Protokoll:
1036

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 36

  • date_rangeDatum: 9. Februar 1950

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:41 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:54 Uhr

Gesamtes Protokol
Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103600000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 36. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte zunächst den Schriftführer Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Namen der fehlenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.

Dr. Walter Zawadil (FDP):
Rede ID: ID0103600100
Es fehlen folgende Damen und Herren des Hauses, und zwar wegen Erkrankung die Abgeordneten Dr. Gülich, Dr. Baade, Schönauer, Schuster, Wittmann, Albers, Schütz, Weiß, Dr. Wuermeling, Margulies, Fisch; sonst entschuldigt fehlen die Abgeordneten Jahn, Dr. Greve, Zinn, von Knoeringen, Dr. Suhr, Neumann, Kuhlemann, Dr. Baumgartner, Determann, Parzinger, Reimann, Frau Thiele, Clausen. Ferner fehlt der Abgeordnete Goetzendorff.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103600200
Meine Damen und Herren, ich teile ferner folgendes mit. Mit einem Schreiben des Herrn Bundesjustizministers ist mir ein Ersuchen des bayerischen Staatsministeriums für Justiz zugegangen, gemäß Artikel 46 ,des Grundgesetzes eine Entscheidung des Deutschen Bundestages bezüglich des Herrn Abgeordneten Dr. Baumgartner herbeizuführen. Ich darf wie üblich das Einverständnis des Hauses damit feststellen, daß die Akten in diesem Falle dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zur weiteren Beratung überwiesen werden. — Es ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu dem einzigen Punkt der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der SPD betreffend Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksache Nr. 406).
Ich darf vorausschicken, daß gemäß Beschluß des Ältestenrats keine Einteilung der Redezeit vorgenommen wird. Wir verfahren infolgedessen nach § 87 der Geschäftsordnung, auf den hinzuweisen ich mir erlaube.
Zur Begründung des Antrags der antragstellenden Fraktion hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Nölting.

Dr. Erik Nölting (SPD):
Rede ID: ID0103600300
Meine Damen und Herren! Am Horizont der Wirtschaft steht die Arbeitslosigkeit wie ein gespensterhaftes Wetterleuchten. Der Arbeitslosenpegel steigt buchstäblich von Stunde zu Stunde. Die letzte Zahl, die uns offiziell gemeldet wurde, belief sich auf 1 897 644, darunter allein 1 408 000 männliche Arbeitskräfte. Seit Weihnachten ist ein geradezu sprunghaftes Anschwellen der Arbeitslosenziffern zu verzeichnen. Wir halten an der Zweimillionengrenze; wir haben sie einschließlich Berlins bereits überschritten. Fast 12 vom Hundert der Arbeitnehmer stehen heute ohne Erwerb da. Seit der Währungsreform beträgt der Anstieg 1,3 Millionen.
Ich möchte, meine Damen und Herren, daß wir alle uns einmal einen kurzen Augenblick vergegenwärtigen, welches Ausmaß von Elend, Verzweiflung und Ausweglosigkeit diese Zahlen umschließen. Jedenfalls war seit dem Kriege die Lage auf ,dem Arbeitsmarkt noch niemals so alarmierend wie in der gegenwärtigen Zeit, und alle Erfolge der Wirtschaftspolitik, die schmalen Erfolge, die bisher erzielt werden konnten,

(Zuruf in der Mitte)

erscheinen gefährdet, wofern es nicht gelingt, diese bedrohliche Entwicklung, die unser Fundament zu unterspülen beginnt, abzubremsen.
Seit November 1948 ist die Zahl der Arbeitslosen im Bundesgebiet von Monat zu Monat gestiegen. Wir verzeichneten in der Zeit Juli bis Oktober 1949 eine relativ geringe Zunahme der Arbeitslosigkeit; dann aber erfolgte von Ende


(Dr. Nölting)

Oktober 1949 ab ein Anstieg im Siebenmeilenstiefeltempo. Allein der Januar hat uns eine Zunahme um 339 175 gebracht, davon im Kerngebiet der deutschen Wirtschaft, in Nordrhein-Westfalen, 57 037. Ende Juni 1948 waren 3,2 Prozent aller Arbeitnehmer arbeitslos, Ende Dezember 10,3 Prozent, heute sind es fast 12 Prozent.
Dabei ist der Index der arbeitstäglichen Produktion, 1936 gleich 100 gesetzt, von 98 im November auf 95 im Dezember zurückgeglitten. Die Januarzahl ist mir noch unbekannt. Jedenfalls sind wir von einer Normalisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse noch weit entfernt. Die westdeutsche Wirtschaft droht sich auf einem Stand von zirka 90 bis 95 der Leistung des Jahres 1936 einzuspielen, wobei wir aber nicht vergessen dürfen, daß sich die Bevölkerung dieweil um 20 Prozent vermehrt hat. Sollten sich aber die finanz-
und güterwirtschaftlichen Kreisläufe auf diesem Niveau zu schließen beginnen, dann müßten Millionen von Arbeitskräften außerhalb jeder Beschäftigungsmöglichkeit bleiben.
Man muß ja auch noch folgendes bedenken. Die industrielle Arbeitsproduktivität — ich meine die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde — liegt bei etwa 80 Prozent der Vorkriegsnorm. Bei dem gegenwärtigen Beschäftigungsstand sind also mindestens 2 bis 3 Millionen Arbeitskräfte nur dafür angesetzt, die Minderleistung der übrigen zu ersetzen; und diese repräsentieren, wenn die große Rationalisierungswelle kommt, die zusätzliche Arbeitslosigkeit, wenn sich nämlich die Leistung dem friedensmäßigen Stand angepaßt hat, ohne daß die mengenmäßige Produktion einen entsprechenden Zuwachs erfährt.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat noch vor einem halben Jahr etwas ruhmredig verkündet, er würde die Arbeitslosigkeit in wenigen Wochen beseitigen, eine Arbeitslosigkeit, die er in seinen vielen Wahlkampfreden dahin analysierte, daß sie sich — von dem Einstrom der Flüchtlinge, der Ostvertriebenen und der Kriegsheimkehrer abgesehen — vor allem aus Schwarzmarktexistenzen, die jetzt zur Fahne strömten, aus zusammengekrachtem Kunstgewerbe und abgebauten Bürokraten rekrutiere. Ich weiß nicht, ob der Herr Wirtschaftsminister sich heute noch zu seiner Theorie von der „Selbstreinigungskrise der Wirtschaft" bekennt. Ich habe damals schon von einem Auszehrungsprozeß der Wirtschaft gesprochen. Denn selbst der sonst einen unverwüstlichen Optimismus ausstrahlende Herr Professor Erhard scheint inzwischen doch ein etwas kleinlauter Herkules geworden zu sein,

(Heiterkeit)

hat er doch unlängst auf der CSU-Tagung in Fürth angeführt: ;;Das Problem der Arbeitslosigkeit ist mit deutschen Kräften überhaupt nicht zu lösen."

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Daß man jetzt alles Entscheidende von der Auslandshilfe erhofft, zeigt, daß die Regierung in eine böse Sackgasse geraten und am Ende ihres liberalen Lateins angelangt ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Der gleiche Wirtschaftsminister hatte noch vor gut Monatsfrist Neujahrsartikel in die Welt gesandt, deren markige Kernworte heute .wie Hohn anmuten. So schrieb Herr Professor Erhard am 31. Dezember aus Bonn: „Meine Zuversicht in der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung
hat sich auch in dem nunmehr zu Ende gehenden Jahr 1949 als berechtigt erwiesen, und ich sehe in unserer jetzigen Lage und in der sich abzeichnenden Entwicklung keine Veranlassung zu einer anderen Haltung." Das beim Rückblick auf ein Jahr, in dem die Arbeitslosenziffern um 800 000 zunahmen, dieweil die Beschäftigtenziffern um 190 000 absanken! Am Ende eines Jahres, in dem das Handelsbilanzdefizit weiter auflief und eine erschreckende Passivierung aufweist und auch in ,der Beschaffung von Wohnraum keineswegs genügende Erfolge erzielt wurden! Damit man mir aber nicht sagt: nun ja, das war eben Silvesterüberschwang entschuldbarer Art, möchte ich noch ein Zitat vom 17. Juni 1949 geben. Da schrieb Herr Professor Erhard in der „Wirtschafts- und Finanzzeitung": „Unsere Wirtschaft kann damit rechnen, daß dieser Wirtschaft Kredite für die laufende Produktion für Warenumsätze und Rohstoffeinfuhren in jedem für eine Produktionsleistung hinreichenden Maße zur Verfügung stehen. Daneben wird in der nächsten Entwicklung durch einen beträchtlich geballten Kapitaleinsatz für langfristige und mittelfristige Investitionen unserer Wirtschaft neues Blut zugeführt werden." Damit wollte man die deflatorische Erstarrung durchbrechen. Aber diese von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und einer gewissen ihm, nahestehenden Presse in die Massen geschleuderten propagandistischen Versprechen haben sich in der Praxis anders ausgewirkt. Es waren Seifenblasen, die elend zerplatzten. Die Wirklichkeit aber läßt sich an der Schlange der Stempelbrüder vor den Arbeitsämtern ablesen. Gestützt auf diese Versprechen haben Geschäftsleute und Industrielle vielfach kurzfristige Kredite aufgenommen, auf denen sie heute festsitzen.
Kurz bevor die Neujahrsartikel in die Welt hinausgingen, war am 15. Dezember 1949 — nicht vom Wirtschaftsministerium, aber von einem benachbarten, ich darf wohl kaum sagen: befreundeten Ministerium,

(Heiterkeit bei der SPD)

nämlich vom ERP-Ministerium - ein bemerkenswertes Memorandum an die OEEC, die Marshaliplanverwaltung, in Paris hinausgegangen, in dem ein Programm für die Jahre 1950/51 und 1951/52 aufgestellt wurde. „Programm" war eine liebenswürdige Übertreibung. Es handelte sich praktisch mehr um einen Hilfeschrei. In diesem Memorandum wird zugestanden, daß wir auch ab 1952 nach ausgelaufenem Marshallplan nicht werden auf den eigenen Beinen stehen können. Unsere industrielle Produktion würde nur auf etwa 107 des Standes vom Jahre 1936 gebracht werden können, und eine Arbeitslosigkeit von 1,7 Millionen, die dann später auf 2 Millionen anzuwachsen drohe, sei eine unvermeidbare Konstante. Die Antwort klang unwirsch und wenig freundlich. Es wurde entgegnet, es fehle diesem Programm jede Idee einer umfassenden Produktionssteigerung, und wenn es so weitergehe, könne mit einer Arbeitslosigkeit von über 3 Millionen gerechnet werden. Wir mußten uns erst von alliierter Seite belehren lassen, daß es nicht angängig sei, eine Zahl von 2 Millionen Arbeitslosen als strukturell unvermeidbar hinzunehmen. Interessant für uns aber war vor allem der Hinweis, die Regierung beachte zuwenig die auch bei einer freien Wirtschaft notwendige Planung.

(Hört! Hört! bei der SPD.)



(Dr. Nölting)

Nun liegt es mir gewiß fern, amerikanische Ansichten stets als der Weisheit letzten Schluß zu betrachten. Doch war es immerhin peinlich zu vernehmen, daß uns aus alliiertem Munde bestätigt wurde, wir hätten bisher zuwenig in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit getan, und es war peinlich, daß ein Sprecher des Hohen Kommissariats in Frankfurt erklärte, die alliierten Kommissare würden handelnd eingreifen, wenn von deutscher Seite keine Abhilfe geschaffen würde und wenn sich zeige, daß die verantwortlichen deutschen Behörden keine eigenen Wege zu finden wüßten.
Wir sprachen von dem Erhardschen Optimismus, wir sprachen von dem Blücherschen Memorandum. Ich möchte nicht annehmen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister dieses Memorandum nicht gelesen hat, das alles schwarz in schwarz malt und das von einer „Reihe kaum lösbarer Probleme" spricht. Aber wohnen denn eigentlich zwei Seelen in Herrn Erhards Brust: eine für den deutschen Hausgebrauch und eine für das Ausland? Was soll nun eigentlich Geltung haben: der baldurhafte Optimismus zum internen Gebrauch oder das Nocturno dieser Denkschrift mit seiner schwarzumrandeten Düsternis? In unserem Streitgespräch, das wir in Frankfurt führten, meinte Herr Professor Erhard mit jener Jovialität, die wir alle an ihm schätzen: Wir hätten eben beide geirrt, er - Erhard — habe sich geirrt in der Annahme, daß die Preise zurückgehen würden, ich aber hätte mich geirrt in der Ansetzung der Arbeitslosenzahl. Ich habe damals Herrn Kollegen Erhard gesagt: Herr Kollege, es ist noch nicht aller Tage Abend; bei Philippi sehen wir uns wieder! Und leider ist Philippi heute gekommen.
Wir haben immer wieder erklärt: Wirtschaftspolitik bedeutet aktive, systematische Intervention. Es reicht nicht aus, meine Damen und Herren, hypnotisiert immer nur auf den Nabel der freien Marktwirtschaft zu starren.

(Heiterkeit.)

Optimismus in allen Ehren, aber es gibt einen Optimismus, für den es eine gute deutsche Übersetzung gibt: Bequemlichkeit.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Auf der Tagung der CDU/CSU-Sozialausschüsse am Sonntag in Oberhausen hat ein CDU-Redner — es war Herr Lewecke — ausgeführt, ohne vernünftige Planung, die fälschlicherweise noch immer mit Zwangswirtschaft gleichgesetzt würde, sei nun einmal nicht auszukommen; und Herr Lewecke fuhr fort: die Formulierung „Soziale Marktwirtschaft" geht den Arbeitnehmern angesichts der ansteigenden Arbeitslosenziffern allmählich auf die Nerven. Herr Lewecke hat damit durchaus unsere Empfindung ausgesprochen. Man sollte nicht allzu lautstark immer verkünden, daß alles aufwärts geht. Beim Himmel, wir sind ja schließlich Nationalökonomen und Politiker und keine Anhänger und Nachbeter Coués! Vorläufig jedenfalls sind die Zahlen der Arbeitslosen und der Unterstützungsempfänger dasjenige, was .den stärksten Trend nach oben aufweist. Die Arbeitsämter geben bekannt, daß sie auch weiterhin mit einer starken Erhöhung der Arbeitslosigkeit rechnen, jetzt, wo Saisonflaute und Konjunkturflaute zusammenfallen. Daneben läuft eine überaus starke Zunahme der Kurzarbeit, von der man überhaupt nicht spricht. Viele dieser Kurzarbeiter aber sind künftige — heute nur
noch kaschierte - Arbeitslose. Auch bleibt zu bedenken, daß die effektive Arbeitslosigkeit noch immer ein gutes Stück höher ist als die registrierte, weil ja nicht alle nach Westdeutschland einströmenden Personen erfaßt werden. Die Arbeitsämter registrieren nur solche Personen, die polizeilich gemeldet sind und die eine Zuzugsgenehmigung vorlegen können. Wie groß ist insbesondere die vagabundierende Jugend?! Niemand vermag das auch nur mit angenäherter Genauigkeit zu sagen. Wir wissen nur, daß ein Drittel aller Arbeitslosen im Bundesgebiet Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren sind.
Die Auswanderung, meine Damen und Herren, bedeutet kein Notventil, und ich bin bestürzt, daß der Herr Arbeitsminister Storch auch sie einmal in Erwägung gezogen hat. Auswanderung ist Negativauslese übelster Sorte, verrät im übrigen vollkommene Hilflosigkeit.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Bisher hat jedenfalls weder die Erhardsche soziale Marktwirtschaft noch die Blüchersche Wirtschaftsdiplomatie die unheilvolle Entwicklung abzubremsen vermocht, die wir schon vor einem Jahre vorausgesagt haben, als wir dieser planlosen, durch Fehlinvestitionen auf Kosten der Allgemeinheit verschwenderischen Wirtschaft Kritik übten. Wir verspüren — glauben Sie es mir — deshalb keine Genugtuung,

(Zurufe von den Regierungsparteien: Na, na!)

dafür sind die Dinge zu ernst; es stehen größere Dinge auf dem Spiel!
Leider aber geht es nicht nur um die Fehlprognosen und die Beschwichtigungskuren des Herrn Bundeswirtschaftsministers; leider hat sich ihm auch der Herr Bundesarbeitsminister mit seiner Mitte Januar abgegebenen Erklärung an die Seite gestellt, er sei durch die Zunahme der Erwerbslosenzahl, die zwar unerfreulich sei, nicht weiter beunruhigt,

(Hört! Hört! bei der SPD)

eine Erklärung, die er schon einmal, Anfang Oktober 1949, bei einer seiner ersten Pressekonferenzen abgegeben hatte. Es war also kein falscher Zungenschlag; sie ist aber inzwischen zum geflügelten Wort geworden. Seitdem ist jedoch die Zahl der Erwerbslosen um eine halbe Million gestiegen, und ich sollte meinen, man hätte eigentlich in 31/2 Monaten bessere Erfahrungen in seinem Amt sammeln können.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Nun, wenn die Regierung nicht beunruhigt ist, uns, der Opposition, die es angeblich soviel leichter und bequemer hat, kann das die Unruhe nicht nehmen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Gewiß stellen auch wir den Faktor ,der strukturellen Arbeitslosigkeit durchaus in Rechnung. Denn wir möchten in unserer Kritik niemals unfair und unbillig sein. Arbeitslosigkeit ist zum Teil Ausdruck gewisser struktureller Verschiebungen und Verlagerungen,

(Zuruf rechts: Fast ausschließlich!)

der Aufspaltung in Zonen, von denen die sowjetische Zone ein fast hermetisch abgedichteter
Käfig ist; der zerrissenen Wirtschaftsproportionen, schwerer Störungen im Grundgefüge und
Verlagerungen im Außenhandel, insbesondere des
Verlustes von Absatzmärkten, der Demontage,


(Dr. Nölting)

die Tausende von Arbeitern auf die Straße geworfen hat — und viele der geretteten Betriebe, für die man auf dem Petersberg leider ein Fabrikationsprogramm auszuhandeln vergessen hat, gehören mehr in das Wirtschaftsmuseum als in die praktische deutsche Wirtschaftspolitik --; vor allem auch der Zusammendrängung zusätzlicher Millionen in einem ohnehin überfüllten Raum; ist .doch. das Problem der Arbeitslosigkeit im Westen mit der sowjetischen Entvölkerungspolitik im Osten eng gekoppelt.
Warum wiegt das Flüchtlingsproblem so schwer? Weil wir die Flüchtlinge und Vertriebenen zunächst rein zufallsmäßig nach dem vorhandenen Wohnraum unterbringen mußten. Die Folge ist, daß diese Menschen nun da wohnen, wo wir arbeitsmäßig am wenigsten mit ihnen anfangen können, so daß sie ohne Existenzgrundlage leben und wirtschaftlich völlig auf ein totes Gleis abgeschoben sind. Ich denke an die typisch kleinbäuerlichen Bezirke in Niederbayern, in Unterfranken, in Hessen usw.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das sind alles steuerschwache Gebiete, die sich leicht zu Brutstätten eines neuen Faschismus entwickeln können.

(Zustimmung bei der SPD.)

Es wäre der größte Planungsauftrag in der deutschen Geschichte, diese Menschen nach den Gesichtspunkten volkswirtschaftlicher Rationalität umzusiedeln. Die Industriegebiete aber sind nur dann aufnahmefähig, wenn sie die notwendige finanzielle Beihilfe für die Beschaffung von Wohnraum erhalten. Daneben besteht die Aufgabe zusätzlicher Existenzschöpfung in, wirtschaftlich entwicklungsfähigen Aufnahmegebieten durch Auffüllung der dort noch vorhandenen gewerblichen und industriellen Produktionslücken. Gerade damit könnte auch ein wichtiges Exportpotential für die deutsche Wirtschaft aktiviert werden. Man sollte hier nicht warten, bis man von den Hohen Kommissaren gestoßen wird; müßte es doch für die Bundesregierung höchst peinlich sein, wenn im Lande der Eindruck entstünde, daß dem amerikanischen Hohen Kommissar das Schicksal der Flüchtlinge mehr am Herzen liegt als den zuständigen deutschen Stellen.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Wir fragen: Hat ,die Regierung einen Umsiedlungs- und Aufbauplan, und wann wird sie einen solchen Plan vorlegen?

(Zuruf: Heute!) — Wir warten darauf!

Meine Damen und Herren! Diese strukturelle Analyse erklärt jedoch in keiner Weise den gan-, zen Umfang des Phänomens. Denn der weitaus größte Teil unserer Arbeitslosen bezieht Arbeitslosenunterstützung, hat also längere Zeit in Beschäftigung gestanden und ist erst später abgebaut worden. Es handelt sich also um Konjunktur-Arbeitslose. Von den 1,5 Millionen Arbeitslosen, die wir am Jahresende verzeichneten, sind durch Entlassung mindestens 6- bis 700 000 arbeitslos geworden, und nur etwa 200 000 stellen Fremdzugänge dar, die in dieser Zahl von 1,5 Millionen stecken.
Ende 1948 hat eben ein Konjunkturumschlag eingesetzt, so sehr auch das Wirtschaftsministerium bemüht ist, durch sein Jonglieren mit Produktionsziffern diese Tatsache zu überdecken. Man kann sich aber heute nicht mehr damit herausreden, die Arbeitslosigkeit dürfe nicht nach der Zahl der Arbeitslosen beurteilt, sie müsse an der Zahl der Beschäftigten gemessen werden. Dieses Argument ist in die Brüche gegangen, nachdem nun auch die Beschäftigtenziffern fallen. Wir messen heute die Höhe der Woge der Arbeitslosigkeit vom sinkenden Kahn aus, ganz abgesehen davon, daß mit solcher Argumentation den armen Teufeln, die erwerbslos geworden sind und die nach einem Arbeitsplatz verlangen, verflucht wenig gedient ist. Wirtschaft muß, wenn sie gesund sein soll, aufnahmefähig und weiträumig sein.
Die Arbeitslosigkeit ist nach unserer Meinung zu einem guten Teil Ergebnis einer Deflationskrise. Deshalb sollten wir uns nicht bei falschen Analysen beruhigen, und noch weniger sollten wir rosaroten Illusionsnebel verzapfen und über das Land abblasen.

(Zustimmung bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von der Mitte.)

Mit Bagatellisieren, Beschönigen und Verharmlosen ist keinem gedient. Wir müssen vielmehr alle Möglichkeiten der Selbsthilfe ausschöpfen,

(Sehr gut! bei der SPD)

was bis heute in keiner Weise geschehen ist. Wir müssen handeln und müssen rasch handeln; sonst ist es zu spät, und das demokratische Staatswesen gerät in Gefahr. Wir müssen endlich •aus dem Stadium der bloßen Diskussionen, der unverbindlichen Vorverhandlungen, die doch nur eine andere Form von Untätigkeit sind, herauskommen; müssen den Konjunkturrückgang planmäßig auffangen und ausgleichend und belebend auf den Arbeitssektor einwirken.
Ein Wirtschaftssystem mit steigender Arbeitslosigkeit ohne Chance ihrer Bewältigung hat den eindeutigsten Gegenbeweis gegen sich selbst geliefert.

(Beifall bei der SPD.)

Dem Haus der deutschen Wirtschaft droht soziale Einsturzgefahr, falls man die Dinge Ideen- und tatenlos weitertreiben läßt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Die soziale Krise droht sich unheilvoll zu verschärfen. Das Problem der Not und Verarmung ist mit den Prinzipien des Laisser-faire nun einmal nicht zu lösen. Oft will es mir in letzter Zeit scheinen, als ob das allmählich auch Professor Erhard begriffen hat. Denn wenn ihm die soziale Not allzudicht auf den Leib rückt, ist auch er nicht mehr hundertprozentig linientreu; dann macht auch er gewisse Anleihen bei unserer planwirtschaftlichen Hausapotheke

(Lachen bei den Regierungsparteien) und nimmt bei uns geistige Anleihen auf.


(Erneutes Lachen in der Mitte und rechts.) Jedenfalls: mit der Beschönigungs- und Beschwichtigungsformel „Wirtschaft ist Wagnis" und „Es handelt sich nur um notwendige Anpassungsvorgänge" lassen sich die Arbeitslosen nicht mehr abspeisen.

Was sind denn Arbeitslose, meine Damen und Herren? Vergeudeter Volksreichtum!

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Der Engländer Carlyle hat einmal gesagt: Ich
habe noch niemals einen beschäftigungslosen Gaul


(Dr. Nölting)

gesehen, und ich werde es nun und nimmer begreifen, daß das am vollkommensten organisierte „Arbeitstier", der Mensch, keine Beschäftigung finden soll. Wir können es uns in unserer Lage einfach nicht leisten,

(lebhafte Zurufe von der Mitte)

daß ein wesentlicher Teil unserer Arbeitskräfte zum Feiern verurteilt ist. Die Blutspuren Hitlers lassen sich nur mit Arbeitsschweiß abwaschen. Wir können es uns nicht leisten, daß namentlich ein Teil der zur Schulentlassung kommenden Jugend heute nicht in Lehre und Arbeit eingewiesen werden kann.

(Zustimmung bei der SPD. Zurufe von der Mitte und rechts.)

510 000 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren stehen schon jetzt ohne Arbeitsplatz da; das ist eine furchtbare Hypothek für jedes Staatswesen. Die heranrückende Welle der Schulentlassenen müßte die größte Hoffnung der leistungsgeschwächten deutschen Wirtschaft sein; praktisch ist sie uns heute leider mehr ein Alpdruck. Im Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt vom Januar 1923 steht der schöne Satz: „Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit." Wir bekennen uns zu diesem Satz, verspüren aber schmerzlich den Abstand zwischen Forderung und Wirklichkeit.
Jugend ohne Hoffnung ist für jeden Gesellschaftskörper soziales Dynamit. Diese Arbeitslosigkeit, wenn sie so weitergeht, macht uns sturmreif für den vom Osten andrängenden Bolschewismus. Aus der sozialen Not droht sich eine nationale, ich will besser sagen, eine nationalistische Frage zu entwickeln. Wir haben es schon einmal erlebt, daß uns 6 bis 7 Millionen Arbeitsloser sturmreif gemacht haben für die Diktatur

(lebhafte Zustimmung bei der SPD) des demagogischen Schnapphahns Adolf Hitler,


(erneute Zustimmung bei der SPD)

der verzweifelte Menschen in seinem braunen Bierzelt zusammenfegte, um daraus seine Sturmkolonnen zu formieren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.) Demokratien müssen den Beweis erbringen, daß man in ihnen nicht nur freier, sondern auch gesicherter und besser lebt,


(erneuter Beifall bei ,der SPD — lebhafte Zurufe von der Mitte und rechts)

sonst werden sie erbarmungslos untergepflügt. Wir aber wollen dem Osten nicht diesen willkommenen Propagandahebel in die Hand drücken. Gewiß haben wir unsere Erfahrungen gemacht und sind dadurch psychologisch besser immunisiert; aber vergessen wir nicht: die objektiven Abwehrkräfte sind aus mancherlei Gründen geringer als damals. Es steht mehr auf dem Spiel als Schicksal und Prestige dieser Regierung; es geht um die Zukunft der deutschen Demokratie!

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Denn der Zustand der sozialen Hoffnungslosigkeit und wirtschaftlichen Verelendung schafft das Klima, bei dem, das Spiel politischer Hasardeure am besten gedeiht. Schon warten die Söhne des Chaos, um aus dieser Saat ihre Ernte einzubringen. Hier entsteht ein soziales Vakuum, das imperialistische Tendenzen aus dem Osten geradezu ansaugen muß.
Erst die Arbeitslosigkeit hat dem Rechtsradikalismus die große Breiten- und Tiefenwirkung verliehen. Soziales Elend ist - Dr. Schumacher führte es hier am 21. September aus — „Heizstoff" für den Nationalismus. Und was die Verstärkung des Radikalismus im letzten Winter Deutschland an Schaden im Ausland zugefügt hat, das wissen Sie genau so gut wie ich.

(Abg. Dr. von Brentano: Waren das die Arbeitslosen?)

Wir fragen: Ist aber die Regierung überhaupt bereit zuzugeben, daß Vollbeschäftigung zum zentralen Problem der Wirtschaftspolitik erhoben wird? Es wäre für uns sehr aufschlußreich, speziell vom Herrn Bundeswirtschaftsminister zu erfahren, ob auch er das Problem unter diese Schau zu stellen gewillt ist, oder ob er etwa der Meinung von Werner Sombart beipflichtet, daß die Wirtschaftsordnung, um funktionieren zu können, stets einen gewissen Bodensatz von Arbeitslosigkeit brauch t, ebenso wie eine Pumpe, die nur im Wasser stehend zu arbeiten vermag.
Wie ist die Äußerung von Herrn Professor Erhard im „Volkswirt" Nr. 50, Seite 9 zu verstehen, „daß die gewerkschaftliche Forderung nach Vollbeschäftigung" — Herr Professor Erhard, es ist nicht nur eine gewerkschaftliche Forderung! — „nicht zum Maßstab der Wirtschaftspolitik gemacht werden" dürfe.

(Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

Auch in dem von mir eben bereits erwähnten Memorandum vom 15. Dezember finden wir auf Seite
73 höchst merkwürdige Sätze. Es heißt wörtlich: Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß das Investitionsprogramm sogar gedrosselt werden muß, weil jede Erhöhung des Produktionsniveaus durch Investitionen naturgemäß zu einer Steigerung der Beschäftigung und damit der Kaufkraft führt, woraus sich eine Gefährdung der preis- und währungspolitischen Stabilität ergeben könnte.

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!) Weiter heißt es:

Es besteht die Gefahr, daß entweder sozial nicht tragbare Preissteigerungen in Kauf genommen werden müssen oder daß die bisher verfolgte liberale Wirtschaftspolitik nicht mehr fortgesetzt werden kann.

(Zurufe von der SPD: Aha! Aha!)

Hand aufs Herz: Will man nun eigentlich Vollbeschäftigung oder nicht? Hat man etwa Angst vor der eigenen Courage? Scheut man das Risiko? Wir warten auf Antwort!
Denn, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind hier mit Recht etwas mißtrauisch. Durch trübe Erfahrungen früherer Zeiten belehrt wissen wir, daß die industrielle Reservearmee stets ein bewährtes Kampfinstrument gegen Arbeiterforderungen gewesen ist.

(Sehr richtig! links.)

Ich könnte mir denken, daß es gewissen Interessenten- und Unternehmerkreisen vielleicht nicht ganz unerwünscht wäre, die gegenwärtige Situation, in der die Debatten um das Mitbestimmungsrecht heraufziehen,

(Sehr richtig! bei der SPD.)

das sich der Arbeiter im übrigen nicht verwässern lassen will,

(Abg. Dr. von Brentano: Schämen Sie sich, so etwas zu sagen! — Abg. Dr. Dr. Lehr: Unerhört!)



(Dr. Nölting)

durch Arbeitslosigkeit vorzupräparieren. Meine Freunde und ich haben den Verdacht, daß bei dieser Bonner Regierung über ihrer Freude an den ersten liberalen Erfolgen — Erfolge, die sie erstritt, als sie die Attrappe der Zwangswirtschaft beiseiteräumte — das soziale Problem bisher allzuwenig in den Gesichtskreis gerückt ist und daß die viel beredete „Liberalisierung" nach außen und innen für wichtiger genommen wird als die Beseitigung der Arbeitslosigkeit.
Uns Sozialdemokraten ist jedoch die Entwicklung der Beschäftigten- und der Arbeitslosenziffern das entscheidende Konjunkturbarometer. Denn, meine Damen und Herren, was ist Sozialismus? Sozialismus ist der große soziale Gewissensappell des zwanzigsten Jahrhunderts. Ganz besonders hat er diese Funktion in gegenwärtiger Zeit gegenüber dieser Regierung.

(Große Unruhe. — Zurufe rechts. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: In Rußland zeigt sich der Sozialismus! — Zuruf rechts: In der Ostzone auch!)

— Sie haben ebenso merkwürdige Vorstellungen von Geographie wie von Nationalökonomie!

(Beifall bei der SPD.)

Die sich immer weiter ausbreitende Arbeitslosigkeit ist uns ein Beweis dafür, daß mit dieser Wirtschaft etwas nicht in Ordnung ist. Ein Blick auf, den Arbeitssektor lehrt uns, daß auch im Kapitalsektor etwas in Unordnung geraten ist. So, wie es heute ist, hätte nicht alles zu kommen brauchen. Vor allen Dingen hätte man nicht so lange untätig abwarten dürfen, his der Sog nach unten nun derart stark wirkt. Es hätte nicht so zu kommen brauchen, wenn man daran denkt, was innerhalb des letzten Jahres in unsere Wirtschaft hineininvestiert wurde, ohne daß eine wirkliche Befruchtung des Arbeitsmarktes spürbar ist. Allein im dritten Quartel 1949 erfolgte nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums eine Bruttoinvestition von 4,2 Milliarden D-Mark. Für das Gesamtjahr ergibt sich also eine Bruttoinvestition von mindestens 16 Milliarden D-Mark; für das laufende Jahr ist eine Bruttoinvestition von 17,4 Miliarden D-Mark geplant. Wir verzeichnen also eine sehr beachtliche Regeneration unserer Kapitalkraft ohne die entsprechenden arbeitspolitischen Konsequenzen. Die Kapitalbildung, die direktionslos erfolgte und der nicht die maximale arbeitsintensive Auswirkung als Ziel gesetzt wurde, ist an der Errichtung neuer Arbeitsstätten vorbeigegangen.
In England sehen, nebenbei bemerkt, die Dinge anders aus.

(Abg. Dr. Oellers: Aha! Englischer Wahlkampf! Falsche Rednertribüne gewählt!)

— Dort herrscht keine Arbeitslosigkeit.

(Widerspruch rechts.)

— Hören Sie sich lieber erst die Zahlen an! Die sind imponierender als Ihre unartikulierten Zwischenrufe! — Vor dem Krieg beschäftigten die englischen Exportindustrien 1,3 Millionen Arbeitskräfte. Ende 1948 war die Beschäftigtenzahl in den Exportindustrien aber bereits auf über 2 Millionen angestiegen; seitdem hat sie einen weiteren bedeutsamen Anstieg erfahren. Sie können die Zahlen im Hamburger Weltwirtschaftlichen Archiv nachlesen, einer Stelle also, deren Angaben von Ihnen nicht angezweifelt werden können.

(Abg. Dr. Oellers: Und wo liest man die Subventionszahlen? — Abg. Strauss: Dabei hat England mehr Flüchtlinge als wir!)

Dem „Nilschlamm"-Kredit, von dem die wirtschaftliche Fruchtbarkeit abhängt, ist bei uns nicht das richtige Strombett vorgezeichnet. Es fehlt an einer Vierwendungsordnung für Investitionskapital. So kommt es zu Fehldispositionen und zu Fehlinvestitionen, die zwar steuertechnisch zweckmäßig, die privatwirtschaftlich profitabel sein mögen, die aber gesamtwirtschaftlich doch eine Fehlbesetzung bedeuten. Wir werden in den nächsten Wochen noch genügend Gelegenheit haben, auch darüber Ihnen die Rechnung vorzulegen.
Fragen Sie mich aber, warum die Konjunktur einen Rückschlag erfahren hat, so antworte ich: weil die Konsumkraft gemessen am erweiterten Sozialprodukt zurückgeblieben ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Rede man doch nicht davon, daß eine Sättigung eingetreten sei, operiere man doch nicht mit dem törichten Wort vom „Käuferstreik" — die armen Teufel möchten schon gerne kaufen, wenn sie nur könnten. Es ist aber eine Kaufkraftlähmung eingetreten. Der Markt ist sozial neutral, weshalb der Terminus „soziale Marktwirtschaft" nur immer eine contradictio in adjecto scheint. Professor Alfred Weber — und der ist kein Sozialdemokrat, das möchte ich von vornherein den ängstlichen Gemütern sagen — hat neulich einmal geschrieben: Das ist Marktwirtschaft, daß der Hund des Reichen unter Umständen sein Kotelett findet, während die Nachfrage der armen Frauen nach Brot für ihre Kinder unbefriedigt bleibt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Man muß — das i. t die national-ökonomische Quintessenz —, wenn wir überhaupt aus der Scheinprosperität, die ja doch nicht von Dauer ist, herauskommen und wenn wir das sonst zwangsläufig nachkommende Debakel vermeiden wollen, die Kaufkraft der breiten Masse steigern. Denn der Arbeiter ist heute der maßgebliche Konsument. Deshalb gilt es, nicht nur mehr zu produzieren, womit ich herzlich einverstanden bin, sondern auch gerechter zu verteilen; denn die schlechte Verteilung wirkt sich heute bereits als Produktionsbremse aus. Man überhöre nicht die warnende Stimme der Gewerkschaften aus Königswinter. Gewerkschaften pflegen ihre Worte wohl abzuwägen; aber gerade deshalb sind sie doppelt gravierend. Es heißt in diesem Beschluß: „Es steht außer Zweifel, daß die Marktwirtschaft mit ihren eigenen Kräften des Beschäftigungsproblems nicht Herr zu werden vermag. vielmehr gehört die Arbeitslosigkeit zu ihrer Funktion". Weil — so habe ich hier vor Wochenfrist ausgeführt — unter den Zauberhänden der Liberalisten sich die befreiten Verbraucher in Arbeitslose verwandeln. Die wahre Befreiung von der Bewirtschaftung, die allein diesen Namen verdient und die auch wir jederzeit gern anerkennen, müßte auf dem Wege über eine Entfesselung der heute verstümmelten Massenkaufkraft erfolgen. Durch 1,8 Millionen Arbeitslose ist nach Feststellung des Herrn Bundesernährungsministers Dr. Niklas auf dem Aachener Bauerntag unsere Kaufkraft bereits um 720 Millionen D-Mark abgesunken. Damit hängen aber auch künftige Investitionen in der Luft.
Diese Investitionen sind erfolgt, teilweise sogar im überhitzten Tempo. Aber, wie gesagt, es fehlt die richtige Leitung des Kapitalkreditstroms. Das ist die Folge der Investierungen über den Preis, die Folge der Eigenfinanzierung statt durch übergeordnete Lenkungsinstitute. Von Produzenten, Kaufleuten bis herunter zu den kleinsten Quet-


(Dr. Nölting)

schen sind Kredite aufgenommen worden, um die Unternehmen schnellstens wieder auf Hochglanz zu bringen. Diese Kredite fressen heute vielfach heillose Zinsen. Man kann eben nicht im Galopptempo nachholen, wofür 1r an in soliden Zeiten meist Jahrzehnte gebraucht hat. Man wollte allzu schnell voran; jetzt muß man abstoppen, notgedrungen. Jetzt heißt es Einsparungen vornehmen, und da stößt man auf die Beschäftigtenziffer, auf den Abbau des Personals, weil das der Ort des kleinsten Widerstandes ist. Zwei Millionen Arbeitslose sind aber kein Zustand, mit dem wir uns auf die Dauer abzufinden gedenken

(Zurufe in der Mitte und rechts: Wir auch nicht!)

— hoffentlich Sie auch nicht! —,

(Abg. Dr. von Brentano: „Hoffentlich" brauchen Sie nicht zu sagen, Herr Nölting!)

(Beifall bei der SPD. — Zurufe und Lachen
rechts. — Abg. Dr. von Brentano: Diese
Belehrungen brauchen wir nicht!)
Brachliegende Arbeitskräfte stehen zur Verfügung. Die Rohstoff- und Materialversorgungslage erlaubt eine wirtschaftliche Ausweitung. Freie Kapazitäten sind, von geringen Engpässen abgesehen, vorhanden. Der Verkehrsapparat ist auch wieder genügend leistungsfähig. Man muß diese Faktoren nur zusammenbringen können. Wer das organisatorisch nicht zu leisten vermag, hat verspielt! Uns kann es deshalb auch nicht imponieren, daß jetzt ein Fünf-Männer-Kollegium, daß jetzt endlich ein interministerieller Ausschuß der mit Wirtschaftsfragen befaßten Ministerien zusammengetreten ist, um das Arbeitsproblem — in Gänsefüßchen, ich zitiere wörtlich — „zu studieren". Verspürt man denn nicht die geradezu aufreizende Inkongruenz zwischen der Notlage, die uns auf den Nägeln brennt, auf der einen und diesem ingeniösen Einfall auf der anderen Seite? Eine Studienkommission reicht nicht aus; damit ist nichts Entscheidendes getan. Es liegen genügend Veröffentlichungen, es liegen sogar höchst gründliche Studien über Art, Zusammensetzung, Dauer und regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit vor. Man sollte deshalb nicht länger über die Ursachen nachgrübeln; noch weniger sollte man Entschuldigungsgründe sammeln. Man sollte vielmehr umschalten von der bisherigen antiinflationistischen Währungsverteidigungspolitik auf eine antideflatorische Konjunkturpolitik, damit wir aus der selbstmörderischen Elendsspirale herauskommen: Arbeitslosigkeit, weiterer Kaufkraftschwund, verstärkte Absatzstockung, erhöhte Arbeitslosenzahlen. Wenn der ganze Wirtschaftskörper krank wird, wird auch am Ende das Organ Währung von der Krankheit befallen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es muß gehandelt werden, selbst wenn gewisse wirtschaftliche Gefahrenmomente vorliegen sollten, weil nichts zu tun noch viel gefährlicher ist. Wachsende Arbeitslosigkeit bedeutet Ausfall an volkswirtschaftlicher Werteschöpfung, Kaufkraftminderung, Absatzmangel, mit allen störenden Rückwirkungen auf den Konjunkturverlauf, wie wir das schon einmal vor 20 Jahren erlebt haben.
Wir kommen neben der Auslandshilfe, die auch wir für notwendig halten, die man aber nicht als Alibi und Vorwand für eigene Untätigkeit benutzen darf,

(Sehr war! bei der SPD)

ohne inländische Kreditschöpfung nicht aus. Diese muß allerdings sorgsam geplant, muß begrenzt und kontrolliert bleiben und muß vor allem planmäßig eingesetzt werden. Dann, aber auch nur dann können Gefahren für das Währungs- und das Preisgefüge durchaus vermieden werden. In unserer Situation muß man bestimmte Risiken übernehmen, die im Verhältnis zu der sonst dem Staatswesen drohenden Gefahr geringfügig erscheinen. Man hat bisher allzuwenig getan, um durch planvollen Einsatz der verfügbaren und der sich bildenden Kapitalien gewappnet zu sein für das Jahr 1953, das Jahr unserer eigentlichen Bewährung, wenn der Marshallplan ausläuft.
In der Arbeitslosigkeit, die dieses Wirtschaftssystem heraufgeführt hat und zuließ, konzentrieren sich die Vorwürfe der SPD gegen eine Wirtschaftspolitik ohne planmäßige Lenkung in den obersten Entscheidungsinstanzen, namentlich im Kreditsektor. Ein echtes Arbeitsbeschaffungsprogramm, das über den Dilettantismus der 30er Jahre hinausgeht, erfordert einen entscheidenden Wandel der heute praktizierten Wirtschaftspolitik.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Vorgänge der letzten Tage machen es erforderlich, daß ich die Bundesregierung noch um eine Klarstellung bitten muß. Wenn ich recht unterrichtet bin, hat der Herr Bundeskanzler vor. der CDU-Fraktion eine Kontrolle der Arbeitsämter angekündigt, die sich, wie es in den Zeitungen hieß, zum großen Teil in Händen sozialdemokratischer Leiter befänden, weshalb die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen wolle, um den Arbeitsämtern auf die Finger zu sehen.

(Zuruf rechts: Sehr richtig! — Weitere Zurufe rechts und links.)

Man wolle in die dunklen Quellen der Arbeitslosigkeit leuchten. Meine Damen und Herren,
Sie sagen „Sehr richtig!". Der psychologisch Geschulte weiß: Entschuldungsverlangen geht oft
seltsame Wege, und manche Sonntagsjäger befinden sich auf der Jagd nach dem Sündenbock.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Mir kommt da eine Erinnerung: Als damals die Preise auf das Kirchturmsdach kletterten, beschimpfte man die Verbraucher, die uns mit ihrer Zügellosigkeit und Disziplinlosigkeit den ganzen Preissalat angerichtet hätten.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Nicht der Handel sei schuld, nein, der Konsument. Jetzt sollen es wohl die Arbeitsämter sein.

(Zuruf rechts: Die gehören dazu!) Glaubt jemand, daß die Massen des Volkes auf dieses Ablenkungsmanöver hereinfallen werden? Wir warten auf Antwort. Ich begab mich heute nur auf dieses Nebengelände, um eventuell einen Fluchtweg von vornherein abzuriegeln.

Nun aber zum Schluß! Viele Blicke wenden sich fragend nach Bonn; sie tun es besonders am heutigen Tag. Es wäre unfair - und ich habe nicht daran gedacht —, die Bundesregierung für die Gesamtlage auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich zu machen. Wohl aber ist sie dafür verantwortlich, daß das Menschenmögliche geschieht,


(Dr. Nölting)

daß der große Schuldberg der Arbeitslosigkeit möglichst bald Schicht um Schicht abgetragen wird. Die Arbeitslosigkeit ist, wie ich ausgeführt habe, in erster Linie ein wirtschaftspolitisches Problem mit sozialem Aspekt. Die Wirtschaftspolitik muß geändert werden.

(Zuruf rechts: Nein!)

Alle Maßnahmen, die nur darauf abzielen, die sozialen Konsequenzen der Arbeitslosigkeit etwas zu erleichtern, dringen nicht bis zum Kern. Eine entscheidende Wende in der Arbeitsmarktsituation ist nur durch eine planvolle Wirtschaftspolitik zu erreichen, die eine starke Belebung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität anstrebt; durch eine konstruktive Wirtschaftspolitik, die im Rahmen einer wohlüberlegten Zielsetzung - ich darf einmal bitten, auf jedes Wort zu achten — die Voraussetzungen schafft, die zu einer richtig gefügten Hebung des Produktionsniveaus und zur Absaugung der Arbeitslosigkeit notwendig erscheinen. Das und nur das verstehen wir unter Planwirtschaft.
Nun haben wir ja am heutigen Morgen das Siebenpunkteprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus den Zeitungen entnommen. Hoffentlich war es nicht wieder ein verfrühtes Vorgaloppieren der Zeitungen, das später abgeblasen wird. Wir würden es sehr bedauern, wenn die fatalen Dementis am laufenden Band auch hier fortgesetzt würden.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Nachdem das wichtigste Kapital, das zur Behebung der Wirtschaftskrise notwendig ist, die Zeit, in einem Dornröschenschlaf von 5 Monaten vergeudet worden ist, scheint man nun endlich, endlich zum Handeln bereit,

(Zurufe und Unruhe)

nachdem wir, die Opposition, und das Ausland in Gestalt der Kommissare dieser Regierung ein bißchen das Tempo eingeheizt haben.

(Lachen rechts.)

Unser erster Eindruck faßt sich in folgender Frage zusammen: Mußte wirklich soviel Zeit nutzlos vertan werden, bevor man diese Karte auf den Tisch spielen konnte?
Das Programm enthält, soweit es die Zeitungen vermelden, nur Projekte, die die Opposition seit Monaten gefordert hat,

(Lachen rechts)

auf die im übrigen auch der Wissenschaftliche Beirat, den Herr Professor Erhard sich zugelegt hat und der sich aus Angehörigen aller Parteien zusammensetzt, wobei die liberalen Nationalökonomen durchaus überwiegen, längst als dringend notwendig hingewiesen hat. Warum erst jetzt eine Vorfinanzierung? Warum wird jetzt pompös angekündigt: Fortführung des Wohnungsbauprogramms, so daß man praktisch Ende Juni das tun kann, was schon heute getan werden könnte, nachdem uns in diesem Jahre der Winter erspart geblieben ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Denn bis die praktische Arbeit anlaufen kann, bis das heruntergesickert ist zu den kommunalen Instanzen, braucht es mehrere Monate. Die Verarbeitung wird mindestens vier Monate kosten, so kommen wir notgedrungen in den Juni hinein.
Die Erhöhung der Eisen- und Stahlproduktionskapazität ist gewiß ein gutes Ding. Aber ich glaube, sie hätte besser auf dem Petersberg ausgehandelt werden müssen,

(Sehr wahr! bei der SPD)

damals, als das Eisen noch warm war. Jetzt ist es erkaltet, und jetzt ist die Schmiedearbeit um vieles schwerer.
Die Wiederaufbaubank soll zur beschleunigten Kredithergabe angehalten werden. Aber ihre verfügbaren Mittel sind, wie ich aus den Verwaltungsratssitzungen weiß, längst eingeschleust. Und so ist es mir unbekannt, woher die 600-Millionen-Rate kommen soll, mit der man jetzt Hoffnungen erweckt. Sind aber diese 600 Millionen wirklich verfügbar, warum hat man sie nicht eher abgerufen? Herr Professor Erhard sitzt doch auch im Aufsichtsrat dieser Wiederaufbaubank. Herr Professor Erhard hat aber, wie wir bei der letzten Verwaltungsratssitzung mit Befremden konstatierten, seit Mai des vorigen Jahres an solchen Verwaltungsratssitzungen nicht mehr teilgenommen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Es würde uns sehr interessieren zu erfahren, wieviel Anträge der Herr Bundeswirtschaftsminister bei der angeblich so hart gesottenen Bank deutscher Länder überhaupt gestellt hat. Vielleicht hat Herr Professor Erhard auch die Güte, sich nachher einmal darüber zu verbreiten, wie der Präsident der Bank deutscher Länder eigentlich die Erfolge von Herrn Professor Erhard in bezug auf die Bekämpfung — ich will nicht sagen Erzeugung — der Arbeitslosigkeit beurteilt.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Es gibt da einen höchst interessanten Briefwechsel, und es wäre für die Teile des Hauses, die ihn noch nicht kennen, bestimmt aufschlußreich, auch darüber etwas Näheres zu erfahren.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Jahrelang hat man eine Fehlleitung des Kapitals zugelassen auf dem Wege unkontrollierter Eigenfinanzierung. Diese Fehlleitung trägt die Schuld, daß jetzt der Schrei nach neuem Kapital so vehement wird. Denn unsere Kapitalnot ist sehr wesentlich eine Funktion der erfolgten Fehlinvestionen. Hätte man mehr Vernunft investiert, dann würde die Kapitalnot nicht so erdrückend sein.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir sind auch hier nicht unbillig und ungerecht. Wir verlangen von diesem 7-Punkte-Programm, das im günstigsten Falle nur eine erste Abschlagzahlung darstellt und das viel zu spät kommt, gewiß keine hundertprozentige Patentlösung. Aber schon bei überschlägiger Schau — und mehr war uns bisher nicht möglich — können wir uns des Eindrucks nicht erwehren: Dieses Programm des Herrn Bundeskanzlers ist allzu schmalbrüstig! Es erfaßt ja höchstens ein Viertel der vorhandenen Arbeitslosen, mit allen direkten und indirekten Konsequenzen. Es ist auch wiederum nicht genug wirtschaftspolitisch gesehen. Und was wir besonders bedauern: Die Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit mit Innen- und Außenpolitik scheinen überhaupt nicht begriffen. Wir fordern daher schon jetzt ein umfassenderes Programm, das den sozialen und politischen Verpflichtungen besser gerecht wird.


(Dr. Nölting)

Wenn die Regierung — und das unterstelle ich natürlich — es wirklich ernst meint, muß sie ausgehen von der Realität der Wirtschaft von heute unter Zurückstellung jedes Dogmas, unter Einschluß des alleinseligmachenden Dogmas von der „Sozialen Marktwirtschaft". Von der bisherigen Praxis des Von-der-Hand-in-den-Mund-Lebens werden unsere Arbeitslosen nicht satt. Nur bei gewaltigen und systematischen Anstrengungen, deren Dynamik weit hinausgeht über die Schwächlichkeit des uns heute morgen servierten Programms, ist es denkbar, zu vermeiden, ,daß die Arbeitslosigkeit in einem gefährlichen Dammbruch alles überschwemmt, wenn dereinst der Marshallplan ausläuft. Ich bedaure es lebhaft, meine Damen und Herren, daß meine Rede statt mit einer Hoffnung, die verfrüht wäre, mit dieser nachdrücklichen Warnung schließen muß.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103600400
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0103600500
Meine Damen und Herren! Ich höre Herrn Abgeordneten Nölting gern reden.

(Bravorufe bei der SPD. — Beifall bei den Regierungsparteien. — Heiterkeit.)

Er hat eine besonders bilderreiche Sprache, (Zuruf von der SPD: Nicht nur! — Hört! Hört! in der Mitte)

und manche Bilder sind direkt ansprechend, zum Beispiel das Verzapfen von rosarotem Nebel.

(Lachen in der Mitte.)

Ich will daran keine weiteren Erläuterungen anknüpfen.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.) Meine Damen und Herren! Ich werde mich auch hüten, als Nichtprofessor


(Heiterkeit rechts)

mich in die Auseinandersetzung zwischen zwei Professoren zu sehr einzumischen,

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien) sondern ich möchte sehr sachlich sprechen, und ich hoffe, daß ich auch auf der linken Seite des Hauses mit meinen Ausführungen wenigstens teilweise Anklang finden werde.

Zunächst bedaure ich das arme Dornröschen, Herr Professor Nölting, wenn Sie glauben, das habe so schlafen müssen, wie wir während fünf Monaten geschlafen haben sollen.

(Zuruf von der SPD: In bezug auf die Arbeitslosigkeit, Herr Bundeskanzler!)

— Ich versichere Ihnen, daß das Problem der Arbeitslosigkeit die Bundesregierung und insbesondere auch mich vom ersten Tage des Bestehens der Bundesregierung an beschäftigt hat. Es stand und steht bei unserer gesamten Arbeit mit an erster Stelle. Es berührt sich ja, wie Sie wissen, eng mit dem Problem des Wohnungsbaus und der Sorge für die Vertriebenen. Mein Herr Vorredner hat vielleicht doch die Ursachen der Arbeitslosigkeit und den heutigen Zustand der Wirtschaft etwas „rosarot vernebelt", so daß es mir nützlich erscheint, einmal kurz die Ursachen dieser Arbeitslosigkeit klarzustellen.

(Zuruf von der SPD.)

Die Außenhandelsbeziehungen unserer Wirtschaft sind, wie Sie wissen, seit 15 Jahren zunächst ge-
stört und dann durch das nationalsozialistische Regime und den Krieg völlig zerstört worden. Die Produktionsstätten der deutschen Wirtschaft sind zunächst auf Kriegsproduktion umgestellt gewesen, dann in ihrer Erhaltung und in ihrem Ausbau vernachlässigt und schließlich durch die Kriegshandlungen weitgehend zerstört worden. Durch die Verhältnisse, die in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch herrschten, war jeder Wiederaufbau völlig unmöglich. Der Krieg hat die deutsche Wirtschaft eines großen Prozentsatzes ihrer besten Arbeitskräfte beraubt. Die Ausbildung des Nachwuchses hat schwer gelitten. Die Umschulung von Arbeitskräften war nicht möglich. Durch die zwangsweise Vertreibung von vielen Millionen Deutscher aus ihrer Heimat wurde das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in erschreckender Weise überfüllt. Während in unserem Gebiet im Jahre 1939 39,35 Millionen Menschen wohnten, befinden sich im Gebiete der Bundesrepublik heute 47,70 Millionen. Die Zerreißung Deutschlands durch den Eisernen Vorhang in zwei Teile hat weitere erhebliche Verschlechterungen, auch struktureller Art, in unserer Wirtschaft gebracht.
Zu diesen Faktoren trat die Fortführung der nationalsozialistischen Planwirtschaft nach der Besetzung hinzu. Jede Planwirtschaft — es sei denn, man legt Planwirtschaft so aus, wie sie Herr Abgeordneter Nölting am Schluß seiner Rede ausgelegt hat —,

(Sehr gut! rechts)

jede Planwirtschaft in der wirklichen Bedeutung dieses Wortes führt auf die Dauer notwendigerweise zur Erstarrung, zum Überwuchern der Bürokratie, zur Lähmung der Initiative des einzelnen und zur allgemeinen Korruption.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Au!)

Jeder Wiederaufbau einer so zerstörten Wirtschaft setzt Kapital voraus. Da uns ausländisches Kapital bis jetzt nicht zur Verfügung steht, mußte im Inland Kapital neu gebildet werden. Dieser Prozeß geht nur langsam vonstatten. Durch die Kapitalnot ist der Wiederaufbau gehemmt. Ich glaube, m 411 kann Herrn Kollegen Nölting ohne weiteres darin beipflichten, daß selbstverständlich — ich sage selbstverständlich", weil überall Menschen sind - auch manche überflüssige oder unzeitgemäße Kapitalinvestition stattgefunden hat. Aber wenn Herr Abgeordneter Nölting auf England verweist — ich will ihm darin nicht folgen, weil ich mich dem Vorwurf nicht aussetzen möchte, daß ich irgendwie in den englischen Wahlkampf hätte eingreifen wollen —,

(Sehr gut! und Bravorufe bei den Regierungsparteien)

aber, meine Damen und Herren, wenn Herr Kollege Nölting im Zusammenhang mit Fehlinvestitionen bei uns auf England verweist, dann darf ich ihn fragen, ob er schon einmal etwas von der Erdnußinvestition in England gehört hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Fehlinvestitionen sind weder ein Kennzeichen der Planwirtschaft noch ein Kennzeichen der freien Wirtschaft; Fehlinvestitionen kommen in beiden Arten der Wirtschaft vor.
Meine Damen und Herren! Dank der Loslösung von der auf die Dauer für jede Volkswirt-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

schaft verderblichen geplanten und gefesselten Wirtschaftsform, dank der Marshallplanhilfe, dank der Energie und dem Fleiß der Schaffenden aller Stände, dank insbesondere auch der vorbildlichen und besonnenen Haltung der deutschen Arbeiterschaft und ihrer Führung ist es trotz dieser weitgehenden Zerstörung der deutschen Wirtschaft in erstaunlich kurzer Zeit gelungen, die deutsche Volkswirtschaft zu einem sehr erheblichen Teile wieder neu aufzubauen.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Zur Erhärtung dessen führe ich Ihnen einige Zahlen an. Das scheint mir deswegen notwendig zu sein, meine Damen und Herren, weil derjenige, der die Ausführungen des Herrn Kollegen Nölting hört oder liest, nur allzuleicht in den Glauben verfallen könnte, daß die deutsche Volkswirtschaft rapide heruntergehe und nichts wert sei. Ich würde eine solche Vorstellung für außerordentlich schädlich halten wegen ihrer psychologischen Auswirkungen;

(Sehr gut! in der Mitte und rechts)

und deswegen, meine Damen und Herren, um diesen Eindruck, den die Ausführungen des Herrn Professors Nölting hervorrufen konnten, entgegenzuwirken, muß ich Ihnen einige Zahlen nennen.
Wenn man die Arbeitsleistung des einzelnen Arbeiters im Gesamtdurchschnitt im Jahre 1938 mit 100 ansetzt, betrug sie bei Ende der Planwirtschaft etwas unter 60, heute unter 80.

(Hört! Hört! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Ernährung!)

In der Industrie, in Betrieben von 10 und mehr Arbeitern innerhalb der Eizone — wir haben keine Statistik über die französische Zone — betrug die Zahl der monatlich geleisteten Arbeitsstunden im Durchschnitt des Jahres 1948 395 514 000 Stunden, im November 1949 665 700 000 Stunden.

(Hört! Hört! rechts.)

Die Produktion im Vereinigten Wirtschaftsgebiet
— auch hier wiederhole ich: wir haben keine Ziffern über die französische Zone — ist in der gleichen Zeit um 88,2 Prozent gestiegen.

(Zuruf von links: Marshallhilfe!)

Die Steigerung der Stahlproduktion gerade in den letzten Monaten ist den Herren bekannt. Ich stelle fest, meine Damen und Herren: die deutsche Wirtschaft, als Ganzes genommen, hat seit dem Übergang von der Planwirtschaft

(Zurufe von der SPD: Planwirtschaft? Eine Provokation ist das! — Zuruf rechts: Natürlich Planwirtschaft!)

- Ich wußte ja nicht, daß Sie die Planwirtschaft aufgegeben haben!

(Heiterkeit und Beifall rechts und in der Mitte. — Zurufe von der SPD. — Abg. Schoettle: Das machen Sie sich zu bequem, Herr Bundeskanzler!)

— Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schoettle meint, das sei zu bequem. Dann fasse ich es etwas anders und sage so: die deutsche Wirtschaft, als Ganzes genommen, hat seit dem Übergang zur sozialen Marktwirtschaft einen staunenswerten Aufschwung genommen.

(Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)

Dieser Aufschwung steht ohne Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte da.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Na!-Na!-Rufe bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Und die Erwerbslosen?)

— Ich komme jetzt darauf!
Trotz dieses gewaltigen Aufschwungs haben wir zur Zeit eine drückende Arbeitslosigkeit. Wir dürfen uns trotz des Aufschwunges. den wir genommen haben. nicht verhehlen, daß der Neuaufbau und die Neuordnung unserer Volkswirtschaft und die Zurückführung der Arbeitslosigkeit auf ein unvermeidliches Maß noch jahrelanger zielbewußter Zusammenarbeit von Bundesregierung, Parlament und. Wirtschaft erfordern. Wir müssen uns auch darüber klar sein, daß wir. da nur eine große Steigerung des Exports uns eine dauernde wirtschaftliche Genesung bringen kann, nicht nur auf die äußerste Entfaltung unserer eigenen Energie, sondern auch auf Verständnis und Hilfe der Staaten, von denen wir infolge des Krieges politisch und wirtschaftlich abhängig geworden sind, angewiesen bleiben.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Mit aller Entschiedenheit, mit aller Klarheit und Deutlichkeit lassen Sie mich als Ergebnis meiner vorhergegangenen Feststellungen folgendes aussprechen: Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit ist in keiner Weise durch die soziale Marktwirtschaft herbeigeführt worden.

(Sehr richtig! in der Mitte — Lachen und Zurufe links.)

Nur eine bei sozialistischer Planwirtschaft niemals erreichbare Höhe der Produktion

(Oho-Rufe links) sichert auf die Dauer dem gesamten Volke einen menschenwürdigen Lebensstandard,


(Zuruf von der SPD: Das merken wir!) insbesondere auch die Erfüllung der großen uns, auferlegten sozialen Aufgaben.


(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Diese allgemeinen Feststellungen scheinen mir, meine Damen und Herren, gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Nölting absolut notwendig zu sein.


(Zuruf von der SPD: Das ist aber recht billig!)

Ich bin fest entschlossen, unsere zielbewußte und ruhige Aufbauarbeit, die für unser gesamtes Volk von entscheidender Bedeutung ist und durch die allein wir zu einem wirklichen und dauerhaften Hochstand unserer Wirtschaft und damit zu einer dauernden Beschäftigungshöchstziffer kommen, durch parteipolitische Agitation nicht stören zu lassen.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. — Unruhe und Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)

Ehe ich auf unsere Pläne zur Abhilfe, zur Verringerung der Arbeitslosigkeit eingehe, lassen Sie mich noch einige Ausführungen über Umstände machen, die bei dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit mitgespielt haben. In den letzten 15 Monaten sind in das Bundesgebiet 470 000 Kriegsgefangene zurückgekehrt. In der gleichen Zeit sind aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie in legalen Transporten 600 000 Flüchtlinge

(Hört! Hört! in der Mitte)



(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

und aus der sowjetisch besetzten Zone mehr oder weniger illegal 400 000 Flüchtlinge

(erneute Rufe in der Mitte und rechts: Hört! Hört!)

in das Bundesgebiet eingeströmt. Es ist klar, daß hierdurch ein starker Druck auf den Arbeitsmarkt ausgeübt worden ist.

(Abg. Rische: Immer über den Daumen peilen!)

Die Zahl der zurückgekehrten Kriegsgefangenen betrug in den letzten drei Monaten des Jahres 1949 rund 360 000, die jetzt auf dem Arbeitsmarkt erscheinen.
Zweitens, meine Damen und Herren: die sprunghafte Steigerung der Arbeitslosigkeit ist zu einem erheblichen Teil — das klang ja wohl auch aus den Worten des Herrn Nölting heraus — saisonbedingt. Das gilt von der Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und auf dem Bausektor. Eine gewisse Beunruhigung der Wirtschaft und infolgedessen ein Rückgang ist auf den Abschluß von Handelsverträgen und die damit verbundene Liberalisierung der Importe und Exporte zurückzuführen. Über diese Frage wird Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard ausführlicher sprechen. Ich begnüge mich mit der Feststellung, daß wir ohne Export nicht leben können und daß ein Land, das exportieren will, auch bereit sein muß, die Produkte anderer Länder aufzunehmen.
Eine gewissenhafte Überprüfung der Gesamtlage zeigt eindeutig, daß unsere Wirtschaft in sich gesund und in aufwärtsführender Entwicklung begriffen ist.

(Lachen links.)

Sie zeigt ebenso deutlich, daß die Arbeitslosigkeit zu einem. Teil saisonbedingt, zum andern Teil struktureller Natur ist. Es wird, wie ich bereits hervorhob, fortgesetzter und intensiver Arbeit bedürfen, um die strukturelle Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
Bei der Überlegung der Maßnahmen, die die Bundesregierung für das Jahr 1950, und zwar zum größten Teil schon für die erste Hälfte ses Jahres beabsichtigt, stand in vorderstere Linie größte Gewissenhaftigkeit hinsichtlich unserer Währung. Unter keinen Umständen dürfen wir zu irgendwelchen Maßnahmen greifen, die zwar eine vorübergehende Entlastung bringen würden, durch die aber das Vertrauen in unsere Währung im Inlande oder im Auslande irgendwie berührt werden könnte.

(Bravo! in der Mitte.)

Ein weiterer leitender Gesichtspunkt für die Bundesregierung ist: es dürfen nur solche Maßnahmen ergriffen werden, die vom wirtschaftlichen Standpunkt aus durchaus vertretbar sind.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien.) Weiter wird es notwendig sein, eine gewisse Elastizität bei den zu ergreifenden Maßnahmen zur Anwendung kommen zu lassen. Über alle Maßnahmen hat fortgesetzt, und zwar schon seit längerer Zeit, ein Austausch zwischen der Bundesregierung, der Bank deutscher Länder und der Wiederaufbaubank stattgefunden. Es wird nichts geschehen, meine Damen und Herren, was nach Auffassung dieser Stellen mit einer gesunden Wirtschaftsführung nicht verträglich ist.

Wir haben, wie Sie wissen, an die Spitze aller Maßnahmen den Wohnungsbau gesetzt. Es ist
Ihnen bekannt, daß für den Wohnungsbau 2,5 Milliarden Mark zur Verfügung stehen. Ein erheblicher Teil dieses Betrages wird schon in nächster Zeit bereitstehen. Ich richte daher an alle, die am Wohnungsbau interessiert sind, an die Länder, an die Gemeinden, die Genossenschaften und die Privaten die dringende Bitte und die Aufforderung, dafür zu sorgen, daß ihre Bauvorhaben auch wirklich baureif sind, damit, sobald die Witterung es irgendwie zuläßt. mit dem Bauen begonnen werden kann Und wenn, meine Damen und Herren, Herr Kollege Nölting glaubte darauf hinweisen zu sollen. daß wir mit dem Wohnungsbauprogramm vielleicht im Juni beginnen könnten, dann möchte ich Herrn Kollegen Nölting bitten, zu seinem Kollegen im Kabinett von Nordrhein-Westfalen, dem Herrn Wiederaufbauminister, zu gehen und dort dafür zu sorgen, daß die Weitergabe der Mittel und die Bewilligung etwas schneller erfolgt als in diesem Jahre.

(Sehr gut! und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, es wird ferner der Bundesbahn ein Betrag, der über den in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion genannten Betrag von 200 Millionen Mark erheblich hinausgeht, für lohnintensive Arbeiten zur Verfügung gestellt werden.

(Bravo! bei den Regierungsparteien.)

In gleicher Weise wird der Post ein Betrag von 50 Millionen zur Verfügung gestellt werden.
Sehr wesentlich erscheint uns die Finanzierung mittel- und langfristiger Exportaufträge, da wir ja, wie ich bereits hervorhob, auf die Förderung des Exports den denkbar größten Wert legen müssen. Zur Finanzierung dieser Aufträge stehen 300 Millionen Mark zur Verfügung. Für Kredite an mittlere und kleinere Betriebe einschließlich des Handwerks werden zunächst 50 Millionen Mark zur Verfügung gestellt werden.
Einer besonderen Fürsorge bedürfen die Gebiete, in denen durch die Zuwanderung von Vertriebenen die Verhältnisse besonders ungünstig liegen. Das sind Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Für wirtschaftliche Unternehmungen in diesen Gebieten, wirtschaftliche Unternehmungen, die lohnintensiv sind, wird insgesamt ein Betrag von 300 Millionen D-Mark zur Verfügung gestellt werden. Wir sind der Auffassung, meine Damen und Herren, daß durch diese Ihnen von mir genannten Beträge für Wohnungsbau und die anderen Zwecke einschließlich der Summen, die im Laufe des Jahres 1950 aus den Gegenwertfonds des Marshallplans zur Verfügung stehen, ein sehr starker Rückgang der Arbeitslosigkeit eintreten wird.
Die Verbindung des Flüchtlingsproblems mit dem Arbeitslosenproblem ist Ihnen bekannt. Die größte Zahl von Flüchtlingen befindet sich in industriearmen Ländern. Es erscheint uns daher richtig, unverzüglich die nötigen gesetzlichen Schritte zu tun, um die Freizügigkeit wiederherzustellen.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

Wenn auch zunächst gewisse Schwierigkeiten dadurch entstehen werden, so ist doch diese Maßnahme, die ja auch von allen Vertriebenen und Evakuierten dringend verlangt wird, im Interesse nicht nur der Vertriebenen und Evakuierten,


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

sondern der gesamten Wirtschaft überhaupt erforderlich.

(Zurufe in der Mitte: Sehr gut!)

Über andere Maßnahmen, die wir planen, werden Ihnen die Herren Bundesminister Erhard und Storch noch nähere Mitteilungen machen.
Meine Damen und Herren! Was ich Ihnen eben vorgetragen habe, ist das Ergebnis sehr langer Beratungen und sehr langer Auseinandersetzungen,

(Zuruf von der SPD: Aha!)

und Sie können sich darauf verlassen, daß die Summen, die ich Ihnen eben genannt habe, für diese Zwecke zur Verfügung stehen,

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Rische: Ich würde vorsichtiger sein!)

- Nein, das habe ich nicht nötig.

(Beifall und Heiterkeit in der Mitte und rechts.)

Meine Damen und Herren, die Frage der Arbeitslosigkeit ist eine sehr ernste Frage, vor allem auch Vom menschlichen Standpunkt der Betroffenen aus. Ich erkläre Ihnen nochmals, und zwar mit aller Bestimmtheit, daß es nicht etwa des Antrages der sozialdemokratischen Fraktion bedurft hat,

(Lachen bei der SPD; — Abg. Hilbert: Das glauben wir!)

um uns auf diese unsere Pflicht hinzuweisen. Ich wiederhole Ihnen nochmals, daß in der ersten Sitzung dieses Kabinetts im Monat September die Frage der Arbeitslosigkeit im Winter und im kommenden Frühjahr eine ganz große Rolle gespielt hat.

(Zurufe von der SPD.)

Die Bundesregierung wird auch weiter bemüht sein, diese Verpflichtung zu erfüllen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns doch eins zugute zu halten: diese Bundesregierung ist jetzt keine fünf Monate alt,

(Zuruf von der SPD: Ihre Wirtschaftspolitik 21/2 Jahre!)

und ich glaube, sie hat in dieser Zeit eine so unendliche Fülle von Schwierigkeiten und Arbeiten gehabt, daß keiner das Recht hat, die Bundesregierung der Nachlässigkeit auf diesem Gebiete zu zeihen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren! Ich richte an Sie, den Bundestag, und zwar insgesamt, einschließlich der Opposition, an die Länderregierungen und Länderparlamente, an die Gemeinden, an die gesamte Wirtschaft, an die Unternehmer und die Gewerkschaften die dringende und herzliche Bitte, bei der Lösung dieser Aufgabe mit uns zusammenzuarbeiten.

(Langanhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103600600
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0103600700
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es erscheint mir in dieser Stunde notwendig, vor dem Hohen Hause dem deutschen Volke, aber auch dem interessierten Ausland die Ursachen zu nennen, die zu unserer Arbeitslosigkeit geführt haben Zudem ist es notwendig, die Struktur der Arbeitslosigkeit richtig zu sehen, wenn man auf dem schnellsten Wege zu einer generellen Gesundung kommen will. Über alles, was wir heute an wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor uns haben, könnten wir getrost den Spruch setzen: Das verdanken wir unserem Führer!

(Sehr gut! in der Mitte. — Abg. Rische: Das ist aber reichlich billig!)

Zwölf Jahre hat unsere Volkswirtschaft einer Kriegswirtschaft gedient und ist dazu ausgenutzt worden. Der Bombenkrieg hat weitgehend Vernichtungen herbeigeführt, und nach der Einstellung der direkten Feindhandlungen waren wir in unserem politischen Tun nicht frei. Wir wurden wirtschaftlich zerstückelt und waren auch noch nicht in der Lage, in den einzelnen Gebieten das zu tun, was wir im Interesse unseres Volkes für notwendig gehalten hätten. Dazu kommt der ungeheure Strom von Menschen, der aus dem Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie und aus der Tschechoslowakei und anderen europäischen Gebieten zu uns gekommen ist, — —

(Unruhe.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103600800
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, allgemein Ruhe zu bewahren!

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0103600900
— insgesamt ungefähr 7 Millionen Menschen, denen sich noch 2 Millionen angeschlossen haben, die glaubten, die Zwangswirtschaft und das Zwangsleben in der Ostzone nicht mehr ertragen zu können.

(Hört! Hört! bei der CDU.)

Wir haben in ein sowieso schon weit übervölkertes Gebiet, in dem 36 Millionen Menschen lebten, 9 Millionen Menschen dazubekommen, die wir in unser Wirtschaftsleben eingliedern sollten und mußten, wenn wir ihnen wieder eine wirtschaftliche Grundlage geben wollten, ein Problem, vor das keine zweite Volkswirtschaft in Europa oder der Welt gestellt worden ist.

(Zustimmung.)

Wenn mancher einmal dazu überginge, seine politischen Freunde in England oder Amerika danach zu fragen, ob man in diesen Volkswirtschaften glaubte, ohne die schwersten Störungen ein Viertel der ursprünglichen Menschen zusätzlich aufnehmen zu können, dann würde er wahrscheinlich eine andere Antwort bekommen, als sie uns leider Gottes aus unserem eigenen Volk manchmal entgegengebracht wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin der letzte, der irgendwie einen Grund oder eine Veranlassung hat, mich gegen das zu stellen, was über das wirtschaftspolitische Tun der englischen Regierung gesagt wird. Man soll uns aber um Gottes willen England nicht als Beispiel hinstellen, weil es sich hier um zwei ganz grundsätzlich andere Dinge handelt. Einmal hat die englische Volkswirtschaft nicht die furchtbaren Verwüstungen über sich ergehen lassen müssen, wie sie bei uns gegeben waren.

(Zustimmung.)

Zweitens hatte die englische Volkswirtschaft sofort nach Einstellung der Feindseligkeiten die Möglichkeit, an den friedensmäßigen Aufbau ihrer Wirtschaft heranzugehen. Dazu hat England von vornherein weitgehend finanzielle Hilfe von den Amerikanern bekommen, und dazu standen doch


(Bundesminister Storch)

der englischen Volkswirtschaft sofort die Welt und die Weltmärkte offen; alles Dinge, die doch bei uns nicht zutreffen.

(Dr. von Brentano: Und keine Flüchtlinge!) Wir sind doch erst seit der allerkürzesten Zeit in der Lage, die ersten Anfänge eines normalen wirtschaftlichen Lebens wieder in die Wege zu leiten.


(Sehr wahr!)

Das sollten doch auch die Herren und Damen von der Opposition anerkennen! Wir wollen also an die Arbeit gehen, die uns obliegt, und wir wollen die Verhältnisse so nehmen, wie sie nun einmal sind. Es hat ja keinen Zweck, daß wir uns nur in der Vergangenheit bewegen.
Der Herr Bundeskanzler hat Ihnen gesagt, was nach langem, langem schwerem Ringen von der Bundesregierung auf wirtschaftlichen Ebenen nun endlich vorbereitet werden konnte, nachdem die allergrößten Schwierigkeiten überwunden werden mußten. Sie kennen sie doch genau so gut wie ich. Wir haben einmal dafür zu sorgen, daß unsere neue Währung nicht wieder in sich zusammenbricht; denn wo wollten wir denn hin, wenn unsere Generation dreimal in ihrem Leben um die Erträgnisse ihrer Ersparnisse betrogen würde? Ich glaube, das wäre das letzte, was wir unserem Volke zumuten können.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Soweit es sich darum handelt, Mittel einzusetzen, die aus den Gegenwertfonds kommen, so wissen Sie doch, daß wir dazu die Zustimmung derjenigen haben müssen, die nun einmal Eigentümer dieser Geldmittel sind.

(Sehr richtig!)

Das sollten wir offen und frei sehen und danach handeln.
Ich weiß, daß wir in der Bundesregierung vor eminent schwierigen Aufgaben stehen. Das Arbeitslosenproblem hat dadurch seine besondere Note, daß der größte Teil der Arbeitslosen Jugendliche sind. Man fragt: woher kommt das? Die Antwort ist gar nicht so schwer. Der Nationalsozialismus hat die jungen Menschen ohne eine ausreichende berufliche Ausbildung zum Arbeitsdienst gebracht, er hat sie von da zum Militär gehen lassen, und dann haben Hunderttausende jahrelang in der Kriegsgefangenschaft gesessen. Diese Menschen sind nicht in der Lage zu sagen, daß sie eine abgeschlossene Berufsausbildung hätten. Wir werden die Aufgabe haben, diesen Menschen in einer Nachschulung das zu geben, was sie im Wirtschaftskampf nun einmal nötig haben.

(Dr. von Brentano: Sehr gut!)

Dazu kommt ein zweites: die Zahl derjenigen jungen Menschen, die jetzt aus der Schule entlassen werden und in der geschrumpften Wirtschaft ihren Platz noch nicht finden können, ist sehr groß. Wir sind uns in der Regierung völlig klar darüber, daß wir diejenigen jungen Menschen, die jetzt noch nicht in ein Lehr- oder Arbeitsverhältnis kommen können, schulmäßig wirtschaftlich so schulen müssen, daß wir sie zu einem späteren Zeitpunkt mit einer verkürzten Lehrzeit ins Wirtschaftsleben überführen können.
Das sind die Dinge, die vor uns stehen, und wir sollten uns doch alle in diesem Moment darüber klar sein, daß es verantwortungslos wäre, wenn nicht jeder im deutschen Volke das, was Ihnen die Regierung heute vorgelegt hat, so unterstützt,
daß in unser Wirtschaftsleben ein neuer Impuls und ein neues Rollen kommt . Täuschen Sie sich doch nicht! Es handelt sich ja nicht um den Kampf der Bundesregierung, sondern um den Kampf des deutschen Volkes um die nötige Freiheit im wirtschaftlichen Tun.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Sie alle wissen doch, welch eminente Hemmungen wir noch vor uns haben. Gehen Sie doch einmal hin und sehen Sie sich die Verhältnisse beispielsweise in einem der typischsten Flüchtlingsländer, in Schleswig-Holstein, an. 1,6 Millionen Einwohner vor dem Kriege! In diesem Gebiet war die übergroße Zahl der Menschen in der Agrarwirtschaft tätig, nur ein kleinerer Prozentsatz in der Industrie, und diese Industrien hatten ihre Untermauerung entweder in der Kriegsmarine oder im Schiffsbau, oder die Menschen sind selbst zur See gefahren. Nichts mehr davon ist vorhanden. Eine Kriegsmarine haben wir nicht mehr, und wir werden ihr vielleicht auch nicht allzusehr nachtrauern. Aber wenn Sie heute nach Kiel kommen und sehen die -zigtausend Menschen, die früher für die Kriegsmarine gearbeitet haben und heute keine Wirtschaftsgrundlage besitzen, dann sehen Sie die Schwierigkeiten. Gehen Sie nach Lübeck hin, nach der Stadt, die vom Ostseehandel gelebt hat. Wir haben keinen Ostseehandel mehr, die Menschen haben ihre natürliche Lebensgrundlage verloren. Und darüber hinaus waren wir doch im Schiffsbau so eingeengt, daß wir erstmalig vor zwei Jahren die Genehmigung bekamen, die 36 Heringsdampfer zu bauen. Früher arbeiteten auf unseren Werften 78 000 Menschen, und jeder, der den Schiffsbau kennt, weiß, daß dazu vielleicht einige Hunderttausend Menschen kamen, die auch aus diesem Sektor ihre Lebensgrundlage gefunden haben. Heute habe ich allein auf den Arbeitsämtern nicht weniger als 32 000 Seeleute, die arbeitslos sind, weil es sogar verboten ist, daß deutsche Seeleute auf ausländischen Schiffen fahren dürfen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Das sind doch die Einschränkungen, die Hemmungen, die wir nun einmal haben, und darum, hier Freiheiten zu bekommen, geht doch der gemeinsame Kampf des deutschen Volkes,

(Sehr richtig! in der Mitte.)

und deshalb dürfen wir meines Erachtens diese Probleme der Arbeitslosigkeit nicht zu innerpolitischen Kampfparolen machen.

(Sehr richtig! in der Mitte)

Wer in einem Arbeitsministerium sitzt - gleichgültig, ob es hier in Bonn beim Bund ist oder in irgendeinem Land —, der weiß doch, daß es in Deutschland Leute gibt, die immer und immer wieder schwarz in schwarz malen. Ein ganz großes Institut — und zwar das Weltwirtschaftliche Institut in Kiel — sagte uns vor der Währungsreform eine kommende Arbeitslosigkeit von 6 Millionen Menschen voraus. Wir sind Gott sei Dank vorbeigekommen. Und als wir das Sozialversicherungsanpassungsgesetz berieten und damals den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 61/2 auf 4 Prozent senkten, da waren es die Länderminister, die uns gesagt haben: es kommt die Zeit, wo ihr die 61/2 Prozent für den alten Zweck braucht. Und was haben wir dann in diesem Sommer erlebt? Gerade von Rheinland und Westfalen kamen die Stimmen zu uns, die sagten: richtet euch darauf ein, 3 Millionen ist das wenigste, was wir an Arbeitslosen in diesem


(Bundesminister Storch)


(in Frankfurt zusammen, der schon am 21. Januar festgestellt hat: die Arbeitslosigkeit beträgt 2,2 Millionen, und die Ziffern, die das Arbeitsministerium herausgibt, sind bewußt unwahr. Hier sitzen die Arbeitsminister. Fragen Sie sie, ob wir irgendeine Zahl, die wir von ihnen aus den Ländern bekommen haben, auch nur abgeändert haben. Die nackte Wahrheit dem deutschen Volke zu sagen, ist eine Aufgabe, die wir in der Bundesregierung als die erste Voraussetzung für ein kommendes Vertrauen an die Spitze unseres Tuns stellen. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich mich dem Kanzler anschließen, der gesagt hat: wir haben nunmehr die Basis dafür geschaffen, daß wir dieser ungeheueren Not der Arbeitslosen unseres Volkes zuwenigst energisch entgegentreten können. Helfen Sie doch alle mit, daß diese Aktion zu dem Erfolg führt, daß unsere arbeitslosen Menschen den inneren Glauben bekommen, daß von der Bundesregierung, vom Bundestag und von allen verantwortlichen Menschen bei uns in Westdeutschland alles getan wird, um diese arbeitslosen Menschen wieder in den Kreis der arbeitenden Menschen zurückzuführen, um ihnen wieder die Lebensgrundlage zu geben, die sie nun einmal haben müssen, wenn sie am ganzen Leben des Volkes beteiligt sein sollen. Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Ernst der Angelegenheit nicht dadurch stören, daß ich mich in gleicher Weise wie der Herr Antragsteller auf polemische Erörterungen einlasse, schon deshalb nicht, weil mir die Reden des herrn Kollegen Nölting nicht so interessant sind, daß ich sie alle lese und mir genaue Notizen mache. (Lachen bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)


(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103601000
Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0103601100

(Widerspruch bei der SPD)

Im übrigen bedürfen aber seine Äußerungen in wesentlichen Teilen einer ganz entschiedenen Korrektur. Er malt mit der Bezeichnung des jetzigen Zustandes als Deflationskrise ein Gespenst an die Wand, was mir höchst verhängnisvoll erscheint, zumal es weder objektiv noch sachlich gerechtfertigt ist, hinsichtlich unserer deutschen Verhältnisse von Deflationskrise zu sprechen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, Deflationskrise ist ein
Zustand, der sich dadurch auszeichnet, daß es in
der Wirtschaft an Investitionsbereitschaft, an Investitionslust fehlt, ein Zustand, der zu einer fortdauernden Geldstillegung und Desinvestierung
führt. Ich stelle fest. gerade das Gegenteil ist das
Kennzeichen unserer heutigen Wirtschaft. Es besteht ein ausgesprochener Hunger nach Investitionskapital. Die Investitionsbereitschaft ist im
stärksten Maße entwickelt. Von einer Geldstillegung kann nicht entfernt die Rede sein; im Gegenteil: wir wollten wünschen, daß im Sinne einer Spartätigkeit in stärkerem Maße eine Geldstillegung erfolgt. Es ist also völlig abwegig und höchst gefährlich, den jetzigen Zustand mit Deflationskrise zu bezeichen.
Meine Damen und Herren! Daß Herr Kollege Nölting den Begriff soziale Marktwirtschaft nicht besonders gerne hört und auch nicht viel Gutes daran lassen möchte, ist mir wohlverständlich; denn unter dem Zeichen: Für oder gegen „soziale Marktwirtschaft" sind wir uns ja wochenlang im Lande begegnet, und das Votum des deutschen Volkes ist dahin gegangen, daß die soziale Marktwirtschaft eben doch ein besseres, ein wertvolleres System verkörpert als die sozialistische Planwirtschaft.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der SPD.)

Heute hören wir zwar eine neue Auslegung von Planwirtschaft. Dazu kann ich nur sagen: Vor Tische las man's anders! Und wenn ich mich an die Zeiten im Wirtschaftsrat erinnere — wenn Sie nicht dabei waren, dann bitte ich, die Stenogramme dieses Wirtschaftsrates nachzulesen —, so konnte Planwirtschaft von Ihrer Seite dort wirklich nicht anders ausgelegt werden als Festhalten an der bürokratischen Bewirtschaftung, Festhalten am staatlichen Preisstop.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. Abg. Schoettle: Sie wissen ganz genau, daß das nicht so ist! Sie waren ja nicht allein dabei, Herr Minister! Es waren andere auch dabei!)

— Ich darf darum bitten, daß Sie durch Nachlesen der Berichte Ihr Gedächtnis etwas auffrischen.

(Abg. Schoettle: Sie lesen Ihre eigenen Protokolle nach, aber nicht die anderen!)

Meine Damen und Herren, soziale Marktwirtschaft heißt, daß die Wirtschaftspolitik dafür Sorge trägt und alle Anstrengungen unternimmt, um durch eine Verbesserung der Leistungen, durch eine Senkung der Preise und durch Erhöhung des Nominallohns und Reallohns die Lebenshaltung unseres Volkes und der breiten Masse unseres Volkes fortlaufend zu verbessern. Daß dieser Zustand nicht befohlen werden kann, das hat uns die Planwirtschaft gezeigt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Daß dieser Zustand einen unendlichen dynamischen Prozeß darstellt, bedarf auch keiner Begründung. Ich habe wiederholt ausgeführt, daß wir uns auch in der Regierung dessen bewußt sind, daß der derzeitige Zustand trotz allem, was an Erfolgen schon erreicht wurde, durchaus noch nicht voll befriedigend sei oder gar etwas Absolutes darstelle, daß wir vielmehr ständig danach streben müssen, in Fortführung einer systematischen Wirtschaftspolitik diese sozialpolitisch so wichtige Relation von Lohn und Preis laufend zu verbessern.
Ich darf einige Zahlen anführen. Auf der Basis von 1938 ist der Bruttowochenverdienst des deutschen Arbeiters seit der Währungsreform von 100 auf 137 gestiegen, und bei einer starken Verbesserung der Qualität ist der Lebenshaltungsindex vom Beginn des vorigen Jahres bis zum September von 168 auf 155 gefallen; und dabei sind die relativ starken Preissenkungen, die sich seit Anfang dieses Jahres abzeichnen, noch gar


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

nicht berücksichtigt. Ich wiederhole: es handelt sich nicht darum, ob und inwieweit der derzeitige Zustand schon unseren Vorstellungen und unseren Zielen von einer sozialen Marktwirtschaft voll entspricht; es handelt sich darum, daß wir einen Pro zeß angestoßen haben, der mehr und mehr in der Richtung einer sozialen Verbesserung für unser ganzes Volk wirkt, und durch keine Demagogie sind diese Tatbestände aus der Welt zu schaffen.

(Lebhafte Zurufe von der SPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103601200
Herr Minister, Sie meinen

(Abg. Schoettle: Ist dem Herrn Minister erlaubt, was den Abgeordneten verboten ist, Herr Präsident?)

— Nein! Verzeihung, ich habe es ausdrücklich festgestellt!

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0103601300
Wenn das so verstanden worden ist, bitte ich um Entschuldigung.

(Abg. Schoettle: Wir sind daran seit langem gewöhnt!)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103601400
In diesem Hause fällt das Wort „Demagogie" nicht.

(Zuruf von der SPD: Von der Ministerbank kennt man das!)


Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0103601500
Meine Damen und Herren! Um den derzeitigen wirtschaftlichen Zustand richtig zu analysieren, müssen wir auf die aktuellen Probleme, die uns wirtschaftspolitisch beschäftigen, eingehen. Wenn aber Herr Kollege Nölting von einem Dornröschenschlaf spricht und glaubt, daß mit dem Begriff der sozialen Marktwirtschaft keinerlei Intervention verbunden sein kann, so ist das natürlich nicht richtig. Ich weiß nicht, wie oft ich auch in diesem Hause schon erklärt habe, daß Ablehnung der Planwirtschaft durchaus nicht bedeutet, daß die verantwortliche Behörde nicht planend und lenkend in den Prozeß eingreifen dürfe. Es handelt sich nur um die Auswahl der Mittel und die Anwendnng der Mittel, und so gesehen hat es, glaube ich, gerade seit der Bildung der Bundesregierung an Interventionen und an Notwendigkeiten zu Interventionen nicht gefehlt.
Ich darf zum Beispiel nur daran erinnern, daß eine der ersten und schwierigsten Maßnahmen, vor der wir standen, die in Verfolg der englischen Pfundabwertung notwendig gewordene Herabsetzung des D-Mark-Umrechnungskurses gewesen ist. Ich weiß nicht, wer seinerzeit die Hoffnung gehegt hat und inwieweit sie gehegt worden ist, daß diese mehr als zwanzigprozentige Abwertung spurlos an dem deutschen Preisgebäude und an dem Lohn- und Preisgefüge vorübergehen wird. Jedenfalls ist es uns in der gewerblichen Wirtschaft, in der keinerlei Subventionen gegeben worden sind und in der durch die Verteuerung der Rohstoffeinfuhren zweifellos die Tendenz zu einer Preissteigerung vorgelegen hat — wie Sie wissen —, doch gelungen, das deutsche Preisniveau nicht nur zu halten, sondern im Gegenteil die absinkende Tendenz weiter fortzuführen. Glauben Sie doch ja nicht, daß das dadurch zuwege gebracht werden konnte, daß wir die Hände in die Hosentasche gesteckt haben. Es hat
eines zielbewußten Eingreifens und planenden
Vorsorgens bedurft, um diesen Erfolg zu erzielen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

In die gleiche Zeit fallen auch die Anfänge der Liberalisierung, und darüber möchte ich im besonderen einiges- sagen. Die Handelsverträge, die auf liberalisierter Grundlage zustande kamen und die insbesondere im Sektor der Landwirtschaft als störend empfunden wurden, sind noch von der JEIA abgeschlossen worden und unterliegen so hinsichtlich ihrer Ausstattung und Wirkung, formal gesehen, nicht deutscher Verantwortung. Wenn ich das sage, so möchte ich aber doch gleich dazusetzen, daß ich ein Anhänger dieser Liberalisierungspolitik gewesen bin und den Grundsatz und das System für richtig halte. Es ist der einzige Weg, um Deutschland wieder fruchtbar und organisch in die europäische Wirtschaft einzugliedern oder überhaupt erst den Aufbau einer europäischen Wirtschaft zu vollziehen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Es ist also nicht etwa ein Abrücken von der Verantwortung, wenn ich diesen Tatbestand festgestellt habe. Trotzdem scheint es mir notwendig zu sein, das herauszuheben, weil durch die Abwicklung dieser Handelsverträge hier allzuoft der Eindruck entstanden ist, als ob ich damit etwa bewußt eine agrarfeindliche Wirtschaftspolitik verfolgt habe. Ich möchte ausdrücklich bekennen — was ich übrigens schon wiederholt getan habe —, daß mir jede solche Absicht völlig fern-liegt, daß ich die volkswirtschaftliche und soziologische Bedeutung der deutschen Landwirtschaft voll anerkenne und der Meinung bin, daß die deutsche Landwirtschaft, dem deutschen Markt verbunden, dem deutschen Verbraucher verpflichtet, unter allen Umstanden die Möglichkeiten zu ihrer Existenz und zu ihrer Fortentwicklung erhalten muß.


(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich darf zur Bekräftigung, daß diese Absicht unserer Wirtschattspolitik entspringt, hinzufügen, daß wir von dem Augenblick an, da wir die Handelsvertragsverhandlungen selbst verantwortlich fuhren, in dem Vertrag mit Frankreich und in der Revision des Handelsvertrags mit Holland in völligem Einvernehmen mit dem Ernährungsministerium dafür gesorgt haben, daß einmal die Quantität der Einfuhr für die deutsche Landwirtschaft nicht dramatisch werden kann und daß im übrigen noch besondere Schutzmaßnahmen eingebaut wurden, um bei drohender Gefahr dieser wirksam begegnen zu können.
Aber die Liberalisierung selbst soll ja, wie ich schon sagte, vor allen Dingen der deutschen Exportindustrie - und bei der Struktur unseres Landes ist die Industrie für die Wohlfahrt des Volkes von entscheidender Bedeutung — die Grundlagen für eine ständige Ausweitung des deutschen Exports verschaffen; denn das ist wieder die Voraussetzung dafür, daß wir bis zum Ende des Marshallplans unser deutsches Schicksal aus eigener Kraft gestalten können.
Es konnte selbstverständlich auch nicht ausbleiben, daß mit der Liberalisierung des Außenhandels einige Industriezweige etwas in Bedrängnis gekommen sind, daß die Befürchtung vor dem Einströmen fremder Waren die Unternehmerlust etwas, manchmal vielleicht auch allzusehr gedämpft hat. Es sind Befürchtungen hinsichtlich der Preisentwicklung laut geworden, und dadurch


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

ist die Dispositionsfreudigkeit, vor allem im Hinblick auf das Volumen eingeschränkt worden. Es hat sich also im ganzen allenthalben eine gewisse Stimmung der Skepsis breitgemacht, die sich auch konjunkturell auswirkte, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung des Auftragseingangs, in der Kurzfristigkeit der Dispositionen und in der Quantität der Aufträge. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte hier gleich folgendes dazu sagen. Diese Liberalisierung, die wir unter Kontrolle halten können und auch halten wollen, hat sozialpolitisch etwas sehr Wertvolles erreicht. Sie hat nämlich überall dort, wo der Hang zu überhöhten Preisen bzw. zur Realisierung überhöhter Preise vielleicht etwas zu stark entwickelt ist, korrigierend und bremsend gewirkt. Und die Entfachung des Wettbewerbs, die wir im Innern erreicht haben, nunmehr auch von außen in unsere Wirtschaft hineinzutragen, war allerdings ein Kernstück unserer Wirtschaftspolitik und wird es auch in Zukunft bleiben. Nur dann, wenn wir aus der deutschen Wirtschaft und aus den deutschen arbeitenden Menschen durch alle Schichten hindurch die höchste Leistung, die überhaupt denkbar ist, herausholen, haben wir Aussicht, die deutsche Not zu bannen und unser Schicksal glücklich zu gestalten.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Ich bekenne mich also noch einmal ausdrücklich zur Liberalisierung, obwohl ich mir durchaus darüber im klaren bin, wo die Grenzen liegen und wo insbesondere die Gegenseitigkeit gefordert werden muß.

(Abg. Euler: Sehr richtig!)

Wenn wir in der Liberalisierung in Europa anscheinend bahnbrechend gewesen sind, so geschah das in der festen Überzeugung und auf Grund der Zusage, daß dieses Prinzip für alle europäischen Länder verpflichtend sein wird, die sich in Verwirklichung der Gedanken des Marshall-plans zu einer immer besseren und höheren Einheit und gegenseitigen Entsprechung hin entwickeln sollen.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zuruf links: Jetzt kommen die Arbeitslosen!)

— Dazu hat Herr Kollege Storch schon das Notwendige gesagt; aber ich kann Ihnen auch noch etwas dazu sagen, wenn Sie es hören wollen, und zwar für den Sektor, für den ich die unmittelbare Verantwortung trage.

(Zuruf von der KPD: Weniger sagen und mehr handeln!)

Die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Handel ist seit der Währungsreform um 900 000 angestiegen und hat selbst im letzten Quartal 1949 noch einmal eine Zunahme um 100 000 erfahren. Daraus kann man also ganz bestimmt nicht ableiten, daß die Marktwirtschaft, wie das heute schon wiederholt zum Ausdruck gekommen ist, für die soziale Erscheinung der Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Not verantwortlich sei.
Wenn dann in bezug auf den Kapitalsektor gesagt worden ist, daß der Kapitalstrom nicht mit der nötigen Vorsicht, nicht mit einer hinreichenden Planung gelenkt wurde, so mag das, äußerlich gesehen, zunächst einmal zutreffen, denn in einer Marktwirtschaft läßt sich das Kapital nicht in vollem Umfange an die Leine der staatlichen Bewirtschaftung legen. Es ist auch sehr die
Frage, ob diese Art der Kapitalverteilung zweckmäßiger und richtiger ist, obgleich ich bereit bin zuzugeben, daß die Kapitalbildung in der deutschen Volkswirtschaft während der letzten eineinhalb Jahre — hervorgerufen noch durch die Störungen des Übergangs von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft und die noch nicht volle Entfaltung des Wettbewerbs - und deren Anwendung für Investitionen vielleicht vordringlicher anderen Zwecken hätte nutzbar gemacht werden sollen.
Der Herr Finanzminister hat hier schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß gerade die bewußte und gewollte Steuerreform und weitere Maßnahmen auf diesem Gebiet dazu dienen sollen, zu einer besser organisierten Kapitalbildung zu kommen. Und wenn wir dazu kommen, im Zuge der sozialen Marktwirtschaft gleichzeitig auch zu einer immer gleichmäßigeren und gerechteren Verteilung des Volkseinkommens und des Sozialproduktes zu gelangen, so steht hinter dieser Politik auch die Absicht, die deutsche Kapitalbildung wieder breiter zu streuen und dafür zu sorgen, daß ein großer Teil des für die Fortentwicklung der deutschen Volkswirtschaft notwendigen Kapitals wieder wie einst in glücklicheren Zeiten von Millionen von Klein- und Kleinstsparern aufgebracht werden soll. Ich halte es aber nicht für richtig, nunmehr durch wieder planende behördliche Eingriffe das ganze sich bildende Kapital in die Verfügungsgewalt des Staates zu bringen. Denn zuerst muß ich fragen: Wie stellt man sich diese Lösung überhaupt vor? Etwa durch eine weitere Überhöhung der Steuern? Durch welche andere Art der Abschöpfung? Durch welche anderen Maßnahmen wäre es möglich, das sich an Millionen von Stellen oft nur in Splittern bildende Kapital in einem Sammelbecken zusammenfließen zu lassen, um dort nach planwirtschaftlichen Vorstellungen verteilt zu werden? Ich bin der Meinung — und das wird sich in der Zukunft immer deutlicher erweisen —, daß das Kapital dann die vorsichtigste und auch volkswirtschaftlich nützlichste und produktivste Anwendung findet, wenn das persönliche Risiko, der Einsatz der Persönlichkeit des Kapitalträgers dahintersteht und dafür zu bürgen hat, daß er mit diesem Kapital eine Leistung vollbringt, die vor den Augen des Verbrauchers und der Gesamtheit Gnade findet!

(Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

Herr Kollege Nölting hat mich im speziellen nach der Vollbeschäftigung gefragt. Hier werden die Dinge tatsächlich interessant; denn hier scheiden sich die Geister. Er hat mich auch zitiert, aber nur halb. Ich habe nämlich ausdrücklich gesagt: „Vollbeschäftigung bleibt ein für jede Gemeinschaft immer erstrebenswertes Ziel."

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Aber Vollbeschäftigung als wirtschaftliches
Ziel, Vollbeschäftigung als Streben jeder Wirtschaftspolitik darf nicht gleichgesetzt werden mit Vollbeschäftigung als einem sozialistischen Dogma oder einem wirtschaftlichen Prinzip an sich.

(Zuruf links: England!)

Wir haben es nicht nur im eigenen Lande erlebt, sondern besitzen auch internationale Beispiele dafür, wohin die sozialistische Vollbeschäftigung führt. Vom Kollegen Nölting sind die termini technici Kreditschöpfung und Arbeits-


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

beschaffungsprogramm gefallen. Vor diesen Begriffen allerdings erfaßt mich ein Schauder!

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Denn was ist damit gemacht worden, und wohin hat uns dieses Prinzip geführt? In die völlige Unfreiheit! In die Überzüchtung der Bürokratie mit allen Folgen, die der Herr Bundeskanzler schon anschaulich gekennzeichnet hat. Diese Art von Kreditschöpfung und darauf gestützte Arbeitsbeschaffungsprogramme, die unter dem sozialischen Dogma der Vollbeschäftigung nach Art Keynes`scher Theorien propagiert werden, sind allerdings Methoden, die wir auf keinen Fall anwenden wollen, und zwar aus sozialer Verpflichtung heraus.

(Beifall rechts und in der Mitte.)

Der Herr Bundeskanzler hat deutlich genug gesagt - und ich möchte das von meiner Seite und aus meiner Verantwortung heraus feierlich betonen —: Wir werden alles tun, um dem Problem der Arbeitslosigkeit in dem schon gekennzeichneten Maße systematisch und ernsthaft zu Leibe zu gehen. Wir können aber das deutsche Volk auch beruhigen und die Versicherung abgeben, daß wir keine Maßnahmen zur Anwendung bringen werden, die unserem Volk noch einmal, zunächst auf unsichtbare und dann auf sichtbare Weise das Geld aus der Tasche ziehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe links.)

Das sind nicht etwa Gespenster, die ich an die Wand male, sondern in der Geschichte hat es sich immer wieder gezeigt, wohin die offene oder preisgestoppte Inflation führt.

(Zurufe aus der Mitte: Sehr richtig!)

Sie führt nämlich dahin, daß zwangsläufig zu den Mitteln der staatlichen Bewirtschaftung und in letzter Konsequenz dann zum Bezugschein und all den Dingen zurückgegriffen werden muß, die wir glücklicherweise überwunden haben.

(Lachen bei der SPD.)

- Meine Damen und Herren, mit Ihrem Lachen beweisen Sie, daß Sie die Zusammenhänge trotz des Anschauungsunterrichtes noch immer nicht, begriffen haben.

(Beifall rechts. — Lachen bei der SPD.) Aber die Richtigkeit dieser Gedankengänge können Sie nicht widerlegen. Das Beste, was wir erreicht haben, oder mit das Beste, was wir in Deutschland erreicht haben, ist, daß wir durch eine ehrliche und saubere Geld- und Kreditpolitik in Verbindung mit einer marktwirtschaftlichen Politik wieder das Vertrauen in unsere Wirtschaft und in unsere Währung erweckt haben. Das ist auch die Voraussetzung für jede Kapitalbildung, sowohl für die Belebung des inneren Kapitalmarktes, wie auch die Voraussetzung dafür, jemals wieder an einem auswärtigen Kapitalmarkt teilhaben zu können. Wenn wir auf einem Felde überhaupt eine Chance haben, dann dürfen wir ganz bestimmt keine Experimente machen, die auf preispolitischem und währungspolitischem Gebiet auch nur den geringsten Anlaß zu Zweifeln geben könnten. Ich wiederhole noch einmal: Gegen eine solche Gefahr ist das deutsche Volk gefeit, solange die Bundesregierung das Schicksal dieses Volkes in Händen hält.


(Bravorufe bei den Regierungsparteien.)

Hier war dann von der Beschaffung neuer Arbeitsplätze die Rede. Sicherlich: neue Arbeitsplätze müssen geschaffen werden. In der bisherigen Entwicklung kam es aber darauf an, die Engpässe in der Produktion zu beseitigen und überall dort, wo unser Produktionsapparat technisch verschlissen und brüchig war, wieder zu höherer Leistung und Ergiebigkeit zu gelangen. Diesen Zusammenhang hat Herr Kollege Nölting dargelegt, richtig dargelegt, wenn er sagte, daß jede Erhöhung der Produktivität sowie der Leistungsergiebigkeit der menschlichen Arbeit tendenziell zu einer Freisetzung menschlicher Arbeitskraft führt. Trotzdem ist das die richtige Wirtschaftspolitik, denn auf die Dauer wird nur d i e Wirtschaft den notwendigen Sog auf den Arbeitsmarkt ausüben können, die rationell arbeitet und die durch diese rationelle Arbeit sowohl im Ausland wettbewerbsfähig ist wie auch kapital- und kreditwürdig erscheint. Wir dürfen also diesen Prozeß unter keinen Umständen unterbinden, denn gerade dahinter steht der soziale Gedanke der Erhöhung des Lebensstandards. Wenn wir praktisch eine Verdoppelung unseres Wirtschaftsvolumens bei etwa gleichbleibenden Beschäftigtenzahlen erreicht haben, dann ist das einmal ein Beweis dafür, daß die Planwirtschaft die menschliche Energie nicht entfalten kann, daß aber die Marktwirtschaft dies vollbracht hat.

(Sehr gut! rechts.)

Wenn auch im Laufe des Jahres 1949 noch die Entwicklung dahinging, daß eine 25 prozentige Zunahme des Sozialprodukts mit einer Mehrbeschäftigung von nur 6 Prozent an Beschäftigten erreicht wurde, dann beweist auch das, deß die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit dauernd gewachsen ist und daß diese in sich immer konsolidiertere Wirtschaft auch die Anziehungskraft entwickelt, die dem Problem der Arbeitslosigkeit erfolgreich zu Leibe gehen kann.
Meine Damen und Herren! Herr Nölting sagte, die Konsumkraft sei zurückgegangen. Ich glaube, durch die obigen Zahlen schon bewiesen zu haben, daß diese Rechnung nicht stimmen kann.

(Abg. Dr. Nölting: Sie komme mit dem erweiterten Sozialprodukt nicht mit, habe ich gesagt! Es wird ja alles verdreht!)

— Schön! Ich nehme also zur Kenntnis: Sie meinen das nicht absolut, sondern Sie meinen es relativ. Das würde also bedeuten, daß wir eine Entwicklung zu verzeichnen haben, bei der der Anteil an Löhnen und Gehältern prozentual immer geringer geworden ist, der Anteil anderer Einkommen sich aber gesteigert hat. Ich behaupte: das Gegenteil ist der Fall.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Erstens beweisen es die Zahlen, und außerdem
ist es für jedes unverbildete Gemüt im Markte
deutlich erkennbar, daß der Wettbewerb eben
gerade dahin geführt hat, die planwirtschaftlichen Positionen, das unternehmerische Rentnertum im besonderen, mehr und mehr aufzulösen,
zu immer höheren Leistungen zu kommen, sich
besonders anzustrengen, weil heute nicht mehr
allein die Technik des Produzierens, sondern
vor allen Dingen das Vermögen des Absetzens
in unserer Wirtschaft entscheidend geworden ist.

(Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

Von einer Senkung der Konsumkraft kann also
unter gar keinen Umständen gesprochen wer-


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

den. Alle Zahlen, die Ihnen ja auch zur Verfügung stehen, beweisen eindeutig, daß die Konsumkraft der Lohnempfänger zugenommen hat. Ich bin jedoch der Meinung, daß in der weiteren Entwicklung mit weiterer Rationalisierung und noch stärkerer Belebung des Wettbewerbs auch in Verfolg der Liberalisierung das Verhältnis von Löhnen und Preisen noch günstiger gestaltet werden kann. Ich wiederhole noch einmal: das ist das von uns angestrebte wirtschaftspolitische Ziel, und diesem Ziel gilt unser Einsatz,

(Bravorufe rechts)

ob Sie es glauben oder nicht.

(Lachen links.)

Wenn gar von schlechter Verteilung gesprochen wird — wahrscheinlich meinen Sie, die angeblich zurückgehende Konsumkraft sei auf schlechte „Verteilung" zurückzuführen —, so klingt mir das Wort „Verteilung" aus dem Munde eines Sozialisten doch allzusehr an vergangene Zustände an, bei denen die Bürokratie diese Verteilung vornehmen bzw. nach irgendwelchen mir nicht erfindlichen Schlüsseln in der Lage sein sollte, das gemeinsam erzeugte Sozialprodukt nicht etwa nach Maßgabe der persönlichen Zuleistung, sondern nach anderen Kategorien und Maßstäben vorzunehmen. Hier bin ich allerdings der Meinung, daß es nur eine gerechte Verteilung gibt, und das ist die, die durch die Funktion des Marktes erreicht wird. Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt.

(Sehr richtig! rechts.)

Und wenn von „konstruktiv" gesprochen wird, dann bin ich auch wieder skeptisch gestimmt, weil ich nach den Demonstrationen der Planwirtschaftler unter „konstruktiv" nur allzuleicht an die Vorstellung von mechanistischen Abläufen in der Wirtschaft erinnert werde, an mechanistische Abläufe, die die planende Bürokratie je nach ihrem Willen so selbst gestalten und vornehmen mag, wie es gerade ihrer politischen oder ökonomischen Zielsetzung entspricht. Nach meiner Überzeugung ist das Leben zu bunt und vielgestaltig und zu wandelbar — Sie halten das zwar für lyrisch, aber ich halte es für richtig —, als daß es möglich wäre, mit einer Planungsbürokratie den Geheimnissen des menschlichen Lebens nahe zu kommen, denn es sind zuletzt die Geheimnisse der menschlichen Seele, die sich in allen Äußerungen des Lebens kundtun.

(Lachen links. — Abg. Dr. Schumacher: Wir wollen etwas über Ökonomie hören und nicht über die Seele!)

— Ich habe nie besonders viel von Ihren seelischen Improvisationen gehalten; aber daß sie im Menschen wirksam sind, scheint mir doch unbestreitbar zu sein.
Wenn übrigens von der Verteilung der ERPCounterpart-Funds gesprochen worden ist, so scheinen mir hier allenthalben noch Mißverständnisse vorzuherrschen. Von der ersten Tranche der Counterpart-Funds, also der Mittel, die sich bis zum 31. Dezember 1949 angesammelt haben, sind durch die Kreditanstalt 600 Millionen bereits freigegeben worden. Diese 600 Millionen werden, wie uns gestern der Leiter der Kreditanstalt dargelegt hat, bis Ende Februar voll ausgegeben sein. Die weiter erwarteten rund 390 Millionen folgen dann in den nächsten zwei Monaten. Die zweite Tranche der Counterpart-Funds in Höhe von 1150 Millionen, die jene Gegenwerte repräsentieren, die im Laufe des ersten Kalenderhalbjahres 1950 anfallen, werden wir im Interesse einer starken Belebung der deutschen Volkswirtschaft möglichst bald in Übereinstimmung mit der ECA-Mission freizubekommen suchen, um auch von dieser Seite her die Anstrengungen der Regierung noch durch einen zusätzlichen Kapitaleinsatz zu unterstützen.
Mit der Bank deutscher Länder befindet sich nicht nur die Regierung, sondern befinde ich mich darüber hinaus noch persönlich in ständiger engster Verbindung. Gerade diese enge Verbindung, die dauernde gegenseitige Abstimmung von Geld-und Kreditpolitik, von Wirtschafts- und Sozialpolitik und aller — wenn Sie so wollen — planenden und lenkenden Maßnahmen, deren wir uns im Zuge unserer Wirtschaftspolitik bedienen, sichern den Erfolg.
Meine Damen und Herren! Ich glaube damit neben dem Zahlenbild, das schon gegeben worden ist, auch in der wirtschaftspolitischen Konzeption die wünschenswerte Klarheit gebracht zu haben. Ich darf — weil mir das das Wichtigste zu sein scheint — noch einmal sagen: Alle Maßnahmen, die wir ergreifen, stehen außerhalb jeder Gefahrenzone für unsere Wirtschaft, außerhalb der Gefahrenzone, die sich in der Störung der heimischen Kapitalbildung und in der Zerstörung des ausländischen Kapitalmarktes für uns abzeichnet. Wir werden diese Mittel so zum Einsatz bringen, daß nicht aus zusätzlicher Kreditschöpfung, wie hier empfohlen worden ist, Mittel auf den Markt der Konsumgüter strömen, die dort ohne Deckung das Preisniveau nach oben treiben müßten. Auch in der Importpolitik, das heißt in der Umschaltung von Importen ist dafür Sorge getragen worden, daß die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die wir ergreifen können, durch eine Belebung der Konsumgüterindustrie und durch eine Speisung des Konsumgütermarktes außerhalb jeder Gefahr bleiben.
Wir handeln in der Gewißheit und mit der Versicherung, daß uns, wenn wir diesen Weg beschreiten, kein Dogma bindet, sondern daß wir uns, viel freier als andere, lediglich an die Grundsätze der menschlichen und wirtschaftlichen Vernunft halten. Wir werden so wirtschaften, so arbeiten, daß dem Ziel der sozialen Marktwirtschaft, nämlich der sozialen Wohlfahrt, gedient ist.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Seelos: Zur Geschäftsordnung!)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103601600
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Seelos.

Dr. Gebhard Seelos (BP):
Rede ID: ID0103601700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß ich in dieser sachlichen Debatte um eine Lebensfrage des deutschen Volkes zur Geschäftsordnung sprechen muß. Die Geschäftsführung des Herrn Präsidenten zwingt mich dazu. Nach den drei Ministern der CDU folgen nach der Rednerliste nunmehr drei Sprecher der Regierungsparteien. Wie mir Präsident Köhler mitgeteilt hat, haben diese drei Sprecher ihn heute morgen aus der Ältestenratssitzung herausgebeten, sich angemeldet und unter sich die Reihenfolge der Redner vereinbart.

(Hört! Hört! links.)



(Dr. Seelos)

Nach § 81 der Geschäftsordnung können Mitglieder, die zur Sache sprechen wollen, sich nur bei dem Schriftführer, der die Rednerliste führt, zum Wort melden. Andere Wortmeldungen können durch Zuruf erfolgen. Darüber hinaus hat Präsident Köhler im Hereingehen eine Wortmeldung von Herrn Etzel, einem weiteren Mitglied der Regierungsparteien, entgegengenommen,

(Abg. Hilbert: Das kann der Präsident natürlich!)

auch noch von einem anderen Mitglied, so daß wir, die wir uns rechtzeitig als erste bei Aufruf der Sache zum Wort gemeldet haben, glücklich an die siebente Stelle gerückt sind.

(Abg. Hilbert: Haben Sie Sorgen! — Zuruf von der CDU: Furchtbar!)

Gegen diese Art der Geschäftsführung, die entgegen der Praxis der Geschäftsordnung ist, müssen wir. schärfsten Einspruch einlegen. Der Präsident kann zwar nach § 82 der Geschäftsordnung die Reihenfolge der Redner bestimmen. Aber es war Vereinbarung unter den Parteien, daß der Zeitpunkt der Meldung gelten soll, wenn keine ausdrückliche Abrede getroffen ist, und daß die Fraktionen nach ihrer Größe sprechen sollen. Wir haben das größte Interesse, auch unsere Probleme rechtzeitig, wenn noch nicht eine gewisse Ermüdung eingetreten ist, zur Sprache zu bringen.

(Zuruf von der Mitte: Das haben wir auch!) Ich bin der Meinung: es ist nicht nötig, daß nun sieben Regierungsvertreter nacheinander sprechen. Es belebt vielmehr durchaus die Situation des Parlaments, wenn ein gewisser Wechsel zwischen Oppositions- und Regierungssprechern eintritt.

Jedenfalls müssen wir uns bei dieser Art der Behandlung wieder einmal majorisiert fühlen. Nachdem wir schon gestern gegen diese Art der Geschäftsführung des Herrn Präsidenten Einspruch erhoben haben, müssen wir heute wiederum das gleiche tun. Ich appelliere hier öffentlich an den Herrn Bundestagspräsidenten, doch jetzt noch die Reihenfolge der Redner in fairer und demokratischer Weise anzusetzen.

(Beifall bei der BP und bei der SPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103601800
Meine Damen und Herren! Ich verwahre mich zunächst gegen die Bemerkung des Herrn Abgeordneten Seelos, daß ich hier nicht in fairer Weise verfahren sei. Die Sachlage ist folgende. Die Reihenfolge der Ministerreden nach Begründung des Antrags durch die Herren Antragsteller ist mir seitens des Bundeskabinetts bekanntgegeben worden. Das habe ich auch heute früh den beteiligten Damen und Herren im Altestenrat gesagt. Gleichzeitig ist mir von meinem Kollegen, Herrn Vizepräsidenten Schäfer — ich stelle die Dinge so dar, wie sie gewesen sind —, mitgeteilt worden, daß danach FDP, CDU und DP in dieser Reihenfolge reden würden. Ich bin dann, als ich heute mittag vor Beginn der Sitzung hier hereinkam, zu dem Herrn Kollegen Professor Nölting gegangen und habe ihn gefragt, weil ich einen Überblick haben wollte, wie lange er etwa sprechen würde. Ich habe ihn dabei auf den § 87 der Geschäftsordnung aufmerksam gemacht. Bei dieser Gelegenheit — es saß der Herr Kollege Wönner daneben — haben mich die Herren gefragt, wie denn die Reihenfolge wäre. Da habe ich ihnen das selbstverständlich gesagt. Im selben Moment hat sich der Herr Kollege Wönner von der SPD bei mir persönlich gemeldet. Das ist ja
sein gutes Recht. Ich kann ja Wortmeldungen entgegennehmen.

(Abg. Dr. Seelos: Aber nicht draußen, sondern hier!)

— Hier im Saale ist das geschehen; das stelle ich zum Tatsächlichen fest.

(Abg. Dr. Seelos: Da oben beim Präsidium muß es geschehen!)

Zweitens hat gleichzeitig mir der Herr Kollege Etzel von der CDU hier oben, als ich im Begriff war, hier heraufzugehen, ebenfalls seine Wortmeldung abgegeben. Als ich dann heraufgekommen bin, lag die Wortmeldung des Kollegen Dr. Etzel von der Bayernpartei vor. In dieser Reihenfolge hat sich die Angelegenheit abgespielt.
Damit ist die Frage für mich erledigt. Wird etwa das Wort zu den geschäftsordnungsmäßigen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos gewünscht? — Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist.
Ich erteile nunmehr dem Herrn Abgeordneten Dr. Preusker das Wort.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0103601900
Meine Damen und Herren! Herr Professor Nölting hat sehr lange und sehr viel über die gegenwärtige Not der Arbeitslosen gesprochen. Und nur in sehr kurzen, zum Schluß in ganz allgemeinen Worten hat er über „Vollbeschäftigung", „antideflationistische Konjunkturpolitik" und darüber etwas gesagt, was dagegen zu unternehmen sei. Wir fühlen die gegenwärtige Not der Arbeitslosigkeit alle genau so. Wir betrachten sie als ein nationales und soziales Unglück für die Betroffenen selbst, aber auch für unser deutsches Volk, weil wir genau wissen, daß nach den vielen Verlusten, die uns betroffen haben, die Arbeitskraft jedes Einzelnen mit das Wertvollste ist, was uns geblieben ist.
Wenn aber Herr Professor Nölting davon spricht, daß sich bereits abzuzeichnen beginne, daß „die Söhne des Chaos" bei uns wieder ein unheilvolles Spiel beginnen könnten, dann muß ich ihm doch einen Vorwurf machen. Dann darf man auch nicht in dieser unverantwortlichen Weise in Katastrophenstimmung machen.

(Lachen und Widerspruch links.)

Das schadet nicht nur hier im Innern, sondern das schadet genau so dem Ansehen des deutschen Volkes und unseren gemeinsamen Anstrengungen nach außen.

(Zustimmung bei der FDP und rechts.) Herr Professor Nölting, Sie haben selbst im Augenblick der Währungsreform davon gesprochen, daß wir in Kürze 4-5 Millionen Arbeitslose in Deutschland haben würden.


(Abg. Dr. Nölting: Stimmt nicht, werter Herr!) — Es ist in dem Institut für Weltwirtschaft von 6 Millionen gesprochen worden.


(Abg. Dr. Nölting: Ich bin doch kein Institut!)

Ich darf nur das eine feststellen. Die Leistungen, die ir. der Zeit seit der Währungsreform vollbracht worden sind, und zwar angesichts des Hereinströmens von 8 Millionen Heimatvertriebenen, des weiteren — kontrollierten und unkontrollierten — Hereinströmens von Hunderttausenden von Menschen aus der Ostzone, der Demontagen, der Produktionsverbote und -beschränkungen, die uns auferlegt sind, und all der Hemmungen, die durch die Zonenzerreißung, durch die Zerreißung eines einheitlichen Wirtschaftskörpers entstanden sind,


(Dr. Preusker)

dürfen sich wohl vor der Welt sehen lassen. Sie sind ja auch draußen schon wieder als eine Art deutsches Wunder bezeichnet worden. Unter 9 Millionen Heimatvertriebenen, Ostzonenflüchtlingen und Heimkehrern befinden sich normalerweise mindestens 41/2 Millionen Erwerbspersonen. Die Tatsache, daß es seit der Währungsreform gelungen ist, die Arbeitslosigkeit nicht höher ansteigen zu lassen als auf den bedauerlichen gegenwärtigen Stand von 1,9 Millionen, beweist also, daß es tatsächlich möglich gewesen ist, durch die soziale Marktwirtschaft und die Entfesselung der Leistungskraft wenigstens 2-2,5 Millionen Menschen zusätzlich in Arbeit und Brot zu bringen. Derselbe Weg trägt deshalb alle Erfolgschancen in sich, auch endgültig in zäher gemeinsamer Anstrengung, zu der dann allerdings gehört, daß man das Vertrauen stärkt und nicht das Mißtrauen, das ganze Arbeitslosenproblem zu meistern.
Sie sprechen von der Vollbeschäftigung., Ich glaube, darüber ist sich die gesamte Theorie einig, daß es kein allzu großes Problem ist, eine Vollbeschäftigung um jeden Preis zu erzielen. Sehen Sie einmal in die Ostzone mit ihren Uranbergwerken und Zwangsarbeitern in Aue, mit ihrem Hennecke-System der „Vollbeschäftigung". Es geht ja nicht allein um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern es geht gleichzeitig darum, in unserem Volk die Not zu überwinden, wieder die Freiheit und die soziale Sicherheit zu erringen.
Da darf ich Ihnen nun das eine sagen. Wenn wir in den Jahren der Zwangswirtschaft nur 600 000 Arbeitslose hatten — Herr Professor Nölting sprach von Schlangen vor den Arbeitsämtern —, so standen damals, Herr Professor Nölting, die Schlangen aber vor den Lebensmittelläden. Und wenn Sie eine solche „Vollbeschäftigungs"-Politik betreiben, dann muß sie über kurz oder lang wieder zu dem gleichen Ergebnis führen. Denn was können Sie denn mit einer Kreditschöpfung, die ungehemmt und unkontrolliert erfolgt, anderes erreichen als entweder eine ungeheure Preissteigerung und damit eine Senkung des Reallohnes? Oder aber, wenn Sie das nicht wollen, stoßen Sie bei unserer beengten wirtschaftlichen Lage sehr schnell an Grenzen. Sie müssen dann wieder anfangen zu bewirtschaften, und Sie müssen wieder die ganze Bürokratie der Lebensmittel- und Wirtschaftsämter aufleben lassen.

(Zuruf von der SPD: Erzählen Sie keine Märchen!)

Sie kommen darum nicht herum. Ich glaube, das eine werden Sie auch einsehen, daß dies dann das Ende der Freiheit und daß es auch gleichzeitig das Ende der Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg ist. Die Arbeitskraft wird nicht nur vergeudet, wenn sie durch die Arbeitslosigkeit nicht zur Entfaltung kommt, sondern sie wird genau so vergeudet, wenn sie sich in einem Heer von Bürokraten auf den Lebensmittel- und Wirtschaftsämtern zusammenballt. (Zuruf von der SPD: Wer bestreitet denn das?)

Wir begrüßen deshalb, daß uns hier von der Bundesregierung ganz klar ein Programm derselben zielbewußten Weiterentwicklung der Maßnahmen seit der Währungsreform dargelegt worden ist, das wirklich geeignet erscheint, zur weiteren Gesundung zu führen.
Ich darf wohl das eine sagen: Wenn Sie den Vorwurf erheben, daß man sich erst jetzt — wie
Sie sagten, vielleicht aus „Bequemlichkeit" - mit dem Problem der Arbeitslosigkeit beschäftige, so möchte ich demgegenüber erklären: gerade wir. die Mitglieder der FDP-Fraktion, haben bereits im Wahlkampf gefordert, daß ein besonderes Bundesministerium für den Wohnungsbau geschaffen wird, weil wir die zentrale Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit, deren Ursachen zur Genüge dargelegt worden sind, und gleichzeitig die Bekämpfung des Heimatvertriebenenelends in der Lösung der Wohnungsfrage des deutschen Volkes gesehen haben. Wir werden auch auf diesem Gebiet an die Regierung die höchsten Anforderungen stellen, und wir wissen auch, daß diese Anforderungen erfüllt werden.
Wenn bereits jetzt für den Wohnungsbau 21/2 Milliarden DM für das Jahr 1950 angesichts einer Gesamtinvestition von 7 oder 8 Milliarden DM im Jahre 1949 sichergestellt worden sind, dann ist das eine ganz außergewöhnliche Leistung. Es kommt auch nicht darauf an, daß man die gesetzliche Regelung vielleicht noch nicht in allen Einzelheiten vorgenommen hat; viel wichtiger ist, daß diese Mittel bereits jetzt zur Verfügung stehen und daß alle diejenigen, die baureife Projekte in dem Rahmen der vorgesehenen Baumaßnahmen vorzulegen haben, bereits jetzt sicher damit rechnen können, mit dem Bauen beginnen zu können. Daher wird auch die Hauptentlastung des Arbeitsmarktes im Laufe des Jahres 1950 kommen.
Wir können diese Entwicklung noch weiter fördern, wenn wir uns alle zu einer gemeinsamen Anstrengung im. Interesse des ganzen deutschen Volkes zusammenfinden. Wir müssen in dem Rahmen, in dem es uns nur möglich erscheint, auf irgendwelche, vielleicht manchmal überflüssige Konsumdeckung — ich denke dabei an manchen Totozettel oder ähnliches — verzichten und uns an dem großen „Deutschen Wohnungswerk", an der Zwecksparaktion für den deutschen Wohnungsbau beteiligen, über die, wie wir hoffen, vom Herrn Bundeswohnungsminister so bald wie möglich ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der dann hier verabschiedet werden kann.
Wir wissen, daß die für eine bewußte Förderung der Entwicklung unserer Lebensgrundlagen gegebenen Möglichkeiten ihre Grenzen im Augenblick sehr stark darin finden, wieviel Deutschland exportieren kann. Ich darf wohl das eine sagen: die Politik der Befreiung von den Fesseln der Zwangswirtschaft hat es fertiggebracht, daß die deutsche Ausfuhr sich im Jahre 1949 gegenüber 1948 von 1,8 auf 3,6 Milliarden DM verdoppeln konnte. Auch das reicht bei weitem noch nicht hin, um ohne Hilfe des Marshallplans, ohne Hilfe der GARIOA-Mittel den Bedarf an Lebensmitteln und Rohstoffen aus eigener Kraft zu decken.
Wenn uns die Bundesregierung daher erklärt, daß neben dem Wohnungsbau die Förderung der deutschen Ausfuhr, die Förderung der deutschen Exportindustrie ihr Hauptziel sein wird, und wenn sie dafür bereits jetzt 300 Millionen D-Mark zur Verfügung gestellt hat, dann sind wir sicher, daß mit diesen Mitteln die Grenzen, die auf manchen anderen Gebieten einer Finanzierung der Investitionen noch etwas eng gesetzt zu sein scheinen, wesentlich erweitert werden können.


(Dr. Preusker)

Wir müssen nun einmal 50 Prozent unserer Nahrungsmittel und einen wesentlichen Teil unserer Rohstoffe aus dem Ausland einführen. Wir sind deshalb auf Leben und Tod darauf angewiesen, uns in diese Weltwirtschaft einzuordnen, mit den anderen Volkswirtschaften in Wettbewerb zu treten, um unsere Unabhängigkeit und unsere soziale Sicherheit zu stabilisieren. Ich glaube, es hat vielleicht keinen sichereren Beweis für die bereits erreichte innere Widerstandsfähigkeit und Gesundung unseres wirtschaftlichen Wiederaufbaues gegeben, als die Tatsache, daß die seit Oktober vorigen Jahres vollzogene sogenannte Liberalisierung, das heißt Freigabe des deutschen Inlandsmarktes gegenüber der europäischen Konkurrenz, nicht schlechthin zu einer Überschüttung und Erstickung der deutschen Industrie geführt hat, sondern daß es sich deutlich erweist, daß trotz Pfundabwertung und ähnlicher Benachteiligungen, die seit September vorigen Jahres nun einmal als eine Tatsache gegeben sind, die deutsche Wirtschaft exportfähig ist und auch weiterhin sein wird. Auch von dieser Seite her darf man also Vertrauen in die Zukunft haben. Die Förderung, die hier geschieht, erfolgt also auf einem Gebiet, das ganz besonders auch das Arbeitslosenproblem in seiner ganzen Tiefe wird beeinflussen können.
Daß die Regierung weiterhin die Bundesbahn, die Klein- und Mittelindustrie mit besonderen Förderungsmaßnahmen im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bedenkt, wird ebenfalls die Probleme der nächsten Zeit erleichtern. Wir haben dabei noch den einen Wunsch, daß vieles von dem, was hier zur Förderung von Vorhaben in den Notstandsgebieten Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und Bayerns vorgesehen ist, besonders der Förderung der Existenzbildung unter den Heimatvertriebenen zugute kommt. Denn wir wissen, daß gerade aus diesen Kreisen dem deutschen Kampf um die Auslandsmärkte wertvollste Kräfte zuwachsen können. War doch die sudetendeutsche Wirtschaft auch früher der Hauptträger der Ausfuhr der ehemaligen Tschechoslowakei.
Wir sind Herrn Professor Erhard ganz besonders dankbar für seine Erklärungen hinsichtlich der Erhaltung und Förderung der Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Schon im Marshallplanabkommen ist ausdrücklich vorgesehen, daß Deutschland seine landwirtschaftliche Erzeugung intensivieren und steigern soll, soweit es nur irgend in seinen Kräften steht. Was wir auf diesem Gebiet tun, erspart uns auf der Einfuhrseite Devisen, die wir wiederum für andere industrielle Rohstoffe zur Förderung unserer gewerblichen Produktion verwenden können. Das gibt auf der anderen Seite unserer inländischen Wirtschaft und namentlich unserer Industrie eine wachsende Sicherheit im Absatz ihrer Erzeugnisse, die sie dann, statt auf unsichere Märkte angewiesen zu sein, an eine dauernd kaufkräftige inländische Agrarwirtschaft absetzen kann. Man sollte dieser Tatsache die allergrößte Bedeutung beimessen.
Wenn wir uns einmal die Zusammensetzung der gegenwärtigen Arbeitslosenzahl von 1,9 Millionen ansehen, so fällt uns auf, daß darin außer 560 000 heimatvertriebenen Arbeitslosen, die allein auf die strukturellen Notstandsgebiete Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und Bayerns entfallen, eine Abnahme der landwirtschaftlichen
Beschäftigung um allein 370 000 Arbeitskräfte gegenüber dem Zeitpunkt der Währungsreform enthalten ist. Darüber hinaus sind noch weitere 223 000 Arbeitslose im wesentlichen auf die Verminderung des behördlichen Bewirtschaftungsapparats zurückzuführen, was wir, glaube ich, in diesem Zusammenhang wohl eher als eine Erscheinung der Gesundung unserer Wirtschaft betrachten können. Die 370 000 Arbeitskräfte, die aus der Landwirtschaft freigesetzt wurden, möchten wir gern durch die Förderung der Landwirtschaft, die sich im Sinne einer Gleichbewertung der landwirtschaftlichen Arbeit im Rahmen ihrer Intensivierung vollziehen muß, wieder dorthin zurückkehren sehen.
Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß hier mit nicht allzuviel Aufwand an Kapital, sondern im wesentlichen durch organisatorische und preispolitische Maßnahmen ungeheuer viel erreicht werden kann. Man kann es gar nicht einmal so seltsam finden, wenn jemand, der bei neunstündiger Arbeit, und zwar harter Arbeit, in der Landwirtschaft nur 28 oder 29 Mark in der Woche nach Hause trägt, es sich unter Umständen überlegt, daß er dumm wäre, wenn er nicht von der Gelegenheit Gebrauch machte, in der Stadt, ohne etwas tun zu müssen, 30 bis 31 Mark Arbeitslosenunterstützung zu bekommen!

(Zuruf von der KPD: Interessieren Sie sich für die Bodenreform!)

Hier muß entschieden und kann sehr schnell eine Abhilfe geschaffen- werden; und es hat uns besonders gefreut, gerade von Herrn Wirtschaftsminister Professor Dr Erhard zu hören, daß er diesem Problem im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden wird.
Wir sehen auch in der von der Regierung vorgeschlagenen und von Anfang an geforderten Steuersenkung und Steuerreform eine der wesentlichsten Stützen für eine Politik der Steigerung der Beschäftigung und der Verminderung der Arbeitslosigkeit.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Denn es wird gerade dadurch ein ganz erheblicher Betrag — seien es 900 Millionen, sei es eine Milliarde D-Mark oder mehr — für neue, und zwar sinnvolle Investitionen in der Wirtschaft frei, mit deren Hilfe das, was gegenwärtig als strukturelles Problem vor uns steht, nämlich die Schaffung neuer Arbeitsplätze, erfolgreich in Angriff genommen werden kann.
Ich glaube also, abschließend für unsere Fraktion sagen zu dürfen: Angesichts der Leistungen, die in der Überwindung einer zunächst geradezu ausweglos erscheinenden Lage seit anderthalb Jahren, seit der Umschaltung auf die soziale Marktwirtschaft gezeigt worden sind, und angesichts des Programms, das uns hier entwickelt wurde mit dem Hauptgewicht auf dem Wohnungsbau, mit der Förderung des Exportes, der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Investitionen, der Schaffung weiterer Arbeitsplätze gerade in den Gebieten, wo die Not am größten ist, und der Förderung der Landwirtschaft, werden wir mit gesicherter Währung, die sich in einem dauernden Steigen des D-Mark-Kurses von 23,80 Schweizer Franken im Juni 1948 auf jetzt 84 Schweizer Franken am besten dokumentiert hat, und einem gesteigerten Sparwillen, gestützt auf


(Dr. Preusker)

das Vertrauen der Bevölkerung auch endgültig wieder dazu kommen, daß unser Volk in Freiheit seine soziale Sicherheit und dann auch tatsächlich seine Vollbeschäftigung zurückgewinnt. Ich bin überzeugt davon: wenn Sie heute das deutsche Volk wählen ließen, ob es lieber zurückwollte in eine Politik, die gekennzeichnet ist durch ungehemmte Kreditschöpfung mit der zwangsläufigen Auswirkung einer Rückkehr der Zwangsbewirtschaftung und allen anderen Folgen, die hinter uns liegen, oder ob es sich verbissen und zäh mit uns durchkämpfen will in eine bessere Zukunft, dann fällt die Entscheidung noch sicherer zugunsten der sozialen Marktwirtschaft aus als am 14. August 1949.

(Bravorufe und Händeklatschen bei der FDP.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103602000
Das Wort hat der Bundesratsbevollmächtigte für das Land Schleswig-Holstein Minister Preller.
Dr. Preller, Schleswig-Holsteinischer Minister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr, Mitglied des Bundesrats: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre geneigt, als Arbeits- oder Wirtschaftsminister zu sprechen; aber Sie erlauben mir, daß ich für die schleswig-holsteinische Regierung einmal am Beispiel dieses Landes, das ja relativ die bei weitem höchste Flüchtlingsbelegung hat, aufzeige, wie in diesen Flüchtlingsländern die Arbeitslosigkeit heute zum Zentralproblem der gesamten Regierungsarbeit geworden ist.
Es ist Ihnen bekannt, daß in Schleswig-Holstein mit einer Vermehrung seiner Bevölkerung um nicht weniger als 72 Prozent fast jeder zweite Bewohner ein Flüchtling ist. Wir hatten am 31. Januar in Schleswig-Holstein eine Arbeitslosigkeit von 29,9 oder rund 30 Prozent.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Jeder dritte Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein ist heute arbeitslos.

(Erneute Rufe bei der SPD: Hört!. Hört!)

Nur Berlin mit seinen Sonderproblemen kennt die Sorge um die Arbeitslosigkeit in einem noch größeren Umfange. Im übrigen aber weisen alle Flüchtlingsländer des Bundes, Niedersachsen, Bayern, hohe Arbeitslosenzahlen auf, wobei Schleswig-Holstein mit Abstand den höchsten Prozentsatz hat.
Selbstverständlich drückt die harte Prüfung jeden einzelnen Arbeitslosen gleich schwer; aber, meine Damen und Herren, Sie werden mir recht geben, wenn ich sage, daß eine Arbeitslosenziffer von 30, 21 und 18,2 Prozent - wie in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern — ungleich mehr auf diese Länder und auf ihre Bevölkerung drückt als etwa eine prozentuale Arbeitslosigkeit wie in Rheinland-Westfalen von 5,8 oder in der süddeutschen Zone von 7 Prozent. Wir wollen uns diesen Unterschied nicht etwa gegenseitig anrechnen, das ist nicht der Sinn dieser Ausführungen, aber wir müssen einmal darauf hinweisen, daß die Arbeitslosigkeit in diesen Flüchtlingsländern ein zentrales Problem geworden ist.

(Sehr richtig! bei der BP.)

Wir erkennen den Zusammenhang von Flüchtlingsbelegung und Arbeitslosigkeit deutlich; denn in diesen Ländern reichte eben die vorgefundene Struktur der Wirtschaft einfach nicht aus, um die eingeströmten Flüchtlinge in Arbeit bringen zu
können. Es dürfte daher selbstverständlich und unbestritten sein, daß erst nach einer gerechten und einigermaßen gleichmäßigen Flüchtlingsverteilung

(Sehr gut! bei der BP)

die politisch und sozial so gefährliche Anhäufung von Arbeitslosen in einzelnen Bundesteilen beseitigt werden kann.

(Erneute lebhafte Zurufe von der BP: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren! Welche staatspolitischen Gefahren mit solchen Häufungen von Arbeitslosen verbunden sind, das zeigt sich gerade bei uns in Schleswig-Holstein sehr deutlich. Ich möchte doch darauf hinweisen, daß SchleswigHolstein schon vor 1933 ein Beispiel dieser Art abgegeben hat; denn als damals von 1930 bis 1932 sich die Arbeitslosigkeit in diesem Lande verdoppelte, verdoppelten sich auch die Zahlen der nationalsozialistischen Stimmen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Von 27 Prozent bei der Wahl 1930 über 51 Prozent im Juli 1932 auf 53 Prozent im März 1933 stiegen die Stimmen der Nationalsozialisten in Schleswig-Holstein.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

So verdoppelten sich mit der Zahl der Arbeitslosen auch die Stimmen der radikalen Seite. Meine Damen und Herren, ich brauche Sie ja nur darauf hinzuweisen, daß auch heute das Spiel der politischen Extremisten zeigt, wohin eine solche Arbeitslosigkeit führt. Ich darf in diesem Zusammenhang nur den Ort Neumünster nennen, ich darf nur daran erinnern. daß wir dort heute bereits wieder einen Saalschutz, gestiefelt und gespornt, vorfinden,

(Hört! Hört! bei der SPD)

um damit aufzuzeigen, daß die arbeitslosen Flüchtlinge einem politischen Nihilismus äußerst gefährlicher Art verfallen können, einem Nihilismus, der sich gegen jede Art Staat wendet. Der Herr Bundesminister Lukaschek könnte dafür zeugen, wie bei seinen Flüchtlingsversammlungen in Lübeck sich diese Art Nihilismus deutlich gekennzeichnet hat.
So kommen wir zu der Feststellung, daß Flüchtlingsnot und Arbeitslosennot eine staatspolitische Gefahr bedeuten, die — und das ist die erste These, die ich Ihnen hier anmelden möchte — von der Bundesregierung gebannt werden muß.
Meine Damen und Herren, die augenblicklich vorgesehene Umsiedlung von 300 000 Flüchtlingen kann von den Flüchtlingsländern nur als eine erste Abschlagszahlung gewertet werden. Wir erwarten baldigst weitere Vorschläge. Dabei sollte man auch, wie vorhin bereits ausgeführt worden ist, an die Durchführung der verfassungsmäßig gewährleisteten Freizügigkeit denken. Aber diese Freizügigkeit darf nicht dazu führen, daß die Arbeitskräfte in andere Länder abwandern und die Flüchtlingsländer, wie Schleswig-Holstein, zu den Armenhäusern des Bundes werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der BP.) Nur dann, wenn diese Freizügigkeit gleichzeitig alle Familienmitglieder umfaßt, kann sie zu dem gewünschten Effekt führen. Heute haben wir in Schleswig-Holstein wie in allen Flüchtlingsländern sowohl — und das darf ich hier ganz be-



(Dr. Preller, Bundesratsmitglied)

sonders betonen — eine strukturelle als auch eine konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Wir können die Dinge in Schleswig-Holstein sehr genau verfolgen. Bis zum Dezember 1948 etwa wuchs die strukturelle Arbeitslosigkeit, und erst dann, mit den anderen Ländern zusammen, kam die Arbeitslosigkeit auf der Grundlage der Konjunktur des Jahres 1949.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß Schleswig-Holstein allein schon durch den Wegfall seiner Rüstungsindustrie, seiner Marinewerften usw. im Jahre 1945 einen Verlust von 120 000 Arbeitsplätzen von damals 450 000 Arbeitsplätze hinaus sich ein weiterer Bedarf hatte. Zu diesem Verlust kamen nun die 1,2 Millionen Flüchtlinge zusätzlich zu den 1,5 Millionen Einheimischen. Das bedeutet, daß mit diesen Flüchtlingen über die bereits verlorenen 120 000 Arbeitsplätze hinaus sich ein weiterer Bedarf von mindestens 300 000 Arbeitsplätzen ergab, um diese 1,2 Millionen Flüchtlinge ernähren zu können. Wir haben in Schleswig-Holstein seit der Kapitulation etwa 200 000 Arbeitsplätze wieder schaffen können. Aber es bleibt immer noch ein Rest von weiteren 200 000 Arbeitsplätzen, und selbst wenn die Mindestforderung unseres Landes auf Umsiedlung von insgesamt 300 000 Flüchtlingen erfüllt wird, wird es immer noch erforderlich sein, die Zahl der Arbeitsplätze für die verbleibenden Flüchtlinge mindestens um 100 000 oder um ein Sechstel der heute vorhandenen Arbeitsplätze zu vermehren. 100 000 Arbeitsplätze bedeuten, wenn wir nach der Faustregel mit 5000 Mark je Arbeitsplatz gehen, daß wir Investitionsmittel in Höhe von 500 Millionen Mark benötigen, um in Schleswig-Holstein nach Abzug von 300 000 Flüchtlingen den Rest der Flüchtlinge in Arbeit und Brot bringen zu können.
So ergibt sich die zweite These: Die Arbeitslosigkeit in einem Flüchtlingslande wie Schleswig-Holstein zu bekämpfen, heißt Arbeitsplätze zu schaffen. Die veränderte Bevölkerungsstruktur gebietet demnach, auch wenn eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge durchgeführt ist, einen Wirtschaftsaufbau, der der so anderen Bevölkerungsstreuung des gesamten Bundesgebietes endlich einmal Rechnung trägt. Meine Damen und Herren! Es ist eine Utopie, zu glauben, daß die überkommenen Konzentrationspunkte der deutschen Industrie alle 8 Millionen Flüchtlinge des Bundes in ihrem Gebiet aufsaugen könnten; das ist mehr, als diese überkommenen Konzentrationspunkte leisten können. Deshalb ist die, wie ich weiß, gelegentlich angefochtene Parole nach meiner Auffassung durchaus richtig, nämlich zu sagen, daß wir den in den Flüchtlingen brachliegenden Arbeitshänden die Arbeit entgegenbringen müssen. Daß dies möglich ist, daß auch bei Fehlen einer eigenen Rohstoffbasis ein Wirtschaftsaufbau denkbar ist, zeigt die hundertjährige Geschichte der Gewerbeförderung in Württemberg, das vor 100 Jahren ebenfalls ein Land ohne Rohstoffbasis 'eigener Art war. Wir haben in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr mit den eben genannten 200 000 geschaffenen Arbeitsplätzen ähnliche Erfahrungen machen können. Flüchtlings- und Arbeitslosennot in diesen Flüchtlingsländern verlangen daher aus zwingenden volkswirtschaftlichen Gründen nach einer Zuführung von Kapital.
Daraus ergibt sich die dritte These, daß nämlich Kapitalsammlung und Kapitallenkung gerade
aus dem Problem der Flüchtlingsnot heraus zwingend erforderlich sind. Alle Flüchtlingsländer sehen den gleichen Prozeß vor sich: sie können aus ihrem Land das erforderliche Kapital selbst nicht bilden und sind aus diesem Grunde auf die großen Kapitalsammlungsstellen angewiesen. Deshalb wird ein Land wie Schleswig-Holstein sich jederzeit für den Anreiz zum Sparen bei den Kapitalsammlungsstellen einsetzen, etwa in der Steuergesetzgebung, die nicht die Eigenkapitalbildung und Eigenverwendung dieses Kapitals in den Betrieben und Ländern begünstigen darf, sondern die Fremdkapitalbildung bei den Kapitalsammlungsstellen; denn nur über diese Stellen hinweg kann das Kapital in die betroffenen Länder und an die Arbeitsstätten gebracht werden. Dadurch würden erst die Gefahren der volkswirtschaftlichen Fehlinvestitionen vermieden werden können, sei es bei den Ländern oder sei es bei den einzelnen Betrieben.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Aber aus diesem Grunde ist es wirtschaftspolitisch auch dringend notwendig, daß alle Bundesinstanzen — die Bundesregierung, der Bundestag und den Bundesrat — einen Einfluß auf die zentralen Bankinstitute gewinnen, denn nur mit diesem Einfluß der Bundesinstanzen dürfte es möglich sein, die erforderliche Kapitalsammlung und Kapitallenkung durchzuführen. Es ist dann Sache der Bundesinstanzen, das auf diese Weise bei den Banken und Sparinstituten gesammelte Kapital volkswirtschaftlich richtig, das heißt nicht nur allein in die Länder mit wirtschaftlicher Intensität, sondern auch in die Länder der Arbeitslosigkeit und des Flüchtlingszustroms zu leiten und zu lenken. Insofern kommen wir um eine gewisse Kapitallenkung schlechterdings nicht herum.
Das Interesse aller Flüchtlingsländer, aber auch der künftigen Aufnahmeländer in der französischen Zone etwa ist auf diesem Gebiete vollkommen gleich. Es sollte deshalb gerade auch im Interesse der Arbeitslosen vor einer vorsichtigen Kreditschöpfung nicht zurückgescheut werden. Wir haben es doch erlebt, daß eine Ausweitung der Kredite für das, ich möchte sagen, Importfieber der letzten Monate möglich gewesen ist. Warum sollte auch nicht für die Finanzierung der Aufträge der Investitionsgüterindustrie ein ähnlicher Weg gangbar gemacht werden? Was ist Münzgewinn denn anderes als Kreditausweitung? Ich glaube, wir sollten uns alle an die Erfahrungen der Jahre vor 1932 erinnern. Wer die Dinge miterlebt hat, der hat die Unschlüssigkeit gesehen, die damals dazu führte. daß wir einen politischen Zusammenbruch in der sogenannten ,,Machtübernahme" erlebten. Haben wir diesmal den Mut zum entschlossenen Handeln. denn darum handelt es sich beim Arbeitslosenproblem. Diese notwendige Folgerung aus der Situation ein es Flüchtlingslandes wie SchleswigHolstein trifft die Kapitallenkung für das Kapital auf dem deutschen Markt wie für die ERP-Länder gleichermaßen.
Ich möchte dabei bemerken, daß die Verteilung der ERP-Gelder vom Standpunkt der Flüchtlingsländer aus leider häufig enttäuschen mußte.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Wenn nach dem Invesfitionsplan des Wirtschaftsministeriums jährlich 10 Milliarden DM als Kapital im Bundesgebiet eingesetzt werden sollen, so macht es das Interesse der Arbeitslosen in den Flücht-


(Dr. Preller, Bundesratsmitglied)

lingsländern zwingend notwendig, daß ein angemessener Teil dieser Kapitalien in die Länder der Arbeitslosigkeit gegeben wird. Wir haben vom Herrn Bundeskanzler vorhin gehört, daß ein Teil der in Aussicht genommenen Gelder in die Flüchtlingsländer gegeben werden soll. Aber, wenn ich den Investitionsbedarf Schleswig-Holsteins allein bereits mit 500 Millionen DM vorhin angeben mußte, so werden Sie mir zugeben, daß wir als drei Flüchtlingsländer die 300 Millionen DM selbstverständlich sehr dankbar begrüßen, daß wir uns aber bewußt sein müssen, daß damit erst ein Anfang der erforderlichen Lenkung des Kapitals in diese Flüchtlingsländer gemacht werden kann. So sind Sofortmaßnahmen in denjenigen Fällen erforderlich und möglich, in denen vorhandene, aber nur teilweise ausgenützte Produktionskapazitäten und vorliegende Aufträge eben wegen des Fehlens von Finanzierungsmöglichkeiten, zum Teil auch nur wegen des Fehlens von Überbrückungskrediten nicht in Beschäftigung überführt werden können.
Ich möchte Ihnen dies als einen praktischen Beitrag geben, wie die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern überwunden werden kann. Solche Möglichkeiten liegen vornehmlich im Schiffsbau vor. Bei diesem Schiffsbau wird ja außerdem gleichzeitig eine erhebliche Einsparung von Devisen erreicht, bzw. es werden Verdienstmöglichkeiten für Devisen erschlossen. Es ist dringend notwendig, daß in den Küstenländern der Schiffs- bau eine ganz andere Priorität erhält, als er bisher hatte. Der Schiffsbau muß endlich neben dem Berg- und Wohnungsbau in die erste Priorität gebracht werden. Wenn ich diese Möglichkeit den anderen denkbaren Maßnahmen voranstelle, so deshalb, weil Schleswig-Holstein nicht nur am Ausbau der Handelsschiffahrt interessiert ist, sondern weil wir in Schleswig-Holstein nicht weniger als etwas über 30 Prozent der Werftkapazität des Bundes zur Verfügung stellen können und uns dazu allerdings auch für verpflichtet halten.
Weitere Möglichkeiten, wie sie zum Beispiel mit der Modernisierung unserer Eisenbahn und mit der Elektrizitäts- und Gasversorgung zusammenhängen, sind in allen Flüchtlingsländern vorhanden. Insbesondere ist die Erweiterung und Verbesserung der Elektrizitäts- und Gasversorgung mit ihren Arbeitsbeschaffungsmöglichkeiten für die Intensivierung unserer Landwirtschaft erforderlich, die gerade in den Flüchtlingsländern besonders zu Hause ist. Bei der Verteilung dieser Mittel ist weiter die im Hinblick auf das Auslaufen des Marshallplans im Jahre 1952 unerläßliche Rationalisierung und Verbesserung unseres Produktionsapparates vordringlich zu berücksichtigen. Wir haben in Schleswig-Holstein — etwa dort, wo die Marinewerften eingegangen sind - hervorragende Fachkräfte in Kiel und in Lübeck und können nun im Anschluß an diese Fachkräfte wie an das gewachsene einheimische Gewerbe einen Ausbau der gewerblichen Stätten vollziehen, das heißt die Arbeitsplätze vermehren, und damit können wir gleichzeitig die schon immer in Schleswig-Holstein vorhandene Tendenz zum Export nach den nordischen Ländern verstärken.
Wir benötigen — und das ist die Quintessenz dieser Ausführungen - in einem Flüchtlingslande wie Schleswig-Holstein nicht allein Investitionkredite, sondern auch Betriebsmittelkredite, um unsere Betriebe überhaupt am Leben erhalten zu können. Es gehört weiter ein Ausbau der Verkehrswege im Lande und nach diesen Exportländern des Nordens dazu, weiterhin eine höhere Quote für den Wohnungsbau für die verbleibenden Flüchtlinge und für die Einheimischen. In einem Lande wie Schleswig-Holstein sind die Flüchtlingsbetriebe in erster Linie als Klein- und Mittelbetriebe im Entstehen begriffen, und für diese Flüchtlingsbetriebe sind Globalkredite an die dafür geschaffenen Institute des Landes unerläßlich.
Wenn ich in dieser Weise den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in den Flüchtlingsländern in erster Linie als einen Kampf gegen die strukturelle Arbeitslosigkeit, das heißt als ein Eintreten für die Schaffung dauernder Arbeitsplätze erkenne, so muß gleichzeitig darüber hinaus die akute Not der schwergeprüften Bevölkerung durch entsprechende Maßnahmen zu beheben versucht werden. Ich habe das Programm der Bundesregierung dahin verstanden, daß sie dauerhafte Arbeitsplätze schaffen will, und nur, wenn wir dies tun, können wir echt die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber wir sind uns darüber im klaren, daß wir, bis diese Maßnahmen einsetzen, in den Ländern mit der hohen Anhäufung von Arbeitslosigkeit von 30 Prozent in der Zwischenzeit auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Sinne von Notstandsarbeiten durchführen müssen. Die Arbeitslosen müssen in diesen Ländern bei der politischen Gefahr, die ich gekennzeichnet habe, rasch sichtbar erkennen, daß man an den verantwortlichen Stellen gewillt ist, ihrer Not Herr zu werden.
Dazu gehört nun etwas, was vorhin bereits kurz angesprochen worden ist, das sind die Maßnahmen gegen die allerschlimmste Seite der Arbeitslosigkeit, nämlich gegen die Not der schulentlassenen Jugend. Diese Zahlen erhöhen sich in den nächsten Schulabgangsjahrgängen in erschreckender Weise, sie verdoppeln sich und verdreifachen sich bis zum Jahre 1953. Das sind Probleme, die wir nicht mit der leichten Hand abtun können; denn dahinter steht eine schwere sittliche und moralische Not dieser jungen Menschen. Es ist schon schwer, wenn ein erwachsener Mensch in die Arbeitslosigkeit kommt, aber wenn ein junger Mensch aus seiner Schule herauskommt und im Augenblick überhaupt keine Möglichkeit sieht, in eine Arbeit und in einen Beruf hineinzukommen, so ist das das Schlimmste, was einem Volk überhaupt passieren kann.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Bei uns liegen die Dinge so, daß wir etwa in unserem Lande die Hälfte der schulentlassenen Jugend von 1949 nicht in Lehre oder Arbeit bringen konnten.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das sind 20 000 junge Menschen, die in diesem Lande in diesem Jahr auf der Straße lagen, und diese 20 000 vermehren sich Ostern 1950 in unserem Lande auf nicht weniger als 45 000 junge Menschen, die keine Lehre oder Arbeit finden werden - neben den 25 000, denen wir Lehre und Arbeit geben können. Wenn mehr als das Doppelte der jungen Lehrlinge künftig — Ostern 1950 — keine Lehre und Arbeit finden werden, so kann man sich das Elend dieser jungen Menschen und auch die Gefahren vorstellen, denen diese jungen Menschen in den nächsten Jahren entgegengehen. Es ist ganz selbstverständlich, daß


(Dr. Preller, Bundesratsmitglied)

dieses Problem in allererster Linie durch die Schaffung von Lehr- und Arbeitsstellen überwunden werden muß. Aber die Anhäufung der jungen Schulabgänger in den nächsten Jahren ist so groß, daß — in jenen Flüchtlingsländern zum mindesten — keine Aussichten bestehen, alle jungen Menschen in Lehre und Arbeit bringen zu können.
Wir versuchen in unserem Lande — und ich weiß, daß Niedersachsen und Bayern das gleiche tun — in Ausbildungswerkstätten auszubilden. Aber diese jungen Menschen müssen eines Tages dann auch in andere Länder hinüberwandern können. In der Zwischenzeit aber können wir diese jungen Menschen nicht verkommen lassen, und das ist der Grund, weshalb wir in Schleswig-Holstein ein Jugendaufbauwerk eingerichtet haben, das eine pädagogische Einrichtung ist, um diese jungen Menschen, die aus der Individualitätsentwicklung der Schule kommen, nun wenigstens auf diese Weise mit Notmaßnahmen in die Gemeinschaft einfügen zu können.

(Abg. Rische: Arbeitsdienst!)

— Das ist kein Arbeitsdienst, sondern das ist eine pädagogische Maßnahme, um die man, verantwortungsbewußt, nicht herumkommen kann.

(Abg. Rische: Haben wir schon einmal erlebt!)

Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren, die Ausführungen dazu über die Fraktionen zugehen lassen, und ich bitte Sie, sich zu überzeugen, daß man auf diesem Wege mindestens prüfen muß, was für die Jugend zu geschehen hat. Ich möchte nur eines erwähnen. In diesen Jugendaufbauwerken ist es bei den geschlossenen Maßnahmen fast die Hälfte der jungen Menschen, die dort das erstemal in ihrem Leben in einem eigenen Bett schlafen können. So sind die Verhältnisse in unserem Lande.
Meine Damen und Herren! Mein Appell klingt aus mit dem Wunsche, daß Sie erkennen mögen. wie brennend wir in einem Lande wie Schleswig-Holstein an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit interessiert sind. Es kann und darf diesem Hohen Hause nicht gleichgültig sein, wenn in einem Lande, das 1932 schon einmal die schwarze Fahne, Aufruhr und Staatsfeindschaft gezeigt hat, die Arbeitslosigkeit jeden dritten Arbeitsfähigen erfaßt hat. Die Arbeitslosigkeit Schleswig-Holsteins hat heute bereits die Ausmaße erreicht, wie sie in Gesamtdeutschland 1932 vorhanden waren, und hat diese Ausmaße mit 40 und mehr Prozent in einzelnen Kreisen bereits überschritten. Diese Arbeitslosigkeit besteht in einem Lande, dessen wirtschaftliche und soziale Widerstandskräfte durch dieses Nachkriegsschicksal sehr stark geschwächt sind. Die wirtschaftliche und die soziale Situation Schleswig-Holsteins ist durch diese unerhörte Arbeitslosigkeit zum Zerreißen gespannt. Ich bitte Sie namens der schleswig-holsteinischen Regierung, bei Ihren Erörterungen und Beschlüssen zu bedenken, daß, wenn ein Glied einer wirtschaftlichen und sozialen Kette zerbricht, die gesamte Sozialwirtschaft des Bundes gefährdet ist. Befreien Sie, meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein davon, die Hauptstempelstelle des Bundes zu bleiben.

(Bravo! bei der SPD und CDU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103602100
Das Wort hat der Bundesratsbevollmächtigte des Landes Bayern, Herr Minister Dr. Seidel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103602200
Meine Damen und Herren! Meine Regierung hat mich gebeten, heute vor dem Hohen Hause zu sprechen. Ich werde Ihre Aufmerksamkeit nicht sehr lange in Anspruch nehmen. Ich werde auch nicht auf das eingehen, was heute von Herrn Professor Dr. Nölting und Herrn Professor Dr. Erhard gesagt worden ist. Aber eine Bemerkung möchte ich mir doch zu dem angeschnittenen Fragenkomplex erlauben.
Die moderne Kredittheorie hat uns sicherlich mit Erkenntnissen bereichert, die uns noch in den Jahren 1931/32, als wir vor einer ähnlichen Krise standen, nicht zur Verfügung standen. Aber ich bin der Auffassung, daß diese Theorie ökonomischer Natur ist und daß es zwecklos ist, aus ihr irgendein politisches Kapital schlagen zu wollen. Man muß sich mit dieser Theorie auseinandersetzen. Man sollte sich jedoch in einem Zeitpunkt und in einer Situation, wie wir sie augenblicklich vor uns haben, nicht allzusehr von der Doktrin leiten lassen. Wir in Bayern sind der Auffassung, daß die Arbeitslosigkeit überall da angepackt werden muß, wo sie angepackt werden kann.

(Sehr gut!)

Wir haben in Bayern dazu allen Anlaß. Innerhalb von 10 Wochen ist die Arbeitslosigkeit bei uns von einem Stand von 367 000 auf 526 000 angestiegen; dazu kommen noch 42 000 Kurzarbeiter. Sicherlich, bei uns in Bayern ebenso wie in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen ist diese Arbeitslosigkeit in der Hauptsache strukturell bedingt. Der Überblick über die Entwicklung und Verteilung der Arbeitslosigkeit im ganzen Bundesgebiet zeigt aber, daß es sich auch hier im wesentlichen um ein strukturelles Problem und um eine Krise der landwirtschaftlichen und gemischtwirtschaftlichen Bezirke handelt. In diesen Bezirken mit massierter Arbeitslosigkeit war die Wirtschaft einfach nicht in der Lage, den fast schlagartigen Zuwachs an Arbeitskräften aufzusaugen. Ein illustratives Beispiel ist das Land Rheinland-Pfalz und auf der Gegenseite Württemberg-Baden. Das Land Rheinland-Pfalz, das bisher keine Flüchtlinge aufzuweisen hatte, hat eine größere Arbeitslosendichte als Württemberg-Baden, das rund 700 000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Der Grund ist sehr einfach. Die leistungsfähige gewerbliche Wirtschaft Württemberg-Badens war imstande, den Zuwachs an Arbeitskräften aufzusaugen, während Rheinland-Pfalz seine wirtschaftliche Kapazität nicht entsprechend ausweiten konnte.
Unter den Gebieten mit überdurchschnittlicher Erwerbslosigkeit befinden sich solche, die schon unter normalen Verhältnissen infolge mangelnder Aufnahmefähigkeit der Gesamtwirtschaft ihre einheimischen Arbeitskräfte im Wege der Auswanderung, der Binnenwanderung, der Saisonwanderung und der Pendelwanderung in Gebiete mit ausreichender Aufnahmefähigkeit abgeben mußten. Bei uns in Bayern waren dies der Bayerische Wald, Teile der Oberpfalz, der Spessart und die Rhön. In diesen Gebieten, die heute noch zusätzlich mit einer unverhältnismäßig großen Zahl von Flüchtlingen belegt sind, dürfte das Arbeitsbeschaffungsproblem auch bei Einsatz aller denkbaren Mittel durch lokale Maßnahmen überhaupt nicht zu lösen sein. Hier muß unter allen Umständen die Auflockerung der Bevöl-


(Dr. Seidel, Bundesratsmitglied)

kerungsdichte durch Abzug von Arbeitskräften, insbesondere im Wege des Flüchtlingsabzugs, ins Auge gefaßt werden. Ich habe deshalb mit Befriedigung gehört, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet zu einer gesetzlichen Regelung vorstoßen will.

(Zuruf von der BP: Aber ungenügend!)

Die Erfahrungen der früheren Arbeitskrisen zeigen uns, daß solche Katastrophen nur durch stärkste aktive Konjunkturpolitik bekämpft werden können.

(Abg. Strauss: Sehr richtig!)

Hierbei muß als das wichtigste Mittel die Ausweitung der wirtschaftlichen Kapazität vor allem im Wege der Investitionen angesehen werden. Diese Verbreiterung der Aufnahmefähigkeit der Wirtschaft verbürgt auf die Dauer allein die Beseitigung des Mißverhältnisses zwischen Bevölkerungsdruck und Arbeitsmöglichkeit.
Bayern hat seit dem Zusammenbruch in zunehmendem Maße den Weg der Industrialisierung aus der Erkenntnis beschritten, daß die Landwirtschaft allein den Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre niemals aufnehmen kann. Der Industrialisierung Bayerns sind aber Grenzen gezogen. Die Industrialisierung ist in unserem Lande schwerer durchführbar als in den meisten anderen deutschen Ländern. Vorbild könnte die wirtschaftliche Struktur von Württemberg sein. Dieser Endzustand kann aber bei uns nur in mühsamer Arbeit und in sehr langen Zeiträumen erreicht werden. Einer forcierten Industrialisierung Bayerns stehen hauptsächlich folgende Hindernisse entgegen. Die im Vergleich zu anderen deutschen Ländern wesentlich ungünstigere Wettbewerbslage der bayerischen Wirtschaft verhindert einmal die Ausweitung der bereits ansässigen Industrie und gibt zum andern keinen ausreichenden Anreiz für den Zuzug neuer Betriebe. Die politischen Grenzverhältnisse im Norden und Osten Bayerns sind ein weiterer Hinderungsgrund. Erfahrungsgemäß siedelt sich eine Industrie nicht gern an solchen Grenzen an. Drittens machen die ungünstigen Rentabilitätsverhältnisse der bayerischen Wirtschaft eine ausreichende Kapitalaufbringung zur Selbstfinanzierung der notwendigen Investitionen unmöglich. Und schließlich: in gleicher Weise macht die aus der geringen Steuerkraft der bayerischen Wirtschaft sich ergebende Finanzschwäche des bayerischen Staats den Einsatz ausreichender Staatsmittel für die Industrialisierung unmöglich.
Sie werden mich fragen, warum ich Ihnen hier in Bonn diese Dinge erzähle. Ich erzähle sie Ihnen deshalb, weil daraus nicht nur im Interesse des Landes Bayern, sondern auch im Interesse der beiden übrigen Hauptflüchtlingsländer von der Bundesregierung gewisse Schlußfolgerungen gezogen werden müssen.

(Zuruf rechts: Gezogen werden! — Abg. Strauss: Müssen!)

Diese Schlußfolgerungen sehe ich in der Ergreifung folgender Maßnahmen. Da die Verteilung von Investitionskapital nach den bisher gebräuchlichen Methoden oder Schlüsseln in keiner Weise dem Bedürfnis der Krisengebiete, also der Hauptflüchtlingsländer, Rechnung trägt,

(Sehr richtig! bei der BP)

müssen wir unter allen Umständen fordern, daß
alle verfügbaren Mittel des Kapital- und Geld-
marktes, Bundesmittel, ERP-Gegenwerte, Bankkredite usw., in verstärktem Maße auf diese Notgebiete konzentriert werden.

(Sehr gut! bei der BP.)

Wir sind uns klar darüber, daß das nicht sehr einfach ist; aber es muß geschehen, wenn nicht der Zustand herbeigeführt werden soil, den vorhin mein Kollege Preller aufgezeigt hat, nämlich der Zustand, daß sich in einigen Gebieten, in denen wir eine starke Wirtschaft zur Verfügung haben, eine in etwa normale Wirtschaft entwickelt, aber um diese Gebiete herum die Armenhäuser des Bundes mit allen Folgen entstehen.

(Zustimmung bei der CSU und BP.)

Die zweite Forderung, die wir zu stellen haben, ist folgende. Es muß unter allen Umständen dafür gesorgt werden, daß bereits bei der in Gang befindlichen Verteilung der freigegebenen ERPMittel von 600 Millionen D-Mark die Hauptflüchtlingsländer besonders berücksichtigt werden. Wir wissen, daß nicht überall in den einzelnen Ländern die zugebilligten Gegenwerte und Kredite auch tatsächlich abgerufen werden. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Anträge bereits über ein Jahr alt sind und daß sich bei manchen Betrieben, die solche Anträge gestellt haben, die Verhältnisse inzwischen grundlegend geändert haben, daß ein Teil dieser Betriebe gar kein Interesse mehr an diesen Krediten hat. Solche ausfallenden Projekte müssen nach unserer Auffassung durch Projekte aus den Flüchtlingsländern ersetzt werden. Weiter sollten Projekte der Flüchtlingsländer, die zwar noch nicht in der ECA-Genehmigungsliste, jedoch in der Kapitalmarktempfehlungsliste enthalten sind, bevorzugt aus den Anleiheerlösen der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Darlehen versehen werden.
Wir haben mit Befriedigung gehört, daß die Bundesregierung für die drei Hauptflüchtlingsländer einen Betrag von 300 Millionen DM zur Verfügung stellen will. Wir wissen, daß dieser Betrag allein nicht ausreicht. Er ist aber für uns ein Ansporn, in unserer Arbeit fortzufahren, die Arbeitslosigkeit dadurch zu bekämpfen, daß wir möglichst viele bereits vorhandene Arbeitsplätze wieder zu richtigen Arbeitsplätzen machen oder aber neue Arbeitsplätze besorgen. In Bayern beträgt der Anteil der Flüchtlinge an der Erwerbslosigkeit 40 °/o,
Die Tatsache, daß sich der Bundestag vielleicht etwas spät, immerhin aber mit diesem schwerwiegenden Problem heute beschäftigt, ist für uns in den Ländern erfreulich. Man sollte sich im Bundestag an die Not der Hauptflüchtlingsländer immer erinnern, wenn gesetzgeberische Maßnahmen erwogen oder beschlossen werden.

(Beifall.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103602300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sabel.

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0103602400
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach den uns vorliegenden statistischen Unterlagen wurden Ende Januar fast 1,9 Millionen Arbeitslose in der westdeutschen Bundesrepublik gezählt. 489 000 davon, also fast eine halbe Million, waren Frauen. Ich gebe zu: die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Monaten gibt Anlaß zu Besorgnis. Sie muß auch zu ernstlichen Überlegungen darüber führen,


(Sabel)

welche Maßnahmen zweckmäßig sind, diese Arbeitslosigkeit einzuengen. Allerdings darf diese ernste Besorgnis nicht mit einer Katastrophenstimmung verwechselt werden. Das sage ich mit aller Deutlichkeit. Ich bin der Meinung, man sollte von einer Betrachtungsweise dieses Problems Abstand nehmen, die auf ein gewisses Agitationsbedürfnis zugeschnitten ist.

(Zuruf von der SPD: Ach, reden Sie doch nicht!)

- Niemand sollte die Arbeitslosigkeit zu einer
billigen Agitation mißbrauchen. Ich sage ganz
offen: Ich habe es bedauert, daß Herr Prof.
Nölting diesem mir so wesentlich erscheinenden
Grundsatz eigentlich nicht ganz entsprochen hat.

(Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und einzuengen, nicht nur Sache der Regierung und der Regierungsparteien ist. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß sich alle, auch alle in diesem Haus, um diese Angelegenheit ernstlich kümmern sollten.

(Zuruf von der SPD: Na also! Warum Agitation?)

— Entscheidend ist die Art. Der Ton macht die Musik, Herr Kollege.

(Abg. Schoettle: Manche Leute haben ein etwas anderes Tongefühl!)

— Mag möglich sein, Herr Kollege Schoettle!
Was die Entwicklung der Arbeitslosigkeit betrifft. so scheint mir notwendig zu sein. doch darauf hinzuweisen, daß wir bei Beginn der Währungsreform immerhin 500 000 Arbeitslose hatten zu einer Zeit. als wir fast 700 000 offene Arbeitsplätze nicht besetzen konnten. Die offenen Arbeitsplätze betrugen damals etwa 150 Prozent der Arbeitslosenziffer. Das müßte uns doch zeigen, daß hier besondere Schwierigkeiten vorhanden sind, die jedenfalls anders liegen, als es von Herrn Professor Nölting dargestellt wurde. Bis Ende Dezember 1948 stieg dann die Arbeitslosigkeit auf rund 760 000. die Zahl der offenen Arbeitsplätze sank allerdings auf 225 000, das sind nur noch 30 Prozent der Ziffer der Arbeitslosen. Ende Dezember 1949 betrug die Zahl der offenen Stellen nur noch 5 Prozent der Arbeitslosenziffer. Die Tatsache, daß schon bei Beginn der Währungsreform etwa eine halbe Million Arbeitslose vorhanden waren, deutet die Schwierigkeiten an. Unter ihnen waren zunächst einmal Menschen, die nicht voll einsatzfähig waren. Angehörige von Berufen, für die es keine Arbeitsplätze gab. Der größere Teil waren Arbeitskräfte, die wegen ihres ungünstigen Wohnsitzes nicht in ein Arbeitsverhältnis gebracht werden konnten. Bei diesen Überlegungen müssen wir allerdings auch immer den Beschäftigtenstand berücksichtigen. Es ist nicht zu leugnen, daß er sich vorn Juni 1948 bis zum 30. September 1949 um 136 000 erhöht hat. Gegen Ende des Jahres wurden noch 88 000 Arbeitsplätze mehr registriert als bei Beginn der Währungsreform. Richtig ist, daß der Zuwachs an Arbeitsplätzen im wesentlichen Arbeitsplätze für Frauen betroffen hat, die Ende September immerhin mit etwas über 4 Millionen an diesen 13,6 Millionen beteiligt waren.
Ich darf auf eine Tatsache hinweisen, die jedem bekannt ist, der sich mit den Dingen länger beschäftigt hat. Der wirkliche Zuwachs an Arbeitskräften ist ja beachtlich größer, als es hier aus den Zahlen ersichtlich ist, denn ich darf Sie darauf hinweisen, daß doch in der amtlichen Statistik damals sehr viele Menschen als beschäftigte Arbeitnehmer geführt wurden, die in Wirklichkeit in einem getarnten Arbeitsverhältnis steckten. Ich glaube, das ist eine Tatsache, die uns doch noch bekannt sein dürfte. Diese Menschen sind nun auch aufgesogen worden: sie sind in ein normales Arbeitsverhältnis herübergewechselt.
Kurz noch zu den Andeutungen über die Produktionsentwicklung. Es ist heute ja schon einmal gesagt worden, aber ich möchte es noch einmal kurz darstellen: Gegenüber 1936 ist es doch praktisch so, daß wir vor der Währungsreform mit einer Produktion rechnen konnten, die bei 40-50 % der Normalproduktion lag, und daß wir bis Dezember immerhin einen Anstieg zu verzeichnen hatten in einem Ausmaß von etwa 95 % der Normalproduktion von 1936. Ich glaube, daß mit diesen Angaben allein die Behauptung widerlegt ist, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sei die Ursache der Arbeitslosigkeit. Ich glaube, daß Herr Professor Nölting von seinen Darlegungen selbst nicht ganz überzeugt ist. Ich sage Ihnen in aller Offenheit, meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß eine andere Wirtschaftspolitik zu einer größeren Arbeitslosigkeit geführt hätte. Das ist unsere Überzeugung. Nun, wenn man hier schon sagt. daß die Darstellung falsch ist, daß die Wirtschaftsform an der Steigerung der Arbeitslosigkeit schuld ist, dann muß man natürlich versuchen, die wirklichen Gründe einmal darzulegen.
Ich möchte nicht weiter auf die wesentlichste Ursache eingehen, auf die Zuwanderung und Einschleusung der Ostvertriebenen. Es ist darüber hier schon manches gesagt worden, und ich freue mich. daß Herr Professor Preller auch in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, daß die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ihren wesentlichen Grund eben in dem Zustrom dieser 71/2 Millionen Ostvertriebenen haben. Es ist doch so, daß durch diesen Zustrom das Problem so verschärft wurde, daß es einem manchmal als kaum lösbar erscheint. Es ist richtig, daß ein großer Teil der Ostvertriebenen inzwischen in einem Arbeitsverhältnis untergebracht werden konnte. Allerdings muß man darauf verweisen, daß ein großer Teil fremdberuflich eingesetzt ist und daß ein anderer Teil wohl in seinem Beruf eingesetzt, aber in einer anderen sozialen Stellung beschäftigt ist. Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die Ostvertriebenen einen überaus hohen Anteil an der Arbeitslosenzahl haben. Es waren — ich möchte es noch einmal bemerken — am 31. Dezember des vergangenen Jahres 546 000 Personen, das sind 36.3 % von den Gesamtarbeitslosen. In Schleswig-Holstein waren es 58,5 % von den vorhandenen Arbeitslosen, in Niedersachsen 43,4 und in Bayern 39,9 %.
Ich darf hier auf eine Bemerkung hinweisen, die vor einigen Tagen der Leiter des Büros für Arbeitsfragen beim amerikanischen Hohen Kommissar machte. Er sagte, das Problem der Arbeitslosigkeit werde durch den ständigen Zustrom von Flüchtlingen erschwert, weshalb es nur in Verbindung mit dem Flüchtlingsproblem gelöst werden könne. Ich darf dabei auf den ständiger Zustrom der Ostzonen-Flüchtlinge hinweisen. Ich kann mich erinnern, daß von den Innenministern


(Sabel)

der betroffenen Länder wiederholt gesagt wurde, daß täglich 600 bis 1000 Flüchtlinge aus der Ostzone in Westdeutschland einströmen. Diese sind zum Teil in Arbeitsverhältnissen, die nicht registriert sind, weil so mancher von diesen Ostflüchtlingen nicht die Zuzugsgenehmigung erhält, aber trotzdem illegal in den Westzonen verbleibt und nun zur Sicherung seiner Existenz versucht, irgendeinen Arbeitsplatz zu erhalten. Es ist geschätzt worden, daß wir etwa einen Einstrom von insgesamt, alles in allem gerechnet, 3,7 Millionen Arbeitnehmern in die Westzonen hatten und daß davon doch etwa 2,7 Millionen Beschäftigung finden konnten. Die Situation in den Aufnahmeländern der Flüchtlinge kann ich auch noch durch folgende Zahlen illustrieren: In den drei Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, die etwa 38 % der westdeutschen Bevölkerung umfassen, sind 65 % der Arbeitslosen vorhanden, und in den vier Ländern, die arbeitsmarktpolitisch gesehen am günstigsten stehen, Nordrhein-Westfalen, Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern, mit insgesamt 19,3 Millionen Einwohnern haben wir nur einen Anteil von 20 % der Arbeitslosen. Auch hier sehen Sie wiederum den ursächlichen Zusammenhang der Arbeitslosigkeit mit dem Problem der Ostvertriebenen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß auch durch die erfreuliche Tatsache der Entlassung von einigen Hunderttausend Kriegsgefangenen auf der anderen Seite die Situation auf dem Arbeitsmarkt erschwert wurde. Der größte Teil der Heimkehrer konnte in einem Arbeitsverhältnis untergebracht werden. In manchen Fällen allerdings mußte ein anderer Platz machen und wurde arbeitslos.
Dann wollen wir nicht vergessen, daß der Kreis der Bewerber um Arbeitsplätze nach der Währungsreform doch sehr stark ausgeweitet wurde, und zwar durch Personen, die vor der Währungsreform auf eine Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis nicht angewiesen waren. Es handelt sich um Personen, die eben durch die Währungsreform ihre Existenzgrundlage verloren haben und nun gezwungen sind, durch die Annahme eines Arbeitsplatzes sich wieder eine neue Existenzgrundlage zu verschaffen. Dieser Personenkreis ist beachtlich groß und hat ebenfalls dazu beigetragen, die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zu komplizieren. Gerade aus der Steigerung der Zahl der beschäftigten weiblichen Arbeitnehmer ist erkennbar, wie stark der Zustrom aus diesem von mir eben genannten Personenkreis auf den Arbeitsmarkt ist.
Und nun möchte ich noch eine Sache andeuten, die mir auch sehr wichtig erscheint. Das sind die Schwierigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt entstehen oder entstanden sind durch eine falsche Berufsstruktur, durch einen falschen Berufsaufbau. Es ist doch so, daß ein großer Teil der Bewerber um Arbeitsplätze Berufen zugehört, die in absehbarer Zeit keine Chance der Beschäftigung bieten. Ich verweise auf den großen Anteil der kaufmännischen und Verwaltungsangestellten an der Arbeitslosenziffer. Etwa ein Sechstel der Arbeitslosen zählte Ende Dezember 1949 zu den Berufsgruppen der kaufmännischen, technischen sowie der Verwaltungsangestellten.
Dann wird die Frage durch den sehr großen Anteil der berufslosen Menschen an der Arbeitslosigkeit kompliziert, der Personen, denen jede
Berufsausbildung fehlt, zum Teil, weil sie frühzeitig Soldat wurden. Der Herr Arbeitsminister hat ja auf diese Dinge besonders hingewiesen. Das sind immerhin für die Arbeitsvermittlung und für den Arbeitseinsatz starke Hemmnisse. Es ist zu überlegen, was getan werden kann, um diese Hemmnisse zu beseitigen.
Dann ist hier wiederholt auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden, die in der Tatsache begründet sind, daß eine so starke Diskrepanz zwischen den Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten besteht. Die Ostvertriebenen, die Evakuierten, sind wohnlich in Bezirken untergebracht, die keine ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten bieten. Es ist ja so, daß sich gegenüber der großen Arbeitslosigkeit um 1930 herum die Situation doch völlig gewandelt hat. Damals hatten wir die Arbeitslosen in den Städten. Heute haben wir sie im wesentlichen in den Landbezirken. Selbst in den einzelnen Ländern ist die Situation sehr stark differenziert. Es ist so, daß zum Beispiel in Hessen Bezirke mit einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent, gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer, vorhanden sind. Im gleichen Land sind andere Bezirke, in denen die Arbeitslosigkeit keine 5 Prozent ausmacht.
Zahlenmäßig hat Bayern die höchste Ziffer der Arbeitslosigkeit. Es waren Ende Januar 492 000 Personen. Das waren in Bayern 14,5 Prozent aller Erwerbspersonen. In Niedersachsen wurden Ende Januar 432 000 Arbeitslose gezählt. Im Dezember 1949 waren es 17,3 Prozent aller Erwerbspersonen. In Schleswig-Holstein war die Ziffer der Arbeitslosen 244 000. Von der Zahl der Erwerbspersonen waren das 26,3 Prozent. Das sind doch alles Zahlen, die in aller Deutlichkeit immer wieder auf den ursächlichen Zusammenhang mit dem Problem der Ostvertriebenen hinweisen. Gegenüber den genannten Ländern waren in Baden und Württemberg Ende Dezember 1949 nur 3 bzw. 3,5 Prozent der Erwerbspersonen arbeitslos.
Zusammenfassend zeigt doch diese Darstellung, daß neben der immer gegebenen Fluktuationsarbeitslosigkeit — ich möchte diese Fluktuationsarbeitslosigkeit bei uns in Westdeutschland vielleicht in einer Größenordnung von 200 000 Arbeitnehmern annehmen — eine beachtliche strukturelle Arbeitslosigkeit vorhanden ist. Hinzu kommt dann die Freistellung von Arbeitskräften durch Konjunkturauswirkungen und zuletzt eine nicht unbedeutende Saisonarbeitslosigkeit.
Vom Herrn Bundesarbeitsminister ist auf ein Gutachten hingewiesen worden, das vor der Währungsreform erstellt wurde und in dem doch immerhin beachtliche Experten des Arbeitsmarkts die Auffassung vertreten haben, daß in Auswirkung der Währungsreform die Arbeitslosigkeit ein Ausmaß annehmen würde, das weitaus über dem Ausmaß liegt, das wir im Augenblick hier bedauerlicherweise zu verzeichnen haben. Ich erinnere mich selbst einer Besprechung vor etwa einem Jahr vor Durchführung der Währungsreform, wo gerade einige Experten des Arbeitsmarkts aus dem Lager der Opposition in diesem Hause auch die Auffassung vertreten haben, daß wir mit einer wesentlich größeren Zahl von Arbeitslosen rechnen müßten, als sie heute tatsächlich zu verzeichnen ist. Wir freuen uns, daß diese Prophezeiungen sich nicht erfüllt haben. Aber ich glaube, man sollte in der Bewer-


(Sabei)

tung der gegebenen Situation auch etwas vorsichtiger sein.
In der Sylvester-Nummer der „Frankfurter Rundschau" hat der Kollege von Herrn Professor Nölting, Herr Minister Wagner, Arbeits- und Wirtschaftsminister in Hessen, der SPD zugehörig, meines Erachtens die Dinge ganz richtig dargestellt. Er schreibt hier, die steigende Arbeitslosigkeit müsse, um eine Irreführung zu vermei- den, mit der steigenden Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum verglichen werden. Die normale Erscheinung der steigenden Zahl von Beschäftigten und Arbeitslosen finde ihre Erklärung in der Tatsache, daß nach Hessen monatlich 6 bis 7000 Menschen zusätzlich aus den Ostgebieten hereinströmten. Das Land sei jedoch trotz steigender Wirtschaftsbelebung nicht in. der Lage, diese täglich hinzukommenden Menschen arbeitsmäßig unterzubringen. Ich glaube, man sollte dieses Anerkenntnis der gegebenen Situation von Hessen auf die gesamte westdeutsche Bundesrepublik ausdehnen.
Was ist nun zu tun, um dieses Problems Herr zu werden? Entscheidend sind Maßnahmen, die die Entwicklung der Wirtschaft günstig beeinflussen können, insbesondere ein umfangreiches Programm von notwendigen Investierungen. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise hierüber heute schon Beachtliches gesagt. Ich will es mir versagen, auf die Einzelheiten näher einzugehen. Mein Fraktionskollege Etzel wird zu diesen Dingen noch etwas zu sagen haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen, daß man bei der Hilfe das Handwerk und die Landwirtschaft nicht vergessen sollte. Es muß beachtet werden, daß in der Industrie nur ein gutes Drittel der Arbeitnehmer beschäftigt wird und daß gerade vom Handwerk und von der Landwirtschaft umfangreiche Entlassungen von Arbeitskräften vorgenommen worden sind. So beträgt zum Beispiel die Zahl der Arbeitslosen aus der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft etwa 10 Prozent der Gesamtzahl der Arbeitslosen.
Weiter ist notwendig — das ist wiederholt zum Ausdruck gekommen; es erscheint mir angebracht, das noch einmal zu unterstreichen — eine bessere Verteilung der Ostvertriebenen unter Berücksichtigung der vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten. Allerdings ist die Voraussetzung für eine solche Verteilung die Beschaffung von Wohngelegenheiten. Wir sollten daher den Bau von Wohnungen insbesondere dort vorantreiben, wo auch die Wahrscheinlichkeit für die Beschaffung eines Arbeitsplatzes gegeben ist. Die Bundesregierung hat ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm angekündigt. Es gilt dafür Sorge zu tragen, daß nun mit der Bautätigkeit unverzüglich begonnen werden kann, sobald die Wetterlage dies zuläßt. Wenn hier Hemmungen eintreten, besteht die Gefahr, daß aus den vorhandenen Saisonarbeitslosen Dauerarbeitslose werden.
Wichtig scheinen mir auch die Maßnahmen zur Schaffung einer vernünftigeren, einer besseren Berufsstruktur zu sein. Es scheint mir notwendig zu sein, umfangreiche Umschulungsmaßnahmen durchzuführen. Dazu kommt die Schulung der Berufslosen für Tätigkeiten, die zukünftig eher eine dauernde Chance für den Arbeitseinsatz bieten. Ich möchte gerade bezüglich der falschen Berufsstruktur die Situation einmal an einem Beispiel klarlegen. In meinem Wahlkreis hat sich
die Zahl der Arbeitnehmer gegenüber dem Jahre 1938 um 40 Prozent gesteigert; also 40 Prozent mehr Arbeitnehmer, als 1938 in diesem Bezirk vorhanden waren. Die Bauhandwerker sind in dem gleichen Bezirk seit 1938 allerdings um 20 Prozent zurückgegangen. Wir haben also 20 Prozent weniger Bauhandwerker, als wir damals hatten. Das sind Dinge, die uns in den vergangenen Jahren doch schon stark gestört haben, weil nicht genügend Fachkräfte für die Forcierung der Bauarbeiten zur Verfügung gestanden haben. Ich will die Ursachen nicht untersuchen; ich will diese Tatsache nur einmal aufzeigen.
Der Herr Minister Preller hat noch einmal das Problem der Ausbildungsplätze für Lehrlinge angeschnitten. Das ist immerhin eine große Aufgabe, die wir in den kommenden Monaten zu erfüllen haben. Es ist richtig, daß die Zahl der Ausbildungsplätze bei weitem nicht reicht, um alle Bewerber um Lehrstellen unterbringen zu können. Bedauerlicherweise lassen sich die Lehrherren oft von der ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt dazu verleiten, die Ausbildung von Lehrlingen einzuschränken. Ich glaube, man sollte gerade hier den Blick nicht nur auf die Gegenwart, sondern in stärkerem Maße auch auf die Zukunft richten. Ohne einer Lehrlingszüchterei das Wort reden zu wollen, kann betont werden, daß eine große Zahl von Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden ist und daß diese Ausbildungsmöglichkeiten im Interesse der jungen Menschen, aber auch im Interesse der gesamten Wirtschaft, die diese Kräfte einmal benötigen wird, in stärkerem Maße genutzt werden müßten. So weit in der Industrie, in Handwerk und Gewerbe Beschränkungen der Lehrlingszahl festgelegt sind - es gibt ja solche Schlüsselziffern —, erscheint es notwendig, zu überprüfen, solche weitgehenden Einengungen heute noch vertretbar sind.
In den Bezirken mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit sollten Wiederaufbaumaßnahmen — ich denke an Straßenbau, Brückenbau, ich denke weiterhin an Bodenverbesserungsarbeiten, ich denke darüber hinaus an Aufforstungsarbeiten — in einem größeren Umfange durchgeführt werden. Solche Wiederaufbaumaßnahmen, solche Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung durch die Behörden sind in Menge durchzuführen. Die Arbeiten, die ich eben andeutete, kann man ja als arbeitsintensive Maßnahmen bewerten. In diesen Arbeiten stecken sehr viel Lohnkosten. Mit den für diese Arbeiten zur Verfügung zu stellenden Mitteln könnte immerhin eine beachtliche Zahl von Arbeitslosen Beschäftigung finden.
Es ist nun nicht so, als sei in dieser Sache noch nichts getan worden. Ich darf darauf hinweisen, daß im Rahmen der Maßnahmen der werteschaffenden Arbeitslosenfürsorge bisher schon eine große Zahl von Arbeitslosen Beschäftigung fand. Die Höchstzahl dieser Beschäftigten lag bei 50 000 Arbeitnehmern. Eine weitere Ausdehnung scheiterte daran, daß die Träger solcher Arbeiten die Restfinanzierung nicht übernehmen konnten. Die Mittel der Arbeitslosenversicherung allein reichen nicht aus, um solche Maßnahmen in größerem Umfang finanzieren zu können.
Ein anderes Problem — es wurde schon einmal, ich glaube, von Herrn Minister Preller, angedeutet — ist die Frage der Industrieansiedlung dort, wo eben die große Zahl der Arbeitslosen vorhanden ist. Ja, wir müssen das Problem überprüfen, inwieweit man die Arbeit an den Men-


(Sabel)

schen heranbringen kann. Allerdings muß hier sorgfältig überprüft werden, ob solche Industrieansiedlungen in bestimmten Bezirken auch eine Chance haben, sich durchzusetzen. Hier verdienen die Flüchtlingsbetriebe eine besondere Förderung. Allzu oft scheitert die Schaffung von neuen Produktionsstätten daran, daß bei der Kreditgewährung Anforderungen an die Kreditnehmer gestellt werden, die diese nicht erfüllen können. Ich möchte nicht einer leichtfertigen Anlage von Kapital das Wort reden; aber die besondere Situation der Flüchtlinge macht es doch erforderlich, die Schaffung von Kreditbedingungen zu erwägen, die von diesem Personenkreis auch tatsächlich erfüllt werden können.

(Zustimmung.)

Es ist gesagt worden, daß nun eine größere Freizügigkeit in der Wahl des Wohnortes Platz greifen sollte, und es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß nun nicht nur die Arbeitskräfte, also voll arbeitsfähige Personen aus den Flüchtlingsauffanggebieten abwandern. Es sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß diese Arbeitskräfte dann auch ihre Angehörigen zum Arbeitsort mitnehmen können.
Gestatten Sie mir nun noch einige Schlußbemerkungen. Gegen den Antrag der SPD, der dem Bundestag zur Beschlußfassung vorliegt, haben wir keine unüberwindlichen Bedenken. Ich sage Ihnen ganz offen: das, was hier gesagt wird, entspricht zum großen Teil auch unserem Wollen. Ich möchte allerdings sagen: gerade das, was im Absatz 1 und auch im letzten Satz ausgeführt wird, wurde ja von der Bundesregierung praktisch heute schon erfüllt. Sie hat dem Bundestag vorgetragen, wie sie sich die Lösung dieses Problems denkt, und sie hat ihm doch immerhin beachtliche Maßnahmen hier vortragen können, die in uns die Hoffnung erwecken, daß in absehbarer Zeit doch eine wesentliche Änderung der Situation auf dem Arbeitsmarkt wahrscheinlich ist.
Es wurde wiederholt der Vorwurf erhoben, daß bestimmte Kräfte die Schaffung einer industriellen Reservearmee wünschten, um die soziale Fortentwicklung zu hemmen. Von einer Stelle — ich glaube, es war Herr Professor Nölting ist sogar gesagt worden, daß hier mit der Forderung auf Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts ein ursächlicher Zusammenhang bestünde. Ich darf Ihnen versichern, meine Freunde und ich lehnen die Schaffung einer industriellen Reservearmee ab. Ich darf Ihnen weiter versichern und mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß wir alles daransetzen, um dem Ideal einer Vollbeschäftigung näherzukommen. Ich weiß aber auch, daß ein solches Ideal nicht leicht erreicht werden kann. Wir bejahen das Recht eines jeden Menschen auf Arbeit mit allen sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen.

(Beifall bei der CDU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103602500
Meine Damen und Herren! Es sind noch elf Redner auf der Liste.
Wenn jeder dieser Damen und Herren eine halbe Stunde sprechen sollte, so würde uns das noch 51/2 Stunden beschäftigen. Es liegt mir fern, irgend jemanden ermuntern zu wollen, seine Wortmeldung zurückzunehmen. Aber die Tatsache, die ich eben bekanntgegeben habe, gibt mir Veranlassung, auf den § 86 der Geschäftsordnung zu verweisen, der
vorschreibt, daß in freier Rede gesprochen werden soll.

(Lehbafter Beifall.)

Ich glaube, daß wir, wenn wir diese verständige Bestimmung der Geschäftsordnung einhalten, nicht nur die Redezeiten wesentlich abkürzen werden. Die Redner werden auch in höherem Maße das Ohr des Hauses finden,

(Sehr richtig! in der Mitte)

und es werden überflüssige Wiederholungen vermieden werden können.
Ich stelle weiter fest, daß § 86 zum Abschnitt „Ordnung des Hauses" gehört, daß also die Bestimmung des § 89 auf eine Verletzung der Vorschrift des § 86 Anwendung finden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walter.

Albert Walter (DP):
Rede ID: ID0103602600
Meine Damen! Meine Herren! Es ist nur selbstverständlich, wenn ich betone, daß das Ansteigen der Arbeitslosigkeit und damit die außerordentlichen Störungen für unsere Wirtschaft meine Fraktion und meine Partei mit größter Sorge erfüllen. Wir sind uns dessen voll bewußt, daß wir in allem Ernst mitzuarbeiten haben, damit diese Gefahr, die für unser Volk und unsere Wirtschaft besteht, beseitigt wird. Die Arbeitslosigkeit ist d e r Feind, und alle, die es mit der Beseitigung dieses Feindes ehrlich meinen, sollten sich auch zusammenfinden, um im ehrlichen Bestreben das zu erreichen, was heute hier von der Regierung bekanntgegeben worden ist. Dazu einige Bemerkungen.
Wir haben den inhaltsreichen Vortrag des Herrn Professors Nölting gehört. Ich habe nur den Eindruck, daß dieser Vortrag etwas spät gekommen ist und daß er vor d e n Parlamenten und vor d e n Verantwortlichen hätte gehalten werden müssen, die seit dem Jahre 1945 etwas zu sagen hatten.

(Sehr richtig! rechts.)

Ich bin weiter der Meinung, daß das, was uns von dem Vertreter Schleswig-Holsteins, Herrn Professor Preller, gesagt wurde, hier ein wenig deplaciert erscheint. Diese Ansprache hätte im Parlament Schleswig-Holsteins in den letzten Jahren bestimmt Gutes hervorbringen können. Ich will Herrn Professor Preller nur auf eines aufmerksam machen: Er betont die Radikalisierung in seinem Lande. Nun, nichts was ist, ist ohne Grund! Warum zeigt sich denn gerade in Schleswig-Holstein diese Radikalisierung so besonders? Hat die Regierung nicht selbst ein gerüttelt Maß an Schuld daran, indem sie in den vergangenen Jahren dort nach eigenem Gefallen regierte und wenig darauf achtete, was dem schleswig-holsteinischen Volke diente?

(Sehr gut! rechts.)

Die Gründe werde ich Ihnen gleich nennen. Sie haben dort eine Landreform durchgeführt — eine Bodenreform nannten Sie es! —, die gewiß nicht dazu beitragen konnte, die Bauern Schleswig-Holsteins von der Richtigkeit der Maßnahmen ihrer Regierung zu überzeugen.

(Lachen links.)

Sie haben weiter in Schleswig-Holstein Gesetze erlassen und sind dabei, es noch zu tun — ich erinnere an die Schulgesetzgebung und daran, daß man jetzt dabei ist, für die kommenden Wahlen etwas zu schaffen, was nur der jetzigen Regierung dient —, die vom Volke auf keinen Fall gewünscht


(Walter)

werden. Dieses reagiert sehr scharf auf solche Maßnahmen, und daher die Radikalisierung!
Also, Herr Professor Preller, Sie hätten allen Grund, Ihren Vortrag vor Ihrem eigenen Parlament zu halten, und wir würden uns auch nicht scheuen, einmal vor den Herren des Bundesrats unsere Ansicht zum Ausdruck zu bringen, wenn man uns gestattete, dort die Zeit so in Anspruch zu nehmen, wie es von Ihnen hier geschehen ist.

(Beifall bei der DP.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103602700
Ich möchte den Redner darauf aufmerksam machen, daß das Recht der Bundesratsbevollmächtigten, im Bundestag das Wort zu ergreifen, im Grundgesetz verankert ist.

Albert Walter (DP):
Rede ID: ID0103602800
Gegen dieses Recht habe ich nichts einzuwenden, Herr Präsident.
Nun aber einiges zu dem, was hier von der Regierung in bezug auf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit gesagt wurde. Alles, was erwähnt wurde, dient dazu — davon dürfen wir überzeugt sein -, endlich diese Gefahr zu bannen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103602900
Die Seeleute und der Schiffsbau sind zu kurz gekommen! Gerade unsere Werften an der Wasserkante warten darauf, daß sie den Kredit bekommen, den sie benötigen, um erst einmal 150 000 Tonnen Schiffsraum herzustellen. Diese 150 000 Tonnen Schiffsraum, die unsere Werften jetzt zu bauen imstande sind, werden dazu beitragen, daß wir 10- bis 15 000 Werftarbeiter mehr in Lohn und Brot bekommen. Darüber hinaus werden einige Tausend Seeleute auf diesen Schiffen hinausgehen können, und auch bei den Reedereien wird einiges Personal in Lohn und Brot kommen, wenn unser Schiffsbau endlich in genügendem Maße berücksichtigt wird. Die 150 000 Tonnen Schiffsraum, die wir in einem Jahr bauen wollen, benötigen allein 100 000 Tonnen Stahl, der aus dem Ruhrgebiet nach der Wasserkante zu bringen ist. Diese 150 000 Tonnen Schiffsraum werden auch dazu beitragen, daß die Zubringerindustrien zusätzliche Beschäftigung finden. Darum muß mit allem Ernst darauf geachtet werden, daß die Kredite für den Schiffsbau in dem Maße bereitgestellt werden, wie unsere Schiffsbauindustrie und unsere Seeschiffahrt es von der Regierung erwarten.
Einiges möchte ich nun den Kollegen von links noch sagen.

(Abg. Rische: Sie waren auch schon mal links!)

Wichtig ist es, das eine zu begreifen: wenn wir die Arbeitslosigkeit beseitigen wollen, wenn wir unsere Wirtschaft erfolgreich aufbauen wollen, dann darf unter keinen Umständen der Wirtschaftsfrieden fahrlässig gefährdet werden. In der letzten Zeit werden bedenkliche Äußerungen getan, die etwa dahin lauten: Wir werden um Lohnforderungen und dergleichen Dinge nicht herumkommen. Ich fürchte, daß diese Lohnforderungen uns in eine Zeit hineinführen werden, in der dann die Wirtschaftskämpfe in einem Maße entbrennen, daß die Arbeiter sowohl wie die Wirtschaft selbst in die größte Gefahr kommen.

(Zuruf von der SPD: Sie waren doch mal Gewerkschaftsvertreter!)

— Jawohl! Daher bitte ich, eines zu beachten: sie
sind es nicht allein, die entscheiden. Es ist erfreulich, daß Herr Böckler, der Vorsitzende der Gewerkschaften, sich bereit erklärt hat, nur so weit zu gehen, wie es ohne Gefahr für die Wirtschaft möglich ist.

(Zuruf von der SPD.)

Aber vergessen Sie eins nicht: Ihre „Freunde" von links — und wir haben es in allen Ländern beobachten können — werden dafür sorgen, daß die Störungen in der Wirtschaft in einem Maße einreißen, daß sie alles in Gefahr bringen. Denen geht es ja nicht darum, den Arbeitern oder .der Wirtschaft zu helfen. Wo jener Stern strahlen soll, da muß Nacht sein, da muß Elend herrschen. Daher die Störungen von dieser Seite, vor denen ich alle warnen möchte, warnen aus dem ernsten Empfinden heraus, daß sie nur zur Katastrophe führen können.
Nun noch ein paar Worte zu dem, was wir vom Ausland zu erwarten haben und was wir dem Ausland zu sagen haben. Herr Professor Nölting hat England angeführt. Ich darf betonen: wir freuen uns wirklich, daß uns von amerikanischer Seite in einer Weise geholfen worden ist, wie wir es wohl kaum hätten erwarten können; trotzdem ist es geschehen. Nichtsdestoweniger bleibt noch sehr viel zu tun gerade für die Besatzungsmächte, die die größte Möglichkeit haben, dazu beizutragen. daß unsere Wirtschaft mehr in Gang kommt und daß die Arbeitslosigkeit reduziert wird. Ich nehme an, daß die verantwortlichen Staatsmänner in England ihren Shakespeare ebensogut kennen wie den Karl Marx. Shakespeare läßt seinen Shylock dem Richter sagen: You take my life, when you take the means whereby I live. Das, meine Damen und Herren, möchten wir jenen Kreisen auch entgegenhalten: sie nehmen unseren Arbeitern, unserem arbeitenden Volke das Leben, wenn sie ihnen die Möglichkeit und die Mittel nehmen, womit sie das Leben verdienen können.

(Sehr gut! bei der DP.)

Wir haben allen Grund, daran zu erinnern. Täglich hören wir an der Wasserkante, wie unseren Seeleuten die Möglichkeiten genommen werden, auf ausländischen Schiffen anzumustern. Da hat in den letzten Tagen ein dänischer Kapitän vergeblich versucht, drei deutsche Seeleute für sein Schiff zu bekommen. Er ist bei dem englischen permit-officer gewesen; der hat ihm gesagt: nein, nicht nötig, er könne auch ohne diese drei Mann fahren. — Solche Maßnahmen sind nicht geeignet, Vertrauen für die Ratschläge derjenigen zu erwecken, die uns fortgesetzt raten: ihr müßt etwas tun, damit die Erwerbslosigkeit beseitigt wird! Wir wollen etwas tun; man soll uns aber die Möglichkeiten für ein solches Tun nicht durch Maßnahmen verbauen, wie sie immer wieder in Erscheinung treten. Das muß den Herren gesagt werden; denn es ist ja nicht so, daß man unsere Seeleute ablehnt, weil sie nichts taugen. Wo hat es schon einmal jemand gegeben, der hätte behaupten können: die deutschen Seeleute taugen nichts, daher können wir sie nicht brauchen? Ich habe von Mr. Havlock Wilson, dem verstorbenen englischen Seemannsführer, persönlich erfahren, daß die deutschen Seeleute, die bei ihm organisiert waren, die besten Seeleute waren. Aber gerade weil die deutschen Seeleute tüchtig sind, weil überhaupt die deutsche Tüchtigkeit in der Welt bekannt ist, will man — so scheint es — deutsche Seeleute auf den Schiffen des Auslandes nicht zulassen. Hier muß Wandel geschaffen werden. Wir
1172 Deutscher Bundestag — 3f3. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950

(Walter)

glauben und hoffen, daß unsere Regierung nichts unterlassen wird, um alle Möglichkeiten dafür auszuschöpfen.
Zum Schluß möchte ich sagen: Wir dürfen das Vertrauen in unsere Regierung setzen, daß der Wille zur Beseitigung der Not, der in der Regierungserklärung zum Ausdruck kam, mit dem Steigen der Erwerbslosigkeit nur noch fester, nur noch stärker geworden ist

(Zuruf von der KPD: Ist ja allerhand!)

und daß die Regierung entsprechend handeln wird. Damit ist, glaube ich, auch der Antrag der SPD erledigt.

(Lebhafter Beifall bei der DP und bei der FDP.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103603000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wönner.

Max Wönner (SPD):
Rede ID: ID0103603100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hatte noch so viel Hoffnung in die heute zu erwartenden Erklärungen der Regierung gesetzt, daß sie sich in Erwartung von etwas wirklich Fundamentalem sogar mit dem Gedanken befaßte, nach der Regierungserklärung das Haus um Vertagung zu bitten, damit man zu den konkreten Vorschlägen der Regierung Stellung nehmen könne. Nachdem die drei Vertreter der Regierung gesprochen hatten, haben wir zu unserem Bedauern feststellen müssen, daß dazu leider kein Anlaß war;

(Sehr gut! bei der SPD)

denn die Erklärungen der Regierungsvertreter waren noch magerer, als wir ohnehin erwartet hatten.

(Zurufe von den Regierungsparteien: Oh! Au!) — Ja, sie waren es de facto!


(Erneute Zurufe: Na, na!)

Der Herr Bundeskanzler hat nicht mehr getan, als eine Reihe längst bekannter Tatsachen zu wiederholen, und diese sind zu einem Teil sogar noch korrekturbedürftig. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich aus seiner bedrängten Arbeitsmarktsituation auf einige Igelstellungen am Rande der Arbeitsmarktpolitik zurückgezogen. Und der Herr Bundeswirtschaftsminister, — na, der hat uns hier ein Kolleg über theoretische Nationalökonomie gehalten, das selbst von seinem Lehrer, Professor Weber, wahrscheinlich nicht mehr anerkannt würde.

(Sehr gut! bei der SPD. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103603200
Herr Abgeordneter Wönner! Kolleg halten ist zwar keine Schande, aber man sollte die Rede eines Ministers im Parlament nicht als „Kolleg" bezeichnen.

(Heiterkeit.)


Max Wönner (SPD):
Rede ID: ID0103603300
Ich danke für die Belehrung, Herr Präsident!
Was wir erwartet hätten, war eine durchdringende Arbeitsmarktanalyse, waren Schlußfolgerungen aus einer solchen Arbeitsmarktanalyse, Überlegungen, die etwa dahin gehen sollten, wie das deutsche Wirtschaftsbild im ganzen gestaltet werden müßte, um dieser Arbeitsmarktsituation gerecht zu werden und von diesen wirtschaftspolitischen Vorstellungen her etwa eine eingehende Analyse der Kapitalmarktsituation durchzuführen, um aus diesen drei Gegebenheiten zu Schlüssen zu kommen, wie das Problem, das doch wahrhaftig das Zentralproblem unserer Tage ist, wirklich gelöst werden kann.
Wir haben nichts davon gehört. Wir haben nichts gehört von einer Aufgliederung der heutigen Arbeitslosigkeit nach Saisonbedingtheit, nach Konjunkturbedingtheit, wenigstens nichts aus dem Grund Schöpfendes. Was sich da so beiläufig in der Diskussion ergeben hat, darf sich die Regierung nicht ihrerseits zugute rechnen. Wir hätten erwartet, daß dazu aus Ihrem Munde ganz konkrete Angaben gemacht worden wären.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir hätten insbesondere auch eine Durchleuchtung der Arbeitsmarktsituation erwartet, die die Verschiedenheit dieser Situation in den einzelnen Ländern klar und präzis herausgestellt hätte. Das ist durch die beiden Vertreter des Bundesrats, Herrn Arbeitsminister Dr. Preller und Herrn Wirtschaftsminister Dr. Seidel, geschehen. Es wäre uns lieber gewesen, eine zentrale Darstellung dieses Problems aus dem Munde der Regierungsvertreter in Bonn zu hören.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Dann wäre es sehr wahrscheinlich auch nicht möglich gewesen, daß der Herr Bundeskanzler es sich so leicht gemacht hat, von 300 Millionen Mark zu sprechen, die diesen drei schwerstbetroffenen Ländern ausgleichsweise für ihre überragende Arbeitslosigkeit gegeben werden sollen, wobei wir noch einen bescheidenen Wunsch hinzuzufügen hätten: wir hoffen selbstverständlich - ich werde nachher noch mit einigen wenigen Worten darauf zu sprechen kommen —, daß dort, wo zufolge der gedrängten Arbeitsmarktsituation Notstandsmaßnahmen durchgeführt werden müssen, auch die zuständigen Tariflöhne gezahlt werden.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Leider muß ich nun meinem Kollegen Sabel einen kleinen Wermutstropfen in seinen Becher schütten. Denn es ist nicht ganz richtig, was er gesagt hat, daß schwergewichtig die Angestellten in Erscheinung treten. Eine eingehende Analyse unserer Arbeitsmarktsituation hätte beispielsweise sehr wohl erkennen lassen, daß sich seit der Geldreform die Zahl der arbeitslosen Metallarbeiter verdreifacht hat,

(Hört! Hört! bei der SPD)

daß sich die Zahl der in Verkehrsberufen Tätigen verdoppelt hat, daß sich die Zahl der Hilfsarbeiter ebenfalls verdoppelt hat und daß seit der Geldreform gerade die Zahl der erwerbslosen Angestellten keine entsprechende Veränderung nach oben erfahren hat.
Es ist das Flüchtlingsproblem angeschnitten worden, und es ist so dargestellt worden, als ob es gar das Zentralproblem der Arbeitslosigkeit an sich sei. An den Schwerpunkten selbstverständlich, ja! Das gilt für Bayern, das gilt für Niedersachsen, und das gilt für Schleswig-Holstein. Aber an allen übrigen Punkten des Bundesgebietes kann man doch nicht etwa behaupten wollen, daß die Flüchtlinge Schwerpunktlagen auf dem Arbeitsmarkt darstellten. Dazu wäre manches zu sagen.
Ich möchte nur eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers ganz kurz erwähnen, weil ich glaube, daß sie nicht unwidersprochen hingenommen werden sollte. Dabei erlaube ich mir aller-




(Wönner)

dings zu bemerken, daß wir im Grunde nichts dagegen einzuwenden haben, wenn etwa die Freizügigkeit wiederhergestellt wird; denn wir haben lange genug darum gekämpft, daß der einzelne Arbeitnehmer auch wieder die Möglichkeit hat, sich seinen Arbeitsplatz nach seinem eigenen Gutdünken zu wählen. Wir müssen aber auf eines hinweisen: Der Begriff der Freizügigkeit in dem Sinne, wie der Herr Bundeskanzler ihn angesprochen hat, setzt natürlich voraus, daß die Wohnraumbewirtschaftung aufgehoben wird. Diese Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung kann aber nach den liberalistischen Vorstellungen unseres Herrn Bundeswirtschaftsministers nur so durchgeführt werden, daß wir — Herr Minister Wildermuth war es wohl, der uns das schon einmal andeutete — mit Wohnungsmieten von 1,80 Mark pro Quadratmeter zu rechnen hätten.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich habe vorhin von Beschränkungen bei Lohnbewegungen etwas gehört. Nun, man sollte die Geduld der Arbeitnehmerschaft in diesem Bereich nicht auf eine allzuharte Probe stellen, man sollte insbesondere auch nicht bereit sein, auf einem solchen Umweg noch zusätzliche Belastungen zu schaffen, die naturnotwendig explosiv auch auf den Bereich der Lohnpolitik wirken müssen. Für meinen Teil wenigstens möchte ich mit absoluter Klarheit herausstellen — das hatten wir von der Bundesregierung in erster Linie erwartet —, daß sie uns klare Vorstellungen darüber zu vermitteln in der Lage wäre, welche Kapitalmengen insgesamt notwendig wären, um des Status der Gegenwart überhaupt Herr zu werden. Herr Professor Preller war es, der mit einer zarten Andeutung nur darauf hingewiesen hat, daß pro Arbeitsplatz nach alten Erfahrungen — es ist sicherlich nur über den Daumen gepeilt — rund 5 000 D-Mark notwendig sind, um ihn neu zu schaffen. Er hat vergessen hinzuzufügen — und wahrscheinlich nur versäumt, es zu tun —, daß dadurch allein der Arbeitsplatz nicht gesichert ist, daß auch Betriebsmittel erforderlich wären. Von diesen Größen müssen wir ausgehen, wenn wir sie auf 2 Millionen Arbeitslose beziehen, um festzustellen, daß minimal 15 Milliarden D-Mark an Kapital notwendig sein werden, um allein die jetzt auf der Straße liegenden Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Kein Wort von selchen Vorstellungen! Kein Wort davon auch aus dem Munde des Herrn Bundeswirtschaftsministers, inwieweit etwa heute — ich bitte, mich jetzt recht zu verstehen, man muß bei Herrn Professor Dr. Erhard sehr vorsichtig sein, denn er nimmt solche Gelegenheiten gern zum Anlaß, die Dinge dann anders darzustellen, als sie gemeint waren — —

(Hört! Hört! und Sehr gut! bei der SPD. — Unruhe bei den Regierungsparteien und Rufe: Na, na! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103603400
Ich rüge diesen Ausdruck.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103603500
Wir haben einige Erfahrung, und ich darf vielleicht gleich die Probe aufs Exempel machen. Herr Professor Dr. Erhard hat doch heute mit absoluter Klarheit davon gesprochen, daß es die Vertreter der SPD im Wirtschaftsrat gewesen wären, die Planwirtschaft mit nazistischer Zwangswirtschaft gleichgesetzt hätten, obwohl die
Protokolle des Wirtschaftsrats eindeutig beweisen, daß das nicht der Fall war.

(Abg. Dr. Oellers: Das hat er gar nicht gesagt!)

— Dann haben Sie nicht zugehört! Selbstverständlich hat er das gesagt!

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Lesen Sie im Protokoll nach, dann werden Sie es finden.

Ich möchte für meinen Teil ausdrücklich darauf hingewiesen haben, daß ich nicht das Investitionsvolumen, sondern die Investitionsrate im Auge habe, wenn ich davon rede, daß Investitionsrate und Konsumrate in einem derartigen Mißververhältnis stehen, daß wir daraus schon eine fortschreitende steigende Arbeitslosigkeit abzuleiten leider gezwungen sind.

(Zuruf von der FDP: Ach, Quatsch!)

— Ja, es ist leider so, denn die dreifach vermehrte Zahl der arbeitslosen Metallarbeiter ist ein sicherer Ausdruck für die Tatsache der retardierenden Bewegung unserer Wirtschaft in diesem Bereich.

(Zuruf von der CDU.)

— Nun, meine Herren, ich werde mir erlauben, Ihnen nachher auch noch zu Ihrem Begriff „soziale Marktwirtschaft" einiges zu sagen. Unter diesem Mantel versuchen Sie ja alles zu decken, was sonst nicht untergebracht werden kann.

(Unruhe in der Mitte.)

Es ist heute schon einmal aus der Mitte des Hauses gelegentlich der Ausführungen meines Fraktionskollegen Dr. Nölting der Zwischenruf „nazistische Methoden" gemacht worden. Ich möchte das gleiche nicht wieder sagen, aber ich erinnere mich daran, daß auch der Nationalsozialismus sehr gern den Wortschatz des Sozialismus in Gebrauch genommen hat, um die Massen irrezuführen.

(Sehr richtig! und Sehr gut! bei der SPD.)

Mir scheint, daß man mit dem Begriff „soziale Marktwirtschaft" doch im letzten Hintergrund etwas Ähnliches zu tun die Absicht hat, denn mit sozialer Marktwirtschaft kann das, was geschieht, ja nicht verglichen werden.

(Zuruf von der FDP: Wie wollen S i e die Arbeitslosigkeit beseitigen?)

— Zwischenrufe liebe ich; aber bitte so, daß ich sie verstehen kann. — Es kann nicht von sozialer Marktwirtschaft die Rede sein, wenn die Folgewirkungen die sind, daß wir heute mit zwei Millionen Arbeitslosen rechnen müssen und ihre Zahl immer noch fortsteigend weiter sich erhöht, wenn nicht entsprechende Abwehrmaßnahmen durchgeführt werden, von denen wir feststellen, daß sie mit den Vorstellungen der freien Marktwirtschaft niemals zum Ziele führen können. Wir haben nichts davon gehört — mein Kollege Dr. Nölting hat das Thema deutlich genug angesprochen, und dennoch ist keiner der Herren Regierungsredner darauf eingegangen —, wie man sich etwa vorstellt, die künftig verfügbaren Mittel für Investitionen zu verwenden. Man hat also offenbar die Absicht, sie weiterhin wie bisher dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, das heißt weiterhin Fehlinvestitionen nur nach reiner Profitorientierung im größten Umfang den Weg zu bereiten, nach keinen wirklich volkswirtschaftlich gearteten


(Wönner)

Vorstellungen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft.

(Zuruf von der FDP: Wir haben vom Wohnungsbau und vielem anderem gesprochen!)

Ja, ich komme auch noch zum Wohnungsbau in der Form,, wie er heute hier angesprochen worden ist. Hier will ich meinem Kollegen Sabel Gerechtigkeit widerfahren lassen; er war der einzige, der das Thema in der Form angesprochen hat, wie wir glauben, daß es angesprochen werden müßte. Es ist nicht nur ein Arbeitsmarktproblem, es ist nicht nur ein soziales Problem, Wohnungen zu bauen, sondern auch der Wohnungsbau muß den Vorstellungen einer aktiven Konjunkturpolitik untergeordnet werden, damit wir dort Wohnungen bekommen, wo wir die leerstehenden Kapazitäten haben, weil die Arbeitskräfte nicht zur Verfügung stehen. Wir haben auch dazu nicht ein einziges Wort aus dem Munde der Regierung gehört.

(Zuruf von der CDU: Weil es selbstverständlich ist!)

— Das war aber bisher durchaus nicht so selbstverständlich. Wenn ich Ihnen aus meinen bayerischen Erfahrungen eines sagen dürfte, dann könnte ich Ihnen verraten, daß Wohnungen nach durchaus anderen als volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten gebaut worden sind.

(Zuruf von der CDU: Dann müssen Sie in Bayern Einfluß nehmen!)

- Wir werden dort Einfluß nehmen, worauf Sie sich verlassen können!
Noch ein Wort zur Kreditschöpfung. Auch hier möchte ich Herrn Professor Dr. Erhard gebeten haben, sich einmal wieder mit seinem alten Lehrer, Herrn Professor Weber, ins Benehmen zu setzen. Selbst Herr Professor Weber ist bereit, den Weg der Kreditschöpfung zu gehen, und es wäre mir sehr interessant, aus dem Munde von Herrn Professor Dr. Erhard zu hören, welchen vernünftigen Grund es überhaupt gibt, gegen die Kreditschöpfung in unserer derzeitigen Situation ein Wort zu sagen. Denn der Einwand, daß dadurch etwa zuviel Konsumkraft geschaffen werden könnte, sticht nämlich nicht; er würde nur dann stechen, wenn wir etwa bereit wären, der Vorstellung zu folgen, die uns schon einmal aus dem Munde des Herrn Professors Dr. Erhard bekanntgeworden ist, nämlich den Konsum vorzufinanzieren. Daran denken wir natürlich nicht, sondern wir denken selbstverständlich an echte Vorfinanzierung produktiver Tätigkeit und erst in zweiter Linie an die Auswirkungen auf den Konsum. So sehen wir die Dinge; das erlauben Sie mir bitte zu sagen. Worin besteht der Unterschied in der Kapitalwirkung, wenn Sie Fremdkapital von außen hereinnehmen oder wenn Sie in dem Umfange Kredit schöpfen, in dem das nach unseren Vorstellungen — mein Kollege Dr. Nölting hat die Grenzen deutlich aufgezeigt — durchgeführt werden kann?

(Zuruf von der CDU: Ahnungslos!)

- Ahnungslos? Ganz so ahnungslos sind wir nicht!

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103603600
Meine Damen und Herren, ein Vorschlag zur Güte: durch Zwischenrufe verlängern Sie diese Sitzung. Es sind noch Redner einer jeden Partei zum Wort gemeldet. Jede Partei wird also die Möglichkeit haben, den Redner zu widerlegen.

Max Wönner (SPD):
Rede ID: ID0103603700
Es war eine Anfrage an den Herrn Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard, und ich bin auf seine Antwort neugierig. Ich wäre möglicherweise in der Lage, ihm darauf zu sagen, daß es wahrscheinlich doch nur zinspolitische Vorstellungen sind, die in dieser Richtung gewisse Hemmungen auftauchen lassen.
Noch eines. Ein gewisser Gegensatz hat doch herausgeklungen. Es ist in der einleitenden Bemerkung meines Kollegen Dr. Nölting sehr deutlich darauf hingewiesen worden, daß sowohl Herr Professor Dr. Erhard als auch der Herr Arbeitsminister Storch das Arbeitslosenproblem noch vor wenigen Wochen durchaus nicht sehr ernst genommen haben. Der Herr Bundeskanzler hat einleitend bemerkt, daß es seit der Tätigkeit der neuen Bundesregierung, seit der ersten Zusammenkunft dieser Regierung, eine sehr ernste, eine sehr drückende Sorge dieser Regierung sei, sich dem Arbeitslosenproblem zu widmen. Wir bedauern allerdings, daß diese drückende Sorge fünf Monate angedauert hat, ohne daß man in der Form, wie es heute geschehen ist, dazu Stellung genommen hat.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Der Herr Bundeskanzler war liebenswürdig genug, uns die 21/2 Milliarden noch einmal aufzutischen, von denen wir schon x-mal aus dem Munde des Herrn Bundeswirtschaftsministers und auch aus dem Munde des Herrn Wiederaufbauministers gehört haben. Wir haben sehr ernste Zweifel, ob diese 21/2 Milliarden tatsächlich schon in ihrem vollen Umfange gesichert erscheinen. Nach unseren Vorstellungen handelt es sich nämlich bis jetzt um gesicherte Beträge von höchstens 1,9 Milliarden; und darin sind ein Drittel von Beträgen enthalten — ich bitte, auch das einmal sagen zu dürfen —, die zu Zinssätzen von 6 bis 7 Prozent hingegeben werden, von denen wir feststellen müssen, daß sie nach unseren Vorstellungen für den sozialen Wohnungsbau jedenfalls nicht geeignet sind.

(Zuruf von der CDU: Die Hauptsache ist, daß Wohnungen gebaut werden!)

— Ach so! Den Quadratmeter für 1,80, meinen Sie; das wäre nämlich die logische Folgewirkung davon.

(Zuruf rechts: Dann müssen für den sozialen Wohnungsbau andere Mittel bereitgestellt werden!)

- Aha! Wir dachten zunächst an den sozialen
Wohnungsbau, weil das der dringlichste Wohnungsbau ist, weil dort die Arbeitskräfte unterkommen sollen, die wir brauchen, um diejenige Produktionskapazität auszufüllen, die notwendig ist, um das deutsche Volk zu ernähren. Und die 50 Millionen, die der Herr Bundeskanzler ebenfalls erwähnt hat, die von der Post zur Verfügung gestellt werden, — eine ganz bescheidene Anfrage nur: sind das etwa die Kabelkosten für Bonn, oder handelt es sich um andere Beträge? Ich wollte nur die Aufklärung erbitten.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Strauss: So ein Dialog ist doch etwas Nettes!)

Der Herr Bundesarbeitsminister hat auch 32 000 Seeleute erwähnt. Eine kleine Ungenauigkeit! Sicherlich, 32 000 Seeleute haben sich gemeldet und erklärt, daß sie wieder zur See fahren möchten; das ist ihr gutes Recht und ihr guter Wunsch. Aber damit ist nicht gesagt, daß diese 32 000 See-


(Wönner)

leute arbeitslos sind, denn sie sind zu einem sehr erheblichen Prozentsatz inzwischen in anderen Berufen untergebracht worden und verdienen dort ihr Geld.

(Zuruf von der CDU: Na also! — Abg. Strauss: Dafür sind andere nicht untergebracht!)

- Ja, aber die 32 000 Seeleute sind nicht arbeitslos.

(Zuruf: Sie sind zusätzlich arbeitslos!) - Man kann natürlich auch so sagen.


(Abg. Strauss: Bauen wir die bayerische Marine auf!)

Darf ich mir erlauben, zum Schluß noch eine andere Bemerkung zu machen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat ebenfalls die Jugendfrage sehr deutlich angesprochen, eine Frage, die uns alle aufs tiefste bewegt, weil es gerade die Jugend ist, von der wir schmerzlicherweise feststellen müssen, daß sie in weitestem Umfange aus der Arbeit teerausgedrängt wird. Wenn irgendwo Entlassungen durchgeführt werden, ist es — zum Teil sogar aus sozialen Erwägungen —selbstverständlich, daß die jüngeren Leute in erster Linie bei der Entlassung zum Zuge kommen, und deswegen ist die Zahl der Jugendlichen, die auf dem Arbeitsmarkt lasten, so ungewöhnlich groß. Wir haben in Bayern 40 000 von jenen jungen Leuten noch nicht untergebracht, die im vorigen oder vorvorigen Jahr schulentlassen sind und seitdem eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz nicht zu finden vermochten, und schon stehen wir vor neuen Schulentlassungen. Ein Problem, das es für sich allein dringend geboten erscheinen läßt, daß man sich ihm mit ernster Aufmerksamkeit zuwendet!
Der Herr Bundeskanzler hat auch geglaubt, feststellen zu sollen, daß die Ausführungen meines Kollegen Dr. Nölting psychologisch schädlich seien. Wir glauben nicht, daß dem so sei. Denn man kann die Wahrheit nicht brutal genug aufzeigen, um den Menschen draußen die Situation klarzumachen, in der wir stehen, damit jeder einzelne sich anstrengt, um zu Vorstellungen vorzudringen, die wir nötig haben, um aus der Misere herauszukommen.
Produktionsindex. Auch hier habe ich mir schon vor wenigen Wochen einmal erlaubt, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eine ganz kleine bescheidene Bemerkung nebenbei zu machen. Es wird nämlich immer damit operiert, daß wir am 20. Juni 1948 einen Produktionsindex von nur 50 Prozent gehabt und daß wir jetzt einen solchen von 95 Prozent erreicht hätten. Nun, ich möchte mir an den Herrn Bundeswirtschaftsminister die Frage erlauben, ob er sich schon einmal der Mühe unterzogen hat, zu untersuchen, wieviel von der 'damaligen Produktion bei den 50 Prozent gefehlt hat, weil sie in den Schwarzen und in den Grauen Markt abgeleitet worden sind, ohne statistisch erfaßt worden zu sein.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf rechts: Oje, oje!)

Das ist eine Tatsache. Und dann würde ich Sie bitten, auch einen anderen Umstand noch mit zu erwägen. Wir haben hier eine gewisse Diskrepanz. Der Bundesarbeitsminister hat von 37 plus 7 Millionen gesprochen und der Herr Bundeskanzler von 39 plus 8 Millionen. Die erhöhte Bevölkerungszahl findet in diesem Produktionsindex aber auch nicht den geringsten Ausdruck. Er ist ausschließlich entweder auf die Warenmenge oder den Warenwert bezogen; aber auf die Bevölkerungszahl bezogen liegen wir nicht bei einem Produktionsindex um 95, sondern bei einem solchen von günstigstenfalls 70 Prozent.

(Zuruf rechts: Wir haben aber 1947 auch viel tiefer gelegen!)

Ich darf mir nun noch eine Bemerkung zur sozialen Markt wirtschaft erlauben. Sie haben sich in Ihrem Wahlkampf soviel darauf zugute getan, und Sie haben auch heute wiederholt darauf hingewiesen, es sei ein Ausdruck des Vertrauens des deutschen Volkes in die geübte Wirtschaftspolitik, daß das Wahlergebnis vom 14. August so ausgefallen sei, wie es ausgefallen ist. Ich möchte Ihnen nur sagen: Sie sollten sich davor hüten, einem psychologischen Trugschluß zum Opfer zu fallen. Der Eindruck am 14. August war nämlich auf den absoluten Nullpunkt abgestellt, von dem aus die wirtschaftliche Situation in Deutschland besser geworden ist, jenen Nullpunkt, an dem es nur mehr heißen konnte: Entweder wird es besser, oder Millionen von deutschen Menschen müssen endgültig verhungern. Das war die Situation im Mai 1948. Wenn Sie von diesem Nullpunkt aus die Situation beurteilen, werden Sie recht haben. Aber glauben Sie doch bitte ja nicht, daß die Menschen psychologisch bei diesem Nullpunkt vom Mai 1948 stehenbleiben. Sie werden ihre materiellen Forderungen nicht mehr vom Nullpunkt 1948 aus abzuleiten in der Lage sein, sondern sie werden den berechtigten Lebensanspruch nach normalen Vorstellungen dann, wenn die Möglichkeit dazu besteht, irgendwie wieder geltend machen.
Zum Schluß möchte ich nur noch folgendes sagen. Der Herr Arbeitsminister hat es sich sehr leicht gemacht, als er festgestellt hat, wir müßten heute einleitend zu dieser Debatte eigentlich sagen: Wir verdanken das dem Führer. Nun, meine Herren von der Bundesregierung und von der Regierungsmehrheit, wollen Sie bitte Vorsorge treffen, damit man Ihnen nicht sage: Wir verdanken eine noch größere Arbeitslosigkeit der Regierungsmehrheit in Bonn.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103603800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzel.

Franz Etzel (CDU):
Rede ID: ID0103603900
Meine Damen und Herren! Für meine Freunde und für mich ist das Arbeitslosenproblem das Problem Nr. 1, und wir sind der Meinung, daß sowohl die Bundesregierung wie auch dieses Hohe Haus ihre ganze Aufmerksamkeit und ihre ganze Arbeitskraft dafür einzusetzen haben, unserer Auffassung nach jenseits aller Parteidogmatik alles zu tun, um dieses Problems Herr zu werden und die steigende Arbeitslosigkeit nicht nur einzudämmen, sondern weitestgehend zu beseitigen.
Ich bedaure es sehr, daß es nicht möglich gewesen ist, dieses Problem hier in sachlicher Beziehung zu diskutieren, sondern daß man sich in großem Umfange auf eine polemische Linie begeben hat und daß auch hier wieder für viele aus dem alten .deutschen Erbübel heraus das Trennende wichtiger gewesen ist als das Gemeinsame und Verbindende. Meine Damen und Herren, das


(Etzel)

kann ich auch! Ich bin durchaus in der Lage, hier auf einige Punkte polemisch einzugehen. Ich wäre zum Beispiel durchaus in der Lage, darauf hinzuweisen, daß es der Linken dieses Hauses in der Zeit, da sie die Verantwortung hatte, nicht möglich gewesen ist, die Arbeitslosigkeit völlig zu beseitigen und eine Vollbeschäftigung zu erreichen, und daß auch wir, als wir die Verantwortung übernahmen, immerhin eine Arbeitslosigkeit von einer halben Million Menschen vorfanden.

(Zuruf von der SPD: Wann war denn das?)

— Das wissen Sie genau so gut wie ich.

(Lachen bei der SPD.)

Wenn ich auch durchaus weiß, daß die Verhältnisse in Berlin durch viele andere Komponenten bedingt worden sind, so zeigt sich doch gerade hier die ganze Schwierigkeit des Problems und die Tatsache, daß es gar nicht einfach ist, diese Dinge zu meistern; denn während wir hier 3 Prozent Erwerbslose haben, sind in Berlin trotz der Hilfe von anderthalb Milliarden heute noch 17 Prozent Erwerbslose vorhanden. Ich will das nur sagen, um zu beweisen, wie schwierig diese Dinge sind und wie sehr man zu tun hat, um solcher Probleme Herr zu werden.
Ich kann, um polemisch zu reden, auch durchaus darauf hinweisen, daß uns in einer Fülle von Vorhersagen erklärt worden ist, wir würden mit unserer Wirtschaftspolitik an den Preisen zugrunde gehen. Es sind uns 4 oder 5 bis 6 Millionen Erwerbslose unmittelbar nach der Inkraftsetzung der sozialen Marktwirtschaft prophezeit worden. Noch im Juni 1949 ist uns gesagt worden, daß wir in diesem Winter in Ernährungsschwierigkeiten geraten und daß wir nicht genügend Kartoffeln und Getreide haben würden. Alle diese Voraussagen sind nicht richtig gewesen.
Ich weiß auch nicht, Herr Dr. Nölting, ob es richtig war und ob man das tun sollte, sich für seine Kritik hier auf die Amerikaner zu beziehen und zu sagen, daß auch sie die derzeitige Situation kritisiert haben. Das trifft zu; ich darf aber darauf hinweisen, daß man es im Januar noch ganz anders gehört hat, und ob es da sehr geschmackvoll ist, sich dieser Autorität zu bedienen, ist eine Frage, die ich hier durchaus zur Diskussion gestellt wissen möchte.

(Lachen bei der SPD.)

Und wenn vielleicht auch in hypothetischer Form von Ihnen, Herr Professor Nölting, gesagt worden ist, es könnte doch der Eindruck entstehen, als ob die Hohen Kommissare die deutschen Interessen besser wahren als die deutschen Dienststellen, so darf ich auch in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß ich solche Äußerungen von einer Seite her, die kürzlich im umgekehrten Sinne auch die Amerikaner hier zitiert hat, lieber nicht gehört hätte.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Sie haben zwar recht, wenn Sie, Herr Professor Nölting, sagen, daß man in einer Demokratie besser und gesicherter leben muß als in einer Diktatur; aber Sie haben bisher den Beweis dafür nicht angetreten, daß man in der von Ihnen gedachten Demokratie besser leben müßte und besser leben würde als in der von uns gedachten Demokratie.
Sodann ist von Ihnen auch' wieder die sogenannte industrielle Reservearmee auf den Plan gerufen worden, und zwar auch in einer Weise, daß man daraus den Eindruck gewinnen mußte, als ob uns diese industrielle Reservearmee gerade recht sei, um so unternehmerische Interessen zu unterstützen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß sagen, daß ich gegen diese Argumentation mit aller Schärfe protestieren muß.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Widerspruch links.)

Wer uns derartige Argumente unterschiebt, der verdient es meines Erachtens nicht, daß er hier in diesem Hause sitzt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

Mir liegt hier ein Schreiben von einem Parteifreund aus Wilhelmshaven vor, und ich bin froh, daß ich Herrn Minister Kubel auf der Bank des Bundesrats sehe. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, was in der mir vorliegenden Wilhelmshavener Zeitung vom 31. Januar 1950 geschrieben ist; aber hier steht, daß der Herr Minister Kubel gesagt haben soll: Ich behaupte, daß der wesentliche Teil der Erwerbslosigkeit gewollt oder von der Bundesregierung gern gesehen ist.

(Lebhafte Rufe von den Regierungsparteien: Hört! Hört!)

Nun, ich weiß, daß Zeitungen nicht immer alles richtig sagen. Deswegen bin ich vorsichtig. Aber wenn Sie, Herr Minister Kubel, das gesagt haben sollten, bin ich der Meinung,. daß Sie sich damit der Ehre begeben haben, der Minister eines deutschen Landes zu sein.

(Glocke des Präsidenten. — Beifall bei den Regierungsparteien. — Andauernde erregte Zurufe links: Raus! — Klappen mit Pultdeckeln. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604000
Herr Abgeordneter Etzel, Sie haben nicht das Recht, in dieser Weise einen Bundesratsbevollmächtigten anzugreifen. Ich muß Sie zur Ordnung rufen.

(Anhaltende erregte Zurufe links: Schluß! Raus! Frechheit!)


Franz Etzel (CDU):
Rede ID: ID0103604100
Ich glaube — ich möchte das gesagt haben —, daß man nicht in dieser polemischen Weise — —

(Fortgesetzte erregte Zurufe links: Schluß! Raus! Schweinerei!)

Sie haben, Herr Professor Nölting, — —(Fortdauernder Lärm links. — Glocke des
Präsidenten.)

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604200
Meine Damen und Herren,

(Lärm und erregte Zurufe links: Frechheit! Unerhört!)

die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Etzel sind von mir mit einem Ordnungsruf geahndet worden. Ich bitte, den Redner nunmehr fortfahren zu lassen.

Franz Etzel (CDU):
Rede ID: ID0103604300
Herr Professor Nölting, Sie haben auch in polemischer Weise auf England hingewiesen. Der Bundeskanzler hat es mit Recht abgelehnt, auf diese Dinge im einzelnen einzugehen. Ich glaube, wir haben in diesem Hause


(Etzel)

0 bereits einmal darauf hingewiesen, daß das, was Sie unter englischer Vollbeschäftigung verstehen, durch eine Marshallhilfezahlung erreicht worden ist, die fünfmal so groß gewesen ist wie die Zahlung an Deutschland; und darüber hinaus ist den Engländern noch die „Kleinigkeit" von fünf Milliarden Pfund Anleihe gegeben worden. Alle diese Dinge haben ja doch ihre Bedeutung und dürfen bei der deutschen Entwicklung nicht außer Betracht gelassen werden.

(Anhaltende Unruhe.)

Herr Professor Nölting, Sie haben auch wieder die soziale Marktwirtschaft angegriffen und sich auf den Standpunkt gestellt, daß eine soziale Marktwirtschaft in Wirklichkeit gar nicht von uns vertreten würde. Ich darf hier wiederholt sagen, daß die soziale Marktwirtschaft nicht ausschließlich auf dem Leistungswettbewerb beruht, den wir allerdings in vollem Umfange vertreten, sondern zur sozialen Marktwirtschaft gehört, worauf ich bereits in der vorigen Woche hingewiesen habe, unter allen Umständen auch eine Monopolkontrolle. Wenn Sie diese als einen planenden Eingriff ansehen, dann kann ich nur die damalige Bemerkung wiederholen: dann mögen Sie eben unter diesem Aspekt unsere Marktwirtschaft auch als eine planende ansehen. Wir haben aber auch in den Düsseldorfer Leitsätzen ausdrücklich stehen – und das hat der Herr Kollege Henßler schon früher einmal zur Kenntnis genommen und von sich aus gesagt —, daß wir unter anderem auch die planvolle Einwirkung auf den Markt durch organische Mittel bejahen, wozu auch Geld- und Kreditpolitik usw. gehören.

(Zuruf links: Theorie!)

- Das ist nicht Theorie, sondern Sie haben in der Erklärung der Bundesregierung heute gehört, wie sehr ernst es uns mit der Durchführung dieser Dinge ist.
Sie haben, sehr verehrter Herr Professor Nölting, als ein Mittel zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit im wesentlichen Lenkungsmaßnahmen und Maßnahmen der Geldschöpfung gefordert. Ich glaube, daß diese Maßnahmen, so wie Sie sie dargestellt haben, nicht genügen, um der Erwerbslosigkeit zu begegnen. Ich glaube auch, daß es der SPD heute im Rahmen der polemischen Auseinandersetzung nicht gelungen ist, dem Erwerbslosenproblem wirklich auf den Leib zu rücken. Ich verspreche mir aber auch gar nichts davon, daß man in so ernster Situation versucht, die Dinge polemisch zu klären, sondern wir sollten wirklich ernsthaft versuchen,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn ich mich im Augenblick auf das Gebiet der Polemik begeben habe, dann nur, um Ihnen darzutun, wie unfruchtbar das ist.

(Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Sachliches haben Sie nichts zu sagen? — Glocke des Präsidenten.)

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß wir der Arbeitslosigkeit nur dadurch begegnen können, daß wir in diesem Hause den Versuch machen, eine echte Diagnose dieser Krankheit zu stellen und aus der Erkenntnis einer solchen Diagnose die Mittel anzuwenden, die not- wendig sind, um hier zu heilen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Mein Kollege Sabel hat hier soeben in wohlbegründeten ziffernmäßigen Unterlagen dargetan,
worauf die Arbeitslosigkeit beruht. Ich habe mit Befriedigung festgestellt, daß die Herren Minister von der Bundesratsbank die Richtigkeit der Darlegung dieser Ursachen im Grunde genommen bestätigt haben. Ich weiß, daß die Zahlen, die hier bekanntgegeben worden sind und die die Diagnose aufhellen, kein Heilmittel bedeuten; das möchte ich mit aller Klarheit sagen.
Es scheint mir aber doch wichtig und notwendig, das, was Herr Kollege Sabel schließlich festgestellt hat, daß nämlich die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung nicht ursächlich ist für das, was sich hier entwickelt hat, nicht ursächlich für die Arbeitslosigkeit ist, noch nach der wirtschaftspolitischen Seite durch ein paar Bemerkungen zu unterstreichen. Ich bin der Meinung, daß es ein sehr gefährlicher Irrtum wäre, die Beseitigung der derzeitigen Wirtschaftspolitik zu verlangen, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, daß dann die Zahl der Arbeitslosen bedeutend größer würde.
Entscheidend ist neben dem, was der Herr Kollege Sabel gesagt hat, doch die Tatsache der Entwicklung des Sozialproduktes. Wir haben ganz klar dargelegt, daß das Sozialprodukt seit der Währungsreform unentwegt gestiegen ist. Das ist etwas, was man positiv werten muß. Zwar hat der zweite Redner der SPD soeben hier die Richtigkeit der Zahlen bezweifelt. Ich kann Sie aber dessen versichern, daß das Sozialprodukt zur Zeit bei etwa 98 Prozent wertmäßig liegt, und zwar umgerechnet nach dem Preis von 1936. Das bedeutet allerdings nicht, daß wir jetzt beinahe wieder nach dem Lebensstandard von 1936 leben können. Wir dürfen ja nicht übersehen, daß inzwischen 20,6 Prozent mehr Menschen in dieser westdeutschen Bundesrepublik leben als vorher. Diese 20,6 Prozent Menschen müssen von dem gleichen Sozialprodukt ernährt werden. Das bedeutet ferner, daß augenblicklich das Einkommen 77,7 Prozent des Einkommens von 1936 beträgt. Das ist eine Tatsache, aber — und das ist entscheidend — der Suppentopf, aus dem das deutsche Volk unterhalten werden muß, ist seit dem 20. Juni 1948 von Monat zu Monat voller geworden. Das Sozialprodukt hat sich nicht nur verdoppelt, sondern ist um 25 Prozent höher als die doppelte Summe.
Was heißt das in bezug auf die Arbeitslosigkeit? Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ja die Produktionsleistung je Arbeitsstunde in der gewerblichen Wirtschaft wahrscheinlich von 50 auf 90 Prozent gestiegen ist, hätten wir, wenn wir das Sozialprodukt nicht hätten steigern können, aus dieser Arbeitsleistung einen großen zusätzlichen Strom von Arbeitslosen bekommen müssen. Die Tatsache, daß wir das Sozialprodukt gesteigert haben, hat aber in erster Linie dazu geführt, daß die Beschäftigtenzahl nicht nur hat gehalten werden können, sondern, wie Kollege Sabel überzeugend dargetan hat, gesteigert worden ist. Man kann die Arbeitslosenzahl nicht selbständig sehen, sondern muß neben der Arbeitslosenzahl auch die Beschäftigtenzahl sehen.. Wenn diese in der sozialen Marktwirtschaft größer geworden ist, dann hat diese wiederum nicht versagt. Dabei muß am Rande erwähnt werden, daß es in dieser Marktwirtschaft gelungen ist, zu einem günstigeren Preisniveau zu kommen und bessere Qualitäten zu bringen. Das alles hat wesentlich zur Befriedung der Verhältnisse beigetragen.


(Etzel)

Ferner müssen wir ein anderes Problem berücksichtigen, das schon früher erwähnt worden ist. Wir haben einen Zustrom von 3,7 Millionen Beschäftigungswilligen aus den Gebieten ostwärts der Oder-Neisse, aus der Ostzone und aus dem Ostsektor von Berlin gehabt. Wenn wir von einer Arbeitslosenziffer im Bundesgebiet von 800 000 im Jahre 1938 ausgehen und jetzt auf 1,9 Millionen kommen, dann stellt das gegenüber dem damaligen Zustand ein Mehr von 1,1 Millionen dar. Betrachten Sie demgegenüber den Zustrom von 3,7 Millionen Beschäftigungswilligen, dann haben wir 2,6 Millionen Beschäftigte zusätzlich seit 1945 untergebracht. Ich bin der Meinung, daß diese Leistung unter allen Umständen gewertetet werden muß. Sie ist für mich ein zusätzlicher Beweis dafür, daß unsere Wirtschaftspolitik methodisch nicht falsch ist, sondern daß wir — prozentual gesehen — mit ihr große Leistungen erzielt haben. AuCh Minister Nölting hat zugeben müssen, daß diese Wirtschaftspolitik gewisse Erfolge gehabt hat.
Wenn nach dem ganzen Zahlenmaterial klar und eindeutig unsere Wirtschaftspolitik nicht ursächlich für das Ansteigen der Arbeitslosigkeit ist, wäre zu untersuchen, ob es vielleicht die Liberalisierung der Wirtschaft ist. Hier müssen wir zum Grundsätzlichen mit aller Klarheit darauf hinweisen, daß die Zahlung der Marshallplanhilfe, die uns im Augenblick entscheidend hilft, von unserem Willen zur Liberalisierung des Außenhandels abhängig gemacht worden ist. Das Wort Liberalisierung ist nicht von uns erfunden worden. Ich finde es auch nicht hübsch. Ich bitte, es auch nicht in dem Sinne zu verstehen, als ob mit dieser Liberalisierung des Außenhandels die alte liberale Wirtschaft wiederhergestellt werden soll. Das bedeutet praktisch nichts anderes, als daß die deutschen Exporteure und Importeure in Zukunft ihren Ein- und Ausfuhrhandel nicht mehr durch ein kompliziertes behördlich gelenktes System zu steuern brauchen, sondern daß wieder eine gewisse Freiheit herrscht, der allerdings ein Zollsystem zur Seite gesetzt werden muß, an dem jetzt auch gearbeitet wird.

(Abg. Renner: Ist das die Liberalisierung?)

Herr Minister Erhard hat bereits überzeugend darauf hingewiesen, aus welchen Gründen die Liberalisierung nicht als ursächlich für die Arbeitslosigkeit angesprochen werden kann. Ich will aber ganz klar zum Ausdruck bringen: Auch wir sind der Meinung, daß die Liberalisierung des Außenhandels nicht allzu stoßweise, sondern mit den nötigen Zwischentempi und mit der Einschaltung von Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen werden muß.
Ich fasse zusammen. Für die derzeitige Arbeitslosigkeit sind weder die soziale Marktwirtschaft noch die Liberalisierung des Außenhandels ursächlich. Beide waren aber umgekehrt entscheidend für die Steigerung des deutschen Sozialproduktes und dafür, daß im Rahmen einer solchen Steigerung die Zahl der Beschäftigten nicht kleiner, sondern größer geworden ist.
Es bleibt zu fragen, wo denn nun die wirklichen Ursachen für die Erwerbslosigkeit zu suchen sind. Kollege Sabel hat es überzeugend dargestellt. Ich will ihn nicht wiederholen, sondern nur auf seine Ausführungen verweisen. Nach meiner Meinung bedürfen die Untersuchungen nach der wirtschaftspolitischen Seite einer Ergänzung. Diese Untersuchung möchte ich anstellen getrennt nach der konjunkturellen Arbeitslosigkeit und nach der strukturellen Arbeitslosigkeit. Ich beziffere — darüber kann man meinetwegen streiten — die konjunkturelle Arbeitslosigkeit auf rund 500 000 Arbeitslose. Diese Arbeitslosigkeit findet nach meiner festen t berzeugung ihre entscheidende Ursache in dem geradezu katastrophalen Kapitalmangel, an dem die deutsche Volkswirtschaft leidet. Die von mir bereits geschilderte, zunächst sprunghafte und später ständig wachsende Produktion erfordert selbstverständlich eine wachsende Geldversorgung der deutschen Volkswirtschaft. Wenn auch die einen oder anderen Wirtschaftszweige noch relativ flüssig sind, so darf doch nicht übersehen werden, daß andere Zweige es nicht mehr sind. Hier ist es passiert, daß die Finanzierung notwendiger Investitionen schließlich dazu geführt hat, daß eine ständig wachsende Geldknappheit entstand.
Es war auch gerade im Interesse der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt notwendig, zu einer Rationalisierung der Wirtschaft zu kommen. Diese Rationalisierung hat sicherlich auch bereits viele Beschäftigte freigesetzt. Wegen des Geldmangels ist es nicht möglich gewesen, das Produktionsvolumen zu vergrößern, und so ist es auch hier zu gewissen Arbeitslosigkeitserscheinungen gekommen. Eines möchte ich aber in Unterstreichung dessen, was Professor Erhard gesagt hat, mit aller Klarheit feststellen: dieser Kapitalmangel ist keine Deflationserscheinung. Zwar sind die Preise in einem bestimmten Maße heruntergegangen, aber dieses Nachgeben der Preise hatte keinen deflatorischen Charakter. Ich bin sogar der Meinung, daß der Preisspiegel noch weiter heruntergehen muß. Entscheidend dafür, daß wir keine Deflationserscheinungen haben, ist neben dem, was Professor Erhard gesagt hat, daß wir keine Schrumpfung des Sozialprodukts festgestellt haben. Eine solche Schrumpfung des Sozialprodukts wäre ja doch das sicherste Zeichen des Vorliegens einer echten Deflation, also Kapitalmangels. Hier ist in der Tat das entscheidende Problem zu sehen, wenn man der Arbeitslosigkeit begegnen will.
Wir haben verschiedene Möglichkeiten zur Beschaffung von Kapital. Die wichtigste und echteste Möglichkeit ist die Bildung von Sparkapital. Hier ist die Sache natürlich nicht einfach, denn in einer Volkswirtschaft, die einen so irrsinnigen Nachholbedarf hat wie bei uns, in einer Volkswirtschaft, die zweimal durch eine Inflation die lebende Generation enttäuschte, ist der Sparwille von Hause aus selbstverständlich nur sehr klein. Dennoch ist in der deutschen Volkswirtschaft in einem erheblichen Maße Sparkapital gebildet worden. Es ist doch ein Wort und ein aktives Pluszeichen, wenn zugesagt und sichergestellt worden ist, daß im Jahre 1950 allein für den Wohnungsmarkt ein Betrag von 800 Millionen D-Mark zur Verfügung gestellt wird, ein Betrag, der mit Sicherheit anfällt und von dem ich der Meinung bin, daß man ihn in entsprechender Höhe ohne jegliche Gefahr für die Währung vorfinanzieren kann, ein Weg, den die Regierung gehen soll und gehen muß und nach den heutigen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers ja wohl auch gehen wird.
Wir haben weiter die Möglichkeit der Kapitalbildung durch eine Steuerreform, eine richtige


(Etzel)

Steuerpolitik. Ich will dazu nicht viel sagen. Der Bundesfinanzminister ist diesen Weg gegangen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir auch im Hinblick auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht schnell genug zur Fertigstellung des Gesetzes über die Steuerreform kommen können, denn von hier geht eine Menge von belebenden Impulsen aus, die nicht zu gering gewertet werden dürfen.
Die dritte Möglichkeit, die Kapitaleinfuhr, werte ich persönlich nicht so hoch. Ich weiß zwar, daß von einigen Randländern, zum Beispiel der Schweiz, gewisse Angebote gemacht worden sind, und ich glaube, daß dort Interesse am deutschen Kapitalmarkt besteht, aber ich glaube nicht, daß in -absehbarer Zeit hier eine wesentliche Hilfe anfallen wird. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß auch vom amerikanischen Kapitalmarkt aus zwei Gründen in nächster Zeit nichts Entscheidendes zu erwarten ist, einmal deshalb nicht, weil innerhalb des amerikanischen Marktes heute Anlagemöglichkeiten gegeben sind, welche die Anlage in Deutschland bei unseren Verzinsungsmöglichkeiten und dem, politischen Risiko uninteressant machen, und weil — das müssen wir auch sehen amerikanisches Kapital nach Deutschland nicht von Staat zu Staat — wenigstens nicht auf dem Wege, den wir jetzt gerade diskutieren —, sondern von Wirtschaftskörper zu Wirtschaftskörper gegeben wird. Hier muß ich zumindest darauf hinweisen, daß mit Bezug auf die ungeklärte Frage der Grundstoffindustrie, der Beschlagnahmungen usw. keine geeigneten Körper vorhanden sind, die als Kapitalnehmer auftreten könnten. Hier sollten wir die Aufgabe sehen, die Ordnung der Grundstoffindustrie, die Mitbestimmungsfrage, die Eigentumsfrage, also all die Fragen, die noch ungelöst sind, schnellstens zu lösen, damit hier klare Verhältnisse geschaffen werden.
Ich komme zu dem nächsten Problem, zum Problem der Geldpolitik. Das ist ja das Problem, welches auch von der Opposition heute hier ins Feld geführt worden ist und von dem die Opposition bestimmte Vorstellungen hat. Ich muß zunächst darauf hinweisen, daß die deutsche Währung im Augenblick zu den besten Währungen der Welt gehört, obwohl die deutsche Währung keinerlei Deckung durch Gold oder Devisen oder sonstige Möglichkeiten hat. Die einzige Deckung, die unsere Währung hat, ist das Vertrauen, das man zu unserm Geld und zur Verwaltung unseres Geldes besitzt. Und dieses Vertrauenskapital, meine Damen und Herren, sollten wir nicht gering und klein einschätzen, und wir sollten nichts tun, was geeignet ist, dieses Vertrauen in die deutsche Währung zu schmälern.
Es ist eben hier gesagt worden, daß mit der Kreditschöpfung, wie die Opposition sie sich vorstellt, nicht die Schöpfung von Geld für den Konsumgütermarkt verlangt wird, sondern eben nur die Geldschöpfung für produktive Zwecke. Wir müssen hier doch eines ganz klar sehen: auch dann, wenn ich geschöpftes Geld für produktive Zwecke hergebe, erscheint dieses Geld sehr schnell auf dem Konsumgütermarkt, denn es muß in Form von Löhnen und Gehältern weggegeben werden. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, daß, wenn hier mehr Geld geschaffen wird, als der Konsumgütermarkt aufzunehmen in der Lage ist, wir sofort in die bekannten Preissteigerungen hineinkommen, womit
die Dinge auch wieder nicht gerettet werden und nur neue Gefahrenpunkte auftauchen.
Diese grundsätzlichen Dinge vorausgeschickt, stehe ich allerdings auf dem Standpunkt, daß wir unsere Geldpolitik nicht überkonservativ zu betreiben brauchen, daß also im Rahmen vernünftiger Begrenzungen gewisse Finanzierungen durchaus möglich sind und daß man unter allen Umständen durch die Bank deutscher Länder sofort das finanzieren kann, was an echtem Kapitalaufkommen mit Sicherheit vorausgesehen werden kann und in Kürze auf dem Markt erscheint. Unter Annahme dieser Voraussetzung glaube ich, daß auch im Rahmen einer verantwortungsbewußten Geldpolitik Möglichkeiten gegeben sind, die auch ganz offensichtlich benutzt werden. Ich bin auch der Meinung, daß mit Sicherheit zugesagte Counterpart-Funds, wenn sie heute noch nicht verfügbar sind, in solcher Weise durchaus vorfinanziert werden können.
Meine Damen und Herren! Wir haben heute hier eine Regierungserklärung gehört, die meines Erachtens durchaus beweist, wie sehr unsere Regierung von dem Verantwortungsbewußtsein für die Probleme der Wirtschaftspolitik und vor allem für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit getragen ist. Es ist hier der Vorwurf erhoben worden, das hätte auch schon ein paar Monate vorher getan werden können. So einfach liegen die Dinge nicht. Solche Möglichkeiten müssen ja reifen, sie müssen in der Gestaltungskraft voraussehbar sein. Erst dann kann man entsprechende Schritte tun.
Wenn hier gesagt worden ist, daß 300 Millionen D-Mark einer exportfähigen Industrie zur Verfügung gestellt werden sollen, so glaube ich, daß das unter der Voraussetzung, daß man dabei auch daran denkt, die Aufträge so zu geben, daß damit entsprechende neue Arbeitsbeschaffungen verbunden sind, ein sehr positiver Weg ist. Man hat davon gesprochen, daß 50 Millionen D-Mark in gleicher Weise für das Handwerk zur Verfügung gestellt werden sollen. Auch hier besteht die Möglichkeit, eine Menge Erwerbsloser wieder in Arbeit zu bringen. Wir haben schon in unseren Düsseldorfer Leitsätzen zum Ausdruck gebracht, daß in Zeiten von Krisen, wie wir sie heute erleben, unter allen Umständen erreicht werden muß, daß der Staat notwendige Investitionen vergibt, während er in Zeiten der Konjunktur mit solchen Investitionen zurückhalten soll. Wenn also die Deutsche Bundesbahn 250 Millionen D-Mark und die Bundespost 50 Millionen D-Mark bekommen sollen, so ist gerade mit Rücksicht auf die Tatsache, daß diese beiden Institute zum großen Teil sehr lohnintensive Aufträge zu vergeben haben, von dieser Seite her etwas sehr Positives zu erwarten. Schließlich ist die Vergebung von 300 Millionen D-Mark an die Länder, welche durch die Flüchtlinge besonders notleidend geworden sind, ein klarer Beweis für den Willen, hier zu helfen. Wir erwarten allerdings und das möchte ich mit aller Klarheit herausstellen —, daß diese Mittel bei der Verteilung in der Bürokratie nicht derartig versickern, daß in absehbarer Zeit von der Vergebung der Gelder nichts mehr zu verspüren ist.
Wir würden es daher begrüßen — und möchten es empfehlen —, wenn die Bundesregierung einen besonderen, dem Wirtschaftsminister zugeteilten Mann — nennen wir ihn meinetwegen Kommissar — bestellen würde, der ganz un-


(Etzel)

bürokratisch, nach kaufmännischen Gesichtspunkten dafür zu sorgen hätte, daß diese Mittel schnellstens dort eingesetzt werden, wo sie wirklich auf dem Markt produktiv werden, damit die Arbeitslosigkeit schnellstens zurückgeht.
Wenn ich zu diesen Mitteln von nahezu 1 Milliarde D-Mark noch diejenigen rechne, von denen Herr Professor Erhard auch schon gesprochen hat — nämlich die erste Tranche der Counterpart-Funds, die bis zum 31. 12. 1949 bereits zu zahlen gewesen wären, von denen im Augenblick bereits 600 Millionen D-Mark freigegeben sind; dieser Betrag ist doch schon zur Verfügung; Geldmittel, die für Investitionen in Elektrizität, in Gas und Wasser, in Ernährung und Landwirtschaft, in Transport, in Wohnungsbau, in Industrie, in Kohlenbergbau und für Westberlin zur Verfügung gestellt werden sollen —, so handelt es sich um neue zusätzliche Mittel, um mit der konjunkturellen Arbeitslosigkeit fertig zu werden. Die zweite Tranche der Counterpart-Funds, bis zum 1. 7. 1950 zahlbar mit insgesamt 1,15 Milliarden D-Mark, die wiederum vorgesehen ist für Elektrizität, für Gas und Wasser, für Kohlenbergbau, für Stahlindustrie, für die übrige Industrie, für Flüchtlinge, für Verkehr, für Post, für Ernährung und Landwirtschaft, für Wohnungsbau, für Fremdenverkehr, für Forschung, für das Dollar-Exportbüro, für einen Garantiefonds für Flüchtlingskredite, für die französische Zone, diese 1,15 Milliarden D-Mark, die bis zum 1. 7. 1950 fest zugesagt sind und die man nach meinem Gefühl durchaus vorfinanzieren kann, sind ein zusätzliches Kapitalmittel, welches durchaus in die Lage versetzt, mit der konjunkturellen Arbeitslosigkeit fertig zu werden. Es kommen noch die Mittel für den Wohnungsbau hinzu, von denen ich schon gesprochen habe und auf die ich an dieser Stelle nur hinweisen will. Wenn man das zusammenrechnet mit dem, was ich vorhin genannt habe, so ist das für das Jahr 1950 insgesamt eine sichere Summe von zusätzlich 5 Milliarden D-Mark, ein Betrag, der durchaus geeignet ist, diese Sorge um die konjunkturelle Arbeitslosigkeit von uns zu nehmen.
Die Beseitigung der strukturellen Arbeitslosigkeit ist allerdings eine Angelegenheit, die sehr viel sorgenvoller ist. Wir sollten uns in der Arbeit dieses Hohen Hauses bei der Frage der Beseitigung der Arbeitslosigkeit auch gedanklich einmal in zwei Richtungen bewegen: Beseitigung der konjunkturellen Arbeitslosigkeit und Beseitigung der strukturellen Arbeitslosigkeit. Auch hier ist das Kapitalproblem genau so lebendig wie anderswo. Es muß deswegen unter allen Umständen etwas dafür getan werden, daß in Richtung auf diese strukturellen Schwierigkeiten Kapitalmittel eingesetzt werden. Ich weise hier ganz besonders auf das Flüchtlingsproblem hin. In den drei Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern sollen schon 300 Millionen D-Mark in dieser Richtung eingesetzt werden. Ich bin der Auffassung, daß alle unsere Freunde, die an der Lösung der Flüchtlingsprobleme arbeiten, sich mit darum bemühen müssen, zu ihrem Teil in diese Dinge eingeschaltet zu werden, damit wir einmal durch notwendige Umsiedlungen, verbunden mit entsprechendem Wohnungsbau an den Stellen, wo diese Menschen beschäftigt werden können, zum anderen aber auch durch die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsmöglichkeiten an den Stellen, wo sie heute wohnen, dem Flüchtlingsproblem wirklich einmal in einem echten Sinne auf den Leib rücken.
Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen und komme zum Schluß. Meine Freunde und ich sind der Überzeugung, daß die heute von der Bundesregierung verkündeten Maßnahmen geeignet sind, die kritische Phase unseres Weges zur Gesundung Deutschlands zu überwinden und den heute erwerbslosen Menschen weitgehend wieder Arbeit und Brot zu geben. Seien wir uns aber auch darüber klar, daß wir das angestrebte Ziel nur erreichen können, wenn wir uns von einem Vertrauen leiten lassen, nämlich dem Vertrauen darauf, daß — ich nehme die Worte von Herrn Minister Preller auf Bundestag, Bundesrat und die Regierung mit diesen Maßnahmen das getan haben, was im Augenblick getan werden konnte, was aber auch getan werden mußte. Und seien wir getragen von dem Bewußtsein, daß dieses Vertrauen die notwendige Voraussetzung dafür ist, die bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden. Ich wende mich mit diesem Appell um Vertrauen aber nicht allein an dieses Hohe Haus, sondern ich wende mich auch an die deutsche Wirtschaft, und zwar an die gewerbliche Wirtschaft und an die Landwirtschaft, mit dem Verlangen, daß jeder in der Wirtschaft Verantwortliche von dieser Stunde an alles tun muß, um an seiner Stelle mit den ihm gegebenen Hilfsmöglichkeiten soviele Erwerbslose einzustellen, als irgend möglich ist. Das Vertrauen, welches aus dieser großzügigen Hilfsmaßnahme erwachsen wird, berechtigt zu einem unternehmerischen Handeln, welches ebenfalls dazu beiträgt, die Erwerbslosigkeit zu beseitigen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604400
Das Wort hat der Herr Bundesratsbevollmächtigte von Niedersachsen, Herr Minister Kubel.
Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und Aufbau, Mitglied des Bundesrats; Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beschränke mich in dem, was ich hier auszuführen habe, ausschließlich auf den Vorwurf, den der Herr Abgeordnete Etzel mir in der Richtung gemacht hat, ich hätte mit einer Feststellung über die Absichten oder das Handeln der Bundesregierung hinsichtlich ihrer Arbeit an der Erwerbslosigkeit die Bundesregierung schwer beleidigt.

(Zuruf.)

- Ich glaube, Sie so verstanden zu haben.

(Widerspruch in der Mitte und rechts.)

Zunächst einmal stelle ich mit Genugtuung fest, daß dieser Vorgang nicht zu einem Angriff seitens eines Vertreters der Bundesregierung auf mich geführt hat. Es hat bereits ein Schriftwechsel zwischen dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen und dem Bundeskanzler stattgefunden. Ich darf daraus entnehmen, daß die Herren Vertreter der Bundesregierung offenbar mit weniger Empfindlichkeit reagieren, was sie auch schon insofern nicht gut können, als Mitglieder der Bundesregierung sich durchaus mit einer außergewöhnlichen Schärfe zum mindesten in unserem Lande gegenüber der Landesregierung geäußert haben.

(Zurufe rechts und Gegenrufe links.)

- Ich glaube, Sie befriedigen zu können, indem ich in aller Offenheit sage, was ich vorzutragen


(Kubel, Bundesratsmitglied)

habe und was ich erklärt habe. Ich sagte eben, ich hätte den Eindruck, mich freuen zu können, daß die Bundesregierung weniger empfindlich ist, um so weniger empfindlich ist, als — ich muß das wiederholen — Mitglieder der Bundesregierung mit noch größerer Schärfe etwa Maßnahmen der niedersächsischen Landesregierung in der Öffentlichkeit kritisiert haben. Es ging soweit, daß erst vor kurzem der Landesregierung von einem Mitglied der Bundesregierung Gauleitermethoden vorgeworfen worden sind.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

— Nachdem ich sehe, daß der Herr Bundeskanzler sich zum Wort gemeldet hat, scheine ich allerdings etwas zu optimistisch gewesen zu sein.
Ich komme nun zu dem Fall selbst. Die „Wilhelmshavener Zeitung" hat dem Sinne nach richtig berichtet, was ich in Wilhelmshaven ausgeführt habe.

(Hört! Hört! — Abg. Hilbert: Pfui! Weitere Pfui-Rufe rechts. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604500
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen.

(Abg. Hilbert: Das ist der verantwortliche Landesminister?! Schämen Sie sich!)

Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und Aufbau, Mitglied des Bundesrats: Ich bin zu dieser Erklärung gekommen, weil ich, wie leider in solchen Fällen häufig, erst durch die Presse von einem Memorandum der Bundesregierung Kenntnis bekommen habe, das sich auch mit dem Probeim der Erwerbslosigkeit in etwa befaßte.
Ich muß jetzt um die Erlaubnis bitten, die Zeitung, auf die ich mich hier beziehe, obwohl mehrere Zeitungen in gleich kritischer Form geschrieben haben, in Kürze zu zitieren. Diese Zeitungsnotiz ist es gewesen. die ich in der Erwerbslosenversammlung in Wilhelmshaven mit zur Grundlage meiner Rede gemacht habe.

(Zurufe: Aha! — Parteipolitische Manöver!)

— Ich glaube, Sie werden nicht „Aha" sagen, wenn Sie hören, daß es sich um die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung" handelt, eine Zeitung also, die mir parteipolitisch nicht nahesteht.

(Zurufe.)

In dieser Zeitung können Sie unter dem 28. 1. in Nr. 8 folgendes lesen.

(Abg. Strauss: „Die Angst vor der Kaufkraft!")

— „Die Angst vor der Kaufkraft". Ich freue mich,
daß Ihnen diese Notiz offensichtlich bekannt ist. Ein genaues Studium des Memorandums der Bundesregierung zeigt, daß diese die Durchführung eines adäquaten Investitionsprogramms, die beschleunigte Ausdehnung der industriellen Produktion und die Verminderung der Arbeitlosigkeit durchaus für möglich hält. Aber sie lehnt eine solche Wirtschaftspolitik ganz bewußt und mit offenen Augen ab. Sie denkt sogar an weitere Drosselung wie folgt:

(Hört! Hört! links.)

Und nun kommt das Memorandum der Bundesregierung:

(Hört! Hört!) Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß das Investitionsprogramm sogar gedrosselt werden muß, weil jede Erhöhung des Produktionsniveaus durch Investitionen naturgemäß zu einer Steigerung der Beschäftigung und damit der Kaufkraft führt.


(Hört! Hört! links.)

Die Zeitung, die ich zitiere, fährt fort:
Man beachte die gesperrt gedruckten Worte.
— Das waren die letzteren. —
Die Bundesregierung ist also völlig unserer Meinung, daß man das Produktionsniveau und die Beschäftigung durch Investitionen heben kann. Aber sie betrachtet gerade diese Hebung als eine Gefahr, mit folgender Begründung.

(Zuruf von der CDU: Was hat denn das mit der Regierung zu tun, was die „Wirtschaftszeitung" schreibt?)

Und es wird weiter zitiert, was in der Zeitung steht. Wenn Sie sorgfältig zuhören, werden Sie merken, daß ich zum Teil ein Regierungsmemorandum nach der Zeitung zitiere. In diesem Regierungsmemorandum — das gilt für den Zwischenrufer, damit wir uns nicht mißverstehen — stehen folgende Sätze, die hier zitiert werden:
Wenn aber für diese Kaufkraft keine Deckung in einer entsprechenden erhöhten Konsum- und Nahrungsgüterproduktion gegeben ist, so muß sich dadurch eine Gefährdung der preis- und währungspolitischen Stabilität ergeben. Diese Gefahr wird -noch dadurch verschärft, daß gerade diejenigen Konsumgüter, auf die sich die Kaufwünsche der Bevölkerung, insbesondere der Vertriebenen in erster Linie konzentrieren . . ., in besonderem Umfange von Einfuhren aus dem Dollarraum abhängig sind und daher in Zukunft nur begrenzt zur Verfügung stehen.
Jetzt kommt die weitere Folgerung dieser Zeitung, die der Regierungspolitik bis vor kurzem näher stand als meiner Partei.

(Widerspruch in der Mitte und rechts.)

Die Zeitung fährt fort:

(Zuruf von der CDU: Die Zeitung hat die Regierung immer bekämpft!)

Diese Argumentation ist klar genug: Wenn zuviele Leute Beschäftigung finden und daher statt knappster Unterstützung einen normalen Lohn für produktive Arbeit erhalten, dann steigt die Nachfrage nach Textilien und Lebensmitteln — insbesondere wenn diese zusätzlich Beschäftigten Vertriebene sind, die schon so lange gedarbt haben.
Und jetzt wieder — ich bin gleich am Ende -ein Zitat aus dem Memorandum nach dieser Zeitung.

(Zurufe in der Mitte und rechts. — Unruhe.)

Wenn ich sage „nach dieser Zeitung", so mit dem Bedauern, daß Sie das Memorandum nicht bekommen haben.

(Fortdauernde Unruhe.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604600
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die ständige Unruhe dem Gang der Verhandlungen nicht förderlich ist. Ich bitte doch, den Redner nicht immer wieder zu


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

unterbrechen. Es gibt auch so etwas wie eine Routine des Zuhörens.

(Zuruf in der Mitte: Es kommt immer darauf an, was gesagt wird!)

Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und
Aufbau, Mitglied des Bundesrats: Ich darf aus
dem bereits mehrfach genannten Memorandum
noch einen ganz kurzen Abschnitt zitieren:
Es besteht daher die Gefahr, daß entweder beträchtliche sozial nicht tragbare Preissteigerungen bei diesen Erzeugnissen in Kauf genommen oder die bisher verfolgte liberale Wirtschaftspolitik für diese Sektoren nicht mehr fortgesetzt werden kann.

(Hört! Hört! links. — Zurufe rechts.)

Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob eine solche Zeitungsnotiz mit diesem Kommentar als beleidigend für die Bundesregierung aufgefaßt werden wird.

(Abg. Hilbert: Sie sind ja Parteipolemiker, aber kein Minister!)

— Sie müssen mir als jemandem, der für das soziale Schicksal der Erwerbslosen verantwortlich ist, gestatten, nicht mit allzu großer Empfindlichkeit, aber mit sehr verständlicher Deutlichkeit zu sprechen.

(Anhaltender lebhafter Beifall links. Abg. Hilbert: Das ist Parteipolitik! Pfui! — Große Unruhe.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604700
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

(Zuruf rechts: Wir hätten gern von dem Herrn Minister etwas über die Güterangelegenheit in Braunschweig gehört! — Zuruf rechts: Da hält er den Mund!)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0103604800
Meine Damen und Herren!

(Zuruf links: Scheint recht nervös!)

Es handelt sich allerdings um eine Frage von erheblicher Bedeutung, die hier angeschnitten worden ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich habe es vermieden, die Sache hier zur Sprache zu bringen, obwohl ich wußte, daß Herr Minister Kubel hier war. Nachdem aber die Angelegenheit nun zur Sprache gebracht worden ist, muß ich das Wort dazu nehmen. Nach einem Bericht in der Wilhelmshavener Zeitung vorn 31. Januar hat Herr Minister Kubel gesagt:
Ich behaupte, daß der wesentliche Teil der Erwerbslosigkeit gewollt oder von der Bundesregierung — —

(Lebhafte Pfuirufe bei den Regierungsparteien. — Abg. Hilbert: Unerhört! — Lärm und entrüstete Rufe: Raus! Klappen mit den Pultdeckeln rechts. — Glocke des Präsidenten. — Erregte Auseinandersetzungen zwischen rechts und links. — Zuruf rechts: Das ist ein trauriges Spiel!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103604900
Meine Damen und Herren! Die Unruhe ist dem Gang der Verhandlungen nicht förderlich. Ich bitte Sie, den Herrn Bundeskanzler nicht weiter zu unterbrechen.

(Abg. Hilbert: Ein Demagoge ist das, kein Minister!)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0103605000
Meine Damen und Herren! Mir wurde am Montag hiervon Mitteilung gemacht. Ich habe mich sofort an Herrn Ministerpräsidenten Kopf gewandt und ihn gebeten, mir mitzuteilen, ob Herr Minister Kubel diese Äußerungen gemacht habe. Ich habe daraufhin von Herrn Ministerpräsidenten Kopf eine telegraphische Antwort dahingehend erhalten, daß Minister Kubel bei seinen Ausführungen sich auf Ausführungen in der ERP-Denkschrift bezogen habe. Das Telegramm des Herrn Ministerpräsidenten Kopf schließt damit so ähnlich, dem Wortlaut nach —, daß ein Staatsbürger das Recht der freien Meinungsäußerung habe.

(Sehr richtig bei der SPD. — Zuruf rechts: Schöner Minister!)

Meine Damen und Herren! Ich werde Herrn Ministerpräsidenten Kopf noch darauf antworten. Durch das heutige Auftreten des Herrn Minister Kubel hat sich die Situation außerordentlich verschärft.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der SPD. — Glocke des Präsidenten. — Zuruf rechts: Er soll zurücktreten!)

Meine Damen und Herren! Ich kann nur namens der Bundesregierung Ihnen erklären, daß die Bundesregierung auf dem Standpunkt steht, daß der Minister eines Landes, auch wenn er als' Politiker spricht, Gebote des Anstandes und der Höflichkeit — —

(Zurufe links: Unerhört — Beifall bei den Regierungsparteien. — Weiterer Zuruf links: Ablenkungsmanöver! — Große Unruhe. — Glocke des Präsidenten. — Zuruf rechts: Kinderstube! — Zuruf links: Sagen Sie das Herrn Seebohm!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103605100
Meine Damen und Herren! Bitte, unterlassen Sie doch die Unterbrechungen. Sie fördern unsere Verhandlungen dadurch nicht!

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0103605200
Vielleicht darf ich den Satz zu Ende sprechen: . . . daß auch der Minister eines Landes ebenso wie ein Bundesminister

(Aha-Rufe bei der SPD; — Abg. Schoettle: Da haben Sie in Ihren eigenen Reihen genug Gelegenheit nachzuschauen!)

die Gebote des Anstandes und der Höflichkeit nicht übertreten darf.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Wenn das trotzdem geschieht und wenn dann noch darauf beharrt wird, so erleichtert das selbstverständlich nicht den Verkehr zwischen Bundesregierung und Länderregierung.

(Sehr gut! in der Mitte und rechts. — Zurufe links. — Abg. Niebergall: Einmarsch der Reichswehr in Sachsen!)

— Nein, meine Herren, nehmen Sie die Sache bitte nicht so leicht! Sie reden immer soviel von Demokratie. Ich sage Ihnen: Wer derartig die Autorität der Bundesregierung untergräbt,

(Aha! bei der SPD — Unruhe)

der ist der wahre Feind der Demokratie.

(Stürmischer Beifall in der Mitte und rechts. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

In der Zwischenzeit, meine Damen und Herren, habe ich aus Hannover die Mitteilung bekommen, daß auch dort unsere Partei die nötigen Konsequenzen hieraus ziehen wird.


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)


(Starker Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD und Gegenrufe von den Regierungsparteien. Zurufe von der SPD: 1 Der Vorsitzende der Partei, nicht der Kanzler! — Wie ist es mit dem Memorandum? — Abg. Hilbert Sie sich!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103605300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Etzel.

(Abg. Dr. Becker: Zur Geschäftsordnung!)

- Ich habe jetzt schon das Wort erteilt.

(Anhaltende Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103605400
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Freunde und ich und auch wohl manche andere haben es oft als beschämend und erbitternd empfunden, wenn in diesem Hohen Hause über dritt- oder viertrangige Gegenstände stundenlang debattiert und kostbare Zeit verloren wurde. Um so unverständlicher war es, daß zunächst beabsichtigt war, diesen Gegenstand von höchster Bedeutung neben einer Anzahl anderer Beratungsgegenstände auf einer Tagesordnung unter Beschränkung der gesamten Redezeit auf 150 Minuten vorzusehen und die Redezeit der einzelnen Fraktionen nach ihrer Größe, nicht nach ihrem Sachverstand abzustufen.

(Beifall bei der BP und im Zentrum.) Meine Fraktion hat daher darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, das zentrale Problem der Arbeitlosigkeit eingehendst ohne Beschränkung der Redezeit zu erörtern und es als einzigen Punkt einer Tagesordnung vor das Plenum zu bringen. Wir können heute mit Genugtuung feststellen, daß unserer Anregung entsprochen worden ist.

Gleichzeitig mit dem Antrag der SPD vom 18. Januar hat meine Fraktion eine Anfrage an die Bundesregierung zum selben Thema gerichtet. Der 18. Januar! Einmal war dieser Tag ein Tag einer geschichtlichen Reminiszenz.

(Anhaltende Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0103605500
Meine Damen und Herren! Ich bitte doch, die Möglichkeit, den Redner zu verstehen, nicht ständig zu verhindern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103605600
Es möchte nachdenklich stimmen, daß just an diesem Tage unabhängig voneinander zwei Fraktionen aus ihrer Sorge um die weitere Entwicklung Anlaß zu haben glaubten, in das Horn zu stoßen.
Meine Fraktion hat an die Bundesregierung die Frage gerichtet, was sie zu tun gedenke, um der Not so großer Massen armer arbeitswilliger, aber arbeitsloser Menschen abzuhelfen, einer weiteren Verschlechterung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage unverzüglich und wirksam entgegenzutreten und die alsbaldige Wiedereingliederung eines größtmöglichen Teiles der freigesetzten Menschen in Beruf und Arbeit herbeizuführen; was sie insbesondere zu unternehmen gedenke, um der in den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein aufgetretenen Zuspitzung der Lage abzuhelfen.
Wir haben heute die Antwort der Bundesregierung auf unsere Fragen erhalten. Wir hatten nichts dagegen, daß die Regierung die durch die achttägige Verschiebung gewonnene Zeit zu dem
Versuch benutzen konnte, den Antragstellern und Anfragern den Wind aus den Segeln zu nehmen und einen Weg aus der beunruhigenden Lage zu finden und zu weisen. Denn es kommt uns allein auf die Beseitigung der unheilvollen Zustände an. Aber die in sieben Punkten rasch zusammengerafften Vorschläge der Bundesregierung sind jedoch in keiner Weise geeignet, unsere Besorgnisse zu zerstreuen. Schon der Ausgangspunkt, daß das Arbeitslosenproblem ein Problem der Vorfinanzierung sei, erfüllt uns mit Argwohn und mit Bedenken. Denn wir können uns nicht denken, daß eine so schwere, nicht jahreszeitliche, sondern konjunkturelle und strukturelle Verschlechterung eines großen Volks- und Staatskörpers allein in einer fehlenden oder mangelhaften Vorfinanzierung ihre Ursache hat.
Auch wir sind der Auffassung, daß ein so ernstes Problem aus dem leidenschaftlichen Tumult der Parteipolitik heraus in die besonnene Ruhe einer objektiven, vorwiegend wirtschaftlichen Betrachtung gehört, obschon selbstverständlich dem gewaltigen sozialen Problem, das sich in einem unnatürlich hohen Maß menschlichen Leidens und wirtschaftlicher Vergeudung äußert. auch eine Fülle politischer Elemente innewohnt. Aber es hieße den Ausgangspunkt der Untersuchung verlagern und den bedeutenden Gegenstand von vornherein in den Strudel der Parteipolitik schleudern, wenn den von ernster Sorge erfüllten Antragstellern und Interpellanten unverantwortliche Agitation zum Vorwurf gemacht werden wollte. So kommen wir nicht weiter. Es geht auch nicht an, die von den Arbeitsämtern veröffentlichten Zahlen über Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit als unechte Statistiken verketzern zu wollen: denn schließlich sind die immer länger werdenden Schlangen, die sich vor den Arbeitsämtern stauen, nicht die Komparserie irgendeiner Filmaufnahme, sondern leider eine höchst unerfreuliche Wirklichkeit. Eine derartige Methode liefert auch keinen brauchbaren Fallschirm, wenn man durch eine Stuttgarter Rede - die Stuttgarter Reden haben es seit 1946 in sich — aus allen Himmeln gestürzt worden ist.
Man kann Verständnis für den Wunsch haben, gelegentlich immer wieder auf die seit der Währungsreform eingetretenen Wandlungen, auf die üppig beschickten Schaufenster und dergleichen hinzuweisen, um darzutun, wie richtig es war, das marktwirtschaftliche Prinzip zu verwirklichen und der Initiative des freien Unternehmers eine Gasse zu öffnen. Die vollbrachten Leistungen sollen nicht übersehen werden; aber sie sind nicht ausschließlich durch die Freisetzung der Unternehmerinitiative und durch die Anwendung der marktwirtschaftlichen Gesetze und Kräfte getragen worden. Und schließlich: tiefer als im Juni 1948 ging es nicht mehr. Auch eine Hölle hat ihre Grenzen. und einmal erschöpft sich jedes Unglück, jede Not, jede Schwierigkeit, und es beginnt die Gegenbewegung. Die menschliche Existenz bewegt sich ja in den Angeln der Polarität.
Man verwies auf die Produktionssteigerung von 40 Prozent - etwas unbedachterweise, weil mit einem solchen Hinweis ja sofort gegensätzliche Interessen und Kräfte auf den Plan gerufen wurden, die mit dem Finger darauf deuteten, wie man sichtlich das geschlagene Deutschland bevorzuge — sowie auf die Zunahme der Beschäftigtenzahlen und machte nach dem Osten hin die Fortschritte der westlichen Wirtschaft klar. Tat-


(Dr. Etzel)

sächlich folgt die westdeutsche Wirtschaft erst in weitem Abstande hinter der reorganisierten Wirtschaft Westeuropas. So sind es in England, das zwischen den beiden Weltkriegen ständig zwei Millionen Arbeitslose hatte, seit 1945 durchschnittlich nur noch 300 000.
Es war ein etwas — erlauben Sie mir diesen Ausdruck — penetranter, allerdings nicht nur von deutscher Seite zur Schau getragener Zweckoptimismus. Er ging so weit, daß der Herr Bundesarbeitsminister noch zu einer Zeit, da bereits alle Warnungszeichen sichtbar geworden waren, erklären konnte, die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei nicht beunruhigend. Inzwischen hat auch er sein Damaskus gefunden und die Erkenntnis gewonnen, daß das Arbeitslosenproblem das Problem Nummer 1 ist. In der Tat zeigt die Lage der westdeutschen Wirtschaft unverkennbar hektische Züge. Es ist kein Silberstreifen weit und breit zu sehen. Der Aspekt ist düster und unheilvoll, die jüngste Entwicklung besorgniserregend. Hier kann von einer „schöpferischen Pause", wie jemand an verantwortlicher Stelle vor wenigen Tagen geäußert hat, nicht die Rede sein. Wie sollte es auch anders sein, wenn die Grundlagen der deutschen Wirtschaft durch Niederlage und Kriegsfolgen weitgehend zerstört, die Freiheit einer eigenen Wirtschaftspolitik durch das alliierte Währungsgesetz und andere Militärgesetze sowie die ständig zwischen Orangen und Rute wechselnde Handhabung eines Besatzungsstatuts aufgehoben ist?
Meine Damen und Herren! Aus dem Sack, den der Herr amerikanische Hohe Kommissar in Stuttgart öffnete, kam weder ein Tischlein deck dich noch ein Esel streck dich, sondern eben nur ein Knüppel. Wenn dann noch entscheidende Fehler deutscher Faktoren in der konjunkturellen und strukturellen Behandlung der Aufgabe hinzukommen — ich spreche hier nicht von den jahreszeitlichen, sondern ausschließlich von den konjunkturellen und strukturellen Erscheinungen und Ursachen der Arbeitslosigkeit —, dann darf man sich nicht wundern.
Inzwischen begann ein nicht gerade fröhlicher, aber aufschlußreicher Krieg, ein Sängerwettstreit, hätte ich fast gesagt, der verschiedenen Seiten, die sich gegenseitig die Schuld an der entstandenen Lage zuschieben. Wir wollen uns an diesem Sängerwettstreit nicht beteiligen, sind aber der Meinung, daß der Versuch, eine deutsche Alleinschuld, das heißt eine Alleinschuld der deutschen Wirtschaftspolitik, auch in diesem Falle zu konstruieren, nicht gerechtfertigt ist. Der Jahresbericht der Wirtschaftskommission der UN auf das Jahr 1948 hat unter anderem folgende Feststellungen getroffen. Er sagte, im allgemeinen habe sich offensichtlich der intereuropäische Handel ohne wesentliche deutsche Beteiligung wieder erholt und sich im großen und ganzen von der Rolle freigemacht, die Deutschland früher spielte. Hier sind also Verlagerungen, strukturelle Veränderungen sichtbar, die nicht von uns veranlaßt sind.
Weiterhin ist bezeichnend für unsere Situation die höchst ungünstige, bedenkliche Entwicklung der westdeutschen Handels- und Zahlungsbilanz. Noch immer beträgt die westdeutsche Einfuhr das Doppelte der Ausfuhr. Im Dezember-Bericht der Bank deutscher Länder Seite 31 ist zur Kennzeichnung der Lage der deutschen Zahlungs- und Handelsbilanz folgendes gesagt:
Im Zuge dieser Entwicklung hat sich die
Zahlungsposition der Bundesrepublik gegenüber der Gesamtheit der übrigen Marshallplanstaaten vorläufig erheblich geändert. Die relativ hohen Guthaben, die Westdeutschland noch Ende September in diesen Ländern einschließlich des Pfundblocks besaß, sind im letzten Vierteljahr 1949 um fast 90 v. H. gesunken. Gegenüber einzelnen Ländern, denen nach dem intereuropäischen Zahlungs-und Kompensationsabkommen in Deutschland Ziehungsrechte zustehen, hat sich die Zahlungsbilanz gerade entgegengesetzt der Vorschätzung entwickelt, das heißt an Stelle der erwarteten Schuldsalden dieser Länder gegenüber Westdeutschland sind zum Teil beträchtliche Guthabensalden. getreten.
Und auf Seite 38 führt die. gleiche Bank deutscher Länder aus:
Es zeigt sich, wie sehr sich Westdeutschland im Interesse einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den übrigen europäischen Marshallplanländern durch seine Liberalisierungsmaßnahmen exponiert hat und daß es seine Einfuhr aus diesen Ländern ohne ernste Gefahren für seine Devisenlage nicht beliebig weiter wachsen lassen kann.
Das sind sehr ernste und zum Nachdenken Anlaß gebende Feststellungen.
Zur Illustration dieser Beurteilung ist es nicht uninteressant, sich an eine Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 30. Januar an die Presse zum Abschluß des deutsch-französischen Handelsvertrages zu erinnern. Dort steht:
Es sei im, allgemeinen noch nicht zu überblicken, welche Auswirkungen dieser Handelsvertrag haben werde; aber immerhin lasse sich voraussehen, daß sich die französischen Ausfuhren nach Westdeutschland schneller entwickeln werden als die deutschen nach Frankreich.
Sie sehen, auch hier eine Entwicklung, die unseren Interessen entgegensteht.
Die Zusammensetzung der Ein- und Ausfuhr mit der Bevorzugung der Rohstoffe für die Ausfuhr und der Fertigfabrikate für die Einfuhr ist höchst bedenklich. Die Liberalisierung des Außenhandels hielt sich nicht in maßvollen und besonnenen, auf die Bedürfnisse und Verhältnisse der eigenen Wirtschaft, der Landwirtschaft und der mit Ernährungs- und Genußgütern zusammenhängenden Industrien Rücksicht nehmenden Grenzen. Sie war ein Exzeß im Ausmaß. Sie ist im Begriff, nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die genannten Industrien und die Existenz der darin beschäftigten Arbeiter zu ruinieren. Die Folgen treffen besonders schwer die Länder des Bundes, in denen die Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen Veredlungsindustrien eine überwiegende Bedeutung besitzen, nämlich Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Das in einer Zeit, in der die britische Regierung ankündigt, die inländische Lebensmittelerzeugung Englands bis zum Jahre 1952 um 50 Prozent steigern zu wollen. Weiß man in Westdeutschland nicht mehr, daß letzthin immer noch die Landwirtschaft die Grundlage und das Rückgrat jedes Staates und jeder Wirtschaft bildet, und daß politische Bewegungen und weittragende Entwicklungen nicht selten von den Elendszuständen einer mißhandelten Landwirtschaft ausgegangen sind? Eine solche Einfuhrpolitik bringt die Landwirt-


(Dr. Etzel)

schaft in eine ganz und gar unhaltbare Lage und um die Rolle, die sie in depressiven Zeiten als Rückhalt der Gesamtwirtschaft spielen kann und soll. Lange Zeit bestand überdies ein beträchtliches Mißverhältnis, eine Preisschere zwischen Preisen und Löhnen, zwischen den Erträgen und Ergebnissen der Landwirtschaft und den Aufwendungen, die sie für die Aufrechterhaltung ihrer Betriebe machen mußte.
Aber wichtig und wesentlich ist vor allem die falsche Geld- und Kapitalpolitik, und hiermit kommen wir zu einem entscheidenden, heute noch viel zu wenig behandelten Grund der derzeitigen Lage. Ich will nicht, obwohl es verlockend sein könnte, noch darauf eingehen, daß auch die wesentlichen Zuwendungen, die nach Berlin gemacht werden mußten, zweifelsohne konjunkturbremsend im Westen gewirkt haben. Die Behauptung, daß ja ein Teil dieser Gelder wieder nach dem Westen zurückfließe, ist nicht bewiesen. Neuerdings wird das Gegenteil erklärt, und wenn ich nicht irre, war es auch der Herr Bundesfinanzminister, der gesagt hat, daß in zunehmendem Maße Lieferungen aus Berlin nach dem Westen erfolgten. Ich glaube, er sagte das, um klarzustellen, daß die Erholung der Berliner Wirtschaft Fortschritte mache.
Der steile Anstieg der Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 wurde durch eine jähe Stagnation unterbrochen. Sie wurde durch ausgesprochen deflatorische Maßnahmen des Zentralbanksystems ausgelöst, durch Erhöhung der Zinssätze, Einschränkung der Kredite und Erhöhung der Mindesteinlagen der Geschäftsbanken bei den Reservebanken. Sie entstanden aus allzu einseitigen Erwägungen der Geldwerterhaltung, einer an sich berechtigten, in ihren Ausmaßen aber übertriebenen Sorge wegen überspitzter Preissteigerungen, aus dem Bestreben, die D-Mark möglichst rasch zu einer harten, weltgängigen Währung zu machen, und der Unterlassung, die in Gang gesetzte Stagnation nachher wenigstens mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es entstand nahezu schlagartig eine nicht nur technisch, sondern vor allem auch psychologisch deflatorische Lage, die eine Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und eine beträchtliche Zunahme der Geldhortung in der Bevölkerung zur Folge hatte. Das konfiskatorische Steuersystem wurde beibehalten, der Sparwille gehemmt und in den Haushalten der öffentlichen Hand hohe Überschüsse angesammelt. Sie wurden zunächst in der Hauptsache bei den Zentralbanken geführt, blieben dort thesauriert, also wirtschaftlich praktisch sterilisiert. Es war eine weitgehende Bürokratisierung der Geld-und Kapitalströme, welche die Herausziehung dieser Ströme aus der Wirtschaft bedeutete. Nicht einmal zur Vorfinanzierung von Investitionen wurden sie verwandt. Die Hinterlegungen bei den Landeszentralbanken wirken währungspolitisch wie eine Stillegung von Geld oder Kapital und liquiditätshemmend auf die Geschäftsbanken. Erst um die Mitte des vergangenen Jahres wurden diese Sterilisierungen öffentlicher Gelder durch Bereitstellung umfangreicher Mittel aus den öffentlichen Haushalten etwas gelockert; aber ihr Einsatz zu Investitionen kam nur langsam in Gang, weil keine ausführungsreifen Projekte vorhanden waren, teils auch aus bürokratischen und organisatorischen Hemmungen, welche wieder einmal in schmerzhafter Weise demonstrierten, wie un-
zweckmäßig und schädlich es ist, einen erheblichen Teil der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung durch konfiskatorische Steuersätze bei der öffentlichen Hand zu konzentrieren.
Auch die zu lange dauernde Blockierung der Einfuhrgegenwerte stützte und verstärkte die deflatorische Entwicklung. Im Jahre 1949 wurden nur 470 Millionen freigegeben. Erst im Dezember wurden Finanzierungsanträge in Höhe von 1,036 Milliarden D-Mark von der ECA grundsätzlich genehmigt und hierauf in der ersten Januarhälfte zunächst 543 Millionen für die Westrepublik und 57 Millionen für Berlin freigegeben. Gleichzeitig fand ein starker Abstrom von Geld aus dem Zentralbanksystem statt, ein Abstrom der Hinterlegungen der öffentlichen Hand, also ein Einstrom in die Wirtschaft, und dennoch nahm die Arbeitslosigkeit zu. Sie werden sehen, wie wichtig die psychologischen Faktoren in der Wirtschaft sind. Sowohl die Konzentrierung der öffentlichen Gelder beim Zentralbanksystem als auch die Blockierung der Einfuhrgegenwerte bedeutete eine Stillegung großer Geld- und Kapitalströme.
Hinzu kam ein erfolgloses Experiment der Landeszentralbanken. Um die übermäßigen Anträge auf Einfuhrgenehmigungen zu reduzieren, vor allem um sogenannte Konzertzeichnungen zu unterbinden, daß heißt Anträge eines Vielfachen zu dem Zweck, nur wenigstens das, was man wollte, zu bekommen, haben die Landeszentralbanken, bei denen ja die ganzen mit dem Außenhandel zusammenhängenden Zahlungsvorgänge konzentriert sind, die Vorschrift erlassen, daß der Gegenwert — und zwar der volle Gegenwert der beantragten Devisen — als Bardepot hinterlegt werden muß. Auf diese Weise wurde am 23. November vorigen Jahres nicht weniger als eine volle Milliarde aus der Wirtschaft herausgezogen und bei den Landeszentralbanken stillgelegt. Inzwischen sind diese großen sterilisierten Beträge wieder freigegeben worden, weil die Landeszentralbanken erkennen mußten, daß auf diese Weise den Konzertanträgen, also der Häufung von Antragssummen, nicht begegnet werden kann; und auch hier blieb die Freigabe dieser zuerst aus der Wirtschaft herausgezogenen einen Milliarde — Ende Dezember 1949 waren von dieser einen Milliarde nur noch 22 Millionen bei den Landeszentralbanken vorhanden — ohne Wirkung auf die Wirtschaft; die Arbeitslosigkeit stieg weiter. Die rückläufige Konjunktur hat trotz der an die Abwertung der D-Mark geknüpften Hoffnungen angehalten.
Die Entwicklung wäre noch ungünstiger verlaufen, und die Kurve der Arbeitslosigkeit hätte sich noch steiler entwickelt, wenn nicht zeitweise die Landeszentralbanken mit dem Ankauf von Ausgleichsforderungen der Geschäftsbanken zur Ermöglichung von Vorfinanzierungen und die Geschäftsbanken mit Krediten, zum Teil ebenfalls für Vorfinanzierungen, eingesprungen wären. Es ist interessant, sich die Höhe dieser kurzfristigen Kredite vor Augen zu halten. 3,4 Milliarden gewährten allein die 112 wöchentlich — nicht monatlich — berichtenden Geschäftsbanken. Im ganzen hatten sämtliche Geschäftsbanken 9 Milliarden kurzfristiger Gelder ausgeliehen, genau so viel, wie seinerzeit im Jahre 1930/31 an kurzfristigen ausländischen Guthaben in Deutschland vorhanden waren, deren Rückruf von einem Tag auf den andern bekanntlich zu dem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft, aber auch der Ver-


(Dr. Etzel)

schärfung der Lage der Weltwirtschaft beigetragen hat. Von jenen 3,4 Milliarden des Jahres 1949, die bei. den 112 Geschäftsbanken ausgeliehen wurden, entfiel im zweiten Halbjahr doppelt so viel wie im ersten. Und welch erstaunliche Erscheinung wiederum: trotz dieser vermehrten Ausgabe von Krediten ein weiteres Abflauen der Konjunktur!
Die bis heute andauernde einseitige Begünstigung einer Verbrauchsgüterkonjunktur - damit kommen wir zu einem weiteren sehr wesentlichen Grund unserer heutigen wirtschaftlichen Lage zu Lasten einer Investierungspolitik, welche allein eine Produktionsgüter-Konjunktur herbeiführen und stützen kann, oder, wie man es auch ausdrücken kann, die ständige Umwandlung von Produzentengeld in Konsumentengeld ist eine weitere Ursache unserer heutigen Situation. Während in den Verbrauchsgüterzweigen immer noch günstige Ergebnisse anfallen, die auch Selbstfinanzierungsmaßnahmen beträchtlichen Ausmaßes ermöglichen, besteht in weiten Kreisen der Produktionsgüterindustrien mit Ausnahme des Fahrzeugbaues und der Elektroindustrie infolge mangelnder Ausnutzung der Kapazitäten eine ausgesprochen depressive, kaum noch die Kostendeckung ermöglichende Lage. Eine Verbrauchskonjunktur auf Kreditbasis darf nicht weiter bestehen oder fortgeführt werden. Die Grundlagen der bisherigen Verbrauchsbelebung sind zweifellos sehr labil, vor allem solange die in Aussicht gestellte Ermäßigung der Einkommen- und Lohnsteuersätze nicht in Kraft getreten ist. Wichtige Wirtschaftszweige rechnen denn auch für die ersten Monate des neuen Jahres mit einem vielfach über den saisonmäßigen Rückgang hinausgehenden Abschwung auch der Verbrauchsgüterkonjunktur. Das zeigen die meisten, recht knappen Lagerdispositionen und zum Beispiel auch die Tatsache, daß die Schuhindustrie in den letzten Wochen des vergangenen Jahres zur Kurzarbeit übergegangen ist.
Die Statistik ist gewiß eine gefällige Dame, die zu allerhand Dingen zu haben ist, manchmal aber auch zu ehrbaren und legitimen Zwecken und Funktionen. Die alarmierenden Aufschlüsse, welche sie über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit — des Manometers der Wirtschaft — gibt, gehören zu den legitimen Funktionen. Nicht nur die Arbeitslosigkeit steigt lawinenhaft, auch die Zahl der Beschäftigten geht zurück. Es ist notorisch, daß jetzt etwa 200 000 Menschen weniger beschäftigt sind als zur Zeit des Höchststandes. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Rückgang der Beschäftigtenzahlen finden ihren Ausdruck in der Entwicklung der Einkommensteuer, und zwar der veranlagten wie der Lohnsteuer. Letztere hat — trotz der Weihnachtsgratifikationen — im Dezember nur noch 169 Millionen gegenüber 177,4 Millionen in dem vergleichbaren Monat September, also nur noch 95,3 Prozent, erstere 130,6 Millionen gegenüber 135,7 Millionen, daß heißt nur noch 96,3 Prozent erbracht. Vor allem erweist uns die Statistik, daß — das ist sehr wichtig — die Arbeitslosigkeit, eben weil sie überwiegend aus konjunkturellen und strukturellen Ursachen erwachsen ist, im Begriffe ist, immer mehr langfristigen Charakter anzunehmen. So sind die Aufwendungen für die Arbeitslosenunterstützung im November auf 43,2 Millionen D-Mark, die der Arbeitslosenfürsorge aber auf 56,4 Millionen D-Mark gestiegen.
Je länger, desto mehr überschreiten die Zahlen der durch die Fürsorge betreuten Arbeitslosen die Zahlen der Arbeitslosen-Unterstützungsempfänger. Die Statistik läßt weiterhin bei einem Vergleich des Aufkommens an Einkommen- und an Körperschaftssteuer ersehen, daß die mittelständische Wirtschaft stärker getroffen wird als die Großwirtschaft. Aber nicht nur in den Außenberufen, wie vielfach behauptet wird, in der Landwirtschaft und dem Baugewerbe, sondern auch in den Bereichen vor allem beispielsweise der metallverarbeitenden Industrien und Gewerbe zeigt sich eine bedrohliche Abnahme der Beschäftigtenzahlen, deren Ausmaße über die Freisetzungen durch Rationalisierung weit hinausgehen.
In einem Klima, das dauernd von einer Kriegsdrohung überschattet ist — und hier kommen wir doch zu einer elementaren Ursache —, kann auf die Dauer die Wirtschaft in einem Gebiet, das präsumtives Schlachtfeld sein kann, nicht bestehen, und je weniger von Krieg gesprochen würde, desto besser wäre es für die Menschen dieses unglücklichen Landes.

(Zuruf in der Mitte: Warum sprechen Sie dann von Krieg?)

Und nun zu den konjunkturellen Mitteln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Notwendig ist vor allem eine energische Abkehr von der bisherigen einseitigen Bevorzugung und Betreibung der Verbrauchsgütererzeugung zu Gunsten der Förderung der Produktionsgütererzeugung, also der Investitionstätigkeit. Insbesondere bedarf es der Ermöglichung und Sicherung der Vorfinanzierung als eines technischen Mittels. Natürlich kann aber die Vorfinanzierung die Arbeitslosigkeit nicht allein beseitigen. Die notwendige Geld- und Kreditausdehnung muß streng auf die Investitionstätigkeit und Investitionsförderung konzentriert werden. Eine Verbrauchskonjunktur auf Kreditbasis darf, wie ich schon sagte, nicht bestehen noch fortgeführt werden. Die Verbrauchsausgaben der Bevölkerung, des sogenannten letzten Konsumenten, weichen in der Regel nicht wesentlich von dem anfallenden Einkommen desselben ab. Diesem statischen Teil der Wirtschaft gegenüber bilden die Investitionen die dynamischen Kräfte in der wirtschaftlichen Entwicklung. Nur durch ihre Zunahme werden zusätzlich Lohn- und Gehaltseinkommen geschaffen, die in den Verbrauch fließen oder erspart , werden, also zur Kapitalbildung beitragen. Umgekehrt drückt ein Rückgang der Investitionstätigkeit die für den Verbrauch oder die Kapitalbildung verfügbaren Einkommen herab.
Der „Telegraf" hat vor einigen Tagen auf das sogenannte Generalmemorandum hingewiesen, das die Bundesregierung der ERP-Organisation in Paris übergeben hat. In diesem Memorandum soll nach einer Behauptung der „Deutschen Zeitung", der früheren „Wirtschaftszeitung" in Stuttgart folgender Satz enthalten sein:
Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß das
Investitionsprogramm sogar gedrosselt werden muß, weil jede Erhöhung des Produktionsniveaus durch Investitionen naturgemäß
zu einer Steigerung der Beschäftigung und
damit der Kaufkraft führt.
Eine gewisse Sorge vor einem allzu raschen Anstieg der Kaufkraft und einer allzu großen Beschleunigung der Umlaufsgeschwindigkeit — zur Zeit ist diese Umlaufsgeschwindigkeit ja zu ge-


(Dr. Etzel)

ring — mag Gegenstand der Sorge einer späteren Zeit bilden. An und für sich ist die Überlegung berechtigt; aber die Folgerung, die daraus gezogen wird, ist falsch. Nicht weil eine solche Möglichkeit besteht, muß die Investitionstätigkeit gestoppt werden, sondern sie muß im Gegenteil gefördert werden. Es muß nur gleichzeitig Bedacht darauf genommen werden, daß sich nicht ein allzu ungünstiges Mißverhältnis zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit und der verfügbaren Gütermenge entwickelt, mit anderen Worten, es muß der Sparwille der Bevölkerung gestärkt und entwickelt werden. Zweitens ist die Beseitigung der Exzesse in der Liberalisierung des Außenhandels notwendig.
Weiterhin ist, wie erwähnt, der Wille zur Kapitalbildung, also der Sparwille, aber auch die Sparmöglichkeit zu fördern. Die Entwicklung der Einlagen bei den Geschäftsbanken - im November hatten sie ganz aufgehört — befriedigte nicht; in allen Fällen sind die Einzahlungen hinter der Kreditausweitung weitgehend zurückgeblieben. Auch bei den Sparkassen, den Versicherungsgesellschaften, Bausparkassen und dergleichen verlief die Entwicklung nicht befriedigend. Ganz enttäuschend aber sind die Ergebnisse des Wertpapiersparens. Hier zeigt sich die große Krise der Emissionstätigkeit infolge der Mißhandlung des Wertpapiersparers. Die Ergebnisse der drei großen Emissionen im Jahre 1949, jene der Bundesbahn, der Wiederaufbaubank und der Industriekreditbank-AG, waren höchst unbefriedigend, und nur ein kleiner Teilbetrag ist aufgebracht worden. Im wesentlichen mußten die Zeichnungen der Banken von diesen selbst aus eigenen Mitteln ausgeführt werden. Nur durch eine entsprechende Regelung der Altspareinlagen kann der erschütterte Emissionskredit vor allem der öffentlichen Bedarfsträger wieder verbessert werden, aber nicht durch eine Zwangsanleihe, wie sie mit der Zwangs-Telephonanleihe von der Post, die von ihren besten Stephan-Methoden abgekommen ist, geplant wurde.
Ich habe es sehr bedauert, daß die Frage der Regelung der Altsparguthaben vom Bundesfinanzministerium unter den Aspekt des Wohnungsbaus gestellt worden ist. Ich weiß nicht, inwieweit Pressemitteilungen zutreffen, die behaupten, daß das Bundesfinanzministerium entschlossen sei, die Regelung der Altsparguthaben bis Ende dieses Jahres zurückzustellen, weil die aufgewerteten Altsparguthaben nicht mehr zur Finanzierung des Wohnungsbaus benötigt würden, sondern hierzu die Auswertung des Münzregals ausreiche. Eine solche Auffassung verkennt die psychologische Unerläßlichkeit der Wiederherstellung des Vertrauens der Sparer. Wirtschaft ist nicht nur Erzeugung und Verbrauch, Geld, Kapital, Kredit und Zins, sondern Vertrauen in die bestehenden Verhältnisse, in die Politik von Regierung und Parlament, in die Erhaltung des Geldwertes. Ohne dieses psychologische Hormon gibt es keine gesunde Wirtschaft und keine Kapitalbildung. Es bedeutet eine Verkleinerung, eine, fast hätte ich gesagt: materialistische Betrachtung dieses Problems, wenn man es allein unter dem Gesichtspunkt der Benützung für den Wohnungsbau beurteilen möchte. Worauf es uns ankommt, ist, daß hier auch ein Recht wiederhergestellt wird, und die Wiederherstellung des Rechts ist stets eine Forderung der Vernunft. Stets ist die Verwirklichung der Vernunft auch
die Sicherung des Nützlichen. Wenn man glaubt, man könne mit einer opportunistischen Betrachtung und Behandlung dieser Probleme auskommen, so begibt man sich in einen Irrgarten.

(Sehr richtig! links.)

Wesentlich ist weiterhin eine fühlbare steuerliche Entlastung, um den Sparwillen und die Sparmöglichkeiten wiederherzustellen. Die in Angriff genommene kleine Reform kann nur eine Abschlagszahlung sein; sie genügt nicht als endgültige Regelung.
Wichtig ist die Befreiung der öffentlichen Haushalte von unproduktiven Kosten. Wir wollen keine Aufblähung des Staatsapparats, keine Gesetzesspeierei, keine Sucht, leichtherzig die Klinke der Gesetzgebung in die Hand zu nehmen. Was wir im Zusammenhang mit den Beratungen des Haushaltsplans und der Aufstellung der Stellenbesetzungspläne der Bundesministerien erleben, erfüllt uns in dieser Hinsicht mit ernster Sorge. Es ist nützlich, sich vor Augen zu halten, daß beispielsweise in England die Kosten des gesamten Verwaltungsapparats der indirekten Steuern, die in England außerordentlich ausgebaut sind, nur 9,2 Millionen Pfund, also weniger als 0,6 Prozent der eingebrachten Ab gaben ausmachen. Hier erweist sich, wie rationell und sparsam eine Verwaltung aufgebaut werden kann. Notwendig ist vor allem aber auch die Freimachung der Haushalte der öffentlichen Hand von den Subventionen; diese werden ja allerdings am 30. Juni aufhören.
Von großer Bedeutung ist die Entsterilisierung der Geld- und Kapitaiströme, und zwar durch Dekonzentration der Einlagen der öffentlichen Haushalte und der mit dem Außenhandel zusammenhängenden Zahlungsvorgänge von der Zentralbankorganisation und durch stärkere und vor allem laufende Freigabe der Einfuhrgegenwertmittel. Wie ich schon erwähnt habe, waren am 11. Januar von den im Dezember deblockierten 600. Millionen DM für die Wiederaufbaubank 543 Millionen zur Weiterleitung an die vorgesehenen Kreditnehmer und 57 Millionen für die Berliner Industriebank freigegeben. Unentbehrlich wären ausländische private Kapitalanlagen. McCloy mußte aber vor wenigen Tagen vor allzu großen Erwartungen warnen. In der Tat müssen, wenn private Anlagen hereinkommen sollen, zuerst die politischen Voraussetzungen hierfür erfüllt sein. Dazu gehört erstens die Bereinigung oder wenigstens wesentliche Milderung des unheilvollen Gegensatzes zum Osten. Keine Kapitalgruppe, kein privater Kapitalbesitzer wird, wie ich schon sagte, wesentliche Mittel in ein präsumtives Schlachtfeld stecken wollen. Zweitens gehört dazu die Möglichkeit, die gegensätzlichen Kräfte und Interessen unter den Westmächten auszugleichen, sie auf einen Nenner oder unter einen Hut zu bringen, das heißt sicherzustellen, daß nicht einzelne dieser Westmächte die Absichten der anderen fortgesetzt durchkreuzen, daß nicht eine große Macht durch den Widerspruch oder die Interventionen anderer an dem Atlantikpakt beteiligten Mächte gezwungen ist, einen fortgesetzten Stellungswechsel vorzunehmen und ihre ursprünglichen positiven Absichten aufzugeben. Diese Wahrnehmung haben wir leider immer wieder machen müssen. Voraussetzung ist drittens, daß nicht weltwirtschaftliche Depressionen eintreten. Vielleicht steht es uns in unserer derzeitigen Lage nicht zu, uns darüber zu äußern, ob


(Dr. Etzel)

in Amerika eine große Wirtschaftskrise bevorsteht oder nicht; aber wir dürfen immerhin zur Kenntnis nehmen, daß dort die Arbeitslosenziffer auf 4,5 Millionen gestiegen ist.
Weiterhin ist eine wesentliche Verminderung der Besatzungskosten,

(Sehr richtig! in der Mitte)

aber auch, meine Damen und Herren, für später eine Verminderung der Leistungen für Berlin notwendig. Man erklärt zwar: über die Höhe der Besatzungskosten befinden die Alliierten. Gut, dann darf man aber in dieser bedrohlichen Lage, in der uns diese 41/2 Milliarden für Besatzungskosten jährlich und außerdem die 1,2 Milliarden für Berlin fehlen, nicht sagen, die Deutschen seien allein an dieser Situation schuld, und nicht sagen, die Deutschen hätten diese Lage mit eigenen Mitteln zu meistern.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Weiterhin ist die allmähliche Wiederherstellung der privatwirtschaftlichen Grundlagen und der Rentabilität des Grundbesitzes notwendig. Nur dadurch werden umfangreiche Instandsetzungen möglich, die vor allem auch den gewerblichen Mittelstand, das Handwerk, beschäftigen können. Es wird dann auch nicht nur sozialer Wohnungsbau mit öffentlichen Mitteln, sondern weitgehend der private Wohnungsbau ermöglicht, weil dieser, wenn die Rentabilität hergestellt ist, für den Kapitalgeber wieder interessant wird, vorher nicht.
Endlich wird zur Überwindung der Stagnation der Wirtschaft und der bedrohlichen Arbeitslosigkeit ein zeitweiliges Haushaltsdefizit infolge öffentlicher Investitionen als konjunkturell be- lebende Maßnahme wichtig sein. Durch das Währungsgesetz ist den westdeutschen Ländern bekanntlich die Möglichkeit eines Haushaltsdefizits auch für Investitionszwecke verschlossen. Das ist um so weniger verständlich, als die Vereinigten Staaten selbst ihre Europahilfe und ihre politischen Hilfsmaßnahmen sonst auf dem Globus fast ausschließlich mit einem nun schon permanent gewordenen Haushaltsdefizit finanzieren; und dieses Haushaltsdefizit beträgt nicht weniger als 6 Milliarden Dollar, also über 24 Milliarden D-Mark. Auch haben wir das Recht, darauf hinzuweisen.
In unsere ganze wirtschaftliche Grundlage ist eine Erstarrung hineingekommen dadurch, daß sowohl die öffentlichen Bedarfsträger wie auch die Privatunternehmungen infolge des desorganisierten Geld- und Kapitalmarktes immer wieder versuchen, aus den laufenden Erträgen durch Eigenfinanzierung die zu Investitionen notwendigen Mittel zu beschaffen. Auch früher wurden Investitionen doch auf eine Anzahl von Jahren verteilt. Man sagte: Eine Investition, die noch einer anderen, späteren Generation zugute kommt, soll auch diese verpflichten, daran mitzutragen. Mit anderen Worten: Man hat das Kapital aus dem Leihmarkt, aus dem Ersparten genommen und durch die Verteilung des Tilgungsdienstes auf längere Zeiträume der Wirtschaft eine tragfähige Elastizität verliehen. Diese fehlt heute infolge der Zerrüttung des Emissionsmarktes, wie ich mir erlaubt habe anzuführen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Wiederherstellung des Emissionsmarktes unentbehrlich, weil dann die Beträge, die zunächst als Haushaltsdefizit erscheinen, später durch Anleihen der öffentlichen Bedarfsträger, der öffentlichen Hand abgelöst werden können.
Wichtig ist auch noch eine andere bedeutende wirtschaftliche Angelegenheit. Wir wollen, daß ein wesentlicher Träger unserer Wirtschaft, die mittelständische Wirtschaft, in der Industrie, im Handwerk, im Einzelhandel wie auch im Großhandel eine besondere Pflege und Förderung erfährt. Sie ist vielfach die kapitalmäßig oder auch sonst wirtschaftlich schwächere. -

(Glocke des Präsidenten.)

So hat die alte Weimarer Verfassung in Artikel 164 einen Dithyrambus von Verheißungen an die Adresse des gewerblichen Mittelstandes enthalten. Wir wissen, wie wenig von diesem Pronunciamento ausgeführt worden ist. Auch einzelne Länderverfassungen der Nachkriegszeit enthalten solche Bestimmungen. Uns kommt es darauf an, daß dieser unentbehrliche, fleißige, treue, solide und leistungsfähige Träger der Wirtschaft, daß das Handwerk, die Klein- und Mittelindustrie, der Einzelhandel und die übrigen mittelständischen Gewerbe eine besondere Förderung erfahren in den Fragen der Auftragserteilung, der Kreditzuweisung, der Rohstoffversorgung und vor allem auch in der Erfüllung der berechtigten Forderungen auf Wiederherstellung des Befähigungsnachweises als Voraussetzung einer ehrlichen, anständigen Wettbewerbswirtschaft.

(Sehr gut! rechts.)

Zum Schluß möchte ich ein technisches Mittel nennen

(Zurufe: Gott sei Dank!)

- das ist die notwendige Beschleunigung der Geldbewegung. Zur Zeit benötigen Geldüberweisungen, namentlich wenn sie von Land zu Land über die Landeszentralbanken gehen, immer noch mindestens 6 Tage. Dadurch wird dauernd ein wesentlicher Teil unseres Geldstromes gebunden, das heißt wirtschaftlich stillgelegt.
Das ERP-Ministerium hat zu dem Generalmemorandum der Bundesregierung in Paris noch ein Zusatzmemorandum abgegeben. Daraus ist eine Reihe von Punkten offiziös bekanntgemacht worden. Ich habe den Wortlaut auch selbst in
Besitz. Es sind etwa 15 Punkte.

(Zurufe von links: Oh je!)

— Ich muß sagen: Diese Denkschrift, dieses Zusatzmemorandum des ERP-Ministeriums ist eine mild lächelnde Denkschrift. Sie ist voll von Annahmen, Hypothesen, Hoffnungen. Sie ist eine Zauberlaterne. Ich fürchte, daß die Bilder, die sie vor unseren Augen abrollen läßt, keine Realität besitzen, sondern eine Phantasmagorie bleiben werden.
Ich komme kurz noch zu einem Blick auf die besondere Lage in Bayern. Sie werden verstehen, daß ich als Angehöriger der Bayernfraktion die Pflicht fühle, dieses wesentliche Gebiet mit in den besonderen Bereich der Betrachtungen zu ziehen, vom bayerischen wie vom gesamtdeutschen Standpunkt aus. Die Entwicklung der Arbeitslosenziffer in Bayern dürfte Ihnen bekannt sein. Herr Wirtschaftsminister Dr. Seidel hat bereits die Zahl von ca. 526 000 genannt. Die Gesamtarbeitslosenziffer - ohne Kurzarbeiter - in Bayern betrug am 2. Februar 516 076. Darunter befanden sich nicht weniger als 54 840 Metallarbeiter, 184 000 in Arbeitslosenfürsorge stehende Menschen und 197 000 in Arbeitslosenunterstützung stehende.


(Dr. Etzel)

Nicht weniger als 42 000 Menschen arbeiten kurz, 74 000 Bauarbeiter sind erwerbslos. Damit hat Bayern einen höchst unerfreulichen Rekord geschlagen, nämlich den der höchsten Arbeitslosigkeit im Wirtschaftsgebiet der Deutschen Bundesrepublik. Eine Gesamtheit wie der Bund kann nicht gedeihen, wenn wichtige Glieder des Bundes notleiden. Die Ursachen dieser unerfreulichen Lage in Bayern sind nicht nur jahreszeitlich. Sie sind in besonderem Maße konjunkturell und vor allem strukturell. —

(Glocke des Präsidenten.)

Die konjunkturellen Ursachen habe ich dargelegt. Von den strukturellen Ursachen sei zuerst die Verkehrsferne genannt. Bayern ist revier- und rohstofffern. Es ist ein Randgebiet, dessen Lage dadurch außerordentlich erschwert und verschärft wird, daß es seit 1945 durch die Grenzzonen von seinen Bezugs- und Absatzgebieten abgesperrt und großen Frachtumwegen preisgegeben ist. Diese Frachtumwege haben durchschnittlich eine Frachtverteuerung von 32 % zur Folge.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103605700
Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie die nach § 87 der Geschäftsordnung übliche Redezeit erheblich überschritten haben. Das Weitersprechen bedürfte einer Befragung des Hauses.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103605800
Zu den 40 % kommen die Zuschläge hinzu, die die Eisenbahn ab 15. August 1948 eingeführt hat. Die Wirtschaft der Randgebiete wird ein Opfer der verhängnisvollen Tarifpolitik der Eisenbahn, an der nicht der jetzige Bundesverkehrsminister schuld ist. Das möchte ich ausdrücklich feststellen. Der jetzige Bundesverkehrsminister ist bemüht, die Verkehrsverhältnisse der Randgebiete zu erforschen, und hat zu diesem Zweck eine Untersuchung in Bayern vorgenommen. Die von der Eisenbahn in den letzten Jahren betriebene Tarifpolitik aber ruiniert die Wirtschaft der Randgebiete. Durch die Abtrennung des Saargebiets entfällt für die bayrische eisenverarbeitende Industrie der natürliche Lieferant.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103605900
Sie haben Ihre Redezeit überschritten, und ich muß Sie bitten, Ihre Ausführungen zu beenden. Sie haben über eine Stunde gesprochen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103606000
Ich bedaure, daß der Herr Präsident den Wunsch geäußert hat, ich möchte meine Ausführungen beenden.

(Lachen.)

Ich weiß nicht, wieso Ihre Heiterkeit begründet erscheinen mag.

(Erneutes Gelächter.)

In dieser ernsten Zeit einer deutschen schicksalsmäßigen Entwicklung glauben Sie Grund zur Heiterkeit zu haben. Ich glaube, Sie werden rich vielleicht in nicht allzu langer Zeit daran erinnern können, daß kein Grund zur Heiterkeit bestand.

(Zuruf rechts: Das ist keine Heiterkeit.)

Ich bedaure, eine solche Haltung dieses Hohen
Hauses in einer demokratischen Bundesrepublik.
Präsident Dr. Kation Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Bertram.

(Zurufe von der Mitte und links: Wir tagen weiter!)


Dr. Helmut Bertram (FU):
Rede ID: ID0103606100
Ich stelle den Antrag, die Sitzung heute zu unterbrechen und auf den morgigen Tag zu vertagen und dafür morgen früh —

(Widerspruch)

- einen Augenblick bitte — und dafür morgen früh eine halbe Stunde früher anzufangen und dann keine neuen Redner für die Rednerliste mehr zuzulassen. Ich glaube, daß wir damit nach verschiedenen Richtungen hin richtiger verfahren würden, als wenn wir vor halbleerem oder dreiviertel, leerem Hause fortfahren würden, ein so wichtiges Problem zu behandeln. Sie müssen bedenken, daß heute allein von der Regierung und den Regierungsparteien sieben Herren gesprochen haben und einige Punkte zur Sprache gekommen sind, die mit der heutigen Debatte kaum unmittelbar etwas zu tun haben, und daß es wahrscheinlich niemand verstehen wird, daß bei einem so wichtigen Problem wie dem Problem der Arbeitslosigkeit, das bisher im wesentlichen analytisch behandelt worden ist und zu dem wir doch hoffen noch im einzelnen Lösungsvorschläge zu hören, tatsächlich nur aus Gründen, die ich nicht recht billigen kann, die heutige Verhandlung vor dreiviertelleerem Hause fortgesetzt wird. Ich bitte deshalb, dem Antrag zuzustimmen.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103606200
Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Bertram auf Vertagung der heutigen Sitzung gehört. Ward das Wort dazu gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist mit eindeutiger Mehrheit abgelehnt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Loritz. (Abg. Dr. Reismann: Zur Geschäftsordnung!)

— Der Antrag ist erledigt. Ich habe Herrn Abgeordneten Loritz das Wort erteilt.

Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0103606300
Meine Damen und Herren! Es ist wirklich sehr schade, daß bei uns in Deutschland das Fernsehen noch nicht eingeführt ist, daß man Sitzungen des Bundestages noch nicht den Millionen deutscher Mitbürger draußen durch Fernsehen übermitteln kann,

(Lachen und Zurufe bei den Regierungsparteien)

damit unsere Mitbürger draußen sich überzeugen könnten, wie jetzt schon seit Stunden das Haus überhaupt nicht mehr beschlußfähig ist, wie nicht einmal die Hälfte, ja nicht einmal ein Drittel der Abgeordneten mehr anwesend ist. Ich glaube, das Thema ist wichtig genug, daß sich die Regierungsvertreter und die Herren der Regierungsparteien auch noch andere Redner als nur ihre eigenen Leute anhören würden.

(Zuruf: Sie waren ja auch draußen! — Heiterkeit und weitere Zurufe.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103606400
Meine Damen und Herren, bitte hören Sie Herrn Abgeordneten Loritz an.

(Zuruf: Sie waren ja selber zwei Stunden draußen!)


Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0103606500
Da täuschen Sie sich aber sehr! Ich ersuche Sie, mich sprechen zu lassen, wenn Sie nur einen Funken demokratischen Gefühls haben.
Meine Damen und Herren! Ich finde es immer irgendwie komisch, wenn Vertreter der Regie-


(Loritz)

rungsparteien den so sehr langen Weg über das Parlament wählen, um ihre Gedanken hier vorzutragen, zum Beispiel zum Problem der Beseitigung der Arbeitslosigkeit usw., anstatt daß die Regierungsparteien den viel kürzeren Weg wählen, zu ihren eigenen Ministern zu gehen, um denen, meinetwegen unter vier Augen, zu sagen, was sie endlich mal tun sollten, um diese furchtbare Katastrophe der Arbeitslosigkeit zu mildern. Warum tun Sie denn das nicht?

(Zuruf von der Mitte.)

— Sie rufen dazwischen: Das ist Demokratie! Nein, das ist gar keine Demokratie; das ist etwas ganz anderes. Das ist ein Versuch, die öffentliche Meinung darüber hinwegzutäuschen, daß man bisher nichts getan hat, und durch lange Reden im Parlament von seiten der Regierungsmitglieder und der regierenden Parteien die Tatsache zu verdecken, daß die Herren Minister, die Sie gewählt haben, bisher an die Dinge noch nicht herangegangen sind. Wenn uns der Herr Bundeskanzler heute glauben zu machen versucht, die Regierung habe seit dem ersten Moment ihres Zusammentretens gerade das Problem der Arbeitslosigkeit in seiner ganzen Tragweite als das Staatsproblem Nr. 1 erkannt, dann möchte ich dem nur entgegenhalten, daß wir noch vor wenigen Wochen von führenden Regierungsmitgliedern immer wieder gehört haben, die Arbeitslosigkeit sei zur Zeit gar kein Problem, es sei gar nicht schlimm mit der Arbeitslosigkeit. Jetzt liest man es allerdings anders, nachdem draußen nichts mehr vertuscht werden kann. Denn es gibt Städte, nicht bloß in der Bayerischen Ostmark, sondern genau so in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen, wo sich schon wieder das Bild zeigt, wie wir es 1932 alle gesehen haben: ganze Taufen von jungen, arbeitskräftigen Männern stehen in den Straßen und auf den Marktplätzen müßig herum, weil sie nichts zu tun haben.

(Zuruf von der CDU: Die hören den Loritz an! — Heiterkeit.)

Wir brauchen jetzt endlich einmal eine Regierungspolitik, die wirklich Taten und nicht etwa bloß Worte zeigt. Es interessiert uns gar nicht, wenn die Regierung sich etwas darauf zugute tut, daß die Zahl der Beschäftigten gegenüber dem letzten Jahr gestiegen sei. Ich bezweifle übrigens diese Zahlen mit den Beschäftigten sehr. Sie vergleichen nämlich zwei Größen miteinander, die man gar nicht vergleichen kann. Bei den Zahlen aus den Jahren 1947 und Anfang 1948 ist zu bedenken, daß ein großer Teil der Bevölkerung für sich gearbeitet hat, weil er in Reichsmark für seine Arbeit nicht mehr so viel erhielt, um sich ein Mittagessen kaufen zu können. Jetzt sind die Menschen alle wieder offiziell in ihren Fabriken tätig. So kommen Sie zu diesen erhöhten Ziffern und nicht anders, meine Herren. Wir müssen von der Ziffer der Zunahme der Arbeitslosen ausgehen. Das ist der alleinige Maßstab, nach dem das Wirken dieser Regierung zu beurteilen ist.

(Zuruf von der CSU: Stimmt nicht!)

Meine Damen und Herren! Was schlagen wir von der WAV zur Abhilfe vor?

(Abg. Strauß: Was schlagen Sie vor?)

— Warten Sie nur, das werden Sie gleich hören,
Herr Zwischenrufer! — Wir sind uns über folgendes klar. Eine Kreditausweitung, eine Kreditschöpfung kann nicht diese Schwierigkeiten meistern.
Wenn nämlich eine Kreditschöpfung vorgenommen würde, um die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, dann müßte eine so große Neuschöpfung an Kaufkraft, also eine so große Kreditausweitung erfolgen, daß damit größte Gefahren für die Währung heraufgeführt würden. Wenn man dagegen die Kreditschöpfung nur in mäßigen, erträglichen Grenzen hält,

(Abg. Strauß: Was schlagen Sie vor?)

dann wird dieses Mittel allein noch keineswegs genügen können zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Was ist also zu tun?

(Zuruf von der CSU: Also los!)

Man muß die Gelder dort nehmen,

(Zuruf von der CSU: Wo sie sind!)

wo sie heute in größtem Umfang vorhanden
sind, bei denjenigen, die Riesenvermögen und
Rieseneinkommen haben. Da ist gleich bei den
Staatskassen anzufangen. Die Staatskassen haben
zur Zeit Steuereinnahmen in einer Höhe wie
noch nie zuvor; nicht bloß die Bundeskassen, sondern genau so die Kassen der Länder. Ich kenne
die Verhältnisse im Lande Bayern. Dort ist im
Jahre 1949 der Betrag von rund 2,8 Milliarden DMark an Staatseinnahmen aller Art zugeflossen.

(Abg. Strauß: Und „nichts" ausgegeben!)

Im Lande Nordrhein-Westfalen soll die Ziffer fast 4 Milliarden D-Mark betragen. Zählen Sie nur einmal allein diese Ländereinnahmen in ganz Deutschland zusammen. Hinzu kommen noch die Riesenbeträge, die der Bund jetzt einnimmt. Sie wissen ja vielleicht vom Haushaltsausschuß her, daß allein die Bundeseinnahmen auf 9 Milliarden D-Mark veranschlagt werden. Diese kommen zu den Ländereinnahmen hinzu. Neben den Riesenausgaben, die die Länder schon gemacht haben, hat man Bundesinstanzen, Bundesorgane und Bundesbehörden geschaffen, die weitere Riesenmilliardenbeträge verbrauchen.
Hier ist einzusetzen! Hier sind Beträge, die ohne weiteres um 10 Prozent, meinetwegen sogar 20 Prozent gekürzt werden können. Diese Beträge können und müssen sofort für ein wirklich produktives Arbeitsbeschaffungsprogramm zur Verfügung gestellt werden.

(Abg. Strauß: Und reichen dann aus?) — Diese Beträge, Herr Kollege, werden schon eine große Summe ergeben. Sie können sich ja leicht ausrechnen, wieviel es ausmacht, wenn Sie von 9 Milliarden D-Mark allein für den Bund und dazu von den Ländereinnahmen 10 oder 20 Prozent nehmen. Sie werden dann Beträge von mehreren Milliarden D-Mark zusammenbekommen.

Dann, meine Herren von den Regierungsparteien, müssen Sie allerdings eines tun: Sie können dann in den Ländern und im Bund nicht mehr mit dem Geldhinausschmeißen fortfahren, wie es zur Zeit bei Ihnen geschieht. Das können Sie dann allerdings nicht mehr machen.

(Zuruf von der Mitte: Und Ihr Goetzendorff?)

— Unterlassen Sie doch solche Zwischenrufe, Herr Kollege! Wenn Sie da etwas zu beanstanden haben, sagen Sie es nur mir; ich werde den Dingen zuerst nachgehen.

(Zuruf von der CSU: Prüfen Sie das einmal nach!)

Diese Beträge, die durch die Mißwirtschaft der öffentlichen Hand entstanden sind, müssen Sie kürzen. Da müssen Sie zuerst eingreifen. Da


(Loritz)

müssen Sie einige zehntausend Staatsangestellte entlassen, die ihr Geld nicht wert sind, die in den Ämtern drin sitzen, die durch Sie in die Ämter hineingekommen sind und gar nichts für ihre Aufgabe gelernt haben, sondern nur Riesensummen in Form von Gehältern verbrauchen.

(Abg. Strauß: Und dafür Fachleute von der WAV!)

Zweitens müssen Sie die Währungsreformgewinne, die durch die zwei Währungschnitte in den letzten anderthalb Jahren entstanden sind, einmal in größtem Umfang heranziehen. Das haben Sie bisher noch nicht getan. Dann werden Sie weitere Milliarden D-Mark einnehmen können und sie für die Zwecke des sozialen Wohnungsbaus, für die Intensivierung der Landwirtschaft und für alle möglichen anderen produktiven Arbeiten verwenden können. An dieses Problem gehen Sie aber nicht heran. Ich weiß nicht, warum Sie hier so zögern, den Leuten auf die Finger zu klopfen, die durch die Währungsreform Riesengewinne gemacht haben.

(Zuruf von der FDP: Das haben Sie oft erzählt!)

— Deswegen bleibt es trotzdem wahr, Herr Kollege! Sie werden nichts anderes machen können. Es bleibt immer nur der eine Weg, der aus der Katastrophe führen kann; das ist der eben genannte.

(Zurufe und Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Wenn Sie hergehen und durch Kreditausweitungen im größten Umfange sich Geld zu beschaffen versuchen, werden Sie die Währung kaputt machen.

(Zuruf von der FDP.)

Wenn Sie hergehen und weiter den jetzigen Zustand aufrechterhalten, werden Sie weitere Hunderttausende von Arbeitslosen neu dazu bekommen. Denn darüber wollen Sie sich doch bitte klar sein: die heutige Arbeitslosigkeit ist nicht saisonbedingt. Sie ist auch keineswegs nur durch die Stagnation im Baugewerbe allein bedingt. Es ist also vollkommen falsch, wenn heute Sprecher von der Regierung glauben, allein durch eine Unterstützung der Bauwirtschaft könnte die Arbeitslosigkeit beseitigt werden.

(Zuruf von der FDP: Das ist ja gar nicht gesagt worden. — Unruhe.)

Wir haben in der optischen Industrie, wir haben in der Metallindustrie, wir haben in einer ganzen Reihe von Industrien heute bereits in größtem Umfange Arbeitslosigkeit.
Hier möchte ich eins erwähnen. Herr Professor Erhard hat es neulich als ein ganz besonderes Verdienst bezeichnet, daß die D-Mark heute so hoch auf den schwarzen Börsen im Ausland, zum Beispiel in Zürich, steht. Das hat die Folge, daß heute Hunderttausende von Fremden und von Angehörigen der Besatzungsmächte nicht mehr in den Lederwarengeschäften, in den Luxusgeschäften usw. als Käufer auftreten können. Dadurch sind heute ganze Industrien - fragen Sie nur die Offenbacher Lederindustrie - bereits erheblich in Absatzschwierigkeiten geraten. Wir haben also durch das Hinauftreiben der DMark an gewissen Auslandsbörsen gar nichts profitiert. Ich vermute sogar, daß gewisse Regierungsstellen dieses Hinauftreiben sehr gern gesehen
haben. Professor Erhard hat es ja zugegeben. Das wird aber nur weiterhin die Zahl der Arbeitslosen bei uns vermehren. Wir haben gar kein Interesse an solchen Manipulationen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt. Sie ist zum größten Teil nicht mehr saisonmäßig bedingt. Sie ist konjunkturmäßig bedingt. Es ist vollkommen falsch, wenn heute die Regierungsbank der Opposition vorzuwerfen versucht, sie habe Ziffern über die zu erwartende Arbeitslosigkeit genannt, die nicht stimmten. Wir von der WAV nehmen für uns das Verdienst in Anspruch, keine falschen Ziffern genannt zu haben.

(Lachen rechts und in der Mitte. — Zurufe. — Unruhe.)

Ich habe im vorigen Sommer in Versammlungen erklärt: Wir werden diesen Winter in Bayern eine halbe Million Arbeitslose haben und im Bundesgebiet mindestens zwei Millionen. Und das ist wortwörtlich so eingetroffen.

(Lachen rechts und in der Mitte.)

- Nehmen Sie bitte ja eines zur Kenntnis, meine Herren!

(Abg. Strauß: Was wollen Sie denn tun?) Die amtlichen Ziffern, die Sie uns heute vorgetragen haben — 1,9 Millionen Arbeitslose in Westdeutschland plus eine Viertelmillion Arbeitslose dazu in West-Berlin — stimmen nämlich nicht ganz. Die genaue Arbeitslosenziffer ist noch erheblich höher. Sie haben nämlich bei der statistischen Erfassung der Arbeitslosen alle diejenigen nicht mitgezählt, die an den betreffenden Orten nicht gemeldet worden sind,


(Abg. Hilbert: Dann haben Sie falsch prophezeit!)

weil sie dort keine Zuzugsgenehmigung haben.

(Andauernde Unruhe. Abg. Strauß: Machen Sie doch Vorschläge!)

— Herr Präsident, ich ersuche Sie, jetzt endlich einzugreifen und zu verhindern, daß ich beständig unterbrochen werde.

(Lachen rechts und in der Mitte. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103606600
Herr Abgeordneter Loritz, ich habe mich mehrfach bemüht, für Sie Ruhe zu schaffen. Zwischenrufe kann ich aber nicht untersagen; sie zu machen, ist das Recht des Hauses.

Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0103606700
Ich meine nicht die Zwischenrufe, sondern es ist ein beständiges Sprechen in den ersten Bänken hier vorne.

(Erneutes Lachen. — Zuruf von der CDU: Sie können uns doch nicht schulmeistern!) — Was Sie da lachen, weiß ich nicht.


(Erneuter Zuruf: Machen Sie doch praktische Vorschläge, Herr Loritz!)

Denken Sie doch bitte einmal daran, daß der am
besten lacht, der zuletzt lacht.

(Erneute Zurufe.)

Aber diese Dinge alle ins Lächerliche zu ziehen, ist unerhört.

(Abg. Strauß: Wo sind Ihre Vorschläge?)

Das ist ein unverantwortliches Spiel gegenüber
den Millionen von Mitbürgern draußen, die sehnsüchtig darauf warten, daß Sie diese Dinge in


(Loritz)

allem Ernst diskutieren. — Wo meine Vorschläge
sind, Herr Strauß, kann ich Ihnen gleich sagen.

(Erneute Zurufe. — Glocke des Präsidenten.)

Ich muß so laut sprechen; es ist mir unmöglich, mich auszusprechen.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103606800
Ich appelliere an alle Mitglieder des Hauses, dem Herrn Abgeordneten Loritz ruhig zuzuhören.

Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0103606900
Meine Vorschläge habe ich Ihnen schon genannt. .Erstens eine sofortige Kürzung des öffentlichen Budgets um 10 bis 20 Prozent. Durch diese Kürzung Gewinnung von mehreren Milliarden D-Mark. Das ist das erste, was ich Ihnen sagte, Herr Abgeordneter Strauß.

(Abg. Strauß: Das wollen wir wissen!)

— Das habe ich Ihnen vorhin schon gesagt; Sie
haben nur schlecht hingehört. — Ferner — —

(Zuruf des Abg. Kahn.)

— Bitte, was meinen Sie?

(Abg. Kahn: Dann kann der Benzinpreis nicht gesenkt werden!)

— Der Benzinpreis soll auf dem bisherigen Stand bleiben. Das kann ich Ihnen sagen, das Geld, das Sie da einnehmen, geht bei Ihnen auch in das Faß ohne Boden hinein. Denn Sie brauchen immer weiteres Geld für Ihre Staatsausgaben. Es hat Ihnen nicht genügt, daß die Steuerzahler heute schon Riesensummen zu zahlen haben. Sie haben hier in Bonn einen Apparat aufgezogen in einer Höhe, wie er für die Steuerzahler einfach nicht tragbar ist. Dann weitere 9 Milliarden D-Mark Belastung — und der Herr Bundesfinanzminister will sogar, wenn ich richtig informiert bin, 13 Milliarden D-Mark pro Jahr für den Bundeshaushalt —; eine solche Riesensumme, dazu die Riesensummen, die die Staatshaushalte verschlingen, das ist für unsere Wirtschaft einfach nicht tragbar. Das ist der Hauptgrund dafür, daß wir die Riesenzahl der Arbeitslosen haben.

(Abg. Kahn: Spesen!)

— Spesen, Herr Abgeordneter Kahn? Da will ich Ihnen jetzt eines sagen, wenn Sie mich schon reizen. Ich habe keine Erhöhung der Abgeordnetenspesen mitgemacht wie Sie, sondern die ganzen Mehrbeträge für mich können Sie draußen auf der Kasse noch finden; die stehen zur Verfügung der Staatskasse.

(Zurufe.)

Wenn Sie mich schon reizen und mit solchen Dingen kommen, Herr Strauß, dann werde ich Ihnen vorrechnen, was Sie bisher dem Staate schon gekostet haben.
Meine Damen und Herren! Ferner ist es nötig,

(Zuruf: Zur Sache!)

daß die Stellen, die heute noch wirtschaftshemmend wirken, rücksichtslos beseitigt werden. Wer sieht, wie die Bauämter in Stadt und Land die Bauvorhaben hinauszögern, wie baureife Bauvorhaben viele, viele Monate, ja sogar ein Jahr und zwei Jahre warten müssen, bis die Herren in den Behörden gnädigst geruhen, sie zu genehmigen oder abzuändern oder zu verwerfen,

(Zuruf von der CDU: Ist das Bundessache?) wer das alles kennt, der weiß, welche Möglichkeiten hier vorhanden sind. Und so geht es woanders auch noch. (Zuruf von der CDU: Was hat das mit der

Arbeitslosenfrage zu tun?)
— Das hat enorm viel mit der Arbeitslosenfrage zu tun, Herr Kollege, weil nämlich in dem Moment, in dem ein Bauherr bauen kann, einige hundert Arbeiter sofort wieder Anstellung finden.

(Zuruf von der CDU: Das ist Ländersache!)

Ich habe in verhältnismäßig kleinen Orten mit
Baumeistern gesprochen, die mir sagten, sie haben 10 oder 12 Bauvorhaben, bei denen sie gar
keinen staatlichen Zuschuß brauchen; sie können
aber die Bauvorhaben nicht ausführen, weil die
betreffenden Baubehörden ihnen die größten
Schwierigkeiten machen. Das kostet nicht nur
den Bauherren Geld, sondern das kostet jedesmal
auch Dutzenden von Arbeitern eine Beschäftigung.

(Zuruf von der CDU: Das ist Länderangelegenheit!)

— Das ist Länderangelegenheit, richtig; wir sind aber hier dazu da, das Gesamtproblem zu erörtern. Das hängt nämlich mit der Mißwirtschaft in den Ländern und der Unfähigkeit der Bundesregierung zusammen. Das können Sie nicht trennen; beides geht Hand in Hand. Ich weiß sehr wohl, daß nicht bloß die Bundesregierung an der riesigen Arbeitslosigkeit schuld ist, sondern daß gewisse Länderregierungen, namentlich auch die bayerische, die ausschließlich von Ihnen, meine Herren von der CSU, gebildet wird, ein mindestens ebenso großes Maß an Mitschuld tragen.

(Abg. Strauß: Aber erst nach Ihrem Ausscheiden! — Zuruf rechts: Sie waren auch einmal Minister!)

— Herr Präsident! Ich ersuche, solche lächerlichen Zwischenrufe endlich einmal abzubiegen, auch wenn der Zwischenrufer der CSU angehört. Ich warte nun so lange, bis Sie da vorne endlich aufhören, Gespräche zu führen.

(Zuruf von der CDU: Zwischenrufe sind nach der Geschäftsordnung gestattet!)

— Nach der Geschäftsordnung sind einzelne Zwischenrufe gestattet, aber es ist nicht gestattet, so dazwischen zu reden, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen kann

(große Heiterkeit)

oder nur dann, wenn man die Stimmstärke so steigert, wie ich es jetzt leider tun muß.

(Zuruf von der CDU: Herr Loritz, das müssen Sie sich einmal merken mit Ihren Sondergesprächen die ganze Zeit!)

— Wir machen keine Sondergespräche.

(Erneute Zurufe.)

Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Sie können jetzt auf das hören, was Ihnen die Opposition sagt, oder Sie können sich so aufführen, wie Sie sich heute schon nicht bloß mir gegenüber, sondern auch anderen Mitgliedern der Opposition gegenüber aufgeführt haben. Denn die heutige Debatte war kein Ruhmesblatt für die neue demokratische Entwicklung bei uns. Darüber sind sich wohl alle Betrachter im klaren. Sie können über das, was Ihnen die Opposition sagt — und sie meint es gut —,

(Lachen in der Mitte)

— Sie können darüber lachen und spotten; das können Sie. Dann, bitte, sorgen Sie doch endlich dafür, daß es anders wird! Sie haben lange genug


(Loritz)

die Möglichkeit gehabt, einszuchreiten. Sie haben nichts getan, und die Zahlen sprechen eine erschreckende Sprache. Ich wiederhole es Ihnen: Draußen im Volke ist die Stimmung bedeutend gespannter, als Sie hier herinnen in diesem schönen Saale glauben. Und es wäre Ihnen nur von Vorteil, wenn Sie endlich einmal auf die Stimme des Volkes draußen hören würden, bevor wir eine neue Katastrophe über unser Vaterland hereinbrechen sehen.

(Abg. Strauß: Da werden wir vorher einigen Demagogen das Handwerk legen müssen!)

— Es ist hier der Ausdruck „Demagogen" gebraucht worden.

(Abg. Strauß: Nicht im Hause!)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103607000
Wer hat den Ausdruck „Demagoge" gebraucht?

Josef Spies (CSU):
Rede ID: ID0103607100
Hier der Herr!

(Heiterkeit. — Abg. Spies: Das ist nicht wahr!)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103607200
Ist der Ausdruck „Demagoge" gefallen oder nicht?

(Abg. Strauß: Er ist gefallen, aber nicht im Zusammenhang mit dem Hause. — Abg. Spies: Und nicht von mir, wie Herr Loritz sagt!)

- Ich bitte Sie dringend darum., diesen Ausdruck zu unterlassen. Wir haben das mehrmals hier festgestellt.

(Abg. Spies: Aber Sie sehen, Herr Loritz paßt auch nicht auf, wer ruft!)


Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0103607300
Ich habe genau aufgepaßt. Sie waren es!

(Abg. Spies: Nein, das ist nicht wahr! Das ist die Unwahrheit! — Zuruf von der CDU.)


Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0103607400
Ich trete dann ab, wann es mir beliebt bzw. wann meine Redezeit abgelaufen ist, Herr Abgeordneter. Und wenn Sie nur einen Funken Gefühl für Demokratie haben, dann benehmen Sie sich bitte so, daß Sie vor der Öffentlichkeit bestehen können.

(Abg. Hilbert: Danke, dito!)

Ich glaube, das, was ich sagte, war so, daß Sie sich nicht beschweren können. Ich hätte noch ganz anders reden können, vielleicht sogar reden sollen, nämlich so, wie draußen unsere Bevölkerung über Ihre Tätigkeit da herinnen urteilt, meine Herren!

(Zuruf von der CDU: Und über die Ihre! — Heiterkeit.)

— Wie die Bevölkerung über meine Tätigkeit urteilt, darüber werden Sie bei der nächsten Wahl die Antwort bekommen.

(Lachen in der Mitte und rechts.) Jedenfalls hat mich unsere Bevölkerung hierhergeschickt, und ich habe genau dasselbe Recht wie Sie, hier sprechen zu dürfen.


(Zuruf aus der Mitte: Zur Sache!)

- Sie sind daran schuld, wenn immer wieder eine Abschweifung vom Thema kommen muß. Denn ich lasse nicht zu, daß Sie mich hier ständig zu einer Spottfigur degradieren können.

(Abg. Strauß: Wir? Wir doch nicht!)

Sie machen es mit Ihrem Gelächter und Ihrem ganzen Benehmen!

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Wir müssen raschestens eine Beseitigung der behördlichen Schranken bekommen, die einer Belebung des Baumarktes und einer Belebung auf den verschiedenen Wirtschaftsgebieten noch stets im Wege stehen. Wenn Sie das nicht tun, dann werden Sie erleben, daß die Privatwirtschaft sich so gut wie nicht an der Durchführung eines Bauprogramms beteiligt. Dann werden Sie weiterhin sehen, daß die Belebung des Baumarktes im kommenden Frühjahr nicht ausreicht, um auch nur den Großteil der Bauarbeiter von der Straße weg ins Erwerbsleben zurückzuführen,

(Zuruf von der CDU: Es wird ausreichen!) von dem anderen ganz abgesehen. Ich habe Ihnen gerade schon geschildert, daß die Arbeitslosenziffer keinesfalls nur durch das Versagen auf dem Baumarkt in dieser Höhe bedingt und verursacht ist.

Meine Damen und Herren, es ist bitter genug, wenn man lesen muß, daß sogar die Hohe Kommission der Regierung Vorwürfe macht, und zwar berechtigte Vorwürfe deshalb machen kann, weil Riesenbeträge, die der Regierung aus dem Gegenwertfonds zur Verfügung stehen, nicht angewandt worden sind, um die Wirtschaft zu beleben. Wenn Herr Abgeordneter Etzel von der CDU versucht, der Opposition einen Vorwurf daraus zu machen. daß sie das erwähnt hat — Sie haben es ja schon gegenüber dem Redner einer anderen Oppositionspartei getan —, dann sage ich Ihnen: es ist traurig, daß diese Verschwendung tatsächlich nicht von Ihrer Seite gerügt, sondern so lange gewartet wurde, bis vom Ausland her der Finger auf diese Wunde gelegt wurde und gelegt werden mußte. Ich schaue nur mit Zittern dem, Zeitpunkt entgegen, da die Riesenbeträge, die aus der Marshallplanhilfe in unser Land einfließen, nicht mehr fließen werden. Dann wird die Situation vielleicht wieder so kommen wie damals, als im Jahre 1929 die ausländischen Kredite an Deutschland plötzlich abgestoppt wurden. Die Regierung müßte alles tun, um jetzt schon Vorsorge dagegen zu treffen, daß sich diese Vorfälle von 1929 wiederholen. Bisher ist aber so gut wie nichts dagegen getan worden.
Man hat heute mit Ziffern und Zahlen aller Art operiert. Der Herr Arbeitsminister sprach von den Seeleuten, die arbeitslos sind, und sagte, das bedinge die hohe Arbeitslosenziffer. Die Zahl der Seeleute, die arbeitslos sind, ist zwar groß, keineswegs aber so hoch, um auch nur das jetzige Ansteigen der Arbeitslosen zu erklären. Die Seeleute sind nämlich schon seit Jahr und Tag arbeitslos, und ich weiß bei Gott nicht, wie der Herr Arbeitsminister Storch hier zu seinen Folgerungen gekommen ist. Diese Arbeitslosigkeit besteht schon seit Jahr und Tag. Wir sprechen aber in diesem Hause von dem rapiden Anwachsen der Arbeitslosigkeit, seitdem die Regierung Adenauer am Ruder ist. Und dieses Problem kann nur durch engstes Zusammenarbeiten zwischen der Bundesregierung, den Länderregierungen und den Parlamenten gemeistert werden.
Heute sieht es aber ganz anders aus. Heute haben die Regierungsparteien überall ein Regime errichtet, das, weiß Gott, nicht nach Zusammenarbeit, sondern nach Ausschaltung der Opposition


(Loritz)

aussieht. Und so wie es heute in diesem Hause zugegangen ist — ich brauche es Ihnen nicht nochmals zu wiederholen, wie die Rednerliste festgesetzt wurde, bei der die Opposition so gut wie gar nicht zum Zuge gekommen ist, wo zuerst sieben Redner der Regierungsparteien so lange redeten, bis alles ermüdet war —,

(Zurufe und Heiterkeit bei der CDU/CSU) mit der gleichen Methode machen Sie es auch woanders! Sie haben heute ein Regime aufgerichtet, das nicht etwa alle Kräfte im Volke heranzieht, die bereit sind, mitzuarbeiten und ihre Meinung darzutun, wie man an dieses Problem herangeht und ihm abhelfen könnte. sondern Sie handeln heute nach dem Grundsatz „autos epha" - „Er hat es gesagt" — der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer nämlich und die Parteichefs der CDU/CSU und der mit Ihnen verbündeten Parteien. Dieses „autos epha", dieses Autoritär-sein-wollen selbst dort, wo man, weiß Gott, ganz anders als mit solchen Methoden vorgehen muß, das wird Ihnen, so fürchte ich, zum Unheil werden.


(Abg. Strauß: Fürchten Sie?)

— Ja, das fürchten wir, Herr Zwischenrufer, und das fürchten nicht nur wir von der WAV, sondern das fürchten Millionen von Mitbürgern draußen auch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine gewagte Behauptung!)

— Nein, das ist keine gewagte Behauptung! Schauen Sie sich doch an, was die Leute draußen auf der Straße reden! Schauen Sie sich doch die Leute vor dem Arbeitsamt an, was die sagen, und sprechen Sie mit denen! Sprechen Sie nicht immer nur mit Ihren Kollegen im Bundestagsrestaurant, sondern draußen mit der Bevölkerung!

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tun Sie wohl!)

— Jawohl, das tue ich! Ich gehe hinaus und spreche mit der Bevölkerung

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir alle!)

und nicht bloß mit den Parteimitgliedern!

(Zurufe aus der Mitte: Kurz fassen! Zur Sache!)

Meine Damen und Herren! Wir stehen in Deutschland an einem Wendepunkt,

(Heiterkeit und Zurufe)

— Sie haben wahrscheinlich gar nicht zugehört. Mein Vorschlag war - das wiederhole ich Ihnen jetzt zum letzten Male —: eine sofortige Kürzung der Länderhaushalte und des Bundeshaushalts um mindestens 10 und höchstens 20 Prozent. Man könnte sogar noch weiter gehen.

(Lebhafte Zurufe.)

Und im Zusammenhang damit: die sofortige Beseitigung der Schwierigkeiten und der Hindernisse, die einer Belebung der Wirtschaft auf dem Gebiete des Bauwesens genau so wie auf den Gebieten anderer Produktionszweige entgegenstehen.

(Abg. Strauß: Reicht ja nicht!)

Das ist das erste, was Sie zunächst einmal tun müssen, und das haben Sie bisher noch nicht getan. Sie streiten sich über theoretische Begriffe, hie Kapitalismus, hie Planwirtschaft! Theoretische Ausführungen aller Art haben wir heute zu hören bekommen. In Wirklichkeit aber kann nur ein empirisches Vorgehen helfen, ein Vorgehen,
bei dem von Fall zu Fall festgestellt wird: welche Arbeitsmöglichkeiten bestehen hier? Wenn die dann aber da sind, dann bitte keine bürokratischen Schranken mehr, kein Instanzenweg, auf dem Baugesuche ein halbes Jahr und ein Jahr lang liegen bleiben.
Ich will Ihnen noch einen Vorschlag machen, damit Sie, Herr Strauß von der CDU, zufriedengestellt werden.

(Abg. Strauß: Bis jetzt haben Sie nur einem zu schaffen gemacht!)

Warum geben Sie denn nicht den arbeitslosen Bauarbeitern und den Heimatvertriebenen Land, das heute im Besitz der Bundesländer ist, das nicht großen Teil Ödland darstellt? Denken Sie nur einmal an die Riesengebiete in der Umgebung von München, die seit vielen Jahren kahlgeschlagen sind und die wir gar nicht mehr aufforsten können, außer mit riesigen Unkosten, so daß sich der Wald nicht mehr rentiert. Herr Kollege Strauß, Sie sind ja von München: Denken Sie einmal an den Kahlschlag bei Planegg. Dort können Sie vierstöckige Wohnhäuser hinstellen, so daß 10- oder 20 000 Leute dort zu Wohnungen gelangen können.

(Zuruf von der CDU: Wurzeln suchen!)

- Was man dort gerade auf dem Kahlschlag macht? Ja, Sie kennen die Verhältnisse wahrscheinlich nicht!

(Zuruf von der CDU: Das ist Länderangelegenheit!)

Das ist nämlich bestes Siedlungsgebiet, und die Leute haben in den Großstädten jedenfalls Arbeitsmöglichkeiten. Sie können dort auch noch einige Flüchtlingsindustrien ansiedlen. Auf diesen selben Kahlschlägen sind die Münchener Vororte gebaut worden, Herr Kollege. Sie reden nur so, weil Sie die Verhältnisse dort nicht kennen. Ich würde mich hüten, Beispiele zu nennen, die wir nicht genau durchdacht haben und wo nicht Sachverständige das, was ich Ihnen jetzt sage, schon vorher geprüft haben. Dieser Boden kostet keinen Pfennig. Wenn der Staat diesen Boden den Ausgebombten und den Heimatvertriebenen schenkt, macht er noch dazu das beste Geschäft; denn dann bekommt er nach 1, 2 oder 3 Jahren aus diesen Böden, die heute keinen Ertrag liefern, Steuern herein: Mietzinssteuer, Grundsteuer, Gewerbesteuer usw. Geben Sie diesen arbeitslosen Heimatvertriebenen, geben Sie diesen arbeitslosen Ausgebombten nur das Baumaterial, die Ziegelsteine, die in Hülle und Fülle vorhanden sind, und sonstiges Rohmaterial, und Sie werden sehen. daß sich diese Arbeitslosen selbst, ohne daß Sie sie eigens noch bezahlen müssen, dort Häuser bauen. Allerdings werden sie sich nur dann Häuser bauen, wenn diese Leute die Gewißheit haben, daß diese Häuser, die sie sich im Schweiße ihres Antlitzes gebaut haben, ihnen dann auch wirklich für alle Zeiten gehören und daß sie nicht etwa irgendeinen großen Bauunternehmer dadurch zu einem Multimillionär machen.

(Zurufe von der CDU: Zur Sache!)

- „Zur Sache!" rufen Sie jetzt noch? Ich spreche die ganze Zeit zur Sache, aber Sie hören das anscheinend nicht oder wollen nicht hören. Sie können auf diese Art und Weise Wohnungen für viele, viele, für Hunderttausende von Flüchtlingen und einheimischen Ausgebombten schaffen, ohne daß Ihnen das auch nur nennenswerte


(Loritz)

Geldausgaben verursacht; Sie haben keine Ausgaben für Arbeitslöhne, denn es sind Arbeitslose und Unterstützte, die gerne arbeiten; keine Ausgaben für den Boden — der steht in Hülle und Fülle zur Verfügung —, sondern nur noch Ausgaben für das Baumaterial, das Sie ihnen anfahren müssen.

(Zuruf von der CDU: Und wovon sollen die Leute leben?)

- Wovon die leben sollen? Ja, fragen Sie doch die Leute, wovon sie jetzt leben! Sie leben von ihrer Arbeitslosenunterstützung und wären froh, wenn sie sich dann nach einem halben Jahre oder einem Jahre ein Haus geschaffen hätten. Führen Sie das System des Miteigentums nach Stockwerken oder nach Bruchteilen ein - das nach Bruchteilen ist ja schon da —, geben Sie den Leuten die Häuser, die sie sich bauen, dann haben sie wenigstens eine Wohnung, statt daß sie in den jämmerlichen Holzbaracken draußen bei Planegg wohnen und im Winter frieren, denn die Winter bei uns sind kalt. Ein Redner hat heute gesagt, wir haben noch keinen Winter gehabt. Hier oben vielelicht nicht, aber da unten bei uns. Im fünften Winter sind diese Leute heute in den Holzbaracken. Sie bräuchten nur die Ziegelsteine und das Baumaterial, das in Hülle und Fülle vorhanden ist. Dafür sollen die Gelder eingesetzt werden, die wir dadurch bekommen, daß wir die Haushaltspläne des Bundes und der Länder um 10 oder 20 Prozent beschneiden; dann haben Sie die Häuser und die Wohnungen. Dort können Sie auch Flüchtlingsindustrie ansiedeln, die Gablonzer zum Beispiel oder andere, und Sie werden dort zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten schaffen.
Noch andere Arbeitsmöglichkeiten gibt es; da müssen Sie allerdings dann unter Umständen auch mit Subventionierungen eingreifen. Auch dort, wo die Landwirtschaft einen größeren Bedarf an Arbeitern hat, ist es zum großen Teil ein Wohnproblem, warum sich so wenige Leute für diese im Interesse der Volkswirtschaft so wichtigen Arbeiten melden!
Sehen Sie, daß sind alles Möglichkeiten, Herr Abgeordneter Strauß, wo Sie mit verhältnismäßig geringen Geldmitteln große Werte schaffen und vor allem eines schaffen können, nämlich: die Leute, die heute arbeitslos herumstehen, zur Arbeit zu bringen und ihnen gleichzeitig ein kleines, aber zu eigen - gehörendes Besitztum verschaffen zu können. So könnte ich Ihnen noch stundenlang Beispiele dafür nennen, wie Arbeitsbeschaffung möglich ist.

(Zuruf: Um Gottes willen!)

— Sie sagen „um Gottes willen"! Nehmen Sie nur den Namen Gottes nicht immer so leichtfertig in den Mund, Sie, meine Herren von der CSU, die Sie in der Schule gelernt haben, man sollte den Namen Gottes nicht eitel nennen!

(Abg. Strauß: Wir sind liberal!)

Meine Damen und Herren, das alles sind Arbeitsbeschaffungsmöglichkeiten größten Umfanges. Sie sind nicht ausgeschöpft worden, und ich fürchte, bei den heutigen Regierungsverhältnissen werden sie auch nicht ausgeschöpft werden. Leider ist es so! Wir haben dieser Regierung — das muß uns jeder bestätigen, der die Dinge verfolgt hat — eine Chance gegeben. Wir haben damals, im September, gesagt: Wir warten jetzt zu, was die Regierung Adenauer fertigbringt; wir werden sie nach ihren Taten beurteilen. Heute sind die Taten schon da: Scherben auf dem Gebiet der
Außenpolitik und ein riesenhaftes Ansteigen der Arbeitslosenziffer. Sehr bedauerlich, daß die Bundesverfassung keine Möglichkeit läßt, der Regierung einen Denkzettel in Form eines Mißtrauensantrages zu geben, damit man rechtzeitig Vorkehrungen treffen könnte, ehe nach vier Jahren eine unfähige Regierung unser Volk neuerdings ins Verderben gebracht haben wird.
Wir können demgegenüber nur eines tun, nämlich Sie alle — einen anderen Weg gibt es für uns noch nicht — dringend zu bitten, endlich einmal den Ernst der Lage wirklich zu erkennen und mit Ihrem Gelächter aufzuhören, bevor die Demokratie in unserem Lande abermals zu Grabe getragen wird. Wir von der Opposition wollen Ihnen helfen. Sie haben aber dafür nur Hohn und Spott übrig. Mögen Sie das, dieses Ihr Versagen, diese Ihre kurzsichtige Haltung mit Ihrem Gewissen ausmachen. Ich hoffe, unser Volk wird Ihnen noch rechtzeitig die Antwort geben.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103607500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nuding.

Hermann Nuding (KPD):
Rede ID: ID0103607600
Meine Damen und Herren! Die Diskussion in diesem Hohen Hause über das Arbeitslosenproblem hat heute eigenartige Formen angenommen. Wir wurden von der Regierungsbank aus sehr eingehend über das belehrt, was die Regierung eigentlich erwartet. Herr Adenauer erwartet, daß seiner Regierung nicht das Mißtrauen ausgesprochen wird. Ja, er verlangt, daß man seine Regierung mit der Demokratie schlechthin identifiziert. Damit hat er etwas gesagt, was man seither von dieser Seite fälschlicherweise anderen Regierungen in wirklich demokratischen Ländern unterstellt hat.
Auch ich muß meine Rede zur Arbeitslosigkeit mit kritischen Bemerkungen beginnen, und zwar trotz der Bestätigungen und der Beteuerungen des Bundesarbeitsministers, daß die angegebenen Zahlen über den wirklichen Stand der Arbeitslosigkeit stimmen. Man sprach von 1,9 Millionen Arbeitslosen in Westdeutschland, im gleichen Zusammenhang aber nicht von den 300 000 in West-Berlin. Das scheint schon ein Versuch zu sein, die wirkliche Situation zu vertuschen. Mir ist gesagt worden, der Herr Arbeitsminister habe an die Arbeitsämter einen Erlaß herausgegeben, in welchem verlangt werde, die schulentlassene Jugend nicht als arbeitsuchend zu registrieren.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

510 000 junge Menschen sind bereits arbeitslos. Wir haben heute Zahlen von einigen Ländern gehört: Schleswig-Holstein, und ich glaube, auch Niedersachsen. Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, .daß große Teile der Jugendlichen, die im letzten Jahr aus der Schule entlassen wurden, keine Arbeitsstelle bekommen haben. Wenn nun auf höhere Weisung diese Menschen überhaupt nicht registriert werden sollen, so bedeutet das schlechthin, daß man ihnen das Recht auf Arbeit abspricht. Dieses nach dem Grundgesetz gewährte Recht kann und darf aber von einer Regierung, die es mit der Lösung des schweren Problems der Arbeitslosigkeit ernst meint, nicht außer acht gelassen werden, wenn sie nicht ganz bestimmte Absichten damit verfolgt. Wir legen deshalb Wert darauf, von der Bundesregierung zu erfahren, ob dieser Erlaß oder diese Anordnung an die Arbeitsämter tatsächlich gegeben worden ist und welchen Zweck ein solcher Erlaß von seiten der Regierung haben soll. Denn diese Menschen verlängern, wenn sie nicht registriert sind, die große


(Nuding)

Kette derer, die im Nazireich keinen anderen Beruf erlernen konnten als den des Kriegshandwerks. Gerade diese Menschen, die damals keinen Arbeitsplatz bekommen haben, haben es heute, nachdem sie 8 und 10 Jahre im Kommißrock gesteckt sind, ungeheuer schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Es scheint auch genügend Kreise zu geben, die bewußt Wert darauf legen, daß diese Menschen keinen Beruf finden, weil man sie nämlich für andere Zwecke zu mißbrauchen versucht. Für welche, werde ich später beweisen.
Heute ist sehr viel über die Ursache der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland diskutiert worden, und man konnte den Eindruck bekommen, daß zum ersten Mal in diesem Hause die Redner der Regierung sowie auCh der Parteien, die dem Marshallplan anhängen, ganz vergessen haben, daß es ein Europa und einen Marshallplan gibt; denn sie haben nur in zwei Fällen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen die Erwerbslosigkeit in Verbindung mit außenpolitischen Problemen gesprochen. Und das war Furcht vor dem Osten, Furcht vor der Tatsache, daß dieser westdeutsche Staat nicht in der Lage sein wird, der Anziehungspunkt, der Magnet für die Menschen im Osten zu sein. Man hat versucht, die Arbeitslosigkeit bei uns allein aus den hier gegebenen Bedingungen zu erklären. Aber diese Bedingungen, Herr Kollege Professor Dr. Nölting, sind ja nicht von der übrigen Welt isoliert. Mir schien bei Ihrer Rede, die heute so vom Ausland abstrahiert hat, daß Sie von Marx nur noch einen Teil, den der Abstraktionsfähigkeit behalten haben, aber in allen andern Teilen nicht mehr die Zusammenhänge einer kapitalistischen Weltwirtschaft gesehen haben.

(Abg. Renner: Sehr gut! — Zustimmung bei der KPD.)

Die Arbeitslosigkeit im Westen Deutschlands unterscheidet sich zwar in sehr vielen Besonderheiten von anderen, früheren, aber ihre Quelle liegt in der kapitalistischen Gesellschaft, die nicht ohne Krisen und Kriege denkbar ist und die eben auch nicht ohne Arbeitslosigkeit denkbar ist.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Darum kommt man doch nicht herum, auch nicht um die Tatsache, daß im Zeitalter des Imperialismus diese Krisen häufiger und in verschärfter Form auftreten, und daraus muß man doch Schlußfolgerungen ziehen.

(Abg. Strauß: Warum schreit der eigentlich so?)

— Weil Sie sich sonst lauter unterhalten, als ich rede!

(Abg. Renner: Das ist CDU-Bildung! — Abg. Strauß: Praeceptor Germaniae!)

Die Tatsache übersehen, daß die Politik, die die Regierung Adenauer betreibt, die sogenannte Politik der sozialen Marktwirtschaft, nicht von jeder anderen kapitalistischen Politik verschieden ist, bedeutet zu verkennen, daß eben auch ihre Wirtschaft — und da gebe ich dem Herrn Wirtschaftsminister vollkommen recht — bestimmte Erfolge hatte. Sie verstehen ja unter Wirtschaft nicht die Interessen des gesamten Volkes, sondern die Anlage von Kapital im Sinne der Profite, und Profite — gar keine kleinen — sind wahrlich in den letzten Jahren gemacht worden. Wenn Sie die Betriebe anschauen, die mit dem lumpigen Geld, mit dem die Arbeiter nur das kaufen konnten, was ihnen der Bezugsschein gewährte, wieder aufgebaut worden sind, — so waren das wahrlich reale Mittel und Profite, die hier vor und nach der sogenannten Währungsreform geschaffen worden sind. Ich will Sie in diesem Zusammenhang nur an eine Zahl erinnern. 450 Aktiengesellschaften haben von Ende 1948 bis Ende 1949 ihre Werte von 2,5 Milliarden auf 4,085 Milliarden gesteigert.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Ich glaube, da ist schon etwas rangewachsen. Fragen Sie die Arbeiter, was bei ihnen in der gleichen Zeit rangewachsen ist, dann werden Sie einen anderen Proporz finden, als er heute aufgezeigt worden ist. Aber das ist die Wirtschaft, die auf Profit ausgerichtet ist und in der der einzige Motor der Profit und der Mensch nur ein Objekt dieser Profitmacherei ist.
Die gegenwärtig heranrollende Wirtschaftskrise hat ihre Auswirkung noch nicht in vollem Maße gezeigt. Wir sind durch den Marshallplan, das Besatzungsstatut und das Ruhrstatut an die gesamte westliche kapitalistische Welt gebunden, und wir werden auf Grund dieser Bindung an die krisenschwangere kapitalistische Wirtschaft auch alle Auswirkungen nicht in letzter, sondern in erster Linie erdulden müssen, denn wir sitzen ia letzten Endes als die Letzten auf dieser Bank. Und nicht nur das! Aus dieser deutschen Arbeits- kraft werden ja nicht nur die Profite für die deutschen Unternehmer, sondern auch die Gelder, die in Gestalt von Besatzungskosten bezahlt werden müssen, herausgeholt. Die arbeitende Bevölkerung lebt also unter einer doppelten Ausbeutung und wird unter dieser neu heranrollenden Wirtschaftskrise am schlimmsten zu leiden haben. Aber bei uns hat sie einige Besonderheiten, die durch die Resultate bedingt sind, die das „Tausendjährige Reich" uns hinterlassen hat. Diese Besonderheiten sind krass und katastrophal. Wir brauchen Wohnungen, und die Bauarbeiter sind arbeitslos. Wir brauchen Nahrungsmittel, und die Arbeitskräfte verlassen das Land, weil sie unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr existieren können. Wir brauchen Ware für den Export; aber unsere Fabriken müssen verkürzt arbeiten und zum Teil geschlossen werden. Ja, wir haben derart widerspruchsvolle Situationen, daß wir Betriebe haben, in denen die Arbeiter bei Gefahr der Arbeitslosigkeit gezwungen werden, Überstunden zu machen, während in dem gleichen Industriezweig Arbeiter arbeitslos sind und die Stempelstellen bevölkern; und wir haben letzten Endes diesen kardinalen Widerspruch, daß in einem Teil Deutschlands, nämlich in der Demokratischen Republik, Vollbeschäftigung ist, während im Bundesgebiet die Arbeitslosigkeit ständig steigt.

(Abg. Renner: Sehr gut!)

Worin liegen die Ursachen dieser Widersprüche? Ich sagte es schon: sie liegen darin, daß wir an den kranken und krisenhaften Imperialismus des Westens gebunden sind. Heute schon zählt man in diesen Staaten mehr als 30 Millionen Arbeitslose, nach den eigenen Schätzungen. Selbst in dem stärksten und reichsten Land, in der USA, kann man feststellen, daß nach amtlichen Angaben die Arbeitslosigkeit eine Höhe zwischen 6 bis 8 Millionen erreicht hat. Aber diese Staaten und gerade die USA beherrschen uns; die USA werden alles tun, um die Krise auf uns abzuwälzen, und deshalb auch ihre Politik, die von den Regierungsparteien und auch von anderen Parteien dieses Hauses anerkannt worden ist, deshalb die Roh-


(Nuding)

stoffausfuhr, die Kohlen-, Holz-, Schrottausfuhr, deshalb die Konkurrenzdemontagen, die Stillegungen von wichtigen chemischen Werken wie den Fischer-Tropsch-Anlagen, deshalb die Kontrolle unseres Außenhandels, die Verhinderung, daß Aufträge anderer Länder bei uns realisiert werden können. Dabei dreht es sich nicht nur um Aufträge nach den volksdemokratischen Staaten, nach der Sowjetunion oder nach China, sondern auch um solche Aufträge nach der Türkei. Der Auftrag der Esslinger Maschinenfabrik, den sie von der Türkei hätten bekommen können — für 7 oder 8 Lokomotiven —, wurde kassiert, und die Amerikaner führen ihn aus. Der Auftrag Chinas an das Ruhrgebiet auf mehr als 1,7 Millionen Tonnen Stahl, dessen erste Rate 100 000 Tonnen Eisenbahnschienen sein sollten, ist nach den letzten Meldungen des „Bonner Generalanzeigers", wie dort klar gesagt wird, nicht für Deutschland. Dort heißt es:
Bei einem Besuch im Ruhrgebiet haben Vertreter britischer Stahlfirmen nunmehr bestätigt, daß der ursprünglich an die Ruhrindustrie vergebene Auftrag Chinas über die Lieferung von rund 100 000 Tonnen Eisenbahnschienen gegenwärtig von britischen Firmen in Sheffield ausgeführt wird.
Das sind Arbeitskräfte, die wir nicht unterbringen können.
Der Herr Kanzler hat in einer seiner Reden, als von der Demontage gesprochen worden ist, erklärt, daß derjenige, der gegen das Ruhrstatut, gegen seine Abmachung ist, verantwortlich ist, wenn 30 000 Arbeiter arbeitslos werden. Wer trägt die Verantwortung dafür, daß diese Aufträge - um nur bei dem türkischen und chinesischen zu bleiben - nicht realisiert werden konnten, und wieviel Tausend Arbeiter werden dadurch brotlos? Also die Ursache dafür, warum wir nicht aus dem Elend herauskommen, sondern immer mehr hineinschlittern, liegt in der Anerkennung und Unterordnung unter die westlichen Besatzungsmächte; nötig wäre statt dessen der gemeinsame Kampf aller Deutschen um die deutschen Interessen in dieser Frage, um die Interessen des deutschen Volkes.
Man stellt heute die Frage: wieweit sind wir mit der sozialen Marktwirtschaft gekommen? Ich glaube, Herr Etzel von der CDU hat gesagt, soziale Marktwirtschaft bedeute ja nicht, daß wir nicht eine Kontrolle insbesondere gegen die Monopole ausüben. Wenn wir von dieser Seite aus die Entwicklung der Wirtschaft betrachten, dann sind wir genau so weit, ja auf einzelnen Gebieten weiter, als es das Nazireich geschafft hat. Hier beherrschen Ausländer mit willigen inländischen Imperialisten die Wirtschaft. Hier beherrschen Ausländer mit Einwilligung und Beihilfe Deutscher den Außenhandel. Hier dulden wir ohne Protest die Durchführung solcher Verbote von Produktionsmöglichkeiten, die uns Arbeit bringen könnten, und dort im Ruhrgebiet entsteht und entstand in den letzten Monaten eine Monopolgesellschaft, von der die „Frankfurter Rundschau" am 16. 1. sagt:
Sie
- die DKBL —
ist lediglich der Besatzungsmacht, in diesem Falle der CCG, verantwortlich. Das Monopol hat damit die denkbar vollendetste Geschlossenheit und absolute Unabhängigkeit gegen-
über den Produzenten und Konsumenten erlangt.
Und das ist leider richtig! Die Monopole fangen an, bei uns an Boden zu gewinnen, und, Herr Kollege Etzel, ich frage Sie: Wo ist der Protest und wo ist der Kampf der Regierung gegen diese Monopole? Eine lächerliche Frage von meinem Standpunkt aus; denn eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Die Monopole haben in dieser Regierung eine Kraft gefunden, mit der sie sich glücklich fühlen können; denn die Adenauer-Regierung und insbesondere Herr Professor Dr. Erhard sind ja die Vorkämpfer für diese Wirtschaft. in der diese Monopole entstehen und gedeihen können.
Nun möchte ich die Frage aufwerfen: Wer hat ein Interesse und wer kann ein Interesse an der Arbeitslosigkeit haben? Diese Frage wurde heute schon in sehr scharfer Weise diskutiert, und es kam beinahe zu einer Kriegserklärung zwischen der Bundesregierung und der niedersächsichen Regierung. Aber das Problem ist damit nicht ganz enthüllt. Diejenigen, die von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, haben kein Interesse daran. Ich glaube, darüber gibt es keinen Streit. Ich möchte aber einmal an die Herren von der Regierungsbank die Frage richten, ob sie es nicht waren, die zu Beginn der Arbeitslosigkeit nach der Währungsreform Äußerungen getan haben, die dazu angetan sind, mindestens glauben zu machen, daß auf der Regierungsbank Menschen sitzen, die ein Interesse an einer bestimmten Arbeitslosigkit haben.

(Abg. Renner: Sehr gut! Man kann es sogar noch viel deutlicher behaupten!)

- Ja, ich werde deutlicher werden. Damals hat man gesagt: Es ist ein Gesundungsprozeß,

(Sehr richtig! bei der KPD)

und der Gesundungsprozeß muß eine bestimmte Läuterung hervorbringen, und dann hat man aufgezählt, wie man mit weniger Arbeitskräften eine gesteigerte Produktion erreicht hat. Der Gesundungsprozeß auf Kosten der Arbeiter im Interesse der Gesundung der Profitwirtschaft!
Ich frage: Wer profitiert von der Arbeitslosigkeit? Von der Arbeitslosigkeit profitieren jene, die sie benützen, um die Löhne niederzuhalten. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Monaten eines der entscheidenden Druckmittel gegen Lohnerhöhungen geworden.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Das kann aus jeder Verhandlung zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden nachgewiesen werden. Die Arbeitslosigkeit ist eines der entscheidenden Druckmittel zur Forcierung der Rationalisierung auf Kosten der Arbeitskraft — nicht auf Kosten der Modernisierung der Industrie —, und die Arbeitslosigkeit ist ein Mittel geworden, um die ungelernten Arbeiter auch in der Kleinindustrie zu Lohndrücken einzusetzen. Auf allen Gebieten benützt man diese Ärmsten, um die Löhne der anderen herabzudrücken und um damit auch die Situation in den einzelnen Betrieben zu ändern, nämlich die in den Jahren 1945, 1946 und 1947 errungenen Betriebsvereinbarungen, bescheidene Mitbestimmungsrechte, zu annullieren.
Es gibt also eine Kategorie von Menschen, die von dieser Seite aus ein Interesse an der Arbeitslosigkeit besitzen. Aber es gibt noch eine


(Nuding)

zweite Kategorie, die ein Interesse daran hat, daß Millionen arbeitsloser junger Menschen auf der Straße liegen, und diese Kategorie sind die Militaristen;

(Sehr richtig! bei der KPD)

sie wollen Deutschland wieder remilitarisieren, und vom Ausland her haben sie genügend Ermunterung bekommen,

(Sehr gut! bei der KPD)

um ihren Weg weiter beschreiten zu können. Sie sind daran interessiert, daß die Jugend die Straßen belebt, daß sie die Straßen unsicher macht, damit man wieder mit der gleichen Losung wie 1932 kommen kann: Weg mit der Jugend von der Straße!

(Beifall und Zuruf von der KPD: Arbeitsdienst!)

Wir sind deshalb sehr vorsichtig. Seien auch Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, vorsichtig mit dem, was Sie, in Schleswig-Holstein machen; denn wenn Sie diesen Herrschaften den kleinen Finger geben, dann reißen sie Ihnen den Arm aus. Das haben sie einmal bewiesen, und das werden sie wieder tun.

(Zustimmung bei der KPD.)

Das ist kein Weg, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen; das ist ein Palliativmittelchen, das einmal schlimme Folgen hatte und das wieder schlimme Folgen haben kann. Das Elend der Arbeitslosen wird benützt, um sie zur Mobilisierung reif zu machen.
Und noch eines. Es war sehr bizarr heute anzuhören, und zwar auch von Herrn Professor Nölting, welche Gefahr bezüglich der Arbeitslosen besteht, als er die Regierung anflehte zu bedenken, daß die Arbeitslosigkeit den Extremen Boden gibt. O, die linke Extreme ist bereit, alles zu tun und mitzukämpfen, daß die Arbeitslosigkeit beseitigt wird.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Wir sind nicht am Elend der Arbeiter interessiert, weil wir selber Arbeiter sind und in unserem Leben erlebt haben, was es heißt, arbeitslos zu sein.

(Lebhafte Zustimmung bei der KPD.)

Wer hat denn 1933 die Situation ausnützen können? Wenn Sie auch den Marxismus abgelehnt haben, sollten Sie sich doch immer daran erinnern, daß Marx schon lehrte: die Verelendung ist kein revolutionärer Faktor,

(Sehr gut! bei der KPD)

sondern ein reaktionärer Faktor. Warum dann ihre Furcht? Haben Sie so wenig Vertrauen zu der Marshallplanwirtschaft?

(Sehr gut! bei der KPD.)

Haben Sie so wenig Vertrauen zu der westdeutschen Wirtschaft? Ich bedauere Sie, nachdem Sie so ernst gekämpft haben, daß Sie heute so wenig Vertrauen dazu haben und nur noch mit dem Gespenst drohen, mit dem doch andere reaktionäre Kräfte gesiegt haben, unter denen Sie genau so zu leiden hatten wie wir.

(Abg. Renner: Sehr gut!)

Ich glaube, die Diskussion, die heute stattgefunden hat, hat gezeigt, welche Kunststücke man darin vollbringen kann, Dinge anders hinzustellen, als sie in Wirklichkeit sind. Man hat das Jahr 1933 herangezogen; aber das Jahr 1933, meine Herren von der Rechten, war ja das Jahr Ihrer Wirtschaft,

(Sehr gut! bei der KPD)

Ihrer kapitalistischen Wirtschaft.

(Abg. Mayer: Eures Bündnisses mit den Nazis!)

— Mein Herr, seien Sie vorsichtig; sonst muß ich von Ihrem Bündnis reden.

(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

— Ich habe nicht Sie gemeint, Herr Schäfer, sondern den, der sich hinter Ihnen versteckt.

(Zuruf von der KPD: Ein guter „Demokrat"!) Unser .,Bündnis" hat darin bestanden, dar man Tausende von uns erschossen hat; darin hat es bestanden.


(Sehr richtig! bei der KPD.)

Ich kenne aber Leute in Ihrer Partei und kann sie Ihnen nennen, die als „gute Demokraten" diesen Herren das Ermächtigungsgesetz gegeben haben.

(Abg. Rische: Und dabei verdient haben!) Ich will aber davon sprechen, wie auf dieser Grundlage die Entwicklung weitergegangen ist. Die Entwicklung führte zu Arbeitsdienst, führte zur Bewaffnung verelendeter Arbeitsloser, führte zum nationalsozialistischen Sieg. Der nationalsozialistische Sieg hat an den Grundprinzipien der Wirtschaft, die Sie heute vertreten, nichts, gar nichts geändert.


(Sehr gut! bei der KPD.)

Die Sache gleicht wie ein Ei dem andern.

(Abg. Dr. Schäfer: Nein!)

Jetzt machen Sie den wunderbaren Trick und sagen, aus dieser Wirtschaft sei eine Planwirtschaft, nicht eine Zwangswirtschaft herausgekommen. Schöne Kenner des nationalsozialistischen Systems! Sie haben anscheinend ganz vergessen, wo Sie heute sitzen. Die nationalsozialistische Zwangswirtschaft war dem gleichen Prinzip entsprungen, das heute auch von Ihnen vertreten wird, nämlich dem Prinzip: der Besitz dem Besitzenden; wer die größte Macht hat, dem den entscheidenden Einfluß,

(Zuruf von der KPD: Und sie den Profit!) und wer Profit machen kann, hat das Recht, Profit zu machen.


(Abg. Dr. Schäfer: Hoffnungsloser Fall!)

— Hoffnungslos ist der Fall, wenn man bedenkt, daß der Regierungschef Ihrer Regierung,

(Abg. Leonhard: Das ist auch eure!)

der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. sich hinstellt und erklärt, daß seine Wirtschaft, seine freie Wirtschaft, seine soziale Marktwirtschaft ein Gegenüber dieser Zwangswirtschaft sei. Was war das Charakteristische der Nazizwangswirtschaft? - Daß die Großen bestimmten und die Kleinen gehorchen mußten!

(Sehr gut! bei der KPD.)

Was ist das Charakteristische der heutigen Wirtschaft? — Daß die Großen Riesenprofite machen und die Kleinen ihren Arbeitsbedingungen sich unterwerfen müssen!

(Sehr gut! bei der KPD.)

Das ist ganz genau dasselbe. Auf diesem Gebiet gibt es also keinen Unterschied.
Nun noch zu einer Frage, die auch in diesem Zusammenhang gestellt worden ist, zur Ursache der Arbeitslosigkeit. Man hat versucht zu errech-


(Nuding)

nen, daß sie auf den Flüchtlingen, den Umsiedlern vom Osten beruht. Ich weiß nicht, warum man seitens der Regierung nicht schon vor einigen Monaten diesen Versuch gemacht hat. Damals hat man davon gar nicht gesprochen. Damals hat Herr Erhard eine ganz andere Linie aufgezeigt als heute. Ich möchte das ergänzen, was Kollege Nölting schon zitiert hat. In seiner Rede beim Presse-Empfang der CDU/CSU in Düsseldorf am 15. Juli sagte Professor Erhard: „Wir werden der Arbeitslosigkeit energisch zu Leibe rücken und die Katastrophenpolitiker Lügen strafen!"

(Heiterkeit bei der KPD.)

Jetzt sind die Arbeitslosen gestraft.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Aber die Katastrophenpolitiker — wenn ich bei dem Ausdruck bleiben darf — sitzen dann auf der Regierungsbank.

(Beifall bei der KPD.)

Dort wird noch mehr gesagt. Professor Erhard sagt dort:
Die Industrieproduktion befindet sich im Ansteigen, die Handelsumsätze nehmen zu. Und wenn zunächst auch nur dem Zunehmen der Arbeitslosigkeit Einhalt geboten wurde, so steht doch aus der sich anbahnenden Entwicklung zu erwarten, daß in den kommenden Monaten eine allmähliche Aufsaugung der Arbeitslosigkeit Platz greifen wird.
Nun, die Aufsaugung ist im umgekehrten Verhältnis vor sich gegangen. Statt Aufsaugung wurden neue Arbeitslose produziert.
Deshalb haben wir zu dem, was in dem sogenannten Siebenpunkte-Programm der Regierung gesagt wird, kein allzu großes Vertrauen. Denn: Wir haben die Botschaft damals gehört. Uns fehlte damals der Glaube, weil wir sahen, daß die kapitalistische Wirtschaft in eine neue Krise kommt. Wir sahen weiter, daß in Westdeutschland nichts unternommen wird, um eine Änderung der sozialen Struktur vorzunehmen, einer Struktur, die es einigen wenigen im Verhältnis zum Gesamtvolk möglich macht, die großen Massen der Menschen auszubeuten. Die Botschaft hörten wir damals, uns fehlte der Glaube — er fehlt uns auch heute. Wenn ich diese sieben Vorschläge. die hier gemacht worden sind, betrachte. dann muß ich sagen: sie sind nach unserer Auffassung nicht nur sehr eng auf der Brust, sondern diese Vorschläge sind zum Teil Projekte, die einer Zukunftsmusik gleichen, und können — wie von einigen Rednern sogar bereits bewiesen wurde — nicht realisiert werden.
Aber was müßte denn geschehen, um erstens der strukturellen und zweitens der konjunkturellen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken? Doch andere Dinge! Der Herr Minister aus Schleswig-Holstein hat von der Notwendigkeit der Umsiedlung der Flüchtlinge gesprochen. Ja, ich dachte, wir wollten endlich Schluß machen mit dem Leid, das diesen Menschen angetan worden ist. Das könnte man- auch. Man könnte mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Was würde es denn dieser Regierung selbst ausmachen, wenn sie endlich in Deutschland eine Agrarreform durchführen und Zehntausenden von Bauern Land geben würde, damit sie seßhaft werden und von dem Arbeitsmarkt in den Industriestädten verschwinden können?

(Abg. Leonhard: In Württemberg-Baden ist aber nicht viel zu machen!)

— Nicht viel zu machen? Lesen Sie die letzte Statistik, die wir nun haben, über die Herrschaften, die noch Land bis zu 9000 ha in Württemberg-Baden besitzen. — Dann frage ich Sie, ob nichts zu machen ist.

(Abg. Leonhard: Nicht viel, habe ich gesagt!)

— Es ist aber genügend, um mindestens 2000, 3000 Familien unterzubringen und ihnen Grund und Boden sowie eine Heimat zu schaffen.

(Abg. Spies: Und das Gebiet im Osten, das man kaputtgehen läßt?)

— Sorgen Sie erst im eigenen Haus, hier sind Sie näher.

(Abg. Spies: Das ist unser eigenes Haus!)

— Wenn Sie dort mitmachen wollen, gehen Sie dorthin. Dort haben Sie die Möglichkeit, das zu tun!

(Unruhe. Zuruf in der Mitte: Gehen Sie doch dorthin!)

—Das fällt mir gar nicht ein! Mir gefällt es hier. Sehr gut gefällt es mir zwar nicht bei Ihnen. Aber er will es dort ändern, nicht ich.

(Abg. Spies: Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür! Sie wollen vor anderen Türen kehren, nicht vor Ihrer eigenen Tür!)

— Ich finde es dort ganz in Ordnung.

(Abg. Spies: Sie müssen vor der eigenen Tür kehren!)

— Meine Tür steht in diesem Lande. Hier versuche ich zu kehren. Darüber unterhalte ich mich mit Ihnen. Wenn Sie woanders kehren wollen, dann ziehen Sie dorthin, bauen Sie auf, damit Sie dort kehren können! Warum tut Ihnen das weh?

(Abg. Spies: Das tut mir nicht weh. Man sagt die Wahrheit, die Sie aber nicht hören wollen!)

— Warum soll man denn das nicht machen? Warum kann man nicht einigen zehntausend und hunderttausend Menschen dadurch eine neue Heimat schaffen, daß man die in anderen kapitalistischen Staaten schon jahrzehntelang durchgeführte Agrarreform auch bei uns verwirklicht? Ja, man kann das.

(Zuruf in der Mitte.)

— Sie können sich hier oben melden. Der Präsident ist hier. Ich kann kein Wort vergeben.
Ein zweites Problem bilden die Lehrstellen für die Schulentlassenen. Sie sind eine der dringendsten Notwendigkeiten. Dagegen hilft alles nichts, auch nicht der Versuch Schleswig-Holsteins. Wenn Sie erreichen wollen, daß die Jugend einen Beruf erlernt, dann muß die Regierung den Mut haben, die Unternehmer zu zwingen, auch die notwendigen Lehrstellen zu schaffen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Dazu gibt es Möglichkeiten. Man kann das sehr gut machen, wenn man den Willen hat, Die Unternehmer brauchen die Fachkräfte, sie holen sie heran. Warum soll man ihnen nicht vorschreiben, daß in jedem Jahr mindestens 5 % Lehrlinge auf hundert Arbeiter eingestellt werden müssen, wenn notwendig, auch auf 50 Arbeiter, damit diese jungen Menschen untergebracht werden können? Dem Arbeiter schreibt man ja auch bestimmte Dinge vor, ohne daß man ihn vorher fragt. Das wäre eine Lösung. Natürlich gibt es Unternehmer, die sich dagegen sträuben werden, Ja, und deshalb sagen wir: Zwang!


(Nuding)

Noch eine Möglichkeit, die auch in Ihrem Rahmen liegt, die jetzt vorhandene Arbeitslosigkeit zu mildern, wäre ein einfacher Weg: vergrößern Sie den inneren Markt. Die Arbeiter haben lange genug gesehen und geduldet, daß die Preise in die Höhe gegangen sind, ohne daß ihre Löhne erhöht worden sind. Warum wollen Sie ihnen nicht mehr Lohn geben? Einer der Herren Redner sagte, wenn mehr Geld in die Bevölkerung hineinkomme, bestehe die Gefahr der Preiserhöhungen. Das kann man einer Großmutter erzählen, denn wir haben aus der Zeit der Erhardschen Politik doch immerhin die Erfahrung, daß gerade in der Zeit, in der keine Löhne erhöht worden sind, die größten Preissteigerungen waren, nämlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 und in der ersten Hälfte des Jahres 1949. Man soll uns in dieser Frage nicht mit dem Weihnachtsmann drohen und sagen, daß eine Lohnerhöhung eine Erhöhung der Preise bedeuten muß. Preise werden dann erhöht, wenn die Monopole sie rücksichtslos erhöhen können. Und auf allen Gebieten haben Sie heute Monopolpreise in Deutschland. Kaufen Sie Ware, alle sind gleich abgestimmt, kaufen Sie beispielsweise ein Grammophon oder ein Radio, — unabhängig von den verschiedenen Produktionsbedingungen sind sie alle auf einen Preis abgestimmt. Die Unternehmer haben es sehr gut verstanden, ihre Monopolpreise durchzusetzen und zu halten.
Nun zu einem Kardinalproblem, das der entscheidende Schlüssel zur raschen Minderung und sogar zu einer Überwindung der Arbeitslosigkeit wäre. Mir ist ein Satz aus der Rede des Herrn Professor Erhard nicht entgangen. Er sagte in seiner Rede: „Um zu einer höheren Leistung zu kommen, muß man sich anstrengen. weil heute nicht mehr allein die Technik des Produzierens, sondern vor allen Dingen das Vermögen des Absetzens in unserer Wirtschaft entscheidend geworden ist." — Ja, wir können die jetzt vorhandene eigene Produktionskapazität nicht einmal nützen, zumindest nicht auf dem Gebiet der Fertigwarenindustrie. Und warum können wir es nicht? Weil man uns hindert und weil die Regierung sich die Behinderung, selbst in Deutschland einen Handel zwischen Ost und West zu entwickeln, wie er im Interesse des gesamtdeutschen Volkes notwendig wäre, bereitwilligst gefallen läßt.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Dieses Interesse des gesamtdeutschen Volkes müßte das Entscheidende sein. vor dem alle Demokraten Respekt gerade angesichts dieser Millionen von Arbeitslosen haben müßten. Denn sie können Brot bekommen, sie können Arbeit bekommen, wir können Absatzmöglichkeiten bekommen, wenn wir die Abschnürung von den ausländischen und vor allem von den Märkten des Ostens durch den geeinten Widerstand aller Deutschen überwinden.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Es ist nicht ein Problem parteimäßiger Einstellung, es dreht sich um Brot für die Kinder dieser Arbeitslosen, es dreht sich um Arbeit für die Männer, die für ihre Familien zu sorgen haben. Wenn da politische Ziele maßgebend sind, wie im Abschnüren und Abwürgen des Lokomotivauftrags der Türkei, wie im Abmurksen — um nur die letzten Sachen zu nennen - des Vertrags mit China, wenn politische Momente maßgebend sind, dann steht es schlimm um den Kern Ihres Staates, dann steht es schief um die Interessen des deutschen Volkes.
Deshalb ist unser Vorschlag, alle Kraft einzusetzen und von der Regierung zu verlangen, den Handel mit der Demokratischen Republik nicht abzubremsen, sondern ihn zu erweitern und dafür zu sorgen, daß das Tor, die Reichshauptstadt Berlin auch für den Handel Gesamtdeutschlands mit den übrigen Völkern des Ostens geöffnet wird. Dann wird der Absatz garantiert sein, und dann werden wir aus dem Elend, in das wir gekommen sind, herauskommen. Wenn Sie es nicht tun — und leider hat die heutige Debatte mich überzeugt, daß Sie es nicht tun werden, weil Sie eigennützige Interessen und nicht die Interessen des gesamten deutschen Volkes vertreten, weil Sie parteiegoistisch an die Dinge herangehen —, das Volk aber will keine Katastrophe Deutschlands und wird deshalb den Kampf gegen Ihre Politik aufnehmen.

(Lebhafter Beifall bei der KPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103607700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.

Helene Wessel (SPD):
Rede ID: ID0103607800
Meine Herren und Damen! Ich werde mich bemühen, meine Ausführungen tatsächlich zu dem Problem der Arbeitslosigkeit zu machen. Ich bin der Meinung, wir könnten sehr viel Zeit erspart haben, wenn sich die Redner mehr an das tatsächliche Problem der Arbeitslosigkeit gehalten hätten. Es scheint mir notwendig zu sein, dies zu betonen. Wenn wir eine wirklich echte Debatte darüber führen wollen, dann sollte man sich davor bewahren, immer abzuschweifen und an dem eigentlichen Kernproblem vorbeizureden.
Wenn den Oppositionsparteien von seiten der Regierung vorgeworfen wird, daß sie lediglich in Ablehnung zu der Regierungsarbeit ständen, so möchte ich doch einmal darauf hinweisen, daß niemand in diesem Hohen Hause bestreitet, daß die wirtschaftliche Notlage das Ergebnis des zweiten Weltkrieges und seiner Folgen ist; daß der Zustrom von 8 Millionen Vertriebenen sowie die Frage ihrer Unterbringung und ihres Arbeitseinsatzes für uns alle Probleme aufgeworfen hat, die Deutschland keineswegs aus eigener Kraft lösen kann. Es bestreitet auch niemand gegenüber dieser Regierung. daß der hohe Anteil der arbeitsunfähigen und nur teilweise zur Arbeit fähigen Personen als Kriegsfolge einen erheblichen Prozentsatz unserer Gesamtbevölkerung ausmacht und eine soziale Umschichtung mit sich gebracht hat. die sich in verhängnisvollster Weise auswirkt. Niemand hier bestreitet. daß es eine äußerst schwierige Aufgabe ist — sie ist von den Vorrednern schon erwähnt worden —. den aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Menschen Arbeitsplätze zu geben, auf die sie Anspruch haben. Auch die Aufnahme der politischen Flüchtlinge aus der Ostzone und ihre Unterbringung in Arbeitsplätzen liegt uns am Herzen. Alles das sind doch Fragen, über die es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheit gibt.
Wenn wir uns auf Grund dieser Tatsache nun mit der Bitte um Hilfe an die Welt gewendet haben. dann vergessen wir dabei gewiß nicht. daß die Ursache all dieser Dinge Hitler und sein Krieg gewesen sind. Auf der anderen Seite muß sich in der westlichen Welt aber die Erkenntnis durchsetzen, daß mit Yalta und Potsdam und mit der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und der damm t verbundenen Zerreißung der deutschen Wirtschaftseinheit in Ost- und Westdeutschland folgenschwere


(Frau Wessel)

politsche Tatsachen geschaffen und Fehler begangen worden sind, auf die unsere heutige Arbeitslosigkeit auch zum Teil zurückzuführen ist. Wir sollten auch keineswegs verkennen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland auch für Europa eine Bedrohung darstellt. Die Revision dieser fehlerhaften Politik entzieht sich aber unserer deutschen Zuständigkeit. Das einzige, was wir Deutsche in diesem Zusammenhang tun sollten, ist, alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, daß wir das Arbeitslosenproblem nicht mit der Verantwortung sehen, die es verlangt. Die Zentrumsfraktion ist auch bereit — ich unterstreiche das —, wenn die Bundesregierung erklärt, daß die Arbeitslosigkeit mit auf diese Gründe zurückzuführen ist, das anzuerkennen.
Aber wir wissen genau so, daß das nicht allein die Gründe für die heutige Arbeitslosigkeit in Höhe von 2 Millionen Menschen sind. Wir wissen - um auch das einschaltend zu sagen, und ich glaube, ich muß es in diesem Zusammenhang noch einmal hervorheben —, daß Deutschland heute noch unter der Vormundschaft der Besatzung steht, daß auf wirtschaftlichem Gebiet unserer Initiative gewisse Schranken gesetzt sind und daß wir wegen dieser Schranken auch den Export nicht so vollziehen können, wie wir es wünschen möchten. Es ist von einem meiner Vorredner schon das Beispiel angeführt worden, das wir in allerjüngster Zeit im Ruhrgebiet erlebt haben, daß die Lieferung der ;n Auftrag gegebenen Eisenbahnschienen für China durch Einspruch der Hohen Kommissare von der Ruhrindustrie nicht ausgeführt werden konnte. Niemand wird leugnen, daß diese Unterbindung unserer Handelsmöglichkeiten nach Osten und nach den südosteuropäischen Ländern für uns ein Hemmnis bedeutet, das auch zur Zahl der Arbeitslosen beigetragen hat.
Wir sind gewiß, um hier an Ausführungen anzuknüpfen, die Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard gemacht hat, davon überzeugt, daß die Liberalisierung des Handels Erfolg haben kann. Sie kann aber nur dann Erfolg haben, wenn wir in der weiteren Entwicklung zu einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft kommen, in der für jeden Raum, Freiheit und Arbeit ist und wodurch auch für Deutschland das Tor in die gesamte Welt geöffnet wird. Denn nur in dieser Entwicklung wird es möglich sein, der gesamten Welt das Arbeitsvolumen geben und dafür zu sorgen, daß der Weltmarkt in Wirklichkeit funktionsfähig wird.
Die Länder Europas und Amerikas sollten, wenn sie uns Empfehlungen hinsichtlich der Beseitigung der deutschen Arbeitslosigkeit geben, doch daran denken, daß wir alle das gemeinsame Ziel haben müssen, diese Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Denn letzten Endes bedeutet die deutsche Arbeitslosigkeit auch eine Gefahr für jene europäischen Länder, die heute in der Vollbeschäftigung stehen und nicht das Problem der Arbeitslosigkeit so zu tragen haben.
Aber wir wissen auch hinsichtlich der deutschen Situation, daß diese zwei Millionen arbeitslose Menschen — und wir können das nicht eindringlich genug hervorheben — schließlich ein Heer sind, das sowohl wirtschaftlich wie politisch auf die Dauer nicht getragen werden kann. Dieses Heer kann nicht nur nicht von der deutschen Wirtschaft getragen werden, sondern stellt in gleichem Maße eine Gefahr — es ist dies auch schon betont werden — für die deutsche Demokratie dar. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Zahl der Arbeitslosen die Fieberkurve unserer Politik ist. Sie können nicht wie in diktatorischen Ländern geheimgehalten werden, sondern sie stehen jederzeit und für jeden jeden Tag vor uns. Deshalb verfolgen diese Zahlen nicht nur die deutschen Menschen, nicht nur die davon Betroffenen, sondern mit der gleichen Sorge die uns umgebende Welt. So ist auch die Zahl der Arbeitlosen ein Prüfstein dafür, ob die deutsche Demokratie ihre Aufgabe meistert und damit wieder den Weg nach oben findet. Denn erster Grundsatz einer Demokratie und vor allen Dingen einer demokratischen Gemeinschaft ist das Recht auf Arbeit für jeden Menschen und die Sicherung des Arbeitsplatzes für jeden. Deshalb halten wir Ausführungen, wie sie zum Beispiel Herr Arbeitsminister Storch gemacht hat, daß 1,7 Millionen Arbeitslose nicht bedenklich sind, oder die des Herrn Wirtschaftsministers Erhard, daß auch die hohe Zahl der heutigen Arbeitslosen nicht dazu beitragen kann, irgend welche Änderungen in seiner wirtschaftlichen Konzeption herbeizuführen, für sehr bedenklich. Solche Äußerungen sind aber nicht charakteristisch für die Lage der Arbeitslosen, sondern sie sind charakteristisch für diese Regierung.

(Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und links.)

Denn, meine Damen und Herren, im Herbst vergangenen Jahres wurden wir ja auch von dieser Seite damit getröstet, daß trotz zunehmender Arbeitslosigkeit die Zahl der Beschäftigten noch weiter gestiegen sei. Diesen Trost kann man uns heute nicht mehr geben, weil die Zahl der Beschäftigten gegenwärtig um einige Hunderttauend geringer ist als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Das bedeutet eine erhebliche Minderung unserer Kaufkraft; das bedeutet einen beträchtlichen Ausfall in bezug auf wirtchaftliche Werteschaffung.
Was meine politischen Freunde aber noch besonders bedenklich stimmt, ist die Tatsache, die unseres Erachtens von der Regierung nicht genügend gewürdigt wird und die auch in unseren heutigen Ausführungen mehr hätte durchklingen müssen, daß die gesamte deutsche Not zu einer ständigen Verschärfung der sozialen Spannungen in Deutschland geführt hat. Wir sehen nicht ein, warum die Situation der Vertriebenen, der Ausgebombten und der Kriegsbeschädigten zwangsläufig dazu führen muß, daß ein Teil des Volkes, und zwar ein sehr erheblicher Teil sehr wenig hat, aber eine gewisse hauchdünne Oberschicht im Überfluß leben kann. Hier liegt 'unzweifelhaft ein Fehler im System vor. Dieser Fehler hat nichts mit der heute hier vielfach erwähnten Politik der Besatzungsmächte zu tun. Das kommt ausschließlich auf das deutsche Konto und ist unzweifelhaft das Resultat derjenigen Politik, die wir im Zentrum als die Frankfurter Wirtschaftspolitik bezeichnet haben.
Die liberale Renaissance, mit der wir von seiten des Herrn Wirtschaftsministers auch heute das Problem der Wirtschaft gezeigt bekommen haben, hat ja schon in Frankfurt begonnen. Sie steht aber in einem schreienden Gegensatz zu der Tatsache, daß wir heute in der Mitte des 20. Jahrhunderts leben. Jene wirtschaftlichen Prinzipien, die am Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ihre Berechtigung gehabt haben, sind doch längst überholt und auch schon in den Vereinigten Staaten weit-


(Frau Wessel)

gehend durch eine gelenkte Kapitalwirtschaft ersetzt worden.

(Sehr richtig! links und im Zentrum.)

Sie sind doch völlig unvereinbar mit den größten aller wirtschaftlichen Aufbaupläne, vor denen Sie heute in der Geschichte des deutschen Volkes stehen. Und während für Westeuropa — halten Sie sich doch einmal den Marshallplan in dieser Hinsicht vor Augen — das Prinzip der Planung durch die Amerikaner doch selbst zur Grundlage des Wiederaufbaus Europas gemacht worden ist, glaubt man ausgerechnet das verarmte und weitgehend zerstörte Deutschland aus diesem System für sich selbst herauslösen zu können.

(Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

Die Folge davon ist — das müssen wir einmal in aller Deutlichkeit sehen —, daß das kapitalistische Gewinnstreben, das im Anfang der Industrialisierung die Impulse für einen echten Fortschritt enthielt, heute sich aber an den nicht von privater Seite aufgebrachten Mitteln zu bereichern versucht.
Meine Damen und Herren! Wir sprechen in diesem Hause soviel von einer freien Wirtschaft. Ich glaube, man könnte auch den Ausdruck Freibeuterwirtschaft gebrauchen.

(Beifall beim Zentrum und der SPD.)

Es ist nämlich nicht richtig, immer in erster Linie den einzelnen Schuldigen anzuprangern und nicht ganz klar herauszustellen, daß die Chance für die Bereicherung einiger Kapitalisten durch das Versagen der wirtschaftspolitischen Führung entsteht. Man kann doch niemandem einen Vorwurf daraus machen, daß er den im eigenen Betrieb erzielten Gewinn wieder im eigenen Betrieb investiert, ganz gleichgültig, ob er dort sinnvoll angelegt wird. Das ist die unsere Volkswirtschaft schädigende Fehlinvestition. Das würde aber nicht geschehen, wenn wir eine andere, dem Zinsfuß angemessene Geldwirtschaft betreiben würden. Wenn man also der Überzeugung ist — und diese Überzeugung ist zweifellos berechtigt —, daß wir heute nicht in der Lage sind, den Zinsfuß entsprechend zu erhöhen, weil sonst das Geld für wirtschaftliche und für wertvolle Investitionen zu teuer würde, so gibt es keine andere Möglichkeit als die Lenkung des Kapitalstroms von oben.
Wir müssen also zu unserem Bedauern feststellen — und hier muß ich mich leider Ausführungen anschließen, die auch von Vorrednern schon gemacht worden sind —, daß doch die Bundesregierung vom September bis heute manche Gelegenheit hat verstreichen lassen, ohne die finanzpolitische Kapitalfrage energisch anzupacken.

(Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

Daß man sich, wie uns gesagt worden ist, in einer der ersten Kabinettsitzungen mit der Frage der Arbeitslosigkeit beschäftigt hat, kann uns in dieser Hinsicht keineswegs genügen. Ich darf auch einmal darauf hinweisen, daß durch den Wissenschaftlichen Beirat für Wirtschaft die Kreditfrage als eine der eminent wichtigsten unserer wirtschaftspolitischen Aufgabe bezeichnet worden ist. Wir wissen auch nicht, warum Vorschläge wie die von Professor Rittershaus, die dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bekannt sein sollten und die doch greifbare und durchaus beachtenswerte Vorschläge
darstellen, bis heute in keiner Weise realisiert worden sind. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß in diesen Überlegungen bestimmte Einflüsse maßgebend gewesen sind, die die Regierung von diesen planvollen Maßnahmen abgehalten haben. Wir können — und das muß ich in diesem Zusammenhang sagen — der Regierung und insbesondere dem Herrn Wirtschaftsminister Erhard den Vorwurf nicht ersparen, daß man nicht Ernst macht gegenüber den Interessenvertretern und einer Monopolwirtschaft, die in allen Zweigen unserer Wirtschaft heute betrieben wird. In den bisherigen Maßnahmen, auch in den sieben Punkten, die uns heute vorgelegt worden sind, können wir keine genügende und weitschauende Wirtschaftsplanung als Grundlage für eine echte Kapitalbildung sehen, die doch schließlich das A und O der Ankurbelung unserer Wirtschaft sein muß. Nur sie kann letzten Endes zur Verminderung unserer Arbeitslosigkeit führen.
Wenn heute hier vielfach von einer Änderung oder von einem Strukturwandel in unserem Gemeinschaftsleben gesprochen worden ist, so wollen wir das gewiß nicht leugnen. Aber die Überlegungen darüber müssen doch von einer anderen Art sein. Was von meinem Kollegen Loritz gesagt worden ist, ist nicht so abwegig: daß wir vor allen Dingen eine Steuerpolitik betreiben müssen, die auf der einen Seite Kaufkraft schafft und auf der anderen Seite die Sparmöglichkeit und damit die Kapitalbildung fördert. Dazu gehört nun doch einmal der Abbau kostspieliger unproduktiver Ausgaben durch die öffentliche Hand. Solange wir nicht größte Sparsamkeit in allen Haushalten, sei es der des Bundes, seien es die der Länder und die der Gemeinden, durchführen, verhindern wir auf diese Weise eine echte Kapitalbildung. Wir sind auch der Meinung, daß die Bundesregierung, die doch wie wir der Auffassung sein müßte, daß die sozialen und wirtschaftlichen Probleme vor allen anderen Fragen in unserer Politik den Vorrang besitzen, noch nicht hinreichend erkannt hat, welche Bedeutung ihr wirtschaftliches Versagen für unsere Bewertung im Auslande hat. Die starke Betonung der Notwendigkeit ausländischer Kredithilfe durch den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Vizekanzler wird nur dann von Erfolg sein können, wenn das Ausland das entsprechende Vertrauen zu Deutschland hat. Wer Kredit gibt, setzt Vertrauen voraus, und eine solide Innenpolitik in Deutschland gibt erst das Vertrauen und die Basis für die ausländischen Kreditgeber. Wenn der „Rheinische Merkur" schreibt, daß das nationalistische Gezeter unsere Position im Ausland erheblich verschlechtert hat, so unterstreichen wir das hundertprozentig; nur richtet der Artikelschreiber seine Mahnung unseres Erachtens an eine falsche Adresse. Es scheint uns nämlich sehr notwendig zu sein, diese Mahnung einzelnen Kabinettsmitgliedern ins Stammbuch zu schreiben,

(Beifall beim Zentrum und bei der SPD)

statt sie an die Oppositionsparteien zu richten, die sich in diesem Hause — das dürfen wir wohl sagen — in außenpolitischen Fragen häufig größerer Mäßigung befleißigt haben als manche von den Regierungsparteien.

(Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang möchten wir, nachdem uns von seiten der Regierung jetzt seit Monaten Auslandskredite


(Frau Wessel)

in Aussicht gestellt worden sind, auch die Frage aufwerfen, welchen realen Hintergrund denn diese Äußerungen haben. Nach der Stuttgarter Rede von McCloy sind wir etwas bedenklich geworden. Wir verzichten darauf, im einzelnen auf die ins Auge springenden Fehlinvestierungen einzugehen; denn sie sind heute hier genügend erwähnt worden. Wir machen aber doch noch einmal darauf aufmerksam, daß sie zum größten Nachteil für die deutsche Kreditwürdigkeit im Ausland gewesen sind. Wir können keineswegs an dieser Tatsache vorbeigehen. Man möge sich auch hier bitte nicht an die Adresse der Opposition wenden und ihr immer vorwerfen, sie habe das ausländische Interesse nicht genügend im Auge, wenn auf der andern Seite nicht ganz klar gesehen wird, warum die Kreditwürdigkeit im Ausland in den vergangenen Monaten nicht so gefördert worden ist, wie wir es alle gewünscht haben. Ich glaube, wir vom Zentrum können nicht in den Verdacht kommen, daß wir in diesen Fragen aus einem gewissen Agitationsbedürfnis handeln, und wir lehnen es auch ab, uns in einer negativen Politik zu erschöpfen. Wir halten es aber für ebenso töricht, wenn die Diskussion so geführt wird, daß man Kritik an der Regierung von vornherein als eine mindernationale Angelegenheit betrachtet.

(Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD.)

Im übrigen scheint es mir auch notwendig zu sein, zu betonen, daß auch in der neuen und jungen deutschen Demokratie die Regierung endlich mit offenen und ehrlichen Worten zu den Leistungen aufgerufen werden muß, die sie zu vollbringen hat, um den Weg des Aufstiegs zu erschließen. Die Zeit optimistischer Prognosen und einer Bagatellisierung der Schwierigkeiten, wie wir sie auch heute wieder erlebt haben. sollte endgültig vorbei sein.

(Sehr richtig! links.)

Die Zeit, die Deutschland noch bis zur Beendigung des Marshallplanes zur Verfügung steht, ist kurz bemessen. Wir warnen davor, durch optimistische Prognosen dem deutschen Volke nicht den Ernst der Situation zu zeigen. Gerade die jüngsten Ausführungen von McCloy in Stuttgart sollten uns vor einem späteren rauhen Erwachen bewahren, das vielleicht in wirtschaftlichen und politischen Katastrophen enden könnte. Weder ein Bundesarbeitsminister noch ein Bundeswirtschaftsminister sollten es sich künftig noch einmal gestatten, Dinge, die vielleicht nicht in ihr Konzept passen, zunächst einmal einfach zu leugnen. Sonst kann es leicht geschehen, daß wir die Krisis, die wir heute vor uns sehen, nicht mehr zu meistern vermögen.

(Sehr gut! beim Zentrum und bei der SPD.)

Es ist auch nicht richtig, wenn man Realismus in der Weise betreibt, wie es heute in manchen Ausführungen durchklang, daß jetzt die Vernunft in erster Linie den sozial Bedrängten gepredigt wird. Wir sind davon überzeugt, daß man Vernunft zunächst von denen erwarten muß. die heute keinen Anlaß zur Verzweiflung haben.

(Zustimmung links und im Zentrum.)

Wir sagen das, indem wir an den deutschen Unternehmer denken, der endlich aufhören muß, sein soziales Gewissen mit dem Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft zu betäuben. Wir können es uns vorstellen - und in der Weise sind wir nüchtern genug —, daß es auch Kreise in Deutschland gibt, denen die heutige Situation des
Volkes nicht ganz unsympathisch ist, weil sich auch aus -dieser Situation politisches Kapital schlagen läßt und man die Demokratie in Deutschland mit Arbeitslosenzahlen zu betäuben versucht. Auch eine Demokratie kann große wirtschaftliche Leistungen vollbringen. Sie muß nur das Vertrauen zu sich haben, und sie muß dafür sorgen, daß die entscheidenden Einflüsse im Wirtschaftsleben nicht von antidemokratischen Kräften ausgehen. Sie muß vor allem wieder Vertrauen im Volke haben.
Übersehen wir doch nicht, daß der Wille zum Sparen wesentlich gemindert worden ist durch die zweimalige Abschöpfung der Ersparnisse jahrelanger Arbeit. Leider ist es doch heute auch so, daß die Kapitalbildung zur Sicherung des eigenen Lebensabends für die meisten Menschen in Deutschland an der letzten Stelle rangiert, weil ihr Einkommen eben so gering ist, daß es nur zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse ausreicht. Aber soll wirklich von denen gespart werden, die es noch können, dann ist die erste Voraussetzung, daß man im Volke Vertrauen zur Regierung und zur Demokratie hat.
Mit dem Verlust der Ersparnissse und der Minderung der Sicherung des Lebensalters steht — lassen Sie mich das auch noch erwähnen — die hier schon erwähnte Tatsache in einem ursächlichen Zusammenhang, daß die Jugendlichen nicht mehr genügend Lehrstellen finden können, weil es den älteren, die unter normalen Verhältnissen reif wären, ihren Lebensabend als Pensionäre zu vollbringen, dieses nicht möglich ist, weil sie vielfach noch bis an das Ende ihres Lebens im Arbeitsprozeß stehen müssen. Wenn soviel Not, wie sie gezeigt worden ist, in unserer Jugend vorhanden ist, dann wollen wir uns ebenso der Gefahr bewußt sein, wohin eine solche Not unsere Jugend treiben kann. Sie sind die besten Objekte — vergessen wir es nicht! — für jene nationalistischen Hasardeure, die ja nur darauf warten, diese Demokratie wieder zu begraben. Nach zuverlässigen Schätzungen beträgt die Zahl unserer Jugendlichen, die arbeitslos sind, mehr als 600 000, und es ist zu befürchten, daß ihre Zahl sich nach Ostern noch wesentlich erhöhen wird. Bedenken wir nur, welche furchtbaren Möglichkeiten in der Tatsache dieser Berufslosigkeit liegen, in der Aussichtslosigkeit für die Zukunft, und verstehen wir, wieso mancher junge Mensch dem Sartreschen Nihilismus zu verfallen droht.
Wir müssen auch daran denken, daß unter den 2 Millionen arbeitslosen Menschen eine erhebliche Zahl von Frauen sind, und daß bei den Frauen das niederdrückende Bewußtsein des Überflüssigseins, des Beiseitegeschobenwerdens, der Unfähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können, noch mehr als beim Mann zu einem seelischen Problem wird. Wir sollten uns davor hüten, die Frage der Arbeitslosigkeit nur im. Rahmen der materiellen Zahl von 2 Millionen zu sehen. Wir sollten vielmehr ebensosehr daran denken, daß es bei dieser Frage um ein tief menschliches Problem geht. Das alles schafft gefährliche Spannungen, die wir nicht übersehen dürfen!
Noch hat die Kurve der Arbeitslosigkeit nicht die lebensbedrohenden Formen angenommen wie vor zwanzig Jahren, aber vergessen wir nie, meine Damen und Herren, daß der Zusammenbruch der Weimarer Republik und der Aufstieg von Adolf Hitler mit auf die Verzweiflung von fast 7 Millionen arbeitsloser Menschen und ihrer


(Frau Wessel)

Familienangehörigen zurückzuführen ist. Wir hören heute genau wieder wie vor zwanzig Jahren — wenn es in diesem Zusammenhang nicht abgeschmackt klingen würde, könnte man fast sagen, genau wie im Mai — die alten Parolen: Es muß wieder zu einer Änderung des Systems kommen, nur mit dem System sind diese Dinge zu ändern.
Wir danken — und damit komme ich zum Schluß — dem Herrn Bundeskanzler für die Feststellung, daß das Kabinett geschlossen hinter der Politik des Herrn Wirtschaftsministers Erhard steht und die gesamte Regierungskoalition die Verantwortung dafür trägt. Ich möchte diese Feststellung des Herrn Bundeskanzlers besonders hervorheben; denn wir haben manchmal den Eindruck — nicht zuletzt gestern bei der Debatte über die Eigentumsverhältnisse im Bergbau --, daß es der bekannten Geschicklichkeit des Herrn Bundeskanzlers obliegen wird, dafür zu sorgen, daß die schmale Fahrspur seines Regierungsschiffes nicht zu Belastungen führt, die ihn dazu zwingen, Ballast abzuwerfen oder den Fahrkurs noch weiter durch eine Rechtsschwenkung zu verändern.

(Sehr gut! links und beim Zentrum.)

Wir halten auch jene Erklärung des Herrn Wirtschaftsministers Erhard fest, daß das Wahlergebnis vom 14. August ein Bekenntnis zu seiner Wirtschaftspolitik sei. Wer im Wahlkampf gestanden hat, meine Damen und Herren, weiß es freilich anders.

(Sehr richtig! beim Zentrum und links.)

Aber ich möchte glauben, daß es wertvoll ist, auch solche Äußerungen einmal für spätere Entwicklungen und Debatten festzuhalten.

(Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und links.)

Noch ein letztes lassen Sie mich ausführen. Es ist die Aufgabe des echten und verantwortungsbewußten Politikers, nicht nur vorauszuschauen, sondern auch aus der Vergangenheit zu lernen.

(Ironische Zurufe rechts: Sehr richtig!)

Der Bundeskanzler steht gewiß nicht in der Gefahr, die Zügel seiner Regierung nicht in der Hand zu haben. Das gleiche behauptete man allerdings auch in den dreißiger Jahren von dem damaligen Reichskanzler Brüning, und doch erlebten wir die Bankenkrise, und das Versagen der Wirtschaft hat uns schon einmal ins Unglück gestürzt. Meine Damen und Herren! Auch die Demokratie erträgt keine grauen Exzellenzen, noch weniger als die Wilhelminische Zeit.

(Sehr gut! im Zentrum und bei der SPD.)

Wir befürchten — und ich stehe nicht an, auch das hier zu sagen —, daß damalige Berater des Herrn Brüning auch heute wieder nicht entscheidend in der Verantwortung gegenüber dem Parlament, sondern in höchst privater Weise die deutschen Banken und die deutsche Wirtschaft beeinflussen.

(Händeklatschen beim Zentrum, bei der WAV und bei der SPD.)

Wir halten um der Sauberkeit der Demokratie willen solche Schattenkabinette für bedenklich. Wir wollen nämlich, daß diese deutsche Demokratie in voller Verantwortung dem Parlament gegenüber aufgebaut und durchgeführt wird.

(Abg. Dr. Kather: Das ist ja lächerlich!) — Nein, das ist nicht lächerlich!


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103607900
Herr Abgeordneter Kather, dieser Zwischenruf war ungehörig!

(Abg. Hilbert: Warum? Es ist doch so!) - Nein, das sagt man nicht!


(Abg. Hilbert: Vielleicht einer Frau gegenüber nicht!)


Helene Wessel (SPD):
Rede ID: ID0103608000
Das hat nichts zu sagen, meine Herren! Ich lasse mich sonst nicht auf Zwischenrufe ein; aber Sie können schon gewiß sein, daß man in einem längeren politischen Leben seine Erfahrungen gewonnen hat, daß mehr passiert an Dingen, von denen, wie Hamlet sagt, unsere Schulweisheit sich nichts träumen läßt.

(Zuruf von der CDU: Haben Sie gelernt davon?)

Deshalb glaube ich am Schlusse meiner Ausführungen noch sagen zu dürfen: Unser Wünsch geht dahin, daß der Herr Bundeskanzler — und in dieser Richtung werden wir ihn stets unterstützen — seine Politik auf diejenigen ausrichten möge, die die neue deutsche Demokratie aus dem Herzen bejahen, auf jene Millionen Menschen, die einen Staat der sozialen Gerechtigkeit als ihren Staat aufbauen und verteidigen wollen.

(Bravorufe und Händeklatschen beim Zentrum, bei der WAV und links.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103608100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (FU):
Rede ID: ID0103608200
Meine Damen und Herren! Die Arbeitslosenziffer beträgt heute rund 2 Millionen. Wir wissen nicht, wie hoch sie in wenigen Monaten sein wird. Wenn Sie aber bedenken, daß die Arbeitseffizienz, die Ergiebigkeit der einzelnen Arbeitsstunde, zur Zeit nur 80 Prozent beträgt und die Tendenz hat, zu steigen, so werden Sie mir recht geben müssen, wenn ich sage: die Arbeitslosigkeit hat an sich die Tendenz, weiterhin zu steigen. Die gewerbliche Wirtschaft wird sich bemühen und wird sich schon allein im Interesse der Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland bemühen müssen, die Arbeitsergiebigkeit auf dasselbe Niveau zu bringen, das sie 1936 oder jedenfalls vor dem Kriege hatte. Das heißt, wir müssen befürchten, daß — um das zu wiederholen — die Arbeitslosigkeit auf Grund der steigenden Ergiebigkeit der einzelnen Arbeitstunde ihrerseits eine steigende Tendenz aufweist. Wenn wir von dieser Feststellung einmal ausgehen, dann werden wir uns die Sorgen, die wir uns jetzt machen, noch in erheblich stärkerem Maße machen müssen. Wir werden dafür sorgen müssen, daß diese steigende Tendenz durch eine aktive Konjunkturpolitik in eine gegenteilige Bewegung umgeändert wird.
Der Herr Wirtschaftsminister hat heute nachmittag erklärt, von einer Deflationskrise könne tatsächlich nicht die Rede sein. Zahlreiche Anzeichen deuten darauf hin, daß es doch so ist. Ich will auf Einzelheiten hier nicht eingehen, um den theoretischen Streit nicht weiter zu vertiefen. Ich weise nur kurz auf das ergänzende Memorandum der OEEC-Verwaltung hin, in dem es ausdrücklich heißt, daß die deutsche Volkswirtschaft im letzten Jahre 11 Prozent Kapitalbildung aufgebracht hat und damit auf der gleichen Höhe liegt wie Großbritannien. Wörtlich heißt es dann:
Aus diesem Vergleich ergibt sich, daß außergewöhnliche Anstrengungen einer geschwächten Volkswirtschaft eine Kapitalbildung er-


(Dr. Bertram)

möglichen, die annähernd in der Größenordnung vergleichbarer europäischer Länder liegt, deren Wirtschaften jedoch weder durch Kriegsfolgen noch durch Währungsreform ähnlich in Mitleidenschaft gezogen sind wie die deutsche. In Anbetracht des geringeren Verbrauchsvolumens und vergleichsweise niedrigeren Lebensstandards in Deutschland und der Tatsache, daß gegenwärtig etwa zwei Beschäftigte drei Nichtbeschäftigte in Deutschland mitunterhalten müssen statt zwei in der Vorkriegszeit, sollte anerkannt werden, daß die Nettokapitalbildung eine beachtliche Höhe erreicht hat.
Das bedeutet doch mit anderen Worten, daß wir in Deutschland — und zwar steht das in diesem amtlichen Bericht -- einen außerordentlich niedrigen Standard des Konsums erreicht haben. Daraus kann man nur den gegenteiligen Schluß ziehen, als ihn heute nachmittag der Wirtschafts- minister gezogen hat, der behauptet hat, das Verhältnis zwischen Konsum und Kapitalbildung sei normal oder sei in der Ordnung.
Wenn man von diesen beiden Tatsachen ausgeht, dann wird man sich nicht fragen können und nicht fragen dürfen, ob theoretisch eine Geldschöpfung vorliegt, sondern man wird sich nur fragen dürfen: welche praktischen Maßnahmen liegen überhaupt in der Hand der Deutschen, welche praktischen Maßnahmen können wir durchführen, um dem Problem der Arbeitslosigkeit tatsächlich zu Leibe zu rücken, und man wird alle anderen theoretischen Überlegungen gegenüber dieser entscheidenden Frage zurückzustellen haben.
Es wird nun eingewandt, dann kämen wir in die Gefahr einer Inflation. Meine Damen und Herren, ich glaube, im Ernst kann man dem deutschen Volk dieses Schreckgespenst nicht an die Wand malen. Wann gibt es denn eine Inflation? Doch nur dann, wenn der Staat durch eine Inflation Geld verdienen kann, wenn das Sparkapital einen entsprechend hohen Bestand hat, so daß eine Inflation dem Staat etwas einbringt. In einer Zeit, wo die Sparkapitalien so niedrig sind wie heute, brauchen wir eine Inflation nicht zu fürchten.

(Abg. Hilbert: Neuer Wirtschaftspolitiker!)

Uns muß es jetzt darum gehen, die Möglichkeiten, die wir haben, auszunutzen. Und wir haben eine ganze Menge Möglichkeiten, wenn natürlich auch anerkannt wird, daß wir nicht alles allein machen können. Wir haben eine ganze Menge Möglichkeiten, die wir bisher nicht ausgenutzt haben. Wir haben als erste Marshallplanrate in diesem Jahr 1,15 Milliarden D-Mark zu erwarten, und wir haben dann eine weitere Marshallplanrate von ebenfalls 1,15 Milliarden D-Mark im nächsten Halbjahr zu erwarten. Warum, sò frage ich, lehnt die Bundesregierung die Vorfinanzierung dieses Betrages ab? Der Herr Abgeordnete Etzel hat heute nachmittag erklärt, ihm sei diese Vorfinanzierung sehr sympathisch. Er gehört doch zu einer Regierungspartei. Diese Vorfinanzierung ist nicht nur sym- pathisch, sie ist notwendig, und sie ist möglich, weil wir wissen, daß der Gegenwert uns in kurzer Frist zur Verfügung stehen wird. Warum, so frage ich, lehnt die Bundesregierung einen Vorschlag ab, der Herrn Abgeordneten Etzel so sympathisch ist?
Ich frage weiter: warum machen wir nicht von dem Mittel Gebrauch, Steuergutscheine auszugeben? Die Pläne zur Ausgabe von Steuergutscheinen sind bekanntlich schon vor dem Dritten Reich ausgearbeitet gewesen. Die Steuergutscheine würden einen Vorgriff auf das zu erwartende steigende Sozialprodukt möglich machen. Gleichzeitig würden wir — und das schlagen wir vor — mit der Ausgabe von Steuergutscheinen in einem Gesamtbetrage von 3 Milliarden D-Mark den Bombengeschädigten helfen können, die in den letzten Jahren nach dem Kriege wahrhaftig nur zu leiden gehabt haben und an die man wirklich zu wenig gedacht hat. Wenn wir jedem bombengeschädigten Wohnhausbesitzer Steuergutscheine als Darlehen geben würden und dieser mit den Steuergutscheinen sein Haus wieder aufbaut - man müßte natürlich dafür sorgen, daß die Steuergutscheine von den Banken beliehen werden können —, dann würden wir den bombengeschädigten Wohnhausbesitzern dadurch helfen können, daß wir ihnen für die Zurverfügungstellung von Wohnungen an die Wohnungsämter einen entsprechenden Teil dieses Darlehens erlassen könnten.

(Beifall beim Zentrum.)

Wir würden also auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir würden auf der einen Seite einem Bevölkerungsteil, der es wirklich verdient hat, endlich einmal unter die Arme greifen können, und wir würden auf der anderen Seite tatsächlich Wohnungen schaffen und damit die Möglichkeit, daß das Freizügigkeitsprogramm der Regierung, das wir außerordentlich begrüßen, auch Wirklichkeit werden kann. Denn wie kann das Freizügigkeitsprogramm der Regierung Wirklichkeit werden, wenn jährlich nur 250 000 Wohnungen gebaut werden? Das ist allein der normale Wohnraumbedarf, der normale Zugangsbedarf, der jedes Jahr neu entsteht. Es kommt doch darauf an, tatsächlich soviel Wohnungen zu bauen, daß von dem ungeheuren Nachholbedarf auch wirklich ein Teil gedeckt wird.
Man komme mir nicht mit dem Einwand, die Bauindustrie habe eine Unterkapazität und könne das nicht leisten. Tatsächlich wird die Bauindustrie diesen Anforderungen ohne weiteres gerecht werden können. Wer sich einmal mit der Lage auf dem Baumarkt im einzelnen beschäftigt hat, wird mir das bestätigen. Der Bauindustrie müßte natürlich in dem Zusammenhang die Möglichkeit gegeben werden, in längeren Fristen zu planen, als das jetzt möglich ist. Es ist nicht angängig, Baupläne nur für ein Jahr zu machen. Wer weiß, wie es bis heute effektiv mit der Geldmittelgewährung gewesen ist — eine Rate wurde Ende des Sommers, als die Bausaison fast zu Ende war, ausgeschüttet, und plötzlich mußten dann die Bauten überhastet fertiggestellt werden —, der weiß, daß darin eine wesentliche Ursache für die Verteuerung des Bauens überhaupt gelegen hat. Wenn wir dagegen in die Lage kommen, das Bauen über einen festen Zeitraum von mindestens drei Jahren finanziell zu sichern, dann können wir gleichzeitig mit einer erheblichen Senkung der Baukosten und damit rechnen, daß die Bauindustrie auch den Mut bekommt, ihrerseits Investitionen zur Erweiterung der Bauindustrie durchzuführen. Zu diesem Zweck schlagen wir vor, daß der Bund eine Ausfallgarantie dahingehend übernimmt, daß im kommenden Jahr 1951 und in dem darauffolgenden Jahr 1952 sämtliche Bauherren und Bauträger diejenigen Beträge, die sie im Jahre 1950 verbaut haben und die sie auf dem freien Kapitalmarkt oder bei sonstigen Ban-


(Dr. Bertram)

ken usw. nicht erhalten können, vom Bund garantiert erhalten. Dann ist jeder Bauherr in die Lage versetzt, einen langfristigen Bauplan zu machen. Das gilt insbesondere für die Genossenschaften, Gemeinden usw. Wir würden dann die Verbilligung des Bauwesens erreichen, und wir würden erreichen, daß das Wohnungswesen einen Aufschwung nimmt, der über die genannten engen Grenzen hinausgeht.
Meine Damen und Herren! Außer diesen genannten Möglichkeiten besteht noch die Möglichkeit, vom Auslande her die Rembours-Kredite entsprechend zu erweitern und Rembours-Kredite einzurichten, die wir früher immer gehabt haben. Auch damit läßt sich eine erhebliche Lücke in unserer Kreditmittelversorgung schließen.
Dann ist eine Möglichkeit bisher noch nicht angesprochen und auch noch nicht ausgenutzt worden, die Landflucht zu bekämpfen und Arbeitskräften, die bisher auf dem Land tätig waren, aber infolge der besseren Arbeitsbedingungen in die Stadt streben, den Weg dorthin zu verschließen. Das ist die Möglichkeit, den Leuten, die auf dem Land sind und aktiv sind, zu einer Selbständigkeit auf dem Land zu verhelfen. Eine Selbständigkeit auf dem Land durch Erwerb von Höfen wird in kürzester Zeit nicht möglich sein. Was aber möglich ist, ist die Förderung der landwirtschaftlichen Pachtung. Dafür ist Voraussetzung, daß die Pachtordnung gelockert wird und daß insbesondere die bisherigen strengen Vorschriften über die Höhe des Pachtzinses gelockert werden, um auf diese Art und Weise zu ermöglichen, daß jeder Eigentümer den Hof — wenn er nicht fähig ist, ihn richtig und gut zu bewirtschaften — an einen tüchtigen Landwirt verpachtet und auf diese Art und Weise tatsächlich der Weg des Bodens zum besten Wirt, der durch die heutige Pachtordnung restlos verbaut wird, aufgeschlossen wird. Dazu wäre natürlich gleichzeitig erforderlich — —

(Abg. Rische: Der Großgrundbesitzer! — Zuruf rechts.)

- Ich spreche gerade von der Arbeitslosenfrage, denn nur auf diese Art und Weise können wir die große Quelle der Arbeitslosigkeit, die jetzt durch die Landflucht doch ständig wieder neu einsetzt, verschließen. Es wäre auch in diesem Zusammenhang erforderlich, Bestimmungen über den Lastenausgleich und die Soforthilfe zu treffen.
All dies sind Dinge, die wir in deutscher Zuständigkeit erledigen können. Ich will nicht behaupten, daß damit die Arbeitslosigkeit sofort beseitigt werden könnte, ich muß nur der Behauptung des Herrn Bundeskanzlers entgegentreten, der sagt, daß wir uns mit einer jahrelangen Arbeitslosigkeit abfinden müßten. Wir müssen uns mit einer jahrelangen Arbeitslosigkeit nicht abfinden! Es ist in unsere Hände gegeben, etwas zu tun, und es liegt in unserer Hand, wirklich etwas zu unternehmen und den Vorschlägen, wie wir sie als praktischen Beitrag zu der Debatte vorgetragen haben, nachzugehen.

(Beifall beim Zentrum.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103608300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krause. Herr Abgeordneter, Ihre Fraktion hat noch zehn Minuten Redezeit.

Paul Krause (DZP):
Rede ID: ID0103608400
Meine Damen und Herren! Ich habe nicht vor, zu wiederholen, was meine Vorredner schon gesagt haben. Ich habe auch nicht vor, mich
selbst zu wiederholen, sondern ich bin der Meinung, daß nach zehnstündiger Debatte, in der fortwährend von Ostvertriebenen die Rede war, endlich auch einmal ein Ostvertriebener selbst zu Wort kommen sollte, um aus der Erfahrung seiner Schicksalsgefährten und seiner eigenen Erfahrung das zu ergänzen, was wir heute gehört haben.
Wir haben mit wachen Augen und offenen Ohren die Debatte verfolgt und davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Millionenbeträge bereitstellen will. Und wir werden in geeigneter Form darauf aufpassen, von wem und an wen und in welcher Form die Beträge nun verteilt werden.
Es ist heute im Zusammenhang mit dem Vertriebenenproblem oft von den Millionen Arbeitsloser gesprochen worden, und ich glaube: es ist notwendig, daß die Öffentlichkeit in der Trizone auf Grund amtlicher Zahlen in dieser Stunde und im Zusammenhang mit dieser Debatte einmal davon in Kenntnis gesetzt wird, daß der Anteil der Ostvertriebenen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hier im Westen an der Gesamterwerbslosigkeit 38 Prozent und an der Gesamtbevölkerung zirka 16 Prozent beträgt, daß also der Anteil der Ostvertriebenen an der Arbeitslosigkeit im gesamten Bundesgebiet 2,4 mal so groß wie bei der einheimischen Bevölkerung ist.
Ein weiteres: wir haben den Wunsch, daß die Kredite an Flüchtlingsbetriebe, besonders an solche an entlegenen Orten, gegeben werden; denn der Aufwand für die Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorge würde sonst schon in wenigen Wochen oder Monaten der Höhe des von Betrieben dieser Art dann beantragten Kredits entsprechen.
Der Kürze der Zeit wegen schnell noch ein Gedanke: Die Ostvertriebenen der Trizone wünschen nicht, daß das Jahr 1950 für sie ein Jahr der Enttäuschung wird. Sie hoffen, daß sich endlich einmal Mittel zur praktischen Betätigung finden lassen, daß endlich wirklich neue Arbeitsmöglichkeiten erschlossen werden; ich denke da in diesem Zusammenhang ganz besonders an die Zahlung des Wartegeldes; denn der Großteil der ostvertriebenen Beamten bezieht heute Wartegeld und, wenn diese Frage endlich einmal geregelt sein würde, dann entfiele auf der anderen Seite nämlich der hohe Kostensatz für die Arbeitslosen- und Wohlfahrtsfürsorgebeträge für diese Massen verzweifelter Menschen.
Ich darf zum Schluß noch einmal anregen, daß in die Beratungen über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet auch das Projekt der Ruhrtalbahn mit aufgenommen wird. Nach den Besprechungen, die ich gestern in den verschiedenen Ministerien gehabt habe, würde es sich lohnen, einmal auch diesen Plan zu prüfen, damit im Ruhrtal die Lücke in der Nord-Südverbindung des Güterverkehrs zwischen der Nordsee und Frankfurt am Main, zwischen Warstein und Meschede geschlossen wird. Auf diese Weise würde es möglich werden, auch in diesem Gebiet, wo die Arbeitslosigkeit ganz besonders groß ist und ständig zunimmt, die Arbeitslosen von der Straße zu bringen.

(Beifall beim Zentrum.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0103608500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.

Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0103608600
Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine Menge guter Ratschläge er-


(Dr. Wellhausen)

teilt bekommen. Es wird Sie nicht überraschen, daß sich meine Freunde nicht entschließen können, sich der „Sachkunde" des Herrn Loritz anzuvertrauen. Sie tragen auch Bedenken, sich in die Gefolgschaft der Frau Wessel zu begeben, was Sie auch nicht wundern wird. Ich glaube, daß wir für die Regierungsparteien nicht unbescheiden oder üppig sind, wenn wir sagen, daß wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit reale, klare und festumrissene Pläne von der Bundesregierung gehört haben.

(Lachen und Widerspruch links.)

Ich glaube, daß sich die Bundesregierung die Arbeit nicht leicht gemacht hat und daß sie überhaupt nicht so bequem ist, wie das einige Herren eingangs hier gesagt haben: sie hat auch hier, selbst wenn dies durch eines ihrer Mitglieder vor einiger Zeit geschehen sein sollte, die Dinge nicht, wie Frau Wessel meint, bagatellisiert; sie ist auch dem Problem, das wir als das schwerste, das wir zur Zeit haben, ansehen, nicht aus dem Weg gegangen. Sie hätte, glaube ich, keine große Mühe gehabt — und damit auch wir nicht —, den Großteil der Arbeitslosigkeit als strukturell mit allen möglichen Gründen zu erklären. Auch das hat sie nicht getan. Sie hat es auch nicht für richtig befunden, wegen der offensichtlichen Erfolge der Wirtschaftspolitik — zu denen ja selbst die Sozialdemokratie zwischendurch viele Monate geschwiegen hat —, die seit der Währungsreform — also nun immerhin seit gut 11/2 Jahren — erzielt worden sind, sich hier einen Lorbeerkranz zu winden. sondern sie hat — und damit meine ich in erster Linie die konkreten Angaben des Herrn Bundeskanzlers — neue Wege aufgezeigt.

(Zuruf des Abg. Rische.)

Sie hat sich nicht auf das schon bekannte Wohnungsbauprogramm beschränkt, sondern sie hat eine ganze Reihe anderer produktiver Dinge vorgebracht. und meine Freunde halten das, was hier im einzelnen — ich erwähne besonders die Bundesbahn — vorgetragen worden ist, für wirklichkeitnah und — das dürfte eine sehr wichtige Voraussetzung für alle Dinge sein für unbürokratisch. Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß keine neue Behörde irgendwo errichtet werden soll, daß keine Kommissare bestellt werden sollen usw.

(Zuruf von der SPD: Sind doch da! — Es sind schon zu viele!)

Und meine Freunde halten das Programm für schnell und leicht durchführbar. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen — ich wende mich an den Herrn Bundesverkehrsminister —, die morgen, nachdem die Finanzierung bereits gesichert ist, in Auftrag gegeben werden können. Mehr kann man schließlich von einem Programm nicht verlangen.
Wir sind uns aber völlig darüber klar, daß wir
Hilfe nötig haben und in erster Linie möchte ich
in dieser Beziehung die Länder nennen, gerade
deshalb, weil ein so unerfreulicher Zwischenfall
die Situation in dieser Beziehung verdunkelt hat.

(Abg. Hilbert: Gerötet hat!)

Wie soll nach dem Grundgesetz die Bundesregierung ihre Arbeiten und ihre guten Pläne durchführen, wenn Auffassungen über die Motive der
Bundesregierung, wie sie heute hier vorgetragen
worden sind, bei auch nur einem Lande und
meinetwegen auch nur einem Minister eines Landes vorhanden sind? Das wäre katastrophal. Ich
glaube, daß wir auf dem Wege der Verständigung
mit den Ländern schnelle Fortschritte machen
müßten, und das erfordert natürlich Konzessionen
auf beiden Seiten. Bitte stellen Sie sich vor, wie wir den Wohnungsbau in der Form, wie er gedacht ist, durchführen wollen, wenn bei den Ländern nicht mehr als der gute Wille — das ist zu wenig -- und keine tatkräftige Unterstützung vorhanden ist?

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wie soll der Zustand — und darüber müßten sich die Länder von Herzen freuen — weiter von den Ländern getragen werden, daß einzelne Industrien je nach dem Druck oder nach der Überredungskunst, die sie an wenden, mit Länderkrediten von Monat zu Monat über Wasser gehalten werden, wie das zum Beispiel zur Zeit mit der Lokomotivindustrie geschieht? Sollten die Länder nicht froh sein, wenn durch die Tätigkeit und die Initiative des Bundes hier neue Wege aufgeschlossen werden?

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Um diese Hilfe der Länder möchte ich Sie, meine verehrten Herren vom Bundesrat, herzlich bitten, besonders herzlich nach dem, was heute vorgefallen ist.

(Sehr gut! bei der CDU.)

Die zweite Hilfe, die wir brauchen, besteht in dem Verständnis und der Unterstützung durch die Stellen, die in Deutschland zur Zeit berufen sind, die Währung in Ordnung zu halten und das Geldwesen zu kontrollieren. Ich meine die Bank deutscher Länder. Wir sollten uns freuen, — —(Lebhafte Zurufe von der SPD.)

- Warum sollen nicht einmal etwas fröhlichere Töne angeschlagen werden?

(Erneute Zurufe von der SPD.)

— Meine Damen und Herren, das Problem lösen wir ja nicht dadurch, daß wir uns gegenseitig beschimpfen. — Die Geldgeber haben dem Weg der Kreditausweitung zugestimmt, und zwar auf Grundlagen, die sie selbst vertreten können; denn wir können ja keinen Druck auf sie ausüben, wir können ihnen nichts befehlen.
Drittens brauchen wir in außerordentlichem Maße die Hilfe des Auslandes. Wem es noch nicht klar geworden ist, welche Bedeutung in unserem Wirtschaftsleben der Marshallplan hat, der sollte es eigentlich heute gemerkt haben. Stellen Sie sich das Programm der Regierung ohne die ECA-Mittel vor, und es würde etwa um die Hälfte gekappt sein.

(Abg. Heiland: Nanu!)

Ich glaube, meine Damen und Herren, daß man auf dem Wege der Verwendung und Verwertung der ECA-Mittel einige Schritte weitergehen müßte. Es ist nicht verständlich, daß zwischen den Marshallplan-Geldern, die hereinfließen und denen, die in die Wirtschaft wieder herausgegeben werden, eine so große Differenz besteht. Daß in den Ausweisen der Bank deutscher Länder Hunderte von Millionen als Differenz klaffen, hat seinen Grund in dem außerordentlichen Formalismus, der hier eingeführt worden ist und in dem ja nicht nur Deutschland ein Meister ist. Die Bundesregierung sollte sich bemühen, Einfluß auf die ECA-Verwaltung zu nehmen, um diesen Formalismus zu verringern und damit das Flüssigwerden der Gelder beachtlich zu beschleunigen. Darüber hinaus aber —, und da stimme ich dem Kollegen Bertram zu — sollte in bezug auf die Vorfinanzierung der ECA-Mittel mehr geschehen. Wir sind auch hier von der Zustimmung der ECA-Verwaltung, also in erster Linie der Amerikaner, abhängig, und von der Bundes-


(Dr. Wellhausen)

regierung sollte dahin verhandelt werden, daß uns diese Vorfinanzierung gestattet wird; denn schließlich laufen die deutschen Geldgeberstellen, die vorfinanzieren, das Risiko. Wir hoffen auf die Einsicht der ECA-Verwaltung, unsere Pläne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit würden hierdurch sehr viel schneller durchführbar werden.
Es befremdet uns, daß es unter den ECA-Mitteln Posten gibt, die von denen, denen sie zugute kommen sollen, nicht abgerufen werden. Das gilt in erster Linie für die Landwirtschaft und für das Kleingewerbe. Wenn es richtig ist, daß die Landwirtschaft das wegen der Zinsbelastung oder überhaupt wegen des Risikos, das sie immerhin mit diesen Krediten eingeht, nicht kann, dann verdient diese Frage eine ganz besondere Prüfung, die ich heute abend keineswegs mehr vornehmen kann.

(Bravo!)

Es hat uns aber mit Befriedigung erfüllt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, zwischen dem und der Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten so gern und so leicht ein Gegensatz konstruiert wird,

(Zuruf von der SPD: Der wohl auch vorhanden ist!)

hier für die Bedürfnisse der Landwirtschaft sehr gute und klare Worte gefunden hat.

(Zuruf von der SPD: Wir kennen doch einiges aus Frankfurt, Herr Wellhausen!)

— Ja, da kenne ich eine ganze Menge. Deshalb freue ich mich, lieber Herr Kollege, über die Fortschritte, die erzielt werden.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Für alle unsere Pläne sind natürlich Gefahren vorhanden, und die Gefahr, die in der Liberalisierung liegt, ist hier sehr ausführlich und mit vollem Recht geschildert worden. Der Bundeswirtschaftsminister hat nicht abgestritten, daß Schwierigkeiten durch reichlich schnelles Anlaufen und durch mangelnde Gegenseitigkeit in bezug auf die Liberalisierung des Handels vorhanden gewesen sind und zum Teil heute noch vorhanden sind. Aber die Gefahr erkennen heißt sie zum Teil bereits beseitigen, und Sie und wir alle haben das Versprechen erhalten, daß vorsichtig verfahren werden wird.
Ich bin der Meinung, daß nicht unerhebliche Gelder nach der Währungsreform an falscher Stelle investiert worden sind.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich gebe das ohne weiteres zu, ohne zu behaupten, daß S i e es hätten verhindern können. Ich glaube aber weiter,

(Zuruf von der SPD: Glauben heißt nichts wissen!)

daß der Druck auf die Preise und der Rückgang der Preise bereits eine wohltätige Wirkung in bezug auf diese unnützen Investitionen gehabt hat. Die Verwertung der berühmten Hortungsgewinne hat ihr Ende gefunden, was Sie am Aufhören gewisser Bauten ohne weiteres merken. In Bayern nannten wir sie die „BMW-Bauten"; Sie wissen, was ich damit meine. Auch die Verschwendung geht zurück. Sie merken das doch auch, meine Damen und Herren! Das sollte uns in bezug auf die Zukunft mit Zutrauen in eine vernünftigere Investitionstätigkeit erfüllen.
Am meisten hat uns alle heute betroffen, daß hier Worte über eine gewollte Arbeitslosigkeit gefallen sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es so unseriöse Menschen gibt, die etwas Derartiges wollen. Das wäre viel mehr als unseriös; es wäre verantwortungslos und nach meiner Ansicht sogar verbrecherisch.

(Zurufe von der SPD.)

Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es Unternehmer gibt, die etwas Derartiges wollen;

(Widerspruch bei der SPD)

sonst würde ich mich von ihnen in jeder Weise distanzieren.

(Beifall bei der FDP. — Widerspruch und Zuruf links: Das sagen Sie!)

Aber ich bitte Sie zu bedenken, daß in diesem Falle nicht der Unternehmer im Vordergrund steht, wiewohl er sich über eine Arbeitslosigkeit niemals freuen kann, sondern im Vordergrund steht der Arbeitnehmer. Es ist ohne weiteres zuzugeben, und ich sage es mit voller Überzeugung und heiligem Ernst, daß, auch wenn der Arbeitnehmer nicht in irgendeiner Weise leiblich oder materiell von den Kriegsfolgen betroffen ist, er derartige Hypotheken mit sich herumschleppt, daß es entsetzlich wäre, wenn diese Arbeitslosigkeit zunähme oder wenn das Gespenst der Arbeitslosigkeit vor so vielen Menschen stehen bliebe wi heute. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, behalten Sie alle Ihre Reservate in weltanschaulicher, in politischer, in parteipolitischer Beziehung — das tun Sie ohnehin, nicht wahr? —, aber ergreifen Sie nun mit uns die dargebotenen Gelegenheiten, von denen Sie sich grundsätzlich doch gar nicht distanzieren können und nach dem, was Herr Nölting gesagt hat, auch gar nicht distanzieren wollen! Legen Sie sich mit uns in die Riemen, damit durch die Mithilfe all der Kräfte, von denen ich gesprochen habe, die Gefahr abgewendet wird, in der Lage, in der wir nun sind, noch zusätzlichen Schaden durch Uneinigkeit zu erleiden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Rische.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103608700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0103608800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint heute eine rhetorische Selbstverständlichkeit zu sein, sich vor Erörterungen der Not- und Leidensfrage unseres Volkes nahezu gewohnheitsmäßig auf das furchtbare Erbe der vergangenen Zeit zu berufen. Das ist zugleich billig und bequem und enthebt von vornherein eines Großteils der Verantwortung. Mich wundert dabei nur, daß man sich nicht auch, noch auf den allerdings etwas weiter zurückliegenden 30jährigen Krieg beruft.

(Zurufe von der Mitte und links.)

Trotz des Krieges und der furchtbaren Niederlage wäre schon viel Not gewendet und der wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands eine Tatsache, wenn nicht von innen und von außen — das ist kein Vorwurf gegen die Bundesregierung — aus sehr bewußter Absicht oder aus Unfähigkeit immer wieder Schwierigkeiten über Schwierigkeiten bereitet worden wären oder bereitet werden.

(Zuruf von der SPD: Wir wollen keine Vorlesung!)



(Dr. Richter)

Wenn nicht die Siegermächte gegen jedes Völkerrecht unsere trotz Krieg und Niederlage noch weitgehend verwendbare Industrie bis zur nahezu völligen Vernichtung demontiert hätten, wenn nicht der deutsche Export um anderer Vorteile willen immer noch gedrosselt, unsere Beziehungen zum Ausland durch alle möglichen Befehle, die den Handel lahmlegen, gestört würden, wenn uns nicht Tausende deutscher Patente genommen und vorenthalten worden wären, dann wäre es wahrhaftig um unsere deutsche Wirtschaft besser bestellt.

(Zurufe von der SPD. — Abg. Dr. Schäfer: Das ist doch Erbe der Vergangenheit!)

Darüber hinaus sei folgendes gesagt. Wir haben leider Gottes immer noch eine außerordentlich aufgeblähte Bürokratie,. die nicht in der Lage ist — vor allem bei den Ländern -, wirksame Hilfe zu schaffen, beispielsweise neue Industrien für die Vertriebenen aufzubauen. Die Bereitstellung von Möglichkeiten einer planmäßigen und wirklich individuellen Umschulung und Eingliederung der Berufssoldaten etwa scheint mir bis heute noch kaum erwogen zu sein. An eine notwendige Unterstützung der sehr vorbildlichen Selbsthilfeorganisation der Arbeitslosen, die heute noch durch gewisse Gesetze schwerstens gehemmt wird, scheint ebenfalls nicht gedacht zu werden. Dazu kommt aber, daß ein riesenhafter Prozentsatz unseres Steueraufkommens für Besatzungskosten verloren geht. Wir möchten doch an dieser Stelle die Regierung bitten, diesem Kapitel ganz besonders ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man denke nicht etwa daran, daß sich das Sparvermögen vergrößern könnte; denn die kleinen Sparer haben, wie ich glaube, durch die verschiedenen Währungsmanöver ihr Vertrauen einigermaßen eingebüßt.
In manchen Ländern gibt es sogenannte Jugendschutzgesetze. Sie stellen in Wirklichkeit keine Gesetze zum Jugendschutz dar. sondern sind Gesetze, die die Jugend daran hindern, eine wirksame Ausbildung zu genießen.
Darüber hinaus möchte ich noch eine Frage stellen, nämlich ob es den Tatsachen entspricht, daß Deutschland daran gehindert wurde, gewisse für die deutsche Arbeitsbeschaffung entscheidende Lieferungen durchzuführen, von einer Macht gehindert, die aus Konkurrenzneid dieses Hemmnis Deutschland in den Weg legte, um selber die Lieferungen übernehmen zu können. Wir bitten deshalb die Regierung, alles zu tun, um ihre Souveränität zu bezeugen.

(Zurufe von der KPD.)

Hier geht es um Arbeitsmöglichkeiten, und es muß alles getan werden, um dem deutschen Volk in jeder Form Arbeitsmöglichkeiten zu beschaffen.
Wenn davon gesprochen wird, Menschen, vor allem Jugendliche, von der Straße wegzubringen und ohne große Mehrkosten für die Regierung einer für die Allgemeinheit nutzbringenden Arbeit zuzuführen, so will ich -- selbst auf die Gefahr hin, als Ketzer zu erscheinen --, wie es übrigens neulich auch ein Mitglied einer Regierungspartei in einem anderen Falle getan hat, auf eine Einrichtung hinweisen, nach der von verschiedenen Seiten seit längerer Zeit die Fühler ausgestreckt werden, eine Einrichtung, die nicht nur in Deutschland im Frieden segensreich wirkte, sondern schon vorher in anderen Ländern erprobt war, eine Einrichtung, die unserer Überzeugung nach schnellstens geschaffen werden müßte: ein deutscher Arbeitsdienst.

(Beifall bei der DRP. Zurufe von der KPD: Unerhört! — Erregte Zurufe von der SPD.)

- Es tut mir leid, daß Ihnen bei Erwähnung dieser Sache schon die Hosen zu schlackern anfangen!

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103608900
Meine Damen und Herren! Nach § 50 der Geschäftsordnung hat nunmehr für die Herren Antragsteller Herr Abgeordneter Dr. Nölting das Schlußwort.

Dr. Erik Nölting (SPD):
Rede ID: ID0103609000
Ich werde diese Nachlese in Anbetracht der späten Stunde nur kurz halten und darf all die Kollegen, denen ich nicht mehr antworten kann, bitten, deshalb nicht zu wähnen, daß sie mich überzeugt haben, nur weil ich heute auf die Auseinandersetzung verzichte.
Ich will mich in erster Linie mit den Ausführungen auseinandersetzen, die der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundeswirtschaftsminister meinem Referat entgegengestellt haben. Der Herr Bundeskanzler begann mit einer Freundlichkeit, aber die Liste seiner Liebenswürdigkeiten war damit auch bald erschöpft; er sagte, der „rosarote Nebel" hätte ihm gefallen, und ich hätte alles in meinen Bildern rosarot gemalt. Kurz darauf erklärte freilich der Herr Arbeitsminister Storch, ich hätte alles schwarz in schwarz gemalt.

(Heiterkeit bei der SPD.1 — Die Regierung scheint demnach ein wenig farbenblind zu sein. Apropos, Bilder: Es kommt. glaube ich, nur darauf an, ob Bilder gut und plastisch sind oder verzerrte und blasse Kartonmalerei darstellen. Beim Reden hat nun einmal jeder seine Eigenart. Der eine spricht von Nationalökonomie, der andere spricht von — Seele. Der Herr Bundeskanzler hat die Faktoren der Arbeitslosigkeit ähnlich geschildert, wie auch ich es tat: streckenweise gab es sogar wörtliche Wiederholungen. Sein Hinweis auf die deutschen Produktionsbetriebe, die noch nicht durchweg auf Friedensproduktion umgestellt sind und die technisch überholt werden müssen, brachte eine wertvolle Ergänzung. Dann aber verfiel der Herr Bundeskanzler leider in die Erhardsche Terminologie, indem er von der Planwirtschaft der Nazizeit sprach. Immer wieder diese typische Verwechslung von Zwangswirtschaft und Planwirtschaft. Wie lange will man diese öde Gleichsetzerei hier noch zu Tode reiten? Wir finden sie nicht mehr sonderlich originell, sie ist lediglich ein Beweis von Unbelehrbarkeit. Ich habe nicht gesagt — auf diese Feststellung lege ich Wert —, daß unsere Wirtschaft nichts wert sei; ich habe auch nicht einen gewissen Aufschwung in Abrede gestellt. Es wäre ja traurig, wenn es in all den Jahren keinerlei Aufschwung gegeben hätte. Im Gegenteil, ich habe ausdrücklich von den schmalen Erfolgen gesprochen, die jetzt in Gefahr zu kommen drohen, weil die Arbeitslosigkeit sie unterspült. Der Herr Bundeskanzler meinte, die Arbeitslosigkeit sei nicht durch die soziale Marktwirtschaft herbeigeführt. Nun gut, vielleicht können wir uns dahin einigen: sie ist parallel und progressiv mit der sozialen Marktwirtschaft gestiegen! Natürlich ist die Arbeitslosigkeit zum Teil saisonbedingt. Die Eigenart dieses Winters war aber gerade, daß er keinen Saisoneinbruch brachte. Allerdings ist dann auch mit keiner Frühjahrserholung zu rechnen, wir werden also auch keinen saisonalen Auftrieb im Frühjahr erleben. Die Wirtschaft, so führte ich aus, scheint mir nicht gesund, solange sie zwischen 90 und 95 Prozent des Produktionsstandes des Jahres 1936 herumpendelt. Im übrigen, Herr Bundeskanzler, das Programm, das Sie hier entwickelt haben, ist ja noch schmaler als die Zeitungsmeldungen des heutigen Morgens! Wahrscheinlich wird es morgen wieder Dementis regnen, und offenbar hat es wieder einmal eine Panne gegeben. Von Vorfinanzierungen, von denen die Zeitungen sprachen und zu denen sich selbst Herr Etzel heute bekannt hat, ist keine Rede mehr gewesen. Vor allem aber blieb unsere Frage unbeantwortet, warum soviel Zeit vertan worden ist. Dieses sehr dürftige Programm hätte man, beim Himmel, auch früher starten können! Meinen Kollegen Steinhoff, den Wiederaufbauminister des Landes Nordrhein-Westfalen, darf ich in Schutz nehmen, da er hier angegriffen wurde. In Nordrhein-Westfalen sind alle Gelder, sobald sie freigegeben wurden, sofort verteilt und im Wohnungsbau eingesetzt worden. Man möge sich bei der Landesregierung erkundigen. Der Herr Ministerpräsident ist, wie ich hörte, bereit, das zu bestätigen. Im vorigen Jahr wurden in Nordrhein-Westfalen 61 000 Wohnungen gebaut; in das neue Jahr sind wir mit einem Überhang von 46 000 Wohnungen eingegangen, die bereits im Bau begriffen sind. Der Herr Bundeskanzler versicherte uns, es gebe kein Junktim zwischen dem von ihm heute vorgelegten Programm und dem sozialdemokratischen Antrag. Wir wollen uns einmal harmlos stellen, Herr Bundeskanzler, und wollen sagen: Dann freuen wir uns über diese seltsame Duplizität der Ereignisse. Überdies: Man hat schon lange beraten, gewiß, obwohl es der Pressechef der Bundesregierung, Herr Bourdin, war, der lange Zeit, nachdem die Regierung bereits im Sattel saß, bei einer Pressekonferenz bestätigte. das Kabinett habe sich bisher mit Fragen der Arbeitslosigkeit noch nicht befaßt. Das Wesentliche i t indessen nicht. ob man diskutiert hat: das Wesentliche ist, daß bisher nichts geschah, daß man nicht ans dem Stadium unverbindlicher Diskussionen herauskam. Gewiß, die Bundesregierung ist erst fünf Monate alt. Aber, meine Damen und Herren, diese Wirtschaftspolitik dauert nun schon zwei Jahre, denn die neue Wirtschaftsordnung nahm doch ihren Anfang am 21. Juni 1948, und die Arbeitslosigkeit steigt seit November 1948. Bei allem Respekt, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, meine Freunde haben nicht den. Eindruck, daß. Sie heute eine besonders richtungweisende Rede gehalten haben. Es war eine schwache Rede, eine Rede, die uns keine Hoffnung schöpfen läßt, aber viel von dem letzten Rest an Hoffnung hinweggenommen hat. Es ging heute zu — bei gedämpftem Trommelklang. Dem Herrn Arbeitsminister Storch darf ich nur kurz antworten. Es stimmt, Herr Arbeitsminister, wenn Sie sagen, „das verdanken wir dem Führer." Einverstanden! Aber wir sagen: Ihre falsche Wirtschaftspolitik baut allmählich noch eine Etage drauf. Im übrigen war Ihre Rede ganz aus der Defensive gehalten, sie war eine Perlenkette, und nicht einmal eine leuchtende Perlenkette, von Selbstverständlichkeiten, denen man schlecht widersprechen kann. Es ist spät in der Nacht. Ich will sie übergehen. Und dann kam Herr Professor Erhard. Herr Professor Erhard begann, er wolle heute entgegen sonstiger Gewohnheit nicht polemisieren; aber noch im gleichen Atemzug hat die Polemik begonnen. Denn sie setzte ein, indem er mir den Vorwurf machte, ich malte Gespenster an die Wand. Herr Kollege Erhard, man malt keine Gespenster, wenn man kein Süßholzraspler ist und ungeschminkt die Wirklichkeit aussagt. Sie wehren sich gegen den Begriff Deflationskrise. Nun, Sie wissen, über Definitionen kann man streiten, und die Römer hatten das Wort: Definitionen sind immer falsch, aber sie beruhigen. Ich möchte Ihnen sagen, einen Zustand, wo die Produktion zurückgeht und das Abfallen von 98 auf 95 ist wohl nicht in Abrede zu stellen —, wo die Beschäftigungskurve absinkt und wo die Arbeitslosigkeit stark zunimmt, nenne ich Deflation. Heute sagten Sie, nicht der gegenwärtige Zustand sei herrlich, aber der Prozeß sei herrlich. Schon eine Einschränkung! Ich frage wiederum, weil auf diese Frage die Antwort nicht erfolgte: Was ist denn eigentlich aus dem angekündigten „geballten Kapitaleinsatz" geworden? Ich frage noch einmal: Bekennen Sie sich noch heute zu Ihrer Selbstreinigungsthese, die Sie damals vorgetragen haben? Daß Sie andere Fragen nicht beantworteten, warum Sie zum Beispiel nicht zur Wiederaufbaubank kommen, wo der Herr Bundeswirtschaftsminister doch eigentlich eine sehr wichtige Funktion zu erfüllen hätte, und daß Sie die Frage nach dem Brief des Herrn Geheimrat Vocke nicht beantworteten, muß Ihnen überlassen bleiben. Vielleicht ist es Ihnen bei der Zeitungslektüre entgangen. Sie rühmten sich ja, daß Sie sich bei meinen Reden niemals Aufzeichnungen machen. Heute wurde uns gesagt, es seien CounterpartFunds in Höhe von 390 Millionen vorhanden, und dann seien noch einmal 1150 Millionen zu erwarten. Schade, daß nicht Herr Direktor Abs von der Wiederaufbaubank anwesend war, als man diese neuen Ausschüttungen ankündigte. Ich hätte gern sein skeptisches Lächeln sehen mögen. Seltsam ausweichend war die Antwort auf die Frage nach der Vollbeschäftigung. Sie sagten: sie bleibt ein Ziel, aber sie ist kein Prinzip. Sie sagten dann weiter — ich schreibe ja mit —, Sie wollten sie aus sozialer Verpflichtung heraus nicht. Ganz unbeantwortet blieb meine Frage, ob Sie sich zu dem Satz in dem Memorandum an die OEEC Seite 73 bekennen. Ich lese ihn noch einmal vor: „Es besteht die Gefahr, daß entweder sozial nicht tragbare Preissteigerungen in Kauf genommen werden oder daß bei Vollbeschäftigung die bisher verfolgte liberale Wirtschaftspolitik nicht mehr fortgesetzt werden kann." Diese Frage sollte uns eigentlich beantwortet .werden, ob nun dieses Kabinett Vollbeschäftigung ansteuern will oder nicht. Sie machten Einwendungen gegen unsere These, daß das Sozialprodukt eine falsche Verteilung gefunden habe. Bei Preistreiberei auf der einen und bei lange festgehaltenem Lohnstop auf der anderen Seite blieb gar nichts anderes übrig. Der Lohnanteil am Sozialprodukt ist abgesunken. Das sagt nicht nur ein Sozialdemokrat, dem Sie es vielleicht nicht glauben. Da auf meinem Tisch liegt die Schweizer „National-Zeitung" vom 7. Februar, also von vorgestern. Einige Sätze sind so interessant, daß ich sie auszugsweise wiedergeben möchte: Man protzt gern damit, daß in Deutschland wieder alles zu haben sei. Man sollte nachforschen, w e r alles haben kann, ob die gesamte Bevölkerung oder nur ein Bevölkerungsausschnitt. Man spricht gegen die austerity und fühlt sich in Deutschland erhaben. Aber die 1,8 Millionen Arbeitslosen sind mit ihren Angehörigen zu einer austerity verurteilt, die ihren Lebensstandard auf das Hungerniveau herabdrückt. Die Milch, die die Arbeitslosen nicht trinken können, kann man in Form von Buttercreme in den Konditoreien essen. So steht es in der „National-Zeitung". Und, Herr Professor Erhard, das nennen wir eben „Fassadenwirtschaft", und deshalb droht Einsturzgefahr. In Westdeutschland ist an die Stelle .der Rationierung durch Karten die Rationierung durch Drosselung der Kaufkraft der breiten Massen getreten. Der Bezugsschein ist sozusagen nur aus der Bezugsscheintasche ins Portemonnaie gewandert und fehlt auch dort. Das Wirtschaftswissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat ausgerechnet, daß 49,4 Prozent sämtlicher Arbeitnehmer — das sind 7,5 Millionen — im Monat unter 180 D-Mark verdienen. Wissen Sie eigentlich, was das bei diesen Preisen bedeutet? Nach Mitteilung der Bundesregierung vom September wird für den Industriearbeiter ein Bruttowochenverdienst von 57,21 D-Mark angenommen. Zusätzlich kommen also zu den 1,9 Millionen Arbeitslosen noch rund 7,5 Millionen Beschäftigte hinzu, die zu einer austerity verurteilt sind, härter, als sie der englische Arbeitnehmer zu erdulden hat, der — und nun zitiere ich noch einmal die Schweizer Zeitung — immerhin 7 bis 8 Pfund im Durchschnitt in der Woche verdient, ganz abgesehen davon, daß es in England keine Arztund Krankenhauskosten mehr gibt. Wenn man dann noch daran denkt, Herrschaften, was werden soll, wenn nun auch noch der Mietpreisstop preisgegeben und auch der Wohnungsbau dem freien Spiel der Kräfte überlassen wird, kann man sich vorstellen, daß uns dabei nicht sonderlich wohl zumute ist. Nachdem Sie mir zum Vorwurf gemacht hatten, ich hätte Gespenstermalerei getrieben — ich immer nur im Auftrage meiner Freunde —, haben Sie dann später selber Gespenstermalerei getrieben, indem Sie sagten, wir Sozialdemokraten würden eine neue Inflation heraufführen und den Leuten damit das Geld aus der Tasche ziehen. Meine Damen und Herren, wir sind keine Hasardeure und sind keine Inflationsapostel! Ich habe ausdrücklich gesagt, Vorfinanzierung muß durchdacht, kontrolliert und begrenzt sein und muß vor allem planmäßig eingesetzt werden; Vorfinanzierung führt dann zu keiner Inflation, wenn sie durch ein entsprechend gesteigertes Produktionsvolumen abgedeckt werden kann. Nur darf sie nicht einfach ins Blaue hineingeknallt .werden. Statt weiter über die Arbeitslosigkeit zu sprechen, erfolgte dann bei Herrn Minister Erhard ein Spaziergang durch das Land der Liberalisierung. Wir werden an anderer Stelle darüber eingehend sprechen. Vor dem zeitunglesenden Parlament ist seine Exkursion auch sehr im Gleitflug niedergegangen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wurde zum Schluß einmal wieder pathetisch, indem er sagte: solange sei das Volk gegen eine Inflation gefeit, wie diese Regierung im Sattel sitze. Ich habe es nicht gern -wir kennen das aus früheren Zeiten —, daß eine Regierung erklärt: Après nous le déluge — nach uns die Sintflut! Ich hoffe, daß die Währung länger währen wird als diese Regierung. Wir haben auch heute, als .wir Kritik vortrugen, wieder den Vorwurf erlebt, daß man uns gesagt hat, wir schädigten die Demokratie. Immer wenn die Opposition kritisiert, kommt man uns mit dieser Entgegnung. Aber Frau Kollegin Wessel hat schon durchaus treffend gesagt: Kritik ist nicht minder nationale Angelegenheit. Man sagt uns entweder: Das ist agitatorisch, oder: das schädigt die Demokratie. Meine Herren von der Bundesregierung, wissen Sie denn eigentlich gar nicht, daß Stalin das genau so macht? Er beschimnft jeden Kommunisten, der ihn zu kritisieren wagt, entweder als Trotzkisten oder als Titoisten. Sie werden uns dadurch nicht irremachen. Wir wissen selbst, was der Demokratie frommt und was ihr abträglich ist. Unsere Demokratie riecht nicht so nach frischem Lack. Und daß wir schlechtere Demokraten sind als Sie, das glauben Sie doch wohl selber nicht. Die Regierungsparteien haben natürlich auch heute erklärt, daß sie mit dem, was die Regierung ihnen vorgesetzt hat, recht zufrieden seien. Wir bedauern, wir sind nicht ganz so anspruchslos, sondern wir müssen leider sagen, der heutige Eindruck war geradezu niederschmetternd. Die Regierung — das ist das Resultat dieser langen Debatten — hat keinerlei zusammenhängende Konzeption; das wenige, was sie zu tun bereit ist, haben wir längst gefordert. Sie kodifiziert zusammenhanglose Einzelvorschläge, und der Herr Bundeskanzler nennt das dann „Programm", während der Herr Bundeswirtschaftsminister sogar vor dem Wort „Programm" einen Horror hat. Aber ob Kanzler, ob sein Wirtschaftsminister — es geschieht nichts Entscheidendes, und nichts Neues ist heute am Horizont emporgetaucht. Man will eben nicht an das Prinzip der Wirtschaftspolitik herangehen. Man bleibt unbelehrbar trotz der zwei Millionen Arbeitslosen, trotz der Gefahr, daß sich diese Armee noch weiter verstärkt. Das ist für uns das Er schütternde, daß keine Spur von Besinnung oder von Umkehr zu sehen ist. Dieser Tag, verehrte Damen und Herren, mit dem sich so viele Hoffnungen verbunden haben, ist von der Regierungsbank zu einem Tag der Enttäuschung gemacht worden, nicht für uns, wohl aber für die vielen im Lande, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder die um ihren Arbeitsplatz bangen. Unsere Sorge ist, daß bei Fortsetzung dieser Wirtschaftspolitik die Volkssubstanz allgemach zu Bruch geht. Es geht nicht nur mehr um die Gefährdung der Wirtschaft, es geht um mehr, es geht um die Gefährdung des Volkes. Die Flagge der Bundesregierung ging heute auf halbmast! (Beifall bei der SPD. — Lachen bei den Regierungsparteien.)


(Heiterkeit bei der SPD.)


(Zuruf von der SPD: Absicht!)


(Zuruf von der SPD: Es ist mehr!)


(Dr. Nölting)


(Hört! Hört! bei der SPD.)


(Hört! Hört! bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Hört! Hört! bei der SPD.)


(Sehr richtig! bei der SPD)


(Sehr gut! bei der SPD.)


(Sehr richtig! bei der SPD.)


(Dr. Nölting)


(Sehr richtig! bei der SPD.)


(Sehr gut! bei der SPD)


(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Sehr richtig! rechts.)


(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Starker Beifall bei der SPD.)


(Dr. Nölting)


(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Deshalb müssen wir unseren Antrag Nr. 406, der durch das Projekten-Mosaik der Regierung natürlich in keiner Weise erledigt ist, aufrechterhalten. Wir verlangen in diesem Antrag ein eingehendes Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit dem Ziel der Vollbeschäftigung. Wir sehen nichts von jenen planmäßigen Maßnahmen, die wir gefordert haben, um die Wirtschaft in die Richtung zunehmender Beschäftigung zu steuern. Davon kann bei diesem Programm keine Rede sein; von der Vollbeschäftigung sind Sie ja sogar abgerückt, und deshalb müssen wir unseren Antrag aufrechterhalten. Wir bitten, ihn zur Abstimmung zu stellen, und wir bitten, ihn im Hinblick auf die große Arbeitslosennot im Lande anzunehmen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, der WAV und dem Zentrum.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103609100
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0103609200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Kollegen Nölting können und dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Es ist erschütternd, daß nach den Darlegungen, die hier mannigfach gemacht worden sind über die Ungunst der Verhältnisse in Deutschland, über die Not, mit der wir zu kämpfen haben, über das unglückselige Erbe, das wir überwinden müssen, hierauf mit keinem Ton, mit keinem Gedanken, mit keinem Gefühl und mit keiner Geste eingegangen worden ist.

(Sehr gut! rechts -und in der Mitte.)

Wo ist denn das konstruktive Programm der SPD, das an die Stelle treten soll?

(Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Oellers: Das gibt es gar nicht! — Abg. Euler: Das hat es noch nie gegeben!)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103609300
Ich bitte die Abgeordneten, doch Ruhe zu halten!

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0103609400
Ich habe eindeutig in gut begründeten nationalökonomischen Darlegungen nach gewiesen, warum unser heutiger Zustand keine Deflation bedeutet. Wenn Herr Professor Nölting glaubt, daß ein saisonales Absinken der Produktion von 98 auf 95 Prozent als Deflation zu bewerten ist, dann kann es in der Wirtschaft nur Deflationen und Inflationen geben, denn solche Veränderungen vollziehen sich von Monat zu Monat. Ich behaupte also nach wie vor, daß wir keine Deflation haben.
Dann bin ich gefragt worden, was ich von der Selbstbereinigungsthese halte. Wenn Sie als Gegensatz zu der Selbstbereinigungsthese etwa die Forderung aufstellen wollen, daß die Bürokratie in irgendeiner Form und Gestalt von sich aus entscheiden solle, was recht und billig ist, wer Lebensfähigkeit erlangen soll oder nicht, dann allerdings möchte ich die Frage eindeutig bejahen, daß ich die Selbstbereinigungsthese als Ausdruck der natürlichen Entwicklung der wirtschaftlichen Kräfte im Markt für gesünder, für richtiger und wohltätiger halte als die Bereinigung, die die Bürokratie von sich aus nach Willkür vornimmt.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe keinen Anlaß, die Frage zu beantworten, warum ich seit Mai nicht bei der Wiederaufbaubank an den Sitzungen teilgenommen habe. Denn die Antwort bin ich Ihnen nicht schuldig.

(Sehr gut! rechts. — Hört! Hört! und Unerhört! bei der SPD.)

Aber ich kann Ihnen zur Ihrer Beruhigung sagen, daß ich mich mit dem Leiter der Wiederaufbank, Herrn Abs, wahrscheinlich öfter und gründlicher unterhalte, als das in den großen Sitzungen der Wiederaufbaubank möglich ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Dann sagten Sie, Herr Abs würde wahrscheinlich lebhaft überrascht sein, wenn er heute gehört hätte, daß weitere 390 Millionen aus der ersten Tranche und 1150 Millionen aus der zweiten Tranche zur Verfügung stehen. Ich kann Ihnen hier unter Zeugenschaft des Herrn Bundeskanzlers noch einmal vortragen, daß das gestern mit genau den gleichen Zahlen die Angaben waren, die uns Herr Abs als Leiter der Wiederaufbaubank gemacht hat.

(Hört! Hört! und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

Was endlich das kritisierte Memorandum angeht, so möchte ich erklären, daß ich aus den gleichen Gründen, die der Herr Bundeskanzler in ähnlichem Zusammenhang für seine Person geltend gemacht hatte, dazu nicht Stellung nehmen möchte, um nicht in den Verdacht zu geraten, hiermit eine außenpolitische Polemik anzurühren. Wir sind aber der Meinung, daß diese Kritik unsachlich und unberechtgt gewesen ist. Wir werden Gelegenheit nehmen, das an der richtigen Stelle in aller Offenheit und Ruhe zum Austrag zu bringen.

(Lachen und Widerspruch bei der SPD. — Abg. Renner: Also auf dem Petersberg!)

Wenn Sie gleichzeitig hier die austerity angeführt haben, dann allerdings möchte ich hier unsere Auffassung dahin kennzeichnen, daß wir von Verzichten und Entbehrungen, von dem Verteilen und der Verwaltung der Armut weniger halten als von der höheren Anstrengung. Und die höhere Anstrengung ist das Prinzip der Marktwirtschaft.

(Abg. Dr. Schumacher: Und die Arbeitslosen? Weiterer Zuruf von der SPD: Bananenwirtschaft!)

Wenn Herr Nölting dann weiter davon sprach, daß an die Stelle des Bezugsscheins heute das Geld getreten sei und man mit dem Geld schließlich so wenig kaufen könnte wie mit dem Bezugsschein, dann möchte ich ihn fragen,

(Zuruf von der SPD: Das hat er gar nicht gesagt!)



(Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

ob er das frühere System nun etwa für günstiger und vorteilhafter hält.

(Zurufe von der SPD und von der KPD. — Lachen links.)

Meine Damen und Herren! Daß wir heute nach all den dargelegten Gründen das Paradies nicht schon in eineinhalb Jahren schaffen konnten, daß das die Marktwirtschaft nicht zu erreichen vermochte, daß wir heute in Deutschland bei 9 Millionen Flüchtlingen und bei 1,8 Millionen Arbeitslosen aus dem gleichen Zusammenhang noch nicht jedem d a s Maß an Kaufkraft verschaffen können, das einer normalen Friedenswirtschaft angemessen sein mag, das kann niemanden überraschen, der mit ehrlichem Willen und mit der nötigen Sorgfalt dieses Problem zu prüfen bereit ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was hat uns denn Herr Nölting empfohlen? Er kritisiert, daß wir zu zufrieden und zu anspruchslos wäre in bezug auf das, was wir anstreben und erreichen wollen. Was hat Herr Nölting als Vertreter der SPD denn Positives vorgebracht?

(Zuruf rechts: Nichts!)

Darf ich fragen, Herr Nölting, wieviel Milliarden Sie für notwendig halten, urn im Sinne der sozialistischen Vollbeschäftigungstheorie dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen? Und darf ich mich mit Ihnen darüber unterhalten, ob Sie diese Milliarden — deren Höhe ich ja nicht kenne —, die Sie für notwendig erachten, für vereinbar halten mit dem Zustand und mit dem Fortbestand einer gesunden Währung?

(Abg. Dr. Nölting: Um sie zu verpulvern, ist jede Milliarde zu schade!)

Was wir tun und was der Herr Bundeskanzler verkündet hat, ist nichts anderes als das, was wahrscheinlich auch Sie nur für vertretbar halten, — nämlich die Wirtschaft so zu beleben und ihr die Mittel zur Verfügung zu stellen, die gerade die äußerste Grenze bilden und deren Beachtung uns vor der Gefahr eines neuen Abrutschens entweder in die Inflation oder — was nicht minder verhängnisvoll wäre — wieder zurück in die Zwangswirtschaft schützen soll.
Wenn Sie vorhin im Zusammenhang mit jenem Memorandum sagten, daß wir als Alternative entweder die Preissteigerung - nämlich bei währungspolitischen Sünden — oder aber das Verlassen unserer Wirtschaftspolitik herausgestellt haben, dann haben wir das nicht getan, weil wir einem Dogma leben und in dem Dogma selig werden wollen, sondern weil eben die andere Alternative zwecks äußerer Verhinderung einer Preissteigerung wieder das Aufleben der unseligen Bürokratie mit ihrer Unterjochung des Menschen in all seinen Funktionen als Produzent und als Konsument sein müßte. Sie können sagen, was Sie wollen: In dem. Augenblick, da Sie währungspolitisch sündigen, da Sie die Milliarden schaffen wollen, um von heute auf morgen das Ziel der Vollbeschäftigung zu erreichen, können Sie das nur dann tun, wenn Sie entweder Preissteigerung zulassen oder — nachdem diese natürlich nach Ihrem Dogma nicht eintreten darf wenn Sie wieder die ganzen behördlichen Institutionen errichten, die solche Preissteigerungen künstlich verhindern sollen und die uns dann wieder in die Formen der Zwangswirtschaft zurückführen, die wir glücklich überwunden haben.
Meine Damen und Herren! Daß das, was ich hier sagte, nicht unberechtigt ist, geht daraus hervor, daß einer Ihrer Herren Redner hier die Frage gestellt hat, ob es wenn praktisch ein Unterschied sei, Auslanuskapitar in die Volkswirtschaft hereinzunehmen oder apitai im Wege der Kreditschöpfung hervorzuzaubern. Ich glaube nicht, Herr Kollege Nölting, daß Sie diese Auflassung Ihrer Kollegen teilen. Denn sollte das der Fall sein, dann allerdings wäre jede Diskussiun überflüssig. Wenn Sie aber von einer so primitiven Voraussetzung ausgehen, daß die tiereinnahme von Auslandskapital und die zusätzliche Kreditschöpfung ein Gleiches bedeuten, dann muß ich sagen, daß jede Unterhaltung sinnlos geworden ist, weil die verstandes- und erkenntnismäßigen Grundlagen fehlen.
Sie sprachen von der Gefährdung des Volkes. Wir sprechen auch von der Gefährdung des Volkes. Aber wir verstehen etwas anderes darunter.

(Zuruf von der KPD: Das wissen wir! Das ist uns längst bekannt!)

Unter Gefährdung des Volkes verstehen wir den
Zustand, der uns von der rechten Bahn eines
menschenwürdigen Lebens für die Gesamtheit
unseres Volkes ab wieder in jene unseligen Zustände zurückführt. Wir können die Wohlfahrt
des deutschen Volkes nicht von heute auf morgen herbeizaubern. Jeder Ehrliche weiß das, und
das deutsche Volk insbesondere, weiß das auch.
Das deutsche Volk wird aber auch erkennen, welche Anstrengungen wir unternehmen, um es aus
der Drangsal herauszuführen und sein Leben
wieder auf die Grundlagen einer geordneten
Wirtschafts-, Kredit- und Finanzpolitik zu stellen.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103609500
Herr Abgeordneter Dr. von Brentano!

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0103609600
Keine Damen und Herren! Meine Fraktion ist der Auffassung, daß nach den Erklärungen der Bundesregierung — und ich betone: nach den befriedigenden Erklärungen der Bundesregierung —

(Lachen links Zurufe von der KPD: Sie sind aber bescheiden! — Etwas anderes dürfen Sie ja gar nicht sagen!)

— nach den befriedigenden Erklärungen der Bundesregierung,

(Beifall bei den Regierungsparteien; — erneutes Lachen links)

von denen ich sagen möchte, daß sie mehr Verantwortungsbewußtsein verraten als die Erklärungen dessen, der einen verlorenen Wahlkampf als einen verlorenen Kreuzzug bezeichnet,

(Sehr richtig! rechts)

— daß nach diesen Erklärungen jede Abstimmung über den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vollkommen überflüssig ist.

(Hört! Hört! und Unruhe links. — Zurufe von der SPD: Das könnte euch so passen! Das ist der Rückzug!)

Wir wollen uns aber keiner Möglichkeit versagen, die die Lösung dieses Problems fördern könnte. Deshalb werden wir der Abstimmung über diesen Antrag nicht widersprechen.

(Aha-Rufe links.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0103609700
Meine Damen und Herren! Wird das Wort weiter gewünscht? Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Damit ist die Aussprache geschlossen.


(Präsident Dr. Köhler)

Wir kommen zur Abstimmung über Drucksache Nr. 406. Wer für den Antrag gemäß Drucksache Nr. 406 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. —

(Beifall und Händeklatschen bei der SPD. Zuruf: Das war die Minderheit!)

Meine Damen und Herren! Ich stelle folgendes fest, und ich glaube, wir stimmen im Präsidium hierin überein: Der Antrag ist mit Mehrheit gegen eine kleine Minderheit bei zahlreichen Stimmenthaltungen angenommen worden.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Ich habe noch einige geschäftliche Mitteilungen zu machen. Die Mitglieder des Ausschusses für Verkehrswesen werden gebeten, morgen vormittag 9 Uhr im Zimmer 108 Südflügel zu einer kurzen Sitzung zusammenzutreten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, die 37. Sitzung, auf Freitag, den 10. Februar, vormittags 9.30 Uhr und schließe die 36. Sitzung.