Rede:
ID0103607500

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    Deutscher Bundestag — 36. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950 1141 36. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen 1141 B, 1214 C Ersuchen des bayerischen Justizministeriums betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Dr. Baumgartner 1141 C Beratung des Antrags der SPD betr. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Drucksache Nr. 406 1141C Dr. Nölting (SPD), Antragsteller 1141 D, 1209 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1149A, 1182 B Storch, Bundesminister für Arbeit . . 1152 B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft' 1154B, 1212 B Dr. Seelos (BP) (zur Geschäftsordnung) 1158D Dr. Preusker (FDP) 1159 C Dr. Preller, Schleswig-Holsteinischer Landesminister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr 1162 A Dr. Seidel, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft 1165 C Sabel (CDU) 1166 D Walter (DP) 1170 C Wönner (SPD) 1172 A Etzel (CDU) 1175 D Kubel, Niedersächsischer Minister für Arbeit und Aufbau 1180 D Dr. Etzel (BP) 1183 A Dr. Bertram (Z) 1189C, 1204 C Loritz (WAV) 1189 D Nuding (KPD) 1195 C Frau Wessel (Z) 1200 C Krause (Z) 1206 B Dr. Wellhausen (FDP) 1206 D Dr. Richter (DRP) 1208 D Dr. von Brentano (CDU) 1213 D Nächste Sitzung 1214 C Die Sitzung wird um 14 Uhr 41 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Alfred Loritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Ich trete dann ab, wann es mir beliebt bzw. wann meine Redezeit abgelaufen ist, Herr Abgeordneter. Und wenn Sie nur einen Funken Gefühl für Demokratie haben, dann benehmen Sie sich bitte so, daß Sie vor der Öffentlichkeit bestehen können.

    (Abg. Hilbert: Danke, dito!)

    Ich glaube, das, was ich sagte, war so, daß Sie sich nicht beschweren können. Ich hätte noch ganz anders reden können, vielleicht sogar reden sollen, nämlich so, wie draußen unsere Bevölkerung über Ihre Tätigkeit da herinnen urteilt, meine Herren!

    (Zuruf von der CDU: Und über die Ihre! — Heiterkeit.)

    — Wie die Bevölkerung über meine Tätigkeit urteilt, darüber werden Sie bei der nächsten Wahl die Antwort bekommen.

    (Lachen in der Mitte und rechts.) Jedenfalls hat mich unsere Bevölkerung hierhergeschickt, und ich habe genau dasselbe Recht wie Sie, hier sprechen zu dürfen.


    (Zuruf aus der Mitte: Zur Sache!)

    - Sie sind daran schuld, wenn immer wieder eine Abschweifung vom Thema kommen muß. Denn ich lasse nicht zu, daß Sie mich hier ständig zu einer Spottfigur degradieren können.

    (Abg. Strauß: Wir? Wir doch nicht!)

    Sie machen es mit Ihrem Gelächter und Ihrem ganzen Benehmen!

    (Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir müssen raschestens eine Beseitigung der behördlichen Schranken bekommen, die einer Belebung des Baumarktes und einer Belebung auf den verschiedenen Wirtschaftsgebieten noch stets im Wege stehen. Wenn Sie das nicht tun, dann werden Sie erleben, daß die Privatwirtschaft sich so gut wie nicht an der Durchführung eines Bauprogramms beteiligt. Dann werden Sie weiterhin sehen, daß die Belebung des Baumarktes im kommenden Frühjahr nicht ausreicht, um auch nur den Großteil der Bauarbeiter von der Straße weg ins Erwerbsleben zurückzuführen,

    (Zuruf von der CDU: Es wird ausreichen!) von dem anderen ganz abgesehen. Ich habe Ihnen gerade schon geschildert, daß die Arbeitslosenziffer keinesfalls nur durch das Versagen auf dem Baumarkt in dieser Höhe bedingt und verursacht ist.

    Meine Damen und Herren, es ist bitter genug, wenn man lesen muß, daß sogar die Hohe Kommission der Regierung Vorwürfe macht, und zwar berechtigte Vorwürfe deshalb machen kann, weil Riesenbeträge, die der Regierung aus dem Gegenwertfonds zur Verfügung stehen, nicht angewandt worden sind, um die Wirtschaft zu beleben. Wenn Herr Abgeordneter Etzel von der CDU versucht, der Opposition einen Vorwurf daraus zu machen. daß sie das erwähnt hat — Sie haben es ja schon gegenüber dem Redner einer anderen Oppositionspartei getan —, dann sage ich Ihnen: es ist traurig, daß diese Verschwendung tatsächlich nicht von Ihrer Seite gerügt, sondern so lange gewartet wurde, bis vom Ausland her der Finger auf diese Wunde gelegt wurde und gelegt werden mußte. Ich schaue nur mit Zittern dem, Zeitpunkt entgegen, da die Riesenbeträge, die aus der Marshallplanhilfe in unser Land einfließen, nicht mehr fließen werden. Dann wird die Situation vielleicht wieder so kommen wie damals, als im Jahre 1929 die ausländischen Kredite an Deutschland plötzlich abgestoppt wurden. Die Regierung müßte alles tun, um jetzt schon Vorsorge dagegen zu treffen, daß sich diese Vorfälle von 1929 wiederholen. Bisher ist aber so gut wie nichts dagegen getan worden.
    Man hat heute mit Ziffern und Zahlen aller Art operiert. Der Herr Arbeitsminister sprach von den Seeleuten, die arbeitslos sind, und sagte, das bedinge die hohe Arbeitslosenziffer. Die Zahl der Seeleute, die arbeitslos sind, ist zwar groß, keineswegs aber so hoch, um auch nur das jetzige Ansteigen der Arbeitslosen zu erklären. Die Seeleute sind nämlich schon seit Jahr und Tag arbeitslos, und ich weiß bei Gott nicht, wie der Herr Arbeitsminister Storch hier zu seinen Folgerungen gekommen ist. Diese Arbeitslosigkeit besteht schon seit Jahr und Tag. Wir sprechen aber in diesem Hause von dem rapiden Anwachsen der Arbeitslosigkeit, seitdem die Regierung Adenauer am Ruder ist. Und dieses Problem kann nur durch engstes Zusammenarbeiten zwischen der Bundesregierung, den Länderregierungen und den Parlamenten gemeistert werden.
    Heute sieht es aber ganz anders aus. Heute haben die Regierungsparteien überall ein Regime errichtet, das, weiß Gott, nicht nach Zusammenarbeit, sondern nach Ausschaltung der Opposition


    (Loritz)

    aussieht. Und so wie es heute in diesem Hause zugegangen ist — ich brauche es Ihnen nicht nochmals zu wiederholen, wie die Rednerliste festgesetzt wurde, bei der die Opposition so gut wie gar nicht zum Zuge gekommen ist, wo zuerst sieben Redner der Regierungsparteien so lange redeten, bis alles ermüdet war —,

    (Zurufe und Heiterkeit bei der CDU/CSU) mit der gleichen Methode machen Sie es auch woanders! Sie haben heute ein Regime aufgerichtet, das nicht etwa alle Kräfte im Volke heranzieht, die bereit sind, mitzuarbeiten und ihre Meinung darzutun, wie man an dieses Problem herangeht und ihm abhelfen könnte. sondern Sie handeln heute nach dem Grundsatz „autos epha" - „Er hat es gesagt" — der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer nämlich und die Parteichefs der CDU/CSU und der mit Ihnen verbündeten Parteien. Dieses „autos epha", dieses Autoritär-sein-wollen selbst dort, wo man, weiß Gott, ganz anders als mit solchen Methoden vorgehen muß, das wird Ihnen, so fürchte ich, zum Unheil werden.


    (Abg. Strauß: Fürchten Sie?)

    — Ja, das fürchten wir, Herr Zwischenrufer, und das fürchten nicht nur wir von der WAV, sondern das fürchten Millionen von Mitbürgern draußen auch.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine gewagte Behauptung!)

    — Nein, das ist keine gewagte Behauptung! Schauen Sie sich doch an, was die Leute draußen auf der Straße reden! Schauen Sie sich doch die Leute vor dem Arbeitsamt an, was die sagen, und sprechen Sie mit denen! Sprechen Sie nicht immer nur mit Ihren Kollegen im Bundestagsrestaurant, sondern draußen mit der Bevölkerung!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun Sie wohl!)

    — Jawohl, das tue ich! Ich gehe hinaus und spreche mit der Bevölkerung

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir alle!)

    und nicht bloß mit den Parteimitgliedern!

    (Zurufe aus der Mitte: Kurz fassen! Zur Sache!)

    Meine Damen und Herren! Wir stehen in Deutschland an einem Wendepunkt,

    (Heiterkeit und Zurufe)

    — Sie haben wahrscheinlich gar nicht zugehört. Mein Vorschlag war - das wiederhole ich Ihnen jetzt zum letzten Male —: eine sofortige Kürzung der Länderhaushalte und des Bundeshaushalts um mindestens 10 und höchstens 20 Prozent. Man könnte sogar noch weiter gehen.

    (Lebhafte Zurufe.)

    Und im Zusammenhang damit: die sofortige Beseitigung der Schwierigkeiten und der Hindernisse, die einer Belebung der Wirtschaft auf dem Gebiete des Bauwesens genau so wie auf den Gebieten anderer Produktionszweige entgegenstehen.

    (Abg. Strauß: Reicht ja nicht!)

    Das ist das erste, was Sie zunächst einmal tun müssen, und das haben Sie bisher noch nicht getan. Sie streiten sich über theoretische Begriffe, hie Kapitalismus, hie Planwirtschaft! Theoretische Ausführungen aller Art haben wir heute zu hören bekommen. In Wirklichkeit aber kann nur ein empirisches Vorgehen helfen, ein Vorgehen,
    bei dem von Fall zu Fall festgestellt wird: welche Arbeitsmöglichkeiten bestehen hier? Wenn die dann aber da sind, dann bitte keine bürokratischen Schranken mehr, kein Instanzenweg, auf dem Baugesuche ein halbes Jahr und ein Jahr lang liegen bleiben.
    Ich will Ihnen noch einen Vorschlag machen, damit Sie, Herr Strauß von der CDU, zufriedengestellt werden.

    (Abg. Strauß: Bis jetzt haben Sie nur einem zu schaffen gemacht!)

    Warum geben Sie denn nicht den arbeitslosen Bauarbeitern und den Heimatvertriebenen Land, das heute im Besitz der Bundesländer ist, das nicht großen Teil Ödland darstellt? Denken Sie nur einmal an die Riesengebiete in der Umgebung von München, die seit vielen Jahren kahlgeschlagen sind und die wir gar nicht mehr aufforsten können, außer mit riesigen Unkosten, so daß sich der Wald nicht mehr rentiert. Herr Kollege Strauß, Sie sind ja von München: Denken Sie einmal an den Kahlschlag bei Planegg. Dort können Sie vierstöckige Wohnhäuser hinstellen, so daß 10- oder 20 000 Leute dort zu Wohnungen gelangen können.

    (Zuruf von der CDU: Wurzeln suchen!)

    - Was man dort gerade auf dem Kahlschlag macht? Ja, Sie kennen die Verhältnisse wahrscheinlich nicht!

    (Zuruf von der CDU: Das ist Länderangelegenheit!)

    Das ist nämlich bestes Siedlungsgebiet, und die Leute haben in den Großstädten jedenfalls Arbeitsmöglichkeiten. Sie können dort auch noch einige Flüchtlingsindustrien ansiedlen. Auf diesen selben Kahlschlägen sind die Münchener Vororte gebaut worden, Herr Kollege. Sie reden nur so, weil Sie die Verhältnisse dort nicht kennen. Ich würde mich hüten, Beispiele zu nennen, die wir nicht genau durchdacht haben und wo nicht Sachverständige das, was ich Ihnen jetzt sage, schon vorher geprüft haben. Dieser Boden kostet keinen Pfennig. Wenn der Staat diesen Boden den Ausgebombten und den Heimatvertriebenen schenkt, macht er noch dazu das beste Geschäft; denn dann bekommt er nach 1, 2 oder 3 Jahren aus diesen Böden, die heute keinen Ertrag liefern, Steuern herein: Mietzinssteuer, Grundsteuer, Gewerbesteuer usw. Geben Sie diesen arbeitslosen Heimatvertriebenen, geben Sie diesen arbeitslosen Ausgebombten nur das Baumaterial, die Ziegelsteine, die in Hülle und Fülle vorhanden sind, und sonstiges Rohmaterial, und Sie werden sehen. daß sich diese Arbeitslosen selbst, ohne daß Sie sie eigens noch bezahlen müssen, dort Häuser bauen. Allerdings werden sie sich nur dann Häuser bauen, wenn diese Leute die Gewißheit haben, daß diese Häuser, die sie sich im Schweiße ihres Antlitzes gebaut haben, ihnen dann auch wirklich für alle Zeiten gehören und daß sie nicht etwa irgendeinen großen Bauunternehmer dadurch zu einem Multimillionär machen.

    (Zurufe von der CDU: Zur Sache!)

    - „Zur Sache!" rufen Sie jetzt noch? Ich spreche die ganze Zeit zur Sache, aber Sie hören das anscheinend nicht oder wollen nicht hören. Sie können auf diese Art und Weise Wohnungen für viele, viele, für Hunderttausende von Flüchtlingen und einheimischen Ausgebombten schaffen, ohne daß Ihnen das auch nur nennenswerte


    (Loritz)

    Geldausgaben verursacht; Sie haben keine Ausgaben für Arbeitslöhne, denn es sind Arbeitslose und Unterstützte, die gerne arbeiten; keine Ausgaben für den Boden — der steht in Hülle und Fülle zur Verfügung —, sondern nur noch Ausgaben für das Baumaterial, das Sie ihnen anfahren müssen.

    (Zuruf von der CDU: Und wovon sollen die Leute leben?)

    - Wovon die leben sollen? Ja, fragen Sie doch die Leute, wovon sie jetzt leben! Sie leben von ihrer Arbeitslosenunterstützung und wären froh, wenn sie sich dann nach einem halben Jahre oder einem Jahre ein Haus geschaffen hätten. Führen Sie das System des Miteigentums nach Stockwerken oder nach Bruchteilen ein - das nach Bruchteilen ist ja schon da —, geben Sie den Leuten die Häuser, die sie sich bauen, dann haben sie wenigstens eine Wohnung, statt daß sie in den jämmerlichen Holzbaracken draußen bei Planegg wohnen und im Winter frieren, denn die Winter bei uns sind kalt. Ein Redner hat heute gesagt, wir haben noch keinen Winter gehabt. Hier oben vielelicht nicht, aber da unten bei uns. Im fünften Winter sind diese Leute heute in den Holzbaracken. Sie bräuchten nur die Ziegelsteine und das Baumaterial, das in Hülle und Fülle vorhanden ist. Dafür sollen die Gelder eingesetzt werden, die wir dadurch bekommen, daß wir die Haushaltspläne des Bundes und der Länder um 10 oder 20 Prozent beschneiden; dann haben Sie die Häuser und die Wohnungen. Dort können Sie auch Flüchtlingsindustrie ansiedeln, die Gablonzer zum Beispiel oder andere, und Sie werden dort zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten schaffen.
    Noch andere Arbeitsmöglichkeiten gibt es; da müssen Sie allerdings dann unter Umständen auch mit Subventionierungen eingreifen. Auch dort, wo die Landwirtschaft einen größeren Bedarf an Arbeitern hat, ist es zum großen Teil ein Wohnproblem, warum sich so wenige Leute für diese im Interesse der Volkswirtschaft so wichtigen Arbeiten melden!
    Sehen Sie, daß sind alles Möglichkeiten, Herr Abgeordneter Strauß, wo Sie mit verhältnismäßig geringen Geldmitteln große Werte schaffen und vor allem eines schaffen können, nämlich: die Leute, die heute arbeitslos herumstehen, zur Arbeit zu bringen und ihnen gleichzeitig ein kleines, aber zu eigen - gehörendes Besitztum verschaffen zu können. So könnte ich Ihnen noch stundenlang Beispiele dafür nennen, wie Arbeitsbeschaffung möglich ist.

    (Zuruf: Um Gottes willen!)

    — Sie sagen „um Gottes willen"! Nehmen Sie nur den Namen Gottes nicht immer so leichtfertig in den Mund, Sie, meine Herren von der CSU, die Sie in der Schule gelernt haben, man sollte den Namen Gottes nicht eitel nennen!

    (Abg. Strauß: Wir sind liberal!)

    Meine Damen und Herren, das alles sind Arbeitsbeschaffungsmöglichkeiten größten Umfanges. Sie sind nicht ausgeschöpft worden, und ich fürchte, bei den heutigen Regierungsverhältnissen werden sie auch nicht ausgeschöpft werden. Leider ist es so! Wir haben dieser Regierung — das muß uns jeder bestätigen, der die Dinge verfolgt hat — eine Chance gegeben. Wir haben damals, im September, gesagt: Wir warten jetzt zu, was die Regierung Adenauer fertigbringt; wir werden sie nach ihren Taten beurteilen. Heute sind die Taten schon da: Scherben auf dem Gebiet der
    Außenpolitik und ein riesenhaftes Ansteigen der Arbeitslosenziffer. Sehr bedauerlich, daß die Bundesverfassung keine Möglichkeit läßt, der Regierung einen Denkzettel in Form eines Mißtrauensantrages zu geben, damit man rechtzeitig Vorkehrungen treffen könnte, ehe nach vier Jahren eine unfähige Regierung unser Volk neuerdings ins Verderben gebracht haben wird.
    Wir können demgegenüber nur eines tun, nämlich Sie alle — einen anderen Weg gibt es für uns noch nicht — dringend zu bitten, endlich einmal den Ernst der Lage wirklich zu erkennen und mit Ihrem Gelächter aufzuhören, bevor die Demokratie in unserem Lande abermals zu Grabe getragen wird. Wir von der Opposition wollen Ihnen helfen. Sie haben aber dafür nur Hohn und Spott übrig. Mögen Sie das, dieses Ihr Versagen, diese Ihre kurzsichtige Haltung mit Ihrem Gewissen ausmachen. Ich hoffe, unser Volk wird Ihnen noch rechtzeitig die Antwort geben.


Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nuding.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hermann Nuding


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Die Diskussion in diesem Hohen Hause über das Arbeitslosenproblem hat heute eigenartige Formen angenommen. Wir wurden von der Regierungsbank aus sehr eingehend über das belehrt, was die Regierung eigentlich erwartet. Herr Adenauer erwartet, daß seiner Regierung nicht das Mißtrauen ausgesprochen wird. Ja, er verlangt, daß man seine Regierung mit der Demokratie schlechthin identifiziert. Damit hat er etwas gesagt, was man seither von dieser Seite fälschlicherweise anderen Regierungen in wirklich demokratischen Ländern unterstellt hat.
    Auch ich muß meine Rede zur Arbeitslosigkeit mit kritischen Bemerkungen beginnen, und zwar trotz der Bestätigungen und der Beteuerungen des Bundesarbeitsministers, daß die angegebenen Zahlen über den wirklichen Stand der Arbeitslosigkeit stimmen. Man sprach von 1,9 Millionen Arbeitslosen in Westdeutschland, im gleichen Zusammenhang aber nicht von den 300 000 in West-Berlin. Das scheint schon ein Versuch zu sein, die wirkliche Situation zu vertuschen. Mir ist gesagt worden, der Herr Arbeitsminister habe an die Arbeitsämter einen Erlaß herausgegeben, in welchem verlangt werde, die schulentlassene Jugend nicht als arbeitsuchend zu registrieren.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    510 000 junge Menschen sind bereits arbeitslos. Wir haben heute Zahlen von einigen Ländern gehört: Schleswig-Holstein, und ich glaube, auch Niedersachsen. Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, .daß große Teile der Jugendlichen, die im letzten Jahr aus der Schule entlassen wurden, keine Arbeitsstelle bekommen haben. Wenn nun auf höhere Weisung diese Menschen überhaupt nicht registriert werden sollen, so bedeutet das schlechthin, daß man ihnen das Recht auf Arbeit abspricht. Dieses nach dem Grundgesetz gewährte Recht kann und darf aber von einer Regierung, die es mit der Lösung des schweren Problems der Arbeitslosigkeit ernst meint, nicht außer acht gelassen werden, wenn sie nicht ganz bestimmte Absichten damit verfolgt. Wir legen deshalb Wert darauf, von der Bundesregierung zu erfahren, ob dieser Erlaß oder diese Anordnung an die Arbeitsämter tatsächlich gegeben worden ist und welchen Zweck ein solcher Erlaß von seiten der Regierung haben soll. Denn diese Menschen verlängern, wenn sie nicht registriert sind, die große


    (Nuding)

    Kette derer, die im Nazireich keinen anderen Beruf erlernen konnten als den des Kriegshandwerks. Gerade diese Menschen, die damals keinen Arbeitsplatz bekommen haben, haben es heute, nachdem sie 8 und 10 Jahre im Kommißrock gesteckt sind, ungeheuer schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Es scheint auch genügend Kreise zu geben, die bewußt Wert darauf legen, daß diese Menschen keinen Beruf finden, weil man sie nämlich für andere Zwecke zu mißbrauchen versucht. Für welche, werde ich später beweisen.
    Heute ist sehr viel über die Ursache der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland diskutiert worden, und man konnte den Eindruck bekommen, daß zum ersten Mal in diesem Hause die Redner der Regierung sowie auCh der Parteien, die dem Marshallplan anhängen, ganz vergessen haben, daß es ein Europa und einen Marshallplan gibt; denn sie haben nur in zwei Fällen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen die Erwerbslosigkeit in Verbindung mit außenpolitischen Problemen gesprochen. Und das war Furcht vor dem Osten, Furcht vor der Tatsache, daß dieser westdeutsche Staat nicht in der Lage sein wird, der Anziehungspunkt, der Magnet für die Menschen im Osten zu sein. Man hat versucht, die Arbeitslosigkeit bei uns allein aus den hier gegebenen Bedingungen zu erklären. Aber diese Bedingungen, Herr Kollege Professor Dr. Nölting, sind ja nicht von der übrigen Welt isoliert. Mir schien bei Ihrer Rede, die heute so vom Ausland abstrahiert hat, daß Sie von Marx nur noch einen Teil, den der Abstraktionsfähigkeit behalten haben, aber in allen andern Teilen nicht mehr die Zusammenhänge einer kapitalistischen Weltwirtschaft gesehen haben.

    (Abg. Renner: Sehr gut! — Zustimmung bei der KPD.)

    Die Arbeitslosigkeit im Westen Deutschlands unterscheidet sich zwar in sehr vielen Besonderheiten von anderen, früheren, aber ihre Quelle liegt in der kapitalistischen Gesellschaft, die nicht ohne Krisen und Kriege denkbar ist und die eben auch nicht ohne Arbeitslosigkeit denkbar ist.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Darum kommt man doch nicht herum, auch nicht um die Tatsache, daß im Zeitalter des Imperialismus diese Krisen häufiger und in verschärfter Form auftreten, und daraus muß man doch Schlußfolgerungen ziehen.

    (Abg. Strauß: Warum schreit der eigentlich so?)

    — Weil Sie sich sonst lauter unterhalten, als ich rede!

    (Abg. Renner: Das ist CDU-Bildung! — Abg. Strauß: Praeceptor Germaniae!)

    Die Tatsache übersehen, daß die Politik, die die Regierung Adenauer betreibt, die sogenannte Politik der sozialen Marktwirtschaft, nicht von jeder anderen kapitalistischen Politik verschieden ist, bedeutet zu verkennen, daß eben auch ihre Wirtschaft — und da gebe ich dem Herrn Wirtschaftsminister vollkommen recht — bestimmte Erfolge hatte. Sie verstehen ja unter Wirtschaft nicht die Interessen des gesamten Volkes, sondern die Anlage von Kapital im Sinne der Profite, und Profite — gar keine kleinen — sind wahrlich in den letzten Jahren gemacht worden. Wenn Sie die Betriebe anschauen, die mit dem lumpigen Geld, mit dem die Arbeiter nur das kaufen konnten, was ihnen der Bezugsschein gewährte, wieder aufgebaut worden sind, — so waren das wahrlich reale Mittel und Profite, die hier vor und nach der sogenannten Währungsreform geschaffen worden sind. Ich will Sie in diesem Zusammenhang nur an eine Zahl erinnern. 450 Aktiengesellschaften haben von Ende 1948 bis Ende 1949 ihre Werte von 2,5 Milliarden auf 4,085 Milliarden gesteigert.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    Ich glaube, da ist schon etwas rangewachsen. Fragen Sie die Arbeiter, was bei ihnen in der gleichen Zeit rangewachsen ist, dann werden Sie einen anderen Proporz finden, als er heute aufgezeigt worden ist. Aber das ist die Wirtschaft, die auf Profit ausgerichtet ist und in der der einzige Motor der Profit und der Mensch nur ein Objekt dieser Profitmacherei ist.
    Die gegenwärtig heranrollende Wirtschaftskrise hat ihre Auswirkung noch nicht in vollem Maße gezeigt. Wir sind durch den Marshallplan, das Besatzungsstatut und das Ruhrstatut an die gesamte westliche kapitalistische Welt gebunden, und wir werden auf Grund dieser Bindung an die krisenschwangere kapitalistische Wirtschaft auch alle Auswirkungen nicht in letzter, sondern in erster Linie erdulden müssen, denn wir sitzen ia letzten Endes als die Letzten auf dieser Bank. Und nicht nur das! Aus dieser deutschen Arbeits- kraft werden ja nicht nur die Profite für die deutschen Unternehmer, sondern auch die Gelder, die in Gestalt von Besatzungskosten bezahlt werden müssen, herausgeholt. Die arbeitende Bevölkerung lebt also unter einer doppelten Ausbeutung und wird unter dieser neu heranrollenden Wirtschaftskrise am schlimmsten zu leiden haben. Aber bei uns hat sie einige Besonderheiten, die durch die Resultate bedingt sind, die das „Tausendjährige Reich" uns hinterlassen hat. Diese Besonderheiten sind krass und katastrophal. Wir brauchen Wohnungen, und die Bauarbeiter sind arbeitslos. Wir brauchen Nahrungsmittel, und die Arbeitskräfte verlassen das Land, weil sie unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr existieren können. Wir brauchen Ware für den Export; aber unsere Fabriken müssen verkürzt arbeiten und zum Teil geschlossen werden. Ja, wir haben derart widerspruchsvolle Situationen, daß wir Betriebe haben, in denen die Arbeiter bei Gefahr der Arbeitslosigkeit gezwungen werden, Überstunden zu machen, während in dem gleichen Industriezweig Arbeiter arbeitslos sind und die Stempelstellen bevölkern; und wir haben letzten Endes diesen kardinalen Widerspruch, daß in einem Teil Deutschlands, nämlich in der Demokratischen Republik, Vollbeschäftigung ist, während im Bundesgebiet die Arbeitslosigkeit ständig steigt.

    (Abg. Renner: Sehr gut!)

    Worin liegen die Ursachen dieser Widersprüche? Ich sagte es schon: sie liegen darin, daß wir an den kranken und krisenhaften Imperialismus des Westens gebunden sind. Heute schon zählt man in diesen Staaten mehr als 30 Millionen Arbeitslose, nach den eigenen Schätzungen. Selbst in dem stärksten und reichsten Land, in der USA, kann man feststellen, daß nach amtlichen Angaben die Arbeitslosigkeit eine Höhe zwischen 6 bis 8 Millionen erreicht hat. Aber diese Staaten und gerade die USA beherrschen uns; die USA werden alles tun, um die Krise auf uns abzuwälzen, und deshalb auch ihre Politik, die von den Regierungsparteien und auch von anderen Parteien dieses Hauses anerkannt worden ist, deshalb die Roh-


    (Nuding)

    stoffausfuhr, die Kohlen-, Holz-, Schrottausfuhr, deshalb die Konkurrenzdemontagen, die Stillegungen von wichtigen chemischen Werken wie den Fischer-Tropsch-Anlagen, deshalb die Kontrolle unseres Außenhandels, die Verhinderung, daß Aufträge anderer Länder bei uns realisiert werden können. Dabei dreht es sich nicht nur um Aufträge nach den volksdemokratischen Staaten, nach der Sowjetunion oder nach China, sondern auch um solche Aufträge nach der Türkei. Der Auftrag der Esslinger Maschinenfabrik, den sie von der Türkei hätten bekommen können — für 7 oder 8 Lokomotiven —, wurde kassiert, und die Amerikaner führen ihn aus. Der Auftrag Chinas an das Ruhrgebiet auf mehr als 1,7 Millionen Tonnen Stahl, dessen erste Rate 100 000 Tonnen Eisenbahnschienen sein sollten, ist nach den letzten Meldungen des „Bonner Generalanzeigers", wie dort klar gesagt wird, nicht für Deutschland. Dort heißt es:
    Bei einem Besuch im Ruhrgebiet haben Vertreter britischer Stahlfirmen nunmehr bestätigt, daß der ursprünglich an die Ruhrindustrie vergebene Auftrag Chinas über die Lieferung von rund 100 000 Tonnen Eisenbahnschienen gegenwärtig von britischen Firmen in Sheffield ausgeführt wird.
    Das sind Arbeitskräfte, die wir nicht unterbringen können.
    Der Herr Kanzler hat in einer seiner Reden, als von der Demontage gesprochen worden ist, erklärt, daß derjenige, der gegen das Ruhrstatut, gegen seine Abmachung ist, verantwortlich ist, wenn 30 000 Arbeiter arbeitslos werden. Wer trägt die Verantwortung dafür, daß diese Aufträge - um nur bei dem türkischen und chinesischen zu bleiben - nicht realisiert werden konnten, und wieviel Tausend Arbeiter werden dadurch brotlos? Also die Ursache dafür, warum wir nicht aus dem Elend herauskommen, sondern immer mehr hineinschlittern, liegt in der Anerkennung und Unterordnung unter die westlichen Besatzungsmächte; nötig wäre statt dessen der gemeinsame Kampf aller Deutschen um die deutschen Interessen in dieser Frage, um die Interessen des deutschen Volkes.
    Man stellt heute die Frage: wieweit sind wir mit der sozialen Marktwirtschaft gekommen? Ich glaube, Herr Etzel von der CDU hat gesagt, soziale Marktwirtschaft bedeute ja nicht, daß wir nicht eine Kontrolle insbesondere gegen die Monopole ausüben. Wenn wir von dieser Seite aus die Entwicklung der Wirtschaft betrachten, dann sind wir genau so weit, ja auf einzelnen Gebieten weiter, als es das Nazireich geschafft hat. Hier beherrschen Ausländer mit willigen inländischen Imperialisten die Wirtschaft. Hier beherrschen Ausländer mit Einwilligung und Beihilfe Deutscher den Außenhandel. Hier dulden wir ohne Protest die Durchführung solcher Verbote von Produktionsmöglichkeiten, die uns Arbeit bringen könnten, und dort im Ruhrgebiet entsteht und entstand in den letzten Monaten eine Monopolgesellschaft, von der die „Frankfurter Rundschau" am 16. 1. sagt:
    Sie
    - die DKBL —
    ist lediglich der Besatzungsmacht, in diesem Falle der CCG, verantwortlich. Das Monopol hat damit die denkbar vollendetste Geschlossenheit und absolute Unabhängigkeit gegen-
    über den Produzenten und Konsumenten erlangt.
    Und das ist leider richtig! Die Monopole fangen an, bei uns an Boden zu gewinnen, und, Herr Kollege Etzel, ich frage Sie: Wo ist der Protest und wo ist der Kampf der Regierung gegen diese Monopole? Eine lächerliche Frage von meinem Standpunkt aus; denn eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Die Monopole haben in dieser Regierung eine Kraft gefunden, mit der sie sich glücklich fühlen können; denn die Adenauer-Regierung und insbesondere Herr Professor Dr. Erhard sind ja die Vorkämpfer für diese Wirtschaft. in der diese Monopole entstehen und gedeihen können.
    Nun möchte ich die Frage aufwerfen: Wer hat ein Interesse und wer kann ein Interesse an der Arbeitslosigkeit haben? Diese Frage wurde heute schon in sehr scharfer Weise diskutiert, und es kam beinahe zu einer Kriegserklärung zwischen der Bundesregierung und der niedersächsichen Regierung. Aber das Problem ist damit nicht ganz enthüllt. Diejenigen, die von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, haben kein Interesse daran. Ich glaube, darüber gibt es keinen Streit. Ich möchte aber einmal an die Herren von der Regierungsbank die Frage richten, ob sie es nicht waren, die zu Beginn der Arbeitslosigkeit nach der Währungsreform Äußerungen getan haben, die dazu angetan sind, mindestens glauben zu machen, daß auf der Regierungsbank Menschen sitzen, die ein Interesse an einer bestimmten Arbeitslosigkit haben.

    (Abg. Renner: Sehr gut! Man kann es sogar noch viel deutlicher behaupten!)

    - Ja, ich werde deutlicher werden. Damals hat man gesagt: Es ist ein Gesundungsprozeß,

    (Sehr richtig! bei der KPD)

    und der Gesundungsprozeß muß eine bestimmte Läuterung hervorbringen, und dann hat man aufgezählt, wie man mit weniger Arbeitskräften eine gesteigerte Produktion erreicht hat. Der Gesundungsprozeß auf Kosten der Arbeiter im Interesse der Gesundung der Profitwirtschaft!
    Ich frage: Wer profitiert von der Arbeitslosigkeit? Von der Arbeitslosigkeit profitieren jene, die sie benützen, um die Löhne niederzuhalten. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Monaten eines der entscheidenden Druckmittel gegen Lohnerhöhungen geworden.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Das kann aus jeder Verhandlung zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden nachgewiesen werden. Die Arbeitslosigkeit ist eines der entscheidenden Druckmittel zur Forcierung der Rationalisierung auf Kosten der Arbeitskraft — nicht auf Kosten der Modernisierung der Industrie —, und die Arbeitslosigkeit ist ein Mittel geworden, um die ungelernten Arbeiter auch in der Kleinindustrie zu Lohndrücken einzusetzen. Auf allen Gebieten benützt man diese Ärmsten, um die Löhne der anderen herabzudrücken und um damit auch die Situation in den einzelnen Betrieben zu ändern, nämlich die in den Jahren 1945, 1946 und 1947 errungenen Betriebsvereinbarungen, bescheidene Mitbestimmungsrechte, zu annullieren.
    Es gibt also eine Kategorie von Menschen, die von dieser Seite aus ein Interesse an der Arbeitslosigkeit besitzen. Aber es gibt noch eine


    (Nuding)

    zweite Kategorie, die ein Interesse daran hat, daß Millionen arbeitsloser junger Menschen auf der Straße liegen, und diese Kategorie sind die Militaristen;

    (Sehr richtig! bei der KPD)

    sie wollen Deutschland wieder remilitarisieren, und vom Ausland her haben sie genügend Ermunterung bekommen,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    um ihren Weg weiter beschreiten zu können. Sie sind daran interessiert, daß die Jugend die Straßen belebt, daß sie die Straßen unsicher macht, damit man wieder mit der gleichen Losung wie 1932 kommen kann: Weg mit der Jugend von der Straße!

    (Beifall und Zuruf von der KPD: Arbeitsdienst!)

    Wir sind deshalb sehr vorsichtig. Seien auch Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, vorsichtig mit dem, was Sie, in Schleswig-Holstein machen; denn wenn Sie diesen Herrschaften den kleinen Finger geben, dann reißen sie Ihnen den Arm aus. Das haben sie einmal bewiesen, und das werden sie wieder tun.

    (Zustimmung bei der KPD.)

    Das ist kein Weg, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen; das ist ein Palliativmittelchen, das einmal schlimme Folgen hatte und das wieder schlimme Folgen haben kann. Das Elend der Arbeitslosen wird benützt, um sie zur Mobilisierung reif zu machen.
    Und noch eines. Es war sehr bizarr heute anzuhören, und zwar auch von Herrn Professor Nölting, welche Gefahr bezüglich der Arbeitslosen besteht, als er die Regierung anflehte zu bedenken, daß die Arbeitslosigkeit den Extremen Boden gibt. O, die linke Extreme ist bereit, alles zu tun und mitzukämpfen, daß die Arbeitslosigkeit beseitigt wird.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Wir sind nicht am Elend der Arbeiter interessiert, weil wir selber Arbeiter sind und in unserem Leben erlebt haben, was es heißt, arbeitslos zu sein.

    (Lebhafte Zustimmung bei der KPD.)

    Wer hat denn 1933 die Situation ausnützen können? Wenn Sie auch den Marxismus abgelehnt haben, sollten Sie sich doch immer daran erinnern, daß Marx schon lehrte: die Verelendung ist kein revolutionärer Faktor,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    sondern ein reaktionärer Faktor. Warum dann ihre Furcht? Haben Sie so wenig Vertrauen zu der Marshallplanwirtschaft?

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Haben Sie so wenig Vertrauen zu der westdeutschen Wirtschaft? Ich bedauere Sie, nachdem Sie so ernst gekämpft haben, daß Sie heute so wenig Vertrauen dazu haben und nur noch mit dem Gespenst drohen, mit dem doch andere reaktionäre Kräfte gesiegt haben, unter denen Sie genau so zu leiden hatten wie wir.

    (Abg. Renner: Sehr gut!)

    Ich glaube, die Diskussion, die heute stattgefunden hat, hat gezeigt, welche Kunststücke man darin vollbringen kann, Dinge anders hinzustellen, als sie in Wirklichkeit sind. Man hat das Jahr 1933 herangezogen; aber das Jahr 1933, meine Herren von der Rechten, war ja das Jahr Ihrer Wirtschaft,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    Ihrer kapitalistischen Wirtschaft.

    (Abg. Mayer: Eures Bündnisses mit den Nazis!)

    — Mein Herr, seien Sie vorsichtig; sonst muß ich von Ihrem Bündnis reden.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

    — Ich habe nicht Sie gemeint, Herr Schäfer, sondern den, der sich hinter Ihnen versteckt.

    (Zuruf von der KPD: Ein guter „Demokrat"!) Unser .,Bündnis" hat darin bestanden, dar man Tausende von uns erschossen hat; darin hat es bestanden.


    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Ich kenne aber Leute in Ihrer Partei und kann sie Ihnen nennen, die als „gute Demokraten" diesen Herren das Ermächtigungsgesetz gegeben haben.

    (Abg. Rische: Und dabei verdient haben!) Ich will aber davon sprechen, wie auf dieser Grundlage die Entwicklung weitergegangen ist. Die Entwicklung führte zu Arbeitsdienst, führte zur Bewaffnung verelendeter Arbeitsloser, führte zum nationalsozialistischen Sieg. Der nationalsozialistische Sieg hat an den Grundprinzipien der Wirtschaft, die Sie heute vertreten, nichts, gar nichts geändert.


    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Die Sache gleicht wie ein Ei dem andern.

    (Abg. Dr. Schäfer: Nein!)

    Jetzt machen Sie den wunderbaren Trick und sagen, aus dieser Wirtschaft sei eine Planwirtschaft, nicht eine Zwangswirtschaft herausgekommen. Schöne Kenner des nationalsozialistischen Systems! Sie haben anscheinend ganz vergessen, wo Sie heute sitzen. Die nationalsozialistische Zwangswirtschaft war dem gleichen Prinzip entsprungen, das heute auch von Ihnen vertreten wird, nämlich dem Prinzip: der Besitz dem Besitzenden; wer die größte Macht hat, dem den entscheidenden Einfluß,

    (Zuruf von der KPD: Und sie den Profit!) und wer Profit machen kann, hat das Recht, Profit zu machen.


    (Abg. Dr. Schäfer: Hoffnungsloser Fall!)

    — Hoffnungslos ist der Fall, wenn man bedenkt, daß der Regierungschef Ihrer Regierung,

    (Abg. Leonhard: Das ist auch eure!)

    der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. sich hinstellt und erklärt, daß seine Wirtschaft, seine freie Wirtschaft, seine soziale Marktwirtschaft ein Gegenüber dieser Zwangswirtschaft sei. Was war das Charakteristische der Nazizwangswirtschaft? - Daß die Großen bestimmten und die Kleinen gehorchen mußten!

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Was ist das Charakteristische der heutigen Wirtschaft? — Daß die Großen Riesenprofite machen und die Kleinen ihren Arbeitsbedingungen sich unterwerfen müssen!

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Das ist ganz genau dasselbe. Auf diesem Gebiet gibt es also keinen Unterschied.
    Nun noch zu einer Frage, die auch in diesem Zusammenhang gestellt worden ist, zur Ursache der Arbeitslosigkeit. Man hat versucht zu errech-


    (Nuding)

    nen, daß sie auf den Flüchtlingen, den Umsiedlern vom Osten beruht. Ich weiß nicht, warum man seitens der Regierung nicht schon vor einigen Monaten diesen Versuch gemacht hat. Damals hat man davon gar nicht gesprochen. Damals hat Herr Erhard eine ganz andere Linie aufgezeigt als heute. Ich möchte das ergänzen, was Kollege Nölting schon zitiert hat. In seiner Rede beim Presse-Empfang der CDU/CSU in Düsseldorf am 15. Juli sagte Professor Erhard: „Wir werden der Arbeitslosigkeit energisch zu Leibe rücken und die Katastrophenpolitiker Lügen strafen!"

    (Heiterkeit bei der KPD.)

    Jetzt sind die Arbeitslosen gestraft.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Aber die Katastrophenpolitiker — wenn ich bei dem Ausdruck bleiben darf — sitzen dann auf der Regierungsbank.

    (Beifall bei der KPD.)

    Dort wird noch mehr gesagt. Professor Erhard sagt dort:
    Die Industrieproduktion befindet sich im Ansteigen, die Handelsumsätze nehmen zu. Und wenn zunächst auch nur dem Zunehmen der Arbeitslosigkeit Einhalt geboten wurde, so steht doch aus der sich anbahnenden Entwicklung zu erwarten, daß in den kommenden Monaten eine allmähliche Aufsaugung der Arbeitslosigkeit Platz greifen wird.
    Nun, die Aufsaugung ist im umgekehrten Verhältnis vor sich gegangen. Statt Aufsaugung wurden neue Arbeitslose produziert.
    Deshalb haben wir zu dem, was in dem sogenannten Siebenpunkte-Programm der Regierung gesagt wird, kein allzu großes Vertrauen. Denn: Wir haben die Botschaft damals gehört. Uns fehlte damals der Glaube, weil wir sahen, daß die kapitalistische Wirtschaft in eine neue Krise kommt. Wir sahen weiter, daß in Westdeutschland nichts unternommen wird, um eine Änderung der sozialen Struktur vorzunehmen, einer Struktur, die es einigen wenigen im Verhältnis zum Gesamtvolk möglich macht, die großen Massen der Menschen auszubeuten. Die Botschaft hörten wir damals, uns fehlte der Glaube — er fehlt uns auch heute. Wenn ich diese sieben Vorschläge. die hier gemacht worden sind, betrachte. dann muß ich sagen: sie sind nach unserer Auffassung nicht nur sehr eng auf der Brust, sondern diese Vorschläge sind zum Teil Projekte, die einer Zukunftsmusik gleichen, und können — wie von einigen Rednern sogar bereits bewiesen wurde — nicht realisiert werden.
    Aber was müßte denn geschehen, um erstens der strukturellen und zweitens der konjunkturellen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken? Doch andere Dinge! Der Herr Minister aus Schleswig-Holstein hat von der Notwendigkeit der Umsiedlung der Flüchtlinge gesprochen. Ja, ich dachte, wir wollten endlich Schluß machen mit dem Leid, das diesen Menschen angetan worden ist. Das könnte man- auch. Man könnte mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Was würde es denn dieser Regierung selbst ausmachen, wenn sie endlich in Deutschland eine Agrarreform durchführen und Zehntausenden von Bauern Land geben würde, damit sie seßhaft werden und von dem Arbeitsmarkt in den Industriestädten verschwinden können?

    (Abg. Leonhard: In Württemberg-Baden ist aber nicht viel zu machen!)

    — Nicht viel zu machen? Lesen Sie die letzte Statistik, die wir nun haben, über die Herrschaften, die noch Land bis zu 9000 ha in Württemberg-Baden besitzen. — Dann frage ich Sie, ob nichts zu machen ist.

    (Abg. Leonhard: Nicht viel, habe ich gesagt!)

    — Es ist aber genügend, um mindestens 2000, 3000 Familien unterzubringen und ihnen Grund und Boden sowie eine Heimat zu schaffen.

    (Abg. Spies: Und das Gebiet im Osten, das man kaputtgehen läßt?)

    — Sorgen Sie erst im eigenen Haus, hier sind Sie näher.

    (Abg. Spies: Das ist unser eigenes Haus!)

    — Wenn Sie dort mitmachen wollen, gehen Sie dorthin. Dort haben Sie die Möglichkeit, das zu tun!

    (Unruhe. Zuruf in der Mitte: Gehen Sie doch dorthin!)

    —Das fällt mir gar nicht ein! Mir gefällt es hier. Sehr gut gefällt es mir zwar nicht bei Ihnen. Aber er will es dort ändern, nicht ich.

    (Abg. Spies: Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür! Sie wollen vor anderen Türen kehren, nicht vor Ihrer eigenen Tür!)

    — Ich finde es dort ganz in Ordnung.

    (Abg. Spies: Sie müssen vor der eigenen Tür kehren!)

    — Meine Tür steht in diesem Lande. Hier versuche ich zu kehren. Darüber unterhalte ich mich mit Ihnen. Wenn Sie woanders kehren wollen, dann ziehen Sie dorthin, bauen Sie auf, damit Sie dort kehren können! Warum tut Ihnen das weh?

    (Abg. Spies: Das tut mir nicht weh. Man sagt die Wahrheit, die Sie aber nicht hören wollen!)

    — Warum soll man denn das nicht machen? Warum kann man nicht einigen zehntausend und hunderttausend Menschen dadurch eine neue Heimat schaffen, daß man die in anderen kapitalistischen Staaten schon jahrzehntelang durchgeführte Agrarreform auch bei uns verwirklicht? Ja, man kann das.

    (Zuruf in der Mitte.)

    — Sie können sich hier oben melden. Der Präsident ist hier. Ich kann kein Wort vergeben.
    Ein zweites Problem bilden die Lehrstellen für die Schulentlassenen. Sie sind eine der dringendsten Notwendigkeiten. Dagegen hilft alles nichts, auch nicht der Versuch Schleswig-Holsteins. Wenn Sie erreichen wollen, daß die Jugend einen Beruf erlernt, dann muß die Regierung den Mut haben, die Unternehmer zu zwingen, auch die notwendigen Lehrstellen zu schaffen.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Dazu gibt es Möglichkeiten. Man kann das sehr gut machen, wenn man den Willen hat, Die Unternehmer brauchen die Fachkräfte, sie holen sie heran. Warum soll man ihnen nicht vorschreiben, daß in jedem Jahr mindestens 5 % Lehrlinge auf hundert Arbeiter eingestellt werden müssen, wenn notwendig, auch auf 50 Arbeiter, damit diese jungen Menschen untergebracht werden können? Dem Arbeiter schreibt man ja auch bestimmte Dinge vor, ohne daß man ihn vorher fragt. Das wäre eine Lösung. Natürlich gibt es Unternehmer, die sich dagegen sträuben werden, Ja, und deshalb sagen wir: Zwang!


    (Nuding)

    Noch eine Möglichkeit, die auch in Ihrem Rahmen liegt, die jetzt vorhandene Arbeitslosigkeit zu mildern, wäre ein einfacher Weg: vergrößern Sie den inneren Markt. Die Arbeiter haben lange genug gesehen und geduldet, daß die Preise in die Höhe gegangen sind, ohne daß ihre Löhne erhöht worden sind. Warum wollen Sie ihnen nicht mehr Lohn geben? Einer der Herren Redner sagte, wenn mehr Geld in die Bevölkerung hineinkomme, bestehe die Gefahr der Preiserhöhungen. Das kann man einer Großmutter erzählen, denn wir haben aus der Zeit der Erhardschen Politik doch immerhin die Erfahrung, daß gerade in der Zeit, in der keine Löhne erhöht worden sind, die größten Preissteigerungen waren, nämlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 und in der ersten Hälfte des Jahres 1949. Man soll uns in dieser Frage nicht mit dem Weihnachtsmann drohen und sagen, daß eine Lohnerhöhung eine Erhöhung der Preise bedeuten muß. Preise werden dann erhöht, wenn die Monopole sie rücksichtslos erhöhen können. Und auf allen Gebieten haben Sie heute Monopolpreise in Deutschland. Kaufen Sie Ware, alle sind gleich abgestimmt, kaufen Sie beispielsweise ein Grammophon oder ein Radio, — unabhängig von den verschiedenen Produktionsbedingungen sind sie alle auf einen Preis abgestimmt. Die Unternehmer haben es sehr gut verstanden, ihre Monopolpreise durchzusetzen und zu halten.
    Nun zu einem Kardinalproblem, das der entscheidende Schlüssel zur raschen Minderung und sogar zu einer Überwindung der Arbeitslosigkeit wäre. Mir ist ein Satz aus der Rede des Herrn Professor Erhard nicht entgangen. Er sagte in seiner Rede: „Um zu einer höheren Leistung zu kommen, muß man sich anstrengen. weil heute nicht mehr allein die Technik des Produzierens, sondern vor allen Dingen das Vermögen des Absetzens in unserer Wirtschaft entscheidend geworden ist." — Ja, wir können die jetzt vorhandene eigene Produktionskapazität nicht einmal nützen, zumindest nicht auf dem Gebiet der Fertigwarenindustrie. Und warum können wir es nicht? Weil man uns hindert und weil die Regierung sich die Behinderung, selbst in Deutschland einen Handel zwischen Ost und West zu entwickeln, wie er im Interesse des gesamtdeutschen Volkes notwendig wäre, bereitwilligst gefallen läßt.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Dieses Interesse des gesamtdeutschen Volkes müßte das Entscheidende sein. vor dem alle Demokraten Respekt gerade angesichts dieser Millionen von Arbeitslosen haben müßten. Denn sie können Brot bekommen, sie können Arbeit bekommen, wir können Absatzmöglichkeiten bekommen, wenn wir die Abschnürung von den ausländischen und vor allem von den Märkten des Ostens durch den geeinten Widerstand aller Deutschen überwinden.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Es ist nicht ein Problem parteimäßiger Einstellung, es dreht sich um Brot für die Kinder dieser Arbeitslosen, es dreht sich um Arbeit für die Männer, die für ihre Familien zu sorgen haben. Wenn da politische Ziele maßgebend sind, wie im Abschnüren und Abwürgen des Lokomotivauftrags der Türkei, wie im Abmurksen — um nur die letzten Sachen zu nennen - des Vertrags mit China, wenn politische Momente maßgebend sind, dann steht es schlimm um den Kern Ihres Staates, dann steht es schief um die Interessen des deutschen Volkes.
    Deshalb ist unser Vorschlag, alle Kraft einzusetzen und von der Regierung zu verlangen, den Handel mit der Demokratischen Republik nicht abzubremsen, sondern ihn zu erweitern und dafür zu sorgen, daß das Tor, die Reichshauptstadt Berlin auch für den Handel Gesamtdeutschlands mit den übrigen Völkern des Ostens geöffnet wird. Dann wird der Absatz garantiert sein, und dann werden wir aus dem Elend, in das wir gekommen sind, herauskommen. Wenn Sie es nicht tun — und leider hat die heutige Debatte mich überzeugt, daß Sie es nicht tun werden, weil Sie eigennützige Interessen und nicht die Interessen des gesamten deutschen Volkes vertreten, weil Sie parteiegoistisch an die Dinge herangehen —, das Volk aber will keine Katastrophe Deutschlands und wird deshalb den Kampf gegen Ihre Politik aufnehmen.

    (Lebhafter Beifall bei der KPD.)