Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 116. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte zunächst um ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Berlin, Kalbfell, Giencke, Stahl, Meyer , Dr. Horlacher, Hilbert, Roth, Dr. von Golitschek, Dr. Reif, Jahn, Volkholz und Rische.
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Deutscher Bundestag - 118. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1981 4397
Für längere Zeit sucht um Urlaub nach Frau Abgeordnete Thiele, und zwar für 4 Wochen, wegen Krankheit.
Ich nehme an, daß das über eine Woche hinausgehende Urlaubsgesuch der Frau Abgeordneten Thiele wegen Krankheit genehmigt ist. — Das ist der Fall.
Der Abgeordnete Leonhard ist nach seinem Autounfall am 18. Oktober 1950 wiederhergestellt und nimmt an den Sitzungen des Bundestags wieder teil. Ich begrüße ihn und freue mich über seine Genesung.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen folgenden Vorschlag zur Ergänzung der Tagesordnung zu machen. Es ist ein als dringlich gekennzeichneter Antrag der Abgeordneten Dr. Schröder , Dr. Koch, Dr. Preusker und Genossen betreffend Untersuchung über die Lage der Eiektrizitäts- und Gaswirtschaft auf Drucksache Nr. 1847 eingegangen, die verteilt ist. Ich schlage Ihnen vor, diesen Punkt im Anschluß an die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft, also nach Punkt 12 der Tagesordnung einzuschieben. Ich nehme an, daß das Haus mit der Behandlung der Drucksache Nr. 1847 an dieser Stelle einverstanden ist. —
Ich habe Ihnen weiter auf Grund einer Mitteilung des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität vorzuschlagen, den Punkt 17 betreffend Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Dr. Kather von der Tagesordnung abzusetzen, da sich die Notwendigkeit herausgestellt hat, diese Frage noch einmal im Ausschuß zu erörtern. — Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Weiterhin hatte zur Festsetzung der Tagesordnung der Abgeordnete Dr. Oellers ums Wort gebeten. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der heutigen Tagesordnung steht als Punkt 8 die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das landwirtschaftliche Pachtwesen und als Punkt 9 die erste Beratung des Entwurfs eines Bundes-Jagdgesetzes. Die Drucksachen konnten den Abgeordneten des Hohen Hauses erst im Laufe des vorgestrigen Nachmittags zugestellt werden, so daß die Frist des § 36 Abs. 1 der Geschäftsordnung nicht gewahrt ist. Unter diesen Umständen bittet meine Fraktion darum, entweder diese beiden Punkte heute von der Tagesordnung abzusetzen oder im Gegensatz zu dem Vorschlag des Ältestenrats, der eine Diskussionszeit von je 60 Minuten für beide Punkte vorsah, auf eine Diskussion zu verzichten und die beiden Gesetzentwürfe in erster Lesung ohne Debatte in die entsprechenden Ausschüsse zu geben. Ich bitte also den Herrn Präsidenten, an das Hohe Haus die Frage richten zu wollen, ob eine Verabschiedung in erster Lesung ohne Debatte erfolgen soll. Im andern Fall bitte ich, meinen Antrag entgegennehmen zu wollen, die beiden Punkte heute von der Tagesordnung abzusetzen.
Des weiteren stelle ich für meine Fraktion den Antrag, den Punkt 10 der Tagesordnung, der sich mit dem Recht der Kriegsdienstverweigerung befaßt, von der Tagesordnung abzusetzen, da uns nach der politischen Situation die Erörterung dieses
Punktes im Interesse des deutschen Volkes nicht g zweckmäßig erscheint.
Wir stellen infolgedessen den Antrag, diesen Punkt der Tagesordnung bis zum Abschluß der vorgesehenen Viermächtekonferenz zurückzustellen und solange von der Tagesordnung abzusetzen.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Anträge gehört. Zunächst darf ich zur Frage der Tagesordnungspunkte 8 und 9 eine Klärung herbeifuhren. Die von Herrn Kollegen Dr. Oellers vertretene Auffassung entspricht nicht, soweit ich unterrichtet bin, der Praxis des früheren Reichstags und auch nicht, soweit ich es übersehen kann, der Praxis dieses Hauses. Bei der Berechnung der Fristen sind die Tage der Verteilung der Drucksachen und der heutige Tag mitgerechnet worden, so daß an sich die Frist durch eine Verteilung vorgestern gewahrt wäre. Darf ich aber an Sie die Frage richten, ob das Haus bereit ist — was ich im Interesse der Erledigung unserer heutigen Tagesordnung überhaupt für wünschenswert halten würde —, von der an sich vom Ältestenrat vorgesehenen Besprechung der Punkte 8 und 9 der Tagesordnung, für die je 60 Minuten Diskussionszeit vorgeschlagen waren, abzusehen und damit einverstanden zu sein, daß diese Punkte ohne Aussprache an die Ausschüsse überwiesen werden? Ich glaube nicht, daß dadurch irgend etwas in der Behandlung wesentlich verändert wird. Darf ich die Zustimmung des Hauses unterstellen?
— Das Haus ist damit einverstanden. Meine Damen und Herren, dann wollen wir so verfahren. Dann hat sich der Antrag des Abgeordneten Dr. Oellers zu den Punkten 8 und 9 der Tagesordnung erledigt.
Zu Punkt 10a) und b) der Tagesordnung wünscht der Abgeordnete Dr. Reismann das Wort zu nehmen.
Ich darf das dahin verstehen, Herr Präsident, daß ich zur Geschäftsordnung sprechen soll und nicht zur Sache selbst.
Zur Geschäftsordnung!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich widerspreche namens meiner Fraktion dem Antrag der CDU-Fraktion
auf Absetzung des Punktes 10 von der Tagesordnung. Wir sind im Gegenteil der Ansicht, daß es jetzt die höchste Zeit und die richtigste Zeit ist, darüber zu sprechen. Man muß sich überlegen, daß unser Zentrums-Antrag, die Bundesregierung zu ersuchen, von sich aus ein Gesetz zu Art. 4 des Grundgesetzes vorzulegen, schon seit vielen Monaten vorliegt und daß seine Behandlung bisher immer wieder verschoben worden ist. Ich will niemand dafür verantwortlich machen, ich stelle nur die Tatsache fest, daß er
heute erst auf der Tagesordnung steht. Ihn nunmehr zu verschieben, würde nicht nur bei der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch weit darüber hinaus mit Recht den Eindruck erwecken, als wolle dieses Hohe Haus einer Erörterung dieser Frage aus dem Wege gehen, als wenn in der Zwischenzeit hier eine Art von Tarnwand aufgebaut werde, hinter der sich die Dinge vollziehen, von denen wir nach angemessener Zeit als vor vollendeten Tatsachen stehen. Nehmen Sie damit einmal zusammen, daß durch eine Indiskretion amerikanischer Nachrichtenstellen — ich weiß nicht, wo es hergekommen ist — die Meldung durch die Presse gelaufen ist, daß schon deutsche Generale — und ich frage, wo kommt ihre Zuständigkeit dafür her — in Verhandlungen nicht nur über die Rekrutierungsart, sondern sogar über die Zahl eingetreten sein sollen. Oder stimmt da etwas nicht? Sie sehen jedenfalls, die Öffentlichkeit in der ganzen Welt beschäftigt sich damit; und wir wollen uns in Schweigen hüllen? Das geht unmöglich. Die Frage der deutschen Aufrüstung ist nun einmal in der Welt da, und sie hat eine gewisse erhebliche Spannung überall zur Folge gehabt, und eine Diskussion würde unseres Erachtens eine Entspannung herbeiführen können.
Es ist absolut erforderlich, diese Entspannung gerade von diesem Hause ausgehen zu lassen. Denn ich bin überzeugt, daß wir uns doch bemühen werden, in Übereinstimmung mit unserem Volk zu handeln. Wenn Sie ins Volk hineinhören, so besteht gar kein Zweifel darüber, daß die Remilitarisierung abgelehnt wird.
Herr Abgeordneter Reismann, ich bin völlig mit Ihnen der Meinung, daß es hier sehr schwer ist, die Frage der Vertagung von der Sache zu trennen. Ich bitte Sie aber, sich bei diesem Gespräch im Rahmen der Geschäftsordnung zu halten.
Ich bemühe mich, Herr Präsident.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, daß Sie die Schwierigkeiten, die dabei bestehen, so freundlich anerkennen.
— Meine Herren, ich kann mir ja vorstellen, daß Sie anderer Meinung sind. Aber ich hoffe doch, daß Sie wenigstens in dieser Frage so tolerant sind zuzuhören, wenn ich meine gegenteilige Ansicht äußere.
Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit eine Erörterung dieser Frage nicht nur will, sondern daß es sie jetzt will
und daß das deutsche Volk hören will, wie seine Vertreter darüber denken. Dann können Sie ja sagen, wie Sie darüber denken.
-Herr Kollege von Rechenberg, fürchten Sie, daß (C Ihre Wähler oder das Ausland anderer Meinung sind als Sie?
Herr Abgeordneter Reismann, darf ich bitten, Ihre Ausführungen darauf zu beschränken, ob dieser Punkt abgesetzt werden soll oder nicht.
Ich bin fertig. Ich wartete nur darauf, ob noch weitere Zurufe kämen, die mir Gelegenheit geben, zur Sache Stellung zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Oellers und die dagegen erfolgte Stellungnahme des Herrn Abgeordneten Reismann gehört.
Ich lasse über den Antrag Oellers abstimmen, die Punkte 10 a und 10 b heute von der Tagesordnung abzusetzen. Ich bitte die Damen und Herren, die für den Antrag des Herrn Abgeordneten Oellers sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die
Möglichkeit, in die Tagesordnung einzutreten.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Einspruch des Abgeordneten Renner gemäß
92 der vorläufigen Geschäftsordnung gegen den ihm in der 113. Sitzung erteilten Ordnungsruf .
Meine Damen und Herren, nach der Geschäftsordnung ist der Einspruch frühestens auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen zu setzen. Der Bundestag entscheidet ohne Besprechung. Die Drucksache ist verteilt.
Ich lasse über den Einspruch des Herrn Abgeordneten Renner mit dem Ziel, den erteilten Ordnungsruf aufzuheben, abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Einspruch des Herrn Abgeordneten Renner stattgeben wollen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen und gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion ist der Einspruch abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betreffend Remontage .
Zur Begründung der Interpellation hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Dr. Wellhausen , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wortlaut der Interpellation der FDP gibt bereits verhältnismäßig ausführlich den Tatbestand wieder. Ich habe nur wenig hinzuzufügen. Die Mitglieder dieses Hauses sind über das Demontageproblem völlig unterrichtet. Es ist hier mehrfach besprochen worden, und große Einigkeit in seiner Beurteilung und großer Kummer über seine Folgen beherrschen die Stimmung dieses Hauses.
Wenn ich heute eine Interpellation über Remontagekredite begründe, so kann ich nicht unterlassen vorauszuschicken, daß es uns schmerzt und daß es uns auch überrascht, daß der Zustand des völligen Endes der Demontage immer noch nicht eingetreten ist. Wir wissen, daß die Regierung sich die größte Mühe darum gibt. Es ist wirklich, wenn man sich die Gesamtlage anschaut, in keiner Weise verständlich, daß immer noch hier und da ein kleines oder auch größeres Demontagefeuer aufflackert. Wenn ich mich frage, wer eigentlich seine Suppe an diesem Feuer kochen will, dann weiß ich, auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, mich in die Rolle der Alliierten oder in deren Gedankengänge hineinzuversetzen, keine auch nur halbwegs verständige, praktikable Antwort.
Zur Interpellation selbst: Wir haben in ihr betont, daß wir natürlich nur von den Industrien sprechen, in denen uns die noch immer geltenden Produktionsbeschränkungen nicht hindern oder in denen es sich nicht ausgesprochen um eine Fertigung von Kriegsgerät handelt. Was ist aber unter dieser Einschränkung für eine verständige, den volkswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechende Remontage bisher geschehen? Ich glaube, Sie werden mit mir einig sein: sehr wenig. Wir werden Gelegenheit haben, uns bei Gesetzentwürfen, die uns vorliegen oder die in aller Kürze zu erwarten sind. der Sonderlage der demontierten Betriebe zu erinnern. Das gilt sowohl für den Lastenausgleich, über den wir gestern gesprochen haben, als auch für die neuen Steuern oder besser gesagt: für die Veränderung des Einkommensteuergesetzes, wobei ich insbesondere an den § 9 a denke.
Der Wirtschaftsausschuß dieses Hohen Hauses und auch mehrere Ausschüsse des Bundesrats haben — ich glaube, Ende 1950 -- die Bereitstellung von Mitteln für Remontagekredite für erforderlich erklärt. Alle die Gesichtspunkte, die wir in unserer Interpellation aufgeführt haben und die — wenn ich mich geschäftlich ausdrücken darf — den Kredit des Bundes oder anderer Stellen geradezu als ein gutes Geschäft für den Kreditgeber erscheinen lassen, sind aufgeführt.
Die Notgemeinschaft für reparationsgeschädigte Wirtschaft in Düsseldorf — sie arbeitet übrigens nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern bezieht die Interessen der Reparationsgeschädigten des ganzen Bundesgebiets in ihre Aufgaben ein - hat sich schon seit Mitte 1950 wiederholt mit Eingaben an den Bundesfinanzminister und an den Bundeswirtschaftsminister gewandt, und zwar mit dem vielleicht etwas eingeschränkten Ziel, Mittel des Bundeshaushalts für diesen Zweck freizumachen. Bisher ist aber von der Bundesregierung noch nicht eine Mark zur Verfügung gestellt worden.
Ich möchte gerade auf Grund der Stimmung, die dieses Haus — meistens mit Recht — in zunehmendem Maße durchzieht, nicht verschweigen, daß die Länder in dieser Beziehung entgegenkommender sind und daß sie sich mehrfach nicht nur von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit solcher Remontagekredite überzeugt haben, sondern daß sie auch Mittel zur Verfügung gestellt haben. Hier ragt besonders Nordrhein-Westfalen hervor, das bisher in Form von Krediten — zum Teil auch in Form von Zuschüssen, Zinszuschüssen in diesem Fall, zum Teil in Form von Bürgschaften — einen Betrag von 92 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat. Auch Bayern und die Hansestädte haben einiges getan. Der Wirtschaftsausschuß des Landes Nordrhein-Westfalen hat im Dezember 1950 den
Beschluß gefaßt, in seinen neuen Haushalt — zum Teil in den ordentlichen, zum Teil in den außerordentlichen — mindestens dieselben Beträge wieder einzustellen, wie sie im Vorjahre darin enthalten waren. Ich glaube, das war die immerhin beträchtliche Summe von 60 Millionen DM. Meine Damen und Herren, das reicht aber nicht aus.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat auch für mein Gefühl sehr verständige Richtlinien für die Bereitstellung von Remontagekrediten aufgestellt; die könnten übernommen werden. Ich beschäftige mich mit diesem Lande eingehend einmal, weil es schon etwas getan hat, und zum zweiten, weil nach einer Statistik des Bundeswirtschaftsministers nicht weniger als 45 % der Demontageschäden in der Privatindustrie auf das Land Nordrhein-Westfalen entfallen. An zweiter Stelle, aber mit erheblichem Abstand, steht Bayern mit ungefähr 10 %. Wenn man, was wohl richtiger ist und sich auch für die Betrachtung in diesem Hause empfehlen dürfte, diese Zusammenstellung nicht nur auf die Privatbetriebe, sondern auch auf die öffentlichen Betriebe erstreckt, dann verändert sich das prozentuale Verhältnis, dann macht es für Nordrhein-Westfalen nämlich nur noch 33 % aus. An zweiter Stelle kommt Niedersachsen mit nicht weniger als 22 %, und erst dann folgt Bayern. Verglichen mit den Größen, die in Frage kommen, spielen natürlich prozentual die Hansestädte eine große Rolle — denken Sie an die Werften! — und die französische Zone. Denken Sie nur an die Uhrenindustrie oder etwas weiter gefaßt: an Feinmechanik und Optik!
Es liegen auch seitens des Bundeswirtschaftsministers Erhebungen vor. Ich muß Ihnen diese Zahlen nennen, damit Sie die Größe des Problems zahlenmäßig erkennen. Nach diesen Erhebungen machen die Gesamtschäden durch Reparationen - der Begriff geht ja über die Demontage erheblich hinaus — nicht weniger als 3,6 Milliarden aus, aber auf der Preisbasis von 1938 gerechnet. Diese müssen Sie ja heute fast verdoppeln. Wenn wir uns auf das Thema der Interpellation konzentrieren. die eigentliche Remontage, dann ist die entsprechende Zahl 1,9 Milliarden, die also auch etwa zu verdoppeln ist, sagen wir: 3,6 Milliarden.
Es wird Sie bei diesen Größenordnungen nicht überraschen, daß nach den Plänen, die einmal für den Wiederaufbau der demontagegeschädigten Betriebe aufgestellt worden sind, für die nächsten zwei Jahre ein Betrag von 650 Millionen DM erforderlich wäre, in diesem Falle natürlich auf heutiger Preisbasis gerechnet. Wenn Sie die 3,6 Milliarden verdoppeln, dann sind es also noch nicht einmal l0 % der eingetretenen Schäden. Auch dabei sind wieder ohne weiteres die Betriebe außer acht gelassen, die nach meinen einleitenden Worten für einen Wiederaufbau als reine Kriegsindustrien in dieser Form überhaupt nicht in Frage kommen. Wir sind uns natürlich darüber klar, meine Damen und Herren, daß ein Betrag von 650 Millionen DM von der Bundesregierung im Augenblick auch nur kreditweise nicht bereitgestellt werden kann. Aber wir meinen, es müsse ein Anfang gemacht werden.
Meine Damen und Herren! Ich darf zum Schluß darauf hinweisen: Es handelt sich um Remedur oder Verbesserung in einer Angelegenheit, in der dieses Haus bisher immer einig war. Bund und Länder sind auch einig. Wenn Sie die Presse im Dezember - wie ich das in Kenntnis dieser Interpellation getan habe - ein wenig verfolgt haben, werden Sie auch eine völlig einheitliche Stimmung in der Presse festgestellt haben.
Wichtige volkswirtschaftliche Gesichtspunkte, die wir hervorgehoben haben, sprechen für die Erleichterung der Remontage durch möglichst hohe und möglichst billige Kredite, Gesichtspunkte, die bei unserer heutigen Devisen-, Rohstoff- usw. -knappheit eine große Rolle spielen und eine noch größere Rolle spielen werden. Ich meine, ganz kurz aufgezählt, die Beseitigung von industriellen Engpässen, die uns mehr oder weniger fahrlässig — vorsichtig ausgedrückt - zugefügt worden sind und die sich natürlich bei der außerordentlichen Vermehrung unserer Produktion jetzt besonders auswirken. Ich meine zweitens die Verbesserung der Zahlungsbilanz durch Mehrexport; denn es handelt sich weitgehend um exportgeeignete und exportintensive Betriebe, die außerdem bei der Auswahl der Kreditnehmer besonders bevorzugt werden könnten. Es handelt sich drittens um die Möglichkeit der Einfuhrersparnis. Hebung des Exports, Verminderung des Imports ist das Leitmotiv mancher Beratungen in diesen Wochen und wird es — davon werden auch Sie alle überzeugt sein — immer mehr werden. Ich meine viertens und letztens die Möglichkeit, mit verhältnismäßig ungewöhnlich niedrigen Beträgen Dauerarbeitsplätze neu zu schaffen. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit gibt uns alle Veranlassung, diesen Gesichtspunkt nicht als den letzten zu betrachten.
Ich darf hierzu noch eine kurze Anmerkung machen. Es handelt sich nicht immer nur um die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern auch um die Erhaltung von Dauerarbeitsplätzen, die man bis jetzt mit allen möglichen Hilfsmitteln zu halten versucht hat. Das kann aber nicht weiterhin geschehen, wenn keine Kredite zur Verfügung gestellt werden.
Meine Damen und Herren, unsere Interpellation behandelt eine sehr nüchterne, klare, meines Erachtens Ihnen allen einleuchtende Angelegenheit, und wir hoffen sehr, daß die Regierung uns eine befriedigende Antwort gibt, daß sie nicht nur die letzten Möglichkeiten des Haushalts, die, wie Sie alle wissen, sehr beschränkt sind, ausnützt, sondern neue Quellen für die Befriedigung dieses Bedarfs erschließt.
Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung teilt die in der Interpellation der Fraktion der FDP zum Ausdruck gebrachte Auffassung, wonach die Remontage die billigste Form sein dürfte, um zusätzliche Arbeitsplätze zu gewinnen. Die Bundesregierung ist darüber hinaus der Ansicht, daß die Remontage als die schnellste und billigste Maßnahme zur Produktionssteigerung in den von der Demontage betroffenen Industriezweigen und zu ihrer Rationalisierung zum Zwecke der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland anzusehen ist. Aus diesem Grunde war die Bundesregierung bereits seit längerer Zeit bemüht, Möglichkeiten zur Finanzierung des Wiederaufbaues demontierter Betriebe zu erschließen.
Aus dem Kreditprogramm der Bundesregierung konnten die demontagebetroffenen Unternehmungen bisher leider nur in geringem Maße berücksichtigt werden. Der Bundesregierung standen weder Haushaltsmittel zur Verfügung, noch konnte
das bisher vorgesehene Wirtschaftsförderungsprogramm bzw. das Engpaßprogramm, in dem für die demontagegeschädigten Unternehmungen 50 Millionen DM vorgesehen waren, zur Durchführung kommen. Aus ECA-Mitteln konnten Kredite kaum gewährt werden, da nach den Bestimmungen der ECA-Mission der Wiederaufbau von demontierten Betrieben mit ECA-Mitteln nicht oder nur unter sehr einschränkenden Bedingungen zugelassen ist. Im Rahmen der jeweiligen Freigaben von ECA-Mitteln können demontagegeschädigte Firmen, sofern sie eine hohe Exportquote nachweisen und Investitionskredite für Anlagen beanspruchen, die nicht von der Demontage betroffen wurden, bis zu einer Höhe von 20 % der jeweiligen Freigabe beteiligt werden. Da diese Bedingungen nur von einem kleinen Teil der demontagegeschädigten Firmen erfüllt werden und somit das Exportförderungsprogramm grundsätzlich nicht zur Investierung aller demontagegeschädigten Betriebe dienen kann, erachtet die Bundesregierung über diese Möglichkeit hinaus die Erschließung anderweitiger Wege für die Kreditbeschaffung für erforderlich.
Die Bundesregierung hat daher beschlossen, den Herrn Bundesminister der Finanzen unter Berücksichtigung der jüngsten politischen Entwicklung und ihrer Auswirkung auf die Wirtschaft zu bitten, daß er den außerordentlichen Haushalt des Bundes mit dem Ziel überprüft, durch etwaige Kürzungen bei anderen Positionen einen Betrag von 25 Millionen DM für den Wiederaufbau von demontagegeschädigten Unternehmen bereitzustellen.
Die Bundesregierung ist weiterhin übereingekommen, die verfügbaren Erlöse aus dem Verkauf von überzähligem Eigentum der amerikanischen Armee — STEG-Guthaben — bei der Bank deutscher Länder für Investitionsfinanzierungen nutzbar zu machen. Der Herr Bundesminister der Finanzen ist gebeten worden, entsprechende Verhandlungen mit dem zuständigen Finanzberater des amerikanischen Hohen Kommissars aufzunehmen. Es ist beabsichtigt, 64 Millionen DM Obligationen der Kreditanstalt für Wiederaufbau anzukaufen und davon 20 Millionen DM zur Finanzierung von demontagegeschädigten Betrieben zu verwenden, während der Restbetrag von 44 Millionen DM zur Weiterfinanzierung bereits anfinanzierter Investitionen dienen soll.
Die sonach für den Wiederaufbau demontagegeschädigter Firmen zur Verfügung stehenden rund 45 Millionen DM könnten durch die bereits erwähnten 20 O/o der jeweiligen Freigaben von ECA-Mitteln ergänzt und solchen demontagebetroffenen Unternehmen zugeführt werden, die die im Rahmen der ECA-Mittel-Verteilung zu beachtenden Bedingungen erfüllen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Interpellation gehört. Ich muß feststellen, ob 50 Abgeordnete die sofortige Besprechung wünschen. Ich bitte die Damen und Herren, die die Besprechung wünschen, eine Hand zu erheben. — Das sind mehr als 50 Abgeordnete. Die Besprechung findet statt.
Herr Abgeordneter Dr. Schöne hat sich zum Wort gemeldet, — Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Besprechungszeit von 40 Minuten vor. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Remontagekredite ist eine notwendige Folge des Demontagestopps. Die
Frage nach der wirtschaftlichen Berechtigung von Remontagekrediten läßt sich verhältnismäßig leicht und schnell mit Ja beantworten, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Einmal die Voraussetzung, die auch in der Interpellation der FDP-Fraktion zum Ausdruck kommt, nämlich daß es sich um Nichtkriegsindustrien handelt. Die zweite Voraussetzung, die zu machen ist, klingt in der Interpellation der FDP zwar an. Es heißt dort, daß sich durch die Remontage eine erhebliche Exportsteigerung erreichen läßt und schließlich industrielle Engpässe beseitigt werden können. Ich möchte diese Voraussetzung noch unterstreichen und sagen: Wenn man einen Gesamtkreditbedarf von etwa 650 Millionen zugrundelegt und wenn man auf der anderen Seite mit etwa 45 bis 50 Millionen rechnet, so muß eine Auslese getroffen werden; es ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer skalenmäßigen Staffelung dieser Kredite nach dem ökonomischen Effekt.
Da sollten wir folgendes nicht übersehen: Der produktive Einsatz der noch in zahlreichen verarbeitenden Zweigen vorhandenen Kapazitäten — wie im Fahrzeugbau, in der Elektrotechnik, Eisen- und Metallwarenindustrie, Maschinenbau, Feinmechanik und Optik — wird vornehmlich durch den Wohnraummangel, durch die Lage in der Energieversorgung und durch die Lage im Bereich der Basisindustrien erschwert. Ich darf darauf hinweisen, daß große Disproportionalitäten zwischen Hochöfen, Stahlerzeugungsanlagen und Formgebungsstätten bestehen. Die Maßnahmen, die in dieser Situation zu einer organischen Ausweitung des Produktionsspielraumes getroffen werden können, müßten sich also in erster Linie auf den Ausbau der Basisindustrien und der Energiekapazitäten sowie auf die Förderung des Exports beziehen.
Meine Damen und Herren! Vom Herrn Bundeswirtschaftsminister ist uns gesagt worden, daß die Bundesregierung so etwas wie ein Programm für die Remontagekredite aufzustellen beabsichtige. Es sei uns gestattet, dieses Programm mit der gebührenden Skepsis hinzunehmen. Diese Skepsis basiert einmal auf der Tatsache, daß sich bereits vor etwa rund einem Jahr der Herr Bundeswirtschaftsminister bemühte, den Bundesfinanzminister dahin zu bestimmen, 150 Millionen für Remontagekredite in den außerordentlichen Etat des Bundes hineinzunehmen. Der Bundesfinanzminister gab diese Anforderung von 150 Millionen mit dem Ersuchen zurück, sie doch in das Wirtschaftsförderungsprogramm einzusetzen. Das Wirtschaftsförderungsprogramm schrumpfte zum Engpaßprogramm zusammen, und das letzte, was man darüber weiß, ist, daß die letzten Veröffentlichungen darüber im Juni 1950 erfolgt sind.
Die zweite Tatsache, auf die sich unsere Skepsis stützt, ist, daß vor fast genau einem Jahr das Hohe Haus den Beschluß faßte, die Bundesregierung zu ersuchen, ein eingehendes Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit dem Ziel der Vollbeschäftigung vorzulegen. Fünf Monate später erkundigten wir uns in einer Interpellation nach dem Wohlergehen dieses Beschlusses, und das Hohe Haus beschloß am 14. 7. 1950 einstimmig, die Bundesregierung zu beauftragen, dem Bundestag beschleunigt das in Aussicht gestellte Arbeitsbeschaffungsprogramm vorzulegen und dabei präzise Angaben zu machen. Das letzte, was man darüber hörte oder las, steht in dem Bericht der 18. Übersicht über die im Bundestag vorliegenden Anträge nach dem Stand vom 18. 1. d. J.; dort heißt es:
Überwiesen an Wirtschaftsausschuß und an den
Ausschuß für Geld und Kredit.
Meine Damen und Herren! Kollege Professor Nölting sagte bei der Interpellation im Juli des vergangenen Jahres:. „Wir werden auch dann noch nicht die Arbeitslosigkeit beseitigt haben, aber wir werden uns wenigstens auf einem überschaubaren Gelände bewegen". Nun, das war ein sträflicher Optimismus. Das Gelände ist vielleicht etwas beleuchtet worden durch die jetzt herausgegebene Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums. Dieser Wissenschaftliche Beirat hat kurz vor Weihnachten ein Gutachten erstellt und darin eine sehr scharfe Kritik an der Kapital- und Kreditpolitik des Bundeswirtschaftsministeriums geübt.
Diese Kritik erstreckt sich einmal darauf, daß die Selbstfinanzierung eine weitere Verzerrung der an sich schon gegebenen Disproportionalität bewirkt hat. Es heißt wörtlich:
In großem Umfang sind Investitionen zustande gekommen, die der volkswirtschaftlichen Dringlichkeit nicht entsprechen.
Weiter heißt es:
Die Entwicklung hat dazu geführt, daß die Selbstfinanzierung im Bereich der Verarbeitungsindustrien und des Handels Ausmaße angenommen hat, die zu Wachstumsstörungen der Gesamtwirtschaft führten. Die Gesamtentwicklung stößt daher hier auf Engpässe, die die notwendige Steigerung des Sozialprodukts verhindern und sogar den gegenwärtigen Produktionsstand gefährden.
Meine Damen und Herren, das ist ein Zeugnis des Wissenschaftlichen Beirates des Bundeswirtschaftsministeriums kurz vor Weihnachten, das man wohl mit „kaum genügend" bezeichnen muß.
Das Gutachten empfiehlt ferner besondere Zielpunkte für die Kapital- und Kreditpolitik der Bundesregierung und stellt als solche die Zweige Wohnungsbau, Versorgungsbetriebe, Grundstoffindustrien, Verkehrsbetriebe und Unternehmungen mit besonderer Exportleistung heraus. Das sind im wesentlichen wörtlich genau dieselben Wirtschaftszweige, die das Wirtschaftsprogramm meiner politischen Freunde vom Mai des vergangenen Jahres enthielt, für das der Bundeswirtschaftsminister das Prädikat „primitiv" fand. Wir freuen uns, daß der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums 7 Monate später zu dem gleichen Stand der Primitivität herauf- oder heruntergekommen ist.
Das, meine Damen und Herren, sollte eigentlich Veranlassung sein, sich dieses Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates genauer anzusehen. Es fordert nämlich in Anbetracht der Kapitalknappheit und der Notlage in den Engpaßindustrien einen konzentrischen Einsatz der Kreditmittel nach diesen Gesichtspunkten. Wir hätten es gern gesehen, wenn die Auskunft der Bundesregierung hinsichtlich der Remontagekredite ebenfalls in diesem Rahmen stehen würde, nämlich im Rahmen konzentrischen Einsatzes dieser Mittel auf die Punkte, die eben in der gegenwärtigen Situation für die Existenz unserer Gesamtwirtschaft unabdingbar sind. Das ist die Kritik und das ist der Vorbehalt, mit denen wir an diese Vorhaben der Remontagekredite herangehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Harig. — 3 Minuten, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur wenige Sätze zu diesem Thema. Teilweise hat die Presse dieses Thema auch schon behandelt und folgende Begründung gegeben. Man will mit der Finanzierung der demontierten Betriebe neue Arbeitsplätze schaffen und man könnte sogar billige Arbeitsplätze schaffen. Ich weiß nicht, damit wird ja wohl nur der Arbeitslose draußen wieder getäuscht werden. Denn ich habe nicht die Hoffnung, daß diese Regierung daran interessiert ist, Arbeitsplätze für friedliche Industrien zu schaff en.
— Lesen Sie die Zeitung, lesen Sie „Die Welt", „Die Welt" von heute!
In der „Welt" von heute steht, daß durch die Steuerpolitik der Regierung in der Frage der Besteuerung der Süßwaren rund 50 000 Arbeiter ihre Arbeitsplätze verlieren. Das sind Arbeiter, die eine Beschäftigung ausüben, die nicht der Kriegswirtschaft dient.
Wir Kommunisten sind als diejenigen bekannt, die gegen die Demontage gekämpft haben; das steht außer Zweifel.
— Ich habe diese Zwischenrufe ja erwartet. —
Eins steht jedenfalls fest: die Folgen der Demontagen, die durchgeführt wurden, erfordern Maßnahmen. Wir wenden uns nicht gegen notwendige Maßnahmen, die dort wieder gutmachen, wo durch die Demontage Unglück geschehen ist.
B)
Wir sind nur nicht der Meinung, daß das Produktionsvolumen der Rüstungsindustrie gesteigert werden soll. Wir sind der Meinung, daß in der Frage der Demontage noch zu wenig getan worden ist. Deshalb stehen wir auf dem Standpunkt, daß, wenn schon Geld zur Verfügung gestellt wird — das ja schließlich der kleine Mann aufbringen muß —, dann auch Sicherheit darüber vorhanden sein muß, wofür es verwandt wird und an wen es gegeben wird. Diese Sicherheit muß vorhanden sein. Ich sage ganz offen: Wir glauben nicht, daß von dieser Regierung und von diesem Parlament irgendeine Sicherheit in bezug auf die Verwendung der Mittel und hinsichtlich desjenigen, der sie kriegen soll, gegeben werden kann.
Wir sind der Meinung, dazu ist notwendig, daß erst einmal das Mitbestimmungsrecht der Gewerkschaften und das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte der Belegschaften gesichert sein muß.
Der Meinung sind wir: Erst wenn dieses Recht, das Recht des arbeitenden Menschen, gesichert ist, daß er auch über die Verwendung der Mittel und über die Produktion, die mit Hilfe dieses von ihm gegebenen Geldes dann anlaufen soll, mitbestimmen kann, erst wenn das der Fall ist, dann haben wir die Sicherheit, daß nicht die Millionen, die jetzt bewilligt werden sollen, in Zukunft in die Taschen derer fließen, die nicht nur schuld sind an der Frage der Remontage, sondern auch schuld daran sind, daß eine Demontage durchgeführt wurde.
Das Wort hat der Abgeordnete Walter. -- 3 Minuten, Herr Abgeordneter!
Meine Damen! Meine Herren! Die Remontage und die Mittel dafür sollen in erster Linie dazu dienen, daß wir zu Devisen kommen, daß unsere Industrie in den Stand versetzt wird, die erforderlichen Devisen hereinzubringen. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß bei den Betrachtungen dieser Dinge immer zu wenig daran gedacht wird, daß wir oben an der Wasserkante Industrien haben, die bei der Behandlung dieser Frage bisher zu kurz gekommen sind. Hier muß ich auf unsere demontierten Werften hinweisen, auf die Weser-AG und Blohm und Voß in Hamburg, zwei der besten Werften, die die Welt überhaupt gekannt hat, besonders die Werft Blohm und Voß, die die besten Schiffe gebaut hat. Diese Werften haben leider noch keine Erlaubnis zum Wiederaufbau. Diese Erlaubnis muß auf schnellstem Wege beschafft werden, damit sie auch beim Schiffbau wieder eingespannt werden können. Wir wollen doch bald dazu übergehen, schnellere und größere Schiffe für unsere Handelsflotte herzustellen. Um diese schnelleren und größeren Schiffe bauen zu können, ist es erforderlich, daß die Kapazität unserer Werften vergrößert wird. Unsere bestehenden Werften sind mit Aufträgen schon bis zum äußersten belegt. Es ist erfreulich, daß wir das sagen können. Da nun die gesamte Kapazität ausgenutzt ist, muß daran gedacht werden, den Werften, die demontiert worden sind, dazu zu verhelfen, daß sie ihre Betriebe schnellstens wieder aufbauen können, um die so notwendige Tonnage für unsere Schiffahrt zu schaffen. Es ist nicht genug damit, daß unsere Schiffe die Devisen hereinbringen. Auch die Schiffe, die unsere Werften in starkem Maße für das Ausland gebaut haben und in Zukunft bauen werden, dienen dazu, Devisen, die wir nun einmal haben müssen, hereinzubringen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch wieder darauf hinweisen, daß wir nie vergessen sollten, daß die Belegschaften der Werften unserer Wasserkante endlich wieder in Lohn und Brot kommen müssen, damit sie ihr Handwerk nicht ganz verlernen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schröder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in der heutigen Debatte ist von allen Seiten des Hauses übereinstimmend zum Ausdruck gekommen, daß das Anliegen der Remontage, um das es hier geht, durchaus ein allgemeines Anliegen ist. Deswegen will ich mich auch nicht mit dem wirtschaftspolitischen Rankenwerk der Meinungsverschiedenheiten über Einzelheiten, das dabei angesprochen wurde, befassen. Ich glaube besonders das unterstreichen zu sollen, was auch der Vertreter der Interpellanten hervorgehoben hat, daß nämlich das Land Nordrhein-Westfalen, das von der Demontage am schwersten betroffene Gebiet, hier in einer außerordentlich vorbildlichen Weise etwas geleistet hat. Nordrhein-Westfalen — ich glaube, die Zahl ist bisher noch nicht erwähnt worden — hat nach den vorliegenden Schätzungen Demontageschäden in einer Höhe von etwa 2 Milliarden Mark gehabt, von denen allein etwa 1,4 Milliarden Mark auf die Eisen- und Stahlindustrie entfallen. Wenn es Nordrhein-Westfalen fertigbekommen hat, bisher 115 Millionen Mark dafür aufzuwenden, so ist das eine Zahl, die sowohl die anderen Länder — entsprechend ihrer Kraft — wie auch den Bund anspornen sollte, etwas Vergleichbares zu tun.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat uns in seiner Antwort Hoffnungen darauf gemacht, daß vom Bund etwa 45 Millionen Mark gegeben werden können, zu denen dann ein nicht ganz schätzbarer Betrag aus ECA-Freigaben hinzutreten würde. Wenn das zutrifft, was der Herr Kollege Wellhausen berichtet hat, daß der Haushaltsausschuß des Landtages von Nordrhein-Westfalen jetzt 60 Millionen Mark in den laufenden Haushalt eingestellt hat, so kommen wir damit doch schon zu recht beträchtlichen Größenordnungen.
Wenn nun hier — insoweit möchte ich doch auf gewisse Einwände eingehen — gesagt worden ist, daß gerade die Dosierung und die Auswahl der zu remontierenden Objekte mit einer gewissen Vorsicht betrieben werden muß, dann kann ich aus den Unterlagen, die mir dafür zur Verfügung stehen, einige ganz grobe Angaben machen. So sind aus den Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen in die Hochofen-, Stahl- und WarmwalzwerkSeite 24 Millionen, in die Kaltwalz- und Kaitziehwerke zwischen 3 und 4 Millionen, in die Nichteisenmetallwerke etwa 3 Millionen, in den Maschinenbau 23 Millionen, in den Fahrzeugbau etwa 6 Millionen und in die chemische Industrie etwa 10 Millionen geflossen. Sie sehen allein aus der Größenordnung, aus dieser hier wenigstens angedeuteten Verteilung der Mittel, daß bei dem bisherigen Einsatz der Remontage-Kredite eine Politik verfolgt worden ist, die allen notwendigen Anforderungen gerecht wird.
Ich glaube, es würde zu weit führen, wollten wir uns hier in eine Betrachtung der zahlreichen interessanten Einzelheiten einlassen. Deswegen möchte ich vorschlagen, daß wir diese Interpellation bzw. die Antwort der Regierung darauf dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik überweisen. Wir hätten dann auch eine Möglichkeit, uns das umfangreiche
Material den Ländern, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen, anzusehen. Ich glaube, wenn wir
diese Sache vom Ausschuß für Wirtschaftspolitik
aus etwas nachdrücklich und fördernd behandeln,
werden wir der gesamten deutschen Öffentlichkeit,
vor allem der betroffenen Industrie einen guten
Dienst erweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Veranlassung zu dieser Wortmeldung ist eine Bemerkung des Abgeordneten Harig. Er hat festgestellt, daß auf dem Gebiete der Rüstungsindustrie in Deutschland noch einiges an Demontage zu tun übrig bleibe. Ich finde, daß das eine merkwürdige Feststellung seitens des Abgeordneten Harig ist. Wir kennen den Zustand unserer Fabriken doch einigermaßen; wir wissen, daß man darin nichts fabrizieren kann, was zur Kriegsführung taugt. Wir kennen den Kontrollapparat der Internationalen Sicherheitsbehörde, diesen Kontrollapparat, der uns dazu zwingt, schon bei der Anschaffung einer Drehbank vorher um Genehmigung nachzusuchen. Trotzdem findet Herr Abgeordneter Harig, es sei auf dem Gebiet der Demontage hinsichtlich des deutschen Rüstungspotentials noch etwas zu tun. Offensichtlich tut es ihm leid, daß die Russen mit ihrem Wunsch nach einem möglichst großen Transfer deutscher Rüstungskapazität nach Rußland nicht ganz durchgedrungen sind.
Es scheint sein Anliegen zu sein, daß man heute (C noch einiges demontiert, damit den Russen das an deutscher Rüstungskapazität nachgeschickt werden könne, was sie bisher nicht bekommen konnten.
Sei dem, wie ihm wolle: ich stelle fest, daß es in diesem Hause einen Abgeordneten gibt, der der Meinung ist, daß noch mehr demontiert werden müsse, als schon demontiert worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde begrüßen die Interpellation. Die Verhältnisse vor allen Dingen in den großen Industriestädten des Ruhrgebiets zeigen uns ein geradezu verheerendes Bild. Ich darf Ihnen aus meiner Heimatstadt Essen berichten, daß durch die großen Demontagen bei den Krupp-Werken heute noch Tausende von Handwerkern arbeitslos sind und kaum eine Möglichkeit haben, wieder eine Beschäftigung zu erhalten. Für diese Handwerker ist die Zukunft geradezu trostlos. Wenn wir diesen Menschen durch Bereitstellung von Mitteln wieder die Möglichkeit geben, in den Betrieben Beschäftigung zu finden, dann haben auch diese Menschen wieder eine Zukunft vor sich.
Ich betrachte die Dinge auch von einer anderen Schau aus. In Essen sind noch etwa 26 000 Handwerker arbeitslos. Viele erstklassige Fachkräfte werden uns von fremden Staaten weggeholt. Sie bekommen glänzende, verlockende Angebote aus Amerika, aus England, aus Südafrika. Diese Spezialisten, die wir einmal für unsere Wirtschaft brauchen, sind uns dann verlorengegangen.
Es gibt noch ein anderes Bild. In der Stadt Essen werden zu Ostern 11 500 Jugendliche entlassen. Viele dieser Jugendlichen wollen in einem handwerksmäßigen Betrieb als Lehrlinge eingestellt werden. Das ist kaum möglich, weil die Betriebe am Boden liegen. Wir werden auf die Dauer unsere Wirtschaft nicht nur mit Hilfsarbeitern aufbauen können. Unser Volk wird wieder tüchtige Facharbeiter, tüchtige Handwerker nötig haben. So wie in Essen liegen die Dinge in anderen Städten des Industriegebietes.
Wir wünschen und hoffen, daß das Ministerium uns bald recht erhebliche Mittel zur Verfügung stellt, um diesen Notstand zu beseitigen.
Zum Abschluß hat das Wort Herr Abgeordneter Wellhausen.
Meine Damen und Herren! Wir begrüßen den Vorschlag des Kollegen Schröder, im wirtschaftspolitischen Ausschuß diesen Dingen systematisch und, wenn ich so sagen darf, unaufhörlich nachzugehen und den Punkt von der Tagesordnung der Ausschußberatungen nicht mehr herunterzubringen. Wir bitten, daß der Haushaltsausschuß in den Beratungen, die nun bald dem Ende zugehen, die Einsparung oder, besser gesagt, die Aussparung der 20 oder 25 Millionen DM für Remontagekredite ganz oben hinstellt. Wenn ich über die Vorschläge, insbesondere zum Verkehrsetat, unterrichtet bin, ist im außerordentlichen Haushalt
schon sehr vieles endgültig zugesichert worden; und es wird besonderer Anstrengungen und eines besonderen Interesses für diesen Gegenstand bedürfen, wenn der Haushaltsausschuß die 25 Millionen DM - oder besser etwas mehr -- beschaffen will.
Was die zweite Quelle — es sind schon mehr Rinnsale, aber sie können ja stärker werden — angeht, so habe ich bisher gemeint, der Fonds betrage 80 Millionen DM und nicht 60 Millionen DM. Es wäre vielleicht doch möglich, den Anteil für die Remontagekredite etwas höher zu setzen als nur auf 20 Millionen DM — das wären 25%, wenn die von mir errechnete Summe richtig ist — und die anfinanzierten Projekte, denen der Rest zugute kommen soll, etwas mehr in den Hintergrund zu schieben. Bei anfinanzierten Projekten, besonders wenn sie nicht ein sehr großes Volumen haben, lassen sich Einzelregelungen finanzieller Art eher finden, als wenn man einem solchen von allen Seiten dieses Hauses als volkswirtschaftlich wichtig angesehenen und durchaus berechtigten Projekt nachkommen will.
Wenn ich den Kollegen Schöne richtig verstanden habe, so hat er gemeint, man solle bei der Verteilung dieser Mittel insbesondere auch an Wohnraum, an Energieversorgung und an die Basisindustrie denken. Das ist an sich ein richtiger Gesichtspunkt, weil es in der Tat ein wenig die Voraussetzung für das Spätere ist. Dann aber sind diese 45 Millionen DM natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein und werden wenig ausmachen. Die Förderung dieser drei Dinge, Wohnraum, Energie, Grundindustrie, ist ja eine der größten Sorgen dieses Hauses. Die dahin zielenden Bemühungen des Hauses sind auch keineswegs erfolglos. Für Energieversorgung ist z. B. über den Marshallplan eine Menge getan worden, mehr als an anderen Stellen. Ich will das gar nicht kritisieren, sondern lobend feststellen. Ich würde Sie aber doch bitten, die Konzentration in erster Linie dahin zu finden, daß einige Spezialprojekte vorangetrieben werden. Sie haben zufällig von der Fahrzeugindustrie gesprochen. Ich will das nicht wiederholen, weil ich daran interessiert sein könnte; aber es gibt auch sonst haufenweise nicht ausgenützte Industrien, die mit diesen Mitteln gefördert werden sollten.
Herr Schröder hat ebenso wie ich die Bemühungen von Nordrhein-Westfalen als hervorstechend und der Leistung des dortigen Wirtschaftsministeriums alle Ehre machend hervorgehoben. Ich darf Sie jedoch auf folgendes aufmerksam machen. Nordrhein-Westfalen ist auch nicht mehr in der finanziellen Lage, in der es vor anderthalb Jahren oder vor zwei Jahren war. Wir wollen uns nicht so sehr auf die anderen verlassen, sondern vom Bund aus mit gutem Beispiel und, wenn ich Sie ermutigen darf, Herr Bundeswirtschaftsminister, quantitativ mit einem etwas ausgeweiteten Programm und größeren Beträgen vorangehen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Besprechung. Ich darf unterstellen, daß der Antrag, den der Abgeordnete Dr. Schröder gestellt hat, von 30 Abgeordneten unterstützt wird; — das ist zweifellos der Fall. Es ist beantragt, die Interpellation dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Die Überweisung ist erfolgt.Meine Damen und Herren! Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Mühlenfeld, Dr. Seelos, Frommholdund Genossen betreffend Maßnahmen zur g Wirtschaftsförderung .Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten und eine Aussprache von 40 Minuten vor.Ich nehme an, daß der Abgeordnete Dr. Mühlenfeld die Interpellation begründen wird. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.Dr. Mühlenfeld , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Interpellanten mit der Interpellation auf Drucksache Nr. 1568 heute die Aufmerksamkeit der Regierung und dieses Hohen Hauses auf einen Zustand lenken wollen, der auch als Kriegsfolgeerscheinung, als eine schwere Wunde zu werten ist, die die Gesundung des deutschen Wirtschaftskörpers sehr stark beeinträchtigt oder verzögert, so geschieht das nicht, ohne anzuerkennen, daß die Bundesregierung in vieler Hinsicht für die mit dieser Interpellation angesprochenen Gebiete schon einiges getan hat. Ich glaube aber doch — und die Interpellanten sind einer Meinung mit mir —, daß man dieses neue Problem, das mit dem Zusammenbruch 1945 für uns in der Bundesrepublik entstanden ist, auch noch von anderen Gesichtspunkten sehen sollte, als es bisher bei den Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung oder bei der Hergabe von Krediten für diese Gebiete geschehen ist.Mit dem Jahre 1945 ist der deutsche Wirtschaftsorganismus nachhaltig und schmerzlich zerrissen worden. Die Folgen davon sind nicht ohne weiteres durch Einzelkredite und derartige Maßnahmen zu beseitigen. Wenn wir uns vor Augen halten, daß die deutsche Bundesrepublik nunmehr nur noch die Hälfte der Fläche des Deutschen Reiches umfaßt—das Deutsche Reich hatte 1938 einen Umfang von 470 000 qkm, während die Bundesrepublik heute nur 246 000 qkm besitzt —, so ist das nicht bloß ein Schnitt geographischer und politischer Art, sondern die früheren organisch gewachsenen intensiven Wirtschaftsbeziehungen und Verflechtungen mit dem Osten sind zerrissen, sowohl mit den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie als auch mit der Sowjetzone. Was sich da so etwas als Interzonenhandel in der letzten Zeit angebahnt hat, ist unbedeutend, ja, man kann sagen, ist ohne Rückwirkung auf diese Gebiete. Dazu kommt, daß unsere Beziehungen zur Tschechoslowakei, zu Ungarn und zum Balkan infolge der politischen Entwicklung eingestellt bzw. erschlafft sind. Das ist wohl wiederum ein Faktum, welches sich in erster Linie für die Grenzländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und vor allen Dingen Bayern auswirkt. Es ist schon eine altbekannte Tatsache, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder als richtig erwiesen hat, daß Grenzziehungen stets zu einer Verödung der Grenzgebiete führen müssen.Wie sehr dieser Prozeß in den von mir genannten Grenzländern bereits vorgeschritten ist, möchte ich Ihnen auf Grund von Beispielen aus meiner engeren Heimat berichten. Nach den mir gewordenen Informationen der zuständigen Industrie- und Handelskammern sind beispielsweise im Landkreis Helmstedt — dieser Kreis ist als ausgesprochener Grenzkreis zu bezeichnen und für viele andere beispielhaft — eine Reihe von Betrieben nach dem Westen ausgewandert. Im Kreise Helmstedt sind 15 Betriebe in die weiter westlich gelegenen Gebiete abgewandert. Der Landkreis Wolfenbüttel hat '7 namhafte Betriebe verloren und stellt fest, daß
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Fachkräfte in unerträglichem Ausmaße in die Westgebiete der Bundesrepublik abwandern. In der Stadt Watenstedt-Salzgitter sind ebenfalls Abwanderungen von Betrieben zu verzeichnen; es sind ihrer vier. Im Stadt- und Landkreis Goslar sind 5 Betriebe abgewandert, im Landkreis Blankenburg 6 und im Landkreis Gandersheim 5 bzw. 7 Unternehmungen, die das Industriepotential des Westens der Bundesrepublik verstärkt haben. Wie viele Unternehmungen in diesen Gebieten nicht existent geworden sind, ist natürlich durch kein Büro und durch keine Industrie- und Handelskammer festzustellen.Die heutigen deutschen Grenzländer Schleswig-Holstein, insbesondere aber Niedersachsen, Hessen und Bayern haben ihren besonders engen Kontakt mit dem mitteldeutschen und ostdeutschen Wirtschaftsgebiet verloren. Früher sind diese Länder geradezu Komplementärstücke der mitteldeutschen Wirtschaft gewesen. Die Zonengrenze deckt sich zum Teil mit den Grenzen des mitteldeutschen Wirtschaftsraumes; teilweise geht sie aber nach Westen hin durch Teile des westdeutschen Wirtschaftsraums hindurch. Das ist ein doppelter schmerzhafter Eingriff in diese Wirtschaftsgebiete. Die Zerreißung des gesamtdeutschen Wirtschaftsraums hat zur Folge, daß sich das Schwergewicht der westdeutschen Wirtschaft in den Räumen Rhein-Ruhr und Rhein-Main-Neckar befindet. Dort vollzieht sich bei geringerer oder abnehmender Wirtschaftsintensität der östlichen Randgebiete der Bundesrepublik eine zunehmende Konzentration. Wir können daher mit Recht feststellen, daß wir ein starkes Gefälle der Wirtschaftsintensität vom Westen nach dem Osten haben. Das war nicht immer so, und es war keinesfalls auch nur annähernd so. Die enge Verflochtenheit der heutigen Grenzländer der Bundesrepublik mit dem mitteldeutschen Wirtschaftsraum hat ihnen immer ein gleichbleibend hohes Wirtschaftspotential gegeben. Der Wirtschaftsverkehr, der früher in der Hauptsache eine Nord-Süd-Richtung und eine West-OstRichtung hatte, ist heute um den Teil, der nach dem Osten gerichtet ist, amputiert, so daß wir nur noch einen Grenzverkehr in der Nord-Süd-Richtung und einen Teilverkehr in der Ost-West-Richtung haben. Das bedingt eine große Verkehrsferne und die Entstehung sogenannter toter Räume innerhalb des Bundèswirtschaftsgebietes. Die Handelskammern dieser Grenzländer haben festgestellt, daß früher 50 % des Wirtschaftsverkehrs ihrer Bezirke über die heutige Zonengrenze hinweggingen;bei einigen sind es sogar 80 °/o. Heute stellen diese gleichen Industrie- und Handelskammern fest, daß der Verkehr über die Zonengrenze. d. h. die Beziehung zu dem mitteldeutschen Wirtschaftsraum, so gut wie eingeschlafen ist.Bereits am 2. Mai 1950 hat die Bundesregierung eine Reihe von ehemals wichtigen Wirtschaftsgebieten entlang der Zonengrenze als Notstandsgebiete anerkannt: Nord-Hessen, Bayerischer Wald, Wilhelmshaven und das Salzgitter-Gebiet. Wenn man diese als Notstandsgebiete de jure bezeichnen will, so gibt es noch viel mehr Notstandsgebiete de facto. Das ist ein Zeichen dafür, daß es sich die Regierung und dieses Hohe Haus auf das intensivste angelegen lassen sein müssen, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen.Die Wirtschaft ist nicht zuletzt eine Funktion des Verkehrs. Dieser Verkehr existiert aber in den vier Grenzländern längst nicht mehr in dem nötigen Umfang, um eine Funktion der Wirtschaft sein zu können und die Wirtschaft zu lenken, zu erweitern und zu fördern. Durch die Grenzziehung sind die Verkehrswege eben da abgeschnitten worden, wo die Zonengrenze gerade verläuft. Kanäle, Landstraßen, Eisenbahnen sind tot, stillgelegt, ja, sind zum Teil im östlichen Sektor demontiert worden und enden in einer Wüste. Demzufolge kann ein Fluktuieren des Verkehrs und damit der Wirtschaft nicht mehr festgestellt werden. Diese Tatsache der abrupt und rigoros durchschnittenen und abgeschnittenen Verkehrswege ist bedeutsam; hier liegt eine der wichtigen Ursachen des Rückgangs der Wirtschaft in den Grenzländern. 'Überdies hat das Land Schleswig-Holstein eine totale Isolierung dadurch erfahren, daß die Zonengrenze über das Meer, über die Ostsee fortgesetzt worden ist. Das hat zur Folge, daß auch jegliche Schifffahrtsverbindung mit den Ostseeländern stillgelegt ist. Für Niedersachsen, das mit der längsten Zonengrenze von 548 km am schwersten betroffen ist, sind ähnliche Erscheinungen festzustellen. Auf dem Gebiete der Schiffahrt und der Fährbetriebe auf der Elbe hat es zahlreichen Unternehmen das Leben gekostet.Die geringe Zahl der Grenzübergänge verursacht vervielfachte Transportkosten und damit verminderte Wettbewerbsfähigkeit. Es sind sehr häufig Umwege von mehreren hundert km erforderlich, wenn die Unternehmungen weiterhin ihre Rohstoffe und Halbfertigfabrikate beziehen und ihre Fertigprodukte absetzen wollen. Für eine nachhaltige Orientierung der Wirtschaft in den Grenzgebieten nach den Zentren des Westens sind es viel zuviel Frachtkilometer. Ich darf Ihnen nur zwei Beispiele vortragen. Bei dem Eisenbau in unseren Gebieten ist die Tonne Eisenkonstruktion um 60 bis 70 DM teurer als im Westen. Das ist in erster Linie eine Folge der Zustände, die ich Ihnen eben geschildert habe. Es ist auch eine Folge davon, daß wir in Niedersachsen das einzige Walzwerk nicht mehr in Betrieb haben, daß daraus, wie hier schon einmal gesagt worden ist, eine Mondkraterlandschaft geworden ist.Die Konservenindustrie, die für meine Heimat, Niedersachsen, und für Schleswig-Holstein eine große Rolle spielt, hat eine Frachtverteuerung um 3 % auf die fakturierte Ware aufzuweisen. Dabei ist doch diese Konservenindustrie, wenn man nicht die Wege eines zwielichtigen Gerekes gehen will, ausschließlich auf den Absatz im Westen angewiesen. Sie kann aber bei diesen standortbedingten Unkostenerhöhungen nicht mehr als ernsthafter Wettbewerber auftreten.Ein wirklich bezeichnendes Beispiel sind auch die Verhältnisse in dem Industrie- und Handelskammerbezirk Coburg. Hier wirken sich die Umwegfrachten für die Schamotte- und Tonwarenindustrie nach einem Bericht der zuständigen Industrie- und Handelskammer folgendermaßen aus. Die Rohstoffe sind für diese Unternehmungen um 84% teurer geworden, eben durch die Umwegfrachten, die Kohle um 147% und im Durchschnitt die gesamten Fertigungskosten um 224%. Damit ist bei dieser für die dortige Gegend äußerst wichtigen Industrie eine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den norddeutschen und den mitteldeutschen Gebieten nicht mehr gegeben, die früher für diese Ton- und Schamottewarenindustrie um Coburg herum die großen Absatzgebiete waren.Der Bundestag hat sich bei Gelegenheit der Behandlung eines Antrags des Verkehrsausschusses — ich glaube, es war im Jahre 1950 - bereits ein-
mal mit diesem Dilemma der Umwegfrachten und der Transportschwierigkeiten befaßt und einen Ausgleich von 30 Millionen für das Rechnungsjahr 1950 gefordert, um den Existenzkampf der ostbayerischen Industrien zu unterstützen.Meine Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister! Es ist nicht damit getan — ich wiederhole das noch einmal —, daß wir da und dort kleinere oder größere Kreditmittel zur Verfügung stellen. Wir müssen in erster Linie darauf Bedacht nehmen, strukturell die Wirtschaftslage dieser Gebiete zu ändern. Erst dann werden sich die Kreditmaßnahmen erfolgreich auswirken.Wie sehen nun in diesen Ländern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern, die sozialen Verhältnisse aus? Ich kann mir darüber große Ausführungen sparen; sie sind schon zur Genüge bekannt. Tatsächlich haben wir schon während des Krieges große Wanderungen der Bevölkerung in diesen Grenzgebieten dadurch gehabt, daß gerade hier, wo vor 1936/37 keine großen Wirtschaftszentren waren, wie man sie im Westen kannte, die damalige Regierung sich veranlaßt sah, große Rüstungskomplexe und Industriezentren zu schaffen. Dadurch ist eine erste Wanderung hervorgerufen worden. Hinzu kam die Ausbombung der Städte. Dann kam der Zustrom der Ostvertriebenen, der in überwiegendem Maße aus der Not der damaligen Zeit in diesen Grenzländern auf gefangen werden mußte. Die Bevölkerungsdichte, die sich von 140 Personen auf den Quadratkilometer vor dem Kriege auf 205 Personen auf den Quadratkilometer nach dem Kriege in so kurzer Zeit vergrößert hat, ist nicht zu bewältigen, ohne daß man mit nachhaltigen Maßnahmen dem Übel an die Wurzel geht. Selbst die USA haben nicht vermocht den Bevölkerungszuwachs, den sie um die Jahrhundertwende hatten, in kurzer Zeit reibungslos zu bewältigen. 15 Jahre waren auch für sie notwendig, selbst bei intakter Wirtschaft.Infolgedessen ist in diesen Ländern — und das macht die Wirtschaftslage noch zusätzlich katastrophal — ein großer Prozentsatz von Flüchtlingen und demgemäß auch ein großer Prozentsatz von Arbeitslosen zu verzeichnen. Tatsache ist — und das sollten wir hier in diesem Hause besonders beachten, und das soll die Berechtigung dieser Interpellation unterstreichen —: Schleswig-Holstein hat, in Prozenten ausgedrückt, 27,5 % Arbeitslose, Niedersachsen 16,3 %, Bayern 12% und das gesamte Bundesgebiet nur 9%, wovon Nordrhein-Westfalen sogar nur knapp 4 % hat. Die Zahl der Beschäftigten hat sich im Westen Gott sei Dank gehoben, und es sind da zweifellos Erfolge der Bundesregierung zu verzeichnen. Am stärksten hat sich die Zahl der Beschäftigten in NordrheinWestfalen vergrößert. In den Grenzländern können wir aber eine Behebung der Arbeitslosigkeit oder ein Ansteigen der Beschäftigtenzahl wenig oder gar nicht feststellen.Was nun aber unsere Situation besonders prekär macht, das ist nicht allein der Umfang der Arbeitslosigkeit, sondern in erster Linie die Dauer der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen, die 12 und 18 Monate außer Arbeit waren, ist eine bedeutend größere als in anderen Teilen der Bundesrepublik. Das Bedenkliche ist fernerhin, daß wir in den letzten Monaten eine Verschiebung der Arbeitslosen in diese Gruppe, die 12 oder mehr Monate außer Arbeit geblieben waren, gehabt haben.
Wie sich in diesen Grenzländern die Vertriebenen konzentrieren, konzentriert sich hier auch die Arbeitslosigkeit nach Umfang und Dauer, und damit ist das strukturelle Wesen der Arbeitslosigkeit erwiesen, aber auch der strukturell bedingte Niedergang der Wirtschaft. Auch hier ein Gefälle, aber in umgekehrter Richtung.Meine Damen und Herren! Ich könnte Ihnen noch manches Beispiel zahlenmäßiger Art und auch in der Darstellung für die besondere Situation in diesen Grenzgebieten mitteilen. Ich möchte aber in Anbetracht der vorgerückten Zeit darauf verzichten. Es ist auch nicht meine Aufgabe, hier in Form einer Enquete Ihnen über die besondere Lage in diesen Gebieten zu berichten. Die Interpellanten halten aber die Veranstaltung einer Enquete für diese Grenzlandprobleme für unerläßlich und wichtig. Das Problem der Grenzländer und seine Gefahren in wirtschaftlicher, sozialer und verkehrsmäßiger Hinsicht muß einmal grundlegend für diese Gebiete untersucht werden und muß die Basis sein, auf der man sämtliche wirtschaftsfördernde Maßnahmen zu sehen hat.Heute liegt das Industriepotential im Westen der Deutschen Bundesrepublik, das Arbeitspotential aber im Osten, und so wäre die Frage zu stellen, mit der man sich beschäftigen sollte: Soll nun die Industrie zu den Arbeitskräften kommen oder die Arbeitskräfte zur Industrie? Ich glaube — und mit mir sind meine Freunde derselben Ansicht —, daß es aus volkswirtschaftlichen und staatserhaltenden Gründen der oberste Gesichtspunkt sein muß, daß die Gebiete an der Grenze der Zone entlang dort ihre Wirtschaftskapazität und ihre Wirtschaftskraft erhalten und daß Maßnahmen getroffen werden — und sie sollten gefunden werden —, um die Verödung der Grenzländer zu verhindern. HerrWirtschaftsminister! Auf die Gefahr hin, falsch verstanden zu werden, spreche ich hier ruhig aus: Wir wollen, um unsere Währung und unsere wirtschaftliche Lage nicht zu gefährden, keine Kreditschöpfung vornehmen, und es gibt auch Institutionen, die den Daumen darauf halten, daß wir es nicht können. Ich bin aber der Meinung, daß. ohne Gefahren währungspolitischer Art herauf zubeschwören, wir es uns sehr wohl leisten können, eine örtliche und wirtschaftlich beschränkte Kreditschöpfung vorzunehmen, und zwar da, wo ein hohes Maß von Arbeitslosigkeit vorhanden ist.Die Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen durch Ansiedlung von Industrien und vor allen Dingen die Schaffung eines Anreizes dazu wären weitere zu treffende Maßnahmen, abgesehen von Sofortmaßnahmen, die zwar auf die Dauer nie eine günstige Situation schaffen können, als da sind Notstandsarbeiten wie Schaffung von Verkehrswegen, insbesondere Autobahnen. Dabei denke ich an die Autobahn Hamburg—Göttingen, die Schleswig-Holstein mit uns, mit Hessen und mit Bayern verbinden würde, und an die Autobahn FrankfurtBayreuth—Regensburg—Passau. Aber ich denke auch an das noch immer nicht gelöste Problem der Umsiedlung der Flüchtlinge.Wir hatten doch schon einmal ein Osthilfegesetz. Nun, die gegenwärtige Situation hat eine große Ähnlichkeit mit der damaligen. Der Osten ist uns nähergerückt, und wir sollten uns jetzt sofort überlegen, was in dieser Beziehung heute getan werden kann.Vielleicht — und das scheint mir sehr dringend zu sein — ist es auch notwendig, die Zentralbanken der Länder einer regionalen Umgestaltung nach
den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu unterziehen. Dazu gehört auch die Frage der Reorganisierung und der regionalen Umgestaltung der privaten Großbanken.Der Eisenbahntarif, der für eine ganz andere Wirtschaftsstruktur, für ganz andere wirtschaftliche Aufgaben geschaffen war, muß der heutigen, veränderten wirtschaftlichen Struktur angepaßt werden. Die Entfernungsstaffel, die wir im Eisenbahntarif haben, ist in der Hauptsache immer noch diejenige des Jahres 1923, und ich glaube, hier hat sich doch manches geändert.
Wir können es uns nicht leisten, tote Bundeswinkel wirtschaftlicher und sozialer Art zu haben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich darf Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Meine Damen und Herren, es ist hier gerade von Remontagekrediten gesprochen worden. Auch wir in Niedersachsen haben hier Forderungen anzumelden. Ich weise darauf hin, daß die Industrie- und Handelskammer Braunschweig bereits mit stichhaltiger Begründung beantragt hat, die Stahlwerke in Watenstedt-Satzgitter wieder aufzubauen; 500- bis 600 000 t Stahl könnten mithelfen, den Engpaß auf diesem Gebiete zu beseitigen. Wenn hier vorhin gesagt wurde, das Land Nordrhein-Westfalen habe in der Demontage die größten Opfer gebracht, so hat mein verehrter Vorredner vielleicht außer acht gelassen, daß das nur eine relative Zahl ist. Sie muß an dem vorhandenen Wirtschaftspotential gemessen werden,
dann wird man nicht zu diesem Ergebnis kommen können. Für die alte Belegschaft von WatenstedtSalzgitter, die dort wohnt, gibt es keine einzige Ausweichmöglichkeit. Sie ist auf Leben und Sterben mit der Existenz und dem Wiederaufbau des Stahlwerks und des Hüttenwerks verbunden.
Meine Damen und Herren, ich bitte, mir weitere Ausführungen zu erlassen, der Herr Präsident gestattet sie auch nicht mehr. Ich bitte Sie und vor allem die Bundesregierung, auf diese Fragen, die uns und wohl auch die Bevölkerung des gesamten Bundesgebietes mit brennender Sorge erfüllen, Ihr besonderes Augenmerk zu richten.
Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist sich der Notlage in den in der Interpellation genannten Ländern, in denen einige Teile als besonders sanierungsbedürftig bezeichnet werden müssen, durchaus bewußt. Sie hat auch mit großer Sorge beobachtet, daß der außergewöhnliche konjunkturelle Anstieg, vor allem in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres, diese Gebiete nicht im gleichen Umfang gestärkt und gehoben hat, wie dies in den westlichen Teilen des Bundesgebietes geschehen ist.Die Arbeitslosigkeit, die besonders drückend während der Wintermonate auf den genannten Gebieten lastet, ist im wesentlichen struktureller Natur. Sie erfährt im gegenwärtigen Zeitpunkt eine
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Deutscher Bundestag - 118. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1951 4409
-- Und dem Ausschuß für Verkehrswesen. — Die Materie ist ernst genug und betrifft nahezu die Hälfte unserer Bevölkerung, so daß wir uns schon einmal eingehend und gründlich mit der Angelegenheit befassen sollten.
Des Antrages, keine Besprechung stattfinden zu lassen, bedurfte es nicht, da sich nicht 50 Abgeordnete gemeldet hatten.
Ich frage, ob 30 Abgeordnete die Überweisung der Interpellation an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Verkehrswesen beantragen. — Das ist der Fall. Ich darf gleichzeitig annehmen, daß damit die Überweisung erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, daß um 15 Uhr 45 eine kurze Sitzung des Ältestenrates stattfinden soll. Ich bitte, freundlichst davon Kenntnis zu nehmen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zum Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung von Fristen auf dem Gebiete des Anwaltsrechts (Nrn. 1796, 1615, 1717 der Drucksachen).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Dr.
Arndt. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf interfraktionellen Antrag hin hat der Bundestag in seiner 104. Sitzung am 6. Dezember vorigen Jahres ohne Ausschußberatung in drei Lesungen das Gesetz zur Verlängerung von Fristen auf dem Gebiete des Anwaltsrechts beschlossen. Gegen dieses Gesetz hat der Bundesrat einstimmig den Vermittlungsausschuß angerufen. Das Gesetz verlängerte insbesondere die Fristen im Bereich des britischen Besatzungsgebietes oder, richtiger gesagt, beabsichtigte, diese Fristen zu verlängern, durch die insbesondere der sogenannte „numerus clausus" aufrechterhalten wurde, also die Beschränkung, daß man als Anwalt auch trotz bestandener Staatsprüfungen nur dann zugelassen werden kann, wenn ein Bedürfnis der geordneten Rechtspflege dafür anzunehmen ist. Der Bundesrat hat gegen dieses Gesetz verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht, vor allem Bedenken aus Art. 12 des Grundgesetzes, der die Freiheit der Berufswahl gewährleistet. Der Vermittlungsausschuß hat es weder für erforderlich noch für zweckmäßig erachtet, seinerseits eine Entscheidung darüber treffen zu wollen, ob diese verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrates begründet waren oder nicht, sondern hat schon den Umstand, daß diese verfassungsrechtlichen Bedenken immerhin sehr beachtlich und schwerwiegend erschienen und auch von einem Teil der Mitglieder des Bundestages geteilt wurden, für hinreichend erachtet, dem Bundestag zu empfehlen, diesen Gesetzesbeschluß wieder aufzuheben. Dazu sah sich der Vermittlungsausschuß um so mehr veranlaßt, als der eigentliche Zweck dieses Gesetzes, nämlich eine Verlängerung der Fristen zu erzielen, gar nicht mehr erreicht werden kann, da diese Fristen in der Hauptsache bereits mit Ende des vergangenen Jahres abgelaufen sind und nur durch ein rückwirkendes Gesetz nachträglich wieder in Kraft gesetzt werden könnten, wobei aber das, was sich in der Zwischenzeit ereignet hat, keinesfalls mehr rückgängig gemacht werden kann. Aus diesen Gründen rechtfertigt sich der mit einer mindestens ganz überwiegenden Mehrheit im Vermittlungsausschuß beschlossene Antrag.
Ich darf dazu noch folgendes bemerken. Es ist im Vermittlungsausschuß auch beraten worden, ob man sich dem Antrag anschließen solle, den der Herr Bundesjustizminister hier im Plenum des Bundestags vorgebracht hatte. Der Vermittlungsausschuß hat aus verschiedenen Gründen davon Abstand genommen, einmal aus dem verfahrensrechtlichen Grunde, weil es nicht zulässig erschien, ein Gesetz durch ein völlig anderes Gesetz zu er-
setzen, und zweitens aus dem Grunde, weil auch der von dem Herrn Bundesjustizminister hier im Plenum des Bundestags vorgebrachte Antrag nicht ganz ohne verfassungsrechtliche Bedenken ist.
Der Vermittlungsausschuß hat weiterhin eingehend die Frage erörtert, ob es zulässig ist, dem Bundestag einen Beschluß dahin vorzuschlagen, daß unter Abänderung eines Gesetzesbeschlusses dieser ganze Antrag abgelehnt wird; denn die Frage war, ob eine völlige Ablehnung eines Gesetzes noch die Abänderung mitenthalte. Wir haben uns mit großer Mehrheit nach sorgfältiger Prüfung auf den Standpunkt gestellt, daß eine Abänderung in der Sache, wie sie der Vermittlungsausschuß nach dem Grundgesetz vorschlagen kann, auch die Zurücknahme eines Gesetzesbeschlusses ist.
Ich bitte Sie deshalb namens des Vermittlungsausschusses, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Nach der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses können vor der Abstimmung Erklärungen zu dem Vorschlag abgegeben werden. Ums Wort hat der Abgeordnete Ewers gebeten. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte namens der Minderheit des Vermittlungsausschusses - also keineswegs etwa namens meiner Fraktion — hier folgendes erklären. Für den gesunden Menschenverstand
ist das, was hier vorgeschlagen wird, kaum faßbar. Nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses soll der Bundestag besch ließen — lassen Sie den konkreten Anlaß weg! -, den Entwurf eines Gesetzes in der Weise zu ändern, daß unter Änderung eines Beschlusses ein Antrag abgelehnt wird.
Ich glaube nicht, daß diese Fassung des Vorschlages des Vermittlungsausschusses ein Zeugnis dafür ist, daß die Frage, ob es noch „Vermittlung" sei, wenn man etwas, was beschlossen ist, ganz und gar ablehnt, gerade sehr sorgfältig beraten ist. Bei der Beratung im Vermittlungsausschuß hat man es darauf abgestellt, daß der Ausschuß in Art. 77 nur die Bezeichnung eines „Ausschusses für gemeinsame Beratung von Vorlagen" bekommen habe. Es ist aber übersehen worden, daß in Abs. 2 desselben Art. 77 vorgeschrieben ist, daß das Verfahren dieses Ausschusses durch eine vom Bundestag und Bundesrat zu verabschiedende Geschäftsordnung geregelt wird, und daß in dieser Geschäftsordnung, die das Verfahren regelt, der Ausschuß dann die sehr klare und eindeutige Bezeichnung „Vermittlungsausschuß" bekommen hat. Es soll also zwischen zwei Auffassungen ein mittlerer Weg gefunden werden. Dem entspricht die Geschäftsordnung, die vorsieht, daß ein „A n de r u n g s v o r-s c h 1 a g" zu einem Gesetz spätestens in der zweiten Beratung vorgelegt sein muß, daß dann, wenn sich in der dritten Beratung keine Einigung auf einen Änderungsvorschlag ergibt, die Vermittlung gescheitert ist.
Ich bin der Ansicht, daß ganz unabhängig von dem gegenwärtigen Anlaß die Frage nicht hinreichend geprüft worden ist, ob der Bundesrat tatsächlich den Vermittlungsausschuß anrufen kann mit dem Ziele, durch das Vermittlungsverfahren selbst eine Aufhebung eines Gesetzesbeschlusses
des Bundestages herbeizuführen. Die Situation ist nämlich so: Kommt eine Vermittlung, also eine mittlere Linie, nicht zustande, so kann nach Art. 77 Abs. 3 der Bundesrat Einspruch einlegen. Legt er ihn, wie es hier der Fall wäre, mit größter Mehrheit ein, so kann der Bundestag auf seinem Gesetz nur bestehen mit Zweidrittelmehrheit, und zwar mit einer Mehrheit, die mindestens der Mehrheit der Abgeordneten selbst entspricht. Dieser Weg muß gegangen werden. Wird er gegangen, so ist der Bundestag bei jeder Vorlage ermächtigt und berechtigt, zur Sache selbst durch beliebig lange Ausschußberatungen Stellung zu nehmen, um, wenn ein Gesetzgebungswerk, wie es hier nach der Meinung der Mehrheit des Vermittlungsausschusses der Fall ist, wegen Zeitnot allzu sehr im Galopp verabschiedet worden ist, die einschlägige Materie von allen Seiten genau zu beleuchten und zu erwägen.
Heute, hier, kann der Bundestag zur Sache überhaupt keine Stellung nehmen. Es ist verboten, Änderungsvorschläge zu machen. Wir können nicht einmal an diesem — darf ich das Wort gebrauchen — Galimathias eines Beschlusses irgendein Wort ändern. Wir können es also nur billigen oder mißbilligen, daß „ein Gesetz" dahin geändert wird, daß durch die Aufhebung eines Beschlusses ein Antrag abgelehnt wird. Die Tatsache einer solchen Gesetzesänderung muß dann ja wohl in das Bundesgesetzblatt aufgenommen werden; denn es handelt sich doch um ein geändertes „Gesetz". Deswegen glaube ich, daß wir mit dieser Form hier unter keinen Umständen weiterkommen können, ohne uns gesetzestechnisch — darf ich sagen — zu blamieren.
Ich schlage daher vor, der Bundestag möge diesen Vorschlag ablehnen. Damit ist in der Sache selbst noch gar nichts entschieden; denn es kommt dann wie das Amen in der Kirche der Einspruch des Bundesrats, und dann haben wir zur Sache in aller Breite, unter völlig freien Umständen neu Stellung zu nehmen, etwa auch zu der Frage der Unmöglichkeit, das Gesetz mit der Verlängerung von Fristen neu einzuführen, und zu allen sonstigen Problemen, die mit der Vorlage selbst in Verbindung stehen. Ich habe also namens der Minderheit des Ausschusses zu beantragen, daß der Antrag des Vermittlungsausschusses abgelehnt werde.
Herr Abgeordneter Ewers, ich darf zunächst vermuten, daß Sie die Anzweiflung des gesunden Menschenverstandes natürlich nicht auf die Mehrheit des Ausschusses oder die Mitglieder dieses Hauses ausdehnen wollen.
Ganz und gar nicht, sondern nur auf die Formulierung, die hier von irgendeinem Beamten gefunden ist, der, wie ich annehme, sich bemüht hat, die Bezeichnung „Änderung" in den Vorschlag einzubauen.
Ich muß natürlich auch die Beamten in Schutz nehmen, Herr Abgeordneter.
Entschuldigen Sie! Die Wirkung könnte so sein, nicht die Absicht. Um Gottes willen, es sind sehr kluge Herren, die da arbeiten.
Das darf ich betonen.
Außerdem darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß es nach § 9 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses, die ja außer Zweifel steht, nicht zulässig ist, einen anderen Antrag zur Sache zu stellen, daß also auch Herr Abgeordneter Ewers keine Möglichkeit hat, einen Antrag zu stellen, sondern nur, eine Erklärung abzugeben. Ich lege den § 9 auch so aus, daß er nicht eine Aussprache im Gefolge haben soll. Der Herr Berichterstatter hat berichtet; eine Erklärung ist abgegeben worden.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, wollen Sie noch zur Geschäftsordnung sprechen?
Nein, ich hatte nur vor, dasselbe zu sagen wie Sie, denn wir können das Verfahren, wie es Herr Kollege Ewers geübt hat, hier nicht einführen.
Dann sind wir uns völlig einig darüber. Ich glaube, wir brauchen das in keiner Weise zu erörtern. Weitere Erklärungen werden nicht gewünscht und sollen nicht abgegeben werden;
— nach der Meinung derjenigen, die diese Erklärung abgeben könnten.
Ich lasse abstimmen über den Antrag des Vermittlungsausschusses, der Ihnen auf Drucksache Nr. 1796 vorliegt. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Trotz der erfolglosen Einflußnahme der Frau Abgeordneten Dr. Weber war das erste die Mehrheit.
Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zum Entwurf eines Allgemeinen Eisenbahngesetzes (Nrn. 1081, 1341, 1640, 1716 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Landesminister Dr. Andersen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Dr. Andersen, Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Allgemeine Eisenbahngesetz enthält in § 1 eine Abgrenzung des allgemeinen Begriffs der Eisenbahnen und in § 2 eine Abgrenzung des Begriffs der öffentlichen Eisenbahnen. Nach dem Regierungsentwurf sollte in Zweifelsfällen jeweils die zuständige oberste Landesverkehrsbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesverkehrsminister darüber entscheiden, ob und inwieweit eine Bahn überhaupt zu den Eisenbahnen gehört bzw. ob sie die Eigenschaften einer öffentlichen Eisenbahn hat oder verloren hat.
Der Bundestag hat demgegenüber entsprechend einem Vorschlag des Bundesrats in seiner 107. Sitzung am 14. Dezember vorigen Jahres zu § 2 eine Änderung vorgeschlagen, die dahin geht, daß über Zweifelsfragen, ob eine Eisenbahn dem öffentlichen Verkehr dient, die obersten Landesverkehrsbehörden nicht mehr im Einvernehmen, sondern im Benehmen mit dem Bundesverkehrsminister entscheiden sollen. Die obersten Landesverkehrsbehörden sind danach gezwungen, Zweifelsfragen eingehend mit dem Bundesverkehrsminister zu erörtern und seinen Standpunkt eingehend zu erwägen. Die Entscheidung aber steht ihnen zu.
Dagegen hat es der Bundestag bezüglich der Entscheidung darüber, ob eine Bahn überhaupt als Eisenbahn oder etwa als Straßenbahn oder als Bahn besonderer Bauart zu behandeln ist, bei der Regierungsvorlage belassen, also die Entscheidung der obersten Landesverkehrsbehörden an das Einvernehmen des Bundesverkehrsministers zu binden. Hiergegen hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen und vorgeschlagen, die Entscheidung allein den obersten Landesverkehrsbehörden ohne jede Beteiligung des Bundesverkehrsministers zu überlassen. Der Vermittlungsausschuß hat die Frage eingehend erörtert und macht dem Bundestag und dem Bundesrat mit allen gegen zwei Stimmen den Änderungsvorschlag, auch in diesen Fällen die Entscheidungsbefugnis, soweit es sich nicht um bundeseigene Schienenbahnen handelt, den obersten Landesverkehrsbehörden im Benehmen mit dem Bundesverkehrsminister zu übertragen. Daß die Entscheidung, soweit es sich nicht um bundeseigene Schienenbahnen handelt, bei den obersten Landesverkehrsbehörden liegen muß, folgt notwendig aus dem Grundgesetz, das die nicht-bundeseigenen Bahnen der Verwaltungszuständigkeit der Länder überweist. Angesichts der Bestimmungen des Grundgesetzes aber, welches grundsätzlich getrennte Verwaltungen in Bund und Ländern vorsieht, ist es verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft, ob die Verwaltungsentscheidung des einen Teiles, also des Bundes oder eines Landes, überhaupt an das Einvernehmen des anderen Teiles gebanden werden darf.
Abgesehen von diesen verfassungsrechtlich sehr erheblichen Bedenken erscheint es auch zweckmäßig, die Entscheidung nicht an das Einvernehmen zweier Stellen zu binden. Dabei ist zu beachten, daß es sich nur um ganz wenige Fälle, und zwar eben nur um Zweifelsfälle handeln wird. Sollte hier nicht die Gewähr gegeben sein, daß eine eindeutige Entscheidung gefällt wird, so muß die letzte Entscheidung einer einzigen Behörde übertragen werden, da sonst die Gefahr besteht, daß eine Entscheidung gerade in Zweifelsfällen überhaupt nicht zustandekommt. Andererseits werden die Interessen der praktischen Verwaltung hinreichend gewahrt, wenn die entscheidende Landesverkehrsbehörde gezwungen ist, vorher die Auffassung des Bundesverkehrsministers festzustellen und sie sachlich zu würdigen.
Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß es sich hierbei um Verwaltungsentscheidungen handelt, die nicht endgültig sind, sondern der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegen, und daß in besonderen Konfliktsfällen auch der Bundesminister für Verkehr die Möglichkeit hat, das Bundesverfassungsgericht nach Artikel 93 Abs. 1 Ziffer 3 und 4 des Grundgesetzes anzurufen.
Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände schien es dem Vermittlungsausschuß bei nur zwei abweichenden Stimmen richtig, eine Mittellösung vorzuschlagen, die verfassungsrechtlich zweifelsfrei und praktisch zweckmäßig ist. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Änderungsvorschlag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Erklärungen nicht abgegeben werden sollen. — Das geschieht nicht.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 1801. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des Ent-
wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes über die vorläufige Haushaltf ührung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 .
Ich darf annehmen, daß die Bundesregierung angesichts des Vorliegens einer schriftlichen Begründung auf eine mündliche Begründung verzichtet.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auch auf eine Aussprache zu verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich komme zur
zweiten Beratung.
Ich lasse abstimmen über Art. 1 und Art. 2, Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs. — Ich bitte die Damen und Herren, die in der zweiten Beratung den beiden Artikeln, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
[eh lasse abstimmen über Art. 1, — Art. 2, — Eineitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundsteuergesetzes .
Ich nehme an, daß die Regierung auch hier angesichts des Vorliegens der schriftlichen Begründung auf eine mündliche Begründung verzichtet. — Darf ich unterstellen, daß in der ersten Beratung auch eine Aussprache nicht gewünscht wird?
— Herr Abgeordneter Bertram hat das Wort. -- Im Rahmen der Redezeit von 60 Minuten, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige Sätze zur ersten Lesung dieses Gesetzes; auf die Einzelheiten will ich nicht eingehen.
In der Begründung des Gesetzes heißt es, daß es im wesentlichen bestimmt ist, formelle Vereinfachungen zu bringen und die Rechtslage wieder dem geltenden Rechtszustand anzupassen. Das ist in der Tat nicht ganz richtig, wenn wir uns den Inhalt des Gesetzes ansehen.
Zunächst liegt mir ein Punkt am Herzen — deswegen habe fch das Wort ergriffen —, nämlich die Freistellung kirchlicher Dienstwohnungen von der Grundsteuer. Diese Freistellung kirchlicher Dienstwohnungen von der Grundsteuer ist altes Recht,
ein Recht, das nach der Enteignung des kirchlichen Vermögens vor über 100 Jahren seit eh und je geübt worden ist. Auch die Rechtsprechung hat sich mit diesem Problem beschäftigt. Die hohen und höchsten Gerichte haben anerkannt, daß die Befreiung kirchlicher Dienstwohnungen von der Grundsteuer eine besondere Staatsleistung ist, die im Sinne des Art. 138 der Weimarer Reichsverfassung nur abgelöst, aber nicht entschädigungslos fortgenommen werden kann. Trotzdem hat sich das Dritte Reich nicht an diese klare Rechtsgrundlage gehalten und unter Bruch der meiner Ansicht nach ganz klaren Rechtslage diese Grundstücke der Grundsteuer unterworfen.
Die entsprechenden kirchlichen Behörden haben bei der Redaktion dieses Gesetzes an die Ministerien den Antrag gerichtet, den alten Rechtszustand wieder herzustellen oder eine entsprechende Ablösung vorzunehmen. Diesem Rechtsanspruch der kirchlichen Behörden ist in dem vorliegenden Gesetz nicht entsprochen worden, und wir legen allergrößten Wert darauf, daß wieder Recht wird und Recht gehalten wird. Es ist nicht möglich, ein Unrecht, das im Dritten Reich begangen worden ist, mit der Begründung durchgehen zu lassen, finanzpolitische und finanzielle Erwägungen erforderten die Beibehaltung dieses Unrechts. Wir werden uns also dafür einsetzen, daß dieses Unrecht wiedergutgemacht wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundsteuergesetzes an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen einverstanden ist. — Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über das landwirtschaftliche Pachtwesen
(Nr. 1812 der Drucksachen).
Vorhin ist eine Vereinbarung zustandegekommen, daß eine Überweisung ohne Aussprache an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als den federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Bau- und Bodenrecht erfolgen soll. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. — Damit ist die Überweisung erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Bundes-
jagdgesetzes .
Auch zu diesem Punkt sollte keine Aussprache stattfinden. Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einverstanden ist. — Die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 10 a und b ist abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ;
Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung .
Inzwischen sind die Beschlüsse der zweiten Beratung verteilt worden. Mir liegen zwei Anträge vor: erstens Umdruck Nr. 65, Änderungsantrag der Abgeordneten Jacobi, Dr. Laforet, Dr. Schneider, Dr. von Merkatz, Dr. Etzel , Dr. Reis-
4) mann und Genossen zu § 90 und 90 a des Gesetzes. Ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen, daß in diesem Antrag zwei Schreibfehler enthalten sind: im Wortlaut des neu vorgesehenen § 90 a muß es heißen „Gemeinden und Gemeindeverbände"; in der dritten Zeile dieses neuen Paragraphen muß es heißen „die Vorschrift" statt „die Vorschriften". Weiter liegt mir der Antrag der Abgeordneten Dr. Laforet, Dr. Arndt, Dr. Oellers, Dr. von Merkatz, Dr. Etzel , Dr. Reismann und Genossen — Umdruck Nr. 71 — zu den §§ 4, 15 und 16 vor.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache der dritten Beratung. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Arndt! — Für die Beratungen ist im einzelnen keine Zeit festgelegt worden. Ich darf unterstellen, daß sich die Aussprache in verhältnismäßiger Kürze abspielen wird, so daß wir keine Redezeit festzusetzen brauchen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus und insbesondere auch die Regierungsbank zeigen leider nicht das Bild eines großen Tages, wie es nach unseren Wünschen hätte aussehen sollen.
Gleichwohl ist heute ein großer Tag des Bundestags. Die Verabschiedung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht fällt in einen Zeitpunkt, der im Bereich der Rechtspflege durch einen schweren Konflikt im Richterwahlausschuß, dessen Schwere nicht unterschätzt werden sollte, gekennzeichnet ist. Um so bedeutender und bemerkenswerter ist es, daß es gelang, hier eine Einigkeit aller demokratischen Fraktionen dieses Hauses herzustellen.
Ich muß allerdings einen Irrtum des Herrn Kollegen von Merkatz in seiner Berichterstattung korrigieren. Herr Kollege von Merkatz hat ausgeführt, die Mitglieder des Rechtsausschusses seien sich von Anfang an darüber im klaren gewesen, daß die Organisation des Bundesverfassungsgerichtshofs von allen demokratischen Parteien getragen sein müsse. Das schien nicht immer so. Es gab sogar im Rechtsausschuß einen sehr kritischen Zeitpunkt, in welchem man den Eindruck gewinnen mußte, als ob auch hier parteipolitische Fronten durch das Haus gingen. Ich bedauere, daß der Herr Kollege Kiesinger nicht anwesend ist, denn es ist mir wirklich eine Freude, angesichts des Hohen Hauses auszusprechen, daß in diesem kritischen Zeitpunkt der Herr Kollege Kiesinger d e r Demokrat im Ausschuß war, der für die Mehrheit erklärte, es sei unmöglich, ein solches Gesetz ohne Mitwirkung der Minderheit zu verabschieden, und es müsse — unter Umständen auch durch Einsetzung eines interfraktionellen Ausschusses — alles getan werden, um hier zu einer Einigkeit zu gelangen. Ich danke Herrn Kollegen Kiesinger dafür, daß er diese demokratische Haltung bewiesen hat.
Mir ist es auch ein Bedürfnis, den Herren des Bundesjustizministeriums, Herrn Ministerialdirektor Dr. Römer und Herrn Bundesrichter Dr. Geiger, von dieser Stelle aus den Dank für ihre aufopfernde Arbeit auszusprechen, die sie mit außerordentlicher Sachkunde und wirklicher Hilfsbereitschaft geleistet haben, um dieses Gesetzgebungswerk zustande zu bringen.
Hier ist wirklich eine Gemeinsamkeit in der Arbeit gewesen, die nicht nur eine falsche Kollegialität war — Kollegialität sollte sich von selber verstehen —, sondern man hat, ohne daß der eine oder andere seine grundsätzlichen Standpunkte aufzugeben brauchte, so lange die gegenseitigen Erwägungen miteinander abgewogen, bis man hier zu einem gemeinsamen Werk gelangte.
Wir beklagen allerdings, daß zwischen der Einbringung des sozialdemokratischen Antrages und dem Antrag der Bundesregierung erhebliche Zeit verloren gegangen ist; späterhin kann man diesen Vorwurf nicht mehr machen. Es ist uns häufig in der Öffentlichkeit, auch in einzelnen Teilen der Tagespresse, vorgeworfen worden, wir seien nicht genügend an der Arbeit, um das Bundesverfassungsgericht zu erstellen. Diese Vorwürfe waren unbegründet. Es ist eine außerordentliche Arbeit geleistet worden, ohne jeden Verlust an Zeit, soweit wir einen solchen Verlust vermeiden konnten. Bedauerlich ist nur, daß heute hier wie auch in der zweiten Lesung ein solcher Mangel an Publizität besteht.
Zwischen der zweiten und dritten Lesung ist es uns auch gelungen, in den Fragen, in denen noch Mieinungsverschiedenheiten bestehen könnten, zu einer Einigung zu gelangen. Das gilt für die Ihnen heute vorliegenden Umdrucke Nr. 65 und Nr. 71. In der zweiten Lesung hatte bekanntlich die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag eingebracht, auch den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Aktivlegitimation zu geben, um im Wege der Grundrechtsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung ihres durch Art. 28 UG gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts anrufen zu können. Wir haben, nachdem das Hohe Haus diesen Antrag meiner Fraktion angenommen hatte, diese Vorschrift nochmals interfraktionell beraten und sind in allen Parteien zu dem Einigungsantrag gelangt, der Ihnen jetzt ais Umdruck iNr. 65 vorliegt und der vorsieht, daß in § 90 der Abs. 2 wieder gestrichen, dagegen ein neuer § 90 a eingefügt wird. Mit dieser Lösung entsprechen wir dem Wunsche, den der Deutsche Städtetag an uns herangetragen hat. Ich möchte deshalb besonders betonen, daß wir es uns stets angelegen sein ließen, alle Anregungen, die von außerparlamentarischer Seite an uns gelangten — etwa von den kommunalen Spitzenverbànden oder von der sogenannten Vereinigung für Bürgerrechte und ähnlichen Organisationen mehr —, auf das sorgfältigste zu prüfen. Wir glauben, daß wir jetzt durch den neuen § 90 a allen berechtigten Interessen der Gemeinden und der kommunalen Spitzenverbände gerecht werden.
Wir haben diese Beschwerde auf die sogenannte abstrakte Normenkontrolle beschränkt, weil es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts sein kann, in Streitigkeiten zwischen der Exekutive eines Landes und den Gemeinden einzugreifen, wohl aber eine bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle bestehen muß, ob ein Landesgesetz oder ein Bundesgesetz mit der Gewährleistung der Selbstverwaltung im Grundgesetz vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht wird zu entscheiden haben, ob der Ausdruck „Gewährleistung" hier bedeutet, daß über die institutionelle Garantie der Selbstverwaltung hinaus ein unmittelbarer Anspruch der Gemeinden gegen den Bund gegeben ist, dafür zu sorgen, daß ihre Selbstverwaltung nicht durch eine Landesgesetzgebung beeinträchtigt wird.
Hinzugefügt ist, daß diese Beschwerde nur gegeben ist, „soweit" nicht nach Landesrecht das Lan-
desverfassungsgericht angerufen werden kann. Damit soll gesagt sein, daß Streitigkeiten darüber, ob nach Landesrecht ein Landesgesetz in die Selbstverwaltung eingreift oder nicht eingreift, von der Landesstaatsgerichtsbarkeit entschieden werden müssen. Aber die Landesstaatsgerichtsbarkeit kann ja nicht entscheiden, ob ein Bundesgesetz mit der Selbstverwaltungsgewährleistung vereinbar ist, und umgekehrt kann nicht vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden, ob ein Landesgesetz mit einer Landesverfassung vereinbar ist. Daraus erklärt sich dieser Zusatz, der also die Kompetenzen zwischen den Landesstaatsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht aufteilt und in jedem Fall dafür sorgt, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände, gestützt auf Art. 28 des Grundgesetzes, immer dann unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen können, wenn sie glauben, eine Gesetzgebung sei mit dem fundamentalen Satz des Grundgesetzes nicht vereinbar, wonach den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Selbstverwaltung von der Bundesrepublik aus gewährleistet wird.
Ebenso sind wir zwischen der zweiten und dritten Lesung zu einer interfraktionellen Einigung über einen Antrag gelangt, der in der zweiten Lesung noch von der Zentrumsfraktion gekommen war. Die Zentrumsfraktion hatte den Antrag gestellt, in die §§ 15 und 16 noch die Bestimmung einzufügen, daß bei Stimmengleichheit der Vorsitzende den Stichentscheid gibt, indem seine Stimme den Ausschlag gibt. Wir haben diesen Antrag der Zentrumsfraktion in der zweiten Lesung abgelehnt, es uns aber dessen ungeachtet angelegen sein lassen, in der Zeitspanne zwischen der zweiten und dritten Lesung uns noch einmal eingehend damit zu beschäftigen. Auch der sozialdemokratische Initiativantrag hatte ja unter gewissen Umständen bereits einen Stichentscheid durch den Vorsitzenden vorgesehen. Wir haben uns jetzt durch einsehende Beratungen davon überzeugt, daß es nicht notwendig, sondern umgekehrt sogar mit erheblichen Bedenken verbunden ist, dem Vorsitzenden eine so ausschlaggebende Rolle, ein solches Mehrstimmrecht im Gericht zuzuerkennen. Wir haben uns nicht dazu entschließen können, den Weg des Zentrumsantrages zu gehen. Dabei sind wir von der Erwägung ausgegangen, daß das öffentliche Recht, insbesondere das Staats- und Verfassungsrecht, von dem Grundsatz beherrscht ist, daß ein Gesetzgebungsakt und ein Verwaltungsakt die Vermutung der Gültigkeit so lange für sich haben, bis durch einen anderen Akt der Staatsgewalt die Ungültigkeit des angefochtenen Aktes ausgesprochen ist. Wir sind der gemeinsamen Überzeugung, daß das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswirklichkeit nur dann wird ändern können, wenn sich im Bundesverfassungsgericht für die Änderung der Verfassungswirklichkeit eine echte Mehrheit zusammenfindet.
Um der Rechtsprechung einen Anhalt zu geben, haben wir uns daher einhellig entschlossen, in S 15 Abs. 2 noch einen Hinweis auf diesen Grundsatz einzufügen. Es soll dort heißen:
Bei Stimmengleichheit kann ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden.
Damit ist wohl auch für die kommende Rechtsprechung deutlich gemacht, daß es immer einer Mehrheit bedarf, um eine Abweichung von der bestehenden Lage, von der eingetretenen Verfassungswirklichkeit zu begründen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich anschließend noch einiges Grundsätzliches sagen. Man wird durchaus im Zweifel sein können, ob das Grundgesetz an Verfassungsgerichtsbarkeit des Guten nicht zuviel bringt. Hieran etwas zu ändern, ist jedoch nicht mehr unseres Amtes. Wir müssen das Grundgesetz hinnehmen, wie es ist, und wir wollen es auch. Für meine Freunde erinnere ich an die grundsätzlichen Erklärungen, die mein Parteifreund Kurt Schumacher schon in Antwort auf die erste Regierungserklärung der Bundesregierung abgegeben und in denen er unsere Treue zum Grundgesetz und den staatsgestaltenden Willen auch der demokratischen Opposition betont hat. Wir sind uns darüber klar, daß erst durch dieses Verfassungsgericht das Gleichgewicht in der Ausübung der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt wird und erst dieses Gericht der Gefahr begegnet, der das Grundgesetz durch Versuche zu seiner Aushöhlung schon ausgesetzt war und noch ist. Andererseits sind wir aber der Auffassung, daß die Kontrolle, die hier durch die rechtsprechende Gewalt auszuüben ist, keine Kontrolle auf die politische Richtigkeit ist, sondern nur auf die Gesetzlichkeit. Deshalb sind wir uns mit allen demokratischen Fraktionen darin einig, daß es sich beim Bundesverfassungsgericht um ein echtes, unabhängiges Gericht handeln muß.
In diesem Zusammenhang darf ich einen weiteren Irrtum in dem Bericht des Herrn Kollegen von Merkatz richtigstellen. Herr Kollege von Merkatz hat eingangs seiner Ausführungen auf ein Wort des früheren Landesministers Rudolf Katz angespielt, daß das Bundesverfassungsgericht politische Entscheidungen in juristischem Gewand zu fällen habe, und hat diesem Wort an und für sich mit Recht widersprochen. Aber ich glaube sagen zu dürfen, daß auch Herr Landesminister Katz, wie sein Verhalten im Rechtsausschuß des Bundesrates gerade bei der Beratung dieses Gesetzes gezeigt hat, niemals die Absicht hatte, hier zum Ausdruck zu bringen, daß es sich beim Bundesverfassungsgericht um kein echtes Gericht, sondern nur um ein juristisch kostümiertes politisches Gremium handle. Ich darf dabei auch darauf hinweisen, daß der Herr Kollege Wahl in seiner Berichterstattung hier — und Sie können das auf Seite 4225 des Stenographischen Berichts nachlesen — davon gesprochen hat, das Bundesverfassungsgericht werde „eminent politische Entscheidungen" zu fällen haben. Damit hat der Herr Kollege Wahl das gleiche gesagt, was Herr Landesminister Katz auszudrücken sich bemühte, nämlich daß es sich um Entscheidungen mit politischer Auswirkung handle. Auch darüber waren wir uns klar.
Mir liegt also daran, hier nochmals die Einigkeit nach beiden Richtungen hin zu betonen, daß das Gericht ein echtes Gericht ist, aber die Art seines Verfahrens und seiner Entscheidungen mit von der außerordentlichen politischen Auswirkung seiner Sprüche gestaltet wird. Daraus ergeben sich dann die Besonderheiten der Struktur, die von den Herren Berichterstattern bereits dargelegt sind: die Unteilbarkeit der Gerichts — das sogenannte Plenarprinzip — und auch die Unvertauschbarkeit der Richter, also der Umstand, daß wir es hier anders als sonst mit immer namentlich feststehenden Richtern zu tun haben.
Im Einvernehmen mit dem Herrn Kollegen von Merkatz darf ich einen Druckfehler in dem Stenographischen Bericht auf Seite 4222 berichtigen. Dem gedruckten Protokoll nach soll Herr Kollege
von Merkatz gesagt haben, daß die Richter der beiden Senate sich gegenseitig vertreten können. Das ist nicht richtig; das ist von dem Herrn Kollegen von Merkatz nicht ausgeführt worden. Wir waren uns vielmehr umgekehrt einhellig einig, daß es im Bundesverfassungsgericht irgendeine Vertretung der Richter überhaupt nicht gibt, auch nicht eine Vertretung der Richter des einen Senats durch Richter des anderen Senats. Gerade deshalb haben wir uns zu dem Ausweg entschließen müssen, ein sogenanntes Quorum einzuführen, also eine Beschlußfähigkeit der Senate auch dann, wenn sie nicht vollzählig versammelt sind.
Diese Einigung in den großen Grundfragen über das Bundesverfassungsgericht wurde allerdings — worauf hinzuweisen ich mich für verpflichtet halte — nur durch erhebliche Opfer ermöglicht, die in wahrhaft demokratischer Weise von allen Seiten dieses Hauses gebracht worden sind. Meine Freunde beklagen, daß wir nachgeben mußten in der Frage des Sondergutachtens, in der Frage eines Vertreters des öffentlichen Interesses, in der Frage der Qualifikation der Gerichtsmitglieder und in der Frage der Wahldauer. Besonders bedauern wir dabei, daß das Separatvotum in dem Gesetz nicht für zulässig erklärt worden ist. Denn wir würden darin eine wesentliche Erleichterung der Rechtsentwicklung sehen, wenn in Rechtsfragen die überstimmten Richter die Möglichkeit hätten, die im angelsächsischen Recht seit Jahrzehnten besteht, ihre abweichende Rechtsauffassung niederzulegen und der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Man soll nicht immer sagen, daß man in Deutschland dafür noch nicht reif sei. Zur Freiheit und zum Fortschritt sollte man immer reif sein.
Ich muß noch einige Einzelheiten aus der Berichterstattung erwähnen und, wie ich glaube, richtigstellen. Herr Kollege Dr. Wahl hat als Berichterstatter auf Seite 4225 erklärt, es solle nicht jedem Mitglied einer Gruppe möglich sein, einen eigenen Prozeßvertreter zu bestellen. Wie wir uns inzwischen noch einmal interfraktionell verständigt haben, ist das ein Mißverständnis. Beschränkt ist nur das Parteirecht auf Anwesenheit. Ist also eine große Gruppe, die aus zahlreichen Mitgliedern besteht, Partei in einem Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht, so kann das Bundesverfassungsgericht gewissermaßen die Vielköpfigkeit dieser Partei auf eine kleine Zahl verringern. Aber das Recht jeder Prozeßpartei, sich selbst einen Prozeßbevollmächtigten — der ja ein Rechtsanwalt sein muß — zu wählen, soll dadurch in keiner Weise eingeschränkt werden.
Ich glaube ferner, es ist in der Berichterstattung nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen, daß das Bundesverfassungsgericht sich mit Beweisanträgen nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung nicht nur auseinanderzusetzen hat, wie es im Bericht hieß, sondern daß diese Grundsätze tatsächlich die bestimmenden sein müssen. Das Bundesverfassungsgericht wird kein freies Ermessen haben, sondern die Pflicht, die Wahrheit zu erforschen. Diese Pflicht bindet das Gericht und begrenzt sein Ermessen. Daher wird es insbesondere keine Vorwegwürdigung von Beweismitteln vornehmen dürfen, und es wird grundsätzlich einen Beweisantrag aus keinem anderen Grunde ablehnen dürfen, als er von dem früheren Reichsgericht im Strafverfahren entwickelt wurde.
Eine stärkere Hervorhebung verdient auch, daß sich die Verfassungsbeschwerde nach § 90 nicht gegen Verletzungen des Grundgesetzes durch die
Gesetzgebung oder durch die Verwaltung, sondern ebenso auch durch ein Gericht richtet, worauf auch das Bundesjustizministerium von vornherein mit Recht Gewicht gelegt hat. Das heißt, auch die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt ist in vollem Umfange der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts nach Maßgabe des Grundgesetzes unterworfen. Das hat eine sehr große Bedeutung; denn bisher, fürchte ich, schenken die Gerichte dem Grundgesetz nicht die hinreichende Beachtung. Ich muß in diesem Zusammenhang, angelehnt an einen Fall, der sich soeben in der Praxis ereignet hat, einen besonderen Gesichtspunkt erwähnen, der sich auf die Gerichtsverfassung bezieht. Das Amtsgericht Kulmbach hat eine Schöffin vom Richteramt wegen Besorgnis der Befangenheit einzig und allein deshalb ausgeschlossen, weil sie Mitglied einer politischen Partei war, während der Nebenkläger einer anderen politischen Partei angehörte.
Das scheint mir nicht zulässig zu sein.
Deshalb ist es wichtig, an dieser Stelle und für die Motive des Gesetzgebers zu betonen, daß wir uns im Rechtsausschuß und in der interfraktionellen Arbeitsgemeinschaft darüber einig waren, daß nach § 18 Abs. 2 nichtbeteiligt und deshalb vom Richteramt nicht ausgeschlossen ist, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufes, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Wir waren uns darüber einig, daß die gleiche Rechtslage auch für die Frage der Befangenheit besteht, daß also aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten, insbesondere aus der bloßen Zugehörigkeit zu einer demokratischen Partei, kein Ablehnungsgrund gegen ein Mitglied des Bundesverfassungsgerichts hergeleitet werden kann.
Abschließend darf ich grundsätzlich noch auf einen Gedanken eingehen, den der Herr Kollege von Merkatz in seinem Referat an die Spitze gestellt hat durch die Bemerkung, das Bundesverfassungsgericht sei die Krönung des Rechtsstaats. Ich möchte dieser Bemerkung ein anderes Wort entgegenstellen: Das Bundesverfassungsgericht ist die Krönung der Rechtssicherheit. Das Bundesverfassungsgericht ist der Schlußstein einer Entwicklung, die ein kluger Deutschamerikaner, der Professor Friedrich, als die negative Revolution bezeichnet hat, die sich gegenwärtig auf dem europäischen Kontinent abspielt. Aber ein Gerichtsstaat oder sogar ein Rechtswegstaat — das können Sie in der Geschichte der Republik Venedig vergleichen — ist noch lange kein Rechtsstaat; es braucht nicht einmal ein demokratischer Staat zu sein. Unsere Vision des Rechtsstaats ist die des Gerechtigkeitsstaats, des insbesondere durch seine soziale Gerechtigkeit legitimierten Staats;
und gerade weil wir uns zu der Auffassung bekennen, daß das Bundesverfassungsgericht ein echtes Gericht zu sein hat, muß ich erklären, daß auch dieses Gericht mit aller Sorgsamkeit sich davor hüten sollte, eine politische Führungsaufgabe übernehmen zu wollen, die ihm nicht zukommt.
Erst dann wird das Bundesverfassungsgericht seine
so bedeutungsvolle Aufgabe erfüllen können, ein,
wie es in § 1 heißt, allen übrigen Verfassungs-
organen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof zu sein. Wir hoffen, daß wir institutionell alles getan und uns gemeinsam redlich bemüht haben, um eine unparteiische und vom Vertrauen a 11 e r Demokraten getragene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Sinne zu ermöglichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner zitierte die Bemerkung des Berichterstatters Dr. von Merkatz, die Vorlage sei die Krönung des Rechtsstaates, oder, um es genauer zu sagen, die Institution des Bundesverfassungsgerichts, wie es nach der Vorlage aussehen soll, sei die Krönung des Rechtsstaates. Ich möchte demgegenüber sagen: Wenn dies die Krönung des gegenwärtigen Staates sein soll, in dem wir leben, so ist das das denkbar schlechteste Zeugnis, das man dem Staat ausstellen kann.
Herr von Merkatz war der Meinung, was in diesem Entwurf enthalten sei, sei der Kern dessen, was man dem Bolschewismus entgegenzusetzen habe. Herr Kollege von Merkatz, wenn das alles ist, was Sie in einer friedlichen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus der Welt von morgen entgegenzustellen haben, dann schätzen Sie die Chancen für den Bestand der alten Welt, die Sie repräsentieren, recht schlecht ein.
Herr Dr. Arndt meinte, das, was uns vorliegt,
sei nicht die Krönung des Rechtsstaates, sondern die Krönung der Rechtssicherheit. Ich glaube, man müßte richtiger sagen: Was uns hier vorgeschlagen wird, ist die Krönung der Rechtsunsicherheit des einzelnen Bürgers und der Organisationen, die in diesem Staate leben.
Was uns hier vorgelegt wird, ist ein Staatsschutzgesetz, ein Ausnahmegesetz.
Es bedeutet die Auslieferung einer gewaltigen Machtfülle in die Hände einer Justiz, die Repräsentant der reaktionärsten Schicht unseres Volkes und ein willfähriges Instrument der staatlichen hohen Bürokratie und der vorherrschenden politischen Richtung ist. Dieser Justiz wird eine Machtfülle gegeben, die sie gegen den einzelnen Menschen, gegen politische Parteien, gegen Ländergesetze und Länderverfassungen einsetzen kann, soweit sie den Bestrebungen der Bundesregierung und ihrer „Freunde" im Hintergrund entgegengesetzt sind, eine Machtfülle, die sich im Sinne der Gleichschaltung auch der Länder und Gemeinden mit den politischen Intentionen des Petersbergs auswirken soll. Von einer solchen Machtfülle macht ein Staat Gebrauch, der sich in seinem eigenen Grundgesetz als eine provisorische Einrichtung kennzeichnete. Sowohl in der Präambel des Grundgesetzes wie auch insbesondere in den Schlußbestimmungen, in Art. 146 des Grundgesetzes, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieser Staat und damit auch sein Grundgesetz vorübergehender Natur ist. Er soll möglichst bald verschwinden, um einer geeinten demokratischen deutschen Republik
Platz zu machen. Was uns hier vorgelegt wird, ist der Versuch, den Bestand dieses ohnedies künstlichen Staatswesens selbst über das Maß dessen hinaus, was in seinem Grundgesetz festgelegt ist, künstlich zu verlängern. Es soll außerdem jede Bestrebung zerschlagen werden, die darauf hinausläuft, diesen Staat möglichst bald durch eine vernünftige und den Interessen des gesamten deutschen Volkes dienende Regelung abzulösen.
Der Charakter dieses Gesetzes erhellt besonders aus den §§ 1 und 32. In § 1 wird die sogenannte Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts festgelegt; aber selbständig und unabhängig wird es nur vom Willen des Volkes sein, selbständig und unabhängig von den Gesetzen selbst dieses Staates, selbständig und unabhängig von den Interessen unseres Volkes.
In § 32 wird der ganze Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem der Herr Kollege Arndt sprach, dadurch über den Haufen geworfen, daß den Richtern das Recht eingeräumt wird, durch einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung, ohne abzuwarten, welches Resultat das definitive Urteil erbringen wird, Maßnahmen anzuordnen, so wie es einzelne Mitglieder des Gerichts wollen, so wie es insbesondere die politischen Hintermänner und Einbläser des Gerichts wollen. Noch mehr Gewicht erhält diese Regelung dadurch, daß die Gültigkeit solcher einstweiligen Anordnungen beliebig oft verlängert werden kann, nachdem sie drei Monate lang in Geltung gewesen sind.
Sowohl die Zusammensetzung der Senate wie auch das System ihrer Wahl führt dazu, daß ihre Entscheidungen fern vom Volk, ohne Einfluß des Volkes, ja über und gegen den Willen des Volkes gefällt werden.
Die Tätigkeit und die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist weiter dadurch gekennzeichnet, daß es ausdrücklich auch dem Parlament übergeordnet wird. Die Richter dieses Verfassungsgerichtshofes sind ermächtigt, selbst Richter zu sein über Gesetze, die die Volksvertretung geschaffen hat, selbst Gesetzgeber, selbst Rechtsschöpfer zu sein. Das wird unter anderem durch die Bestimmung des § 31 erwiesen, in dem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als mit Gesetzeskraft ausgestattet bezeichnet werden.
Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts muß zu einer Lähmung der normalen Gesetzgebung und zu einer Minderung der Autorität der normalen Gesetzgebung führen, und zwar vor allem dadurch, daß es jedem Richter, dem ein Gesetz nicht in den Kram paßt, möglich ist, gegen die Rechtmäßigkeit eines Gesetzes Zweifel zu erheben, das Gericht anzurufen und in der Zwischenzeit die Wirksamkeit bestehender Gesetze auszusetzen.
Der Bundesverfassungsgerichtshof ist sogar, wie es die Vorlage will, dem Grundgesetz übergeordnet. Er erhebt sich selbst zum Richter über die Geltung des Grundgesetzes. Der Herr Kollege von Merkatz sagte in seiner Berichterstattung, es sei die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, das zu realisieren, was im Grundgesetz stehe, es sei seine Aufgabe, zu prüfen, ob die Rechtsprechung, ob die Gesetzgebung mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Das Gegenteil dessen ist richtig. Der Bundesverfassungsgerichtshof wird durch dieses Gesetz ermächtigt, selbst, autoritär zu bestimmen, was Recht ist, welches Gesetz Geltung haben soll und welches nicht.
Meine Damen und Herren, diese Praxis des richterlichen Prüfungsrechts geltender gesetzlicher Bestimmungen hat bereits in der Weimarer Republik zu Einwänden namhafter Juristen, selbst von bürgerlicher, vor allem aber von sozialdemokratischer Seite geführt. Ich möchte hier an die Stellungnahme des ehemaligen Reichsjustizministers Professor Dr. Radbruch, des damaligen prominenten Juristen der Sozialdemokratischen Partei, erinnern. Professor Gustav Radbruch erklärte zur Frage des richterlichen Prüfungsrechts bestehender Gesetze im Jahre 1925 folgendes:
Ich richte in ernster Sorge um unsere Justiz an das Reichsgericht in zwölfter Stunde den dringenden Appell, den verhängnisvollen Schritt zum richterlichen Prüfungsrecht nicht zu tun. Ich richte an Regierung und Parlament die Aufforderung, diesem Schritt rechtzeitig zu begegnen, verfassungsgesetzlich das richterliche Prüfungsrecht auszuschließen ... Ich richte an die Öffentlichkeit die Mahnung, dieser für unser politisches Leben außerordentlich wichtigen Frage endlich die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Dies sagte ein sozialistischer Jurist, der sich allerdings in der Nazizeit nicht gleichschalten ließ. Er gehörte also zu denjenigen Juristen, die heute in der ersten Garnitur der sozialdemokratischen Parteiführung nicht mehr das entscheidende Wort führen; denn andernfalls wäre es nicht möglich gewesen,
daß die sozialdemokratische Fraktion solchen Bestimmungen ihre Zustimmung gibt, die diesen
Mahnungen Radbruchs genau entgegengesetzt sind.
Es handelt sich bei der Vorlage um die Fixierung
B) der Tatsache, daß die Grundrechte des Grundgesetzes im Ernstfalle keine praktische Bedeutung haben. Solange die Grundrechte nicht allgemeine Gültigkeit besitzen; solange sie nicht von jedem Staatsbürger immer und überall in Anspruch genommen werden können, solange sie einer willkürlichen Auslegung durch eine Ausnahmejustiz unterworfen sind, sind die Grundrechte nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben sind.
Die vorliegende Regelung ist noch schlimmer als die Praxis der Weimarer Republik. In der Weimarer Verfassung schrieb der Art. 108 die Bildung eines Staatsgerichtshofes vor. Er wurde am 9. Juli 1921 geschaffen. Aber jener Staatsgerichtshof begnügte sich mit einer weit geringeren Zahl von Kompetenzen. Er begnügte sich mit der Berechtigung der Anklageerhebung gegen den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister. Dazu handelte es sich doch bei der Weimarer Republik um einen souveränen Staat, während der Staat, in dem wir heute hier leben und für den die Vorlage Geltung besitzen soll, ohne staatliche Souveränität dasteht. Der Staat, in dem wir leben, hat sein eigentliches Grundgesetz auf der Londoner Konferenz im Juni 1948 erhalten. Seine Lebensfähigkeit wird immer wieder erneuert durch die Einflüsse und Empfehlungen des Peters-berges. Nur dadurch ist es ihm möglich, auch nur den Schein der Staatlichkeit nach außen hin zu wahren.
Es ist angebracht, daß ein Staat, der sich in seinem eigenen Grundgesetz seinen provisorischen Charakter selbst bestätigt hat und der seine wirkliche Legitimation nur auf ausländische Dokumente beziehen kann, in der Fixierung solcher Gesetze wie dem vorliegenden äußerst bescheiden verfährt.
Er sollte sehr zurückhaltend in der Auslieferung von Macht an Staats- oder Justizorgane sein, die ebenso wie dieser Staatsapparat selbst nur vorübergehenden Charakter haben.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein Wort zu der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion! Herr Kollege Dr. Arndt hat in seiner heutigen Rede einige Einwände geltend gemacht. Mit einigen seiner Einwände kann man durchaus einverstanden sein. Ich frage mich nur, weshalb die sozialdemokratische Fraktion und auch Herr Kollege Dr. Arndt den Abänderungsvorschlägen nicht zugestimmt hat, die meine Fraktion bei der zweiten Lesung eingereicht hat und die sich in einigen Fragen auf derselben Linie bewegten wie die Einwände, die heute von Herrn Dr. Arndt geltend gemacht worden sind. Warum also dieses doppelte Spiel? Oder hat man nur Angst, sich hier in der Öffentlichkeit zu einem kommunistischen Antrag zu bekennen? Ich glaube, daß unter solchen Umständen eine sachliche Bemerkung an Wert verliert, wenn ihr die Konsequenz in der Abstimmung fehlt.
Herr Kollege Schoettle! Sie lachen gerade so freundlich!
— Sie erinnern mich an Ihre geistvolle Rede, die Sie gegen Ende der zweiten Lesung hier gehalten haben. Ich glaube, wenn der alte August Bebel das hören würde, er würde sich im Grabe herumdrehen,
wenn er die Erklärung seines Nachfolgers gehört hätte,
- Sie können ruhig weiterlachen!
Er würde sich im Grabe herumdrehen, Herr Kollege Schoettle, wenn er diese Debatte über den Verfassungsgerichtshof gehört hätte.
Der einzige Einwand, den Sie zu dem vorliegenden Entwurf zu machen hatten, bezog sich auf die Regelung der Gehaltsfrage des Präsidenten und der Mitglieder des Gerichtshofes. Man muß schon sagen: Äußerst bescheiden, äußerst bescheiden!
Ich habe bereits bei der letzten Lesung auf ein altes Dokument der Sozialdemokratischen Partei aufmerksam gemacht, das heute nicht mehr modern ist. Gestatten Sie mir, daß ich etwas aus alten Dokumenten zitiere, die zum Teil zu einer Zeit abgefaßt waren. als August Bebel noch am Leben war. Im Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei aus dem Jahre 1891 wurde über die Justiz folgendes erklärt:
Die Sozialdemokratische Partei fordert eine Rechtsprechung durch vom Volk gewählte Richter.
Das war 1891. Im Jahre 1921 erklärte der Sozialdemokratische Parteitag in Görlitz:
Die Sozialdemokratie verlangt die entscheidende Mitwirkung! gewählter Volksrichter in allen Zweigen der Justiz.
Ich vermisse Ihren Zwischenruf bei dem Wort „Volksrichter", Herr Kollege Schoettle.
Im Heidelberger Parteiprogramm von 1925 ist das Postulat der Sozialdemokratischen Partei „die entscheidende Mitwirkung gewählter Laienrichter in allen Zweigen und auf allen Stufen der Justiz". Herr Kollege Schoettle, wo war Ihre Initiative zur Verwirklichung dieser alten Grundsätze der Sozialdemokratischen Partei bei der zweiten Lesung dieses Gesetzes?
- Weil Sie mich durch Ihre freundliche Geste erfreuen und weil Sie mich ermuntern, Sie etwas an Ihre Knabenzeit zu erinnern, die weit hinter Ihnen liegt.
Schließlich könnte ich noch auf ein Dokument hinweisen, das jüngeren Datums ist, auf das Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei von 1934, in dem gleichfalls die Volksjustiz gefordert wurde und in dem auch gegen die Unabsetzbarkeit einer Klassen- und Kastenjustiz Stellung genommen wurde. Alles dies ist heute vergessen, Herr Kollege Schoettle.
Ich sehe jetzt schon, wie Sie bei der Abstimmung den Arm heben werden, um der Vorlage, wie sie im wesentlichen aus dem Adenauerschen Justizministerium hervorgegangen ist, Ihre Zustimmung zu erteilen.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Handhabe gegen jede politische Bewegung, die die Einheit und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes wiederherstellen will.
Es ist eine Handhabe dazu, alle jene politischen Versuche als ungesetzlich und verfassungswidrig zu erklären, die im Interesse unseres Volkes den Frieden und die Einheit Deutschlands wiederherstellen wollen.
Unter dem Deckmantel einer scheinbaren Gesetzlichkeit wird ein System der Verfemung und Verfolgung in Gesetze niedergelegt,
das die freie Meinungsäußerung strangulieren soll,
ein System, das eine Ausnahmejustiz konstituieren soll gegen alle jene, die sich nicht einverstanden erklären mit dem Kurs des Petersberges und mit der verhängnisvollen Entwicklung
in eine kriegerische Katastrophe.
In den letzten Tagen und Wochen haben maßgebliche Leute der Bundesregierung des öfteren ihre enge Verbundenheit mit der westlichen Welt zu unterstreichen für notwendig befunden,
insbesondere ihre Orientierung auf die amerikanische Politik. Mir scheint, daß auch die heutige
Vorlage diese Orientierung auf die westliche, auf die amerikanische Politik äußerst gewissenhaft zum Ausdruck bringt.
Es ist westliche, genauer gesagt, amerikanische Tradition, daß man im Verkehr mit Völkern, die man als Kolonialobjekte betrachtet,
gewisse Methoden der Teilung der Gewalten anwendet. Ich verweise auf die Geschichte des amerikanischen Imperialismus, etwa in Haiti oder in San Domingo, wo die herrschende Macht die Panzer und die Kapitalanteile stellte und den Einheimischen die Gesetzgebung und die Formulierung der Paragraphen im einzelnen überließ, die das System der amerikanischen Herrschaft legalisieren sollten.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion wird in der dritten Lesung den Entwurf des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ablehnen. Sie ist davon überzeugt, daß dieses Gesetz nicht für die Ewigkeit geschaffen ist.
Sie ist davon deshalb überzeugt, weil sie weiß, daß die schöpferische Kraft unseres Volkes über solche Leistungen bald zur Tagesordnung, zu einer besseren Tagesordnung übergehen wird.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Abgeordneten Fisch eine C Aufklärung schuldig.
— Ob sich's lohnt, das müssen Sie nachher entscheiden.
Ich sagte, ich bin dem Abgeordneten Fisch eine Aufklärung schuldig. Er hat kritisiert, daß ich gelächelt habe. Es gibt in diesem Hause nicht oft Gelegenheit, zu lächeln. Aber ich habe gelächelt, ganz offen gestanden, Herr Kollege Fisch, weil mir bei Ihrer Vorlesung, die Sie ja nicht selber verbrochen haben
— das kann jeder nachprüfen —,
so recht deutlich geworden ist der Zwiespalt zwischen
dem, was hier in diesem Hause trotz mancher Verschiedenheiten, trotz vieler tiefgehender Meinungsverschiedenheiten von der Mehrheit gewollt wird, und dem, was Sie wirklich wollen, aber nicht zu sagen wagen. Ich verstehe Ihre Haltung durchaus, Herr Kollege Fisch;
aber die Mühe, die Sie sich hier gemacht haben, Ihr wahres Gesicht hinter Argumenten zu verbergen, die so aussehen wie die Verteidigung eines Rechtsstandpunktes, steht doch in einem so grotesken Gegensatz zu Ihrer eigenen Praxis, daß jeder, der Sie und Ihre Freunde kennt, darüber nur lächeln kann. Und das habe ich getan.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache in dritter Lesung ist damit abgeschlossen.
Ich rufe nun zur Einzellesung auf und bitte, mir zu gestatten, daß ich die Paragraphen, zu denen keine Abänderungsanträge gestellt sind, zusammenfassend aufrufe.
Ich rufe auf die §§ 1 bis 3. Wer für ihre Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Die Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 4 liegt auf Umdruck Nr. 71 ein Abänderungsantrag vor. Wer für die Abänderung des § 4 in dem beantragten Sinne ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Wer danach für § 4 in der nunmehr festgestellten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe die §§ 5 bis 14 auf. Wer für Annahme dieser Paragraphen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu den §§ 15 und 16 liegen, ebenfalls auf Umdruck Nr. 71, Bleichlautende Abänderungsanträge vor. Wer für die Abänderung dieser beiden Paragraphen im Sinne dieser Abänderungsanträge ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wer für die Annahme dieser beiden Paragraphen in der nunmehr festgestellten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§§ 17 bis 89. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 90 liegt ein Abänderungsantrag vor, den Abs. 2 zu streichen und die bisherigen Abs. 3 und 4 zu den Abs. 2 und 3 zu machen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wer für die Annahme des § 90 in der nunmehr festgestellten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Außerdem soll nach einem Antrag auf Umdruck Nr. 65 ein § 90 a eingefügt werden. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§§ 91 bis 107, Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben von den Sitzen zu bezeugen. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion angenommen. — Der Bundestag hat damit einen mächtigen Pfeiler in den Bau der Bundesrepublik eingezogen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Nr. 1843 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Naegel als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr in der gewerblichen Wirtschaft ist schon vor sehr langer Zeit hier in erster Lesung behandelt worden. Im Laufe der Entwicklung der Wirtschaftslage haben sich Änderungswünsche auf verschiedenen Seiten ergeben, und es war notwendig, eine eingehende Behandlung innerhalb des Ausschusses für Wirtschaftspolitik und der übrigen zur Mitbearbeitung benannten Ausschüsse durchzuführen. Nunmehr liegt der Gesetzentwurf in der Drucksache Nr. 1843 vor. Er entspricht im wesentlichen den Auffassungen, die sich bei der Beratung gezeigt haben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bezweckt in erster Linie die Ausgliederung von nichtministeriellen Aufgaben aus dem Ministerium für Wirtschaft, wobei es sich aber um Aufgaben handelt, bei denen sich doch die Notwendigkeit einer zentralen Bearbeitung und Durchführung ergibt und die deshalb im Rahmen dieser Bundesstelle ähnlich wie früher in den Fachstellen zentral behandelt werden sollen. Es ist notwendig, eine neue gesetzliche Form zu finden, da das Fachstellengesetz, das noch im Mai 1949 vom Wirtschaftsrat in Frankfurt angenommen worden war, am 31. März des vorigen Jahres abgelaufen ist, ohne daß eine neue Fassung der darin verankerten Grundsätze inzwischen Gesetz geworden wäre.
Die der Bundesstelle übertragenen hoheitsrechtlichen Aufgaben sollen sich beziehen auf die Durchführung der Einfuhr, die Durchführung der Ausfuhr, des Interzonenhandels und die Erledigung der
sich aus den zur Zeit noch vorhandenen wenigen Bewirtschaftungsresten ergebenden Aufgaben. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik stimmte diesen Grundsätzen zu und nahm damit die Regierungsvorlage im Grundsatz, wie ich sagte, an. Er hat aber wesentliche Vorschläge zur Änderung der textlichen Formulierung gemacht. Vor allem war es ihm darum zu tun, die Aufgaben der Bundesstelle so zu präzisieren, daß sie nur noch die in § 2 einzeln aufgeführten Tätigkeiten ausüben darf. Diese Beschränkung der Aufgaben der Bundesstelle betrifft in erster Linie die Bearbeitung der Ausfuhrangelegenheiten, von denen nur die Genehmigung von Ausfuhranträgen für Waren der Vorbehaltsliste und die Devisenkontrolle als eine die Ausführungsorgane in den Ländern koordinierende Devisenüberwachungsstelle auf dem gewerblichen Sektor übrig geblieben ist. Dagegen verbleibt als ministerielle Aufgabe die Genehmigung der Gegenseitigkeitsgeschäfte des Veredelungsverkehrs mit dem Ausland beim Ministerium. Auch die von der Wirtschaft gebildeten Exportausschüsse behalten ihre beratende und Unterlagen sammelnde Tätigkeit bei.
Im übrigen konzentriert sich die Tätigkeit der Bundesstelle auf zwei Gebiete, erstens auf die Durchführung von Rechtsverordnungen, die die Bundesregierung bzw. der Bundeswirtschaftsminister auf Grund des Wirtschaftssicherungsgesetzes, das wir in der vorigen Woche verabschiedet haben, erlassen kann, und zweitens auf die einzelnen in § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 4 aufgeführten Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen, die bei der Einfuhr
und im Interzonenhandel zu treffen sind. Es ist dabei nur eine Sonderregelung auf dem Gebiete der eisenschaffenden Industrie vorgesehen. Diese Sonderregelung hinsichtlich der Rohstoff- und Produktionsplanung erweist sich aber im Hinblick auf die große Bedeutung gerade dieses Industriezweiges für die gesamte deutsche Wirtschaft als notwendig.
Die Bundesstelle ist eine Bundesoberbehörde, wie sie der Art. 87 des Grundgesetzes im Abs. 3 vorsieht. Dadurch wird von der Konstruktion, die die Fachstellen nach dem Frankfurter Gesetz hatten, völlig abgewichen und bewußt eine Neuordnung geschaffen.
Um nun aber den unmittelbaren Dienstverkehr zwischen den Gruppen der Bundesstelle und den fachlich zuständigen Abteilungen des Bundesministeriums ohne bürokratische Hemmungen ablaufen lassen zu können, hat der Ausschuß für Wirtschaftspolitik im § 3 den Abs. 3 eingefügt, der eine entsprechende Dienstanweisung des Bundesministers für Wirtschaft vorsieht. Damit soll ein möglichst reibungsloser Verkehr, aber auch eine möglichst einheitliche Gestaltung dieser Angelegenheiten erreicht werden.
In Abweichung von der Regierungsvorlage soll der Sitz der Bundesstelle von dem Bundesminister für Wirtschaft im Rahmen der haushaltsrechtlichen Vorschriften bestimmt werden, um den verwaltungsmäßigen Notwendigkeiten Rechnung tragen zu können. Es war nicht möglich, an dem in der Regierungsvorlage vorgesehenen Sitz Frankfurt festzuhalten, weil inzwischen die McNair-Kaserne in Höchst, das augenblickliche Domizil der Fachstelle, von den Alliierten aufgekündigt ist und schnellstens geräumt werden muß.
Die innere Organisation der Bundesstelle muß entsprechend den wechselnden Anforderungen, beweglich und einfach gestaltet werden. Daher ist im Gesetz die Gliederung in Gruppen vorgesehen, die sich unterteilen in fachliche Gruppen, soweit es sich um die Belange eines Fachzweiges handelt, und in überfachliche Gruppen, soweit Aufgabenbereiche erfaßt werden, die über einzelne Wirtschaftszweige hinausgehen, z. B. die Genehmigung von Ausfuhranträgen für Waren der Vorbehaltsliste oder die Devisenkontrolle.
Es ist dann weiter vorgesehen, daß eine Auflösung bzw. Zusammenlegung der Gruppen sofort eintreten soll, wenn Aufgaben wegfallen, die deren bisherige Existenzgrundlage darstellen.
Die Institution der Beiräte und deren Mitwirkungsrecht ist aus dem Fachstellengesetz übernommen worden. Wir hatten bei dem Fachstellengesetz vorgesehen, daß die verschiedenen Stufen der Wirtschaft und auch Vertreter der Gewerkschaften sich bei der Beratung der Fachstellen in allen Grundsatzfragen beteiligen sollten. Diese Regelung hat sich als gut und richtig erwiesen und ist nunmehr auch in dem neuen Gesetz festgehalten und ausdrücklich betont worden.
Bei der Aufgabenzuteilung haben wir aber im Ausschuß einige textliche Neufassungen gegenüber der Regierungsvorlage vorgenommen, die nicht ganz ohne Bedeutung sind. So haben wir u. a. in einer Soll-Vorschrift verankert, daß nach Möglichkeit die Mitgliederzahl dieser Beiräte tunlichst auf 20 Köpfe beschränkt werden sollte, um nicht ein allzu umfangreiches Gebilde entstehen zu lassen, das nachher nicht arbeitsfähig ist. Darüber hinaus haben wir aber auch eine Beschränkung des Mitwirkungsrechts des Beirats auf alle grundsätzlichen Maßnahmen festgelegt. Wir glaubten, diese Be-
schränkung im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Beschleunigung der Arbeiten verantworten zu sollen, damit nicht jede Einzelfrage und jeder Einzelfall zur Einberufung des gesamten Beirates Anlaß gibt.
Aus dem bewährten Fachstellengesetz haben wir weiter übernommen: die Bestimmungen über die Zusammensetzung des Beirates und über die Entschädigung der Beiratsmitglieder sowie über die Pflicht der Bundesstelle, bei abweichenden Beschlüssen des Beirates die Entscheidung des Bundesministers für Wirtschaft einzuholen. Die gleiche Blockierung wird durch das beizubehaltene Gruppen-Veto oder Minderheits-Veto herbeigeführt.
Wir nehmen an, daß diese Änderungen der Regierungsvorlage bzw. die Beibehaltung der in dem Fachstellengesetz vom Mai 1949 verankerten Vorschriften die Grundlagen der inneren Organisation geben werden, auf denen sich dann die Arbeiten reibungslos vollziehen können.
Der Ausschuß hat den § 7 der Regierungsvorlage getrichen, und zwar handelt es sich dabei um eine Anordnung des Fachstellengesetzes, wonach der Ausschuß zur Unterrichtung der obersten Landeswirtschaftsbehörden verpflichtet werden sollte. Wir waren der Meinung, daß dieses eine ministerielle Aufgabe ist und daß es nicht Aufgabe der Bundesstelle sein kann, diese Unterrichtung durchzuführen, wenn gleichzeitig das Ministerium diese Obliegenheiten erfüllt. Wir sind auch der Meinung, daß es keines besonderen Länderausschusses bei der Bundesstelle bedarf, da ja alle Länderinteressen von den ministeriellen Fachreferenten in den dort vorhandenen Fachauschüssen bereits wahrgenommen werden. In diesen Sitzungen wird auch regelmäßig über die wichtigen Vorgänge bei der Bundesstelle berichtet werden können.
Der Haushalt der Bundesstelle wird dem Bundestag in einem eigenen Haushaltsplan innerhalb des Haushalts für das Bundesministerium für Wirtschaft zur Genehmigung unterbreitet und damit der parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden. Sie wissen, daß bei der Entwicklung zum Fachstellengesetz hin gerade die haushaltsrechtliche Behandlung des Problems zu besonderen Schwierigkeiten führte. Damals wurde die Lösung gefunden, eine Trennung der Kosten und Kostenträger durchzuführen, indem man alle personellen Kosten dem Haushalt und alle sachlichen Kosten durch eine Gebührenerhebung der Wirtschaft übertrug. Diese damalige Lösung hat niemals vollen Beifall gefunden. Wir sind deshalb glücklich, hier nun eine einheitliche, klare haushaltsrechtliche Lösung im Gesetz verankert zu haben.
Damit kommen dann natürlich die beim Fachstellengesetz vorgesehenen Gebühren der Wirtschaft für alle Sonderarbeiten in Fortfall.
Die Bedeutung des Gesetzes ist zeitlich bedingt, dementsprechend auch die Befristung — ähnlich wie im Rahmen des Wirtschaftssicherungsgesetzes — bis zum Auslauf des Marshallplans, bis zum 30. Juni 1952.
Die Bundesstelle soll das Bundesministerium von der Vielzahl von Einzelentscheidungen entlasten. Sie kann diese wichtigen Aufgaben nur dann erfüllen, wenn sie ihre Arbeiten stets in engster Verbindung einerseits mit der von ihr betreuten Wirtschaft, andererseits aber mit den ministeriellen Dienststellen durchführt, wofür die Gesetzesvorlage die Organisationsvorschriften geschaffen hat.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Beschluß des Wirtschaftspolitischen Ausschusses beizutreten und dem Gesetz seine Genehmigung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, das Gesetz ohne Aussprache zu verabschieden. — Das Haus ist einverstanden.
Ich rufe auf § 1, — § 2, — § 3. Wer für die Annahme dieser drei Paragraphen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 4 liegt ein Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 69 vor. Soll der Abänderungsantrag nicht weiter begründet werden? — Wer für die Abänderung des § 4 im Sinne dieses Antrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Gegenprobe! —
— Sie kennen den Antrag auf Umdruck Nr. 69. Er ist verteilt worden. Ich kann ihn verlesen.
— Entschuldigung, es ist ein Zusatz zu § 3: § 3 Abs. 3 erhält nach einem Semikolon folgenden Zusatz:
„darin ist der unmittelbare Dienstverkehr zwischen dem zuständigen Fachreferat des Bundesministeriums für Wirtschaft und einer Gruppe der Bundesstelle sicherzustellen."
Wer für Annahme dieses Zusatzes ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Nun lasse ich wieder über § 3 in der nunmehr festgestellten Fassung abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§4,—§5,—§ 6, — § 7 entfällt, — § 8,—§ 9,
— § 10 entfällt, — § 11, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe auf die §§ 1 bis 11 nach den Beschlüssen der zweiten Beratung, Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzes ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 12 a der Tagesordnung:
Beratung des Antrages der Abgeordneten
Dr. Schröder , Dr. Koch, Dr.
Preusker und Gen. betreffend Untersuchung
über die Lage der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft .
Die Drucksache ist Ihnen zugestellt. Wer soll den Antrag begründen? — Es ist ein interfraktioneller Antrag. Haben sich die Fraktionen nicht geeinigt? — Dr. Schröder steht als erster. — Herr Kurlbaum, sind Sie beauftragt, den Antrag Drucksache Nr. 1847 zu begründen?
— Kann diese Vorlage ohne besondere Begründung als eingebracht gelten?
— Der Punkt ist auf der Tagesordnung, die vor mir liegt, zwischen Punkt 12 und 13 eingeschoben worden. Es scheint, daß das Haus zu Beginn der Sitzung die Tagesordnung ergänzt hat. Die Drucksache ist verteilt worden.
— Soll dieser Punkt abgesetzt werden?
— Die Drucksache ist gestern verteilt worden, wird mir gesagt. Sie muß in Ihren Fächern liegen. — Dann soll dieser Punkt wieder abgesetzt werden?
Ist das Haus damit einverstanden? — Wer für die Absetzung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich hoffe, wir brauchen darüber keinen Hammelsprung zu machen. Letzteres war die Mehrheit. Der Punkt bleibt auf der Tagesordnung.
Ich schlage Ihnen aber vor, da es sich ausschließlich um einen Antrag auf Vornahme einer Enquete handelt, ohne besondere Begründung und ohne Debatte zu entscheiden. Ist das Haus einverstanden?
— Dann lasse ich abstimmen. Wer für die Annahme des Antrages auf Drucksache Nr. 1847 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Dann rufe ich Punkt 13 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahre 1950 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Nr. 1815 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Es ist im Parlamentarischen Rat erst nach langwierigen Verhandlungen mit den Besatzungsmächten gelungen, Vorschriften in das Grundgesetz einzufügen, welche dem Bund die Möglichkeit geben, einen horizontalen Finanzausgleich zwischen starken und schwachen Ländern durchzuführen. Das Grundgesetz hat zwei Möglichkeiten eines horizontalen Finanzausgleichs. Art. 106 Abs. 3 gibt dem Bund die Möglichkeit, auf Teile der Einkommen- und Körperschaftsteuer zurückzugreifen und dann die so gewonnenen Mittel auch als Zuschüsse an schwache Länder zu verteilen. Art. 106 Abs. 4 gibt sodann die zweite Möglichkeit, aus Steuermitteln der Länder eine Ausgleichsmasse zu bilden und aus dieser Ausgleichsmasse an steuerschwache Länder Zuschüsse zu geben.
Der vorliegende Gesetzentwurf macht von der zweiten Möglichkeit Gebrauch. Er bildet eine Ausgleichsmasse, die durch Beiträge der steuersstarken Länder gespeist wird und aus der an die steuerschwachen Länder Zuschüsse gezahlt werden.
Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Entwurf im Finanz- und Steuerausschuß nicht nur unter uns beraten, sondern einem allmählich eingebürgerten Brauche entsprechend auch gemeinsame Beratungen mit dem Finanzausschuß des Bundes-
rates abgehalten. Wir haben uns bemüht, da ja dieser Gesetzentwurf zunächst einmal tie Länder angeht, bei unseren Beratungen nach Möglichkeit den Vorschlägen des Bundesrats, wenigitens dann, wenn sie einmütig oder mit großer Mehrheit im Bundesrat gefaßt waren, zuzustimmen. Wir naben nur dann selbständig entschieden, wenn eine solche Einmütigkeit oder doch eine große Mehrheit im Bundesrat nicht vorhanden war. Wir haben also in diesen Verhandlungen gleichsam die solle eines ehrlichen Maklers zwischen den manchmal :echt weit auseinandergehenden Interessen der Länder zu spielen versucht.
Der Grundgedanke des vorliegenden Gesetzentwurfs, der auch vom Finanz- und Steuerausschuß gebilligt ist, ist der, daß die steuerstarken Länder, also diejenigen Länder, deren Finanzkraft über dem Durchschnitt liegt, Beiträge an eine Ausgleichsmasse leisten und daß diejenigen Länder, deren Steuerkraft unter der durchschnittlichen Steuerkraft des Bundes liegt, aus dieser Ausgleichsmasse Zuschüsse erhalten. Über diese Grundsätze herrschte im Bundesrat Einvernehmen.
Die Steuerkraft der einzelnen Länder wird nun, nach dem Grundgedanken des Entwurfs, in der Weise festgestellt, daß in Anrechnung gebracht werden die in einem Lande aufkommenden Landessteuern und die in einem Lande aufkommenden Realsteuern, daß aber auf der anderen Seite auf diese so ermittelte Steuerkraftmeßzahl dann gewisse Ausgleichslasten angerechnet werden. Diese Ausgleichslasten sind im einzelnen im § 5 des Gesetzentwurfs aufgeführt. Es handelt sich dabei um die Interessenquote der Länder, um Kriegszerstörungslasten, um die mittelbaren Flüchtlingslasten, um die Lasten der Dauerarbeitslosigkeit, um die Zinslasten der Ausgleichsforderungen und um die Hafenlasten der freien Hansestädte Bremen und Hamburg.
Ich muß darauf aufmerksam machen, daß an dieser Stelle der Vorschlag des Finanz- und Steuerausschusses von dem Regierungsentwurf in einem entscheidenden Punkt abweicht. Der Regierungsentwurf wollte auch die sogenannten Hochschullasten als Ausgleichslasten in die Berechnung einbeziehen. Der Finanz- und Steuerausschuß dagegen hat davon abgesehen, die Hochschullasten einzubeziehen. Im Bundesrat selber bestanden hierüber große Meinungsverschiedenheiten. Wir haben die Hochschullasten als Ausgleichslasten gestrichen, einmal weil es nach unserer Auffassung eine ureigene Aufgabe der Länder ist, für die Unterhaltung der Hochschulen zu sorgen, dann aber auch aus praktischen Gründen, weil sich nämlich ein gerechter Maßstab für die Berechnung der Hochschullasten und für die Berechnung der Rechnungsanteile der einzelnen Länder kaum finden läßt. Wir haben dabei auch in Erwägung gezogen, daß die ursprüngliche Studienkommission, die von dem Herrn Bundesfinanzminister eingesetzt war und an der die maßgebenden Sachverständigen der Länder beteiligt waren, davon abgeraten hatte, die Hochschullasten als Ausgleichslasten einzubeziehen. Diese Hochschullasten sind also in dem Entwurf gestrichen, sowohl in dem Katalog des § 5 als in den nachfolgenden entsprechenden Paragraphen.
Dann bestanden noch Meinungsverschiedenheiten darüber, in welcher Weise die Lasten der Dauerarbeitslosigkeit auf die Steuerkraftmeßzahl angerechnet werden sollten. Auch hier hat der Finanz- und Steuerausschuß die Regierungsvorlage in einem wichtigen Punkt geändert. Die Regierungsvorlage
legt der Berechnung die besonders hohe Arbeitslosigkeit in einigen Notstandsgebieten zugrunde. Die Vorlage des Finanz- und Steuerausschusses geht davon aus, daß die Dauerarbeitslosigkeit im Durchschnitt des ganzen Landes bei der Berechnung der Ausgleichslast der Dauerarbeitslosigkeit berücksichtigt werden soll.
Ich mache dann noch darauf aufmerksam, daß in diesem Gesetz auch eine besondere Berücksichtigung des Landes Schleswig-Holstein vorgesehen ist, indem das Land Schleswig-Holstein eine Sonderzuweisung erhält, die sich aus dem Unterschied zwischen der Steuerkraft des Landes Schleswig-Holstein und der Steuerkraft des nächstschwächeren Landes errechnet, und daß endlich Baden mit Rücksicht auf die besondere Lage der Stadt Kehl eine Sonderzuweisung von 2 Millionen DM erhält.
Ich habe dann noch darauf hinzuweisen, daß gemäß einem Vorschlag des Bundesrats in den Gesetzentwurf eine sogenannte Hanseatenklausel eingefügt worden ist, durch die sichergestellt werden soll, daß die beiden Hansestädte in ihren Einnahmen nicht schlechter gestellt werden als vergleichbare Großstädte innerhalb des Bundesgebiets überhaupt.
Meine Damen und Herren! Versucht man sich ein Bild von dem materiellen Ergebnis dieses horizontalen Finanzausgleichs zu machen, so kann man von den Berechnungen ausgehen, die der Regierungsvorlage als Anlage 14 beigefügt sind; allerdings mit einem gewissen Vorbehalt. Diese Berechnungen sind vorläufige Berechnungen, die auf den Schätzungen des Vorjahres aufbauen, während bei der endgültigen Abrechnung nach diesem Gesetzentwurf die Ergebnisse des laufenden Jahres zugrunde gelegt werden sollen. Ferner ergeben sich gewisse Verschiebungen dadurch, daß nach unseren Beschlüssen die Hochschullasten nicht mehr als Ausgleichslast einbezogen werden und daß auch in der Frage der Dauerarbeitslosigkeit die Beschlüsse des Finanz- und Steuerausschusses von der Vorlage abweichen. Aber diese Abweichungen sind nicht so bedeutsam, daß nicht doch die Anlage 14 ein Bild davon geben könnte, wie sich dieser Ausgleich auswirken wird.
Es wird ein Betrag von 281,3 Millionen DM zum Ausgleich kommen. Ausgleichsberechtigt sind nachfolgende Länder mit nachfolgenden Beträgen: Das Land Baden mit 3,8 Millionen, das Land Bayern mit 43,8 Millionen, das Land Niedersachsen mit 92,2 Millionen, das Land Rheinland-Pfalz mit 30,8 Millionen und das Land Schleswig-Hostein mit 110,4 Millionen DM.
Ausgleichspflichtige Länder sind die nachfolgenden: Bremen mit 14,1 Millionen, Hamburg 44,2 Millionen, Hessen mit 12,5 Millionen, Lindau mit 1,6 Millionen, Nordrhein-Westfalen mit 142,8 Millionen, Württemberg-Baden mit 62,6 Millionen, Württemberg-Hohenzollern mit 3,1 Millionen.
Der Entwurf gilt nur für das Rechnungsjahr 1950. Was die zukünftige Regelung sein wird, steht dahin. Man wird aber vielleicht das ganze System der Interessenquoten ändern müssen; man wird vielleicht daran denken müssen, den Ausgleich in Zukunft nicht über den Art. 106 Abs. 4, sondern über den Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes durchzuführen, d. h. auf einen Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer zurückgreifen und aus den so gewonnenen Mitteln des Bundes Zuschüsse an steuerschwache Länder zu geben. Diese Frage hängt natürlich eng damit zusammen, wie sich die Einkommen- und Körper-
schaftsteuer in Zukunft gestalten wird und in welchem Umfang Bund und Länder an dem Mehraufkommen der Einkommensteuer beteiligt werden sollen. Damit keine Unterbrechung eintritt, ist aber in einem der Schlußparagraphen des Gesetzentwurfes vorgesehen, daß der für das Jahr 1950 beschlossene Finanzausgleich auch zunächst im Jahre 1951 weiterlaufen soll, indem bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung 80 v. H. der nach diesem Gesetzentwurf zu leistenden Beiträge und Zuschüsse in monatlichen Beträgen vorläufig weitergezahlt werden.
Ich habe nun noch auf einige kleine redaktionelle Änderungen aufmerksam zu machen. In § 1 Abs. 3, zweite Zeile, muß „" geändert werden in ,,(§ 15)". In der vierten Zeile muß „(§ 14)" geändert werden in „(§ 16)" mit Rücksicht darauf, daß wir im weiteren Verlauf die Paragraphen dieses Gesetzentwurfs umgestellt haben. Außerdem ist noch eine redaktionelle Ergänzung in dem alten § 13 notwendig, der nach den Beschlüssen des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen § 15 wird. In der dritten Zeile ist hinter dem Wort „Finanzkraftmeßzahl" einzuschalten: („§ 2"). Ich wäre dankbar, wenn diese redaktionellen Änderungen gleich mitbeschlossen werden könnten.
Zusammenfassend habe ich im Namen des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen dem Hause vorzuschlagen, die Vorlage nach den Beschlüssen dieses Ausschusses anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die zweite Beratung des Gesetzes.
Ich rufe auf: § 1. — Keine Wortmeldungen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
— Mit den eben angeregten redaktionellen Änderungen.
§ 2. Keine Wortmeldungen. — Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Angenommen.
§ 3. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 4. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 5. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 6. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 7. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 8. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 9. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 10. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen. § 11 entfällt.
§ 12. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 15, der bisherige § 13. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Angenommen.
§ 16, der bisherige § 14. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 13, der bisherige § 15. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 14, der bisherige § 16. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 17. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 18. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 18 a.
— Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Mit Rücksicht auf die Umstellung ist hier eine redaktionelle Änderung erforderlich. Im Abs. 1 muß es statt § 13 heißen § 15. In Abs. 2 ist noch immer „" erwähnt. Auch hier muß es „(§ 15)" heißen.
In der Zeile 6 des Abs. 1 muß es auch § 15 statt § 13 heißen und in Abs. 2 unter b statt „" „(§ 15)".
Wer für die Annahme in der abgeänderten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 19. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 20. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 20 a. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 21 Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 22. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 23. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Einleitung und Überschrift; wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Ich bitte, mir zu gestatten, die Paragraphen geschlossen aufzurufen. Ich rufe auf §§ 1 bis 23, Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
— Stimmenthaltung der kommunistischen Fraktion.
Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! - Das Gesetz ist damit beschlossen.
— Bei Stimmenthaltung der kommunistischen Fraktion.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten über den Antrag der Fraktion der DP betreffend Futtermittel (Nrn. 1792, 1497 der Drucksachen).
Das Wort hat der Abgeordnete Happe als Berichterstatter.
— Ich bitte, den Herrn Berichterstatter herbeizurufen; ich stelle Punkt 14 zurück.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Rückgabe zweckentfremdeter Jugendherbergen an das Deutsche Jugendherbergswerk .
Wer will den Antrag begründen? — Das Wort hat der Abgeordnete Arnholz zur Begründung.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, 5 Minuten für die Begründung festzusetzen und dann ohne Aussprache abzustimmen.
— 15 Minuten scheint mir reichlich. Herr Abgeordneter, ich muß das Haus zuerst beschließen lassen. Ist das Haus mit meinem Vorschlag einverstanden, 5 Minuten für die Begründung anzusetzen?
— Das Haus hat so beschlossen. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nicht Eingeweihten waren einigermaßen überrascht, als sie, nachdem uns am 18. Dezember vorigen Jahres in diesem Saal der Bundesjugendplan beschert worden war, schließlich merkten, daß die bei diesem Bundesplan genannten Zahlen nicht neu zur Verfügung gestellte Beträge darstellen, sondern daß es sich bei ihnen zum weitaus größten Teil um bisher bei den verschiedensten Ansätzen im Haushaltsplan verstreute Summen handelt. Es mehren sich jetzt die Stimmen, die darauf hinweisen, daß bisher keine praktischen Auswirkungen des Bundesjugendplans festzustellen seien. Es wächst die Enttäuschung darüber, daß von der Bundesregierung bisher erkennbar Positives für die Jugendpflege nicht in ausreichendem Maße geleistet worden ist. Wir müssen daher aus dem Stadium der hervorragend guten Reden heraus und über die bedingungslose Anerkennung der Notwendigkeit der Jugendpflege hinweg zu sichtbaren und ausreichenden Ergebnissen kommen.
Ein Gebiet, das dringend der Förderung der Bundesregierung und der Länder bedarf, ist das Jugendwandern, für das das Vorhandensein einer genügenden Zahl von Jugendherbergen die Voraussetzung ist. Im Bundesgebiet gab es vor 1939 über 1200 Jugendherbergen; jetzt sind es nicht einmal mehr 600, trotz der starken Bevölkerungszunahme und trotz des starken Anwachsens der Jugendjahrgänge. Aber nicht nur das zahlenmäßige Anwachsen der Jugend steht im umgekehrten Verhältnis zur Zahl der Herbergen, sondern auch die Not unserer Zeit mit ihren Ruinen, mit der Enge der Behausungen, mit der notdürftigen Unterbringung in Baracken, Bunkern, Kellern und unzureichend hergerichteten Räumen, eine Unterbringung, die oftmals die Gesundheit gefährdet und geeignet ist, die Sittlichkeit zu untergraben. Diese Lage breitester Schichten unseres Volkes
macht es dringend erforderlich, daß die Zahl der Jugendherbergen weit größer wird als vor 1939.
Die Gründe des Rückgangs sind zweierlei Art. Es sind einmal die Kriegszerstörungen, zum andern ist es die zweckentfremdete Verwendung.
Unter anderem wurden die Jugendherbergen als Krankenhäuser oder Altersheime, als Flüchtlingswohnungen, als Verwaltungsdienststellen verwandt, oder aber sie wurden von alliierten Dienststellen beschlagnahmt. Die Unterbringung von Krankenanstalten in Jugendherbergen kann aber doch immer nur ein Provisorium sein. 6 Jahre nach Einstellung der Kriegshandlungen sollte es nunmehr endlich möglich sein, für Kranke zweckentsprechende Häuser bereitzustellen. Auch die Jugendherbergen, die als Altersheime benutzt werden, müßten endlich ihren ursprünglichen Zwecken wieder zugeführt werden. Nicht verständlich ist zum Beispiel aber, daß der Neubau des Alterheims als Ersatz für die Jugendherberge in Soltau bisher daran gescheitert ist, daß von den Gesamtkosten, die auf 203 000 Mark veranschlagt und von denen 50 000 Mark durch Staatszuschuß und 100 000 Mark durch 1. Hypothek gedeckt sind, der Restbetrag von 53 000 Mark aus Landesmitteln noch nicht zur Verfügung gestellt werden konnte und daher das Landeskirchenamt die Baugenehmigung versagte. Bei dem Interesse, das doch auch die Kirche dem Jugendwandern entgegenbringt, wäre es doch wohl erwünscht, wenn auch sie sich nicht allein auf das Land verließe, sondern ihrerseits zu den Baukosten beizutragen suchen würde.
Jugendherbergen, die von Flüchtlingen bewohnt sind, freizumachen, sollte keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bieten. Aus den betreffenden Wohnungsbaufonds müssen die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das ist besonders in den Fällen nicht zu umgehen, in denen Familien in den Jugendherbergen untergebracht sind, die deswegen von anderen Hauseigentümern nicht aufgenommen wurden oder gegen die sich die Hauseigentümer deswegen mit Erfolg gewehrt haben, weil sie kinderreiche Familien sind oder weil sie die Miete nicht bezahlen können. Wenn in solchen Fällen nicht mit allem Ernst für Abhilfe gesorgt wird, werden diese Jugendherbergen niemals frei werden, zumal manche Gemeinden sehr gern diesen Ausweg der Inanspruchnahme der Jugendherbergen als bequemen Weg gewählt haben, weil sie hier den geringsten Widerstand erwarteten. Daß es auch anders geht, zeigt das Beispiel Hamburgs, das der Stadt Cuxhaven Mittel zum zweckgebundenen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt hat. Die betreffende Jugendherberge ist frei.
Daß es vokommt, daß man ausgerechnet in Orten des Fremdenverkehrs sehr wenig Verständnis für das Jugendwandern aufbringt, sollte man nicht für möglich halten. Dafür trotzdem zwei Beispiele. In Berchtesgaden-Strub ist die Herberge mit 100 Betten für Flüchtlingswohnungen beschlagnahmt. „Großzügigerweise" hat man Speicher und Kellerräume für die wandernde Jugend zur Verfügung gestellt! Noch im Februar 1949 hat man in Hahnenklee-Bockswiese die Jugendherberge zur Unterbringung von Flüchtlingen erfaßt. Obwohl der Erfassungsbescheid vom Regierungspräsidenten als rechtswidrig aufgehoben werden ist, soll die Gemeinde für eine anderweitige Unterbringung der Flüchtlinge sich nicht bemüht haben, so daß der
Landesverband des Deutschen Jugendherbergswerkes gezwungen war, Räumungsklage gegen die Flüchtlinge anzustrengen. Ob man in HahnenkleeBockswiese nicht erkennt, daß das Ansehen der Selbstverwaltung durch solches Verhalten in starkem Maße geschädigt werden kann, das ist die Frage, die hier wohl mit Recht zu stellen ist.
Ein anderes Beispiel: In Niederwenigern bemüht sich die Kreisverwaltung sehr darum, Ersatzwohnraum für die in der Jugendherberge untergebrachten Flüchtlinge zu beschaffen. Die Amtsverwaltung dagegen macht, wie mir mitgeteilt wurde, dauernd Schwierigkeiten und weist die Wohnungen anderen Wohnungsuchenden — und nicht den vorgesehenen Vertriebenen — zu. Sicher ist die Wohnungsnot auch dort sehr groß. Aber wenn die Kreisverwaltung helfen will, die Jugendherberge frei zu bekommen, wird sie das aus sehr wohlerwogenen, triftigen Gründen tun. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß der Herbergsraum in der Nähe des Industriegebiets besonders wichtig und die Freigabe sehr dringend ist, da die Jugendherbergen in jenem Gebiet besonders knapp sind.
Daß Klagen über die Beschlagnahme von Jugendherbergen durch Alliierte vorliegen, nimmt nach der Aussprache, die vor kurzem in diesem Hause geführt worden ist, nicht mehr besonders wunder. Zum Teil weiß niemand, wie stark die Belegung ist, also ob die Jugendherbergen überhaupt ausgenutzt werden. Zum Teil ist die Belegung gering. Die Jugendherberge Reisenbach mit 110 Betten wird von einer militärischen Dienststelle benutzt, die ganze fünf bis sechs Mann dort untergebracht hat. Der Vorschlag, diese fünf bis sechs Soldaten in einer Baracke unterzubringen, konnte von dem Jugendoffizier bisher angeblich nicht durchgesetzt werden. Ich muß leider sagen: ich bin sehr unangenehm überrascht, daß bei amerikanischen militärischen Dienststellen so starker Mangel an Verständnis für das Jugendwandern besteht. Ich glaube, daß frühere deutsche militärische Dienststellen mehr Verständnis aufgebracht hätten. Hoffentlich bringen aber auch die zuständigen Stellen recht bald nicht nur Verständnis dafür auf, sondern sorgen auch dafür, daß die Jugendherberge Wiesbaden mit ihren 250 Betten ihrem ehemaligen Bestimmungszweck wieder zugeführt wird. Sie wird zur Zeit von einer Polizeischule benutzt. Da man Polizeischulen auch früher anderweitig unterzubringen wußte, sollte das auch in dieser Zeit nicht unmöglich sein. Daß in Wassenberg eine Jugendherberge mit 50 Betten noch immer als Rathaus benutzt wird, dürfte sich auch nicht mehr rechtfertigen lassen. Gemeinden, die es nicht so bequem hatten, eine Jugendherberge in Anspruch nehmen zu können, wußten sich auch zu helfen; wenn nicht anders, dann dadurch, daß sie ihre Verwaltung in einer Baracke unterbrachten. Die Jugend von Nordrhein-Westfalen dürfte einen Anspruch darauf haben, daß in solchen Fällen endlich die Freigabe erfolgt.
Eines der unerfreulichsten Kapitel dürfte es sein, daß in der Jugendherberge Düsseldorf — einer besonders großen Jugendherberge mit 567 Betten — ein Ministerium, und ausgerechnet das Wiederaufbauministerium, untergebracht ist. Das Land Nordrhein-Westfalen war in der Lage, sehr erhebliche Mittel aufzuwenden und sehr schnell Raum zur Verfügung zu stellen, als es sich darum handelte, den vorläufigen Bundessitz nach Bonn zu legen. Die Jugend wird mit vollstem Recht kein Verständnis dafür haben, daß fünf Jahre nach Bildung dieses Landes, das unter den deutschen Ländern eines der leistungsfähigsten ist, immer noch diese Jugendherberge als Verwaltungsgebäude verwendet wird.
Wie die angeführten Beispiele gezeigt haben, ist es durchaus nicht immer die Unmöglichkeit, Abhilfe zu schaffen, sondern auch mangelndes Verständnis, wenn noch immer zahlreiche Jugendherbergen zweckentfremdet verwendet werden. Wie groß dieser Mangel sein kann — man sollte es nicht für möglich halten; aber die Mitteilung ist mir von sehr zuverlässiger Seite zugegangen —, zeigt die Äußerung eines Regierungsrates in einem Bundesministerium, die also lautete: „Wir haben früher auch nicht gewandert und sind doch tüchtige Menschen geworden. Wandern ist Luxus. Wer wandern will, muß auch entsprechend zahlen."
Diesem Herrn wäre es sicher dienlich, wenn ihm mit seiner Familie für einige Jahre nur die Kaufkraft des Einkommens eines ausgebombten oder vertriebenen Arbeiters zur Verfügung gestellt würde. Sicher verginge ihm die großsprecherische Art, zu fordern: Wer wandern will, muß auch entsprechend zahlen. Und wenn er nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wüchse auch wohl selbst bei ihm das Verständnis dafür, daß zur Förderung des Jugendwanderns Schaffung und Erhaltung von Jugendherbergen gerade in der heutigen Zeit dringendes Gebot ist. Wir sollten uns freuen und es als ein gutes und sehr erfreuliches Zeichen für die Entwicklung in unserer Jugend ansehen, daß sich ein so starker Trieb zum Jugendwandern bemerkbar macht und sich offenbar weiterhin verstärken wird.
Bei dieser Sachlage darf der jetzige Zustand nicht fortdauern wie im Vorjahre, daß in der Hauptwanderzeit — zwischen Pfingsten und den Herbstferien — bei weit über 3 Millionen Übernachtungen in den Jugendherbergen eine ebenso große Zahl abgewiesen werden mußte. In Rüdesheim allein konnten 42 000 Übernachtungen nicht gewährt werden. Wenn die zur Zeit noch zweckentfremdeten Herbergen wieder ihrem ursprünglichen Zweck zurückgegeben würden, könnten sie, wenn man nur einen Durchschnittssatz von 120 Übernachtungen je Bett in Ansatz bringt, rund 950 000 Übernachtungen gewähren. Diese Zahl spricht für sich selbst. Welchen Segen könnte die Freigabe dieser Jugendherbergen stiften! Denken wir daran, daß Jugendwandern zur Zielstrebigkeit, zu starkem Wollen hinleitet, aber auch reine Freude und echten Frohsinn weckt. Ein Jahr lang wird gespart, auf Überflüssiges oder nicht Notwendiges ganz oder teilweise verzichtet. Das lange vorher beginnende Planen schon bereitet Freude, lenkt auf ein schönes und erstrebenswertes Ziel, dem auch während der Wanderung Wollen und Tatkraft gelten. Bei alledem aber begründet es rechte Freundschaft und läßt den Geist wahrer Kameradschaft sich besonders stark entwickeln. Es kann zur Enthaltsamkeit von Alkohol und Nikotin führen; das sollte nach meiner persönlichen Meinung als erstrebenswertes Ziel des Jugendwanderns auch in Zukunft wieder anerkannt werden. Zweifellos aber macht es empfänglich für unsere alten und neuen schönen Volks- und Wanderlieder und es lenkt vielleicht auch ab von Schlagern und den hypermodernen Melodien und Texten. Keine Unterkunft ist besser als die Jugendherberge geeignet, die wanderfreudige Jugend aus Gasthäusern und teuren Hotels fernzuhalten, ihr eine ihr gemäße Unterkunft zu geringem Preis zu sichern, der für die meisten die Voraussetzung der Möglichkeit zu
wandern überhaupt erst eröffnet. Sie entheben die Jugend aber auch der Benutzung primitiver Strohlager, die nicht immer gesundheitlich einwandfrei sind und zuweilen Unglücksgefahren bieten.
Schließlich dienen Jugendwandern und zweckentsprechende gute Herbergen im Zeitalter der Technik, mit viel geistiger Arbeit und viel Arbeit, die Körper und Nerven sehr viel mehr beansprucht und schädigt als früher, besonders bei jungen Menschen, der Erhaltung und Entwicklung von Volkskraft und Volksgesundheit im weitesten Sinne des Wortes und bieten den notwendigen Ausgleich. Wer sich wandernd ganz der Natur hingibt, dem gibt sie nicht nur einen gesunden Körper; dem schenkt sie auch einen freien, offenen Blick und frohen Sinn und sie weckt in ihm immer von neuem die Sehnsucht, hinauszuwandern in die Weite. Sie erfüllt seine Seele ganz. Wer die Freuden des Wanderns einmal selbst erlebt hat und wer ein rechter Wanderer ist, der wünscht auch allen anderen, daß sie diese Freude selbst genießen können, daß ein möglichst weiter Kreis unseres Volkes instand gesetzt wird, das Jugendwandern zu pflegen. Daß ein möglichst großer Kreis an diese Möglichkeit herangebracht wird, ist der Zweck unseres Antrages, die zweckentfremdeten Jugendherbergen nunmehr mit größter Beschleunigung wieder dem Jugendwandern zur Verfügung zu stellen.
Aus diesem aufrichtigen Wunsch wollen wir der Jugend wirklich mit der Tat helfen. Daraus ist der vorliegende Antrag geboren. Ich darf wohl annehmen, daß dieses Haus sich unserem Antrag einstimmig anschließt und damit der Bundesregierung zuruft: Gebt der Jugend die Jugendherbergen zurück!
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Meine Damen und Herren! Die Rückgabe der zweckentfremdeten Jugendherbergen ist seit langem das besondere, dringende Anliegen der Bundesregierung.
Sie arbeitet darin aufs engste mit dem Jugendherbergswerk zusammen. Hierzu sind Erhebungen notwendig. Die zweckentfremdeten Jugendherbergen sind vorwiegend für Heimatvertriebene, für Flüchtlinge aller Art in Anspruch genommen. Es ist in den meisten Fällen sehr schwierig, diese Vertriebenen irgendwoanders unterzubringen. Deswegen sind die Erhebungen notwendig. Die Unterbringung ist an sich Sorge der Wohnungsämter und der Flüchtlingsministerien in den einzelnen Ländern. Durch die Erhebungen soll im Einzelfall festgestellt werden, wo die Gründe für die bisherige Nichtrückgabe liegen. Sobald das Material geschlossen in unseren Händen ist, werden wir uns wegen der Rückgabe mit den zuständigen Stellen, sowohl innerhalb der eigenen Regierung als auch in den Ländern, in Verbindung setzen und Ihnen die entsprechenden Vorschläge unterbreiten.
Sie haben beschlossen, den Antrag ohne Aussprache zu bescheiden.
Ich lasse abstimmen. Wer für die Annahme dieses Antrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe fetz wieder Ziffer 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der DP betr. Futtermittel (Nrn. 1792, 1497 der Drucksachen)
und erteile dem Abgeordneten Happe das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 1497 betreffend Futtermittel ist vom Plenum dem Ernährungsausschuß überwiesen und in der Ausschußsitzung am 29. November 1950 durchberaten worden. Der Ernährungsausschuß hat immer wieder betont, daß die Sicherstellung der Brotversorgung unserer Bevölkerung für uns alle eine Kardinalfrage ist. Der Verzehr von Roggenbrot und von Mischbrot hat den Vorrang. Einmütig ist der Ernährungsausschuß aber auch der Auffassung, daß das Brotgetreide in Anbetracht der drohenden Versorgungslücke der Volksernährung zugeführt werden muß und eine Verfütterung nicht verantwortet werden kann.
Die Anordnung von Festpreisen für Roggen und Weizen einerseits und der freie Markt für Futtergetreide andererseits haben zu großen Mißständen in der Getreidewirtschaft geführt. Die gesetzlichen Erzeugerfestpreise für Roggen und Weizen werden vom Handel und den Mühlen nicht mehr innegehalten, weil zu diesen Preisen kaum ein Pfund Getreide zu kaufen ist. Die ungebundenen Preise für Futtergetreide liegen beträchtlich höher. Durch den Beschluß des Hohen Hauses in der 78. Sitzung am 21. Juli 1950 wurde zwar der Übernahmepreis für Milokorn von 260 DM je Tonne auf 240 DM je Tonne frei Paritätspunkt herabgesetzt, aber die Landwirtschaft mußte 31 DM und mehr je Doppelzentner bezahlen.
Solange die Diskrepanz zwischen den Brot- und Futtergetreidepreisen nicht behoben ist, wird Roggen nach wie vor weiter an die Schweine, Weizen an die Hühner usw. verfüttert oder anderweit zu höheren Preisen verkauft. Die Verfütterung von Brotgetreide läßt sich auch nicht durch das heute noch bestehende Verfütterungsverbot verhindern, sondern lediglich durch eine richtige Preisrelation zwischen Brot- und Futtergetreide. Solange der Bauer für sein Brotgetreide weniger erhält und für Futtergetreide mehr aufwenden soll, wird er immer in Versuchung kommen, Brotgetreide zu verfüttern. Wir haben nun einmal die freie Wirtschaft, und da nimmt die Landwirtschaft das für sich in Anspruch, was jedem andern Unternehmer freigestellt ist.
Es steht fest, daß in den ersten vier Monaten des neuen Getreidewirtschaftsjahres 300 000 Tonnen Roggen weniger als im gleichen Zeitraum des Jahres 1949 zur Ablieferung gelangten. Erschwerend kommt hinzu, daß sich der Schweinebestand gegenüber dem Vorjahre um ca. 3 Millionen Stück erhöht hat. Es wäre noch weit mehr Roggen an die Schweine verfüttert worden, wenn nicht die diesjährige Kartoffelernte mit einem Mehr von 7 Millionen Tonnen die Futterbasis so beachtlich erweitert hätte. Ein vorzeitiger großer Schweinemord wäre sonst die unausbleibliche Folge gewesen. Rechtzeitig hätte für angelieferten Roggen verbilligtes Milokorn zurückgeliefert werden
müssen, wodurch im gleichen Maße Roggen für die Brotversorgung frei geworden wäre. Es sind doch überwiegend die mittleren und kleineren landwirtschaftlichen Betriebe, die aus arbeitstechnischen oder pekuniären Gründen sofort nach dem Drusch ihr Brotgetreide abgeliefert haben. Sie werden bei der ab 1. Januar eingeleiteten Umtauschaktion Roggen gegen Milokorn im Verhältnis 1 zu 1 nicht mehr berücksichtigt. Sie sind somit benachteiligt. Für die ordnungsmäßige Rücklieferung von Milokorn durch den Handel oder die Mühlen fehlte in diesem Getreidewirtschaftsjahr auch die Basis; denn die Getreideablieferungskartei wird seit dem Erntejahr 1950/51 bei den .Kreisen nicht mehr geführt. Nach den Erfahrungen früherer Jahre erfolgte die schwergewichtartige Ablieferung von Getreide bis Ende Januar. Jetzt, am Ende dieses Ablieferungszeitraumes, noch eine Wende herbeizuführen, läßt keinen nennenswerten Erfolg mehr erwarten. Trotzdem muß alles versucht werden, um das noch bei der Landwirtschaft lagernde Brotgetreide zur Anlieferung zu bringen.
Der Ernährungsausschuß beantragt deshalb: Der Bundestag wolle beschließen:
Um die Brotgetreideversorgung für das Jahresende nicht zu gefährden, wird die Bundesregierung ersucht, dafür zu sorgen, daß den Bauern für ihren abgelieferten Roggen die gleiche Menge vollwertigen Futtergetreides mindestens zum gleichen Preise zurückgeliefert wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, ohne Aussprache zu beschließen. Sie sind einverstanden?
Dann lasse ich abstimmen. Wer für die Annahme
des Ausschußantrages ist, den bitte ich, die Hand
zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Ermittlungen über noch nicht heimgekehrte deutsche Kriegsgefangene .
Wer wird den Antrag begründen?
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren, es ist vorhin eine interfraktionelle Vereinbarung dahin getroffen worden, daß dieser Antrag ohne Aussprache an den Auswärtigen Ausschuß gehen soll, der aber gebeten werden soll, die Beratungen über diese dringliche Sache sofort aufzunehmen und dem Plenum in der nächsten Plenarsitzung - das würde also nach den Vereinbarungen, die im Ältestenrat getroffen worden sind, am 14. Februar sein — Bericht zu erstatten, damit die Dinge möglichst schnell zu einem Abschluß gelangen. Ich bitte das Haus, mit dieser interfraktionellen Vereinbarung einverstanden zu sein und entsprechend zu verfahren.
Keine Wortmeldungen hierzu?
Ich stelle den Antrag zur Abstimmung. Wer für die Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion angenommen.
- Ich bitte, die Zwiegespräche zu unterlassen.
Meine Damen und Herren! Ich habe zu Punkt 12 der Tagesordnung ein Versäumnis nachzuholen. Ich habe bei der Abstimmung über Drucksache Nr. 1843 unterlassen, Sie um die Abstimmung zu Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses zu bitten, die zu dieser Gesetzesvorlage eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich nehme an, das Haus ist einverstanden, daß diese Abstimmung als erfolgt gilt.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Antragen an die Ausschüsse ,
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ist angenommen.
Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß unmittelbar nach Schluß der Sitzung eine Fraktionssitzung des Zentrums stattfindet.
Meine Damen und Herren, der Zeitpunkt für die nächste, die 117. Sitzung des Deutschen Bundestages wird nach Festlegung durch den Ältestenrat mitgeteilt werden.
Ich schließe die 116. Sitzung.