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    Deutscher Bundestag — 36. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950 1141 36. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen 1141 B, 1214 C Ersuchen des bayerischen Justizministeriums betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Dr. Baumgartner 1141 C Beratung des Antrags der SPD betr. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksache Nr. 406 1141C Dr. Nölting (SPD), Antragsteller 1141 D, 1209 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1149A, 1182 B Storch, Bundesminister für Arbeit . . 1152 B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft' 1154B, 1212 B Dr. Seelos (BP) (zur Geschäftsordnung) 1158D Dr. Preusker (FDP) 1159 C Dr. Preller, Schleswig-Holsteinischer Landesminister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr 1162 A Dr. Seidel, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft 1165 C Sabel (CDU) 1166 D Walter (DP) 1170 C Wönner (SPD) 1172 A Etzel (CDU) 1175 D Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und Aufbau 1180 D Dr. Etzel (BP) 1183 A Dr. Bertram (Z) 1189C, 1204 C Loritz (WAV) 1189 D Nuding (KPD) 1195 C Frau Wessel (Z) 1200 C Krause (Z) 1206 B Dr. Wellhausen (FDP) 1206 D Dr. Richter (DRP) 1208 D Dr. von Brentano (CDU) 1213 D Nächste Sitzung 1214 C Die Sitzung wird um 14 Uhr 41 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Hermann Nuding


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Die Diskussion in diesem Hohen Hause über das Arbeitslosenproblem hat heute eigenartige Formen angenommen. Wir wurden von der Regierungsbank aus sehr eingehend über das belehrt, was die Regierung eigentlich erwartet. Herr Adenauer erwartet, daß seiner Regierung nicht das Mißtrauen ausgesprochen wird. Ja, er verlangt, daß man seine Regierung mit der Demokratie schlechthin identifiziert. Damit hat er etwas gesagt, was man seither von dieser Seite fälschlicherweise anderen Regierungen in wirklich demokratischen Ländern unterstellt hat.
    Auch ich muß meine Rede zur Arbeitslosigkeit mit kritischen Bemerkungen beginnen, und zwar trotz der Bestätigungen und der Beteuerungen des Bundesarbeitsministers, daß die angegebenen Zahlen über den wirklichen Stand der Arbeitslosigkeit stimmen. Man sprach von 1,9 Millionen Arbeitslosen in Westdeutschland, im gleichen Zusammenhang aber nicht von den 300 000 in West-Berlin. Das scheint schon ein Versuch zu sein, die wirkliche Situation zu vertuschen. Mir ist gesagt worden, der Herr Arbeitsminister habe an die Arbeitsämter einen Erlaß herausgegeben, in welchem verlangt werde, die schulentlassene Jugend nicht als arbeitsuchend zu registrieren.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    510 000 junge Menschen sind bereits arbeitslos. Wir haben heute Zahlen von einigen Ländern gehört: Schleswig-Holstein, und ich glaube, auch Niedersachsen. Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, .daß große Teile der Jugendlichen, die im letzten Jahr aus der Schule entlassen wurden, keine Arbeitsstelle bekommen haben. Wenn nun auf höhere Weisung diese Menschen überhaupt nicht registriert werden sollen, so bedeutet das schlechthin, daß man ihnen das Recht auf Arbeit abspricht. Dieses nach dem Grundgesetz gewährte Recht kann und darf aber von einer Regierung, die es mit der Lösung des schweren Problems der Arbeitslosigkeit ernst meint, nicht außer acht gelassen werden, wenn sie nicht ganz bestimmte Absichten damit verfolgt. Wir legen deshalb Wert darauf, von der Bundesregierung zu erfahren, ob dieser Erlaß oder diese Anordnung an die Arbeitsämter tatsächlich gegeben worden ist und welchen Zweck ein solcher Erlaß von seiten der Regierung haben soll. Denn diese Menschen verlängern, wenn sie nicht registriert sind, die große


    (Nuding)

    Kette derer, die im Nazireich keinen anderen Beruf erlernen konnten als den des Kriegshandwerks. Gerade diese Menschen, die damals keinen Arbeitsplatz bekommen haben, haben es heute, nachdem sie 8 und 10 Jahre im Kommißrock gesteckt sind, ungeheuer schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Es scheint auch genügend Kreise zu geben, die bewußt Wert darauf legen, daß diese Menschen keinen Beruf finden, weil man sie nämlich für andere Zwecke zu mißbrauchen versucht. Für welche, werde ich später beweisen.
    Heute ist sehr viel über die Ursache der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland diskutiert worden, und man konnte den Eindruck bekommen, daß zum ersten Mal in diesem Hause die Redner der Regierung sowie auCh der Parteien, die dem Marshallplan anhängen, ganz vergessen haben, daß es ein Europa und einen Marshallplan gibt; denn sie haben nur in zwei Fällen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen die Erwerbslosigkeit in Verbindung mit außenpolitischen Problemen gesprochen. Und das war Furcht vor dem Osten, Furcht vor der Tatsache, daß dieser westdeutsche Staat nicht in der Lage sein wird, der Anziehungspunkt, der Magnet für die Menschen im Osten zu sein. Man hat versucht, die Arbeitslosigkeit bei uns allein aus den hier gegebenen Bedingungen zu erklären. Aber diese Bedingungen, Herr Kollege Professor Dr. Nölting, sind ja nicht von der übrigen Welt isoliert. Mir schien bei Ihrer Rede, die heute so vom Ausland abstrahiert hat, daß Sie von Marx nur noch einen Teil, den der Abstraktionsfähigkeit behalten haben, aber in allen andern Teilen nicht mehr die Zusammenhänge einer kapitalistischen Weltwirtschaft gesehen haben.

    (Abg. Renner: Sehr gut! — Zustimmung bei der KPD.)

    Die Arbeitslosigkeit im Westen Deutschlands unterscheidet sich zwar in sehr vielen Besonderheiten von anderen, früheren, aber ihre Quelle liegt in der kapitalistischen Gesellschaft, die nicht ohne Krisen und Kriege denkbar ist und die eben auch nicht ohne Arbeitslosigkeit denkbar ist.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Darum kommt man doch nicht herum, auch nicht um die Tatsache, daß im Zeitalter des Imperialismus diese Krisen häufiger und in verschärfter Form auftreten, und daraus muß man doch Schlußfolgerungen ziehen.

    (Abg. Strauß: Warum schreit der eigentlich so?)

    — Weil Sie sich sonst lauter unterhalten, als ich rede!

    (Abg. Renner: Das ist CDU-Bildung! — Abg. Strauß: Praeceptor Germaniae!)

    Die Tatsache übersehen, daß die Politik, die die Regierung Adenauer betreibt, die sogenannte Politik der sozialen Marktwirtschaft, nicht von jeder anderen kapitalistischen Politik verschieden ist, bedeutet zu verkennen, daß eben auch ihre Wirtschaft — und da gebe ich dem Herrn Wirtschaftsminister vollkommen recht — bestimmte Erfolge hatte. Sie verstehen ja unter Wirtschaft nicht die Interessen des gesamten Volkes, sondern die Anlage von Kapital im Sinne der Profite, und Profite — gar keine kleinen — sind wahrlich in den letzten Jahren gemacht worden. Wenn Sie die Betriebe anschauen, die mit dem lumpigen Geld, mit dem die Arbeiter nur das kaufen konnten, was ihnen der Bezugsschein gewährte, wieder aufgebaut worden sind, — so waren das wahrlich reale Mittel und Profite, die hier vor und nach der sogenannten Währungsreform geschaffen worden sind. Ich will Sie in diesem Zusammenhang nur an eine Zahl erinnern. 450 Aktiengesellschaften haben von Ende 1948 bis Ende 1949 ihre Werte von 2,5 Milliarden auf 4,085 Milliarden gesteigert.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    Ich glaube, da ist schon etwas rangewachsen. Fragen Sie die Arbeiter, was bei ihnen in der gleichen Zeit rangewachsen ist, dann werden Sie einen anderen Proporz finden, als er heute aufgezeigt worden ist. Aber das ist die Wirtschaft, die auf Profit ausgerichtet ist und in der der einzige Motor der Profit und der Mensch nur ein Objekt dieser Profitmacherei ist.
    Die gegenwärtig heranrollende Wirtschaftskrise hat ihre Auswirkung noch nicht in vollem Maße gezeigt. Wir sind durch den Marshallplan, das Besatzungsstatut und das Ruhrstatut an die gesamte westliche kapitalistische Welt gebunden, und wir werden auf Grund dieser Bindung an die krisenschwangere kapitalistische Wirtschaft auch alle Auswirkungen nicht in letzter, sondern in erster Linie erdulden müssen, denn wir sitzen ia letzten Endes als die Letzten auf dieser Bank. Und nicht nur das! Aus dieser deutschen Arbeits- kraft werden ja nicht nur die Profite für die deutschen Unternehmer, sondern auch die Gelder, die in Gestalt von Besatzungskosten bezahlt werden müssen, herausgeholt. Die arbeitende Bevölkerung lebt also unter einer doppelten Ausbeutung und wird unter dieser neu heranrollenden Wirtschaftskrise am schlimmsten zu leiden haben. Aber bei uns hat sie einige Besonderheiten, die durch die Resultate bedingt sind, die das „Tausendjährige Reich" uns hinterlassen hat. Diese Besonderheiten sind krass und katastrophal. Wir brauchen Wohnungen, und die Bauarbeiter sind arbeitslos. Wir brauchen Nahrungsmittel, und die Arbeitskräfte verlassen das Land, weil sie unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr existieren können. Wir brauchen Ware für den Export; aber unsere Fabriken müssen verkürzt arbeiten und zum Teil geschlossen werden. Ja, wir haben derart widerspruchsvolle Situationen, daß wir Betriebe haben, in denen die Arbeiter bei Gefahr der Arbeitslosigkeit gezwungen werden, Überstunden zu machen, während in dem gleichen Industriezweig Arbeiter arbeitslos sind und die Stempelstellen bevölkern; und wir haben letzten Endes diesen kardinalen Widerspruch, daß in einem Teil Deutschlands, nämlich in der Demokratischen Republik, Vollbeschäftigung ist, während im Bundesgebiet die Arbeitslosigkeit ständig steigt.

    (Abg. Renner: Sehr gut!)

    Worin liegen die Ursachen dieser Widersprüche? Ich sagte es schon: sie liegen darin, daß wir an den kranken und krisenhaften Imperialismus des Westens gebunden sind. Heute schon zählt man in diesen Staaten mehr als 30 Millionen Arbeitslose, nach den eigenen Schätzungen. Selbst in dem stärksten und reichsten Land, in der USA, kann man feststellen, daß nach amtlichen Angaben die Arbeitslosigkeit eine Höhe zwischen 6 bis 8 Millionen erreicht hat. Aber diese Staaten und gerade die USA beherrschen uns; die USA werden alles tun, um die Krise auf uns abzuwälzen, und deshalb auch ihre Politik, die von den Regierungsparteien und auch von anderen Parteien dieses Hauses anerkannt worden ist, deshalb die Roh-


    (Nuding)

    stoffausfuhr, die Kohlen-, Holz-, Schrottausfuhr, deshalb die Konkurrenzdemontagen, die Stillegungen von wichtigen chemischen Werken wie den Fischer-Tropsch-Anlagen, deshalb die Kontrolle unseres Außenhandels, die Verhinderung, daß Aufträge anderer Länder bei uns realisiert werden können. Dabei dreht es sich nicht nur um Aufträge nach den volksdemokratischen Staaten, nach der Sowjetunion oder nach China, sondern auch um solche Aufträge nach der Türkei. Der Auftrag der Esslinger Maschinenfabrik, den sie von der Türkei hätten bekommen können — für 7 oder 8 Lokomotiven —, wurde kassiert, und die Amerikaner führen ihn aus. Der Auftrag Chinas an das Ruhrgebiet auf mehr als 1,7 Millionen Tonnen Stahl, dessen erste Rate 100 000 Tonnen Eisenbahnschienen sein sollten, ist nach den letzten Meldungen des „Bonner Generalanzeigers", wie dort klar gesagt wird, nicht für Deutschland. Dort heißt es:
    Bei einem Besuch im Ruhrgebiet haben Vertreter britischer Stahlfirmen nunmehr bestätigt, daß der ursprünglich an die Ruhrindustrie vergebene Auftrag Chinas über die Lieferung von rund 100 000 Tonnen Eisenbahnschienen gegenwärtig von britischen Firmen in Sheffield ausgeführt wird.
    Das sind Arbeitskräfte, die wir nicht unterbringen können.
    Der Herr Kanzler hat in einer seiner Reden, als von der Demontage gesprochen worden ist, erklärt, daß derjenige, der gegen das Ruhrstatut, gegen seine Abmachung ist, verantwortlich ist, wenn 30 000 Arbeiter arbeitslos werden. Wer trägt die Verantwortung dafür, daß diese Aufträge - um nur bei dem türkischen und chinesischen zu bleiben - nicht realisiert werden konnten, und wieviel Tausend Arbeiter werden dadurch brotlos? Also die Ursache dafür, warum wir nicht aus dem Elend herauskommen, sondern immer mehr hineinschlittern, liegt in der Anerkennung und Unterordnung unter die westlichen Besatzungsmächte; nötig wäre statt dessen der gemeinsame Kampf aller Deutschen um die deutschen Interessen in dieser Frage, um die Interessen des deutschen Volkes.
    Man stellt heute die Frage: wieweit sind wir mit der sozialen Marktwirtschaft gekommen? Ich glaube, Herr Etzel von der CDU hat gesagt, soziale Marktwirtschaft bedeute ja nicht, daß wir nicht eine Kontrolle insbesondere gegen die Monopole ausüben. Wenn wir von dieser Seite aus die Entwicklung der Wirtschaft betrachten, dann sind wir genau so weit, ja auf einzelnen Gebieten weiter, als es das Nazireich geschafft hat. Hier beherrschen Ausländer mit willigen inländischen Imperialisten die Wirtschaft. Hier beherrschen Ausländer mit Einwilligung und Beihilfe Deutscher den Außenhandel. Hier dulden wir ohne Protest die Durchführung solcher Verbote von Produktionsmöglichkeiten, die uns Arbeit bringen könnten, und dort im Ruhrgebiet entsteht und entstand in den letzten Monaten eine Monopolgesellschaft, von der die „Frankfurter Rundschau" am 16. 1. sagt:
    Sie
    - die DKBL —
    ist lediglich der Besatzungsmacht, in diesem Falle der CCG, verantwortlich. Das Monopol hat damit die denkbar vollendetste Geschlossenheit und absolute Unabhängigkeit gegen-
    über den Produzenten und Konsumenten erlangt.
    Und das ist leider richtig! Die Monopole fangen an, bei uns an Boden zu gewinnen, und, Herr Kollege Etzel, ich frage Sie: Wo ist der Protest und wo ist der Kampf der Regierung gegen diese Monopole? Eine lächerliche Frage von meinem Standpunkt aus; denn eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Die Monopole haben in dieser Regierung eine Kraft gefunden, mit der sie sich glücklich fühlen können; denn die Adenauer-Regierung und insbesondere Herr Professor Dr. Erhard sind ja die Vorkämpfer für diese Wirtschaft. in der diese Monopole entstehen und gedeihen können.
    Nun möchte ich die Frage aufwerfen: Wer hat ein Interesse und wer kann ein Interesse an der Arbeitslosigkeit haben? Diese Frage wurde heute schon in sehr scharfer Weise diskutiert, und es kam beinahe zu einer Kriegserklärung zwischen der Bundesregierung und der niedersächsichen Regierung. Aber das Problem ist damit nicht ganz enthüllt. Diejenigen, die von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, haben kein Interesse daran. Ich glaube, darüber gibt es keinen Streit. Ich möchte aber einmal an die Herren von der Regierungsbank die Frage richten, ob sie es nicht waren, die zu Beginn der Arbeitslosigkeit nach der Währungsreform Äußerungen getan haben, die dazu angetan sind, mindestens glauben zu machen, daß auf der Regierungsbank Menschen sitzen, die ein Interesse an einer bestimmten Arbeitslosigkit haben.

    (Abg. Renner: Sehr gut! Man kann es sogar noch viel deutlicher behaupten!)

    - Ja, ich werde deutlicher werden. Damals hat man gesagt: Es ist ein Gesundungsprozeß,

    (Sehr richtig! bei der KPD)

    und der Gesundungsprozeß muß eine bestimmte Läuterung hervorbringen, und dann hat man aufgezählt, wie man mit weniger Arbeitskräften eine gesteigerte Produktion erreicht hat. Der Gesundungsprozeß auf Kosten der Arbeiter im Interesse der Gesundung der Profitwirtschaft!
    Ich frage: Wer profitiert von der Arbeitslosigkeit? Von der Arbeitslosigkeit profitieren jene, die sie benützen, um die Löhne niederzuhalten. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Monaten eines der entscheidenden Druckmittel gegen Lohnerhöhungen geworden.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Das kann aus jeder Verhandlung zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden nachgewiesen werden. Die Arbeitslosigkeit ist eines der entscheidenden Druckmittel zur Forcierung der Rationalisierung auf Kosten der Arbeitskraft — nicht auf Kosten der Modernisierung der Industrie —, und die Arbeitslosigkeit ist ein Mittel geworden, um die ungelernten Arbeiter auch in der Kleinindustrie zu Lohndrücken einzusetzen. Auf allen Gebieten benützt man diese Ärmsten, um die Löhne der anderen herabzudrücken und um damit auch die Situation in den einzelnen Betrieben zu ändern, nämlich die in den Jahren 1945, 1946 und 1947 errungenen Betriebsvereinbarungen, bescheidene Mitbestimmungsrechte, zu annullieren.
    Es gibt also eine Kategorie von Menschen, die von dieser Seite aus ein Interesse an der Arbeitslosigkeit besitzen. Aber es gibt noch eine


    (Nuding)

    zweite Kategorie, die ein Interesse daran hat, daß Millionen arbeitsloser junger Menschen auf der Straße liegen, und diese Kategorie sind die Militaristen;

    (Sehr richtig! bei der KPD)

    sie wollen Deutschland wieder remilitarisieren, und vom Ausland her haben sie genügend Ermunterung bekommen,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    um ihren Weg weiter beschreiten zu können. Sie sind daran interessiert, daß die Jugend die Straßen belebt, daß sie die Straßen unsicher macht, damit man wieder mit der gleichen Losung wie 1932 kommen kann: Weg mit der Jugend von der Straße!

    (Beifall und Zuruf von der KPD: Arbeitsdienst!)

    Wir sind deshalb sehr vorsichtig. Seien auch Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, vorsichtig mit dem, was Sie, in Schleswig-Holstein machen; denn wenn Sie diesen Herrschaften den kleinen Finger geben, dann reißen sie Ihnen den Arm aus. Das haben sie einmal bewiesen, und das werden sie wieder tun.

    (Zustimmung bei der KPD.)

    Das ist kein Weg, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen; das ist ein Palliativmittelchen, das einmal schlimme Folgen hatte und das wieder schlimme Folgen haben kann. Das Elend der Arbeitslosen wird benützt, um sie zur Mobilisierung reif zu machen.
    Und noch eines. Es war sehr bizarr heute anzuhören, und zwar auch von Herrn Professor Nölting, welche Gefahr bezüglich der Arbeitslosen besteht, als er die Regierung anflehte zu bedenken, daß die Arbeitslosigkeit den Extremen Boden gibt. O, die linke Extreme ist bereit, alles zu tun und mitzukämpfen, daß die Arbeitslosigkeit beseitigt wird.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Wir sind nicht am Elend der Arbeiter interessiert, weil wir selber Arbeiter sind und in unserem Leben erlebt haben, was es heißt, arbeitslos zu sein.

    (Lebhafte Zustimmung bei der KPD.)

    Wer hat denn 1933 die Situation ausnützen können? Wenn Sie auch den Marxismus abgelehnt haben, sollten Sie sich doch immer daran erinnern, daß Marx schon lehrte: die Verelendung ist kein revolutionärer Faktor,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    sondern ein reaktionärer Faktor. Warum dann ihre Furcht? Haben Sie so wenig Vertrauen zu der Marshallplanwirtschaft?

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Haben Sie so wenig Vertrauen zu der westdeutschen Wirtschaft? Ich bedauere Sie, nachdem Sie so ernst gekämpft haben, daß Sie heute so wenig Vertrauen dazu haben und nur noch mit dem Gespenst drohen, mit dem doch andere reaktionäre Kräfte gesiegt haben, unter denen Sie genau so zu leiden hatten wie wir.

    (Abg. Renner: Sehr gut!)

    Ich glaube, die Diskussion, die heute stattgefunden hat, hat gezeigt, welche Kunststücke man darin vollbringen kann, Dinge anders hinzustellen, als sie in Wirklichkeit sind. Man hat das Jahr 1933 herangezogen; aber das Jahr 1933, meine Herren von der Rechten, war ja das Jahr Ihrer Wirtschaft,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    Ihrer kapitalistischen Wirtschaft.

    (Abg. Mayer: Eures Bündnisses mit den Nazis!)

    — Mein Herr, seien Sie vorsichtig; sonst muß ich von Ihrem Bündnis reden.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

    — Ich habe nicht Sie gemeint, Herr Schäfer, sondern den, der sich hinter Ihnen versteckt.

    (Zuruf von der KPD: Ein guter „Demokrat"!) Unser .,Bündnis" hat darin bestanden, dar man Tausende von uns erschossen hat; darin hat es bestanden.


    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Ich kenne aber Leute in Ihrer Partei und kann sie Ihnen nennen, die als „gute Demokraten" diesen Herren das Ermächtigungsgesetz gegeben haben.

    (Abg. Rische: Und dabei verdient haben!) Ich will aber davon sprechen, wie auf dieser Grundlage die Entwicklung weitergegangen ist. Die Entwicklung führte zu Arbeitsdienst, führte zur Bewaffnung verelendeter Arbeitsloser, führte zum nationalsozialistischen Sieg. Der nationalsozialistische Sieg hat an den Grundprinzipien der Wirtschaft, die Sie heute vertreten, nichts, gar nichts geändert.


    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Die Sache gleicht wie ein Ei dem andern.

    (Abg. Dr. Schäfer: Nein!)

    Jetzt machen Sie den wunderbaren Trick und sagen, aus dieser Wirtschaft sei eine Planwirtschaft, nicht eine Zwangswirtschaft herausgekommen. Schöne Kenner des nationalsozialistischen Systems! Sie haben anscheinend ganz vergessen, wo Sie heute sitzen. Die nationalsozialistische Zwangswirtschaft war dem gleichen Prinzip entsprungen, das heute auch von Ihnen vertreten wird, nämlich dem Prinzip: der Besitz dem Besitzenden; wer die größte Macht hat, dem den entscheidenden Einfluß,

    (Zuruf von der KPD: Und sie den Profit!) und wer Profit machen kann, hat das Recht, Profit zu machen.


    (Abg. Dr. Schäfer: Hoffnungsloser Fall!)

    — Hoffnungslos ist der Fall, wenn man bedenkt, daß der Regierungschef Ihrer Regierung,

    (Abg. Leonhard: Das ist auch eure!)

    der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. sich hinstellt und erklärt, daß seine Wirtschaft, seine freie Wirtschaft, seine soziale Marktwirtschaft ein Gegenüber dieser Zwangswirtschaft sei. Was war das Charakteristische der Nazizwangswirtschaft? - Daß die Großen bestimmten und die Kleinen gehorchen mußten!

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Was ist das Charakteristische der heutigen Wirtschaft? — Daß die Großen Riesenprofite machen und die Kleinen ihren Arbeitsbedingungen sich unterwerfen müssen!

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Das ist ganz genau dasselbe. Auf diesem Gebiet gibt es also keinen Unterschied.
    Nun noch zu einer Frage, die auch in diesem Zusammenhang gestellt worden ist, zur Ursache der Arbeitslosigkeit. Man hat versucht zu errech-


    (Nuding)

    nen, daß sie auf den Flüchtlingen, den Umsiedlern vom Osten beruht. Ich weiß nicht, warum man seitens der Regierung nicht schon vor einigen Monaten diesen Versuch gemacht hat. Damals hat man davon gar nicht gesprochen. Damals hat Herr Erhard eine ganz andere Linie aufgezeigt als heute. Ich möchte das ergänzen, was Kollege Nölting schon zitiert hat. In seiner Rede beim Presse-Empfang der CDU/CSU in Düsseldorf am 15. Juli sagte Professor Erhard: „Wir werden der Arbeitslosigkeit energisch zu Leibe rücken und die Katastrophenpolitiker Lügen strafen!"

    (Heiterkeit bei der KPD.)

    Jetzt sind die Arbeitslosen gestraft.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Aber die Katastrophenpolitiker — wenn ich bei dem Ausdruck bleiben darf — sitzen dann auf der Regierungsbank.

    (Beifall bei der KPD.)

    Dort wird noch mehr gesagt. Professor Erhard sagt dort:
    Die Industrieproduktion befindet sich im Ansteigen, die Handelsumsätze nehmen zu. Und wenn zunächst auch nur dem Zunehmen der Arbeitslosigkeit Einhalt geboten wurde, so steht doch aus der sich anbahnenden Entwicklung zu erwarten, daß in den kommenden Monaten eine allmähliche Aufsaugung der Arbeitslosigkeit Platz greifen wird.
    Nun, die Aufsaugung ist im umgekehrten Verhältnis vor sich gegangen. Statt Aufsaugung wurden neue Arbeitslose produziert.
    Deshalb haben wir zu dem, was in dem sogenannten Siebenpunkte-Programm der Regierung gesagt wird, kein allzu großes Vertrauen. Denn: Wir haben die Botschaft damals gehört. Uns fehlte damals der Glaube, weil wir sahen, daß die kapitalistische Wirtschaft in eine neue Krise kommt. Wir sahen weiter, daß in Westdeutschland nichts unternommen wird, um eine Änderung der sozialen Struktur vorzunehmen, einer Struktur, die es einigen wenigen im Verhältnis zum Gesamtvolk möglich macht, die großen Massen der Menschen auszubeuten. Die Botschaft hörten wir damals, uns fehlte der Glaube — er fehlt uns auch heute. Wenn ich diese sieben Vorschläge. die hier gemacht worden sind, betrachte. dann muß ich sagen: sie sind nach unserer Auffassung nicht nur sehr eng auf der Brust, sondern diese Vorschläge sind zum Teil Projekte, die einer Zukunftsmusik gleichen, und können — wie von einigen Rednern sogar bereits bewiesen wurde — nicht realisiert werden.
    Aber was müßte denn geschehen, um erstens der strukturellen und zweitens der konjunkturellen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken? Doch andere Dinge! Der Herr Minister aus Schleswig-Holstein hat von der Notwendigkeit der Umsiedlung der Flüchtlinge gesprochen. Ja, ich dachte, wir wollten endlich Schluß machen mit dem Leid, das diesen Menschen angetan worden ist. Das könnte man- auch. Man könnte mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Was würde es denn dieser Regierung selbst ausmachen, wenn sie endlich in Deutschland eine Agrarreform durchführen und Zehntausenden von Bauern Land geben würde, damit sie seßhaft werden und von dem Arbeitsmarkt in den Industriestädten verschwinden können?

    (Abg. Leonhard: In Württemberg-Baden ist aber nicht viel zu machen!)

    — Nicht viel zu machen? Lesen Sie die letzte Statistik, die wir nun haben, über die Herrschaften, die noch Land bis zu 9000 ha in Württemberg-Baden besitzen. — Dann frage ich Sie, ob nichts zu machen ist.

    (Abg. Leonhard: Nicht viel, habe ich gesagt!)

    — Es ist aber genügend, um mindestens 2000, 3000 Familien unterzubringen und ihnen Grund und Boden sowie eine Heimat zu schaffen.

    (Abg. Spies: Und das Gebiet im Osten, das man kaputtgehen läßt?)

    — Sorgen Sie erst im eigenen Haus, hier sind Sie näher.

    (Abg. Spies: Das ist unser eigenes Haus!)

    — Wenn Sie dort mitmachen wollen, gehen Sie dorthin. Dort haben Sie die Möglichkeit, das zu tun!

    (Unruhe. Zuruf in der Mitte: Gehen Sie doch dorthin!)

    —Das fällt mir gar nicht ein! Mir gefällt es hier. Sehr gut gefällt es mir zwar nicht bei Ihnen. Aber er will es dort ändern, nicht ich.

    (Abg. Spies: Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür! Sie wollen vor anderen Türen kehren, nicht vor Ihrer eigenen Tür!)

    — Ich finde es dort ganz in Ordnung.

    (Abg. Spies: Sie müssen vor der eigenen Tür kehren!)

    — Meine Tür steht in diesem Lande. Hier versuche ich zu kehren. Darüber unterhalte ich mich mit Ihnen. Wenn Sie woanders kehren wollen, dann ziehen Sie dorthin, bauen Sie auf, damit Sie dort kehren können! Warum tut Ihnen das weh?

    (Abg. Spies: Das tut mir nicht weh. Man sagt die Wahrheit, die Sie aber nicht hören wollen!)

    — Warum soll man denn das nicht machen? Warum kann man nicht einigen zehntausend und hunderttausend Menschen dadurch eine neue Heimat schaffen, daß man die in anderen kapitalistischen Staaten schon jahrzehntelang durchgeführte Agrarreform auch bei uns verwirklicht? Ja, man kann das.

    (Zuruf in der Mitte.)

    — Sie können sich hier oben melden. Der Präsident ist hier. Ich kann kein Wort vergeben.
    Ein zweites Problem bilden die Lehrstellen für die Schulentlassenen. Sie sind eine der dringendsten Notwendigkeiten. Dagegen hilft alles nichts, auch nicht der Versuch Schleswig-Holsteins. Wenn Sie erreichen wollen, daß die Jugend einen Beruf erlernt, dann muß die Regierung den Mut haben, die Unternehmer zu zwingen, auch die notwendigen Lehrstellen zu schaffen.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Dazu gibt es Möglichkeiten. Man kann das sehr gut machen, wenn man den Willen hat, Die Unternehmer brauchen die Fachkräfte, sie holen sie heran. Warum soll man ihnen nicht vorschreiben, daß in jedem Jahr mindestens 5 % Lehrlinge auf hundert Arbeiter eingestellt werden müssen, wenn notwendig, auch auf 50 Arbeiter, damit diese jungen Menschen untergebracht werden können? Dem Arbeiter schreibt man ja auch bestimmte Dinge vor, ohne daß man ihn vorher fragt. Das wäre eine Lösung. Natürlich gibt es Unternehmer, die sich dagegen sträuben werden, Ja, und deshalb sagen wir: Zwang!


    (Nuding)

    Noch eine Möglichkeit, die auch in Ihrem Rahmen liegt, die jetzt vorhandene Arbeitslosigkeit zu mildern, wäre ein einfacher Weg: vergrößern Sie den inneren Markt. Die Arbeiter haben lange genug gesehen und geduldet, daß die Preise in die Höhe gegangen sind, ohne daß ihre Löhne erhöht worden sind. Warum wollen Sie ihnen nicht mehr Lohn geben? Einer der Herren Redner sagte, wenn mehr Geld in die Bevölkerung hineinkomme, bestehe die Gefahr der Preiserhöhungen. Das kann man einer Großmutter erzählen, denn wir haben aus der Zeit der Erhardschen Politik doch immerhin die Erfahrung, daß gerade in der Zeit, in der keine Löhne erhöht worden sind, die größten Preissteigerungen waren, nämlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 und in der ersten Hälfte des Jahres 1949. Man soll uns in dieser Frage nicht mit dem Weihnachtsmann drohen und sagen, daß eine Lohnerhöhung eine Erhöhung der Preise bedeuten muß. Preise werden dann erhöht, wenn die Monopole sie rücksichtslos erhöhen können. Und auf allen Gebieten haben Sie heute Monopolpreise in Deutschland. Kaufen Sie Ware, alle sind gleich abgestimmt, kaufen Sie beispielsweise ein Grammophon oder ein Radio, — unabhängig von den verschiedenen Produktionsbedingungen sind sie alle auf einen Preis abgestimmt. Die Unternehmer haben es sehr gut verstanden, ihre Monopolpreise durchzusetzen und zu halten.
    Nun zu einem Kardinalproblem, das der entscheidende Schlüssel zur raschen Minderung und sogar zu einer Überwindung der Arbeitslosigkeit wäre. Mir ist ein Satz aus der Rede des Herrn Professor Erhard nicht entgangen. Er sagte in seiner Rede: „Um zu einer höheren Leistung zu kommen, muß man sich anstrengen. weil heute nicht mehr allein die Technik des Produzierens, sondern vor allen Dingen das Vermögen des Absetzens in unserer Wirtschaft entscheidend geworden ist." — Ja, wir können die jetzt vorhandene eigene Produktionskapazität nicht einmal nützen, zumindest nicht auf dem Gebiet der Fertigwarenindustrie. Und warum können wir es nicht? Weil man uns hindert und weil die Regierung sich die Behinderung, selbst in Deutschland einen Handel zwischen Ost und West zu entwickeln, wie er im Interesse des gesamtdeutschen Volkes notwendig wäre, bereitwilligst gefallen läßt.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Dieses Interesse des gesamtdeutschen Volkes müßte das Entscheidende sein. vor dem alle Demokraten Respekt gerade angesichts dieser Millionen von Arbeitslosen haben müßten. Denn sie können Brot bekommen, sie können Arbeit bekommen, wir können Absatzmöglichkeiten bekommen, wenn wir die Abschnürung von den ausländischen und vor allem von den Märkten des Ostens durch den geeinten Widerstand aller Deutschen überwinden.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Es ist nicht ein Problem parteimäßiger Einstellung, es dreht sich um Brot für die Kinder dieser Arbeitslosen, es dreht sich um Arbeit für die Männer, die für ihre Familien zu sorgen haben. Wenn da politische Ziele maßgebend sind, wie im Abschnüren und Abwürgen des Lokomotivauftrags der Türkei, wie im Abmurksen — um nur die letzten Sachen zu nennen - des Vertrags mit China, wenn politische Momente maßgebend sind, dann steht es schlimm um den Kern Ihres Staates, dann steht es schief um die Interessen des deutschen Volkes.
    Deshalb ist unser Vorschlag, alle Kraft einzusetzen und von der Regierung zu verlangen, den Handel mit der Demokratischen Republik nicht abzubremsen, sondern ihn zu erweitern und dafür zu sorgen, daß das Tor, die Reichshauptstadt Berlin auch für den Handel Gesamtdeutschlands mit den übrigen Völkern des Ostens geöffnet wird. Dann wird der Absatz garantiert sein, und dann werden wir aus dem Elend, in das wir gekommen sind, herauskommen. Wenn Sie es nicht tun — und leider hat die heutige Debatte mich überzeugt, daß Sie es nicht tun werden, weil Sie eigennützige Interessen und nicht die Interessen des gesamten deutschen Volkes vertreten, weil Sie parteiegoistisch an die Dinge herangehen —, das Volk aber will keine Katastrophe Deutschlands und wird deshalb den Kampf gegen Ihre Politik aufnehmen.

    (Lebhafter Beifall bei der KPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Herren und Damen! Ich werde mich bemühen, meine Ausführungen tatsächlich zu dem Problem der Arbeitslosigkeit zu machen. Ich bin der Meinung, wir könnten sehr viel Zeit erspart haben, wenn sich die Redner mehr an das tatsächliche Problem der Arbeitslosigkeit gehalten hätten. Es scheint mir notwendig zu sein, dies zu betonen. Wenn wir eine wirklich echte Debatte darüber führen wollen, dann sollte man sich davor bewahren, immer abzuschweifen und an dem eigentlichen Kernproblem vorbeizureden.
    Wenn den Oppositionsparteien von seiten der Regierung vorgeworfen wird, daß sie lediglich in Ablehnung zu der Regierungsarbeit ständen, so möchte ich doch einmal darauf hinweisen, daß niemand in diesem Hohen Hause bestreitet, daß die wirtschaftliche Notlage das Ergebnis des zweiten Weltkrieges und seiner Folgen ist; daß der Zustrom von 8 Millionen Vertriebenen sowie die Frage ihrer Unterbringung und ihres Arbeitseinsatzes für uns alle Probleme aufgeworfen hat, die Deutschland keineswegs aus eigener Kraft lösen kann. Es bestreitet auch niemand gegenüber dieser Regierung. daß der hohe Anteil der arbeitsunfähigen und nur teilweise zur Arbeit fähigen Personen als Kriegsfolge einen erheblichen Prozentsatz unserer Gesamtbevölkerung ausmacht und eine soziale Umschichtung mit sich gebracht hat. die sich in verhängnisvollster Weise auswirkt. Niemand hier bestreitet. daß es eine äußerst schwierige Aufgabe ist — sie ist von den Vorrednern schon erwähnt worden —. den aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Menschen Arbeitsplätze zu geben, auf die sie Anspruch haben. Auch die Aufnahme der politischen Flüchtlinge aus der Ostzone und ihre Unterbringung in Arbeitsplätzen liegt uns am Herzen. Alles das sind doch Fragen, über die es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheit gibt.
    Wenn wir uns auf Grund dieser Tatsache nun mit der Bitte um Hilfe an die Welt gewendet haben. dann vergessen wir dabei gewiß nicht. daß die Ursache all dieser Dinge Hitler und sein Krieg gewesen sind. Auf der anderen Seite muß sich in der westlichen Welt aber die Erkenntnis durchsetzen, daß mit Yalta und Potsdam und mit der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und der damm t verbundenen Zerreißung der deutschen Wirtschaftseinheit in Ost- und Westdeutschland folgenschwere


    (Frau Wessel)

    politsche Tatsachen geschaffen und Fehler begangen worden sind, auf die unsere heutige Arbeitslosigkeit auch zum Teil zurückzuführen ist. Wir sollten auch keineswegs verkennen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland auch für Europa eine Bedrohung darstellt. Die Revision dieser fehlerhaften Politik entzieht sich aber unserer deutschen Zuständigkeit. Das einzige, was wir Deutsche in diesem Zusammenhang tun sollten, ist, alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, daß wir das Arbeitslosenproblem nicht mit der Verantwortung sehen, die es verlangt. Die Zentrumsfraktion ist auch bereit — ich unterstreiche das —, wenn die Bundesregierung erklärt, daß die Arbeitslosigkeit mit auf diese Gründe zurückzuführen ist, das anzuerkennen.
    Aber wir wissen genau so, daß das nicht allein die Gründe für die heutige Arbeitslosigkeit in Höhe von 2 Millionen Menschen sind. Wir wissen - um auch das einschaltend zu sagen, und ich glaube, ich muß es in diesem Zusammenhang noch einmal hervorheben —, daß Deutschland heute noch unter der Vormundschaft der Besatzung steht, daß auf wirtschaftlichem Gebiet unserer Initiative gewisse Schranken gesetzt sind und daß wir wegen dieser Schranken auch den Export nicht so vollziehen können, wie wir es wünschen möchten. Es ist von einem meiner Vorredner schon das Beispiel angeführt worden, das wir in allerjüngster Zeit im Ruhrgebiet erlebt haben, daß die Lieferung der ;n Auftrag gegebenen Eisenbahnschienen für China durch Einspruch der Hohen Kommissare von der Ruhrindustrie nicht ausgeführt werden konnte. Niemand wird leugnen, daß diese Unterbindung unserer Handelsmöglichkeiten nach Osten und nach den südosteuropäischen Ländern für uns ein Hemmnis bedeutet, das auch zur Zahl der Arbeitslosen beigetragen hat.
    Wir sind gewiß, um hier an Ausführungen anzuknüpfen, die Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard gemacht hat, davon überzeugt, daß die Liberalisierung des Handels Erfolg haben kann. Sie kann aber nur dann Erfolg haben, wenn wir in der weiteren Entwicklung zu einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft kommen, in der für jeden Raum, Freiheit und Arbeit ist und wodurch auch für Deutschland das Tor in die gesamte Welt geöffnet wird. Denn nur in dieser Entwicklung wird es möglich sein, der gesamten Welt das Arbeitsvolumen geben und dafür zu sorgen, daß der Weltmarkt in Wirklichkeit funktionsfähig wird.
    Die Länder Europas und Amerikas sollten, wenn sie uns Empfehlungen hinsichtlich der Beseitigung der deutschen Arbeitslosigkeit geben, doch daran denken, daß wir alle das gemeinsame Ziel haben müssen, diese Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Denn letzten Endes bedeutet die deutsche Arbeitslosigkeit auch eine Gefahr für jene europäischen Länder, die heute in der Vollbeschäftigung stehen und nicht das Problem der Arbeitslosigkeit so zu tragen haben.
    Aber wir wissen auch hinsichtlich der deutschen Situation, daß diese zwei Millionen arbeitslose Menschen — und wir können das nicht eindringlich genug hervorheben — schließlich ein Heer sind, das sowohl wirtschaftlich wie politisch auf die Dauer nicht getragen werden kann. Dieses Heer kann nicht nur nicht von der deutschen Wirtschaft getragen werden, sondern stellt in gleichem Maße eine Gefahr — es ist dies auch schon betont werden — für die deutsche Demokratie dar. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Zahl der Arbeitslosen die Fieberkurve unserer Politik ist. Sie können nicht wie in diktatorischen Ländern geheimgehalten werden, sondern sie stehen jederzeit und für jeden jeden Tag vor uns. Deshalb verfolgen diese Zahlen nicht nur die deutschen Menschen, nicht nur die davon Betroffenen, sondern mit der gleichen Sorge die uns umgebende Welt. So ist auch die Zahl der Arbeitlosen ein Prüfstein dafür, ob die deutsche Demokratie ihre Aufgabe meistert und damit wieder den Weg nach oben findet. Denn erster Grundsatz einer Demokratie und vor allen Dingen einer demokratischen Gemeinschaft ist das Recht auf Arbeit für jeden Menschen und die Sicherung des Arbeitsplatzes für jeden. Deshalb halten wir Ausführungen, wie sie zum Beispiel Herr Arbeitsminister Storch gemacht hat, daß 1,7 Millionen Arbeitslose nicht bedenklich sind, oder die des Herrn Wirtschaftsministers Erhard, daß auch die hohe Zahl der heutigen Arbeitslosen nicht dazu beitragen kann, irgend welche Änderungen in seiner wirtschaftlichen Konzeption herbeizuführen, für sehr bedenklich. Solche Äußerungen sind aber nicht charakteristisch für die Lage der Arbeitslosen, sondern sie sind charakteristisch für diese Regierung.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und links.)

    Denn, meine Damen und Herren, im Herbst vergangenen Jahres wurden wir ja auch von dieser Seite damit getröstet, daß trotz zunehmender Arbeitslosigkeit die Zahl der Beschäftigten noch weiter gestiegen sei. Diesen Trost kann man uns heute nicht mehr geben, weil die Zahl der Beschäftigten gegenwärtig um einige Hunderttauend geringer ist als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Das bedeutet eine erhebliche Minderung unserer Kaufkraft; das bedeutet einen beträchtlichen Ausfall in bezug auf wirtchaftliche Werteschaffung.
    Was meine politischen Freunde aber noch besonders bedenklich stimmt, ist die Tatsache, die unseres Erachtens von der Regierung nicht genügend gewürdigt wird und die auch in unseren heutigen Ausführungen mehr hätte durchklingen müssen, daß die gesamte deutsche Not zu einer ständigen Verschärfung der sozialen Spannungen in Deutschland geführt hat. Wir sehen nicht ein, warum die Situation der Vertriebenen, der Ausgebombten und der Kriegsbeschädigten zwangsläufig dazu führen muß, daß ein Teil des Volkes, und zwar ein sehr erheblicher Teil sehr wenig hat, aber eine gewisse hauchdünne Oberschicht im Überfluß leben kann. Hier liegt 'unzweifelhaft ein Fehler im System vor. Dieser Fehler hat nichts mit der heute hier vielfach erwähnten Politik der Besatzungsmächte zu tun. Das kommt ausschließlich auf das deutsche Konto und ist unzweifelhaft das Resultat derjenigen Politik, die wir im Zentrum als die Frankfurter Wirtschaftspolitik bezeichnet haben.
    Die liberale Renaissance, mit der wir von seiten des Herrn Wirtschaftsministers auch heute das Problem der Wirtschaft gezeigt bekommen haben, hat ja schon in Frankfurt begonnen. Sie steht aber in einem schreienden Gegensatz zu der Tatsache, daß wir heute in der Mitte des 20. Jahrhunderts leben. Jene wirtschaftlichen Prinzipien, die am Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ihre Berechtigung gehabt haben, sind doch längst überholt und auch schon in den Vereinigten Staaten weit-


    (Frau Wessel)

    gehend durch eine gelenkte Kapitalwirtschaft ersetzt worden.

    (Sehr richtig! links und im Zentrum.)

    Sie sind doch völlig unvereinbar mit den größten aller wirtschaftlichen Aufbaupläne, vor denen Sie heute in der Geschichte des deutschen Volkes stehen. Und während für Westeuropa — halten Sie sich doch einmal den Marshallplan in dieser Hinsicht vor Augen — das Prinzip der Planung durch die Amerikaner doch selbst zur Grundlage des Wiederaufbaus Europas gemacht worden ist, glaubt man ausgerechnet das verarmte und weitgehend zerstörte Deutschland aus diesem System für sich selbst herauslösen zu können.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

    Die Folge davon ist — das müssen wir einmal in aller Deutlichkeit sehen —, daß das kapitalistische Gewinnstreben, das im Anfang der Industrialisierung die Impulse für einen echten Fortschritt enthielt, heute sich aber an den nicht von privater Seite aufgebrachten Mitteln zu bereichern versucht.
    Meine Damen und Herren! Wir sprechen in diesem Hause soviel von einer freien Wirtschaft. Ich glaube, man könnte auch den Ausdruck Freibeuterwirtschaft gebrauchen.

    (Beifall beim Zentrum und der SPD.)

    Es ist nämlich nicht richtig, immer in erster Linie den einzelnen Schuldigen anzuprangern und nicht ganz klar herauszustellen, daß die Chance für die Bereicherung einiger Kapitalisten durch das Versagen der wirtschaftspolitischen Führung entsteht. Man kann doch niemandem einen Vorwurf daraus machen, daß er den im eigenen Betrieb erzielten Gewinn wieder im eigenen Betrieb investiert, ganz gleichgültig, ob er dort sinnvoll angelegt wird. Das ist die unsere Volkswirtschaft schädigende Fehlinvestition. Das würde aber nicht geschehen, wenn wir eine andere, dem Zinsfuß angemessene Geldwirtschaft betreiben würden. Wenn man also der Überzeugung ist — und diese Überzeugung ist zweifellos berechtigt —, daß wir heute nicht in der Lage sind, den Zinsfuß entsprechend zu erhöhen, weil sonst das Geld für wirtschaftliche und für wertvolle Investitionen zu teuer würde, so gibt es keine andere Möglichkeit als die Lenkung des Kapitalstroms von oben.
    Wir müssen also zu unserem Bedauern feststellen — und hier muß ich mich leider Ausführungen anschließen, die auch von Vorrednern schon gemacht worden sind —, daß doch die Bundesregierung vom September bis heute manche Gelegenheit hat verstreichen lassen, ohne die finanzpolitische Kapitalfrage energisch anzupacken.

    (Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Daß man sich, wie uns gesagt worden ist, in einer der ersten Kabinettsitzungen mit der Frage der Arbeitslosigkeit beschäftigt hat, kann uns in dieser Hinsicht keineswegs genügen. Ich darf auch einmal darauf hinweisen, daß durch den Wissenschaftlichen Beirat für Wirtschaft die Kreditfrage als eine der eminent wichtigsten unserer wirtschaftspolitischen Aufgabe bezeichnet worden ist. Wir wissen auch nicht, warum Vorschläge wie die von Professor Rittershaus, die dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bekannt sein sollten und die doch greifbare und durchaus beachtenswerte Vorschläge
    darstellen, bis heute in keiner Weise realisiert worden sind. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß in diesen Überlegungen bestimmte Einflüsse maßgebend gewesen sind, die die Regierung von diesen planvollen Maßnahmen abgehalten haben. Wir können — und das muß ich in diesem Zusammenhang sagen — der Regierung und insbesondere dem Herrn Wirtschaftsminister Erhard den Vorwurf nicht ersparen, daß man nicht Ernst macht gegenüber den Interessenvertretern und einer Monopolwirtschaft, die in allen Zweigen unserer Wirtschaft heute betrieben wird. In den bisherigen Maßnahmen, auch in den sieben Punkten, die uns heute vorgelegt worden sind, können wir keine genügende und weitschauende Wirtschaftsplanung als Grundlage für eine echte Kapitalbildung sehen, die doch schließlich das A und O der Ankurbelung unserer Wirtschaft sein muß. Nur sie kann letzten Endes zur Verminderung unserer Arbeitslosigkeit führen.
    Wenn heute hier vielfach von einer Änderung oder von einem Strukturwandel in unserem Gemeinschaftsleben gesprochen worden ist, so wollen wir das gewiß nicht leugnen. Aber die Überlegungen darüber müssen doch von einer anderen Art sein. Was von meinem Kollegen Loritz gesagt worden ist, ist nicht so abwegig: daß wir vor allen Dingen eine Steuerpolitik betreiben müssen, die auf der einen Seite Kaufkraft schafft und auf der anderen Seite die Sparmöglichkeit und damit die Kapitalbildung fördert. Dazu gehört nun doch einmal der Abbau kostspieliger unproduktiver Ausgaben durch die öffentliche Hand. Solange wir nicht größte Sparsamkeit in allen Haushalten, sei es der des Bundes, seien es die der Länder und die der Gemeinden, durchführen, verhindern wir auf diese Weise eine echte Kapitalbildung. Wir sind auch der Meinung, daß die Bundesregierung, die doch wie wir der Auffassung sein müßte, daß die sozialen und wirtschaftlichen Probleme vor allen anderen Fragen in unserer Politik den Vorrang besitzen, noch nicht hinreichend erkannt hat, welche Bedeutung ihr wirtschaftliches Versagen für unsere Bewertung im Auslande hat. Die starke Betonung der Notwendigkeit ausländischer Kredithilfe durch den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Vizekanzler wird nur dann von Erfolg sein können, wenn das Ausland das entsprechende Vertrauen zu Deutschland hat. Wer Kredit gibt, setzt Vertrauen voraus, und eine solide Innenpolitik in Deutschland gibt erst das Vertrauen und die Basis für die ausländischen Kreditgeber. Wenn der „Rheinische Merkur" schreibt, daß das nationalistische Gezeter unsere Position im Ausland erheblich verschlechtert hat, so unterstreichen wir das hundertprozentig; nur richtet der Artikelschreiber seine Mahnung unseres Erachtens an eine falsche Adresse. Es scheint uns nämlich sehr notwendig zu sein, diese Mahnung einzelnen Kabinettsmitgliedern ins Stammbuch zu schreiben,

    (Beifall beim Zentrum und bei der SPD)

    statt sie an die Oppositionsparteien zu richten, die sich in diesem Hause — das dürfen wir wohl sagen — in außenpolitischen Fragen häufig größerer Mäßigung befleißigt haben als manche von den Regierungsparteien.

    (Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang möchten wir, nachdem uns von seiten der Regierung jetzt seit Monaten Auslandskredite


    (Frau Wessel)

    in Aussicht gestellt worden sind, auch die Frage aufwerfen, welchen realen Hintergrund denn diese Äußerungen haben. Nach der Stuttgarter Rede von McCloy sind wir etwas bedenklich geworden. Wir verzichten darauf, im einzelnen auf die ins Auge springenden Fehlinvestierungen einzugehen; denn sie sind heute hier genügend erwähnt worden. Wir machen aber doch noch einmal darauf aufmerksam, daß sie zum größten Nachteil für die deutsche Kreditwürdigkeit im Ausland gewesen sind. Wir können keineswegs an dieser Tatsache vorbeigehen. Man möge sich auch hier bitte nicht an die Adresse der Opposition wenden und ihr immer vorwerfen, sie habe das ausländische Interesse nicht genügend im Auge, wenn auf der andern Seite nicht ganz klar gesehen wird, warum die Kreditwürdigkeit im Ausland in den vergangenen Monaten nicht so gefördert worden ist, wie wir es alle gewünscht haben. Ich glaube, wir vom Zentrum können nicht in den Verdacht kommen, daß wir in diesen Fragen aus einem gewissen Agitationsbedürfnis handeln, und wir lehnen es auch ab, uns in einer negativen Politik zu erschöpfen. Wir halten es aber für ebenso töricht, wenn die Diskussion so geführt wird, daß man Kritik an der Regierung von vornherein als eine mindernationale Angelegenheit betrachtet.

    (Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD.)

    Im übrigen scheint es mir auch notwendig zu sein, zu betonen, daß auch in der neuen und jungen deutschen Demokratie die Regierung endlich mit offenen und ehrlichen Worten zu den Leistungen aufgerufen werden muß, die sie zu vollbringen hat, um den Weg des Aufstiegs zu erschließen. Die Zeit optimistischer Prognosen und einer Bagatellisierung der Schwierigkeiten, wie wir sie auch heute wieder erlebt haben. sollte endgültig vorbei sein.

    (Sehr richtig! links.)

    Die Zeit, die Deutschland noch bis zur Beendigung des Marshallplanes zur Verfügung steht, ist kurz bemessen. Wir warnen davor, durch optimistische Prognosen dem deutschen Volke nicht den Ernst der Situation zu zeigen. Gerade die jüngsten Ausführungen von McCloy in Stuttgart sollten uns vor einem späteren rauhen Erwachen bewahren, das vielleicht in wirtschaftlichen und politischen Katastrophen enden könnte. Weder ein Bundesarbeitsminister noch ein Bundeswirtschaftsminister sollten es sich künftig noch einmal gestatten, Dinge, die vielleicht nicht in ihr Konzept passen, zunächst einmal einfach zu leugnen. Sonst kann es leicht geschehen, daß wir die Krisis, die wir heute vor uns sehen, nicht mehr zu meistern vermögen.

    (Sehr gut! beim Zentrum und bei der SPD.)

    Es ist auch nicht richtig, wenn man Realismus in der Weise betreibt, wie es heute in manchen Ausführungen durchklang, daß jetzt die Vernunft in erster Linie den sozial Bedrängten gepredigt wird. Wir sind davon überzeugt, daß man Vernunft zunächst von denen erwarten muß. die heute keinen Anlaß zur Verzweiflung haben.

    (Zustimmung links und im Zentrum.)

    Wir sagen das, indem wir an den deutschen Unternehmer denken, der endlich aufhören muß, sein soziales Gewissen mit dem Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft zu betäuben. Wir können es uns vorstellen - und in der Weise sind wir nüchtern genug —, daß es auch Kreise in Deutschland gibt, denen die heutige Situation des
    Volkes nicht ganz unsympathisch ist, weil sich auch aus -dieser Situation politisches Kapital schlagen läßt und man die Demokratie in Deutschland mit Arbeitslosenzahlen zu betäuben versucht. Auch eine Demokratie kann große wirtschaftliche Leistungen vollbringen. Sie muß nur das Vertrauen zu sich haben, und sie muß dafür sorgen, daß die entscheidenden Einflüsse im Wirtschaftsleben nicht von antidemokratischen Kräften ausgehen. Sie muß vor allem wieder Vertrauen im Volke haben.
    Übersehen wir doch nicht, daß der Wille zum Sparen wesentlich gemindert worden ist durch die zweimalige Abschöpfung der Ersparnisse jahrelanger Arbeit. Leider ist es doch heute auch so, daß die Kapitalbildung zur Sicherung des eigenen Lebensabends für die meisten Menschen in Deutschland an der letzten Stelle rangiert, weil ihr Einkommen eben so gering ist, daß es nur zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse ausreicht. Aber soll wirklich von denen gespart werden, die es noch können, dann ist die erste Voraussetzung, daß man im Volke Vertrauen zur Regierung und zur Demokratie hat.
    Mit dem Verlust der Ersparnissse und der Minderung der Sicherung des Lebensalters steht — lassen Sie mich das auch noch erwähnen — die hier schon erwähnte Tatsache in einem ursächlichen Zusammenhang, daß die Jugendlichen nicht mehr genügend Lehrstellen finden können, weil es den älteren, die unter normalen Verhältnissen reif wären, ihren Lebensabend als Pensionäre zu vollbringen, dieses nicht möglich ist, weil sie vielfach noch bis an das Ende ihres Lebens im Arbeitsprozeß stehen müssen. Wenn soviel Not, wie sie gezeigt worden ist, in unserer Jugend vorhanden ist, dann wollen wir uns ebenso der Gefahr bewußt sein, wohin eine solche Not unsere Jugend treiben kann. Sie sind die besten Objekte — vergessen wir es nicht! — für jene nationalistischen Hasardeure, die ja nur darauf warten, diese Demokratie wieder zu begraben. Nach zuverlässigen Schätzungen beträgt die Zahl unserer Jugendlichen, die arbeitslos sind, mehr als 600 000, und es ist zu befürchten, daß ihre Zahl sich nach Ostern noch wesentlich erhöhen wird. Bedenken wir nur, welche furchtbaren Möglichkeiten in der Tatsache dieser Berufslosigkeit liegen, in der Aussichtslosigkeit für die Zukunft, und verstehen wir, wieso mancher junge Mensch dem Sartreschen Nihilismus zu verfallen droht.
    Wir müssen auch daran denken, daß unter den 2 Millionen arbeitslosen Menschen eine erhebliche Zahl von Frauen sind, und daß bei den Frauen das niederdrückende Bewußtsein des Überflüssigseins, des Beiseitegeschobenwerdens, der Unfähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können, noch mehr als beim Mann zu einem seelischen Problem wird. Wir sollten uns davor hüten, die Frage der Arbeitslosigkeit nur im. Rahmen der materiellen Zahl von 2 Millionen zu sehen. Wir sollten vielmehr ebensosehr daran denken, daß es bei dieser Frage um ein tief menschliches Problem geht. Das alles schafft gefährliche Spannungen, die wir nicht übersehen dürfen!
    Noch hat die Kurve der Arbeitslosigkeit nicht die lebensbedrohenden Formen angenommen wie vor zwanzig Jahren, aber vergessen wir nie, meine Damen und Herren, daß der Zusammenbruch der Weimarer Republik und der Aufstieg von Adolf Hitler mit auf die Verzweiflung von fast 7 Millionen arbeitsloser Menschen und ihrer


    (Frau Wessel)

    Familienangehörigen zurückzuführen ist. Wir hören heute genau wieder wie vor zwanzig Jahren — wenn es in diesem Zusammenhang nicht abgeschmackt klingen würde, könnte man fast sagen, genau wie im Mai — die alten Parolen: Es muß wieder zu einer Änderung des Systems kommen, nur mit dem System sind diese Dinge zu ändern.
    Wir danken — und damit komme ich zum Schluß — dem Herrn Bundeskanzler für die Feststellung, daß das Kabinett geschlossen hinter der Politik des Herrn Wirtschaftsministers Erhard steht und die gesamte Regierungskoalition die Verantwortung dafür trägt. Ich möchte diese Feststellung des Herrn Bundeskanzlers besonders hervorheben; denn wir haben manchmal den Eindruck — nicht zuletzt gestern bei der Debatte über die Eigentumsverhältnisse im Bergbau --, daß es der bekannten Geschicklichkeit des Herrn Bundeskanzlers obliegen wird, dafür zu sorgen, daß die schmale Fahrspur seines Regierungsschiffes nicht zu Belastungen führt, die ihn dazu zwingen, Ballast abzuwerfen oder den Fahrkurs noch weiter durch eine Rechtsschwenkung zu verändern.

    (Sehr gut! links und beim Zentrum.)

    Wir halten auch jene Erklärung des Herrn Wirtschaftsministers Erhard fest, daß das Wahlergebnis vom 14. August ein Bekenntnis zu seiner Wirtschaftspolitik sei. Wer im Wahlkampf gestanden hat, meine Damen und Herren, weiß es freilich anders.

    (Sehr richtig! beim Zentrum und links.)

    Aber ich möchte glauben, daß es wertvoll ist, auch solche Äußerungen einmal für spätere Entwicklungen und Debatten festzuhalten.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und links.)

    Noch ein letztes lassen Sie mich ausführen. Es ist die Aufgabe des echten und verantwortungsbewußten Politikers, nicht nur vorauszuschauen, sondern auch aus der Vergangenheit zu lernen.

    (Ironische Zurufe rechts: Sehr richtig!)

    Der Bundeskanzler steht gewiß nicht in der Gefahr, die Zügel seiner Regierung nicht in der Hand zu haben. Das gleiche behauptete man allerdings auch in den dreißiger Jahren von dem damaligen Reichskanzler Brüning, und doch erlebten wir die Bankenkrise, und das Versagen der Wirtschaft hat uns schon einmal ins Unglück gestürzt. Meine Damen und Herren! Auch die Demokratie erträgt keine grauen Exzellenzen, noch weniger als die Wilhelminische Zeit.

    (Sehr gut! im Zentrum und bei der SPD.)

    Wir befürchten — und ich stehe nicht an, auch das hier zu sagen —, daß damalige Berater des Herrn Brüning auch heute wieder nicht entscheidend in der Verantwortung gegenüber dem Parlament, sondern in höchst privater Weise die deutschen Banken und die deutsche Wirtschaft beeinflussen.

    (Händeklatschen beim Zentrum, bei der WAV und bei der SPD.)

    Wir halten um der Sauberkeit der Demokratie willen solche Schattenkabinette für bedenklich. Wir wollen nämlich, daß diese deutsche Demokratie in voller Verantwortung dem Parlament gegenüber aufgebaut und durchgeführt wird.

    (Abg. Dr. Kather: Das ist ja lächerlich!) — Nein, das ist nicht lächerlich!