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ID0103607900

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    Deutscher Bundestag — 36. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950 1141 36. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen 1141 B, 1214 C Ersuchen des bayerischen Justizministeriums betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Dr. Baumgartner 1141 C Beratung des Antrags der SPD betr. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksache Nr. 406 1141C Dr. Nölting (SPD), Antragsteller 1141 D, 1209 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1149A, 1182 B Storch, Bundesminister für Arbeit . . 1152 B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft' 1154B, 1212 B Dr. Seelos (BP) (zur Geschäftsordnung) 1158D Dr. Preusker (FDP) 1159 C Dr. Preller, Schleswig-Holsteinischer Landesminister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr 1162 A Dr. Seidel, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft 1165 C Sabel (CDU) 1166 D Walter (DP) 1170 C Wönner (SPD) 1172 A Etzel (CDU) 1175 D Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und Aufbau 1180 D Dr. Etzel (BP) 1183 A Dr. Bertram (Z) 1189C, 1204 C Loritz (WAV) 1189 D Nuding (KPD) 1195 C Frau Wessel (Z) 1200 C Krause (Z) 1206 B Dr. Wellhausen (FDP) 1206 D Dr. Richter (DRP) 1208 D Dr. von Brentano (CDU) 1213 D Nächste Sitzung 1214 C Die Sitzung wird um 14 Uhr 41 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Herren und Damen! Ich werde mich bemühen, meine Ausführungen tatsächlich zu dem Problem der Arbeitslosigkeit zu machen. Ich bin der Meinung, wir könnten sehr viel Zeit erspart haben, wenn sich die Redner mehr an das tatsächliche Problem der Arbeitslosigkeit gehalten hätten. Es scheint mir notwendig zu sein, dies zu betonen. Wenn wir eine wirklich echte Debatte darüber führen wollen, dann sollte man sich davor bewahren, immer abzuschweifen und an dem eigentlichen Kernproblem vorbeizureden.
    Wenn den Oppositionsparteien von seiten der Regierung vorgeworfen wird, daß sie lediglich in Ablehnung zu der Regierungsarbeit ständen, so möchte ich doch einmal darauf hinweisen, daß niemand in diesem Hohen Hause bestreitet, daß die wirtschaftliche Notlage das Ergebnis des zweiten Weltkrieges und seiner Folgen ist; daß der Zustrom von 8 Millionen Vertriebenen sowie die Frage ihrer Unterbringung und ihres Arbeitseinsatzes für uns alle Probleme aufgeworfen hat, die Deutschland keineswegs aus eigener Kraft lösen kann. Es bestreitet auch niemand gegenüber dieser Regierung. daß der hohe Anteil der arbeitsunfähigen und nur teilweise zur Arbeit fähigen Personen als Kriegsfolge einen erheblichen Prozentsatz unserer Gesamtbevölkerung ausmacht und eine soziale Umschichtung mit sich gebracht hat. die sich in verhängnisvollster Weise auswirkt. Niemand hier bestreitet. daß es eine äußerst schwierige Aufgabe ist — sie ist von den Vorrednern schon erwähnt worden —. den aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Menschen Arbeitsplätze zu geben, auf die sie Anspruch haben. Auch die Aufnahme der politischen Flüchtlinge aus der Ostzone und ihre Unterbringung in Arbeitsplätzen liegt uns am Herzen. Alles das sind doch Fragen, über die es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheit gibt.
    Wenn wir uns auf Grund dieser Tatsache nun mit der Bitte um Hilfe an die Welt gewendet haben. dann vergessen wir dabei gewiß nicht. daß die Ursache all dieser Dinge Hitler und sein Krieg gewesen sind. Auf der anderen Seite muß sich in der westlichen Welt aber die Erkenntnis durchsetzen, daß mit Yalta und Potsdam und mit der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und der damm t verbundenen Zerreißung der deutschen Wirtschaftseinheit in Ost- und Westdeutschland folgenschwere


    (Frau Wessel)

    politsche Tatsachen geschaffen und Fehler begangen worden sind, auf die unsere heutige Arbeitslosigkeit auch zum Teil zurückzuführen ist. Wir sollten auch keineswegs verkennen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland auch für Europa eine Bedrohung darstellt. Die Revision dieser fehlerhaften Politik entzieht sich aber unserer deutschen Zuständigkeit. Das einzige, was wir Deutsche in diesem Zusammenhang tun sollten, ist, alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, daß wir das Arbeitslosenproblem nicht mit der Verantwortung sehen, die es verlangt. Die Zentrumsfraktion ist auch bereit — ich unterstreiche das —, wenn die Bundesregierung erklärt, daß die Arbeitslosigkeit mit auf diese Gründe zurückzuführen ist, das anzuerkennen.
    Aber wir wissen genau so, daß das nicht allein die Gründe für die heutige Arbeitslosigkeit in Höhe von 2 Millionen Menschen sind. Wir wissen - um auch das einschaltend zu sagen, und ich glaube, ich muß es in diesem Zusammenhang noch einmal hervorheben —, daß Deutschland heute noch unter der Vormundschaft der Besatzung steht, daß auf wirtschaftlichem Gebiet unserer Initiative gewisse Schranken gesetzt sind und daß wir wegen dieser Schranken auch den Export nicht so vollziehen können, wie wir es wünschen möchten. Es ist von einem meiner Vorredner schon das Beispiel angeführt worden, das wir in allerjüngster Zeit im Ruhrgebiet erlebt haben, daß die Lieferung der ;n Auftrag gegebenen Eisenbahnschienen für China durch Einspruch der Hohen Kommissare von der Ruhrindustrie nicht ausgeführt werden konnte. Niemand wird leugnen, daß diese Unterbindung unserer Handelsmöglichkeiten nach Osten und nach den südosteuropäischen Ländern für uns ein Hemmnis bedeutet, das auch zur Zahl der Arbeitslosen beigetragen hat.
    Wir sind gewiß, um hier an Ausführungen anzuknüpfen, die Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard gemacht hat, davon überzeugt, daß die Liberalisierung des Handels Erfolg haben kann. Sie kann aber nur dann Erfolg haben, wenn wir in der weiteren Entwicklung zu einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft kommen, in der für jeden Raum, Freiheit und Arbeit ist und wodurch auch für Deutschland das Tor in die gesamte Welt geöffnet wird. Denn nur in dieser Entwicklung wird es möglich sein, der gesamten Welt das Arbeitsvolumen geben und dafür zu sorgen, daß der Weltmarkt in Wirklichkeit funktionsfähig wird.
    Die Länder Europas und Amerikas sollten, wenn sie uns Empfehlungen hinsichtlich der Beseitigung der deutschen Arbeitslosigkeit geben, doch daran denken, daß wir alle das gemeinsame Ziel haben müssen, diese Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Denn letzten Endes bedeutet die deutsche Arbeitslosigkeit auch eine Gefahr für jene europäischen Länder, die heute in der Vollbeschäftigung stehen und nicht das Problem der Arbeitslosigkeit so zu tragen haben.
    Aber wir wissen auch hinsichtlich der deutschen Situation, daß diese zwei Millionen arbeitslose Menschen — und wir können das nicht eindringlich genug hervorheben — schließlich ein Heer sind, das sowohl wirtschaftlich wie politisch auf die Dauer nicht getragen werden kann. Dieses Heer kann nicht nur nicht von der deutschen Wirtschaft getragen werden, sondern stellt in gleichem Maße eine Gefahr — es ist dies auch schon betont werden — für die deutsche Demokratie dar. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Zahl der Arbeitslosen die Fieberkurve unserer Politik ist. Sie können nicht wie in diktatorischen Ländern geheimgehalten werden, sondern sie stehen jederzeit und für jeden jeden Tag vor uns. Deshalb verfolgen diese Zahlen nicht nur die deutschen Menschen, nicht nur die davon Betroffenen, sondern mit der gleichen Sorge die uns umgebende Welt. So ist auch die Zahl der Arbeitlosen ein Prüfstein dafür, ob die deutsche Demokratie ihre Aufgabe meistert und damit wieder den Weg nach oben findet. Denn erster Grundsatz einer Demokratie und vor allen Dingen einer demokratischen Gemeinschaft ist das Recht auf Arbeit für jeden Menschen und die Sicherung des Arbeitsplatzes für jeden. Deshalb halten wir Ausführungen, wie sie zum Beispiel Herr Arbeitsminister Storch gemacht hat, daß 1,7 Millionen Arbeitslose nicht bedenklich sind, oder die des Herrn Wirtschaftsministers Erhard, daß auch die hohe Zahl der heutigen Arbeitslosen nicht dazu beitragen kann, irgend welche Änderungen in seiner wirtschaftlichen Konzeption herbeizuführen, für sehr bedenklich. Solche Äußerungen sind aber nicht charakteristisch für die Lage der Arbeitslosen, sondern sie sind charakteristisch für diese Regierung.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und links.)

    Denn, meine Damen und Herren, im Herbst vergangenen Jahres wurden wir ja auch von dieser Seite damit getröstet, daß trotz zunehmender Arbeitslosigkeit die Zahl der Beschäftigten noch weiter gestiegen sei. Diesen Trost kann man uns heute nicht mehr geben, weil die Zahl der Beschäftigten gegenwärtig um einige Hunderttauend geringer ist als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Das bedeutet eine erhebliche Minderung unserer Kaufkraft; das bedeutet einen beträchtlichen Ausfall in bezug auf wirtchaftliche Werteschaffung.
    Was meine politischen Freunde aber noch besonders bedenklich stimmt, ist die Tatsache, die unseres Erachtens von der Regierung nicht genügend gewürdigt wird und die auch in unseren heutigen Ausführungen mehr hätte durchklingen müssen, daß die gesamte deutsche Not zu einer ständigen Verschärfung der sozialen Spannungen in Deutschland geführt hat. Wir sehen nicht ein, warum die Situation der Vertriebenen, der Ausgebombten und der Kriegsbeschädigten zwangsläufig dazu führen muß, daß ein Teil des Volkes, und zwar ein sehr erheblicher Teil sehr wenig hat, aber eine gewisse hauchdünne Oberschicht im Überfluß leben kann. Hier liegt 'unzweifelhaft ein Fehler im System vor. Dieser Fehler hat nichts mit der heute hier vielfach erwähnten Politik der Besatzungsmächte zu tun. Das kommt ausschließlich auf das deutsche Konto und ist unzweifelhaft das Resultat derjenigen Politik, die wir im Zentrum als die Frankfurter Wirtschaftspolitik bezeichnet haben.
    Die liberale Renaissance, mit der wir von seiten des Herrn Wirtschaftsministers auch heute das Problem der Wirtschaft gezeigt bekommen haben, hat ja schon in Frankfurt begonnen. Sie steht aber in einem schreienden Gegensatz zu der Tatsache, daß wir heute in der Mitte des 20. Jahrhunderts leben. Jene wirtschaftlichen Prinzipien, die am Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ihre Berechtigung gehabt haben, sind doch längst überholt und auch schon in den Vereinigten Staaten weit-


    (Frau Wessel)

    gehend durch eine gelenkte Kapitalwirtschaft ersetzt worden.

    (Sehr richtig! links und im Zentrum.)

    Sie sind doch völlig unvereinbar mit den größten aller wirtschaftlichen Aufbaupläne, vor denen Sie heute in der Geschichte des deutschen Volkes stehen. Und während für Westeuropa — halten Sie sich doch einmal den Marshallplan in dieser Hinsicht vor Augen — das Prinzip der Planung durch die Amerikaner doch selbst zur Grundlage des Wiederaufbaus Europas gemacht worden ist, glaubt man ausgerechnet das verarmte und weitgehend zerstörte Deutschland aus diesem System für sich selbst herauslösen zu können.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

    Die Folge davon ist — das müssen wir einmal in aller Deutlichkeit sehen —, daß das kapitalistische Gewinnstreben, das im Anfang der Industrialisierung die Impulse für einen echten Fortschritt enthielt, heute sich aber an den nicht von privater Seite aufgebrachten Mitteln zu bereichern versucht.
    Meine Damen und Herren! Wir sprechen in diesem Hause soviel von einer freien Wirtschaft. Ich glaube, man könnte auch den Ausdruck Freibeuterwirtschaft gebrauchen.

    (Beifall beim Zentrum und der SPD.)

    Es ist nämlich nicht richtig, immer in erster Linie den einzelnen Schuldigen anzuprangern und nicht ganz klar herauszustellen, daß die Chance für die Bereicherung einiger Kapitalisten durch das Versagen der wirtschaftspolitischen Führung entsteht. Man kann doch niemandem einen Vorwurf daraus machen, daß er den im eigenen Betrieb erzielten Gewinn wieder im eigenen Betrieb investiert, ganz gleichgültig, ob er dort sinnvoll angelegt wird. Das ist die unsere Volkswirtschaft schädigende Fehlinvestition. Das würde aber nicht geschehen, wenn wir eine andere, dem Zinsfuß angemessene Geldwirtschaft betreiben würden. Wenn man also der Überzeugung ist — und diese Überzeugung ist zweifellos berechtigt —, daß wir heute nicht in der Lage sind, den Zinsfuß entsprechend zu erhöhen, weil sonst das Geld für wirtschaftliche und für wertvolle Investitionen zu teuer würde, so gibt es keine andere Möglichkeit als die Lenkung des Kapitalstroms von oben.
    Wir müssen also zu unserem Bedauern feststellen — und hier muß ich mich leider Ausführungen anschließen, die auch von Vorrednern schon gemacht worden sind —, daß doch die Bundesregierung vom September bis heute manche Gelegenheit hat verstreichen lassen, ohne die finanzpolitische Kapitalfrage energisch anzupacken.

    (Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Daß man sich, wie uns gesagt worden ist, in einer der ersten Kabinettsitzungen mit der Frage der Arbeitslosigkeit beschäftigt hat, kann uns in dieser Hinsicht keineswegs genügen. Ich darf auch einmal darauf hinweisen, daß durch den Wissenschaftlichen Beirat für Wirtschaft die Kreditfrage als eine der eminent wichtigsten unserer wirtschaftspolitischen Aufgabe bezeichnet worden ist. Wir wissen auch nicht, warum Vorschläge wie die von Professor Rittershaus, die dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bekannt sein sollten und die doch greifbare und durchaus beachtenswerte Vorschläge
    darstellen, bis heute in keiner Weise realisiert worden sind. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß in diesen Überlegungen bestimmte Einflüsse maßgebend gewesen sind, die die Regierung von diesen planvollen Maßnahmen abgehalten haben. Wir können — und das muß ich in diesem Zusammenhang sagen — der Regierung und insbesondere dem Herrn Wirtschaftsminister Erhard den Vorwurf nicht ersparen, daß man nicht Ernst macht gegenüber den Interessenvertretern und einer Monopolwirtschaft, die in allen Zweigen unserer Wirtschaft heute betrieben wird. In den bisherigen Maßnahmen, auch in den sieben Punkten, die uns heute vorgelegt worden sind, können wir keine genügende und weitschauende Wirtschaftsplanung als Grundlage für eine echte Kapitalbildung sehen, die doch schließlich das A und O der Ankurbelung unserer Wirtschaft sein muß. Nur sie kann letzten Endes zur Verminderung unserer Arbeitslosigkeit führen.
    Wenn heute hier vielfach von einer Änderung oder von einem Strukturwandel in unserem Gemeinschaftsleben gesprochen worden ist, so wollen wir das gewiß nicht leugnen. Aber die Überlegungen darüber müssen doch von einer anderen Art sein. Was von meinem Kollegen Loritz gesagt worden ist, ist nicht so abwegig: daß wir vor allen Dingen eine Steuerpolitik betreiben müssen, die auf der einen Seite Kaufkraft schafft und auf der anderen Seite die Sparmöglichkeit und damit die Kapitalbildung fördert. Dazu gehört nun doch einmal der Abbau kostspieliger unproduktiver Ausgaben durch die öffentliche Hand. Solange wir nicht größte Sparsamkeit in allen Haushalten, sei es der des Bundes, seien es die der Länder und die der Gemeinden, durchführen, verhindern wir auf diese Weise eine echte Kapitalbildung. Wir sind auch der Meinung, daß die Bundesregierung, die doch wie wir der Auffassung sein müßte, daß die sozialen und wirtschaftlichen Probleme vor allen anderen Fragen in unserer Politik den Vorrang besitzen, noch nicht hinreichend erkannt hat, welche Bedeutung ihr wirtschaftliches Versagen für unsere Bewertung im Auslande hat. Die starke Betonung der Notwendigkeit ausländischer Kredithilfe durch den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Vizekanzler wird nur dann von Erfolg sein können, wenn das Ausland das entsprechende Vertrauen zu Deutschland hat. Wer Kredit gibt, setzt Vertrauen voraus, und eine solide Innenpolitik in Deutschland gibt erst das Vertrauen und die Basis für die ausländischen Kreditgeber. Wenn der „Rheinische Merkur" schreibt, daß das nationalistische Gezeter unsere Position im Ausland erheblich verschlechtert hat, so unterstreichen wir das hundertprozentig; nur richtet der Artikelschreiber seine Mahnung unseres Erachtens an eine falsche Adresse. Es scheint uns nämlich sehr notwendig zu sein, diese Mahnung einzelnen Kabinettsmitgliedern ins Stammbuch zu schreiben,

    (Beifall beim Zentrum und bei der SPD)

    statt sie an die Oppositionsparteien zu richten, die sich in diesem Hause — das dürfen wir wohl sagen — in außenpolitischen Fragen häufig größerer Mäßigung befleißigt haben als manche von den Regierungsparteien.

    (Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang möchten wir, nachdem uns von seiten der Regierung jetzt seit Monaten Auslandskredite


    (Frau Wessel)

    in Aussicht gestellt worden sind, auch die Frage aufwerfen, welchen realen Hintergrund denn diese Äußerungen haben. Nach der Stuttgarter Rede von McCloy sind wir etwas bedenklich geworden. Wir verzichten darauf, im einzelnen auf die ins Auge springenden Fehlinvestierungen einzugehen; denn sie sind heute hier genügend erwähnt worden. Wir machen aber doch noch einmal darauf aufmerksam, daß sie zum größten Nachteil für die deutsche Kreditwürdigkeit im Ausland gewesen sind. Wir können keineswegs an dieser Tatsache vorbeigehen. Man möge sich auch hier bitte nicht an die Adresse der Opposition wenden und ihr immer vorwerfen, sie habe das ausländische Interesse nicht genügend im Auge, wenn auf der andern Seite nicht ganz klar gesehen wird, warum die Kreditwürdigkeit im Ausland in den vergangenen Monaten nicht so gefördert worden ist, wie wir es alle gewünscht haben. Ich glaube, wir vom Zentrum können nicht in den Verdacht kommen, daß wir in diesen Fragen aus einem gewissen Agitationsbedürfnis handeln, und wir lehnen es auch ab, uns in einer negativen Politik zu erschöpfen. Wir halten es aber für ebenso töricht, wenn die Diskussion so geführt wird, daß man Kritik an der Regierung von vornherein als eine mindernationale Angelegenheit betrachtet.

    (Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD.)

    Im übrigen scheint es mir auch notwendig zu sein, zu betonen, daß auch in der neuen und jungen deutschen Demokratie die Regierung endlich mit offenen und ehrlichen Worten zu den Leistungen aufgerufen werden muß, die sie zu vollbringen hat, um den Weg des Aufstiegs zu erschließen. Die Zeit optimistischer Prognosen und einer Bagatellisierung der Schwierigkeiten, wie wir sie auch heute wieder erlebt haben. sollte endgültig vorbei sein.

    (Sehr richtig! links.)

    Die Zeit, die Deutschland noch bis zur Beendigung des Marshallplanes zur Verfügung steht, ist kurz bemessen. Wir warnen davor, durch optimistische Prognosen dem deutschen Volke nicht den Ernst der Situation zu zeigen. Gerade die jüngsten Ausführungen von McCloy in Stuttgart sollten uns vor einem späteren rauhen Erwachen bewahren, das vielleicht in wirtschaftlichen und politischen Katastrophen enden könnte. Weder ein Bundesarbeitsminister noch ein Bundeswirtschaftsminister sollten es sich künftig noch einmal gestatten, Dinge, die vielleicht nicht in ihr Konzept passen, zunächst einmal einfach zu leugnen. Sonst kann es leicht geschehen, daß wir die Krisis, die wir heute vor uns sehen, nicht mehr zu meistern vermögen.

    (Sehr gut! beim Zentrum und bei der SPD.)

    Es ist auch nicht richtig, wenn man Realismus in der Weise betreibt, wie es heute in manchen Ausführungen durchklang, daß jetzt die Vernunft in erster Linie den sozial Bedrängten gepredigt wird. Wir sind davon überzeugt, daß man Vernunft zunächst von denen erwarten muß. die heute keinen Anlaß zur Verzweiflung haben.

    (Zustimmung links und im Zentrum.)

    Wir sagen das, indem wir an den deutschen Unternehmer denken, der endlich aufhören muß, sein soziales Gewissen mit dem Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft zu betäuben. Wir können es uns vorstellen - und in der Weise sind wir nüchtern genug —, daß es auch Kreise in Deutschland gibt, denen die heutige Situation des
    Volkes nicht ganz unsympathisch ist, weil sich auch aus -dieser Situation politisches Kapital schlagen läßt und man die Demokratie in Deutschland mit Arbeitslosenzahlen zu betäuben versucht. Auch eine Demokratie kann große wirtschaftliche Leistungen vollbringen. Sie muß nur das Vertrauen zu sich haben, und sie muß dafür sorgen, daß die entscheidenden Einflüsse im Wirtschaftsleben nicht von antidemokratischen Kräften ausgehen. Sie muß vor allem wieder Vertrauen im Volke haben.
    Übersehen wir doch nicht, daß der Wille zum Sparen wesentlich gemindert worden ist durch die zweimalige Abschöpfung der Ersparnisse jahrelanger Arbeit. Leider ist es doch heute auch so, daß die Kapitalbildung zur Sicherung des eigenen Lebensabends für die meisten Menschen in Deutschland an der letzten Stelle rangiert, weil ihr Einkommen eben so gering ist, daß es nur zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse ausreicht. Aber soll wirklich von denen gespart werden, die es noch können, dann ist die erste Voraussetzung, daß man im Volke Vertrauen zur Regierung und zur Demokratie hat.
    Mit dem Verlust der Ersparnissse und der Minderung der Sicherung des Lebensalters steht — lassen Sie mich das auch noch erwähnen — die hier schon erwähnte Tatsache in einem ursächlichen Zusammenhang, daß die Jugendlichen nicht mehr genügend Lehrstellen finden können, weil es den älteren, die unter normalen Verhältnissen reif wären, ihren Lebensabend als Pensionäre zu vollbringen, dieses nicht möglich ist, weil sie vielfach noch bis an das Ende ihres Lebens im Arbeitsprozeß stehen müssen. Wenn soviel Not, wie sie gezeigt worden ist, in unserer Jugend vorhanden ist, dann wollen wir uns ebenso der Gefahr bewußt sein, wohin eine solche Not unsere Jugend treiben kann. Sie sind die besten Objekte — vergessen wir es nicht! — für jene nationalistischen Hasardeure, die ja nur darauf warten, diese Demokratie wieder zu begraben. Nach zuverlässigen Schätzungen beträgt die Zahl unserer Jugendlichen, die arbeitslos sind, mehr als 600 000, und es ist zu befürchten, daß ihre Zahl sich nach Ostern noch wesentlich erhöhen wird. Bedenken wir nur, welche furchtbaren Möglichkeiten in der Tatsache dieser Berufslosigkeit liegen, in der Aussichtslosigkeit für die Zukunft, und verstehen wir, wieso mancher junge Mensch dem Sartreschen Nihilismus zu verfallen droht.
    Wir müssen auch daran denken, daß unter den 2 Millionen arbeitslosen Menschen eine erhebliche Zahl von Frauen sind, und daß bei den Frauen das niederdrückende Bewußtsein des Überflüssigseins, des Beiseitegeschobenwerdens, der Unfähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können, noch mehr als beim Mann zu einem seelischen Problem wird. Wir sollten uns davor hüten, die Frage der Arbeitslosigkeit nur im. Rahmen der materiellen Zahl von 2 Millionen zu sehen. Wir sollten vielmehr ebensosehr daran denken, daß es bei dieser Frage um ein tief menschliches Problem geht. Das alles schafft gefährliche Spannungen, die wir nicht übersehen dürfen!
    Noch hat die Kurve der Arbeitslosigkeit nicht die lebensbedrohenden Formen angenommen wie vor zwanzig Jahren, aber vergessen wir nie, meine Damen und Herren, daß der Zusammenbruch der Weimarer Republik und der Aufstieg von Adolf Hitler mit auf die Verzweiflung von fast 7 Millionen arbeitsloser Menschen und ihrer


    (Frau Wessel)

    Familienangehörigen zurückzuführen ist. Wir hören heute genau wieder wie vor zwanzig Jahren — wenn es in diesem Zusammenhang nicht abgeschmackt klingen würde, könnte man fast sagen, genau wie im Mai — die alten Parolen: Es muß wieder zu einer Änderung des Systems kommen, nur mit dem System sind diese Dinge zu ändern.
    Wir danken — und damit komme ich zum Schluß — dem Herrn Bundeskanzler für die Feststellung, daß das Kabinett geschlossen hinter der Politik des Herrn Wirtschaftsministers Erhard steht und die gesamte Regierungskoalition die Verantwortung dafür trägt. Ich möchte diese Feststellung des Herrn Bundeskanzlers besonders hervorheben; denn wir haben manchmal den Eindruck — nicht zuletzt gestern bei der Debatte über die Eigentumsverhältnisse im Bergbau --, daß es der bekannten Geschicklichkeit des Herrn Bundeskanzlers obliegen wird, dafür zu sorgen, daß die schmale Fahrspur seines Regierungsschiffes nicht zu Belastungen führt, die ihn dazu zwingen, Ballast abzuwerfen oder den Fahrkurs noch weiter durch eine Rechtsschwenkung zu verändern.

    (Sehr gut! links und beim Zentrum.)

    Wir halten auch jene Erklärung des Herrn Wirtschaftsministers Erhard fest, daß das Wahlergebnis vom 14. August ein Bekenntnis zu seiner Wirtschaftspolitik sei. Wer im Wahlkampf gestanden hat, meine Damen und Herren, weiß es freilich anders.

    (Sehr richtig! beim Zentrum und links.)

    Aber ich möchte glauben, daß es wertvoll ist, auch solche Äußerungen einmal für spätere Entwicklungen und Debatten festzuhalten.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und links.)

    Noch ein letztes lassen Sie mich ausführen. Es ist die Aufgabe des echten und verantwortungsbewußten Politikers, nicht nur vorauszuschauen, sondern auch aus der Vergangenheit zu lernen.

    (Ironische Zurufe rechts: Sehr richtig!)

    Der Bundeskanzler steht gewiß nicht in der Gefahr, die Zügel seiner Regierung nicht in der Hand zu haben. Das gleiche behauptete man allerdings auch in den dreißiger Jahren von dem damaligen Reichskanzler Brüning, und doch erlebten wir die Bankenkrise, und das Versagen der Wirtschaft hat uns schon einmal ins Unglück gestürzt. Meine Damen und Herren! Auch die Demokratie erträgt keine grauen Exzellenzen, noch weniger als die Wilhelminische Zeit.

    (Sehr gut! im Zentrum und bei der SPD.)

    Wir befürchten — und ich stehe nicht an, auch das hier zu sagen —, daß damalige Berater des Herrn Brüning auch heute wieder nicht entscheidend in der Verantwortung gegenüber dem Parlament, sondern in höchst privater Weise die deutschen Banken und die deutsche Wirtschaft beeinflussen.

    (Händeklatschen beim Zentrum, bei der WAV und bei der SPD.)

    Wir halten um der Sauberkeit der Demokratie willen solche Schattenkabinette für bedenklich. Wir wollen nämlich, daß diese deutsche Demokratie in voller Verantwortung dem Parlament gegenüber aufgebaut und durchgeführt wird.

    (Abg. Dr. Kather: Das ist ja lächerlich!) — Nein, das ist nicht lächerlich!



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Kather, dieser Zwischenruf war ungehörig!

(Abg. Hilbert: Warum? Es ist doch so!) - Nein, das sagt man nicht!


(Abg. Hilbert: Vielleicht einer Frau gegenüber nicht!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Das hat nichts zu sagen, meine Herren! Ich lasse mich sonst nicht auf Zwischenrufe ein; aber Sie können schon gewiß sein, daß man in einem längeren politischen Leben seine Erfahrungen gewonnen hat, daß mehr passiert an Dingen, von denen, wie Hamlet sagt, unsere Schulweisheit sich nichts träumen läßt.

    (Zuruf von der CDU: Haben Sie gelernt davon?)

    Deshalb glaube ich am Schlusse meiner Ausführungen noch sagen zu dürfen: Unser Wünsch geht dahin, daß der Herr Bundeskanzler — und in dieser Richtung werden wir ihn stets unterstützen — seine Politik auf diejenigen ausrichten möge, die die neue deutsche Demokratie aus dem Herzen bejahen, auf jene Millionen Menschen, die einen Staat der sozialen Gerechtigkeit als ihren Staat aufbauen und verteidigen wollen.

    (Bravorufe und Händeklatschen beim Zentrum, bei der WAV und links.)