Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundesratsbevollmächtigte für das Land Schleswig-Holstein Minister Preller.
Dr. Preller, Schleswig-Holsteinischer Minister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr, Mitglied des Bundesrats: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre geneigt, als Arbeits- oder Wirtschaftsminister zu sprechen; aber Sie erlauben mir, daß ich für die schleswig-holsteinische Regierung einmal am Beispiel dieses Landes, das ja relativ die bei weitem höchste Flüchtlingsbelegung hat, aufzeige, wie in diesen Flüchtlingsländern die Arbeitslosigkeit heute zum Zentralproblem der gesamten Regierungsarbeit geworden ist.
Es ist Ihnen bekannt, daß in Schleswig-Holstein mit einer Vermehrung seiner Bevölkerung um nicht weniger als 72 Prozent fast jeder zweite Bewohner ein Flüchtling ist. Wir hatten am 31. Januar in Schleswig-Holstein eine Arbeitslosigkeit von 29,9 oder rund 30 Prozent.
Jeder dritte Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein ist heute arbeitslos.
Nur Berlin mit seinen Sonderproblemen kennt die Sorge um die Arbeitslosigkeit in einem noch größeren Umfange. Im übrigen aber weisen alle Flüchtlingsländer des Bundes, Niedersachsen, Bayern, hohe Arbeitslosenzahlen auf, wobei Schleswig-Holstein mit Abstand den höchsten Prozentsatz hat.
Selbstverständlich drückt die harte Prüfung jeden einzelnen Arbeitslosen gleich schwer; aber, meine Damen und Herren, Sie werden mir recht geben, wenn ich sage, daß eine Arbeitslosenziffer von 30, 21 und 18,2 Prozent - wie in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern — ungleich mehr auf diese Länder und auf ihre Bevölkerung drückt als etwa eine prozentuale Arbeitslosigkeit wie in Rheinland-Westfalen von 5,8 oder in der süddeutschen Zone von 7 Prozent. Wir wollen uns diesen Unterschied nicht etwa gegenseitig anrechnen, das ist nicht der Sinn dieser Ausführungen, aber wir müssen einmal darauf hinweisen, daß die Arbeitslosigkeit in diesen Flüchtlingsländern ein zentrales Problem geworden ist.
Wir erkennen den Zusammenhang von Flüchtlingsbelegung und Arbeitslosigkeit deutlich; denn in diesen Ländern reichte eben die vorgefundene Struktur der Wirtschaft einfach nicht aus, um die eingeströmten Flüchtlinge in Arbeit bringen zu
können. Es dürfte daher selbstverständlich und unbestritten sein, daß erst nach einer gerechten und einigermaßen gleichmäßigen Flüchtlingsverteilung
die politisch und sozial so gefährliche Anhäufung von Arbeitslosen in einzelnen Bundesteilen beseitigt werden kann.
Meine Damen und Herren! Welche staatspolitischen Gefahren mit solchen Häufungen von Arbeitslosen verbunden sind, das zeigt sich gerade bei uns in Schleswig-Holstein sehr deutlich. Ich möchte doch darauf hinweisen, daß SchleswigHolstein schon vor 1933 ein Beispiel dieser Art abgegeben hat; denn als damals von 1930 bis 1932 sich die Arbeitslosigkeit in diesem Lande verdoppelte, verdoppelten sich auch die Zahlen der nationalsozialistischen Stimmen.
Von 27 Prozent bei der Wahl 1930 über 51 Prozent im Juli 1932 auf 53 Prozent im März 1933 stiegen die Stimmen der Nationalsozialisten in Schleswig-Holstein.
So verdoppelten sich mit der Zahl der Arbeitslosen auch die Stimmen der radikalen Seite. Meine Damen und Herren, ich brauche Sie ja nur darauf hinzuweisen, daß auch heute das Spiel der politischen Extremisten zeigt, wohin eine solche Arbeitslosigkeit führt. Ich darf in diesem Zusammenhang nur den Ort Neumünster nennen, ich darf nur daran erinnern. daß wir dort heute bereits wieder einen Saalschutz, gestiefelt und gespornt, vorfinden,
um damit aufzuzeigen, daß die arbeitslosen Flüchtlinge einem politischen Nihilismus äußerst gefährlicher Art verfallen können, einem Nihilismus, der sich gegen jede Art Staat wendet. Der Herr Bundesminister Lukaschek könnte dafür zeugen, wie bei seinen Flüchtlingsversammlungen in Lübeck sich diese Art Nihilismus deutlich gekennzeichnet hat.
So kommen wir zu der Feststellung, daß Flüchtlingsnot und Arbeitslosennot eine staatspolitische Gefahr bedeuten, die — und das ist die erste These, die ich Ihnen hier anmelden möchte — von der Bundesregierung gebannt werden muß.
Meine Damen und Herren, die augenblicklich vorgesehene Umsiedlung von 300 000 Flüchtlingen kann von den Flüchtlingsländern nur als eine erste Abschlagszahlung gewertet werden. Wir erwarten baldigst weitere Vorschläge. Dabei sollte man auch, wie vorhin bereits ausgeführt worden ist, an die Durchführung der verfassungsmäßig gewährleisteten Freizügigkeit denken. Aber diese Freizügigkeit darf nicht dazu führen, daß die Arbeitskräfte in andere Länder abwandern und die Flüchtlingsländer, wie Schleswig-Holstein, zu den Armenhäusern des Bundes werden.
Nur dann, wenn diese Freizügigkeit gleichzeitig alle Familienmitglieder umfaßt, kann sie zu dem gewünschten Effekt führen. Heute haben wir in Schleswig-Holstein wie in allen Flüchtlingsländern sowohl — und das darf ich hier ganz be-
sonders betonen — eine strukturelle als auch eine konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Wir können die Dinge in Schleswig-Holstein sehr genau verfolgen. Bis zum Dezember 1948 etwa wuchs die strukturelle Arbeitslosigkeit, und erst dann, mit den anderen Ländern zusammen, kam die Arbeitslosigkeit auf der Grundlage der Konjunktur des Jahres 1949.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß Schleswig-Holstein allein schon durch den Wegfall seiner Rüstungsindustrie, seiner Marinewerften usw. im Jahre 1945 einen Verlust von 120 000 Arbeitsplätzen von damals 450 000 Arbeitsplätze hinaus sich ein weiterer Bedarf hatte. Zu diesem Verlust kamen nun die 1,2 Millionen Flüchtlinge zusätzlich zu den 1,5 Millionen Einheimischen. Das bedeutet, daß mit diesen Flüchtlingen über die bereits verlorenen 120 000 Arbeitsplätze hinaus sich ein weiterer Bedarf von mindestens 300 000 Arbeitsplätzen ergab, um diese 1,2 Millionen Flüchtlinge ernähren zu können. Wir haben in Schleswig-Holstein seit der Kapitulation etwa 200 000 Arbeitsplätze wieder schaffen können. Aber es bleibt immer noch ein Rest von weiteren 200 000 Arbeitsplätzen, und selbst wenn die Mindestforderung unseres Landes auf Umsiedlung von insgesamt 300 000 Flüchtlingen erfüllt wird, wird es immer noch erforderlich sein, die Zahl der Arbeitsplätze für die verbleibenden Flüchtlinge mindestens um 100 000 oder um ein Sechstel der heute vorhandenen Arbeitsplätze zu vermehren. 100 000 Arbeitsplätze bedeuten, wenn wir nach der Faustregel mit 5000 Mark je Arbeitsplatz gehen, daß wir Investitionsmittel in Höhe von 500 Millionen Mark benötigen, um in Schleswig-Holstein nach Abzug von 300 000 Flüchtlingen den Rest der Flüchtlinge in Arbeit und Brot bringen zu können.
So ergibt sich die zweite These: Die Arbeitslosigkeit in einem Flüchtlingslande wie Schleswig-Holstein zu bekämpfen, heißt Arbeitsplätze zu schaffen. Die veränderte Bevölkerungsstruktur gebietet demnach, auch wenn eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge durchgeführt ist, einen Wirtschaftsaufbau, der der so anderen Bevölkerungsstreuung des gesamten Bundesgebietes endlich einmal Rechnung trägt. Meine Damen und Herren! Es ist eine Utopie, zu glauben, daß die überkommenen Konzentrationspunkte der deutschen Industrie alle 8 Millionen Flüchtlinge des Bundes in ihrem Gebiet aufsaugen könnten; das ist mehr, als diese überkommenen Konzentrationspunkte leisten können. Deshalb ist die, wie ich weiß, gelegentlich angefochtene Parole nach meiner Auffassung durchaus richtig, nämlich zu sagen, daß wir den in den Flüchtlingen brachliegenden Arbeitshänden die Arbeit entgegenbringen müssen. Daß dies möglich ist, daß auch bei Fehlen einer eigenen Rohstoffbasis ein Wirtschaftsaufbau denkbar ist, zeigt die hundertjährige Geschichte der Gewerbeförderung in Württemberg, das vor 100 Jahren ebenfalls ein Land ohne Rohstoffbasis 'eigener Art war. Wir haben in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr mit den eben genannten 200 000 geschaffenen Arbeitsplätzen ähnliche Erfahrungen machen können. Flüchtlings- und Arbeitslosennot in diesen Flüchtlingsländern verlangen daher aus zwingenden volkswirtschaftlichen Gründen nach einer Zuführung von Kapital.
Daraus ergibt sich die dritte These, daß nämlich Kapitalsammlung und Kapitallenkung gerade
aus dem Problem der Flüchtlingsnot heraus zwingend erforderlich sind. Alle Flüchtlingsländer sehen den gleichen Prozeß vor sich: sie können aus ihrem Land das erforderliche Kapital selbst nicht bilden und sind aus diesem Grunde auf die großen Kapitalsammlungsstellen angewiesen. Deshalb wird ein Land wie Schleswig-Holstein sich jederzeit für den Anreiz zum Sparen bei den Kapitalsammlungsstellen einsetzen, etwa in der Steuergesetzgebung, die nicht die Eigenkapitalbildung und Eigenverwendung dieses Kapitals in den Betrieben und Ländern begünstigen darf, sondern die Fremdkapitalbildung bei den Kapitalsammlungsstellen; denn nur über diese Stellen hinweg kann das Kapital in die betroffenen Länder und an die Arbeitsstätten gebracht werden. Dadurch würden erst die Gefahren der volkswirtschaftlichen Fehlinvestitionen vermieden werden können, sei es bei den Ländern oder sei es bei den einzelnen Betrieben.
Aber aus diesem Grunde ist es wirtschaftspolitisch auch dringend notwendig, daß alle Bundesinstanzen — die Bundesregierung, der Bundestag und den Bundesrat — einen Einfluß auf die zentralen Bankinstitute gewinnen, denn nur mit diesem Einfluß der Bundesinstanzen dürfte es möglich sein, die erforderliche Kapitalsammlung und Kapitallenkung durchzuführen. Es ist dann Sache der Bundesinstanzen, das auf diese Weise bei den Banken und Sparinstituten gesammelte Kapital volkswirtschaftlich richtig, das heißt nicht nur allein in die Länder mit wirtschaftlicher Intensität, sondern auch in die Länder der Arbeitslosigkeit und des Flüchtlingszustroms zu leiten und zu lenken. Insofern kommen wir um eine gewisse Kapitallenkung schlechterdings nicht herum.
Das Interesse aller Flüchtlingsländer, aber auch der künftigen Aufnahmeländer in der französischen Zone etwa ist auf diesem Gebiete vollkommen gleich. Es sollte deshalb gerade auch im Interesse der Arbeitslosen vor einer vorsichtigen Kreditschöpfung nicht zurückgescheut werden. Wir haben es doch erlebt, daß eine Ausweitung der Kredite für das, ich möchte sagen, Importfieber der letzten Monate möglich gewesen ist. Warum sollte auch nicht für die Finanzierung der Aufträge der Investitionsgüterindustrie ein ähnlicher Weg gangbar gemacht werden? Was ist Münzgewinn denn anderes als Kreditausweitung? Ich glaube, wir sollten uns alle an die Erfahrungen der Jahre vor 1932 erinnern. Wer die Dinge miterlebt hat, der hat die Unschlüssigkeit gesehen, die damals dazu führte. daß wir einen politischen Zusammenbruch in der sogenannten ,,Machtübernahme" erlebten. Haben wir diesmal den Mut zum entschlossenen Handeln. denn darum handelt es sich beim Arbeitslosenproblem. Diese notwendige Folgerung aus der Situation ein es Flüchtlingslandes wie SchleswigHolstein trifft die Kapitallenkung für das Kapital auf dem deutschen Markt wie für die ERP-Länder gleichermaßen.
Ich möchte dabei bemerken, daß die Verteilung der ERP-Gelder vom Standpunkt der Flüchtlingsländer aus leider häufig enttäuschen mußte.
Wenn nach dem Invesfitionsplan des Wirtschaftsministeriums jährlich 10 Milliarden DM als Kapital im Bundesgebiet eingesetzt werden sollen, so macht es das Interesse der Arbeitslosen in den Flücht-
lingsländern zwingend notwendig, daß ein angemessener Teil dieser Kapitalien in die Länder der Arbeitslosigkeit gegeben wird. Wir haben vom Herrn Bundeskanzler vorhin gehört, daß ein Teil der in Aussicht genommenen Gelder in die Flüchtlingsländer gegeben werden soll. Aber, wenn ich den Investitionsbedarf Schleswig-Holsteins allein bereits mit 500 Millionen DM vorhin angeben mußte, so werden Sie mir zugeben, daß wir als drei Flüchtlingsländer die 300 Millionen DM selbstverständlich sehr dankbar begrüßen, daß wir uns aber bewußt sein müssen, daß damit erst ein Anfang der erforderlichen Lenkung des Kapitals in diese Flüchtlingsländer gemacht werden kann. So sind Sofortmaßnahmen in denjenigen Fällen erforderlich und möglich, in denen vorhandene, aber nur teilweise ausgenützte Produktionskapazitäten und vorliegende Aufträge eben wegen des Fehlens von Finanzierungsmöglichkeiten, zum Teil auch nur wegen des Fehlens von Überbrückungskrediten nicht in Beschäftigung überführt werden können.
Ich möchte Ihnen dies als einen praktischen Beitrag geben, wie die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern überwunden werden kann. Solche Möglichkeiten liegen vornehmlich im Schiffsbau vor. Bei diesem Schiffsbau wird ja außerdem gleichzeitig eine erhebliche Einsparung von Devisen erreicht, bzw. es werden Verdienstmöglichkeiten für Devisen erschlossen. Es ist dringend notwendig, daß in den Küstenländern der Schiffs- bau eine ganz andere Priorität erhält, als er bisher hatte. Der Schiffsbau muß endlich neben dem Berg- und Wohnungsbau in die erste Priorität gebracht werden. Wenn ich diese Möglichkeit den anderen denkbaren Maßnahmen voranstelle, so deshalb, weil Schleswig-Holstein nicht nur am Ausbau der Handelsschiffahrt interessiert ist, sondern weil wir in Schleswig-Holstein nicht weniger als etwas über 30 Prozent der Werftkapazität des Bundes zur Verfügung stellen können und uns dazu allerdings auch für verpflichtet halten.
Weitere Möglichkeiten, wie sie zum Beispiel mit der Modernisierung unserer Eisenbahn und mit der Elektrizitäts- und Gasversorgung zusammenhängen, sind in allen Flüchtlingsländern vorhanden. Insbesondere ist die Erweiterung und Verbesserung der Elektrizitäts- und Gasversorgung mit ihren Arbeitsbeschaffungsmöglichkeiten für die Intensivierung unserer Landwirtschaft erforderlich, die gerade in den Flüchtlingsländern besonders zu Hause ist. Bei der Verteilung dieser Mittel ist weiter die im Hinblick auf das Auslaufen des Marshallplans im Jahre 1952 unerläßliche Rationalisierung und Verbesserung unseres Produktionsapparates vordringlich zu berücksichtigen. Wir haben in Schleswig-Holstein — etwa dort, wo die Marinewerften eingegangen sind - hervorragende Fachkräfte in Kiel und in Lübeck und können nun im Anschluß an diese Fachkräfte wie an das gewachsene einheimische Gewerbe einen Ausbau der gewerblichen Stätten vollziehen, das heißt die Arbeitsplätze vermehren, und damit können wir gleichzeitig die schon immer in Schleswig-Holstein vorhandene Tendenz zum Export nach den nordischen Ländern verstärken.
Wir benötigen — und das ist die Quintessenz dieser Ausführungen - in einem Flüchtlingslande wie Schleswig-Holstein nicht allein Investitionkredite, sondern auch Betriebsmittelkredite, um unsere Betriebe überhaupt am Leben erhalten zu können. Es gehört weiter ein Ausbau der Verkehrswege im Lande und nach diesen Exportländern des Nordens dazu, weiterhin eine höhere Quote für den Wohnungsbau für die verbleibenden Flüchtlinge und für die Einheimischen. In einem Lande wie Schleswig-Holstein sind die Flüchtlingsbetriebe in erster Linie als Klein- und Mittelbetriebe im Entstehen begriffen, und für diese Flüchtlingsbetriebe sind Globalkredite an die dafür geschaffenen Institute des Landes unerläßlich.
Wenn ich in dieser Weise den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in den Flüchtlingsländern in erster Linie als einen Kampf gegen die strukturelle Arbeitslosigkeit, das heißt als ein Eintreten für die Schaffung dauernder Arbeitsplätze erkenne, so muß gleichzeitig darüber hinaus die akute Not der schwergeprüften Bevölkerung durch entsprechende Maßnahmen zu beheben versucht werden. Ich habe das Programm der Bundesregierung dahin verstanden, daß sie dauerhafte Arbeitsplätze schaffen will, und nur, wenn wir dies tun, können wir echt die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber wir sind uns darüber im klaren, daß wir, bis diese Maßnahmen einsetzen, in den Ländern mit der hohen Anhäufung von Arbeitslosigkeit von 30 Prozent in der Zwischenzeit auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Sinne von Notstandsarbeiten durchführen müssen. Die Arbeitslosen müssen in diesen Ländern bei der politischen Gefahr, die ich gekennzeichnet habe, rasch sichtbar erkennen, daß man an den verantwortlichen Stellen gewillt ist, ihrer Not Herr zu werden.
Dazu gehört nun etwas, was vorhin bereits kurz angesprochen worden ist, das sind die Maßnahmen gegen die allerschlimmste Seite der Arbeitslosigkeit, nämlich gegen die Not der schulentlassenen Jugend. Diese Zahlen erhöhen sich in den nächsten Schulabgangsjahrgängen in erschreckender Weise, sie verdoppeln sich und verdreifachen sich bis zum Jahre 1953. Das sind Probleme, die wir nicht mit der leichten Hand abtun können; denn dahinter steht eine schwere sittliche und moralische Not dieser jungen Menschen. Es ist schon schwer, wenn ein erwachsener Mensch in die Arbeitslosigkeit kommt, aber wenn ein junger Mensch aus seiner Schule herauskommt und im Augenblick überhaupt keine Möglichkeit sieht, in eine Arbeit und in einen Beruf hineinzukommen, so ist das das Schlimmste, was einem Volk überhaupt passieren kann.
Bei uns liegen die Dinge so, daß wir etwa in unserem Lande die Hälfte der schulentlassenen Jugend von 1949 nicht in Lehre oder Arbeit bringen konnten.
Das sind 20 000 junge Menschen, die in diesem Lande in diesem Jahr auf der Straße lagen, und diese 20 000 vermehren sich Ostern 1950 in unserem Lande auf nicht weniger als 45 000 junge Menschen, die keine Lehre oder Arbeit finden werden - neben den 25 000, denen wir Lehre und Arbeit geben können. Wenn mehr als das Doppelte der jungen Lehrlinge künftig — Ostern 1950 — keine Lehre und Arbeit finden werden, so kann man sich das Elend dieser jungen Menschen und auch die Gefahren vorstellen, denen diese jungen Menschen in den nächsten Jahren entgegengehen. Es ist ganz selbstverständlich, daß
dieses Problem in allererster Linie durch die Schaffung von Lehr- und Arbeitsstellen überwunden werden muß. Aber die Anhäufung der jungen Schulabgänger in den nächsten Jahren ist so groß, daß — in jenen Flüchtlingsländern zum mindesten — keine Aussichten bestehen, alle jungen Menschen in Lehre und Arbeit bringen zu können.
Wir versuchen in unserem Lande — und ich weiß, daß Niedersachsen und Bayern das gleiche tun — in Ausbildungswerkstätten auszubilden. Aber diese jungen Menschen müssen eines Tages dann auch in andere Länder hinüberwandern können. In der Zwischenzeit aber können wir diese jungen Menschen nicht verkommen lassen, und das ist der Grund, weshalb wir in Schleswig-Holstein ein Jugendaufbauwerk eingerichtet haben, das eine pädagogische Einrichtung ist, um diese jungen Menschen, die aus der Individualitätsentwicklung der Schule kommen, nun wenigstens auf diese Weise mit Notmaßnahmen in die Gemeinschaft einfügen zu können.
— Das ist kein Arbeitsdienst, sondern das ist eine pädagogische Maßnahme, um die man, verantwortungsbewußt, nicht herumkommen kann.
Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren, die Ausführungen dazu über die Fraktionen zugehen lassen, und ich bitte Sie, sich zu überzeugen, daß man auf diesem Wege mindestens prüfen muß, was für die Jugend zu geschehen hat. Ich möchte nur eines erwähnen. In diesen Jugendaufbauwerken ist es bei den geschlossenen Maßnahmen fast die Hälfte der jungen Menschen, die dort das erstemal in ihrem Leben in einem eigenen Bett schlafen können. So sind die Verhältnisse in unserem Lande.
Meine Damen und Herren! Mein Appell klingt aus mit dem Wunsche, daß Sie erkennen mögen. wie brennend wir in einem Lande wie Schleswig-Holstein an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit interessiert sind. Es kann und darf diesem Hohen Hause nicht gleichgültig sein, wenn in einem Lande, das 1932 schon einmal die schwarze Fahne, Aufruhr und Staatsfeindschaft gezeigt hat, die Arbeitslosigkeit jeden dritten Arbeitsfähigen erfaßt hat. Die Arbeitslosigkeit Schleswig-Holsteins hat heute bereits die Ausmaße erreicht, wie sie in Gesamtdeutschland 1932 vorhanden waren, und hat diese Ausmaße mit 40 und mehr Prozent in einzelnen Kreisen bereits überschritten. Diese Arbeitslosigkeit besteht in einem Lande, dessen wirtschaftliche und soziale Widerstandskräfte durch dieses Nachkriegsschicksal sehr stark geschwächt sind. Die wirtschaftliche und die soziale Situation Schleswig-Holsteins ist durch diese unerhörte Arbeitslosigkeit zum Zerreißen gespannt. Ich bitte Sie namens der schleswig-holsteinischen Regierung, bei Ihren Erörterungen und Beschlüssen zu bedenken, daß, wenn ein Glied einer wirtschaftlichen und sozialen Kette zerbricht, die gesamte Sozialwirtschaft des Bundes gefährdet ist. Befreien Sie, meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein davon, die Hauptstempelstelle des Bundes zu bleiben.