Rede von
Dr.
Victor-Emanuel
Preusker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Herr Professor Nölting hat sehr lange und sehr viel über die gegenwärtige Not der Arbeitslosen gesprochen. Und nur in sehr kurzen, zum Schluß in ganz allgemeinen Worten hat er über „Vollbeschäftigung", „antideflationistische Konjunkturpolitik" und darüber etwas gesagt, was dagegen zu unternehmen sei. Wir fühlen die gegenwärtige Not der Arbeitslosigkeit alle genau so. Wir betrachten sie als ein nationales und soziales Unglück für die Betroffenen selbst, aber auch für unser deutsches Volk, weil wir genau wissen, daß nach den vielen Verlusten, die uns betroffen haben, die Arbeitskraft jedes Einzelnen mit das Wertvollste ist, was uns geblieben ist.
Wenn aber Herr Professor Nölting davon spricht, daß sich bereits abzuzeichnen beginne, daß „die Söhne des Chaos" bei uns wieder ein unheilvolles Spiel beginnen könnten, dann muß ich ihm doch einen Vorwurf machen. Dann darf man auch nicht in dieser unverantwortlichen Weise in Katastrophenstimmung machen.
Das schadet nicht nur hier im Innern, sondern das schadet genau so dem Ansehen des deutschen Volkes und unseren gemeinsamen Anstrengungen nach außen.
Herr Professor Nölting, Sie haben selbst im Augenblick der Währungsreform davon gesprochen, daß wir in Kürze 4-5 Millionen Arbeitslose in Deutschland haben würden.
— Es ist in dem Institut für Weltwirtschaft von 6 Millionen gesprochen worden.
Ich darf nur das eine feststellen. Die Leistungen, die ir. der Zeit seit der Währungsreform vollbracht worden sind, und zwar angesichts des Hereinströmens von 8 Millionen Heimatvertriebenen, des weiteren — kontrollierten und unkontrollierten — Hereinströmens von Hunderttausenden von Menschen aus der Ostzone, der Demontagen, der Produktionsverbote und -beschränkungen, die uns auferlegt sind, und all der Hemmungen, die durch die Zonenzerreißung, durch die Zerreißung eines einheitlichen Wirtschaftskörpers entstanden sind,
dürfen sich wohl vor der Welt sehen lassen. Sie sind ja auch draußen schon wieder als eine Art deutsches Wunder bezeichnet worden. Unter 9 Millionen Heimatvertriebenen, Ostzonenflüchtlingen und Heimkehrern befinden sich normalerweise mindestens 41/2 Millionen Erwerbspersonen. Die Tatsache, daß es seit der Währungsreform gelungen ist, die Arbeitslosigkeit nicht höher ansteigen zu lassen als auf den bedauerlichen gegenwärtigen Stand von 1,9 Millionen, beweist also, daß es tatsächlich möglich gewesen ist, durch die soziale Marktwirtschaft und die Entfesselung der Leistungskraft wenigstens 2-2,5 Millionen Menschen zusätzlich in Arbeit und Brot zu bringen. Derselbe Weg trägt deshalb alle Erfolgschancen in sich, auch endgültig in zäher gemeinsamer Anstrengung, zu der dann allerdings gehört, daß man das Vertrauen stärkt und nicht das Mißtrauen, das ganze Arbeitslosenproblem zu meistern.
Sie sprechen von der Vollbeschäftigung., Ich glaube, darüber ist sich die gesamte Theorie einig, daß es kein allzu großes Problem ist, eine Vollbeschäftigung um jeden Preis zu erzielen. Sehen Sie einmal in die Ostzone mit ihren Uranbergwerken und Zwangsarbeitern in Aue, mit ihrem Hennecke-System der „Vollbeschäftigung". Es geht ja nicht allein um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern es geht gleichzeitig darum, in unserem Volk die Not zu überwinden, wieder die Freiheit und die soziale Sicherheit zu erringen.
Da darf ich Ihnen nun das eine sagen. Wenn wir in den Jahren der Zwangswirtschaft nur 600 000 Arbeitslose hatten — Herr Professor Nölting sprach von Schlangen vor den Arbeitsämtern —, so standen damals, Herr Professor Nölting, die Schlangen aber vor den Lebensmittelläden. Und wenn Sie eine solche „Vollbeschäftigungs"-Politik betreiben, dann muß sie über kurz oder lang wieder zu dem gleichen Ergebnis führen. Denn was können Sie denn mit einer Kreditschöpfung, die ungehemmt und unkontrolliert erfolgt, anderes erreichen als entweder eine ungeheure Preissteigerung und damit eine Senkung des Reallohnes? Oder aber, wenn Sie das nicht wollen, stoßen Sie bei unserer beengten wirtschaftlichen Lage sehr schnell an Grenzen. Sie müssen dann wieder anfangen zu bewirtschaften, und Sie müssen wieder die ganze Bürokratie der Lebensmittel- und Wirtschaftsämter aufleben lassen.
Sie kommen darum nicht herum. Ich glaube, das eine werden Sie auch einsehen, daß dies dann das Ende der Freiheit und daß es auch gleichzeitig das Ende der Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg ist. Die Arbeitskraft wird nicht nur vergeudet, wenn sie durch die Arbeitslosigkeit nicht zur Entfaltung kommt, sondern sie wird genau so vergeudet, wenn sie sich in einem Heer von Bürokraten auf den Lebensmittel- und Wirtschaftsämtern zusammenballt.
Wir begrüßen deshalb, daß uns hier von der Bundesregierung ganz klar ein Programm derselben zielbewußten Weiterentwicklung der Maßnahmen seit der Währungsreform dargelegt worden ist, das wirklich geeignet erscheint, zur weiteren Gesundung zu führen.
Ich darf wohl das eine sagen: Wenn Sie den Vorwurf erheben, daß man sich erst jetzt — wie
Sie sagten, vielleicht aus „Bequemlichkeit" - mit dem Problem der Arbeitslosigkeit beschäftige, so möchte ich demgegenüber erklären: gerade wir. die Mitglieder der FDP-Fraktion, haben bereits im Wahlkampf gefordert, daß ein besonderes Bundesministerium für den Wohnungsbau geschaffen wird, weil wir die zentrale Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit, deren Ursachen zur Genüge dargelegt worden sind, und gleichzeitig die Bekämpfung des Heimatvertriebenenelends in der Lösung der Wohnungsfrage des deutschen Volkes gesehen haben. Wir werden auch auf diesem Gebiet an die Regierung die höchsten Anforderungen stellen, und wir wissen auch, daß diese Anforderungen erfüllt werden.
Wenn bereits jetzt für den Wohnungsbau 21/2 Milliarden DM für das Jahr 1950 angesichts einer Gesamtinvestition von 7 oder 8 Milliarden DM im Jahre 1949 sichergestellt worden sind, dann ist das eine ganz außergewöhnliche Leistung. Es kommt auch nicht darauf an, daß man die gesetzliche Regelung vielleicht noch nicht in allen Einzelheiten vorgenommen hat; viel wichtiger ist, daß diese Mittel bereits jetzt zur Verfügung stehen und daß alle diejenigen, die baureife Projekte in dem Rahmen der vorgesehenen Baumaßnahmen vorzulegen haben, bereits jetzt sicher damit rechnen können, mit dem Bauen beginnen zu können. Daher wird auch die Hauptentlastung des Arbeitsmarktes im Laufe des Jahres 1950 kommen.
Wir können diese Entwicklung noch weiter fördern, wenn wir uns alle zu einer gemeinsamen Anstrengung im. Interesse des ganzen deutschen Volkes zusammenfinden. Wir müssen in dem Rahmen, in dem es uns nur möglich erscheint, auf irgendwelche, vielleicht manchmal überflüssige Konsumdeckung — ich denke dabei an manchen Totozettel oder ähnliches — verzichten und uns an dem großen „Deutschen Wohnungswerk", an der Zwecksparaktion für den deutschen Wohnungsbau beteiligen, über die, wie wir hoffen, vom Herrn Bundeswohnungsminister so bald wie möglich ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der dann hier verabschiedet werden kann.
Wir wissen, daß die für eine bewußte Förderung der Entwicklung unserer Lebensgrundlagen gegebenen Möglichkeiten ihre Grenzen im Augenblick sehr stark darin finden, wieviel Deutschland exportieren kann. Ich darf wohl das eine sagen: die Politik der Befreiung von den Fesseln der Zwangswirtschaft hat es fertiggebracht, daß die deutsche Ausfuhr sich im Jahre 1949 gegenüber 1948 von 1,8 auf 3,6 Milliarden DM verdoppeln konnte. Auch das reicht bei weitem noch nicht hin, um ohne Hilfe des Marshallplans, ohne Hilfe der GARIOA-Mittel den Bedarf an Lebensmitteln und Rohstoffen aus eigener Kraft zu decken.
Wenn uns die Bundesregierung daher erklärt, daß neben dem Wohnungsbau die Förderung der deutschen Ausfuhr, die Förderung der deutschen Exportindustrie ihr Hauptziel sein wird, und wenn sie dafür bereits jetzt 300 Millionen D-Mark zur Verfügung gestellt hat, dann sind wir sicher, daß mit diesen Mitteln die Grenzen, die auf manchen anderen Gebieten einer Finanzierung der Investitionen noch etwas eng gesetzt zu sein scheinen, wesentlich erweitert werden können.
Wir müssen nun einmal 50 Prozent unserer Nahrungsmittel und einen wesentlichen Teil unserer Rohstoffe aus dem Ausland einführen. Wir sind deshalb auf Leben und Tod darauf angewiesen, uns in diese Weltwirtschaft einzuordnen, mit den anderen Volkswirtschaften in Wettbewerb zu treten, um unsere Unabhängigkeit und unsere soziale Sicherheit zu stabilisieren. Ich glaube, es hat vielleicht keinen sichereren Beweis für die bereits erreichte innere Widerstandsfähigkeit und Gesundung unseres wirtschaftlichen Wiederaufbaues gegeben, als die Tatsache, daß die seit Oktober vorigen Jahres vollzogene sogenannte Liberalisierung, das heißt Freigabe des deutschen Inlandsmarktes gegenüber der europäischen Konkurrenz, nicht schlechthin zu einer Überschüttung und Erstickung der deutschen Industrie geführt hat, sondern daß es sich deutlich erweist, daß trotz Pfundabwertung und ähnlicher Benachteiligungen, die seit September vorigen Jahres nun einmal als eine Tatsache gegeben sind, die deutsche Wirtschaft exportfähig ist und auch weiterhin sein wird. Auch von dieser Seite her darf man also Vertrauen in die Zukunft haben. Die Förderung, die hier geschieht, erfolgt also auf einem Gebiet, das ganz besonders auch das Arbeitslosenproblem in seiner ganzen Tiefe wird beeinflussen können.
Daß die Regierung weiterhin die Bundesbahn, die Klein- und Mittelindustrie mit besonderen Förderungsmaßnahmen im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bedenkt, wird ebenfalls die Probleme der nächsten Zeit erleichtern. Wir haben dabei noch den einen Wunsch, daß vieles von dem, was hier zur Förderung von Vorhaben in den Notstandsgebieten Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und Bayerns vorgesehen ist, besonders der Förderung der Existenzbildung unter den Heimatvertriebenen zugute kommt. Denn wir wissen, daß gerade aus diesen Kreisen dem deutschen Kampf um die Auslandsmärkte wertvollste Kräfte zuwachsen können. War doch die sudetendeutsche Wirtschaft auch früher der Hauptträger der Ausfuhr der ehemaligen Tschechoslowakei.
Wir sind Herrn Professor Erhard ganz besonders dankbar für seine Erklärungen hinsichtlich der Erhaltung und Förderung der Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Schon im Marshallplanabkommen ist ausdrücklich vorgesehen, daß Deutschland seine landwirtschaftliche Erzeugung intensivieren und steigern soll, soweit es nur irgend in seinen Kräften steht. Was wir auf diesem Gebiet tun, erspart uns auf der Einfuhrseite Devisen, die wir wiederum für andere industrielle Rohstoffe zur Förderung unserer gewerblichen Produktion verwenden können. Das gibt auf der anderen Seite unserer inländischen Wirtschaft und namentlich unserer Industrie eine wachsende Sicherheit im Absatz ihrer Erzeugnisse, die sie dann, statt auf unsichere Märkte angewiesen zu sein, an eine dauernd kaufkräftige inländische Agrarwirtschaft absetzen kann. Man sollte dieser Tatsache die allergrößte Bedeutung beimessen.
Wenn wir uns einmal die Zusammensetzung der gegenwärtigen Arbeitslosenzahl von 1,9 Millionen ansehen, so fällt uns auf, daß darin außer 560 000 heimatvertriebenen Arbeitslosen, die allein auf die strukturellen Notstandsgebiete Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und Bayerns entfallen, eine Abnahme der landwirtschaftlichen
Beschäftigung um allein 370 000 Arbeitskräfte gegenüber dem Zeitpunkt der Währungsreform enthalten ist. Darüber hinaus sind noch weitere 223 000 Arbeitslose im wesentlichen auf die Verminderung des behördlichen Bewirtschaftungsapparats zurückzuführen, was wir, glaube ich, in diesem Zusammenhang wohl eher als eine Erscheinung der Gesundung unserer Wirtschaft betrachten können. Die 370 000 Arbeitskräfte, die aus der Landwirtschaft freigesetzt wurden, möchten wir gern durch die Förderung der Landwirtschaft, die sich im Sinne einer Gleichbewertung der landwirtschaftlichen Arbeit im Rahmen ihrer Intensivierung vollziehen muß, wieder dorthin zurückkehren sehen.
Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß hier mit nicht allzuviel Aufwand an Kapital, sondern im wesentlichen durch organisatorische und preispolitische Maßnahmen ungeheuer viel erreicht werden kann. Man kann es gar nicht einmal so seltsam finden, wenn jemand, der bei neunstündiger Arbeit, und zwar harter Arbeit, in der Landwirtschaft nur 28 oder 29 Mark in der Woche nach Hause trägt, es sich unter Umständen überlegt, daß er dumm wäre, wenn er nicht von der Gelegenheit Gebrauch machte, in der Stadt, ohne etwas tun zu müssen, 30 bis 31 Mark Arbeitslosenunterstützung zu bekommen!
Hier muß entschieden und kann sehr schnell eine Abhilfe geschaffen- werden; und es hat uns besonders gefreut, gerade von Herrn Wirtschaftsminister Professor Dr Erhard zu hören, daß er diesem Problem im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden wird.
Wir sehen auch in der von der Regierung vorgeschlagenen und von Anfang an geforderten Steuersenkung und Steuerreform eine der wesentlichsten Stützen für eine Politik der Steigerung der Beschäftigung und der Verminderung der Arbeitslosigkeit.
Denn es wird gerade dadurch ein ganz erheblicher Betrag — seien es 900 Millionen, sei es eine Milliarde D-Mark oder mehr — für neue, und zwar sinnvolle Investitionen in der Wirtschaft frei, mit deren Hilfe das, was gegenwärtig als strukturelles Problem vor uns steht, nämlich die Schaffung neuer Arbeitsplätze, erfolgreich in Angriff genommen werden kann.
Ich glaube also, abschließend für unsere Fraktion sagen zu dürfen: Angesichts der Leistungen, die in der Überwindung einer zunächst geradezu ausweglos erscheinenden Lage seit anderthalb Jahren, seit der Umschaltung auf die soziale Marktwirtschaft gezeigt worden sind, und angesichts des Programms, das uns hier entwickelt wurde mit dem Hauptgewicht auf dem Wohnungsbau, mit der Förderung des Exportes, der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Investitionen, der Schaffung weiterer Arbeitsplätze gerade in den Gebieten, wo die Not am größten ist, und der Förderung der Landwirtschaft, werden wir mit gesicherter Währung, die sich in einem dauernden Steigen des D-Mark-Kurses von 23,80 Schweizer Franken im Juni 1948 auf jetzt 84 Schweizer Franken am besten dokumentiert hat, und einem gesteigerten Sparwillen, gestützt auf
das Vertrauen der Bevölkerung auch endgültig wieder dazu kommen, daß unser Volk in Freiheit seine soziale Sicherheit und dann auch tatsächlich seine Vollbeschäftigung zurückgewinnt. Ich bin überzeugt davon: wenn Sie heute das deutsche Volk wählen ließen, ob es lieber zurückwollte in eine Politik, die gekennzeichnet ist durch ungehemmte Kreditschöpfung mit der zwangsläufigen Auswirkung einer Rückkehr der Zwangsbewirtschaftung und allen anderen Folgen, die hinter uns liegen, oder ob es sich verbissen und zäh mit uns durchkämpfen will in eine bessere Zukunft, dann fällt die Entscheidung noch sicherer zugunsten der sozialen Marktwirtschaft aus als am 14. August 1949.