Rede von
Dr.
Ludwig
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Um den derzeitigen wirtschaftlichen Zustand richtig zu analysieren, müssen wir auf die aktuellen Probleme, die uns wirtschaftspolitisch beschäftigen, eingehen. Wenn aber Herr Kollege Nölting von einem Dornröschenschlaf spricht und glaubt, daß mit dem Begriff der sozialen Marktwirtschaft keinerlei Intervention verbunden sein kann, so ist das natürlich nicht richtig. Ich weiß nicht, wie oft ich auch in diesem Hause schon erklärt habe, daß Ablehnung der Planwirtschaft durchaus nicht bedeutet, daß die verantwortliche Behörde nicht planend und lenkend in den Prozeß eingreifen dürfe. Es handelt sich nur um die Auswahl der Mittel und die Anwendnng der Mittel, und so gesehen hat es, glaube ich, gerade seit der Bildung der Bundesregierung an Interventionen und an Notwendigkeiten zu Interventionen nicht gefehlt.
Ich darf zum Beispiel nur daran erinnern, daß eine der ersten und schwierigsten Maßnahmen, vor der wir standen, die in Verfolg der englischen Pfundabwertung notwendig gewordene Herabsetzung des D-Mark-Umrechnungskurses gewesen ist. Ich weiß nicht, wer seinerzeit die Hoffnung gehegt hat und inwieweit sie gehegt worden ist, daß diese mehr als zwanzigprozentige Abwertung spurlos an dem deutschen Preisgebäude und an dem Lohn- und Preisgefüge vorübergehen wird. Jedenfalls ist es uns in der gewerblichen Wirtschaft, in der keinerlei Subventionen gegeben worden sind und in der durch die Verteuerung der Rohstoffeinfuhren zweifellos die Tendenz zu einer Preissteigerung vorgelegen hat — wie Sie wissen —, doch gelungen, das deutsche Preisniveau nicht nur zu halten, sondern im Gegenteil die absinkende Tendenz weiter fortzuführen. Glauben Sie doch ja nicht, daß das dadurch zuwege gebracht werden konnte, daß wir die Hände in die Hosentasche gesteckt haben. Es hat
eines zielbewußten Eingreifens und planenden
Vorsorgens bedurft, um diesen Erfolg zu erzielen.
In die gleiche Zeit fallen auch die Anfänge der Liberalisierung, und darüber möchte ich im besonderen einiges- sagen. Die Handelsverträge, die auf liberalisierter Grundlage zustande kamen und die insbesondere im Sektor der Landwirtschaft als störend empfunden wurden, sind noch von der JEIA abgeschlossen worden und unterliegen so hinsichtlich ihrer Ausstattung und Wirkung, formal gesehen, nicht deutscher Verantwortung. Wenn ich das sage, so möchte ich aber doch gleich dazusetzen, daß ich ein Anhänger dieser Liberalisierungspolitik gewesen bin und den Grundsatz und das System für richtig halte. Es ist der einzige Weg, um Deutschland wieder fruchtbar und organisch in die europäische Wirtschaft einzugliedern oder überhaupt erst den Aufbau einer europäischen Wirtschaft zu vollziehen.
Es ist also nicht etwa ein Abrücken von der Verantwortung, wenn ich diesen Tatbestand festgestellt habe. Trotzdem scheint es mir notwendig zu sein, das herauszuheben, weil durch die Abwicklung dieser Handelsverträge hier allzuoft der Eindruck entstanden ist, als ob ich damit etwa bewußt eine agrarfeindliche Wirtschaftspolitik verfolgt habe. Ich möchte ausdrücklich bekennen — was ich übrigens schon wiederholt getan habe —, daß mir jede solche Absicht völlig fern-liegt, daß ich die volkswirtschaftliche und soziologische Bedeutung der deutschen Landwirtschaft voll anerkenne und der Meinung bin, daß die deutsche Landwirtschaft, dem deutschen Markt verbunden, dem deutschen Verbraucher verpflichtet, unter allen Umstanden die Möglichkeiten zu ihrer Existenz und zu ihrer Fortentwicklung erhalten muß.
Ich darf zur Bekräftigung, daß diese Absicht unserer Wirtschattspolitik entspringt, hinzufügen, daß wir von dem Augenblick an, da wir die Handelsvertragsverhandlungen selbst verantwortlich fuhren, in dem Vertrag mit Frankreich und in der Revision des Handelsvertrags mit Holland in völligem Einvernehmen mit dem Ernährungsministerium dafür gesorgt haben, daß einmal die Quantität der Einfuhr für die deutsche Landwirtschaft nicht dramatisch werden kann und daß im übrigen noch besondere Schutzmaßnahmen eingebaut wurden, um bei drohender Gefahr dieser wirksam begegnen zu können.
Aber die Liberalisierung selbst soll ja, wie ich schon sagte, vor allen Dingen der deutschen Exportindustrie - und bei der Struktur unseres Landes ist die Industrie für die Wohlfahrt des Volkes von entscheidender Bedeutung — die Grundlagen für eine ständige Ausweitung des deutschen Exports verschaffen; denn das ist wieder die Voraussetzung dafür, daß wir bis zum Ende des Marshallplans unser deutsches Schicksal aus eigener Kraft gestalten können.
Es konnte selbstverständlich auch nicht ausbleiben, daß mit der Liberalisierung des Außenhandels einige Industriezweige etwas in Bedrängnis gekommen sind, daß die Befürchtung vor dem Einströmen fremder Waren die Unternehmerlust etwas, manchmal vielleicht auch allzusehr gedämpft hat. Es sind Befürchtungen hinsichtlich der Preisentwicklung laut geworden, und dadurch
ist die Dispositionsfreudigkeit, vor allem im Hinblick auf das Volumen eingeschränkt worden. Es hat sich also im ganzen allenthalben eine gewisse Stimmung der Skepsis breitgemacht, die sich auch konjunkturell auswirkte, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung des Auftragseingangs, in der Kurzfristigkeit der Dispositionen und in der Quantität der Aufträge. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte hier gleich folgendes dazu sagen. Diese Liberalisierung, die wir unter Kontrolle halten können und auch halten wollen, hat sozialpolitisch etwas sehr Wertvolles erreicht. Sie hat nämlich überall dort, wo der Hang zu überhöhten Preisen bzw. zur Realisierung überhöhter Preise vielleicht etwas zu stark entwickelt ist, korrigierend und bremsend gewirkt. Und die Entfachung des Wettbewerbs, die wir im Innern erreicht haben, nunmehr auch von außen in unsere Wirtschaft hineinzutragen, war allerdings ein Kernstück unserer Wirtschaftspolitik und wird es auch in Zukunft bleiben. Nur dann, wenn wir aus der deutschen Wirtschaft und aus den deutschen arbeitenden Menschen durch alle Schichten hindurch die höchste Leistung, die überhaupt denkbar ist, herausholen, haben wir Aussicht, die deutsche Not zu bannen und unser Schicksal glücklich zu gestalten.
Ich bekenne mich also noch einmal ausdrücklich zur Liberalisierung, obwohl ich mir durchaus darüber im klaren bin, wo die Grenzen liegen und wo insbesondere die Gegenseitigkeit gefordert werden muß.
Wenn wir in der Liberalisierung in Europa anscheinend bahnbrechend gewesen sind, so geschah das in der festen Überzeugung und auf Grund der Zusage, daß dieses Prinzip für alle europäischen Länder verpflichtend sein wird, die sich in Verwirklichung der Gedanken des Marshall-plans zu einer immer besseren und höheren Einheit und gegenseitigen Entsprechung hin entwickeln sollen.
— Dazu hat Herr Kollege Storch schon das Notwendige gesagt; aber ich kann Ihnen auch noch etwas dazu sagen, wenn Sie es hören wollen, und zwar für den Sektor, für den ich die unmittelbare Verantwortung trage.
Die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Handel ist seit der Währungsreform um 900 000 angestiegen und hat selbst im letzten Quartal 1949 noch einmal eine Zunahme um 100 000 erfahren. Daraus kann man also ganz bestimmt nicht ableiten, daß die Marktwirtschaft, wie das heute schon wiederholt zum Ausdruck gekommen ist, für die soziale Erscheinung der Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Not verantwortlich sei.
Wenn dann in bezug auf den Kapitalsektor gesagt worden ist, daß der Kapitalstrom nicht mit der nötigen Vorsicht, nicht mit einer hinreichenden Planung gelenkt wurde, so mag das, äußerlich gesehen, zunächst einmal zutreffen, denn in einer Marktwirtschaft läßt sich das Kapital nicht in vollem Umfange an die Leine der staatlichen Bewirtschaftung legen. Es ist auch sehr die
Frage, ob diese Art der Kapitalverteilung zweckmäßiger und richtiger ist, obgleich ich bereit bin zuzugeben, daß die Kapitalbildung in der deutschen Volkswirtschaft während der letzten eineinhalb Jahre — hervorgerufen noch durch die Störungen des Übergangs von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft und die noch nicht volle Entfaltung des Wettbewerbs - und deren Anwendung für Investitionen vielleicht vordringlicher anderen Zwecken hätte nutzbar gemacht werden sollen.
Der Herr Finanzminister hat hier schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß gerade die bewußte und gewollte Steuerreform und weitere Maßnahmen auf diesem Gebiet dazu dienen sollen, zu einer besser organisierten Kapitalbildung zu kommen. Und wenn wir dazu kommen, im Zuge der sozialen Marktwirtschaft gleichzeitig auch zu einer immer gleichmäßigeren und gerechteren Verteilung des Volkseinkommens und des Sozialproduktes zu gelangen, so steht hinter dieser Politik auch die Absicht, die deutsche Kapitalbildung wieder breiter zu streuen und dafür zu sorgen, daß ein großer Teil des für die Fortentwicklung der deutschen Volkswirtschaft notwendigen Kapitals wieder wie einst in glücklicheren Zeiten von Millionen von Klein- und Kleinstsparern aufgebracht werden soll. Ich halte es aber nicht für richtig, nunmehr durch wieder planende behördliche Eingriffe das ganze sich bildende Kapital in die Verfügungsgewalt des Staates zu bringen. Denn zuerst muß ich fragen: Wie stellt man sich diese Lösung überhaupt vor? Etwa durch eine weitere Überhöhung der Steuern? Durch welche andere Art der Abschöpfung? Durch welche anderen Maßnahmen wäre es möglich, das sich an Millionen von Stellen oft nur in Splittern bildende Kapital in einem Sammelbecken zusammenfließen zu lassen, um dort nach planwirtschaftlichen Vorstellungen verteilt zu werden? Ich bin der Meinung — und das wird sich in der Zukunft immer deutlicher erweisen —, daß das Kapital dann die vorsichtigste und auch volkswirtschaftlich nützlichste und produktivste Anwendung findet, wenn das persönliche Risiko, der Einsatz der Persönlichkeit des Kapitalträgers dahintersteht und dafür zu bürgen hat, daß er mit diesem Kapital eine Leistung vollbringt, die vor den Augen des Verbrauchers und der Gesamtheit Gnade findet!
Herr Kollege Nölting hat mich im speziellen nach der Vollbeschäftigung gefragt. Hier werden die Dinge tatsächlich interessant; denn hier scheiden sich die Geister. Er hat mich auch zitiert, aber nur halb. Ich habe nämlich ausdrücklich gesagt: „Vollbeschäftigung bleibt ein für jede Gemeinschaft immer erstrebenswertes Ziel."
Aber Vollbeschäftigung als wirtschaftliches
Ziel, Vollbeschäftigung als Streben jeder Wirtschaftspolitik darf nicht gleichgesetzt werden mit Vollbeschäftigung als einem sozialistischen Dogma oder einem wirtschaftlichen Prinzip an sich.
Wir haben es nicht nur im eigenen Lande erlebt, sondern besitzen auch internationale Beispiele dafür, wohin die sozialistische Vollbeschäftigung führt. Vom Kollegen Nölting sind die termini technici Kreditschöpfung und Arbeits-
beschaffungsprogramm gefallen. Vor diesen Begriffen allerdings erfaßt mich ein Schauder!
Denn was ist damit gemacht worden, und wohin hat uns dieses Prinzip geführt? In die völlige Unfreiheit! In die Überzüchtung der Bürokratie mit allen Folgen, die der Herr Bundeskanzler schon anschaulich gekennzeichnet hat. Diese Art von Kreditschöpfung und darauf gestützte Arbeitsbeschaffungsprogramme, die unter dem sozialischen Dogma der Vollbeschäftigung nach Art Keynes`scher Theorien propagiert werden, sind allerdings Methoden, die wir auf keinen Fall anwenden wollen, und zwar aus sozialer Verpflichtung heraus.
Der Herr Bundeskanzler hat deutlich genug gesagt - und ich möchte das von meiner Seite und aus meiner Verantwortung heraus feierlich betonen —: Wir werden alles tun, um dem Problem der Arbeitslosigkeit in dem schon gekennzeichneten Maße systematisch und ernsthaft zu Leibe zu gehen. Wir können aber das deutsche Volk auch beruhigen und die Versicherung abgeben, daß wir keine Maßnahmen zur Anwendung bringen werden, die unserem Volk noch einmal, zunächst auf unsichtbare und dann auf sichtbare Weise das Geld aus der Tasche ziehen.
Das sind nicht etwa Gespenster, die ich an die Wand male, sondern in der Geschichte hat es sich immer wieder gezeigt, wohin die offene oder preisgestoppte Inflation führt.
Sie führt nämlich dahin, daß zwangsläufig zu den Mitteln der staatlichen Bewirtschaftung und in letzter Konsequenz dann zum Bezugschein und all den Dingen zurückgegriffen werden muß, die wir glücklicherweise überwunden haben.
- Meine Damen und Herren, mit Ihrem Lachen beweisen Sie, daß Sie die Zusammenhänge trotz des Anschauungsunterrichtes noch immer nicht, begriffen haben.
Aber die Richtigkeit dieser Gedankengänge können Sie nicht widerlegen. Das Beste, was wir erreicht haben, oder mit das Beste, was wir in Deutschland erreicht haben, ist, daß wir durch eine ehrliche und saubere Geld- und Kreditpolitik in Verbindung mit einer marktwirtschaftlichen Politik wieder das Vertrauen in unsere Wirtschaft und in unsere Währung erweckt haben. Das ist auch die Voraussetzung für jede Kapitalbildung, sowohl für die Belebung des inneren Kapitalmarktes, wie auch die Voraussetzung dafür, jemals wieder an einem auswärtigen Kapitalmarkt teilhaben zu können. Wenn wir auf einem Felde überhaupt eine Chance haben, dann dürfen wir ganz bestimmt keine Experimente machen, die auf preispolitischem und währungspolitischem Gebiet auch nur den geringsten Anlaß zu Zweifeln geben könnten. Ich wiederhole noch einmal: Gegen eine solche Gefahr ist das deutsche Volk gefeit, solange die Bundesregierung das Schicksal dieses Volkes in Händen hält.
Hier war dann von der Beschaffung neuer Arbeitsplätze die Rede. Sicherlich: neue Arbeitsplätze müssen geschaffen werden. In der bisherigen Entwicklung kam es aber darauf an, die Engpässe in der Produktion zu beseitigen und überall dort, wo unser Produktionsapparat technisch verschlissen und brüchig war, wieder zu höherer Leistung und Ergiebigkeit zu gelangen. Diesen Zusammenhang hat Herr Kollege Nölting dargelegt, richtig dargelegt, wenn er sagte, daß jede Erhöhung der Produktivität sowie der Leistungsergiebigkeit der menschlichen Arbeit tendenziell zu einer Freisetzung menschlicher Arbeitskraft führt. Trotzdem ist das die richtige Wirtschaftspolitik, denn auf die Dauer wird nur d i e Wirtschaft den notwendigen Sog auf den Arbeitsmarkt ausüben können, die rationell arbeitet und die durch diese rationelle Arbeit sowohl im Ausland wettbewerbsfähig ist wie auch kapital- und kreditwürdig erscheint. Wir dürfen also diesen Prozeß unter keinen Umständen unterbinden, denn gerade dahinter steht der soziale Gedanke der Erhöhung des Lebensstandards. Wenn wir praktisch eine Verdoppelung unseres Wirtschaftsvolumens bei etwa gleichbleibenden Beschäftigtenzahlen erreicht haben, dann ist das einmal ein Beweis dafür, daß die Planwirtschaft die menschliche Energie nicht entfalten kann, daß aber die Marktwirtschaft dies vollbracht hat.
Wenn auch im Laufe des Jahres 1949 noch die Entwicklung dahinging, daß eine 25 prozentige Zunahme des Sozialprodukts mit einer Mehrbeschäftigung von nur 6 Prozent an Beschäftigten erreicht wurde, dann beweist auch das, deß die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit dauernd gewachsen ist und daß diese in sich immer konsolidiertere Wirtschaft auch die Anziehungskraft entwickelt, die dem Problem der Arbeitslosigkeit erfolgreich zu Leibe gehen kann.
Meine Damen und Herren! Herr Nölting sagte, die Konsumkraft sei zurückgegangen. Ich glaube, durch die obigen Zahlen schon bewiesen zu haben, daß diese Rechnung nicht stimmen kann.
— Schön! Ich nehme also zur Kenntnis: Sie meinen das nicht absolut, sondern Sie meinen es relativ. Das würde also bedeuten, daß wir eine Entwicklung zu verzeichnen haben, bei der der Anteil an Löhnen und Gehältern prozentual immer geringer geworden ist, der Anteil anderer Einkommen sich aber gesteigert hat. Ich behaupte: das Gegenteil ist der Fall.
Erstens beweisen es die Zahlen, und außerdem
ist es für jedes unverbildete Gemüt im Markte
deutlich erkennbar, daß der Wettbewerb eben
gerade dahin geführt hat, die planwirtschaftlichen Positionen, das unternehmerische Rentnertum im besonderen, mehr und mehr aufzulösen,
zu immer höheren Leistungen zu kommen, sich
besonders anzustrengen, weil heute nicht mehr
allein die Technik des Produzierens, sondern
vor allen Dingen das Vermögen des Absetzens
in unserer Wirtschaft entscheidend geworden ist.
Von einer Senkung der Konsumkraft kann also
unter gar keinen Umständen gesprochen wer-
den. Alle Zahlen, die Ihnen ja auch zur Verfügung stehen, beweisen eindeutig, daß die Konsumkraft der Lohnempfänger zugenommen hat. Ich bin jedoch der Meinung, daß in der weiteren Entwicklung mit weiterer Rationalisierung und noch stärkerer Belebung des Wettbewerbs auch in Verfolg der Liberalisierung das Verhältnis von Löhnen und Preisen noch günstiger gestaltet werden kann. Ich wiederhole noch einmal: das ist das von uns angestrebte wirtschaftspolitische Ziel, und diesem Ziel gilt unser Einsatz,
ob Sie es glauben oder nicht.
Wenn gar von schlechter Verteilung gesprochen wird — wahrscheinlich meinen Sie, die angeblich zurückgehende Konsumkraft sei auf schlechte „Verteilung" zurückzuführen —, so klingt mir das Wort „Verteilung" aus dem Munde eines Sozialisten doch allzusehr an vergangene Zustände an, bei denen die Bürokratie diese Verteilung vornehmen bzw. nach irgendwelchen mir nicht erfindlichen Schlüsseln in der Lage sein sollte, das gemeinsam erzeugte Sozialprodukt nicht etwa nach Maßgabe der persönlichen Zuleistung, sondern nach anderen Kategorien und Maßstäben vorzunehmen. Hier bin ich allerdings der Meinung, daß es nur eine gerechte Verteilung gibt, und das ist die, die durch die Funktion des Marktes erreicht wird. Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt.
Und wenn von „konstruktiv" gesprochen wird, dann bin ich auch wieder skeptisch gestimmt, weil ich nach den Demonstrationen der Planwirtschaftler unter „konstruktiv" nur allzuleicht an die Vorstellung von mechanistischen Abläufen in der Wirtschaft erinnert werde, an mechanistische Abläufe, die die planende Bürokratie je nach ihrem Willen so selbst gestalten und vornehmen mag, wie es gerade ihrer politischen oder ökonomischen Zielsetzung entspricht. Nach meiner Überzeugung ist das Leben zu bunt und vielgestaltig und zu wandelbar — Sie halten das zwar für lyrisch, aber ich halte es für richtig —, als daß es möglich wäre, mit einer Planungsbürokratie den Geheimnissen des menschlichen Lebens nahe zu kommen, denn es sind zuletzt die Geheimnisse der menschlichen Seele, die sich in allen Äußerungen des Lebens kundtun.
— Ich habe nie besonders viel von Ihren seelischen Improvisationen gehalten; aber daß sie im Menschen wirksam sind, scheint mir doch unbestreitbar zu sein.
Wenn übrigens von der Verteilung der ERPCounterpart-Funds gesprochen worden ist, so scheinen mir hier allenthalben noch Mißverständnisse vorzuherrschen. Von der ersten Tranche der Counterpart-Funds, also der Mittel, die sich bis zum 31. Dezember 1949 angesammelt haben, sind durch die Kreditanstalt 600 Millionen bereits freigegeben worden. Diese 600 Millionen werden, wie uns gestern der Leiter der Kreditanstalt dargelegt hat, bis Ende Februar voll ausgegeben sein. Die weiter erwarteten rund 390 Millionen folgen dann in den nächsten zwei Monaten. Die zweite Tranche der Counterpart-Funds in Höhe von 1150 Millionen, die jene Gegenwerte repräsentieren, die im Laufe des ersten Kalenderhalbjahres 1950 anfallen, werden wir im Interesse einer starken Belebung der deutschen Volkswirtschaft möglichst bald in Übereinstimmung mit der ECA-Mission freizubekommen suchen, um auch von dieser Seite her die Anstrengungen der Regierung noch durch einen zusätzlichen Kapitaleinsatz zu unterstützen.
Mit der Bank deutscher Länder befindet sich nicht nur die Regierung, sondern befinde ich mich darüber hinaus noch persönlich in ständiger engster Verbindung. Gerade diese enge Verbindung, die dauernde gegenseitige Abstimmung von Geld-und Kreditpolitik, von Wirtschafts- und Sozialpolitik und aller — wenn Sie so wollen — planenden und lenkenden Maßnahmen, deren wir uns im Zuge unserer Wirtschaftspolitik bedienen, sichern den Erfolg.
Meine Damen und Herren! Ich glaube damit neben dem Zahlenbild, das schon gegeben worden ist, auch in der wirtschaftspolitischen Konzeption die wünschenswerte Klarheit gebracht zu haben. Ich darf — weil mir das das Wichtigste zu sein scheint — noch einmal sagen: Alle Maßnahmen, die wir ergreifen, stehen außerhalb jeder Gefahrenzone für unsere Wirtschaft, außerhalb der Gefahrenzone, die sich in der Störung der heimischen Kapitalbildung und in der Zerstörung des ausländischen Kapitalmarktes für uns abzeichnet. Wir werden diese Mittel so zum Einsatz bringen, daß nicht aus zusätzlicher Kreditschöpfung, wie hier empfohlen worden ist, Mittel auf den Markt der Konsumgüter strömen, die dort ohne Deckung das Preisniveau nach oben treiben müßten. Auch in der Importpolitik, das heißt in der Umschaltung von Importen ist dafür Sorge getragen worden, daß die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die wir ergreifen können, durch eine Belebung der Konsumgüterindustrie und durch eine Speisung des Konsumgütermarktes außerhalb jeder Gefahr bleiben.
Wir handeln in der Gewißheit und mit der Versicherung, daß uns, wenn wir diesen Weg beschreiten, kein Dogma bindet, sondern daß wir uns, viel freier als andere, lediglich an die Grundsätze der menschlichen und wirtschaftlichen Vernunft halten. Wir werden so wirtschaften, so arbeiten, daß dem Ziel der sozialen Marktwirtschaft, nämlich der sozialen Wohlfahrt, gedient ist.