Es möchte nachdenklich stimmen, daß just an diesem Tage unabhängig voneinander zwei Fraktionen aus ihrer Sorge um die weitere Entwicklung Anlaß zu haben glaubten, in das Horn zu stoßen.
Meine Fraktion hat an die Bundesregierung die Frage gerichtet, was sie zu tun gedenke, um der Not so großer Massen armer arbeitswilliger, aber arbeitsloser Menschen abzuhelfen, einer weiteren Verschlechterung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage unverzüglich und wirksam entgegenzutreten und die alsbaldige Wiedereingliederung eines größtmöglichen Teiles der freigesetzten Menschen in Beruf und Arbeit herbeizuführen; was sie insbesondere zu unternehmen gedenke, um der in den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein aufgetretenen Zuspitzung der Lage abzuhelfen.
Wir haben heute die Antwort der Bundesregierung auf unsere Fragen erhalten. Wir hatten nichts dagegen, daß die Regierung die durch die achttägige Verschiebung gewonnene Zeit zu dem
Versuch benutzen konnte, den Antragstellern und Anfragern den Wind aus den Segeln zu nehmen und einen Weg aus der beunruhigenden Lage zu finden und zu weisen. Denn es kommt uns allein auf die Beseitigung der unheilvollen Zustände an. Aber die in sieben Punkten rasch zusammengerafften Vorschläge der Bundesregierung sind jedoch in keiner Weise geeignet, unsere Besorgnisse zu zerstreuen. Schon der Ausgangspunkt, daß das Arbeitslosenproblem ein Problem der Vorfinanzierung sei, erfüllt uns mit Argwohn und mit Bedenken. Denn wir können uns nicht denken, daß eine so schwere, nicht jahreszeitliche, sondern konjunkturelle und strukturelle Verschlechterung eines großen Volks- und Staatskörpers allein in einer fehlenden oder mangelhaften Vorfinanzierung ihre Ursache hat.
Auch wir sind der Auffassung, daß ein so ernstes Problem aus dem leidenschaftlichen Tumult der Parteipolitik heraus in die besonnene Ruhe einer objektiven, vorwiegend wirtschaftlichen Betrachtung gehört, obschon selbstverständlich dem gewaltigen sozialen Problem, das sich in einem unnatürlich hohen Maß menschlichen Leidens und wirtschaftlicher Vergeudung äußert. auch eine Fülle politischer Elemente innewohnt. Aber es hieße den Ausgangspunkt der Untersuchung verlagern und den bedeutenden Gegenstand von vornherein in den Strudel der Parteipolitik schleudern, wenn den von ernster Sorge erfüllten Antragstellern und Interpellanten unverantwortliche Agitation zum Vorwurf gemacht werden wollte. So kommen wir nicht weiter. Es geht auch nicht an, die von den Arbeitsämtern veröffentlichten Zahlen über Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit als unechte Statistiken verketzern zu wollen: denn schließlich sind die immer länger werdenden Schlangen, die sich vor den Arbeitsämtern stauen, nicht die Komparserie irgendeiner Filmaufnahme, sondern leider eine höchst unerfreuliche Wirklichkeit. Eine derartige Methode liefert auch keinen brauchbaren Fallschirm, wenn man durch eine Stuttgarter Rede - die Stuttgarter Reden haben es seit 1946 in sich — aus allen Himmeln gestürzt worden ist.
Man kann Verständnis für den Wunsch haben, gelegentlich immer wieder auf die seit der Währungsreform eingetretenen Wandlungen, auf die üppig beschickten Schaufenster und dergleichen hinzuweisen, um darzutun, wie richtig es war, das marktwirtschaftliche Prinzip zu verwirklichen und der Initiative des freien Unternehmers eine Gasse zu öffnen. Die vollbrachten Leistungen sollen nicht übersehen werden; aber sie sind nicht ausschließlich durch die Freisetzung der Unternehmerinitiative und durch die Anwendung der marktwirtschaftlichen Gesetze und Kräfte getragen worden. Und schließlich: tiefer als im Juni 1948 ging es nicht mehr. Auch eine Hölle hat ihre Grenzen. und einmal erschöpft sich jedes Unglück, jede Not, jede Schwierigkeit, und es beginnt die Gegenbewegung. Die menschliche Existenz bewegt sich ja in den Angeln der Polarität.
Man verwies auf die Produktionssteigerung von 40 Prozent - etwas unbedachterweise, weil mit einem solchen Hinweis ja sofort gegensätzliche Interessen und Kräfte auf den Plan gerufen wurden, die mit dem Finger darauf deuteten, wie man sichtlich das geschlagene Deutschland bevorzuge — sowie auf die Zunahme der Beschäftigtenzahlen und machte nach dem Osten hin die Fortschritte der westlichen Wirtschaft klar. Tat-
sächlich folgt die westdeutsche Wirtschaft erst in weitem Abstande hinter der reorganisierten Wirtschaft Westeuropas. So sind es in England, das zwischen den beiden Weltkriegen ständig zwei Millionen Arbeitslose hatte, seit 1945 durchschnittlich nur noch 300 000.
Es war ein etwas — erlauben Sie mir diesen Ausdruck — penetranter, allerdings nicht nur von deutscher Seite zur Schau getragener Zweckoptimismus. Er ging so weit, daß der Herr Bundesarbeitsminister noch zu einer Zeit, da bereits alle Warnungszeichen sichtbar geworden waren, erklären konnte, die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei nicht beunruhigend. Inzwischen hat auch er sein Damaskus gefunden und die Erkenntnis gewonnen, daß das Arbeitslosenproblem das Problem Nummer 1 ist. In der Tat zeigt die Lage der westdeutschen Wirtschaft unverkennbar hektische Züge. Es ist kein Silberstreifen weit und breit zu sehen. Der Aspekt ist düster und unheilvoll, die jüngste Entwicklung besorgniserregend. Hier kann von einer „schöpferischen Pause", wie jemand an verantwortlicher Stelle vor wenigen Tagen geäußert hat, nicht die Rede sein. Wie sollte es auch anders sein, wenn die Grundlagen der deutschen Wirtschaft durch Niederlage und Kriegsfolgen weitgehend zerstört, die Freiheit einer eigenen Wirtschaftspolitik durch das alliierte Währungsgesetz und andere Militärgesetze sowie die ständig zwischen Orangen und Rute wechselnde Handhabung eines Besatzungsstatuts aufgehoben ist?
Meine Damen und Herren! Aus dem Sack, den der Herr amerikanische Hohe Kommissar in Stuttgart öffnete, kam weder ein Tischlein deck dich noch ein Esel streck dich, sondern eben nur ein Knüppel. Wenn dann noch entscheidende Fehler deutscher Faktoren in der konjunkturellen und strukturellen Behandlung der Aufgabe hinzukommen — ich spreche hier nicht von den jahreszeitlichen, sondern ausschließlich von den konjunkturellen und strukturellen Erscheinungen und Ursachen der Arbeitslosigkeit —, dann darf man sich nicht wundern.
Inzwischen begann ein nicht gerade fröhlicher, aber aufschlußreicher Krieg, ein Sängerwettstreit, hätte ich fast gesagt, der verschiedenen Seiten, die sich gegenseitig die Schuld an der entstandenen Lage zuschieben. Wir wollen uns an diesem Sängerwettstreit nicht beteiligen, sind aber der Meinung, daß der Versuch, eine deutsche Alleinschuld, das heißt eine Alleinschuld der deutschen Wirtschaftspolitik, auch in diesem Falle zu konstruieren, nicht gerechtfertigt ist. Der Jahresbericht der Wirtschaftskommission der UN auf das Jahr 1948 hat unter anderem folgende Feststellungen getroffen. Er sagte, im allgemeinen habe sich offensichtlich der intereuropäische Handel ohne wesentliche deutsche Beteiligung wieder erholt und sich im großen und ganzen von der Rolle freigemacht, die Deutschland früher spielte. Hier sind also Verlagerungen, strukturelle Veränderungen sichtbar, die nicht von uns veranlaßt sind.
Weiterhin ist bezeichnend für unsere Situation die höchst ungünstige, bedenkliche Entwicklung der westdeutschen Handels- und Zahlungsbilanz. Noch immer beträgt die westdeutsche Einfuhr das Doppelte der Ausfuhr. Im Dezember-Bericht der Bank deutscher Länder Seite 31 ist zur Kennzeichnung der Lage der deutschen Zahlungs- und Handelsbilanz folgendes gesagt:
Im Zuge dieser Entwicklung hat sich die
Zahlungsposition der Bundesrepublik gegenüber der Gesamtheit der übrigen Marshallplanstaaten vorläufig erheblich geändert. Die relativ hohen Guthaben, die Westdeutschland noch Ende September in diesen Ländern einschließlich des Pfundblocks besaß, sind im letzten Vierteljahr 1949 um fast 90 v. H. gesunken. Gegenüber einzelnen Ländern, denen nach dem intereuropäischen Zahlungs-und Kompensationsabkommen in Deutschland Ziehungsrechte zustehen, hat sich die Zahlungsbilanz gerade entgegengesetzt der Vorschätzung entwickelt, das heißt an Stelle der erwarteten Schuldsalden dieser Länder gegenüber Westdeutschland sind zum Teil beträchtliche Guthabensalden. getreten.
Und auf Seite 38 führt die. gleiche Bank deutscher Länder aus:
Es zeigt sich, wie sehr sich Westdeutschland im Interesse einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den übrigen europäischen Marshallplanländern durch seine Liberalisierungsmaßnahmen exponiert hat und daß es seine Einfuhr aus diesen Ländern ohne ernste Gefahren für seine Devisenlage nicht beliebig weiter wachsen lassen kann.
Das sind sehr ernste und zum Nachdenken Anlaß gebende Feststellungen.
Zur Illustration dieser Beurteilung ist es nicht uninteressant, sich an eine Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 30. Januar an die Presse zum Abschluß des deutsch-französischen Handelsvertrages zu erinnern. Dort steht:
Es sei im, allgemeinen noch nicht zu überblicken, welche Auswirkungen dieser Handelsvertrag haben werde; aber immerhin lasse sich voraussehen, daß sich die französischen Ausfuhren nach Westdeutschland schneller entwickeln werden als die deutschen nach Frankreich.
Sie sehen, auch hier eine Entwicklung, die unseren Interessen entgegensteht.
Die Zusammensetzung der Ein- und Ausfuhr mit der Bevorzugung der Rohstoffe für die Ausfuhr und der Fertigfabrikate für die Einfuhr ist höchst bedenklich. Die Liberalisierung des Außenhandels hielt sich nicht in maßvollen und besonnenen, auf die Bedürfnisse und Verhältnisse der eigenen Wirtschaft, der Landwirtschaft und der mit Ernährungs- und Genußgütern zusammenhängenden Industrien Rücksicht nehmenden Grenzen. Sie war ein Exzeß im Ausmaß. Sie ist im Begriff, nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die genannten Industrien und die Existenz der darin beschäftigten Arbeiter zu ruinieren. Die Folgen treffen besonders schwer die Länder des Bundes, in denen die Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen Veredlungsindustrien eine überwiegende Bedeutung besitzen, nämlich Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Das in einer Zeit, in der die britische Regierung ankündigt, die inländische Lebensmittelerzeugung Englands bis zum Jahre 1952 um 50 Prozent steigern zu wollen. Weiß man in Westdeutschland nicht mehr, daß letzthin immer noch die Landwirtschaft die Grundlage und das Rückgrat jedes Staates und jeder Wirtschaft bildet, und daß politische Bewegungen und weittragende Entwicklungen nicht selten von den Elendszuständen einer mißhandelten Landwirtschaft ausgegangen sind? Eine solche Einfuhrpolitik bringt die Landwirt-
schaft in eine ganz und gar unhaltbare Lage und um die Rolle, die sie in depressiven Zeiten als Rückhalt der Gesamtwirtschaft spielen kann und soll. Lange Zeit bestand überdies ein beträchtliches Mißverhältnis, eine Preisschere zwischen Preisen und Löhnen, zwischen den Erträgen und Ergebnissen der Landwirtschaft und den Aufwendungen, die sie für die Aufrechterhaltung ihrer Betriebe machen mußte.
Aber wichtig und wesentlich ist vor allem die falsche Geld- und Kapitalpolitik, und hiermit kommen wir zu einem entscheidenden, heute noch viel zu wenig behandelten Grund der derzeitigen Lage. Ich will nicht, obwohl es verlockend sein könnte, noch darauf eingehen, daß auch die wesentlichen Zuwendungen, die nach Berlin gemacht werden mußten, zweifelsohne konjunkturbremsend im Westen gewirkt haben. Die Behauptung, daß ja ein Teil dieser Gelder wieder nach dem Westen zurückfließe, ist nicht bewiesen. Neuerdings wird das Gegenteil erklärt, und wenn ich nicht irre, war es auch der Herr Bundesfinanzminister, der gesagt hat, daß in zunehmendem Maße Lieferungen aus Berlin nach dem Westen erfolgten. Ich glaube, er sagte das, um klarzustellen, daß die Erholung der Berliner Wirtschaft Fortschritte mache.
Der steile Anstieg der Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 wurde durch eine jähe Stagnation unterbrochen. Sie wurde durch ausgesprochen deflatorische Maßnahmen des Zentralbanksystems ausgelöst, durch Erhöhung der Zinssätze, Einschränkung der Kredite und Erhöhung der Mindesteinlagen der Geschäftsbanken bei den Reservebanken. Sie entstanden aus allzu einseitigen Erwägungen der Geldwerterhaltung, einer an sich berechtigten, in ihren Ausmaßen aber übertriebenen Sorge wegen überspitzter Preissteigerungen, aus dem Bestreben, die D-Mark möglichst rasch zu einer harten, weltgängigen Währung zu machen, und der Unterlassung, die in Gang gesetzte Stagnation nachher wenigstens mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es entstand nahezu schlagartig eine nicht nur technisch, sondern vor allem auch psychologisch deflatorische Lage, die eine Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und eine beträchtliche Zunahme der Geldhortung in der Bevölkerung zur Folge hatte. Das konfiskatorische Steuersystem wurde beibehalten, der Sparwille gehemmt und in den Haushalten der öffentlichen Hand hohe Überschüsse angesammelt. Sie wurden zunächst in der Hauptsache bei den Zentralbanken geführt, blieben dort thesauriert, also wirtschaftlich praktisch sterilisiert. Es war eine weitgehende Bürokratisierung der Geld-und Kapitalströme, welche die Herausziehung dieser Ströme aus der Wirtschaft bedeutete. Nicht einmal zur Vorfinanzierung von Investitionen wurden sie verwandt. Die Hinterlegungen bei den Landeszentralbanken wirken währungspolitisch wie eine Stillegung von Geld oder Kapital und liquiditätshemmend auf die Geschäftsbanken. Erst um die Mitte des vergangenen Jahres wurden diese Sterilisierungen öffentlicher Gelder durch Bereitstellung umfangreicher Mittel aus den öffentlichen Haushalten etwas gelockert; aber ihr Einsatz zu Investitionen kam nur langsam in Gang, weil keine ausführungsreifen Projekte vorhanden waren, teils auch aus bürokratischen und organisatorischen Hemmungen, welche wieder einmal in schmerzhafter Weise demonstrierten, wie un-
zweckmäßig und schädlich es ist, einen erheblichen Teil der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung durch konfiskatorische Steuersätze bei der öffentlichen Hand zu konzentrieren.
Auch die zu lange dauernde Blockierung der Einfuhrgegenwerte stützte und verstärkte die deflatorische Entwicklung. Im Jahre 1949 wurden nur 470 Millionen freigegeben. Erst im Dezember wurden Finanzierungsanträge in Höhe von 1,036 Milliarden D-Mark von der ECA grundsätzlich genehmigt und hierauf in der ersten Januarhälfte zunächst 543 Millionen für die Westrepublik und 57 Millionen für Berlin freigegeben. Gleichzeitig fand ein starker Abstrom von Geld aus dem Zentralbanksystem statt, ein Abstrom der Hinterlegungen der öffentlichen Hand, also ein Einstrom in die Wirtschaft, und dennoch nahm die Arbeitslosigkeit zu. Sie werden sehen, wie wichtig die psychologischen Faktoren in der Wirtschaft sind. Sowohl die Konzentrierung der öffentlichen Gelder beim Zentralbanksystem als auch die Blockierung der Einfuhrgegenwerte bedeutete eine Stillegung großer Geld- und Kapitalströme.
Hinzu kam ein erfolgloses Experiment der Landeszentralbanken. Um die übermäßigen Anträge auf Einfuhrgenehmigungen zu reduzieren, vor allem um sogenannte Konzertzeichnungen zu unterbinden, daß heißt Anträge eines Vielfachen zu dem Zweck, nur wenigstens das, was man wollte, zu bekommen, haben die Landeszentralbanken, bei denen ja die ganzen mit dem Außenhandel zusammenhängenden Zahlungsvorgänge konzentriert sind, die Vorschrift erlassen, daß der Gegenwert — und zwar der volle Gegenwert der beantragten Devisen — als Bardepot hinterlegt werden muß. Auf diese Weise wurde am 23. November vorigen Jahres nicht weniger als eine volle Milliarde aus der Wirtschaft herausgezogen und bei den Landeszentralbanken stillgelegt. Inzwischen sind diese großen sterilisierten Beträge wieder freigegeben worden, weil die Landeszentralbanken erkennen mußten, daß auf diese Weise den Konzertanträgen, also der Häufung von Antragssummen, nicht begegnet werden kann; und auch hier blieb die Freigabe dieser zuerst aus der Wirtschaft herausgezogenen einen Milliarde — Ende Dezember 1949 waren von dieser einen Milliarde nur noch 22 Millionen bei den Landeszentralbanken vorhanden — ohne Wirkung auf die Wirtschaft; die Arbeitslosigkeit stieg weiter. Die rückläufige Konjunktur hat trotz der an die Abwertung der D-Mark geknüpften Hoffnungen angehalten.
Die Entwicklung wäre noch ungünstiger verlaufen, und die Kurve der Arbeitslosigkeit hätte sich noch steiler entwickelt, wenn nicht zeitweise die Landeszentralbanken mit dem Ankauf von Ausgleichsforderungen der Geschäftsbanken zur Ermöglichung von Vorfinanzierungen und die Geschäftsbanken mit Krediten, zum Teil ebenfalls für Vorfinanzierungen, eingesprungen wären. Es ist interessant, sich die Höhe dieser kurzfristigen Kredite vor Augen zu halten. 3,4 Milliarden gewährten allein die 112 wöchentlich — nicht monatlich — berichtenden Geschäftsbanken. Im ganzen hatten sämtliche Geschäftsbanken 9 Milliarden kurzfristiger Gelder ausgeliehen, genau so viel, wie seinerzeit im Jahre 1930/31 an kurzfristigen ausländischen Guthaben in Deutschland vorhanden waren, deren Rückruf von einem Tag auf den andern bekanntlich zu dem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft, aber auch der Ver-
schärfung der Lage der Weltwirtschaft beigetragen hat. Von jenen 3,4 Milliarden des Jahres 1949, die bei. den 112 Geschäftsbanken ausgeliehen wurden, entfiel im zweiten Halbjahr doppelt so viel wie im ersten. Und welch erstaunliche Erscheinung wiederum: trotz dieser vermehrten Ausgabe von Krediten ein weiteres Abflauen der Konjunktur!
Die bis heute andauernde einseitige Begünstigung einer Verbrauchsgüterkonjunktur - damit kommen wir zu einem weiteren sehr wesentlichen Grund unserer heutigen wirtschaftlichen Lage zu Lasten einer Investierungspolitik, welche allein eine Produktionsgüter-Konjunktur herbeiführen und stützen kann, oder, wie man es auch ausdrücken kann, die ständige Umwandlung von Produzentengeld in Konsumentengeld ist eine weitere Ursache unserer heutigen Situation. Während in den Verbrauchsgüterzweigen immer noch günstige Ergebnisse anfallen, die auch Selbstfinanzierungsmaßnahmen beträchtlichen Ausmaßes ermöglichen, besteht in weiten Kreisen der Produktionsgüterindustrien mit Ausnahme des Fahrzeugbaues und der Elektroindustrie infolge mangelnder Ausnutzung der Kapazitäten eine ausgesprochen depressive, kaum noch die Kostendeckung ermöglichende Lage. Eine Verbrauchskonjunktur auf Kreditbasis darf nicht weiter bestehen oder fortgeführt werden. Die Grundlagen der bisherigen Verbrauchsbelebung sind zweifellos sehr labil, vor allem solange die in Aussicht gestellte Ermäßigung der Einkommen- und Lohnsteuersätze nicht in Kraft getreten ist. Wichtige Wirtschaftszweige rechnen denn auch für die ersten Monate des neuen Jahres mit einem vielfach über den saisonmäßigen Rückgang hinausgehenden Abschwung auch der Verbrauchsgüterkonjunktur. Das zeigen die meisten, recht knappen Lagerdispositionen und zum Beispiel auch die Tatsache, daß die Schuhindustrie in den letzten Wochen des vergangenen Jahres zur Kurzarbeit übergegangen ist.
Die Statistik ist gewiß eine gefällige Dame, die zu allerhand Dingen zu haben ist, manchmal aber auch zu ehrbaren und legitimen Zwecken und Funktionen. Die alarmierenden Aufschlüsse, welche sie über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit — des Manometers der Wirtschaft — gibt, gehören zu den legitimen Funktionen. Nicht nur die Arbeitslosigkeit steigt lawinenhaft, auch die Zahl der Beschäftigten geht zurück. Es ist notorisch, daß jetzt etwa 200 000 Menschen weniger beschäftigt sind als zur Zeit des Höchststandes. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Rückgang der Beschäftigtenzahlen finden ihren Ausdruck in der Entwicklung der Einkommensteuer, und zwar der veranlagten wie der Lohnsteuer. Letztere hat — trotz der Weihnachtsgratifikationen — im Dezember nur noch 169 Millionen gegenüber 177,4 Millionen in dem vergleichbaren Monat September, also nur noch 95,3 Prozent, erstere 130,6 Millionen gegenüber 135,7 Millionen, daß heißt nur noch 96,3 Prozent erbracht. Vor allem erweist uns die Statistik, daß — das ist sehr wichtig — die Arbeitslosigkeit, eben weil sie überwiegend aus konjunkturellen und strukturellen Ursachen erwachsen ist, im Begriffe ist, immer mehr langfristigen Charakter anzunehmen. So sind die Aufwendungen für die Arbeitslosenunterstützung im November auf 43,2 Millionen D-Mark, die der Arbeitslosenfürsorge aber auf 56,4 Millionen D-Mark gestiegen.
Je länger, desto mehr überschreiten die Zahlen der durch die Fürsorge betreuten Arbeitslosen die Zahlen der Arbeitslosen-Unterstützungsempfänger. Die Statistik läßt weiterhin bei einem Vergleich des Aufkommens an Einkommen- und an Körperschaftssteuer ersehen, daß die mittelständische Wirtschaft stärker getroffen wird als die Großwirtschaft. Aber nicht nur in den Außenberufen, wie vielfach behauptet wird, in der Landwirtschaft und dem Baugewerbe, sondern auch in den Bereichen vor allem beispielsweise der metallverarbeitenden Industrien und Gewerbe zeigt sich eine bedrohliche Abnahme der Beschäftigtenzahlen, deren Ausmaße über die Freisetzungen durch Rationalisierung weit hinausgehen.
In einem Klima, das dauernd von einer Kriegsdrohung überschattet ist — und hier kommen wir doch zu einer elementaren Ursache —, kann auf die Dauer die Wirtschaft in einem Gebiet, das präsumtives Schlachtfeld sein kann, nicht bestehen, und je weniger von Krieg gesprochen würde, desto besser wäre es für die Menschen dieses unglücklichen Landes.
Und nun zu den konjunkturellen Mitteln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Notwendig ist vor allem eine energische Abkehr von der bisherigen einseitigen Bevorzugung und Betreibung der Verbrauchsgütererzeugung zu Gunsten der Förderung der Produktionsgütererzeugung, also der Investitionstätigkeit. Insbesondere bedarf es der Ermöglichung und Sicherung der Vorfinanzierung als eines technischen Mittels. Natürlich kann aber die Vorfinanzierung die Arbeitslosigkeit nicht allein beseitigen. Die notwendige Geld- und Kreditausdehnung muß streng auf die Investitionstätigkeit und Investitionsförderung konzentriert werden. Eine Verbrauchskonjunktur auf Kreditbasis darf, wie ich schon sagte, nicht bestehen noch fortgeführt werden. Die Verbrauchsausgaben der Bevölkerung, des sogenannten letzten Konsumenten, weichen in der Regel nicht wesentlich von dem anfallenden Einkommen desselben ab. Diesem statischen Teil der Wirtschaft gegenüber bilden die Investitionen die dynamischen Kräfte in der wirtschaftlichen Entwicklung. Nur durch ihre Zunahme werden zusätzlich Lohn- und Gehaltseinkommen geschaffen, die in den Verbrauch fließen oder erspart , werden, also zur Kapitalbildung beitragen. Umgekehrt drückt ein Rückgang der Investitionstätigkeit die für den Verbrauch oder die Kapitalbildung verfügbaren Einkommen herab.
Der „Telegraf" hat vor einigen Tagen auf das sogenannte Generalmemorandum hingewiesen, das die Bundesregierung der ERP-Organisation in Paris übergeben hat. In diesem Memorandum soll nach einer Behauptung der „Deutschen Zeitung", der früheren „Wirtschaftszeitung" in Stuttgart folgender Satz enthalten sein:
Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß das
Investitionsprogramm sogar gedrosselt werden muß, weil jede Erhöhung des Produktionsniveaus durch Investitionen naturgemäß
zu einer Steigerung der Beschäftigung und
damit der Kaufkraft führt.
Eine gewisse Sorge vor einem allzu raschen Anstieg der Kaufkraft und einer allzu großen Beschleunigung der Umlaufsgeschwindigkeit — zur Zeit ist diese Umlaufsgeschwindigkeit ja zu ge-
ring — mag Gegenstand der Sorge einer späteren Zeit bilden. An und für sich ist die Überlegung berechtigt; aber die Folgerung, die daraus gezogen wird, ist falsch. Nicht weil eine solche Möglichkeit besteht, muß die Investitionstätigkeit gestoppt werden, sondern sie muß im Gegenteil gefördert werden. Es muß nur gleichzeitig Bedacht darauf genommen werden, daß sich nicht ein allzu ungünstiges Mißverhältnis zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit und der verfügbaren Gütermenge entwickelt, mit anderen Worten, es muß der Sparwille der Bevölkerung gestärkt und entwickelt werden. Zweitens ist die Beseitigung der Exzesse in der Liberalisierung des Außenhandels notwendig.
Weiterhin ist, wie erwähnt, der Wille zur Kapitalbildung, also der Sparwille, aber auch die Sparmöglichkeit zu fördern. Die Entwicklung der Einlagen bei den Geschäftsbanken - im November hatten sie ganz aufgehört — befriedigte nicht; in allen Fällen sind die Einzahlungen hinter der Kreditausweitung weitgehend zurückgeblieben. Auch bei den Sparkassen, den Versicherungsgesellschaften, Bausparkassen und dergleichen verlief die Entwicklung nicht befriedigend. Ganz enttäuschend aber sind die Ergebnisse des Wertpapiersparens. Hier zeigt sich die große Krise der Emissionstätigkeit infolge der Mißhandlung des Wertpapiersparers. Die Ergebnisse der drei großen Emissionen im Jahre 1949, jene der Bundesbahn, der Wiederaufbaubank und der Industriekreditbank-AG, waren höchst unbefriedigend, und nur ein kleiner Teilbetrag ist aufgebracht worden. Im wesentlichen mußten die Zeichnungen der Banken von diesen selbst aus eigenen Mitteln ausgeführt werden. Nur durch eine entsprechende Regelung der Altspareinlagen kann der erschütterte Emissionskredit vor allem der öffentlichen Bedarfsträger wieder verbessert werden, aber nicht durch eine Zwangsanleihe, wie sie mit der Zwangs-Telephonanleihe von der Post, die von ihren besten Stephan-Methoden abgekommen ist, geplant wurde.
Ich habe es sehr bedauert, daß die Frage der Regelung der Altsparguthaben vom Bundesfinanzministerium unter den Aspekt des Wohnungsbaus gestellt worden ist. Ich weiß nicht, inwieweit Pressemitteilungen zutreffen, die behaupten, daß das Bundesfinanzministerium entschlossen sei, die Regelung der Altsparguthaben bis Ende dieses Jahres zurückzustellen, weil die aufgewerteten Altsparguthaben nicht mehr zur Finanzierung des Wohnungsbaus benötigt würden, sondern hierzu die Auswertung des Münzregals ausreiche. Eine solche Auffassung verkennt die psychologische Unerläßlichkeit der Wiederherstellung des Vertrauens der Sparer. Wirtschaft ist nicht nur Erzeugung und Verbrauch, Geld, Kapital, Kredit und Zins, sondern Vertrauen in die bestehenden Verhältnisse, in die Politik von Regierung und Parlament, in die Erhaltung des Geldwertes. Ohne dieses psychologische Hormon gibt es keine gesunde Wirtschaft und keine Kapitalbildung. Es bedeutet eine Verkleinerung, eine, fast hätte ich gesagt: materialistische Betrachtung dieses Problems, wenn man es allein unter dem Gesichtspunkt der Benützung für den Wohnungsbau beurteilen möchte. Worauf es uns ankommt, ist, daß hier auch ein Recht wiederhergestellt wird, und die Wiederherstellung des Rechts ist stets eine Forderung der Vernunft. Stets ist die Verwirklichung der Vernunft auch
die Sicherung des Nützlichen. Wenn man glaubt, man könne mit einer opportunistischen Betrachtung und Behandlung dieser Probleme auskommen, so begibt man sich in einen Irrgarten.
Wesentlich ist weiterhin eine fühlbare steuerliche Entlastung, um den Sparwillen und die Sparmöglichkeiten wiederherzustellen. Die in Angriff genommene kleine Reform kann nur eine Abschlagszahlung sein; sie genügt nicht als endgültige Regelung.
Wichtig ist die Befreiung der öffentlichen Haushalte von unproduktiven Kosten. Wir wollen keine Aufblähung des Staatsapparats, keine Gesetzesspeierei, keine Sucht, leichtherzig die Klinke der Gesetzgebung in die Hand zu nehmen. Was wir im Zusammenhang mit den Beratungen des Haushaltsplans und der Aufstellung der Stellenbesetzungspläne der Bundesministerien erleben, erfüllt uns in dieser Hinsicht mit ernster Sorge. Es ist nützlich, sich vor Augen zu halten, daß beispielsweise in England die Kosten des gesamten Verwaltungsapparats der indirekten Steuern, die in England außerordentlich ausgebaut sind, nur 9,2 Millionen Pfund, also weniger als 0,6 Prozent der eingebrachten Ab gaben ausmachen. Hier erweist sich, wie rationell und sparsam eine Verwaltung aufgebaut werden kann. Notwendig ist vor allem aber auch die Freimachung der Haushalte der öffentlichen Hand von den Subventionen; diese werden ja allerdings am 30. Juni aufhören.
Von großer Bedeutung ist die Entsterilisierung der Geld- und Kapitaiströme, und zwar durch Dekonzentration der Einlagen der öffentlichen Haushalte und der mit dem Außenhandel zusammenhängenden Zahlungsvorgänge von der Zentralbankorganisation und durch stärkere und vor allem laufende Freigabe der Einfuhrgegenwertmittel. Wie ich schon erwähnt habe, waren am 11. Januar von den im Dezember deblockierten 600. Millionen DM für die Wiederaufbaubank 543 Millionen zur Weiterleitung an die vorgesehenen Kreditnehmer und 57 Millionen für die Berliner Industriebank freigegeben. Unentbehrlich wären ausländische private Kapitalanlagen. McCloy mußte aber vor wenigen Tagen vor allzu großen Erwartungen warnen. In der Tat müssen, wenn private Anlagen hereinkommen sollen, zuerst die politischen Voraussetzungen hierfür erfüllt sein. Dazu gehört erstens die Bereinigung oder wenigstens wesentliche Milderung des unheilvollen Gegensatzes zum Osten. Keine Kapitalgruppe, kein privater Kapitalbesitzer wird, wie ich schon sagte, wesentliche Mittel in ein präsumtives Schlachtfeld stecken wollen. Zweitens gehört dazu die Möglichkeit, die gegensätzlichen Kräfte und Interessen unter den Westmächten auszugleichen, sie auf einen Nenner oder unter einen Hut zu bringen, das heißt sicherzustellen, daß nicht einzelne dieser Westmächte die Absichten der anderen fortgesetzt durchkreuzen, daß nicht eine große Macht durch den Widerspruch oder die Interventionen anderer an dem Atlantikpakt beteiligten Mächte gezwungen ist, einen fortgesetzten Stellungswechsel vorzunehmen und ihre ursprünglichen positiven Absichten aufzugeben. Diese Wahrnehmung haben wir leider immer wieder machen müssen. Voraussetzung ist drittens, daß nicht weltwirtschaftliche Depressionen eintreten. Vielleicht steht es uns in unserer derzeitigen Lage nicht zu, uns darüber zu äußern, ob
in Amerika eine große Wirtschaftskrise bevorsteht oder nicht; aber wir dürfen immerhin zur Kenntnis nehmen, daß dort die Arbeitslosenziffer auf 4,5 Millionen gestiegen ist.
Weiterhin ist eine wesentliche Verminderung der Besatzungskosten,
aber auch, meine Damen und Herren, für später eine Verminderung der Leistungen für Berlin notwendig. Man erklärt zwar: über die Höhe der Besatzungskosten befinden die Alliierten. Gut, dann darf man aber in dieser bedrohlichen Lage, in der uns diese 41/2 Milliarden für Besatzungskosten jährlich und außerdem die 1,2 Milliarden für Berlin fehlen, nicht sagen, die Deutschen seien allein an dieser Situation schuld, und nicht sagen, die Deutschen hätten diese Lage mit eigenen Mitteln zu meistern.
Weiterhin ist die allmähliche Wiederherstellung der privatwirtschaftlichen Grundlagen und der Rentabilität des Grundbesitzes notwendig. Nur dadurch werden umfangreiche Instandsetzungen möglich, die vor allem auch den gewerblichen Mittelstand, das Handwerk, beschäftigen können. Es wird dann auch nicht nur sozialer Wohnungsbau mit öffentlichen Mitteln, sondern weitgehend der private Wohnungsbau ermöglicht, weil dieser, wenn die Rentabilität hergestellt ist, für den Kapitalgeber wieder interessant wird, vorher nicht.
Endlich wird zur Überwindung der Stagnation der Wirtschaft und der bedrohlichen Arbeitslosigkeit ein zeitweiliges Haushaltsdefizit infolge öffentlicher Investitionen als konjunkturell be- lebende Maßnahme wichtig sein. Durch das Währungsgesetz ist den westdeutschen Ländern bekanntlich die Möglichkeit eines Haushaltsdefizits auch für Investitionszwecke verschlossen. Das ist um so weniger verständlich, als die Vereinigten Staaten selbst ihre Europahilfe und ihre politischen Hilfsmaßnahmen sonst auf dem Globus fast ausschließlich mit einem nun schon permanent gewordenen Haushaltsdefizit finanzieren; und dieses Haushaltsdefizit beträgt nicht weniger als 6 Milliarden Dollar, also über 24 Milliarden D-Mark. Auch haben wir das Recht, darauf hinzuweisen.
In unsere ganze wirtschaftliche Grundlage ist eine Erstarrung hineingekommen dadurch, daß sowohl die öffentlichen Bedarfsträger wie auch die Privatunternehmungen infolge des desorganisierten Geld- und Kapitalmarktes immer wieder versuchen, aus den laufenden Erträgen durch Eigenfinanzierung die zu Investitionen notwendigen Mittel zu beschaffen. Auch früher wurden Investitionen doch auf eine Anzahl von Jahren verteilt. Man sagte: Eine Investition, die noch einer anderen, späteren Generation zugute kommt, soll auch diese verpflichten, daran mitzutragen. Mit anderen Worten: Man hat das Kapital aus dem Leihmarkt, aus dem Ersparten genommen und durch die Verteilung des Tilgungsdienstes auf längere Zeiträume der Wirtschaft eine tragfähige Elastizität verliehen. Diese fehlt heute infolge der Zerrüttung des Emissionsmarktes, wie ich mir erlaubt habe anzuführen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Wiederherstellung des Emissionsmarktes unentbehrlich, weil dann die Beträge, die zunächst als Haushaltsdefizit erscheinen, später durch Anleihen der öffentlichen Bedarfsträger, der öffentlichen Hand abgelöst werden können.
Wichtig ist auch noch eine andere bedeutende wirtschaftliche Angelegenheit. Wir wollen, daß ein wesentlicher Träger unserer Wirtschaft, die mittelständische Wirtschaft, in der Industrie, im Handwerk, im Einzelhandel wie auch im Großhandel eine besondere Pflege und Förderung erfährt. Sie ist vielfach die kapitalmäßig oder auch sonst wirtschaftlich schwächere. -
So hat die alte Weimarer Verfassung in Artikel 164 einen Dithyrambus von Verheißungen an die Adresse des gewerblichen Mittelstandes enthalten. Wir wissen, wie wenig von diesem Pronunciamento ausgeführt worden ist. Auch einzelne Länderverfassungen der Nachkriegszeit enthalten solche Bestimmungen. Uns kommt es darauf an, daß dieser unentbehrliche, fleißige, treue, solide und leistungsfähige Träger der Wirtschaft, daß das Handwerk, die Klein- und Mittelindustrie, der Einzelhandel und die übrigen mittelständischen Gewerbe eine besondere Förderung erfahren in den Fragen der Auftragserteilung, der Kreditzuweisung, der Rohstoffversorgung und vor allem auch in der Erfüllung der berechtigten Forderungen auf Wiederherstellung des Befähigungsnachweises als Voraussetzung einer ehrlichen, anständigen Wettbewerbswirtschaft.
Zum Schluß möchte ich ein technisches Mittel nennen
- das ist die notwendige Beschleunigung der Geldbewegung. Zur Zeit benötigen Geldüberweisungen, namentlich wenn sie von Land zu Land über die Landeszentralbanken gehen, immer noch mindestens 6 Tage. Dadurch wird dauernd ein wesentlicher Teil unseres Geldstromes gebunden, das heißt wirtschaftlich stillgelegt.
Das ERP-Ministerium hat zu dem Generalmemorandum der Bundesregierung in Paris noch ein Zusatzmemorandum abgegeben. Daraus ist eine Reihe von Punkten offiziös bekanntgemacht worden. Ich habe den Wortlaut auch selbst in
Besitz. Es sind etwa 15 Punkte.
— Ich muß sagen: Diese Denkschrift, dieses Zusatzmemorandum des ERP-Ministeriums ist eine mild lächelnde Denkschrift. Sie ist voll von Annahmen, Hypothesen, Hoffnungen. Sie ist eine Zauberlaterne. Ich fürchte, daß die Bilder, die sie vor unseren Augen abrollen läßt, keine Realität besitzen, sondern eine Phantasmagorie bleiben werden.
Ich komme kurz noch zu einem Blick auf die besondere Lage in Bayern. Sie werden verstehen, daß ich als Angehöriger der Bayernfraktion die Pflicht fühle, dieses wesentliche Gebiet mit in den besonderen Bereich der Betrachtungen zu ziehen, vom bayerischen wie vom gesamtdeutschen Standpunkt aus. Die Entwicklung der Arbeitslosenziffer in Bayern dürfte Ihnen bekannt sein. Herr Wirtschaftsminister Dr. Seidel hat bereits die Zahl von ca. 526 000 genannt. Die Gesamtarbeitslosenziffer - ohne Kurzarbeiter - in Bayern betrug am 2. Februar 516 076. Darunter befanden sich nicht weniger als 54 840 Metallarbeiter, 184 000 in Arbeitslosenfürsorge stehende Menschen und 197 000 in Arbeitslosenunterstützung stehende.
Nicht weniger als 42 000 Menschen arbeiten kurz, 74 000 Bauarbeiter sind erwerbslos. Damit hat Bayern einen höchst unerfreulichen Rekord geschlagen, nämlich den der höchsten Arbeitslosigkeit im Wirtschaftsgebiet der Deutschen Bundesrepublik. Eine Gesamtheit wie der Bund kann nicht gedeihen, wenn wichtige Glieder des Bundes notleiden. Die Ursachen dieser unerfreulichen Lage in Bayern sind nicht nur jahreszeitlich. Sie sind in besonderem Maße konjunkturell und vor allem strukturell. —
Die konjunkturellen Ursachen habe ich dargelegt. Von den strukturellen Ursachen sei zuerst die Verkehrsferne genannt. Bayern ist revier- und rohstofffern. Es ist ein Randgebiet, dessen Lage dadurch außerordentlich erschwert und verschärft wird, daß es seit 1945 durch die Grenzzonen von seinen Bezugs- und Absatzgebieten abgesperrt und großen Frachtumwegen preisgegeben ist. Diese Frachtumwege haben durchschnittlich eine Frachtverteuerung von 32 % zur Folge.