Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner zitierte die Bemerkung des Berichterstatters Dr. von Merkatz, die Vorlage sei die Krönung des Rechtsstaates, oder, um es genauer zu sagen, die Institution des Bundesverfassungsgerichts, wie es nach der Vorlage aussehen soll, sei die Krönung des Rechtsstaates. Ich möchte demgegenüber sagen: Wenn dies die Krönung des gegenwärtigen Staates sein soll, in dem wir leben, so ist das das denkbar schlechteste Zeugnis, das man dem Staat ausstellen kann.
Herr von Merkatz war der Meinung, was in diesem Entwurf enthalten sei, sei der Kern dessen, was man dem Bolschewismus entgegenzusetzen habe. Herr Kollege von Merkatz, wenn das alles ist, was Sie in einer friedlichen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus der Welt von morgen entgegenzustellen haben, dann schätzen Sie die Chancen für den Bestand der alten Welt, die Sie repräsentieren, recht schlecht ein.
Herr Dr. Arndt meinte, das, was uns vorliegt,
sei nicht die Krönung des Rechtsstaates, sondern die Krönung der Rechtssicherheit. Ich glaube, man müßte richtiger sagen: Was uns hier vorgeschlagen wird, ist die Krönung der Rechtsunsicherheit des einzelnen Bürgers und der Organisationen, die in diesem Staate leben.
Was uns hier vorgelegt wird, ist ein Staatsschutzgesetz, ein Ausnahmegesetz.
Es bedeutet die Auslieferung einer gewaltigen Machtfülle in die Hände einer Justiz, die Repräsentant der reaktionärsten Schicht unseres Volkes und ein willfähriges Instrument der staatlichen hohen Bürokratie und der vorherrschenden politischen Richtung ist. Dieser Justiz wird eine Machtfülle gegeben, die sie gegen den einzelnen Menschen, gegen politische Parteien, gegen Ländergesetze und Länderverfassungen einsetzen kann, soweit sie den Bestrebungen der Bundesregierung und ihrer „Freunde" im Hintergrund entgegengesetzt sind, eine Machtfülle, die sich im Sinne der Gleichschaltung auch der Länder und Gemeinden mit den politischen Intentionen des Petersbergs auswirken soll. Von einer solchen Machtfülle macht ein Staat Gebrauch, der sich in seinem eigenen Grundgesetz als eine provisorische Einrichtung kennzeichnete. Sowohl in der Präambel des Grundgesetzes wie auch insbesondere in den Schlußbestimmungen, in Art. 146 des Grundgesetzes, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieser Staat und damit auch sein Grundgesetz vorübergehender Natur ist. Er soll möglichst bald verschwinden, um einer geeinten demokratischen deutschen Republik
Platz zu machen. Was uns hier vorgelegt wird, ist der Versuch, den Bestand dieses ohnedies künstlichen Staatswesens selbst über das Maß dessen hinaus, was in seinem Grundgesetz festgelegt ist, künstlich zu verlängern. Es soll außerdem jede Bestrebung zerschlagen werden, die darauf hinausläuft, diesen Staat möglichst bald durch eine vernünftige und den Interessen des gesamten deutschen Volkes dienende Regelung abzulösen.
Der Charakter dieses Gesetzes erhellt besonders aus den §§ 1 und 32. In § 1 wird die sogenannte Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts festgelegt; aber selbständig und unabhängig wird es nur vom Willen des Volkes sein, selbständig und unabhängig von den Gesetzen selbst dieses Staates, selbständig und unabhängig von den Interessen unseres Volkes.
In § 32 wird der ganze Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem der Herr Kollege Arndt sprach, dadurch über den Haufen geworfen, daß den Richtern das Recht eingeräumt wird, durch einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung, ohne abzuwarten, welches Resultat das definitive Urteil erbringen wird, Maßnahmen anzuordnen, so wie es einzelne Mitglieder des Gerichts wollen, so wie es insbesondere die politischen Hintermänner und Einbläser des Gerichts wollen. Noch mehr Gewicht erhält diese Regelung dadurch, daß die Gültigkeit solcher einstweiligen Anordnungen beliebig oft verlängert werden kann, nachdem sie drei Monate lang in Geltung gewesen sind.
Sowohl die Zusammensetzung der Senate wie auch das System ihrer Wahl führt dazu, daß ihre Entscheidungen fern vom Volk, ohne Einfluß des Volkes, ja über und gegen den Willen des Volkes gefällt werden.
Die Tätigkeit und die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist weiter dadurch gekennzeichnet, daß es ausdrücklich auch dem Parlament übergeordnet wird. Die Richter dieses Verfassungsgerichtshofes sind ermächtigt, selbst Richter zu sein über Gesetze, die die Volksvertretung geschaffen hat, selbst Gesetzgeber, selbst Rechtsschöpfer zu sein. Das wird unter anderem durch die Bestimmung des § 31 erwiesen, in dem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als mit Gesetzeskraft ausgestattet bezeichnet werden.
Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts muß zu einer Lähmung der normalen Gesetzgebung und zu einer Minderung der Autorität der normalen Gesetzgebung führen, und zwar vor allem dadurch, daß es jedem Richter, dem ein Gesetz nicht in den Kram paßt, möglich ist, gegen die Rechtmäßigkeit eines Gesetzes Zweifel zu erheben, das Gericht anzurufen und in der Zwischenzeit die Wirksamkeit bestehender Gesetze auszusetzen.
Der Bundesverfassungsgerichtshof ist sogar, wie es die Vorlage will, dem Grundgesetz übergeordnet. Er erhebt sich selbst zum Richter über die Geltung des Grundgesetzes. Der Herr Kollege von Merkatz sagte in seiner Berichterstattung, es sei die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, das zu realisieren, was im Grundgesetz stehe, es sei seine Aufgabe, zu prüfen, ob die Rechtsprechung, ob die Gesetzgebung mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Das Gegenteil dessen ist richtig. Der Bundesverfassungsgerichtshof wird durch dieses Gesetz ermächtigt, selbst, autoritär zu bestimmen, was Recht ist, welches Gesetz Geltung haben soll und welches nicht.
Meine Damen und Herren, diese Praxis des richterlichen Prüfungsrechts geltender gesetzlicher Bestimmungen hat bereits in der Weimarer Republik zu Einwänden namhafter Juristen, selbst von bürgerlicher, vor allem aber von sozialdemokratischer Seite geführt. Ich möchte hier an die Stellungnahme des ehemaligen Reichsjustizministers Professor Dr. Radbruch, des damaligen prominenten Juristen der Sozialdemokratischen Partei, erinnern. Professor Gustav Radbruch erklärte zur Frage des richterlichen Prüfungsrechts bestehender Gesetze im Jahre 1925 folgendes:
Ich richte in ernster Sorge um unsere Justiz an das Reichsgericht in zwölfter Stunde den dringenden Appell, den verhängnisvollen Schritt zum richterlichen Prüfungsrecht nicht zu tun. Ich richte an Regierung und Parlament die Aufforderung, diesem Schritt rechtzeitig zu begegnen, verfassungsgesetzlich das richterliche Prüfungsrecht auszuschließen ... Ich richte an die Öffentlichkeit die Mahnung, dieser für unser politisches Leben außerordentlich wichtigen Frage endlich die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Dies sagte ein sozialistischer Jurist, der sich allerdings in der Nazizeit nicht gleichschalten ließ. Er gehörte also zu denjenigen Juristen, die heute in der ersten Garnitur der sozialdemokratischen Parteiführung nicht mehr das entscheidende Wort führen; denn andernfalls wäre es nicht möglich gewesen,
daß die sozialdemokratische Fraktion solchen Bestimmungen ihre Zustimmung gibt, die diesen
Mahnungen Radbruchs genau entgegengesetzt sind.
Es handelt sich bei der Vorlage um die Fixierung
B) der Tatsache, daß die Grundrechte des Grundgesetzes im Ernstfalle keine praktische Bedeutung haben. Solange die Grundrechte nicht allgemeine Gültigkeit besitzen; solange sie nicht von jedem Staatsbürger immer und überall in Anspruch genommen werden können, solange sie einer willkürlichen Auslegung durch eine Ausnahmejustiz unterworfen sind, sind die Grundrechte nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben sind.
Die vorliegende Regelung ist noch schlimmer als die Praxis der Weimarer Republik. In der Weimarer Verfassung schrieb der Art. 108 die Bildung eines Staatsgerichtshofes vor. Er wurde am 9. Juli 1921 geschaffen. Aber jener Staatsgerichtshof begnügte sich mit einer weit geringeren Zahl von Kompetenzen. Er begnügte sich mit der Berechtigung der Anklageerhebung gegen den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister. Dazu handelte es sich doch bei der Weimarer Republik um einen souveränen Staat, während der Staat, in dem wir heute hier leben und für den die Vorlage Geltung besitzen soll, ohne staatliche Souveränität dasteht. Der Staat, in dem wir leben, hat sein eigentliches Grundgesetz auf der Londoner Konferenz im Juni 1948 erhalten. Seine Lebensfähigkeit wird immer wieder erneuert durch die Einflüsse und Empfehlungen des Peters-berges. Nur dadurch ist es ihm möglich, auch nur den Schein der Staatlichkeit nach außen hin zu wahren.
Es ist angebracht, daß ein Staat, der sich in seinem eigenen Grundgesetz seinen provisorischen Charakter selbst bestätigt hat und der seine wirkliche Legitimation nur auf ausländische Dokumente beziehen kann, in der Fixierung solcher Gesetze wie dem vorliegenden äußerst bescheiden verfährt.
Er sollte sehr zurückhaltend in der Auslieferung von Macht an Staats- oder Justizorgane sein, die ebenso wie dieser Staatsapparat selbst nur vorübergehenden Charakter haben.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein Wort zu der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion! Herr Kollege Dr. Arndt hat in seiner heutigen Rede einige Einwände geltend gemacht. Mit einigen seiner Einwände kann man durchaus einverstanden sein. Ich frage mich nur, weshalb die sozialdemokratische Fraktion und auch Herr Kollege Dr. Arndt den Abänderungsvorschlägen nicht zugestimmt hat, die meine Fraktion bei der zweiten Lesung eingereicht hat und die sich in einigen Fragen auf derselben Linie bewegten wie die Einwände, die heute von Herrn Dr. Arndt geltend gemacht worden sind. Warum also dieses doppelte Spiel? Oder hat man nur Angst, sich hier in der Öffentlichkeit zu einem kommunistischen Antrag zu bekennen? Ich glaube, daß unter solchen Umständen eine sachliche Bemerkung an Wert verliert, wenn ihr die Konsequenz in der Abstimmung fehlt.
Herr Kollege Schoettle! Sie lachen gerade so freundlich!
— Sie erinnern mich an Ihre geistvolle Rede, die Sie gegen Ende der zweiten Lesung hier gehalten haben. Ich glaube, wenn der alte August Bebel das hören würde, er würde sich im Grabe herumdrehen,
wenn er die Erklärung seines Nachfolgers gehört hätte,
- Sie können ruhig weiterlachen!
Er würde sich im Grabe herumdrehen, Herr Kollege Schoettle, wenn er diese Debatte über den Verfassungsgerichtshof gehört hätte.
Der einzige Einwand, den Sie zu dem vorliegenden Entwurf zu machen hatten, bezog sich auf die Regelung der Gehaltsfrage des Präsidenten und der Mitglieder des Gerichtshofes. Man muß schon sagen: Äußerst bescheiden, äußerst bescheiden!
Ich habe bereits bei der letzten Lesung auf ein altes Dokument der Sozialdemokratischen Partei aufmerksam gemacht, das heute nicht mehr modern ist. Gestatten Sie mir, daß ich etwas aus alten Dokumenten zitiere, die zum Teil zu einer Zeit abgefaßt waren. als August Bebel noch am Leben war. Im Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei aus dem Jahre 1891 wurde über die Justiz folgendes erklärt:
Die Sozialdemokratische Partei fordert eine Rechtsprechung durch vom Volk gewählte Richter.
Das war 1891. Im Jahre 1921 erklärte der Sozialdemokratische Parteitag in Görlitz:
Die Sozialdemokratie verlangt die entscheidende Mitwirkung! gewählter Volksrichter in allen Zweigen der Justiz.
Ich vermisse Ihren Zwischenruf bei dem Wort „Volksrichter", Herr Kollege Schoettle.
Im Heidelberger Parteiprogramm von 1925 ist das Postulat der Sozialdemokratischen Partei „die entscheidende Mitwirkung gewählter Laienrichter in allen Zweigen und auf allen Stufen der Justiz". Herr Kollege Schoettle, wo war Ihre Initiative zur Verwirklichung dieser alten Grundsätze der Sozialdemokratischen Partei bei der zweiten Lesung dieses Gesetzes?
- Weil Sie mich durch Ihre freundliche Geste erfreuen und weil Sie mich ermuntern, Sie etwas an Ihre Knabenzeit zu erinnern, die weit hinter Ihnen liegt.
Schließlich könnte ich noch auf ein Dokument hinweisen, das jüngeren Datums ist, auf das Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei von 1934, in dem gleichfalls die Volksjustiz gefordert wurde und in dem auch gegen die Unabsetzbarkeit einer Klassen- und Kastenjustiz Stellung genommen wurde. Alles dies ist heute vergessen, Herr Kollege Schoettle.
Ich sehe jetzt schon, wie Sie bei der Abstimmung den Arm heben werden, um der Vorlage, wie sie im wesentlichen aus dem Adenauerschen Justizministerium hervorgegangen ist, Ihre Zustimmung zu erteilen.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Handhabe gegen jede politische Bewegung, die die Einheit und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes wiederherstellen will.
Es ist eine Handhabe dazu, alle jene politischen Versuche als ungesetzlich und verfassungswidrig zu erklären, die im Interesse unseres Volkes den Frieden und die Einheit Deutschlands wiederherstellen wollen.
Unter dem Deckmantel einer scheinbaren Gesetzlichkeit wird ein System der Verfemung und Verfolgung in Gesetze niedergelegt,
das die freie Meinungsäußerung strangulieren soll,
ein System, das eine Ausnahmejustiz konstituieren soll gegen alle jene, die sich nicht einverstanden erklären mit dem Kurs des Petersberges und mit der verhängnisvollen Entwicklung
in eine kriegerische Katastrophe.
In den letzten Tagen und Wochen haben maßgebliche Leute der Bundesregierung des öfteren ihre enge Verbundenheit mit der westlichen Welt zu unterstreichen für notwendig befunden,
insbesondere ihre Orientierung auf die amerikanische Politik. Mir scheint, daß auch die heutige
Vorlage diese Orientierung auf die westliche, auf die amerikanische Politik äußerst gewissenhaft zum Ausdruck bringt.
Es ist westliche, genauer gesagt, amerikanische Tradition, daß man im Verkehr mit Völkern, die man als Kolonialobjekte betrachtet,
gewisse Methoden der Teilung der Gewalten anwendet. Ich verweise auf die Geschichte des amerikanischen Imperialismus, etwa in Haiti oder in San Domingo, wo die herrschende Macht die Panzer und die Kapitalanteile stellte und den Einheimischen die Gesetzgebung und die Formulierung der Paragraphen im einzelnen überließ, die das System der amerikanischen Herrschaft legalisieren sollten.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion wird in der dritten Lesung den Entwurf des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ablehnen. Sie ist davon überzeugt, daß dieses Gesetz nicht für die Ewigkeit geschaffen ist.
Sie ist davon deshalb überzeugt, weil sie weiß, daß die schöpferische Kraft unseres Volkes über solche Leistungen bald zur Tagesordnung, zu einer besseren Tagesordnung übergehen wird.