Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Interfraktionell ist vereinbart worden, die Zahl derMitglieder im Ausschuss für Ernährung, Landwirt-schaft und Forsten sowie im Ausschuss für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung um ei-nen Sitz auf jeweils 27 Mitglieder zu erhöhen. Sind Siedamit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.Dann verfahren wir so.Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Punkt 1 –fort:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2001
– Drucksache 14/4000 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2000 bis 2004– Drucksache 14/4001 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussInterfraktionell ist vereinbart worden, die Schlussrun-de auf eine Stunde zu verkürzen, sodass für die Ausspra-che heute insgesamt viereinhalb Stunden zur Verfügungstehen. Sie sind, nehme ich an, damit einverstanden. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung, Einzel-plan 30. Das Wort hat die Frau BundesministerinBulmahn.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Noch niewurde in Bildung und Forschung so viel investiert wieheute.
Trotz Haushaltskonsolidierung und trotz enger finanziel-ler Spielräume haben wir die Investitionen in Bildung undForschung kontinuierlich erhöht, und zwar mit demHaushalt 2001 nun das dritte Mal in Folge.Wir legen einen Haushalt vor, der insgesamt 15,37Mil-liarden DM umfasst. Damit legt er um 5,3 Prozent zu.
Das, finde ich, ist ein Grund zur Freude, weil dieses Geldden Jugendlichen und auch der Zukunft unseres Landeszugute kommt.
Ich wundere mich – ganz offen gesagt – ein wenig,meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-tion, dass Sie dazu nicht klatschen, weil ich denke, dass esauch in Ihrem Interesse sein sollte, wenn wir hier mehrMittel bereitstellen.
– Wenn ich daran denke, was Sie während Ihrer Re-gierungszeit getan haben, dann muss ich leider feststellen,dass Sie damals jahrelang Entwicklungen und Trends ver-schlafen haben.
Sie konnten dann häufig nur noch mit viel Mühe undNot auf fahrende Züge springen. Darunter hat unserLand gelitten. Wir merken das am Zustand unserer Hoch-schulen. Wir merken es am Fachkräftemangel imIT-Bereich oder der Abwanderung deutscher Spitzenwis-11407
119. SitzungBerlin, Freitag, den 15. September 2000Beginn: 9.00 Uhrsenschaftler ins Ausland. All das sind Folgen Ihrer ver-fehlten Politik. Sie sind leider noch bis heute spürbar.
Ihnen – das muss ich leider so deutlich sagen, das ha-ben wir häufig diskutiert – waren Bildung und Forschungkeine müde Mark wert.
Ansonsten hätten Sie nicht gerade den Haushalt für Bil-dung und Forschung in den Jahren von 1993 bis 1998 umsage und schreibe mehr als 700 Millionen DM gekürzt.Das kann man nachlesen. Ich gehe davon aus, dass Sie dieZahlen lesen können und wissen, was sie bedeuten.
Das war eine falsche Politik, die durch diese Bundes-regierung jetzt korrigiert wird.
Es war damals in einer Zeit, in der erkennbar war, vorwelchen internationalen und nationalen Herausforderun-gen wir stehen, ein falsches Signal.Seit dem Regierungswechsel ist damit nun endlichSchluss. Bildung und Forschung haben in diesem Landwieder Priorität. Wir modernisieren die berufliche Bil-dung und sorgen dafür, dass alle Jugendlichen, die einenAusbildungsplatz suchen, auch einen Ausbildungsplatzerhalten.Wir investieren in die Hochschulen und Forschungs-einrichtungen und machen sie zukunftssicher. Wir ver-wirklichen die Chancengleichheit von Frauen und Män-nern in Bildung und Wissenschaft. Wir investieren in dieMenschen in diesem Land und verwirklichen damit einePolitik der Modernisierung und der sozialen Verantwor-tung.
Wir verfahren dabei nicht nach dem Gießkannenprin-zip, sondern wir setzen klare Prioritäten und Schwer-punkte. Wir konzentrieren uns auf die Handlungsfelder,die die größten Chancen für die Zukunft bieten. Das sindinsbesondere die Informations- und Kommunikations-technologien; es sind die Mikrosystemtechnik und dieElektronik. Sie sind die Schlüsselbereiche für wirtschaft-liches Wachstum und neue Arbeitsplätze.
Hier haben wir glücklicherweise gerade in den letztenzwei Jahren im internationalen Vergleich deutlich aufge-holt. Die neuen Informations- und Kommunikationstech-nologien verzeichnen in Deutschland inzwischen diehöchsten Zuwachsraten bei Umsatz und Beschäftigung.Breitbandige Mobilkommunikationssysteme erlauben anjedem Ort und zu jeder Zeit den Zugriff auf multimedialeDaten.Technologien der Verkehrstelematik helfen, dass un-sere Straßen effizienter genutzt werden. Mit dem Deut-schen Forschungsnetz verfügen wir über eine exzellente,schnelle Datenautobahn für die gesamten wissenschaftli-chen Einrichtungen. Die Entwicklung der Informations-gesellschaft ist aber kein Selbstläufer. Es wäre fatal, zuglauben, dies würde alles von allein funktionieren. Viel-mehr bedarf diese Entwicklung politischer und gestalteri-scher Initiativen, damit der Wandel beschleunigt werdenkann und damit die Chancen auch tatsächlich genutztwerden.Mit dem Programm „Innovation und Arbeitsplätze inder Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ undmit der Initiative D 21 bringen wir diese Entwicklung ge-meinsam mit der Wirtschaft weiter voran.
Wir haben gemeinsam mit den Sozialpartnern mit sehrgroßem Erfolg neue Ausbildungsberufe entwickelt. Wirhaben die Ausbildungsplatzzahlen von 14 000 auf in die-sem Jahr rund 40 000 gesteigert. Wir haben mit einem100-Millionen-Sofortprogramm für die Weiterentwick-lung des Informatikstudiums auf den Fachkräftemangel indiesem Bereich reagiert.Wir haben es geschafft, dass heute bereits 50 Prozentunserer Schulen ans Netz angeschlossen sind. Wir hattenin den letzten sechs, sieben Monaten einen dramatischenZuwachs. Das ist notwendig und auch richtig. Unser Zielist, bis zum Ende des Jahres 2001 alle Schulen ans Netzanzuschließen und eine flächendeckende Ausstattung mitComputern in den Schulen zu erreichen.
Wir haben weiterhin die Mittel für computer- undnetzgestütztes Lernen deutlich erhöht; denn Lern- undLehr-Software wird bei den Bildungsstätten der Zukunftdie gleiche Rolle spielen, wie es heute das Lehrbuch, dasSchulbuch oder zum Beispiel der Overheadprojektor tun.Das bedeutet, dass dort nicht nur ein Programm ent-wickelt werden muss, sondern dass auch didaktische undmethodische Konzeptionen für den Einsatz der neuen Me-dien im Unterricht erarbeitet werden müssen.Ich sage allerdings auch ganz offen: Es kommt dabeinicht nur auf den Bund an, sondern die Länder müssenparallel das ihrige tun, das heißt, in die Lehrerfortbildunginvestieren und die Curricula modernisieren.
Einen zweiten Schwerpunkt legen wir mit dem Haus-halt 2001 auf die Zukunftsbereiche Biotechnologie, Ge-sundheits- und Medizinforschung sowie die molekulareMedizin. Hier steigern wir im kommenden Jahr denHaushaltsansatz allein um 28 Prozent gegenüber dem
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn11408
diesjährigen Haushalt.
– Genau das hat Herr Rüttgers nicht getan. Er hat die Mit-tel nämlich nicht so gesteigert.
Er hat vor allen Dingen in diesem Bereich nicht in diemolekulare Medizin investiert. Das ist aber die notwen-dige Voraussetzung dafür, dass wir wirklich bessereMethoden entwickeln gerade für die Bekämpfung vonVolkskrankheiten, von denen ein großer Teil unsererBevölkerung betroffen ist, wie zum Beispiel Krebs oderAlzheimer. Wir wollen hier effektivere Methoden für dieBekämpfung von Krankheiten sowie neue Präven-tionsverfahren entwickeln.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Lebenswis-senschaften wirklich die Schlüsseltechnologie des21. Jahrhunderts sind. Deshalb ist es richtig, dass diese In-vestitionen hier getätigt werden und dass hier ein Schwer-punkt gesetzt wird.Die deutschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerin-nen und Forschungseinrichtungen haben übrigens bei derSequenzierung und bei der Entschlüsselung des mensch-lichen Genoms wichtige Beiträge geleistet.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert, PDS-
Fraktion?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja.
Frau Ministerin, Sie sprachen
gerade mit großer Euphorie von den Möglichkeiten der
biologischen Wissenschaften. Sie haben einige Krankhei-
ten genannt, die Ihrer Ansicht nach dadurch bekämpft
werden könnten. Sie hatten auch angekündigt, von den
UMTS-Geldern vieles in die entsprechenden Forschungs-
richtungen zu stecken.
Sie wissen doch aber so gut wie ich, dass sowohl in-
nerhalb der Bevölkerung als auch innerhalb des Hauses,
als auch innerhalb Ihrer eigenen Fraktion sehr große Vor-
behalte und Ängste mit Biotechnologien – insbesondere
der Gentechnik – verbunden sind. Haben Sie nicht die Be-
fürchtung, dass Sie damit die Arbeit der Enquete-Kom-
mission, die wir extra zu diesem Zweck eingesetzt haben,
sehr stark präjudizieren? Schaffen wir damit nicht sehr
einseitige Tatsachen, die dann unabhängig von den Er-
gebnissen der Enquete-Kommission – für den Fall, dass
die Enquete-Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass
die Gefahren wesentlich größer sind als die Chancen –
überhaupt nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein könn-
ten?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Da ich selbst zu den Abgeordneten
gehöre, die 1989/90 das Embryonenschutzgesetz auf den
Weg gebracht haben, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass
wir bei der Anwendung der Gentechnik ethische Gren-
zen ziehen müssen.
Ich bin der Überzeugung, dass wir in unserem Land das
Embryonenschutzgesetz aufrechterhalten müssen und
kein therapeutisches Klonen zulassen sollten. Ich hoffe
hier auf eine breite Zustimmung im Parlament.
Ich bin allerdings der Auffassung, dass wir auch in der
Verantwortung stehen, die Chancen, die uns diese Tech-
nologie bietet, im Interesse der Menschen zu nutzen, die
an den Krankheiten leiden, die ich genannt habe. Wir wis-
sen, dass wir wahrscheinlich nur über diesen Weg wirk-
same Therapien entwickeln können. Deshalb ist es kein
Widerspruch, sondern es gehört beides zusammen: auf der
einen Seite ganz klare ethische Grenzen in der Anwen-
dung zu ziehen und auf der anderen Seite die Chancen zu
nutzen.
Der Vorteil in unserem Land ist, dass wir inzwischen
gelernt haben, dass es nicht darauf ankommt, Ja oder Nein
zu sagen, sondern dass es darauf ankommt, den Weg so
einzuschlagen, dass man die Chancen neuer Entwicklun-
gen nutzt, aber auch ganz klar sagt, welche Anwendungen
man nicht will, und dann in der Forschungsförderung und
in der Gesetzgebung die entsprechenen Entscheidungen
trifft.
Noch eine Rückfrage
des Kollegen Seifert.
Ich danke Ihnen für Ihre klareAussage in Bezug auf die ethischen Grenzen, die Sie zie-hen wollen. Gleichwohl zeigt die Erfahrung, Frau Minis-terin, dass ethische Grenzen allein häufig nicht sehrhaltbar sind, wenn die technischen und sonstigen Voraus-setzungen dafür geschaffen sind, dass man andere Dingetun kann als das, was Sie oder ich oder wir gemeinsamwünschen. Auch wenn Sie beispielsweise das therapeuti-sche Klonen verbieten wollen, ist doch die Möglichkeitfür wissenschaftliches Klonen eröffnet. Sie wissen so gutwie ich, dass man dann, wenn man wissenschaftlich klo-nen kann, auch therapeutisch und schließlich auch repro-duktiv klonen kann. Das kann mit denselben Methoden,mit denselben Instrumenten und von denselben Menschengemacht werden. Mein Problem ist, dass dann, wenn dietechnischen Möglichkeiten da sind, ethische Grenzen von
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Einzelnen bedauerlicherweise überschritten werden kön-nen und dies nie wieder rückgängig gemacht werdenkann.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Ich bin der Überzeugung, dass der Unter-schied zwischen Menschen und Tieren gerade darin be-steht, dass wir ganz bewusst entscheiden können, dass wirurteilen und auch werteorientiert handeln können. Des-halb wiederhole ich, dass wir die ethischen Grenzen nichtnur in Werturteilen, sondern auch in unseren Gesetzen zie-hen müssen, wie wir es bereits getan haben. Die gesetzli-che Grenze, die wir gezogen haben, soll aufrechterhaltenwerden. In den gesetzlichen Vorschriften wird im Übrigennicht differenziert: In der Bundesrepublik ist Klonen ge-nerell untersagt.
– Im Embryonenschutzgesetz ist das Klonen generell un-tersagt und das soll auch so bleiben.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Werner
Lensing, CDU/CSU-Fraktion?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Aber selbstverständlich.
Ich weiß, dass es heuteprimär um haushaltspolitische Fragen geht. Aber da wirhier gerade an einer Nahtstelle von Forschungspolitik undEthik sind und über ethische Aspekte reden, möchte ichSie, Frau Ministerin, noch Folgendes fragen: Können Siesich vorstellen, dass in Ihrem Hause im Hinblick auf dasweite Feld der Forschung, das wir gerade behandelt ha-ben, eines Tages Handlungsbedarf insofern entstehenkönnte, als dass wir im Bereich der Humanforschung vie-les in der Bundesrepublik Deutschland nicht machen dür-fen, was aber im Ausland erforscht wird, und wir gleich-wohl mit Teilergebnissen, die im Ausland erzielt wordensind, anschließend in der Bundesrepublik Deutschlandweiterarbeiten? Sehen Sie da nicht eventuell die Gefahreiner doppelten Moral?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Eine doppelte Moral ist immer schlecht.Deshalb halte ich zum Beispiel die Regelung, die in denUSA gilt, für nicht erfolgversprechend und nicht gut. Dasheißt, dass man zum Beispiel die Finanzierung der Arbeitmit embryonalen Stammzellen durch private Forschungs-förderungsmittel zulässt, die durch staatliche aber nicht.Das halte ich nicht für eine gute Regelung.
Ich bin dabei schon der Auffassung, dass man eineklare Position haben sollte. Ich habe eine klare Position,dahin gehend, die verbrauchende Embryonenforschungnicht zuzulassen, so wie es auch im Embryonenschutz-gesetz niedergelegt worden ist. Ich persönlich werde michauch in Zukunft dafür einsetzen – so wie ich es auch in derVergangenheit getan habe –, dass es dabei bleibt und dassdieses Gesetz in diesem Punkt nicht geändert wird.Herr Lensing, ich habe vorhin gesagt, dass die Tatsa-che, dass wir urteilsfähig sind und differenzieren können,uns als Menschen auszeichnet. Deshalb bin ich der Auf-fassung, dass man eine Position, von der man zutiefstüberzeugt ist, vertreten muss, und zwar auch in interna-tionalen Gremien. Das tue ich auch, im Übrigen gar nichtso erfolglos, weil zum Beispiel sehr viele meiner For-schungsministerkollegen in der Welt, im G-8-Kreis, aberauch im europäischen Bereich meine Position durchausteilen. Von daher sind wir da nicht isoliert. Ich persönlichbin der Meinung: Wir sind in einer guten Position, die aufunseren humanistischen Weltbild basiert, das wir in Eu-ropa haben. Ich finde, es lohnt, sich dafür einzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade vor dem Hin-tergrund, den wir jetzt miteinander diskutiert haben, istwohl jedem deutlich geworden, dass es wichtig ist, dieChancen dieser Technologie zu nutzen, aber auch klareGrenzen zu ziehen. Wir haben im Bereich der Genom-forschung mehr Mittel eingesetzt und die Mittel in die-sem Jahr auf 144Millionen DM erhöht. Das bedeutet eineSteigerung der Fördermittel um 70 Prozent für diesen zen-tralen Bereich der Lebenswissenschaften. Damit nehmenwir hinter den USA bei der staatlichen Förderung denzweiten Platz ein. Also: Das ganze Gerede, wir stündenhier hintenan, ist schlichtweg falsch. Wir haben inzwi-schen den zweiten Platz deutlich zurückerobert. Ichglaube, das ist wichtig zum Nutzen der Menschen.
Bei der Modernisierung von Wirtschaft und Gesell-schaft haben unsere Hochschulen eine Schlüsselrolle. Wirhaben für die Hochschulen in den letzten Jahren bereitseine ganze Menge auf den Weg gebracht und setzen diesin diesem Jahr fort. Wir erhöhen zum einen die Mittel fürden Hochschulbau auf rund 2,2 Milliarden DM. Das istnotwendig, weil hier in den vergangenen Jahren – geradeAnfang und Mitte der 90er-Jahre – erheblich gekürzt wor-den ist. Es passt einfach nicht zu einer modernen Hoch-schule, wenn der Putz von den Wänden bröckelt und manmit Geräten arbeiten muss, die 20 Jahre alt sind. Das gehtnicht und deshalb haben wir die Mittel hier deutlich er-höht.
Wir erhöhen zum anderen auch die Mittel für dasBAföG. Das Thema BAföG war in der ersten Hälfte der90er-Jahre ein wirkliches Trauerspiel. Frau Pieper, ichsage ganz offen: Eine Opposition, die in den 16 Jahren ih-rer Regierungsverantwortung nicht den kleinsten Finger
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Dr. Ilja Seifert11410
dafür gerührt hat, dass das BAföG vernünftig ausgestattetwird, nehme ich ihre Kritik einfach nicht mehr ab.
Ich kann Ihnen versichern, Sie hätten in all den Jahren, indenen wir in der Opposition waren, unsere Unterstützunggehabt, wenn Sie ernsthafte Anträge zu einer nennens-werten Aufstockung gestellt oder eine Reform durchge-führt hätten. Wir hätten damals mitgestimmt; das kann ichfür alle Kollegen zusagen. Aber Sie haben es nicht eineinziges Mal wirklich versucht.
Wir sanieren das BAföG von Grund auf. Damit gibt eseinen neuen Anfang. Wir erhöhen die Freibeträge unddie Bedarfssätze beim Höchstsatz um 7,3 Prozent. Wirsorgen durch die Begrenzung der Darlehensbelastung auf20 000 DM dafür, dass die Jugendlichen aus den einkom-mensschwächsten Familien am Ende ihres Studiums nichtmit dem größten Schuldenberg dastehen. Genau das ist jazurzeit der Fall.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper,
F.D.P.-Fraktion?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja, das mache ich.
Ich als Abgeordnete danke
Ihnen, Frau Ministerin, für die Gelegenheit, in einen Dia-
log mit Ihnen einzutreten. Wenn ich Sie richtig verstanden
habe, haben Sie gesagt, Sie hätten zusammen mit der
SPD-Bundestagsfraktion einer BAföG-Strukturreform
zugestimmt. Ich möchte deshalb gerne wissen, warum Sie
jetzt keine BAföG-Strukturreform, sondern nur eine wei-
tere Novelle vorlegen wollen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Frau Pieper, das, was wir vorlegen, ist
eine BAföG-Strukturreform und keine weitere Novelle.
Wir werden das BAföG von Grund auf verändern. Wir
werden das Gesetz erheblich entschlacken, sodass es auch
wirklich wieder praktikabel ist und die Leute nicht mehr
sagen: Das ist so kompliziert, dass ich einen BAföG-
Antrag erst gar nicht stelle. – Das ist im Augenblick – lei-
der – oft der Fall. Ich hoffe, dass Sie alle dazu beitragen
werden, dass die Akzeptanz für dieses Gesetz wieder
wächst und dass es wieder ernst genommen wird.
Wir werden mit dieser Strukturreform erreichen
– auch deshalb ist es eine Strukturreform –, dass circa
80 000 Jugendliche wieder BAföG-berechtigt sind. Das
ist eine große Zahl. Wenn Sie den Vorschlag gemacht hät-
ten, die Freibeträge um 7,3 Prozent anzuheben, dann hät-
ten wir dem zugestimmt. Wenn Sie das vorgeschlagen hät-
ten, was ich jetzt vorschlage – die Begrenzung der
Darlehensbelastung und damit des Schuldenbergs der
Studierenden –, dann hätten wir das mitgetragen. Wenn
Sie – wie wir jetzt – vorgeschlagen hätten, dass auch
BAföG-Empfängern nach dem zweiten Semester ein län-
geres Auslandsstudium ermöglicht wird, dann hätten wir
das mitgetragen. Wenn Sie die Gleichstellung von Studie-
renden in Ost und West vorgeschlagen hätten – das ma-
chen wir jetzt; das ist längst überfällig –,
dann hätten wir auch das – das kann ich Ihnen versich-
ern – mitgetragen.
Wenn Sie alle diese Vorschläge gemacht hätten, dann
hätten wir Sie unterstützt, dann hätten wir sie jetzt nicht
selber machen müssen und dann hätten wir das BAföG
jetzt noch weiter verbessern können. Ich sage ganz offen:
Ich finde es nicht besonders überzeugend, dass Sie uns
jetzt sagen: „Es reicht aber nicht“, nachdem Sie selber
16 Jahre überhaupt nichts getan haben.
Frau Ministerin, Kol-
legin Pieper möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Gut.
Frau Ministerin, gestehenSie mir zu, dass ich noch nicht so alt aussehe, als ob ichschon 16 Jahre in diesem Parlament sitze?
Gestehen Sie mir des Weiteren zu, dass die F.D.P.-Bun-destagsfraktion zusammen mit mir die Angleichung derWohngeldzuschüsse für Studenten im Osten schon wäh-rend der letzten Haushaltsberatung gefordert hat? Es gabdamals einen sehr heftigen Disput hier im Plenum darüb-er.Ich frage auch: Ist es richtig, dass Ihre jetzige so ge-nannte Strukturnovelle eine elternabhängige Förderungder Studenten vorsieht, obwohl Sie, Frau Ministerin, nochvor zwei Jahren eine elternunabhängige Förderung beimBAföG gefordert haben?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Zu Ihrer ersten Frage kann ich nur sagen:Frau Pieper, es kommt darauf an, wann Sie Mitglied desBundestages geworden sind. Wenn man in relativ jungenJahren in den Bundestag gewählt wird – das trifft auf einenTeil der Abgeordneten zu –, dann kann man jung aussehenund trotzdem schon 16 Jahre Mitglied dieses Parlaments
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn11411
sein. Wie gesagt, es kommt darauf an, wann man zum ers-ten Mal Mitglied des Bundestages wird.
– Genau, wann man anfängt.Zur zweiten Frage: Die SPD-Fraktion hat sich überviele Jahre hinweg für zwei Dinge eingesetzt. Wir habenzum einen eine Grundsanierung des BAföG gefordert. Siewissen genauso gut wie ich, dass dies absolut zwingendwar. Deshalb war ich ja so verärgert, dass dies in den16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht gemacht worden ist.Wir haben zum anderen eine Änderung der Famili-enförderung gefordert. Allerdings bringt die Änderungder Familienförderung – um auch das ganz deutlich zu sa-gen – den einkommensschwächeren Familien keine müdeMark mehr ins Portemonnaie. Auch das wissen Sie ge-nauso gut wie ich. Aber gerade die Förderung von Ju-gendlichen aus einkommensschwächeren Familien istnotwendig, weil wir festgestellt haben, dass sich zurzeitimmer weniger junge Menschen, die aus solchen Familienkommen, ein Studium leisten können. Deshalb ist die vonuns vorgelegte Strukturreform ein wichtiger Schritt fürJugendliche aus einkommensschwächeren Familien. Siekönnen nämlich wieder sagen: Ich kann studieren, weilich es finanzieren kann; denn ich erhalte ein vernünftigesBAföG. – Genau das werden wir mit unserer Struktur-reform erreichen.
Wir werden zusätzlich zu dem, was ich bereits zurStrukturreform in der Antwort auf die Fragen von FrauPieper gesagt habe, die Möglichkeit schaffen, Bildungs-kredite in besonderen Notsituationen in Anspruch zu neh-men. Daran arbeiten wir. Auch das halte ich für ein sinn-volles Ergänzungsinstrument.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind vor allem diejungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die inunserem Land darüber entscheiden, wie fit unsere Hoch-schulen, unsere Gesellschaft und auch unsere Wirtschaftmorgen sind. Deshalb müssen wir den bevorstehendenGenerationenwechsel an unseren Hochschulen im Inte-resse der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler nutzen. Deshalb haben wir die Förderung des wissen-schaftlichen Nachwuchses gestärkt und verstetigt. DieFörderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist füruns eine Daueraufgabe und keine Sonderaufgabe, wie esvon der alten Bundesregierung tituliert wird. Sie brauchteine langfristige Perspektive.
Wir gestalten die Hochschulfinanzierung in Zukunftberechenbarer und stellen die Förderung von Begabten-förderungswerken sowie Graduiertenkollegs und den in-ternationalen Austausch von Studierenden und Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern auf eine verlässlicheGrundlage. Damit bekommen unsere Hochschulen end-lich die Planungssicherheit, die sie brauchen.Mit der von mir auf den Weg gebrachten Reform desöffentlichen Dienstrechts im Wissenschaftsbereich willich erreichen, dass gute Leistungen in Lehre und For-schung honoriert werden und nicht an starren Strukturen,an Bürokratie oder Beamtenrecht scheitern.
Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der Einführung vonJuniorprofessuren und einer Besoldung für Professoren,die von den Leistungen und nicht nur vom Alter abhängt,dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue Chancen eröff-nen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, junge Menschenbrauchen eine gute und qualifizierte Ausbildung, damitsie ihr Leben meistern können. Das gilt für diejenigen, diestudieren. Es gilt aber auch generell. Unser Land brauchtgut ausgebildete Menschen. Wir brauchen sie, damit sichunsere Demokratie, unser Land, unsere Wirtschaft, wei-terentwickeln können.Die Modernisierung der beruflichen Bildung und dieSicherung des Ausbildungsplatzangebotes sind deshalbwesentliche Schwerpunkte dieses Haushaltes und unsererArbeit. Ich bin sehr froh darüber, dass unsere Arbeit imBündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig-keit Erfolge zeigt. Wir haben in den alten Bundesländernin diesem Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit eine fastausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz. In den neuenBundesländern sieht es noch nicht so gut aus. Hier man-gelt es an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Aber auchhier haben wir endlich eine Trendwende geschafft. Dennwir haben zum ersten Mal einen spürbaren Zuwachs anbetrieblichen Ausbildungsplätzen. Es muss unser Zielsein, betriebliche Ausbildungsplätze in ausreichenderZahl zu haben.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrück-lich bei den Kammern, aber auch bei vielen einzelnenHandwerksbetrieben und Unternehmen bedanken, dasssie hier mitgemacht und Ausbildungsplätze angeboten ha-ben.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es uns ge-lingt, dass die 3 000 Jugendlichen, die zu Beginn des Aus-bildungsjahres noch unvermittelt waren, bis Ende Sep-tember einen Ausbildungsplatz finden werden. Wirwerden das Unsrige dafür tun, damit es gelingt. Damitmachen wir unser Versprechen wahr, dass jeder Jugendli-che, der kann und will, einen Ausbildungsplatz erhält.Wir haben in unserem Haushalt noch einen weiterenSchwerpunkt gelegt, nämlich auf den Ausbau von Bil-dung, Wissenschaft und Forschung in den neuen Ländern.Dafür werden wir auch künftig mehr als 3 Milliarden DMpro Jahr zur Verfügung stellen.
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn11412
Hier möchte ich zwei Programme nennen. Zum einenunterstützen wir mit dem AusbildungsplatzprogrammOst betriebliche Ausbildungsplätze in den neuen Bundes-ländern. Zum anderen haben wir die Initiative Inno-Regio. Mit diesem neuen Förderansatz geben wir geradeden neuen Bundesländern wichtige Impulse. Mit diesemneuen Ansatz haben wir schon jetzt große Erfolge er-reicht. Wir schaffen mit ihm etwas, was mir sehr wichtigist: Wir schaffen zukunftsfähige Arbeitsplätze in denneuen Bundesländern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verkaufserlöse ausder Versteigerung der UMTS-Lizenzen wird die Bundes-regierung voll und ganz zur Schuldentilgung einsetzen.So haben wir es angekündigt. Mit den Zinsersparnissenwerden wir unsere Zukunftsinvestitionen in Bildung undForschung weiter verstärken, und zwar zusätzlich zu dem,was wir im Haushalt haben.
Damit werden wir unserer Politik der Modernisierung undder sozialen Gerechtigkeit zusätzlichen Schub geben.Wir sind mit dem Versprechen angetreten, unser Landzu modernisieren. Wir halten dieses Versprechen.
Ich sage ganz klar: Die Zeit der Sonntagsreden, wie wirsie in den 90er-Jahren erlebt haben, ist vorbei. Wir packenes an.
Ich erteile dem Kolle-
gen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jaVerständnis dafür, dass unsere Ministerin die Auffassungvertritt, dass nach der Bundestagswahl im Herbst 1998 inDeutschland die heile Welt begonnen hat.
Diese Überzeugung hat sich aber noch nicht einmal bei al-len Mitgliedern Ihrer Koalition verfestigt.
Beim Durchlesen von Zeitungsartikeln der letzten Tagehabe ich festgestellt, dass der Kollege Berninger die Auf-fassung vertritt, dass die Bildungspolitik der Koalitionblass geblieben ist.
Das wird uns der von mir sehr geschätzte KollegeBerninger heute sicher noch erläutern; er steht auf derRednerliste.In Sachen Forschung und Technologie habe ich nocheinmal den letzten Bericht zur technologischen Leis-tungsfähigkeit Deutschlands durchgesehen. Frau Ministe-rin, ich habe bemerkt, dass sich seit dem Regierungs-wechsel bei den wichtigsten Daten nichts geändert hat.Wir geben nach wie vor nur 2,3 Prozent unseres Brutto-inlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus.
Ich komme nachher noch auf die gar nicht so schlechtenZahlen Ihres eigenen Hauses zu sprechen. Aber es kommtnatürlich auch auf die Gesamtbilanz an.Ich habe mir eine Übersicht des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums, das Zuständigkeiten im Bereich von For-schung und Entwicklung übernommen hat, mitgenom-men. Es behandelt dieses Gebiet absolut stiefmütterlich.Nach eigenen Angaben liegt die Steigerungsrate im Jahr2001 im Vergleich zum Istergebnis des Jahres 1998 bei0,5 Prozent.
Man könnte noch andere Ministerien heranziehen, umfestzustellen: Die Gesamtbilanz ist nicht sehr gut.Frau Ministerin, ich lese in diesem Bericht zur techno-logischen Leistungsfähigkeit Deutschlands etwas, wasich für sehr bemerkenswert halte: Wir sind – das sagen Sieja auch – bei den Spitzentechnologien dabei, etwas auf-zuholen. Die Gründe, die von den Gutachtern genanntwerden, sind sehr interessant. In diesem Bericht stehtnämlich, das sei vor allem das Ergebnis von Deregulie-rung im Bereich von Telekommunikation und von Gen-technik. Bei der Deregulierung sind Sie bekanntlichbesonders schwach.
Wir sollten uns hüten, zu glauben, dass wir alles in die-ser Welt nur mit Geld verändern können.
Geld ist wichtig, aber nicht alles, Herr Kollege Tauss. Eskommt auch auf andere Dinge an.Trotzdem: Wir sind in den Haushaltsberatungen unddaher will ich mit dem Geld beginnen. Sie haben nach derWahl zugesagt – auf frühere Versprechungen will ich garnicht eingehen –, die Ausgaben für Bildung und For-schung jährlich um 1 Milliarde DM zu erhöhen. Sie sinddann sehr schnell in Sparzwängen stecken geblieben. Aufdem Papier haben Sie das Versprechen im Jahr 1999 nochso ungefähr eingehalten. Jetzt liegen uns die Istzahlen vor– Frau Bulmahn, das haben wir Ihnen schon damals an-gekündigt –: Von dem zusätzlichen Geld haben Sie imJahr 1999 – das ging auch gar nicht anders – 236 Milli-onen DM an den Finanzminister zurückgegeben.Im laufenden Haushaltsjahr wurde rechnerisch 1 Mil-liarde DM dazugelegt. Dann wurde gespart und es kamein Minus von 340 Millionen DM heraus. Wenn ich das
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Bundesministerin Edelgard Bulmahn11413
beim Taschengeld meiner Söhne so handhabe, dann hal-ten die mich für völlig verrückt.
Man kann nicht 1 Milliarde DM zusätzlich ankündigenund weniger auszahlen.Ich sage ausdrücklich: Der in diesem Jahr vorhandeneZuwachs von 780 Millionen DM ist beachtlich. Ichmöchte erwähnen, dass es durchaus ein Zuwachs an Ehr-lichkeit ist, dass die Bundesministerin dieses Mal, da siedas Geld vielleicht tatsächlich noch bekommen wird, da-rauf verzichtet hat, von der zusätzlichen Milliarde zu re-den und diese Summe sozusagen rechnerisch herbeizu-zaubern.Wir entnehmen der Presse, Herr Kollege Tauss, dassgegenüber der alten Finanzplanung schon 411 Milli-onen DMmehr im Haushalt enthalten sind. Dabei handeltes sich offensichtlich um Gelder aus den Zinsersparnis-sen, die der Finanzminister eingeplant hat. Nach derneuen Finanzplanung sollen die Ausgaben unserer Bil-dungs- und Forschungsministerin für Bildung undForschung bis zum Jahr 2003 – das ist nach Ende diesesFünfjahreszeitraums – um 2 Milliarden DM steigen. Dasist, gemessen an Ihren Versprechungen, ein ganz beschei-dener Betrag.
Das sind 14 Prozent mehr; das bedeutet eine jährlicheSteigerungsrate von nicht einmal 3 Prozent.Wir sollten die Chance, die sich aus den Zinserspar-nissen ergibt, nutzen. Wir freuen uns, dass wir dabei auchdie Unterstützung unserer eigenen Haushaltspolitiker ha-ben, –
– um diesem Ressort einen kräftigen Nachschlag zu ge-ben. Frau Ministerin Bulmahn sollte sich im Übrigen daeinmal bei unseren früheren Ministern Bötsch und Waigelbedanken, die die Privatisierung von Post- und Telekom-munikationsleistungen gegen den Widerstand der damali-gen Landesfürsten Schröder und Eichel durchgesetzt ha-ben.
Deshalb können Sie heute diese Zusage einhalten.Meine Damen und Herren, wir als Opposition solltennicht an allem herumnörgeln,
aber auch nicht auf die Knie fallen und diese Regierungnur noch loben und preisen.
Die Ministerin hat die BAföG-Mittel angesprochen.Frau Ministerin Bulmahn, dieses Mal habe ich die Unter-lagen nicht dabei, aber ich habe die Debatten sehr inten-siv verfolgt und meine Notizen aufgehoben. In meinenAkten befinden sich nach wie vor die Beschlüsse der Fi-nanzministerkonferenz aus der letzten Legislaturperiode,bei der diese einstimmig festgelegt hat, dass eine BAföG-Reform kostenneutral sein muss, und festgestellt hat, dassalle Modelle, die vorgeschlagen wurden, nicht brauchbarund finanzierbar sind. Sie erinnern sich vielleicht: DieBayern hatten ein Modell, Herr Rüttgers hatte ein Modellund Sie hatten damals noch ganz andere Vorstellungen,die Sie inzwischen beerdigt haben. Wenn Sie hier jetztVorwürfe erheben, müssen Sie sie schon gerecht verteilen.Sie wissen, dass sich im Zweifel auch bei der SPD nichtdie Bildungspolitiker, sondern die Finanzpolitiker durch-setzen.
Die Bereitstellung der Mittel für die BAföG-Reform istüberfällig. Auch Herr Eichel hat eine Politik des Verzö-gerns betrieben, um dadurch zu sparen. Die Studierendenmüssen jetzt fast zwei Jahre warten, bis sie echte Leis-tungsverbesserungen erhalten.
Die Aufstockung der Mittel – die nochmalige Auf-stockung der Mittel, muss ich sogar sagen – für den Hoch-schulbau ist notwendig, auch wenn ich von herunterpras-selndem und -fallendem Putz an den bayerischenHochschulen nichts bemerke, weil wir sehr viel vorfinan-ziert haben.
Ich bin der Meinung, dass wir, wenn die Länder die Ko-finanzierung sicherstellen können, hier sogar noch einmalGelder aus den Zinsersparnissen drauflegen sollten. Da-ran hat auch der Bund ein Interesse, weil wir so die Inves-titionsquote des Bundes verbessern könnten, die sich jazurzeit ganz miserabel entwickelt.
Ich habe gelesen, dass Frau Ministerin Bulmahn vor-schlägt, 1 Milliarde DM aus den Zinsersparnissen verteiltauf fünf Jahre zusätzlich in die Genomforschung zustecken. Hierbei sind wir uns völlig einig. Diesen Antrag,fünfmal 200 Millionen DM, also 1 Milliarde DM insge-samt, zusätzlich zu investieren, haben wir schon im letz-ten Jahr gestellt. Er ist damals leider abgelehnt worden.
Hier können wir uns sicher einigen.
Wir hoffen nur, dass Sie sich auch bei Ihren eigenen Fi-nanzpolitikern durchsetzen.In der Informationstechnologie setzen Sie zugegebe-nermaßen einen Schwerpunkt. Das halten wir für richtig.Da wird einiges gemacht. Es hilft der Ministerin jedochnicht, ihre Vorschläge bei den eigenen Finanzpolitikerndurchzusetzen, wenn sie jetzt vorschlägt, jeder Schüler
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solle einen Laptop erhalten. Das halte ich für völlig über-trieben. Das ist nicht solide.
Wenn Vertreter dieser Regierung eine Chance sehen, inden Medien eine Wirkung zu erzielen, dann verlieren sieschlicht und einfach die Bodenhaftung.
Wir schlagen für diesen Bereich etwas ganz anderesvor. Unser Bundeskanzler hat bei seiner Green-Card-Initiative gerade noch rechtzeitig gemerkt, dass manzunächst einmal etwas für den eigenen Nachwuchs tunmuss. Wir sind ja nicht gegen eine begrenzte Lockerungdes Anwerbestopps.Er hat dann den Vorschlag eines Bund-Länder-Programms gemacht. In diesem Zusammenhang hat er von100Millionen DM gesprochen. De facto gibt der Bund nurfünfmal 10 Millionen DM zu diesem Programm. Das, ver-teilt auf alle Bundesländer, wird weder in Berlin noch an-derswo verhindern, dass in der Informatik der Numerusclausus eingeführt wird. Deshalb schlagen wir vor, in die-sem Bereich noch einmal kräftig aufzustocken.Ein weiterer Vorschlag zur künftigen Haushaltsgestal-tung. Staatliche Forschungsmittel sind nach Auffassungaller Sachverständigen möglichst im Wettbewerb zu ver-teilen. Insofern hat die Projektförderung einen gewissenVorteil gegenüber der institutionellen Förderung.Nun sieht der Haushalt eine globale Minderausgabevon 265 Millionen DM vor. Es besteht immer die Gefahr,dass diese globale Minderausgabe dort erwirtschaftetwird, wo es am einfachsten ist, nämlich bei der Projekt-förderung. Deshalb werden wir bei den Haushaltsbera-tungen vorschlagen, diese globale Minderausgabe zustreichen. Das ist übrigens ein Antrag, den Sie, FrauMinisterin, wie ich gehört habe, früher in der Oppositionregelmäßig selbst gestellt haben.
Also wird es hier einen großen Konsens geben.Ich muss leider zum Schluss kommen und vieles weg-lassen. Ich darf noch einen Vorschlag machen. Aus gutenGründen muten wir unseren Hochschulen und unserenForschungseinrichtungen Evaluation, also Überprüfung,kontinuierliche Begutachtung, zu, um die Effizienzsicherzustellen. Frau Ministerin, diesmal habe ich mirbei der Durchsicht des Haushaltes auch die Anlagen an-gesehen und bei der Anlage 2 festgestellt, dass wir bei denProjektträgern 540 Mitarbeiter finanzieren, die For-schungsmittel vergeben. Nun vermute ich, dass aucheinige der 934 Mitarbeiter Ihres Hauses an der Vergabedieser Mittel beteiligt sind. Ein Fachmann hat – ich kannes aber nicht überprüfen – einmal hochgerechnet, dass wirinsgesamt 7 Prozent der Projektmittel für Verwaltung aus-geben. Wenn wir also anderen Evaluation zumuten, dannsollten wir dies auch bei unserer eigenen Forschungs-verwaltung tun.Das ist kein Vorwurf an Sie allein; das hat sich überJahre aufgebaut. Es wäre aber ein Vorschlag, um für mehrEffizienz auch im staatlichen Sektor zu sorgen.Vielen Dank.
Ich erteile nun dem
Kollegen Matthias Berninger, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In jeder Haus-haltsdebatte findet ein Streit darüber statt, wie viel dieseBundesregierung trotz Sparkurs zusätzlich für Bildungund Forschung ausgibt. Dieser Streit findet vor allem des-halb statt, weil Sie von der Opposition sich darüber är-gern, dass solche Zuwächse, wie wir sie jetzt im Bil-dungsbereich haben, in Ihrer Regierungszeit nicht erreichtworden sind. Vor diesem Hintergrund sehe ich dem Streitsehr gelassen entgegen.
Sie haben völlig Recht: Im Koalitionsvertrag steht,dass wir eine deutliche Aufstockung der Mittel für Bil-dung und Forschung wollen. Darüber hinaus wurdeselbst in Regierungserklärungen des Bundeskanzlers dieForderung aufgestellt, die Investitionen in Bildung undForschung zu verdoppeln. Wir können uns darüber strei-ten, ob diese Verdopplung der Investitionen in Bildungund Forschung in voller Höhe erreicht worden ist. Aberich möchte in Erinnerung rufen: Angesichts der1 500 Milliarden DM Schulden, die wir von Ihnen über-nommen haben, war es eine Riesenleistung, die Zu-wächse, die wir bei Bildung und Forschung erreicht ha-ben, in den Haushalten der vergangenen Jahre zu sichern,und ist es ebenso eine Leistung, diese Sicherung in dennächsten Jahren fortzusetzen.
Herr Kollege Friedrich, Sie sagen, im letzten Jahr seiendie Mittel um 375 Millionen DM gekürzt worden. Siewissen genau, dass das nicht stimmt. Wir haben innerhalbdes Bundeshaushalts eine Reihe von Veränderungen vor-genommen. Nur ein Beispiel: Der Darlehensanteil desBAföG wird nicht mehr aus dem Haushalt finanziert, son-dern über die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Ergebnis: 500Millionen DM mehr Spielraum für Bildungund Forschung. Das können Sie hier nicht als Kürzunghinstellen. Auch diesen Streit hatten wir schon häufiger.
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Entscheidend ist doch:
Wie sind die Zuwächse bei den einzelnen Titeln? WennSie sich das anschauen, merken Sie: Die Spielräume inuns sehr wichtigen Forschungsbereichen und bei vielemim Bereich der Hochschulpolitik sind von dieser Bundes-regierung erweitert worden. Die Bundesregierung hatauch die Unterstützung der Koalitionsfraktionen, dass dasin Zukunft so bleibt.
Die BAföG-Reform ist in dieser Debatte schon einwichtiges Thema gewesen. Die Kollegin Pieper hat dazueinige Fragen gestellt. Es bleibt hier festzustellen: DieKoalition hat versprochen, zum Frühjahr nächsten Jahreseine Strukturreform des bestehenden BAföG auf den Wegzu bringen. Wir hatten ehrgeizigere Ziele; das wissen Sie.Wir wollten eine grundsätzliche Reform der Ausbildungs-finanzierung. Damit sind wir im Januar gescheitert. Aberuns ist es gelungen, 1,4 Milliarden DM zusätzlich für dasBAföG zu mobilisieren.Frau Kollegin Pieper, diese zusätzlichen Mittel bewir-ken, dass die durchschnittliche BAföG-Förderung nichtmehr 640 DM, sondern 730 DM beträgt und dass derBAföG-Höchstsatz anstatt bei etwas über 1 000 DM in-zwischen bei 1100 DM liegt. Ich halte diese große Aus-weitung des BAföG, die erreicht worden ist – verbundenmit dem Wegfall vieler Detailregelungen aufgrund derVereinfachung, verbunden mit Regelungen, dass Studie-rende in Ost- und Westdeutschland das gleiche BAföG be-kommen, verbunden mit der Deckelung der maximalenDarlehensschuld bei 20 000 DM –, für einen großen Er-folg, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte. Ich finde,das sollten Sie einmal zugeben.
Meiner Einschätzung nach ist dennoch Handlungs-bedarf in der Bildungsfinanzierung gegeben. Neben demüber die Steuer finanzierten Teil der Unterstützung vonEltern, deren Kinder studieren, und neben dem BAföGwollen wir ein weiteres Element, nämlich einen eltern-unabhängigen Bildungskredit, einführen. Auch hierfürwerden wir die Voraussetzungen im Haushalt 2001 schaf-fen, damit diejenigen, die durch den bisher vorhandenenFörderrost gefallen sind, auch eine Unterstützung bekom-men. Dies ist ein erster Schritt in Richtung Elternunab-hängigkeit und ein weiterer Schritt in Richtung Entbüro-kratisierung.Ich wünsche mir dafür auch die Unterstützung der Op-position, insbesondere in den Ländern, Herr KollegeFriedrich – ich nenne in diesem Zusammenhang Bayern –,die sich bisher ein bisschen zieren, ein solches Programmin ihren BAföG-Ämtern mitzuverwalten, obwohl sie kei-nen Pfennig bezahlen müssen. Sie können noch eineganze Menge in Ihren eigenen Ländern tun, damit die Stu-dierenden ein weiteres Förderinstrument nutzen können,das dazu beiträgt, dass schneller studiert werden kann,dass der Studienortwechsel und das Studium im Auslanderleichtert werden und dass die Anschaffung zum Beispieleines neuen Computers, wenn er für das Studium nötig ist,möglich wird. Dafür legen wir dieses Programm auf. Hel-fen Sie, dass es umgesetzt wird, statt hier zu schwadro-nieren!
Als wir die Verantwortung übernommen haben, lag derHochschulbau brach. Die Mittel für den Hochschulbauwaren viel zu gering – das haben Sie selber zugestanden –,weil Sie windige Vorfinanzierungsmodelle mit einigenLändern vereinbart haben. Hier findet eine kontinuierli-che Aufstockung der Investitionsmittel für den Hoch-schulbau statt. Wir können zwar mit dieser Maßnahmenicht groß in die Öffentlichkeit gehen und sagen, wir sinddiejenigen, die das Allerbeste auf den Weg bringen. Abertrotzdem kann man deutlich machen, dass diese konkre-ten Hilfen bei den Hochschulen ankommen. Die Auf-stockung der Hochschulbaumittel in kleinen Schritten– wir unternehmen diese kleinen Schritte nicht, weil wirnicht mehr machen könnten, sondern weil die Ländersignalisieren: bitte nicht zu viel, wir können das nichtgegenfinanzieren – halte ich für sehr vernünftig.
Es ist schon angesprochen worden: Zusätzlich werdenwir die UMTS-Milliarden auch dafür nutzen können, imBildungsbereich weitere Spielräume zu eröffnen. Ichmöchte in diesem Zusammenhang auf einige Punkte hin-weisen, die mir besonders wichtig erscheinen. Im Bereichder Gentechnik ist es vernünftig, hinsichtlich der Adul-tenstammzellen in die Genomforschung zu investierenund die Volkskrankheiten, die die Ministerin schon an-sprach, zum Schwerpunkt unserer Forschungsförderungzu machen, weil wir da den Menschen konkret helfen kön-nen.Als die Ministerin vorhin diesen Punkt angesprochenhat, raunten aber einige Ihrer Kollegen – auch da unter-scheiden Sie sich von Ihrer Parteivorsitzenden, FrauMerkel – gleich wieder, das sei grüne Gentechnik und, beider Landwirtschaft würde sich nichts tun. Diese Bundes-regierung – das hat die Ministerin dargestellt – fährt beider Gentechnik einen sehr vorsichtigen Kurs. Wir sindnicht blind fortschrittsgläubig. So wie die Konsumentenkein Interesse daran haben, Nahrungsmittel, die aus gen-technisch veränderten Pflanzen produziert werden, ein-fach so ohne Kenntnis der Risiken zu konsumieren – dasist ja bekannt; das ist die große Krise der grünen Gen-technik –, so wollen wir die ethischen und die übrigen Ri-siken mitbeachten. Wir wollen die neuen Chancen beson-nen und nicht blind fortschrittsgläubig nutzen. Ich binfroh, dass sich die Koalition in dieser Frage einig ist.
Ein weiterer mir wichtiger Punkt ist die Situation anden Berufsschulen.Wir können in der Schulpolitik in denmeisten Bereichen nichts machen, weil dafür die Länderzuständig sind. Hier müssen die Länder nach meiner Ein-schätzung noch deutlich mehr machen. Wenn alles gut
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läuft, können wir aber zumindest im Bereich der Berufs-schulen etwas tun. Ich glaube, es wäre wichtig, die tech-nische Ausstattung in den Berufsschulen zu verbessern.Warum? Weil sie dort am schlechtesten ist. Wir könnendamit gegen die Spaltung in Bezug auf die Nutzung derneuen Technologien – auch „digital divide“ genannt – ei-nen wichtigen Schritt unternehmen. Wenn es uns gelänge,jährlich 500 der 6 600 Berufsschulen mit besseren Tech-nologien auszustatten, würden wir viel dafür tun, dassdiejenigen, deren Chancen, Zugang zur Informationstech-nologie zu bekommen, bisher gering sind, neue Spiel-räume erhalten. Meine Fraktion steht einer solchen Über-legung sehr offen gegenüber.
Darüber hinaus glaube ich, dass jeder Student vom ers-ten Semester an zusammen mit dem Immatrikulations-ausweis ein Notebook – ähnlich wie es heute ein Semes-terticket gibt – in die Hand bekommen sollte. Warum?In die Studiengänge an den Hochschulen sollten dieneuen Technologien von Anfang an mit einfließen. Essollten neue Konzepte erarbeitet werden, die dann viel-leicht auch in den Schulen dazu führen, dass man mit demComputer besser arbeiten kann. Das Internet gibt unsgroße Chancen, unser Bildungssystem zu revolutionieren.Die Bundesregierung fängt damit nicht nur dadurch an,dass die Spitze des Bildungsministeriums weiß, wovonsie spricht, sondern auch dadurch, dass wir Fördermittelfür den IT-Bereich einsetzen und hier einen Akzent set-zen. Ich wäre sehr froh darüber, wenn es uns gelänge, ei-niges anzustoßen, was in den nächsten zehn oder 20 Jah-ren positive Wirkung entfalten könnte.
Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist, ist die Frage derWeiterbildung, sind die Herausforderungen des lebens-langen Lernens; auch darüber besteht Einigkeit in denSonntagsreden aller Politiker, vor allem aber bei den Bil-dungspolitikern. Im Bereich des lebenslangen Lernenskönnen wir noch in dieser Legislaturperiode neue Ak-zente setzen. Was auffällt, ist: Die Menschen sind bereit,für Weiterbildung mehr Geld auszugeben. Es ist aber so,dass der Staat Weiterbildung bisher nicht in der Form un-terstützt, wie er viele andere Dinge unterstützt. MeinerMeinung nach sollten wir darüber nachdenken, so etwaswie ein Bildungssparen einzuführen, wie wir es vomBausparen und von der Altersvorsorge kennen, damitMenschen mit geringem Einkommen, die bereit sind,Geld für Weiterbildung auszugeben, eine staatliche Un-terstützung zum Beispiel für Computerkurse bzw. Um-schulungen erhalten, um dadurch in der Lage zu sein, sicheinen neuen Job zu suchen. In diesem Bereich müssennoch Akzente gesetzt werden.Wir sind uns darüber einig – Frau Schavan hat hier ausunserem Entschließungsantrag abgeschrieben –, dass esmehr Qualitätssicherung geben muss, Stichwort: StiftungBildungstest. Ich bin der Meinung, dass wir alle mitei-nander im Bereich der Weiterbildung einen zusätzlichenAkzent setzen sollten, und hoffe, dass wir in diesem Hausin dieser Sache einen Konsens finden.
Es stehen eine Reihe von Strukturreformen vor uns, dieoft gar nicht sehr viel mit Geld zu tun haben, die aber sehrwichtig sind; daher meine Ungeduld, Herr KollegeFriedrich. In den nächsten acht Jahren geht die Hälfte allerProfessoren in Rente. Unser Dienstrecht stammt aus dem19. Jahrhundert. Wenn wir nichts tun, werden wir diesesverkrustete Dienstrecht auch noch im 21. Jahrhundert ha-ben.
Herr Kollege, Sie ha-
ben Ihre Redezeit bereits überschritten.
Jawohl, Herr Präsident. – Auch die Länder sind gefragt,
wenn es darum geht, etwas dafür zu tun, dass eine Dienst-
rechtsreform zustande kommt. Hier bin ich ungeduldig.
Ich wünsche mir, dass Sie genauso ungeduldig sind, da-
mit wir in diesem Bereich die bestehende Reformchance
nicht verpassen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! In der Sommerpause haben wir eine Bil-dungsministerin erlebt, die mit dem Füllhorn der UMTS-Milliarden durch die Lande zog und alle Wünsche der Bil-dungs- und Forschungspolitiker dieses Landes erfüllenwollte.
Der vorgelegte Haushalt des Bildungs- und Forschungs-ministeriums sieht anders aus, Frau Bulmahn. Er soll imnächsten Jahr auf 15,37 Milliarden DM wachsen. Das istdie von Ihnen angekündigte Steigerung um 780 Milli-onen DM. Diese Steigerung ist übrigens nicht kontinuier-lich, wie Sie eben festgestellt haben. Im letzten Jahr wa-ren es 100 Millionen DM weniger; da gab es kein Plus.Nun frage ich mich natürlich – das habe ich mir bei derVorbereitung meiner Rede durch den Kopf gehen lassen –:Über welche Vorhaben sollen wir heute eigentlich mitIhnen diskutieren? Über diejenigen, die Sie vollmundigankündigen, oder über diejenigen, die wirklich konkret imHaushalt stehen?
Sie sprechen viel über die virtuelle Hochschule und dieneuen Medien in der Bildung. Manchmal habe ich denEindruck: Sie sind uns, aber auch Ihrem Ministerium in
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der virtuellen Welt verloren gegangen. So haben wir unsinzwischen an Ihre zweistufigen Vorschläge gewöhnt: erstein buntes Feuerwerk bildungspolitischer Highlights unddann ein deutlich abgespeckter Vorschlag für den Haus-gebrauch.
Das gilt zum Beispiel auch für den Vorschlag des Kolle-gen Berninger – dies toppte er soeben sogar noch für dieStudenten –, alle Schüler mit Laptops auszustatten.82 Milliarden DM sollte dieses Unterfangen nach erstenBerechnungen kosten, sozusagen alle UMTS-Erlöse aufeinen Schlag. Dann kam die Version für den Alltag:Laptops für Bedürftige. Dafür wollen Sie nun jährlich50 Millionen DM, 350 Millionen DM bis 2006 ausgeben.Frau Bulmahn, das hört sich schon ganz anders an, wobeiich mich mehr als über solch blumige Vorschläge gefreuthätte, wenn Sie uns Vorschläge über Leasing-Verträge,über Folgekosten beim Strom, über Softwareanpassung,Haftpflicht und über die ganz simple Frage, wie ich mitKindern umgehe, die solche teuren Geräte zu Hause ste-hen haben, gemacht hätten.
Bildung und Forschung sind teuer, das wissen wir, unddazu steht die F.D.P. So haben wir – Frau Pieper hat essoeben erläutert – ein BAföG-Modell vorgelegt, das dieStudienförderung strukturell angeht und nicht nachbessertwie Ihre Reparaturnovelle.
Aber natürlich ist eine solche Reform nicht für 500 Milli-onen DM zu haben. Hier hätten Sie ansetzen müssen – wieim Wahlkampf versprochen und wie übrigens auch vonHerrn Berninger immer wieder betont.Sie haben sich stattdessen von Ihrer ureigenen pro-grammatischen Idee einer elternunabhängigen und sozialgerechten BAföG-Reform verabschiedet.
Es ist eben leichter, Laptops anzukündigen, anstatt, wie esHerr Berninger in der letzten Debatte gesagt hat, einewirklich mutige Reform anzugehen. Wo bleibt übrigensder Koalitionsvertrag auf diesem Gebiet?Wir stimmen mit Ihnen bei der Genomforschung völ-lig überein. 1 Milliarde DM zusätzlich für die deutscheHumangenomforschung wäre ein Schritt vorwärts fürdiese wirklich wichtige Schlüsseltechnologie. Ich hoffesehr, dass der gute Wille Realität wird. Das allerdings,was Sie jede Woche mit immer fantastischeren Summenankündigen, sind bisher reine Luftbuchungen. Das ein-zige, was wir wissen, ist, dass Sie 1,8 Milliarden DM ge-fordert haben, Frau Bulmahn, ob Sie diese auch bekom-men, steht in den Sternen.Frau Bulmahn, Sie können sicher sein, dass Sie unsereUnterstützung haben, wenn es darum geht, den Finanzmi-nister von der Notwendigkeit eines massiven Schubs fürdie Bildung zu überzeugen. Ich warne sehr davor, der Ar-gumentation des Kollegen Berninger zu folgen, der lautddp vor wenigen Tagen sagte, die Regierung müsse sichfür das Wahljahr 2002 finanzielle Spielräume offen hal-ten.
Meine Damen und Herren, unsere Studierenden, unsereLehrenden und Forscher haben es nicht verdient, dass aufihrem Rücken wahltaktische Spiele ausgetragen werden.
Auch ich möchte in diesem Zusammenhang an die Re-gierungserklärung 1998 von Bundeskanzler Schröder er-innern, die mit den schönen Worten endete: Wir werdendie Investitionen in Forschung und Bildung in den nächs-ten fünf Jahren verdoppeln. Daran müssen Sie sich mes-sen lassen, Frau Bulmahn, ob es Ihnen passt oder nicht.
Auf Ihrer Habenseite steht bisher eine Erhöhungdes Haushaltsansatzes um 8,2 Prozent gegenüber den14,2 Milliarden DM des letzten von Minister Rüttgersverantworteten Haushalts. Das ist ein Schritt nach vorn,da stimme ich zu, aber gemessen an Ihrem Versprechen,das Haushaltsvolumen zu verdoppeln, haben Sie sich weitvom Klassenziel entfernt.Ich vertrete eine Partei, die in Gestalt ihrer Ministernicht nur für die Bildung gekämpft hat, sondern sich auchdurchgesetzt hat. Sie können sicher sein, dass ich Sie auchals Oppositionspolitikerin massiv unterstützen werde,wenn es um die Verbesserung der finanziellen Situationunseres Haushaltsplans geht. Wir sind an Ihrer Seite,wenn Sie für einen höheren Mittelansatz kämpfen, aberwir erwarten mehr als nur blumige Ankündigungen.
Wir beide wissen: Unsere Generation hat einen Para-digmenwechsel in der Bildungspolitik zu bewältigen. Wirmüssen mit einer Aufholjagd beginnen, um internationalzu einem attraktiven Bildungs- und Forschungsstandortzu werden.
– Roman Herzog sprach von einem Ruck, lieber HerrTauss. Leider haben nur wenige etwas geruckt und vielesind sehr gemütlich im Sessel sitzen geblieben. Die F.D.P.will mehr als einen Ruck, wir wollen einen Sprint an dieSpitze der Bildungspolitik.
Dazu brauchen wir nicht die Haushaltspolitik der tröp-felnden Gießkanne, –
– sondern ein entschlossenes, schnelles und mutiges An-gehen der drängendsten Probleme im Bildungsbereich.Stichwort Hochschulbau: Die Ausgaben für den Hoch-schulbau werden im Haushalt 2001 erhöht. Das ist ein er-freuliches Faktum – selbstverständlich –, aber gemessen
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am Bedarf ist die Steigerung völlig unzureichend. Siekennen genauso wie ich das Votum des Wissenschaftsrats,der von einer doppelten Anzahl von Milliarden – 4,7 Mil-liarden DM – ausgeht. Wir alle wissen, dass im Osten dasnachgebaut werden muss, was im Westen schon bald wie-der renoviert werden muss. Das heißt, mit kleinen Trip-pelschritten kommen wir zwar weiter, aber weiß Gottnicht so weit, wie wir müssten.
Frau Bulmahn, begehen Sie nicht den Fehler, sich anJürgen Rüttgers zu messen.
Dieser hatte zwar den klangvollen Beinamen des „Zu-kunftsministers“, aber im Kabinett war er ein Leicht-gewicht.
Frau Ministerin, damit, Ihre Millionenhäppchen liebevolljeweils dahin zu schieben, wo die Medienwirkung amgrößten zu sein scheint, laufen Sie Gefahr, ebenso zuscheitern wie Ihr Vorgänger.
Wir müssen endlich einsehen, dass Bildung die sozialeFrage des 21. Jahrhunderts ist – das Mega-Thema, beidem wir einen massiven Schub und nicht Zückerchen fürdie jeweiligen medialen Highlights brauchen. Sie brau-chen Mut, Frau Bulmahn. Geben Sie sich nicht mitLaptops zufrieden, gehen Sie an die Wurzeln unserer Bil-dungsprobleme heran. Das geht – hier stimme ich HerrnBerninger absolut zu – nicht immer nur mit Geld.
Was wir aus Ihrem Hause bisher zum Beispiel zumHochschuldienstrecht sehen, ist kleinmütig und zaghaft.
Die leistungsbezogenen Elemente in der Besoldung rei-chen nicht aus. Das Fallbeil der Kostenneutralität hängtüber der gesamten Reform. Die Entrümpelung der Prü-fungs- und Studienordnungen ist nicht entschlossen ge-nug. An die Schaffung schnellerer Promotionsverfahrenhaben Sie sich gar nicht erst herangetraut.
Das Thema Verbeamtung, Frau Bulmahn, ein Thema,das uns Liberalen besonders am Herzen liegt, umgehenSie. Wir würden Sie dabei sehr massiv unterstützen. Ichhabe mir vor einigen Tagen sehr interessiert Ihre Bemer-kungen in der Sendung von Frau Christiansen zu diesemThema angehört. Die Professoren brauchen nicht weiter-hin verbeamtet zu werden. Wenn wir unsere Schulen undHochschulen modernisieren wollen, brauchen wir Luftund das Abschneiden alter Zöpfe; weg mit alten Hierar-chien. Wenn Sie aber den Vorschlägen der Expertenkom-mission folgen, die Sie eingesetzt haben, werden wir dengewünschten Transfer zwischen Wissenschaft und Wirt-schaft nicht erreichen; denn das ist kein Anreiz für Hoch-schulprofessoren.
Apropos Hochschule: Der schöne Titel „Zukunfts-initiative Hochschule“ beschreibt leider nur einen höchstkonventionellen Ansatz. Sie wollen – so haben wir denMedien entnommen – 650 Millionen DM für die Anwer-bung von Spitzenwissenschaftlern aus dem Ausland. Ichbitte Sie: Hören Sie auf das, was Ihnen der Präsident derGesellschaft für Informatik, Professor Mayr, deutlich insStammbuch geschrieben hat:Das vorrangige Problem ist nicht, gute Köpfe impor-tieren zu müssen, sondern deren Abwanderung ausDeutschland zu verhindern.
Die Belastung der Wissenschaftler mit Lehr- und Ad-ministrationsaufgaben liegt ein Mehrfaches überdem amerikanischer Universitäten.Ihr Hochschuldienstrecht in der bisherigen Form entlastetdie Hochschullehrer aber nicht von Gremienaufgaben,sondern sieht sogar noch Zulagen für die Wahrnehmungvon Gremienarbeit vor.Meine Damen und Herren, wenn unsere Hochschulenfür ausländische Wissenschaftler attraktiver wären, müss-ten wir die Leute nicht mit Ihren 650 Millionen DM kö-dern, sondern sie würden uns die Bude einrennen, um hierzu forschen, zu lehren und zu studieren.
Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie viele Amerika-ner und Japaner bei uns, wie viele Deutsche aber in derenLändern tätig sind.Das Schrödersche Green-Card-System, die Leute imAusland einzukaufen, greift zu kurz. Wir müssen unserBildungssystem internationaler machen. Dies bedeuteteine massive Investition in die Ausstattung der Hoch-schulen. Den letzten Schub gab es Anfang der 90er-Jahre.Von der virtuellen, vernetzten Hochschule, von der dieFrau Ministerin so gerne spricht, sind wir leider sehr weitentfernt. Die Lebenswirklichkeit der Studierenden undProfessoren ist noch immer von überfüllten Hörsälen, derVerlosung von Laborplätzen, ausgeliehenen Büchern undRissen in den Gebäuden geprägt. Sie wissen das genau,Frau Bulmahn. Trotzdem reicht Ihr Biss bisher nicht, sichgegen die Beharrungskräfte in den Institutionen durchzu-setzen.
Sie laufen Gefahr, ähnlich wie Jürgen Rüttgers eine„Zukunftsministerin“ zu werden: viele Pläne, viel Zu-kunft, wenig konkrete Umsetzung.
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Mit der Methode, kleckerweise, aber mediengerecht Geldanzukündigen, verbauen Sie sich die Chance zu einerwirklichen Strukturveränderung. Überlassen Sie – das istmeine herzliche und ganz persönliche Bitte an Sie – dieseArt der Politik einem sehr prominenten Mitglied IhresLandesverbandes.Ich lade Sie ein, gemeinsam mit der F.D.P. dafür zukämpfen, dass der Bildungs- und Forschungshaushaltendlich einen angemessenen Stellenwert erhält.
Wenn Sie wirklich eine Verdopplung wollen – wann, FrauBulmahn, wenn nicht jetzt? Nutzen Sie diese Chance, ma-chen Sie mehr Druck im Interesse der nachfolgenden Ge-nerationen! Ohne Fleiß kein Preis und ohne Druck keinRuck!
Nun hat Kollegin
Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! HerrTauss, ich werde versuchen, Ihnen keine schlaflose Nachtzu bereiten.
Der Haushalt des BMBF gehört zu den Gewinnern imHaushalt 2001, zumindest gemessen an den Kürzungen,die andere Ressorts hinnehmen mussten.
Gemessen jedoch an Ihren Versprechungen, gemessenauch an der Ausgabenstruktur, bleibt vieles offen. Wo istzum Beispiel die versprochene jährliche Forschungsmil-liarde geblieben, die ab 2000 zu 30 Prozent in den Haus-halt des Wirtschaftsministeriums und zu 70 Prozent in denHaushalt des Bildungsministeriums fließen sollte? Wennich richtig sehe, bekommt der Wirtschaftsminister sogarweniger. Entsprechend fallen die Kürzungen aus. Zu dengeschröpften Titeln gehören dort bezeichnenderweiseForschung und Entwicklung in den neuen Bundesländernund die Förderung des Meister-BAföG.Da wir es auch im Einzelplan 30 wieder mit erhebli-chen Umstrukturierungen, Verschiebungen, Streichungenund Neueinführungen verschiedener Titel zu tun haben, istschwer nachzuvollziehen, wo bestimmte Gelder hingera-ten sind und wer am Ende tatsächlich leer ausgeht. Also,kurz gesagt, der ganze Einzelplan 30 bleibt immer nochein Rechenkunststück.Die Aufstockung der globalen Minderausgabe, die Er-wartungen von Einsparungen aus den Kapiteln 30 02 bis30 07 für Mehrausgaben im Hochschulbau und die Ein-führung von Leertiteln, zu deren Finanzierung ebenfallsbereits Einsparungen bei anderen Titeln veranschlagtsind, stehen nicht gerade für Haushaltsklarheit und Haus-haltswahrheit.Eine Priorität der Forschungsmilliarde soll die Finan-zierung von Bildung und Forschung in den neuen Bun-desländern sein. Das HSP III ist ausgelaufen, es wird nichtannähernd weitergeführt. Umfassende Finanzierungs-alternativen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler aus den neuen Bundesländern werden nicht sichtbar.Zu den Leitprojekten für Diagnose und Therapie in derMolekularmedizin gab es durch die Zwischenfrage mei-nes Kollegen Dr. Ilja Seifert schon eine kleine Diskussion.Frau Bulmahn, ich bin der Auffassung, dass das, was Siehier verdeutlicht haben, das Minimum sein muss.
Selbstverständlich erkennen wir an, dass die Bundes-regierung mit diesem Haushalt eine Trendwende zumin-dest im BAföG-Etat vollziehen will. Für jede Mark, dieSie zusätzlich in die Ausbildung junger Menschen inves-tieren, können Sie mit der Unterstützung der PDS-Frak-tion rechnen. Sie müssen sich dennoch den Vorwurf ge-fallen lassen, dass Sie mit Ihrer Vorlage weit hinter denErwartungen zurückbleiben.Nach Ihren Vorstellungen wird der Bund 2001 rund1,5 Milliarden DM für die Ausbildungsförderung aus-geben. Hinzu kommen die Darlehenszahlungen der Deut-schen Ausgleichsbank. Zusammengerechnet wird derBund also im nächsten Jahr rund 2 Milliarden DM bereit-stellen. Damit haben Sie aber gerade einmal das Niveauvon Mitte der 90er-Jahre erreicht.Die Vorschläge für eine Strukturreform der Ausbil-dungsförderung liegen seit Jahren auf dem Tisch und be-ruhen auf einer bestechend einfachen, aber, wie ich finde,nach wie vor pfiffigen Idee. Von heute auf morgen könn-ten wir jeder Studentin und jedem Studenten jeden Monatelternunabhängig zusätzlich mindestens 350 DM als Zu-schuss ohne Rückzahlungsverpflichtung geben, indemwir eben Kindergeld und bislang gewährte Steuerfreibe-träge in die Ausbildungsförderung überführen.
Wenn wir außerdem die BAföG-Ausgaben deutlichüber das damals von Ihnen selbst als unzureichend kriti-sierte Niveau der 90er-Jahre hinaus anheben und dabeiberücksichtigen, dass Jahr für Jahr Darlehensrückzahlun-gen ehemaliger Studentinnen und Studenten in Höhe vonüber 1 Milliarde DM an den Fiskus fließen, ließen sichüber die von Ihnen vorgesehenen Verbesserungen hinauszusätzlich sogar 500 DM pro Kopf bereitstellen.Sie führen die Öffentlichkeit aber bewusst in dieIrre, –
– wenn Sie sich heute damit brüsten, einen Teil der Zins-ersparnisse aus den UMTS-Erlösen in die Ausbildungs-förderung zu investieren, gleichzeitig aber verschweigen,dass Sie damit keine zusätzlichen Verbesserungen imBAföG finanzieren, sondern lediglich den Bundeshaus-
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halt von den bereits im Januar 2000 zugesicherten Mehr-ausgaben im BAföG-Etat entlasten möchten.
Lassen Sie uns gemeinsam einen ersten Schritt in einewirklich strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförde-rung gehen und hören Sie auf mit der halbherzigenKesselflickerei.
Selbstverständlich begrüßen wir auch das Vorhaben,alle Schulen – und bis 2006 jede Schülerin und jedenSchüler mit Computer bzw. Laptop auszustatten.
Natürlich können die für dieses Vorhaben notwendigenGelder unmöglich von Bundesregierung und Kommunenallein aufgebracht werden. Aber machen wir uns dochnichts vor: Ohne die nicht unbedingt selbstlose Initiativeder Wirtschaft wäre bei der Kampagne „Schulen ansNetz“ wahrscheinlich noch nicht allzu viel passiert.Die Kritik ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, wie fastimmer, auch in diesem Punkt das Ergebnis. Wir halten da-ran fest: Auch für die neuen Medien muss die Schulewichtigster Bildungsträger bleiben, weil die sozialen Un-terschiede sonst zu einem modernen Analphabetismusführen werden.
Im Übrigen, Herr Friedrich: Aus pädagogischer Sicht istes schon wichtig, dass auf jeder Schulbank ein Laptopsteht.
Wird schon der gesamte Einzelplan den Versprechun-gen nicht gerecht, mit denen die Bundesregierung auf demGebiet von Bildung und Forschung angetreten ist, so trifftdies für die berufliche Bildung und die Weiterbildungganz besonders zu. Ausgerechnet dieses Kapitel ist voneiner Kürzung der Mittel um 10,5 Millionen DM betrof-fen. Bezogen auf die Projektförderung dieses Kapitelssteht die Regierung damit wieder so ziemlich auf demStand, den ihr die Regierung unter Helmut Kohl hinter-lassen hat. Diese Entwicklung steht im krassen Gegensatzzu Ihrer Ankündigung bei Ihrem Amtsantritt, Frau Minis-terin, als Sie erklärten: Mein erster Schwerpunkt ist dieModernisierung der beruflichen Bildung.Nun weiß auch ich, dass Geld allein nichts mit Moder-nisierung zu tun hat. Betroffen von den Kürzungen sind inerster Linie das BIBB, dem rund 8 Millionen DM weni-ger zur Verfügung stehen, und die überbetrieblichen Aus-bildungsstätten, die mit 9 Millionen DM weniger aus-kommen müssen. Kritik an diesen Kürzungen findet sichin den Erläuterungen des Titels selbst. Dort heißt es:Mit der Entwicklung einer kleinbetrieblichenmittelständischen Wirtschaftsstruktur in den neuenLändern wächst der Bedarf an ergänzender überbe-trieblicher Berufsausbildung und überbetrieblichenFortbildungsmöglichkeiten...Es bleibt ein Geheimnis dieses Haushalts, wie ein wach-sender Bedarf durch weniger Mittel gedeckt werden kann.Geht die Kürzung bei den überbetrieblichen Ausbil-dungsstätten hauptsächlich zulasten der Ausbildungswil-ligkeit bei den kleinen Unternehmen, so kommt die Bun-desregierung mit der erneuten Aufstockung der Mittel fürSonderprogramme zur Schaffung von Ausbildungsplät-zen in erster Linie der Ausbildungsunwilligkeit bei Teilender großen Unternehmen entgegen. Diese erneute Auf-stockung aus Steuermitteln, so sehr sie als Notlösung imInteresse derjenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen,geeignet sein mag, steht im krassen Gegensatz zu der Li-tanei, mit der aus dem BMBF regelmäßig verkündet wird,dass die Wirtschaft nunmehr ihrer Verantwortung bei derBereitstellung von betrieblichen Ausbildungsplätzen ge-recht werde.
Dieser Haushalt und die aktuelle Zahl der noch nicht ver-mittelten Jugendlichen belegen das Gegenteil und ma-chen ein weiteres Mal deutlich: An einer solidarischenUmlagefinanzierung führt kein Weg vorbei. Wenn dieBundesregierung die sich verweigernden Unternehmenauf diese Weise stärker in die Finanzierung der Ausbil-dung einbeziehen würde, hätte sie auch größeren Spiel-raum für die Förderung anderer dringlicher Reform-schritte im Bereich der Bildung.Alle Fraktionen – F.D.P. und CDU/CSU waren jedochnicht anwesend – haben gestern von der IG-Metall-Jugend vor dem Reichstag eine Gesetzesrolle erhalten.Ich sage Ihnen: Setzen wir dieses Gesetz endlich um!
Zum Thema Weiterbildung muss ich mich wegen derknappen Zeit auf einen Satz beschränken: Nehmen SieIhre Kompetenz auf diesem Gebiet konsequent wahr undlegen Sie ein Rahmengesetz zur Weiterbildung vor!Insgesamt belegen die Zahlen des vorliegenden Ent-wurfs den fehlenden Mut der Bundesregierung, die Haus-haltsmittel, wie hoch auch immer sie sein mögen,grundsätzlich neu zugunsten der Belange der Bildung um-zuverteilen. Bildung als Investition in die Zukunft, alsBeitrag zu einer solidarischen Gesellschaft und auch alsMittel zur Zurückdrängung neofaschistischen Gedanken-guts bekommt so kaum die dafür notwendige materielleBasis.Frau Bulmahn, ich wünsche uns gemeinsam mehr Mutauf diesem Gebiet, damit wir endlich zu einer Trend-wende im Bildungsbereich in unserem Land kommen.Danke.
Ich erteile der Kolle-
gin Siegrun Klemmer, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Sie voreinem Jahr nach der Bedeutung der Abkürzung UMTS
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Maritta Böttcher11421
gefragt hätte, hätten sicherlich die meisten von Ihnen– auch ich – mit dem Kopf schütteln müssen. Seit derVersteigerung der Mobilfunklizenzen durch die Regulie-rungsbehörde für Telekommunikation weiß nun nahezujedes Kind, dass hinter „UMTS“ nicht nur Frequenzen fürMobilfunktelefone stecken, sondern dass damit vor allemein ordentlicher Batzen Geld verbunden ist.
Dieser Versteigerungserlös versetzt uns nun in dieLage, einen ganz kleinen Teil des von der christlich-liberal geführten Bundesregierung in 16 Jahren angehäuf-ten Schuldenberges abzubauen,
und lässt eindrucksvoll erkennen, warum der von unseingeschlagene Weg der Haushaltskonsolidierung keinSelbstzweck, sondern haushalts- und finanzpolitisch sinn-voll ist. Weniger Schulden bedeuten nämlich weniger Zin-sen. Weniger Zinsen bedeuten größeren politischen Ge-staltungsspielraum für innovative und zukunftsträchtigeProjekte.
Wir haben den von Ihnen geerbten Reformstau aufge-löst, indem wir die Probleme, die auch im Bereich Bil-dung und Forschung eklatant waren, nacheinander ange-gangen sind. Wir bringen eine BAföG-Reform auf denWeg.
Wir investieren in die Infrastruktur der Hochschulen underhöhen dafür kontinuierlich die Mittel. Wir wagen uns andas Dienstrecht und reformieren es. Und wir widmen unsden Zukunfts- und Schlüsseltechnologien, –
– die unseren wirtschaftlichen Wohlstand auch für diekommenden Generationen sichern werden.
Kurzum: Wir haben Wort gehalten und unsere Verspre-chen in die Tat umgesetzt.
Lassen Sie mich zum Anlass der Debatte zurückkeh-ren, zur Einbringung des Haushaltes 2001 für den BereichBildung und Forschung. Wir können heute einen Einzel-plan vorstellen, der bereits im dritten Jahr den Schwer-punkten der von uns geführten Bundesregierung Rech-nung trägt: Erhöhung der Mittel für Bildung undForschung – trotz Haushaltskonsolidierung. Der Gesamt-umfang des hier zu debattierenden Einzelplans 30 ist ge-genüber dem Haushaltsjahr 2000 um 5,3 Prozent – das istmehr als 750 Millionen DM – gestiegen.Herausragender Eckpfeiler im Haushalt 2001 wird dieBAföG-Reform sein. Im Vergleich zum letzten Jahr er-höhen sich die zur Verfügung stehenden Mittel um425 Millionen DM. Berücksichtigt man den Länderanteilund den Anteil der Deutschen Ausgleichsbank, dann wirdden Studierenden in Deutschland rechtzeitig zum Beginndes Sommersemesters 2001 knapp 1 Milliarde DM mehrzur Verfügung stehen.
Auch für die BAföG-Reform gilt: nicht nur mehr Quan-tität, sondern vor allem mehr Qualität!
Erstens erhöhen wir die Bedarfssätze spürbar, wodurchsich die Anzahl der Studierenden mit Förderanspruch ver-größert. Das leitet die seit langem notwendige Trend-wende bezüglich der Anzahl der BAföG-Empfängerein.
Während die Zahl der Studierenden, die unter der Vor-gängerregierung staatliche Beihilfen zu ihrem Studiumerhielten, von 605 000 im Jahre 1991 auf nur noch340 000 dramatisch abgefallen war, werden wir diese Ent-wicklung stoppen und umkehren.Zweitens erhöhen wir die Freibeträge, die für die anre-chenbaren Einkommen entscheidend sind. Hierbeischlägt vor allem die in Zukunft geltende Nichtanre-chenbarkeit des Kindergeldes nachhaltig zu Buche. Daswird besonders Familien mit mittlerem Einkommen zu-gute kommen.Drittens erhöhen wir den BAföG-Höchstsatz von1 030 DM auf 1 100 DM und tragen damit den steigendenLebenshaltungskosten Rechnung.Viertens gilt künftig eine absolute Rückzahlungsober-grenze von 20 000 DM. Das nimmt vielen jungen Men-schen die Angst, überhaupt ein Studium aufzunehmenbzw. ihren BAföG-Anspruch geltend zu machen. Sie wer-den nun Planungssicherheit haben und wissen, wie hochdie möglichen Rückzahlungsbelastungen sein werden.Fünftens vereinfachen wir die bürokratischen Antrags-und Verwaltungsverfahren, weil wir einerseits die Förde-rungshöchstdauer der Regelstudienzeit anpassen und an-dererseits das komplizierte System der Freibeträgeabschaffen.Sechstens – dieser Punkt wird von mir erst an sechsterStelle aufgeführt, war aber für uns von besonderer Prio-rität – stellen wir Studierende aus Ost und West endlichgleich und realisieren damit die längst überfällige innereEinheit auch auf diesem Gebiet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, vorallen Dingen der rechten Seite: Das sind die Felder, die
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Siegrun Klemmer11422
beim BAföG die Studierenden und ihre Eltern tatsächlichinteressieren, weil sie die Verbesserungen im Portemon-naie spüren werden. Das interessiert sie mehr als dieFrage, ob es sich um eine Strukturreform, eine Gesetzes-änderung oder was auch immer handelt.
Beim Hochschulbau gehen wir mit unverminderterBeharrlichkeit einen Sektor an, der unter Ihnen jahrelangbrachlag; davon war schon die Rede. Nachdem wir nachRegierungsübernahme die jährlichen Leistungen bereitsvon 1,8 auf 2 Milliarden DM erhöht und verstetigt haben,packen wir in diesem Jahr nochmals 150 Millionen DMdrauf und stellen insgesamt 2,15 Milliarden DM zur Ver-fügung. Und wir fangen an, eine von Ihnen übernommeneAltlast zu begleichen, indem wir endlich die Vorleistun-gen der Länder zurückzuzahlen beginnen.Ich erwähne diese beiden Punkte ganz besonders, weilsie Ihnen verdeutlichen, dass das Hochschulstudium wie-der Priorität genießen soll. Gerade deswegen stehen wirzu unserem Versprechen, das Erststudium in Deutschlandgebührenfrei zu belassen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ichdenke, man kann Ihnen nicht oft genug vortragen: Der inunserem Land herrschende Wohlstand basiert auf einemWissens- und Technologievorsprung. Der lässt sich nurerhalten und vor allen Dingen auch vergrößern, wenn un-sere Fach- und Hochschulen, unsere Universitäten fähigeund kompetente Absolventen hervorbringen.
Zu diesem Wissens- und Technologievorsprunggehört, dass wir in den zukunftsträchtigen Schlüsseltech-nologien Spitzenpositionen ausbauen und sie dort errei-chen wollen, wo wir noch Bedarf sehen. Daher schaffenwir Rahmenbedingungen, dass auf den Feldern – nament-lich der Informations- und Biotechnologie –, die das Le-ben des 21. Jahrhunderts grundlegend bestimmen werden,eine herausragende Schwerpunktsetzung erfolgt.Der Haushaltsansatz für den Bereich Informations-und Kommunikationstechnologie sieht mehr als einehalbe Milliarde DM vor. Damit stellen wir ausreichendRessourcen für diesen äußerst dynamischen Sektor, indem die technischen Neuerungen in immer kleineren undschnelleren Zyklen verlaufen, bereit.Wesentlich dynamischer entwickelt sich die Biotech-nologie und ist deshalb die nächste große Herausforde-rung. Hierbei handelt es sich zweifelsohne für viele Bür-gerinnen und Bürger um eine noch unbekannte Größe.Gleichwohl wird die Entwicklung auf diesem Sektor ähn-lich rasant verlaufen wie auf dem Gebiet der Informati-onstechnologie.Ich denke, es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten,um vorauszusagen, dass uns die nächsten Jahre, vor allenDingen auch hier in diesem Haus, noch etliche, natürlichauch kontroverse Debatten bescheren werden. Doch un-abhängig davon, wie – auch in der Öffentlichkeit – dieDebatten verlaufen werden, birgt die Biotechnologieenorme Forschungs- und Entwicklungspotenziale. DieBundesregierung erkennt die Zeichen der Zeit und veran-schlagt im Ansatz 2001 220 Millionen DM für die Bio-technologie – das sind 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die enge Kooperation mit der Wirtschaft, die zahlrei-che Kompetenzzentren entstehen ließ, ist ursächlich fürden Gründerboom in dieser Branche und bestätigt gleich-zeitig, dass unsere Strategien und Konzepte sinnvoll,kreativ und wirtschaftlich viel versprechend sind. Der imSommer vorgelegte Aktionsplan für die Genomforschungbelegt, dass Deutschland in Europa an Großbritannienvorbeigezogen ist und sich im internationalen Vergleichhinter die Vereinigten Staaten an die zweite Stelle vorge-arbeitet hat.Auch ein so heißes Eisen wie die Dienstrechtsreformwerden wir auf den Weg bringen. Die von der Experten-kommission vorgelegten Vorschläge sehen unter anderemdie Etablierung von Juniorprofessuren vor. Diese Neu-regelung wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern Gelegenheit bieten, bereits in jungen Jahren in eige-ner Verantwortung Lehrveranstaltungen zu leiten. Damitwerden wir verkrustete Strukturen an Universitäten auf-brechen, die den nötigen Generationenwechsel beschleu-nigen sollen.Auch die Besoldung wird flexibler gestaltet und mehrdem Leistungs- als, wie bisher, dem Senioritätsprinzipunterworfen sein. Das versetzt die Hochschulen in dieLage, durch individuelle Budgetierung fähige Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Wirtschaft fürInstitute der Hochschulen zu interessieren.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die vorgese-hene Schwerpunktsetzung der Bundesregierung bei derVerwendung der Zinsersparnisse im Zusammenhang mitden UMTS-Erlösen ist zugleich investitions- und zu-kunftsfördernd. Dass Bildung und Forschung neben Städ-tebau und Verkehr auch hier Priorität genießen, setzt denbei Regierungsübernahme eingeschlagenen Weg konse-quent fort. Allerdings bin ich der Meinung, heute und hierist nicht der Ort, um über die genaue Höhe und die Ver-wendung der Mittel zu debattieren. Das ist den parlamen-tarischen Organen, insbesondere dem Haushaltsaus-schuss, für die Beratung der Haushaltspläne vorbehalten.Wir werden daher erst Ende November, wenn wir denHaushalt verabschieden, Genaueres dazu sagen können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen diezentralen Eckpunkte des Einzelplans 30 vorgestellt. HerrKollege Hilsberg wird zu den Bereichen Weiterbildungund berufliche Bildung noch etwas sagen. Mir als Haus-hälterin liegt besonders am Herzen, deutlich zu machen,dass der Bildungs- und Forschungsetat 2001 der höchsteseit über 15 Jahren ist.
Ich empfehle daher der Frau Ministerin, auf gar keinenFall in irgendeiner Weise in einen Wettbewerb mit HerrnRüttgers einzutreten. Das ist nicht nötig; diesen Wettbe-werb hat sie längst gewonnen.
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Siegrun Klemmer11423
Wir sind zu Recht stolz auf diesen Haushalt. Mit Fugund Recht lässt sich sagen: versprochen und Wort gehal-ten!
Ich erteile dem Kolle-
gen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist jetztschon der dritte Etat, der von der Frau Bundesbildungs-ministerin vorgestellt wird und mit dem man, abgesehenvon der Botschaft, sie sei besser als im Vorjahr, nichts ver-bindet. Vor allem hat sie bis heute keine bildungs- und for-schungspolitische Konzeption vorgelegt. Das ist schonein schwaches Stück.
Es stimmt noch nicht einmal, dass die Investitionen inBildung und Forschung wachsen; denn Tatsache ist,Frau Bundesministerin, dass Sie in Ihrem Etatentwurf für2001 500 Millionen DM weniger für Investitionen zurVerfügung haben, als 1998 Herr Rüttgers für Investitionenin Bildung und Forschung ausgewiesen hatte. Davonmuss die deutsche Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt wer-den, denn das ist eine Tatsache.
Selbst wenn ich mir den Aufwuchs des Forschungs-etats anschaue und unter diejenigen Teile, die Sie vor ei-niger Zeit an das Wirtschaftsministerium abgegeben ha-ben, und Ihre Forschungsansätze einen Strich ziehe, dannstelle ich fest, dass das, was Sie dazubekommen haben,der Wirtschaftsminister eingespart hat. In der Summe istdas keine erfolgreiche Forschungspolitik dieser Bundes-regierung.
Sie haben vorhin gesagt, die Regierung Kohl habekeine müde Mark in Bildung und Forschung investiert.Das ist insoweit richtig, als zu der Zeit, zu der wir regierthaben, die Mark noch nicht müde, sondern hart war. Dasist ein entscheidender Unterschied.
Ihre politische Halbzeitbilanz fällt in unseren Augeneher beschämend aus. Ich will mit einem Zitat belegen,dass unsere Kritik auch in der Koalition geteilt wird. Derbildungs- und forschungspolitische Sprecher der grünenBundestagsfraktion, also Ihr Koalitionspartner, wird im„Handelsblatt“ vom 7. September so zitiert:Trotz des erfreulicherweise steigenden Etats für Bil-dung und Forschung– dass auch das falsch ist, habe ich gerade belegt –ist es noch nicht gelungen, das Thema jenseits derSonntagsreden zum Schwerpunkt der Regierungs-politik zu machen.
Geld alleine, Frau Ministerin, macht halt nicht glück-lich. Sie werden offensichtlich von Ihrer eigenen Koali-tion negativ bewertet. Sie reichen wohl für Sonntagsre-den, aber nicht für tatsächliche Politik.
Fehlanzeige beispielsweise, wenn Sie sagen, Sie hättenuns hier eine forschungspolitische Konzeption vorgetra-gen. Fehlanzeige, wenn Sie meinen, Sie hätten beimThema Gentechnologie die Meinungsführerschaft inDeutschland. Bei der Rechtschreibreform, einem Thema,das viele Menschen in Deutschland beschäftigt, sind Sieweggetaucht. Zur Bildungspolitik haben Sie hier außerLeerformeln nichts vorgetragen. Die Liste Ihrer politi-schen Fehlleistungen und Misserfolge ist lang. Ich weisenur darauf hin, dass die Kritik auch von einer breitenMehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Laut einer reprä-sentativen Umfrage des Forsa-Instituts, kürzlich im„Stern“ veröffentlicht, ist eine Mehrheit der Deutschender Auffassung, dass Sie aus Ihrem Amt scheiden sollten.Sie sind der sozialdemokratische Totalausfall im KabinettSchröder.
Ich kann Ihnen daher die Aufzählung Ihrer Fehlleis-tungen in der heutigen Etatdebatte nicht ersparen.Das Erste, das von der Frau Kollegin Klemmer sehrcharmant vorgetragen wurde, war die BAföG-Reform.Sie entspricht im Wesentlichen dem, war wir schon vordrei Jahren gemeinsam mit Ihnen hätten verabschiedenkönnen. Drei Jahre Verspätung für eine von Ihnenblockierte Reform kann im Jahre 2000 kein politischer Er-folg sein.
Auch in dieser Frage haben Sie nicht mehr die Unterstüt-zung Ihrer Koalition. Der Kollege Berninger hat nämlichschon anlässlich dessen, was Sie als BAföG-Reform vor-gestellt haben, gesagt, dies reiche noch nicht aus, viel-mehr müsse im Anschluss an die BAföG-Reform, die Siehier fälschlicherweise als Strukturreform dargestellt ha-ben, eine Strukturreform der Bildungsfinanzierung kom-men. Ich halte es für ein Stück aus dem Tollhaus, wennhier behauptet wird, ein Kernelement Ihrer Bildungspoli-tik sei die BAföG-Reform, wenn vor Verabschiedung die-ser BAföG-Reform die Reform der Reform schon von ei-nem Vertreter Ihrer eigenen Koalition angekündigt wird.
Sie haben auch mehrfach verkündet, Sie wollten Stu-diengebühren verbieten lassen. Der Versuch ist geschei-tert. Auch das ist ein Misserfolg Ihrer Politik. Wenn ichhöre, dass die Dienstrechtsreform nun endlich komme,muss ich sagen: Ich kann es kaum mehr glauben. Sie ha-ben uns das schon so oft angekündigt, aber nichts istpassiert. Im Sommer haben Sie aus der SPD-Bundestags-fraktion Kritik dafür bekommen. Ich zitiere aus dem„Handelsblatt“ wieder einmal einen Ihrer Bildungspoli-tiker, Herrn Berninger:
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Siegrun Klemmer11424
In den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünenwächst die Unzufriedenheit mit dem Kurs von Bun-desbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Anlasssind die schleppenden Fortschritte bei der Dienst-rechtsreform... Hintergrund sei die Sorge in den bei-den Fraktionen, dass die Regierung bei dem derzeiti-gen Tempo in dieser Legislaturperiode kein großesReformprojekt in der Bildungspolitik mehr verwirk-lichen kann.
Wenn Jürgen Rüttgers damals so von seiner eigenen Frak-tion bzw. der Koalitionsfraktion eingeschätzt wordenwäre, wäre er zurückgetreten.
Es ist bedauerlich, dass Sie nicht das notwendige poli-tische Gewicht besitzen, die auch von uns für notwendiggehaltenen Flexibilisierungen im Dienstrecht durchzuset-zen. Wir werden Sie bei der Umsetzung politisch unter-stützen, Sie müssen aber erst in Ihrer eigenen KoalitionMehrheiten haben und uns einen Entwurf vorlegen, derdann von uns diskutiert werden kann.
Ich will auf einen weiteren Punkt kommen, nämlich dieInternationalisierung derHochschulen.Wir stellen fest– Sie haben es hier mehrfach beklagt –, dass die Interna-tionalisierung der deutschen Hochschulen nicht ausreicht.So werden in den Vereinigten Staaten fünfmal so vieleausländische Doktoranden wie in Deutschland geprüft.
Wenn ich in den Haushalt sehe, stelle ich fest, dass Siebeispielsweise beim Deutschen Akademischen Aus-tauschdienst Kürzungen vorgenommen haben, wenn mandie Projektmittel hinzu nimmt, die der DAAD früher auchnoch aus dem Hochschulsonderprogramm III bekommenhat.Sie reden viel von Internationalisierung, handeln abernicht entsprechend. Sie hätten beispielsweise spielend mitdem Geld, das Sie haben, das Gastdozentenprogrammausweiten können. Sie hätten auch mehr für die Modell-projekte der Internationalisierung tun können. Ihren Er-kenntnissen, die Sie als Opposition hatten, als Sie im Ok-tober 1998 festgestellt haben, dass die Internationalitätvon Wissenschaft und Forschung die Erfordernisse derGegenwart sind, folgt leider keinerlei konsequentes Re-gierungshandeln.
Etwas schwach und vage, Frau Bundesbildungsminis-terin, waren Ihre Ausführungen zu UMTS, also den „un-heimlichen Mehreinnahmen trotz Schröder“. Ich kann eseigentlich verstehen, dass Sie sehr vage zu UMTS reden,denn als wir am 29. Juni 1994 im Deutschen Bundestagüber die Grundgesetzänderung abgestimmt haben – –
– Der Brüllfrosch der SPD-Fraktion Tauss hat ausschließ-lich die Aufgabe, hier zu stören, aber keine Beiträge zuliefern. Das ist einfach unerträglich.
Herr Tauss, auch wenn es Ihnen nicht passt: Am 29. Juni1994 hat der Deutsche Bundestag über die Liberalisierungder Telekommunikation abgestimmt. Die SPD-Fraktionhatte Zustimmung signalisiert. Es gab eine namentlicheAbstimmung und unter den 92 Abgeordneten der Kom-munisten, der Grünen und der SPD, die versucht haben,die Liberalisierung im Deutschen Bundestag zu verhin-dern, war Edelgard Bulmahn an der Spitze und heute kas-siert sie die Gelder ein. Damals versuchte sie, das zu ver-hindern.
Ich will darauf hinweisen, dass diese Abkassiererei nochauf einige Schwierigkeiten stoßen wird. Nach meinen In-formationen hat Bundesfinanzminister Eichel Ihnen in die-ser Woche einen Brief geschrieben, in dem er Sie auffor-dert, Ihre Ansprüche hinsichtlich der Zinseinsparungen, diedurch die UMTS-Mittel möglich geworden sind, anzumel-den. Dann soll es einen Kabinettsbeschluss geben und diesozialdemokratische Bundestagsfraktion soll diesen Kabi-nettsbeschluss nur noch abnicken und ihn in die Haushalts-beratungen einbringen.
– Herr Kollege, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dassSie in dieser Frage zu einer Abnickerfraktion gewordensind.
Das übliche Verfahren wäre gewesen, dass die Fraktionder SPD gemeinsam mit der Fraktion der Grünen unsheute einen konkreten Vorschlag im Deutschen Bundes-tag vorlegt, in dem auf Mark und Pfennig belegt wird,wofür sie die durch den UMTS-Erlös frei werdenden Gel-der ausgeben möchte. Aber jetzt wird das wieder am Par-lament vorbei gemacht und ein Beschluss einfach exeku-tiert. Sie dürfen den dann abnicken. Ich würde michschämen, in einer solchen Fraktion Mitglied zu sein.
Meine Fraktion wird im Rahmen der Haushaltsbe-ratungen konkrete Vorschläge machen, wie wir den Be-reich Bildung und Forschung durch Mittel aus dem Etatdes Wirtschaftsministeriums und aus dem Etat von FrauBulmahn fördern. Wir werden Vorschläge über eine Of-fensive für die technologische Infrastruktur des 21. Jahr-hunderts vorlegen, die eine Größenordnung von 1,5 Mil-liarden DM hat. Alle Mehrausgaben, die wir für diesenBereich veranschlagen, sind durch Minderausgaben in an-deren Bereichen gedeckt.
Es geht um die Revitalisierung der technologischenMittelstandsförderung, die Verkehrstechnologie, dieUmweltforschung, die Weltraumtransportsysteme, die
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Steffen Kampeter11425
industrienahe Forschung und die umweltfreundlichenTransporttechnologien sowie die Revitalisierung desdeutschen Hochschulwesens. Wir leisten damit einenkonstruktiven Beitrag zur Debatte, den wir von dieserForschungs- und Bildungsministerin bisher vermisst ha-ben.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Kampeter, dass wir in der Koalition über die Mög-
lichkeiten diskutieren, wie wir die Mittel für Bildung und
Forschung erhöhen können und welche Schwerpunkte
wir setzen können, ist ein Zeichen dafür, dass wir über-
haupt keine Abnickfraktion sind, dass wir uns vielmehr
ernsthaft um mehr Mittel bemühen und dass wir zwar un-
terschiedliche Positionen vertreten, aber zu einem sehr
guten Gesamtkonsens kommen.
Eines haben Sie, meine Damen und Herren von der
Union und auch von der F.D.P., immer wieder übersehen:
Wenn Sie angebliche Kürzungen nennen, dann vermeiden
Sie ganz geflissentlich, zu erwähnen, wohin zusätzliche
Gelder für Bildung und Forschung geflossen sind, die
nicht im Haushalt des BMBF auftauchen, beispielsweise
die BAföG-Mittel oder die einigen 100MillionenDM, die
in den Etat des Wirtschaftsministeriums geflossen sind.
Sie reden nicht davon, dass es dort einen deutlichen Zu-
wachs gegeben hat.
– Die Punkte, die Sie in der Energieforschung kritisieren,
werden wir zusammen mit dem Parlament – wie auch
schon im letzten Jahr – korrigieren. Es wird auch das
Wirtschaftsministerium mit Sicherheit bemerken, dass
aufgrund der Ölpreisentwicklung eine Erhöhung der Mit-
tel für die Energieforschung notwendig sein wird.
Bündnis 90/Die Grünen hat seine Wahlversprechen
hinsichtlich der Forschungspolitik vollständig einge-
halten.
Herr Kollege Fell, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aigner von
der CDU/CSU-Fraktion?
Ja,
bitte.
Herr Kollege Fell, Sie haben
gerade gesagt, dass Mittel in andere Ministerien verlagert
worden seien. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen.
– Ich frage, ob Sie zugeben, dass die Mittel für das
Meister-BAföG in den Etat des Wirtschaftsministeriums
verlagert worden sind, dass die Mittel von ursprünglich
167 Millionen DM auf 78 Millionen DM im Jahr 2000
gekürzt worden sind und dass sie nun erneut gekürzt wer-
den sollen. Verstehen Sie das unter Neuinvestitionen und
Erhöhung der Investitionen?
Wenn ich von Erhöhung der Forschungsmittel spreche,dann sollten auch Sie, Frau Kollegin Aigner, zur Kenntnisnehmen, dass der Anteil der Forschungsmittel auch dortinsgesamt gestiegen ist.Bezüglich der Kürzungen der Mittel für das Meister-BAföG werden wir unsere Position deutlich machen.Bündnis 90/Die Grünen hatten vor der Wahl die Er-höhung der Forschungsmittel um 2 Milliarden DM ver-sprochen. Angesichts des vorliegenden Haushaltsentwur-fes und der zu erwartenden zusätzlichen Mittel aus denUMTS-Erlösen können wir unser Versprechen vorzeitigeinlösen.Angesichts der Lücken, die die alte Bundesregierunghinterlassen hat, müssen wir allerdings feststellen, dasswir von den erreichten Mittelzuwächsen nicht ablassendürfen. Es ist zwingend erforderlich – darin sind wir unsmit der Ministerin einig –, dass auch in Zukunft an der Zu-kunftsmilliarde festgehalten wird. Es geht aber nicht nurdarum, dass wir mehr Mittel zur Verfügung stellen. Es istauch notwendig, dass wir die Schwerpunkte anders set-zen. Das haben wir bereits getan. Vor allem im For-schungsbereich wurden die Mittel für solche Projektegestärkt, bei denen der Nutzen der Gesellschaft im Vor-dergrund steht.Hier möchte ich einige Beispiele nennen. Als Mitglieddes Verteidigungsausschusses tut es mir gut, die positiveEntwicklung bei der Friedens- und Konfliktforschungzu sehen. Wir haben die Bundesförderung der Friedens-und Konfliktforschung wieder ins Leben gerufen, nach-dem sie die alte Regierung faktisch beendet hatte. Zudemstellen wir im Jahr 2001 wieder umfangreiche Mittel fürdie Gründung eines neuen Friedensforschungsinstituteszur Verfügung.
Ich freue mich, dass im Haushalt 2001 die Mittel fürdie Technikfolgenabschätzung erneut spürbar ansteigen.
So werden sie schon im Jahr 2000 mit 8 Millionen DMmehr als doppelt so hoch liegen wie bei der Regierungs-übernahme. Auch bei der alten rot-grünen Forderung nacheiner Stärkung kleinerer und mittlerer Forschungsinstituteauf dem Feld der Nachhaltigkeitsforschung lässt sichVollzug melden. Das entsprechende Programm ist ange-laufen und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet. Ichkann nur sagen: Weiter so, Rot-Grün.
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Steffen Kampeter11426
Ich komme zur Biotechnologie und zur Genomfor-schung. Auch hier sind erneut Steigerungen vorgesehen.Bündnis 90/Die Grünen unterstützen auch die Teile derGentechnik, die ethisch vertretbar und deren Risikenüberschaubar sind. Gerade in der Gesundheitsforschungsollten wir die Chancen sehen. Bei der Bekämpfung vonKrankheiten wie Krebs, Alzheimer und Parkinson kanndie Gentechnik möglicherweise eine große Rolle spielen.Andererseits wäre es aber nicht klug, alles auf die Karteder Gentechnik zu setzen. Die meisten Krankheiten sindnicht nur genetisch bedingt. Die anderen Faktoren müssenebenso untersucht werden. Deshalb richten wir unser Au-genmerk auch auf die Gesundheitsvorsorgeforschung.
Bündnis 90/Die Grünen werden die bei der rasantenEntwicklung der Gentechnik auftauchenden Fragen im-mer wieder neu bewerten. Das ist ein schwieriger Prozess,bei dem neben ökonomischen auch ethische Fragestel-lungen und der Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit vongroßer Bedeutung sein werden.Für unverantwortbar halten wir aber den Vorschlag ausden Reihen der CDU/CSU, die Gentechnik flächen-deckend in der Landwirtschaft einzusetzen. Demnächstwird die CDU/CSU noch vorschlagen, den Menschengentechnisch zu optimieren, um vermeintlich den Stand-ort Deutschland zu stärken.
Ich bin sehr gespannt, was die konservativen Parteiennoch konservieren wollen, wenn sie die Gene und somitden Kern des Lebens vollständig der Standortdiskussionunterwerfen.
Die F.D.P. hat der Union eines voraus: Die Werte, dieaußerhalb der Ökonomie liegen, spielen bei ihr schonlängst keine Rolle mehr.Die Bewertung des Haushalts der Bundesministerin fürBildung und Forschung seitens der CDU/CSU – ich habees eingangs schon erwähnt –, ist vor allem deswegen nichtrichtig, weil Sie die vielen Fälle der Forschungsmittel-erhöhung in anderen Haushalten einfach übersehen.Erwähnen will ich als Ergänzung die Forschungsmit-tel, die beispielsweise im Haushalt des Bundeslandwirt-schaftsministeriums zu finden sind.Meine Damen und Herren, die deutlichen Erfolge grü-ner Forschungs- und Bildungspolitik ermutigen uns, ziel-strebig weiter rot-grüne Grundsatzpositionen umzusetzenund nachhaltigen Innovationen den Weg zu bereiten.Ich danke Ihnen für das Zuhören.
Ich erteile dem Kolle-
gen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter HerrPräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit voll-mundigen Versprechungen ist die Regierung Schröder an-getreten. Mit ihrem Wahlkampfslogan „Innovation undGerechtigkeit“ hat die SPD versprochen, Forschung undInnovation in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen.
Ihre Ankündigungen stehen aber im krassen Wider-spruch zum Schneckentempo rot-grüner Politik in derRealität.
Im Bundestagswahlkampf hat die SPD eine Garantiekarteverteilt. „Bewahren Sie diese Karte auf und Sie werdensehen, dass wir halten, was wir versprechen“, heißt es aufdieser Karte.
Unter Punkt 4 können Sie lesen: „Die SPD verspricht dieVerdopplung der Investitionen in Bildung und Forschungin fünf Jahren.“ Wir haben Ihre Garantiekarte aufgehobenund wir stellen fest, dass Sie Ihr Versprechen nicht halten.
Wenn Sie Ihre Zusage einhalten wollten, dann müssteder Bildungs- und Forschungsetat jetzt, nach den erstenzwei Jahren Ihrer Regierungszeit, schon bei 21 Mil-liarden DM liegen. Tatsächlich beträgt er aber nur 15 Mil-liarden DM. Ihre Halbzeitbilanz ist bescheiden – vielLärm um nichts.
Von einer Bildungs- und Forschungsministerin kannman verlangen, dass sie ihr Amt nicht nur verwaltet, son-dern auch – über ihr Ressort hinaus – als Anwältin fürInnovation und Forschung geradesteht. Doch auch in die-sem Punkt versagt die Ministerin. Die „Wirtschafts-woche“ hat ihr die Note „Fünf plus“ gegeben, –
– in der „Welt am Sonntag“ wurde sie als „zweitschlech-testes Kabinettsmitglied“ tituliert. Das SPD-Magazinoder das SPD-nahe Magazin „Stern“
gibt ihr die Note „ausreichend“. Herr Tauss, 56 Prozentder Bevölkerung – da wird Ihnen das Lachen vergehen –fordern die Ablösung dieser Forschungs- und Bildungs-ministerin. Mit einem solchen Standing können Sie fürForschung und Innovation in der Bundesregierung nichtsgewinnen.
In dieser Regierung fehlt die Priorität für Forschungund Innovation; denn Forschung braucht nicht hier und daein bisschen mehr Geld, sondern eine nachhaltige Politikund eine klare Richtung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Hans-Josef Fell11427
Die Sozialdemokraten reden hier viel über das Geld desStaates. Dabei wird vollkommen übersehen, dass 70 Pro-zent der deutschen Forschungsausgaben in der Wirtschafterfolgen. Viel mehr als auf das Geld kommt es somit aufdie Rahmenbedingungen für Innovation und Forschung indiesem Lande an. Hier steht die Ampel, entgegen den Ver-balbekenntnissen der Regierung, nicht auf Grün; vielmehrschimmert im tiefen Inneren der rot-grünen Seele die alteFeindlichkeit gegenüber neuen Techniken durch.
Konzeptionslosigkeit und Wurstelei stellen wir fest.Lassen Sie mich einige Beispiele nennen.Erstens. Die Innovationspolitik der RegierungSchröder ist völlig zersplittert. Sie besteht aus zusam-menhanglosen Einzelaktivitäten. Die Aufteilung der For-schungsförderung auf das Wirtschaftsministerium unddas Forschungsministerium hat Chaos erzeugt. Mittler-weile scheinen das auch Politiker bei der SPD und denGrünen kapiert zu haben. Matthias Berninger von denGrünen –
– fordert im „Handelsblatt“, dass Energieforschung wie-der ins Forschungsministerium eingegliedert werdenmüsse. Zitat:Es zeigt sich..., dass man Grundlagenforschung undindustrienahe Forschung immer weniger trennenkann,kritisiert Berninger die mangelhaften Zustände.
Unzufrieden ist auch der SPD-Politiker Stephan Hilsberg.Im „Handelsblatt“ kritisiert er – Zitat –:Angesichts der jetzigen Lage muss man sagen, dassdie Industrieforschung im BMWF besser aufgeho-ben wäre.Auf diese Missstände hat die CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion bereits Ende 1998 aufmerksam gemacht; denn einzentraler politischer Ansprechpartner für Wissenschaftund Forschung ist in dieser Regierung nicht auszuma-chen.
Aber wo ist Bulmahn?
Dem „Handelsblatt“ zufolge sorgt sich Frau Bulmahn – –
Frau Bulmahn, vielleicht würden Sie dem Parlamenteinmal Ihr geneigtes Ohr schenken und nicht nur auf derRegierungsbank quatschen. Herr Präsident!
Reden Sie bitte wei-
ter.
Das „Handelsblatt“vermutet, dass Frau Bulmahn in der Regierung schon zuviel Neid auf sich gezogen habe. Das „Handelsblatt“ kom-mentiert:Nun will Frau Bulmahn Wirtschaftsminister Müllernicht auch noch mit Forderungen nach Abtretungenganzer Abteilungen ärgern.Wo bleibt Ihre politische Führungskraft, Frau Bulmahn?So wird man nie Anwältin für Forschung und Innovationin dieser Regierung.
Zweitens. In einer Anfrage vom 29. Juni dieses Jahreshabe ich die Bundesregierung gefragt, wie sich der vonder Regierung beschlossene Ausstieg aus der Kernener-gie mit dem weiterhin gültigen Energieforschungspro-gramm vereinbaren lässt, denn darin ist die Kernenergie-forschung enthalten. Bis heute – vom 29. Juni bis zum15. September – war die Bundesregierung nicht in derLage, diese Anfrage fristgerecht zu beantworten, obwohlin der Geschäftsordnung dieses Parlaments steht, dass dieRegierung innerhalb einer Woche zu antworten habe. Ichfinde, das ist ein Skandal, und es zeigt, wie diese Regie-rung mit dem Parlament umgeht.
Will die Bundesregierung hinter ihrer Sprachlosigkeitvielleicht ihre Konzeptlosigkeit verbergen?
Der ganze Vorgang zeigt, dass die rot-grüne Bundesregie-rung sich nicht auf ein abgestimmtes Konzept in der Ener-gieforschung einigen konnte. So wird man kein Innovati-onsstandort auf Weltniveau.
Drittes Thema. Nach mehr als 30 Jahren Planungs- undEntwicklungszeit haben Sie das Aus für den Transrapidverkündet. Damit verlieren wir unseren Entwicklungs-vorsprung in der Magnettechnik.
Viertens. Bei der Genehmigung des neuen GarchingerForschungsreaktors FRM II sitzt der Umweltminister imBremserhäuschen.Fünftens. Zu Beginn dieses Jahres hat die rot-grüneKoalition eine massive Erhöhung der Patentgebührenbeschlossen. Diese Gebührenerhöhung trifft die Erfinder,die Tüftler, die kleinen Unternehmen, die Patentanmelderin den Hochschulen. Sie ist ein Hemmschuh für den
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Thomas Rachel11428
Transfer von Forschungsergebnissen in wirtschaftsnaheAnwendungen. Denn Patente von heute sind die Ar-beitsplätze von morgen.
Vor diesem Hintergrund sind die Schlagworte Innovationund Gerechtigkeit, die Sie vor der Wahl verkündet haben,nichts als blanker Hohn.Sechstes Thema. Als nächste wichtige Technologiedroht die Kernfusion von Rot-Grün beerdigt zu werden.Bundeskanzler Schröder hat mit seiner seichten Rede inGreifswald zu überdecken versucht, dass in der Regie-rungskoalition totale Uneinigkeit bei der Fusionsfor-schung herrscht. So spricht der forschungspolitischeSprecher der Grünen, Hans-Josef Fell, von einer Fehl-investition in Greifswald, die man nicht mehr habe ver-hindern können, weil die Investitionen liefen.
Zukunftsträchtige Projekte bei der Fusionsforschung wol-len die Grünen aber auf jeden Fall verhindern. Aber ge-rade in der Fusionsforschung wäre eine zukunftsweisendeKooperation mit den europäischen Partnern nötig. Statt-dessen droht Deutschland in diesem Bereich in die Dritt-klassigkeit abzurutschen. Das kritisieren wir.
Siebtens. Neuestes Thema der Ministerin ist derLaptop für Schüler. Vielleicht wäre es ja wichtiger, dasswir erst einmal für jede Klasse auch wirklich einen Leh-rer zur Verfügung hätten. Ich finde, damit sollten wir ein-mal anfangen, Frau Bulmahn. Im Übrigen verhält es sichso: Während Sie über Internet und Laptop lamentieren,wird im Bundesfinanzministerium die Besteuerung derprivaten Internetnutzung am Arbeitsplatz vorbereitet.Während Sie vom Aufbruch in die Informationsgesell-schaft sprechen, hat Finanzminister Eichel schon längstdas Kassenhäuschen an jedem Internetarbeitsplatz errich-tet.
Meine Damen und Herren, so werden die Arbeitnehmer inDeutschland von dieser Bundesregierung getäuscht.
Achtes Thema. Erst auf massiven Druck von Opposi-tion und Wissenschaft will die Bundesforschungsministe-rin die Mittel für die Genomforschung erhöhen. Wir hat-ten bereits im letzten Jahr beantragt, 200 Millionen DMmehr hierfür in den Haushalt einzustellen. Sie haben daseiskalt abgelehnt. Der neu entdeckte Schwerpunkt Gen-technik ist wichtig, aber wir brauchen auch Fortschritte inder Anwendung. Sie betreiben hier innovationsfeindlichePolitik. So musste das Robert Koch-Institut auf Anwei-sung von Gesundheitsministerin Fischer die Ausbringungeiner gentechnisch veränderten Maissorte verbieten, ob-wohl dies von der EU-Kommission genehmigt war undein positives Votum der Zentralen Kommission für dieBiologische Sicherheit vorlag. Mit einer solchen Politikwird diffuse Angst geschürt und das Vertrauen in wissen-schaftliches Urteil und festgelegte Zulassungsverfahrenuntergraben.
Herr Rachel, Sie müs-
sen leider zum Schluss kommen.
Ja. – Diese Rahmen-
bedingungen für Innovationen schaden dem Standort
Deutschland. Die rot-grüne Regierung hat sich in wichti-
gen Bereichen als Innovationshindernis entpuppt. Wir
wollen Entscheidungen am wissenschaftlichen Urteil und
nicht an ideologischen Vorstellungen orientieren. Wir ap-
pellieren an Sie: Kommen Sie heraus aus dem ideologi-
schen Bremserhäuschen. Wir wollen, dass Deutschland
als Wissenschaftsstandort eine der ersten Adressen der
Welt wird. Deshalb kämpfen wir für eine ideologiefreie
Modernisierung dieses Landes.
Herzlichen Dank.
Kollege Rachel, ge-
statten Sie noch eine Nachfrage des Kollegen Röspel,
SPD-Fraktion?
Aber gerne.
Herr Rachel, Sie sprachen ge-
rade an, dass wir es als kritisch angesehen haben, einen
Insektengift produzierenden, gentechnisch veränderten
Mais in die Landschaft ausbringen zu lassen, nachdem wir
erkannt haben, dass immer mehr wissenschaftliche Hin-
weise darauf abzielen, dass nicht nur Schädlinge, sondern
auch Nützlinge bekämpft werden, dass weiterhin Resis-
tenzen entstehen und dass das Gift, das produziert wird,
im Boden bleibt. Weil wir gesehen haben, dass da noch ei-
nige Fragen ungeklärt sind, haben wir die Ausbringung
zunächst ausgesetzt.
Ihre Frage, bitte.
Ich frage Sie, ob Sie es als tech-
nikfeindlich ansehen, wenn man neue wissenschaftliche
Erkenntnisse berücksichtigt, die die Ausbringung dieses
Maises als problematisch erscheinen lassen.
Ihre Frage unterstellt,dass es hier tatsächlich andere wissenschaftliche Er-kenntnisse gegeben hat. Dies ist falsch. Die ZentraleKommission für die Biologische Sicherheit, die nach un-seren gesetzlichen Bestimmungen damit beauftragt ist, zu
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Thomas Rachel11429
beurteilen, ob es Sicherheitsrisiken gibt oder nicht, hatdies eindeutig negativ beantwortet.
Außerdem hat die EU-Kommission ihr klares bejahendesVotum zur Ausbringung gegeben.Wir kritisieren hier, dass Sie, wenn – mit Ihrer Zustim-mung – in einem ordnungsgemäßen, durch Wissenschaftbegleiteten Prozess klare rechtliche Verfahren geschaffenwurden, um zu entscheiden, ob eine Maßnahme ergriffenwerden darf oder nicht, diese Maßnahmen dann aus reinideologischen Gründen unterbinden. Das ist Ideologie-politik, die wir in diesem Bereich der Forschungspolitiknicht brauchen können.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Hans Eichel hathier vor drei Tagen die Einbringung des Haushalts 2001mit den Worten begonnen, dieser Haushalt 2001 sei einHaushalt der Konsolidierung und der Nachhaltigkeit undein Haushalt der Stärke. Der Haushalt, den wir hier dis-kutieren, ist ein Beweis dafür. Recht hat der Mann!
Nachdem Sie hier versucht haben, so viele Nebelker-zen zu werfen, muss man jetzt wieder zu den Faktenzurückkehren.
Man kann es gar nicht häufig genug sagen: Nachdem die-ser Haushalt unter Rüttgers innerhalb von vier Jahren um400 Millionen DM zurückgegangen ist, haben wir ihn al-leine um 780 Millionen DM aufgestockt. Das sind5,3 Prozent mehr, als wir in diesem Jahr haben. ÜberBAföG will ich dabei gar nicht reden.Wenn Sie den Zeitraum nach 1998 zugrunde legen, ha-ben wir sogar eine Aufstockung um 1,7 Milliarden DMvorgenommen. Das ist ein Plus von über 8 Prozent.Diese Leistung ist entscheidend, nicht das, was Sie hieran Nebelkerzen werfen.
UMTS ist in diese Rechnung noch gar nicht einbezogen.Wenn man diese Erlöse einbezieht, kommen hier 2 Milli-arden DM hinzu. Damit haben wir nicht nur den höchstenBildungs- und Forschungshaushalt, den es in der Bundes-republik je gegeben hat, sondern das ist auch eine Trend-wende.
In Ihrer Regierungszeit ist der Anteil der Bildungs-und Forschungsausgaben kontinuierlich gesunken. Wa-rum rufen Sie hier mit Krokodilstränen in den Augen, derAnteil der Bildungs- und Forschungsausgaben am Brutto-inlandsprodukt sei gesunken, wenn Sie selber nicht mitgutem Beispiel vorangegangen sind? Wir sind das ange-gangen und machen das weiter. Der Anteil der Bildungs-und Forschungsausgaben steigt von 3,11 auf 3,21 Prozent.Vorbild muss man sein, wenn man von den anderen ver-langen will, sie müssten mehr machen!
Meine Damen und Herren von der Opposition, das,was ich von Ihnen an Kritik gehört habe, war häufig nurkleinkrämerisch und – diesen Eindruck hatte ich zum Teil –schlicht und einfach von Neid geprägt. Herr Kampeter,mit Ihren Fähigkeiten des spitzen Bleistiftes, des Umbie-gens und des Umwertens von Zahlen hätten Sie gut in einestatistische Behörde der DDR gepasst; da ist das nämlichpermanent gemacht worden.
– Vielleicht etwas zu Ihrer Beruhigung. Auch von der PDSbrauchen wir uns nichts sagen zu lassen. Bankrotteuresollten uns keine Ratschläge geben, wie man einen Haus-halt aufzustellen hat, besonders wenn die Haushalte gutsind. Regen Sie sich also ab.Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist, dass Sieuns permanent vorhalten, dass wir Ideen realisieren, dieauch Sie möglicherweise schon im Auge gehabt haben.Natürlich ist es richtig, beispielsweise die Mittel für denHochschulbau aufzustocken.
Aber genug von den Zahlen. Herr Friedrich, Sie habenvöllig Recht: Geld ist nicht alles; es kommt auch auf dieInhalte an. Dann fangen wir mit denen an. Ich sage dasauch mit Blick auf die Jugendlichen auf der Tribüne.
– Bleiben Sie doch ganz ruhig, Herr Kampeter. Es kommtauf die Fakten an. Herr Jagoda war nicht auf unserem Par-teiticket. Er hat in diesen Tagen gesagt: Es gibt eine Ent-spannung am Arbeitsmarkt. Es gibt einen deutlichenZuwachs an betrieblichen Ausbildungsplätzen.
Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage schließtsich wieder.
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Thomas Rachel11430
Das ist unsere Leistung und ein klares Zeichen dafür,dass unsere Politik, die Frau Ministerin Bulmahn in Rich-tung Modernisierung der Berufe begonnen hat, Erfolg hatund dass sie Früchte trägt. Im Übrigen ist es ein Erfolg desKonsenses im Bündnis für Arbeit und Ausbildung,ohne den diese Steigerung der Zahl der Lehrstellen nichtmöglich gewesen wäre. Manchmal wird das Bündnis fürArbeit und Ausbildung als Gefahr für den Parlamentaris-mus angesehen. Ich glaube, dieses Bündnis für Arbeit undAusbildung ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft.Man sollte auch diesen Punkt deutlich machen:Während es jetzt noch – das ist ein Problem – an Ausbil-dungsplätzen mangelt, werden die Unternehmen geradein den strukturschwachen Gebieten in vier bis fünf Jahrenganz andere, für sie existenziellere Sorgen haben alsheute. Denn dann wird es einen eklatanten Mangel anLehrlingen geben. Deshalb kann man diesen Unterneh-men insbesondere in den strukturschwachen Gebieten nurzurufen: Bilden Sie jetzt aus, bevor es zu spät ist!
Manchmal denke ich – das betrifft die gesamte Wirt-schaft –, man müsste hinzufügen: Rufen Sie nicht immerdort nach dem Staat, wo Sie selbst verantwortlich sind!Den Hochschulbau habe ich schon erwähnt. Ich willaber noch erläutern, was hinter den Zahlen steckt. Im Jahr2001 gibt es eine Aufstockung um 215 Millionen DM.Das ist seit 1998 eine Aufstockung um über 400 Milli-onen DM. Zusammen mit dem Kofinanzierungsanteil derLänder ergeben sich über 800 Millionen DM, die wir zuverantworten haben. Das waren wir und nicht Sie. Damitsind wir den Forderungen des Wissenschaftsrats an dieserStelle nachgekommen. Schauen Sie sich einmal die Re-aktion an den Hochschulen an! Mit Ihren Reden könnenSie sich dort nicht blicken lassen. Es ist doch unseriös,was Sie sagen.
Diese Investitionsausgaben werden die Studienbedin-gungen für über 1Million Studenten wie auch die Arbeits-bedingungen der Hochschullehrer nachhaltig verbessern.Es war falsch, wenn von der rechten Seite des Hauses inden letzten Jahren immer zu hören war, wir hätten zu vieleStudenten. Das war doch letztlich bloß die Kapitulationangesichts der Tatsache, dass Sie es nicht geschafft haben,die Aufbauarbeit an den Universitäten und Hochschulenzu leisten. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wir brau-chen bessere und leistungsfähigere Hochschulen undFachhochschulen; denn die Bedeutung wissenschaftlicherAusbildung nimmt genauso wie die Bedeutung der Wei-terbildung in unseren Tagen zu und nicht ab.An dieser Stelle ein Wort zum Meister-BAföG. Sie sel-ber wissen ganz genau, dass Sie die Urheber der Problemebeim Meister-BAföG waren und dass das Problem nichtdarin besteht, dass wir zu wenig Geld bereitstellen. DasProblem liegt vielmehr darin, dass das Geld nicht abfließt.Ich gebe Ihnen hier Brief und Siegel, dass wir dieses Pro-blem im Haushalt 2001 mindern und schließlich lösenwerden.
Ich will noch einen weiteren Punkt erwähnen. Wir ha-ben über handwerkliche Fähigkeiten geredet. Aber wirwissen auch – zu diesem Punkt sollten Sie sich ebenfallsäußern –, dass handwerkliche Fähigkeiten allein heutzu-tage immer weniger ausreichen, um das Leben zu meis-tern, um Herausforderungen anzunehmen und um dieChancen, die sich in dieser Informationsgesellschaft zu-nehmend bieten, zu erkennen und zu nutzen. Deshalbmuss unser Bildungssystem insgesamt weiterentwickeltwerden.Wir brauchen mehr die Fähigkeit des Einzelnen zumeigenen Denken und zur selbstständigen Orientierung.Wir brauchen seine Fähigkeit, mit Mut, Ausdauer und Zu-versicht sein eigenes Leben zu meistern. Das muss imVordergrund des Bildungssystems stehen. Deshalb ist esso wichtig, dass die Abhängigkeiten aufgelöst werden, da-mit an ihre Stelle Selbstverantwortung und auch Freudeam eigenen Handeln treten können. Daher ist es auch sowichtig, dass wir das Studium der Kinder wieder stärker,als Sie es vermocht haben, vom Geldbeutel der Eltern ent-koppeln.
Begabung hat sicherlich etwas mit Vererbung zu tun.Aber vor allem hat sie etwas mit den sozialen Randbedin-gungen zu tun, die ihre Entfaltung behindern oder ermög-lichen können. Wir Sozialdemokraten wollen – Rot-Grünrealisiert das –, dass die Begabung aller Menschen – obsie jung oder alt, Junge oder Mädchen sind, deutschstäm-mig sind oder aus dem Ausland kommen – in unserer Ge-sellschaft wieder aufblühen und sich entfalten kann.
Dass die Bundesregierung – durch die Bank weg –allen dem Bund quasi alleine gehörenden außeruniver-sitären Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Fraun-hofer-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft derGroßforschungseinrichtungen eine Aufstockung zwi-schen drei und fünf Prozent gewährt, ist kein Zufall. Da-rüber haben Sie aber überhaupt nicht geredet. Mir ist völ-lig klar, warum. Warum sollten Sie auch? Denn das sindLeistungen, die Sie nie zu verbuchen hatten.
Diese Aufstockungen folgen nicht nur der Logik, dassForschung ein Innovationsmotor ist. Wir alle wissen, dassInvestitionen in Forschung Investitionen in Arbeitsplätzevon morgen sind. Diese Aufstockungen haben auch etwasmit der hohen Wertschätzung zu tun, die Wissenschaft undForschung in unserem Land traditionell genießen undbrauchen und die wir weiterhin garantieren werden. Dennje offener und aufgeklärter die Wissenschaft an die Erfor-schung und Behandlung der offenen Fragen unserer Zeitherangeht – davon haben wir genug –, desto offener undaufgeklärter kann unsere demokratische Gesellschaft andie Lösung ihrer Zukunftsprobleme herangehen.
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Stephan Hilsberg11431
Das betrifft zum Beispiel das Energieproblem, dasohne eine verstärkte Erforschung alternativer und erneu-erbarer Energien wohl nicht lösbar ist.
Das ist der Knackpunkt bei der Fusionsforschung; Siewerfen da nur Nebelkerzen.Übrigens, das Europäische Parlament hat nichts ande-res gesagt als wir. Wir sind nicht gegen die Fusionsfor-schung; um das hier einmal deutlich zu sagen.
Wir fragen nur: Stimmen an dieser Stelle die Gewichtun-gen und müssen wir nicht angesichts des Umstandes, dassdie Ergebnisse der Fusionsforschung – wenn überhaupt –erst in 50 Jahren vorliegen, schon für die Zeit davorbrauchbare Lösungen liefern, die unser Energieproblemlösen können? Oder haben Sie alle übersehen, was in der„Bild“-Zeitung oder sonstwo stand, dass nämlich derNordpol bereits zu schmelzen beginnt? Das ist ja nur eineKleinigkeit gemessen an den Problemen, die vor uns lie-gen.
Richtig ist übrigens auch, dass man mit den Strukturenvon gestern heute keine moderne Forschung mehr betrei-ben kann. Deshalb war es so wichtig, dass sich FrauBulmahn an die Fusion von GMD und FhG gemacht hat.
Wir sollten dem erfolgreichen Fortgang dieser Fusion eingutes Gelingen wünschen.Auch ist richtig, dass sich die Helmholtz-Gemein-schaft der Großforschungseinrichtungen in Richtungdes Aufbaus neuer Programmforschungsstrukturen bege-ben hat. Ganz besonders freut mich übrigens dabei, dassauch sie dann in den Genuss kommt, nicht mehr Jahr fürJahr anderthalb Prozent ihrer Stellen kürzen zu müssen,wie wir das bereits bei der Max-Planck-Gesellschaft rea-lisiert haben. Wir hoffen, dass das auch so bleibt, dennForschungsstrukturen kann man nicht so behandeln wiex-beliebige Verwaltungseinheiten.Bei dieser Gelegenheit ein Wort zur Blauen Liste derLeibniz-Wissenschaftsgemeinschaft. Auch hier wäreeine deutliche Aufstockung der Mittel nötig gewesen.Aufgrund der Mischfinanzierung zwischen Bund undLändern ist aber nur ein gemeinsames Vorgehen möglich.Wenn sich hier – ich sage das sehr deutlich und mitgroßem Ernst – die Haltung der ostdeutschen Sitzländernicht ändert, dann wird der Transformationsprozess derostdeutschen Wissenschaftslandschaft, der sich ja auf derZielgeraden befindet, einen schweren Rückschlag erlei-den, an dem wir alle kein Interesse haben können.
– Wieso? Auch Sachsen und Thüringen sind damit ge-meint. Schauen Sie sich doch die Bilanzen einmal an!
– Frau Flach, ein Name ist übrigens auch ein Programm.An Ihrer Stelle hätte ich diese Bemerkung nicht ge-macht. Ihre Meinung, dass mein Hinweis auf die Sorge,in der ostdeutschen Forschungslandschaft passiere etwasSchlechtes, gar nicht stimmt – denn da sei ja alles in Ord-nung –, zeigt –
– Sie haben nicht anders reagiert –, dass Sie überhauptkeine Ahnung von der ostdeutschen Forschungsland-schaft haben.
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir befinden uns mitten
auf dem Weg in die Bildungsgesellschaft. Ich habe schon
festgestellt: Bildung und die Fähigkeit des Einzelnen, sich
stärker selber orientieren zu können, werden angesichts
der Globalisierung eine immer größere Rolle spielen. Wir
haben in den letzten zwei Jahren den Müll, den Sie uns
hinterlassen haben, weggeräumt. Wir stehen vor einer
neuen großen Bildungsoffensive. Der Haushalt, dessen
Beratung in erster Lesung wir jetzt abschließen, ist dafür
ein notwendiger, erfolgreicher und großer Schritt. Dafür
bedanken wir uns.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen
Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege
Hilsberg, Sie haben mich persönlich wegen meiner Kritik
an der Forschungspolitik der Bundesregierung angespro-
chen. Deswegen möchte ich meine Kernkritik noch ein-
mal kurz vortragen: In den Jahren 1998 bis 2001 gehen
– dies ist im Haushaltsplan ausgewiesen – die Investitio-
nen in Bildung und Forschung um 500 Millionen DM
zurück. Folgerichtig wird das Versprechen, die Investitio-
nen in Bildung und Forschung zu verdoppeln, in mehrfa-
cher Hinsicht gebrochen. Das sind die Tatsachen.
Wenn Sie mich angesichts dieser berechtigten Kritik an
der Halbzeitbilanz der Forschungspolitik in die Nähe des
menschenverachtenden Systems der DDR rücken, dann
halte ich das für unangemessen. So etwas kann natürlich
in einer Debatte passieren. Ich halte es jedoch weiterhin
für notwendig, diese miese Politik kräftig zu kritisieren.
Zur Erwi-derung, Herr Kollege Hilsberg.
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Stephan Hilsberg11432
Herr Kampeter, in den zehn
Jahren, in denen ich hier im Parlament bin – zur deutschen
Einheit habe ich vielleicht ein kleines Stück beitragen
können; ich habe sie immer begrüßt –, habe ich eines be-
merkt, nämlich dass die Methoden, mit denen man hier
Politik betreibt, keineswegs harmlos und schön sind und
dass sich nicht alle Politiker der Wahrheit verpflichtet
fühlen.
Das hat nichts mit Parallelen zur DDR zu tun. Aber mit
Ihren Fähigkeiten – das möchte ich betonen –, Zahlen,
Daten und Fakten zu verleugnen und umzudrehen, hätten
Sie im Statistischen Amt der DDR reüssieren können.
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat als erster Redner Bundesminister Otto
Schily.
Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Nach guterparlamentarischer Tradition bietet die Etatdebatte die Ge-legenheit, den Rückblick auf ein vergangenes Etatjahr miteinem Ausblick zu verbinden. Leider haben wir für einesolche Debatte immer nur ein sehr enges zeitliches Kor-sett zur Verfügung. Das will ich an dieser Stelle einmal an-merken. Ich erlaube mir die Anregung, einmal darübernachzudenken, ob wir dieses enge Korsett nicht erweiternsollten,
ob wir uns nicht mehr Zeit für die Etatdebatte nehmensollten, damit wirklich Argument und Gegenargument,Rede und Gegenrede stattfinden können, damit es auchmöglich wird, die eigene Auffassung kritisch zu überprü-fen. Denn die parlamentarische Debatte dient dem demo-kratischen Dialog.
Dann wird auch das Parlament in seiner Funktion als Le-gitimationsinstrument für Politik wieder an Bedeutunggewinnen.Ich sage im Übrigen in aller Bescheidenheit: Die Zeit,die mir zugewiesen ist, reicht nicht aus, um die umfang-reiche Erfolgsbilanz des Bundesministeriums des Innernvorzutragen.
Ich muss mich also auf einige wenige Stichpunkte be-schränken.Ich stelle die Sportpolitik sehr bewusst an den Anfang.
Sie wissen, ich bin ein enthusiastischer Sportminister undes macht mir sehr viel Spaß, auf diesem Gebiet tätig zusein. Ich denke, es ist eine der erfreulichsten Nachrichtendieses Jahres, dass wir im Jahre 2006 als vereintesDeutschland Gastgeber der Fußballweltmeisterschaftsein dürfen.
Es eint uns, wenn wir Franz Beckenbauer und dem Deut-schen Fußball-Bund dazu herzlich gratulieren. Ich möchtedas mit den besten Genesungswünschen an den Präsiden-ten des Deutschen Fußball-Bunds, Egidius Braun, verbin-den.
In diesem Zusammenhang darf ich Folgendes er-wähnen: Der Bundeskanzler hat mir im Kabinett Vorhal-tungen über das schlechte Abschneiden der deutschenFußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaftgemacht. Ich habe in Demut meinen Kopf gesenkt.
Aber es gibt auch eine erfreuliche Nachricht von der eu-ropäischen Fußballmeisterschaft: Wir haben eine großeLeistung für die Sicherheit bei diesem großen Sportereig-nis in Belgien und Holland erbracht.
Ich glaube, darauf können wir sehr stolz sein. Wir ha-ben dafür sehr viel Anerkennung bekommen. Ich möchtedeshalb an dieser Stelle den Beamtinnen und Beamten desBundesgrenzschutzes und den Beamtinnen und Beamtender Länderpolizeien meinen sehr herzlichen Dank zumAusdruck bringen. Sie haben ihn verdient.
Die Sportförderung lässt sich auch an Zahlen ablesen.Ich denke, es ist eine Erwähnung wert, dass der Bun-desminister des Innern in seinem Etat die Sportförderungauf einem sehr hohen Niveau fortsetzt. Wir werden imkommenden Haushaltsjahr 10 Millionen DM mehr fürdie Sportförderung aufwenden, also sogar mehr als imOlympiajahr 2000.Ich will eine Zahl herausgreifen. Sie steht im Zusam-menhang mit der Fußballweltmeisterschaft. Die Bun-desregierung wird für die Sanierung und Modernisierungdes Olympiastadions in Berlin insgesamt – das ist eine ge-waltige Summe – 383 Millionen DM zur Verfügung stel-len und den Umbau des Zentralstadions in Leipzig mit100 Millionen DM fördern.
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Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für diejenigen, diein unserem Land sportbegeistert sind.Wir haben die Mittel auch in anderen Bereichen aufge-stockt. Ich will nur einen erwähnen: Wir werden für dieDopingforschung 900 000 DM zusätzlich zur Verfügungstellen.
Meine Damen und Herren, wir sollten den hohen Stel-lenwert des Sports immer wieder betonen. Er hat eine In-tegrationskraft in der Gesellschaft. Dies verbinde ich miteinem Appell an die Länder, den Sportunterricht bittenicht zu vernachlässigen.
Der Sportunterricht ist gerade in einer Welt, in der Kinderund Jugendliche stärker an technischen Geräten ausgebil-det werden, von herausragender Bedeutung.Wir werden auch ein spezielles Programm „Sportgegen Gewalt“ auflegen. Auch in der Auseinanderset-zung mit dem Rechtsextremismus spielt der Sport einegroße Rolle. Auch in diesem Zusammenhang ist Dankangebracht, so für Einzelinitiativen von Polizei- und Bun-desgrenzschutzbeamten, die sich in dieser Richtung be-tätigen. Ich glaube, dies ist ein gutes Mittel, dem Rechts-extremismus entgegenzuwirken.
Damit bin ich beim Thema Rechtsextremismus. Ichglaube, dass die Etatdebatte wegen des eigentlich benötig-ten Zeitbedarfes nicht ausreicht, um dieses Thema einge-hend und umfassend zu behandeln. Wir haben uns vorge-nommen, dieses Thema genauer zu diskutieren, dazu wirdalso noch Gelegenheit sein.Ich möchte aber auf einige aktuelle Fragen eingehen.Zunächst will ich deutlich sagen, dass ich die Kritik anmanchen Statistiken für berechtigt halte. Dies muss manoffen einräumen. Dazu ist eine Überprüfung veranlasst.Ich werde dafür sorgen, dass diese Überprüfung auch kon-sequent durchgeführt wird.Dass das Engagement des Bundesministers des Innernin diesem Fall außer Zweifel steht, sehen Sie daran, dassmanches von dem, was dazu jetzt an neuen Überlegungenöffentlich geworden ist, aus Forschungsergebnissen vonProfessor Pfeiffer stammt, den ich beauftragt habe, andem periodischen Sicherheitsbericht mitzuwirken.Dass an dieser Stelle auch einige Schwierigkeiten auf-treten, sollten wir ebenfalls nicht leugnen. Im Übrigen istdas Bundesministerium des Innern natürlich auf das Ma-terial angewiesen, das ihm von dezentraler Stelle zur Ver-fügung gestellt wird. Wir wollen aber ein ungeschminktesBild. Niemand kann ein Interesse daran haben, Sachver-halte zu beschönigen oder beiseite zu schieben.
Auch wenn es manchmal weh tut und für die einzelneKommune schwierig ist, das Ganze darzustellen: Wirbrauchen ein ungeschminktes, nicht beschönigtes Bilddieser Wirklichkeit.Nun stellt sich die Frage: Was tun wir gegen Extremis-mus, welche Mittel setzen wir ein? Hier gibt es nicht dieAlternative Repression oder Prävention.
Dies ist eine falsche Alternative. Beides gehört zusam-men. Wir müssen entschlossen repressive Mittel einset-zen.
Ich habe gestern das Verbot der Organisation „Blood &Honour“ bekannt gegeben. Wir müssen gegen Organisa-tionen, die dieses Gift bei Jugendlichen ausstreuen, mitaller gebotenen Härte vorgehen.
Aber wir sollten auch nicht verkennen, dass es in derGesellschaft eine positive Bewegung gibt. Es gibt erfreu-licherweise viele Initiativen. Ich will nur zwei von vielenerwähnen. Das erste Beispiel: Bei mir hat sich ganz spon-tan ein Bürger aus München gemeldet und gesagt, ange-sichts des schrecklichen Anschlages in Düsseldorf stelleer den zwei Schwerstverletzten für die Dauer von zweiJahren eine Übergangshilfe zur Verfügung – eine wirklichrühmenswerte, spontane Reaktion.
Das zweite Beispiel ist eine Anzeige von Bayern Mün-chen und der Opel AG. Dies ist eine gelungene Anzeige,um zu zeigen, wie wichtig Zuwanderung für unser Landund gerade für den Sport in unseren Fußballstadien ist.
Wir werden unserer Verantwortung als Bundesregie-rung gerecht werden und unsere Anstrengungen in die-sem Zusammenhang verstärken. Ich darf darauf hinwei-sen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz imVerfassungsschutzbericht die Gefahren des Rechtsextre-mismus wahrlich nicht verharmlost hat. Der neue Präsi-dent hat dies in seinen Worten sehr deutlich zum Aus-druck gebracht.Das Bundeskriminalamt wird im Herbst eine Tagungveranstalten, die sich ausschließlich mit diesem Themabeschäftigt. Viele andere Maßnahmen sind in die Wegegeleitet. Eine Maßnahme, die mir wichtig ist, will ich er-wähnen, nämlich die Reform der Bundeszentrale für po-litische Bildung. Die Arbeit in dieser Bundeszentralemuss auch einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung desRechtsextremismus setzen. Deswegen haben wir einen er-
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Bundesminister Otto Schily11434
heblichen Teil der Mittel für die Bundeszentrale für dieseArbeit zur Verfügung gestellt.
Meine Damen und Herren, wir müssen aber wissen:Es gibt kurzfristige Maßnahmen, es gibt Verbotsmaßnah-men. Wir werden sehr sorgfältig prüfen, ob wir zu einemVerbot der NPD gelangen können. Wenn es eine Chancegibt, werden wir dieses Verbotsverfahren einleiten. Dannist es aber wichtig, dass sich alle drei Verfassungsinstitu-tionen, –
– um diesem Antrag Nachdruck zu verleihen, an dem An-trag beteiligen
sowohl der Bundesrat als auch der Bundestag und dieBundesregierung.Aber es gehört mehr dazu. Es gehört etwas dazu, wasProfessor Heitmeyer einmal die „Kultur der Anerken-nung“ genannt hat. Wir müssen nicht nur auf das achten,was der Staat tut. Die Polizei kann die gesellschaftlichenProbleme nicht lösen. Das kann sie nicht. Sie wird meis-tens dann tätig, wenn bestimmte Dinge schon in diefalsche Richtung gelaufen sind.Also müssen wir dafür sorgen, dass in der Gesellschafteine Atmosphäre entsteht, die nicht etwa erlaubt, dass ir-gendwo in unserem Land so genannte befreite Zonen ent-stehen, in denen der Staat mit dem Gewaltmonopol desStaates zurückweicht. Das können wir nicht dulden.
Der Frieden im Innern ist ein hohes Gut. Die innere Si-cherheit ist ein hohes Gut. Wenn Sie die Zahlen für denkommenden Etat lesen, werden Sie erkennen: Die Bun-desregierung wird ihrer Verantwortung gerecht. Sie stärktdie Sicherheitsinstitutionen Bundesgrenzschutz, Bundes-amt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bun-desamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Zu ei-ner modernen Sicherheitspolitik gehört auch, dass wir dieFragen, die die neue Informationstechnik angehen, sehrernst nehmen.Vor wenigen Tagen bin ich mit dem Leiter des FBI zu-sammengekommen. Wir haben auch mit den VereinigtenStaaten eine enge Zusammenarbeit verabredet, damit be-stimmte Inhalte von Websites, antisemitische, rassisti-sche, nazistische Inhalte, aus dem Internet verschwinden.
Ich kann wegen der Kürze der Zeit nicht auf alles ein-gehen. Eine kurze Bemerkung sei aber der Frage gewid-met, wie wir mit den berechtigten Ansprüchen der Be-schäftigten im öffentlichen Dienst zurechtkommen, andem wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben. Sie wissen, wirhaben – wie ich finde – einen sehr ausgewogenen Tarif-abschluss, auf eine längere Frist angelegt, zustande ge-bracht. Ich glaube, das war ein großer Erfolg der Tarifpo-litik, weil dieser Abschluss vor allen Dingen den Ländernund den Kommunen die Möglichkeit verschafft, über ei-nen längeren Zeitraum eine solide Finanzplanung zu ha-ben. Das gilt auch für den Bund.An dieser Stelle wird sicherlich die Frage gestellt wer-den, wie wir es mit den Beamten halten. Wir werden eineLösung für die Beamten finden, die sich weitgehend andiesen Tarifabschluss anlehnt. Allerdings müssen wirauch sehen, dass wir eine Annäherung an die Regelung beiden Renten finden. Ich muss natürlich auch Rücksicht aufmeinen Kollegen Eichel nehmen, auf die Sparerforder-nisse, die von dieser Seite geltend gemacht werden, andenen ich mich solidarisch beteilige.Ich will zum Schluss Folgendes sagen – ich glaube,wenn man über innere Sicherheit redet, darf man diesenGesichtspunkt nicht vernachlässigen –: Sie werden in denletzten Monaten vielleicht festgestellt haben, dass ichmich als Mitglied der Regierung bei einem bestimmtenThema sehr bewusst zurückgehalten habe, weil ich derMeinung bin, dieses Thema ist in erster Linie Angelegen-heit des Parlaments, der ihm möglichen Institutionen undder Aufklärung, die auf diese Weise zustande kommenkann.Ich will Ihnen aber in aller Offenheit sagen: Für michist Kern der inneren Sicherheit in einer Demokratie dieRechtsstaatlichkeit.
Wir müssen uns bewusst werden, dass wir die innere Si-cherheit nur aufrechterhalten können, wenn die innere Le-gitimität unseres Staatswesens außer Frage steht, wennRecht und Gesetz gilt.
Das muss man gerade in diesen Tagen besonders betonen.Ich freue mich, dass die sächsische Staatsregierung diesenHinweis gerade jetzt auch gegeben hat. Sehr vernünftig!
– Das gilt für jede Richtung, Herr Bosbach. Wenn es daKritik zu üben gilt, werden Sie mich an Ihrer Seite finden.Aber ich will Ihnen noch etwas sagen. Wir dürfen auchda nicht das Normengefüge außer Acht lassen. Hier istmanches in einen Nebel geraten. Ich will Ihnen etwasvorlesen, damit Sie wissen, was ich meine, nämlich einenAuszug aus einer Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts vom 24. Juli 1979:Der Gefahr, dass anonyme Großspender durch insGewicht fallende finanzielle Zuwendungen auf dielängerfristige Zielsetzung der begünstigten Parteioder sie berührende innerparteiliche Entscheidungenvon Einzelfragen einzuwirken versuchen, um so in-direkt mehr oder minder großen Einfluss auf diestaatliche Willensbildung zu gewinnen, begegnet das
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Bundesminister Otto Schily11435
Grundgesetz durch das in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GGan die Parteien gerichtete Gebot, über die Herkunftihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben. ... Die-sem Verfassungsgebot– hören Sie bitte gut zu! –kommt zentrale Bedeutung zu. Es zielt darauf ab, denProzess der politischen Willensbildung für denWähler durchschaubar zu machen und ihm offen zulegen, welche Gruppen, Verbände oder Privatperso-nen durch Geldzuwendungen auf die Parteien poli-tisch einzuwirken suchen.Es ist also nicht etwa eine Ordnungswidrigkeit oder einGesetzesverstoß, sondern ein Verfassungsverstoß, wenndarüber hinweggegangen wird.
Meine Damen und Herren, wie soll eine Rechtsord-nung bestehen, wenn sich jemand anmaßt, sich über die-ses Verfassungsgebot hinwegzusetzen?
Wie sollen wir von dem kleinen Mann auf der Straße ver-langen können, dass er sich an Gesetz und Recht hält,wenn sich andere darüber erheben?Ich habe keinen Namen erwähnt und werde dies auchnicht tun.
Im Übrigen wird die Sache nicht besser, wenn es sich umeine Persönlichkeit handelt, die große historische Ver-dienste erworben hat, die ihm niemand abspricht. Im Ge-genteil, dadurch wird es schlimmer; denn diese Persön-lichkeit ist ja zu Recht Vorbild für viele junge Menschen.
Gerade eine solche Persönlichkeit trägt besondere Verant-wortung.Ich sage ein Zweites: Es darf in unserem Lande nichtsein, dass, wenn ein Strafverfahren bzw. ein Ermittlungs-verfahren zur Debatte steht, bei dem es um einen Millio-nenschaden geht, gesagt wird: Millionenschaden hin oderher, wir stellen das Verfahren möglicherweise wegen Ge-ringfügigkeit ein. – Ich habe genug forensische Erfah-rung, um zu wissen, dass man kleine Handwerker, die inihrer Notlage die AOK-Beiträge nicht entrichtet haben,erbarmungslos wegen Untreue verurteilt.
Es kann nicht sein, dass es Privilegien gibt, wenn es umso hohe Summen geht. Das ist für mich keine Geringfü-gigkeit, es ist eine Aus- und Verdehnung der Vorschriftin § 153 der Strafprozessordnung.Wenn wir wirklich wollen, dass unsere Verfassungs-ordnung so, wie wir sie gemeinsam festgelegt haben, Be-stand hat – sie hat immerhin Erfolgsgeschichte geschrie-ben –, dann muss eines gelten: Gleiches Recht für alle.
„Das Recht sie sollen lassen stahn“ – das ist die Grund-lage und das Fundament unserer Demokratie, meine Da-men und Herren.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nun in13 Jahren Parlamentszugehörigkeit schon manche Etat-rede eines Innenministers gehört, –
– aber selten eine –
– ich sage einmal –, die so an den Kernthemen der Innen-politik vorbeimarschiert ist, wie die, die Sie gerade ge-halten haben.
– Schreien Sie doch nicht gleich, bevor Sie mehr als zweiSätze gehört haben.Mir fällt bei dieser Rede, Herr Minister Schily, doch ei-nes auf, insbesondere beim letzten Abschnitt, in dem Siesich mit einer hoch brisanten Frage beschäftigen, –
– nämlich der Tatsache, über das Parlament Einfluss aufgewichtige Einrichtungen wie zum Beispiel Staatsan-waltschaften zu nehmen.
Ich halte das für eine höchst schwierige Geschichte, diedort abgelaufen ist. Es kann nicht sein, dass wir in einerRepublik der geteilten Gewalten gegenseitig dahin ge-hend Druck machen, –
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Bundesminister Otto Schily11436
– was richtig und falsch ist. Ich würde umgekehrt Äuße-rungen von Gerichten, die Druck auf die Exekutive oderLegislative ausüben wollen, genauso wenig für richtighalten.Ich habe zur Rechtsprechung und zu den Gerichtenvolles Vertrauen, dass die dritte Gewalt mit Schwierigkei-ten in unserem Lande fertig wird.
– Entschuldigung, es wird doch noch zulässig sein, dassman an die Prinzipien dieses Rechtsstaates, nämlich andie Gewaltenteilung, erinnert und darauf hinweist, dassman zumindest nicht als BundesverfassungsministerDruck ausüben sollte.Wir sind hier zur Halbzeit einer Regierungskoalition,um die Thematik Innenpolitik zu diskutieren. Der Bun-desinnenminister hat vieles im Bereich des Sports und imBereich der allgemeinen Thematik behandelt, aber er istmeines Erachtens auf die Kernproblematik seiner bisheri-gen Tätigkeit in den letzten zwei Jahren wenig eingegan-gen.
Es gibt, wenn man die zwei Jahre Revue passierenlässt, nicht sehr viele Aktivposten. Sie haben als großesHighlight in Ihrer Koalitionsvereinbarung eine Reformdes Staatsangehörigkeitsrechtes angekündigt, habenentsprechend heftige Vorschläge gemacht und sind dannnatürlich kläglich gescheitert. Sie mussten hier einenKompromiss akzeptieren. Ich habe den Eindruck, dassaus diesen Erfahrungen in vielen anderen Themenberei-chen bei Ihnen der Schwung weg ist und man sich weit-gehend bemüht, Brandherde und Kritik zu vermeiden,und man daher möglichst wenig tut, um möglichst weniganzuecken.
Im Bereich des Themas Zuwanderung ist außer derBerufung einer Kommission im Kern nichts passiert. Wirhaben über viele Monate gehört, in dieser Wahlperiodewerde dieses Thema nicht angegangen. Viele Monate gabes nur Beschwichtigung: Wir machen in dieser Legisla-turperiode nichts. Dann irgendwann kam Druck von oben.Der Bundeskanzler hat erklärt, natürlich könne und müsseman darüber reden. Nun wird mit einer Kommission ver-sucht – ich sage es einmal so –, eine Atempause einzule-gen.
– Dazu können Sie von mir gerne eine Äußerung bekom-men. Als freier Abgeordneter habe ich kein Problem, auchKolleginnen infrage zu stellen.
Herr Schily – der Kollege hat das angesprochen –, wennSie die Dame –
– zur Vorsitzenden einer Kommission für Frauen- und Fa-milienfragen ernannt hätten, hätte ich keine Einwände.Aber hinter die Tatsache, sie in einem Beritt zur Vorsit-zenden zu machen, in dem sie zeit Ihrer Parlamentszu-gehörigkeit keine Fachkenntnis erworben hat, mache ichdann doch ein Fragezeichen.
Aber noch eines zur Kommission. Es hätte auch Alter-nativen gegeben.
Herr Minister Schily, wenn Sie im Bereich des Zuwande-rungsrechts und des Asylrechts offene Fragen gehabt hät-ten, hätten Sie doch Sachverständige einsetzen, ihnenklare Prüfaufträge erteilen können – von mir aus fünfWissenschaftlern und fünf Praktikern, –
– Sie haben in Ihrem Haus welche –, sie in Klausurschicken und sagen können: Binnen vier Wochen möchteich zu folgenden Kernfragen Ergebnisse haben.
Nichts dergleichen. Man hat viele Gutmenschen aus die-ser Republik – Bischöfe und andere mehr – zusammen-gerufen, –
– und erwartet nun zu einer Kernthematik Ergebnisse.Interessant, dass in Ihrem Haushalt zwölf neue Stellenausgewiesen sind, die nur der Kommission dienen sollen.Warten wir es ab. Ich habe große Zweifel daran, dass manunter Zuhilfenahme von solchen Kommissionen schnellerund besser zu Ergebnissen kommt. Ich hätte mir die Al-ternative vorstellen können.
Herr Minister Schily, Sie haben sich dann zu einemThema geäußert, das uns natürlich alle interessieren mussund interessiert, nämlich die Problematik Radikalismus.Es ist überhaupt keine Frage, dass Sie in diesem Parla-ment die volle Unterstützung haben, wenn Sie Radikalis-mus bekämpfen.
Nur eins möchte ich auch sagen: Alle Aktionen derletzten Monate erwecken den Eindruck, als gäbe es in die-ser Republik nur noch Rechtsextremismus.
– Ich will gar nichts verharmlosen. Ich habe gerade er-klärt: Wir unterstützen jeden Kampf gegen Extremismus.
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Aber ich habe genauso klar erklärt – als zum Beispieldiese Aktion zwischen Däubler-Gmelin und Schily lief,die sich nur gegen Rechts gewandt hat –: Wir hätten unssofort mit jedem Aktionsbündnis einverstanden erklärt,wenn es sich gegen jegliche Radikalität in diesem Landgerichtet hätte, gegen Rechts und Links –
– ich füge hinzu: auch gegen Ausländerextremismus.
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt keinenGrund, hier irgendetwas zu wiederholen, was ich geradegesagt habe, aber es wird möglich sein, dass man ein paarZahlen erwähnt:
Es gibt in unsrem Lande nach dem Verfassungsschutzbe-richt des Jahres 1999 34200 Linksextreme, 51 400 Rechts-extreme und 60 000 Ausländerextremisten. Ich zitiere nurden Verfassungsschutzbericht.
Und: Es gibt laut Verfassungsschutzbericht 1999711 linksextreme und 746 rechtsextreme Gewalttaten –
– zu der Statistik sei gesagt: In dem Jahr 1999 gab es, waslinksextreme Gewalttaten anbelangt, keinen Castortrans-port; warten Sie einmal ab, wie die Statistik aussieht,wenn wieder Castortransporte stattfinden –
– und es gab 391 ausländerextreme Gewalttaten. Jetztsage ich Ihnen: Wenn Sie heute Programme vorstellen, diegegen beide Richtungen und zudem gegen die der aus-länderextremen Richtung vorgehen, haben Sie unsere Un-terstützung.
Ich sage noch einmal: Es wird doch in diesem Lande mög-lich sein, dass man die Dinge zumindest zurechtrückt.
Es kann doch nicht sein, dass man auf einem Auge blindist und nur den einen Teil der Medaille sieht.Ein Punkt ist mir in den letzten Wochen noch aufgefal-len: Sie, Herr Minister, denken daran – ich glaube, in ei-nem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ –, dieAufgaben des BGS auszuweiten. Man kann ja mit unsüber alles reden. Wenn es Sinn macht, warum auch nicht?Ich hätte nur ganz gerne, dass man solche Gesetzes-ankündigungen nicht immer zuerst in öffentlichen Me-dien liest und die Dinge dann im Innenausschuss abwie-gelt.
Ich glaube, es gäbe Anlass, das gesamte Thema Be-kämpfung des Radikalismus bis hin zur Änderung desVersammlungsrechtes schleunigst einmal zu debattieren.Ich gebe zu bedenken, dass Sie Vorschläge von unsererSeite bisher eigentlich immer nur abgelehnt haben, ohneeigene Vorschläge zu bringen – das geht in diesen zweiJahren eigentlich laufend so. Ich erinnere mich an Be-reiche des Asylrechts und des Ausländerrechts. Auch hin-sichtlich des Zuwanderungsrechts AZR haben wir bishervon Ihnen keine eigenen Vorstellungen gehört, sondernnur negative Äußerungen zu unseren Vorschlägen.Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz sagen– Sie sind ja immerhin Beamtenminister –: Ich finde esbemerkenswert, dass Sie in Ihrer Rede keinen Satz darüb-er verloren haben, dass Sie den deutschen Beamten indiesem Jahr eine Nullrunde und damit ein Sonderopferzugemutet haben.
Dazu hätten Sie schon ein paar Sätze sagen müssen. Diesspielt dann auch bei der Frage eine Rolle, wie Sie dasnächste Tarifergebnis übertragen werden. Es sollte in un-serem Lande gerecht zugehen.Meine Damen und Herren, ein bisschen mehr Demo-kratie und ein bisschen mehr Hören auf das, was von derOpposition kommt, könnten Ihnen nicht schaden.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Cem Özdemir vom Bündnis 90/Die
Grünen.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Ge-legenheit der Haushaltsberatung nutzen, dem Innenmi-nister und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seinesHauses für die hervorragende Zusammenarbeit zu dan-ken. Ich nutze die Gelegenheit zugleich, dafür zu danken,dass in den Zeiten knapper Kassen auch das Innenmini-sterium seinen Beitrag dazu geleistet hat, mit den finan-ziellen Ressourcen dieser Republik verantwortungsvollumzugehen. Dass es nicht immer einfach ist, wissen wir.Dass man beim Sparen auch intelligent sparen kann, ohnedass man „totspart“, belegt dieser Haushalt auf eine sehreindrückliche Art und Weise.
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Wolfgang Zeitlmann11438
Ein Beispiel dafür, wie man im Haushalt trotz knapperKassen Akzente und Schwerpunkte setzen kann, ist derHaushalt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unter-lagen. Ich bin froh darüber, dass auch zehn Jahre nach derdeutsch-deutschen Vereinigung ein klares Signal gesetztwurde und die Mittel, die der Bund dafür aufwendet, inähnlicher Höhe erhalten werden konnten. Für uns ist dieArbeit des oder der Bundesbeauftragten für die Stasi-Un-terlagen nicht beendet. Nach wie vor besteht eine großeNotwendigkeit für diese Arbeit; –
– das belegt die riesige Zahl von Anfragen, die täglich denBundesbeauftragten erreichen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch eines klar ma-chen: Wir alle wären falsch beraten, wenn wir glaubten,dieses Kapitel betreffe nur die neuen Länder. Wir habengerade aus der Arbeit des Bundesbeauftragten sehr ein-drücklich erfahren, dass auch die Geschichte der altenBundesrepublik Deutschland mehr oder weniger von derStasi mit geschrieben wurde.
Ich sage das auch als jemand, der aus der Friedensbe-wegung kommt. Wenn ich mir rückblickend anschaue,wer früher wo war, dann wird mir manchmal ganz angstund bange. Insofern kann ich, wie ich glaube, im Namendes ganzen Hauses sagen, dass wir dieser Behörde wei-terhin viel Erfolg wünschen. Ich denke auch, dass sich alleweiterhin dafür verwenden werden, dass dort jede Markgut angelegtes Geld ist.
Lassen Sie mich zu einem weiteren sehr ernsten Themakommen, das der Innenminister angesprochen hat, näm-lich zum Thema Rechtsradikalismus. Wir sollten allemiteinander dafür sorgen, dass es sich hier nicht um einSommerlochthema handelt. Vielmehr sollten wir uns da-rum bemühen, dass dieses Thema ganz oben auf derAgenda bleibt,
und zwar auch dann, wenn die rechtsradikalen Anschläge,die wahrscheinlich leider weitergehen werden, ganz hin-ten in den Zeitungen veröffentlicht werden und wenn sichAnschläge nicht nur gegen Nichtdeutsche richten, son-dern zunehmend auch gegen Schwule und Lesben, gegenObdachlose, gegen Langhaarige, gegen Punks, gegen sogenannte Zecken, wie die Rechtsradikalen sagen. Auchdann ist das Parlament in der Verantwortung und in derPflicht, sich mit diesem Thema in angemessener Form zubeschäftigen.
Ich warne auch davor, zu Schnellschüssen zu tendie-ren. Ich weiß, der Druck aus der Öffentlichkeit ist da.Gleichwohl können wir jetzt nicht mit einer schnellen Lö-sung kommen. Der Innenminister hat ein bisschen seineSkepsis durchklingen lassen, was eine Fokussierung aufdas NPD-Verbot bewirken würde. Es ist sicherlich rich-tig, ein NPD-Verbot in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitigist es aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es einsolches Verbot nicht isoliert geben kann. Ich warne all die-jenigen, die sich davon erhoffen, dass es eine einfache Lö-sung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus gäbe.Die Sympathisanten und Wähler der NPD und diejenigen,die NPD-Sprüche auf den Lippen haben, werden wir da-durch nicht wegbekommen. Wir werden einen längerenAtem brauchen, um den Rechtsextremismus zu bekämp-fen.Wir brauchen einen Dreiklang aus Prävention, Repres-sion und Stärkung der Zivilgesellschaft.
Ich danke all jenen, die sich tagein, tagaus für die Stär-kung der Zivilgesellschaft einsetzen. Manchmal drohtder Zungenschlag aufzukommen, dass sich in den neuenLändern quasi nur noch Rechtsradikale bewegten. Demist eindeutig nicht so. Es gibt viele Menschen in den neuenLändern, die sich in vorbildlicher Weise für Zusammen-leben, Toleranz und gegenseitigen Respekt einsetzen. Alldenen gebührt der Dank unseres Hauses.
Stellvertretend für alle nenne ich die Aktion Courage, dieAmadeo-Antonio-Stiftung, die regionalen Stellen fürAusländerfragen und die Aktion Zuflucht, in denen sichviele Menschen in ihrer Freizeit in vorbildlicher Weise fürdie Zivilgesellschaft, die Bürgergesellschaft einsetzen.Ich glaube, das Thema wäre nicht vollständig behan-delt, wenn ich nicht auch noch ein paar Worte darüber ver-lieren würde, dass es nicht angehen kann, dass Opferrechtsradikaler Gewalt und deren Angehörige von Ab-schiebung betroffen sind, wie dies in Brandenburg ganzoffensichtlich der Fall zu sein scheint.
Dies darf nicht der Fall sein. Wir müssen alle miteinanderdafür sorgen, dass das, was Bundestagspräsident Thiersezu Recht angesprochen hat, nicht eintritt. Das wäre eineBlamage für das gesamte Land, eine Schande für unsereRepublik, wenn Opfer rechtsradikaler Gewalt abgescho-ben werden. Dann hätten die Rechtsradikalen tatsächlichihr Ziel erreicht.
Ich bin froh, dass der Innenminister die Entschlossen-heit dieser Bundesregierung klar gemacht hat, indem erdie Organisation „Blood & Honour“ schnell verboten hat.Das ist eine richtige Maßnahme, die die Rechtsradikalen,so glaube ich, verstehen.
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Cem Özdemir11439
Ich warne auch davor, dass wir auf den Rechtsextre-mismus mit einem Abbau von Bürgerrechten reagieren.Das wäre genau das falsche Signal. Eine Bekämpfung desRechtsextremismus muss mit rechtsstaatlichen Mitteln er-folgen. Wir brauchen auch keine neue Bannmeile: dieRegelung, die wir haben – der geschützte Bereich um dasParlament –, reicht völlig aus und hat sich bewährt.
Wenn Sie den Blick nach draußen werfen – manche habenes auch gehört –: Die Junge Union aus Ihrem Bundesland,Herr Zeitlmann, demonstriert heute, ich weiß nicht wofüroder wogegen, vielleicht demonstriert sie für diese Bun-desregierung. Jedenfalls sind wir dafür, dass solche De-monstrationen auch in einer Sitzungswoche stattfindenkönnen, wenn sie von Organisationen sind, die Teil unse-rer Demokratie sind, wozu ich die Junge Union ausdrück-lich rechne.
Herr Kol-
lege Özdemir, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Marschewski?
Gerne.
Herr Kollege Özdemir, halten Sie es weiterhin für richtig,
dass Rechtsradikale unter dem Brandenburger Tor de-
monstrieren oder teilen Sie nicht vielmehr unsere Auffas-
sung, dass das eine Schande für unser Volk ist?
Ichglaube, jeder verurteilt diese Demonstrationen. Das Bild,das im Ausland auf Deutschland fällt, ist skandalös. Wasmich aber mehr ärgert, ist das Bild, das wir in dieser Re-publik von uns selber haben. Wir müssen uns überlegen,wie wir dazu beitragen können, dass solche Demonstra-tionen nicht mehr stattfinden.
Jede dieser Demonstrationen hat bisher Gegendemons-trationen ausgelöst. Das heißt: Es haben sich viel mehrMenschen gefunden, die gegen die NPD demonstriert ha-ben, als die NPD selbst aufgeboten hat. Auch das ist einZeichen dafür, dass die Heilinstrumente unserer Gesell-schaft funktionieren, dass die Wahrnehmung in unsererGesellschaft vorhanden ist. Ich will aber nicht verhehlen,dass es auch bei uns Überlegungen gibt – ich weiß, dasses diese auch im Innenministerium und anderen Fraktio-nen gibt –,
– durch das Strafgesetzbuch, zum Beispiel durch den § 86,unter den die Verwendung nationalsozialistischer Sym-bole fällt, auch die Verwendung naziähnlicher Symboleunter Strafe zu stellen. Sie kennen in diesem Zusammen-hang das Beispiel „88“ für „Heil Hitler“ und andereDinge. Auch solche Dinge würden dann unter Strafe ge-stellt, damit die Polizei flexibler damit umgehen kann.Was ich aber nicht möchte, Herr Marschewski: Ichmöchte nicht, dass Demonstranten, die für das Holocaust-Mahnmal demonstrieren wollen, nicht mehr demonstrie-ren können, weil wir einen geschützten Bereich geschaf-fen haben.
Ich möchte, dass demokratische Organisationen auch amBrandenburger Tor demonstrieren können. Das müssenwir gewährleisten. Wenn Sie dafür eine Lösung haben,wie wir das hinkriegen, können wir uns gerne darüber un-terhalten.
Ich möchte zum Abschluss dieses Themas noch auf ei-nes hinweisen: Statt einer immer währenden Diskussionüber neue Gesetzesverschärfungen, beispielsweise überdie verstärkte Anwendung des Erwachsenenstrafrechtesanstelle des Jugendstrafrechtes – übrigens: das Jugend-strafrecht bietet ausreichend Gelegenheit, um angemes-sen zu reagieren, deshalb braucht es hier keine Änderun-gen –, brauchen wir Richter, die schnell und entschlossenagieren.Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausdrücklich sagen:Das Vorgehen in Dessau, bei dem die Täter zwei Monatenach der Tat verurteilt worden sind, ist genau der Weg,den wir brauchen. Was wir nicht brauchen, ist das, wasgegenwärtig in Guben passiert. Dort schleppt sich dasVerfahren seit über einem Jahr dahin. Auf diese Weise be-kommen die Rechtsradikalen das Signal, nachträglich vorGericht noch eine Tribüne zu haben und so noch andereauf ihre Schandtaten aufmerksam machen zu können. Dasist der falsche Weg.
Also: Der Rechtsstaat bietet genug Möglichkeiten, wirbrauchen keine Verschärfungen beim Demonstrations-recht und beim Versammlungsrecht. Was wir brauchenist eine konsequente Anwendung der bestehenden Ge-setze. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Lassen Sie mich noch ein paar wenige Worte zum Ver-fassungsschutz sagen. Sie wissen, dass ich aus einerFraktion komme, die traditionell eine sehr skeptische biskritische Haltung zum Verfassungsschutz hat.
– „Sehr vorsichtig formuliert“, Herr Kollege Westerwelle.Das hat sich auch nicht geändert. Ich möchte trotzdem dieGelegenheit nutzen, Herrn Fromm, der zum Präsidentendes Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt wurde,zu gratulieren. Ich bin froh darüber, dass er gleich zu Be-ginn seiner Amtszeit eine Akzentverschiebung hinsicht-
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lich der Bekämpfung des Rechtsextremismus angekün-digt hat. Das ist der richtige Weg. Umso weniger versteheich es daher, dass beispielsweise die Jungdemokraten– das müsste Ihnen von der F.D.P. eigentlich ein Anliegensein; da war doch einmal was –
– nach wie vor beobachtet werden. Das ist nicht notwen-dig. Wir brauchen den Verfassungsschutz nicht, um dieJungdemokraten zu beobachten.
Wir brauchen den Verfassungsschutz auch nicht, um dieDKP zu beobachten. Das ist nur Beschäftigungstherapie.Es wäre besser, wenn wir die dort eingesetzten Ressour-cen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus verwen-den würden.Wir können künftig keine innenpolitischen Debattenmehr führen, ohne nicht auch ein paar Sätze über dasInternet zu verlieren. Alles, was es in der Gesellschaftgibt, gibt es auch im Internet. Das Internet ist ein Spie-gelbild der Gesellschaft. Es ist also nicht schlimmer alsdie Gesellschaft. Darum ist es falsch, wenn wir jetzt sotun, als ob im Internet schlimmere Dinge passieren als inder Gesellschaft. Ein großes Lob an die Hosts, die sichjetzt – vielleicht zu spät – bereit erklärt haben, all diejeni-gen, die rechtsradikale Domains haben, herauszuwerfen.Ich warne aber davor, wie in China einen Zentralrech-ner dazwischenzuschalten und damit den Datenfluss imInternet zu verlangsamen. Ich möchte keinen zentralenRechner in der Bundesrepublik Deutschland haben, mitdem eingehende E-Mails kontrolliert werden. Das würdesich nicht mit dem vertragen, wofür das Internet steht. Wirmüssen aufpassen, dass wir bei der Bekämpfung von ex-tremistischen Tendenzen nicht mit Mitteln agieren, diesich nicht mit der Demokratie vertragen.
Lassen Sie mich zum Ende meiner Redezeit auf einThema kommen, das uns hoffentlich auch noch im zwei-ten Teil der Legislaturperiode beschäftigen wird. Die Dis-kussion über den Volksentscheid ist erneut angestoßenworden. Eine jüngste Umfrage hat ergeben, dass 75 Pro-zent –
– unserer Bevölkerung sich ausdrücklich für die direkteDemokratie aussprechen. Herr Bosbach, wenn Ihnen die-ses Thema so wichtig ist, warum fürchten Sie sich dannvor der Bevölkerung? Wenn Ihnen dieses Thema wichtigist, dann lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wirElemente einer direkten Demokratie einführen können.Das Angebot ist ehrlich gemeint. Wir sind auch bereit, dieDiskussion über Hürden, Quoren und die Ausgestaltungeines mehrstufigen Verfahrens der direkten Demokratiezu führen. Sie haben Ihre Themen; wir haben unsere The-men. Wir fürchten uns nicht vor der Bevölkerung.
Wir fürchten uns auch nicht vor Mehrheitsentscheidun-gen. Leider hat Ihre Fraktion an der Reise des Innenaus-schusses in die Schweiz nicht teilgenommen. Sie hättendort sehr viele eindrückliche Erfahrungen machen kön-nen. Überall dort, wo es direkte Demokratie gibt – ob nunin der Schweiz oder im wunderschönen Bayern; Sie müss-ten es eigentlich wissen, Herr Zeitlmann –, hat sich die di-rekte Demokratie bewährt. Ich verstehe nicht, warum das,was in Bayern gut funktioniert und von den Grünen bishin zur CSU angenommen wird, im Bund schlecht funk-tionieren soll. Das müssen Sie, bitte schön, der Bevölke-rung erklären.
Die Mehrheit Ihrer Wählerinnen und Wähler möchte diedirekte Demokratie. Hören Sie auf Ihre Wählerinnen undWähler! Vielleicht nützt es Ihnen etwas.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt ein-gehen, der im Zusammenhang mit dem Thema der direk-ten Demokratie steht. Wir brauchen auch ein Gesetz zumSchutz der Informationsfreiheit. Deshalb bin ich froh,dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr – meineFraktion setzt sich ja seit langem dafür ein – ein Gesetzzum Schutz der Informationsfreiheit angekündigt hat. DieAmerikaner haben ein solches Gesetz seit Ende der 60er-Jahre. Ein solches Gesetz wäre ein wichtiges Signal fürdie Abkehr vom Obrigkeitsstaat.Danke sehr.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Guido Westerwelle von der F.D.P.-
Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Innenmi-nister, Sie haben hier eine ausgeglichene Bilanz vorge-legt.
Das ist für einen Oppositionspolitiker eine wichtigeBemerkung in einer Haushaltsberatung. Ich möchte aus-drücklich festhalten, dass das, was im Zusammenhang mitvielen anderen Etats zu Recht an der Regierung kritisiertwird, nämlich dass über die Köpfe des Parlaments und derAbgeordneten hinweg entschieden wird, im Bereich derInnenpolitik nicht der Fall ist. Die Zusammenarbeit istkonstruktiv und sachlich. Ihre Politik, Herr Minister, istüberwiegend pragmatisch, meistens rational und manch-mal sogar liberal.
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Cem Özdemir11441
Deswegen möchte ich ausdrücklich anerkennen, dass Siedie Zusammenarbeit gut pflegen. Darüber freuen wir unssehr.
Cem Özdemir, Sie müssen nicht gleich feuchte Fingerbekommen. Bleiben Sie ruhig.Wenn etwas konstruktiv läuft, dann muss man es auchausdrücklich anerkennen. Wir haben mit der Regelung derStaatsangehörigkeit eine der wichtigsten gesellschafts-politischen Herausforderungen gemeinsam bewältigt.
Dies ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Das wird auchvon der Fraktion der Freien Demokraten ausdrücklich an-erkannt.Wir hoffen und setzen darauf, dass die Zusammenar-beit bei der wichtigen Frage der Migration, bei der wich-tigen Frage der Zuwanderungspolitik fortgesetzt wird.Auch hier werden wir an einem überparteilichen Konsensarbeiten. Nach Ihren Ausführungen, Herr KollegeZeitlmann – bei allem Respekt gegenüber Frau KolleginSüssmuth –, ist man versucht, ihr politisches Asyl anzu-bieten.
– Da die Abgeordneten der CDU/CSU gerade rufen: Ihrdürft sie haben, –
– betone ich ausdrücklich: Wir nehmen sie gerne, wennsie denn möchte.
Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass Ihr Bild bemer-kenswert ist. Wenn Frau Süssmuth eine Kommission fürFamilie und Frauen geleitet hätte, wäre das in Ordnunggewesen.
Trennen Sie sich doch endlich von dem Frauenbild derdrei Ks: Kinder, Küche, Kirche.
Das ist heute nicht mehr so. Das passt auch nicht mehr.Meine Damen und Herren, wir müssen – das ist derAusblick auf die nächste Zeit – in der Migrationspolitikeine Lösung finden. Das ist ein herausragendes Anliegen.Wir müssen es schaffen, und zwar noch in dieserLegislaturperiode, dafür zu sorgen, dass wir ein Zuwan-derungssteuerungsgesetz bekommen. Auch hier liegt einGesetzentwurf der Freien Demokraten vor, der auf denEntwurf der rheinland-pfälzischen Landesregierungzurückgeht. Ich kann an Sie nur appellieren, diesen Ent-wurf zur Grundlage zu machen, weil ich ihn in diesemHause und in der Gesellschaft für konsensfähig halte.Man sollte die Kommission, die Sie, Herr Minister, zuRecht eingesetzt haben, nicht nutzen, um das Thema aufdie lange Bank zu schieben.
Wir werden darauf achten, dass das nicht das Vehikel fürdie Vertagung in die nächste Legislaturperiode wird.
Wir wollen in dieser Legislaturperiode eine bessere Kon-trolle und Steuerung der Zuwanderung, die sich auch anden wohlverstandenen nationalen Interessen unseres Lan-des ausrichtet.
Meine Damen und Herren, das Thema Extremismusist angesprochen worden. Das ist eines der wichtigstenThemen, das im Rahmen einer solchen Debatte zu be-sprechen ist. Das ist auch notwendig. In einem Punktmuss ich Ihnen widersprechen, Herr Minister. Ich glaube,dass Sie das falsch einschätzen. Sie haben in Ihrer Redegesagt: Wenn es eine Chance für ein Verbotsverfahrender NPD gibt, dann werden wir diese Chance ergreifen.Das ist der falsche Ansatz. Erst wenn Sie die Sicherheithaben, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD ver-bieten wird, dürfen Sie diesen Verbotsantrag stellen, HerrMinister.
Denn ein Vabanquespiel vor dem Bundesverfassungsge-richt ist leichtsinnig. Man stelle sich vor, die Verfas-sungsorgane beantragten das Verbot der NPD und dasVerfassungsgericht würde diesem Verbotsantrag nicht fol-gen. Das wäre der Stempel der Verfassungsmäßigkeitder NPD, geradezu ein Zulaufprogramm für die NPD.Korrigieren Sie diesbezüglich Ihre Haltung, Herr Innen-minister. Hier liegen Sie eindeutig falsch.
Erst wenn Sie die Sicherheit haben, dürfen Sie einen sol-chen Antrag stellen.Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass IhrAnsatz, den Sie vorgetragen haben, den Sie vorgesternexekutiert haben, richtig ist, wonach Sie sich auf das Ver-einsverbotsverfahren konzentrieren. Wir begrüßen IhreEntscheidung ausdrücklich, dass Sie die Organisation„Blood & Honour“ und die angegliederten Nebenorgani-sationen verfolgen beziehungsweise verbieten. Das ist derrichtige Weg.
Der Vorzug ist aber auch, dass Sie bei einem Vereins-verbotsverfahren nicht das hohe verfassungsrechtlicheRisiko eingehen, das durch Art. 21 bei den Parteien vor-handen ist. Das ist der klügere Weg. Wir sind jedenfallsder Auffassung, dass Sie diesen Weg gehen sollten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Dr. Guido Westerwelle11442
Es ist in diesem Hause völlig unstreitig, dass politi-scher Extremismus, gleich von welcher Couleur, verfolgtwerden muss. Das ist einerseits eine Frage der Prävention.Das ist andererseits eine Frage der besseren Bildung, übri-gens auch einer werthaltigen Bildung. Dies ist in diesemZusammenhang ein ganz wichtiges Thema. Das ist aberauch eindeutig eine Frage der Repression. Ich teile IhreEinschätzung: Hier ist im wahrsten Sinne des Wortes derstarke Staat, der starke Rechtsstaat gefordert. Wenn je-mand Brandbomben auf Minderheiten wirft, ist das keinGrund für irgendwelche psychotherapeutischen Erklä-rungsversuche. Vielmehr muss das zu einem klaren, effi-zienten Strafverfahren vor Gericht führen, meine sehr ge-ehrten Damen und Herren.
Da Sie hier zu Recht die Vorbildfunktion des öffentli-chen Lebens angesprochen haben, möchte ich Ihnen aus-drücklich sagen: Da haben Sie sich meiner Meinung nach,als Sie sich von Ihrem Manuskript gelöst haben, deutlichvergaloppiert. Es ist vielleicht am Privatmann Otto Schily,aber nicht am deutschen Innenminister im DeutschenBundestag, der Bonner Staatsanwaltschaft direkt oderauch durch die Blume Empfehlungen zu geben, wann sieein Verfahren nach § 153a StPO einzustellen hat odernicht.
Das ist hier nicht die Kanzel für solche Empfehlungen.Das darf kein Abgeordneter und erst recht kein Ministerin diesem Hause. So etwas bleibt nicht ohne Auswirkun-gen. Sie sollten das korrigieren. Ich kann mir nicht vor-stellen, dass Sie es so meinen.
Aber es muss bei den Ermittlern so ankommen. Es istnicht an Ihnen, hier etwas Derartiges zu sagen.
Last not least möchte ich noch einen weiteren Punktausdrücklich ansprechen, der von Herrn KollegenZeitlmann, wie ich finde, völlig zu Recht erwähnt wurde:In diesem Bereich der Beamtenpolitik besteht zwischenuns ein ganz klarer Dissens. Da das hier eine konstruktiveinnenpolitische Debatte sein soll – so verstehen wir un-sere Oppositionsarbeit –, will ich ganz klar sagen: Es istein Fehler, die Entwicklung der Gehälter der Beamtenvon den Vereinbarungen im öffentlichen Dienst abzukop-peln. Dieses Vorhaben ist mit dem Wort Sonderopfer inder Tat richtig und präzise beschrieben. Es geht in diefalsche Richtung. Sie sollten umkehren!
Wir möchten, dass in der Logik der bisherigen Politik derInnenministerien weitergehandelt wird.
Das liegt auch im Interesse der Beamtinnen und Beamten,deren Dienstherr Sie sind. Sie sollten sich vor Ihre Beam-ten stellen und nicht die verlängerte Hand von HerrnEichel sein.Ich danke Ihnen.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Herr Schily, auch ich meine, dass Ihre Bilanz, dieSie heute im Rahmen der Haushaltsdebatte zu ziehen ver-sucht haben, eher matt und schwach war. Wenn Sie heutezugestehen, dass Sie die Statistiken über die Zahl derStraftaten überprüfen lassen wollen, dann nehme ich daserst einmal positiv zur Kenntnis. Aber ich möchte Sie ein-fach darauf aufmerksam machen, dass meine Fraktion seitzehn Jahren versucht, parlamentarische Kontrolle aus-zuüben, wenn es um Aktivitäten von Rechtsextremisten,wenn es um Straftaten und vor allen Dingen wenn es umdie Opfer geht.Ich meine, dass Ihr Ministerium den Rechtsextremis-mus systematisch verharmlost hat, nicht nur in der Zeit,in der Sie regieren, sondern auch in den Jahren davor.
Ich könnte das an zig Beispielen belegen. Leider wird die-ser Trend unter Ihrer Regierung ungebrochen fortgesetzt.Das kann man zum Beispiel anhand der Zahlen der Opferund auch anhand der Antworten auf viele Anfragen be-weisen, die zeigen, dass Sie einfach nicht wahrhaben wol-len, dass Rechtsextremismus in vielen Institutionen undOrganisationen verbreitet ist und dass Sie bisher nichtsdagegen getan haben.
Ich habe heute auch ein Wort von Ihnen an die Opfervermisst. Ich habe vermisst, dass Sie sich bei den Opfernentschuldigen –
– und dass Sie hier tatsächlich haushaltsrelevante Maß-nahmen vorstellen, die endlich einen Opferschutz darstel-len und vor allen Dingen die Opfer entschädigen, die zur-zeit beispielsweise mit Nebenklagen und Ähnlichem vieleGelder aufbringen müssen und keine Unterstützung fin-den.
Herr Innenminister, ich meine, dass man die Wahl sei-ner Worte wirklich prüfen muss. Um ein Beispiel zu ge-ben: Sie haben im Sommer im „Spiegel“ auf die Frage,warum so viel gegen die RAF getan wurde, aber nichtsgegen den Rechtsextremismus, gesagt:Wir reagieren nicht matt ... Heute handelt es sich umeine sehr diffuse Szene – Einzeltäter, Exzess-Tatensind darunter, häufig spielt der Alkohol eine Rolle.
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Dr. Guido Westerwelle11443
Ich meine, dass auch das eine Verharmlosung ist. WennSie nur einmal den Bericht Ihres eigenen Verfassungs-schutzes läsen, dann vernähmen Sie von dort ganz andereTöne, was die Strukturen und die Organisiertheit vonRechtsextremisten angeht. Wenn Sie sich anschauen, wasgestern im „Tagesspiegel“ und in der „Frankfurter Rund-schau“ an Todesfällen dokumentiert wurde, dann werdenSie sehr genau feststellen können, dass Rechtsextremistenaus Organisationen der Skinheads immer und teilweisesogar aus der NPD dabei waren. Dagegen, meine ich, giltes anzugehen. Nicht mit Verboten von Kleinstgruppen,wie es gestern geschehen ist, ist es getan, auch wenn dasein richtiger Schritt in die richtige Richtung war. Wirbrauchen eine breite gesellschaftliche Gegenwehr gegen-über dem Rechtsextremismus. Wir brauchen eine Äch-tung von Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt in dergesamten Gesellschaft.
Nun zum Haushalt: Während des Sommerlochs hat dieBundesregierung den Eindruck zu erwecken versucht, siewürde 400 Millionen DM im Kampf gegen Rechtsextre-mismus und Fremdenfeindlichkeit ausgeben. Die Pressehat sich diese Zahlen genauer vorgenommen – „Spiegel“,„Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ – und hat davongesprochen, dass diese Zahlen irreführend sind und nichtden Tatsachen entsprechen. In der Antwort auf eineKleine Anfrage, die gerade auf meinem Schreibtisch ge-landet ist, lese ich jetzt, dass Sie sogar 635 Millionen DMfür den Kampf gegen den Rechtsextremismus ausgebenwollen.Wer sich diese Antwort genauer anschaut, wird fest-stellen, dass auch hier wieder etwas vorgetäuscht wird.Sie führen nämlich in Ihrer Übersicht die politische Bil-dung von Zivildienstleistenden, den Deutschen Entwick-lungsdienst, die Kosten für die Eingliederung von Aus-siedlern, sogar Mittel für Städtebau und Geld für neueUnternehmen als Beispiele für den Kampf gegen denRechtsextremismus auf. Ich habe mich, ehrlich gesagt,gefragt, warum Sie nicht gleich den Etat der Bundeswehr,die Mittel für den Kosovo-Krieg und den Etat des Bun-desgrenzschutzes auch noch mit aufgenommen haben. Ir-gendwo scheint es mir doch wirklich übertrieben zu sein,was hier formuliert worden ist.
Meine Fraktion hat seit Jahren bei allen Haushaltbera-tungen immer wieder Anträge gestellt, mehr Mittel fürAufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Anti-semitismus zur Verfügung zu stellen. In den vergangenenJahren hat das Innenministerium gerade einmal 2 Milli-onen DM dafür zur Verfügung gestellt; in diesem Jahr sol-len es ganze 2,5 Millionen DM sein. Außerdem sind – derMinister hat es erwähnt – 1,8 Millionen DM für die Bun-deszentrale für politische Bildung vorgesehen. Ob manangesichts dieser Zahlen von einer Reform sprechenkann, möchte ich infrage stellen. Eines ist aber völlig klar:Diese Mittel reichen nicht aus, um wirkliche Auf-klärungsarbeit im Bereich Rechtsextremismus, Antisemi-tismus und vor allen Dingen im antirassistischen Bereichzu leisten.
Deswegen werden wir auch im Rahmen der Beratungendieses Haushalts erneut unsere Anträge zur Ausweitungder Aufklärungsarbeit einbringen.Ich komme zu einem weiteren Punkt.
Frau Kol-
legin, Sie sollten allmählich zum Schluss kommen.
Ja, ich werde mich jetzt kurz fas-
sen.
Wer Rechtsextremismus wirklich bekämpfen will,
muss die Ursachen bekämpfen. Dazu gehört auch, dass
sämtliche Gesetze, die Ausländer diskriminieren bzw.
schlechter als Deutsche stellen, endlich geändert werden.
In den vergangenen Jahren war auch dies ein Boden, auf
dem Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wachsen
konnten.
Ansonsten wünsche ich mir natürlich, dass die Bun-
desregierung nicht nur Feierstunden mit einem Bündnis
für mehr Toleranz initiiert, sondern tatsächlich ein breites
gesellschaftliches Bündnis initiiert, das Aktionsbereit-
schaft zeigt sowie Aufklärung bietet, und die Mittel tat-
sächlich für die Opfer und den Opferschutz eingesetzt
werden.
Danke.
Als
nächster Redner hat jetzt der Kollege Ludwig Stiegler von
der SPD-Fraktion das Wort.
Du brauchst nicht schon wie-der Angst zu haben.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurdenhier Zeugnisnoten ausgegeben. Für meine Fraktion kannich sagen: Innen und Sport gut.
Man muss sich einmal anschauen, von welchen Vo-raussetzungen wir ausgehen mussten. 1 500 Milliar-den DM Schulden haben Sie hinterlassen, 82 Milliar-den DM an Zinsen.
156 000 DM zahlen wir pro Minute für Ihre Schulden. Datrauen Sie sich noch, das Maul aufzureißen! Das ist dochunerhört!
Vielmehr müssten Sie dem Innenminister Gold, Weih-rauch und Myrrhe dafür geben, dass er mit dieser
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Ulla Jelpke11444
Erbschaft, die er eigentlich hätte ausschlagen müssen,fertig geworden ist. So sieht doch die Situation aus.
– Das ist okay, aber die Schwarzen haben Weihrauch ge-nug.
Vor diesem Hintergrund ist das Innenministerium mitden Aufgaben hervorragend fertig geworden. Es sindgewaltige Einsparungen vorgenommen worden, ohnedass zentrale Belange vernachlässigt worden sind.
Das verdient Anerkennung und deshalb sollten wir demInnenministerium, seinen Mitarbeitern und seiner ver-sammelten Führungsmannschaft wirklich herzlich dan-ken, dass sie mit Ihrer Hinterlassenschaft so gut fertig ge-worden sind und dass sie gute Akzente gesetzt haben.
Sie haben die Strukturreformen eingeleitet. Auch das,was Jochen Welt bei der Aussiedlerintegration an neuenLeistungen geschaffen hat, ist vorbildlich. Darüber freuenwir uns und dafür bedanken wir uns.
Es bleibt die Aufgabe, den Rechtsextremismus zubekämpfen. Auch das ist ein Erbe. Ich habe am Wochen-ende einmal in alten Jahrgängen der „Politischen Viertel-jahresschrift“ nachgelesen und festgestellt, dass diesesThema seit Jahrzehnten immer wieder angesprochenwird. Es gab richtige Wellen des Rechtsextremismus undjedes Mal ist das Thema wieder eingeschlafen. DasHaus war vor der Sommerpause noch nicht sonderlichinteressiert, den von der Koalition vorbereiteten Antrag– wir haben ein Jahr daran gearbeitet – zu beraten.
In der Sommerpause ist die Gesellschaft aufgewacht.
Wir haben unseren Antrag vor der öffentlichen Diskus-sion eingebracht, Sie haben jetzt irgendetwas nachgelegt.Das ist der Unterschied zwischen unseren Fraktionen.Es ist eine Bewusstseinsschärfung erfolgt. Wir brau-chen die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländernund die Erhöhung der Mittel; es muss einen Kampf um dieKöpfe geben. Dazu gehört, dass die Bundeszentrale dieseAufgaben übernimmt. Ich rate der Bundeszentrale, dieneuen Mittel zum Beispiel dafür zu verwenden, mit denJustizvollzugsangestellten über die Resozialisierung derverurteilten Jugendlichen zu sprechen. Da schaut es inmanchen Bereichen düster aus. Wir müssen sehen, wasmit diesen Leuten in der Zukunft geschieht.Ich danke dem Innenminister auch für die BGS-Hotline, die wesentlich dazu beiträgt, dass es in diesemLand keinen öffentlichen Raum gibt, den Minderheiten,Ausländer oder wer auch immer nicht ohne Angst undFurcht betreten können. Das ist unser Auftrag.
Der Haushalt 2001 setzt Prioritäten bei der inneren Si-cherheit. Ich denke etwa daran, wie Sie früher mit Beför-derungsproblemen im BGS umgegangen sind. Damalshaben sich die Kinder von Grenzschutzbeamten, etwa beiuns an der Grenze, gefragt: Was hat mein Vater angestellt,dass er im Verhältnis zur Polizei so schlecht dasteht?Diese Zeiten haben ein Ende.
Dafür danke ich dem Innenminister und auch GünterGraf, der sich bei uns darum gekümmert hat, dass wir end-lich etwas für die BGS-Beamten tun und dass wir im Be-reich der inneren Sicherheit trotz der bestehenden Pro-bleme vorankommen.Auch die Sportförderung kann sich sehen lassen.Während wir hier zusammensitzen, läuft die Eröffnungs-feier der Olympiade. Ich glaube, wir alle wünschen unse-ren Athleten, dass sie so fröhlich agieren, wie der Innen-minister sie entlassen hat, dass sie Erfolge heimbringenund dass sie ein Bild unseres Landes zeichnen, über daswir uns freuen können.
– Da können Sie ruhig mitklatschen.Ich denke an die Leistungen im Zusammenhang mitder Fußballweltmeisterschaft 2006. Es ist schmerzlich fürmeine schwarzen Brüder und Schwestern, dass der „Kai-ser“ den Kanzler und den Innenminister lobt. Das ist je-doch bezeichnend. Der „Kaiser“ ist ja keiner primären so-zialdemokratischen Umtriebe verdächtig. Aber wenn erzu dem Eindruck kommt, dass Otto Schily und GerhardSchröder eine hervorragende Arbeit für den Sport geleis-tet haben, dann müssen Sie das wenigstens zähneknir-schend anerkennen.
Ich liefere Ihnen gerne eine Knirschschiene für die Nacht,wenn es Ihnen zu schwer fällt.
Ich danke auch dafür, dass der Goldene Plan Ost fort-geführt wird, dass die Baumaßnahmen vorankommen,dass wir im internationalen Bereich und im Dopingbe-reich vorangekommen sind.
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Ludwig Stiegler11445
– Wir haben eine gute Bilanz. Auf den Sportbereich kön-nen wir wirklich stolz sein.Wir haben die Integrationsbemühungen in Bezug aufdie Aussiedler verstärkt; da habe ich schon Jochen Weltangesprochen. Das gilt aber auch für die Integration derAusländer. Ich hoffe, dass nächste Woche auch die Ver-handlungen über die Arbeitserlaubnis vorankommen,damit wir in diesem Bereich endlich Gerechtigkeit er-langen und einen Beitrag zum inneren Frieden leistenkönnen. Ich hoffe auch, dass die Neukonsolidierung desBundesamtes in Nürnberg mit dem neuen Präsidentendazu beiträgt, dass wir viele Probleme – etwa bei der Um-setzung des neuesten Urteils des Bundesverfassungsge-richtes – lösen können.
Ich danke dem Innenminister, –
– dass er dazu beigetragen hat, dass das Amt neue Zu-kunftsperspektiven hat.Wir haben wirklich Anlass, fröhlich zu sein.
Sie, Herr Zeitlmann, haben jahrelang dem Herrn Kantherzu Füßen gelegen, –
– an seinen Lippen gehangen.
Auch der Hinterausgang war besetzt.
Dabei haben Sie übersehen, dass der Mann wie DorianGray zwei Gesichter hatte. Er hat hier law and order ge-predigt, aber heimlich ist er zu einem Experten für orga-nisierte Kriminalität geworden.
Das ist Ihre innenpolitische Tradition und muss an dieserStelle angesprochen werden.
Der Kanther hatte wenigstens so viel Ehrgefühl, aus demParlament auszuscheiden, während andere Eidesbrechervon Ihnen groß gefeiert werden.
Ich kann den Innenminister in diesem Punkt nur unter-stützen: Wenn von Ihrer Seite unverhohlen zu Blockadenaufgerufen wird, wenn von Ihrer Seite der Verfassungs-bruch eines ehemaligen Bundeskanzlers gutgeheißenwird, –
– dann ist das kein Beitrag zur inneren Sicherheit, sondernein Anschlag auf die innere Sicherheit. Das sollten Sie zurKenntnis nehmen und deshalb hier ganz bescheiden auf-treten.
Vielen Dank und gute Besserung!
Herr Kol-lege Geis, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das WortVerleumder nicht zum parlamentarischen Sprachge-brauch gehört.
Als nächster Redner hat das Wort der KollegeCarl-Detlev Freiherr von Hammerstein von der CDU/CSU-Fraktion.
und Kollegen! Ich möchte gerne eine Vorbemerkung ma-chen, die meines Erachtens sehr wichtig ist. Herr Minis-ter, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich mit Be-amten Ihres Ministeriums und mit einem großen Teil derKollegen gesprochen habe. Alle sind sich darin einig: DerHaushalt Ihres Einzelplanes ist a) unübersichtlich, b) sehrspät gekommen – dazu werde ich gleich noch etwas sa-gen – und auch sehr kompliziert. Deswegen kann ich an-gesichts der haushaltspolitischen Themen, über die derBayer Stiegler gesprochen hat, nachvollziehen, dass erden Haushalt nicht verstanden hat. Es ist unvorstellbar.
Ich bin nur in einem Punkt mit Ihnen einverstanden.Wir müssen den Sport fördern und den betreffendenMenschen helfen. Was ist aber definitiv geschehen? Ichkann Sie ja verstehen, Herr Minister Schily. Der Kanzler
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Ludwig Stiegler11446
hat Sie mit seinen Ideen derart überrascht, dass Sie vonIhren alten Standpunkten eingeholt werden. Sie warennämlich gegen die Beihilfe für die Polizei – das ist nichtin Ihrem Einzelplan vorhanden –, aber auch gegen die Un-terstützung bezüglich der Stadien. Können Sie sich daranerinnern, wie wir uns darum bemüht haben?„Kaiser“ Franz ist von Ihnen in diesem Zusammen-hang erwähnt worden, Herr Kollege Stiegler.
Er hat inzwischen eine weitere Forderung gestellt, näm-lich nicht nur für die Sanierung und Modernisierung desZentralstadions in Leipzig, sondern auch des Olympiasta-dions in München als Stadion für die Fußballweltmeister-schaft Mittel zu gewähren.
Ich bin einmal gespannt, wie sich das weiterentwickelnwird. Aber in Ihrem Haushalt kann ich die Summe von383 Millionen DM, die Sie ins Gespräch gebracht haben,überhaupt nicht erkennen.
Über diesen Punkt müssen wir in den Einzelberatungensicherlich noch klar und deutlich sprechen. Dazu bin ichbereit.Ihr Haushalt wird durch Kürzungen im investiven Be-reich geprägt. Dies kann kein Bürger der BundesrepublikDeutschland verstehen. Ich weiß nicht, wie sorgfältig SieIhren eigenen Haushalt gelesen haben. Er wird um7,8 Prozent gekürzt. Diese Kürzung findet man in allenBereichen.
Sie haben mit großer Anerkennung von den BGS-Be-amten und ihrer Arbeit gesprochen. Auch ich möchte sieausdrücklich erwähnen und ihnen ganz herzlich für ihregroßartige Arbeit danken.Wenn ich den Katalog an Horrorszenen in Bezug aufdie Kürzungen im investiven Bereich hier vortragenwürde, wären Sie verzweifelt.
Ich nenne nur einen Bereich: Wir haben uns bereits desÖfteren mit den unvorstellbaren Missständen an denBahnhöfen, was die Unterbringung der Bundesgrenz-schutzbeamten angeht, auseinander gesetzt. Dieser Be-reich des Haushalts wird um 2 Millionen DM gekürzt.Beim Bundesgrenzschutz kommt ein weiterer Punkthinzu: Sie haben in Ihren Haushalt für diesen Bereich125 Millionen DM eingestellt und sprechen von ausga-benmindernden Wirkungen. Ich sehe das überhaupt nichtein; Herr Stiegler spricht ja immer davon, der Haushaltsei sicher.
Vielmehr kommt es zu unvorstellbaren Ausgabenbelas-tungen. Dazu hören Sie gleich noch mehr.Ich habe in Frankfurt mit Vertretern der Bahn gespro-chen: Es wurde in diesem Zusammenhang nichts mit demVorstandsvorsitzenden Mehdorn abgesprochen. Vielmehrwird es wahrscheinlich Ihrerseits einen Erlass bzw. eineVerordnung geben, dass der Bahn die Kosten für den Bun-desgrenzschutz zwangsweise aufgedrückt werden.
Aufgabe des Staates ist es, die finanziellen Vorausset-zungen dafür zu schaffen, dass die Bahnhöfe und dieSchienen in der Bundesrepublik Deutschland, solange sieStaatseigentum sind, ohne Wenn und Aber gesichert wer-den. Ich hoffe, dass in dieser Hinsicht etwas passiert.Die Situation der Bahn ist doch im Moment folgender-maßen: Sie wird nicht nur durch die Ökosteuer bzw. die„K. O.-Steuer“, sondern auch durch die Stromsteuer be-lastet. Nun kommen auch noch die Kosten für den BGShinzu. Dies gibt es in anderen Eisenbahnunternehmen derWelt nicht. Deswegen ist es meines Erachtens wichtig,dass wir uns mit dieser Thematik beschäftigen.Herr Minister Schily, ein weiterer Bereich, der meinesErachtens sehr wichtig ist, sind die zusätzlichen Flug-sicherheitsgebühren.Man kann darüber natürlich disku-tieren. Aber Sie sollten die Öffentlichkeit schon klar unddeutlich darauf hinweisen, was Sie vorhaben. Die Flugsi-cherheitsgebühren an den Flughäfen werden von 305 Mil-lionen auf 442 Millionen DM erhöht. Das ist eine Er-höhung um knapp 50 Prozent. In Zukunft wird es alsonicht nur die Ökosteuer, die Stromsteuer, also die „K. O.-Steuer“, sondern auch noch eine Mallorca-Steuer geben.Sie, die Sie da oben auf der Tribüne sitzen, wissen nun,was in Zukunft auf Sie noch zukommt. Ich glaube, dasswir uns als Opposition in diesem Bereich noch klar unddeutlich melden werden. Darauf werde ich in jeder Ver-anstaltung hinweisen.
Diese Horrorliste lässt sich beliebig fortsetzen. Ichhoffe nur, Herr Minister, dass Sie in den Gesprächen, diewir in Kürze im Zuge der Haushaltsberatungen habenwerden, hier und dort gewisse Signale geben.Mir geht es genauso wie Ihnen: Meine Redezeit ist zukurz. Ich könnte Ihnen noch einen großen Teil andererDinge erklären.
Das kann ich heute nicht leisten; denn meine Redezeit istzu Ende. Damit möchte ich schließen.
WeitereWortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums des Inneren liegen nicht vor.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Justiz, Einzelplan 07, und zumEinzelplan 19, Bundesverfassungsgericht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein11447
Als erste Rednerin hat die Bundesministerin FrauDr. Däubler-Gmelin das Wort.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Bekanntlich haben sich die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition vorgenommen, den schädlichen undlange andauernden Reformstau aufzulösen. Damit sollzum Ersten endlich wieder deutlich werden, dass unserRecht auf der Seite der Schwächeren steht.
Damit sollen zum Zweiten wichtige Gebiete unseresRechtes und unsere rechtsstaatlichen Institutionen so mo-dernisiert werden, dass sie ihren grundgesetzlichen Auf-trag für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auchin Zukunft gut erfüllen können. Dieser grundgesetzlicheAuftrag, diese Dienstleistung für die Bürgerinnen undBürger unseres Landes ist nämlich von zentraler Wich-tigkeit. Damit wollen wir zum Dritten beim Aufbau unse-res Europa, das künftig ein gemeinsamer Raum der Frei-heit, der Sicherheit und des Rechtes sein soll, dieGestaltungselemente und Strukturen, das heißt mehrRechtsstaatlichkeit und mehr sozialstaatliche Demokra-tie, so einbringen, wie sie sich nach unserer Erfahrung inden vergangenen 50 Jahren bei uns in der Bundesrepublikbewährt haben.
Wir haben in den letzten beiden Jahren – wir nähernuns bald der Halbzeit der Legislaturperiode – sehr deutli-che Akzente gesetzt, die diese Weichenstellung unter-streichen. Lassen sie mich zum ersten Teil – Recht auf derSeite der Schwächeren – sagen: Der Täter-Opfer-Aus-gleich ist einer der Bereiche; die Ächtung der Gewalt inder Erziehung und Hilfe für Alleinerziehende sind wei-tere Beispiele.Lassen Sie mich an dieser Stelle hinzufügen: Es ist un-geheuer wichtig, immer wieder zu sagen, dass der Bun-desrat hier nicht unter Anleitung einer Mehrheit von Kol-legen aus den Justizministerien, die der Oppositionangehören – ich meine jetzt nicht die F.D.P. –, Einsprucheinlegen sollte. Das wäre ganz falsch und würde das drin-gend erforderliche Signal zur Gewaltbekämpfung in un-serer Gesellschaft deutlich konterkarieren.
Ich appelliere gerade an die Kolleginnen und Kollegenvon der Opposition: Wenn Sie Einfluss haben, nutzen Siediesen Einfluss, damit die klare Aussage „Das Recht stehtauf der Seite der Schwächeren“ auch in diesem Bereichdeutlich wird.
Das Gewaltschutzgesetz und das Sanktionengesetzkommen im Herbst. Das wissen Sie. Das erste soll ge-schlagenen Frauen und ihren Kindern nicht mehr nur dieMöglichkeit belassen, ins Frauenhaus zu gehen – so wich-tig und wertvoll diese Institutionen sind, um erste Hilfe zuleisten –, sondern es wird diesen Frauen die Möglichkeiteröffnen, in der Wohnung zu bleiben, in der sie bisher ge-wohnt haben. Wir werden darüber hinaus auch gerichtli-che Kontaktverbote in diesem Gesetz vorschlagen. Ichglaube, damit sind wir wieder ein Stück weiter.Das Sanktionengesetz, über das wir schon viele Dis-kussionen geführt haben, wird eine Reihe von Vorschlä-gen bringen. Über diese wird noch im Einzelnen zu dis-kutieren sein. Mir ist unter dem Gesichtspunkt „Das Rechtmuss auf der Seite der Schwächeren stehen“ ganz beson-ders das wichtig, was wir hier zusätzlich für die Opferwollen und vorschlagen. Wir wollen, dass 10 Prozent derGeldstrafen endlich dafür zur Verfügung stehen, dass Op-fern von Kriminalität geholfen werden kann.
Diese gehen heute bisweilen leer aus.Wir alle haben gerade in den letzten Monaten – zuRecht – darauf hingewiesen, dass Zivilcourage auch ge-gen Rechts erforderlich ist. Wer aber erfahren hat, wieMenschen, die diese Zivilcourage aufgebracht haben unddenen dabei etwas passiert ist, manchmal allein gelassenwurden, der weiß, wovon ich rede. Hier ist ein weitererSchritt erforderlich.Meine Damen und Herren, es muss auch darum gehen,dass Opfer von Straftaten, die Schäden erlitten haben, eineleichtere Möglichkeit erhalten, diese Schäden auch ersetztzu bekommen. Das ist der zweite Punkt, auf den ich Siehinweisen möchte.Nehmen wir den Schwerpunkt Modernisierung. Wirhaben mit der außergerichtlichen Streitschlichtung be-gonnen, weil wir der Auffassung sind, dass es im tägli-chen Leben zum Beispiel Streitigkeiten unter Nachbarngibt, bei denen es viel besser ist, eine Lösung zu finden,die zum Rechtsfrieden beiträgt, statt vor Gericht zu gehenund die Sache streitig entscheiden zu lassen.
Das ist bereits Gesetz.Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Ländern, die anfan-gen, Modelle der außergerichtlichen Streitschlichtung zuentwickeln. Deshalb erwähne ich das. Wir wissen: In denvergangenen Jahren ist im Bereich der Mediation, vor al-lem der Mediationspraxis und der Mediationswissen-schaft, von Anwälten, von Instituten und von Menschen,die ganz besonders viel davon verstehen, eine Menge annützlichen Erkenntnissen zusammengetragen worden, diejetzt für die Praxis verfügbar gemacht werden sollten.Ich bitte Sie auch hier: Nutzen Sie Ihren Einfluss in denLändern, die solche Gesetze der außergerichtlichen Streit-schlichtung wollen, aus, damit sie die Mediation undalles, was dazu dient, den Rechtsfrieden wieder herzu-stellen, auch tatsächlich in Anspruch nehmen und ver-bindlich einbeziehen.Ein weiterer Punkt: Wir haben die Präsidialverfassungverändert und Gerichte geöffnet. Auch das war, obwohl essehr streitig war, sehr wichtig.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms11448
Dass wir sehr viele wichtige Modernisierungsvorha-ben wie die Justizreform, die Einführung der Namens-aktie, die Anerkennung von Lebenspartnerschaften, Än-derungen im Mietrecht oder eine Reform der Finanzge-richtsordnung bereits auf den Weg gebracht haben – siesind zum Teil schon im Gesetzgebungsverfahren –, daswissen Sie. Im Herbst werden wir hier in diesem Hausesehr viele Schwerpunktaufgaben zu diskutieren haben.All dies dient der Modernisierung, dient dazu, dass die In-stitutionen unseres Landes und dass auch unsere Rechts-ordnung ihren grundgesetzlichen Auftrag auf Dauer guterfüllen können.Lassen Sie mich von den Projekten, die im Herbst an-stehen, drei wichtige ansprechen. Ich schließe mich mei-nem Vorredner, Bundesinnenminister Schily, an, der ge-sagt hat, dass wir für die Diskussion darüber erheblichmehr Zeit haben müssten. Hier kann man jetzt nur mit we-nigen Worten informieren, statt in Ruhe das Für und dasGegen in Einzelheiten vorzutragen.Wir setzen nur die Biopatentrichtlinie um. Dies ist einganz wichtiges Werk, und zwar ganz einfach deshalb, weiles hier darum geht, geistige Leistungen durch Änderun-gen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes zuschützen und gleichzeitig Forschung und Innovationen zufördern, aber auch die ethischen Grenzen dessen, was wirmachen dürfen, festzulegen.Ich hätte mir gewünscht, dass diese Diskussion hierschon sehr viel früher in Gang gekommen wäre, zum Bei-spiel in den zehn Jahren, in denen die Biopatentrichtlinieauf europäischer Ebene beraten wurde. Ich lade ausdrück-lich alle ein, sich an der Diskussion zu beteiligen. Wirwerden hier eine zielgenaue, klare Gratwanderung, diediese drei Gesichtspunkte zusammenbringt, unternehmenmüssen. Das können wir am besten gemeinsam.Ich nenne einen zweiten Bereich, der ebenfalls mit demSchutz geistiger Leistungen zusammenhängt: das Urhe-berrecht.
– Ich komme gleich zu dem Dank, keine Sorge. – Auchhier liegt eine Menge Arbeit vor uns. Wir müssen, einge-bettet in die rechtlichen Regelungen, die in Europa undweltweit entwickelt, erarbeitet und ausverhandelt wurden– man kann das nicht mehr nur national machen –, Ur-heber im digitalen Zeitalter bzw. im Zeitalter der Infor-mationsgesellschaft besser schützen.Ich bedanke mich übrigens ausdrücklich bei den Kol-leginnen und Kollegen auch der CDU/CSU und der F.D.P.dafür, dass sie sich in den letzten Wochen, als es diesenkurzen Aufschrei von dem einen oder anderen aus Indus-trieverbänden gegeben hat, die meinten, das gelte nichtfür sie – sie sind zwar der Auffassung, dass man dann,wenn man einen Kassettenrecorder kauft, eine Abgabeleisten muss, die den Urhebern zugute kommt, dass diesaber bei den modernen Vervielfältigungsgeräten nicht sosein sollte –, dazu geäußert und dem klar widersprochenhaben. Das finde ich gut. In allen Parteien gab es auch an-dere Stimmen; aber das Urheberrecht ist auch ein schwie-riges Gebiet.Es gibt noch einen dritten Punkt, auf den ich Sie auf-merksam machen möchte und der uns ebenfalls in diesemHerbst beschäftigen wird. Er hat ebenfalls mit Moderni-sierung und dem Aufbau eines einheitlichen Raumes derFreiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa zu tun:die Modernisierung des Schuldrechts. Jeder Jurist undjede Juristin hat sich seit dem ersten Semester der juristi-schen Ausbildung immer wieder damit beschäftigt undgeht nahezu täglich damit um. Aber wir wissen ganz ge-nau: Europa der Bürger, Europa der Wirtschaft, Europades Handels bedeutet, dass die Einflüsse aus Europa im-mer stärker werden. Wir müssen – damit fange ich nunan – verschiedene europäische Richtlinien umsetzen: dieFernabsatzrichtlinie, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinieund einige andere, mit deren Nennung ich Sie jetzt nichterschrecken will. Diese greifen massiv in die Kaufbezie-hungen und damit in unser Schuldrecht ein.Wir hatten seit langem – das ist sehr gut – eine guteGrundlage, auf der auch die Richtlinien verhandelt wor-den sind, nämlich die Ergebnisse der Schuldrechtskom-mission, die Anfang der 90er-Jahre eingesetzt wurde undihre Ergebnisse vorgelegt hatte.Jetzt stehen wir vor einer schwierigen Weichenstel-lung. Wir müssen entscheiden: Wollen wir bei der Umset-zung des EU-Rechts, wo doch das System des EU-Rechtsanders ist, unser bürgerliches Recht, unser Kaufrecht undunser Schuldrecht noch stärker verkomplizieren oder sindwir bei der Modernisierung so mutig zu sagen: Wir neh-men das, was die Schuldrechtskommission vorgeschlagenhat, dazu und setzen das einmal richtig, aber gründlichum? Um diese Weichenstellung wird es in diesem Herbstgehen.Ich werde Ihnen in den kommenden Tagen einen erstenEntwurf zur Diskussion zusenden. Ich bitte Sie, sich auchhier an der Modernisierung zu beteiligen.Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundes-ministeriums der Justiz für 2001, klein, wie er ist, undsparsam, wie wir sein müssen, spiegelt diese Schwer-punkte und andere wider. Mir wäre es lieber, wir müsstennicht so viel sparen. Ich sage das, weil unser KollegeBundesfinanzminister im Saal ist, der eine Sparpolitik be-treibt.
– Das macht er ja nicht freiwillig, sondern im Interesse derBevölkerung und einfach deswegen, weil er mit Ihrer Erb-schaft fertig werden muss.
Der wird das genauso sehen.Wir haben das, was wir machen konnten, erreicht.
– Ich weiß, es gefällt Ihnen nicht.
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Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin11449
Wenn ich in Ihrer Situation wäre, würde ich jetzt ebenfallsheftig widersprechen. Aber alle Leute wissen mittler-weile, welchen Schuldenberg und welches Erbe Sie unshinterlassen haben. Ich denke, darüber brauchen wir jetztnicht zu streiten.
Wir schaffen – verehrter Herr Geis, das wird Sie be-sonders interessieren – im Haushalt 2001 die Vorausset-zungen dafür, dass das Menschenrechtsinstitut, das wirgeplant haben und das die rot-grüne Koalition will, imnächsten Jahr anfangen kann zu arbeiten. Das bedeutet,dass wir nicht nur durch Reden, sondern auch durch Tunsehr deutlich machen, wie viel wir von den Menschen-rechten halten. Übrigens gilt das nicht nur im Inland. Las-sen Sie mich dazu ergänzen, dass ich jeder Polizistin undjedem Polizisten, jedem Staatsanwalt und jedem Richterdankbar bin, der oder die im Rahmen seines oder ihresVerantwortungsbereiches deutlich macht, dass Straftatenmit rechtsextremistischem Hintergrund von uns nicht ge-duldet werden.
Menschenrechtspolitik und der Schutz der Menschen-rechte sind nicht allein bei uns im Inland wichtig. Wir sindder Meinung, sie müssen auch, und zwar mit deutscherBeteiligung, über die deutschen Grenzen hinaus unter-stützt werden.
Deswegen bin ich der Auffassung, es ist hoch an derZeit, dass die Einsetzung eines internationalen Strafge-richtshofs endlich auch vom Parlament beschlossen wird.
Mein Appell geht an alle Seiten des Hauses, das nichtmehr zu verzögern, sondern es wirklich zu beschleunigen.Dass wir den Rechtsstaatsdialog mit der VolksrepublikChina intensivieren, wird – auch das weiß ich – vom ge-samten Haus getragen. Das möchte ich an dieser Stelleebenfalls erwähnen. Das tun wir natürlich nicht nur we-gen des bilateralen Nutzens, sondern wir machen dasauch, weil wir der Auffassung sind, dass wir dadurch aufder globalen Ebene zu einem gemeinsamen Verständnisvon Grund- und Menschenrechten beitragen können, daswir in einer Welt, die immer stärker zusammenwächst,dringend brauchen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwaszur Modernisierung sagen. Das gilt vor allem für einenBereich, nämlich das Deutsche Patent- und Marken-amt, das uns 1998, als wir die Regierung übernommenhaben, schon als Sorgenkind angekündigt worden war, –
– als Sorgenkind mit ganz großen Problemen, obwohl dieMenschen, die dort arbeiten, voll motiviert sind und ob-wohl sie sich jede Mühe geben, als Sorgenkind deshalb,weil wir seit 1991 sehen mussten, dass die Zahl der An-meldungen von Patenten erfreulich stieg und steigt – Zei-chen ökonomischer Innovationsbereitschaft und auch vonWirtschaftskraft –, die Zahl der Marken auch, währendaber die Zahl der Stellen beim Deutschen Patent- undMarkenamt von der Vorgängerregierung in erheblichemMaße gesenkt wurde. Das kann nichts werden, wenn sichdie Schere öffnet.Hinzu kommt eine völlig unzulängliche Ausstattungmit Computern oder mit Mitteln einer modernen Arbeits-organisation.
Sie werden wissen, wovon ich rede. Im Haushalt – dassage ich jetzt nur für die Leute, die nachlesen wollen –,den Herr Waigel für das Jahr 1999 vorgeschlagen hatte,wäre es mit den Stellenstreichungen weitergegangen.
Wir haben hier schon 1999 dank der Unterstützungauch des Herrn Bundesfinanzministers eine – wenn auchnur leichte – Trendwende erreicht. Wir konnten für 2000sehr viele zusätzliche Patentprüferstellen einrichten. Wirhaben auch etwas Geld für die Ausstattung mit Compu-tern, an denen Patentprüfer arbeiten sollen, bekommen.Wir sind schon sehr weit bei der Verbesserung in Bezugauf Informations- und Kommunikationstechnologie undeine moderne Arbeitsorganisation.Ich sage Ihnen: Das, was mich 1998 beinahe zu Tränengerührt hat, die gezackte Gebührenmarke, werden wir insEuro-Zeitalter ebenso wenig mit hinübernehmen wie dasveraltete Kostenverrechnungssystem.
Warum sage ich das? Die dringend nötigen Verbesse-rungen waren und sind ohne eine Gebührenerhöhungnicht möglich. Das will ich hier auch einmal deutlich an-sprechen: Hätte die Union ihre Verpflichtung früher wahr-genommen –
– und das Patent- und Markenamt nicht in diesen Zustandkommen lassen –
– und hätte sie den Mut gehabt, Herr Feibel, die seit 1976nicht mehr erhöhten Gebühren vernünftig, mittelstands-
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Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin11450
freundlich und erfinderfreundlich anzupassen, wie wirdas jetzt mussten, dann wäre es für uns viel leichter ge-wesen und dann wären wir jetzt weiter.
Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: Wir brauchennoch ein wenig Zeit. Was wir aber überhaupt nicht brau-chen, ist, dass diejenigen, die an diesem Zustand schuldsind, jetzt meinen, beckmesserisch auftreten zu können.Wir brauchen die Unterstützung des ganzen Hauses unddes Haushaltsausschusses, um noch mehr zu erreichen.Alles andere wäre unseres Landes unwürdig.Lassen Sie mich mit einem Dank an all jene schließen,die an dem Ziel, einen einheitlichen Rechtsraum in Eu-ropa zu schaffen, mitgearbeitet und mitgewirkt haben.Sie alle wissen, wie schwer es ist, die Abwicklung desTagesgeschäfts im europäischen Raum voranzubringen.Wir wussten dies, als Sie die Verantwortung hatten, undSie wissen es jetzt, da wir sie haben. Wir haben Eurojustauf den Weg gebracht. Zusätzlich verbessern wir die Le-bensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger in der Eu-ropäischen Union, damit sie zum Beispiel ihren Schadenleichter ersetzt bekommen, wenn sie einen Verkehrsunfallim Ausland haben, auch bei Gerichtsprozessen und ande-ren Problembereichen helfen wir ihnen. Auch der E-Com-merce gehört dazu.Eines aber will ich besonders herausstellen, und zwardie Europäische Grundrechte-Charta. Ich weiß aus Ge-sprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschied-lichen Parteien, dass deren Schaffung vielen von ihnen einähnlich großes Anliegen war und ist. Dennoch war immerwieder Skepsis zu vernehmen, als wir Deutschen, als ge-rade ich im Rahmen der deutschen Präsidentschaft daraufgedrungen habe, die Europäische Grundrechte-Charta aufden Weg zu bringen.Ich stelle heute mit großer Freude fest, dass die Chartaauf einem guten Wege ist, und darf denen, die uns im Kon-vent vertreten, ausdrücklich danken. Mein Dank richtetsich an Herrn Professor Meyer – ich sehe ihn hier vormir –, der dort den Bundestag vertritt,
aber auch an die Adresse von Professor Herzog, der heutenicht anwesend ist. Ich glaube, ohne die beiden wären wirnicht so weit, wie wir heute sind. Lassen Sie uns gemein-sam daran arbeiten, dass Europa nicht allein als Europader Wirtschaft und Europa des Euro bekannt ist, sondernzum Europa der Bürgerinnen und Bürger und zum Europader gemeinsamen Werte wird. Das brauchen wir alle.Ganz herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Bosbach von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch den Justizhaus-halt des Bundes wird nur zu einem geringen Teil eine ganzzentrale und vitale Staatsaufgabe finanziert. Justiz istvornehmlich Ländersache und die Zivilgerichtsbarkeit hatdurch die Einnahme von Gebühren zur Freude aller Fi-nanzminister eine hohe Selbstfinanzierungsquote.Die Arbeit der Ziviljustiz ist keineswegs, wie gerne be-hauptet wird, durch stetig steigende, sondern durchtendenziell leicht fallende Fallzahlen, relativ kurze Ver-fahrenszeiten und geringe Rechtsmittelquoten gekenn-zeichnet. Aber – dieser Umstand, Frau Ministerin, ver-dient eine besondere Beachtung – die eingelegtenRechtsmittel haben eine relativ hohe Erfolgsquote vonfast 50 Prozent.
Schon diese Zahl belegt, dass es keinen vernünftigenGrund gibt, die Überprüfung vermeintlich oder tatsäch-lich fehlerhafter Urteile unnötig zu erschweren.
Die Regierung plant Änderungen in der Zivilpro-zessordnung, die so tief greifend sind, dass die konkreteGefahr besteht, dass der Recht suchende Bürger zukünf-tig nicht mehr in dem Umfang Recht erhält, wie unbedingtnotwendig, –
– dass der bewährte Gerichtsaufbau unnötig ins Wankengerät –
– und dass unser auch im internationalen Vergleich vor-bildliches Rechtssystem nachhaltig geschädigt wird.
Entgegen anders lautenden Behauptungen, Frau Justiz-ministerin, ist die von Ihnen mit Hochdruck betriebeneReform der ZPO nicht bürgerfreundlich, sondern bürger-feindlich.
Sie macht den Zivilprozess nicht schneller, sondern büro-kratischer. Sie sorgt nicht für mehr Recht, sondern mussfast zwangsläufig zu mehr Ungerechtigkeit führen. UnserRechtssystem würde nicht reformiert, sondern deformiert.Wieso soll ein Berufungsgericht ein angegriffenesUrteil nur dann korrigieren dürfen, wenn „ernstliche“Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der ent-scheidungserheblichen Feststellung besteht? Welchenvernünftigen, dem Bürger vermittelbaren Grund gibt esdafür, beim Vorliegen von Zweifeln an der Richtigkeit derSachverhaltsfeststellungen die Berufung nicht durchzu-führen? Sie können nicht ernsthaft wollen, dass in alldenjenigen Fällen, in denen ein Einzelrichter oder garein Richterkollegium Zweifel an der richtigen Tatsa-chenfeststellung der ersten Instanz hat, das auf diesen
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Feststellungen basierende Urteil nicht mehr überprüftwerden darf. Das wäre nicht Politik für, sondern gegenden Bürger.Warum wollen Sie das bewährte Prinzip aufgeben, dassnun einmal sechs Augen mehr sehen als zwei Augen?Wenn erstinstanzlich vor den Landgerichten zukünftigmehr Einzelrichter als Kammern entscheiden sollen, dannmuss sich daraus der zwingende Schluss ergeben, dass zu-mindest in der nächsten, möglicherweise letzten Instanzmehr als nur ein Richter Recht spricht.Auch Ihnen kann nicht entgangen sein, dass Ihre Plänevon der gesamten Fachwelt, von allen, von Richtern, vonAnwälten, von den Justizministern der Länder, gleichwelcher Couleur, je nach Temperament und Interessemilde oder hart kritisiert, jedenfalls komplett abgelehntwerden.
Gegen diejenigen, die tagtäglich mit der ZPO arbeitenmüssen, und gegen die Länder kann eine Reform keinenErfolg haben.Niemand spricht Ihnen, Frau Professor, ein hohes Maßan Intelligenz ab.
Bitte seien Sie aber auch klug und ziehen Sie diesen Ge-setzentwurf zurück! Suchen Sie stattdessen das Gesprächmit der Fachwelt und mit den Kolleginnen und Kollegender Länder für eine Reform, die dem Recht dient und nichtder Rechtskultur unseres Landes und den Recht suchen-den Bürgern schadet!
Kommen wir von der Rechtspolitik zur sozialdemo-kratischen Rechtspraxis in Nordrhein-Westfalen und indiesem Hause. Punktgenau drei Tage vor der Landtags-wahl in Nordrhein-Westfalen wurde bundesweit publik,dass unser Kollege Ronald Pofalla in dem Verdacht steht,Steuern hinterzogen zu haben. Unter Vortäuschungfalscher Tatsachen wurde unser eigener Immunitätsaus-schuss veranlasst, die Immunität des Kollegen Pofallaaufzuheben. Der Skandal war perfekt.
Heute wissen wir: Einen Skandal des Kollegen RonaldPofalla hat es zu keiner Sekunde gegeben. Aber wir wis-sen jetzt genau, dass es skandalöse Verhältnisse in demTeil der nordrhein-westfälischen Justiz gibt, der nichtweiß, dass er nicht der SPD, nicht Herrn Müntefering,nicht Herrn Dieckmann, sondern nur dem Recht zu dienenhat.
– Das ist Ihnen peinlich. Sie hätten natürlich große Freudedaran, wenn ich jetzt, wie die Frau Ministerin, über die ge-zackte Gebührenmarke reden würde. Genau deswegen tueich Ihnen den Gefallen nicht.
Am 2. August 2000 hat das Landgericht Kleve rechts-kräftig festgestellt, dass es nie – ich betone: nie – einen be-gründeten Tatverdacht gegen den Kollegen Pofalla gege-ben hat. Das Gericht hat alle – komplett alle –Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse fürrechtswidrig erklärt.
Bei dieser Lage will man uns allen Ernstes weisma-chen, dass es nur ein Zufall sei, dass die beiden gegen denKollegen Pofalla ermittelnden Staatsanwälte nicht aus derzuständigen Staatsanwaltschaft in Kleve kommen, son-dern erst Anfang des Jahres aus dem Landesjustizministe-rium nach Kleve versetzt wurden.
Einer der beiden Helden soll in Kürze als leitender Ober-staatsanwalt Behördenchef in Kleve werden. – Befehlausgeführt.
Die zweite Koryphäe soll ihm in zwei Jahren nachfolgen.Gibt es hier im Parlament tatsächlich irgendjemanden, derbei diesen Versetzungen und Beförderungen an einen Zu-fall glaubt?Warum wurde auf dem sozialdemokratischen Dienst-weg vom Generalstaatsanwalt in Düsseldorf über denLandesjustizminister, über die Bundesministerin der Jus-tiz bis zum Präsidenten des Deutschen Bundestages undvon dort zur Vorsitzenden des Immunitätsausschussesnicht ein einziges Mal gründlich überprüft, ob tatsächlichein Tatverdacht vorliegt –
– und ob die Behauptung der Staatsanwaltschaft, es seiwegen drohender Verjährung geboten, die Hausdurchsu-chungen und Beschlagnahmen sofort zu genehmigen,tatsächlich richtig ist? Ein kurzer Blick in § 78b des Straf-gesetzbuches hätte genügt, um festzustellen, dass dieseBehauptung im Hinblick auf den Kollegen Pofalla groberUnfug ist.Gibt es hier im Deutschen Bundestag irgendjemanden,der nur an eine Kombination von Schlamperei undDummheit glaubt? Minister Dieckmann sagt, er hätte per-sönlich von dem Treiben seiner Staatsanwälte keineKenntnis gehabt. Glauben wir das einmal und warten wirab, ob er die Wahrheit sagt.
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Wolfgang Bosbach11452
Warum hat sich eigentlich bis zur Stunde keiner der be-teiligten sozialdemokratischen Würdenträger bei demKollegen Pofalla entschuldigt?
Sie können das heute in dieser Debatte nachholen.Minister Schily ist leider gegangen: Ich hätte ihm gernegesagt: Wer die Parteispendenaffäre erwähnt und zumFall Pofalla schweigt, hat ein gespaltenes Rechtsver-ständnis.
Die parteipolitische Wertung der Parteispendenaffäre istdie eine Sache. Wenn aber ein Innenminister der Bundes-republik Deutschland einerseits Entscheidungen des Bun-desverfassungsgerichtes zitiert und andererseits dann dasPlenum und sein Amt dazu benutzt, auf die unabhängigeJustiz in einem ganz konkreten Fall aus parteipolitischenMotiven Druck auszuüben, dann geht das entschieden zuweit und ist scheinheilig.
Noch ein kurzes Wort zum Thema rot-grünes Rechts-verständnis. Das Recht auf freie Meinungsäußerungund das Demonstrationsrecht sind elementare Grund-rechte. Sie gelten sogar dann, wenn sich der Volkszorn ge-gen eine rot-grüne Regierung richtet. – Nur zur Klarstel-lung. Klar ist auch, dass derjenige, der demonstrieren will,das Recht beachten muss und vor allen Dingen keineStraftaten begehen darf. Für diesen Fall hat der Kanzlermit der ganzen Härte des Gesetzes gedroht.Aber eines muss ebenfalls klar sein: Man kann nichtdie aufgebrachten Bergarbeiter, die in Bonn die F.D.P.-Zentrale attackieren, den Verkehr lahm legen, das Regie-rungsviertel blockieren und die Bannmeile durchbrechen,bejubeln und mit Durchhalteparolen unterstützen undprotestierenden Brummifahrern, die um ihre Existenzbangen, mit der Staatsmacht drohen.
So verhilft man dem Recht nicht zur Geltung.
In wenigen Tagen erfolgt die Sachverständigenan-hörung zu dem Herzensanliegen des Kanzlers, unter demArbeitstitel „eingetragene Lebenspartnerschaften“ ho-mosexuellen Paaren den Weg zum Standesamt und zurEheschließung zu ermöglichen. Den Mut, das Kind beimNamen zu nennen, hat die Koalition nicht. Mit minimalenAusnahmen übertragen Sie die eherechtlichen Regelun-gen und die damit verbundenen Wirkungen. Sie schaffeneine vollständige Kopie der Ehe für gleichgeschlechtlichePaare, die Sie jedoch zur Beruhigung der Bevölkerungnicht Ehe, sondern anders nennen. Gleichzeitig behauptenSie zur Rechtfertigung des Angriffs auf Ehe und Familie,dass diese Initiative wegen des Gleichheitsgebotes desGrundgesetzes aus Gründen der Gerechtigkeit dringendgeboten sei. Diese Argumentation belegt, dass Sie vondem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung eine falscheVorstellung haben.
Gleichbehandlung bedeutet, nur Gleiches gleich zu be-handeln, und im Umkehrschluss; Ungleiches ungleich zubehandeln.
Eine schematische automatische Übertragung vonRechtsvorschriften und damit verbundenen Rechtswir-kungen von einem gesellschaftlichen Bereich auf den an-deren ohne Rücksichtnahme auf fundamentale Unter-schiede ist kein Gebot des Artikel 3 Grundgesetz, sondernein Verstoß dagegen.Macht es Sie eigentlich kein bisschen nachdenklich,wenn nicht nur die Union und mit ihr große Teile der Be-völkerung, sondern auch die beiden großen christlichenKirchen und viele namhafte Familien- und StaatsrechtlerIhren Gesetzentwurf mit guten Argumenten ablehnen?Sie sagen: Der Ehe werde nichts genommen; deshalbwerde Artikel 6 des Grundgesetz nicht verletzt. Richtig istdas Gegenteil: Es ist gerade das politische Ziel der rot-grünen Pläne, dem traditionellen, bewährten Leitbild derEhe und Familie die gesetzliche und gesellschaftlicheVorrangstellung zu nehmen.
– Sie sollten den Mut haben, das auch zuzugestehen.Sie geben das Ziel des besonderen Schutzes des Staa-tes für Ehe und Familie auf und wollen alle Formen desZusammenlebens einebnen.
Es soll zukünftig gerade keine Vorrangstellung vonEhe und Familie vor anderen Formen des Zusammenle-bens geben. Ehe und Familie sind jedoch die Keimzellejeder staatlichen Gemeinschaft. Darum stehen sie unterdem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.Wir sind gern bereit, mit Ihnen offen darüber zu disku-tieren, wie dies auf geeignete Art und Weise geschehenkann. Wir wollen in schwierigen Lebenssituationen hel-fen und sind selbstverständlich bereit, dort Konsequenzenzu ziehen, wo es die gleichgeschlechtlichen Partner nachder derzeitigen Rechtslage nicht schaffen, ihre Problemezu lösen.
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Wolfgang Bosbach11453
Herr Kol-
lege Bosbach, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss, Herr Präsident.
Wenn Sie aber weiterhin Ihren Plan verfolgen, auch ho-
mosexuellen Paaren unter der Überschrift „eingetragene
Lebenspartnerschaften“ die Eheschließung zu ermögli-
chen, dann werden Sie zwangsläufig scheitern und mög-
licherweise denjenigen, denen Sie helfen möchten, nicht
helfen können.
Danke fürs Zuhören.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zudem, was Sie, Herr Bosbach, hinsichtlich des KollegenPofalla gesagt haben. Wenn Herrn Pofalla in diesem Zu-sammenhang Unrecht geschehen sein sollte, –
– dann bedauern wir dies. Aber die Vorwürfe insbeson-dere gegen das Bundesjustizministerium, –
– die Sie aus diesem Vorfall abgeleitet haben, sind völligunangemessen.
Das Bundesjustizministerium ist nicht die Prüfbehördefür Tätigkeiten der Landesjustizverwaltung in Nordrhein-Westfalen.
Was da geschehen ist, müssen wir uns alle genau an-schauen; da haben Sie Recht. Wenn wir weiterhin darüberdiskutieren wollen, müssen wir diesen Sachverhalt sehrpräzise untersuchen und genau feststellen, wer da wasverbockt hat.Der Reformstau in der Rechtspolitik löst sich all-mählich auf. Endlich, muss man sagen. Statt auf Flick-schusterei, wie sie noch unter Schwarz-Gelb mit diversenRechtspflegeentlastungsgesetzen üblich war, setzt Rot-Grün auf eine Komplettreparatur der Justiz. Meine Da-men und Herren von der Union, selbst Ihr bayerischerParteifreund, Herr Justizminister Weiß, erkennt offenbardie Zeichen der Zeit. Schauen Sie nur, wie er sich im ak-tuellen „Focus“ geradezu erleichtert und erfreut über un-ser Gesetz zur außergerichtlichen Streitbeilegung äußert.Damit wird nämlich auch in Bayern ermöglicht, dass dieüberlasteten Gerichte nicht mehr mit jedem Bagatellfallbelästigt werden. Schlichten statt Richten, das ist rot-grüne Rechtspolitik in diesem Bereich, auf die man of-fensichtlich auch in Bayern lange gewartet hat.Konsequent und zügig treibt diese Koalition die not-wendigen Modernisierung der Justiz voran. Nach der Ein-führung der außergerichtlichen Streitschlichtung beiBagatell- und Nachbarschaftsstreitigkeiten und nach derReform der Präsidialverfassung haben wir jetzt eine Re-form des Zivilprozesses auf den Weg gebracht. Wir stär-ken dabei die Eingangsgerichte qualitativ und personell.Deswegen werden in Zukunft die Korrekturzahlen, dieSie vorhin im Hinblick auf Rechtsmittel erwähnt haben,anders ausfallen. Die erstinstanzlichen Entscheidungenwerden eine höhere Qualität haben und deshalb auch häu-figer als heute Bestand haben.
Es ist schon absurd, wenn uns jetzt von Ihnen vorge-worfen wird, Rot-Grün betreibe mit dieser Reform denAbbau von Rechtsstaatlichkeit.
Das Gegenteil ist richtig. Gegen 40 Prozent der erst-instanzlichen Urteile steht heute kein Rechtsmittel zurVerfügung, sieht man vom Gang nach Karlsruhe wegenVerwehrung rechtlichen Gehörs ab. Damit machen wirSchluss. Wir schaffen auch in diesen Fällen bei grobenRechtsfehlern eine rechtliche Überprüfbarkeit. Das isteine Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und eine Ver-besserung für die Recht suchenden Bürger.
Die Menschen beschweren sich im Zusammenhangmit der Justiz am meisten über Verzögerungen. Das istauch klar, wenn in einem Amtsgericht die Richterinnenund Richter durchschnittlich bis zu 650 Fälle im Jahr zubearbeiten haben. Da leidet auch beim fleißigsten Richtermanchmal die Qualität der Entscheidung.
Das werden wir verbessern, ohne an falschen Stellen Ein-schnitte vorzunehmen.Als Bündnisgrüne haben wir erreicht, dass, wenn not-wendig, Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz auchin der Berufungsinstanz überprüft werden können. DerRichterbund findet das überflüssig; der Anwaltschaft istdamit das Fenster zur nächsten Instanz noch nicht weit ge-nug aufgestoßen. Diese kontroverse Kritik zeigt, dass wireine gute und ausgewogene Lösung gefunden haben.
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Diese Koalition hat den Mut, den Rechtsstaat von Grundauf zu modernisieren, wo dies geboten ist. Es ist auch aneinem Punkt geboten, den Sie in Ihrer Rede erwähnt ha-ben: die eingetragene Partnerschaft. Es ist einfach nichthinzunehmen, dass es in unserer Gesellschaft eine Gruppegibt, nämlich die Schwulen und Lesben, die kein Rechthaben, ihre Partnerschaften als Verantwortungs- und Ein-stehensgemeinschaften unter rechtlichem Schutz zu le-ben. Es ist ein Skandal, dass dieser Zustand schon seitJahrzehnten unter der Geltung des Grundgesetzes andau-ert, obwohl uns die Gerichte inzwischen sagen, dass sichauch die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft aufden Schutz des Grundgesetzes berufen kann, nämlich aufdie Handlungsfreiheit, den Schutz der Menschenwürdeund die Gleichheit vor dem Gesetz. Das hat uns Karlsruhe1993 ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben.
Sie haben ja ein Verständnis des Artikel 6 des Grund-gesetzes, den Sie hier immer vortragen, das ein bezeich-nendes Licht auf die Familienpolitik der CDU wirft. FürSie ist Artikel 6 des Grundgesetzes in seiner Bedeutungnur noch ein Ausgrenzungsartikel, nicht ein Artikel, beidem wir sagen: Wir fördern Partnerschaftlichkeit und Fa-milie. Für Sie geht es nur darum, andere Lebensformen,die Ihrem Leitbild nicht entsprechen, auszugrenzen undzu diskriminieren.
Das ist nicht unser Verständnis. Diese Koalition hat wiekeine andere Koalition zuvor für die Familie gearbeitet:beim Erziehungsgeld, beim Kindergeld und bei der Steu-erreform. Deshalb haben wir es, um familienfreundlich zusein, nicht nötig, andere Lebensformen auszugrenzenund zu diskriminieren.
Wissen Sie, Herr Bosbach, man muss sich ja schonmanchmal über die Diskussion in unserem Land in Bezugauf solche Themen wundern. Da wird ein Buhei gemacht!
In anderen Ländern, zum Beispiel den Niederlanden,Skandinavien oder Frankreich, diskutiert man solche Fra-gen ergebnisorientiert und viel gelassener. Ich will aufeine dpa-Meldung dieser Woche hinweisen, wonach un-ser Nachbarland Niederlande in dieser Frage viel, vielweiter geht und trotzdem sehr gelassen damit umgeht. DasNiederländische Zweite Haus hat diese Woche mit 107 zu33 Stimmen beschlossen, die Ehe für gleichgeschlechtli-che Paare zu öffnen. Dieses Gesetz wurde unter Zustim-mung der Sozialdemokraten, der Grünen, der Liberalenaller Schattierungen und von einem Teil der Christdemo-kraten beschlossen.
Dort hat man anerkannt, dass der Respekt des Rechtsauch vor den homosexuellen Partnerschaften nicht Haltmachen kann. Wenn man dagegen in Ihre Vorschläge,Herr Bosbach, sieht, wo Sie vereinzelt sagen, Sie wolltenden Homosexuellen helfen, erkennt man, dass das fol-gende Sachverhalte betrifft: auf dem Totenbett, im Kran-kenhaus, in der Justizvollzugsanstalt und im Gerichtssaal.Da sehen Sie die Homosexuellen und da wollen Sie ihnenein bisschen helfen.
Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Gewalt-prävention. Wir durchbrechen die Spirale der Gewalt,weil wir aus den Untersuchungen über gewalttätige kri-minelle Jugendliche wissen, dass ein großer Teil derjeni-gen, die bei Körperverletzungsdelikten auffällig werden,in ihrer Kindheit im Elternhaus Opfer von Gewalt gewe-sen sind. Wenn wir dagegen wirklich etwas machen wol-len, müssen wir unmissverständlich klarmachen: Gewalt-mittel sind keine Erziehungsmittel. Genau da setzen wirein Zeichen.
Bei der Sanktionenrechtsreform, die noch in diesemJahr auf den Weg gebracht wird, werden wir den Gerich-ten das Instrument der gemeinnützigen Arbeit an die Handgeben. „Schwitzen statt Sitzen“ ist das Motto. Das ist bes-ser, als die ohnehin belasteten Gefängnisse mit Leuten zufüllen, denen die Mittel zur Bezahlung ihrer Geldstrafenfehlen. Auch die Aufwertung des Fahrverbotes zur Haupt-strafe ist sinnvoll. Die Mobilitätseinbuße schmerzt dengut verdienenden Täter wesentlich mehr als eine Geld-strafe, die er locker wegsteckt.In den Diskussionen der letzten Wochen wurden aberauch Forderungen nach höheren Strafen für rechts-extremistische Täter laut. Ich möchte dazu ganz klar
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Volker Beck
11455
sagen: Spezielle Sanktionen für rechtsradikale Täter oderSonderstraftatbestände aus Gesinnungsgründen lehnenwir ab. Eine derartige Sonderbehandlung wäre verfas-sungswidrig.
Ein Gesinnungsstrafrecht würde die Rechtssicherheit unddas Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz erheblichgefährden. Ich möchte eindringlich davor warnen, imRahmen der Rechtsextremismusdebatte allzu sehr auf sol-che populistischen Schnellschüsse zu setzen. Sagen Sie– Herr Geis, Sie nicken so freundlich – das bitte HerrnSchelter in Brandenburg, der solche Vorschläge gemachthat.
Wir haben gesehen, der Rechtsstaat ist in der Lage,konsequent und angemessen zu reagieren. Wer inDeutschland fremde Mitbürgerinnen und -bürger durchdie Straßen hetzt, sie beleidigt, verletzt und tötet, der kanndafür hinreichend bestraft werden. Im Rahmen der Straf-zumessung müssen die Gerichte das Motiv „Ausländer-hass“ sogar strafverschärfend berücksichtigen.
Wir haben an den Urteilen, die in Sachsen-Anhalt ge-fällt wurden, gesehen, dass auch entsprechend reagiertwird. Es wurde einmal Lebenslänglich und zweimal eineJugendstrafe von neun Jahren verhängt. Völlig zu Recht!Das war ein klares Signal des Rechtsstaates, dass solcheGewalttaten von uns nicht hingenommen werden unddass derjenige, der sie begeht, außerhalb dieser Gesell-schaft steht. Wir brauchen also zwar keine neuen Gesetze,aber wir brauchen jede Menge kreative Maßnahmen, umdie Zivilgesellschaftlichkeit zu stärken und um denjeni-gen zu helfen, die Opfer von solchen Gewalttaten werden.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Das Bundesjustizministerium ist trotzseiner geringen Größe und des geringen Volumens seinesHaushalts ein bedeutendes Haus und ist hinsichtlich derWahrung unseres Rechtsstaates, der rechtlichen Rahmen-bedingungen unserer Wirtschaft und der Wahrung derFreiheitsrechte des Bürgers aus unserer Gesellschaft– Gott sei Dank – nicht mehr wegzudenken. Damit ver-bunden sind natürlich hohe Ansprüche an das Bundesjus-tizministerium, aber auch an Sie, Frau Ministerin. Diesehohe Messlatte ist auch an Ihr Vorhaben einer Justizre-form anzulegen, die Sie zurzeit betreiben.Eine Justizreform macht nur dann Sinn, wenn derRechtsschutz des Bürgers gewährt bleibt und wenn sienicht gegen die Beteiligten, sondern mit ihnen gemeinsamdurchgeführt wird. Nichts davon wird durch Ihre angebli-che Justizreform erfüllt.
Der Rechtsschutz des Bürgers wird in der zweiten Instanzdrastisch verkürzt. Rechtsanwälte, Richter und praktischalle mit dem Rechtswesen verbundenen Verbände lehnendiese Reform ab. Auch die Mehrzahl der Länder hat sichin die Reihen der Kritiker begeben. Sie sollten unter die-sen Umständen Ihren Entwurf schleunigst zurückziehen.Schließlich ist der Rechtsfrieden unserer Gesellschaftein äußerst wichtiges Gut. Ehe man grundlegende Verän-derungen vornimmt, muss eine ausführliche Diskussionerfolgen. Diese Diskussion haben Sie, Frau Ministerin,zwar angekündigt, aber Sie haben diese Ankündigungnicht wahr werden lassen;
denn die Anwaltsvereine, die Anwaltskammern und dieRichterschaft sind nicht rechtzeitig informiert worden.
Deswegen ist es zweckmäßig, hier noch einmal genau zufragen: Was brauchen wir für eine Justizreform? Wir brau-chen im Grunde genommen noch eine grundlegende Dis-kussion.Mit großer Sorge sieht unsere Fraktion, dass das Pa-tent- und Markenamt zurzeit über 100 000 Anträgenicht bearbeitet hat. Diese Zahl wird nach Auskunft desPräsidenten dieses Amtes weiter steigen. Aber die Wirt-schaft und die Rechteinhaber sind auf eine zügige Ab-arbeitung der Anträge schon aus Gründen der Konkurrenzmit den internationalen Wettbewerbern angewiesen. DieF.D.P. wird daher bei den Haushaltsberatungen Anträgestellen – Frau Ministerin, hören Sie doch zu, dann kannman das vielleicht auch gemeinsam regeln –, das Personalweiter aufzustocken, damit beim Patent- und Markenamtordnungsgemäß gearbeitet werden kann.
Frau Ministerin, wir sind auch bereit, Ihren zusätzli-chen Wunsch zu unterstützen, einen Arbeitsstab für dieBeilegung internationaler Sorgerechtsstreitigkeiten, ins-besondere in Kindschaftssachen, einzurichten. Wir wer-den das im Haushaltsausschuss und auch im Rechtsaus-schuss unterstützen. Genauso unterstützen wir IhreVorschläge zum Täter-Opfer-Ausgleich und Ihren Kampfgegen die Gewalt in der Familie.
Mit Sorge sehen wir dagegen, dass Sie Ihre Ankündi-gung, die Sie schon vor zwei Jahren in diesem Hause ge-macht haben – nämlich bei der Regierungserklärung –,eine fünfte und sechste Urheberrechtsnovelle einzubrin-gen, bis heute nicht umgesetzt haben. Sie haben sich le-diglich positiv zu einem Gesetzentwurf einiger Professo-ren zum Urhebervertragsrecht – das hat nichts mit demUrheberrecht zu tun – geäußert. Dies ersetzt natürlichnicht das Einbringen eines eigenen Gesetzentwurfs in den
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Volker Beck
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Deutschen Bundestag. Das Urheberrecht ist bei Ihnen we-nigstens zurzeit leider noch schlecht aufgehoben.
Eine Reihe von Gesetzentwürfen, wie zum Beispieldas Mietrecht, die Änderung des Strafvollzugsgesetzeszur Gefangenenentlohnung, die Verbesserung der Juris-tenausbildung, die Änderungen zu Art. 16 und 12a desGrundgesetzes, bedürfen wegen ihrer grundlegenden Be-deutung ausführlicher Diskussion und eines möglichstbreiten Konsenses innerhalb des Bundestages, mit demBundesrat und sicherlich auch mit der Gesellschaft. Indiesem Zusammenhang darf ich ausdrücklich betonen,dass der Ton und die Argumentationsweise von Ihnen – imGegensatz zur früheren kollegialen Zusammenarbeit imDeutschen Bundestag – der Sache nicht immer dienlichgewesen sind. Ich will es bei dieser etwas vornehmen Um-schreibung belassen.Das Justizministerium ist immer ein Hort sachgerech-ter Mitprüfung der Gesetzesvorhaben der anderen Fach-ressorts gewesen. Die Prüfung der Rechtsförmlichkeit derGesetzesvorhaben anderer Häuser hat ja einen guten Sinn.Mit Sorge betrachte ich, dass gerade im letzten Jahr diesePrüfung allzu häufig wegen der Nichteinhaltung von Fris-ten durch andere Häuser nicht möglich gewesen ist. Siehaben das einfach widerspruchslos hingenommen. Es istnicht nur einmal vorgekommen, dass die Vertreter IhresHauses im Rechtsausschuss erklären mussten, dass sie dieÄnderungsanträge und Vorlagen anderer Häuser auchvorher nicht gesehen haben, geschweige denn sie habenprüfen können. Gerade Sie als Justizministerin sollten da-rauf achten, dass in Zukunft wieder geordnete Beratungs-grundlagen im Rechtsausschuss vorhanden sind, denn nurso können wir unserem gemeinsamen Ziel, die Rechts-ordnung den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Än-derungen anzupassen, gerecht werden. Dazu wünsche ichIhren hervorragenden Mitarbeitern und auch Ihnen, FrauMinisterin, Erfolg.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten sind be-kanntermaßen Abrechnungsdebatten im doppelten Sinne.Abgesehen von der Frage, ob im kommenden Jahr das ge-plante Budget in vernünftiger Relation zu den anstehen-den Aufgaben angesetzt wird und sachgerecht eingesetztwerden soll, geht es gerade in der ersten Lesung um eineinhaltliche Bilanz, zumal – wie die Fußballer sagen wür-den – gerade die zweite Halbzeit angepfiffen wurde. Diehektischen Aktivitäten des Ministeriums kurz vor Beginnder Sommerpause, um den Entwurf zum ZPO-Reformge-setz noch in der ersten Halbzeit in Richtung Tor zu bewe-gen, zeigen, dass man sich in der Jerusalemer Straßemächtig ins Zeug gelegt hat, um die Halbzeitbilanz posi-tiv zu beeinflussen.Wie sieht diese Bilanz aus? Bei einigen Gesetz-gebungsvorhaben der Koalition ist durchaus das eine oderandere Positive erreicht worden. Es bleibt jedoch in denverbleibenden zwei Jahren noch viel zu tun, zum Beispielin den Bereichen der Verbraucherinsolvenz, des Sanktio-nensystems oder auch des Grundstücksrechts. Ich habe er-hebliche Zweifel, ob die wichtigen Vorhaben in dieserLegislaturperiode zu tatsächlichen Reformen geführt wer-den bzw. überhaupt realisiert werden können. Fraglich er-scheint mir dabei insbesondere, wieweit die Bundesregie-rung bei ihren Reformvorhaben in der Rechtspolitik anihren eigenen inhaltlichen Zielvorstellungen festhaltenkann.Bei der Mietrechtsreform mussten Sie, Frau Ministe-rin, bereits an zwei wichtigen Punkten, nämlich bei derModernisierungsumlage und bei den verkürzten Kündi-gungsfristen für Mieter, deutliche Zugeständnisse ma-chen, um den Entwurf überhaupt durch das Kabinett zubringen. Auch wenn ich weiß, dass größere und großeProjekte ohne Kompromisse kaum zu haben sind, hoffeich doch, dass die nächsten Projekte nicht unter demmächtigen Druck der Vermieterverbände einseitig zulas-ten der Mieter gehen.
Sie werden dazu in Kürze auch einen ausführlichen Än-derungsantrag unserer Fraktion erhalten.Die Geschichte der Justizreform in Deutschland ist imWesentlichen eine Geschichte des Scheiterns. Sie ist aucheine Leidensgeschichte der jeweils amtierenden Justizmi-nister. Im Gegensatz zu früheren Reformvorhaben sinddie Voraussetzungen aber heute besser; denn wir verfügendank qualifizierter rechtstatsächlicher Untersuchungenüber eine gute Datenbasis. Deshalb begrüße ich auch diegeplanten Mehrausgaben für Forschungen und Untersu-chungen. Daten allein reichen aber nicht aus.Ich will heute nicht über die Gründe des Widerstandesgegen die Reform orakeln. Auch hier wird es naturgemäßohne Zugeständnisse nicht abgehen. Ich sehe vor allemdas Problem, dass wir jetzt zwar einen Entwurf vorzule-gen haben, der vor allem die Rechtsmittelreform be-inhaltet, dass jedoch die zweite Seite der Medaille, die an-gekündigte Reform der Gerichtsverfassung, das heißt vorallem die Frage der zu begrüßenden Dreistufigkeit, bishernur durchscheint.Wenn jedoch, wie es sich gegenwärtig abzeichnet, beider Rechtsmittelreform von den ursprünglichen Vorstel-lungen immer weiter abgewichen wird oder abgewichenwerden muss, gerät das Gesamtkonzept, einschließlich ei-nes dreigliedrigen Gerichtsaufbaus, ins Wanken. Es be-steht die ernsthafte Gefahr, dass am Ende beide Seitennicht mehr zusammenpassen. Um nicht missverstandenzu werden: Ich sehe durchaus begründeten Änderungsbe-darf beim vorliegenden Entwurf, gerade im Hinblick aufdie zweite Instanz. Die Reform des Zivilprozesses und derGerichtsverfassung sind jedoch zwei Seiten einer Me-daille und müssen deshalb aus einem Guss entstehen.Hinzu kommt, dass diese Reform, wenn sie funktio-nieren soll, Geld kosten wird. Wenn uns Recht undRechtsstaat teuer sind, wie Sie, Frau Ministerin Däubler-Gmelin, zum Beispiel auf dem rechtspolitischen
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Rainer Funke11457
Kongress Ihrer Partei 1997 in Mainz selber gesagt haben,so muss auch offen und ehrlich über die Kosten gespro-chen werden.
Denn nur wenn die Finanzierung mit den Ländern zufrie-denstellend geregelt werden kann, kann die Reform einendeutlichen Schritt nach vorne machen.Zu fragen ist auch, wie die Bürgerinnen und Bürger an-gesprochen werden können, die die Reform doch in ersterLinie angeht. Ich weiß sehr wohl, wie schwer es ist, dieBevölkerung für die Justiz insgesamt zu interessieren,über den konkreten Einzelfall hinaus. Selbst die Diskus-sion im Plenum fand praktisch nur unter Juristen statt. Alshätte es sich bis in die Kuppel herumgesprochen, gibt eskaum einmal interessierte Bürger, die diesen Fragen hierAufmerksamkeit zuwenden. Erfreulicherweise sieht derneue Haushalt für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundes-justizministeriums eine deutliche Steigerung vor, die hof-fentlich auch für solche Zwecke verwendet wird.
Wenn Politik ein starkes beharrliches Bohren von har-ten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich be-deutet, dann hat in der Rechtspolitik zunächst ein gele-gentliches, jetzt allmählich stärker werdendes Klopfenbegonnen. Frau Ministerin, Sie haben sich für die zweiteHalbzeit nach dem, was Sie eben hier ausgeführt haben,viel vorgenommen. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge,habe jedoch auch Skepsis, ob Sie sich dabei nicht verhe-ben werden. Dort, wo das Recht tatsächlich zu mehr Rechtfür die Schwächeren wird und werden soll, werden Sie inmeiner Fraktion einen Verbündeten haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner für
die SPD-Fraktion ist der Kollege Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin, ichmöchte Sie eigentlich bitten, die Sitzung zu unterbrechen,bis der Herr Bosbach wieder da ist. Erst eine solcheBrandrede zu halten und dann abzuhauen gibt ein ganzschlechtes Bild ab.
Da ich aber offensichtlich die Unterbrechung nicht be-komme, muss ich ihn in Abwesenheit tadeln.
Wenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, imFalle Pofalla etwas falsch gelaufen ist, dann, da könnenSie versichert sein, werden wir uns nicht gegen eine Auf-klärung stellen.
Sie aber, Herr Rechtsanwalt Bosbach, wo auch immer Siesich jetzt in diesem Hause nach Ihrer Schandrede ver-stecken,
sollten eines wissen: Vorverurteilungen in die eine wie indie andere Richtung sind hier nicht angebracht.
Wenn Sie hier berichten, sollten Sie auch wissen: Eswar nicht nur die Staatsanwaltschaft, es war ein deutschesAmtsgericht, welches dem Immunitätsausschuss einenBeschluss vorgelegt hat. Sie wissen genauso gut wie ich,dass der Immunitätsausschuss gar nicht anders entschei-den konnte.
Wo waren denn da Ihre Leute?
Ihre Brandrede zeigt doch, dass Sie eine ganz erbärmlicheJustizpolitik vertreten. Da ist nichts an Form, nichts anFormat, sondern nur Hetze, nur Bösartigkeit, nur Unwis-sen, –
– nur, Herr Geis, übelste Polemik.
Wir, meine Damen und Herren, werden unsere Re-formpolitik heute sachlich darstellen. Wir werden unsereReformpolitik weiter betreiben.
Die Menschen in diesem Land haben nämlich verstanden,dass nach 16 Jahren Stillstand dieser Tu-nichts-Koalitionendlich wieder etwas geschehen muss.
Mit einigem Stolz können wir auf eine gute Bilanz ver-weisen.
Wir haben sicher keine Gesetze am Fließband produziert,was die Opposition ja manchmal kritisiert, aber wir habenmit Verstand Gesetze mit Inhalt gemacht. Die Gesetze, diewir verabschiedet haben, überzeugen durch Inhalt undQualität. Dabei setzen wir, meine lieben Kolleginnen undKollegen, unsere Schwerpunkte genau in den Bereichen,die die Vorgängerregierung entweder nicht erkannt oder
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Dr. Evelyn Kenzler11458
sträflich vernachlässigt hat. Das sind die Gebiete desGesellschaftsrechts, des Wirtschafts- und Wettbewerbs-rechts, besonders aber die ordentliche Gerichtsbarkeit, diedringend der Reform bedarf.
Wir haben einen mutigen Schritt getan, indem wir dasGesetz über eingetragene Lebenspartnerschaften in ei-ner viel beachteten ersten Lesung in das Gesetzgebungs-verfahren eingebracht haben. Hier hat sich gezeigt, dassdie rot-grüne Rechtspolitik arbeitsfähig und zukunftsori-entiert ist. Wir haben das Ende der Diskriminierung vonMenschen mit gleichgeschlechtlicher Neigung eingeläu-tet und damit für einen großen Personenkreis neue gesell-schaftliche Perspektiven geschaffen.
– Herr Beck hat sich bei mir entschuldigt. – Wir erwartenvon allen Parteien hier im Bundestag, dass sie nicht nurpolemisieren, sondern es so wie Ihre Vorsitzende machen,die ja schon auf die Schwulen und Lesben Ihrer Parteizugegangen ist, und mit uns über das Thema sachlich re-den.Die Bürgerinnen und Bürger der mittel- und ost-deutschen Bundesländer finden in uns einen Anwalt ih-rer Sache. So haben wir im Zweiten SED-Unrechtsberei-nigungsgesetz die Stellung der Opfer verbessert und ihreRechte gestärkt. Mit dem Grundstückrechtsänderungs-gesetz wollen wir den Ländern und Kommunen mehrPlanungssicherheit geben. Es ist für mich völlig unver-ständlich, dass dieses Gesetz von der Mehrheit im Bun-desrat blockiert wird.
Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb derKoalition, eine zukunftsorientierte Planung unserer Mi-nisterin und eine solide und gründliche Fleißarbeit derMitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizministeriumwerden weitere Früchte unserer Arbeit bringen.Dank der neuen Offenheit der Justizministerin imGesetzgebungsverfahren wissen diejenigen, die es an-geht, dass wir insbesondere das Insolvenzgesetz ändernund die Zugänge für die Verbraucherinsolvenz öffnen.Herr Pick – – Er ist auch nicht da;
alle, die ich ansprechen will, sind nicht da.
Herr Professor Pick, ich wollte Sie gerade loben: So se-hen insbesondere die Väter des Insolvenzgesetzes aus der12. Legislaturperiode, dass es hier weitergeht.
Wir wollen eine Chance für die gutwilligen Schuldnereröffnen, damit sie wieder am Wirtschaftsleben teilneh-men können.
Das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung stellensich derzeit immer wieder als Hemmnisse einer prospe-rierenden Wirtschaft dar. Dafür haben Sie 16 Jahre langkein Auge gehabt. Dies in enger Zusammenarbeit mitden Betroffenen zu verbessern wird eines unserer Zielesein.Ebenso werden wir uns – da bin ich anderer Ansicht alsSie, Herr Funke – dem Urheberrecht mit besonderer Auf-merksamkeit widmen.
Ich lade Sie als Fachmann besonders zu den Gesprächenein.Wir unterstützen den Weg unserer Bundesjustiz-ministerin, die Personaldecke im Deutschen Patent- undMarkenamt zu verbessern. Wir wissen, dass es hier seitlangem einen Schwachpunkt gibt, den wiederum Sie mit-verursacht haben.
Wir wissen, dass hier eine moderne technische Ausstat-tung notwendig ist. Hier kann die Frau Ministerin alle Un-terstützung von uns erwarten.
Eine unserer wichtigsten Aufgaben wird es jedochsein, die ordentliche Gerichtsbarkeit so zu modernisie-ren, –
– dass sie bürgernah und effizienter wird und sich im eu-ropäischen Wettbewerb behaupten kann.Wenn Herr Bosbach – ich habe das eben in die Debattegeworfen – selbst lesen und nicht lesen lassen würde, wieer es offensichtlich getan hat,
dann würde er merken, dass der Entwurf, wie wir ihn vonder Koalition eingebracht haben und wie er mittlerweileals Regierungsentwurf im Bundesrat vorliegt, durchauseine sehr positive Beachtung gefunden hat.
Ihr Herr Röttgen hat vom Deutschen Richterbund einsübergebraten bekommen, weil er ihn falsch zitiert hat.
Ich verstehe aber auch, dass wir die Politik nicht auf denDeutschen Richterbund übertragen dürfen.
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Alfred Hartenbach11459
Wir haben diesen Koalitionsentwurf eingebracht, weilwir wissen, und zwar nicht erst seit gestern, dass dieJustiz reformbedürftig ist.
Sie wissen das ebenfalls, denn Sie haben einen Entwurfeingebracht, dessen Vorschriften sich zu etwa 40 Prozentmit unseren Vorschlägen decken. Nur, heute tun Sie so, alsob Sie von nichts mehr wüssten. Aber es ist ja bei Ihnenin der Union nichts Neues, dass man vergisst, was mangestern gesagt hat.
Es ist hier wenig hilfreich, immer nur Nein zu sagen.Heribert Prantl, den Sie sicherlich alle kennen und schät-zen, hat gesagt: Die deutsche Justiz ist nicht das Paradiesauf Erden und die Zivilprozessordnung ist auch nicht dieHeilige Schrift. Er hat im „Deutschen Anwalts-blatt“ 9/2000 – Bosbach sollte das lesen –, zum Besten ge-geben – –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hartenbach, bevor Sie weiterzitieren, muss ich Sie darauf
aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Schade, Frau Präsidentin,
dass Sie mich hier stoppen. Ich komme jetzt zum Schluss.
Gestatten Sie mir noch ein Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber wirklich nur ein
kurzes!
Wirklich nur ein Wort.
Wenn Sie immer nur Nein sagen, kommen wir nicht
weiter.
Bringen Sie doch auch einmal wieder etwas Positives hier
ein, nicht nur schwarze Kassen, Meineide und Falsch-
aussagen.
Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden das gemein-
sam schaffen.
Ihnen, Frau Ministerin, danke ich sehr herzlich für die
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich bitte Sie,
dies auch Ihrer Leitungsebene und Ihren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern mitzuteilen, die ich genauso schätze wie
Herr Funke. Deswegen habe ich ihm eben eine Kusshand
zugeworfen; Sie wissen das.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hartenbach, das war jetzt wirklich ein sehr, sehr langes Wort.
Ich bedanke mich bei Ih-
nen für Ihre Langmut, Frau Präsidentin, und wünsche
noch ein schönes Wochenende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte zum Geschäftsbereich Justiz ist der Kollege
Albrecht Feibel für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe interessierte Bür-gerinnen und Bürger! Herzlich willkommen hier bei unsim Reichstag!
Vorhin wurde noch gesagt, es gebe keine interessiertenBürgerinnen und Bürger. Wir müssen also das Gegenteilfeststellen.Da der Bundesfinanzminister anwesend ist, möchte ichnoch eine Bemerkung zu seinen Äußerungen in diesen Ta-gen machen – die Kollegen von den Koalitionsfraktionenhaben sich dem angeschlossen –, bevor ich etwas zu derFrau Justizministerin sage. Es geht mir um die 50 Pfennig,die unter der CDU/CSU-Regierung als Steuer auf dieTreibstoffkosten aufgeschlagen wurden.Lieber Herr Bundesminister, Sie verschweigen zweier-lei: Erstens. Die Steuererhöhungen wurden in fast allenFällen auch mit Zustimmung der SPD durchgeführt, –
– wobei aber Ihre Änderungsanträge – ich habe mir dasextra angeschaut – lediglich formaler Natur waren. Siehatten nie das Ziel, diese Erhöhungen nicht in dieserGrößenordnung durchführen zu wollen.Zweitens. Sie wissen – aber verschweigen es –, dassdiese Steuererhöhungen nicht willkürlich waren, sonderndass es darum ging, damit die Kosten des Golfkrieges, derBahnreform und der deutschen Einheit mit zu finanzieren.
Wie wir wissen, hat die Bundesregierung bei ihremAmtsantritt 1998 wichtige Reformen der Vorgängerregie-rung zurückgenommen, –
– beispielsweise Rentenreform und Gesundheitsreform.Bisher konnten wir allerdings nicht feststellen, Herr Bun-desminister, dass die Regierung Schröder die damaligenSteuererhöhungen zurückgenommen hätte. Die Bundes-regierung von SPD und Grünen kritisiert zwar, kassiertaber diese Erhöhungen munter weiter. Während sie kriti-siert, sattelt sie weitere Belastungen drauf.
– Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Das tut Ihnennatürlich weh.
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Alfred Hartenbach11460
Diese Politik führt zu gewaltigen Belastungen der Fa-milien. Dieser Punkt muss doch immer wieder angespro-chen werden. Wer in diesem Jahr für die Heizkosten2000 DM gezahlt hat, der zahlt im nächsten Jahr4 000 DM. Herr Kollege Hartenbach, das ist Ihre sozialePolitik.
Sie verstehen unter sozialer Politik, dass Sie die Familien,und gerade die mit geringem Einkommen, mit ihrer Öko-steuer – die diese Bezeichnung ja gar nicht verdient – dop-pelt belasten.
Trotz einer leichten Verbesserung der Arbeitsmarkt-zahlen ist das Arbeitslosenproblem immer noch be-drückend. Ich nehme an, auch Sie stimmen dem zu. AuchFrau Engelen-Kefer vom DGB kritisiert die Stagnationauf dem Arbeitsmarkt: zu wenig neue Arbeitsplätze undzu viele ältere Langzeitarbeitslose. Da hilft kein Schönre-den, wir haben immer noch rund 4 Millionen Arbeitslose.Daraus folgt: Die Bundesregierung muss alles tun, um dasnotwendige Wirtschaftswachstum zu fördern, damit dasProblem der Arbeitslosigkeit wirksam angegangen wer-den kann.
– Hören Sie ruhig einmal zu! Sie haben sich vorhin überden Kollegen Bosbach aufgeregt. Sie sollten wissen, dasser vorhin unterwegs war, um den Kollegen Beck von denGrünen zu suchen. Deswegen war er nicht anwesend.
Wichtiger Impulsgeber für das Wirtschaftswachstumund für neue Arbeitsplätze ist die Entwicklung neuer Pro-dukte und Dienstleistungen. Deshalb – Frau Ministerin,vielleicht hören Sie jetzt einmal zu – kommt dem Patent-und Markenwesen in diesem Zusammenhang ganz be-sondere Bedeutung zu.
Das erkannte die Frau Ministerin im letzten Jahr noch undführte dann aus:
Soweit die Frau Ministerin im letzten Jahr.Diese 49 neuen Stellen haben Sie zwar versprochen,aber weder in 2000 geschaffen, noch haben Sie die Ab-sicht, dies in 2001 zu tun.
Tatsächlich sind es nämlich weniger Stellen, die Sie inMünchen schaffen werden, obwohl die Zahl der Patent-anmeldungen enorm gestiegen ist. Von 1999 bis 2000 ha-ben Sie in Wirklichkeit nicht 49 Stellen, sondern lediglich10,5 neue Stellen geschaffen.
Von 2000 zu 2001 wollen Sie 32,5 neue Stellen schaffen.Frau Ministerin, Sie sollten ruhig zuhören.
Das sind von 1999 bis 2001 knapp 2 Prozent mehr Stel-len.Gleichzeitig sind die am Jahresende bestehendenÜberhänge an nicht bearbeiteten Patentanmeldungen –das waren 1995 noch 70 000 – auf mehr als 100 000 ge-stiegen. Das heißt, die Überhänge sind um 30 Prozent ge-stiegen. Diese Steigerung von 30 Prozent wollen Sie miteiner Personalaufstockung in Höhe von 2 Prozent aus-gleichen.Meine Damen und Herren, Erfindungen, Entwicklun-gen und neue Marken sind ungeheuer wichtig zur Stär-kung des Wirtschaftswachstums und der Wettbewerbs-fähigkeit unserer Unternehmen. Diese Zusammenhängesollte man ernst nehmen. Die Bundesregierung sollte einrealistisches Verhältnis zwischen der Zahl der Beschäftig-ten und der Zahl der zu bearbeitenden Anträge herstellen.Von einer solchen Annäherung sind Sie, Frau Ministerin,meilenweit entfernt. Dieser Zustand schadet dem Wirt-schaftswachstum und der Wettbewerbsfähigkeit unsererUnternehmen.
– Herr Stiegler, damals gab es am Jahresende nur 40000 bzw.50 000 Überhänge. Heute sind es 100 000. Das ist ein ge-waltiger Unterschied. Diese Überhänge haben Sie abzu-bauen, indem Sie Personal einstellen.
Sie schaffen viel zu wenig neue Stellen.Gleichzeitig haben Sie, Frau Ministerin, die Gebührenfür die Patentanmeldungen und für die Patentbearbeitun-gen kräftig erhöht. Diese Gebührenerhöhungen werdenaber nicht zu einer beschleunigten Bearbeitung der An-träge genutzt. Sie belasten die Antragsteller stattdessenzusätzlich zu den ungebührlich langen Wartezeiten.
– Wenn das wirklich falsch sein sollte, könnten Sie es janachher richtig stellen.In einer Zeit, in der Erfindungen insbesondere imKommunikationsbereich eine immer kürzere Halbwerts-zeit haben, müssen unsere Erfinder zwei oder drei Jahrewarten, wenn sie ihr neues Produkt patentgeschützt aufden Markt bringen wollen. Das ist eine unerträgliche Si-tuation. Durch solche Personalengpässe wird die Wirt-schaftsentwicklung bewusst und vorsätzlich ausgebremstsowie Innovationskraft geschädigt und nicht gefördert.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Albrecht Feibel11461
Der Haushalt des Deutschen Patent- und Markenamtesist – ohne Bundesmittel – bei den Einnahmen und Ausga-ben nicht nur ausgeglichen, er würde sogar einen Über-schuss ausweisen, wenn nicht von diesen Einnahmenauch noch das Bundespatentgericht finanziert werdenmüsste. Frau Ministerin, wir fordern Sie auf, dafür zu sor-gen, dass das DPMA eine angemessene Personalausstat-tung erhält, die die Chance eröffnet, die Bearbeitungszei-ten auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Lösen Sie IhreVersprechungen ein und setzen Sie dieses Amt in denStand, die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft stär-ken zu helfen!Wenn man auf der anderen Seite den Ansatz, den Sie inIhrem Etat für Öffentlichkeitsarbeit vorsehen, betrach-tet, dann ist festzustellen: Da sieht die Welt ganz andersaus.
1999 hatten Sie 443 000 DM für Öffentlichkeitsarbeitvorgesehen. In diesem Jahr waren es 475 000 DM. Für dasJahr 2001 erhöhen Sie diesen Ansatz um 50 Prozent auf675 000 DM.
Dieses Geld sollten Sie besser zur Förderung der Arbeitim Deutschen Patent- und Markenamt einsetzen als fürIhre Öffentlichkeitsarbeit. Vielleicht können Sie uns ein-mal erklären, was mit diesem Geld geschehen soll.
Jedenfalls können Sie sich nicht länger mit der beste-henden Erblast herausreden. Seit zwei Jahren tragen Siefür das Deutsche Patent- und Markenamt in München dieVerantwortung. Seit zwei Jahren ist nichts Wesentlichesgeschehen, um dort eine beschleunigte Bearbeitung derAnträge zu erreichen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Feibel,dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bun-destages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegenmöchte ich Sie dazu recht herzlich beglückwünschen.
Gestatten Sie mir ein Kompliment: Sie haben bei Ihrerersten Rede auf Anhieb Ihre Redezeit eingehalten.
Das ist eine Eigenschaft, über die wir fast alle nicht sorecht verfügen.Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich desBundesministeriums der Justiz liegen nicht vor. Wenn ichden Saal recht überschaue, gibt es auch keine weiterenSuchmeldungen nach Abgeordneten, die wir während derDebatte ja reichlich hatten.Wir kommen deshalb zur Schlussrunde. Ich erteilezunächst dem Bundesfinanzminister Hans Eichel dasWort.
sehr verehrten Damen und Herren! Vor sehr gelichtetenReihen möchte ich ein paar kurze Schlussbemerkungenmachen: Erstens. Was hätten Sie, meine verehrten Damenund Herren von der Opposition, nur gemacht, wenn Siedas Thema Ökosteuer nicht gehabt hätten?
Wie hätten Sie dann, nach all dem, was Sie hier gebotenhaben, die Haushaltsdebatte geführt?
Es war eine ziemlich lustlose, teilweise kabarettisti-sche Veranstaltung; um den Haushalt ging es nur wenig.
– Ich bin bereit, Herr Rexrodt, zu differenzieren. Ich bindazu ausdrücklich bereit. – Es ging immer nach demsel-ben Motto: Überall, bei jedem Einzelplan, müsste es einwenig mehr sein, insgesamt aber wird zu wenig gespartund viel zu viel ausgegeben, außerdem wurde bei denSteuern viel zu wenig gesenkt.
Im Übrigen haben Sie mit den Schulden gar nichts zu tun.
Nachdem ich das nun zum zweiten Mal in diesemHause erlebe, verstehe ich, dass die Finanzlage des Bun-des so zustande gekommen ist, wie sie sich heute darstellt.
Sie können aber sicher sein: Genauso werden wir dasnicht weitermachen. Deswegen sind wir auf Konsolidie-rungskurs gegangen, den wir nunmehr im zweiten Jahrhalten. Das ist eine Grundsatzentscheidung; denn nur der-jenige, der Ausgabendisziplin übt, wird die Finanzen inOrdnung bringen. Nur derjenige, der Ausgabendiszplinübt, hat auch die Chance, aus der Schuldenfalle heraus-zukommen.Dass das keine buchhalterische Frage ist, hat inzwi-schen das ganze Land verstanden. Die Menschen habenverstanden, dass es um die Zukunft unserer Kinder undder nächsten Generationen geht, dass wir etwas für derenBildung tun und ihnen eine lebenswerte Umwelt hinter-lassen müssen, ihnen anstatt immer neue Schulden auf-zuhäufen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Albrecht Feibel11462
Deswegen gehen wir zunächst konsequent den Weg zueinem Haushalt ohne neue Schulden. Heute tun wir denzweiten Schritt; ihm müssen noch mehrere folgen, bis wireinen ausgeglichenen Haushalt – ich hoffe, in 2006 – er-reicht haben. Dann erst beginnt der Abbau der Staatsver-schuldung.Wir werden lernen müssen – ich wiederhole das –, unsauch über die Grenzen hinweg zu orientieren. Zu demZeitpunkt, da wir erst den Gipfel der Staatsverschuldungerreicht haben, sind andere Länder – Dänemark ist so einFall – schon fast frei von ihrer Staatsschuld. Wer sichüberlegt, –
– was das für die Chancen der jungen Dänen im Verhält-nis zu den Chancen der jungen Deutschen bedeutet, wirddarüber nachdenken, was ihn seine Kinder eines Tagesfragen werden, wenn wir diesen Weg nicht endlich kon-sequent gehen werden. Deswegen bitte ich um etwas mehrSeriosität und Konsequenz in den Haushaltsberatungen.
Es kann sich keiner, der in diesen Beratungen ernst ge-nommen werden will, mehr erlauben, nur die Einnahme-seite oder nur die Ausgabeseite zu betrachten. Denn manmuss das eine immer im Zusammenhang mit dem ande-ren sehen.Zweitens. Dieser Haushalt ist der Haushalt, der diegrößte Nettoentlastung von Steuern und Abgaben, die esje in der Geschichte der Bundesrepublik innerhalb einesJahres gegeben hat, verkraften muss.
Die Nettoentlastung beträgt innerhalb eines einzigen Jah-res 45 Milliarden DM, das sind 1,1 Prozent des Brutto-inlandsprodukts. So etwas hat es noch nie in Deutschlandgegeben und so etwas gibt es gegenwärtig auch nirgend-wo anders in Europa.Wir haben eine Steuerreform gemacht, die nachhaltig– dann jährlich – zu einer Entlastung von 93,5 Milliar-den DM führt. Und um noch einmal Ihr altes Märchen mitZahlen zu widerlegen: Davon kommen 65Milliarden DMbei den privaten Haushalten an, 30Milliarden DM bei denkleinen und mittleren Unternehmen, während die Groß-unternehmen sogar mit einer kleinen zusätzlichen Belas-tung dabei sind. Aber deren Problem war nie die objektiveSteuerlast, sondern das im internationalen Vergleich nichtwettbewerbsfähige Steuerrecht und Steuersystem. Auchdas haben wir geändert.
Nun noch wenige Bemerkungen zur Ökosteuer. HerrFeibel, auf Ihre Bemerkungen muss ich zurückkommen;die waren gottvoll. Solch eine gute Vorlage habe ich sel-ten bekommen; das war schon fast ein Elfmeter. Sie sa-gen – wenn ich Sie daran erinnern darf –, Sie hätten dieMineralölsteuer wegen des Golfkrieges erhöht. Dazukann ich nur sagen: Dieser war auch in Ihrer Regierungs-zeit schon lange vorbei. Wenn das der Grund gewesenwäre, hätten Sie schon lange vorher die Mineralölsteuerzurückführen müssen. Das ist übrigens wie mit der Sekt-steuer. Diese hätten Sie auch schon lange abschaffen kön-nen, denn diese ist vor dem Ersten Weltkrieg wegen derReichskriegsflotte eingeführt worden.
– Ja, aber daran sehen Sie, dass man mit einer solchen Ar-gumentation nicht weiterkommt.
In einem Punkt haben Sie völlig Recht: Im Unterschiedzu Ihnen, wenn Sie in der Opposition sind, haben wir aucheinmal zugestimmt, wenn wir etwas für vernünftig hiel-ten. Da davon die Rede ist, wer was zu verantworten hat,habe ich mir angesehen, wie das mit der Mineralölsteuerzu den verschiedenen Regierungszeiten war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestat-
ten Sie zuvor eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. –Jetzt macht die Mineralölsteuer je Liter Benzin 1,10 DMaus. Herr Stoiber hat – ich glaube, es war vorgesternAbend – von „Luxussteuer“ gesprochen, die besondersdie kleinen Leute treffe, was wir zu verantworten hätten.Meine Damen und Herren, von diesen 1,10 DM sind zu-zeiten der Regierungsführung der CDU/CSU –
– 79 Pfennig und zuzeiten der großen Koalition, an derwir unter Ihrer Führung beteiligt waren, 3 Pfennig – die-se können Sie draufrechnen, wenn Sie wollen, HerrAustermann; Sie können es auch lassen – beschlossenworden. Unter unserer Führung waren dies 28 Pfennig.
Ich wiederhole: Von den 1,10 DM verantworten Sie79 Pfennig –
– und wir 28 Pfennig. Damit wir dies nur richtig festhal-ten: Abzocke in Sachen Mineralölsteuer haben allein Siebetrieben.
Sie haben ungeheuer viel Gelegenheit, über diesesThema zu reden. Sie können natürlich sicher sein, sehr
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Bundesminister Hans Eichel11463
verehrter Herr Austermann, dass wir dafür sorgen werden,dass jeder Haushalt im Lande dieses Tableau in die Handbekommt.
Alle Sozialdemokraten – ich vermute, auch alle Grünen –werden das gerne sehen.Weil Ihr Debattenbeitrag, Herr Rexrodt, diesmalfreundlicher war – das habe ich gern zur Kenntnis ge-nommen –, will ich nur in aller Freundschaft darauf hin-weisen: Es gibt eine Partei, die noch mehr beteiligt war,und das ist die F.D.P.
Die F.D.P. war nämlich meistens in der Regierung und an85 Prozent der Mineralölsteuererhöhungen beteiligt.
Dies werden wir gelegentlich sagen müssen, wenn Siewieder Aktionen an den Zapfsäulen machen. Dies sage ichnur, damit richtig verstanden wird, wie es angesichts derVeranstaltungen, die Sie gegenwärtig machen, mit IhrerGlaubwürdigkeit aussieht.
Es gibt einen großen Unterschied: Sie haben – dagegenwill ich gar nichts sagen – die Mineralölsteuer wegen desGolfkriegs erhöht. Wir – das gebe ich zu – erhöhen dieMineralölsteuer, um die Rentenversicherungsbeiträge zusenken.
Hier sind wir am entscheidenden Punkt. Zu allem, wasSie an Wohltaten versprechen, müssen Sie immer auch sa-gen, wie Sie das finanzieren wollen. Etwas anderes wirdman Ihnen nicht durchgehen lassen, denn die finanzpoli-tische Debatte hat in diesem Punkt sehr an Seriosität ge-wonnen. Wenn Sie ernst genommen werden wollen, wer-den Sie das zugeben müssen.
Es reicht nicht, zu sagen: Wir wollen die nächste Stufe derÖkosteuer – das sind in der Tat 5 Milliarden DM – nicht.Vielmehr müssen Sie auch sagen, dass dies entwederdazu führt, dass der Rentenversicherungsbeitragwiedersteigt – dies werden Sie gegenüber den Menschen, dieRentenversicherungsbeiträge bezahlen, ausrechnen müs-sen –,
– oder dass neue Schulden gemacht werden. Dazu sageich Ihnen dezidiert: Genau das machen wir nicht, meinesehr verehrten Damen und Herren.
Dass das Konzept im Übrigen vernünftig ist, bestätigenIhnen zurzeit – wenn Sie einmal in die Zeitung schauen –so ziemlich alle Wirtschaftsforschungsinstitute und alleWirtschaftswissenschaftler. Da sagt heute – ich nehme nureinen für viele – der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, dasbekanntlich in München sitzt und ansonsten Gutachtenschreibt, die vor allem der Bayerischen Staatsregierunggefallen, zu dieser Frage: Wenn man mit der Ökosteuerdie Rentenbeiträge und damit die Lohnkosten senkenkann und damit Arbeitsplätze schaffen kann, mag man dasdurchaus positiv sehen. – So sehen es die Wirtschaftsfor-schungsinstitute durchweg.
Wenn Sie sich außerdem den europäischen Vergleichansehen, stellen Sie fest, dass Deutschland nicht nur beimPreis, sondern auch beim Steueranteil unterhalb desDurchschnitts in der Europäischen Union liegt. Das wol-len wir bei der Gelegenheit auch einmal festhalten, meineDamen und Herren.
Und noch eines – das ist schon ein ziemliches Stück ausdem Tollhaus: Vorgestern, pünktlich zu Ihrer Debatte, er-höhen die Mineralölkonzerne –
– die Preise für Benzin um 4 Pfennig und für Diesel um5 Pfennig. Haben wir da irgendetwas mit der Ökosteuergemacht? Sie sollten sich den Zusammenhang zwischenBesteuerung und Preispolitik der Konzerne einmal ge-nauer anschauen. Dass ich als Sozialdemokrat eines Tagesder Christlich Demokratischen Union und – mit Verlaub –auch der F.D.P. etwas über die Regeln der Marktwirtschafterzählen muss, habe ich mir auch nicht träumen lassen.
– Seien Sie ganz vorsichtig! Sogar Herr Gysi hat dazu inIhre Richtung eine zutreffende Bemerkung gemacht – undder kommt aus der Planwirtschaft. Passen Sie auf, dassSie da nicht hinmarschieren!
Der Sachverhalt ist ja ganz einfach – Sie wissen dasauch –: Die Unternehmen nehmen, was der Markt hergibt.
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Bundesminister Hans Eichel11464
Allerdings – das ist das Problem und deshalb hättenSie, Herr Feibel, diesen Beitrag nicht leisten dürfen –:Wissen Sie, wo die Preise am stärksten gestiegen sind? –Beim Heizöl. Sie haben gesagt, im vorigen Jahr betrug dieRechnung für die Winterperiode 2 000 DM, dieses Jahr4 000 DM. In dieser Zeit gab es keinen Pfennig Steuer-erhöhung!
Die letzte Steuererhöhung beim Heizöl hat am 1. April1999 stattgefunden.
In der Ökosteuer ist das Heizöl überhaupt nicht drin.
SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Sehr verehrter Herr Koppelin, die Mehrwertsteuer ist dasletzte Mal unter Ihrer Verantwortung erhöht worden. Daswollen wir auch noch festhalten.
Wir wollen also festhalten: Wenn voriges Jahr dasHeizöl bei 50 Pfennig pro Liter lag, wenn am 1. April1999 für viele Jahre letztmalig die Mineralölsteuer auf dasHeizöl um 4 Pfennig erhöht worden ist –
– und jetzt der Liter Heizöl bei 1 DM liegt, dann stellenwir fest, dass es die höchste Preiserhöhung gerade dortgibt, wo die Steuer überhaupt keine Rolle spielt.
Auch in Bezug auf die Mineralölsteuer müssen Sie auf-passen, was da im Moment passiert. Die größten Er-höhungen werden beim Diesel vorgenommen.
– Ich darf vielleicht einen Moment um Ruhe bitten. Es istein bisschen unruhig bei den Herren da drüben, –
– auch wenn ich verstehen kann, dass denen das nicht ge-fällt.
Beim Diesel gibt es inzwischen auf den Steueranteilvon 74 Pfennig einen Aufschlag von über 1 DM, denn derPreis beträgt schon fast 1,80 DM. Beim Benzin haben wireinen Steueranteil von 1,10 DM, während der Preis beiknapp über 2 DM liegt. Was passiert also? – Hier wird aufkaltem Weg, weil man bei Diesel noch Spielräume fürPreiserhöhungen sieht, der Preis ordentlich mehr angeho-ben. Man stellt fest, dass der Preis für Diesel langsam anden Preis für das Benzin herankommt. Das hat aber mitder Steuer gar nichts zu tun, –
– denn die Steuer beim Diesel ist wesentlich niedriger undist auch nicht stärker erhöht worden als beim Benzin.Muss man Ihnen denn wirklich erklären, dass das aus-schließlich eine Frage dessen ist, welchen Preis man amMarkt erzielen kann? Deswegen ist auch völlig klar:Wenn wir den Platz räumen, dann rücken die nur nach.Das ist die eiserne Konsequenz der Marktwirtschaft.
Deswegen ist es schon ein dreistes Stück, wenn Sie anden Tagen, an denen die Mineralölkonzerne die Preisehochtreiben, in Ihren Reden gegen die Bundesregierungzu Felde ziehen. Hätten Sie nur einige Worte über das Ver-halten der Konzerne gefunden, hätten Sie den Interessender Autofahrer und Bürger im Lande besser gedient.
Nun zu der „Belastung der Familien“. Herr Feibel, Siesind zwar neu im Parlament, aber auch das hätten Sienicht sagen dürfen. Es war doch das Bundesverfassungs-gericht, das Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, dieFamilie während Ihrer Regierungszeit verfassungswidrighoch besteuert zu haben.
Und wir sind es, die den Mangel, den Sie zu verantwortenhaben, jetzt mit unseren Gesetzen beseitigen.
Ich will Ihnen auch sagen, wie wir Abhilfe schaffen,nämlich durch die dreistufige Steuerentlastung, die wirbereits durchgesetzt haben – damit beziehe ich das In-Kraft-Treten der letzten Stufe zum 1. Januar 2001 ein –und durch die eine Durchschnittsverdienerfamilie mitzwei Kindern eine Entlastung in Höhe von 2 600 DM imJahr erfährt. Darin enthalten ist auch die zweimalige Er-höhung des Kindergeldes. Und nachdem Sie zehn Jahrelang beim Wohngeld nichts getan haben – damit kommeich zum nächsten Punkt –, erhöhen wir zudem mit unse-rem Haushalt für das Jahr 2001 das Wohngeld.Wir erhöhen die BAföG-Leistungen.
Auch in diesem Bereich haben Sie zehn Jahre lang nichtsgetan – mit fürchterlichen Folgen. Im Jahr der deutschenEinheit wurden noch 605 000 Studentinnen und Studentendurch das BAföG gefördert, am Ende Ihrer Regierungs-tätigkeit waren es nur noch 340 000. Das ist Bildungsab-bau im gröbsten Sinne. Das haben Sie zu verantworten.
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Bundesminister Hans Eichel11465
Das ist schlimm für unseren künftigen Wohlstand; dennwer so wenig in die Bildung junger Leute investiert undKinder aus Familien mit geringem Einkommen dadurcham Studieren hindert, versündigt sich am künftigen Wohl-stand dieses Volkes, meine Damen und Herren.
Der Anteil des Haushaltes für Forschung und Bildungwird gerade durch unsere Konsolidierungspolitik syste-matisch erhöht. Auch das wollen wir festhalten: Sie habenuns einen Haushalt hinterlassen, wo dessen Anteil amBundeshaushalt 3,11 Prozent betrug. Bei uns erreicht die-ser Anteil im nächsten Jahr bereits 3,21 Prozent.Nein, meine Damen und Herren, dies ist ein Haushalt,der die Zukunft sichert, und wir haben Erfolg damit.
Das Wirtschaftswachstum war seit über zehn Jahren nichtso hoch wie heute; das ist die Wirklichkeit. Die Beschäf-tigung baut sich auf, wie dies seit der Wiedervereinigungnicht mehr der Fall war. Wir werden 170 000 neue Be-schäftigte in diesem Jahr und 270 000 im nächsten Jahrhaben.
Und die Preise sind, obwohl man da aufpassen muss, nachwie vor stabil. Deswegen sind wir auf dem richtigen Weg.Es muss Ihnen schon zu denken geben, wenn die inter-nationale Bewertung Deutschlands auf dem Weg zurWeltspitze so ausfällt, dass Deutschland bereits in einemJahr, nämlich von 1998 auf 1999 – das war also nach demRegierungswechsel –, von Platz 6 auf Platz 3 gestiegenist, vor uns nur noch Finnland und die Vereinigten Staa-ten. Und das, obwohl die Einkommen- und Unterneh-mensteuern zu hoch waren! In diesem Bereich greift jetztunsere Reform. Ich bin gespannt, wie die BewertungDeutschlands nächstes Jahr aussieht.Heute ist im „Handelsblatt“ zu lesen: Manager gebendem Standort Deutschland Bestnoten, die Arbeit der Bun-desregierung wird von Führungskräften positiv bewertet,die Investitionsbereitschaft wächst. Und zum Schlusssteht dort: Sie äußern sich über den Standort Deutschlandso positiv wie nie seit Beginn der Umfragen Anfang 1999.Wir sind also auf dem richtigen Wege. Es wäre gut,wenn Sie draußen nicht versuchten, das Volk aufzuhetzen.Bei allem Ärger der Menschen, den ich verstehen kann,muss ich nämlich sagen: Eine Verantwortung tragen auchSie, nämlich die, die enorm positive Entwicklung inDeutschland nicht wieder in Gefahr zu bringen durch un-sinnige Aktionen, die uns keinen Deut weiterbringen.
Meine Damen und Herren, gehen Sie einmal davonaus: Diese Bundesregierung hält Kurs. Diese Bundesre-gierung hat schon im vorigen Jahr gegen alle Ihre Wider-stände und auch gegen Lobbyisten den notwendigen Kon-solidierungskurs durchgesetzt. Damit sich da keinertäuscht: Was wir im vorigen Jahr an Standhaftigkeit er-probt haben, hält auch dieses Jahr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Dietrich
Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Bundes-finanzminister, Sie haben sich möglicherweise verspro-chen. Deswegen möchte ich richtig stellen, was beim Pu-blikum eventuell als Falschaussage angekommen ist. Siehaben behauptet, an der Höhe des Heizölpreises habe dieBundesregierung keine Schuld. Im letzten Jahr sei von Ih-rer Seite aus nichts passiert.Nun weiß ich, dass die Haushaltspolitiker immer dasletzte Jahr für das Jahr nehmen, in dem man sich befindet,wobei das neue das eigentlich gültige Jahr ist.Erstens. Die Ökosteuer hat natürlich, wie Sie genauwissen, auch das Heizöl verteuert: 4 Pfennig im Jahre1999. Diese Verteuerung setzt sich fort.
Zweitens. Über die Mehrwertsteuer sind Sie ein Tritt-brettfahrer der OPEC und der anderen Organisationen, diedie Preise treiben.
Drittens. Auch die Euro-schädliche Politik, über dievor allen Dingen in der Wirtschaftsdebatte gesprochenworden ist, trägt natürlich dazu bei, dass sich die Preise soentwickelt haben. Die Relation Euro-Dollar ist zum Teilauch auf das Versagen der Bundesregierung zurückzu-führen.
Nun haben Sie sich auf den wirtschaftlichen Sachver-stand berufen. Dazu lese ich Ihnen ganz kurz vor, was einwirklich anerkannter Sachverständiger im Bereich derWirtschaft, der Vorstandschef des größten deutschenUnternehmens, Herr von Pierer – übrigens auch aus Mün-chen, wie das Institut, das Sie erwähnt haben –,
– heute in einer Zeitung dazu sagt: Die Ökosteuer lähmtunseren Aufschwung.Dies kann man ganz leicht nachvollziehen. Daraufmöchte ich mich beschränken. Das, was an Energiepreis-verteuerung innerhalb eines Jahres auf Bürger und Be-triebe zukommt, summiert sich mit Ökosteuer, Mehrwert-steuer und höheren Preisen für Gas und Heizöl auf einGesamtvolumen von 65 Milliarden DM im Jahr. Dies
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Bundesminister Hans Eichel11466
übersteigt bei weitem das, was es möglicherweise am1. Januar 2001 durch die Steuerreform an Bürgerentlas-tung geben wird.
Jeder Vermieter denkt heute darüber nach, den Bürgerndie Heizkostenabrechnung im nächsten Jahr dadurch zuerleichtern, indem er die Vorauszahlungen erhöht. Auchder Bund müsste das tun und tut es wahrscheinlich auch.Wenn die Situation so ist, wie können Sie dann versuchen,den Bürgern vorzumachen, dass Sie mit alldem nichts zutun haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung, Herr
Bundesfinanzminister Eichel, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens.Herr Austermann, ich wiederhole: In den Heizölpreisen,von denen Herr Feibel gesprochen hat, nämlich in derSteigerung von 2 000 DM aus der vorherigen Heizperiodeauf 4 000 DM in dieser Heizperiode, steckt kein PfennigErhöhung über die Ökosteuer drin, weil das Heizöl indem betreffenden Gesetz überhaupt nicht enthalten ist.Die letzte Erhöhung – in den nächsten Jahren ist keine ge-plant – hat am 1. April 1999 stattgefunden und betrug4 Pfennig.
Also steckt in der Verdoppelung des Heizölpreises –ich wiederhole das – von der vorherigen Heizperiode zudieser Heizperiode kein einziger Pfennig Steuererhöhungdurch die Bundesregierung.
Zweiter Punkt. Natürlich ist die Mehrwertsteuer ent-halten. Es ist übrigens erstaunlich – das war auch zu IhrerZeit so –: Wann immer irgendwo Preise erhöht werden,betrifft das auch die Mehrwertsteuer. Das war 35 Jahrelang so, als Sie den Finanzminister gestellt haben. Das ha-ben Sie als Problem übrigens nie entdeckt. Das entdeckenSie erst, seitdem Sie nicht mehr den Bundesfinanzminis-ter stellen.
Aber der entscheidende Punkt ist doch ein ganz ande-rer. Es ist nicht so, dass die Mehrwertsteuer insgesamtsteigt. Auch das gehört zu Ihren Märchen. Das Problem,das an dieser Stelle entsteht, ist doch ganz einfach: DieLeute haben nicht mehr Geld in der Tasche, sondern siesind wegen der Preispolitik der OPEC und der Konzernegezwungen, mehr Geld für Kraftstoff auszugeben, Geld,das sie an anderer Stelle nicht ausgeben können. DieMehrwertsteuer wächst doch gar nicht überproportional.Die Mehrwertsteuer wächst völlig unabhängig davon, wiesich im Einzelnen das Preisgefüge im Land entwickelt.Das ist doch der einfache Sachverhalt.
Sie wissen das ganz genau. Das ist zu der Zeit, als Sieden Finanzminister gestellt haben, nicht anders gewesen.Deswegen halte ich fest: Dort, wo überhaupt kein PfennigÖkosteuererhöhung enthalten ist, ist die Preistreiberei amallerschlimmsten; beim Diesel, für den die Mineralöl-steuer niedriger ist, ist die Preistreiberei höher als beimBenzin.Deswegen sage ich: Es ist ein einfaches Gesetz derMarktwirtschaft, dass sich jeder nimmt, was er kriegenkann. Das ist der Punkt. Der Spielraum, den Sie schaffen,wenn Sie Steuern nicht erheben, bewirkt, dass das dieKassen der Konzerne füllt.
Im Übrigen darf man ja noch einmal darüber nachden-ken, wie das funktioniert: Morgens fängt ein Mineralöl-konzern an und am selben Tag sind dann ruck, zuck alleTankstellen und alle Konzerne umgestellt. Darüber darfman doch noch einmal nachdenken, das ist doch einespannende Sache.
Darüber einmal zu reden hätte Ihnen doch angestanden,wenn Sie das schon zum Thema machen wollen.
Wenn es Ihnen ein Herzensanliegen ist, frage ich nocheinmal: Wieso haben Sie eigentlich zehn Jahre lang dasWohngeld nicht erhöht? Das hätten Sie getan, wenn Ihnendie Mieterinteressen irgendetwas bedeutet hätten.
So, Herr Austermann, geht das doch nicht. Ich versteheja, dass Sie jetzt eine Kampagne machen, aber ich sage Ih-nen: Wir werden den Leuten präzise die Wahrheit sagen.
Eins lassen wir Ihnen nicht durchgehen: das, was dieKassen bei den Konzernen füllt, uns noch auf die politi-sche Rechnung zu schreiben. Da hört der Spaß auf.Sehen Sie sich einmal an – es sind übrigens weniger dieOPEC-Staaten –, wie bei den Konzernen von 1999 auf2000 die Gewinne explodiert sind: Sie haben sich im
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Dietrich Austermann11467
Schnitt mindestens verdoppelt. Darüber müssen Sie ein-mal ein Wort reden. Das ist auch eine spannende Veran-staltung, wenn wir über die Frage reden, wer hier diePreise treibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, die Anmeldungen zu Kurzinterventionen,die mich gerade erreichen, kommen einfach zu spät. Be-kanntlich darf man nur eine Kurzintervention auf eineRede hin machen und sich nicht auf eine andere Kurz-intervention beziehen.Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege HansJochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.Hans Jochen Henke (von Abgeordne-ten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr MinisterEichel, ich möchte Sie zuerst direkt ansprechen. Auchwenn Sie es nicht glauben: Wenige Tage vor dem 3. Ok-tober 2000 stehen wir ohne Wenn und Aber zu allen Leis-tungen wie zu allen Lasten, die aus zehn Jahren Wieder-vereinigung resultieren. Wir stellen fest: Der von HelmutKohl und Theo Waigel eingeschlagene Weg zur Vollen-dung der deutschen Einheit war wichtig und richtig – auchgerade gegen Zauderer und Verweigerer.
Ich habe zu wenig Zeit, –
– aber zwei Zitate will ich bringen. Minister Eichel –Herbst 1989: Die Bereitschaft kann weder bei unserenwestlichen noch bei unseren östlichen Nachbarn gewecktwerden, die Einheit Deutschlands auf die Tagesordnungder Weltpolitik zu setzen.
Eichel in der „Frankfurter Neuen Presse“ genau vor zehnJahren: Einheit bringt Ländern untragbare Last!
Es war und bleibt richtig, Schulden und Altlasten derDDR zu übernehmen und Folgelasten der Wiedervereini-gung auch gegen egoistische Länderinteressen entschlos-sen beim Bund zu schultern. Es ist gelungen, die größtefinanzielle Belastung in so kurzer Zeit zu bestehen – unddies ohne diejenigen, die vor Währungs- und Kredit-marktrisiken und vor der Überforderung der Leistungsfä-higkeit aller Beteiligten gewarnt haben. Es ist und bleibteine einmalige historische Leistung.
Vor dem Hintergrund kann es nicht die Aufgabe einerinzwischen nicht mehr amtierenden Regierung gewesensein, aber es ist auch nicht allein Aufgabe der jetzt amtie-renden Regierung, diese Herausforderung abzutragen.Am Ende ist dies auch nicht entscheidend. Das Ganze warund bleibt eine Generationen-, ja wahrscheinlich eineJahrhundertaufgabe und -herausforderung. In diesemLichte erkennen wir die Leistung an und zollen allenMenschen in Ost und West und denjenigen, die konse-quent Verantwortung in dieser Zeit getragen haben, Dank.
Es gehört auch zur Ehrlichkeit dieser Haushaltsdebatte,festzuhalten, dass trotz dieser Sondersituation, HerrEichel, gleichzeitig der Weg über die Maastricht-Kriterienund über den europäischen Stabilitätspakt bis hin zu einereuropäischen Währung gegangen werden konnte.Werte rot-grüne Koalitionäre, ohne die Haushaltskon-solidierung, begonnen in den 80er-Jahren, ohne stabili-tätsorientierte Euro-Grundlagen und eine sparsamste,zielgerichtete Haushaltsführung in den 90er-Jahren wäredas alles nicht möglich gewesen.Der amerikanische Botschafter John Kornblum hat beimehreren Gelegenheiten erklärt, er kenne keine anderehistorische Leistung, die in so kurzer Zeit bewältigt wor-den wäre, wie die Wiedervereinigung. Jeweils fügte erdann sehr nachdenklich hinzu, er wisse nicht, wie dieamerikanische Nation in einer vergleichbaren Situationmit einer solchen Herausforderung umgegangen wäre. Obin diesem Lichte, verehrte Koalitionäre von Rot-Grün, dievom Bundeskanzler bemühte „deutsche Krankheit“ über-haupt angeführt werden kann, mögen andere entscheiden.Sie mögen dann aber insbesondere die Beiträge von denMinisterpräsidenten Lafontaine, Schröder und Eichel mitihren Errungenschaften von der Steuer- über die Gesund-heits- und die Lohnnebenkosten- bis hin zur Arbeits-marktspolitik angemessen würdigen.
Ich habe mir zu den Bereichen Gesundheit, Renten-reform, Pflegeversicherung und den Strukturreformen beiTelekom, Post und Bahn sowie zum Investitionsförde-rungsgesetz so viele Punkte aufgeschrieben, dass es denZeitrahmen sprengen würde, und möchte nur einige Re-formen in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre heraus-stellen.
Ihr nach der Wahl einsetzender Reformeifer führte un-ter Schröder/Lafontaine, Gott sei es geklagt, in eine völ-lig andere, verquere Richtung: Ökosteuer, Rücknahmevon Rentenreform und zusätzliche Belastungen mit weitreichenden Konsequenzen für den Haushalt 2001 und alleFolgehaushalte sowohl auf der Einnahmen- als auch aufder Ausgabenseite.
Sie haben entscheidende Fehler Ihrer eigenen erstenRegierungsphase bis heute nicht korrigiert. Wenn man-
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Bundesminister Hans Eichel11468
cher Finanzspielraum nicht so ist, wie Sie es gern hätten,ist es darauf – vor allem auf die verheerende Ökosteuer –zurückzuführen.
Der Minister hat ja vorhin gerade selber die besten Ar-gumente für die Abschaffung der Ökosteuer geliefert. Siebelasten im Jahre 2004 nach fünf Stufen den Markt unddie Bürger mit zusätzlich 33 Milliarden DM jährlich.
Dies passiert in einer Zeit, in der Ihre Jahrhundertsteuer-reform angeblich nachhaltige Entlastungen für die Men-schen in unserem Lande bringen soll. Wirklichkeit ist abernach Ihren eigenen Planansätzen, dass die Steuereinnah-men des Bundes trotz Ihrer Jahrhundertreform in diesemJahr erstmals die 400-Milliarden-DM-Schallgrenze über-schreiten werden und in den nächsten Jahren sage undschreibe auf mehr als 450 Milliarden DM pro Jahr an-wachsen werden. Dabei ist die von Ihnen fälschlicher-weise vorgenommene Abkoppelung vom Zuwachs desBruttoinlandsprodukts und von den Zuwächsen bei denSteuern eingerechnet, was noch nie der Fall war, was sichauch als falsch, als „Arm-Rechnen“ herausstellen wird.
Ich sage an dieser Stelle nur: Eichel weiß, warum eruns keinen Nachtragshaushalt liefert: weil sich die Öf-fentlichkeit insbesondere unter Berücksichtigung vonUMTS- und anderen Privatisierungserlösen staunend dieAugen darüber reiben würde, welch historisch einmaligeEinnahmesituation in diesem Jahr gegeben ist. Nur ha-ben die Weichen andere gestellt, die Vorleistungen andereerbracht.
Wenn wir gerade bei der Steuerreform sind: Die Zeit injenen 48 Stunden um den 14. Juli hätten Sie besser fürnachhaltige Verbesserungen der Reform verwandt, stattLändern Leistungen in Aussicht zu stellen, die zusätzlicheAusgaben verursachen und mit Blick auf die Zukunft desneu zu ordnenden Länderfinanzausgleichs neue und nichtkalkulierbare Risiken für den Bund zeitigen werden. Aufdiesen Merkposten werden wir rechtzeitig zurückkom-men.
Wir sind der Meinung, dass die falsch angelegte Öko-steuer zurückgenommen werden muss, weil sie eben nichtgeeignet ist, eine dauerhafte Gegenfinanzierung der Ren-ten sicherzustellen und weil sie trotz Ihrer anders lauten-den Beteuerungen nicht nur zur Gegenfinanzierung derRenten herangezogen wird.
Sie dient zur allgemeinen Haushaltsdeckung und ist einschlichtes, blankes Abkassieren.
Wer demnächst näherungsweise 100 Milliarden DMeinschließlich Umsatzsteueranteile – ohne Ökosteuer –aus Mineralölsteuereinnahmen erwirtschaften wird, hatdoch wahrhaftig genügend Steuerungs- und Gestaltungs-spielräume, auch für ökologische Steuerungsmaßnahmen.Im Übrigen haben Sie Ihr Ökosteuerkonzept bei der Ver-abschiedung ganz anders dargestellt und sich selbst be-schränkt. Sie wollten nämlich nur eine Stufe einführenund alles andere im europäischen Kontext machen. Nurreden Sie davon heute nicht mehr. Das heißt: Sie handelneigentlich gegen Ihre eigenen Vorgaben.
Seien Sie konsequent und nehmen Sie das Geld, dasSie aus den Zinsersparnissen durch die ausdrücklich vondiesem Haus einvernehmlich mitgetragene Sondertilgungaus den UMTS-Erlösen und weitere Privatisierungen er-wirtschaften und setzen Sie es zielgerichtet ein. HerrMinister Eichel – auch darüber werden wir noch reden –,in Wirklichkeit sind es ja mehr als 5 Milliarden DM.Es ist auch nicht notwendig, die Investitionen auf ei-ner historisch einmalig niedrigen Stufe anzusiedeln. Dieshat verheerende Wirkungen für den Standort Deutsch-land, die Wettbewerbsfähigkeit, die Wirtschaft und dieZahl der Arbeitsplätze. Der Ansatz beläuft sich auf10,4 Milliarden DM. Das gab es nie und wird es hoffent-lich in der Zukunft auch nie wieder geben.Diese Regierung hat angekündigt, die Spielräume soll-ten größer werden. Just zu unserer heutigen Beratungkommt eine volkswirtschaftliche Schätzung der Einkom-mensbelastung durch den Bund der Steuerzahler. Das isteine völlig neutrale Seite.
Wer dieses Tableau nimmt und die Zahlen von 1998 und2002 vergleicht – das wollen Sie nicht hören –, wird fest-stellen: Es wird für die Bürger weder im Jahre 2000 nochim Jahre 2003 und auch nicht im Jahre 2005 nachhaltigeEntlastungen geben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Die aktuelle Haushaltssituation ist aus Gründen, für dienicht Sie, sondern andere verantwortlich sind, besser, alsSie es je zu träumen wagten. In den zwei Jahren Ihrer Re-gierungszeit ist außer beim Herunterfahren und Spareneine klare Linie nicht erkennbar gewesen. Die nachhalti-gen Strukturprobleme sind nicht gelöst. Schröder ist imKleinen, wie bei Holzmann, Österreich und der GreenCard, groß. Ob er auch im Großen nicht, wie bisher, kleinbleiben wird, muss sich erweisen.Herr Eichel und ich haben gestern Abend einen sehr in-teressanten Vortrag über die Situation des Euro und dieUrsachen für seine Schwäche gehört. Der Redner hat –wenige Meter von hier – sehr kompetent festgestellt, dassdie Entscheidung der Märkte über den Wert einerWährung im Grunde eine Abstimmung über die Soliditätund Seriosität der Politik ist. Das sollten diejenigen, dieVerantwortung für den Standort Deutschland und die Leit-währung tragen, beachten.
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Hans Jochen Henke11469
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, würden
Sie bitte zum Schluss kommen.
Jawohl, ich
komme zum Schluss.
Die Risiken Ihrer Fiskalpolitik liegen voll beim Bür-
ger, dem Steuerzahler und der Wirtschaft, und zwar mit
unverändert hohen Steuer- und Abgabenlasten, mit wach-
senden Zins-, Inflations- und Währungsrisiken, mit real
gekürzten Renten und mit nur geringfügigen Tarifverbes-
serungen.
Es ist mehr und Nachhaltigeres gefordert als das, was
Sie bisher gebracht haben. Wenn Herr Schröder wirklich
meint, zum Jahresende könne Redaktionsschluss bei allen
Reformen sein, –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Henke,
ich bitte Sie, nun wirklich zum Schluss zu kommen.
– werden Sie er-
heblich zu kurz gesprungen sein.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Matthias
Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nurwegen des zehnten Jahrestages ist die deutsche Einheit inder Tat in Verbindung mit diesen Haushaltsberatungen einsehr wichtiges Thema. Ich denke, hier muss noch einigesgerade gerückt werden.Die CDU bekennt sich zu den Schulden, die sie ge-macht hat. In Ordnung. Die Schulden in Höhe von1 500 Milliarden DM werden im Rahmen der Beratungenüber das Sparpaket von den CDU-Kollegen zum Teil nochbestritten.
Es wurde gesagt, das alles sei eine Hinterlassenschaft vonHelmut Schmidt. In diesem Punkt haben Sie nach einemJahr dazugelernt. Nicht schlecht!Sie sagen dann aber wieder Halbwahrheiten. Im Zugeder deutschen Einheit, also seit 1990, sind die Lohnne-benkosten um 6,5 Prozentpunkte gestiegen. Was bedeutetdas für den Durchschnittshaushalt? Jeden Monat habenSie von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern150 DM zur Finanzierung der deutschen Einheit verlangt.
– Sie haben auch jeden Monat 150 DM von den Betriebenzur Finanzierung der deutschen Einheit verlangt. Damithaben Sie wesentlich zu der hohen Arbeitslosigkeit bei-getragen, die uns und damit auch den Haushalt beinahe inden Ruin getrieben hätte.Vor diesem Hintergrund finde ich es eine Unver-schämtheit, wenn Sie hier eine Diskussion über die klei-nen und mittleren Einkünfte beginnen. Sie haben diedeutsche Einheit auf dem Rücken der Bezieher von klei-nen und mittleren Einkommen finanziert. Das ist dasHauptproblem, mit dem wir heute zu kämpfen haben.
Hier gibt es auch eine Verbindung zur Ökosteuer. Dierot-grüne Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die Lohn-nebenkosten wieder zu drücken, –
– und zwar unter 45 Prozentpunkte.
Wir haben den Wählerinnen und Wählern reinen Weineingeschenkt, indem wir ihnen gesagt haben: Wir erhöhendie Ökosteuer und stecken die daraus erzielten Gelder indie Rentenversicherung, mit dem Ziel, die Lohnneben-kosten zu senken.
Das haben wir nicht gesagt, weil wir uns irgendwann ein-mal etwas Lustiges überlegt haben; wir machen das viel-mehr deshalb, weil die hohen Lohnnebenkosten, die Sieuns hinterlassen haben, eine erdrückende Last sind, mitder wir seit der Regierungsübernahme 1998 zu kämpfenhaben. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, bevor Sie hiergegen die Ökosteuer polemisieren. Wenn Sie das nichttun, machen Sie eine unseriöse Politik.Mit den Mehreinnahmen von 100 Milliarden DMdurch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen – diesenPrivatisierungserlös verwenden wir übrigens auch des-halb zur Schuldentilgung, weil das die Haushälterwährend der letzten Haushaltsberatungen geforderthaben – tilgen wir gerade einmal die Schulden von achtMonaten der Amtszeit von Helmut Kohl, acht Monate von16 Jahren! Vor diesem Hintergrund muss man noch ein-mal unterstreichen: Der einzig gangbare Weg ist, die er-zielten Mehreinnahmen zum Senken der Schuldenlast zuverwenden.Dennoch wird es bis zum Jahr 2006 dauern – damithebe ich ein weiteres Kernproblem in dieser Haushalts-debatte deutlich hervor –, bis wir Haushalte aufstellenkönnen, ohne neue Schulden machen zu müssen. Wir wer-den trotz des Sparkurses noch 145 Milliarden DM anSchulden machen müssen, bevor wir das Ziel erreichen,für das Hans Eichel eisern steht und für das er in den
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Fraktionen die volle Unterstützung hat, dass in Deutsch-land ausgeglichene Haushalte aufgestellt werden können.Wie gesagt, erst nach 2006 beginnen wir, den Schulden-berg Jahr für Jahr systematisch abzutragen. Trotzdem for-dern Sie die Aussetzung von Steuern. Sie können sich sel-ber ausrechnen, welche Konsequenzen das hätte. DieKonsequenzen der Aussetzung von Steuern sind neueSchulden. Das bedeutet, es dauert länger, bis der Haushaltim Gleichgewicht ist; das bedeutet, es werden mehr Geldder Bürgerinnen und Bürger und mehr Steuereinnahmenauf die Zahlung von Zinsen verwendet.
Auch vor diesem Hintergrund finde ich die von Ihnen an-gestoßene Ökosteuerkampagne eine Unverschämtheit.Ich möchte Ihnen einen weiteren Grund nennen,warum ich es eine Unverschämtheit finde, hier die Ängs-te der Bürgerinnen und Bürger zu schüren. Das Konzeptder Bayerischen Staatsregierung, das von der CDU/CSU-Fraktion übernommen wurde –
– mit dem Titel „Die bessere Alternative – Eine Steuer-reform für Wachstum und Beschäftigung“, ist Ihnen wohlbekannt. Damit haben Sie uns vor der Sommerpause ge-nervt, als Sie glaubten, Sie könnten die Steuerreformblockieren.
– Sie waren also dabei, als das Konzept ausgearbeitetwurde.
Das finde ich ganz hervorragend, Herr Kollege Kalb. Siewollten den Bürgerinnen und Bürgern, den Pendlern, aufderen Kosten Sie derzeit Stimmung machen, eine um20 Pfennig gekürzte Entfernungspauschale zumuten.Aber das erwähnen Sie nicht in Ihrer Ökosteuerkampa-gne. Seien Sie stolz darauf!
Wir können über alles reden. Wir können auch über dieFrage diskutieren, ob die Entfernungspauschale sinnvollist. Ökologen argumentieren, sie trage zur Zersiedelungder Landschaft bei. Ich finde es aber falsch
– Herr Kollege, Sie können mir eine Zwischenfrage stel-len, wenn Sie ein Problem mit dem haben, was ich sage –,wenn Sie Stimmung gegen die Ökosteuer machen, ob-wohl Sie selber die Pendler massiv belasten wollten.
Nebenbei gesagt: Es ist ein gravierender Unterschied,ob die Pendler mit 20 Pfennig oder mit noch nicht einmal2 Pfennig, wie es jetzt durch die Ökosteuer geschieht, be-lastet werden. Das muss man hier auch noch sagen. Das,was Sie den Leuten zumuten wollten, wäre mehr als dasZehnfache gewesen.
Trotzdem haben Sie die Stirn, eine solche Kampagne vomZaum zu brechen. Mich ärgert das tierisch, weil ich finde,dass dies das Unglaubwürdigste ist, was man machenkann.
Sie machen Kampagnen und reden über den hohenSteueranteil bei dem Mineralölpreis. Sie behaupten, dasses beim Preis einen Steueranteil in Höhe von 70 Prozentund einen Rohölanteil von 30 Prozent gibt. In Ihrer Amts-zeit betrug der Steueranteil 80 Prozent und der Rohölan-teil 20 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass das Pro-blem der Preissteigerung nicht an der Ökosteuer liegt,sondern daran, dass die Preise auf dem Weltmarkt in dieHöhe gegangen sind. Insofern sind wir der falsche Adres-sat für Ihre Kritik. Das muss noch einmal sehr deutlich ge-sagt werden.
Ich möchte noch einmal auf die 145 Milliarden DMneuen Schulden zurückkommen, die wir in dieser und dernächsten Legislaturperiode abbauen wollen. Den Betragvon 145 Milliarden DM wollen die Koalitionsfraktionenmöglichst noch senken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt,die Nettoneuverschuldung unter 45 Milliarden DM zudrücken. Wir können das vergessen, wenn wir jetzt an-fangen, blindlings irgendwelche Steuern auszusetzen. Wirerreichen das nur, wenn der eiserne Sparkurs eingehaltenwird, wenn die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent ge-senkt werden, damit wir Impulse für mehr Wachstum undBeschäftigung auslösen, und wenn es uns gelingt, die Mit-tel für Investitionen im Bundeshaushalt wieder nach obenzu treiben.Als zum ersten Mal über den Kabinettsentwurf zumHaushalt geredet wurde, haben wir gesagt, dass wir unsalle wünschen, dass es in diesem Haushalt mehr Investi-tionen gibt. Niemand bestreitet, dass echte Investitionenin Straße, in Schiene, in Altbausanierung Arbeitsplätzeschaffen. Wir haben aber gesagt, dass wir keine Investi-tionen zum Preis von neuen Schulden machen wollen.Der Kollege Henke sagte, dass die Investitionsquotebei 10,4 Prozent liege. Lieber Kollege Henke, am Endeder Haushaltsberatungen werden wir eine Investitions-quote von 12,1 Prozent erreichen. Dies werden echte In-vestitionen sein und keine Buchungstricks wie bei der In-vestitionsquote des Kollegen Waigel.
Sie haben Dinge als Investitionen bezeichnet, die alleswaren, aber keine Investitionen. Wir wollen echte Inves-titionen. Wir wollen die Angleichung der Mittel für die
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Matthias Berninger11471
Schiene an die für die Straße. Wir wollen dort, wo es nötigist, in den Straßenbau investieren, damit Staus bekämpftwerden und die Anwohner vom Lärm entlastet werden.Wir wollen ein Altbausanierungsprogramm, das zumKlimaschutz beiträgt und den Menschen eine höhereWohnqualität gibt. Wir wollen das alles aber nicht zumPreis von neuen Schulden. Daran werden wir festhalten.Davon weichen wir keinen Millimeter ab. Sie sollten sichüberlegen, warum Sie das so selten thematisieren. MeinEindruck ist, dass Sie das nur aus einem Grund tun: Siewissen genau, dass wir Recht haben. Gerade die konser-vativen Haushaltspolitiker wissen genau, dass das IhreAchillesferse ist. Wir machen keine Politik auf Pump, wiees die Regierung Kohl getan hat. Es ist nicht so, dass dieRoten und die Grünen nicht mit Geld umgehen können.Sie sind es, die es nicht konnten! Das ist Ihre Achilles-ferse.
Zum Abschluss der Haushaltsberatungen dieser Wochemuss das deutlich gemacht werden.Die Haushaltsdebatte zeigt doch: Die Koalitionsfrak-tionen sind sich über zwei Dinge einig. Sie wollen dieUMTS-Milliarden zur Schuldensenkung verwenden. Siewollen den Haushalt im Gleichgewicht halten und Spiel-räume für neue Investitionen schaffen. Das ist die eine Sa-che, über die wir uns einig sind. Die andere Sache ist: Wirwollen die Lohnnebenkosten so weit wie möglich senken.Wir Grüne halten an dem Ziel fest: unter 40 Prozent.Was ist Ihr Alternativkonzept? Sie fabulieren überSteuererleichterungen. Das hat der Kollege Stoiber schonim letzten Jahr gemacht. Am Ende des Jahres waren sienicht so hoch. Sie blenden Risiken aus, zum Beispiel diePostunterstützungskasse, den Kurs der Telekom-Aktie,was sich natürlich auch auf den Haushalt auswirkt. Siehaben kein Alternativkonzept auf den Tisch gelegt. WennSie Alternativkonzepte vorlegen, wie dieses wundersameSteuerkonzept, dann sind es Konzepte, die wirklich zulas-ten der kleinen und mittleren Einkommen gehen, die dieMenschen tatsächlich belasten. Das lassen Sie in solchenSituationen unter den Tisch fallen. Das lassen wir Ihnennicht durchgehen.
Zum Schluss möchte ich noch etwas dazu sagen, wofürdie UMTS-Milliarden ausgegeben werden sollen. Dasmüssen wir in den Koalitionsfraktionen beraten. Es mussim Kabinett beraten werden.
Wir werden auch dafür Sorge tragen, dass die Koalitions-fraktionen den Oppositionsfraktionen und damit dem ge-samten Parlament die Möglichkeit geben, darüber seriöszu beraten. Das ist bisher unter den Tisch gefallen.
Mir ist es wichtig, dass Sie unsere Vorschläge nicht in derletzten Minute prüfen müssen, sondern dass Sie vernünf-tig mitberaten können. Wir werden uns als Parlamentarierdafür einsetzen, schon aus Gründen der Kollegialität.
– Ich habe Ihnen gerade schon gesagt, welches Parla-mentsverständnis ich habe, Herr Kollege Kalb.Ich bin der Meinung, dass wir darüber in Ruhe beratenmüssen. Ich glaube, es wird uns gelingen, ein vernünfti-ges Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung und füreinen Haushalt im Gleichgewicht zu schnüren.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzministerschloss seine Rede mit der Bemerkung ab, diese Regie-rung und natürlich vor allem er hielten Kurs. Herr Bun-desfinanzminister, das kam mir so wie bei Kolumbus vor:Auch er hat immer Kurs gehalten; aber als er ankam,wusste er nicht, wo er war.
So ist das auch bei Ihnen.Der Haushalt des Bundesfinanzministers Eichel ist wieeine Medaille, die bekanntlich zwei Seiten hat. Ich willdie eine Seite beleuchten, die aus Sicht der F.D.P.-Frak-tion durchaus positiv ist: Der Bundesfinanzminister willdie Schulden des Bundes senken. Wir finden, dass er da-bei durchaus auf dem richtigen Weg ist.
– Hören Sie doch einfach einmal zu! – Wir denken, er istdurchaus auf dem richtigen Weg, wenn er die 100 Milli-arden DM aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen al-lein für die Senkung der Schulden des Bundes benutzt.Mein Kollege Rexrodt hat schon am ersten Tag der De-batte gesagt: Das werden wir voll unterstützen. – Überdas, was mit den Zinsersparnissen zu geschehen hat, müs-sen wir uns im Haushaltsausschuss noch unterhalten. Ichbin der Auffassung, man könnte sie genauso zur Schul-densenkung oder zur Förderung des Mittelstandes ver-wenden. Ich kann mir auch noch das eine oder anderevorstellen. Wir sollten sie nur nicht verkleckern. Ich per-sönlich bin eher für Schuldensenkung.Herr Bundesfinanzminister, mit der Einnahme aus derVersteigerung der Lizenzen sind Sie ein wahrer Hans imGlück. Man könnte fast sagen: Sie sind wie ein Lotto-spieler, der alle Zahlen falsch getippt hat, aber trotzdemden Hauptgewinn bekommt.
Denn diese Einnahmen durch die Versteigerung der Li-zenzen war nur möglich, weil die frühere Koalition aus
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Matthias Berninger11472
CDU/CSU und F.D.P. die Privatisierung der Post vorge-nommen hat, und das gegen den erbitterten Widerstandvon Sozialdemokraten und Grünen.
Während die Grünen zu dieser Zeit sogar das Handy fürTeufelszeug gehalten haben, trat der heutige Bundes-finanzminister im Bundesrat massiv gegen die Privatisie-rung ein.
Ich sage noch einmal: Gut, dass unsere alte Koalitionnicht dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten ge-folgt ist.Aber es wird noch interessanter. Ich rate – leider ist kei-ner vom Bundespresseamt da –, einmal die ganzenReden, die Herr Eichel im Bundesrat gehalten hat, alsBroschüre herauszugeben. Die Republik würde staunen,was Sie alles gesagt haben. Ich kann Ihnen heute nur einekleine Kostprobe davon geben.
Herr Eichel sagte im Bundesrat als hessischer Minis-terpräsident:Aufgabe der Postreform ist nicht die Sanierung desBundeshaushaltes. Es muss sichergestellt werden,dass Verkaufserlöse bei der Post verbleiben und zurErfüllung ihres Auftrages wieder eingesetzt werdenkönnen. Kein Verständnis hätte ich dafür, wenn dieVerkaufserlöse an den Bund abgeführt würden.
So Hans Eichel als Ministerpräsident. Als Haushaltspoli-tiker der F.D.P. bin ich natürlich froh, dass wir HerrnEichel nicht gefolgt sind.Herr Bundesfinanzminister, da Sie uns hier einige Vor-haltungen gemacht haben – Sie werfen uns vor, frühernicht gespart zu haben –, erlauben Sie – es ist noch nichtlange her, genau drei Jahre – noch eine Kostprobe. Da ha-ben Sie der damaligen Bundesregierung im Bundesratvorgeworfen – ich habe das Protokoll bei mir –, sie sparezu viel. Sie sagten, Sie seien es leid, über das Sparen zureden. Sie haben den Wohnungsbau, das BAföG und eineganze Liste weiterer Punkte aufgeführt –
– und behauptet, wir brächten die Zukunftsfähigkeit un-seres Landes in Gefahr, wenn wir weiterhin so sparten.Das haben Sie uns noch vor drei Jahren vorgeworfen.Stellen Sie sich nicht hier hin und halten Sie nicht solcheReden, wie Sie es heute getan haben!
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind in einem Punktunehrlich:
Sie vergleichen sich immer mit Theo Waigel. Zu dessenPolitik könnte man zwar das eine oder andere sagen,aber Sie müssen sich mit Ihrem Vorgänger vergleichen.Der hieß Oskar Lafontaine und schmiss das Geld zumFenster raus.
Der Bundesfinanzminister – das ist jetzt die andereSeite der Medaille des Haushaltes – behauptet – das hat erauch heute gemacht; wir unterstützen das –: Es muss ge-spart werden. Wenn man sich den Haushalt anschaut,dann erkennt man: Er spart gar nicht. Bei Eichel bekommtdas Wort „sparen“ eine völlig neue Bedeutung: Abkassie-ren und das Geld in den eigenen Haushalt stecken, das istfür ihn sparen. Er hat auch davon gesprochen – dabei kön-nen wir ihm teilweise sogar folgen –, man dürfe nicht zuviele Wohltaten verteilen und man müsse wissen, wie dieGegenfinanzierung aussieht. „Gegenfinanzierung“ istübrigens sein Lieblingswort.
– Nein, hören Sie doch einfach einmal zu! Ich war beiIhrer Rede, glaube ich, der Ruhigste und das war ver-dammt schwer. Ich wäre dankbar, wenn Sie auch bei mirzuhören würden.
Bei Eichel sieht es folgendermaßen aus: Wenn aus sei-ner eigenen Fraktion oder aus der Koalition der Wunschgeäußert wird, Wohltaten – ich benutze den Ausdruck, denSie gebraucht haben – zu verteilen, dann sagt er: „Okay,das machen wir; aber wir brauchen die Gegenfinanzie-rung.“ Die Bürgerinnen und Bürger bekommen dann1 000 DM in die eine Tasche und aus der anderen nimmter ihnen 1 300 DM heraus. Das ist dann die „MethodeEichel“ der Gegenfinanzierung.
Real sieht es nämlich so aus – darauf wurde schon un-ter anderem vom Kollegen Rexrodt in seiner Rede hinge-wiesen –: Bürger und Unternehmen zahlten im Jahre 1999etwa 376MilliardenDM an den Bund; im Jahre 2004 wer-den es bereits fast 450 Milliarden DM sein. Das sind Gel-der, die die Steuerzahler zahlen, Herr Minister. Sie müs-sen doch immer wieder überlegen, was Sie von diesergroßen Summe an den Bürger zurückgeben können.
Wir als Freie Demokraten sind überhaupt der Auffassung,dass der Bürger besser mit dem Geld umgehen kann, alsSie es können.Nun – das möchte ich noch einmal unterstreichen –machen wir uns schon um die hohen Mineralöl- undHeizölpreise Sorgen. Herr Minister, Sie können nicht ein-fach sagen, die Bürger müssten das so tragen oder, wiees der Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig-Hol-stein sagte, auf die Urlaubsreise verzichten. So geht esnicht.
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Jürgen Koppelin11473
Angesichts des Vorschlags von den Grünen aus Schles-wig-Holstein, auf die Urlaubsreise zu verzichten, –
– fällt mir noch etwas ein – Herr Kollege Metzger, ichsehe Sie gerade –: Nach einer Forsa-Umfrage, die ichkürzlich gelesen habe, könnte sich jeder vierte Deutschevorstellen, mit Joschka Fischer Urlaub zu machen. Darauswird dann nichts, kann ich Ihnen da nur sagen.
Wenn wir uns über Ökosteuern sowie Benzin- undHeizölpreise unterhalten, dann darf ich Ihnen doch nocheinmal wieder zu Gehör bringen – das habe ich diese Wo-che ja schon einmal gemacht –, was der jetzige Bundes-kanzler als niedersächsischer Ministerpräsident in einemdpa-Interview 1997 gesagt hat. Er hat gesagt: Für die Bür-ger in den Flächenstaaten ist ein höherer Benzinpreis eineerhebliche Mehrausgabe. Die SPD muss in Kauf nehmen,dass die Leute dann die Schnauze von uns voll haben. –Das hat Schröder gesagt.
Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, dass Sieein Konzept anbieten werden, in dem es Entlastungen fürdie Bürger geben wird. Sie halten diesen Druck ja garnicht aus; das wissen wir. Ich kann mir einfach nicht vor-stellen, dass dieser Bundeskanzler, der ja den Ruf hat,auch ein Freund der großen Autobosse zu sein, gerne indie Geschichte als Heizöl- oder Benzinkanzler eingehenwill. Das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Wir wer-den einmal die nächsten Tage abwarten, was da kommenwird. Die Grünen werden dann wieder alles schlucken;davon sind wir fest überzeugt.Nun noch ein paar Punkte zum Haushalt, Herr Minis-ter.
Schauen Sie sich einmal Ihren Verteidigungshaushaltan. Ich weiß, wie schwer das ist. Aber mit diesem Vertei-digungshaushalt ist eine Reform der Bundeswehr nichtmöglich. Das steht eindeutig fest. Wie Sie uns das nochverkaufen wollen, zumal die entsprechenden Ergänzun-gen aus dem Ministerium, Frau Staatssekretärin, fehlen,werden wir ruhig abwarten.Wo setzt der Haushalt für Forschung und BildungAkzente? Ich kann Ihnen aufgrund der Zeit nur wenigePunkte nennen. Wo setzt er Akzente? Ich habe dazu nichtsgehört.
Straßenbau und vieles andere findet nicht statt.Deswegen sage ich zum Schluss, liebe Kolleginnenund Kollegen: Wir werden interessante Haushaltsbera-tungen im Haushaltsausschuss haben. Die Freien Demo-kraten werden sich daran beteiligen; das ist selbstver-ständlich. Wir werden aus der Oppositionsrolle herausversuchen, unsere Vorstellungen darzulegen. Unsere Vor-stellungen sind ganz klar: wo es möglich ist, Arbeitsplätzeschaffen, Arbeitsplätze schaffen und nochmals Arbeits-plätze schaffen. Diese Linie werden wir verfolgen.Vielen Dank für Ihre Geduld.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Von der ersten Minute diesereinwöchigen Redeschlacht bis zu den letzten Minuten fin-det hier offenbar vor allen Dingen eines statt: nämlichgegenseitige Schuldzuweisungen der früheren Koalitionan die jetzige und der jetzigen an die frühere. Dabei wirdmitunter auch noch Lautstärke mit Argumentationsstärkeverwechselt.Ich kann Ihnen nur sagen: Wer arbeitslos ist, als Bau-arbeiter oder in einem anderen Beruf seinen Lebensun-terhalt bestreiten muss, wer als Elternpaar für seinenzwölfjährigen Sohn bzw. seine zwölfjährige Tochter sichdarum Sorgen machen muss, ob in vier Jahren eineLehrstelle zu finden ist, wer als Rentner bzw. Rentnerinmit um 0,6 Prozent angehobenen Rentenbezügen in die-sem Jahr eine 1,8-prozentige Inflationsrate verkraftenmuss oder wer als Pendler – in Ostdeutschland sind dasimmerhin 500 000 Menschen – mit den explodierendenSpritkosten konfrontiert ist, dem nützen gegenseitigeSchuldzuweisungen überhaupt nichts.
Der möchte Lösungsangebote haben, damit er sichzwischen den jeweiligen politischen Kräften entscheidenkann.Was konkrete Lösungsangebote anbetrifft, sah dashier eher mager aus. Ich habe gehört, dass den Rentnernempfohlen wird, sich Energie sparende Heizgeräte anzu-schaffen, und den Pendlern empfohlen wird, endlich ein-mal einen ADAC-Lehrgang für Sprit sparendes Fahren zubesuchen. Das kann man alles empfehlen, aber insgesamtsind das, wie ich finde, ärmliche Vorschläge.
Herr Minister, in dieser Schlussrunde wäre Gelegen-heit gewesen zu sagen: Denken Sie nicht vielleicht doch aneine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale?
Wie wollen Sie den öffentlichen Personennahverkehr soentlasten, dass er auch noch von den Leuten genutzt wer-den kann, die nicht besonders viel Geld in der Tasche ha-ben? Und haben Sie nicht vielleicht doch vor – hoffent-lich; man konnte im Sommer so etwas hören –, die
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Jürgen Koppelin11474
Nettolohnformel für die Anpassung der Renten wiedereinzuführen? Heute wäre Gelegenheit gewesen, solcheSignale zu senden; –
– denn die Bürgerinnen und Bürger, die uns zugehört undzugeschaut haben, warten auf Signale.Herr Minister, Sie sagen: Sollen doch die Brummifah-rer, sollen doch die von den Spritpreisen betroffenenMenschen ihren Frust bei der OPEC und bei den Ölkon-zernen ablassen. – Diese haben aber leider keine gewähl-ten Vertreter. Die gewählten Vertreterinnen und Vertreterdes Volkes sitzen hier. Daher muss hier die Debatte dazustattfinden und daher muss hier eine Antwort gegebenwerden.
Ich finde es reichlich absurd, wenn der Außenministerdieser Koalition vor der UNO sagt: Wir müssen alles tun,um die schädlichen Marktkräfte in der Welt einzudäm-men – was ich natürlich unterstreiche. Aber wenn die ei-gene Regierung zu Hause sagt: „Gegen diese schädlichenMarktkräfte können wir leider nichts tun, die müssen wirhinnehmen“, ist das ein bisschen absurd.
Nie ist in diesem Hause – ich kann mich jedenfallsnicht erinnern – innerhalb einer Woche so häufig von denInteressen künftiger Generationen die Rede gewesen wiedieses Mal. Das ist zu begrüßen. Es ist natürlich richtig,dass die Interessen künftiger Generationen bei der Vertei-lung öffentlicher Steuergelder schon heute vertreten wer-den. Das ist unbestritten und das unterstützen wir.Wir unterstützen als PDS – das mögen Sie vielleichtnicht erwartet haben – den eingeschlagenen Kurs derHaushaltskonsolidierung, wenngleich wir sagen: DasGanze darf nicht zum Selbstzweck werden. Schon heutewirft Ihnen das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-schung vor, dass ein übergroßer Spareifer auch Problemefür die Zukunft aufwerfen kann.
Diesen Aspekt werden wir in den weiteren Haushalts-beratungen stark beachten.Also: Haushaltskonsolidierung in jedem Falle, aber siedarf nicht zum Selbstzweck werden.Es sind ja nicht nur die Finanzschulden, die die jungeGeneration belasten. Unsere Kinder und Kindeskindersind auch belastet, wenn ihre, in vielen Fällen hoch quali-fizierten, Eltern arbeitslos sind, wenn ihre berufserfah-renen Großeltern frühverrentet werden.
Das ist für die junge Generation eine Bürde. Daher musses dabei bleiben, dass Zukunftssicherung nicht erst mitder Haushaltskonsolidierung beginnt, sondern schon mitder Bekämpfung der aktuellen Arbeitslosigkeit.
Dabei stößt mir zweierlei bitter auf; ich will es in allerKürze noch hier andeuten. Sie setzen, wie die frühere Ko-alition, darauf, dass die Arbeitslosigkeit durch Steuer-senkungen für die Unternehmen bekämpft werden kannund muss, was Sie auch tun.
Außerdem setzen Sie auf die Einführung neuer Technolo-gien und anhaltenden Exportboom. Es bleibt jedoch da-bei, dass sehr viele Unternehmen trotz sinkender Steuernnoch in diesem Jahr in Konkurs gehen werden.
Es bleibt auch dabei, dass es in vielen Bereichen des ge-sellschaftlichen Lebens Arbeit gibt, die leider nicht ratio-nalisierbar ist: Auch wenn Sie die Unternehmensteuernauf null zurückfahren würden, würden Private in bestim-mten Bereichen keine Arbeit anfassen.Ich nenne nur den sensiblen Bereich Kinder- undJugendarbeit, in dem es in diesem Lande geradezubrennt. Jeder von uns bekommt Briefe von betroffenenVerbänden und Vereinen. Eine Vereinsvorsitzende ausdem Be-reich der Evangelischen Kirche in Berlin-Bran-denburg hat mir geschrieben, dass sie morgen vor diedann ge-schlossenen Räume treten und den Kindern – essind meis-tens verhaltensgestörte Kinder – sagen muss:Kinder, es liegt nicht an euch, aber es gibt kein Geld.
Sie sagt zu mir: Wenn Sie mich kennen, ahnen Sie, wiemir zumute sein wird. – Ich kann es ihr nachfühlen.Wir als PDS werden daher ein Modellvorhaben in dieHaushaltsberatungen einbringen, um zu zeigen, wie manim Bereich Kinder- und Jugendarbeit feste Stellen schaf-fen kann. Das kann man nicht den Kommunen überlassen,weil es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Luft,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Die sich ergebenden Kosten
sind nicht höher, als zum Beispiel die Steuerbefreiung für
Flugbenzin ausmacht.
Aufgrund meiner abgelaufenen Redezeit kann ich ein
weiteres Problem nicht mehr ansprechen. Nur so viel
möchte ich noch sagen: Wenn Sie das Programm gegen
Jugendarbeitslosigkeit weiter so finanzieren – wir haben
uns diesbezüglich immer mit Kritik zurückgehalten –,
dann wird es die Steuerzahler nach drei Jahren 6 Milliar-
den DM gekostet haben, ein beträchtlicher Batzen Geld.
Wenn Sie sich endlich entschließen würden, die Unter-
nehmen, die sich aus der Finanzierung der Ausbildung
heraushalten, mit einer Ausbildungsplatzumlage zu bele-
gen, –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ichmuss Sie noch einmal ermahnen.
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Dr. Christa Luft11475
– dann würden wir jedes
Jahr 2 Milliarden DM für andere Zwecke im Haushalt
zur Verfügung haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner ist
der Kollege Hansgeorg Hauser für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Am Ende der mehrtägigen Debatte zur Ein-bringung des Haushalts 2001 bleibt eine wichtige Frageunbeantwortet.
Wer die Debatte zur Finanz- und Steuerpolitik dieser Re-gierung verfolgt hat, fragt sich unwillkürlich, was aufsei-ten dieser Regierung und der sie tragenden Regierungs-fraktionen denn nun größer sei: die Blindheit, die Sturheitoder die Arroganz.
Trotz eindeutiger Zahlen über die eklatanten Preisstei-gerungen in allen Energiebereichen tut die Regierung so,als wäre alles ganz normal verkraftbar. Der Anstieg der In-flation wird nicht zur Kenntnis genommen. Die Belastun-gen der Wirtschaft werden als das übliche Gejammeredargestellt. Die Sorgen der Bürger, insbesondere der klei-nen Leute, werden damit abgetan, dass soziale Härtefällemit ein paar Mark Ausgleich geregelt werden könnten –und das natürlich in der für Sozialdemokraten typischenArt: mit riesigem bürokratischem Aufwand und mithilfeder Erfindung neuer Beihilfen. Es wird wahrscheinlichein neuer Bezugsscheinbürokratismus kreiert werden.
Es ist bezeichnend, dass man das Ganze auf die Sozial-hilfe abwälzen will; denn die zahlen die Kommunen. DieRegierung ist dafür nicht zuständig.Diese Regierung ist offensichtlich blind und taub ge-genüber Warnungen, dass die anspringende Konjunktureinen deutlichen Schaden erleiden könnte. So gesehen istes natürlich verständlich, dass der Bundeskanzler einenniedrigeren Euro als gut für die Wirtschaft bezeichnet undsich damit seines soeben gewonnenen Titels wahrhaftwürdig erweist.Sicher ist es richtig, dass ein Teil der Preissteige-rungen nicht alleine die Regierung zu vertreten hat. Aber,sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, nach Ihremdramatischen Auftritt vorgestern, –
– muss ich sagen: Sie hätten schon einmal an das Ge-schachere zwischen Ländern und Bund zur Finanzierungder Einheit erinnern können. Der Bund hatte als einzigeMöglichkeit nur die Erhöhung der Mineralölsteuer, weildies die einzige Steuer ist, die ihm zufließt. Die anderenSteuern hätten alle nur mit Beteiligung der Länder erhöhtwerden können. Diesen Punkt sollten Sie schon einmalrichtig stellen.
Aber der auf die Regierung zurückzuführende Anstiegaufgrund der Erhöhung der Mineralölsteuer und der aufden Bund entfallende Anteil bei der Mehrwertsteuer sindein wesentlicher Teil dieser Preissteigerungen.Absolut alleine zu vertreten hat die Regierung den Un-fug mit der Ökosteuer. Es ist schon mehrfach ausgeführtworden, dass diese Steuer weder ökologisch sinnvoll nochsteuersystematisch vertretbar und schon gar nicht sozialgerecht ist. Was hat denn der Rentner davon, dass dieBeiträge gesenkt werden? – Gar nichts. Er darf nur dieKosten dafür tragen. Diese Politik machen Sie, obwohlSie doch immer die kleinen Leute vertreten wollen.Die Regierung vertritt stur die Haltung, dass dieseSteuer notwendig ist und eines ihrer Meisterstücke dar-stellt. Lenkungseffekte für ein besseres ökologisches Ver-halten sollen von ihr ausgehen. Der Bürger hat aber längstgemerkt, dass es – wie einst bei dem 5-Mark-Beschlussder Grünen – nur auf eines hinausläuft: Man will demBürger vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat,wann und wie oft er mit dem Auto fahren darf, wie schneller unterwegs sein darf und welches Auto er letzten Endesfahren darf.Dass die ökologische Lenkungswirkung ein Märchenist, hat sich längst herausgestellt. Bei der unlogischenKonstruktion des Gesetzes, wonach beispielsweise rege-nerative Energiequellen nicht von der Besteuerung aus-genommen sind und obendrein öffentliche Verkehrsmittelzusätzlich belastet werden, ist dies kein Wunder.Auch – wie immer wieder behauptet wird – die aus-schließliche Verwendung der Einnahmen zur Finanzie-rung des Zuschusses an die Rentenkasse ist längst aufge-deckt und nimmt Ihnen niemand mehr ab. Diese sys-temwidrige Finanzierung wird Sie nicht davor bewahren,im Rentenbereich erhebliche Kostenreduzierungsmaß-nahmen durchzuführen und die Augen gegenüber denGenerationsveränderungen aufzumachen.Herr Bundesfinanzminister, wie alle Vorredner ausmeiner Fraktion kann ich Sie nur auffordern, den Unfugmit der Ökosteuer endlich zu beenden.
Dazu gibt es eine gute Gelegenheit: Stimmen Sie unseremEntwurf eines Ökosteuerabschaffungsgesetzes, das wireinbringen werden, zu.
Diese Aufforderung wird in einer arroganten Art undWeise missachtet und einfach nur als Druck von derStraße diffamiert. Das wird Ihnen sicher noch einmal
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Leid tun. Wer den Brummifahrern vorwirft, sie würdenMaßnahmen vorbereiten, die den Straftatbestand derNötigung erfüllen, zeigt, dass er von deren Sorgen keineAhnung hat.
Der Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr,Logistik und Entsorgung, des BGL, Hermann Grewer, istein sehr besonnener und intelligenter Mensch.
Ihm vorzuwerfen, er erarbeite Aufmarschpläne, und ihndamit mit Chaoten und Gewaltdemonstranten gleichzu-stellen ist eine Unverschämtheit.
Wenn in ihrer Existenz gefährdete Bürger zu Demon-strationen aufrufen, dann regt sich der Bundeskanzler auf.Als in Hannover die Chaoten randalierten, hat dies den da-maligen niedersächsischen Ministerpräsidenten weniggekümmert.
Wenn Sie den Bürgern vorschlagen, langsamer zu fahren,dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn dieser Ratvon den Brummifahrern befolgt wird.
Die Folgen können Sie verantworten.Der Gipfel der Arroganz – das ist schon erwähnt wor-den – ist die Äußerung des Vorsitzenden der Grünen inSchleswig-Holstein, dass auf den Urlaub verzichtet wer-den müsse. Die „Bild“-Zeitung hat es richtig erkannt, alssie fragte: Sind die Sorgen der Menschen, die um ihreExistenz bangen, Nebensache?Angesichts eines Kanzlers, der im Himmel schwebt,eines Finanzministers, der vor Kraft nicht mehr laufenkann, –
– und eines Außenministers, der die Freundschaft mit ei-nem Nachbarstaat zerstört hat und sich lieber mit dem Öl-multi Gaddafi trifft, ist es kein Wunder, dass sich die Be-völkerung fragt, ob diese Regierung noch etwas mit ihrenBürgerinnen und Bürgern zu tun haben will.
80 Prozent der Deutschen lehnen die Ökosteuer ab.Eine Umfrage der „Woche“ hat ergeben, dass 60 Prozentsogar bereit sind, die Regierung mit Aktionen in die Kniezu zwingen. Das sollte Ihnen die Augen öffnen und Sie zueiner Umkehr von diesem falschen Weg bewegen.Auch bei der Steuerreform ist nach anfänglicher Eu-phorie schnell Ernüchterung eingetreten. Sie haben in denSommermonaten Ihren Triumph genossen, Verhandlungs-partner über den Tisch gezogen zu haben und auf Teufelkomm raus eine Steuerreform umzusetzen. Erste Repara-turarbeiten werden bereits vorgenommen. Denn nichtsanderes ist das Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wirjetzt beschließen sollen.Das Urteil über die Steuerreform bleibt unsererseitstrotzdem bestehen: Entlastungen kommen zu spät. Dievorgesehenen Steuersatzsenkungen sind ungerecht, weilnicht rechtsformneutral verteilt, und der Systemwechselvom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahrenbringt erhebliche Komplizierungen und führt zu neuenUngerechtigkeiten.Lassen Sie mich ganz kurz drei Beispiele aufführen,die zeigen, dass diese Gerechtigkeitslücke zu einemScheunentor geworden ist: Veräußerungsgewinne – Siekennen das Thema – werden in dreifacher Hinsicht voll-kommen unterschiedlich behandelt. Bei einer Kapital-gesellschaft wird die Beteiligungsveräußerung steuerfreibelassen. Bei einer natürlichen Person, die einen Anteil aneiner Kapitalgesellschaft hat, gilt das Halbeinkünftever-fahren. Kommt es zu einer Veräußerung eines Einzelun-ternehmens oder einer Beteiligung an einer Personen-gesellschaft, wird das Ganze voll besteuert.
Ein weiteres Beispiel sind die Steuerbelastungen beigewerblichen Einkünften. Auch diese werden vollkom-men unterschiedlich behandelt. Gewerbliche Einkünfteaus einer Personengesellschaft oder einem Einzelunter-nehmen unterliegen in voller Höhe der Einkommensteuer,wenn der Spitzensteuersatz erreicht wird. Dieser Satz be-trägt im Jahre 2001 immerhin noch 48,5 Prozent.Die Gewinne der Kapitalgesellschaften werden mit25 Prozent besteuert. Hier ist es ein großer Unterschied,ob die Gewinne im Inland erwirtschaftet werden oder obsie beispielsweise aus einer Beteiligung im Ausland stam-men, denn die Erträge aus der Beteiligung an ausländi-schen Gesellschaften sind in Deutschland völlig steuer-frei.International tätige Unternehmen werden sich daherkünftig sehr genau überlegen, ob sie Investitionen inDeutschland oder im Ausland tätigen. Genau an dieserStelle wird Ihr Anliegen, dass die Steuerreform einenbeschäftigungspolitischen Erfolg erzielt, zum Scheiternverurteilt sein. Die Überlegungen, ob künftig mehr imAusland investiert werden soll, sind bereits in vollemGange.Dazu trägt auch bei, dass künftig Auslandsverluste imInland nicht mehr geltend gemacht werden können, mitdem Ergebnis, dass risikobehaftete Investitionen eher inDeutschland durchgeführt werden und ertragreiche Inves-titionen eher im Ausland.Experten tüfteln vielfach, weil sie alle den Schluss ge-zogen haben, dass beim Schritt über die Grenze die frühe-ren Personengesellschaftsstrukturen an Bedeutung verlie-ren und durch Konzernsachverhalte ersetzt werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Hansgeorg Hauser
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Durch den Wegfall des Anrechnungsverfahrens und denÜbergang auf das Halbeinkünfteverfahren steigt die At-traktivität von Auslandsinvestitionen. Daher wird denMandanten in allen großen Kanzleien empfohlen, im Aus-land und nicht mehr im Inland zu investieren.Herr Poß, Sie können den Menschen – Sie haben amWochenende auf Ihrem Parteitag Gelegenheit dazu – er-klären: Früher haben die großen Gesellschaften relativwenig Steuern gezahlt – so haben Sie es immer behaup-tet –, jetzt zahlen sie gar keine mehr. Das ist der Erfolg Ih-rer Politik.
Genauso ist es bei den Dividenden. Bei deren Be-steuerung gilt die gleiche Problematik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
verehrten Damen und Herren! Es gehört zu den Abson-derlichkeiten dieser Debatte, dass ausgerechnet der Hei-zer des Schuldenzugs von Herrn Waigel in dieser Formüber die Bundesregierung herzieht.
Als Sie geschürt haben, sind die Schulden gestiegen. HerrKollege Hauser, erinnern Sie sich bitte daran.Zu den Absonderlichkeiten dieser Debatte gehört auch,dass vonseiten der CDU/CSU und F.D.P. überhaupt keinkonkreter Vorschlag zum Haushalt gekommen ist. Ich be-daure das. Nur Frau Luft hat einige Punkte genannt, diedurchaus diskussionswürdig sind. Wir hätten gern überVorschläge diskutiert, wenn nicht ständig durch die De-batte über die Ökosteuer vom Thema abgelenkt wordenwäre. Auch dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
Ich gehe zunächst auf etwas ein, das mich als Sozial-demokrat furchtbar geärgert und tief getroffen hat.
– Ich bin sonst sehr hart im Nehmen, Herr KollegeRepnik. Ich halte viel aus und ich teile viel aus. Wenn sichaber ein Herr Merz hier hinstellt und die Sozialdemo-kratie im Zusammenhang mit der WiedervereinigungDeutschlands diffamiert, dann erwarte ich, dass FrauMerkel endlich einmal den Mund aufmacht, ihn zurecht-weist und sich bei allen Sozialdemokraten in Deutschlandentschuldigt.
Ich nenne Ihnen Herbert Wehner, der Mann für Mannaus den Gefängnissen der DDR geholt hat, als Sie nochgar nicht daran dachten, mit den Herrschenden zu reden.Soll ich an den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt er-innern? Muss ich andere wie Helmut Schmidt nennen?Hätte Helmut Schmidt durch seine Gespräche mit denFührern der DDR nicht für Verständigung gesorgt, hätteHelmut Kohl nicht den roten Teppich in Bonn ausrollenkönnen, über den Herr Honecker schreiten konnte.Erhard Eppler, Hans-Jochen Vogel und viele andere,Tausende von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-ten haben sich bemüht. Sie haben mit heißem Herzen fürdie Wiedervereinigung gekämpft, die dann die Menschenin der DDR – und nicht Sie – verwirklicht haben. Sie wa-ren das nicht, Sie waren wie auch wir nur Zuschauer imWesten.
– Sie haben das auch noch fortgesetzt, Herr Kollege Kalb.Die Sozialdemokratie hat hier im Deutschen Bundestagder Verabschiedung des Einigungsvertrags einstimmigzugestimmt, während 13 Kolleginnen und Kollegen derCDU/CSU den Einigungsvertrag abgelehnt haben. Es istscheinheilig, wie Sie sich hier aufführen.
Wie ist das mit den Blockflöten, die hier noch am Mitt-woch geklatscht haben? Die Blockflöten waren an jederSED-Regierung der DDR beteiligt. Es gab nie eine Al-leinregierung der SED. Es war immer die Bauernparteidabei. Es war immer die Ost-CDU, die bei Ihnen gelandetist, an der Regierung beteiligt. Sie waren am Mord durchden Schießbefehl an der Mauer beteiligt. Sie waren immerbeteiligt, wenn irgend eine Schmutzigkeit gegen die Men-schen in der DDR gemacht wurde. Damit sollten Sie ein-mal in Ihren Reihen aufräumen.
Nun zur Ökosteuer.Ein schlimmeres und makabereresSpiel als das, was Sie zurzeit mit den Betroffenen treiben,hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gege-ben. Das ist ein ganz makaberes Spiel.Ich gebe nur wieder, was Martin Hüfner, der Chef-volkswirt der bayerischen Hypovereinsbank, im ZDF ge-sagt hat. Er hat gesagt: Die Ökosteuer muss bleiben. Nunkann es sein, dass Sie zu einem bestimmten Konzern– hier denke ich an Elf Aquitaine und an die Minol-Über-nahme, die Übernahme der Tankstellen der ehemaligenDDR – natürlich eine besondere Affinität besitzen. Dieswird zumindest in den Büchern in Frankreich behauptet.Denn wo sonst sollen die ganzen Spenden herkommen,über die Herr Kohl nicht zu sprechen wagt? Elf Aquitaine
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Hansgeorg Hauser
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ist immerhin ein großer Benzinkonzern, der natürlich diePreise auch erhöht.
– Herr Kollege, er ist inzwischen in Lyon angesiedelt, Siekönnen mal hinfahren und gucken. Reden Sie einmal mitIhren Spenderfreunden, vielleicht senken sie in diesemZusammenhang ja die Preise.Heute morgen hat der Hauptgeschäftsführer des Ar-beitgeberverbandes Gesamtmetall, Hans Werner Busch,laut ddp erklärt, er befürworte die Ökosteuer. Im„Deutschlandradio Berlin“ begründet Busch dies heutemit den positiven Effekten der Ökosteuer auf den Ar-beitsmarkt. Er führte weiter aus, eine Abschaffung hätteeine Erhöhung der Beiträge und damit eine Erhöhung derLohnnebenkosten zur Folge. Die Entwicklung derArbeitsplätze wäre gefährdet. Und Herr Busch ist keinausgewiesener Sozialdemokrat, eher ein F.D.P.-Mann,wie wir wissen.Wenn Sie schon über diese ganzen Erhöhungen reden:Der Biodiesel hat zur Zeit die höchsten Preissteigerungenund dies hat mit unserer Ökosteuer überhaupt nichts zutun. Fragen Sie einmal Ihre Landwirtsfreunde, die heuteauf dem Traktor sitzen und hier in der Gegend herumfah-ren, warum sie den Biodiesel so teuer machen. Warummachen sie ihn denn nicht billiger, wenn das wirklich einProdukt sein soll, das weltweit verbreitet werden soll?Ich schenke es mir, noch einmal darauf einzugehen,was hier die Frau Kollegin Merkel gesagt hat. Interessan-terweise hat sie als Parteivorsitzende von Dienstagmittagbis eben, als sie verschwunden ist, standhaft den Mundgehalten. Zum Haushalt oder zur politischen Auseinan-dersetzung hat sie offenbar gar nichts zu sagen. Ich be-daure das außerordentlich, denn ich würde gern hören, woes mit der CDU eigentlich langgeht. Aber das ist nicht er-kennbar.Ich werde auch Herrn Merz nicht mehr zitieren, der imNovember 1998 noch gesagt hat, durch die Ökosteuersollten Einnahmen erzielt werden, um Sozialabgaben zureduzieren. Dies hat Herr Merz gesagt. Am Mittwoch hatHerr Merz jetzt eines gefordert – das ist klar –, nämlichdie Nettokreditaufnahme in Deutschland um 22Milliar-den DM zu erhöhen; denn der Wegfall der Ökosteuerwürde einen Wegfall von 22 Milliarden DM bedeuten.
Er sagte dazu, dass wir diese Summe auf die Nettokredit-aufnahme draufschlagen müssten, damit wir die Höhe derRentenversicherungsbeiträge überhaupt halten könnten.Das ist die Logik seiner Ausführungen.
Nach dem, was die CDU hier vorgetragen hat, entsprichtdas einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge auf21 Prozent.Mit den 22 Milliarden DM kämen wir dann an diedenkwürdige Grenze des Artikel 115 des Grundgesetzes:Der Haushalt wäre verfassungswidrig.
Was Herr Merz hier vorschlägt, ist eine Aufforderung andie Koalition, das Gesetz zu brechen.
Dies ist eine Aufforderung an die Koalition, die Nettokre-ditaufnahme so zu erhöhen, dass der Haushalt 2001 ver-fassungswidrig wird. Für wie doof halten Sie uns eigent-lich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU?
Dass wir einen solchen Blödsinn nicht mitmachen, istdoch wohl selbstverständlich.Herr Gysi – um auch hier einen Punkt aufzugreifen –schlägt vor, man solle von den Einnahmen aus der Ver-steigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 100 Milli-arden DM 10 Milliarden DM für andere Zwecke verwen-den. Dazu kann ich nur sagen: Er muss sich dasHaushaltsgesetz für das Jahr 2000 durchlesen. Auch diePDS muss dieses Gesetz einhalten. Darin steht ausdrück-lich, dass die Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Li-zenzen in den Bundeshaushalt zur Schuldentilgung auf-genommen werden, und zwar in ihrer Gesamtheit. Mankann keinen Teil davon wegbrechen und damit machen,was man will. Auch dies gehört zur Redlichkeit der Poli-tik.Herr Gysi – auch wenn er nicht mehr im Saal ist –, wirhaben nicht vor, die Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlichder AB-Maßnahmen schlechter zu stellen. Dies bleibt fürdie neuen Länder genauso, wie auch die Finanzhilfen zurVerbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Sieinfrage gestellt haben, erhalten bleiben.
– Gut, wir können darüber diskutieren. Dies sollte alles sobleiben, wie es war.Herr Austermann hat mir gesagt, er müsse früher weg.Ich habe ihm aber ordnungsgemäß gesagt, ich würde ihnjetzt beschimpfen. Er hat heute morgen Ihr Leib- und Ma-genblatt, die „Bild“-Zeitung, zitiert. Er legte dem armenHerrn Pierer die Überschrift der „Bild“-Zeitung in denMund und behauptet, er hätte gesagt: „Die Ökosteuerlähmt unseren Aufschwung“.Jetzt lese ich einmal nach, was Herr Pierer in dem In-terview wirklich gesagt hat. Er sagte auf eine entspre-chende Frage:Davon halte ich gar nichts! Man sollte sich über dieÖkosteuer noch einmal unterhalten.– Ist das so schlimm? Aber Austermann zitiert Pierer. Pie-rer habe gesagt, weg mit der Ökosteuer, sie lähme dieWirtschaft. Nachdem Herr Pierer der CDU eine Telefon-anlage finanziert hat – Siemens spendierte ja der CDUeine Telefonanlage –, kann es sein, dass das die Dankbar-keitsretourkutsche war.
Das ist über einen Konzern bekannt geworden. Die An-lage ist in Potsdam installiert worden. – Herr Koppelin,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. September 2000
Hans Georg Wagner11479
Sie beugen sich interessiert vor. Ich verstehe: Sie wollenwissen, wie Sie für die F.D.P. Geld einsparen können.
Das geht bis zu Herrn Däke. Herr Däke ist Ihnen be-kannt. Er ist Ihr Kronzeuge vom Bund der Steuernicht-zahler. Er erklärt, man solle doch bitte das Kfz-Steuer-Änderungesetz von 1997 aufheben. Er meinte, uns ansLeder zu können bei einem Gesetz, das Sie verabschiedethaben. Er geht also mittlerweile gegen Sie. Seien Sie alsobitte vorsichtig, wenn Sie ihn als Kronzeugen aufrufen. Erist in der Tat ein schlechter Kronzeuge dafür, wenn es umirgendwelche steuerlichen Überlegungen geht.Kurzum, meine Damen und Herren, wir haben bei die-sem Haushalt Folgendes festzustellen: Der Regierungs-entwurf verlässt heute, in diesen Minuten, die Regierungund wird zum Entwurf des Parlamentes. Sie brauchen sichdeshalb gar keine Gedanken zu machen. Wir Abgeordnetewerden alles ordnungsgemäß beraten, wie es sich imDeutschen Bundestag gehört. Wir werden diesen grund-soliden Haushalt mit unserer und – so hoffe ich jeden-falls – mit Ihrer Mitwirkung verabschieden und die Kon-solidierung fortsetzen. Ich bin sicher, dass wir auf gutemWege sind, insbesondere im Interesse unserer Kinder undKindeskinder.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4000 und 14/4001 an den Haushalts-
ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich möchte mich ausdrücklich bei all denjenigen be-
danken, die es bis zum Ende des Sitzungsmarathons die-
ser Haushaltswoche ausgehalten haben. Mein Kompli-
ment an Sie.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 27. September 2000, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen, auch Ihnen oben auf der Tribüne,
ein interessantes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.