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    Deutscher Bundestag — 36. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950 1141 36. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen 1141 B, 1214 C Ersuchen des bayerischen Justizministeriums betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Dr. Baumgartner 1141 C Beratung des Antrags der SPD betr. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksache Nr. 406 1141C Dr. Nölting (SPD), Antragsteller 1141 D, 1209 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1149A, 1182 B Storch, Bundesminister für Arbeit . . 1152 B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft' 1154B, 1212 B Dr. Seelos (BP) (zur Geschäftsordnung) 1158D Dr. Preusker (FDP) 1159 C Dr. Preller, Schleswig-Holsteinischer Landesminister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr 1162 A Dr. Seidel, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft 1165 C Sabel (CDU) 1166 D Walter (DP) 1170 C Wönner (SPD) 1172 A Etzel (CDU) 1175 D Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und Aufbau 1180 D Dr. Etzel (BP) 1183 A Dr. Bertram (Z) 1189C, 1204 C Loritz (WAV) 1189 D Nuding (KPD) 1195 C Frau Wessel (Z) 1200 C Krause (Z) 1206 B Dr. Wellhausen (FDP) 1206 D Dr. Richter (DRP) 1208 D Dr. von Brentano (CDU) 1213 D Nächste Sitzung 1214 C Die Sitzung wird um 14 Uhr 41 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Anton Sabel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach den uns vorliegenden statistischen Unterlagen wurden Ende Januar fast 1,9 Millionen Arbeitslose in der westdeutschen Bundesrepublik gezählt. 489 000 davon, also fast eine halbe Million, waren Frauen. Ich gebe zu: die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Monaten gibt Anlaß zu Besorgnis. Sie muß auch zu ernstlichen Überlegungen darüber führen,


    (Sabel)

    welche Maßnahmen zweckmäßig sind, diese Arbeitslosigkeit einzuengen. Allerdings darf diese ernste Besorgnis nicht mit einer Katastrophenstimmung verwechselt werden. Das sage ich mit aller Deutlichkeit. Ich bin der Meinung, man sollte von einer Betrachtungsweise dieses Problems Abstand nehmen, die auf ein gewisses Agitationsbedürfnis zugeschnitten ist.

    (Zuruf von der SPD: Ach, reden Sie doch nicht!)

    - Niemand sollte die Arbeitslosigkeit zu einer
    billigen Agitation mißbrauchen. Ich sage ganz
    offen: Ich habe es bedauert, daß Herr Prof.
    Nölting diesem mir so wesentlich erscheinenden
    Grundsatz eigentlich nicht ganz entsprochen hat.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

    Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und einzuengen, nicht nur Sache der Regierung und der Regierungsparteien ist. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß sich alle, auch alle in diesem Haus, um diese Angelegenheit ernstlich kümmern sollten.

    (Zuruf von der SPD: Na also! Warum Agitation?)

    — Entscheidend ist die Art. Der Ton macht die Musik, Herr Kollege.

    (Abg. Schoettle: Manche Leute haben ein etwas anderes Tongefühl!)

    — Mag möglich sein, Herr Kollege Schoettle!
    Was die Entwicklung der Arbeitslosigkeit betrifft. so scheint mir notwendig zu sein. doch darauf hinzuweisen, daß wir bei Beginn der Währungsreform immerhin 500 000 Arbeitslose hatten zu einer Zeit. als wir fast 700 000 offene Arbeitsplätze nicht besetzen konnten. Die offenen Arbeitsplätze betrugen damals etwa 150 Prozent der Arbeitslosenziffer. Das müßte uns doch zeigen, daß hier besondere Schwierigkeiten vorhanden sind, die jedenfalls anders liegen, als es von Herrn Professor Nölting dargestellt wurde. Bis Ende Dezember 1948 stieg dann die Arbeitslosigkeit auf rund 760 000. die Zahl der offenen Arbeitsplätze sank allerdings auf 225 000, das sind nur noch 30 Prozent der Ziffer der Arbeitslosen. Ende Dezember 1949 betrug die Zahl der offenen Stellen nur noch 5 Prozent der Arbeitslosenziffer. Die Tatsache, daß schon bei Beginn der Währungsreform etwa eine halbe Million Arbeitslose vorhanden waren, deutet die Schwierigkeiten an. Unter ihnen waren zunächst einmal Menschen, die nicht voll einsatzfähig waren. Angehörige von Berufen, für die es keine Arbeitsplätze gab. Der größere Teil waren Arbeitskräfte, die wegen ihres ungünstigen Wohnsitzes nicht in ein Arbeitsverhältnis gebracht werden konnten. Bei diesen Überlegungen müssen wir allerdings auch immer den Beschäftigtenstand berücksichtigen. Es ist nicht zu leugnen, daß er sich vorn Juni 1948 bis zum 30. September 1949 um 136 000 erhöht hat. Gegen Ende des Jahres wurden noch 88 000 Arbeitsplätze mehr registriert als bei Beginn der Währungsreform. Richtig ist, daß der Zuwachs an Arbeitsplätzen im wesentlichen Arbeitsplätze für Frauen betroffen hat, die Ende September immerhin mit etwas über 4 Millionen an diesen 13,6 Millionen beteiligt waren.
    Ich darf auf eine Tatsache hinweisen, die jedem bekannt ist, der sich mit den Dingen länger beschäftigt hat. Der wirkliche Zuwachs an Arbeitskräften ist ja beachtlich größer, als es hier aus den Zahlen ersichtlich ist, denn ich darf Sie darauf hinweisen, daß doch in der amtlichen Statistik damals sehr viele Menschen als beschäftigte Arbeitnehmer geführt wurden, die in Wirklichkeit in einem getarnten Arbeitsverhältnis steckten. Ich glaube, das ist eine Tatsache, die uns doch noch bekannt sein dürfte. Diese Menschen sind nun auch aufgesogen worden: sie sind in ein normales Arbeitsverhältnis herübergewechselt.
    Kurz noch zu den Andeutungen über die Produktionsentwicklung. Es ist heute ja schon einmal gesagt worden, aber ich möchte es noch einmal kurz darstellen: Gegenüber 1936 ist es doch praktisch so, daß wir vor der Währungsreform mit einer Produktion rechnen konnten, die bei 40-50 % der Normalproduktion lag, und daß wir bis Dezember immerhin einen Anstieg zu verzeichnen hatten in einem Ausmaß von etwa 95 % der Normalproduktion von 1936. Ich glaube, daß mit diesen Angaben allein die Behauptung widerlegt ist, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sei die Ursache der Arbeitslosigkeit. Ich glaube, daß Herr Professor Nölting von seinen Darlegungen selbst nicht ganz überzeugt ist. Ich sage Ihnen in aller Offenheit, meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß eine andere Wirtschaftspolitik zu einer größeren Arbeitslosigkeit geführt hätte. Das ist unsere Überzeugung. Nun, wenn man hier schon sagt. daß die Darstellung falsch ist, daß die Wirtschaftsform an der Steigerung der Arbeitslosigkeit schuld ist, dann muß man natürlich versuchen, die wirklichen Gründe einmal darzulegen.
    Ich möchte nicht weiter auf die wesentlichste Ursache eingehen, auf die Zuwanderung und Einschleusung der Ostvertriebenen. Es ist darüber hier schon manches gesagt worden, und ich freue mich. daß Herr Professor Preller auch in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, daß die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ihren wesentlichen Grund eben in dem Zustrom dieser 71/2 Millionen Ostvertriebenen haben. Es ist doch so, daß durch diesen Zustrom das Problem so verschärft wurde, daß es einem manchmal als kaum lösbar erscheint. Es ist richtig, daß ein großer Teil der Ostvertriebenen inzwischen in einem Arbeitsverhältnis untergebracht werden konnte. Allerdings muß man darauf verweisen, daß ein großer Teil fremdberuflich eingesetzt ist und daß ein anderer Teil wohl in seinem Beruf eingesetzt, aber in einer anderen sozialen Stellung beschäftigt ist. Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die Ostvertriebenen einen überaus hohen Anteil an der Arbeitslosenzahl haben. Es waren — ich möchte es noch einmal bemerken — am 31. Dezember des vergangenen Jahres 546 000 Personen, das sind 36.3 % von den Gesamtarbeitslosen. In Schleswig-Holstein waren es 58,5 % von den vorhandenen Arbeitslosen, in Niedersachsen 43,4 und in Bayern 39,9 %.
    Ich darf hier auf eine Bemerkung hinweisen, die vor einigen Tagen der Leiter des Büros für Arbeitsfragen beim amerikanischen Hohen Kommissar machte. Er sagte, das Problem der Arbeitslosigkeit werde durch den ständigen Zustrom von Flüchtlingen erschwert, weshalb es nur in Verbindung mit dem Flüchtlingsproblem gelöst werden könne. Ich darf dabei auf den ständiger Zustrom der Ostzonen-Flüchtlinge hinweisen. Ich kann mich erinnern, daß von den Innenministern


    (Sabel)

    der betroffenen Länder wiederholt gesagt wurde, daß täglich 600 bis 1000 Flüchtlinge aus der Ostzone in Westdeutschland einströmen. Diese sind zum Teil in Arbeitsverhältnissen, die nicht registriert sind, weil so mancher von diesen Ostflüchtlingen nicht die Zuzugsgenehmigung erhält, aber trotzdem illegal in den Westzonen verbleibt und nun zur Sicherung seiner Existenz versucht, irgendeinen Arbeitsplatz zu erhalten. Es ist geschätzt worden, daß wir etwa einen Einstrom von insgesamt, alles in allem gerechnet, 3,7 Millionen Arbeitnehmern in die Westzonen hatten und daß davon doch etwa 2,7 Millionen Beschäftigung finden konnten. Die Situation in den Aufnahmeländern der Flüchtlinge kann ich auch noch durch folgende Zahlen illustrieren: In den drei Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, die etwa 38 % der westdeutschen Bevölkerung umfassen, sind 65 % der Arbeitslosen vorhanden, und in den vier Ländern, die arbeitsmarktpolitisch gesehen am günstigsten stehen, Nordrhein-Westfalen, Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern, mit insgesamt 19,3 Millionen Einwohnern haben wir nur einen Anteil von 20 % der Arbeitslosen. Auch hier sehen Sie wiederum den ursächlichen Zusammenhang der Arbeitslosigkeit mit dem Problem der Ostvertriebenen.
    Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß auch durch die erfreuliche Tatsache der Entlassung von einigen Hunderttausend Kriegsgefangenen auf der anderen Seite die Situation auf dem Arbeitsmarkt erschwert wurde. Der größte Teil der Heimkehrer konnte in einem Arbeitsverhältnis untergebracht werden. In manchen Fällen allerdings mußte ein anderer Platz machen und wurde arbeitslos.
    Dann wollen wir nicht vergessen, daß der Kreis der Bewerber um Arbeitsplätze nach der Währungsreform doch sehr stark ausgeweitet wurde, und zwar durch Personen, die vor der Währungsreform auf eine Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis nicht angewiesen waren. Es handelt sich um Personen, die eben durch die Währungsreform ihre Existenzgrundlage verloren haben und nun gezwungen sind, durch die Annahme eines Arbeitsplatzes sich wieder eine neue Existenzgrundlage zu verschaffen. Dieser Personenkreis ist beachtlich groß und hat ebenfalls dazu beigetragen, die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zu komplizieren. Gerade aus der Steigerung der Zahl der beschäftigten weiblichen Arbeitnehmer ist erkennbar, wie stark der Zustrom aus diesem von mir eben genannten Personenkreis auf den Arbeitsmarkt ist.
    Und nun möchte ich noch eine Sache andeuten, die mir auch sehr wichtig erscheint. Das sind die Schwierigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt entstehen oder entstanden sind durch eine falsche Berufsstruktur, durch einen falschen Berufsaufbau. Es ist doch so, daß ein großer Teil der Bewerber um Arbeitsplätze Berufen zugehört, die in absehbarer Zeit keine Chance der Beschäftigung bieten. Ich verweise auf den großen Anteil der kaufmännischen und Verwaltungsangestellten an der Arbeitslosenziffer. Etwa ein Sechstel der Arbeitslosen zählte Ende Dezember 1949 zu den Berufsgruppen der kaufmännischen, technischen sowie der Verwaltungsangestellten.
    Dann wird die Frage durch den sehr großen Anteil der berufslosen Menschen an der Arbeitslosigkeit kompliziert, der Personen, denen jede
    Berufsausbildung fehlt, zum Teil, weil sie frühzeitig Soldat wurden. Der Herr Arbeitsminister hat ja auf diese Dinge besonders hingewiesen. Das sind immerhin für die Arbeitsvermittlung und für den Arbeitseinsatz starke Hemmnisse. Es ist zu überlegen, was getan werden kann, um diese Hemmnisse zu beseitigen.
    Dann ist hier wiederholt auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden, die in der Tatsache begründet sind, daß eine so starke Diskrepanz zwischen den Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten besteht. Die Ostvertriebenen, die Evakuierten, sind wohnlich in Bezirken untergebracht, die keine ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten bieten. Es ist ja so, daß sich gegenüber der großen Arbeitslosigkeit um 1930 herum die Situation doch völlig gewandelt hat. Damals hatten wir die Arbeitslosen in den Städten. Heute haben wir sie im wesentlichen in den Landbezirken. Selbst in den einzelnen Ländern ist die Situation sehr stark differenziert. Es ist so, daß zum Beispiel in Hessen Bezirke mit einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent, gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer, vorhanden sind. Im gleichen Land sind andere Bezirke, in denen die Arbeitslosigkeit keine 5 Prozent ausmacht.
    Zahlenmäßig hat Bayern die höchste Ziffer der Arbeitslosigkeit. Es waren Ende Januar 492 000 Personen. Das waren in Bayern 14,5 Prozent aller Erwerbspersonen. In Niedersachsen wurden Ende Januar 432 000 Arbeitslose gezählt. Im Dezember 1949 waren es 17,3 Prozent aller Erwerbspersonen. In Schleswig-Holstein war die Ziffer der Arbeitslosen 244 000. Von der Zahl der Erwerbspersonen waren das 26,3 Prozent. Das sind doch alles Zahlen, die in aller Deutlichkeit immer wieder auf den ursächlichen Zusammenhang mit dem Problem der Ostvertriebenen hinweisen. Gegenüber den genannten Ländern waren in Baden und Württemberg Ende Dezember 1949 nur 3 bzw. 3,5 Prozent der Erwerbspersonen arbeitslos.
    Zusammenfassend zeigt doch diese Darstellung, daß neben der immer gegebenen Fluktuationsarbeitslosigkeit — ich möchte diese Fluktuationsarbeitslosigkeit bei uns in Westdeutschland vielleicht in einer Größenordnung von 200 000 Arbeitnehmern annehmen — eine beachtliche strukturelle Arbeitslosigkeit vorhanden ist. Hinzu kommt dann die Freistellung von Arbeitskräften durch Konjunkturauswirkungen und zuletzt eine nicht unbedeutende Saisonarbeitslosigkeit.
    Vom Herrn Bundesarbeitsminister ist auf ein Gutachten hingewiesen worden, das vor der Währungsreform erstellt wurde und in dem doch immerhin beachtliche Experten des Arbeitsmarkts die Auffassung vertreten haben, daß in Auswirkung der Währungsreform die Arbeitslosigkeit ein Ausmaß annehmen würde, das weitaus über dem Ausmaß liegt, das wir im Augenblick hier bedauerlicherweise zu verzeichnen haben. Ich erinnere mich selbst einer Besprechung vor etwa einem Jahr vor Durchführung der Währungsreform, wo gerade einige Experten des Arbeitsmarkts aus dem Lager der Opposition in diesem Hause auch die Auffassung vertreten haben, daß wir mit einer wesentlich größeren Zahl von Arbeitslosen rechnen müßten, als sie heute tatsächlich zu verzeichnen ist. Wir freuen uns, daß diese Prophezeiungen sich nicht erfüllt haben. Aber ich glaube, man sollte in der Bewer-


    (Sabei)

    tung der gegebenen Situation auch etwas vorsichtiger sein.
    In der Sylvester-Nummer der „Frankfurter Rundschau" hat der Kollege von Herrn Professor Nölting, Herr Minister Wagner, Arbeits- und Wirtschaftsminister in Hessen, der SPD zugehörig, meines Erachtens die Dinge ganz richtig dargestellt. Er schreibt hier, die steigende Arbeitslosigkeit müsse, um eine Irreführung zu vermei- den, mit der steigenden Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum verglichen werden. Die normale Erscheinung der steigenden Zahl von Beschäftigten und Arbeitslosen finde ihre Erklärung in der Tatsache, daß nach Hessen monatlich 6 bis 7000 Menschen zusätzlich aus den Ostgebieten hereinströmten. Das Land sei jedoch trotz steigender Wirtschaftsbelebung nicht in. der Lage, diese täglich hinzukommenden Menschen arbeitsmäßig unterzubringen. Ich glaube, man sollte dieses Anerkenntnis der gegebenen Situation von Hessen auf die gesamte westdeutsche Bundesrepublik ausdehnen.
    Was ist nun zu tun, um dieses Problems Herr zu werden? Entscheidend sind Maßnahmen, die die Entwicklung der Wirtschaft günstig beeinflussen können, insbesondere ein umfangreiches Programm von notwendigen Investierungen. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise hierüber heute schon Beachtliches gesagt. Ich will es mir versagen, auf die Einzelheiten näher einzugehen. Mein Fraktionskollege Etzel wird zu diesen Dingen noch etwas zu sagen haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen, daß man bei der Hilfe das Handwerk und die Landwirtschaft nicht vergessen sollte. Es muß beachtet werden, daß in der Industrie nur ein gutes Drittel der Arbeitnehmer beschäftigt wird und daß gerade vom Handwerk und von der Landwirtschaft umfangreiche Entlassungen von Arbeitskräften vorgenommen worden sind. So beträgt zum Beispiel die Zahl der Arbeitslosen aus der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft etwa 10 Prozent der Gesamtzahl der Arbeitslosen.
    Weiter ist notwendig — das ist wiederholt zum Ausdruck gekommen; es erscheint mir angebracht, das noch einmal zu unterstreichen — eine bessere Verteilung der Ostvertriebenen unter Berücksichtigung der vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten. Allerdings ist die Voraussetzung für eine solche Verteilung die Beschaffung von Wohngelegenheiten. Wir sollten daher den Bau von Wohnungen insbesondere dort vorantreiben, wo auch die Wahrscheinlichkeit für die Beschaffung eines Arbeitsplatzes gegeben ist. Die Bundesregierung hat ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm angekündigt. Es gilt dafür Sorge zu tragen, daß nun mit der Bautätigkeit unverzüglich begonnen werden kann, sobald die Wetterlage dies zuläßt. Wenn hier Hemmungen eintreten, besteht die Gefahr, daß aus den vorhandenen Saisonarbeitslosen Dauerarbeitslose werden.
    Wichtig scheinen mir auch die Maßnahmen zur Schaffung einer vernünftigeren, einer besseren Berufsstruktur zu sein. Es scheint mir notwendig zu sein, umfangreiche Umschulungsmaßnahmen durchzuführen. Dazu kommt die Schulung der Berufslosen für Tätigkeiten, die zukünftig eher eine dauernde Chance für den Arbeitseinsatz bieten. Ich möchte gerade bezüglich der falschen Berufsstruktur die Situation einmal an einem Beispiel klarlegen. In meinem Wahlkreis hat sich
    die Zahl der Arbeitnehmer gegenüber dem Jahre 1938 um 40 Prozent gesteigert; also 40 Prozent mehr Arbeitnehmer, als 1938 in diesem Bezirk vorhanden waren. Die Bauhandwerker sind in dem gleichen Bezirk seit 1938 allerdings um 20 Prozent zurückgegangen. Wir haben also 20 Prozent weniger Bauhandwerker, als wir damals hatten. Das sind Dinge, die uns in den vergangenen Jahren doch schon stark gestört haben, weil nicht genügend Fachkräfte für die Forcierung der Bauarbeiten zur Verfügung gestanden haben. Ich will die Ursachen nicht untersuchen; ich will diese Tatsache nur einmal aufzeigen.
    Der Herr Minister Preller hat noch einmal das Problem der Ausbildungsplätze für Lehrlinge angeschnitten. Das ist immerhin eine große Aufgabe, die wir in den kommenden Monaten zu erfüllen haben. Es ist richtig, daß die Zahl der Ausbildungsplätze bei weitem nicht reicht, um alle Bewerber um Lehrstellen unterbringen zu können. Bedauerlicherweise lassen sich die Lehrherren oft von der ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt dazu verleiten, die Ausbildung von Lehrlingen einzuschränken. Ich glaube, man sollte gerade hier den Blick nicht nur auf die Gegenwart, sondern in stärkerem Maße auch auf die Zukunft richten. Ohne einer Lehrlingszüchterei das Wort reden zu wollen, kann betont werden, daß eine große Zahl von Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden ist und daß diese Ausbildungsmöglichkeiten im Interesse der jungen Menschen, aber auch im Interesse der gesamten Wirtschaft, die diese Kräfte einmal benötigen wird, in stärkerem Maße genutzt werden müßten. So weit in der Industrie, in Handwerk und Gewerbe Beschränkungen der Lehrlingszahl festgelegt sind - es gibt ja solche Schlüsselziffern —, erscheint es notwendig, zu überprüfen, solche weitgehenden Einengungen heute noch vertretbar sind.
    In den Bezirken mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit sollten Wiederaufbaumaßnahmen — ich denke an Straßenbau, Brückenbau, ich denke weiterhin an Bodenverbesserungsarbeiten, ich denke darüber hinaus an Aufforstungsarbeiten — in einem größeren Umfange durchgeführt werden. Solche Wiederaufbaumaßnahmen, solche Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung durch die Behörden sind in Menge durchzuführen. Die Arbeiten, die ich eben andeutete, kann man ja als arbeitsintensive Maßnahmen bewerten. In diesen Arbeiten stecken sehr viel Lohnkosten. Mit den für diese Arbeiten zur Verfügung zu stellenden Mitteln könnte immerhin eine beachtliche Zahl von Arbeitslosen Beschäftigung finden.
    Es ist nun nicht so, als sei in dieser Sache noch nichts getan worden. Ich darf darauf hinweisen, daß im Rahmen der Maßnahmen der werteschaffenden Arbeitslosenfürsorge bisher schon eine große Zahl von Arbeitslosen Beschäftigung fand. Die Höchstzahl dieser Beschäftigten lag bei 50 000 Arbeitnehmern. Eine weitere Ausdehnung scheiterte daran, daß die Träger solcher Arbeiten die Restfinanzierung nicht übernehmen konnten. Die Mittel der Arbeitslosenversicherung allein reichen nicht aus, um solche Maßnahmen in größerem Umfang finanzieren zu können.
    Ein anderes Problem — es wurde schon einmal, ich glaube, von Herrn Minister Preller, angedeutet — ist die Frage der Industrieansiedlung dort, wo eben die große Zahl der Arbeitslosen vorhanden ist. Ja, wir müssen das Problem überprüfen, inwieweit man die Arbeit an den Men-


    (Sabel)

    schen heranbringen kann. Allerdings muß hier sorgfältig überprüft werden, ob solche Industrieansiedlungen in bestimmten Bezirken auch eine Chance haben, sich durchzusetzen. Hier verdienen die Flüchtlingsbetriebe eine besondere Förderung. Allzu oft scheitert die Schaffung von neuen Produktionsstätten daran, daß bei der Kreditgewährung Anforderungen an die Kreditnehmer gestellt werden, die diese nicht erfüllen können. Ich möchte nicht einer leichtfertigen Anlage von Kapital das Wort reden; aber die besondere Situation der Flüchtlinge macht es doch erforderlich, die Schaffung von Kreditbedingungen zu erwägen, die von diesem Personenkreis auch tatsächlich erfüllt werden können.

    (Zustimmung.)

    Es ist gesagt worden, daß nun eine größere Freizügigkeit in der Wahl des Wohnortes Platz greifen sollte, und es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß nun nicht nur die Arbeitskräfte, also voll arbeitsfähige Personen aus den Flüchtlingsauffanggebieten abwandern. Es sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß diese Arbeitskräfte dann auch ihre Angehörigen zum Arbeitsort mitnehmen können.
    Gestatten Sie mir nun noch einige Schlußbemerkungen. Gegen den Antrag der SPD, der dem Bundestag zur Beschlußfassung vorliegt, haben wir keine unüberwindlichen Bedenken. Ich sage Ihnen ganz offen: das, was hier gesagt wird, entspricht zum großen Teil auch unserem Wollen. Ich möchte allerdings sagen: gerade das, was im Absatz 1 und auch im letzten Satz ausgeführt wird, wurde ja von der Bundesregierung praktisch heute schon erfüllt. Sie hat dem Bundestag vorgetragen, wie sie sich die Lösung dieses Problems denkt, und sie hat ihm doch immerhin beachtliche Maßnahmen hier vortragen können, die in uns die Hoffnung erwecken, daß in absehbarer Zeit doch eine wesentliche Änderung der Situation auf dem Arbeitsmarkt wahrscheinlich ist.
    Es wurde wiederholt der Vorwurf erhoben, daß bestimmte Kräfte die Schaffung einer industriellen Reservearmee wünschten, um die soziale Fortentwicklung zu hemmen. Von einer Stelle — ich glaube, es war Herr Professor Nölting ist sogar gesagt worden, daß hier mit der Forderung auf Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts ein ursächlicher Zusammenhang bestünde. Ich darf Ihnen versichern, meine Freunde und ich lehnen die Schaffung einer industriellen Reservearmee ab. Ich darf Ihnen weiter versichern und mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß wir alles daransetzen, um dem Ideal einer Vollbeschäftigung näherzukommen. Ich weiß aber auch, daß ein solches Ideal nicht leicht erreicht werden kann. Wir bejahen das Recht eines jeden Menschen auf Arbeit mit allen sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen.

    (Beifall bei der CDU.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Es sind noch elf Redner auf der Liste.
Wenn jeder dieser Damen und Herren eine halbe Stunde sprechen sollte, so würde uns das noch 51/2 Stunden beschäftigen. Es liegt mir fern, irgend jemanden ermuntern zu wollen, seine Wortmeldung zurückzunehmen. Aber die Tatsache, die ich eben bekanntgegeben habe, gibt mir Veranlassung, auf den § 86 der Geschäftsordnung zu verweisen, der
vorschreibt, daß in freier Rede gesprochen werden soll.

(Lehbafter Beifall.)

Ich glaube, daß wir, wenn wir diese verständige Bestimmung der Geschäftsordnung einhalten, nicht nur die Redezeiten wesentlich abkürzen werden. Die Redner werden auch in höherem Maße das Ohr des Hauses finden,

(Sehr richtig! in der Mitte)

und es werden überflüssige Wiederholungen vermieden werden können.
Ich stelle weiter fest, daß § 86 zum Abschnitt „Ordnung des Hauses" gehört, daß also die Bestimmung des § 89 auf eine Verletzung der Vorschrift des § 86 Anwendung finden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walter.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Albert Walter


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine Damen! Meine Herren! Es ist nur selbstverständlich, wenn ich betone, daß das Ansteigen der Arbeitslosigkeit und damit die außerordentlichen Störungen für unsere Wirtschaft meine Fraktion und meine Partei mit größter Sorge erfüllen. Wir sind uns dessen voll bewußt, daß wir in allem Ernst mitzuarbeiten haben, damit diese Gefahr, die für unser Volk und unsere Wirtschaft besteht, beseitigt wird. Die Arbeitslosigkeit ist d e r Feind, und alle, die es mit der Beseitigung dieses Feindes ehrlich meinen, sollten sich auch zusammenfinden, um im ehrlichen Bestreben das zu erreichen, was heute hier von der Regierung bekanntgegeben worden ist. Dazu einige Bemerkungen.
    Wir haben den inhaltsreichen Vortrag des Herrn Professors Nölting gehört. Ich habe nur den Eindruck, daß dieser Vortrag etwas spät gekommen ist und daß er vor d e n Parlamenten und vor d e n Verantwortlichen hätte gehalten werden müssen, die seit dem Jahre 1945 etwas zu sagen hatten.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ich bin weiter der Meinung, daß das, was uns von dem Vertreter Schleswig-Holsteins, Herrn Professor Preller, gesagt wurde, hier ein wenig deplaciert erscheint. Diese Ansprache hätte im Parlament Schleswig-Holsteins in den letzten Jahren bestimmt Gutes hervorbringen können. Ich will Herrn Professor Preller nur auf eines aufmerksam machen: Er betont die Radikalisierung in seinem Lande. Nun, nichts was ist, ist ohne Grund! Warum zeigt sich denn gerade in Schleswig-Holstein diese Radikalisierung so besonders? Hat die Regierung nicht selbst ein gerüttelt Maß an Schuld daran, indem sie in den vergangenen Jahren dort nach eigenem Gefallen regierte und wenig darauf achtete, was dem schleswig-holsteinischen Volke diente?

    (Sehr gut! rechts.)

    Die Gründe werde ich Ihnen gleich nennen. Sie haben dort eine Landreform durchgeführt — eine Bodenreform nannten Sie es! —, die gewiß nicht dazu beitragen konnte, die Bauern Schleswig-Holsteins von der Richtigkeit der Maßnahmen ihrer Regierung zu überzeugen.

    (Lachen links.)

    Sie haben weiter in Schleswig-Holstein Gesetze erlassen und sind dabei, es noch zu tun — ich erinnere an die Schulgesetzgebung und daran, daß man jetzt dabei ist, für die kommenden Wahlen etwas zu schaffen, was nur der jetzigen Regierung dient —, die vom Volke auf keinen Fall gewünscht


    (Walter)

    werden. Dieses reagiert sehr scharf auf solche Maßnahmen, und daher die Radikalisierung!
    Also, Herr Professor Preller, Sie hätten allen Grund, Ihren Vortrag vor Ihrem eigenen Parlament zu halten, und wir würden uns auch nicht scheuen, einmal vor den Herren des Bundesrats unsere Ansicht zum Ausdruck zu bringen, wenn man uns gestattete, dort die Zeit so in Anspruch zu nehmen, wie es von Ihnen hier geschehen ist.

    (Beifall bei der DP.)