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ID0111605100

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    Deutscher Bundestag - 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1951 4395 116. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4393D, 4427D Begrüßung des Abg. Leonhard nach Wiedergenesung 4397A Änderung der Tagesordnung 4397A Zur Geschäftsordnung: Dr. Oellers (FDP) 4397B Dr. Reismann (Z) 4397D Einspruch des Abg. Renner gemäß § 92 der vorläufigen Geschäftsordnung gegen den ihm in der 113. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Nr. 1840 der Drucksachen) . . 4398D Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betr. Remontage (Nr. 1703 der Drucksachen) 4398D Dr. Wellhausen (FDP), Interpellant 4398D, 4403D Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft . . 4400B Dr. Schöne (SPD) 4400D Harig (KPD) 4402A Walter (DP) 4402C Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) . . 4402D Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . 4403B Willenberg (Z) 4403C Ausschußüberweisung 4404B Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Mühlenfeld, Dr. Seelos, Frommhold und Genossen betr. Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung (Nr. 1568 der Drucksachen) 4404B Dr. Mühlenfeld (DP), Interpellant 4404C, 4409B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 4407B Ausschußüberweisung 4409C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung von Fristen auf dem Gebiete des Anwaltsrechts (Nrn. 1796, 1615, 1717 der Drucksachen) 4409C Dr. Arndt (SPD), Berichterstatter 4409C, 4411A Ewers (DP) 4410A Beschlußfassung 4411A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Entwurf eines Allgemeinen Eisenbahngesetzes (Nrn. 1801, 1342, 1640, 1716 der Drucksachen) 4411B Dr. Andersen, Landesminister, Berichterstatter 4411B Beschlußfassung 4412A Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1833 der Drucksachen) 4412A Beschlußfassung 4412B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundsteuergesetzes (Nr. 1787 der Drucksachen) 4412B Dr. Bertram (Z) 4412B Ausschußüberweisung 4412C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das landwirtschaftliche Pachtwesen (Landpachtgesetz) (Nr. 1812 der Drucksachen) 4397B, 4412D Ausschußüberweisung 4412D Erste Beratung des Entwurfs eines Bundes-Jagdgesetzes (Nr. 1813 der Drucksachen) 4397B, 4412D Ausschußüberweisung 4412D Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Nrn. 328, 788, 1724 der Drucksachen); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Umdruck Nr. 64); Anträge Umdruck Nrn. 65 und 71 4412D Dr. Arndt (SPD) 4413A Fisch (KPD) 4416A Schoettle (SPD) 4418D Abstimmungen 4419A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft (Nr. 586 [berichtigt] der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) (Nr. 1843 der Drucksachen) 4419B, 4427D Naegel (CDU), Berichterstatter . . . 4419C Abstimmungen 4421A, 4427D Beratung des Antrags der Abg. Dr. Schröder (Düsseldorf), Dr. Koch, Dr. Preusker u. Gen. betr. Untersuchung über die Lage der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft (Nr. 1847 der Drucksachen) . . . 4397A, 4421B Beschlußfassung 4421C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1634 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (Nr. 1815 der Drucksachen) 4421D Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP), Berichterstatter 4421D, 4423C Abstimmungen 4423B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der DP betr. Futtermittel (Nrn. 1792, 1497 der Drucksachen) 4423D, 4426C Happe (SPD), Berichterstatter . . . 4426C Beschlußfassung 4427B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Rückgabe zweckentfremdeter Jugendherbergen an das Deutsche Jugendherbergswerk (Nr. 1790 der Drucksachen) 4424A Arnholz (SPD), Antragsteller . . . . 4424A Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 4426B Beschlußfassung 4426B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Ermittlungen über noch nicht heim- gekehrte deutsche Kriegsgefangene (Nr. 1823 der Drucksachen) 4427B Mellies (SPD), Antragsteller . . . 4427B Ausschußüberweisung 4427C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 62) 4427D Nächste Sitzung 4427D Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus und insbesondere auch die Regierungsbank zeigen leider nicht das Bild eines großen Tages, wie es nach unseren Wünschen hätte aussehen sollen.

    (Zuruf von der SPD: Der Herr Justizminister kommt eben! — Abg. Schoettle: Sie müssen sich korrigieren!)

    Gleichwohl ist heute ein großer Tag des Bundestags. Die Verabschiedung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht fällt in einen Zeitpunkt, der im Bereich der Rechtspflege durch einen schweren Konflikt im Richterwahlausschuß, dessen Schwere nicht unterschätzt werden sollte, gekennzeichnet ist. Um so bedeutender und bemerkenswerter ist es, daß es gelang, hier eine Einigkeit aller demokratischen Fraktionen dieses Hauses herzustellen.
    Ich muß allerdings einen Irrtum des Herrn Kollegen von Merkatz in seiner Berichterstattung korrigieren. Herr Kollege von Merkatz hat ausgeführt, die Mitglieder des Rechtsausschusses seien sich von Anfang an darüber im klaren gewesen, daß die Organisation des Bundesverfassungsgerichtshofs von allen demokratischen Parteien getragen sein müsse. Das schien nicht immer so. Es gab sogar im Rechtsausschuß einen sehr kritischen Zeitpunkt, in welchem man den Eindruck gewinnen mußte, als ob auch hier parteipolitische Fronten durch das Haus gingen. Ich bedauere, daß der Herr Kollege Kiesinger nicht anwesend ist, denn es ist mir wirklich eine Freude, angesichts des Hohen Hauses auszusprechen, daß in diesem kritischen Zeitpunkt der Herr Kollege Kiesinger d e r Demokrat im Ausschuß war, der für die Mehrheit erklärte, es sei unmöglich, ein solches Gesetz ohne Mitwirkung der Minderheit zu verabschieden, und es müsse — unter Umständen auch durch Einsetzung eines interfraktionellen Ausschusses — alles getan werden, um hier zu einer Einigkeit zu gelangen. Ich danke Herrn Kollegen Kiesinger dafür, daß er diese demokratische Haltung bewiesen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Mir ist es auch ein Bedürfnis, den Herren des Bundesjustizministeriums, Herrn Ministerialdirektor Dr. Römer und Herrn Bundesrichter Dr. Geiger, von dieser Stelle aus den Dank für ihre aufopfernde Arbeit auszusprechen, die sie mit außerordentlicher Sachkunde und wirklicher Hilfsbereitschaft geleistet haben, um dieses Gesetzgebungswerk zustande zu bringen.

    (Bravo! bei der SPD.)

    Hier ist wirklich eine Gemeinsamkeit in der Arbeit gewesen, die nicht nur eine falsche Kollegialität war — Kollegialität sollte sich von selber verstehen —, sondern man hat, ohne daß der eine oder andere seine grundsätzlichen Standpunkte aufzugeben brauchte, so lange die gegenseitigen Erwägungen miteinander abgewogen, bis man hier zu einem gemeinsamen Werk gelangte.
    Wir beklagen allerdings, daß zwischen der Einbringung des sozialdemokratischen Antrages und dem Antrag der Bundesregierung erhebliche Zeit verloren gegangen ist; späterhin kann man diesen Vorwurf nicht mehr machen. Es ist uns häufig in der Öffentlichkeit, auch in einzelnen Teilen der Tagespresse, vorgeworfen worden, wir seien nicht genügend an der Arbeit, um das Bundesverfassungsgericht zu erstellen. Diese Vorwürfe waren unbegründet. Es ist eine außerordentliche Arbeit geleistet worden, ohne jeden Verlust an Zeit, soweit wir einen solchen Verlust vermeiden konnten. Bedauerlich ist nur, daß heute hier wie auch in der zweiten Lesung ein solcher Mangel an Publizität besteht.
    Zwischen der zweiten und dritten Lesung ist es uns auch gelungen, in den Fragen, in denen noch Mieinungsverschiedenheiten bestehen könnten, zu einer Einigung zu gelangen. Das gilt für die Ihnen heute vorliegenden Umdrucke Nr. 65 und Nr. 71. In der zweiten Lesung hatte bekanntlich die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag eingebracht, auch den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Aktivlegitimation zu geben, um im Wege der Grundrechtsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung ihres durch Art. 28 UG gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts anrufen zu können. Wir haben, nachdem das Hohe Haus diesen Antrag meiner Fraktion angenommen hatte, diese Vorschrift nochmals interfraktionell beraten und sind in allen Parteien zu dem Einigungsantrag gelangt, der Ihnen jetzt ais Umdruck iNr. 65 vorliegt und der vorsieht, daß in § 90 der Abs. 2 wieder gestrichen, dagegen ein neuer § 90 a eingefügt wird. Mit dieser Lösung entsprechen wir dem Wunsche, den der Deutsche Städtetag an uns herangetragen hat. Ich möchte deshalb besonders betonen, daß wir es uns stets angelegen sein ließen, alle Anregungen, die von außerparlamentarischer Seite an uns gelangten — etwa von den kommunalen Spitzenverbànden oder von der sogenannten Vereinigung für Bürgerrechte und ähnlichen Organisationen mehr —, auf das sorgfältigste zu prüfen. Wir glauben, daß wir jetzt durch den neuen § 90 a allen berechtigten Interessen der Gemeinden und der kommunalen Spitzenverbände gerecht werden.
    Wir haben diese Beschwerde auf die sogenannte abstrakte Normenkontrolle beschränkt, weil es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts sein kann, in Streitigkeiten zwischen der Exekutive eines Landes und den Gemeinden einzugreifen, wohl aber eine bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle bestehen muß, ob ein Landesgesetz oder ein Bundesgesetz mit der Gewährleistung der Selbstverwaltung im Grundgesetz vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht wird zu entscheiden haben, ob der Ausdruck „Gewährleistung" hier bedeutet, daß über die institutionelle Garantie der Selbstverwaltung hinaus ein unmittelbarer Anspruch der Gemeinden gegen den Bund gegeben ist, dafür zu sorgen, daß ihre Selbstverwaltung nicht durch eine Landesgesetzgebung beeinträchtigt wird.
    Hinzugefügt ist, daß diese Beschwerde nur gegeben ist, „soweit" nicht nach Landesrecht das Lan-


    (Dr. Arndt)

    desverfassungsgericht angerufen werden kann. Damit soll gesagt sein, daß Streitigkeiten darüber, ob nach Landesrecht ein Landesgesetz in die Selbstverwaltung eingreift oder nicht eingreift, von der Landesstaatsgerichtsbarkeit entschieden werden müssen. Aber die Landesstaatsgerichtsbarkeit kann ja nicht entscheiden, ob ein Bundesgesetz mit der Selbstverwaltungsgewährleistung vereinbar ist, und umgekehrt kann nicht vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden, ob ein Landesgesetz mit einer Landesverfassung vereinbar ist. Daraus erklärt sich dieser Zusatz, der also die Kompetenzen zwischen den Landesstaatsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht aufteilt und in jedem Fall dafür sorgt, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände, gestützt auf Art. 28 des Grundgesetzes, immer dann unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen können, wenn sie glauben, eine Gesetzgebung sei mit dem fundamentalen Satz des Grundgesetzes nicht vereinbar, wonach den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Selbstverwaltung von der Bundesrepublik aus gewährleistet wird.
    Ebenso sind wir zwischen der zweiten und dritten Lesung zu einer interfraktionellen Einigung über einen Antrag gelangt, der in der zweiten Lesung noch von der Zentrumsfraktion gekommen war. Die Zentrumsfraktion hatte den Antrag gestellt, in die §§ 15 und 16 noch die Bestimmung einzufügen, daß bei Stimmengleichheit der Vorsitzende den Stichentscheid gibt, indem seine Stimme den Ausschlag gibt. Wir haben diesen Antrag der Zentrumsfraktion in der zweiten Lesung abgelehnt, es uns aber dessen ungeachtet angelegen sein lassen, in der Zeitspanne zwischen der zweiten und dritten Lesung uns noch einmal eingehend damit zu beschäftigen. Auch der sozialdemokratische Initiativantrag hatte ja unter gewissen Umständen bereits einen Stichentscheid durch den Vorsitzenden vorgesehen. Wir haben uns jetzt durch einsehende Beratungen davon überzeugt, daß es nicht notwendig, sondern umgekehrt sogar mit erheblichen Bedenken verbunden ist, dem Vorsitzenden eine so ausschlaggebende Rolle, ein solches Mehrstimmrecht im Gericht zuzuerkennen. Wir haben uns nicht dazu entschließen können, den Weg des Zentrumsantrages zu gehen. Dabei sind wir von der Erwägung ausgegangen, daß das öffentliche Recht, insbesondere das Staats- und Verfassungsrecht, von dem Grundsatz beherrscht ist, daß ein Gesetzgebungsakt und ein Verwaltungsakt die Vermutung der Gültigkeit so lange für sich haben, bis durch einen anderen Akt der Staatsgewalt die Ungültigkeit des angefochtenen Aktes ausgesprochen ist. Wir sind der gemeinsamen Überzeugung, daß das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswirklichkeit nur dann wird ändern können, wenn sich im Bundesverfassungsgericht für die Änderung der Verfassungswirklichkeit eine echte Mehrheit zusammenfindet.
    Um der Rechtsprechung einen Anhalt zu geben, haben wir uns daher einhellig entschlossen, in S 15 Abs. 2 noch einen Hinweis auf diesen Grundsatz einzufügen. Es soll dort heißen:
    Bei Stimmengleichheit kann ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden.
    Damit ist wohl auch für die kommende Rechtsprechung deutlich gemacht, daß es immer einer Mehrheit bedarf, um eine Abweichung von der bestehenden Lage, von der eingetretenen Verfassungswirklichkeit zu begründen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich anschließend noch einiges Grundsätzliches sagen. Man wird durchaus im Zweifel sein können, ob das Grundgesetz an Verfassungsgerichtsbarkeit des Guten nicht zuviel bringt. Hieran etwas zu ändern, ist jedoch nicht mehr unseres Amtes. Wir müssen das Grundgesetz hinnehmen, wie es ist, und wir wollen es auch. Für meine Freunde erinnere ich an die grundsätzlichen Erklärungen, die mein Parteifreund Kurt Schumacher schon in Antwort auf die erste Regierungserklärung der Bundesregierung abgegeben und in denen er unsere Treue zum Grundgesetz und den staatsgestaltenden Willen auch der demokratischen Opposition betont hat. Wir sind uns darüber klar, daß erst durch dieses Verfassungsgericht das Gleichgewicht in der Ausübung der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt wird und erst dieses Gericht der Gefahr begegnet, der das Grundgesetz durch Versuche zu seiner Aushöhlung schon ausgesetzt war und noch ist. Andererseits sind wir aber der Auffassung, daß die Kontrolle, die hier durch die rechtsprechende Gewalt auszuüben ist, keine Kontrolle auf die politische Richtigkeit ist, sondern nur auf die Gesetzlichkeit. Deshalb sind wir uns mit allen demokratischen Fraktionen darin einig, daß es sich beim Bundesverfassungsgericht um ein echtes, unabhängiges Gericht handeln muß.
    In diesem Zusammenhang darf ich einen weiteren Irrtum in dem Bericht des Herrn Kollegen von Merkatz richtigstellen. Herr Kollege von Merkatz hat eingangs seiner Ausführungen auf ein Wort des früheren Landesministers Rudolf Katz angespielt, daß das Bundesverfassungsgericht politische Entscheidungen in juristischem Gewand zu fällen habe, und hat diesem Wort an und für sich mit Recht widersprochen. Aber ich glaube sagen zu dürfen, daß auch Herr Landesminister Katz, wie sein Verhalten im Rechtsausschuß des Bundesrates gerade bei der Beratung dieses Gesetzes gezeigt hat, niemals die Absicht hatte, hier zum Ausdruck zu bringen, daß es sich beim Bundesverfassungsgericht um kein echtes Gericht, sondern nur um ein juristisch kostümiertes politisches Gremium handle. Ich darf dabei auch darauf hinweisen, daß der Herr Kollege Wahl in seiner Berichterstattung hier — und Sie können das auf Seite 4225 des Stenographischen Berichts nachlesen — davon gesprochen hat, das Bundesverfassungsgericht werde „eminent politische Entscheidungen" zu fällen haben. Damit hat der Herr Kollege Wahl das gleiche gesagt, was Herr Landesminister Katz auszudrücken sich bemühte, nämlich daß es sich um Entscheidungen mit politischer Auswirkung handle. Auch darüber waren wir uns klar.
    Mir liegt also daran, hier nochmals die Einigkeit nach beiden Richtungen hin zu betonen, daß das Gericht ein echtes Gericht ist, aber die Art seines Verfahrens und seiner Entscheidungen mit von der außerordentlichen politischen Auswirkung seiner Sprüche gestaltet wird. Daraus ergeben sich dann die Besonderheiten der Struktur, die von den Herren Berichterstattern bereits dargelegt sind: die Unteilbarkeit der Gerichts — das sogenannte Plenarprinzip — und auch die Unvertauschbarkeit der Richter, also der Umstand, daß wir es hier anders als sonst mit immer namentlich feststehenden Richtern zu tun haben.
    Im Einvernehmen mit dem Herrn Kollegen von Merkatz darf ich einen Druckfehler in dem Stenographischen Bericht auf Seite 4222 berichtigen. Dem gedruckten Protokoll nach soll Herr Kollege


    (Dr. Arndt)

    von Merkatz gesagt haben, daß die Richter der beiden Senate sich gegenseitig vertreten können. Das ist nicht richtig; das ist von dem Herrn Kollegen von Merkatz nicht ausgeführt worden. Wir waren uns vielmehr umgekehrt einhellig einig, daß es im Bundesverfassungsgericht irgendeine Vertretung der Richter überhaupt nicht gibt, auch nicht eine Vertretung der Richter des einen Senats durch Richter des anderen Senats. Gerade deshalb haben wir uns zu dem Ausweg entschließen müssen, ein sogenanntes Quorum einzuführen, also eine Beschlußfähigkeit der Senate auch dann, wenn sie nicht vollzählig versammelt sind.
    Diese Einigung in den großen Grundfragen über das Bundesverfassungsgericht wurde allerdings — worauf hinzuweisen ich mich für verpflichtet halte — nur durch erhebliche Opfer ermöglicht, die in wahrhaft demokratischer Weise von allen Seiten dieses Hauses gebracht worden sind. Meine Freunde beklagen, daß wir nachgeben mußten in der Frage des Sondergutachtens, in der Frage eines Vertreters des öffentlichen Interesses, in der Frage der Qualifikation der Gerichtsmitglieder und in der Frage der Wahldauer. Besonders bedauern wir dabei, daß das Separatvotum in dem Gesetz nicht für zulässig erklärt worden ist. Denn wir würden darin eine wesentliche Erleichterung der Rechtsentwicklung sehen, wenn in Rechtsfragen die überstimmten Richter die Möglichkeit hätten, die im angelsächsischen Recht seit Jahrzehnten besteht, ihre abweichende Rechtsauffassung niederzulegen und der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Man soll nicht immer sagen, daß man in Deutschland dafür noch nicht reif sei. Zur Freiheit und zum Fortschritt sollte man immer reif sein.
    Ich muß noch einige Einzelheiten aus der Berichterstattung erwähnen und, wie ich glaube, richtigstellen. Herr Kollege Dr. Wahl hat als Berichterstatter auf Seite 4225 erklärt, es solle nicht jedem Mitglied einer Gruppe möglich sein, einen eigenen Prozeßvertreter zu bestellen. Wie wir uns inzwischen noch einmal interfraktionell verständigt haben, ist das ein Mißverständnis. Beschränkt ist nur das Parteirecht auf Anwesenheit. Ist also eine große Gruppe, die aus zahlreichen Mitgliedern besteht, Partei in einem Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht, so kann das Bundesverfassungsgericht gewissermaßen die Vielköpfigkeit dieser Partei auf eine kleine Zahl verringern. Aber das Recht jeder Prozeßpartei, sich selbst einen Prozeßbevollmächtigten — der ja ein Rechtsanwalt sein muß — zu wählen, soll dadurch in keiner Weise eingeschränkt werden.
    Ich glaube ferner, es ist in der Berichterstattung nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen, daß das Bundesverfassungsgericht sich mit Beweisanträgen nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung nicht nur auseinanderzusetzen hat, wie es im Bericht hieß, sondern daß diese Grundsätze tatsächlich die bestimmenden sein müssen. Das Bundesverfassungsgericht wird kein freies Ermessen haben, sondern die Pflicht, die Wahrheit zu erforschen. Diese Pflicht bindet das Gericht und begrenzt sein Ermessen. Daher wird es insbesondere keine Vorwegwürdigung von Beweismitteln vornehmen dürfen, und es wird grundsätzlich einen Beweisantrag aus keinem anderen Grunde ablehnen dürfen, als er von dem früheren Reichsgericht im Strafverfahren entwickelt wurde.
    Eine stärkere Hervorhebung verdient auch, daß sich die Verfassungsbeschwerde nach § 90 nicht gegen Verletzungen des Grundgesetzes durch die
    Gesetzgebung oder durch die Verwaltung, sondern ebenso auch durch ein Gericht richtet, worauf auch das Bundesjustizministerium von vornherein mit Recht Gewicht gelegt hat. Das heißt, auch die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt ist in vollem Umfange der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts nach Maßgabe des Grundgesetzes unterworfen. Das hat eine sehr große Bedeutung; denn bisher, fürchte ich, schenken die Gerichte dem Grundgesetz nicht die hinreichende Beachtung. Ich muß in diesem Zusammenhang, angelehnt an einen Fall, der sich soeben in der Praxis ereignet hat, einen besonderen Gesichtspunkt erwähnen, der sich auf die Gerichtsverfassung bezieht. Das Amtsgericht Kulmbach hat eine Schöffin vom Richteramt wegen Besorgnis der Befangenheit einzig und allein deshalb ausgeschlossen, weil sie Mitglied einer politischen Partei war, während der Nebenkläger einer anderen politischen Partei angehörte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das scheint mir nicht zulässig zu sein.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Deshalb ist es wichtig, an dieser Stelle und für die Motive des Gesetzgebers zu betonen, daß wir uns im Rechtsausschuß und in der interfraktionellen Arbeitsgemeinschaft darüber einig waren, daß nach § 18 Abs. 2 nichtbeteiligt und deshalb vom Richteramt nicht ausgeschlossen ist, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufes, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Wir waren uns darüber einig, daß die gleiche Rechtslage auch für die Frage der Befangenheit besteht, daß also aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten, insbesondere aus der bloßen Zugehörigkeit zu einer demokratischen Partei, kein Ablehnungsgrund gegen ein Mitglied des Bundesverfassungsgerichts hergeleitet werden kann.
    Abschließend darf ich grundsätzlich noch auf einen Gedanken eingehen, den der Herr Kollege von Merkatz in seinem Referat an die Spitze gestellt hat durch die Bemerkung, das Bundesverfassungsgericht sei die Krönung des Rechtsstaats. Ich möchte dieser Bemerkung ein anderes Wort entgegenstellen: Das Bundesverfassungsgericht ist die Krönung der Rechtssicherheit. Das Bundesverfassungsgericht ist der Schlußstein einer Entwicklung, die ein kluger Deutschamerikaner, der Professor Friedrich, als die negative Revolution bezeichnet hat, die sich gegenwärtig auf dem europäischen Kontinent abspielt. Aber ein Gerichtsstaat oder sogar ein Rechtswegstaat — das können Sie in der Geschichte der Republik Venedig vergleichen — ist noch lange kein Rechtsstaat; es braucht nicht einmal ein demokratischer Staat zu sein. Unsere Vision des Rechtsstaats ist die des Gerechtigkeitsstaats, des insbesondere durch seine soziale Gerechtigkeit legitimierten Staats;

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Sehr richtig!)

    und gerade weil wir uns zu der Auffassung bekennen, daß das Bundesverfassungsgericht ein echtes Gericht zu sein hat, muß ich erklären, daß auch dieses Gericht mit aller Sorgsamkeit sich davor hüten sollte, eine politische Führungsaufgabe übernehmen zu wollen, die ihm nicht zukommt.

    (Abg. Dr. Laforet: Sehr richtig!)

    Erst dann wird das Bundesverfassungsgericht seine
    so bedeutungsvolle Aufgabe erfüllen können, ein,
    wie es in § 1 heißt, allen übrigen Verfassungs-


    (Dr. Arndt)

    organen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof zu sein. Wir hoffen, daß wir institutionell alles getan und uns gemeinsam redlich bemüht haben, um eine unparteiische und vom Vertrauen a 11 e r Demokraten getragene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Sinne zu ermöglichen.

    (Abg. Dr. Laforet: Bravo! — Lebhafter Beifall bei der SPD und den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Fisch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner zitierte die Bemerkung des Berichterstatters Dr. von Merkatz, die Vorlage sei die Krönung des Rechtsstaates, oder, um es genauer zu sagen, die Institution des Bundesverfassungsgerichts, wie es nach der Vorlage aussehen soll, sei die Krönung des Rechtsstaates. Ich möchte demgegenüber sagen: Wenn dies die Krönung des gegenwärtigen Staates sein soll, in dem wir leben, so ist das das denkbar schlechteste Zeugnis, das man dem Staat ausstellen kann.

    (Abg. Strauß: Diesseits oder jenseits?)

    Herr von Merkatz war der Meinung, was in diesem Entwurf enthalten sei, sei der Kern dessen, was man dem Bolschewismus entgegenzusetzen habe. Herr Kollege von Merkatz, wenn das alles ist, was Sie in einer friedlichen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus der Welt von morgen entgegenzustellen haben, dann schätzen Sie die Chancen für den Bestand der alten Welt, die Sie repräsentieren, recht schlecht ein.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Herr Dr. Arndt meinte, das, was uns vorliegt,

    (B) sei nicht die Krönung des Rechtsstaates, sondern die Krönung der Rechtssicherheit. Ich glaube, man müßte richtiger sagen: Was uns hier vorgeschlagen wird, ist die Krönung der Rechtsunsicherheit des einzelnen Bürgers und der Organisationen, die in diesem Staate leben.


    (Sehr wahr! bei der KPD. — Widerspruch in der Mitte und rechts.)

    Was uns hier vorgelegt wird, ist ein Staatsschutzgesetz, ein Ausnahmegesetz.

    (Abg. Dr. Laforet: Ach du lieber Gott! — Weitere Zurufe.)

    Es bedeutet die Auslieferung einer gewaltigen Machtfülle in die Hände einer Justiz, die Repräsentant der reaktionärsten Schicht unseres Volkes und ein willfähriges Instrument der staatlichen hohen Bürokratie und der vorherrschenden politischen Richtung ist. Dieser Justiz wird eine Machtfülle gegeben, die sie gegen den einzelnen Menschen, gegen politische Parteien, gegen Ländergesetze und Länderverfassungen einsetzen kann, soweit sie den Bestrebungen der Bundesregierung und ihrer „Freunde" im Hintergrund entgegengesetzt sind, eine Machtfülle, die sich im Sinne der Gleichschaltung auch der Länder und Gemeinden mit den politischen Intentionen des Petersbergs auswirken soll. Von einer solchen Machtfülle macht ein Staat Gebrauch, der sich in seinem eigenen Grundgesetz als eine provisorische Einrichtung kennzeichnete. Sowohl in der Präambel des Grundgesetzes wie auch insbesondere in den Schlußbestimmungen, in Art. 146 des Grundgesetzes, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieser Staat und damit auch sein Grundgesetz vorübergehender Natur ist. Er soll möglichst bald verschwinden, um einer geeinten demokratischen deutschen Republik
    Platz zu machen. Was uns hier vorgelegt wird, ist der Versuch, den Bestand dieses ohnedies künstlichen Staatswesens selbst über das Maß dessen hinaus, was in seinem Grundgesetz festgelegt ist, künstlich zu verlängern. Es soll außerdem jede Bestrebung zerschlagen werden, die darauf hinausläuft, diesen Staat möglichst bald durch eine vernünftige und den Interessen des gesamten deutschen Volkes dienende Regelung abzulösen.
    Der Charakter dieses Gesetzes erhellt besonders aus den §§ 1 und 32. In § 1 wird die sogenannte Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts festgelegt; aber selbständig und unabhängig wird es nur vom Willen des Volkes sein, selbständig und unabhängig von den Gesetzen selbst dieses Staates, selbständig und unabhängig von den Interessen unseres Volkes.
    In § 32 wird der ganze Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem der Herr Kollege Arndt sprach, dadurch über den Haufen geworfen, daß den Richtern das Recht eingeräumt wird, durch einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung, ohne abzuwarten, welches Resultat das definitive Urteil erbringen wird, Maßnahmen anzuordnen, so wie es einzelne Mitglieder des Gerichts wollen, so wie es insbesondere die politischen Hintermänner und Einbläser des Gerichts wollen. Noch mehr Gewicht erhält diese Regelung dadurch, daß die Gültigkeit solcher einstweiligen Anordnungen beliebig oft verlängert werden kann, nachdem sie drei Monate lang in Geltung gewesen sind.
    Sowohl die Zusammensetzung der Senate wie auch das System ihrer Wahl führt dazu, daß ihre Entscheidungen fern vom Volk, ohne Einfluß des Volkes, ja über und gegen den Willen des Volkes gefällt werden.
    Die Tätigkeit und die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist weiter dadurch gekennzeichnet, daß es ausdrücklich auch dem Parlament übergeordnet wird. Die Richter dieses Verfassungsgerichtshofes sind ermächtigt, selbst Richter zu sein über Gesetze, die die Volksvertretung geschaffen hat, selbst Gesetzgeber, selbst Rechtsschöpfer zu sein. Das wird unter anderem durch die Bestimmung des § 31 erwiesen, in dem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als mit Gesetzeskraft ausgestattet bezeichnet werden.
    Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts muß zu einer Lähmung der normalen Gesetzgebung und zu einer Minderung der Autorität der normalen Gesetzgebung führen, und zwar vor allem dadurch, daß es jedem Richter, dem ein Gesetz nicht in den Kram paßt, möglich ist, gegen die Rechtmäßigkeit eines Gesetzes Zweifel zu erheben, das Gericht anzurufen und in der Zwischenzeit die Wirksamkeit bestehender Gesetze auszusetzen.
    Der Bundesverfassungsgerichtshof ist sogar, wie es die Vorlage will, dem Grundgesetz übergeordnet. Er erhebt sich selbst zum Richter über die Geltung des Grundgesetzes. Der Herr Kollege von Merkatz sagte in seiner Berichterstattung, es sei die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, das zu realisieren, was im Grundgesetz stehe, es sei seine Aufgabe, zu prüfen, ob die Rechtsprechung, ob die Gesetzgebung mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Das Gegenteil dessen ist richtig. Der Bundesverfassungsgerichtshof wird durch dieses Gesetz ermächtigt, selbst, autoritär zu bestimmen, was Recht ist, welches Gesetz Geltung haben soll und welches nicht.

    (Abg. Strauß: Es wäre besser, die Kommissare würden's machen!!)



    (Fisch)

    Meine Damen und Herren, diese Praxis des richterlichen Prüfungsrechts geltender gesetzlicher Bestimmungen hat bereits in der Weimarer Republik zu Einwänden namhafter Juristen, selbst von bürgerlicher, vor allem aber von sozialdemokratischer Seite geführt. Ich möchte hier an die Stellungnahme des ehemaligen Reichsjustizministers Professor Dr. Radbruch, des damaligen prominenten Juristen der Sozialdemokratischen Partei, erinnern. Professor Gustav Radbruch erklärte zur Frage des richterlichen Prüfungsrechts bestehender Gesetze im Jahre 1925 folgendes:
    Ich richte in ernster Sorge um unsere Justiz an das Reichsgericht in zwölfter Stunde den dringenden Appell, den verhängnisvollen Schritt zum richterlichen Prüfungsrecht nicht zu tun. Ich richte an Regierung und Parlament die Aufforderung, diesem Schritt rechtzeitig zu begegnen, verfassungsgesetzlich das richterliche Prüfungsrecht auszuschließen ... Ich richte an die Öffentlichkeit die Mahnung, dieser für unser politisches Leben außerordentlich wichtigen Frage endlich die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden.
    Dies sagte ein sozialistischer Jurist, der sich allerdings in der Nazizeit nicht gleichschalten ließ. Er gehörte also zu denjenigen Juristen, die heute in der ersten Garnitur der sozialdemokratischen Parteiführung nicht mehr das entscheidende Wort führen; denn andernfalls wäre es nicht möglich gewesen,

    (Zuruf von der SPD: Er ist tot!)

    daß die sozialdemokratische Fraktion solchen Bestimmungen ihre Zustimmung gibt, die diesen
    Mahnungen Radbruchs genau entgegengesetzt sind.
    Es handelt sich bei der Vorlage um die Fixierung
    B) der Tatsache, daß die Grundrechte des Grundgesetzes im Ernstfalle keine praktische Bedeutung haben. Solange die Grundrechte nicht allgemeine Gültigkeit besitzen; solange sie nicht von jedem Staatsbürger immer und überall in Anspruch genommen werden können, solange sie einer willkürlichen Auslegung durch eine Ausnahmejustiz unterworfen sind, sind die Grundrechte nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben sind.
    Die vorliegende Regelung ist noch schlimmer als die Praxis der Weimarer Republik. In der Weimarer Verfassung schrieb der Art. 108 die Bildung eines Staatsgerichtshofes vor. Er wurde am 9. Juli 1921 geschaffen. Aber jener Staatsgerichtshof begnügte sich mit einer weit geringeren Zahl von Kompetenzen. Er begnügte sich mit der Berechtigung der Anklageerhebung gegen den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister. Dazu handelte es sich doch bei der Weimarer Republik um einen souveränen Staat, während der Staat, in dem wir heute hier leben und für den die Vorlage Geltung besitzen soll, ohne staatliche Souveränität dasteht. Der Staat, in dem wir leben, hat sein eigentliches Grundgesetz auf der Londoner Konferenz im Juni 1948 erhalten. Seine Lebensfähigkeit wird immer wieder erneuert durch die Einflüsse und Empfehlungen des Peters-berges. Nur dadurch ist es ihm möglich, auch nur den Schein der Staatlichkeit nach außen hin zu wahren.
    Es ist angebracht, daß ein Staat, der sich in seinem eigenen Grundgesetz seinen provisorischen Charakter selbst bestätigt hat und der seine wirkliche Legitimation nur auf ausländische Dokumente beziehen kann, in der Fixierung solcher Gesetze wie dem vorliegenden äußerst bescheiden verfährt.
    Er sollte sehr zurückhaltend in der Auslieferung von Macht an Staats- oder Justizorgane sein, die ebenso wie dieser Staatsapparat selbst nur vorübergehenden Charakter haben.
    Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein Wort zu der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion! Herr Kollege Dr. Arndt hat in seiner heutigen Rede einige Einwände geltend gemacht. Mit einigen seiner Einwände kann man durchaus einverstanden sein. Ich frage mich nur, weshalb die sozialdemokratische Fraktion und auch Herr Kollege Dr. Arndt den Abänderungsvorschlägen nicht zugestimmt hat, die meine Fraktion bei der zweiten Lesung eingereicht hat und die sich in einigen Fragen auf derselben Linie bewegten wie die Einwände, die heute von Herrn Dr. Arndt geltend gemacht worden sind. Warum also dieses doppelte Spiel? Oder hat man nur Angst, sich hier in der Öffentlichkeit zu einem kommunistischen Antrag zu bekennen? Ich glaube, daß unter solchen Umständen eine sachliche Bemerkung an Wert verliert, wenn ihr die Konsequenz in der Abstimmung fehlt.
    Herr Kollege Schoettle! Sie lachen gerade so freundlich!

    (Abg. Schoettle: Sie wissen ja gar nicht, warum ich lache!)

    — Sie erinnern mich an Ihre geistvolle Rede, die Sie gegen Ende der zweiten Lesung hier gehalten haben. Ich glaube, wenn der alte August Bebel das hören würde, er würde sich im Grabe herumdrehen,

    (große Heiterkeit)

    wenn er die Erklärung seines Nachfolgers gehört hätte,

    (Abg. Wagner: Sehr gut! — Bravo! — Zuruf links: Im Tode gestört! — Andauernde Heiterkeit.)

    - Sie können ruhig weiterlachen!

    (Zuruf links: Ausgezeichnet! Jetzt lacht alles!)

    Er würde sich im Grabe herumdrehen, Herr Kollege Schoettle, wenn er diese Debatte über den Verfassungsgerichtshof gehört hätte.

    (Zuruf links: Wenn er dich gehört hätte!) Der einzige Einwand, den Sie zu dem vorliegenden Entwurf zu machen hatten, bezog sich auf die Regelung der Gehaltsfrage des Präsidenten und der Mitglieder des Gerichtshofes. Man muß schon sagen: Äußerst bescheiden, äußerst bescheiden!

    Ich habe bereits bei der letzten Lesung auf ein altes Dokument der Sozialdemokratischen Partei aufmerksam gemacht, das heute nicht mehr modern ist. Gestatten Sie mir, daß ich etwas aus alten Dokumenten zitiere, die zum Teil zu einer Zeit abgefaßt waren. als August Bebel noch am Leben war. Im Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei aus dem Jahre 1891 wurde über die Justiz folgendes erklärt:
    Die Sozialdemokratische Partei fordert eine Rechtsprechung durch vom Volk gewählte Richter.
    Das war 1891. Im Jahre 1921 erklärte der Sozialdemokratische Parteitag in Görlitz:
    Die Sozialdemokratie verlangt die entscheidende Mitwirkung! gewählter Volksrichter in allen Zweigen der Justiz.
    Ich vermisse Ihren Zwischenruf bei dem Wort „Volksrichter", Herr Kollege Schoettle.

    (Lachen bei der SPD.)



    (Fisch)

    Im Heidelberger Parteiprogramm von 1925 ist das Postulat der Sozialdemokratischen Partei „die entscheidende Mitwirkung gewählter Laienrichter in allen Zweigen und auf allen Stufen der Justiz". Herr Kollege Schoettle, wo war Ihre Initiative zur Verwirklichung dieser alten Grundsätze der Sozialdemokratischen Partei bei der zweiten Lesung dieses Gesetzes?

    (Abg. Schoettle: Warum plagen Sie sich eigentlich so, Herr Fisch?)

    - Weil Sie mich durch Ihre freundliche Geste erfreuen und weil Sie mich ermuntern, Sie etwas an Ihre Knabenzeit zu erinnern, die weit hinter Ihnen liegt.

    (Heiterkeit und Zurufe.)

    Schließlich könnte ich noch auf ein Dokument hinweisen, das jüngeren Datums ist, auf das Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei von 1934, in dem gleichfalls die Volksjustiz gefordert wurde und in dem auch gegen die Unabsetzbarkeit einer Klassen- und Kastenjustiz Stellung genommen wurde. Alles dies ist heute vergessen, Herr Kollege Schoettle.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich sehe jetzt schon, wie Sie bei der Abstimmung den Arm heben werden, um der Vorlage, wie sie im wesentlichen aus dem Adenauerschen Justizministerium hervorgegangen ist, Ihre Zustimmung zu erteilen.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Das stimmt ja gar nicht!)

    Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Handhabe gegen jede politische Bewegung, die die Einheit und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes wiederherstellen will.

    (Lachen und Hu-Rufe in der Mitte.)

    Es ist eine Handhabe dazu, alle jene politischen Versuche als ungesetzlich und verfassungswidrig zu erklären, die im Interesse unseres Volkes den Frieden und die Einheit Deutschlands wiederherstellen wollen.

    (Lachen in der Mitte. — Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Das glauben Sie doch selber nicht!)

    Unter dem Deckmantel einer scheinbaren Gesetzlichkeit wird ein System der Verfemung und Verfolgung in Gesetze niedergelegt,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Wo denn? — Zuruf von der SPD: Denken Sie an das Gesetz zum Schutze des Friedens!)

    das die freie Meinungsäußerung strangulieren soll,

    (Lachen und Zurufe)

    ein System, das eine Ausnahmejustiz konstituieren soll gegen alle jene, die sich nicht einverstanden erklären mit dem Kurs des Petersberges und mit der verhängnisvollen Entwicklung

    (Zuruf von der SPD: Von Karlshorst!) in eine kriegerische Katastrophe.


    (Zuruf in der Mitte: Mit dem Politbüro! — Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Ihr seid vielleicht friedlich!)

    In den letzten Tagen und Wochen haben maßgebliche Leute der Bundesregierung des öfteren ihre enge Verbundenheit mit der westlichen Welt zu unterstreichen für notwendig befunden,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Gott sei Dank!)

    insbesondere ihre Orientierung auf die amerikanische Politik. Mir scheint, daß auch die heutige
    Vorlage diese Orientierung auf die westliche, auf die amerikanische Politik äußerst gewissenhaft zum Ausdruck bringt.

    (Zuruf des Abg. Jacobi.)

    Es ist westliche, genauer gesagt, amerikanische Tradition, daß man im Verkehr mit Völkern, die man als Kolonialobjekte betrachtet,

    (Zuruf rechts: Unsinn!)

    gewisse Methoden der Teilung der Gewalten anwendet. Ich verweise auf die Geschichte des amerikanischen Imperialismus, etwa in Haiti oder in San Domingo, wo die herrschende Macht die Panzer und die Kapitalanteile stellte und den Einheimischen die Gesetzgebung und die Formulierung der Paragraphen im einzelnen überließ, die das System der amerikanischen Herrschaft legalisieren sollten.

    (Zuruf in der Mitte: Ach du meine Güte!)

    Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion wird in der dritten Lesung den Entwurf des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ablehnen. Sie ist davon überzeugt, daß dieses Gesetz nicht für die Ewigkeit geschaffen ist.

    (Lachen.)

    Sie ist davon deshalb überzeugt, weil sie weiß, daß die schöpferische Kraft unseres Volkes über solche Leistungen bald zur Tagesordnung, zu einer besseren Tagesordnung übergehen wird.

    (Beifall bei der KPD. — Lachen und Zurufe.)