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ID0111603000

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    Deutscher Bundestag - 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1951 4395 116. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4393D, 4427D Begrüßung des Abg. Leonhard nach Wiedergenesung 4397A Änderung der Tagesordnung 4397A Zur Geschäftsordnung: Dr. Oellers (FDP) 4397B Dr. Reismann (Z) 4397D Einspruch des Abg. Renner gemäß § 92 der vorläufigen Geschäftsordnung gegen den ihm in der 113. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Nr. 1840 der Drucksachen) . . 4398D Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betr. Remontage (Nr. 1703 der Drucksachen) 4398D Dr. Wellhausen (FDP), Interpellant 4398D, 4403D Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft . . 4400B Dr. Schöne (SPD) 4400D Harig (KPD) 4402A Walter (DP) 4402C Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) . . 4402D Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . 4403B Willenberg (Z) 4403C Ausschußüberweisung 4404B Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Mühlenfeld, Dr. Seelos, Frommhold und Genossen betr. Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung (Nr. 1568 der Drucksachen) 4404B Dr. Mühlenfeld (DP), Interpellant 4404C, 4409B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 4407B Ausschußüberweisung 4409C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung von Fristen auf dem Gebiete des Anwaltsrechts (Nrn. 1796, 1615, 1717 der Drucksachen) 4409C Dr. Arndt (SPD), Berichterstatter 4409C, 4411A Ewers (DP) 4410A Beschlußfassung 4411A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Entwurf eines Allgemeinen Eisenbahngesetzes (Nrn. 1801, 1342, 1640, 1716 der Drucksachen) 4411B Dr. Andersen, Landesminister, Berichterstatter 4411B Beschlußfassung 4412A Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1833 der Drucksachen) 4412A Beschlußfassung 4412B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundsteuergesetzes (Nr. 1787 der Drucksachen) 4412B Dr. Bertram (Z) 4412B Ausschußüberweisung 4412C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das landwirtschaftliche Pachtwesen (Landpachtgesetz) (Nr. 1812 der Drucksachen) 4397B, 4412D Ausschußüberweisung 4412D Erste Beratung des Entwurfs eines Bundes-Jagdgesetzes (Nr. 1813 der Drucksachen) 4397B, 4412D Ausschußüberweisung 4412D Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Nrn. 328, 788, 1724 der Drucksachen); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Umdruck Nr. 64); Anträge Umdruck Nrn. 65 und 71 4412D Dr. Arndt (SPD) 4413A Fisch (KPD) 4416A Schoettle (SPD) 4418D Abstimmungen 4419A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft (Nr. 586 [berichtigt] der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) (Nr. 1843 der Drucksachen) 4419B, 4427D Naegel (CDU), Berichterstatter . . . 4419C Abstimmungen 4421A, 4427D Beratung des Antrags der Abg. Dr. Schröder (Düsseldorf), Dr. Koch, Dr. Preusker u. Gen. betr. Untersuchung über die Lage der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft (Nr. 1847 der Drucksachen) . . . 4397A, 4421B Beschlußfassung 4421C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1634 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (Nr. 1815 der Drucksachen) 4421D Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP), Berichterstatter 4421D, 4423C Abstimmungen 4423B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der DP betr. Futtermittel (Nrn. 1792, 1497 der Drucksachen) 4423D, 4426C Happe (SPD), Berichterstatter . . . 4426C Beschlußfassung 4427B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Rückgabe zweckentfremdeter Jugendherbergen an das Deutsche Jugendherbergswerk (Nr. 1790 der Drucksachen) 4424A Arnholz (SPD), Antragsteller . . . . 4424A Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 4426B Beschlußfassung 4426B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Ermittlungen über noch nicht heim- gekehrte deutsche Kriegsgefangene (Nr. 1823 der Drucksachen) 4427B Mellies (SPD), Antragsteller . . . 4427B Ausschußüberweisung 4427C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 62) 4427D Nächste Sitzung 4427D Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Ehlers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, ich schließe die Besprechung. Ich darf unterstellen, daß der Antrag, den der Abgeordnete Dr. Schröder gestellt hat, von 30 Abgeordneten unterstützt wird; — das ist zweifellos der Fall. Es ist beantragt, die Interpellation dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Die Überweisung ist erfolgt.
    Meine Damen und Herren! Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
    Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Mühlenfeld, Dr. Seelos, Frommhold
    und Genossen betreffend Maßnahmen zur g Wirtschaftsförderung (Nr. 1568 der Drucksachen).
    Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten und eine Aussprache von 40 Minuten vor.
    Ich nehme an, daß der Abgeordnete Dr. Mühlenfeld die Interpellation begründen wird. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
    Dr. Mühlenfeld (DP), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Interpellanten mit der Interpellation auf Drucksache Nr. 1568 heute die Aufmerksamkeit der Regierung und dieses Hohen Hauses auf einen Zustand lenken wollen, der auch als Kriegsfolgeerscheinung, als eine schwere Wunde zu werten ist, die die Gesundung des deutschen Wirtschaftskörpers sehr stark beeinträchtigt oder verzögert, so geschieht das nicht, ohne anzuerkennen, daß die Bundesregierung in vieler Hinsicht für die mit dieser Interpellation angesprochenen Gebiete schon einiges getan hat. Ich glaube aber doch — und die Interpellanten sind einer Meinung mit mir —, daß man dieses neue Problem, das mit dem Zusammenbruch 1945 für uns in der Bundesrepublik entstanden ist, auch noch von anderen Gesichtspunkten sehen sollte, als es bisher bei den Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung oder bei der Hergabe von Krediten für diese Gebiete geschehen ist.
    Mit dem Jahre 1945 ist der deutsche Wirtschaftsorganismus nachhaltig und schmerzlich zerrissen worden. Die Folgen davon sind nicht ohne weiteres durch Einzelkredite und derartige Maßnahmen zu beseitigen. Wenn wir uns vor Augen halten, daß die deutsche Bundesrepublik nunmehr nur noch die Hälfte der Fläche des Deutschen Reiches umfaßt—das Deutsche Reich hatte 1938 einen Umfang von 470 000 qkm, während die Bundesrepublik heute nur 246 000 qkm besitzt —, so ist das nicht bloß ein Schnitt geographischer und politischer Art, sondern die früheren organisch gewachsenen intensiven Wirtschaftsbeziehungen und Verflechtungen mit dem Osten sind zerrissen, sowohl mit den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie als auch mit der Sowjetzone. Was sich da so etwas als Interzonenhandel in der letzten Zeit angebahnt hat, ist unbedeutend, ja, man kann sagen, ist ohne Rückwirkung auf diese Gebiete. Dazu kommt, daß unsere Beziehungen zur Tschechoslowakei, zu Ungarn und zum Balkan infolge der politischen Entwicklung eingestellt bzw. erschlafft sind. Das ist wohl wiederum ein Faktum, welches sich in erster Linie für die Grenzländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und vor allen Dingen Bayern auswirkt. Es ist schon eine altbekannte Tatsache, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder als richtig erwiesen hat, daß Grenzziehungen stets zu einer Verödung der Grenzgebiete führen müssen.
    Wie sehr dieser Prozeß in den von mir genannten Grenzländern bereits vorgeschritten ist, möchte ich Ihnen auf Grund von Beispielen aus meiner engeren Heimat berichten. Nach den mir gewordenen Informationen der zuständigen Industrie- und Handelskammern sind beispielsweise im Landkreis Helmstedt — dieser Kreis ist als ausgesprochener Grenzkreis zu bezeichnen und für viele andere beispielhaft — eine Reihe von Betrieben nach dem Westen ausgewandert. Im Kreise Helmstedt sind 15 Betriebe in die weiter westlich gelegenen Gebiete abgewandert. Der Landkreis Wolfenbüttel hat '7 namhafte Betriebe verloren und stellt fest, daß




    (Dr. Mühlenfeld)

    Fachkräfte in unerträglichem Ausmaße in die Westgebiete der Bundesrepublik abwandern. In der Stadt Watenstedt-Salzgitter sind ebenfalls Abwanderungen von Betrieben zu verzeichnen; es sind ihrer vier. Im Stadt- und Landkreis Goslar sind 5 Betriebe abgewandert, im Landkreis Blankenburg 6 und im Landkreis Gandersheim 5 bzw. 7 Unternehmungen, die das Industriepotential des Westens der Bundesrepublik verstärkt haben. Wie viele Unternehmungen in diesen Gebieten nicht existent geworden sind, ist natürlich durch kein Büro und durch keine Industrie- und Handelskammer festzustellen.
    Die heutigen deutschen Grenzländer Schleswig-Holstein, insbesondere aber Niedersachsen, Hessen und Bayern haben ihren besonders engen Kontakt mit dem mitteldeutschen und ostdeutschen Wirtschaftsgebiet verloren. Früher sind diese Länder geradezu Komplementärstücke der mitteldeutschen Wirtschaft gewesen. Die Zonengrenze deckt sich zum Teil mit den Grenzen des mitteldeutschen Wirtschaftsraumes; teilweise geht sie aber nach Westen hin durch Teile des westdeutschen Wirtschaftsraums hindurch. Das ist ein doppelter schmerzhafter Eingriff in diese Wirtschaftsgebiete. Die Zerreißung des gesamtdeutschen Wirtschaftsraums hat zur Folge, daß sich das Schwergewicht der westdeutschen Wirtschaft in den Räumen Rhein-Ruhr und Rhein-Main-Neckar befindet. Dort vollzieht sich bei geringerer oder abnehmender Wirtschaftsintensität der östlichen Randgebiete der Bundesrepublik eine zunehmende Konzentration. Wir können daher mit Recht feststellen, daß wir ein starkes Gefälle der Wirtschaftsintensität vom Westen nach dem Osten haben. Das war nicht immer so, und es war keinesfalls auch nur annähernd so. Die enge Verflochtenheit der heutigen Grenzländer der Bundesrepublik mit dem mitteldeutschen Wirtschaftsraum hat ihnen immer ein gleichbleibend hohes Wirtschaftspotential gegeben. Der Wirtschaftsverkehr, der früher in der Hauptsache eine Nord-Süd-Richtung und eine West-OstRichtung hatte, ist heute um den Teil, der nach dem Osten gerichtet ist, amputiert, so daß wir nur noch einen Grenzverkehr in der Nord-Süd-Richtung und einen Teilverkehr in der Ost-West-Richtung haben. Das bedingt eine große Verkehrsferne und die Entstehung sogenannter toter Räume innerhalb des Bundèswirtschaftsgebietes. Die Handelskammern dieser Grenzländer haben festgestellt, daß früher 50 % des Wirtschaftsverkehrs ihrer Bezirke über die heutige Zonengrenze hinweggingen;
    bei einigen sind es sogar 80 °/o. Heute stellen diese gleichen Industrie- und Handelskammern fest, daß der Verkehr über die Zonengrenze. d. h. die Beziehung zu dem mitteldeutschen Wirtschaftsraum, so gut wie eingeschlafen ist.
    Bereits am 2. Mai 1950 hat die Bundesregierung eine Reihe von ehemals wichtigen Wirtschaftsgebieten entlang der Zonengrenze als Notstandsgebiete anerkannt: Nord-Hessen, Bayerischer Wald, Wilhelmshaven und das Salzgitter-Gebiet. Wenn man diese als Notstandsgebiete de jure bezeichnen will, so gibt es noch viel mehr Notstandsgebiete de facto. Das ist ein Zeichen dafür, daß es sich die Regierung und dieses Hohe Haus auf das intensivste angelegen lassen sein müssen, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen.
    Die Wirtschaft ist nicht zuletzt eine Funktion des Verkehrs. Dieser Verkehr existiert aber in den vier Grenzländern längst nicht mehr in dem nötigen Umfang, um eine Funktion der Wirtschaft sein zu können und die Wirtschaft zu lenken, zu erweitern und zu fördern. Durch die Grenzziehung sind die Verkehrswege eben da abgeschnitten worden, wo die Zonengrenze gerade verläuft. Kanäle, Landstraßen, Eisenbahnen sind tot, stillgelegt, ja, sind zum Teil im östlichen Sektor demontiert worden und enden in einer Wüste. Demzufolge kann ein Fluktuieren des Verkehrs und damit der Wirtschaft nicht mehr festgestellt werden. Diese Tatsache der abrupt und rigoros durchschnittenen und abgeschnittenen Verkehrswege ist bedeutsam; hier liegt eine der wichtigen Ursachen des Rückgangs der Wirtschaft in den Grenzländern. 'Überdies hat das Land Schleswig-Holstein eine totale Isolierung dadurch erfahren, daß die Zonengrenze über das Meer, über die Ostsee fortgesetzt worden ist. Das hat zur Folge, daß auch jegliche Schifffahrtsverbindung mit den Ostseeländern stillgelegt ist. Für Niedersachsen, das mit der längsten Zonengrenze von 548 km am schwersten betroffen ist, sind ähnliche Erscheinungen festzustellen. Auf dem Gebiete der Schiffahrt und der Fährbetriebe auf der Elbe hat es zahlreichen Unternehmen das Leben gekostet.
    Die geringe Zahl der Grenzübergänge verursacht vervielfachte Transportkosten und damit verminderte Wettbewerbsfähigkeit. Es sind sehr häufig Umwege von mehreren hundert km erforderlich, wenn die Unternehmungen weiterhin ihre Rohstoffe und Halbfertigfabrikate beziehen und ihre Fertigprodukte absetzen wollen. Für eine nachhaltige Orientierung der Wirtschaft in den Grenzgebieten nach den Zentren des Westens sind es viel zuviel Frachtkilometer. Ich darf Ihnen nur zwei Beispiele vortragen. Bei dem Eisenbau in unseren Gebieten ist die Tonne Eisenkonstruktion um 60 bis 70 DM teurer als im Westen. Das ist in erster Linie eine Folge der Zustände, die ich Ihnen eben geschildert habe. Es ist auch eine Folge davon, daß wir in Niedersachsen das einzige Walzwerk nicht mehr in Betrieb haben, daß daraus, wie hier schon einmal gesagt worden ist, eine Mondkraterlandschaft geworden ist.
    Die Konservenindustrie, die für meine Heimat, Niedersachsen, und für Schleswig-Holstein eine große Rolle spielt, hat eine Frachtverteuerung um 3 % auf die fakturierte Ware aufzuweisen. Dabei ist doch diese Konservenindustrie, wenn man nicht die Wege eines zwielichtigen Gerekes gehen will, ausschließlich auf den Absatz im Westen angewiesen. Sie kann aber bei diesen standortbedingten Unkostenerhöhungen nicht mehr als ernsthafter Wettbewerber auftreten.
    Ein wirklich bezeichnendes Beispiel sind auch die Verhältnisse in dem Industrie- und Handelskammerbezirk Coburg. Hier wirken sich die Umwegfrachten für die Schamotte- und Tonwarenindustrie nach einem Bericht der zuständigen Industrie- und Handelskammer folgendermaßen aus. Die Rohstoffe sind für diese Unternehmungen um 84% teurer geworden, eben durch die Umwegfrachten, die Kohle um 147% und im Durchschnitt die gesamten Fertigungskosten um 224%. Damit ist bei dieser für die dortige Gegend äußerst wichtigen Industrie eine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den norddeutschen und den mitteldeutschen Gebieten nicht mehr gegeben, die früher für diese Ton- und Schamottewarenindustrie um Coburg herum die großen Absatzgebiete waren.
    Der Bundestag hat sich bei Gelegenheit der Behandlung eines Antrags des Verkehrsausschusses — ich glaube, es war im Jahre 1950 - bereits ein-


    (Dr. Mühlenfeld)

    mal mit diesem Dilemma der Umwegfrachten und der Transportschwierigkeiten befaßt und einen Ausgleich von 30 Millionen für das Rechnungsjahr 1950 gefordert, um den Existenzkampf der ostbayerischen Industrien zu unterstützen.
    Meine Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister! Es ist nicht damit getan — ich wiederhole das noch einmal —, daß wir da und dort kleinere oder größere Kreditmittel zur Verfügung stellen. Wir müssen in erster Linie darauf Bedacht nehmen, strukturell die Wirtschaftslage dieser Gebiete zu ändern. Erst dann werden sich die Kreditmaßnahmen erfolgreich auswirken.
    Wie sehen nun in diesen Ländern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern, die sozialen Verhältnisse aus? Ich kann mir darüber große Ausführungen sparen; sie sind schon zur Genüge bekannt. Tatsächlich haben wir schon während des Krieges große Wanderungen der Bevölkerung in diesen Grenzgebieten dadurch gehabt, daß gerade hier, wo vor 1936/37 keine großen Wirtschaftszentren waren, wie man sie im Westen kannte, die damalige Regierung sich veranlaßt sah, große Rüstungskomplexe und Industriezentren zu schaffen. Dadurch ist eine erste Wanderung hervorgerufen worden. Hinzu kam die Ausbombung der Städte. Dann kam der Zustrom der Ostvertriebenen, der in überwiegendem Maße aus der Not der damaligen Zeit in diesen Grenzländern auf gefangen werden mußte. Die Bevölkerungsdichte, die sich von 140 Personen auf den Quadratkilometer vor dem Kriege auf 205 Personen auf den Quadratkilometer nach dem Kriege in so kurzer Zeit vergrößert hat, ist nicht zu bewältigen, ohne daß man mit nachhaltigen Maßnahmen dem Übel an die Wurzel geht. Selbst die USA haben nicht vermocht den Bevölkerungszuwachs, den sie um die Jahrhundertwende hatten, in kurzer Zeit reibungslos zu bewältigen. 15 Jahre waren auch für sie notwendig, selbst bei intakter Wirtschaft.
    Infolgedessen ist in diesen Ländern — und das macht die Wirtschaftslage noch zusätzlich katastrophal — ein großer Prozentsatz von Flüchtlingen und demgemäß auch ein großer Prozentsatz von Arbeitslosen zu verzeichnen. Tatsache ist — und das sollten wir hier in diesem Hause besonders beachten, und das soll die Berechtigung dieser Interpellation unterstreichen —: Schleswig-Holstein hat, in Prozenten ausgedrückt, 27,5 % Arbeitslose, Niedersachsen 16,3 %, Bayern 12% und das gesamte Bundesgebiet nur 9%, wovon Nordrhein-Westfalen sogar nur knapp 4 % hat. Die Zahl der Beschäftigten hat sich im Westen Gott sei Dank gehoben, und es sind da zweifellos Erfolge der Bundesregierung zu verzeichnen. Am stärksten hat sich die Zahl der Beschäftigten in NordrheinWestfalen vergrößert. In den Grenzländern können wir aber eine Behebung der Arbeitslosigkeit oder ein Ansteigen der Beschäftigtenzahl wenig oder gar nicht feststellen.
    Was nun aber unsere Situation besonders prekär macht, das ist nicht allein der Umfang der Arbeitslosigkeit, sondern in erster Linie die Dauer der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen, die 12 und 18 Monate außer Arbeit waren, ist eine bedeutend größere als in anderen Teilen der Bundesrepublik. Das Bedenkliche ist fernerhin, daß wir in den letzten Monaten eine Verschiebung der Arbeitslosen in diese Gruppe, die 12 oder mehr Monate außer Arbeit geblieben waren, gehabt haben.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Wie sich in diesen Grenzländern die Vertriebenen konzentrieren, konzentriert sich hier auch die Arbeitslosigkeit nach Umfang und Dauer, und damit ist das strukturelle Wesen der Arbeitslosigkeit erwiesen, aber auch der strukturell bedingte Niedergang der Wirtschaft. Auch hier ein Gefälle, aber in umgekehrter Richtung.
    Meine Damen und Herren! Ich könnte Ihnen noch manches Beispiel zahlenmäßiger Art und auch in der Darstellung für die besondere Situation in diesen Grenzgebieten mitteilen. Ich möchte aber in Anbetracht der vorgerückten Zeit darauf verzichten. Es ist auch nicht meine Aufgabe, hier in Form einer Enquete Ihnen über die besondere Lage in diesen Gebieten zu berichten. Die Interpellanten halten aber die Veranstaltung einer Enquete für diese Grenzlandprobleme für unerläßlich und wichtig. Das Problem der Grenzländer und seine Gefahren in wirtschaftlicher, sozialer und verkehrsmäßiger Hinsicht muß einmal grundlegend für diese Gebiete untersucht werden und muß die Basis sein, auf der man sämtliche wirtschaftsfördernde Maßnahmen zu sehen hat.
    Heute liegt das Industriepotential im Westen der Deutschen Bundesrepublik, das Arbeitspotential aber im Osten, und so wäre die Frage zu stellen, mit der man sich beschäftigen sollte: Soll nun die Industrie zu den Arbeitskräften kommen oder die Arbeitskräfte zur Industrie? Ich glaube — und mit mir sind meine Freunde derselben Ansicht —, daß es aus volkswirtschaftlichen und staatserhaltenden Gründen der oberste Gesichtspunkt sein muß, daß die Gebiete an der Grenze der Zone entlang dort ihre Wirtschaftskapazität und ihre Wirtschaftskraft erhalten und daß Maßnahmen getroffen werden — und sie sollten gefunden werden —, um die Verödung der Grenzländer zu verhindern. Herr
    Wirtschaftsminister! Auf die Gefahr hin, falsch verstanden zu werden, spreche ich hier ruhig aus: Wir wollen, um unsere Währung und unsere wirtschaftliche Lage nicht zu gefährden, keine Kreditschöpfung vornehmen, und es gibt auch Institutionen, die den Daumen darauf halten, daß wir es nicht können. Ich bin aber der Meinung, daß. ohne Gefahren währungspolitischer Art herauf zubeschwören, wir es uns sehr wohl leisten können, eine örtliche und wirtschaftlich beschränkte Kreditschöpfung vorzunehmen, und zwar da, wo ein hohes Maß von Arbeitslosigkeit vorhanden ist.
    Die Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen durch Ansiedlung von Industrien und vor allen Dingen die Schaffung eines Anreizes dazu wären weitere zu treffende Maßnahmen, abgesehen von Sofortmaßnahmen, die zwar auf die Dauer nie eine günstige Situation schaffen können, als da sind Notstandsarbeiten wie Schaffung von Verkehrswegen, insbesondere Autobahnen. Dabei denke ich an die Autobahn Hamburg—Göttingen, die Schleswig-Holstein mit uns, mit Hessen und mit Bayern verbinden würde, und an die Autobahn FrankfurtBayreuth—Regensburg—Passau. Aber ich denke auch an das noch immer nicht gelöste Problem der Umsiedlung der Flüchtlinge.
    Wir hatten doch schon einmal ein Osthilfegesetz. Nun, die gegenwärtige Situation hat eine große Ähnlichkeit mit der damaligen. Der Osten ist uns nähergerückt, und wir sollten uns jetzt sofort überlegen, was in dieser Beziehung heute getan werden kann.
    Vielleicht — und das scheint mir sehr dringend zu sein — ist es auch notwendig, die Zentralbanken der Länder einer regionalen Umgestaltung nach


    (Dr. Mühlenfeld)

    den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu unterziehen. Dazu gehört auch die Frage der Reorganisierung und der regionalen Umgestaltung der privaten Großbanken.
    Der Eisenbahntarif, der für eine ganz andere Wirtschaftsstruktur, für ganz andere wirtschaftliche Aufgaben geschaffen war, muß der heutigen, veränderten wirtschaftlichen Struktur angepaßt werden. Die Entfernungsstaffel, die wir im Eisenbahntarif haben, ist in der Hauptsache immer noch diejenige des Jahres 1923, und ich glaube, hier hat sich doch manches geändert.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Wir können es uns nicht leisten, tote Bundeswinkel wirtschaftlicher und sozialer Art zu haben.

    (Glocke des Präsidenten.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich darf Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Mühlenfeld


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine Damen und Herren, es ist hier gerade von Remontagekrediten gesprochen worden. Auch wir in Niedersachsen haben hier Forderungen anzumelden. Ich weise darauf hin, daß die Industrie- und Handelskammer Braunschweig bereits mit stichhaltiger Begründung beantragt hat, die Stahlwerke in Watenstedt-Satzgitter wieder aufzubauen; 500- bis 600 000 t Stahl könnten mithelfen, den Engpaß auf diesem Gebiete zu beseitigen. Wenn hier vorhin gesagt wurde, das Land Nordrhein-Westfalen habe in der Demontage die größten Opfer gebracht, so hat mein verehrter Vorredner vielleicht außer acht gelassen, daß das nur eine relative Zahl ist. Sie muß an dem vorhandenen Wirtschaftspotential gemessen werden,
    dann wird man nicht zu diesem Ergebnis kommen können. Für die alte Belegschaft von WatenstedtSalzgitter, die dort wohnt, gibt es keine einzige Ausweichmöglichkeit. Sie ist auf Leben und Sterben mit der Existenz und dem Wiederaufbau des Stahlwerks und des Hüttenwerks verbunden.
    Meine Damen und Herren, ich bitte, mir weitere Ausführungen zu erlassen, der Herr Präsident gestattet sie auch nicht mehr. Ich bitte Sie und vor allem die Bundesregierung, auf diese Fragen, die uns und wohl auch die Bevölkerung des gesamten Bundesgebietes mit brennender Sorge erfüllen, Ihr besonderes Augenmerk zu richten.

    (Beifall bei der DP und FDP)