch Erwerbsminderung und die Altersarmutwirksam zu bekämpfen.
Herr Schäuble hat sich in dieser Woche selbst für dieAussicht gefeiert, im Jahr 2015 einen ausgeglichenenBundeshaushalt vorzulegen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1665
Markus Kurth
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Sie haben das jetzt noch einmal wiederholt. Dabei istIhre Haushaltsplanung, meine Damen und Herren vonder Koalition, eine Mogelpackung ersten Ranges.
Egal welche Bundesregierung nach Ihnen kommen wird:Sie muss allein im Bereich Rente ab 2018 mit einer zu-sätzlichen Kostenbelastung von 10 Milliarden Euro proJahr umgehen. Die versprochene Entlastung der Kom-munen bei der Eingliederungshilfe um 5 Milliarden Eurojährlich haben Sie auch kurzerhand auf das Jahr 2018verschoben. Damit reden wir dann schon über eineFinanzierungslücke von insgesamt 15 Milliarden Europro Jahr.Halten wir fest: Diese Regierung schafft es nicht ein-mal, die unter der Überschrift „Prioritäre Maßnahmen“im Koalitionsvertrag genannten Finanzhilfen für dieKommunen umzusetzen –
und das, obwohl Sie das ausdrücklich vom Finanzie-rungsvorbehalt ausgenommen haben.Nun steht die geplante Maßnahme gegen Altersarmut,die sogenannte Lebensleistungsrente, unter jenem Finan-zierungsvorbehalt. Wissen Sie, was das im Klartextheißt? Das sollen auch die Bürgerinnen und Bürger wis-sen: Es wird in dieser Legislaturperiode keine Maßnah-men zur Bekämpfung von Altersarmut mehr geben.Wenn Sie es doch ernst meinen sollten, dann müsstenSie die Steuern erhöhen.Das werfe ich Ihnen insgesamt vor: Im Wahlkampfhaben Sie sich hingestellt und gesagt: „Wir erhöhenkeine Steuern“, um direkt nach der Wahl in die Taschender Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu greifenund die Steuern der kleinen Leute – das sind nämlich dieSozialversicherungsbeiträge – zu erhöhen.Meine Damen und Herren von der Koalition, das, wasSie zur Bekämpfung der Altersarmut aufzubieten gehabthätten, wäre sowieso mehr als dürftig gewesen. AufNachfrage von mir, wie viele Personen und wer dennüberhaupt in den Genuss der sogenannten Lebensleis-tungsrente kommt, hat diese Bundesregierung geantwor-tet: Weniger als 1 Prozent der Rentnerinnen und Rentnerwürden davon profitieren.Wir als Bündnis 90/Die Grünen wollen mit einer Ga-rantierente für langjährig Versicherte sicherstellen, dassAltersarmut wirksam bekämpft wird. Wir haben die Ga-rantierente so ausgestaltet, dass gerade Frauen einen Zu-gang dazu haben,
und wir finanzieren sie über Steuern. Das ist nachhaltigeSozialpolitik.
Nicht nur bei der Bekämpfung von Altersarmut sindSie von der Koalition im Begriff, zu versagen. Auch IhreVorschläge zur Verbesserung der Erwerbsminderungs-renten sind unzureichend. Das, Herr Weiß, sieht ja mitt-lerweile auch der Arbeitnehmerflügel der Union so.Herr Weiß, als CDA-Mitglied haben Sie gesagt, diesozialpolitisch vordringlichste Aufgabe sei jetzt die Ver-besserung bei den Erwerbsminderungsrenten. Ichstimme Ihnen absolut zu.
Ich stimme dem Arbeitnehmerflügel der Union auch zu,wenn er fordert, das Rentenpaket wieder aufzuschnüren.Auch Herr Schiewerling als Sprecher der ArbeitsgruppeArbeit und Soziales der Union hat sich dieser Sache jaangeschlossen.
Das sind die Punkte, bei denen man handeln muss.Ich freue mich, dass auch Sie das, was wir schon seitlängerem sagen, jetzt erkennen und nachvollziehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass derGesetzentwurf der Koalition bald zur ersten Lesung hierins Plenum eingebracht wird. In der nächsten Wochescheint das noch immer nicht der Fall zu sein. Vielleichtgehen Sie ja noch einmal in sich und verbessern ihn.
Dann können wir hoffentlich sachlich und ruhig gemein-sam über die sozialpolitisch dringendsten Punkte disku-tieren.Danke schön.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin
Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! LiebeKolleginnen und Kollegen der Linkspartei, Sie habenmit Ihren Anträgen wunderschöne Forderungen insSchaufenster gestellt. Nun stehen sie im Schaufenster,und keiner kann sie kaufen.
Während Sie das Schaufenster bestücken, stellen wiruns an die Werkbank und erreichen konkrete und hand-feste Verbesserungen für die Menschen.
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1666 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dagmar Schmidt
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Wir kennen ja das alte Spiel: Die Linkspartei fordert im-mer eins mehr als die Sozen. Wir fordern aber eben nichtnur, sondern wir setzen auch konkrete Verbesserungenum, von denen die Menschen am Ende etwas haben.
Zum Beispiel die Rente mit 63. Herr Müller aus mei-nem Nachbarort, 62 Jahre alt, hat direkt nach der Schulemit 15 Jahren im Elektrohandwerksbetrieb angefangen.Er hatte im Laufe der Zeit verschiedene Jobs, musste im-mer wieder zwischen verschiedenen Handwerksbetrie-ben wechseln, war kurz arbeitslos und ist am Ende beieiner Brauerei als Monteur für Theken und Wirtshaus-schilder mit allem, was dazugehört, gelandet. Er ist heil-froh, dass es jetzt bald vorbei ist. Er ist zwar nicht krank,aber die Leiter hoch- und runterzusteigen und über Kopfzu montieren, funktioniert nicht mehr wirklich gut. HerrMüller kann dank uns zwei Jahre früher mit 63 Jahrenabschlagsfrei in Rente gehen, zwei Jahre, in denen ernicht mehr auf der Leiter stehen und über Kopf montie-ren muss. Er freut sich darauf. Das ist richtig und gut so.Das hat er sich verdient.
Frau Götze hat als Erzieherin gearbeitet, bis sie auf-grund einer psychischen Erkrankung nicht mehr weiter-arbeiten konnte. In Hessen verdient sie als Erzieherin1 827 Euro. Mit unserem Gesetz zur Anhebung der Zu-rechnungszeit um zwei Jahre wird sie 40 Euro mehr proMonat bekommen. Das sind 600 Euro im Jahr, die ihreLebenssituation real verbessern.
Frau Gerber hat 1978 eine Tochter und 1982 Zwillingegeboren. Bisher erhält sie als Anerkennung ihrer Erzie-hungsarbeit 1 008 Euro jährlich. Ab diesem Sommer sindes 2 016 Euro. Diese 1 008 Euro mehr stehen nicht imSchaufenster, sondern auf ihrer Rentenmitteilung. Dasist der entscheidende Unterschied.
Sie stellen für Frau Gerber 2 016 Euro mehr insSchaufenster; wir sorgen dafür, dass Frau Gerber1 008 Euro mehr bekommt. Mit Frau Gerber werden9,5 Millionen andere Frauen und auch ein paar Männerdiese konkreten Verbesserungen noch in diesem Jahr aufihren Kontoauszügen lesen können. Das ist richtig, unddas ist gut so.
Eines ist aber auch klar: Wir können nicht alle Pro-bleme über Reformen im Rentensystem lösen. Vielmehrbrauchen wir in der Zukunft zur Vermeidung von Alters-armut und für Renten, von denen man anständig lebenkann, Ordnung am Arbeitsmarkt.
Frau Kollegin Schmidt, gestatten Sie eine – –
Nein.
Ab dem 1. Januar 2015 wird es einen flächendecken-
den gesetzlichen Mindestlohn geben, damit es endlich
eine Anstandsgrenze nach unten gibt, die dem
Lohndumping ein Ende bereitet. Mit der Regelung durch
Tarifverträge bis 31. Dezember 2016 haben wir schon
jetzt erreicht, dass es in Zukunft eine höhere Tarifbin-
dung und weniger tarifvertragsfreie Bereiche und Regio-
nen gibt. Auf diese Weise verbessern wir die Situation
der Frauen am Arbeitsmarkt; heute ist dazu schon reich-
lich gesprochen und diskutiert worden. Dies erreichen
wir durch Maßnahmen zur Durchsetzung von Entgelt-
gleichheit, durch einen Rechtsanspruch auf befristete
Teilzeit und durch die Erleichterung der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf.
Für den Ausbau von Kitas, Schulen und Hochschulen
nehmen wir unter anderem 6 Milliarden Euro in die
Hand. Wir unterstützen parallele Teilzeitarbeit und Kin-
dererziehung für Mutter und Vater, sodass beide Eltern-
teile arbeiten und Zeit mit ihrem Kind verbringen kön-
nen. Wir verbessern die Vereinbarkeit von Pflege und
Beruf, sodass vor allem Frauen nicht dauerhaft aus dem
Beruf aussteigen müssen. Zu unseren Maßnahmen gehö-
ren die Rente mit 63, eine bessere Anerkennung der Kin-
dererziehung, die Verbesserung der Erwerbsunfähig-
keitsrente durch Verlängerung der Zurechnungszeiten
und die sogenannte Günstigerprüfung, die eine Ver-
schlechterung durch die Berücksichtigung der letzten
vier Jahre verhindert, sowie die Verbesserung der Situa-
tion von Frauen und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
eigentlich müssten Sie über Ihren Schatten springen und
sagen: Frau Nahles, Frau Schwesig, liebe SPD, das habt
ihr toll gemacht;
so viel hätten wir mit der CDU und CSU nicht erreicht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention
erteile ich jetzt dem Kollegen Matthias W. Birkwald,
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Schmidt, Siehaben eben über die Erwerbsminderungsrente und dievon Ihnen vorgeschlagenen Verbesserungen gesprochen.All diese Verbesserungen – das will ich noch einmal sa-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1667
Matthias W. Birkwald
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gen – gehen auch aus der Sicht der Linken in die richtigeRichtung. Aber – Sie müssen jetzt sehr tapfer sein – dieChristlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft überholtSie da links. Der Kollege Peter Weiß und der Staats-sekretär Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender derChristlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, habenein Papier mit dem Titel „Erwerbsminderungsrente ver-bessern“ vorgelegt. Darin schreiben sie:Mit den geplanten Neuregelungen werden Erwerbs-minderungsrenten durchschnittlich um monatlich40,– € angehoben. Angesichts der sinkenden Er-werbsminderungsrenten ist dies eine eher beschei-dene Korrektur.
Ich mache das nicht oft, aber ich stimme den Kolle-gen von der Union in diesem Fall zu. Die beiden machenzwar auch Vorschläge, die ich nicht teile. Aber CDA undLinke haben gemeinsam das Ziel, die Erwerbsminde-rungsrente so zu verbessern, dass die Menschen etwasdavon haben.Die durchschnittliche Höhe einer vollen Erwerbsmin-derungsrente lag im Jahr 2012 bei nur 646 Euro. Das be-deutet: Wenn jetzt 40 Euro dazukommen, dann werdenviele Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner da-von überhaupt nichts haben, sondern dieses Geld wirdihnen bei der Grundsicherung wieder abgezogen. Des-wegen sagen wir Linken: Die Abschläge müssen weg.Denn sie betragen im Durchschnitt über 77 Euro, undfast alle Betroffen, über 96 Prozent von ihnen, müssensie tragen. Wenn die Abschläge abgeschafft würden,dann hätten die Menschen, die ja nicht freiwillig krankgeworden sind, auch etwas davon. So muss man aber sa-gen: Sie sind zu kurz gesprungen. Gut gewollt ist nochnicht gut gemacht.Danke schön.
Frau Kollegin Schmidt.
Es wäre schön gewesen, wenn sich die CDA vor den
Koalitionsverhandlungen etwas lauter dazu geäußert
hätte. Denn es war immer auch unser Wille als SPD, bei
den Erwerbsminderungsrenten mehr zu tun. Es war auch
unser Wille – das ist ja kein Geheimnis –, dass die Müt-
terrente über Steuern finanziert wird. Nun haben wir mit
CDU und CSU den Kompromiss geschlossen, dass dem
nicht so ist. Das hat unsere Möglichkeiten hier etwas
eingeschränkt. Aber das waren erste Schritte in die rich-
tige Richtung. Es freut mich, dass Sie das anerkannt ha-
ben.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist
Frau Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Das klingt ja alles ziemlichtoll, was Sie von der Linkspartei in Ihren beiden Anträ-gen schreiben:
Rentenniveau erhöhen, Rente mit 67 abschaffen, Leis-tungen bei der Mütterrente verdoppeln, Erwerbsminde-rungsrente weiter anheben und Deckelung der Rehaleis-tungen aufheben. Die Liste Ihrer Forderungen ist üppig.Doch zwei ganz wesentliche Dinge fehlen in Ihren Aus-führungen, nämlich der Blick für die Wirklichkeit undder Sinn für Gerechtigkeit.
Viel zu kurz kommen nämlich die Interessen derer,die ungefähr so alt sind wie ich oder jünger: die Interes-sen der – ich nenne sie jetzt einmal so – Generation 40minus. Wir haben uns als Koalition vorgenommen, dieRentenleistungen für die Menschen in unserem Land zuverbessern und das Rentensystem gerechter zu gestalten.Wir wollen deshalb eine bessere Absicherung der Er-werbsgeminderten. Denn – da sind wir uns einig – weraus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr oder nichtmehr so viel arbeiten kann, muss solidarisch unterstütztwerden. Das wird er von uns auch, und zwar mehr, als esbisher der Fall war.Auch die Anhebung des Rehabudgets, angepasst andie demografische Entwicklung, setzt genau da an, wodas Geld gebraucht wird. Außerdem möchten wir dieLeistungen der Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet,Beiträge gezahlt und die Rentenversicherung dadurchmaßgeblich unterstützt haben, mehr als bisher anerken-nen.
Deshalb haben wir uns für die sogenannte Rente mit 63entschieden, aus der – das ist mir persönlich ganz wich-tig – bis zum Jahr 2029 schrittweise eine Rente mit 65werden wird.
Einen mindestens ebenso großen Anteil am Funktio-nieren unseres Rentensystems haben Eltern, die Kinderzur Welt gebracht und großgezogen haben. Die Erzie-hungsleistung, die gerade früher ganz überwiegend vonFrauen erbracht worden ist, wird seit 1992 rentenrecht-
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1668 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dr. Astrid Freudenstein
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lich umfassend anerkannt. Was aber auch damals nie-mand wollte, ist eine offene Benachteiligung der Frauen,die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben.Die jetzige Regelung – das haben wir erkannt – wirdvon vielen als ungerecht empfunden. Wir haben deshalbim Koalitionsvertrag vereinbart, diese Gerechtigkeitslü-cke zu schließen. Wie bei allen Fragen, bei denen es umGerechtigkeit geht, kann es auch hier nur eine Annähe-rung an das Ideal geben. Mit dem vom Bundeskabinettbeschlossenen Gesetzentwurf kommen wir diesem Idealaber – da bin ich ganz sicher – schon ein gutes Stück nä-her.
Die Erziehungsleistung soll mit einem zusätzlichenEntgeltpunkt in der Alterssicherung berücksichtigt wer-den. Diese Verbesserung bei der Mütterrente ist wegender guten finanziellen Situation der Rentenversicherungund der vorhandenen Mittel aus dem Zuschuss des Bun-des möglich und verantwortbar.
Von dem zusätzlichen Entgeltpunkt profitieren geradedie Frauen, die immer in der Familie gearbeitet haben,aber meist eben nicht oder zumindest nicht durchgängigerwerbstätig waren. Das sind heute tragischerweise die,die überdurchschnittlich oft von Altersarmut betroffensind. Die bessere Mütterrente, wie sie unsere Koalitionvorsieht, greift hier also genau an der richtigen Stelle.Sie ist die gerechteste der derzeit möglichen Lösungen.
Eine Gleichheit der Leistungen ist nämlich nicht immergleich Gerechtigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegender Linkspartei, auch wenn das jetzt Ihrem egalitaristi-schen Denken widersprechen mag.Lassen Sie mich dafür zwei Gründe nennen:Erstens. Der von Ihnen angenommene Nachteil fürMütter und Väter, die vor 1992 ein Kind bekommen underzogen haben, wird nicht nur durch diesen einen zusätz-lichen Entgeltpunkt eingeebnet, sondern auch durch dieRentenreformen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.Jüngere Mütter und Väter müssen wegen des demografi-schen Wandels in Zukunft ohnehin bereits mit einemniedrigeren Rentenniveau und einer längeren Lebensar-beitszeit rechnen. Damit sind nur einige der Unter-schiede genannt. Es ist also mitnichten so, dass die jun-gen Frauen alles in allem besser gestellt wären als unsereMütter.
Zweitens. Das entscheidende Argument ist – das ha-ben die Kollegen schon erwähnt – das der Finanzierbar-keit und damit der Generationengerechtigkeit. Die Kos-ten würden sich bei der Umsetzung Ihrer Pläne zurMütterrente verdoppeln. Jedes Jahr würde das mit6,5 Milliarden Euro Mehrkosten zu Buche schlagen,Kosten, die von den jungen Menschen geschultert wer-den müssten. Ich glaube noch nicht einmal, dass die heu-tige Müttergeneration eine solche Belastung für ihreKinder wollen würde.Es ist ja die jüngere Generation, die die besonderenHerausforderungen des demografischen Wandels in denGriff bekommen muss. Zu Beginn der umlagefinanzier-ten Rente in den 50er-Jahren waren es noch vier Er-werbstätige, die einen Rentner oder eine Rentnerin mitfi-nanzierten. 1990 war das Verhältnis etwa drei zu eins. ImJahre 2030 werden es je nach Berechnungen höchstensein bis zwei Erwerbstätige pro Rentner sein.Liebe Kollegen der Linkspartei, Sie konterkarierenmit Ihren Anträgen die Realität des demografischenWandels
und zeigen, mit Verlaub, reichlich wenig Gespür für Ge-nerationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Die Finanzierungsvorschläge in Ihren Anträgen sindnicht nur vage; sie sind schädlich und belastend für unserMiteinander. Erzählen Sie also den Menschen an den In-foständen von Ihren Rentenplänen. Seien Sie aber auchso fair und sagen Sie ihnen, dass Sie dafür die Renten-beitragssätze natürlich für alle anheben werden und dassSie dann die Steuern so richtig saftig erhöhen werden,und zwar so, dass es nicht nur die oberen Zehntausendspüren werden. Sagen Sie vor allem den Jüngeren, diebei Ihnen vorbeikommen, dass sie es sein werden, diedas bezahlen werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Frau Dr. Freudenstein, das war Ihre
erste Rede hier im Parlament. Herzlichen Glückwunsch
dazu.
Jetzt erteile ich dem Kollegen Dr. Rosemann, SPD-
Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sozialdemo-kratische Rentenpolitik verfolgt zwei Ziele: erstens dieVerhinderung von Altersarmut und zweitens die Siche-rung des Lebensstandards und die Anerkennung der Le-bensleistungen jedes und jeder Einzelnen.Genau da, Herr Kollege Kurth, bei diesem zweitenPunkt, liegt der Unterschied zu Ihnen. Die rentenpoliti-schen Beiträge der Grünen in den vergangenen Wochenund Monaten beschränkten sich allein auf das ThemaRente als Sozialleistung und Verhinderung von Altersar-
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mut. Das Thema Anerkennung von Lebensleistung spieltbei Ihren Beiträgen keine Rolle.
Wir als SPD haben zu diesen beiden Zielen in der ver-gangenen Legislaturperiode ein umfassendes Renten-konzept vorgelegt. Dieses Rentenkonzept war auch dieGrundlage für unsere Verhandlungen mit unserem Koali-tionspartner. Dementsprechend finden sich zentrale Eck-punkte auch im Koalitionsvertrag und in dem jetzt vor-gelegten ersten Rentenpaket wieder.Mit dem Ziel der Verhinderung der Altersarmut ver-bessern wir die Situation von Erwerbsminderungsrentne-rinnen und Erwerbsminderungsrentnern. Wir werden diesolidarische Lebensleistungsrente einführen,
und wir gestalten das Rehabudget demografiegerechtaus, damit Menschen – immer nach dem Motto „Rehastatt Rente“ – länger im Arbeitsleben bleiben können.
Mit dem Ziel der besseren Anerkennung von Lebens-leistungen verbessern wir die Anrechnung von Kinderer-ziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder. Mit demgleichen Ziel ziehen wir auch den vorzeitigen abschlags-freien Rentenzugang für langjährig Versicherte vor.Meine Damen und Herren, genau damit werden Leis-tungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aner-kannt, die sehr früh – mit 15, 16 oder 17 Jahren – ins Be-rufsleben eingestiegen sind und die dann in der Folgebesonders lange und meist auch körperlich hart gearbei-tet haben. Herr Kollege Birkwald, davon profitierennicht 50 000, wie Sie es dargestellt haben, sondern200 000 Menschen in jedem Rentenjahrgang,
weil bereits heute rund 150 000 der Anspruchsberechtig-ten – allerdings mit Abschlägen – vorzeitig in Rente ge-hen.
– Ja, aber auch diese 150 000 profitieren von der Neure-gelung.Zudem findet sich im Koalitionsvertrag auch die Be-rücksichtigung von Zeiten kurzfristiger Arbeitslosig-keit, um diesen Rentenzugang für langjährig Versichertezu ermöglichen. Warum machen wir das? Wir wollennicht, dass Menschen, die krisenbedingt kurzfristig ar-beitslos waren und trotzdem ihr Leben lang ihre Leistun-gen gebracht und sich finanziell an dem System beteiligthaben, am Ende nicht in den Genuss der abschlagsfreienRente kommen. Das gilt für die Vergangenheit, vor al-lem für Menschen, die Opfer regionaler Strukturkrisen,beispielsweise in Ostdeutschland, oder branchenabhän-giger Strukturkrisen wie im Bergbau oder Maschinenbauwaren.Das Gleiche gilt aber auch heute und in Zukunft, weilnach wie vor Krisen in unserem Land nicht ausgeschlos-sen sind und weil wir es heute mit einem Arbeitsmarktzu tun haben, in dem es nicht mehr üblich ist, 45 Jahrelang im gleichen Betrieb zu arbeiten, sondern in dem be-rufliche Wechsel an der Tagesordnung sind. Deshalb istdies auch ein Beitrag zu mehr Generationengerechtig-keit.
Meine Damen und Herren, mir ist bewusst, dassdurch die aufgezählten Schritte nicht alle Herausforde-rungen der Altersvorsorge in Deutschland bewältigt wer-den. Das gilt zunächst für die Herausforderung der An-gleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland.Dazu sage ich gerade mit Blick auf Ihren Antrag, liebeKolleginnen und Kollegen von der Linken: Es geht dabeinicht nur um punktuelle Angleichungen bei einzelnenMaßnahmen, sondern darum, die Rentensysteme in Ost-und Westdeutschland Schritt für Schritt zu harmonisie-ren und zusammenzuführen, wie wir das im Koalitions-vertrag gemeinsam verabredet haben.
Die noch viel größere Herausforderung ist aber ohneZweifel die Verschärfung des demografischen Problemsund der damit verbundene Druck auf das Rentenniveauin den Jahren nach 2030. Da, meine Damen und Herrenvon der Linken, fangen die Differenzen so richtig an. Siewollen zurück zur alten Frühverrentungslogik – wirnicht. Sie wollen die Erhöhung des gesetzlichen Renten-eintrittsalters dauerhaft zurücknehmen – wir nicht.
Die Gründe für diese Unterschiede sind offensicht-lich. Sie verschließen die Augen vor den demografi-schen Entwicklungen und den damit verbundenen He-rausforderungen für unser Rentensystem. Ich nenne nureine Zahl: 2010 lag der Altenquotient noch bei 33,7 Pro-zent. 2030 werden es über 50 Prozent sein.Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass wir auch wegendes Fachkräftebedarfs eine höhere ErwerbsbeteiligungÄlterer brauchen, damit wir unseren Wohlstand auch inZukunft sichern können.
Sie nehmen auch nicht zur Kenntnis, dass die Erwerbs-beteiligung Älterer bereits zunimmt. Die Erwerbstäti-genquote der 60- bis 65-Jährigen ist in den Jahren 2002
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Dr. Martin Rosemann
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bis 2012 von 23,7 auf über 46 Prozent gestiegen. Sie hatsich also mehr als verdoppelt.
Dieser Anstieg ist dreimal so hoch wie der Anstieg derErwerbstätigenquote insgesamt.
Meine Damen und Herren von der Linken, die Aus-blendung der Realität setzt sich auch bei Ihren Vorschlä-gen fort. Was diese kosten, will ich – ganz grob über-schlagen – allein für das Jahr 2030 darstellen: für dieGleichstellung der Kindererziehungszeiten 6 MilliardenEuro mehr, für die Verbesserung bei den Erwerbsminde-rungsrenten 4 Milliarden Euro, für die Erhöhung desRentenniveaus sage und schreibe 40 Milliarden Euro, fürdie Rücknahme der Rente mit 67 mindestens 5 Milliar-den Euro. Hinzu kommen Ausfälle bei Steuern und So-zialabgaben. Unter dem Strich kostet das allein für dasJahr 2030 rund 60 Milliarden Euro.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme gleich zum Ende. – Dabei ist Ihre Forde-
rung, nach 40 Beitragsjahren ab Vollendung des 60. Le-
bensjahres abschlagsfrei in Ruhestand zu gehen, noch
gar nicht berücksichtigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, an-
gesichts dieser Zahlen frage ich Sie: Wollen Sie wirklich
jemals Regierungsverantwortung in diesem Land über-
nehmen?
Herzlichen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Mit einem der heute diskutierten Anträge willdie Linke die Ursachen für Altersarmut bekämpfen. Dasist zumindest erklärtes Ziel. Beim Lesen folgt dann einAusflug in ein rentenpolitisches Schlaraffenland. DasRentenniveau soll dauerhaft um mindestens 5 Prozent-punkte auf 53 Prozent ansteigen.
40 Beitragsjahre sollen künftig genügen, um mit 60 Jah-ren abschlagsfrei in Rente zu gehen, und zusätzlich solldurch eine neue geförderte Altersteilzeit die Frühverren-tung vorangetrieben werden.
Jetzt fehlt mir leider die Redezeit, Ihnen darzulegen,inwiefern das Rentenniveau unserer demografischenEntwicklung geschuldet ist
und dass wir momentan alles andere als eine neue Früh-verrentungswelle brauchen. Doch lassen Sie mich einenzentralen Punkt aufgreifen.Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-regierung stellte fest: Die Hauptursache für Armut undauch Altersarmut sind Arbeitslosigkeit und insbesondereLangzeitarbeitslosigkeit. – Wenn wir also ernsthaft überdie Risiken von Armut sprechen wollen, dann brauchenwir Lösungen, die definitiv nicht in Ihren Anträgen zufinden sind und die nicht in teuren Versprechungen lie-gen, die nachfolgende Generationen zu finanzieren ha-ben.
Nur eine dauerhafte Beschäftigung kann Altersarmutvorbeugen.Der demografische Wandel zwingt uns dazu, das Ren-tenniveau abzusenken.
Das ist die richtige Antwort auf die über Jahrzehnte sin-kende bzw. stagnierende Geburtenrate und eine älterwerdende Gesellschaft. Was wäre unser Rentensystem,basierend auf dem Generationenvertrag und der Umlage-finanzierung, denn sonst noch wert? Wenn immer weni-ger Junge für immer mehr Ältere in die Rentenkasse ein-zahlen, dann gibt es keine sinnvollere Alternative, alsAnpassungen auch beim Rentenniveau vorzunehmen.Was wir aber tun können und auch tun müssen, ist,über die Familienfreundlichkeit in unserer Gesellschaftzu sprechen. Sinkende Geburtenraten kommen schließ-lich nicht von ungefähr und können unser Rentensystemauf den Kopf stellen. Hier hat die Union mit dem Aus-bau der Kinderbetreuung, der Schaffung von Mehrgene-rationenhäusern sowie dem Elterngeld Entscheidendesgetan. Auch die Wirtschaft hat längst erkannt, dass mangute Arbeitskräfte nur gewinnt, wenn man sie entspre-chend entlohnt und ihnen gleichzeitig gute Rahmenbe-dingungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Berufbietet.Wir müssen aber auch darüber sprechen, was die ge-setzliche Rente künftig leisten kann und leisten soll undwie wir die private und die betriebliche Altersvorsorgeweiter stärken können.
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Jana Schimke
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Wenn ich in meinem Wahlkreis in Schulen, Jugendklubsund Sportvereinen unterwegs bin, weise ich die Jugend-lichen immer auf Folgendes hin: Heute kommt es nichtmehr nur auf einen guten Schulabschluss und eine solideAusbildung an. Genauso wichtig ist es, frühzeitig in dieAltersvorsorge zu investieren und sie im Blick zu haben.
Diese Verantwortung tragen junge Menschen sich selbstgegenüber, und unsere Aufgabe ist es, ihnen dafür dennotwendigen Spielraum einzuräumen. Eine Rentenpoli-tik, der die Weitsicht fehlt und die neue Belastungenschafft, ist dafür der denkbar schlechteste Weg.
Eines sollte in der heutigen Debatte aber auch nochgesagt werden: Der heutigen Rentnergeneration geht esgut. Nur 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind auf dieGrundsicherung im Alter angewiesen. Wir wissen auch,dass insbesondere in Ostdeutschland die Menschen trotzAbschlägen früher in Rente gehen – und das aus gutemGrund; denn gerade Frauen waren und sind dort öfterund länger erwerbstätig. Mit Blick auf die Debatte zumInternationalen Frauentag, die soeben stattgefunden hat,sollte deshalb auch die Integration von Frauen in den Ar-beitsmarkt zentraler Punkt unser Sozial- und Arbeits-marktpolitik sein.
Abschließend noch ein Letztes: In keiner anderen Al-tersgruppe ist die Zahl der Erwerbstätigen zwischen2001 und 2011 so deutlich angestiegen wie bei den Er-werbstätigen im Rentenalter. Grund für diesen Anstiegist aber nicht etwa Altersarmut; viele Rentnerinnen undRentner fühlen sich fit und haben die Bereitschaft, etwaszu tun. Was spricht also dagegen, die Rahmenbedingun-gen auch dafür weiter zu optimieren? Das wäre ein denk-barer Weg, die Vielfalt von Interessen, von Lebensläufenund von Berufswegen abzubilden.Deshalb habe ich mich auch mit Interesse Ihren Vor-schlägen zum flexiblen Renteneintritt gewidmet. Dochwas die Linke anbietet, ist nichts weiter, als flexibleÜbergänge in die Frühverrentung zu fördern. Die eigent-lichen Potenziale bei der Aktivierung und Beschäftigungälterer Arbeitnehmer – und wohlgemerkt auch die darinliegende Notwendigkeit für Innovation in Deutschland,für soziale Sicherheit und Wohlstand – werden darinnicht aufgezeigt. Wer Verantwortung in Deutschland tra-gen will, muss mehr bieten.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/767 und 18/765 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. SindSie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENzu dem Vorschlag für eine Verordnung desEuropäischen Parlaments und des Rates zurFestlegung einheitlicher Vorschriften und ei-nes einheitlichen Verfahrens für die Abwick-lung von Kreditinstituten und bestimmtenWertpapierfirmen im Rahmen eines einheitli-chen Abwicklungsmechanismus und eineseinheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowiezur Änderung der Verordnung Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und desRatesKOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 desGrundgesetzesZum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinte-ressen – Für eine echte Europäische Banken-unionDrucksache 18/774Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsauschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Erster Redner in der Debatte ist der KollegeDr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!2008 gab es das Versprechen, dass nie wieder Bankenmit Steuergeld gerettet werden sollten.
Tatsache ist aber, dass die Bankenrettung mit Steuergeldin Europa seither ungebremst weitergegangen ist. Zuletztwar es eine Bank in den Niederlanden, die SNS Reaal,die im Februar 2013 übernommen worden ist. Dafürwurden 3,7 Milliarden Euro Steuergeld aufgewendet. Indiesen Tagen geht es in Österreich um die Hypo Alpe-Adria-Bank, die in eine staatliche Bad Bank überführtwird. Auch da wird der Steuerzahler die Verluste tragen.Das geschieht, obwohl wir wissen, dass teure Bankenret-tungen eine der zentralen Ursachen für die Staatsschul-
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denkrise in Europa gewesen sind, insbesondere in Spa-nien, in Irland und in Zypern.Vor diesem Hintergrund haben die Mitglieder desEuro-Währungsgebiets in ihrer Gipfelerklärung vom29. Juni 2012 gesagt – ich zitiere –:Wir bekräftigen, dass es von ausschlaggebenderBedeutung ist, den Teufelskreis zwischen Bankenund Staatsanleihen zu durchbrechen.Das ist richtig. Das geht aber nur, wenn die nationalenBudgets nicht mehr die Verantwortung für die Banken-rettung haben. Deswegen braucht es eine andere Institu-tion, die das macht, nämlich einen europäischen Banken-abwicklungsfonds, der von den Banken finanziert wird.
Genau darum geht es gerade in Brüssel bei den Ver-handlungen. Man fragt sich, warum das eigentlich nichtallgemeiner Konsens ist. Nun, es gibt einen Akteur, derin Brüssel auf der Bremse steht, wenn es darum geht, dasauf den Weg zu bringen, und das ist die Bundesregie-rung.
Weil sie auf der Verantwortung der nationalen Budgetsbeharrt, bleibt der Teufelskreis zwischen Banken undStaaten bestehen.
Die Bundesregierung hat vorgeschlagen und das imRat auch durchgesetzt, dass erst nach zehn Jahren die na-tionalen Budgets aus der Verantwortung entlassen wer-den – inzwischen bietet der Rat acht Jahre an –, aber dasist viel zu lang. Der Teufelskreis zwischen Banken undStaatsanleihen muss so schnell wie möglich durchbro-chen werden. Die Zeit der teuren Bankenrettungen mitSteuergeld muss beendet werden.
Völlig unverständlich ist auch, warum der Rat, wiede-rum auf Initiative der Bundesregierung, auf komplizier-ten und langwierigen Entscheidungsstrukturen bei derBankenabwicklung beharrt. Wenn Sie es mir nicht glau-ben, dann vielleicht der Berichterstatterin der EVP-Frak-tion – da sind die Christdemokraten im EuropäischenParlament versammelt –, Frau Wortmann-Kool – ich zi-tiere sie –:Der Rat hat eine zu komplexe und fragile Prozedurfür strauchelnde Banken erfunden. … Mit so vielenbeteiligten Leuten scheint es unmöglich, zielgerich-tet zu handeln. … Die Geschichte zeigt uns, dassEuropa bei strauchelnden Banken schnell agierenmuss.Recht hat sie.
Warum folgen wir nicht dem Beispiel der USA? Dortsind durch den dortigen Bankenabwicklungsfonds seitAusbruch der Finanzkrise etwa 500 Banken schnell undgeräuschlos abgewickelt worden, ohne dass die einzel-nen Abwicklungsfälle irgendwelche Finanzminister be-schäftigt hätten, und den Steuerzahler hat diese Abwick-lung keinen Cent gekostet. In Europa wurde in häufiglangwierigen Verhandlungen durch die Finanzministerüber die Bankenrettungen politisch entschieden, und eswurde für die Steuerzahler enorm teuer. Die EU-Kom-mission fasst das Ganze folgendermaßen zusammen:Zwischen 2008 und 2012 summierte sich die Staatshilfefür Kapitalisierungsmaßnahmen für Banken in Europaauf über 591 Milliarden Euro.Ich meine, daraus muss man die Konsequenz ziehen:Wir brauchen eine einfache Struktur, die sicherstellt,dass schnell entschieden werden kann und dass es keineMöglichkeit gibt, dass die Politik bei jeder Bankenret-tung erneut den Geldbeutel zückt.
Ein wichtiger Streitpunkt bei den Verhandlungen istjetzt auch die zwischenstaatliche Vereinbarung. Dasheißt, dieses Konstrukt des Abwicklungsfonds soll nichtnach EU-Recht auf der Grundlage der europäischen Ver-träge entstehen, sondern durch eine Vereinbarung derMitgliedstaaten. Finanzminister Schäuble sagt: Das gehtnicht anders; man kann das nicht auf den Vertrag stützen.– Interessant ist aber, dass unter den Euro-Staaten alleinDeutschland diese Argumentation vorbringt.
Die juristischen Dienste von Rat, Parlament und Kom-mission sagen aber, das sei mit Art. 114 AEUV verein-bar.
Legen Sie doch die entsprechenden Argumentationenvor, damit sich zeigt, wer hier die richtigen Argumentehat. Das Europäische Parlament hat seine Rechtspositionveröffentlicht. Die grüne Bundestagsfraktion hat ein ent-sprechendes Rechtsgutachten veröffentlicht. Sie könnensich mit unseren Argumenten auseinandersetzen. Aberdie Bundesregierung hat ihre Rechtsauffassung ebennicht dargelegt, weil sie befürchtet, dass ihre Argumen-tation in der Luft zerrissen würde.
Wenn Sie starke politische Argumente hätten, wenn Siestarke juristische Argumente hätten, dann könnten Siedas vorlegen. Ihre Argumentation scheint relativschwach zu sein.Hinzu kommt noch: Das ist ein gefährlicher Präze-denzfall. Wenn immer dann, wenn es einen Dissens gibt,die Mitgliedstaaten entscheiden können, ob sie außer-halb des europäischen Rechts agieren können, womit siedas Europäische Parlament umgehen, dann schwächt dasdie europäische Demokratie entscheidend. Wir meinen,die Bundesregierung ist hier auf einem gefährlichen Irr-weg, was mit Blick auf die europäische Demokratienicht sein darf.
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Dr. Gerhard Schick
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Die Bundesregierung ist in dieser Frage in Europaziemlich allein unterwegs. Wenn man allein unterwegsist, dann muss man sich fragen, ob alle anderen wirklichfalschliegen.
Ich zitiere noch einmal die Berichterstatterin, Frau Wort-mann-Kool:Die EVP-Fraktion will einen einheitlichen Abwick-lungsmechanismus mit einem wirklich einheitli-chen Fonds. Banken müssen unabhängig davon be-handelt werden, in welchen Mitgliedstaaten siearbeiten und frei von politischen Verhandlungen.Die Berichterstatter des EP, die praktisch die breiteMehrheit des Europäischen Parlaments vertreten, sagen– ich zitiere erneut –:Das IGA– also dieses zwischenstaatliche Abkommen –gefährdet die Schaffung und das reibungsloseFunktionieren des SRM u. a. wegen des Fehlens ei-nes tatsächlichen einheitlichen Fonds …Auch die Europäische Zentralbank hat eine kritischeHaltung. Dieser Tage hat ihr Direktor Benoît Cœuré ge-sagt, nötig seien auch ein einheitlicher Mechanismus zurAbwicklung maroder Geldinstitute sowie ein dazugehö-riger einheitlicher Fonds zur Finanzierung.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ja. Mir wurde zu Beginn meiner Rede aber eine Mi-
nute Redezeit zu wenig angezeigt. Diese Minute müssen
Sie mir zusätzlich anrechnen.
Sie haben sechs Minuten Redezeit.
Wirklich?
Dann komme ich zum Schluss. Nicht nur im Europäi-
schen Parlament und bei der Europäischen Zentralbank,
wo die Position der Bundesregierung keine Unterstüt-
zung erfährt, sondern auch im Rat ist die Bundesregie-
rung allein unterwegs. Ich kann den entsprechenden
Drahtbericht des Rates nicht zitieren, weil er geheim ist,
aber Sie wissen, dass ich in diesem Punkt recht habe.
Der Verkehrsfunk aus Brüssel sagt uns: Auf der
Straße zur Bankenunion ist die Bundesregierung gerade
als Geisterfahrer unterwegs. – Es ist Aufgabe dieses
Hauses, die Bundesregierung zu stoppen und endlich für
die Einrichtung eines richtigen Bankenabwicklungs-
fonds zu sorgen, der zügig in Kraft treten kann und end-
lich Schluss macht mit der teuren Bankenrettung.
Danke.
Bei so vielen Zahlen kann es passieren, dass auch bei
der Redezeit etwas durcheinandergeht.
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege
Dr. h. c. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Einfunktionierender Bankensektor ist essenzieller Bestand-teil für eine funktionierende Volkswirtschaft. Gerade fürdie deutsche Exportindustrie sind stabile Banken ausge-sprochen wichtig, um Investitionen finanzieren zu kön-nen. Deshalb haben wir als Union uns in den letzten Jah-ren bei der Verbesserung der Finanzmarktregulierunginsbesondere auf europäischer Ebene stark engagiert. Dalassen wir uns von niemandem etwas vorwerfen.
Die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass die existieren-den aufsichtsrechtlichen Kompetenzen und Instrumenteunzureichend waren. Die Steuerzahler mussten leidererhebliche Lasten und Garantien tragen. Zu den drän-gendsten Herausforderungen zählt die schrittweise Er-höhung der Eigenkapitalanforderungen, um Anreizpro-bleme wie Moral Hazard und das damit verbundeneProblem „too big to fail“ zu entschärfen. Das war einwesentlicher Schritt, den wir gegangen sind.Heute haben wir neue Ziele, nämlich systemrelevanteBanken ohne Gefährdung der Finanzmarktstabilität inEuropa abwickeln zu können, eine europäische Banken-aufsicht einzurichten, einen europäischen Abwicklungs-mechanismus zu schaffen, der von den Einzelinteressender EU-Staaten entkoppelt ist. Weitere Ziele sind, einentragfähigen EU-Abwicklungsfonds zu bilden und mit-hilfe der Bankenunion einheitliche Vorschriften und eineinheitliches Verfahren, aufgesetzt auf ein Trilogverfah-ren, zu erreichen.Herr Dr. Schick, kein Mitglied der Bundesregierungsteht hierbei auf dem Bremspedal. Niemand will das Eu-ropäische Parlament in den Verhandlungen vom gleich-berechtigten Mitentscheider zum bloßen Mitberater de-gradieren. Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie in Ihrem
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Dr. h. c. Hans Michelbach
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Antrag fälschlicherweise solche Behauptungen aufstel-len, dann ist das nichts anderes, als hier einen Popanzaufzuführen, so wie wir es von Ihnen in den letzten Jah-ren leider gewohnt sind.
Hin zur Bankenunion müssen wir den Weg der Sach-lichkeit, der Vernunft und der Ausgeglichenheit gehen.Für uns zählen deshalb die folgenden klaren Ziele: keineAbschwächung der Bail-in-Regel – nicht die Steuerzah-ler, sondern die Eigner und Gläubiger müssen zunächsthaften –; keine Übernahme von Altlasten – auch das istein wesentlicher Punkt –; keine Vergemeinschaftung vorder Einzahlung in den Abwicklungsfonds, wie das vonIhnen vorgeschlagen wird – wenn einige einzahlen undandere nicht, und wir haften für Dritte, wo kommen wirda hin? –; keine Beteiligung der Steuerzahler an der un-mittelbaren Bankenrettung.So wird auch verhandelt. Die Europäische Banken-union sollte deshalb nicht übereilt, unvollständig und un-verhältnismäßig, wie Sie das hier in Ihrem Antrag for-dern, sondern schrittweise, konsequent und langfristigtragfähig realisiert werden. Bankenunion, Abwicklungs-behörde und Bankenfonds sind natürlich – das sollteman bei dieser Gelegenheit auch sagen – kein Allheil-mittel, sondern sind der notwendige Teil unseres umfas-senden Lösungskonzeptes. Es wäre aber eine Fehlein-schätzung, wenn man sich allein darauf konzentrierenwürde.Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der der heu-tigen Debatte zugrunde liegt, geht in mancher Hinsichtin die falsche Richtung. Nach meiner Ansicht atmet erden alten Geist der schnellen Schuldenvergemeinschaf-tung. Er ignoriert leichtfertig die Frage nach ausreichen-den Rechtsgrundlagen. Er erkennt nicht die Gefahr derÜberforderung durch eine übereilte Einführung der Ban-kenunion, was sich wieder negativ in der Realwirtschaftniederschlagen würde. Er will der nicht demokratischlegitimierten EU-Kommission das Letztentscheidungs-recht zukommen lassen. Mit Art. 114 AEUV will er einEinfallstor für EU-Abgaben schaffen.Das sind wesentliche Punkte, die in die völlig falscheRichtung weisen. Damit vertreten Sie doch nicht deut-sche Interessen und auch nicht die Interessen unseresWirtschaftsstandortes, Herr Dr. Schick.
Kurz gesagt: Dieser Antrag besteht aus einer An-sammlung inakzeptabler Vorgaben, falscher Zusammen-fassungen, ungerechtfertigter Verkürzungen und meinerMeinung nach auch aus Halbwahrheiten. Ein solcherAntrag kann und wird unsere Zustimmung nicht finden,meine Damen und Herren.Es ist gut, dass unser BundesfinanzministerDr. Wolfgang Schäuble die Verhandlungsführung hat. Ervertritt unsere Interessen bei der Schaffung einer Euro-päischen Bankenunion und nichts anderes.
Wie wichtig der Bankensektor für die Volkswirtschaftist, hat die Bankenkrise gezeigt. Nur die Rettung derBanken hat den Zusammenbruch unserer Realwirtschaftverhindert. Die hohe Bedeutung des Bankensektors fürdie Realwirtschaft wird leider nicht immer wahrgenom-men. Dafür ist der vorliegende Antrag ein beredtes Bei-spiel. Er konterkariert unsere nationalen Interessen underschwert unsere Verhandlungsführung in der Schluss-phase. Dass ausgerechnet jetzt, kurz vor Ende der Ver-handlungen, ein solcher Antrag in unserem Parlamentgestellt wird, halte ich für absolut kontraproduktiv.Schauen Sie sich einmal um, ob das in anderen Staatenin dieser Form stattfindet. Sie fallen der Bundesregie-rung damit in den Rücken. Die Verhandlungsführung istaber bei der Bundesregierung gut aufgehoben, meineDamen und Herren.
Natürlich gibt es immer Korrekturbedarf. Ich glaube,dass es auch selbstverständlich ist, dass wir für eine Ent-lastung der kleinen und mittleren Kreditinstitute bezüg-lich der Bankenabgabe sind. Das ist eine Selbstverständ-lichkeit, die Sie hier formulieren. Sie biedern sich beiSparkassen und Genossenschaftsbanken an. Diese wis-sen aber, dass wir das Dreisäulenmodell in Deutschlandstützen und dass wir es in der Vergangenheit vielfach ge-rettet haben. Trotz des Antrages der Grünen wissen sie,wer wirklich hinter ihnen steht.
Es geht auch darum, dass durch die Regulierung dieWettbewerbs- und Leistungsfähigkeit des deutschen Fi-nanzmarktes nicht zu stark beeinträchtigt werden darf.Wenn wir nicht in die falsche Richtung marschieren wol-len, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass Bankkreditefür deutsche Unternehmen das wichtigste Mittel zur Fi-nanzierung von Investitionen sind. Das gilt im Übrigenauch für die Investitionen im Bereich der erneuerbarenEnergien.Wenn Sie für Dreijahresschritte oder Fünfjahres-schritte statt für Zehnjahresschritte eintreten, dann über-fordern Sie die Liquidität der Kreditinstitute; denn siekönnen ihr Eigenkapital auch nur einmal ausgeben. Siemüssen die Eigenkapitalunterlegung stärker forcieren.Sie müssen eine Bankenabgabe zahlen. Es soll aber auchnoch Geld verdient werden, um der Realwirtschaft dienotwendigen Investitionen zu finanzieren. Daher müssenalle Maßnahmen in einer wohlüberlegten ausgegliche-nen Form dargestellt werden. Hier darf es nicht zu Über-forderungen kommen, sonst haben Sie die Zeche ohnedie Betroffenen gemacht. Das ist die Situation, meineDamen und Herren.
Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang: Diedringendste Herausforderung für den Bankensektor istgegenwärtig die schrittweise Erhöhung der Eigenkapital-quote. Wir sind der Auffassung, dass unsere Kreditinsti-
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Dr. h. c. Hans Michelbach
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tute vermehrt auch wieder Ertrag erwirtschaften müssen.Ohne Ertrag können sie die Leistungsfähigkeit nicht her-stellen, die notwendig ist, um letzten Endes auch Lösun-gen mit Blick auf die Zukunft unserer Wirtschaft zuerreichen. Deutsche Banken benötigen natürlich ausrei-chend Zeit, um strengere Anforderungen zu erfüllen undum die Bankenabgabe leisten zu können; sonst leidetihre Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit.In diesem Sinne: Lassen Sie uns mit Vernunft einenWeg gehen, der im europäischen Konsens verabredetwurde und langfristig trägt: für die Rettung der Banken,für die Sicherung der Realwirtschaft in Europa. Wirbrauchen keinen Schnellschuss, wie Sie ihn mit IhremAntrag letzten Endes verfolgen. Wir sind der Auffas-sung, dass die Verhandlungsführung bei der Bundesre-gierung in guten Händen ist und wir hier zu einem gutenErfolg kommen werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Dr. Axel
Troost, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Tag für Tag gehen in Südeuropa eigentlich gesunde Un-ternehmen pleite. Ihre Reserven sind nach jahrelangerKrise aufgebraucht, und sie bekommen keine bezahlba-ren Kredite mehr. Ihre Banken kämpfen ebenfalls mitder Rezession und mit Altlasten. Die Krisenstaaten ver-lieren wirtschaftlich weiterhin den Anschluss.Die Bankenunion war ursprünglich dazu gedacht, denSchock der Finanz- und Wirtschaftskrise gemeinsam zuverarbeiten. Die alte Bundesregierung und anscheinendjetzt auch die neue Bundesregierung setzen aber seit lan-gem alles daran, dies zu verhindern. Die Krisenstaatenwerden mit ihren Problemen alleingelassen. Das, wasHerr Michelbach gerade gesagt hat, ist die absolute Be-stätigung dafür: Er hat sozusagen nur auf deutsche Ban-ken und die entsprechenden Zusammenhänge abgestellt,aber nicht gesehen, dass wir in Europa Bankenproblemelösen müssen und Deutschland da eine ganz zentraleRolle spielt.
Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine Banken-union. Multinationale Banken lassen sich national nurschlecht beaufsichtigen, geschweige denn abwickeln. In-sofern braucht man eine internationale Lösung. Wir sindaber gegen die gegenwärtig gefundene Form der Ban-kenunion.
Natürlich ist ein gemeinsames Abwicklungsregimefür größere Banken erst mal ein Fortschritt; aber es musssich daran messen lassen, ob es Finanzkrisen und teureBankenrettungen wirksam verhindern kann. Diesen Testwird das System, das bisher vorliegt, nicht bestehen. DerAbwicklungsmechanismus ist, wenn überhaupt, sowiesonur für die Abwicklung von Pleiten einzelner Bankengeeignet; bei systemischen Krisen wird sich da sowiesonichts tun. Aber auch bei Pleiten einzelner großer Ban-ken wird es, wenn es bei der Megagröße dieser Bankenbleibt, mit diesem Abwicklungsregime nicht möglichsein, sie über das Wochenende abzuwickeln. Wir werdenwieder mit Panikreaktionen zu kämpfen haben. Wir wer-den erleben, wie Eigentümer und Gläubiger die Abwick-lungsentscheidungen erfolgreich anfechten werden. Wirwerden zudem erleben, wie die Banken die neuen Re-geln im Vorfeld zu umgehen versuchen.Wir sind natürlich der Meinung, dass man etwas tunmuss; aber wenn Sie meinen, Sie müssten nicht an dieBankengröße herangehen, sondern nur Mechanismender Abwicklung finden, dann müssen Sie mal erklären,warum diese Megabanken aus Ihrer Sicht weiterhin ge-braucht werden. Wir wollen einen grundlegenden Um-bau des Finanzsektors; da unterscheiden wir uns auchvon den Grünen. Wir wollen Banken wirklich wieder aufdie Funktion des Zubringers der Realwirtschaft be-schränken.
Ihre Geschäftstätigkeit muss gesetzlich auf die Kern-funktionen Zahlungsverkehr, Einlagengeschäft und Fi-nanzierung beschränkt werden, wie das bei den Sparkas-sen und Genossenschaftsbanken in der Bundesrepublikder Fall ist. Sonst werden wir den Tiger Finanzmarktnicht reiten können.Ich möchte zum Abschluss noch einmal sagen – ichhatte das im Finanzausschuss schon gesagt und werde esin den nächsten Wochen sicherlich mehrmals wiederho-len –, warum wir der Meinung sind, dass der von denBanken zu finanzierende gemeinsame Abwicklungs-fonds ein Wolkenkuckucksheim ist.Der Abwicklungsfonds soll innerhalb von zehn Jah-ren eine Größe von 55 Milliarden Euro erreichen.Deutschland müsste davon etwa ein Viertel erbringen,sagen wir mal: rund 15 Milliarden Euro in zehn Jahren,das heißt pro Jahr 1,5 Milliarden Euro. Wir wissen aber,dass die deutsche Bankenabgabe gegenwärtig im Durch-schnitt nur 600 Millionen Euro pro Jahr erbringt. Siemüssten sie also verdoppeln oder verdreifachen. AusSicht der Bundesregierung sind die verfassungsrechtli-chen Möglichkeiten aber schon jetzt ausgereizt. Mankann die Abgabe um 10, 20 oder 25 Prozent erhöhen– wir haben die entsprechenden Zahlen vom Finanz-ministerium erhalten –, aber das wird logischerweise beiweitem nicht ausreichen, die Einnahmen aus der Ban-kenabgabe zu verdoppeln, geschweige denn zu verdrei-fachen.Wenn der Bundesfinanzminister erklärt, er könne sichvorstellen, dass das alles noch viel schneller geht, dannmuss er sagen, wie er das finanzieren will. Wir sehennicht, wie das zu finanzieren ist. Wir befürchten – nichtnur wir, sondern auch die Branche –, dass es am Schlussheißt: Die Großbanken und die Regionalbanken, für dieder Rettungsfonds eigentlich gebraucht wird, sind nicht
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1676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Dr. Axel Troost
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zahlungsfähig. Dann bitten wir doch die Sparkassen undGenossenschaftsbanken zur Kasse, damit wir den Fondsschnell auffüllen können.
Aus meiner Sicht verschaukeln Sie mit Ihrer Haltungzur Bankenabgabe nicht nur den Bundestag, sondern diegesamte Bevölkerung und auch unsere europäischenNachbarn. Letztlich wird der Bankenfonds nicht die nö-tige Größe erreichen. Das heißt nichts anderes, als dassdie Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weiterhin fürBürgschaften zur Verfügung stehen müssen.Mein letzter Satz. Es wird argumentiert, der Fonds seiaufgrund der Bankenabgabe in der Lage, Kredite aufzu-nehmen. Wir werden sehen, dass das auch wieder nurmit öffentlichen Bürgschaften möglich sein wird. Wirmüssen also das Grundproblem mit Blick auf die Ban-kenregulierung lösen. Das bedeutet eine Verkleinerungder Banken, um sie abwicklungsfähig zu machen.Danke schön.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Dr. Jens Zimmermann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als neues Mitglied im Finanzausschuss desDeutschen Bundestages freue ich mich, gleich in meinerersten Rede zu so einem wichtigen Thema wie der ge-planten Bankenunion sprechen zu dürfen.Lassen Sie mich noch einmal an die Situation erin-nern, wie wir sie vorgefunden haben. Mit der Pleite derInvestmentbank Lehman Brothers und der weltweitenFinanzkrise begann auch für Europa eine Entwicklung,mit der wir heute noch zu kämpfen haben. Spätestensmit dem Antrag Spaniens auf finanzielle Hilfen für seinein Schieflage geratenen Banken wurde auch dem Letztenklar: Der Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanlei-hen muss durchbrochen werden.Die europäischen Steuerzahler sollen nicht weiteralleine für die europäischen Großbanken haften. Ende2012 erarbeitete die Kommission deshalb einen Fahrplanfür eine Bankenunion. Nach langen und immer nochschwierigen Verhandlungen steht aber nun eine Einigungauf europäischer Ebene kurz bevor.Wir als SPD haben immer eine funktionierende Ban-kenunion gefordert, bei der klar ist, dass Risiko und Haf-tung zusammengehören und dass die Steuerzahler undKleinsparer geschützt werden.
Der ESM ist für Staaten da, nicht für Banken. Das Zieleiner Bankenunion muss sein, dass zum Schluss derSteuerzahler möglichst gar nicht mehr einspringen muss.Auch im Koalitionsvertrag mit der Union haben wir des-halb festgeschrieben, dass wir in Europa eine funktionie-rende Bankenunion brauchen.Lassen Sie mich kurz erläutern, welche Ziele die SPDmit der geplanten Bankenunion verfolgt. Wichtig ist unserstens eine wirksame Prävention, die es gar nicht mehrzu dramatischen Krisenszenarien kommen lässt. Wichtigist uns zweitens eine geordnete finanzielle Abwicklung,wenn es im Ernstfall doch zu Schieflagen von systemre-levanten Banken käme. Wichtig ist uns drittens eine Re-gelung, die klarstellt, wann Mittel aus Steuergeldernbereitgestellt werden. Das gestufte Auffangsystem derHaftungskaskade und das sogenannte Bail-in stellen si-cher, dass die europäischen Steuerzahler geschützt wer-den.
Mit dieser Haftungskaskade wird eine Reihenfolgefestgelegt, nach der zuerst Aktionäre, Gläubiger undGroßsparer für eine Bank zahlen. Erst dann kommt derAbwicklungsfonds mit seinen 55 Milliarden Euro zumTragen.Erst dann – wirklich erst dann – kann auf den ESMals letztes Mittel einer Bankenrettung zugegriffen wer-den. Die Bundesregierung hat sich in den Verhandlungenerfolgreich hierfür eingesetzt. Wir stehen also kurz voreiner Einigung. Es werden Krisenprävention und genaudefinierte Folgemaßnahmen vereint. Alle diese Maßnah-men haben den Zweck, die europäischen und damit auchdie deutschen Steuerzahler und Kleinsparer zu schützen.Ihr Antrag kommt daher in meinen Augen zur Unzeit.Sie fordern in Ihrem Antrag einen sofortigen Aufbau desFonds. Ein schnellerer Aufbau des Fonds kann aber nurdann wünschenswert sein, wenn das Prinzip der Propor-tionalität, für das sich die Bundesregierung in den Ver-handlungen einsetzt, gewahrt bleibt.
Proportionalität heißt, dass große Banken höhere Ab-gaben leisten müssen als kleine Banken. Es muss klarsein: Die Mittel hierfür fallen nicht vom Himmel. Ohneeine größere Beteiligung auch der kleineren Bankenwäre eine schnellere Mittelaufstockung, wie in IhremAntrag gefordert, kaum möglich. Wir möchten kleinereBanken aber nicht übermäßig belasten.
Man kann nicht fordern, eine Bankenunion müsse soschnell wie möglich her, ein Fonds müsse so schnell wiemöglich aufgebaut werden, und gleichzeitig Forderun-gen stellen, die die Verhandlungen um Monate hinauszö-gern würden. Das einzusehen, dazu gehört, glaube ich,nicht viel Fantasie. Im Mai ist die Europawahl. ImHerbst wird es eine Neubesetzung der Kommission ge-ben. Die Verhandlungen würden dann wieder von vorneanfangen. Wann dann eine Einigung käme – keiner weißes.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1677
Dr. Jens Zimmermann
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Es ist ein falsches Signal, sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen von den Grünen, kurz vor dem Abschlussder schwierigen und langwierigen Verhandlungen jetztnoch einmal höhere Hürden für einen Kompromissschaffen zu wollen.
Eine Einigung rückt damit nicht näher. Klar ist: Wirbrauchen eine Bankenunion, eine Bankenunion, die ver-hindert, dass mit öffentlichen Geldern wieder privateBanken gerettet werden müssen. Sie sollten das nichtnoch weiter verzögern. Deshalb wird Ihr Antrag unsereZustimmung nicht finden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. Wir gratu-
lieren Ihnen ganz herzlich zu dieser ersten Rede.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Flosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Grünen haben uns hier heute einen Antrag vorge-
legt, Überschrift: Für eine echte Bankenunion.
Die meisten erinnern sich an den Antrag vom
25. September 2012 zu diesem Thema, den wir hier am
27. September 2012 verabschiedet haben. Wir haben da-
mals ein deutliches Bekenntnis zu Europa abgelegt. Wir
haben ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Banken-
union abgelegt. Nur, wir haben dabei etwas Besonderes
gemacht: Wir haben Bedingungen für diese Banken-
union gestellt.
Das wird von den Grünen einfach negiert. Ich nenne von
den sieben Bedingungen nur einmal drei.
Erstens. Wir wollen, dass die großen systemrelevan-
ten, vernetzten Banken nicht national, sondern interna-
tional von einer gemeinsamen Aufsicht kontrolliert wer-
den.
Zweitens. Wir haben deutlich gemacht, dass Banken,
die in eine Schieflage geraten, abgewickelt werden müs-
sen, und zwar über einen gemeinsamen Fonds, der von
den Banken finanziert wird.
Drittens. Wir haben gesagt – das wurde heute von den
Grünen ganz unterschlagen –: Bevor diese Bankenunion
errichtet wird, gibt es einen Stresstest für die großen sys-
temrelevanten Banken in Europa. Das sind derzeit 128.
Nur wenn sie diesen Stresstest bestehen, können sie un-
ter eine europäische Aufsicht gebracht werden.
Denn was ist das Problem, das wir oftmals in Europa
haben? Es wird versucht, auf Kosten von Europa natio-
nale Probleme zu lösen. Es gibt viele nationale Banken-
probleme, die auf eine nationale Politik und auf eine na-
tionale Aufsicht zurückzuführen sind. Das wollten wir
nicht.
Wir wollen nicht, dass Entscheidungen getroffen wer-
den, die unser nationales Recht berühren. Das wichtigste
Recht des Bundestages ist das Haushaltsrecht. Das Bun-
desverfassungsgericht hat in vielen Urteilen dieses
Thema angesprochen und uns ganz deutlich gesagt, dass
wir als Bundestag das nationale Budgetrecht aufrechtzu-
erhalten haben. Deswegen ist es für uns ein besonders
wichtiger Auftrag, hier genau aufzupassen.
Wir stehen für eine gemeinsame europäische Politik.
Nur, wir unterstützen nicht Ihren Antrag, in dem es da-
rum geht, in einem ersten Schritt auf dem Weg zu einer
Bankenunion die Nation aus ihrer Verantwortung zu ent-
lassen. Das ist genau der falsche Schritt auf dem Weg zu
einer Bankenunion. Dafür können wir nicht stimmen.
Es gibt einen weiteren Konflikt hinsichtlich Ihres An-
trags. In der Überschrift Ihres Antrags steht: „… Schutz
der Allgemeinheit vor Einzelinteressen …“. Das heißt:
Das Interesse des deutschen Steuerzahlers ist ein Einzel-
interesse. Das heißt ferner: Wir müssen die Europäer vor
den deutschen Einzelinteressen schützen. Bei jeder Maß-
nahme im Euro-Raum sind wir mit 27 Prozent dabei; bei
jeder Maßnahme im europäischen Raum sind wir mit
20 Prozent dabei. Wenn es um Hilfsmaßnahmen ging,
waren wir immer die Ersten, die andere unterstützt ha-
ben. Daher ist diese Unterstellung eine Frechheit.
Herr Kollege Flosbach, gestatten Sie eine Frage der
Kollegin Paus?
Ich mache der Kollegin, weil wir jetzt am Schluss derDebatte sind, den Vorschlag: Sie macht gleich eineKurzintervention, dann kann ich abschließend daraufantworten.Ich will Sie jetzt als Grüne ansprechen. Was Sie indem Antrag verlangen, passt genau in Ihre Politik, Euro-Bonds und einen europäischen Staatsschuldentilgungs-fonds zu fordern. Sie werfen alles in einen Topf und wol-len die Verantwortung der Nationen reduzieren. Ich sagees hier noch einmal: Wir hätten viele dieser Problemenicht, wenn Sie als Teil der damaligen Bundesregierung2003 den Maastricht-Vertrag nicht gebrochen hätten.
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1678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
Klaus-Peter Flosbach
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– Die neuen Freunde beziehe ich jetzt mal nicht ein.Sie beklagen in Ihrer Begründung zu diesem Antrag,dass es nach den Rettungsmaßnahmen des Jahres 2008vier Jahre gedauert habe, bis in Europa die Diskussionüber einen Restrukturierungsfonds, über einen Abwick-lungsfonds endlich in Gang gekommen ist. Sie unter-schlagen, dass wir anderthalb Jahre nach diesem Be-schluss von 2008 hier, in diesem Deutschen Bundestag,das deutsche Restrukturierungsgesetz verabschiedet ha-ben. Wir haben diesen Weg vor allen anderen beschrit-ten. Wir haben das als Erste vorgelegt. Wir haben eineBlaupause für Europa vorgelegt. Das ist es, was Europajetzt umsetzt. Wir waren die Ersten. Wir haben dies aufden Weg gebracht.
Wir bekommen in den nächsten Tagen Klarheit. DieVerhandlungen dauern noch an. Es gibt einige Punkte, indenen wir uns sicherlich einig sind: Ich denke, wir allewollen eine gemeinsame Aufsicht, und wir alle wolleneindeutig, dass der Steuerzahler nicht in Anspruch ge-nommen wird. Bei diesem Abwicklungsfonds haben wiretwas Neues, nämlich eine Haftungsreihenfolge – diehatten wir bei den bisherigen Maßnahmen nicht –: Zu-erst wird bei einer Schieflage immer der Aktionär, derEigentümer, herangezogen, anschließend kommt derGläubiger, und erst im dritten Schritt stellt sich die Fragedes Abwicklungsfonds, wobei es natürlich immer einenationale Verantwortung gibt. Uns ist wichtig, dass indiesen Topf, der von den Banken gefüllt werden muss,die großen systemrelevanten Banken das meiste Geld hi-neintun und nicht die kleinen Banken, die Volksbankenoder die Sparkassen. Dagegen sind wir absolut. Wir sindfür das Proportionalitätsprinzip. Das heißt, Kleine müs-sen geschützt werden, und wo große Risiken bestehen,müssen auch große Summen gezahlt werden. DiesesPrinzip haben wir eingehalten und werden es auch in Zu-kunft immer einhalten.
Der Kollege Troost hat die Probleme angesprochen.Ein Problem ist natürlich die Höhe des Fonds und derZeitrahmen, in dem eingezahlt werden kann. Der Kol-lege Michelbach hat das Problem der Finanzierung derWirtschaft angesprochen. Ich denke an die Ausführun-gen der BaFin, die uns immer wieder ermahnt: AchtenSie darauf, dass die Maßnahmen aufeinander abge-stimmt sind. – Wir können natürlich sagen: Füllt denFonds in einem Jahr, erhöht das Eigenkapital oder machtandere Dinge. – Aber das würde dazu führen, dass sichunsere Wirtschaft nicht mehr finanzieren könnte.Die Bankenunion ist natürlich eine große Einzelmaß-nahme. In dem Antrag wird unterschlagen, was wir inden letzten Jahren gemacht haben. Wir haben massiveAufstockungen des Eigenkapitals bei den Banken gefor-dert. Die Liquidität der Banken muss anders dargestelltwerden. Wir haben ein Trennbankengesetz gemacht.Alle Banken müssen heute ein Testament vorhalten, indem sie darlegen, wie sie abgewickelt werden können.Wer sich mit dem Abwicklungsmechanismus beschäftigthat, weiß, dass dort ausdrücklich vorgesehen ist, dassauch die europäische Aufsicht für jedes Bankunterneh-men einen Abwicklungsplan vorhalten muss. Ich denke,das ist ganz wichtig, wenn wir den Zeitfaktor bei der Ab-wicklung einer Bank ansprechen.Ich spreche hier jetzt nicht über die außerbörslichenDerivate, die wir geregelt haben. Andere Stichwortesind: Vergütungssysteme, Verbriefung, Vermittlung, Ver-bot der Leerverkäufe. Wir haben hier im Deutschen Bun-destag in den letzten vier Jahren 30 große Maßnahmen,Gesetze verabschiedet, mit denen wir den Finanzmarktinsgesamt stabiler gemacht haben. Die Bankenunion istnur eine dieser Maßnahmen.Der Abwicklungsmechanismus soll zum 1. Januar2015 stehen. Wir wissen nach den bisherigen Erkennt-nissen, dass einige Länder nicht so weit sein werden,dass der Fonds wohl erst zum 1. Januar 2016 bereit seinwird. Wir unterstützen nicht die Forderung der Grünen– sie kommt wohl aus dem Bauch heraus –, eine dreijäh-rige Einführungsphase vorzusehen. Denn dadurch würdedas Problem nicht behoben werden. Die Haftung würdenach kurzer Zeit wieder auf die anderen europäischenLänder fallen.
Die Kommission soll die letzte Entscheidung haben,Herr Schick. Die letzten Verhandlungen zeigen, dass dasBoard, das für die Abwicklung zuständig ist, darauf war-ten muss, ob es innerhalb von 24 Stunden einen Wider-spruch seitens des EZB-Rates gibt. Meines Erachtenssind wir da auf genau dem richtigen Weg. Unsere Bun-desregierung und die sie beratenden Juristen haben deut-lich gemacht, dass die Rechtsgrundlage des Art. 114 desVertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Unionnicht ausreicht, sondern dass wir einen zwischenstaatli-chen Vertrag als Zwischenlösung benötigen.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit? Sie hatten
ja schon eine zweite Rede angekündigt.
Ja, ich komme zum Schluss. Vielen Dank, Frau Präsi-dentin. – Wir werden sicherlich in den nächsten Jahrennoch mehrere Änderungen erleben, insbesondere im pri-mären Europarecht. Meines Erachtens ist die demokrati-sche Kontrolle hier nicht ausreichend gewährleistet.Aber Sie haben hier Forderungen aufgestellt und diedeutschen Interessen als „Einzelinteressen“ in Europadargestellt, und das können wir nicht akzeptieren. Wirsind diejenigen, die zu Europa stehen. Das Wichtigsteist, dass Deutschland insgesamt, dass das gesamte Parla-ment zu 100 Prozent zu Europa steht. Das bietet diebeste Zukunft für ein gemeinsames Europa.
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Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt die Kollegin Paus, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Flosbach, Sie hatten zu Recht darauf hingewie-
sen, dass wir dem deutschen Haushaltsrecht verpflichtet
sind. Gerade vor diesem Hintergrund frage ich Sie, wa-
rum es nach dem deutschen Haushaltsrecht besser sein
soll, statt dass wir den Bankenabwicklungsfonds schnell
und zügig bekommen, Sie – weil es ihn eben nicht gibt,
sind Sie dazu gezwungen – vorhaben, hier im Deutschen
Bundestag ein Gesetz zu verabschieden, das die direkte
Rekapitalisierung europäischer Banken aus dem ESM
erlaubt? Das wird, wenn es zu entsprechenden Fällen
kommt, direkt auf das deutsche Haushaltsrecht Rückwir-
kungen haben. Wir schlagen stattdessen vor, nach dem
dreistufigen System zügiger einen Abwicklungsfonds
auf europäischer Ebene einzurichten, der genau die Vor-
züge hat, die Sie geschildert haben. Warum ist es nach
dem deutschen Haushaltsrecht besser, die Einrichtung
dieses Bankenabwicklungsfonds zu verzögern und eine
direkte Bankenrekapitalisierung einzuführen?
Herr Kollege Flosbach.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Paus,
das ist relativ einfach. Sie brauchen sich nur die Kas-
kade, die Haftungsreihenfolge genau anzuschauen. Da
wird genau aufgelistet, was passiert: Zunächst haben wir
die Haftung der Eigentümer, der Aktionäre, dann der
Gläubiger, dann kommt der gemeinsame Fonds, den wir
genauso wie Sie so schnell wie möglich in Kraft sehen
wollen. Aber es kann nicht sein, dass sich Länder ihrer
nationalen Verantwortung entziehen. Sie wollen genau
das. Sie wollen, dass die Länder nach drei Jahren aus der
Verantwortung heraus sind. Wir dagegen wollen, dass
ein Land an den ESM, an den europäischen Rettungs-
schirm, nur herankann, wenn es ein Programm erfüllt.
Genau das ist die richtige Reihenfolge.
In dieser Frage haben wir auch Erfolge auf der euro-
päischen Ebene zu verzeichnen; das ist das zentrale
Thema: Nur wenn jemand Bedingungen erfüllt, be-
kommt er auch unsere Hilfe. Es war ja der Wunsch vieler
Länder zu Beginn der Debatte um die Bankenunion
Mitte 2012: Sie wollten unmittelbar an den ESM heran,
um die Banken zu rekapitalisieren. Das haben wir ver-
hindert. Wir haben gesagt: An den ESM, an die Ret-
tungsmaßnahmen, kommt nur derjenige heran, der ein
Programm durchläuft. – Ein solches Programm wollen
die Länder nicht. Deswegen geht auch keiner an den
ESM heran.
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der
Kollege Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Wünsche allein etwas verändern könnten, dann
würde ein solcher Antrag, wie ihn die Grünen vorgelegt
haben, vielleicht einen gewissen Sinn machen. Nur, wir
sind hier nicht bei der Fernsehsendung Wünsch dir was;
wir sind in der real existierenden Europäischen Union
– in der Europäischen Union, lieber Kollege Schick, und
nicht in den USA; das ist ein erheblicher Unterschied;
das muss man einfach wissen – mit ihren ganz kompli-
zierten Verfahren und schwierigen Kompromissen bei
extrem komplexen Themen. Die Einführung einer Ban-
kenunion in Europa ist ein zentraler Schritt, um eine
Wiederholung der Bankenkrise auszuschließen.
Ziel Ihres Antrags ist, dass der Bundestag eine Stel-
lungnahme gemäß Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz abgibt.
Das ist ein wichtiger Artikel. Dort heißt es – ich zitiere
jetzt einmal wörtlich –:
Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegen-
heit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an
Rechtsetzungsakten der Europäischen Union.
Lieber Kollege Schick, „vor ihrer Mitwirkung“ heißt
es da! Sie wissen aber doch ganz genau, dass wir in der
Endphase der laufenden Verhandlungen sind. Bundestag
und Finanzausschuss haben zu diesen Verhandlungen di-
verse Male Anträge in allen Punkten diskutiert, rauf und
runter, und verabschiedet.
Es hat sogar einen gemeinsamen Antrag von SPD und
Grünen gegeben.
Ich habe mir den noch einmal angeschaut.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Sarrazin?
Nein, das will ich jetzt nicht zulassen. Ich will meine
Argumentation zu Ende bringen. Er kann ja danach noch
etwas dazu sagen.
Es soll nicht zur Gewohnheit geben, dass man andereauffordert, später noch einmal zu reden.
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1680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014
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Das finde ich auch. Ich hätte dann auch Schwierigkei-
ten, den Flieger noch zu kriegen.
Aber gut, das soll uns jetzt hier nicht stören.
Meine Bitte wäre: Lesen Sie sich diesen gemeinsa-
men Antrag von SPD und Grünen noch einmal durch!
Dann werden Sie feststellen, dass viele der Forderungen,
die wir da gemeinsam formuliert haben, inzwischen
Position der Bundesregierung sind.
Es macht doch keinen Sinn, in der Endphase der Ver-
handlungen neue Detailwünsche, die völlig konträr zu
vielem sind, was bisher vereinbart worden ist, an die
Bundesregierung heranzutragen. Das geht doch gar
nicht. Sie haben Vorschläge gemacht, die rechtlich nicht
tragfähig sind. Es sind Vorschläge in Ihrem Antrag, die
in sich widersprüchlich sind, und Vorschläge, die fach-
lich unsinnig sind.
Abwicklung und Restrukturierung von Banken in ei-
ner Krisensituation werden immer auch mit rechtlichen
Auseinandersetzungen verbunden sein; denn da geht es
um viel Geld. Deshalb wäre nichts verheerender, als
wenn in einer Krisensituation durch Gerichtsurteile
Maßnahmen gestoppt werden, die verhindern sollen,
dass die Krise weiter eskaliert. Das heißt, Verfahren
müssen gerichtsfest sein und bleiben.
Nun machen Sie den Vorschlag, wieder auf der Basis
des Art. 114 AEUV vorzugehen, obwohl Ihnen klar sein
muss, dass dies keine tragfähige Rechtsgrundlage dar-
stellt. Eine Reihe von Gutachten haben dies bewiesen.
Ich gestehe ja, dass ich am Anfang auch anderer Mei-
nung war, lieber Herr Kollege Schick,
aber es gibt das deutsche Verfassungsgericht mit seiner
ganz speziellen Rechtsprechung zu europäischen Fra-
gen. Diese Rechtsprechung ist so speziell, dass viele
Verfassungs- und Europarechtler sie nicht mehr nach-
vollziehen können – ich kann das im Übrigen auch
nicht –, aber sie ist nun einmal da. Ich kann hier viel-
leicht nur einmal auf die Bewertung durch den hochan-
gesehenen Verfassungsrichter Papier hinweisen; er hat
sich sehr kritisch zu den letzten Urteilen des Gerichts ge-
äußert. Aber diese Urteile existieren.
Wie man angesichts dieser Problemlage mit den
Rechtsfragen so schludrig umgehen kann, wie Sie es in
Ihrem Antrag machen, das ist mir ein Rätsel.
Gut, man kann sagen: Eine Opposition darf das. – Aber
eine Regierung sollte dies tunlichst nicht machen.
Dann fordern Sie einen einheitlichen Abwicklungs-
fonds direkt zum Start des SRM, also am besten im
nächsten Jahr. Das ist ein schöner Wunsch; wünschen
darf man sich das. Wir haben gehört: Es geht um 55 Mil-
liarden Euro. Der Kollege Troost hat eben deutlich ge-
macht, wie das mit der Finanzierung aussieht. Wie das
Geld in diesen Fonds kommen soll, dazu sagen Sie in Ih-
rem Antrag kein Wort. Das kann man machen; aber das
ist letztendlich nicht seriös.
Dann fordern Sie unter anderem eine Schuldenober-
grenze für Banken, eine Leverage Ratio. Diese Forde-
rung ist sinnvoll, und ich unterstütze sie auch; nur, das
hat mit den laufenden Verhandlungen zur Bankenunion
nichts zu tun.
Die Bankenunion in Europa ist das Ergebnis eines
Kompromisses der beteiligten Staaten und Institutionen.
Wir haben unsere Forderungen hier klar formuliert, und
die Forderungen, mit denen Deutschland in diese Ver-
handlungen gegangen ist, sind auch im Koalitionsvertrag
so festgelegt. Ich muss wirklich sagen, dass Minister
Schäuble hart an einem Kompromiss arbeitet und er da-
bei unsere volle Unterstützung hat. Wir hoffen sehr, dass
ein Kompromiss noch vor den Europawahlen möglich
wird; das ist absolut notwendig bei diesem Thema.
Es geht darum, dass zukünftig nicht mehr der Steuer-
zahler für marode Banken haften muss. Deshalb beste-
hen wir auf der Haftungskaskade, durch die – wir haben
das eben gehört – zunächst die Eigentümer in die Pflicht
genommen werden. Es geht um die Schaffung einer Eu-
ropäischen Bankenunion. Aufsicht, Sanierung und Ab-
wicklung müssen auf rechtssicherer Grundlage etabliert
werden, damit sich das Desaster der Finanzmarktkrise
nicht wiederholt.
Es wäre wirklich schön, wenn auch die Grünen im
Bundestag und im Europäischen Parlament für diesen
Prozess politische Verantwortung übernähmen. Bei dem
Antrag, den Sie vorgelegt haben, lieber Kollege Schick,
stellt sich jedoch die Frage, wer eigentlich hier als politi-
scher Geisterfahrer unterwegs ist. Diese Frage muss man
völlig anders beantworten, als Sie das getan haben.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt der Kollege Sarrazin.
Herr Zöllmer, ich habe den großen Vorteil: Ich kannmit dem Zug fahren, und der fährt jede Stunde nachHamburg. Es hat also Vorteile, aus Hamburg zu kom-men.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2014 1681
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Sie haben nur drei Minuten.
Ich möchte drei Dinge sagen, Herr Zöllmer: Die Bun-
desregierung hat zwei Seiten mit Rechtspositionen vor-
gelegt, wonach angeblich Art. 114 AEUV als Rechts-
grundlage nicht ausreicht und ein Intergovernmental
Agreement notwendig ist – zwei Seiten vor sechs Wo-
chen, nicht mehr. Aussagen, es gebe Gutachten, sind uns
nicht in schriftlicher Form vorgelegt worden. Dann be-
hauptet die Bundesregierung, der Juristische Dienst von
Rat und Kommission sei der gleichen Ansicht wie sie.
Schließlich kommt im Laufe des Gesprächs heraus: Es
gibt eine mündliche Aussage aus dem Trilog. Diese Aus-
sage ist schriftlich aber nicht belegt, weder in den Be-
richten der Bundesregierung noch sonst wo. Tun Sie da-
her nicht so, als lägen der Bundesregierung Gutachten
vor, die sie nicht vorliegen hat!
Wir haben ein Gutachten vorgelegt von einem der he-
rausragendsten aufstrebenden Europarechtler dieser Re-
publik, der regelmäßig von Karlsruhe zitiert wird. Das
Einzige, das Ihnen dazu einfällt, ist, diese juristische
Expertise kleinzureden. Dieser Europarechtler hat ein-
deutig gesagt: Die Rechtssicherheit ist durch dieses Vor-
gehen außerhalb des Vertrags gefährdet; es ist europa-
rechtswidrig, was dort passiert.
Sie sagen nichts dazu; von der Bundesregierung kom-
men keine Gegenargumente, außer dass Sie den politi-
schen Einfluss haben wollen, dass Deutschland entschei-
det – damit Sie Ihre deutschen Banken weiter teuer
retten können.
Noch etwas zum Zeitpunkt. Es ist eindeutig – das ist
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –, dass
man bei veränderter Verhandlungslage seine Stellung-
nahmen auch erneuern kann, um fortlaufend Einfluss zu
nehmen. Jetzt ist die entscheidende Woche der Verhand-
lungen zwischen EP und dem Rat in Brüssel. Wir wollen
uns mit diesem Antrag hinter die gemeinsame Position
aller Fraktionen im Europäischen Parlament stellen und
auf die Bundesregierung Druck ausüben, damit sie auf
das Europäische Parlament zugeht und eine Einigung er-
möglicht. Das ist doch wohl legitim.
Danke.
Vielen Dank. – Herr Kollege Zöllmer?
– Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/774 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 19. März 2014, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
ein schönes und nicht zu arbeitsreiches Wochenende.