Protokoll:
10162

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 162

  • date_rangeDatum: 3. Oktober 1985

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 08:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:56 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/162 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 162. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 Inhalt: Eintritt der Abg. Frau Pack in den Deutschen Bundestag 12047 A Bestimmung des Abg. Seiters als ordentliches und des Abg. Dr. Stercken als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses 12047 B Bestimmung des Abg. Dr. Penner als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle des ausgeschiedenen Abg. Dr. Schmude 12047 B Erweiterung der Tagesordnung 12047 B, 12121A, 12152A Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 12047 C Nachruf auf das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages, den früheren Bundesminister der Finanzen, Dr. h. c Alex Möller 12059 D Begrüßung des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Justizminister Neuseelands, Honourable Geoffrey W. R. Palmer 12060 C Aktuelle Stunde betr. krebserzeugende Wirkung von Formaldehyd Frau Hönes GRÜNE 12047 D Dolata CDU/CSU 12048 C Urbaniak SPD 12049 C Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFG 12050A Reimann SPD 12051 A Eimer (Fürth) FDP 12051 D Frau Augustin CDU/CSU 12052 C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 12053 B Frau Dr. Hartenstein SPD 12053 D Dr. Faltlhauser CDU/CSU 12055A Frau Dr. Neumeister CDU/CSU 12056 A Müller (Düsseldorf) SPD 12056 D Kroll-Schlüter CDU/CSU 12058A Frau Dr. Adam Schwaetzer FDP . . . 12059 B Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" — Drucksache 10/3805 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3914 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/3915 — Schlottmann CDU/CSU 12061 A Frau Zutt SPD 12061 D Eimer (Fürth) FDP 12063 C Frau Wagner GRÜNE 12064 A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFG 12064 D Präsident Dr. Jenninger 12065 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit im Bereich von Ems und Dollart sowie an den angrenzenden Gebieten (Kooperationsvertrag Ems-Dollart) — Drucksache 10/3917 — Bohlsen CDU/CSU 12066 A Schulte (Menden) GRÜNE 12067 D Möllemann, Staatsminister AA 12069 B Ewen SPD 12070 D Bredehorn FDP 12073A Dr. Albrecht, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 12074 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle zu dem Antrag der Fraktion der SPD Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik — Drucksachen 10/1298, 10/1573, 10/1674, 10/3357 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Lange und der Fraktion DIE GRÜNEN Stationierung neuer chemischer Kampfstoffe auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 10/3541 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Lange und der Fraktion DIE GRÜNEN Abzug chemischer Kampfstoffe vom Boden der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 10/3817 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zum Ergebnis der NATO-Konferenz am 9./10. Juni 1983 — Drucksachen 10/150, 10/3494 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abzug chemischer Kampfstoffe vom Boden der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 10/3924 — Dr. Todenhöfer CDU/CSU 12077 A Voigt (Frankfurt) SPD 12079 B Dr. Feldmann FDP 12082 B Frau Borgmann GRÜNE 12084 A Wimmer (Neuss) CDU/CSU 12086 A Dr. Scheer SPD 12088 A Möllemann, Staatsminister AA 12090 B Verheugen SPD 12094 B Lange GRÜNE 12096 B Berger CDU/CSU 12096 D Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes — Drucksache 10/3407 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 10/3859 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/3890 — Dr. Nöbel SPD 12100 B Jagoda CDU/CSU 12100 D Baum FDP 12101C Ströbele GRÜNE 12101 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 12102 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/3906 — Schäfer (Offenburg) SPD 12121 B Dr. Laufs CDU/CSU 12124 D Ströbele GRÜNE 12127 B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 III Dr. Hirsch FDP 12128C Regenspurger CDU/CSU 12130 B Dr. Wernitz SPD (Erklärung nach § 31 GO) 12132 D Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/3931 (neu) — Ströbele GRÜNE 12133A Broll CDU/CSU 12133 D Dr. Wernitz SPD 12134 D Baum FDP 12136A Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schulte (Menden), Tatge, Vogel (München), Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN Neue schwere Bedenken gegen die Genehmigung der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf zur Gewinnung von Uran und Plutonium — Drucksache 10/3809 — Bueb GRÜNE 12136 D Fellner CDU/CSU 12139 A Dr. Wernitz SPD 12141A Dr.-Ing. Laermann FDP 12142 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 12144 B Vizepräsident Frau Renger . . . 12137 C, 12145 C Namentliche Abstimmungen . 12145D, 12148 C Ergebnis 12146D, 12150C Mann GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 12145 D Dr. Jobst CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 12146 B Frau Hönes GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 12148 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Sexueller Mißbrauch von Kindern — Drucksachen 10/2389, 10/3845 — Frau Wagner GRÜNE 12149 A Link (Diepholz) CDU/CSU 12152 B Gilges SPD 12153 C Frau Dr. Segall FDP 12155 B Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 12156A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, der Patentanwälte und der Notare — Drucksache 10/3854 — Engelhard, Bundesminister BMJ . . . . 12157 B Dr. Schwenk (Stade) SPD 12158A Eylmann CDU/CSU 12159 C Mann GRÜNE 12161A Kleinert (Hannover) FDP 12162 C Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes — Drucksache 10/3629 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes — Drucksache 10/3630 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Erstellung eines bundesweiten Altlastenkatasters — Drucksache 10/3625 (neu) — Frau Hönes GRÜNE 12164C Schmidbauer CDU/CSU 12166C Frau Dr. Hartenstein SPD 12168 C Baum FDP 12170 D Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN Verhütung und Behandlung von Krebserkrankungen im Erwachsenenalter — Drucksachen 10/2266, 10/3675 — Frau Kelly GRÜNE 12172 B Werner (Ulm) CDU/CSU 12174 B Müller (Düsseldorf) SPD 12175D Frau Dr. Segall FDP 12177 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Margarinegesetzes — Drucksache 10/3159 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 10/3658 — 12178 D IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) — Drucksache 10/3852 — 12179 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seerechtsforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung) — Drucksache 10/3853 — 12179 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen — Drucksache 10/3553 — 12179 C Beratung der Sammelübersicht 99 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3895 — 12179 C Beratung der Sammelübersicht 103 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3939 — 12179 D Fragestunde — Drucksache 10/3918 vom 27. September 1985 — Vertretung Jugendlicher bei Gerichtsverfahren durch einen Rechtsbeistand MdlAnfr 1, 2 27.09.85 Drs 10/3918 Gilges SPD Antw PStSekr Erhard BMJ 12103A ZusFr Gilges SPD 12103 B ZusFr Ströbele GRÜNE 12104A Deutscher und französischer Anteil am Hermes-Projekt MdlAnfr 3 27.09.85 Drs 10/3918 Würtz SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 12104 B ZusFr Würtz SPD 12104 B ZusFr Fischer (Homburg) SPD 12104 C Haltung des Bundeskanzlers zu dem Maßnahmenkatalog der EG gegen Südafrika und deren Darstellung durch die CSU-Landesleitung MdlAnfr 4, 5 27.09.85 Drs 10/3918 Schily GRÜNE Antw StMin Vogel BK 12105A ZusFr Schily GRÜNE 12105 B ZusFr Frau Eid GRÜNE 12105 C ZusFr Verheugen SPD 12105 D ZusFr Ströbele GRÜNE 12106A ZusFr Senfft GRÜNE 12106 B ZusFr Dr. Penner SPD 12106 B ZusFr Frau Hürland CDU/CSU 12106 C Auffassungsunterschiede zwischen Bundeskanzler und Bundesaußenminister einerseits und den CSU-Bundesministern andererseits über die Kabinettsbeschlüsse zur Änderungskündigung des Kulturabkommens und zur Beteiligung der Bundesregierung an den EG-Maßnahmen gegenüber Südafrika MdlAnfr 8, 9 27.09.85 Drs 10/3918 Dr. Hauchler SPD Antw StMin Vogel BK 12107 D ZusFr Dr. Hauchler SPD 12108A ZusFr Toetemeyer SPD 12108 B ZusFr Grünbeck FDP 12108C Haltung des Bundeskanzlers zu den von den EG-Außenministern beschlossenen Maßnahmen gegenüber Südafrika und deren Darstellung durch die CSU-Landesleitung MdlAnfr 10, 11 27.09.85 Drs 10/3918 Verheugen SPD Antw StMin Vogel BK 12109 C ZusFr Verheugen SPD 12109 C ZusFr Schily GRÜNE 12110A ZusFr Löffler SPD 12110 B ZusFr Duve SPD 12110B ZusFr Senfft GRÜNE 12110C ZusFr Frau Hönes GRÜNE 12110C ZusFr Dr. Penner SPD 12111 B ZusFr Frau Eid GRÜNE 12111C ZusFr Gilges SPD 12111 D ZusFr Dr. Hauchler SPD 12112A Kabinettsbeschluß zur Änderungskündigung des Kulturabkommens mit Südafrika MdlAnfr 12, 13 27.09.85 Drs 10/3918 Toetemeyer SPD Antw StMin Vogel BK 12112 B ZusFr Toetemeyer SPD 12112 C ZusFr Duve SPD 12112C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 V ZusFr Schily GRÜNE 12113 B ZusFr Frau Eid GRÜNE 12113 C ZusFr Dr. Hornhues CDU/CSU 12113 D ZusFr Schulte (Menden) GRÜNE . . . 12113 D ZusFr Klein (München) CDU/CSU . . 12114A ZusFr Verheugen SPD 12114B Haltung des Bundeskanzlers und des Ministerpräsidenten Strauß zu Südafrika MdlAnfr 16, 17 27.09.85 Drs 10/3918 Bindig SPD Antw StMin Vogel BK 12114 B ZusFr Bindig SPD 12114C ZusFr Duve SPD 12114 D ZusFr Klein (München) CDU/CSU . . 12114D ZusFr Gilges SPD 12115 C ZusFr Toetemeyer SPD 12115 D ZusFr Schily GRÜNE 12116 A Erklärung des Ausdrucks „Deutschstämmige" MdlAnfr 20 27.09.85 Drs 10/3918 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Dr. Stavenhagen AA . . . . 12116B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 12116 B Beurteilung der bei Abschluß der Ostverträge bestehengebliebenen Rechtsfragen MdlAnfr 21 27.09.85 Drs 10/3918 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Dr. Stavenhagen AA . . . . 12116C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 12117 A Abschneiden des Leopard II beim Internationalen Panzerwettschießen (CAT '85) MdlAnfr 30 27.09.85 Drs 10/3918 Löffler SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . . 12117 B ZusFr Löffler SPD 12117 B Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt zweier Hauptleute der Bundeswehr bei der südafrikanischen Armee in Namibia und der Einladung südafrikanischer Soldaten ins Bundesverteidigungsministerium MdlAnfr 32, 33 27.09.85 Drs 10/3918 Frau Eid GRÜNE Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 12117D ZusFr Frau Eid GRÜNE 12117 D ZusFr Ströbele GRÜNE 12118C Flugtauglichkeit der an dem Flugzeugabsturz am 31. Januar 1985 in Bremerhaven beteiligten Besatzungen; Vorsorge der Luftwaffe für die einwandfreie körperliche Verfassung der Besatzungen MdlAnfr 34, 35 27.09.85 Drs 10/3918 Grunenberg SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 12118C ZusFr Grunenberg SPD 12118 D Verlagerung von Tiefflügen ins Ausland; Verhandlungen mit der Türkei MdlAnfr 38 27.09.85 Drs 10/3918 Würtz SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 12119B ZusFr Würtz SPD 12119C ZusFr Schulte (Menden) GRÜNE . . . 12119C ZusFr Werner (Westerland) GRÜNE . 12119 D ZusFr Senfft GRÜNE 12120A ZusFr Ströbele GRÜNE 12120A Beeinträchtigung der Luftverkehrssicherheit im Düsseldorfer Luftraum durch den Versuch zur zivil-militärischen Flugsicherung (Sobernheimer Konzept) MdlAnfr 46 27.09.85 Drs 10/3918 Ströbele GRÜNE Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 12120C ZusFr Ströbele GRÜNE 12120C ZusFr Frau Dann GRÜNE 12120 D ZusFr Senfft GRÜNE 12120 D ZusFr Schulte (Menden) GRÜNE . . . 12121A Nächste Sitzung 12179 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12181*A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Wernitz (SPD) nach § 31 GO zur Beratung des Antrags der Fraktion der SPD — Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — (Drucksache 10/3906 — neu —) 12181*C Anlage 3 Goethe-Institut zur Pflege der deutschen Sprache im Ausland und zur Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit e.V. Republik Südafrika MdlAnfr 18 20.09.85 Drs 10/3857 Frau Borgmann GRÜNE SchrAntw StMin Möllemann AA . . . 12182*A VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 Anlage 4 Opfer der Zivilbevölkerung durch militärische Aktionen Äthiopiens in Somalia MdlAnfr 18, 19 27.09.85 Drs 10/3918 Oostergetelo SPD SchrAntw StMin Dr. Stavenhagen AA . 12182* B Anlage 5 Existenz eines Geheimvertrages über die Rechte der US-Streitkräfte im Spannungsfall zwischen Großbritannien und den USA; Abschluß eines vergleichbaren deutsch-amerikanischen Abkommens MdlAnfr 22, 23 27.09.85 Drs 10/3918 Dr. Kübler SPD SchrAntw StMin Dr. Stavenhagen AA . 12182* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12047 162. Sitzung Bonn, den 3. Oktober 1985 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 4. 10. Antretter * 4. 10. Austermann 4. 10. Berger * 4. 10. Berschkeit 4. 10. Biehle 4. 10. Dr. Blank 4. 10. Böhm (Melsungen) * 4. 10. Büchner (Speyer) * 3. 10. Dr. Corterier 4. 10. Dr. Ehrenberg 4. 10. Eickmeyer 4. 10. Dr. Enders 4. 10. Frau Fischer * 4. 10. Fischer (Homburg) 4. 10. Haase (Fürth) * 4. 10. Dr. Hauchler 4. 10. Dr. Holtz * 4. 10. Horacek * 4. 10. Dr. Geißler 4. 10. Grunenberg 4. 10. Dr. Häfele 3. 10. Ibrügger 4. 10. Jäger (Wangen) 3. 10. Jaunich 3. 10. Kittelmann * 3. 10. Dr. Kreile 4. 10. Frau Krone-Appuhn 4. 10. Dr. Kübler 4. 10. Dr. Graf Lambsdorff 4. 10. Lemmrich * 4. 10. Lenzer 4. 10. Matthäus-Maier 4. 10. Dr. Mitzscherling 3. 10. Dr. Müller ** 3. 10. Müller (Remscheid) 4. 10. Nelle 4. 10. Neumann (Bramsche) 3. 10. Oostergetelo 3. 10. Rapp 4. 10. Reddemann * 4. 10. Roth 3. 10. Dr. Rumpf * 4. 10. Schäfer (Mainz) 4. 10. Dr. Scheer ** 3. 10. Schmidt (Hamburg) 4. 10. Schmidt (München) * 4. 10. Dr. Schneider 3. 10. Schröder (Hannover) 4. 10. Schulte (Unna) * 3. 10. Schwarz * 4. 10. Sieler 4. 10. Dr. Soell ** 3. 10. Dr. Freiherr Spies v. Büllesheim** 3. 10. Stahl 4. 10. Stobbe 4. 10. Dr. Stoltenberg 4. 10. Dr. Unland * 4. 10. Voigt (Sonthofen) 4. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Vosen 4. 10. Dr. Voss 4. 10. Dr. Warnke 4. 10. Dr. von Wartenberg 4. 10. Weiß 4. 10. Dr. Wulff * 4. 10. Zierer ** 4. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Wernitz (SPD) nach § 31 GO zur Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Drucksache 10/3906 - neu -): Am 26. September 1985 hat die SPD-Bundestagsfraktion über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Zusammenhang mit den Spionagefällen der letzten Wochen beraten und entschieden. Es ist keine Frage und selbstverständlich, daß ich die einmal getroffene Entscheidung der Fraktion für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß respektiere und solidarisch mittrage. Auf Grund der vorangegangenen Innenausschußsitzungen und aller darüber hinaus vorliegenden Informationen zu den aktuellen Spionagefällen war ich zu der Überzeugung gelangt, daß die Einsetzung einer Kommission unter Leitung einer politisch erfahrenen unabhängigen Persönlichkeit einem Untersuchungsausschuß vorzuziehen wäre. In der Vergangenheit hat man dieses Verfahren z. B. durch die Höcherl-Kommission im Mordfall Schleyer mit Erfolg und konstruktiven Ergebnissen gewählt. Auch dieser Weg hätte die intensive politische und parlamentarische Aufarbeitung der Spionagefälle in sämtlichen Gremien des Parlaments in jeder Hinsicht gewährleistet. Im politischen Zentrum steht für mich die Tatsache, daß sich der ehemalige Oppositionspolitiker Zimmermann mit seinen früheren strammen Parolen und Vorwürfen an die sozialliberale Koalition zur inneren Sicherheit nunmehr im Amt des Bundesinnenministers teilweise selbst widerlegt und in Zweifel bringt. Nach meiner Auffassung und vielen Erfahrungen der Vergangenheit ist das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses nur bedingt geeignet, dies im Zentrum der politischen Diskussion zu halten. Eine Kommission hätte demgegenüber nichts unter den Teppich gekehrt und zugleich gezielt sachkundige Verbesserungsvorschläge unterbreiten können. Außerdem hätte dies den spezifischen Gegebenheiten der Nachrichtendienste besser entsprochen. Vor diesem Hintergrund ist mein Votum gegen einen Untersuchungsausschuß in der Fraktionssitzung zu werten. 12182* Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 Ich respektiere die getroffene Entscheidung der Fraktion, daß der Untersuchungsausschuß ein geeigneter Weg ist, die politische Verantwortung des Bundesinnenministers in den Spionagefällen herauszufiltern. Die Unionsparteien müssen zur Kenntnis nehmen, daß meine Argumentation und Abstimmung im Rahmen der demokratischen Willensbildung innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion ein Dissens in der Frage des Verfahrens, des Weges und der Zweckmäßigkeit, nicht aber der politischen Bewertung und Zielsetzung war. Anlage 3 Antwort des Staatsministers Möllemann auf die Frage der Abgeordneten Frau Borgmann (GRÜNE) (Drucksache 10/3857 Frage 18): Plant die Bundesregierung trotz der krisenhaften Zuspitzung der Lage in Südafrika und der zunehmenden internationalen Sanktionsmaßnahmen immer noch, ein Goethe-Institut in Johannesburg zu eröffnen, und wie begründet sie ihre Haltung? Diese Frage stellt sich gegenwärtig nicht, da es bekanntlich jetzt darum geht, nach der Änderungskündigung des Kulturabkommens mit Südafrika ein neues Abkommen auszuhandeln, in dem die kulturelle Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten dergestalt geregelt ist, daß alle Bevölkerungsgruppen an ihr teilhaben. Ich verweise im übrigen auf die vom Deutschen Bundestag am 26. September 1985 angenommene Entschließung zur kulturellen Zusammenarbeit mit allen Bevölkerungsgruppen Südafrikas. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Dr. Stavenhagen auf die Fragen des Abgeordneten Oostergetelo (SPD) (Drucksache 10/3918 Fragen 18 und 19): Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, daß äthiopische Truppen Mitte dieses Monats militärische Aktionen auf dem Gebiet der Republik Somalia durchgeführt haben, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorfall? Kann die Bundesregierung gemäß ihrem Informationsstand bestätigen, daß durch Bombardierung von Städten und Dörfern in der Hauptsache die Zivilbevölkerung Opfer der Luftangriffe gewesen ist, und hat die Bundesregierung bejahendenfalls eine dieses Faktum berücksichtigende Beurteilung des Vorfalls den Regierungen beider Staaten zur Kenntnis gebracht, um darauf hinzuwirken, daß eine Wiederholung vermieden wird? Zu Frage 18: Der Bundesregierung liegen aus verschiedenen Quellen Informationen vor, daß es Mitte des vergangenen Monats im somalisch-äthiopischen Grenzgebiet zu Zwischenfällen lokaler Bedeutung gekommen ist. Diese Informationen erlauben jedoch kein Urteil über die Frage, von wem diese Zwischenfälle verursacht worden sind. Zu Frage 19: Die Bundesregierung kann nach ihrem Informationsstand nicht bestätigen, daß bei den Zwischenfällen Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung stattgefunden haben. Anlage 5 Antwort des Staatsministers Dr. Stavenhagen auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Kübler (SPD) (Drucksache 10/3918 Fragen 22 und 23): Wie beurteilt die Bundesregierung die Enthüllungen der Zeitschrift „New Statesman", wonach zwischen London und Washington ein Geheimvertrag existieren soll, der den US-Streitkräften im Spannungsfall u. a. gewisse Hoheitsrechte einräumt, und ist der Bundesregierung bekannt, ob dieser Geheimvertrag tatsächlich existiert? Besteht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA ein vergleichbares Abkommen, oder zielt die Bundesregierung darauf ab, durch Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung einen solchen Vertrag abzuschließen? Zu Frage 22: Der Bundesregierung ist der erwähnte Artikel der Zeitschrift „New Statesman" bekannt. Die britische Regierung hat die Existenz eines britisch-amerikanischen Vertrages bestätigt. Zu dessen Inhalt kann die Bundesregierung nicht Stellung nehmen. Zu Frage 23: Ihre Frage zielt offenbar auf das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über Unterstützung durch den Aufnahmestaat in Krisen oder Krieg (WARTIME HOST NATION SUPPORT-Abkommen — WHNS) vom 15. April 1982. Hierbei handelt es sich nicht um ein Geheimabkommen. Der Wortlaut des Abkommens ist vielmehr im BGBl. 1982 II, S. 451, veröffentlicht. Souveränitätsrechte der Bundesrepublik Deutschland sind entgegen mißverständlichen Darstellungen in einigen Medien durch das Abkommen nicht eingeschränkt.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016200000
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich einige Mitteilungen verlesen:
Für den am 12. September 1985 verstorbenen Abgeordneten Conrad (Riegelsberg) hat Abgeordnete Frau Doris Pack am 1. Oktober 1985 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die uns schon aus früheren Wahlperioden bekannte Kollegin herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für den Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes für den verstorbenen Kollegen Dr. Marx als ordentliches Mitglied den Abgeordneten Seiters vor. Als Nachfolger für den Abgeordneten Seiters, der bisher stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß war, schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Dr. Stercken vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Seiters als ordentliches und Abgeordneter Dr. Stercken als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses bestimmt.
Die Fraktion der SPD schlägt für den Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes für den als stellvertretendes Mitglied ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Schmude den Abgeordneten Dr. Penner vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Dr. Penner als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses bestimmt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um folgenden Antrag erweitert werden:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Abzug chemischer Kampfstoffe vom Boden der Bundesrepublik Deutschland auf Drucksache 10/3924. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Es liegt ferner ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf der Drucksache 10/3931 vor. Ich gehe davon aus, daß über die Behandlung dieses Antrages zwischen den Fraktionen im Laufe des Vormittags Einvernehmen erzielt wird.
Einer interfraktionellen Vereinbarung zufolge wird Punkt 9 a von der Tagesordnung abgesetzt.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Krebserzeugende Wirkung von Formaldehyd
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.

Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016200100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im Juni letzten Jahres wollten DIE GRÜNEN in einer Kleinen Anfrage wissen, ob es stimmt, daß die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung und das Umweltbundesamt übereinstimmend — ich betone: übereinstimmend — Formaldehyd als krebserregend eingestuft hätten. Damals wurden wir mit dem Hinweis abgespeist, im Herbst liege ein Bericht vor. Genau dies war der Zeitpunkt, zu dem die Firma BASF, der größte Formaldehyd-Produzent in der Bundesrepublik, mit ihrer Wühlarbeit begann und über die verschiedenen Kanäle die Bonner Landschaft bearbeitete. Ich zitiere in diesem Zusammenhang den „Spiegel" Nr. 35 aus dem Jahre 1984:

(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Eine sehr seriöse Quelle!)

Tatsächlich aber hatte Kanzler Kohl höchstselbst seine Minister darauf aufmerksam gemacht, es gebe Beschwerden des Ludwigshafener Konzerns. Der Firmentadel richtete sich gegen die Oberflächlichkeit der amtlichen Prüfung.
Gemeint waren das Umweltbundesamt und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung. Chef des Bundesgesundheitsamtes war damals Herr Überla, der ja dann einige Zeit später auf



Frau Hönes
Grund intensiver Verquickung mit der Pharmaindustrie sein Amt verlassen mußte.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist falsch!) — Das ist richtig.


(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist falsch!)

Er ließ sich von seinen Mitarbeitern Argumentationslinien erarbeiten, wie man die Einstufung von Formaldehyd als krebserzeugend verhindern könne. Sie verstehen richtig, meine Damen und Herren: Der oberste Fachbeamte für Gesundheitsschutz unter dieser Regierung konnte als Handlanger der chemischen Industrie die Einstufung von Formaldehyd als krebserzeugend verhindern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — KrollSchlüter [CDU/CSU]: Sie sind bösartig!)

Die GRÜNEN haben schon vor 15 Monaten gewarnt, sind aber bei den zuständigen Ministerien auf taube Ohren gestoßen. Meine Damen und Herren, wir leiden natürlich nicht an Selbstüberschätzung; natürlich können wir als noch kleine, aber engagierte Umweltpartei bei dieser Regierung nicht mit derselben Resonanz rechnen wie z. B. der Chemiegigant BASF.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt!)

Nun dürfen wir gespannt sein, was eine EG-Expertenkommission bewirkt, eine EG-Expertenkommission, in der Länder vertreten sind, denen sich die Bundesregierung, zumindest was Herrn Kohl und Herrn Zimmermann anlangt, umweltpolitisch haushoch überlegen fühlt.
Wohlgemerkt, meine Damen und Herren, es geht um die gleichen Ergebnisse. Die GRÜNEN haben Formaldehyd vor 15 Monaten als krebserzeugend eingestuft, und nun kommt die EG-Expertenkommission zum selben Ergebnis.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Auch nicht richtig!)

Die GRÜNEN fordern die Bundesregierung heute nochmals auf, Formaldehyd als krebserzeugenden Stoff einzustufen — mit allen erforderlichen Konsequenzen zum Schutz von Arbeitnehmern und Verbrauchern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die GRÜNEN fordern weiter ein Produktions- und Anwendungsverbot von Formaldehyd. Es geht nicht an, daß der Verbraucher länger mit Formaldehyd in Isolierstoffen, in Spanplatten und Möbeln, in Lacken und Farben, im gesamten Hobbybereich, in der Lebensmittelgewinnung, in Kosmetika, in Textilien und im Haushaltschemikalienbereich belastet wird!
Für die Übergangszeit, bis das Verbot greift, fordern wir drastische Senkungen des MAK- oder, nach der EG-Entscheidung wohl besser gesagt, des TRK-Wertes. Wir schlagen hier mindestens die sowjetische Regelung von 0,4 ppm vor.
Es darf nicht weiter nach dem alten Muster verfahren werden: Erst warnen kritische Wissenschaftler und GRÜNE vor der Gefährlichkeit eines Stoffes; dann Verharmlosung der Gefährdung durch den Stoff; Warner sind Panikmacher; die Bundesregierung hat recht; und der Verbraucher ist gezwungen, das Risiko der Gesundheitsschädigung hinzunehmen.
Der Bürger kann sich auf diese Bundesregierung nicht mehr verlassen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Zuruf von den GRÜNEN: Hat er noch nie gekonnt!)

In diesem Fall bleibt ihm nichts anderes übrig, als auf formaldehydbelastete Produkte zu verzichten, sich nach Ersatzprodukten umzusehen und dadurch die Industrie zu zwingen, nicht gesundheitsschädliche Alternativprodukte anzubieten. Über bereits vorhandene Alternativen geben die GRÜNEN gerne Auskunft.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016200200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dolata.

Werner Dolata (CDU):
Rede ID: ID1016200300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl wir die grüne Opposition, ihre Art und ihre Wühlarbeit genau kennen und die Ausbrüche ihrer Aggression eigentlich vorhersehen und vorhersagen können,

(Zurufe von den GRÜNEN)

ist es doch immer wieder erstaunlich, wie Sie sich bemühen, Aufhänger zu finden, und worüber und auf welche Art Sie sich dann aufregen.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Sie machen es uns auch verdammt leicht!)

Anscheinend können Sie gar nicht anders leben — Sie als Fraktion, aber auch als einzelne —, als täglich irgendeinen Pappkameraden aufzubauen,

(Urbaniak [SPD]: Zur Sache!) um auf ihm dann herumzuprügeln.


(Zurufe von den GRÜNEN)

Wenn Sie sich einmal selber am Riemen reißen und aus Ihrem Sumpf herauskommen würden

(Frau Hönes [GRÜNE]: Seien Sie vorsichtig mit „Sumpf"!)

und wenn Sie Probleme und Fragen ernsthaft, sachlich, fachlich und ruhig mit uns und anderen diskutieren würden, um gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, wäre das etwas nützlicher.
Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, gehe ich mit meiner Fraktion zunächst einmal davon aus, daß wir uns unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit wirklich alle ernsthaft gemeinsam um den Gesundheitsschutz unserer Mitbürger und um den Verbraucherschutz für alle bemühen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)




Dolata
Insofern brauche ich z. B. von dem, was ich im März dieses Jahres hier im Plenum bei der damaligen Diskussion über Formaldehyd gesagt habe, wahrlich nichts zurückzunehmen. Sie hätten vor Ihrem Beitrag oder vor Beantragung dieser Aktuellen Stunde einmal in die damaligen Protokolle schauen sollen; dann wüßten Sie, daß einiges weiter gelaufen ist, als Sie es hier darstellen.
Meine Damen und Herren, wenn nun anerkannte Wissenschaftler, die die EG in Brüssel beraten, festgestellt haben, daß Formaldehyd in Tierversuchen krebserregend ist, dann haben wir das zur Kenntnis zu nehmen, wir nehmen es zur Kenntnis, und wir werden natürlich — verlassen Sie sich darauf — das Erforderliche tun.

(Zuruf von den GRÜNEN: Was denn?)

Jeder von uns nimmt nicht nur an Alter, sondern auch — davon gehe ich jedenfalls aus — an Weisheit zu. Die Weisheit, die damit verbunden ist, auch mit den Erkenntnissen, wächst nun einmal nicht, wie man salopp sagt, auf unserem eigenen Mist. Wir sind auf andere angewiesen, die fachlich mehr davon verstehen als wir.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Die waren fixer als Sie! Wir haben gesehen: Auch Wissenschaftler brauchen ihre Zeit, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Politisch allerdings waren und sind wir gemeinsam mit der Bundesregierung viel weiter, als die Opposition im März und heute hier in der Aktuellen Stunde glauben machen möchte. Es gibt j a den Entwurf für eine neue Gefahrstoffverordnung. Darin sind überwiegend die Maßnahmen enthalten, die jetzt von dem obersten wissenschaftlichen Beratungsgremium in Brüssel vorgeschlagen werden. Der Beschluß des Brüsseler Gremiums kam nur zustande und so rasch zustande, weil unsere obersten Bundesbehörden darauf bestanden haben, die endgültige Einstufung von Formaldehyd den EG-Gremien nahezulegen, auch um eine einheitliche europäische Lösung zu erreichen. Deshalb war der Weg zur Verabschiedung dieser Gefahrstoffverordnung zunächst unterbrochen. Bisher hatten nun einmal einige EG-Länder gegen einzelne unserer Vorschriften Bedenken. Bekanntlich sind wir j a in Europa nicht allein. Bei Importen sind wir beispielsweise von Produktionen und Vorschriften der anderen Länder abhängig. Nach Ansicht dieser Länder waren die in der Bundesrepublik geplanten Maßnahmen — ich zitiere — „viel zu weitgehend" und „nicht hinreichend wissenschaftlich begründet". Das sieht nun anders aus. Lassen Sie also bitte die Vorwürfe. Vielleicht sollten wir in den Beratungen Anregungen aufgreifen und diskutieren, die besonders von Verbraucherschutzorganisationen vorgebracht und gefordert werden, die eine Pflicht zur Deklaration von Formaldehyd auf entsprechenden Produkten verlangen. Wie bei anderen Stoffen kommt es auch bei Formaldehyd auf die Konzentration an. Jedenfalls bringt eine sachgerechte Behandlung der gesamten Problematik mehr und ist positiver als Panikmache und Vorwürfe. Vielen Dank. Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Expertenkommission bei der Europäischen Gemeinschaft hat die Feststellung getroffen, daß Formaldehyd krebserzeugend ist. Das Expertengremium hat sich also intensiv mit dem Entwurf der Gefahrstoffverordnung, den die Bundesregierung zur Notifizierung vorgelegt hat, beschäftigt. Es hat den Vorschlag, diesen Stoff lediglich als krebserregend bezeichnen zu lassen, verworfen. Damit hat diese Expertenkommission das aufgegriffen, was uns schon vor Monaten bekannt war. Der Hergang war nämlich so, daß die IG Metall den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebeten hatte, klären zu lassen, was es denn mit diesem Stoff auf sich hat. Die Gewerkschaften hatten hier besonders die Gesundheit der Arbeitnehmer im Blickfeld, die bei entsprechenden Arbeitsprozessen besonderen Gefahren ausgesetzt sind. Dieser Stoff ist krebserzeugend. Daraus hat die Bundesregierung, wie wir meinen, nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. (Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist doch nicht richtig, was Sie sagen!)


(Zuruf der Abg. Frau Hönes [GRÜNE])


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016200400
Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1016200500
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016200600
Ich sage dies zu Recht, weil uns dieser Vorgang auch durch die Presse und die anderen Medien hinreichend bekanntgeworden ist. Es wäre eigentlich die Pflicht der Bundesregierung gewesen, daraus eine Offensive für den Schutz der Verbraucher und der Arbeitnehmer zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Daher stellt die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag fest:
Erstens. Bundesminister Blüm war Ende 1983 bekannt, daß Formaldehyd ein krebserzeugender Stoff ist. Die BAU in Dortmund hat der Bundesregierung ein solches wissenschaftliches Gutachten vorgelegt.
Zweitens. Der Minister hat nicht das Sorgfältige und Notwendige getan, die Erkenntnisse dieses Gutachtens zum Schutze der Verbraucher und Arbeitnehmer in der Bundesregierung mit Konsequenz umzusetzen.
Drittens. Warnende Stimmen sind von den Ministern Geißler und Zimmermann nicht genügend beachtet worden. Wir bedauern das außerordentlich.



Urbaniak
Viertens. Die Bundesregierung hat eine bedeutende Chance vertan, in der EG diesen so wichtigen Vorgang offensiv voranzubringen, damit die Menschen vor derartigen Stoffen geschützt werden. Der Bundesrepublik Deutschland hätte es gut zu Gesicht gestanden, wenn sie dies in der EG offensiv behandelt hätte. Das ist nicht geschehen. Sie haben das zu verantworten.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016200700
Ich erteile das Wort der Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016200800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem, was zuvor gesagt worden ist, möchte ich feststellen, daß die Angriffe gegen die Bundesregierung in diesem Punkt ungerechtfertigt sind. Das möchte ich wie folgt begründen.
Die Anträge, um die es hier geht, sind von der Bundesregierung bei der EG gestellt worden. Sie ist es, die auf Grund der Ergebnisse der obersten Bundesbehörden das Votum bei der EG erst herbeigeführt hat. In diesem Zusammenhang möchte ich die Entscheidung des Expertengremiums bei der EG zitieren, mit der das geschehen ist, was die Bundesregierung beantragt hat, nämlich die Einstufung. Mit der Kategorie 2 sagt die EG:
Stoffe, die als krebserzeugend für den Menschen angesehen werden sollten, sind dieser Kategorie zuzuordnen. Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte zu der begründeten Annahme, daß die Exposition eines Menschen gegenüber dem Stoff Krebs erzeugen kann. Diese Annahme beruht im allgemeinen auf folgendem: geeignete Langzeittierversuche, sonstige relevante Informationen.
Sie wissen sehr wohl, daß die EG mit der Genehmigung der Gefahrstoffverordnung zögert, weil ihr diese Maßnahmen zu weitreichend sind, einen Wert 0,1 ppm anzuerkennen.
Die Bundesregierung hat diese Diskussion genauso wie diejenige, die zu einem früheren Zeitpunkt hier stattgefunden hat, keineswegs zu scheuen; denn die Regelungen zu Formaldehyd in der Gefahrstoffverordnung, die wir nur aus EG-rechtlichen Gründen bisher noch nicht erlassen konnten, werden von anderen EG-Staaten als zu umfassend und zu weitgehend angesehen. Weltweit wird hier die Bundesregierung als Vorreiter betrachtet, nicht als jemand, der etwas verpaßt oder eine Chance vertan hat.

(Zuruf von den GRÜNEN: Quatsch!)

Das mag Ihnen so scheinen, aber die Tatsachen sprechen dagegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Entwurf der Gefahrstoffverordnung sind Bestimmungen vorgesehen zu Holzwerkstoffen wie Spanplatten, beschichteten Spanplatten, Tischlerplatten, Furnierplatten und Faserplatten, zu Möbeln, zu Ortsschäumen, zu Wasch-, Reinigungs- und
Pflegemitteln, zu Textilien, die mit der Haut in Berührung kommen; — dies, um die Bevölkerung vor gesundheitsschädlichen Auswirkungen dieser Chemikalie zu schützen. Die Bundesregierung hat diese Regelungen erarbeitet, obwohl der Formaldehydbericht der drei damit befaßten Bundesoberbehörden diese Chemikalie als krebsverdächtig und nicht als krebserzeugend gewertet hat.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: So ist es präzise richtig! — Frau Hönes [GRÜNE]: Und warum?)

Ich denke, daß inzwischen über zwei Gerichtsurteile längst widerlegt ist, was immer wieder behauptet wird, hier sei von der Bundesregierung auf die Entscheidung Einfluß genommen worden.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Nein! Von der chemischen Industrie! Ganz sicher nicht von der Bundesregierung!)

— Trotzdem bitte ich Sie, die Gerichtsurteile nachzulesen.
Ich weise noch einmal darauf hin, daß die widersprüchliche Situation dadurch eingetreten ist, daß in der Wissenschaft selbst kein eindeutiges Votum vorliegt. Dies gilt auch für das EG-Votum, in dem die EG-Wissenschaftler nach langem Abwägen zu der Formulierung gekommen sind, wie ich sie eben zitiert habe.

(Frau Hönes [GRÜNE]: 6 : 3!)

— Ja eben.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Nur der deutsche Vertreter konnte sich nicht durchringen!)

Das jetzt von den Experten bei der EG getroffene Votum wird unsere Position nicht verschlechtern, sondern verbessern. Die Bundesregierung sieht sich darin bestärkt, die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Formaldehyd konsequent weiterzuverfolgen. Sie wird darüber hinaus bestrebt sein, die Diskussion der Experten in Brüssel im Detail zu analysieren, was bisher noch nicht möglich war. Nach dem Stand unserer Erkenntnisse ist davon auszugehen, daß den Wissenschaftlern bei ihrer Beratung über Formaldehyd alle, auch die neuesten Arbeiten vorlagen. Nach den mir vorliegenden Informationen spielten aber die wissenschaflichen Veröffentlichungen, die auch bei der Erstellung des Formaldehyd-Berichtes vorlagen, eine entscheidende Rolle.
Dieses Expertenvotum ist keine entgültige Beschlußfassung. Ihr Votum wird dem zuständigen Gremium Anfang nächsten Jahres vorgelegt werden. Es ist nicht möglich, heute schon zu sagen, welchen Beschluß die Regierungsvertreter der EG-Staaten dann treffen werden. Insofern ist also bisher keine abschließende Beurteilung durch die EG vorhanden. Der Prozeß ist im Gange.
Für die Bundesregierung waren jedoch bereits der bestehende Verdacht Grund genug, weitgehende Maßnahmen anzugehen. Die EG-Erkenntnisse sehen nichts anderes vor, als die Bundesregierung in Aussicht gestellt und gefordert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
Ich bitte in diesem Zusammenhang und fordere die GRÜNEN auf, jenen Angriff, der da lautet, es seien von der Regierung verfälschende Aussagen begünstigt worden, nicht länger aufrechtzuerhalten,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das können wir nicht!)

zumal das Urteil in dieser Frage in zweiter Instanz ergangen ist.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016200900
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1016201000
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Aussagen der Wissenschaftler, Formaldehyd sei eindeutig krebserregend, ist nicht neu. Neu werden auch nicht die Ausreden und Aussagen der Bundesregierung und der Industrie sein, wenn es gilt, den Bericht des obersten wissenschaftlichen Beratergremiums der Europäischen Gemeinschaft zu diskutieren und zu kommentieren. Wahrscheinlich wird es wieder heißen, Frau Minister, daß die Tierversuche nicht ausreichen, um festzustellen, daß dieser Stoff krebserzeugend ist. Dann muß man sich natürlich einmal die Frage stellen: Warum machen wir denn überhaupt noch Tierversuche? Sollten wir denn nicht auf die Tierschützer Rücksicht nehmen und ihrem Wunsch nachkommen, Tierversuche abzuschaffen?

(Bohl [CDU/CSU]: Machen Sie es nur deshalb? Das ist ja interessant: Tierschutz nur wegen der Tierschützer und nicht wegen der Tiere!)

Es ist ein Jahr her, daß die Frage Formaldehyd diskutiert wurde. Es gab mehrere Feststellungen: erstens des Bundesgesundheitsamtes, zweitens des Amtes für Arbeitsschutz, drittens der Weltgesundheitsorganisation und viertens des Bundesumweltamtes. Sie alle hatten mehrheitlich festgestellt, daß dieser Stoff krebserzeugend sei. Nur der massive Streit der Wissenschaftler untereinander, der in den Gremien, einschließlich der MAK-Kommission, zu einem Kompromiß geführt hatte, hat die Einstufung „krebserregend" gebracht. Ich frage mich: Kann man überhaupt einen Kompromiß in dieser Frage von den Wissenschaftlern treffen lassen? Wäre man der damaligen Erkenntnis der Wissenschaftler, die sich für krebserzeugend und nicht für krebsverdächtig ausgesprochen haben, gefolgt, wäre dieser Stoff in der MAK-Liste nach A gekommen statt nach B, und wir hätten eine große Diskussion, wie auch heute wieder, nicht gehabt. Erzeuger und Verbraucher würden nicht in einen neuen Schock der Angst versetzt, einmal, was Absatz und Arbeitsplätze, zum anderen was Kauf und Verbrauch anbelangt.
Ich brauche mich auch nicht zu korrigieren, wenn ich meine Position von vor einem Jahr wiederhole, wo ich gesagt habe: Der Schrei nach einem Verbot hilft nicht. Aber die Einstufung in die Liste der krebserzeugenden Stoffe hilft. Nur so können Ökonomie und Ökologie unter einen Hut gebracht werden. Das hätte für die Industrie auch die Chance, sich intensiver um Ersatzstoffe zu bemühen, was sicherlich schon an der einen oder anderen Stelle geschieht. Es hätte aber auch die Chance, dem Verbraucher einen verbesserten Schutz zu geben.
Ich meine auch, daß die Bedeutung von Formaldehyd als Wirtschaftsfaktor nicht unterschätzt werden darf. Denn wenn die Zahlen stimmen, wird immerhin ein Jahresumsatz von 300 Milliarden DM erzielt und werden Arbeitsplätze von nahezu 3 Millionen damit in Verbindung gebracht. Man muß natürlich auf die Dauer davon ausgehen, daß nur gesunde Arbeitsplätze und gesunde Produkte die Arbeitsplätze sichern und die Produkte für die Zukunft verkaufbar machen.
In der gesamten Diskussion kommt meines Erachtens zu kurz, daß die Herstellung und der Verbrauch nicht unterschieden werden. Für die Herstellung von Formaldehyd scheint in der Tat kein Gesundheitsproblem zu bestehen, weil Formalin im geschlossenen Kreislauf hergestellt wird. Beim Verbrauch haben wir am Beispiel der Spanplattenherstellung bzw. bei der Verarbeitung und nach der Verarbeitung in Schulen, in Turnhallen, in Kindergärten Probleme gehabt. Das muß aufgegriffen werden, durch Verordnungen, durch neue Richtlinien, durch Auflagen, durch Mengenbegrenzungen, genauso wie die Kennzeichnungspflicht bei Kosmetika oder bei Arzneimitteln.
Wenn man das alles so sieht, kann man doch abschließend nur werten, daß der einzige Vorteil der heutigen Diskussion darin besteht, daß dieses Problem erneut auf der Tagesordnung ist, daß darauf hinzuwirken ist, daß die Industrie krebsfreie Stoffe entwickelt und daß die Industrie auch ihre gesamte Altlast auf Krebspotential hin zu untersuchen beginnt, um aus der negativen öffentlichen Diskussion herauszukommen und um den Menschen vor schädlichen Einwirkungen zu sichern. Es hat immerhin über 100 Jahre bedurft — denn so lange wird Formaldehyd schon hergestellt. Der Grund der Langzeitwirkung von Formaldehyd läßt erst heute die gesundheitsschädigenden Wirkungen zur Diskussion kommen. Erst nach langer Zeit wurden die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Formaldehyd deutlich.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016201100
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer (Fürth).

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1016201200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Meldung aus Brüssel, Formaldehyd sei krebserzeugend, war Anlaß für die GRÜNEN, diese Aktuelle Stunde zu verlangen. Was ist passiert? Auf Grund bekannter Fakten, die bisher schon unterschiedlich interpretiert wurden, haben Wissenschaftler abgestimmt. Sechs waren für die Einstufung krebserzeugend, drei für krebsverdächtig. Das bedeutet für mich, daß zunächst einmal der Wissenschaftlerstreit weitergeht. Ich muß dazu sagen, ich fühle mich nicht kompetent, mich in diesen Streit einzumischen. Ich bin kein Wissenschaftler und ich glaube, wir sollten zugeben, daß wir hier auf



Eimer (Fürth)

die Aussagen der Wissenschaftler angewiesen sind.
Anfang 1986 werden die Regierungsvertreter das Ergebnis beraten. Das Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit hat den deutschen Vertreter des Wissenschaftsgremiums zu einem Bericht ins Ministerium gebeten. Wir sind der Meinung, daß in der Gefahrstoffverordnung die Einstufung von Formaldehyd EG-einheitlich vorgenommen werden sollte. Das war auch die Forderung der Bundesregierung. Trotz des Wissenschaftlerstreits waren wir der Meinung, daß die Maßnahmen und Forderungen streng sein müßten. Die deutschen Behörden mußten feststellen, daß sie innerhalb der EG auf keine Gegenliebe stießen.
Ich bin der Meinung, daß die jetzige Einstufung der EG-Wissenschaftler die Position der Bundesregierung gestärkt hat. Ich kann nur feststellen, daß die Bundesregierung verantwortungsvoll gehandelt hat, daß wir richtig liegen und daß wir jetzt mehr Chancen haben, unsere Vorstellungen innerhalb der EG durchzusetzen.
Bleiben für mich noch einige Fragen, die zu stellen sind. Ich war gestern mit einigen Kollegen bei Umweltschützern. Dort habe ich wieder gehört, daß Tierversuche nicht ohne weiteres mit dem Menschen vergleichbar sind. Ich höre weiter, daß Wissenschaftler sagen, daß die Versuche, die dieser Einstufung zugrunde liegen, sehr fragwürdig sind. Ich glaube, hier sollten wir ehrlich argumentieren. Entweder sind Tierversuche aussagekräftig; dann ist diese Aussage auch richtig. Oder sie sind fragwürdig; dann muß man dieses Ergebnis auch als fragwürdig bezeichnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Man kann sich die Argumente nicht so zurechtbiegen, wie es gewünscht wird.
Es gibt für mich weitere Fragen. Gesetzt den Fall, daß Formaldehyd krebserzeugend ist — und wir müssen ja zunächst das Schlimmste annehmen —: Welche Forderungen ergeben sich daraus? Ich denke z. B. daran, daß Formaldehyd auch beim Rauchen entsteht, und zwar in außerordentlich hohen Konzentrationen.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Richtig! Genau!)

Welche Folgerungen ergibt dies dann? Wir sollten also die Folgerungen und Auswirkungen auf Grund dieser Aussage der Wissenschaftler nicht zu leicht nehmen.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Rauchverbot!)

Ich meine — damit will ich schließen —, die Bundesregierung hat gut gehandelt. Ich glaube, daß diese Aktuelle Stunde zu dem heutigen Zeitpunkt überflüssig ist. Falls überhaupt, hätte sie später kommen müssen, wenn mehr Ergebnisse vorliegen und wir qualifizierter darüber reden können, und nicht jetzt, wo wir erst in einer Phase sind, in der wir Fakten und Aussagen von Wissenschaftlern noch gar nicht bewerten können.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Sie kommen nie zu Potte! Das ist richtig!)

Die Offensive, die mein Kollege Urbaniak gefordert hat, hat stattgefunden. Sie hat auf EG-Ebene dazu geführt, daß dieser Spruch, über den wir heute diskutieren, gekommen ist.
Abschließend darf ich noch mal sagen: Dieser Spruch wird die Position der Bundesregierung auf EG-Ebene stärken.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016201300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Augustin.

Anneliese Augustin (CDU):
Rede ID: ID1016201400
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der allgemeinen Fröhlichkeit in der Fraktion DIE GRÜNEN entnehme ich, daß der nicht einmal einstimmig gefaßte Beschluß einer Brüsseler Expertenkommission von Ihnen als freudiges Ereignis bewertet und nun in Form einer Aktuellen Stunde hier gebührend gefeiert und dementsprechend festlich begangen werden soll. Für mich und sicher auch für die interessierte Offentlichkeit ist das ein recht bemerkenswerter und aufschlußreicher Vorgang.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Reden Sie zur Sache!)

Der Brüsseler Expertenbeschluß stützt sich auf einen vor Jahren in Amerika durchgeführten Tierversuch an Ratten, bei dem die Tiere in einer extrem langen Zeit einer extrem hohen Konzentration von Formaldehyd ausgesetzt waren, einer Konzentration, der wir als Menschen uns weder in unserer gewohnten Umwelt noch am Arbeitsplatz schon auf Grund des stechenden Geruchs von Formaldehyd je aussetzen würden.
Herr Urbaniak, ich muß einfach feststellen, daß Sie sich da nicht genügend informiert haben.

(Urbaniak [SPD]: Oh! Das hat doch die Bundesanstalt in Dortmund gesagt!)

Mir gibt zu denken, daß jene, die sich vormittags als engagierte Tierversuchsgegner aufspielen und für ihre angebliche Überzeugung sogar den medizinischen Fortschritt aufs Spiel setzen wollen, nachmittags Ergebnisse von Tierversuchen freudig aufnehmen und auszuwerten versuchen, und seien diese Tierversuche noch so grausam und noch so ungeeignet.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Frau Kollegin! Sie wissen, daß das durch In-vitro-Untersuchungen genauso zu beweisen ist, gerade in dem Fall!)

— Liebe Frau Kollegin Hönes, Sie haben vorhin Gelegenheit gehabt, Ihre Ausführungen zu machen. Jetzt mache ich meine.

(Tagke [GRÜNE]: Sie haben aber nicht zugehört!)

Mir gibt zu denken, daß jene, die vormittags behaupten, daß sich Tierversuche nicht auf Menschen übertragen lassen, nachmittags von der Übertragbarkeit überzeugt und bereit sind, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Mir gibt außerdem zu denken, daß jene, die Tierversuche sonst strikt ablehnen,



Frau Augustin
bereits gewonnene Erfahrungen am Menschen, die wir von Berufsgruppen haben, die jahrzehntelang mit einigermaßen hohen Konzentrationen von Formaldehyd umgegangen sind, einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Oder haben Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, einfach nicht gewußt, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland ein homologe Gruppe haben, nämlich die Pathologen, die 10, 20, 30 Jahre lang hohen Konzentrationen von Formaldehyd ausgesetzt waren, und zwar schon 80 Jahre lang — so lange wird Formaldehyd ja schon benutzt —,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Alles Allergiepatienten!)

und daß gerade bei dieser Gruppe festgestellt worden ist — weil diese Gruppe bereit ist, sich nach dem Tod sezieren und untersuchen zu lassen —, daß der Lungenkrebs extrem niedrig ist, nämlich bei 1,8 %, und daß die sonstigen Tumoren in dieser Berufsgruppe etwa bei 12% angesiedelt sind?

(Frau Hönes [GRÜNE]: Formaldehyd ist gesund! — Senfft [GRÜNE]: Wieviel Geld zahlt die Pharma-Industrie?)

— Frau Hönes, das kommt noch.
Wenn Sie diese Zahlen mit denen in einem Land der Bundesrepublik erhobenen Zahlen für die gesamte Bevölkerung vergleichen, dann stellen Sie fest — diese Zahl stammt aus dem Jahre 1978 —, daß die Sterblichkeitsrate bei der normalen Bevölkerung mehr als doppelt so hoch wie bei dieser Gruppe liegt, die sich diesem Formaldehyd extrem ausgesetzt hat. Die Sterblichkeitsrate mit anderen Tumoren liegt mit 20,2 % sogar signifikant höher als in der normalen Bevölkerung.

(Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: Formaldehyd als Medikament gegen Krebs!)

Des weiteren wurde in einem über 16 Jahre beobachteten Zeitraum festgestellt, daß in einer mitteldeutschen Stadt die Sterblichkeitsrate bei der männlichen Bevölkerung sogar bei 32,6% lag.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich gehe nicht soweit, auf Grund der von mir vorgetragenen und gesicherten Daten zu behaupten, Formaldehyd sei ein Vorbeugungsmittel gegen Krebs.

(Vogel [München] [GRÜNE]: So klang es aber!)

Aber was Sie hier heute veranstalten, meine Damen und Herren von der Fraktion der GRÜNEN, in der klaren Absicht, Angst zu schüren und sich als die möglichen rettenden Engel hier darzustellen, grenzt für mich an banale Dreistigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU — Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: Ungeheuerlich!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016201500
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Vogt, das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016201600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Was ist der Sachverhalt? Der Sachverhalt ist, daß das wissenschaftliche Beratungsgremium des Anpassungsausschusses mit Mehrheit die Entscheidung getroffen hat, daß Formaldehyd krebserzeugend ist. Wenn ich, Herr Kollege Urbaniak, davon ausgehe, daß im Anpassungsausschuß, der im Januar 1986 tagen wird, ebenso abgestimmt wird wie im wissenschaftlichen Beratungsgremium, wird es auf Grund der unterschiedlichen Gewichtung der Länderstimmen nicht zu einer dahin gehenden Entscheidung kommen, daß Formaldehyd als krebserzeugend eingestuft wird. Dies ist der eine Tatbestand.
Der zweite Tatbestand: Herr Kollege Urbaniak, auch halbe Wahrheiten werden durch ständige Wiederholung nicht wahrer und werden nicht zur ganzen Wahrheit. Sagen Sie bitte, daß die Dortmunder Bundesanstalt mit den anderen Bundesanstalten für Gesundheitsschutz und Umweltschutz der Auffassung ist, daß Formaldehyd nur als krebsverdächtig eingestuft werden kann.

(Reimann [SPD]: Das war eine Mehrheitsentscheidung!)

Die Auffassung, die die Dortmunder Bundesanstalt gehabt hat, hat diese Anstalt nach Beratung mit den anderen Gremien korrigiert.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Hier gibt es zwischen der Dortmunder Bundesanstalt, dem Bundesgesundheitsamt und dem Umweltbundesamt keine Meinungsverschiedenheiten.
Dritter Punkt. Meine Damen und Herren — auch das werden Sie nicht wegdiskutieren können —, die Gefahrstoffverordnung, die wir — Herr Kollege Reimann, ich bitte Sie, sich in Hannover mal zu erkundigen — auch mit den Tarifpartnern, mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden, mit dem DGB, mit der IG Metall wie auch mit der IG Chemie-Papier-Keramik sehr sorgfältig vorbereitet haben, enthält so weitgehende Kennzeichnungspflichten und Bestimmungen über die einschränkende Benutzung von Formaldehyd, daß wir im Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Gemeinschaft deshalb auf Einwände gestoßen sind, weil die einschränkenden Bestimmungen so weitgehend sind, nicht weil wir etwa zu lasch wären.
Deshalb kann ich nur sagen, Herr Kollege Urbaniak, wir haben mit der Gefahrstoffverordnung keine Chance vertan, sondern wir haben wieder einmal gezeigt, daß die Bundesrepublik Deutschland in Fragen des Umweltschutzes, in Fragen des Verbraucherschutzes und in Fragen des Arbeitsschutzes für Arbeitnehmer eine Vorreiterrolle spielt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Urbaniak [SPD]: Sie haben die Dortmunder niedergebügelt!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016201700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1016201800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer Chemikalie wie



Frau Dr. Hartenstein
Formaldehyd helfen weder Rufe nach einem Totalverbot noch Verharmlosungen weiter,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

aber schon gar nicht Belustigungen, Frau Kollegin Augustin! Damit werden wir der Realität nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn hier von einem Skandal gesprochen werden muß, dann ist nicht die Chemikalie Formaldehyd selbst ein Skandal; aber die Art und Weise, wie die Bundesregierung das Formaldehyd-Problem bisher behandelt hat, ist die Chronik eines Skandals.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dolata [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)

— Doch, das stimmt! Warum haben Sie sich so lange Zeit gelassen? Warum haben Sie nicht schon mindestens vor einem Jahr die von uns geforderten Konsequenzen gezogen und wirksamere Maßnahmen in die Gefahrstoffverordnung eingebaut?

(Zuruf von der CDU/CSU)

Was verstehen Sie eigentlich unter Gesundheitsvorsorge?

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sagen Sie bitte einmal ein paar Fakten!)

Bitte erklären Sie — bis heute ist das nicht erklärt —, wie es denn kam, daß im November 1983 Umweltbundesamt, Bundesgesundheitsamt und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz übereinstimmend festgestellt haben, daß Formaldehyd als „krebserzeugend" einzustufen sei, und — o Wunder! — der Formaldehyd-Bericht der Bundesregierung plötzlich die Chemikalie trotzdem nur als „krebsverdächtig" bezeichnet. Inzwischen waren keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse eingetreten.
Meine Damen und Herren, die Forderungen des DGB und der Umweltverbände, striktere Maßnahmen zum Schutze der Menschen zu ergreifen, die mit Spanplatten, Reinigungsmitteln, Lacken, Farben, Klebstoffen, Desinfektionsmitteln usw. umgehen müssen, blieben ohne Erfolg, ebenso die Forderung der SPD-Fraktion, die Richtkonzentration für Formaldehyd am Arbeitsplatz um den Faktor 100 herabzusetzen. Es ist doch die Aufgabe der Regierung, konsequent zu handeln und nicht zu verschleppen und zu verzögern.
Statt dessen hat die Koalitionsmehrheit — und darauf möchte ich aufmerksam machen — vernünftige und sachgerechte Vorschläge auch in den Ausschüssen rundweg abgelehnt, z. B. im Wirtschaftsausschuß am 12. Juni dieses Jahres. Dort hatte die SPD-Fraktion einen Antrag vorgelegt, der u. a. verlangt: erstens Aufnahme von Formaldehyd als krebserzeugenden Stoff in die Arbeitsstoffverordnung, zweitens Kennzeichnung formaldehydhaltiger Produkte und verbesserte Gebrauchsanweisungen, drittens klare Zielvorgaben und verbindliche Zeitpläne für die Zurückdrängung der Verwendung von Formaldehyd und die Senkung der erlaubten Grenzwerte, insbesondere in Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern und ähnlichem, viertens Förderung von ungefährlicheren Ersatzstoffen, fünftens Verbot der Verwendung bei der Lebensmittelverarbeitung und bei Brutkästen für Frühgeborene. Sie haben keinen einzigen stichhaltigen Sachgrund für Ihre Ablehnung vorgetragen.
Jetzt hat das Votum des obersten wissenschaftlichen EG-Gremiums die Dringlichkeit unserer Forderungen mehr als bestätigt. Sie brauchen dieses Votum nur zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, es kann nicht darum gehen, Hysterie zu schüren — das führt nicht weiter —, auch nicht darum, den großen Holzhammer des Generalverbots zu schwingen; aber wir müssen doch von der Regierung erwarten, daß sie das pflichtgemäß Notwendige tut. Das hat sie bis jetzt versäumt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, meine Damen und Herren, daß der frühere Gesundheitsminister Geißler bei seiner Kräfteökonomie nur den kleineren Teil für die Gesundheitspolitik abgezweigt hat und den größeren Teil für die Parteistrategie eingesetzt hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: Die alte Leier! — Schade, daß Sie nicht zu einem sachlichen Beitrag fähig sind!)

Frau Minister Süssmuth, Sie sind nicht zu beneiden bei der Aufgabe, die Fehlentscheidungen in diesem Ressort wieder zu beseitigen. Das ist eine wahre Herkulesarbeit! Wir wünschen Ihnen das nötige Durchsetzungsvermögen dazu.
Da ist noch ein letzter Knackpunkt: Formaldehyd wird auch durch die Kfz-Abgase in die Luft ausgestoßen. Bei heutigen Autos betragen die Emissionen zwischen 20 und 50 Milligramm pro Fahrkilometer.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Lieber Herr Kollege, ich habe noch eine halbe Minute Zeit. — Bei Pkw mit Katalysatoren sinken die Werte dagegen auf ein Zehntel bis ein Zwanzigstel ab. Dies hat der Bundesinnenminister am 20. Dezember 1984 stolz verkündet und darauf hingewiesen, daß die Einführung schadstoffarmer Autos auch eine erhebliche und nachhaltige Verminderung der Formaldehyd-Emissionen im Straßenverkehr bewirken wird.

(Dolata [CDU/CSU]: Fahren Sie ein KatAuto?)

Schön wär's gewesen! Inzwischen hat es die Staatskunst dieser Bundesregierung bekanntlich fertiggebracht, daß der Anteil der Kat-Autos bei Neuwagenbestellungen heute unter 5 % liegt — ein ausgezeichneter Erfolg!

(Dolata [CDU/CSU]: Fahren Sie solch ein Auto?)

Mit der Katalysator-Pleite von Luxemburg wurde auch eine gesundheitspolitische Chance vertan, meine Damen und Herren! Es darf weiter viel Blei,



Frau Dr. Hartenstein
viel Stickoxid und auch viel Formaldehyd in die Atemluft geblasen werden. Der um seine Gesundheit besorgte Bundesbürger möge auch dies aufmerksam registrieren.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016201900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Faltlhauser.

Dr. Kurt Faltlhauser (CSU):
Rede ID: ID1016202000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von der Kollegin der GRÜNEN hier gehört, wie einfach das ist: Da ist ein Problem, ein Gas, das überall verwandt wird, und wenn man das Problem lösen will, wenn man will, daß keine weiteren Gefährdungen auftreten, dann verbieten wir einfach von heute auf morgen die Produktion; obwohl wir wissen, daß unmittelbar mindestens 400 000 Arbeitsplätze und mittelbar mehrere Millionen Arbeitsplätze davon betroffen sind.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Es gibt Alternativen!)

So einfach ist das! Und morgen beantragt dann sicherlich die gleiche Fraktion der GRÜNEN eine Aktuelle Stunde zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Das nenne ich: Gesamtzusammenhang in der Politik beachten!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Frau Hartenstein, Sie haben von Bagatellisierung gesprochen. Ich glaube, dieser Vorwurf ist in diesem Falle mit Sicherheit nicht gerechtfertigt. Ich wiederhole noch einmal: es ist diese Bundesregierung, die in dieser Frage in der EG Motor ist, die vorantreibt, die etwas durchsetzen will. Aber genauso, wie es eine Katalysator-Blockade in der EG gibt, gibt es auch eine Formaldehyd-Blockade. Diese Bundesregierung ist hier nicht diejenige, die bagatellisiert und zurückweicht; sie will sich in der EG durchsetzen. Helfen Sie durch Ihre Wortbeiträge hier an dieser Stelle, daß es uns in der EG leichter fällt!
Herr Reimann, Sie sagen, daß die obersten Bundesbehörden — das hat mich etwas erstaunt — festgestellt haben, daß dieses Gas „eindeutig krebserregend" ist. Ich habe die Schlußfolgerungen dieses Formaldehyd-Berichts vor mir liegen. Unter anderem — ich zitiere das nur — sagen die obersten Bundesbehörden: „Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens bestehen auch keine sonstigen hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß Formaldehyd bei Menschen Krebs erzeugt."

(Zurufe von den GRÜNEN)

Auf wen soll sich denn die Bundesregierung in ihren Aussagen noch verlassen wenn nicht auf die obersten kompetenten Bundesbehörden?

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Ich glaube, hier hat die Bundesregierung bisher sehr sorgfältig gearbeitet und geurteilt.
Noch etwas, meine Damen und Herren. Sicherlich gibt es in der Politik Probleme, die ganz plötzlich von heute auf morgen kommen: Katastrophen, Skandale.

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Aber in dieser Frage ist es mit Sicherheit nicht so. Zählen Sie mal auf, was hier bereits sorgfältig geprüft wurde! Schauen Sie sich diesen Bericht an; er hat 120 Seiten. Da wird sehr, sehr ernsthaft diskutiert, und alle Gefahren werden genannt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Hier wird in einem entsprechenden Rahmen etwa auch deutlich gemacht, daß es keinen Anlaß für Krebsverdacht bei Menschen gibt: das haben alle Versuche gezeigt. Ich verweise auf Seite 76 dieses Berichts. Das sollten Sie bitte auch noch einmal nachlesen. Hier liegt also ein Sachverhalt vor, der weitestgehend und genauestens untersucht ist. Zumindest bisher haben diese Untersuchungen einen Gefährdungstatbestand nicht ergeben. Selbstverständlich müssen wir seriöse Schlußfolgerungen aus dem Votum der EG-Kommission ziehen. Das ist ja nicht irgendeine Kommission.

(Zurufe von den GRÜNEN: Aha! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie uns dann doch gemeinsam darangehen, diesen riesigen Katalog von Maßnahmen und Vorschlägen dieses Formaldehyd-Berichts Schritt für Schritt durchzugehen.
Die Bundesregierung hat ja eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet, sehr entschlossen, wie ich meine. Helfen Sie, helfen gerade diejenigen, die darüber besorgt sind, daß Gefährdungen am Arbeitsplatz vorhanden sind, durch Ihre Beiträge und durch Ihre Arbeit mit, daß diese Maßnahmen in den Betrieben auch praktisch umgesetzt werden! Es sind ja viele Gewerkschaftler da; die sollen nicht nur fordern, die sollen auch vor Ort etwas tun. Das wäre ein praktischer Beitrag. Die Vorschläge stehen in dem Bericht.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie müssen Ihrer Pflicht nachkommen!)

Die Hilfe von der Regierung ist vorhanden. Die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen liegen vor. Die Umsetzung in die Praxis ist es, die vorangetrieben werden muß.
&och ein Schlußwort. Sicherlich werden uns die modernen Meßmethoden auch morgen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, immer wieder neue Hiobsbotschaften über die Gefährdungen der Umwelt bringen. Es wäre angebracht, wenn Sie nicht bei jeder neuen kleinen Meldung das täten, was immer Ihr Geschäft ist; nämlich Hysterie und Angst draußen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, anstatt hier im Hause verantwortungsvolle Politik zu betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Hönes [GRÜNE]: Ja, ja, wie beim Waldsterben!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016202100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.




Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID1016202200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Bürger kann sich auf die Bundesregierung verlassen.

(Lachen bei den GRÜNEN — Frau Hönes [GRÜNE]: Da ist er verlassen!)

Bereits seit 1971 — das wissen Sie — sind die MAK-Werte für den Arbeitsplatz festgelegt, die Grenzwerte für die Wohnräume sind seit 1977 da, und da auf Grund von Tierversuchen mit weit höheren Konzentrationen ein krebserregendes Potential auch für den Menschen vermutet wurde, wurde Formaldehyd 1980 in die entsprechende Gefahrenklasse III b eingestuft. Es ist also niemals geleugnet worden, daß ein krebserregendes Potential vorhanden ist.
Davon abzugrenzen ist aber, daß ein Risiko für den Bürger normalerweise praktisch nicht gegeben ist, weil er derartig hohen Konzentrationen des Formaldehyd, wie sie für eine Krebserzeugung notwendig wären, nicht ausgesetzt ist. Meine Damen und Herren, hier gilt genauso wie schon immer das Wort des Paracelsus, daß die Menge die Giftigkeit eines Stoffes ausmacht. Die Konzentration macht es aus, und deswegen kommt es bei allen Maßnahmen, die wir uns vornehmen müssen, auf die Minimierung der Anwendung von Formaldehyd an.
Wenn nun aber ein Gremium der EG größere Gefahren wittert, dann halte ich es einfach für verfrüht und überzogen, wenn in der Presse die Meldung erscheint, Formaldehyd sei als eindeutig krebserzeugend einzustufen. Dann sollte man sich vorher einmal einen guten Übersetzer kommen lassen und sich die tatsächliche Formulierung der EG ansehen, wo eindeutig steht, daß beim Menschen die Krebsentstehung von Formaldehyd beeinflußt werden könnte. Meine Damen und Herren, da steht immer nur: könnte; es steht nirgendwo: kann.

(Reimann [SPD]: Muß es immer gleich Krebs sein, reicht es nicht aus, wenn man krank wird?)

— Ganz sicherlich; wir wollen ja auch weiter vorbeugen. Das ist nach wie vor das Bemühen der Bundesregierung und unserer Fraktion. Aber ich meine schon, diese neue Situation, die durch diese Abstimmung in der EG entstanden ist und die Sie ja nun auch gleich — schneller ging es eigentlich gar nicht
— nutzen, müßte erst einmal auf Grund eventuell vorliegender neuer Beweismittel nachgeprüft werden. Wo bleibt da bei uns das Vertrauen in die eigenen Institutionen, die doch noch vor knapp einem Jahr von der Richtigkeit einer milderen Einstufung überzeugt waren, aber auch um härtere Maßnahmen in der EG gekämpft haben?

(Reimann [SPD]: Das Gutachten der Bundesanstalt wurde nicht befolgt!)

Lassen Sie mich hier etwas anderes anschließen: Sollte man sich darüber hinaus nicht fragen, ob es überhaupt das richtige Verfahren ist, zentral durch ein Gremium mit sicherlich unterschiedlichem wissenschaftlichem Background über die Sicherheit unterschiedlicher Länder entscheiden zu lassen, während die Verantwortung für die Sicherheit dann wieder dezentralisiert jeweils national übernommen werden muß? Wissenschaftliche Ergebnisse, meine Damen und Herren, kann man meines Erachtens nicht durch demokratische Abstimmung erzielen, so sehr wir auf dem Boden der Demokratie stehen. Hier bedarf es einer intensiveren Zusammenarbeit wissenschaftlicher Fachgremien, bei denen sich die Qualität der Forschungsergebnisse und das Fachwissen der Beteiligten durchsetzen

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sehr gut!)

und nicht ein Zufallsergebnis 6 : 4 oder 6 : 3 auf Grund abgegebener Stimmen, ganz gleich, woher sie kommen.
Es ist aber heute üblich — und gerade Sie, meine Damen und Herren aus der Fraktion DIE GRÜNEN, nutzen ja jede Gelegenheit dazu —, Ängste zu wecken,

(Vogel [München] [GRÜNE]: — — auf Gefahren aufmerksam zu machen!)

alte Risiken, die längst bekannt sind, wieder aufzupolieren und neue Risiken in die Welt zu setzen und sie sorgfältig zu pflegen,

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie sind in der Welt!)

damit der Bürger nicht etwa zur Ruhe kommen und Vertrauen gegenüber denjenigen entwickeln kann, die ihm Lebensmittel, Bedarfsgegenstände und vor allem Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Sie wollen Vertrauen zerstören und Ängste erzeugen.

(Zuruf von den GRÜNEN: So ein Quatsch!)

Was Sie hier unternehmen, meine Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der GRÜNEN, das hat mit parlamentarischer Kontrolle, die notwendig ist, oder mit der Sorgfaltspflicht des Parlamentariers nichts mehr zu tun.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Sie wissen, was eine Oppositionsfraktion zu tun hat! Das werden Sie ab 1987 wissen!)

Statt wissenschaftlicher Forschung gilt bei Ihnen immer nur das Wort des „Spiegel".

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016202300
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1016202400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt dabei, die Bundesregierung hat in der Frage Formaldehyd sowohl hinsichtlich Verbraucherschutz als auch Gesundheitsschutz versagt. Sie hat zwei Schlappen erlitten. Die erste Schlappe ist die Brüsseler Entscheidung. Ich kann Ihre Eiertänze wirklich nicht nachvollziehen, wenn Sie sich auf der einen Seite hinstellen, Sie wollten Motor der Umweltpolitik in Europa sein, andererseits wir aber feststellen, daß a) die Bundesregierung nicht für die Einstufung als krebserzeugend war und b) die Bundesrepublik nur bei der Minderheit von drei Ländern in der EG war. Sie waren in beiden Punkten eben nicht auf der Seite eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes, und den-



Müller (Düsseldorf)

noch nennen Sie sich noch „Motor der Umweltpolitik".

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das kann ich intellektuell nicht mehr nachvollziehen.
Ich erinnere daran, daß Sie beispielsweise auch die Wissenschaftlichkeit von Tierversuchen hier bei den letzten Diskussionsbeiträgen in Frage gestellt haben. Was nehmen Sie dann überhaupt noch als Anhaltspunkt für eine Einstufung als krebserzeugend? Das ist mir völlig unklar. Da müssen Sie ihre Alternative auf den Tisch legen. Wenn das nicht begründete Verdachtsmomente sind, welches sind Ihre Maßstäbe des Handelns? Es ist völlig unklar, und da müssen Sie bald Erklärungen geben.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die EG-Entscheidung nicht die einzige Niederlage in dieser Frage ist. Die zweite ergibt sich aus der massiven Kritik der Verbraucherverbände, die vor kurzem gekommen ist. Die Verbraucherverbände haben Ihnen sehr klar an Hand von Untersuchungen nachgewiesen, daß Ihre Einordnung von Formaldehyd dem notwendigen Verbraucherschutz nicht entspricht. Daraus ergeben sich meines Erachtens drei Punkte:
Der erste Punkt. Sie haben erneut Ihren Anspruch, internationaler Vorreiter im Thema Umwelt- und Gesundheitsschutz zu sein, verloren.

(Mann [GRÜNE]: Schlußlichter!)

Zweitens. Es bleibt der schale Verdacht, daß die Einstufung von Formaldehyd im Dickicht wirtschaftlicher und politischer Interessen entschieden worden ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Ich will das noch einmal an drei Punkten untermauern. Der erste Punkt: Zwischen August und November 1983 haben alle drei Bundesinstitutionen, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz, das Umweltbundesamt und das Bundesgesundheitsamt, in Schreiben erklärt, daß sie Formaldehyd als krebserzeugend ansehen. August bis November 1983! Anderthalb Jahre später war es nicht mehr wahr. Wieso war es dann auf einmal nicht mehr wahr? Sie müssen das erklären!

(Zuruf des Abg. Hauck [SPD] — KrollSchlüter [CDU/CSU]: Herr Kollege Müller, das ist nicht wahr, was Sie sagen!)

— Es ist sehr wohl wahr, die Briefe sind bekannt, sie liegen vor.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Dann behaupte ich, daß Sie die Unwahrheit sagen!)

— Nein, die Briefe liegen vor. Entschuldigung, Sie müssen auch einmal Ihrer Pflicht als Abgeordneter gerecht werden und sich da mehr informieren.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Zweitens. Seit Jahren sind internationale Untersuchungen bekannt, insbesondere aus Amerika und aus Großbritannien, die den Zusammenhang zwischen Formaldehyd und Krebserzeugung nachgewiesen haben.
Drittens — auch hierzu müssen Sie Auskunft geben —: Wie kommt es, daß in der Öffentlichkeit Aussagen gemacht wurden, daß Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamtes angewiesen worden sind, Argumentationen gegen eine Einstufung von Formaldehyd als krebserzeugend an den Präsidenten zu liefern?

(Zustimmung bei der SPD)

Das müssen Sie hier mal erklären. Das steht nach wie vor in der Öffentlichkeit.
Deshalb, Frau Ministerin, darf es keine Eiertänze geben. Da müssen Sie klar sagen, was Sie wollen. Das erwarten wir, und das erwartet die Öffentlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben drei Erwartungen. Die erste Erwartung ist: klare Einordnung von Formaldehyd als krebserzeugend. Zweitens, und das ist sehr viel weitergehend: Formaldehyd steht ja eigentlich nur für die Behandlung von chemischen Stoffen in der Zukunft. Schon bei dem Beispiel Formaldehyd haben Sie versagt. Wir wissen, daß wir angesichts der Gefahren der Chemisierung unserer Alltagswelt zu einer anderen Form von Umwelt- und Gesundheitspolitik kommen müssen, wenn wir unserer Verantwortung für die Zukunft gerecht werden wollen. Das bedeutet aber, daß wir sehr viel stärker Vorsorgemomente berücksichtigen müssen, daß wir sehr viel stärker auf Verdachtsmomente hin handeln wollen, denn wenn die Schäden einmal eintreten, sind bei den Langfrist-Wirkungen von Chemie kurzfristige Reparaturen nicht mehr möglich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Gerade deshalb sage ich an die Adresse einer christlichen Partei: Sie brauchen hier eine andere Verantwortungsethik; wir alle haben hier eine andere Verantwortungsverpflichtung.
Drittens.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Drittens sollten Sie jetzt aufhören! — Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

— Das gilt auch für Sie. — Wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß es notwendig ist, die Forderungen der Verbraucherverbände umzusetzen. Das bedeutet beispielsweise: Wir wollen eine Technische Anleitung Innenraum. Wir wollen, daß Formaldehyd als Konservierungsmittel zurückgedrängt wird, daß bei Desinfektionsmitteln darauf verzichtet wird. Wir wollen aber vor allem, daß alle Untersuchungen mehr als bisher öffentlich gemacht werden und nicht in dem Dickicht bleiben, in dem sie heute sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)





Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016202500
Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt sind wir mal gespannt, ob Klarheit, ob Wahrheit oder ob Nebel kommt!)


Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1016202600
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Schäfer, ich will mich darum bemühen. — Ich möchte zunächst auf das eingehen, was gesagt worden ist. Frau Hartenstein und Herr Kollege Müller haben behauptet, die drei Bundesämter — das Bundesamt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, das Umweltbundesamt und das Bundesgesundheitsamt — hätten festgestellt, dieser Stoff sei krebserzeugend.

(Frau Hartenstein [SPD]: So ist es!)

Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß keines dieser Bundesämter für sich diese Meinung öffentlich und nachhaltig vertreten hat. Ich bitte Sie! Was Sie gesagt haben, war Schlichtweg falsch, um nicht zu sagen, es war die Unwahrheit. Aber wir haben ja die Möglichkeit, dies im Ausschuß noch einmal genau zu erörtern und festzustellen. Es ist ja geradezu lächerlich: Der Kollege Müller ist kaum im Ausschuß anwesend, aber er will sich hier hinstellen und sagen, es sei alles so, wie er es vorgetragen habe. Sie hätten sich im Ausschuß darum bemühen müssen. Dann hätten Sie das heute hier auch dokumentieren können. Das haben Sie nie gemacht. Sie haben nie mit uns gemeinsam darüber gesprochen und darauf gepocht, daß das, was Sie hier behauptet haben, richtig ist. Sie haben nie weitergehende Anträge gestellt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Doch, Herr Kroll-Schlüter! — Weitere Zurufe von der SPD)

Das zweite, was ich sagen möchte: Die Bürger erwarten doch eigentlich, daß auch in einer Parlamentsdebatte hinsichtlich solch einer Frage nicht so große Unterschiede zutage treten. Es müßte doch relativ einfach sein, sich auf einen Standpunkt zu verständigen und die notwendigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
Dazu möchte ich zunächst einmal sagen:

(Duve [SPD]: Daß wir ruhig sein sollen!)

Ohne Tierversuche hätten wir überhaupt nicht die Erkenntnisse über die Gefährlichkeit dieses Stoffes, die wir heute haben. Daran können Sie auch erkennen, wie wichtig in verschiedenen Situationen und Fällen solche Tierversuche sind.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Jetzt anerkennen Sie es auch nicht! — Dolata [CDU/CSU]: Wiederholen Sie das noch einmal langsam für DIE GRÜNEN!)

Die drei Bundesämter — für Arbeit und Unfallforschung, Umwelt und Gesundheit — haben festgestellt, daß es sich um einen krebsgefährdenden Stoff handelt, nicht um einen krebserzeugenden.
Die EG-Beiräte, von denen Sie hier sprechen; haben die Mitteilung gemacht, daß Formaldehyd so betrachtet werden soll, als ob er beim Menschen Krebs verursachen könne. Sie haben nicht gesagt, daß er Krebs verursacht. Wir sollten diesen Stoff vielmehr so einschätzen, als ob er Krebs verursachen könne. Bitte schön, das ist eine weitergehende Erkenntnis, die wir — das können wir doch machen — gemeinsam ernst nehmen und zugrunde legen sollten. Anschließend sollten wir die notwendigen Schlußfolgerungen daraus ziehen.
Es ist auch richtig , daß die Bundesregierung bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse sofort als Anlaß zum Handeln genommen und tatsächlich Schrittmacherdienste in Europa geleistet hat. Denn die Gefährlichkeit von Formaldehyd hängt nicht davon ab, wie laut die Kritik ist, sondern davon, was die zuständigen wissenschaftlichen Gremien sachlich feststellen und welche Schlußfolgerungen wir daraus ziehen.
Liebe Frau Kollegin Hönes — das darf ich auch einmal sagen —: Dies alles ist in unserem Ausschuß ausgiebig, ausführlich und intensiv behandelt worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: So war es!)

Wenn Sie sich einmal erkundigen würden, wie oft Ihre Kollegin bei uns fehlt, wie oft sie an ganzen Sitzungen — aus welchen Gründen auch immer — überhaupt nicht teilnehmen kann,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das tut hier jetzt nichts zur Sache!)

wie selten sie Gelegenheit hat, das, was sie selbst einmal irgendwo in der Öffentlichkeit vorgeschlagen hat, intensiv und sachlich zu beraten, dann würden Sie, glaube ich, etwas bescheidener und in Ihren Vorwürfen etwas zurückhaltender sein. Wir haben überhaupt nicht die Möglichkeit, mit Ihrer Kollegin im Ausschuß intensiv über solche Dinge zu diskutieren,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Soll ich bei Ihnen auch eine Strichliste führen?)

weil sie überhaupt nicht da ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Europaparlament war es das gleiche!)

Auch das muß die Öffentlichkeit einmal erfahren.
Bezüglich dieser für demokratische Parteien üblichen Meinungsbildung nehmen wir zur Kenntnis, daß die EG-Wissenschaftskommission jetzt empfohlen hat, Formaldehyd so zu betrachten, als ob es bei Menschen Krebs verursachen könne. Wie das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit bereits mitgeteilt hat, sollen die neuen Erkenntnisse einer eingehenden Prüfung unterzogen werden.
Frau Hönes, Sie mögen ja hier und da wirkungsvoll darauf hinweisen können, Bayer Leverkusen oder andere hätten erfolgreich Wühlarbeit geleistet. Da habe ich aber eine Bitte an Sie: Sie dürfen uns wirklich abnehmen, daß diese Firmen, wenn sie das so tun wollten, bis zu uns gar nicht erst kommen. Wir würden uns davon auch nicht beeindrucken lassen, keiner meiner Kollegen!

(Frau Hönes [GRÜNE]: Na, na, na!)




Kroll-Schlüter
— Bitte, wenn Sie uns das unterstellen, müssen Sie es auch wirklich einmal nachweisen!

(Frau Hönes [GRÜNE]: Machen wir!)

Es hat keinen Sinn, in der Öffentlichkeit so weitgehende und gravierende Unterstellungen vorzubringen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie das dauernd tun, ohne es beweisen zu können, zeigen Sie damit auch, daß Ihnen an einer sachlichen Erörterung und an einem sachlichen Fortschritt in dieser Frage überhaupt nicht viel gelegen ist.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016202700
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluß.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1016202800
Um eines möchte ich Sie aber herzlich bitten: dies wenigstens nicht der neuen Ministerin zu unterstellen,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das hat hier keiner gemacht!)

sondern ihr die Chance zu geben, einen sachlichen Beitrag zu leisten,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Die hat es schwer genug mit diesen Altlasten!)

damit wir einen Schritt weiterkommen können. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016202900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1016203000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist von einigen Vorrednern schon betont worden, und es scheint mir für alle Diskussionen von Bedeutung zu sein, die — wie eine solche Diskussion über Formaldehyd — draußen so viele Ängste erzeugen können: Es ist wichtig, daß keine Panikmache betrieben wird, aber es ist genauso wichtig, daß natürlich alles auf den Tisch kommt und sorgfältig abgewogen wird.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Was wir brauchen, ist eine sachliche und eine vernünftige Diskussion, und deshalb möchte ich hier noch einmal ein paar Punkte vortragen, die dazu dienen können, diese sachliche und vernünftige Diskussion fortzuführen.
Es ist nun einmal eine Tatsache, daß die Versuche, auf die sich die neue Bewertung der Chemikalie Formaldehyd stützt, bisher nur an Ratten durchgeführt worden sind. Bisher war auch, vor allem wenn man über Tierversuche überhaupt diskutierte, völlig unstrittig, daß speziell Untersuchungen, die an Nagetieren, wie die Ratte eines ist, durchgeführt worden sind, im Hinblick auf ihre Relevanz für den Menschen besonders schwer zu interpretieren sind, weil sich die Gegebenheiten bei der Ratte sehr stark von denen des Menschen unterscheiden.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es doch wichtig und richtig, zu sagen: Wir nehmen diese Hinweise selbstverständlich ernst, wir müssen sie sorgfältig auswerten und prüfen, aber wir dürfen eben auch keine übereilten Schlüsse ziehen, und wir dürfen vor allen Dingen nicht dafür sorgen, daß auf Grund solcher Ergebnisse Panikmache betrieben wird und Panikstimmung entsteht.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch einmal daran erinnern, daß Formaldehyd ja nun nicht nur eine Chemikalie ist, die von irgendwelchen Firmen synthetisch hergestellt wird;

(Frau Hönes [GRÜNE]: Sie ist in Äpfeln, in Birnen, im Kohl, überall ist sie!)

vielmehr tritt Formaldehyd überall im täglichen Leben auf, z. B. im Zigarettenrauch. Bisher hat noch niemand die Konsequenz gezogen: Deshalb müssen wir den Zigarettenrauch verbieten.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Trotzdem besteht natürlich für uns eine Verpflichtung zu untersuchen: In welchen Mengen tritt diese Substanz wo auf? Welche möglichen Beeinträchtigungen können damit einhergehen? Welche Aktionen sind deshalb nötig?
Insofern ist es völlig überzogen, wenn hier von den Sozialdemokraten gesagt wird, das hätte alles schon längst entschieden werden müssen. In der Tat sind die Grundlagen, auf deren Basis man entscheiden könnte, derzeit nicht so, daß weitreichende Konsequenzen mit Verboten gerechtfertigt wären.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD])

Es ist darüber hinaus notwendig, meine Damen und Herren, einheitliche Regelungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu schaffen. Dies war immer das Ziel der Bundesregierung. Diesem Ziel wird die Bundesregierung auch in den nächsten Verhandlungen auf der europäischen Ebene Nachdruck verleihen. Gerade in Fragen des Gesundheitsschutzes ist die Bundesregierung, wie sich an vielen Dingen nachweisen läßt — das ist übrigens eine Haltung, welche die Bundesregierungen, gleich welcher Couleur, immer eingenommen haben —, innerhalb der EG stets der Motor gewesen.
Wir wollen, daß das in der Zukunft so bleibt. Deshalb unterstützen wir die Gesundheitsministerin in ihren Bemühungen, die sie in den nächsten Monaten dort zu unternehmen haben wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016203100
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges langjähriges Mitglied, den früheren Bundesminister der Finanzen, Dr. h. c. Alex Möller, der gestern nachmittag im Alter von 82 Jahren verstorben ist.
Mit ihm ist ein großer und angesehener Parlamentarier, der führend am Aufbau unserer parla-



Präsident Dr. Jenninger
mentarischen Demokratie mitgewirkt hat, von uns gegangen.
Alex Möller, am 26. April 1903 in Dortmund geboren, war zunächst als Journalist und später als Versicherungskaufmann in leitenden Positionen der Versicherungswirtschaft tätig. Im Alter von 19 Jahren trat er 1922 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. Er gehörte noch der Generation an, die schon in der Weimarer Republik Abgeordnete waren.
1928 wurde er in den Preußischen Landtag gewählt, dem er bis zu dessen Auflösung 1933 angehörte. Von den Nationalsozialisten verfolgt, war er nach dem Ende der Gewaltherrschaft sofort bereit, mit seinen großen beruflichen und politischen Erfahrungen beim Wiederaufbau unseres Landes mitzuhelfen.
Er war maßgeblich beteiligt an dem Zusammenschluß der drei südwestdeutschen Länder zu einem neuen lebensfähigen Staat, dem heutigen Land Baden-Württemberg.
Von 1946 bis 1961 war Alex Möller Mitglied der Landesparlamente in Stuttgart, von 1950 bis 1961 als Vorsitzender der SPD-Fraktion.
In seiner Partei war er darüber hinaus tätig seit 1958 als Mitglied des Parteivorstandes, später des Präsidiums der SPD und seit August 1972 als Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand.
Dem Deutschen Bundestag gehörte Alex Möller von 1961 bis zum Ende der 7. Wahlperiode 1976 an, lange Jahre als stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion. Er hatte wesentlichen Anteil am Zustandekommen der Großen Koalition und ihrer stabilitäts- und wachstumsfördernden Politik sowie der in dieser Zeit verabschiedeten Gesetze zur Finanzreform, für die er sich bis an den Rand seiner Kräfte und seiner Gesundheit einsetzte. Auf seine Initiative ist die mittelfristige Finanzplanung zurückzuführen.
Von 1969 bis 1971 war er der erste sozialdemokratische Bundesminister der Finanzen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er war ein Mann von großer Unabhängigkeit des Denkens, einer, der bereit war, sich bis zu letzten Konsequenzen mit seinem Ziel solider Haushalts- und Finanzpolitik zu identifizieren. So wurden ihm weit über seine Partei und Fraktion hinaus nicht nur wegen seines außerordentlichen Sachverstandes, sondern vor allem auch wegen seines unabhängigen Denkens und seiner Fähigkeit, Loyalität mit Grundsatztreue zu verbinden, hohe Achtung und großes Vertrauen entgegengebracht. In wichtigen Missionen, zum Beispiel in Israel und in den Vereinigten Staaten von Amerika, als Sonderbeauftragter der Bundesregierung anläßlich der 200-Jahr-Feiern zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, hat er wesentlich zur Festigung vertrauensvoller Beziehungen und zum außenpolitischen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beigetragen.
Alex Möller war eine Persönlichkeit, die als Mensch und Parlamentarier herausragte, deren Rat gesucht und deren Worte geschätzt waren. 1976 wurde Alex Möller für seine großen Verdienste mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Der Deutsche Bundestag wird Alex Möller über alle Parteigrenzen hinweg ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren des Toten erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, darf ich einen Gast begrüßen. Auf der Ehrentribüne nimmt der stellvertretende Ministerpräsident und Justizminister Neuseelands, Honourable Geoffrey W. R. Palmer, an der Sitzung des Deutschen Bundestages teil.

(Beifall bei der CDU/CSU, SPD und FDP — Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei den GRÜNEN)

Ich habe die Ehre und Freude, Sie, Herr Minister, und Ihre Begleitung zu begrüßen. Wir freuen uns, daß Sie mit Ihrem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland die bestehenden freundschaftlichen Beziehungen unserer Länder vertiefen und mit Ihren Gesprächen im Deutschen Bundestag die trotz größter geographischer Entfernung intensiven Kontakte zwischen unseren Parlamenten weiter ausbauen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Bonn.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens"
— Drucksache 10/3805 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3914 —
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Schmidt (Nürnberg)

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3915 — Berichterstatter:
Abgeordnete Waltemathe Dr. Müller (Bremen)

Rossmanith

(Erste Beratung 157. Sitzung)

Hierzu liegt auf Drucksache 10/3930 ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Wagner und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12061
Präsident Dr. Jenninger
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schlottmann.

Norbert Schlottmann (CDU):
Rede ID: ID1016203200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" hat sich im ersten Jahr ihrer Laufzeit bewährt. Bis Ende des Jahres werden mehr als 30 000 Frauen die Hilfe der Bundesstiftung in Anspruch genommen haben. Mit der heutigen Gesetzesänderung erhöhen wir die Stiftungsmittel zunächst für vier Jahre um jeweils 10 Millionen DM, insgesamt also um 40 Millionen, so daß nunmehr jährlich 60 Millionen DM für weitere Hilfen zur Verfügung stehen. Mit diesem Schritt folgen die Koalitionsfraktionen dem verfassungsrechtlichen Gebot zum Schutz des ungeborenen Lebens, das auch die Schutzverpflichtung des Staates gegenüber der werdenden Mutter einschließt. Ich danke somit allen, die diese Initiative gefördert haben, insbesondere dem Bundeskanzler, der hierzu ein entscheidendes Wort gesprochen hat.
Die Stiftung hat sich auch deshalb bewährt, weil ihre Hilfen schnell und unbürokratisch über freie Träger und, was noch wichtiger ist, stets auf den Einzelfall abgestellt geleistet werden konnten.
Von vornherein war klar, daß die Bundesstiftung als ein bedeutsamer Teil unseres umfassenden Familienpaketes mit dem Gesamtvolumen von über 10 Milliarden DM verstanden werden muß. Nur im Zusammenhang mit der Einführung des Erziehungsgeldes — das sage ich ganz besonders den Kritikern — kann die Bundesstiftung voll verstanden und gewürdigt werden. Sodann muß sie in Verbindung mit den entsprechenden Stiftungen der Bundesländer, mit den Sonderhilfen der Kommunen und den finanziellen Leistungen freier Träger, insbesondere der beiden großen Kirchen, gesehen werden. Auch die in den CDU/CSU-geführten Ländern gezahlten Leistungen wie ein eigenes Erziehungsgeld und Familiengründungsdarlehen sind hierbei von großer Bedeutung.
Es ist somit bedauerlich, daß die SPD-geführten Länder diese Hilfen verweigern, so daß dort die in Not geratenen Frauen und Familien in verstärktem Maße auf die Bundesstiftung und die Hilfe der freien Träger angewiesen sind. Ich fordere deshalb die SPD-Fraktion noch einmal auf, ihren ganzen Einfluß in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und Bremen geltend zu machen, damit dort bessere familienpolitische Einsichten entstehen, die unnütze Kritik an der Bundesstiftung durch tatkräftige Hilfen ersetzen.
Sie sollten — ich meine die SPD — darüber hinaus auf die von ihnen geführten Kommunen einwirken, damit auch dort Hilfen für schwangere Frauen und Familien in Not bereitgestellt und nicht immer wieder entsprechende CDU-Anträge rigoros abgelehnt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie, meine Damen und Herren, von der Opposition,
bekräftigen sonst den Eindruck — das möchte ich
betonen und unterstreichen —, daß die SPD wirksame Hilfen für schwangere Frauen in Not nicht will,

(Frau Dr. Timm [SPD]: Unglaublich!)

zumal sie während ihrer Regierungszeit keinerlei Sonderhilfen trotz der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von 1975 entwickelt hat.
Auch die Beratungsstellen, die die Mittel verteilen, Fachleute also, die ganz in der Nähe der Familien stehen, begrüßen diese Hilfen in besonderem Maße, weil damit Frauen und Familien mit geringem Einkommen, Arbeitslosen, Auszubildenden und Sozialhilfeempfängern geholfen werden konnte. Diese Hilfen, die Sie kritisieren, sind unersetzlich.
Ich begrüße in Verbindung mit unseren Initiativen die jüngste Erklärung der deutschen katholischen Bischöfe, die die Bürger des Landes aufrufen, sich aktiv für den Schutz des werdenden Lebens einzusetzen und alle dazu dienenden Initiativen zu unterstützen. Sie halten in ihrer Erklärung die Familienpolitik der Koalition für hilfreich. Ich bin der Auffassung, daß der Aufruf, den ich teilweise zitiere, auch von den meisten Bürgern im Lande geteilt wird.
Abschließend möchte ich sagen — ich freue mich darüber —: Es gibt — man kann sagen: Gott sei Dank! — viele Anzeichen für eine stärker werdende Bewegung in unserem Volke, die das Ja zum Kind und zur Familie unterstützt und damit gleichzeitig konsequent für den Schutz des ungeborenen Lebens eintritt, eine Bewegung für das Leben also, die in die Familien, in die Verbände, in die Politik und Gesellschaft hineinreicht, die öffentliche Meinung beeinflußt und ihren Widerhall in den Massenmedien findet und noch viel stärker finden muß.
Wir von der CDU/CSU unterstützen diese Bestrebungen in unserer Bevölkerung auch durch eine konsequente, auf die Zukunft bezogene und damit fortschrittliche Familienpolitik.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016203300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Zutt.

Ruth Zutt (SPD):
Rede ID: ID1016203400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Juni 1984 die Stiftung Mutter und Kind abgelehnt, weil wir in der Stiftung keine wirksame Hilfe für schwangere Frauen in Not erkennen konnten.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Worin seht ihr denn eine Hilfe?)

Unsere Sprecherin, Renate Schmidt, sagte damals, Hilfe müsse verläßlich, gerecht, wirksam und unbürokratisch sein. Diese Eigenschaften enthielt der Regierungsentwurf unserer Ansicht nach nicht.
Nach einjährigem Bestehen der Stiftung haben wir im Mai dieses Jahres eine Große Anfrage eingebracht und gezielt nach der Praxis der Stiftung gefragt. Unsere Fragen nach der Ausstattung der Beratungsstellen mit Stiftungsmitteln nach der regio-



Frau Zutt
nalen Vergabepraxis, danach, ob damit eine Bürokratisierung bei der Verteilung der Stiftungsmittel verbunden ist, und schließlich nach der Wirksamkeit des Gesetzes müssen der Regierung schon sehr unangenehm gewesen sein. Denn auf die Antwort der Regierung warten wir viereinhalb Monate später noch immer.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Hier wird eben intensiv gearbeitet!)

— Was Sie arbeiten nennen.
Seit Anfang Mai, so hört man, liegt dem Ministerium ein Bericht des Stiftungsrates über die Arbeit im vergangenen Jahr vor, ein Bericht, der offenbar so wenig Positives zu verzeichnen hat, daß er als Geheimsache der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verständnis dieser Regierung von der Informationspflicht gegenüber dem Parlament. Nicht allein der Anstand, sondern auch und vor allem elementare parlamentarische Spielregeln fordern eine Beratung dieses Berichts im Plenum, bevor man den Antrag auf Aufstockung der Mittel für die Bundesstiftung stellt.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Nur billige Gründe!)

Die Fraktion der SPD hat daher am 30. September 1985 alle Träger von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen zu einem Gespräch nach Bonn eingeladen. Um es kurz zu machen, das Ergebnis dieses Gesprächs hat alle, aber auch alle unsere Bedenken bestätigt, die wir gegenüber der Bundesstiftung hatten.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wen haben Sie eingeladen? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wer war denn dabei?)

— Hören Sie doch zu, bevor Sie einfach mit dem Rasenmäher darübergehen. Daß dennoch in Einzelfällen die Stiftung Hilfen und Entlastungen gebracht hat,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

ist wesentlich der mühsamen Arbeit der Beratungsstellen anzurechnen, die einen Großteil der Last dieses schludrigen Gesetzes zu tragen haben. Ihnen gebührt unser Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Warum sind denn die Mittel verbraucht?)

Durch die Bank beklagen alle Beraterinnen von Caritas bis Pro Familia die unpräzisen Richtlinien des Gesetzes. Das Zufallsprinzip wird zur Regel erhoben.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016203500
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlottmann?

Ruth Zutt (SPD):
Rede ID: ID1016203600
Nein, ich habe nur fünf Minuten; so schnell kann ich es nicht machen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016203700
Sie gestatten keine Zwischenfrage.

Ruth Zutt (SPD):
Rede ID: ID1016203800
Ich will Ihnen einige Beispiele geben, die die krasse Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit bei der Vergabe von Stiftungsmitteln zeigen, sowohl regional wie innerhalb ein und derselben Beratungsstelle: Eine Schwangere, die ihren Antrag in Ludwigshafen stellte, konnte im Durchschnitt mit einer Bewilligung von 1 730 DM rechnen. Jenseits des Rheins, in Mannheim hätte ihre durchschnittliche Chance bei 7 110 DM gelegen, also der vierfachen Summe. Im Regierungsbezirk Karlsruhe lagen die durchschnittlich gewährten Mittel 1984 bei rund 7 000 DM, in 1985 dagegen in derselben Beratungsstelle nur bei 1 200 DM. In vielen Beratungsstellen variiert die Höhe der vergebenen Mittel auch danach, wann der Antrag gestellt wurde. Vor der 12. Woche ist die Summe erheblich höher als nach der 12. Schwangerschaftswoche. Ausländische Frauen sind mancherorts, z. B. in Berlin, grundsätzlich von der Beantragung ausgeschlossen. Verdient ausländisches Leben weniger Schutz?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Bei dieser Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit wundert es nicht, daß der Bundesrechnungshof dabei ist, die Stiftungspraxis unter dem Aspekt der Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und die Beraterinnen Angst haben, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen.
Die sozialdemokratische Fraktion würde daher normalerweise den Regierungsentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind" aus sachlich-inhaltlichen wie formalen Gründen ablehnen. Ich sage: normalerweise.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie können keine Fehler machen, da Sie nichts geben!)

Angesichts der Not der betroffenen Frauen, die Sie durch ihre Kürzungen verschärft und zum Teil erst herbeigeführt haben,

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

und angesichts der Tatsache, daß punktuell trotz der Willkürregelungen

(Zurufe von der CDU/CSU)

— ach, wenn Männer über die Not der Frau reden, das hängt mir zum Hals raus —

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

die materielle Hilfe, das Ausmaß der Not einzelner Frauen lindern kann, haben wir uns entschlossen, uns der Stimme zu enthalten.

(Lachen bei der CDU/CSU — Pfeffermann [CDU/CSU]: Mutig!)

— Ach, hören Sie doch zu. Sie sind doch in einem Parlament und müssen doch wenigstens zuhören können.

(Dolata [CDU/CSU]: Machen wir doch! Deshalb wundern wir uns ja über Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12063
Frau Zutt
Wir haben uns entschlossen, das Gesetz, das wir gleichwohl nicht billigen können, passieren zu lassen.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu m Schluß.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie können keine Vorschriften machen, da Sie nichts geben!)

— Hören Sie genau zu.
Wenn wir versuchen, uns zu erinnern, stellen wir fest, daß es schon mal ein Hilfswerk Mutter und Kind — kurz MuKi genannt — gab. Das war 1934.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Das ist allerhand! Das ist allerhand! 1934! Der Vergleich ist allerhand! Dagegen wehren wir uns! Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie sollten sich schämen, solche Vergleiche hier anzustellen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP)

— Hören Sie doch zu!

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016203900
Bitte lassen Sie die Kollegin ausreden.

Ruth Zutt (SPD):
Rede ID: ID1016204000
Sind wir nicht alle verpflichtet, uns zu erinnern? Ich möchte nur, daß Sie zuhören.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Selbst wenn sie Blödsinn spricht, muß man sie reden lassen!)

Das Hilfswerk war der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt zugeordnet

(Schlottmann [CDU/CSU]: Das ist ein schlimmer Vergleich! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Pfui Deibel!)

und diente — ich zitiere — „der Erhaltung des völkischen Bestands" und „der Verringerung der Erwerbsarbeit von Müttern".

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das wird langsam eine Zumutung!)

— Ich unterstelle Ihnen nichts.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Dann zitieren Sie das doch auch nicht! Was soll denn das! Dies ist hier wirklich ein Parlament! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Das ist doch meine Sache, was ich sage.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Pfui Teufel, kann ich da nur sagen!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016204100
Herr Abgeordneter, ich rufe Sie für diesen Zwischenruf zur Ordnung.

Ruth Zutt (SPD):
Rede ID: ID1016204200
Ich unterstelle Ihnen nicht, daß die Stiftung

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie sollten sich schämen!)

in dieser geistigen Tradition steht.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Doch, das haben Sie gesagt! Genau das haben Sie gesagt! — Dolata [CDU/CSU]: Dann lassen Sie solche Zitate weg!)

Aber durch ein Gesetz Not- und Konfliktsituationen von Frauen, die gesellschaftlich bedingt und durch Ihre Gesetze verschärft sind, auf rein finanzielle Abgeltung zu reduzieren, halten wir schon im Ansatz für falsch und verfehlt.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Ich schäme mich für Sie!)

— Das können Sie lange machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Kein Wunder, daß die eine Quotierung brauchen! — KrollSchlüter [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016204300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1016204400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn meine Vorrednerin davon gesprochen hat, daß es sie ankotzt, wenn Männer über Probleme der Frauen sprechen, werde ich dennoch darüber sprechen, weil ich der Meinung bin, daß mich die Probleme, die meine Familie angehen, genauso berühren wie Frauen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das lassen wir uns von denen nicht vorschreiben!)

Und wenn Sie uns nicht unterstellen wollen, daß diese Stiftung in die Nähe der NS-Herrschaft kommt, dann frage ich, warum Sie genüßlich diesen Vergleich gebracht haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gegen die Schmähungen durch DIE GRÜNEN und gegen die SPD hat diese Koalition die Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" beschlossen. Der Erfolg war so groß, daß die Aufstockung nötig war. Wir haben schnell reagiert. Die SPD will offensichtlich jetzt versuchen, die Kurve zu kriegen.
Gerade weil die FDP am § 218 nicht rütteln läßt und weil es andererseits für uns unerträglich ist, daß aus wirtschaftlicher Not abgetrieben wird, sind wir gefordert. Die unbürokratische Stiftung ist eine der flankierenden Maßnahmen, die wir immer gefordert haben. Zu den weiteren gehört z. B. die Verbesserung im Familienlastenausgleich.
Das reicht sicher nicht aus. Viele Ursachen liegen auch nicht im Finanziellen. Viele liegen auch in den Vorstellungen der persönlichen Lebensgestaltung und der Einstellung zum Kind. Liberale können und wollen hier nicht in persönliche Lebensgestaltung hineinreden. Wir können nicht Lebensziele und Lebensweisen vorschreiben. Wenn für mich Kinder ein Stück Lebensglück, ein Stück Lebensqualität sind, kann ich meine Vorstellungen anderen nicht aufdrängen. Aber die Freiheit der Lebensgestaltung, die jeder Liberale jedem gewährt, bedingt auch eine Verantwortung, in diesem Fall die Verantwortung für die persönliche Geburtenplanung. Abtreibung kann nicht Ersatz für Verhütung sein. Wir werden deshalb alles unterstützen, was die materiellen Ursachen für Abtreibung reduziert.



Eimer (Fürth)

Aber wir müssen auch andere Ursachen beseitigen. Wir müssen dafür sorgen, daß Familien mit Kindern wieder mehr Toleranz, wieder mehr Freiraum von der Gesellschaft eingeräumt wird.
Unsere Zustimmung zur Aufstockung der Mittel der Stiftung „Mutter und Kind" heißt nicht, daß wir die anderen Maßnahmen in Zukunft vergessen werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016204500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1016204600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNEN lehnen die Bundesstiftung gerade im Zusammenhang mit der grundsätzlich familienpolitischen Orientierung dieser Wenderegierung entschieden ab,

(Beifall bei den GRÜNEN)

und wir werden dies auch mit unserem Stimmverhalten dokumentieren.
Der durchschnittlich verteilte einmalige Betrag je Frau von 5 000 DM ist schlicht und einfach eine Gebärprämie, als sei die Entscheidung, ein Kind auf die Welt zu bringen, eine rein finanzielle Frage, als seien die Probleme der Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben und in der Familie auf einen einmaligen Zahlbetrag zu reduzieren.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das hat doch niemand behauptet!)

Natürlich geht es auch um die finanzielle Absicherung von Frauen, aber vor allem der alleinerziehenden Frauen, die bereits heute aus dieser Gesellschaft ausgegrenzt werden, weil sie auf die Sozialhilfe angewiesen sind, die vorne und hinten nicht reicht.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Reden Sie doch keinen Unsinn!)

Es geht aber um mehr, nämlich um die Gleichstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Berufsausbildung und Qualifikation. Schlicht und einfach geht es um die Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen dieser Gesellschaft.
Von all dem ist in dem sogenannten familienpolitischen Konzept der Wenderegierung nichts mehr zu hören. Statt dessen lobt Herr Geißler diese Bundesstiftung wegen ihres unbürokratischen Handelns. Gemeint hat er dabei wohl eher die Willkür, mit der über die Notlage der Frau entschieden wird, welche noch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf diese Stiftungsmittel hat.

(Dolata [CDU/CSU]: Sie haben sich mit „Willkür" in der Wortwahl bestimmt vergriffen!)

Nichts zu hören ist des weiteren von Herrn Geißler oder seiner neu ernannten Nachfolgerin, wie sie sich die Teilung von Beruf und Familie, wie es so schön heißt, zwischen Männern und Frauen vorstellen. Angesichts eines Betrages von 600 DM für die Übernahme der gesellschaftlichen Arbeit der
Kinderbetreuung und im Durchschnitt erheblich niedrigerer Einkommen der Frauen im Erwerbsbereich ist es doch geradezu vorprogrammiert, daß es die Frauen sind, die die Kinderbetreuung übernehmen und obendrein in ungeschützten Arbeitsverhältnissen oder schlecht bezahlten Teilzeitarbeitsplätzen stecken: Zunahme der Doppelbelastung der Frauen durch Erwerbs- und Familienarbeit, Ausweitung von Teilzeitarbeitsplätzen für die Frauen, vermixt mit einem lächerlichen Betrag für die Kindererziehung und die Degradierung der schwangeren schlechter gestellten Frauen zu Bittstellerinnen durch das Zurverfügungstellen von Stiftungsgeldern ohne Rechtsanspruch.

(Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch eine unverschämte Arroganz, was Sie da sagen!)

Dies, meine Damen und Herren, ist die neue Familienpolitik der Wenderegierung, von Kürzungen beim Kindergeld, beim Mutterschaftsgeld und einigem mehr mal ganz abgesehen. Statt der von uns geforderten Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen des Lebens wird die traditionelle Mutterrolle und Zuverdienerfunktion der Frau fleißig ausgebaut.
Wir von den GRÜNEN fordern ein familienpolitisches Konzept, welches den Namen wirklich verdient.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Haben wir schon! — Ströbele [GRÜNE]: Aber was für eines! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU]: Das beste, das es je gab!)

Wir fordern die Zahlung eines ausreichenden Kinderbetreuungsbetrages, welcher mit dem durchschnittlichen Erwerbseinkommen vergleichbar ist, gesetzliche Arbeitszeitverkürzungen für alle Erwerbstätigen und insbesondere der Eltern, nicht nur der ehelich verbrieften Eltern, bei Lohnausgleich und Arbeitsplatzgarantie sowie die Zahlung eines ausreichenden Kindergeldes.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016204700
Ich erteile der Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016204800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Unterschied zu denjenigen, die dieses Gesetz ablehnen, zunächst den Fraktionen der Regierungskoalition und dann auch dem Deutschen Bundestag dafür danken, daß das Gesetz nach so kurzer Beratungszeit heute verabschiedet werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie auch immer der einzelne zum § 218 StGB stehen mag: Es geht bei der Stiftung um den Schutz
des ungeborenen Lebens und in diesem Zusammen-



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
hang um Hilfen für schwangere Frauen in wirtschaftlicher Not.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Ohne Rechtsanspruch!)

— Darauf komme ich gleich noch.
Die Tatsache, daß diese Bundesstiftung in so kurzer Zeit eine so hohe Nachfrage gefunden hat, macht meines Erachtens deutlich,

(Ströbele [GRÜNE]: Das macht die Armut deutlich!)

daß wir neben den gesetzlichen Ansprüchen in unserer Gesellschaft unbürokratische Hilfen brauchen, die nicht bis ins einzelne nach Kriterien durchbuchstabiert sind und nur dann gewährt werden, wenn alle Bürokratien durchlaufen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Das macht die schlimme Lage der Frauen deutlich!)

Ich sage mir, gerade angesichts der GRÜNEN, die doch für Initiativen sind: Wenn alle Initiativen bürokratisch geregelt würden, dann gäbe es keine mehr.

(Ströbele [GRÜNE]: Das stimmt!)

— Das stimmt, also! Dann möchte ich Ihnen auch noch einmal sagen: Wenn ich individuelle, unbürokratische Hilfen gewähren will, dann gibt es dabei auch Unzulänglichkeiten, die es jeweils zu überwinden gilt. Dies weist ja auch der Bericht aus, der zu diesem Zeitpunkt zugesagt worden war und fristgemäß fertiggestellt und abgeschlossen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Deswegen enthält sich auch die SPD!)

Zum zweiten ist es mir außerordentlich wichtig, deutlich zu machen, daß keine Frau gezwungen ist, diese Hilfen in Anspruch zu nehmen. Ich möchte dies im Zusammenhang mit der weitergehenden Aussage feststellen, daß keiner in der Bundesregierung behauptet, die Stiftung „Mutter und Kind" sei eine ausreichende Hilfe. Sie ist ein Baustein, bei dem sich schon jetzt gezeigt hat, daß er aufstokkungsbedürftig ist, wenn die Nachfrage überhaupt zufriedengestellt werden soll.
Ich gehe keinesfalls davon aus, daß die Stiftung ein Ersatz für sonstiges familienpolitisches Handeln ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Es ist immer wieder betont worden, daß diese Stiftung im Zusammenhang mit einem familienpolitischen Gesamtpaket zu sehen ist.
Wenn der nächste notwendige Schritt das Erziehungsgeld mit einer Arbeitsplatzgarantie ist, dann sind damit zwar nicht alle Probleme gelöst, die hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auftreten; aber es ist ein wesentlicher Punkt, daß die Rückkehrmöglichkeiten in den Beruf eröffnet und abgesichert werden. Ich möchte auch betonen, daß hiermit an die Stelle des Nichts zunächst 600 DM treten.
Ich frage Sie auch noch einmal: Was ist denn in den Bundesländern, in denen es weder Stiftungen noch landespolitische Leistungen gibt? Ich denke, diese Länder wären als erste gefordert, das, was Sie beim Bund nicht zufriedenstellt, landespolitisch in Ergänzung oder als Ersatz zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wird uns daran gelegen sein, Engpässe und Überlastungen bei den Beratungsstellen so weit wie möglich abzubauen. Aber wir haben kein Bundesberatungsgesetz und sind auf die Richtlinien der Länder angewiesen. Diese sind sehr uneinheitlich, und somit ist auch die Förderung uneinheitlich. Ich denke, daß dies ein Punkt ist, bei dem auch bei der Stiftung bedacht wird, in welcher Weise die einzelne Beratungsstelle entlastet werden kann.
Ich schließe mit dem Hinweis: Bei der Schwangerschaftskonfliktberatung geht es um die Frau und das ungeborene Kind. Um beider willen sind Hilfen dieser Art unverzichtbar. Diese sollten wir gemeinsam leisten und der Erhöhung der Stiftungsmittel zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016204900
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3, den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" auf der Drucksache 10/3805.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Es ist noch über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Wagner und der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/3930 abzustimmen. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit im Bereich von Ems und Dol-



Präsident Dr. Jenninger
lart sowie an den angrenzenden Gebieten (Kooperationsvertrag Ems-Dollart)

— Drucksache 10/3917 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1016205000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit im Bereich von Ems und Dollart hat zum Ziel, daß der Hafen Emden ausgebaut wird, die deutsch-niederländische wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärkt und eine harmonische Wirtschaftsentwicklung gefördert wird sowie gleichermaßen die Belange des Umwelt- und Naturschutzes im Vertragsgebiet berücksichtigt werden. Diese Ziele, meine Damen und Herren, werden durch den Kooperationsvertrag Ems-Dollart erreicht.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Stimmt nicht!)

Ein weiter Weg mußte gegangen werden bis zur heutigen Behandlung im Bundestag; denn bereits 1963 gab es eine erste Verkündung des Ems-DollartVertrages. Im Jahre 1966 begann die Bundesanstalt für Wasserbau in Hamburg-Rissen mit Modelluntersuchungen für eine Verbesserung des Emsfahrwassers, und im Jahre 1972 gab es eine erste Projektstudie zum Bau des Dollart-Hafens. 1976 erfolgte die erste Vorlage der Nutzen-Kosten-Untersuchung für die Verbesserung der seewärtigen Zufahrt und den Ausbau des Emder Hafens.
Die deutsch-niederländische Ems-Kommission gab im Jahre 1977 eine Empfehlung zum Bau des Dollart-Hafens. Im gleichen Jahre einigten sich das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik über den Bau und die Finanzierung des Projektes, und es erfolgte die erste Note der Bundesregierung an die niederländische Reichsregierung.
1978, meine Damen und Herren, begannen deutsch-niederländische Verhandlungen über das Dollartprojekt, und im Jahre 1984 wurde der EmsDollart-Kooperationsvertrag paraphiert. Am 10. September letzten Jahres kam es — von der ostfriesischen Region und der Seehafenstadt Emden sehr begrüßt — zur Unterzeichnung des Ems-Dollart-Kooperationsvertrages zwischen den Außenministern beider Staaten und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten.
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, möchte ich der Verhandlungsdelegation des Auswärtigen Amtes, aber insbesondere der niedersächsischen Landesregierung danken für den großen Einsatz, mit der diese Verhandlungen geführt wurden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Dr. Ernst Albrecht durch sein intensives Engagement immer wieder gelungen, die ins Stocken geratenen Verhandlungen voranzutreiben. Dr. Ernst Albrecht hat der ostfriesischen Region und damit meinem heimatlichen Bereich mit seinem Einsatz in einem besonderen Maße gedient. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, recht herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lattmann [CDU/CSU]: Deshalb muß er Ministerpräsident bleiben!)

Nachdem ich soeben einen Abriß der 25 Jahre währenden Entwicklungsgeschichte des Ems-Dollart-Kooperationsvertrages gegeben habe, erlaube ich mir, an dieser Stelle auf die meines Erachtens mustergültige Einarbeitung des Umweltschutzgedankens in das vorliegende Vertragswerk einzugehen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Denn bereits in der frühen Vorbereitungsphase war man sich bewußt, daß die geplanten Baumaßnahmen einen Eingriff in die Ökologie des Ems-DollartGebietes darstellen. 1976 wurde von den verantwortlichen Planern ein landespflegerisches Gutachten zur Emsumleitung durch den Dollart in Auftrag gegeben, um die Verträglichkeit der geplanten Baumaßnahmen mit dem vorhandenen Ökosystem zu prüfen. An der Erarbeitung und der Stellungnahme waren zahlreiche fachkundige Privatpersonen und Vereinigungen sowie Behörden und Dienststellen des Bundes und des Landes beteiligt. Nach umfangreichen Untersuchungen stellten sie zusammenfassend fest, daß durch die geplanten Baumaßnahmen zwar eine Beeinträchtigung der Ökologie im Dollart eintreten würde, daß diese Beeinträchtigungen aber durch flankierende Maßnahmen wie die Einschränkung der derzeitigen Nutzung und die Ausweisung als „Naturschutzgebiet" auf ein vertretbares Maß abgemindert werden könnten.
Dieses Ergebnis wird dem Grunde nach durch die im Rahmen der deutsch-niederländischen Verhandlungen sowohl von deutscher als auch von niederländischer Seite erarbeiteten weiteren Gutachten und Stellungnahmen zur Ökologie bestätigt. Das aktuellste und gemeinsam vom niedersächsischen Wirtschaftsminister und dem Bundesinnenminister Anfang 1985 in Auftrag gegebene Gutachten resümiert, daß sich die ökologischen Vor- und Nachteile des Projektes weitgehend ausgleichen. Die Ansiedlung zusätzlicher Industrie falle angesichts der zu erwartenden strengeren Umweltschutzauflagen als Störfaktor nur geringfügig ins Gewicht. Ein neues Bett der Ems würde die Sand- und Schlickmengen, die gegenwärtig zur Pflege des Fahrwassers ausgebaggert werden müssen, erheblich verringern, was
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12067
Bohlsen
zusätzlich den positiven Effekt hätte, daß die im Interesse der Umweltschonung unerwünschten Flächen für die Ablagerung des Baggergutes abnähmen.
Es ist also festzustellen, meine Damen und Herren, daß der Bau des Dollarthafens nach heutigen Erkenntnissen kaum negative Auswirkungen auf die Umwelt hat. Gleichwohl wird in der Präambel des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande einleitend festgestellt, daß die Umwelt im Vertragsgebiet zu schützen und das Ems-Dollart-Ästuar als Naturgebiet zu erhalten ist. Im einzelnen verpflichten sich die Vertragspartner, im Dollart ein grenzüberschreitendes Naturschutzgebiet auszuweisen und eine gemeinsame Beratungskommission einzusetzen, um ein einheitliches Umwelt- und Naturschutzkonzept zu gewährleisten.

(Abg. Vogel [München] meldet sich zu einer Zwischenfrage!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016205100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1016205200
Ich bitte, in meinem Text fortfahren zu dürfen. — Jeder der Vertragspartner verpflichtet sich, in seinem Gebiet keine Emissionen zuzulassen, wenn diese mit technisch verfügbaren Mitteln verhindert werden können, ohne daß der Kostenaufwand unangemessen groß würde. Aufgegeben ist den Vertragsparteien, insbesondere die bestehende Wasserqualität im Ems-DollartÄstuar zu verbessern.
Für die Region Ostfriesland ist der Vollzug des Dollart-Hafen-Projektes unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt keine Alternative zu Erfordernissen, die mit der Realisierung des Dollart-Hafen-Projektes so umfassend erreicht werden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das muß man mal begründen!)

Mit der heutigen Behandlung im Bundestag wird ein Zeitrahmen eingehalten, den ich vor wenigen Monaten noch nicht so positiv gesehen habe. Für diesen zügigen Zeitablauf möchte ich sowohl dem Minister des Kanzleramtes, Herrn Dr. Schäuble, als auch dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herrn Rudolf Seiters, für die zeitliche Weichenstellung danken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der zügigen Behandlung, meine Damen und Herren, wollen wir auch Zeichen setzen in Richtung Niederlande, die wir hiermit bitten, eine zeitnahe Behandlung in ihrem Parlament vorzunehmen.
Ostfriesland und die Seehafenstadt Emden brauchen den Dollarthafen.
Erstens. Deutschland und die Niederlande haben sich verpflichtet, das Emsfahrwasser offenzuhalten und zu verbessern. Das geschieht mit dieser Maßnahme.
Zweitens. Die inzwischen über 70 Jahre alte Seeschleuse muß durch eine größere ersetzt werden. Das geschieht durch diese Maßnahme.
Drittens. Die Bundesrepublik, das Land Niedersachsen und die Stadt Emden sind bestrebt, durch Bereitstellung von Industriegelände am seeschifftiefen Wasser und eine Umstrukturierung des Hafens Emden eine grundlegende Verbesserung der Wirtschaftsstruktur Ostfrieslands zu erreichen. Das geschieht durch diese Maßnahme.
Inzwischen wurde von der ARSU/PROGNOS eine zusammenfassende Umweltuntersuchung und von der Planco eine Fortschreibung der NutzenKosten-Untersuchung durchgeführt. Die Vorabergebnisse dieser Untersuchungen liegen inzwischen vor. Die Fortschreibung der Nutzen-KostenUntersuchung kommt dabei zu dem Ergebnis, daß der Dollarthafen die wirtschaftlichste Lösung zur Behebung der Fahrwasser- und Hafenprobleme Emdens darstellt. Der Nutzen-Kosten-Faktor beträgt unter den gegenüber 1976 geänderten Verhältnissen hinsichtlich der Aufspülung der Geise und der reduzierten Chancen der Industrieansiedlung immer noch 1,5.
Das Gesamtergebnis ist maßgeblich dadurch bestimmt, daß die heutige und künftige Praxis der Fahrrinnen- und Hafenunterhaltung schwer umweltbelastend ist und durch das Dollart-Hafenprojekt deutlich verbessert wird. Durch die Fortschreibung des Fernstraßenbaus wird der Seehafen Emden zügig angeschlossen. Der Ausbau der Binnenwasserstraßen ist gesichert. Eine elektrifizierte Bahnverbindung in südlicher Richtung ist vorhanden. Damit sind die Grundvoraussetzungen geschaffen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen, im Bereich des Arbeitsamtsbezirks Emden beträgt die Arbeitslosenquote per 30. September 17,5%. Das wirtschaftliche Problem einer peripheren Region wird damit deutlich. Mit dem Vollzug des Dollart-Hafenprojektes möchten wir eine deutliche wirtschaftliche Verbesserung der Region erreichen. Daher begrüßt die CDU/CSU-Fraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Haben Sie vielen Dank!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1016205300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte (Menden).

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1016205400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat sich der Bundestag wieder einmal mit einem Milliarden teuren Großprojekt zu befassen. Eine Allianz von Wachstumspolitikern der Altparteien will unbeirrbar die verhängnisvolle Tradition der Fehlinvestitionen in ökologisch und ökonomisch schädliche Mammutbauten fortsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Beispiel Dollarthafen zeigt, wie wenig ernst Politiker aller etablierten Parteien den Schutz der Natur und Umwelt, insbesondere von Wattenmeer und Nordsee meinen. Es nützt wenig, wenn Herr Zim-



Schulte (Menden)

mermann Nordsee-Konferenzen einberuft, die mit bloßen Absichtserklärungen enden. Hier an den konkreten Entscheidungen für oder gegen den Erhalt unserer wichtigsten und einmaligen Naturlandschaften zeigt sich, was solche Erklärungen wert sind.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Nämlich nichts!)

Mit dem Projekt Dollarthafen wird eine der letzten tideoffenen Brackwasserbuchten Europas, ein einzigartiges und hochsensibles Ökosystem, zerstört. Es werden damit Schäden für das gesamte Wattenmeer und die Nordsee angerichtet. Über 10% der produktiven und insbesondere für die Vogelwelt so wertvollen Wattflächen gehen verloren. Man rechnet mit einem 30 %igen Rückgang der Wattvögel. Bereits der Baulärm wird die letzten im Dollart lebenden Seehunde vertreiben.
All diese ökologischen Schäden werden in der offiziellen Umweltverträglichkeitsprüfung zu diesem Projekt zugegeben. Bund und Land verstoßen somit bedenkenlos gegen internationale und nationale Vereinbarungen zum Schutze der Natur, die Sie selber verabschiedet haben. So hat der Dollart nach dem niedersächsischen Raumordnungsprogramm größtenteils den Status eines „Vorranggebietes für Natur und Landschaft", wonach Naturschutz die höchste Priorität unter allen Nutzungen einzuräumen ist. Die Ramsar-Konvention, die Konventionen von Bern und Bonn, die EG-Vogelschutzrichtlinie — wozu all diese internationalen Übereinkommen schaffen, wenn an ihnen sang- und klanglos Rechtsbruch begangen werden kann?
Aber es kommt noch schlimmer. In weiser Voraussicht haben holländische Naturschützer etwa die Hälfte der Dollartfläche aufgekauft, um die Natur auch durch Beschreiten des Rechtsweges schützen zu können. Diese Rechte werden ihnen durch einen faulen Trick im vorliegenden Kooperationsvertrag genommen.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

Es wurde vereinbart, daß während des Planfeststellungsverfahrens deutsches Recht auch auf holländischem Hoheitsgebiet gilt; nach deutschem Recht haben aber Ausländer keine Klagebefugnis.
Zur Arbeitsplatzsituation. Wie lange noch, Herr Albrecht, wollen Sie der Bevölkerung an der Küste vorgaukeln, Ihre naturzerstörenden Großprojekte an der Nordsee würden die desolate Arbeitsplatzsituation verbessern können? Wie ist es möglich, daß Sie aus Ihren Sünden der Vergangenheit auch nicht einen einzigen Deut hinzugelernt haben? Einer der größten Fehlschläge staatlicher Wirtschaftsförderung ist am Beispiel Wilhelmshaven deutlich geworden.

(Sehr wahr! bei den GRÜNEN)

Mit großen Versprechungen haben Bund, Land und Kommune dort mehr als eine Milliarde DM für die Subventionierung der Aussiedlung von Großprojekten ausgegeben. Im Gegenzug wurden gerade 1000 Arbeitsplätze geschaffen, bei weitem nicht genug, um den gleichzeitigen Beschäftigungsrückgang aufzufangen. Heute steht fest, daß dies gigantische Fehlinvestitionen gewesen sind, die letztlich zu einer Destabilisierung des regionalen Arbeitsmarktes geführt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)


(Vorsitz : Vizepräsident Cronenberg)

In Emden soll sich nach dem Willen von Bund und Land, ja, auch nach dem Willen der SPD diese Fehlentwicklung wiederholen. Dabei wird in der Argumentation nach bewährtem Muster vorgegangen: Zunächst werden bewußt optimistische Prognosen über das Schaffen neuer Arbeitsplätze vorgestellt. Es fällt nicht schwer, eine Bevölkerung, die bereits unter einer 20 %igen Arbeitslosigkeit bitter zu leiden hat, politisch zu ködern.

(Eigen [CDU/CSU]: Was wollen Sie dagegen tun?)

Ursprünglich wurden 24 000 neue Arbeitsplätze prognostiziert. Mittlerweile ist die Nutzen-Kosten-Analyse zum Dollarthafen bei 3 000 Arbeitsplätzen angelangt. Die Investitionssumme hat sich auf 1,3 Milliarden DM gesteigert. Es ist schon bezeichnend, daß mein Vorredner, Herr Bohlsen, auf die Arbeitsplatzargumentation, die ja sonst immer in den Vordergrund gerückt wird, überhaupt nicht eingegangen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!)

Selbst die Emdener Bevölkerung merkt inzwischen, daß dieses Projekt in der Region Ostfriesland mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit nicht weiterhelfen kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!)

Auch während der Bauzeit werden keine Arbeitsplätze geschaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bringen Sie doch mal Ihr Konzept!)

Da die Baumaßnahmen EG-weit ausgeschrieben werden, ist — ähnlich wie beim Bau des Emstunnels — damit zu rechnen, daß die günstigen Angebote aus den Niederlanden kommen werden. Mehr noch: Durch den Bau des Dollarthafens sind sowohl im Fremdenverkehr als auch im Fischereigewerbe Arbeitsplätze bedroht.
Sehr geehrter Herr Präsident Albrecht, Sie haben der Bevölkerung einmal gesagt: Wir bauen diesen Hafen für die Region, aber dafür, daß er zum Leben kommt, müssen die Bewohner selbst sorgen. — Wie denn bei den derzeitigen Überkapazitäten? Schräg gegenüber — auf holländischer Seite — liegt ein groß ausgebauter Tiefwasserhafen — nämlich der Emshafen in den Niederlanden — brach. Allein zwischen Le Havre und Esbjerg stehen 25 000 ha Industrieerwartungsflächen an seeschiffstiefem Wasser leer und in aussichtsloser Konkurrenz zueinander. Ein entsprechender Bedarf ist auch in Zukunft nicht sichtbar. Die Emdener Industrieruine Nord-ferro, die kurz vor dem Konkurs stehende Erdölraf-



Schulte (Menden)

finerie Frisia und das Werftensterben sind Belege einer verfehlten Wirtschaftspolitik an der Küste.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie aber — dabei meine ich CDU und SPD gleichermaßen — setzen im niedersächsischen Landtagswahlkampf weiterhin bei der Bevölkerung vordergründig auf das Prinzip Hoffnung.
Lassen Sie mich an dieser Stelle zur Position der Sozialdemokraten noch folgendes anmerken:
Erstens. Sie wissen ganz genau, daß die 1,3 Milliarden-DM-Investition für den Hafenausbau nicht beschäftigungswirksam ist und daß die gleichen Investitionssummen im Umweltschutzbereich wesentlich mehr Arbeitsplätze bringen würden.
Zweitens. Es ist unbestreitbar, daß hier ein Naturschutzgebiet von internationaler Bedeutung für immer zerstört wird. Das Dollarthafen-Projekt — ein Projekt gegen effektive Beschäftigung und gegen die Umwelt — zeigt einmal mehr — das sollte sich auch der Ministerpräsidentenkandidat Schröder einmal hinter die Ohren schreiben —, daß das Programm „Arbeit und Umwelt" nur ein Popanz ist.

(Beifall bei den GRÜNEN — Seiters [CDU/ CSU]: Ja, wo ist denn der? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Wo ist der eigentlich?)

— Das ist eine berechtigte Frage: Wo ist der designierte Kandidat überhaupt?
Wenn Sie Ostfriesland wirklich helfen wollen, dann entwickeln Sie ein Ostfrieslandprogramm, wie es die Umweltverbände vorschlagen. Investieren Sie in Klein- und Mittelbetriebe, die umweltfreundliche Produkte herstellen. Investieren Sie in den Aufbau einer dezentralen Energieversorgung. Fördern Sie die Umstellung der Landwirtschaft auf eine ökologisch gesunde und arbeitsintensive Anbauweise, und verbessern Sie die Rahmenbedingungen für den Fremdenverkehr!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Wattenmeer stellt neben den Mangrovensümpfen jenen Lebensraum dar, in dem die größte Lebensvielfalt herrscht, die es auf der Erde gibt. Wir haben die Pflicht, diese Kostbarkeiten für spätere Generationen zu erhalten. Auch deshalb muß der Dollarthafen verhindert werden.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016205500
Nun hat Staatsminister Möllemann das Wort.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1016205600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen Bemerkungen liegt mir daran, für die interessierte politische Öffentlichkeit und für das Haus noch einmal darzulegen, worum es beim vorliegenden Abkommen eigentlich geht, um Ihnen eine Bewertung der Empfehlungen und unserer Bitte zu erleichtern.

(Zurufe von den GRÜNEN: Der Lehrer Möllemann! — Oberlehrer!)

Die Absicht der niedersächsischen Landesregierung, den Emder Hafen durch entsprechende Erweiterung und Modernisierung dem heutigen Fracht- und Schiffahrtsaufkommen anzupassen und die ostfriesische Region durch begleitende Industrialisierungsmaßnahmen zu entwickeln, hatte den Abschluß des Kooperationsvertrages Ems-Dollart vom 10. September 1984 erforderlich gemacht. Der eigentliche Teil des Seehafens Emden ist gegenwärtig lediglich durch eine Schleuse erreichbar, die vor dem Ersten Weltkrieg gebaut worden ist. Sie entspricht nicht mehr den modernen Anforderungen des Seeschiffahrtsverkehrs.
Für den Standort der neuen Schleuse sind verschiedene Plätze untersucht worden. Als günstigste Lösung hat sich ergeben, die künftige Schleuse weiter emsabwärts als die jetzige zu bauen und das Emder Fahrwasser mit dem Emder Hafen zu verbinden. Dabei wird der Verlauf der Ems nach Süden verlagert und vom Emder Fahrwasser durch einen Damm getrennt.
Diese Maßnahmen werden sich jedoch in ein Gebiet des Dollart erstrecken, in dem die Ziehung der Staatsgrenze zwischen dem Königreich der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrhunderten umstritten ist. Die niedersächsischen Baumaßnahmen würden sich nach dem deutschen Rechtsstandpunkt ausschließlich auf deutsches Staatsgebiet erstrecken; nach niederländischer Ansicht greifen sie jedoch auf niederländisches Territorium über.
Schon der Ems-Dollart-Vertrag vom 8. April 1960 und sein Zusatzabkommen vom 14. Mai 1962 hatten keine allgemeine juristische Lösung der Grenzfrage zum Inhalt. Sie beschränken sich auf pragmatische Regelungen für die Sicherstellung der Zufahrt und für die Ausbeutung von Bodenschätzen im Untergrund der Emsmündung.
Der Ems-Dollart-Kooperationsvertrag folgt dieser Konzeption. Er sucht, abgesehen von einer nur teilweisen juristischen Regelung des Grenzverlaufs, eine praktische Lösung der anstehenden Probleme. Die in dem Vertrag vorgesehene kleinere Grenzziehung hat keine präjudizielle Wirkung für die hoheitsrechtliche Zuordnung des verbleibenden, weitaus größeren Teils des umstrittenen Gebietes. Die jeweiligen Rechtsstandpunkte werden so gewahrt.
Dem Vertragschluß sind zahllose Sitzungen einer deutsch-niederländischen Kommission vorausgegangen. Wahrscheinlich hat es bei kaum einem anderen Vertrag eine derartige Beratungsdichte gegeben. Da beide Seiten von Anbeginn an großen Wert darauf gelegt haben, Auswirkungen des niedersächsischen Projekts auf die Umwelt — insbesondere Eingriffe in das Wattenmeer und Industrialisie-



Staatsminister Möllemann
rungsvorhaben im Vertragsgebiet — so weit wie möglich zu begrenzen,

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Bloß verbale Absichtserklärungen!)

sind im Vertrag zahlreiche Regelungen über Umwelt- und Naturschutz getroffen worden. Sie beziehen sich auf Probleme der Luft- und Wasserverunreinigung sowie der Lärmbelästigung im Vertragsgebiet.
Dennoch sind im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Emder Hafenprojekts Umweltbeeinträchtigungen im Ems-Dollart nicht völlig zu vermeiden. Es ist häufig so, daß man, wenn man versucht, verschiedene Zielsetzungen unter einen Hut zu bringen, Kompromisse eingehen muß. Die Nachteile sollen dadurch kompensiert werden, daß außerhalb des Vertragsgebietes in der weiter nördlich gelegenen Leybucht Eindeichungsmaßnahmen begrenzt werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016205700
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte (Menden)?
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident, ich möchte das gerne zu Ende führen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016205800
In Ordnung. Bitte!
Möllemann, Staatsminister: Aus diesem Grunde hat sich die Bundesrepublik Deutschland

(Mann [GRÜNE]: Sie lesen wohl nur ab?)

den Niederlanden gegenüber in einem den Kooperationsvertrag begleitenden Notenwechsel verpflichtet, von einer ursprünglich vorgesehenen Eindeichung der Leybucht abzusehen. Lediglich Maßnahmen des Hochwasserschutzes und der Entwässerung im Bereich Leybuchtsiel bis Greetsiel sowie zur Sicherung der Kutterfischerei Greetsiel sollen durchgeführt werden.
Zur umfassenden Beurteilung der die Umwelt berührenden Fragen, die hier bereits aufgeworfen wurden, sowie des ökonomischen Nutzens des Dollart-Hafen-Projekts sind mehrere Gutachten angefertigt worden. Allein 20 Gutachten und Stellungnahmen entfallen auf Umwelt- und Naturschutzfragen. Man kann wohl nicht behaupten, daß eine sorglose Haltung vorliegt, wenn man sich so gründlich beraten läßt.
In der Gesamtschau einer Umweltverträglichkeitsstudie, die im Auftrag des niedersächsischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr erstellt worden ist, kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, daß die ökologische Situation im Vertragsgebiet trotz gravierender Veränderungen in Einzelsystemen durch die Baumaßnahmen nur geringfügig geändert wird. Der volkswirtschaftliche Nutzen des Ems-Dollart-Projekts, der hier in Zweifel gezogen worden ist, wird in einer Kosten-Nutzen-Untersuchung nachgewiesen.
Die Arbeiten für diese Studie sind von der Firma Planco unter Beteiligung von Vertretern des Bundes durchgeführt worden. Die Gesamtkosten für das niedersächsische Dollart-Hafen-Projekt werden nach dem Preisstand vom 1. Januar dieses Jahres auf rund 1,3 Milliarden DM beziffert. Der Bund wird einen angemessenen Beitrag zu diesem Projekt leisten.
Die Bundesregierung hat ebenso wie das Land Niedersachsen ein großes Interesse an der Verwirklichung des Ausbaus des Emder Hafens. Die Bundesregierung bittet daher alle Fraktionen, das Ratifizierungsgesetz zu befürworten und in den Ausschüssen des Bundestages zügig zu beraten.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Sie bittet, das parlamentarische Zustimmungsverfahren möglichst schnell zum Abschluß zu bringen.
Die Bundesregierung gibt der Hoffnung Ausdruck, daß auch in den Niederlanden eine schnelle Ratifizierung des Vertrags erfolgen wird. Das baldige Inkrafttreten des Ems-Dollart-Kooperationsvertrags wäre sicher geeignet, die vorzüglichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande weiter zu vertiefen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit der beiden Staaten im Vertragsgebiet Ems-Dollart zu fördern.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Mann [GRÜNE]: Eine Möllemannsche Vorlesung war das!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016205900
Das Wort hat der Abgeordnete Ewen.

(Bohl [CDU/CSU]: Wo ist denn der Schröder?)


Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1016206000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eben ist gefragt worden, wo Herr Schröder ist. Herr Schröder befindet sich heute in dem Gebiet, über das wir hier heute reden.

(Lachen bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/CSU]: Das ist aber eigenartig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— So ist das.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Witz!)

Er kümmert sich zur Zeit um diese Dinge am südlichen Dollart. Er kümmert sich um die Beziehungen zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik, weil diese Verhandlungen mit den Niederlanden notwendig sind.
Ich will auf einige Dinge eingehen, die Herr Schulte genannt hat. Er hat das Projekt der Emsverlegung als ein Mammutprojekt bezeichnet, das der Phantasie von Wachstumspolitikern entsprungen sei.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Dies ist sicherlich nicht der Fall. Wenn Sie die Entwicklung, die Herr Bohlsen noch einmal richtig dar-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12071
Ewen
gestellt hat, verfolgen, wissen Sie, daß es zunächst darum ging, die Baggermengen zu verringern. Sie haben hier so getan, als würde der ganze Dollart zerstört. Sie wissen genau, daß im Vertragstext steht, daß es um 12 % der Dollartfläche geht.

(Zuruf des Abg. Schulte [Menden] [GRÜNE])

Sie wollen hier suggerieren, als bliebe die Welt in Ordnung, wenn nichts passiert. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn nichts passiert, müssen wir bis zum Jahr 2030 2 000 ha Wattflächen als Deponiefläche für die Sandbaggerungen und 2 000 ha niedrig gelegene Ländereien im Binnenland als Deponie für die Schlickmengen, die aus dem Emdener Hafen kommen, neu in Anspruch nehmen. Dies wäre ein Verlust von wichtigen Gebieten für die Natur sowohl im Binnenland — Kiebitze, Brachvögel — als auch außerhalb des Deiches. Wir glauben, diesen Verlust nicht hinnehmen zu können.
Demgegenüber würde dieses Projekt 830 ha in Anspruch nehmen, und die anderen Flächen müßten nicht mehr ausgeweitet werden. Wir könnten dann bis weit in die Mitte des nächsten Jahrhunderts mit den heutigen Deponieflächen auskommen.
Ich wohne an dieser Küste und weiß, wie jetzt schon durch das Deponieren von Baggergut die Bioproduktion im Wattenmeer auf Dauer eingeschränkt oder sogar zerstört wird. Wenn man Sand über das Watt spült, ist nicht mehr viel Bioproduktion zu erwarten. Ich kann deshalb nicht verstehen, wenn Sie meinen, wenn man jetzt nichts tue, könne man die Natur gesund erhalten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016206100
Herr Abgeordneter Ewen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1016206200
Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016206300
Herr Abgeordneter, bitte schön.

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1016206400
Sie haben recht. In der Tat ist es ein Problem, mit dem Baggergut einigermaßen ökologisch verträglich umzugehen. Deshalb meine Frage: Ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung plant, den Wassertiefstand auf 45 Fuß zu senken? Was passiert dann mit dem wieder anfallenden Baggergut, das nach meiner Auffassung gleich groß ist wie das anfallende Baggergut dieses Jahres?

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1016206500
Herr Schulte, mir ist nicht bekannt, daß durch Baggermaßnahmen ein 45 Fuß tiefes Fahrwasser entstehen soll. Ich habe das zu keinem Zeitpunkt gehört. Zu erwarten ist aber, daß die Räumkraft der Ems mit dem Dollartwasser gemeinsam, weil eine andere Führung entsteht, dazu beitragen wird, entweder das jetzt auf 36 Fuß ausgebaggerte Emsbett von der Knock bis nach Borkum zu erhalten oder sogar zu vertiefen. Diese Vorstellung gibt es, aber das wäre kein Eingriff durch Baggerung und würde nicht bedeuten, daß man dadurch zusätzliche Deponieflächen braucht. Dies ist mein Kenntnisstand. Wenn sich Voraussetzungen geändert haben sollten, würde ich gern bereit sein, mich danach weiter zu erkundigen.
Ich will auf einige andere Aspekte eingehen, die heute vielleicht doch noch einmal genannt werden sollten.
Ich glaube, daß die Festlegung eines Vertragsgebietes, das auch Gebiete östlich und westlich der jeweiligen nationalen Deichlinien beinhaltet, ein wichtiger Schritt für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist. Mir ist kein Vertrag bekannt, in dem in einem Flußmündungsgebiet oder an anderer Stelle für die Umwelt grenzüberschreitend so viele klare Vereinbarungen getroffen werden.
Gerade das Engagement der Bürger sowohl in den Parteien, in den Gewerkschaften, in den Kammern, wie aber auch in den zahlreichen Umweltschutzverbänden auf deutscher wie auf niederländischer Seite haben dazu beigetragen, daß eine ursprüngliche Planung, die auch eine Industrialisierung des Geiserückens vorsah, zurückgenommen werden konnte, daß die Erkenntnisse der Naturwissenschaften in diese Planung eingegangen sind und heute etwas vorgelegt werden kann, was von der ARSU als noch verträglich bezeichnet werden kann. Das war ja nicht immer so. Gerade die Offenheit der Verhandlungen, die immer wieder zu öffentlichen Erörterungen geführt haben, hat dazu beigetragen, daß die Bürger von Anfang an beteiligt waren.
Ich möchte an dieser Stelle auch meinen Kolleginnen und Kollegen der PvdA in den Niederlanden und den Kolleginnen und Kollegen, die darüber hinaus in der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe mitwirken, herzlich danken; denn sie haben von Anfang an, erstmalig 1973, das Projekt begleitet, haben Verständnis für unsere Vorstellungen gehabt, haben ihre Sorgen eingebracht, so daß ich nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Wattenmeerausschusses Wim Meyer und der für Wattenmeerfragen besonders engagierten Frau Ries de Bois aus der Tweeden Kamer in den Niederlanden davon ausgehen darf, daß die politische Bedeutung der Festlegung von Umweltnormen im grenzüberschreitenden Gebiet dazu beitragen wird, daß auch das niederländische Parlament eine positive Stellungnahme abgeben und der Ratifizierung zustimmen wird. Ich kann nur hoffen, daß es der niederländischen Regierung gelingt, noch in diesem Monat dem Parlament den Vertragsentwurf zuzuleiten, damit es eine Chance gibt, diesen Gesetzentwurf ordnungsgemäß zu beraten.
Ich will kurz darauf eingehen, daß diese Verhandlungen natürlich auch dazu geführt haben, daß Ungeduld deshalb entstanden ist, weil die Offentlichkeit wohl wenig Verständnis dafür hatte, daß in einem Gebiet, in dem eine Grenze nicht förmlich festgelegt war, nun so lange Verhandlungen notwendig waren, um zu einem Ergebnis zu kommen. Heute kann man feststellen, daß — wie in den vergangenen Jahrhunderten — für das praktische Zusammenleben in der Emsmündung, für das Arbeiten der Menschen beiderseits der Grenzen die heutige Grenzfestlegung keine praktische Bedeutung



Ewen
I haben wird. Selbstverständlich müssen wir Grenzfestlegungen wegen der hoheitlichen Befugnisse haben. Aber es ist darüber nicht zu einem Streit der Betroffenen gekommen. Man wird wie eh und je über die Grenzen hinweg gemeinsam fischen, gemeinsam Segelsport betreiben oder andere Dinge tun. Für mich ist es deshalb eine wichtige Tatsache, daß Parteien wie Gewerkschaften, die Menschen beiderseits der Grenzen für dieses Projekt sind, wenn auch einige nach wie vor Bedenken äußern; das soll nicht verschwiegen werden, das wäre unredlich.
Ich möchte den vier Sonderbotschaftern danken, die mit ihren Mitarbeiterstäben in zum Teil doch wohl nervenzehrenden Verhandlungen dafür gesorgt haben, daß uns das Vertragswerk nunmehr zur Ratifizierung vorgelegt werden kann. Wir haben in diesem Beratungsverfahren nicht darüber zu entscheiden, ob der Dollart-Hafen gebaut wird oder nicht. Wir haben die Entscheidung zu treffen, ob wir dem Vertragsentwurf zustimmen wollen. Die Beschlüsse, die danach zu folgen haben, werden sicherlich gesonderter Beratung im Parlament bedürfen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016206600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1016206700
Gerne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016206800
Bitte sehr.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016206900
Herr Kollege Ewen, Sie hatten eben zu dem Grenzproblem Ausführungen gemacht. Ich habe gerade einmal in die Drucksache geschaut. Stimmen Sie mir zu, daß offensichtlich sehr wohl auch heute noch Grenzstreitigkeiten bestehen, wenn auf Seite 24 folgendes ausgeführt ist:
Die Niederlande hatten ein besonderes Interesse daran, Hoheitsgebiet in unmittelbarer Angrenzung an deutsches Gebiet zu erhalten, weil sie dadurch ihrem — von deutscher Seite bestrittenen — Anspruch auf einen Grenzverlauf im Talweg des gegenwärtigen Emslaufes wenigstens näherkommen können; .. .

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID1016207000
Es ist bereits 1960 in dem Ems-Dollart-Vertrag und dem Zusatzabkommen 1962 ausgeführt, daß wir bei Aufrechterhaltung der jeweiligen Gebietsansprüche zu einer einvernehmlichen Regelung gekommen sind. Dies bleibt jetzt auch so. Niemand hat seine Rechtsansprüche aufgegeben. Für die Bauzeit gibt es hoheitliche Befugnisse — dies ist klar; die muß man haben —, für das, was danach kommt, gilt der auch schon bisher vorhandene Schwebezustand. Es wird keine Grenze verbindlich festgelegt. Ich glaube, dafür muß man Verständnis haben. Dies hat für die praktische Bewältigung der Probleme im Emsgebiet natürlich noch nie eine Rolle gespielt und wird es auch in Zukunft nicht spielen, weil nach dem jetzigen Gesetzentwurf alle Probleme in der Ems-Dollart-Kommission, in der Beratungskommission, gemeinsam erörtert werden.
Ich will gerne noch ein paar Sätze darauf verwenden, was die Wirtschaftlichkeit angeht. Herr Schulte, natürlich ist man von 24 000 Arbeitsplätzen weggekommem und hat jetzt 3 000 prognostiziert. Sie haben aber gesagt, wir sollten vielleicht unter anderem stärker in den Fremdenverkehr investieren. Da ist Ihnen natürlich auch bekannt, daß die Belastungsgrenzen für Gästezahlen in biologisch empfindlichen Gebieten wie dem Wattenmeer etwa zu bedenken sind. Wir machen uns Sorge, ob wir in der Hochsaison nicht bereits zuviel Gäste am Wattenmeer haben, so daß wir uns nicht vorstellen können — wir haben das j a untersucht; wir reden ja nicht wie der Blinde von der Farbe —, daß über die Ausweitung des Fremdenverkehrs zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können, die das Arbeitslosenproblem in Ostfriesland minimieren können.
Es kann in diesem oder jenem Falle darum gehen, Einkommensverbesserungen für Privatvermieter zu erzielen. Wir haben sehr bewußt in einem hohen Maße auf Privatvermietung gesetzt. Aber das führt nicht dazu, daß in einem nennenswerten Umfang Dauerarbeitsplätze geschaffen werden.
Sie haben auf kleine Betriebe hingewiesen, die umweltfreundliche Produkte herstellen. Dies, so allgemein gesagt, ist eine Sache. Dafür habe ich sehr viel Sympathie. Wenn man aber mit den Betroffenen in der Region, wenn man mit Wirtschaftsfachleuten und Prognoseleuten redet, kann sehr selten gesagt werden, wie das denn konkret umgesetzt werden kann. Wir hören aus der doch so florierenden baden-württembergischen Klein- und Mittelindustrie, daß sie einen Teil ihrer Auslastung dadurch erreicht, daß sie Zulieferer für größere Industrien ist. Dadurch haben Sie die Chance, auch kleinere Partien kostengünstig zu finanzieren. Wer nur auf Kleinbetriebe setzt und glaubt, sie könnten über 18 000 Arbeitsplätze in der Region Ostfriesland schaffen — wir haben dort 18 000 Arbeitslose —, geht, glaube ich, an den Realitäten vorbei.
Nun können Sie sagen, hiermit würde in absehbarer Zeit kein einziger Arbeitzplatz zusätzlich geschaffen. Wenn diese Überlegungen Anfang des Jahrhunderts von den damals Zuständigen angestellt worden wären, hätte man eine Seeschleuse gebaut, die etwa 100 m lang und 20 m breit gewesen wäre, denn das entsprach dem Regelschiff, das damals Emden erreichen konnte. Gebaut hat man eine 240 m lange und 40 m breite Schleuse. Sie hat erst in den 60er und 70er Jahren ihre volle Entfaltung erfahren, weil erst dann die Schiffe so groß waren.
Ich denke, wir haben heute die Aufgabe, auch für die nachwachsenden Generationen dafür zu sorgen, daß Chancen für eine wirtschaftliche Betätigung eröffnet werden. Wir haben die Verantwortung dafür, dies unter größtmöglichem Schutz der Natur zu tun. Denn wir leben von dieser Natur, das ist uns allen bewußt.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016207100
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12073

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1016207200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kooperationsvertrag Ems- Dollart ist für die Küstenregion Niedersachsens von außerordentlicher Bedeutung. Schon seit langem steht dieses Projekt aber auch im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Verständlich, daß bei einer Bausumme, die heute auf 1,3 Milliarden DM geschätzt wird — wovon einen sehr wesentlichen Anteil der Bund zu tragen bereit ist —, Projektgegner und Projektbefürworter aufeinanderstoßen. Ich will versuchen, der unterschiedlichen Argumentation gerecht zu werden.
Der Streit um das Dollart-Hafen-Projekt ist so alt wie das Projekt selbst, und dieses reicht schließlich bis in die 60er Jahre zurück. Die Landesregierungen Niedersachsens versuchen schon seit Jahrzehnten, die Region um Emden herum attraktiver zu gestalten. Schon immer benötigte Ostfriesland mit seinen Standortnachteilen besondere Förderungspräferenzen. Ich will im folgenden erstens auf ökologische Belange, zweitens auf die wirtschaftliche Bedeutung des Dollart-Hafens und schließlich auf politische Aspekte des Vertragswerkes eingehen.
Erstens zur Ökologie. Naturschutzverbände diesseits und jenseits der Grenze wehren sich gegen eine Realisierung des ihrer Meinung nach gigantischsten Prestigeobjekts der Landesregierung Niedersachsens, das nur eine Natur- und Geldverschwendung sondergleichen sei. Ihre Hauptargumente: Zum einen geht wertvolle Wattenmeerfläche verloren, und zum anderen besteht die Gefahr, daß einige seltene Zugvogelarten ihre Futtergrundlage in der Ems-Dollart-Mündung verlieren.
Seit man über den Dollart-Hafen redet, sind inzwischen alle Teilaspekte in zahlreichen Gutachten beleuchtet worden. Ich will mich in diesem Zusammenhang auf Aussagen der Prognos-AG Basel und der ARSU-Gruppe Oldenburg aus diesem Sommer stützen. In deren zusammenfassendem Umweltgutachten heißt es nämlich, daß der Bau des DollartHafens keinen wesentlich schädlichen Einfluß auf das ökologische System der unmittelbaren Umgebung habe.
Mehr noch: Als ökologisch vorteilhaft werten die Gutachter die Verlegung des Emsfahrwassers. Ein neues Bett der Ems würde die Sand- und Schlickmengen, die gegenwärtig zum Offenhalten des Fahrwassers ausgebaggert werden müssen — und übrigens 20 Millionen DM pro Jahr kosten —, erheblich verringern. Entsprechend nehme die erforderliche, aber im Interesse der Umweltschonung unerwünschte Fläche für die Ablagerung des Baggerguts — Herr Ewen hat darauf hingewiesen, irgendwo muß man es ja lassen — ab.
Die Gegner des Dollart-Hafen-Projekts mögen an der Glaubwürdigkeit der Studie zweifeln. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: An was wollen wir Politiker uns noch halten, wenn nicht an wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und Ergebnisse?
Das Vertragswerk zwischen Holland und der Bundesrepublik ist vor allen Dingen von dem Willen zur bilateralen Kooperation im Bereich Umwelt- und Naturschutz gekennzeichnet. Allein 19
Artikel wurden in dieser Hinsicht Bestandteil der Vertragsgrundlage. Erstmals ist es gelungen, eine Vereinbarung darüber zu schaffen, daß über Staatsgrenzen hinweg die Umweltverträglichkeit dieses Bauvorhabens laufend überprüft werden soll. Die beiderseitige Emissionsschutzpolitik soll weitgehend aufeinander abgestimmt werden. Wassergüte und Luftqualität werden in Zukunft ständig kontrolliert.
Als das Vertragswerk vor gut einem Jahr in Emden unterzeichnet wurde, sprach Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit Recht von einem völkerrechtlichen Novum. Man hatte erstmalig einen bilateralen Mechanismus im Bereich Umwelt entwickelt, der trotz Unterschiede in der nationalen Unweltschutzgesetzgebung Prioritäten für Naturbelange setzt.
Es würde Emden nicht weiterhelfen, wenn sich Umwelt- und Naturschützer gegen die Projektverantwortlichen verbündeten und noch nach Baubeginn weiter befehdeten. Meiner Meinung nach ist es einer Überlegung wert, ob man die vorgesehene Beratungskommission auch dazu nutzen sollte, daß hier an verantwortlicher Stelle Natur- und Umweltschützer ein Wort mitreden dürfen. Wenn die Beratungskommission ihre Arbeit ernst nimmt — und das muß sie, um politisch Gehör zu finden —, ist es im Sinne einer gemeinsamen Bewältigung ökologischer Probleme auch richtig, wenn Interessengruppierungen dort eine Stimme haben.
Ich komme zweitens zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Es sind vor allem wirtschaftliche Überlegungen, die es uns Freien Demokraten verbieten, das Dollart-Hafen-Projekt abzulehnen. Wissen Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie mögen hehre und wohlgemeinte Vorstellungen von einer unbelasteten Natur haben. Aber in dem Moment, wo Sie arbeitslos sind — und das ist fast jeder vierte, der Ihnen in Emden und Umgebung auf der Straße begegnet —, müssen Sie die Umweltprobleme in der Gesamtverantwortung für die dort lebenden Menschen beurteilen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Mann [GRÜNE])

Wie wollen Sie eine Region am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben lassen, die durch dünne Besiedlung, Randlage in der EG, Marktferne von Verbraucherzentren, Geburtenüberschuß und zudem durch eine sehr hohe Arbeitslosenquote gekennzeichnet ist? In Ostfriesland verzeichnen wir leider die höchste Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik. Noch Anfang 1985 war in Emden fast ein Viertel der erwerbsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit.
Projektgegner werten den Hafenausbau nun immer wieder ab, indem sie ihn als niedersächsisches Prestigeobjekt bezeichnen. Aber Untersuchungen belegen, daß der Nutzen 1,5 mal größer ist als die Kosten. Wir müssen alles daransetzen, damit in der Bauphase ostfriesische Baufirmen beteiligt werden. Die auswärtigen Baufirmen brauchen ja ostfriesische Arbeitskräfte und werden auf sie zurückgreifen. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, daß langfristig — damit meine ich die Zeit nach der



Bredehorn
Bauphase — 3 000 bis 5 000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden können. Das bedeutet für eine strukturschwache Region wie Ostfriesland enorm viel.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016207300
Herr Abgeordneter, geben Sie dem Abgeordneten Schulte (Menden) Gelegenheit zu einer Zwischenfrage?

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1016207400
Nein; danke. Ich will das im Zusammenhang vortragen.
Wir dürfen nichts unversucht lassen, um den Menschen dort wieder Aussicht auf einen Arbeitsplatz zu geben. Vielleicht waren die ursprünglichen Hoffnungen, die wir in die Industrieansiedlung im Raum Emden gesetzt haben, wirklich zu hoch. Es ist richtig, daß die Stadt Emden Industriegelände ausgewiesen hat, daß ungenutzt geblieben ist. Grund für die potentiell Interessierten war, daß bisher kein Anschluß an die Wasserstraße vorhanden war. Das soll nun anders werden. Ich meine, mit Recht kann man davon ausgehen, daß damit auch die Attraktivität des Industriegebiets steigen wird.
Arbeitsplätze zu schaffen ist eines der Ziele. Eng damit verknüpft ist die Sorge um die Zukunft des Hafens von Emden. Frachtschiffe können bisher nur mit Hilfskonstruktionen durch die alte, viel zu enge und zu kurze Seeschleuse aus dem Jahr 1913 geführt werden, ganz abgesehen davon, daß die Lebensdauer der Schleuse dem Ende zugeht. Ob sich der Hafenausbau wirklich rentiert, kann heute keine noch so abgesicherte Prognose mit absoluter Sicherheit sagen. Das wird allein die Generation nach uns beurteilen können. Aber mit Sicherheit bekommt Emden durch den Dollart-Hafen eine Chance, wieder wettbewerbsfähig zu werden. Hinzu müssen andere Maßnahmen kommen, z. B. der Ausbau des Fernstraßennetzes, der die Anknüpfung an das Ruhrgebiet ermöglicht.
Wenden wir uns zuletzt den politischen Aspekten zu. Der Grund, weswegen die Vorarbeiten zum Vertrag so lange Zeit in Anspruch genommen haben, ist die politische Hypothek der unklaren Grenzziehung mit den Niederlanden im Ems-Dollart-Gebiet, die auch mit dem Vertrag aus dem Jahr 1960 nicht beglichen werden konnte. Je eher der Deutsche Bundestag den Vertrag ratifiziert, desto optimistischer können wir sein, daß die Niederländer unserem Beispiel bald folgen.

(Tatge [GRÜNE]: 15 Jahre Ökologie sind an Ihnen vorbeigegangen! Sie haben in 15 Jahren nichts dazugelernt!)

Das Auf-die-lange-Bank-Schieben muß aufhören. Emden muß wieder Zukunft bekommen. Wir können durch den Ausbau des Dollart-Hafens Rahmenbedingungen setzen, die hoffentlich zu einer wirtschaftlichen Wende für die Region Ostfriesland führen, damit auch für die Zukunft gilt, wie es im Ostfriesland-Lied heißt: „In Osfreesland is am besten. Öwer Osfreesland geiht dar nix."
Den Überweisungsvorschlag wird die FDP unterstützen. Sie hofft auf eine zügige weitere Beratung und auf baldmögliche Ratifizierung.
Schönen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016207500
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Dr. Albrecht.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016207600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke den Sprechern von der CDU/ CSU, der FDP und den Sozialdemokraten für die Ausführungen, die sie hier gemacht, und die klare Position, die sie hier zugunsten dieses Dollart-Hafens bezogen haben. Dies ist kein Projekt unter anderen für Ostfriesland. Dies ist ein ganz wichtiges Stück unserer gemeinsamen Strategie zur Entwicklung dieses Landstrichs, der es aus der Geschichte und auf Grund der Randlage innerhalb der gesamten Bundesrepublik Deutschland ja weiß Gott nicht leicht hat, den Menschen Arbeit und Einkommen zu bieten. Ostfriesland bedarf schon der Unterstützung des Bundes und des Landes Niedersachsen, wenn es in der Lage sein soll, gleichwertige Lebensverhältnisse, wie das Grundgesetz es fordert, für die Menschen dieses Raumes zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da spielt der Dollart-Hafen eine große Rolle.

Meine Damen und Herren, was war der Ausgangspunkt dieses Konzeptes für den Dollart-Hafen? Wir müssen so oder so die alte Schleuse am Hafen von Emden in den nächsten Jahren erneuern.

(Mann [GRÜNE]: Dann erneuern Sie sie doch!)

Dann war die Frage, ob wir sie schlicht einfach erneuern, damit eine Lösung mit einem Kostenaufwand von Hunderten von Millionen DM wählen, die allenfalls zwei, drei Jahrzehnte Bestand haben könnte und die wirtschaftliche Situation Emdens und Ostfrieslands nicht verbessert, oder aber ob wir mit nur wenig Mehrkosten — ich begründe das gleich noch — eine zukunftsweisende Lösung verwirklichen, die auch noch in hundert Jahren Bestand hat, die unter anderem dazu führt, daß nicht nur 35 000-Tonnen-Schiffe dort im Hafen ohne Leichterung gelöscht werden können, sondern in Zukunft auch 80 000-Tonnen-Schiffe. Ich habe immer gefunden, daß dieses Konzept, das aus dem Raum heraus entwickelt worden ist, schon genial genannt werden kann, da folgendes verwirklicht ist.
Durch die Emsverlegung wird bessere Wasserführung gewährleistet, so daß in Zukunft viel weniger gebaggert werden muß. Um drei Viertel kann das Baggern zurückgeführt werden, und außerdem fällt etwa 50 % weniger Hafenschlick an.
Zweitens. Durch den Geisedamm, also einen Leitdamm, und die Verlagerung der Schleuse vom jetzigen Standpunkt an die sogenannte Knock wird auf ganz natürliche Weise ein neues, großes Hafenbekken geschaffen, das es den 80 000-Tonnern ermöglicht anzulanden und das gleichzeitig dann auch für



Ministerpräsident Dr. Albrecht (Niedersachsen)

weitere wirtschaftliche Entwicklungen Ostfrieslands Raum läßt. Emden ist in unserer Konzeption nicht nur der An- und Ablaufhafen für Ostfriesland selber, sondern auch noch mit für das Emsland. Auch das Emsland muß sich entwickeln und entwickelt sich, wie wir wissen, erfreulicherweise auch recht kräftig.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Der Kosten-Nutzen-Vergleich hat gezeigt, daß sich diese großzügige Lösung viel günstiger als die sogenannte kleine Lösung rechnet. Wenn es hier Bedenken gibt, dann nur aus einer Ecke, die wir ernst nehmen wollen, nämlich aus Naturschutzgesichtspunkten, und deshalb lassen Sie mich dazu noch ein paar Worte sagen, wie das auch die Vorredner getan haben.
Ich bitte dabei zu würdigen, daß wir um des Naturschutzes willen und auch wegen der Niederländer, denen dies besonders am Herzen liegt, darauf verzichtet haben, den Geiserücken als Industriegebiet auszuweisen. Er wird so gebaut werden, daß hier wirklich ein erstklassiges neues Naturschutzgebiet und vor allen Dingen auch Vogelbrutgebiet entstehen kann.
Zweitens. Ich sagte schon: Die Baggergutablagerung wird um drei Viertel vermindert, und dies bedeutet — Herr Ewen hat es soeben, glaube ich, deutlich gesagt —, daß die Inanspruchnahme der Fläche durch das neue Dollart-Hafenbecken nur ein Bruchteil dessen ist, was wir nicht mehr für die Ablagerung von Baggergut als Fläche in Anspruch nehmen müssen, d. h. für die Wattflächen in diesem Raum ist die Bilanz positiv.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016207700
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte (Menden)?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016207800
Ja.

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1016207900
Herr Ministerpräsident, Sie sprachen soeben den Geiserücken an, der weiterhin als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden soll. Können Sie mir einmal den ökologischen Wert einer 14 Meter hohen Aufschüttung im Wattenmeer erklären?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016208000
Herr Schulte, das wird nicht so sein, sondern es wird hier ein Gefälle geben, und der Geiserücken wird so gemacht, daß große Teile des Geiserückens von der Tide überflutet werden, so daß da ein für den Vogelschutz echt interessantes Gebiet entsteht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wieder was gelernt!)

Das haben die Naturschützer bei uns mit großer Sorgfalt und Liebe ausgearbeitet. Ich will Ihnen gern die Unterlagen darüber zur Verfügung stellen.

(Mann [GRÜNE]: Wir gucken uns das mal an Ort und Stelle an!)

Der dritte Punkt, der zu berücksichtigen ist: Die Landesregierung hat, nicht zuletzt auch um unseren niederländischen Vertragspartnern hier entgegenzukommen, darauf verzichtet, die Leybucht einzudeichen.
Meine Damen und Herren, wir machen jetzt eine Ausbuchtung beim neuen Deich, am Rande der Ley-bucht, die sogenannte Nase, um sicherzustellen, daß die landwirtschaftlichen Flächen, die unter dem Meeresspiegel liegen, ordnungsgemäß entwässert werden können, und um sicherzustellen, daß die Kutterfischer von Greetsiel — und Greetsiel ist der größte und, wie ich meine, auch der schönste deutsche Kutterhafen — weiterhin direkten Zugang zum Meer behalten. Aber durch diese Maßnahme werden wir es auch bewirken können, daß die der See gegenüber offenstehenden Flächen der Ley-bucht, die Salzwiesen, von jetzt 2800 Hektar auf 3 000 Hektar erhöht werden.
Schließlich, meine Damen und Herren — dies ist auch schon von Vorrednern gesagt worden —: Ich kenne keinen internationalen Vertrag, in dem zwei Staaten vereinbaren, so eng auf dem Gebiet des Naturschutzes und des Umweltschutzes zusammenzuarbeiten, wie gerade den Dollart-Hafen-Vertrag. Wer gegen diesen Vertrag ist, der muß wissen, daß er, wenn der Vertrag scheitern sollte, auch dieses mögliche musterhafte Modell einer Zusammenarbeit zwischen zwei Staaten gefährdet.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das alles interessiert die GRÜNEN nicht!)

Und nun schließlich zur Industrialisierung. Wenn ich es richtig sehe, ist das auch der entscheidende Punkt. Wenigstens auf der Seite der Niederlande bestand einmal die Sorge, daß hier als Folge des Dollart-Hafens riesige Industriegebiete neu entstehen sollten. Hierzu lassen Sie mich zwei Dinge sagen: Ostfriesland kann nicht darauf verzichten, jede Chance auf weitere Industrialisierung zu nutzen. Die Menschen dort können nicht nur von Landwirtschaft, Fremdenverkehr und Kleingewerbe leben. Ich sehe keine Zukunft für die Menschen dieser Region, wenn Ostfriesland von einigen Ökobauern mit hohen staatlichen Subventionen und von einem bißchen Fremdenverkehrsgewerbe besiedelt wird, das dann auch sehr schnell in den Konflikt mit dem Naturschutz kommt. Denn die Menschen wollen doch nicht binnendeichs laufen, sondern sie wollen butendeichs sein, weil sie dort das finden, was sie sich von Ostfriesland versprechen, wenn sie an die See kommen. Aber da geraten wir dann auch sehr schnell in Konflikt mit den Plänen des Schutzes der Natur und insbesondere des Wattenmeeres.
Wir werden deshalb so oder so, ob mit DollartHafen oder ohne Dollart-Hafen, die ausgewiesenen Industrieflächen für Ostfriesland, insbesondere westlich von Emden, nutzen, wenn wir eine Chance haben. Wir sind überhaupt nicht darauf festgelegt, daß das Großindustrie sein muß. Das wäre ja auch völlig unsinnig; wir können das ja nicht planen oder programmieren. Wenn dort Unternehmen ansiedlungswillig sind, weil dieser Standort am seeschifftiefen Wasser für sie interessant ist, dann sind sie



Ministerpräsident Dr. Albrecht (Niedersachsen) selbstverständlich willkommen, ganz gleich, ob Kleinindustrie, mittlere Industrie oder Großindustrie.
Es ist in unserer Zeit auch selbstverständlich, daß, wer auch immer sich dort ansiedelt, der strengen und immer strengeren Umweltschutzgesetzgebung Rechnung tragen muß. Lassen Sie mich bei der Gelegenheit dies hier einmal sagen: Es ist doch, abgesehen von der „Smeer-Pipe" in Holland, nicht aus dem Raum, daß wir das Problem der Verschmutzung der Nordsee haben. Der Haupteinleiter ist die Elbe. In der Elbe sind die Verhältnisse so, daß die Menge der Giftstoffe, die sie transportiert, zehnmal so groß ist wie die des Rheins und zwanzigmal so groß wie etwa die der Weser. Von diesen Giftstoffen kommen wenige Promille aus Niedersachsen — wenige Promille! —, einige Prozent aus Hamburg, und der gesamte Rest kommt aus der DDR und der CSSR. Das heißt: Wenn wir in Verhandlungen mit diesen beiden Ländern einen Fortschritt erreichen könnten, dann hätten wir Entscheidendes für die Gesunderhaltung der Nordsee getan,

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

aber nicht durch die Beantwortung der Frage, ob es ein bißchen Industrie in Ostfriesland geben wird oder nicht.
Lassen Sie mich hier auch sagen — das ist wichtig für unsere holländischen Partner, und ich betone das noch einmal —, daß diese Industrialisierung unabhängig vom Dollart-Hafen ist. Wir brauchen den Dollart-Hafen dazu nicht. Ich sage das hier ausdrücklich: Wenn der Dollart-Hafen-Vertrag nicht durchgehen sollte, dann werden wir — und dazu brauchen wir nicht die Zustimmung der Niederländer — die Hafenanlagen dort am Industriegebiet aus eigenem Recht bauen, damit dieses Gebiet auch weiterhin seine Chance auf Arbeitsplätze behält.
Ich glaube, dies macht deutlich, daß der DollartHafen vor allem anderen eine ausgezeichnete wasserbauliche Lösung für Emden und Ostfriesland ist und schon deshalb Unterstützung verdient.
Ich freue mich sehr, daß der Vertrag von der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande unterzeichnet worden ist, und zwar nach sorgfältiger Konsultation des niederländischen Reichstags, so daß man nach allen internationalen Gepflogenheiten davon ausgehen darf, daß ein solcher Vertrag dann auch vom Reichstag ratifiziert wird.

(Mann [GRÜNE]: Hoffentlich nicht!)

Ich hätte die Bitte an dieses Hohe Haus — aber nach dieser Debatte habe ich daran keinen Zweifel mehr —, daß die Beratungen zügig vorangehen. Das ist wichtig. Ich darf sagen, daß die Landesregierung den Ausschüssen des Bundestages oder auch anderen Gremien jederzeit zur Verfügung steht, wenn sie mit Auskünften dienlich sein kann. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieses wichtige Vertragswerk für die Menschen in Ostfriesland eine breite parlamentarische Mehrheit in diesem Bundestag finden würde, so wie erfreulicherweise eine breite parlamentarische Mehrheit im niedersächsischen Landtag dieses große Vorhaben stützt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016208100
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache.
Gemäß interfraktioneller Absprache soll der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/3917 an nachfolgende Ausschüsse überwiesen werden: zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß, zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Verkehr sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. — Andere Vorschläge werden nicht gemacht; so ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 5 a bis d sowie den Zusatzpunkt auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

zu dem Antrag der Fraktion der SDP Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik
— Drucksachen 10/1298, 10/1573, 10/1674, 10/3357 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Todenhöfer, Dr. Scheer,
Voigt (Frankfurt),
Dr. Soell
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Lange und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stationierung neuer chemischer Kampfstoffe auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/3541 —
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Borgmann, Lange und der Fraktion DIE GRÜNEN
Abzug chemischer Kampfstoffe vom Boden der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/3817 —
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zum Ergebnis der NATO-Konferenz am 9./10. Juni 1983
— Drucksachen 10/150, 10/3494 —



Vizepräsident Cronenberg
Berichterstatter:
Abgeordnete Voigt (Frankfurt), Dr. Todenhöfer
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abzug chemischer Kampfstoffe vom Boden der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/3924 —
Der Ältestenrat hat eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 5 a bis d und des Zusatzpunktes 2 in einer Aussprache von 2 Stunden vereinbart. — Widerspruch gegen dieses Verfahren ergibt sich nicht; dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall. So kann ich die Aussprache eröffnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sei ehrlich!)


Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID1016208200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die abrüstungspolitischen Vorschläge der SPD während der letzten Wochen

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sind gut!)

sind leider ein erneuter Beweis für die zunehmende außen- und sicherheitspolitische Unzuverlässigkeit der SPD. Die SPD betreibt keine Sicherheitspolitik mehr, sie betreibt Unsicherheitspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn die SPD eines Tages nach einer Regierungsübernahme in Bonn, was Gott verhüten möge,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

ihre Pläne einer chemiewaffenfreien Zone und einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa und einer massiven einseitigen Verringerung der konventionellen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland verwirklichen könnte, wäre die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verteidigungsfähig.

(Berger [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)

Aus der Sicht der neuen sozialdemokratischen Unsicherheitspolitik ist das natürlich ungefährlich; denn in den kommunistischen Regierungen der DDR, Polens und der CSSR und des angeblichen Sicherheitspartners Sowjetunion glaubt die SPD ja Freunde und Partner gefunden zu haben, vor denen man sich nicht mehr verteidigen muß. Wenn die SPD diese Unsicherheitspolitik weiter verfolgt, wird die frühe Warnung Konrad Adenauers eine späte Bestätigung finden:

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die Regierungsübernahme einer SPD, die ihre Sicherheit im Ostblock sucht — ich wiederhole: die ihre Sicherheit im Ostblock sucht —, wäre der Untergang der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU — Westphal [SPD]: Oh! — Zurufe von den GRÜNEN)

Die SPD hat vergessen, daß die enge Freundschaft zu den USA „das zweite Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland" ist. Die SPD von heute arbeitet — Herr Voigt — trotz der dringlichen Warnungen des früheren Bundeskanzlers Schmidt an einem sicherheitspolitischen Gemälde, in dem der Splitter im Auge der USA größer ist als der Balken im Auge der kommunistischen Diktatur Sowjetunion. Was immer die Sowjetunion im Bereich der Abrüstungspolitik vorschlägt, wird von Ihnen mit Sympathie begrüßt, was immer die USA vorschlagen, mit Häme verworfen.

(Wilz [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

Der SPD ist in der Nachrüstungspolitik offenbar ihr sicherheitspolitischer Kompaß verloren gegangen. Man muß — Herr Voigt, ich sage das wirklich nicht polemisch, sondern ich habe das durchgeprüft — zur Lupe greifen, wenn man in der Abrüstungspolitik noch Unterschiede zwischen der SPD und der Sowjetunion finden will. Das gilt für die sowjetische Forderung nach einem Freeze im strategischen Bereich, nach einem Moratorium im Mittelstreckenbereich, nach einem Verbot von SDI, nach einem Verbot des Ersteinsatzes nuklearer Waffen im Falle eines konventionellen Angriffes der Sowjetunion gegen Westeuropa,

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Alle Wege führen nach Moskau!)

der Forderung nach einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, nach einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa usw. usw.
Die SPD fällt mit dieser Übernahme der wichtigsten sowjetischen Abrüstungsforderungen der westlichen Abrüstungspolitik leider voll in den Rücken.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Wo ist denn da die Abrüstung?)

Sie gibt der Sowjetunion das abrüstungsfeindliche Signal, Herr Voigt, die Sowjetunion müsse in der Bundesrepublik Deutschland nur eine sozialdemokratische Regierung abwarten, um Abrüstung zu einem billigeren Tarif zu bekommen. Die SPD ist dadurch — durch dieses falsche Signal — inzwischen selbst zum Abrüstungshindernis geworden.
Unsere Haltung in der Frage der chemischen Waffen, die j a heute auch auf der Tagesordnung steht, ist klar und eindeutig.
Erstens. Höchste Priorität unserer Abrüstungspolitik im C-Waffen-Bereich ist und bleibt die weltweite und vor allem zuverlässig überprüfbare Abschaffung

(Zurufe von den GRÜNEN)

— ja, Abschaffung — aller chemischen Waffen.
Die Welt braucht neben der nuklearen Abschrekkung keine chemische Abschreckung.
Zweitens. Falls sich die USA auf Grund der Weigerung der Sowjetunion, einem weltweiten und vor allem überprüfbaren C-Waffen-Verbot zuzustimmen, gezwungen sehen, ihre 1969 einseitg unterbrochene C-Waffen-Produktion wiederaufzunehmen, tritt die CDU/CSU mit unvermindertem Nachdruck



Dr. Todenhöfer
dafür ein, daß diese neuen C-Waffen nicht in der Bundesrepublik Deutschland gelagert werden.
Drittens. Falls es zu einer Neuproduktion chemischer Waffen in den USA kommt, treten wir ferner nachdrücklich dafür ein, alle alten chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen.
Wir brauchen in der Frage der C-Waffen-Abrüstung keine Ratschläge von der SPD

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Aber Sie kriegen welche!)

und von den GRÜNEN. Meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, Sie demonstrieren in der Frage der C-Waffen wieder einmal vor den falschen Kasernentoren!

(Mann [GRÜNE]: Wir respektieren das Völkerrecht!)

Es ist die Sowjetunion, die 16 Jahre lang hochgerüstet hat, und es sind die Vereinigten Staaten, die 16 Jahre lang einseitig und freiwillig auf eine Produktion von C-Waffen verzichtet haben.
Wir haben in dieser Frage — in den letzten zweieinhalb Jahren — zusammen mit dieser Regierung mehr erreicht als die SPD in 13 Jahren.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Bei der Aufrüstung, meinen Sie!)

— Herr Ehmke, das heißt natürlich nicht, daß sozialdemokratische Abrüstungsvorschläge unnütz seien. Sie können immer noch als abschreckendes Beispiel dienen; das will ich Ihnen gerne zugestehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016208300
Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mann?

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016208400
Herr Kollege Todenhöfer, ist es richtig, daß es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland trotz des Verzichts der Vereinigten Staaten auf die Herstellung von chemischen Waffen amerikanische C-Waffen, insbesondere in Rheinland-Pfalz, in großer Menge gelagert sind?

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID1016208500
Zur Zeit gibt es C-Waffen in Europa. Ich habe Ihnen eben sehr deutlich gesagt, daß unser größter Wunsch darin besteht, diese C-Waffen, falls es zu einer neuen Produktion in den USA kommt, zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, wie unseriös die Abrüstungspolitik der SPD seit Helmut Schmidt geworden ist, zeigt das Beispiel SDI. Die SPD ist nicht müde geworden, die USA nach der Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen aufzufordern, SDI aufzugeben, um die Abrüstungsverhandlungen, wie die SPD formulierte, nicht zu belasten, nicht kaputtzumachen, nicht unmöglich zu machen. Herr Ehmke hat in Presseinterviews — noch am 1. Juni — erklärt, wenn SDI nicht aufgegeben werde, gebe es keine Rüstungskontrollverhandlungen mehr.

(Dr. Ehmke [Bonn]: Das ist ja auch wahr!)

Wenn die USA die Vorschläge der SPD ernstgenommen und ihre SDI-Forschung eingestellt hätten,
hätte sich die Sowjetunion doch niemals zu einer derart radikalen Verringerung ihrer Atomwaffen bereit erklärt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die neuen Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion sind doch der Beweis dafür, daß SDI die größte Chance seit 30 Jahren ist,

(Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

endlich einmal wirkliche nukleare Abrüstung zu erreichen. Herr Ehmke, falscher konnte man den Westen doch überhaupt nicht beraten, als die SPD es getan hat. Aber darüber darf man sich natürlich im Grunde nicht wundern bei einer Partei, die auch bei der westlichen Nachrüstung mit ihrer Prophezeiung einer „abrüstungspolitischen Eiszeit" so völlig daneben gelegen hat.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die Tatsache, daß SDI den Druck auf nukleare Abrüstung verstärken würde, war im übrigen vorhersehbar. Aber wie Curt Goetz einmal treffend gesagt hat: „Allen ist das Denken erlaubt, vielen jedoch bleibt es erspart."

(Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

All das ficht Sie, Herr Voigt, und die SPD nicht an. Sie gehen in Ihrer Unsicherheitspolitik nach dem klassischen sozialdemokratischen Motto vor: Wo wir sind, ist vorne, und wenn wir hinten sind, dann ist eben hinten vorne.
Die Geschichte der sozialdemokratischen Abrüstungspolitik ist eine Geschichte von Irrtümern und Fehleinschätzungen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Deshalb werden wir uns in der Abrüstungspolitik auch nicht an der Unsicherheitspolitik der SPD orientieren, die letztlich darauf hinausläuft, obwohl das die Mehrheit der SPD nicht will, „Frieden zu schaffen mit sowjetischen Waffen". Wir spielen nicht Russisch Roulett mit der Sicherheit unseres Landes. Mit der CDU/CSU gibt es keine Experimente mit dem Frieden und der Freiheit unseres Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Abrüstungspolitik, Herr Kollege Westphal, um auf Ihren Wunsch zurückzukommen,

(Ströbele [GRÜNE]: Ist ohne jeden Erfolg!)

hat neben der Aufgabe, die Rüstungsentwicklung im Weltraum unter Kontrolle zu halten, folgende Ziele:

(Zuruf des Abg. Ströbele [GRÜNE])

Erstens ein weltweites überprüfbares Verbot aller chemischen Waffen,
zweitens ein besser überprüfbares Verbot aller biologischen Waffen,
drittens ein Verbot aller radiologischen Waffen,
viertens die Begrenzung von Antisatellitenwaffen,



Dr. Todenhöfer
fünftens eine drastische Reduzierung aller interkontinentalstrategischen Nuklearwaffen,

(Ströbele [GRÜNE]: Morgen anfangen!)

sechstens eine Reduzierung aller Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite auf ein möglichst niedriges stabiles Gleichgewicht,

(Ströbele [GRÜNE]: Nicht nur drüber reden, sondern das auch tun!)

siebtens eine substantielle Reduzierung der Mittelstreckenflugkörper kürzerer Reichweite,
achtens eine Verminderung der nuklearen Gefechtsfeldwaffen mit einer Reichweite von null bis 150 Kilometer,
neuntens ein möglichst umfassendes und überprüfbares Verbot von Kernwaffenversuchen,
zehntens eine substantielle — ich halte diesen Punkt für ganz besonders wichtig — Verringerung der konventionellen Rüstung in ganz Europa.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Abrüstungsforderungen zusammenfassen in einem Appell an die Sowjetunion, doch endlich auch einmal ihre Propagandakanonen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland abzurüsten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesrepublik Deutschland — hier schließe ich alle Parteien und alle Bürger unseres Landes ein — ist der friedliebendste Staat, den es jemals in der deutschen Geschichte gegeben hat. Unser Ziel heißt: nie wieder Krieg. Dabei muß es bleiben, und dabei wird es auch bleiben.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016208600
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt.

Karsten D. Voigt (SPD):
Rede ID: ID1016208700
Herr Todenhöfer, immer dann, wenn die SPD in ihrer Geschichte für die Verständigung und die Versöhnung mit unseren Nachbarn eingetreten ist, haben ihr Vertreter der deutschen Rechten nationalen Verrat und die Vertretung der Interessen einer ausländischen Macht vorgeworfen. August Bebel mußte wegen dieses Vorwurfs ins Gefängnis, als er 1870 gegen die Annexion von Elsaß und Lothringen eintrat. Sie stehen mit Ihrer Rede in der Tradition dieser deutschen Rechten. Aber wir lassen uns von unserer Politik der Versöhnung und Verständigung nicht von den gegenwärtigen Vertretern der deutschen Rechten abbringen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ihre Rede beweist, daß die CDU/CSU weniger Angst vor dem Rüstungswettlauf als vor der Waffenlosigkeit auf beiden Seiten der Grenzen von NATO und Warschauer Pakt hat. Sie fürchten sich vor der Abrüstung in Ost und West. Wir wollen die Abrüstung in Ost und West. Sie fürchten neue Verträge mit unseren östlichen Nachbarn. Wir aber wollen den vertraglich geregelten Interessenausgleich mit unseren Nachbarn. Denn was anderes als die Furcht vor vertraglichen Bindungen ist es, wenn
Sie lieber für den einseitigen Abzug chemischer Waffen als für Verträge über eine chemiewaffenfreie Zone in Ost und West eintreten? Sie warnen die Regierung vor neuen Abrüstungsverhandlungen mit unseren östlichen Nachbarn. Wir fordern die Regierung zu eben solchen neuen Abrüstungsverhandlungen auf.
Was Sie betreiben und vertreten, ist eine Politik, die in Konfrontation und Abschreckung verharrt. Was wir fordern und entwickeln, das ist eine Politik, die sich in Richtung Versöhnung und Sicherheitspartnerschaft bewegt. Das eine ist Ihre Politik, das andere ist unsere Politik. Wir wollen eine zweite Phase der Entspannungspolitik, Sie stellen die Ergebnisse der ersten Phase der Entspannungspolitik in Frage.
Bundeskanzler Kohl hat versprochen, Frieden mit immer weniger Waffen zu schaffen. Dieses Wahlversprechen hat er bisher nicht eingelöst.

(Berger [CDU/CSU]: Natürlich hat er das!)

Bundeskanzler Kohl hat politischen Wortbruch gegenüber seinen Wählern begangen,

(Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!)

denn seinen blumigen Reden steht die Kärglichkeit seiner abrüstungspolitischen Taten entgegen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir Sozialdemokraten messen den Bundeskanzler aber nicht an seinen Reden und an seinen Worten, sondern an seinen Werken der Abrüstung. Diese Bilanz ist negativ: Keine einzige Rakete, kein einziger Panzer und kein einziger Soldat wurde in Ost und West durch Verträge dieser Regierung abgebaut. Diese Regierung ist eine abrüstungspolitische Nullösung.
Durch nichts hat dieser Kanzler dazu beigetragen, daß jetzt Bewegung in die Genfer Verhandlungen gekommen ist. Und weil er wartet und schweigt, statt zu drängen und zu fordern, finden in Genf auch die spezifischen deutschen und europäischen Interessen am Abbau der nuklearen Mittelstreckenwaffen viel zuwenig Beachtung. Aber wir halten an unserem Ziel fest, daß diese Raketen in Ost und West wieder wegverhandelt werden müssen.
Dieser Bundeskanzler läßt es zu, daß mit der sogenannten Europäischen Verteidigungsinitiative in seiner Regierung, in seiner Koalition neue militärische Planungen unterstützt werden, deren Verwirklichung dazu führen müßte, daß die bilateralen sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen in Genf in eine tiefe Krise geraten und dauerhaft blockiert würden.
Oder ist dem Bundeskanzler etwa nicht bewußt, daß die Einführung eines Systems der europäischen Verteidigung durch die europäischen NATO-Staaten parallel zu den SDI-Planungen — wie es z. B. der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Alfred Dregger, vorschlägt — die Chance einer bilateralen Einigung der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten über das Problem der nuklearen Mittelstreckenwaffen nicht nur verringern, sondern sogar



Voigt (Frankfurt)

blockieren würde? Sehen der Bundeskanzler und sein Berater Teltschik nicht, daß durch eine europäische Verteidigungsinitiative das sowjetisch-amerikanische ABM-Abkommen ausgehöhlt und untergraben werden würde, ein Abkommen, an dem festzuhalten die gleiche Bundesregierung von den Vereinigten Staaten angeblich immer wieder fordert? Sieht die Bundesregierung diese abrüstungspolitischen Probleme nicht, will sie sie nicht sehen, oder will sie nicht, daß die Öffentlichkeit sie sieht?

(Mann [GRÜNE]: Das ist es!)

Wer über die Entwicklung einer Europäischen Verteidigungsinitiative laut nachdenkt, über die damit zusammenhängenden rüstungskontrollpolitischen Probleme aber schweigt und keine abrüstungspolitischen Lösungen für diese Probleme vorlegt, der muß sich vorwerfen lassen, daß für ihn Rüstungstechnik und nicht Rüstungskontrolle und Abrüstung politischen Vorrang haben.
Die Bundesregierung verstrickt sich abrüstungspolitisch zunehmend in Widersprüche. Weil sie diese Widersprüche nicht löst, verrennt sie sich in politische Sackgassen. Sie verrennt sich in sie, weil sie zur Entwicklung langfristiger abrüstungspolitischer Konzeptionen nicht in der Lage ist.
Oder ist es etwa Ausdruck eines langfristigen Denkens, wenn Ministerialdirektor Teltschik nach einer Reise zum Studium der wirtschaftlichen und technologischen Aspekte des SDI-Programms öffentlich, und zwar noch vor der Sitzung des Bundessicherheitsrates, Bewertungen von sich gibt, die in Wirklichkeit grundlegende militärstrategische und abrüstungspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland berühren? Ich teile hier die Kritik der FDP in der Sache und auch an der Form. Wenn es um grundlegende Sicherheitsinteressen unseres Landes geht, bin ich, Herr Bundeskanzler Kohl — er ist zur Zeit nicht da —,

(Zurufe von der CDU/CSU)

kein Freund biedermännischer Gemütlichkeit, sondern ein Anhänger preußischer Gründlichkeit. Solche Fragen dürfen nicht im Küchenkabinett des Bundeskanzlers entschieden werden; sie dürfen nur im dafür vorgesehenen verfassungsmäßigen Organ, dem Bundessicherheitsrat und dem Bundeskabinett insgesamt, entschieden werden. So wie jetzt kann man nicht regieren, und so darf man nicht regieren.
Kurzsichtig und provinziell ist auch die Reaktion des Bundeskanzlers auf den Vorschlag zur Vereinbarung einer von chemischen Waffen freien Zone in Europa. Daß der Bundeskanzler den Regierungen der DDR und der CSSR anbietet, über eine weltweite Ächtung chemischer Waffen zu verhandeln oder zu sprechen,

(Rühe [CDU/CSU]: Über die Vernichtung!) ist eine pure Selbstverständlichkeit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Geächtet sind sie schon! — Rühe [CDU/CSU]: Ganz richtig!)

Wir bedauern und kritisieren aber die Entscheidung Bundeskanzler Kohls, das Angebot der Regierungen der DDR und der ČSSR, über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa zu verhandeln, abzulehnen. Sie steht im Gegensatz zur Zusage Bundesaußenminister Genschers vor den Vereinten Nationen; er hat dort noch vor wenigen Tagen gesagt, er würde die Vorschläge dieser beiden Regierungen sorgfältig untersuchen.

(Rühe [CDU/CSU]: Das ist das Ergebnis der Untersuchungen!)

Wir von der SPD werden die Vereinbarungen über eine von chemischen Waffen freie Zone in unser Wahlprogramm und in unser Regierungsprogramm aufnehmen.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Dadurch wird es auch nicht besser!)

Wenn die Regierungskoalition auf Grund der Gegenaußenpolitik aus Bayern nicht mehr zu einer gemeinsamen Außenpolitik in der Lage ist, sollte sie wenigstens froh sein, daß die SPD durch ihre Konzeptionen und Vorschläge für eine zweite Phase der Entspannungspolitik die Regierung zum Nachdenken und Handeln anregt.

(Rühe [CDU/CSU]: Sie haben doch die Positionen des Warschauer Paktes übernommen! Das ist ganz eindeutig! Was ist das für eine Politik?)

Statt endlich selber abrüstungspolitische Vorschläge zu entwickeln, Herr Rühe, polemisiert die Regierungskoalition gegen Vorschläge der SPD. Dies beweist: Die Regierungskoalition ist abrüstungspolitisch reaktiv. Die SPD ist abrüstungspolitisch aktiv und kreativ.

(Rühe [CDU/CSU]: Man kann der SED doch gar nicht vorwerfen, daß sie lieber mit Ihnen verhandelt, weil Sie die Positionen des Warschauer Paktes übernehmen!)

Das eigentliche Problem dieser Debatte ist die abrüstungspolitische Denkfaulheit dieser Regierungskoalition, und in diesem Fall kann ich davon leider auch Sie, Herr Rühe, nicht ausschließen.

(Rühe [CDU/CSU]: Es geht um das Ergebnis Ihres Denkens!)

— Wir denken wenigstens;

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber wie! — Aber falsch!)

das ist der Unterschied zu Ihnen.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf drei Aspekte unseres Vorschlages über eine chemiewaffenfreie Zone richten, zuerst auf unseren Vorschlag über die Verifikation, dann auf unseren Vorschlag über die Ausdehnung der Zone und schließlich auf den deutsch-deutschen Aspekt der Verantwortungsgemeinschaft.
Wir haben eine wirksame nationale Kontrolle vorgeschlagen. Vertreter der CDU haben dazu



Voigt (Frankfurt)

gleich gesagt: Das ist Ausdruck sowjetischer Interessen.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das ist ja auch so!)

— Herr Wimmer, ist das so? Sie sagen es so!

(Mann [GRÜNE]: So einfach!)

Wer aber hier im Deutschen Bundestag und, Herr Wimmer, in dessen Verteidigungsausschuß hat eine nationale Kontrolle über die chemischen Waffen, die auf unserem Territorium gelagert werden? Welcher Bundestagsabgeordnete — und sei er im Verteidigungsausschuß — ist denn darüber informiert, wo bei uns chemische Waffen gelagert werden? Wer in diesem Parlament ist über die Sicherheitsvorschriften informiert, die die Amerikaner dort praktizieren? Niemand!

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal Hans Apel!)

Deshalb ist eine effektive nationale Kontrolle in unserem eigenen deutschen Interesse und bedeutet eine Verbesserung des jetzigen Zustandes.

(Rühe [CDU/CSU]: Sie schüren das Mißtrauen gegen unseren Verbündeten!)

Die internationale Kontrolle soll durch eine internationale Kontrollkommission ausgeübt werden. Das ist ebenfalls eine wichtige Vereinbarung. Alle Staaten, die sich an der chemiewaffenfreien Zone mit ihren Verpflichtungen beteiligen, erwerben das Recht zur Kontrolle der gesamten Zone. Das gilt natürlich auch für die Vereinigten Staaten, weil sie sich an den Verpflichtungen zur Chemiewaffenfreiheit beteiligen sollen und auch beteiligen müssen.
Aber darüber hinausgehend wird eine automatische Verdachtskontrolle an Ort und Stelle für den Fall begründet, daß ein begründeter Verdacht nicht ausgeräumt wird. Daß ein Verdacht begründet sein muß, ist eine Selbstverständlichkeit, damit innerhalb einer Frist die Ursachen des Verdachts behoben werden können. Aber die automatische Kontrolle an Ort und Stelle findet nicht nur statt, wenn diese Beschwerde in der Substanz begründet ist. Die Verpflichtung zur Begründung eines Verdachtes kann letzten Endes nicht zu einem Veto gegen eine Kontrolle an Ort und Stelle führen.
Ich glaube, diese automatische Verdachtskontrolle an Ort und Stelle ist ein Vorschlag, nach dem sich die Regierungsvertreter bei anderen Abrüstungsverhandlungen die Finger lecken würden, wenn sie so etwas durchsetzen könnten.
Wir bieten Ihnen hier eine Chance durch diese Vorschläge. Sie lehnen diese Chance ab und diffamieren sie. Wer auf ein kompliziertes weltweites Abkommen vertröstet, aber über ein einfaches regionales Abkommen nicht einmal verhandeln will, der muß sich fragen lassen, ob er eine chemische Abrüstung heute oder bald überhaupt will.

(Rühe [CDU/CSU]: Kontrollfragen sind schwierig!)

Mit Ihrer prinzipiellen Ablehnung waffenfreier Zonen in Europa machen Sie, Herr Todenhöfer, auch deutlich, daß Ihre Hauptsorge gar nicht der Kontrolle waffenfreier Zonen gilt, sondern daß Sie prinzipiell gegen chemiewaffenfreie Zonen sind und daß Sie grundsätzlich und in jedem Fall Vereinbarungen über waffenfreie Zonen ablehnen. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Ich meine, daß die Vorschläge, die wir entwickelt haben, ein Schritt praktizierter Verantwortungsgemeinschaft zwischen beiden deutschen Staaten sind. Sie reden von der Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden; wir praktizieren sie und entwickeln Vorschläge daraus.
Wenn es im Grundlagenvertrag ausdrücklich heißt, daß die beiden deutschen Staaten Beiträge zur Rüstungskontrolle und zur Abrüstung leisten sollen, und zwar insbesondere auf dem Gebiet der Massenvernichtungswaffen, dann bedeutet dies, daß die Regierung zu Verhandlungen bereit sein sollte, daß sie endlich auch zur Einlösung dieser Bestimmungen im Grundlagenvertrag bereit sein muß; denn die chemischen Waffen gehören unbezweifelbar zu den im Grundlagenvertrag erwähnten Massenvernichtungswaffen. Die Bundesregierung sollte durch eine Bereitschaft zu Verhandlungen über eine solche Zone endlich dem Geist und dem Wortlaut des Grundlagenvertrages entsprechen.
Die Polemik der Koalitionsparteien gegen eine chemiewaffenfreie Zone wirft grundsätzliche Fragen auf. Erste Frage: Wollen die Regierungsparteien überhaupt Verträge, die zur Verringerung der Waffen und der Rüstung in Mitteleuropa führen? Aus den Äußerungen von Herrn Todenhöfer muß ich schließen: nein.
Wollen Sie Zonen der militärischen Verdünnung, oder fürchten Sie Zonen der Abrüstung? Aus den Äußerungen von Herrn Todenhöfer muß ich schließen: Er lehnt solche Zonen der Abrüstung ab.
Wollen Sie überhaupt ein MBFR-Abkommen, oder fürchten Sie sich davor, wie der Kollege Todenhöfer, daß der Warschauer Pakt die Vorschläge der NATO annehmen könnte?
Aus dieser grundsätzlichen Kritik an der Verringerung von Rüstungen in Mitteleuropa durch die CDU/CSU ergeben sich zwei bedeutsame Folgefragen: Wollen Sie eigentlich nur durch eine einseitige Rüstungsentscheidung des Westens die Abschrekkungswirkung der NATO stärken,

(Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/ CSU])

oder sind Sie mit uns der Auffassung, daß es Vorrang deutscher Politik sein sollte, auf der Grundlage einer ausreichenden Verteidigungsfähigkeit durch Verträge zwischen Ost und West vor allen Dingen das Risiko der Entstehung von Krisen zu verringern

(Erneuter Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/CSU])

und die politische und militärische Stabilität während einer Krise zu erhöhen?
Zum Zweiten. Wenn Ihre Befürchtungen so groß sind, daß durch die Vereinbarung abrüstungspoliti-



Voigt (Frankfurt)

scher Zonen das Bewußtsein der sowjetischen Bedrohung in unserer Bevölkerung sich verringern könnte, dann stellt sich die Frage: Wollen Sie die psychologischen Folgen einer politischen und militärischen Vertrauensbildung zwischen Ost und West, oder fürchten Sie den Abbau von Feindbildern, weil Sie meinen, daß dadurch der Verteidigungswille in unserer Bevölkerung untergraben werden könnte?

(Klein [München] [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Und zu allerletzt: Wollen Sie eigentlich mit Herrn Genscher und uns eine zweite Phase der Entspannungspolitik, oder wollen Sie mit Herrn Todenhöfer die Ergebnisse der ersten Phase der Entspannungspolitik untergraben und bekämpfen? Wollen Sie also Entspannung, oder fürchten Sie Entspannung?

(Rühe [CDU/CSU]: Das sind ja SportpalastFragen!)

Hier gibt es zwei grundsätzliche, unterschiedliche und sich wechselseitig ausschließende Linien in der Koalition. Bevor der Bundeskanzler hier nicht Klarheit geschaffen hat und bevor der Bundeskanzler sich nicht zwischen diesen beiden gegensätzlichen Linien in der Abrüstungspolitik in seiner Regierung entschieden hat, wird die Regierung nicht nur widersprüchlich erscheinen, sondern aus Mangel an gemeinsamen Perspektiven und an eigenen Konzeptionen in der Außen- und in der Abrüstungspolitik handlungsunfähig bleiben.

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das Protokoll verzeichnet: Säuseln im Wind!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016208800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1016208900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Anträge, die wir heute debattieren, sind schon etwas älteren Datums, einige aus 1984, einer von 1983. Aber das muß ja nicht heißen, daß ein Blick zurück nicht weiterhelfen kann.
Herr Kollege Voigt, Sie haben eben etwas übertrieben. Ich kann Sie beruhigen, diese Regierung ist abrüstungspolitisch sehr aktiv, und diese Regierung ist auch erfolgreich.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das kann man sagen!)

Ihr Antrag, die Abrüstungsinitiative aus vier Kontinenten zu unterstützen, verweist zu Recht auf den Nichtweiterverbreitungsvertrag und die sich aus ihm ergebende Verpflichtung zu umfassender Abrüstung. Dies betrifft vor allem die Atomwaffenmächte. Die Enttäuschung, daß diese Verpflichtung bis heute nicht einmal im Ansatz verwirklicht wurde, rechtfertigt meines Erachtens Initiativen wie diese. Solche Vorstöße, vor allem, wenn sie von Blockfreien kommen, dienen dem Abrüstungsdialog. Ich sage bewußt „Abrüstungsdialog"; denn die Zukunft der Abrüstung und die weltweite Sicherheit sind doch wohl weitgehend abhängig von den Beziehungen der beiden Militärblöcke zueinander und von den sie tragenden Supermächten USA und Sowjetunion. Dies sind die Realitäten, und in diesem Rahmen haben auch wir nur unsere Handlungsmöglichkeiten.

(Beifall des Abg. Wimmer [Neuss] [CDU/ CSU])

Die Koalitionsfraktionen haben deshalb vorgeschlagen, zu beschließen — ich zitiere —,
daß eine verläßlich nachprüfbare ausgewogene Rüstungsverminderung nur möglich ist als integraler Bestandteil eines stabilen und konstruktiven Ost-West-Verhältnisses, das aufbaut auf der Achtung und Unabhängigkeit, der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechtes, auf gegenseitige Respektierung der legitimen Sicherheitsinteressen aller Staaten sowie auf dem Grundsatz, bei der Verfolgung außenpolitischer Ziele Mäßigung zu zeigen, insbesondere keine Gewalt anzuwenden oder anzudrohen und gegenseitig auf ein Streben nach militärischer Überlegenheit zu verzichten.
Dieser Feststellung müßten eigentlich auch Sie von der Opposition zustimmen können. Es ist doch so, daß wir deutsche Interessen wirkungsvoll nur im Rahmen und mit Unterstützung unserer Bündnispartner vertreten können. Innerhalb der Allianz sind unsere Bemühungen deshalb darauf gerichtet, deutschen Interessen mit Nachdruck Geltung zu verschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Erfolg dieser Politik war der Harmel-Bericht, der auch heute noch unverändert Gültigkeit besitzt. Ich erinnere auch an das von den Außenministern der USA und der Sowjetunion vereinbarte Ziel, für die Genfer Verhandlungen ein Wettrüsten im All zu verhindern und auf der Erde zu beenden. Diese Formel ist auch ein Ergebnis der Bemühungen unseres Außenministers. Hans-Dietrich Genscher hat maßgeblichen Anteil an der geschlossenen Haltung der europäischen Bündnispartner bei der NATO-Ratstagung in Lissabon, die dazu beigetragen hat, daß die USA auch künftig die SALT-Vereinbarungen respektieren.
Es ist Ziel liberaler Außenpolitik, vom Nichtkrieg durch Abschreckung auf einen Zustand des Friedens durch Vertrauen hinzuwirken. Dazu gehören natürlich zwei und guter Wille auf beiden Seiten. Gutnachbarschaftliche Verhältnisse sind aber keine Frage der Technologie.
Die SPD hat gestern einen weiteren Antrag eingebracht, der auf ihren vorhergehenden Gesprächen mit der SED beruht. Sie haben ihn heute, Herr Kollege Voigt, begründet. Zweifellos haben beide deutsche Staaten ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und Militärblöcken eine besondere Verantwortung für die Sicherung des Friedens in Europa. Innerhalb ihrer Bündnisse können sie besonders engagiert für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung eintreten. Die Pflege der deutsch-deutschen

Dr. Feldmann
Beziehungen ist auch für uns ein friedenspolitisches Gebot.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Berger [CDU/CSU]: Ein nationales!)

Aber, Herr Kollege Voigt, ich habe erhebliche Zweifel, ob es wirklich Aufgabe der Opposition im Deutschen Bundestag ist, Gespräche mit der Staatspartei der DDR zu führen, die Verhandlungscharakter haben. Auch diese Bundesregierung hat bei den Bemühungen um Abschaffung aller chemischen Waffen eine Vorreiterrolle. Diese Bundesregierung, Herr Kollege Voigt, ist auch bei der Abschaffung chemischer Waffen beispielhaft aktiv.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich erinnere an unsere Vorschläge, die wir bei den Genfer C-Waffen-Verhandlungen eingebracht haben, beispielsweise zur Verifizierung und zur Vernichtung von C-Waffen.
In Genf verhandeln Regierungen. Da muß man fragen, warum jetzt neue, ausschließlich regionale Verhandlungen über eine C-Waffen-freie Zone in Mitteleuropa begonnen werden sollen, wo doch in Genf über ein besseres — da werden Sie mir doch zustimmen —, nämlich weltweit verbindliches Verbot verhandelt wird. Man muß auch fragen, warum die Sowjetunion bei den globalen C-Waffen-Verhandlungen kaum Bewegung zeigt, andererseits aber separate Verhandlungen der CSSR und der DDR mit der Bundesrepublik propagiert.
Die Bundesregierung hat mehrfach erklärt, daß eine C-Waffen-freie Zone in Europa keine Alternative zu einem weltweiten Abkommen sein kann. Aus ihrer Sicht spricht gegen regionale Verhandlungen, daß die USA ihre C-Waffen ersatzlos aus Europa abziehen müßten, während die Sowjetunion ihre chemischen Kampfstoffe in Reichweite behalten würde, und daß es sich hier um eine Bündnisangelegenheit handelt. Isolierte Verhandlungen der Bundesrepublik mit zwei Staaten des Warschauer Paktes sind daher schwer vorstellbar.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir wollen das Bündnis nicht spalten. Wir werden die westliche Verhandlungsposition in Genf nicht schwächen. Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie Ihren Entwurf zur Abstimmung stellen, wird die Koalition Ihnen aus den obengenannten Gründen mit der Mehrheit nicht folgen können und Ihren Antrag zurückweisen müssen, und das, obwohl wir bei C-Waffen doch eigentlich einen sehr breiten Konsens in diesem Hause haben. Ich bedaure das.
Der amerikanische Präsident hat in diesem Jahr erneut Mittel für die Wiederaufnahme der Produktion binärer chemischer Waffen beantragt. Fred Ikle, Staatssekretär im Pentagon, hat einer Delegation des Verteidigungsausschusses vor 14 Tagen erklärt, daß ihn der deutsche Wunsch, keine eventuell zu produzierenden binären Waffen in der Bundesrepublik zu stationieren, nicht überrasche. Wörtlich: „Wir wissen, daß eine Vorverlegung von Ihnen nicht gewollt ist". Ich bin überzeugt: Ohne den ausdrücklichen deutschen Willen werden die USA keine neuen chemischen Waffen in der Bundesrepublik stationieren.

(Berger [CDU/CSU]: Das ist ein Erfolg!)

Ein Abzug der zur Zeit hier lagernden amerikanischen C-Waffen soll aber erst dann erfolgen, wenn die eventuell neu zu produzierenden C-Waffen in den USA bereitgestellt sind. Man muß doch anerkennen, daß die USA die C-Waffenproduktion seit 16 Jahren einseitig eingestellt haben. Die Sowjetunion hat dieses amerikanische Moratorium nicht honoriert, sondern weiter C-Waffen produziert. Diese Haltung der Sowjetunion ist enttäuschend. Die Sowjetunion ist bis heute nicht zum Abschluß eines überprüfbaren C-Waffen-Abkommens bereit. Hätte sie in den 16 Jahren des amerikanischen Moratoriums mehr Kompromißbereitschaft und Zurückhaltung gezeigt, würde heute niemand in den USA die Produktion neuer chemischer binärer Waffen fordern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Anträge der Fraktion der GRÜNEN sind mir daher zu einseitig und tragen leider nicht zur Lösung der C-Waffen-Problematik bei. Wir werden sie deshalb ablehnen.
Zum Schluß noch ein Wort zu SDI. Hier läuft nun nichts davon, hier brennt auch nichts an. Wenn westdeutsche Firmen sich am Wettlauf um amerikanische Aufträge beteiligen wollen — die Bundesrepublik hat keine Möglichkeit, sie am Vertragsabschluß mit amerikanischen Firmen zu hindern.

(Berger [CDU/CSU]: Wir sind ein freies Land!)

Ob, wann und in welcher Form wir unsere amerikanischen Freunde und Bündnispartner politisch unterstützen — und das ist doch die entscheidende Frage

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sie haben das völlig richtig erfaßt: Das ist die entscheidende Frage!)

— Herr Kollege, da werden Sie mir doch sicher zustimmen —, muß hier von uns entschieden werden. Dies ist nicht Aufgabe von Beamten.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Wir, die gewählten Parlamentarier, haben diese Entscheidung politisch zu verantworten. Alle Fraktionen dieses Parlaments haben deshalb

(Dr. Vogel [SPD]: Zu viele Außenminister!)

die Durchführung von Anhörungen zu SDI beschlossen und Termine festgelegt. Weiter bleibt abzuwarten das Treffen des Bundeskanzlers mit Präsident Reagan und vor allem das Treffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow. Wenn es um Fragen der Strategie geht, ist das Bündnis als Ganzes gefragt. Wir sind uns doch einig, daß es beim Beschluß des Sicherheitsrates bleiben muß und zu SDI eine möglichst geschlossene Haltung aller Bündnispartner erforderlich ist.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

12084 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016209000
Das Wort hat die Abgeordnete Borgmann.

Annemarie Borgmann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016209100
Herr Präsident! Liebe etwa 30 Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Wo die Gräben in diesem Parlament liegen, das konnte man vorhin sehr deutlich sehen. Karsten Voigt stellte die Frage, wer hier im Parlament eigentlich informiert sei, wo die chemischen Waffen in der Bundesrepublik gelagert sind. Darauf gab es einen Zwischenruf von Herrn Rühe: „Sie schüren damit das Mißtrauen gegen unsere Verbündeten." Damit ist die Sachlage schon klar. Während es der SPD und auch uns um die Gefährlichkeit der chemischen Waffen geht, geht es Herrn Rühe und den Regierungsparteien offensichtlich wieder einmal ausschließlich um die Bündnistreue.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Am 19. Juni dieses Jahres traf das amerikanische Repräsentantenhaus eine Entscheidung, die in der Öffentlichkeit aller westeuropäischen Länder als Schock empfunden wurde. Es bewilligte Gelder für die Produktion neuer chemischer Waffen. Im Jahre 1969 hatten die USA die Produktion dieser Waffen eingestellt. Jetzt soll sie im nächsten Jahr wieder aufgenommen werden.

(Berger [CDU/CSU]: Und warum?)

Wir alle erinnern uns an die Schrecken des Giftgases aus dem Ersten Weltkrieg. Das Grauen vor diesem Giftgas war so tief, daß im Zweiten Weltkrieg nicht einmal Hitler es wagen konnte, zu chemischen Waffen zu greifen. Aus jüngster Zeit haben wir die Giftgasopfer im Iran vor Augen, und die Empörung der Weltöffentlichkeit zwang den Irak, wenigstens den Einsatz von Chemiewaffen im Golfkrieg zu beenden. Der Einsatz chemischer Waffen ist seit 1925 durch das Genfer Abkommen völkerrechtlich geächtet. Den Wunsch nach völliger Vernichtung aller chemischer Waffen haben alle Völker weltweit.
Auf dem Boden der Bundesrepublik lagern 4 000 t mit Giftgas gefüllter Artilleriemunition. 4 000 t! Was das bedeutet, möchte ich erläutern. Würden alle Geschütze der US-Truppen hier ununterbrochen Tag und Nacht feuern, würden sie zwei Wochen brauchen, um sie zu verschießen. Zwei Wochen Trommelfeuer mit Giftgas! Die gesamte Menschheit könnte man mit dem in diesen 4 000 t enthaltenen Giftgas töten. Wir fordern deshalb: Dieses Giftgas muß aus der Bundesrepublik verschwinden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und wir meinen, wir sollten diesen Schritt einseitig tun als ein Element einer Politik, die auf Abrüstung und Frieden zielt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016209200
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Todenhöfer?

Annemarie Borgmann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016209300
Nein, ich möchte erst meine Rede zu Ende bringen.
Die SPD möchte den Abzug der Chemiewaffen durch einen Vertrag mit der DDR und der CSSR erreichen. Wir wünschen ihr dabei vollen Erfolg. Aber wir glauben nicht, daß dieser Weg zum Erfolg führen wird. Er erscheint uns wie eine Neuauflage der alten Entspannungs- und Regierungskontrolldiplomatie und wird genauso wie diese scheitern.

(Berger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Will man abrüstungspolitisch etwas in die Wege bringen, kommt man nach unserer Überzeugung um eine Politik der einseitigen Vorleistungen nicht herum.

(Beifall bei den GRÜNEN — Berger [CDU/ CSU]: Das haben die USA doch 1969 gemacht!)

Aber durch die US-Entscheidung, neue chemische Waffen zu produzieren, besteht die Gefahr, daß sich im Gegenteil die Lage noch verschlechtert. Warum verlangt General Rogers, der NATO-Oberbefehlshaber, diese neuen Waffen? In einem Brief vom 21. Mai an den Senator Goldwater sagt er dies sehr klar:
Wir haben kein chemisches Waffensystem, mit dem wir effizient in das Hinterland des Feindes schlagen können ...

(Mann [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Unsere chemische Kurzstreckenmunition reicht nur für wenige Tage.
Mit chemischen Waffen tief in das Hinterland des Feindes schlagen, einen über längere Zeit ausgedehnten Kampf mit den Chemiewaffen vorbereiten, das sind die Gedanken, die hinter der Modernisierung des Chemiewaffenpotentials stehen.

(Berger [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist richtig! Eine Repressalienkapazität verlangt die Lage! — Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal, wieviel chemische Waffen die Sowjetunion hat! Das 80fache!)

Modernisierung bedeutet auch flexiblere Einsetzbarkeit. Die neuen Kampfstoffe können anders als die alten nicht nur in Artilleriegranaten verschossen, sondern auch mittels einer Flugzeugbombe eingesetzt werden — jederzeit, überall.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Das kann die Sowjetunion auch!)

Für diese Flugzeugbombe, „big eye" genannt, ist auch der Löwenanteil der Gelder vorgesehen: 102 Millionen US-Dollar im nächsten Jahr, 22 Millionen US-Dollar für Granaten. Den Einsatz chemischer Waffen effizienter, wirksamer und damit auch realistischer zu machen, dazu soll die neue Waffengeneration dienen.
Ich meine, niemand von uns kann diese neuen chemischen Waffen wollen. Niemand von uns kann wollen, daß der Rüstungswettlauf jetzt auch in diesem Bereich die letzten Barrieren überwindet.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut!)

Wir sollten hier und heute klar sagen: Der Boden
der Bundesrepublik steht für die Stationierung



Frau Borgmann
neuer chemischer Waffen in gar keinem Fall zur Verfügung.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Wer produziert denn zur Zeit chemische Waffen? Nur ein Land: die Sowjetunion!)

Wir alle haben hierbei heute eine große Verantwortung; auch Sie, Herr Todenhöfer.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Wenn Sie keine andere Begründung haben, ist das schwach!)

— Vielleicht fangen Sie mal an, zu denken, Herr Todenhöfer, statt immer nur Zwischenrufe zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Wenn Sie keine Zwischenfragen zulassen, müssen wir Zwischenrufe machen! Es ist schwach, diese Rede abzulesen!)

Die Beratungen im Kongreß der Vereinigten Staaten über die Produktion neuer Chemiewaffen sind bei weitem noch nicht abgeschlossen. Das Votum der europäischen Länder, besonders unser Votum hier, könnte nach unserer Meinung dazu beitragen, daß es nicht zum chemischen Wettrüsten kommt.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag — Keine neuen Chemiewaffen in der Bundesrepublik! — zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Vier-Kontinente-Initiative, die heute ebenfalls hier verhandelt wird. Ich zitiere:
Verträge, die nur die Aufrüstung regeln, sind offensichtlich nicht ausreichend. Je schneller, präziser und tödlicher die Nuklearwaffen werden und die Vorwarnzeit sich verringert, um so mehr nimmt die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Massenvernichtung zu. Die Jagd auf einen weltumfassenden Selbstmord hin muß aufgehalten und rückgängig gemacht werden. Als notwendigen ersten Schritt dazu rufen wir die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion ebenso wie Großbritannien, Frankreich und China auf, alle Versuche sowie die Produktion und Aufstellung von Nuklearwaffen und Abschußvorrichtungen einzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diesen Maßnahmen muß eine wesentliche Reduzierung der vorhandenen nuklearen Arsenale folgen.
Dies ist ein Auszug aus den Erklärungen, die die Regierungschefs von Griechenland, Schweden, Indien, Mexiko, Argentinien und Tansania am 22. Mai 1984 in ihren jeweiligen Hauptstädten bekanntgaben und durch ihre UNO-Botschafter gemeinsam den Botschaftern der Atommächte übergeben ließen.
Diese Initiative hat in der Folge die Unterstützung zahlreicher weiterer Staatsmänner in aller Welt gefunden. Sie war ein spektakulärer Ausdruck
der Besorgnis von führenden Politikern in aller Welt über das Wettrüsten. Mit der Forderung nach einem Stopp der Atomrüstung, einem „freeze" also, stellten sie sich in einem wichtigen Punkt an die Seite der Friedensbewegung.
Wir unterstützen diese Initiative nachdrücklich. 21 unserer Fraktionsmitglieder, darunter die damaligen drei Sprecherinnen, unterzeichneten diese Erklärung. Ich selbst gehöre der deutschen Unterstützergruppe an.
Sicher muß man einige kritische Anmerkungen machen. Manche der Staatschefs, die unterzeichnet haben. täten gut daran, auch im eigenen Land konkrete Schritte folgen zu lassen, etwa in Indien mit seinem Atomprogramm, eigene Schritte auch im Bereich der konventionellen Rüstung, von der die Erklärung völlig absieht. Es ist eben eine typische Staatschefinitiative, weit entfernt von der Friedensbewegung und den „einfachen" Menschen, und es besteht eine Distanz, die sich z. B. bei dem letzten Treffen in Athen in häßlichen Rangeleien zuspitzte.
Deutlich kritisieren muß ich hier den Umgang der SPD mit der Initiative. Wie kann man zu diesem Thema einen Fraktionsantrag einbringen? Warum haben Sie uns nicht die Möglichkeit gegeben, einen gemeinsamen Antrag der Unterstützer aus allen Fraktionen einzubringen?

(Dr. Vogel [SPD]: Das müßt ihr uns gerade sagen, die ihr immer in der letzten Minute daherkommt! — Zurufe von der CDU/ CSU)

Wir finden, das ist kein sehr schöner Zug, obendrein noch hinter dem Rücken der Unterstützergruppe.
Und weiter: Sie bringen als Punkt 2 in Ihrem Antrag den Vorschlag, die Europäische Politische Zusammenarbeit, die EPZ, für eine Abrüstungsinitiative zu benutzen. Sie bereiten damit bewußt das Feld dafür, auch andere, wie man sagt, „sicherheitspolitische" Fragen dort zu erörtern. Das ist ein Schritt auf dem Wege zur Militarisierung der Europäischen Gemeinschaft, zum Militärblock Westeuropa, den wir so nicht wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieses mit der Vier-Kontinente-Initiative in einen Antrag zu packen, ist ein Mißbrauch dieser wichtigen Initiative für taktische Zwecke. Wir bitten deswegen zu diesem Antrag um abschnittsweise Abstimmung.
Dier Vier-Kontinente-Initiative drückt die wachsende Ablehnung der Atomwaffenpolitik aus, das gesteigerte Bewußtsein für die Gefahren, die von den Atomwaffen ausgehen. In diesen Zusammenhang gehören Schritte wie die Erklärung Islands zur atomwaffenfreien Zone, die Erklärung Neuseelands zur atomwaffenfreien Zone, die massiven Proteste der Nachbarstaaten gegen die französischen Atombombentests im Pazifik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesen Zusammenhang gehört es auch, wie die Atomwaffenstaaten auf dieses Bewußtsein reagie-



Frau Borgmann
ren. Unser enger Freund Frankreich liefert dafür die furchtbarsten Beispiele: mit Gewaltandrohung, mit Bombenlegen, mit Mord. Wir sind mit unserem Herzen bei den Leuten von Greenpeace,

(Beifall bei den GRÜNEN)

die diesem Wahnsinn aktiv entgegentreten. Durch ihre Arbeit ist der Kampf gegen die Fortsetzung der Atombombentests zu einem zentralen Brennpunkt, ein Verbot aller weiteren Atomwaffenversuche zur Tagesaufgabe geworden. Wir haben zur Unterstützung des Widerstands gegen die Atomwaffentests im Pazifik einen Antrag eingebracht und hoffen, daß der Bundestag in der nächsten Sitzungswoche die Zeit finden wird, ihn zu debattieren.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016209400
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer (Neuss).

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Jetzt kommt Chemie-Wimmer!)


Willy Wimmer (CDU):
Rede ID: ID1016209500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kollegin von den GRÜNEN hat gerade einiges über den Problembereich der chemischen Waffen dargestellt und darauf hingewiesen, daß natürlich auf dem Territorium unseres Landes ein bestimmtes Potential liegt. Frau Kollegin, dazu darf ich Ihnen aber sagen, daß für diese Waffen das gilt, was für alle durch die NATO hergestellten und gelagerten Waffen gilt, daß wir dieses Potential nämlich überhaupt nicht einsetzen, es sei denn nur zu unserer eigenen Verteidigung.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Was wollen Sie denn verteidigen? — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Und was ist dann? Sie wollen sie doch einsetzen!)

Das trägt dazu bei, daß wir eine Abschreckung produzieren, die die anderen davon abhält, in jedem Fall ihr Potential uns gegenüber einzusetzen. Da müssen Sie sich mit den Tatsachen auseinandersetzen.
Sie wissen genausogut wie ich, daß die UdSSR inzwischen mehr als 400 000 Tonnen chemischer Waffen produziert hat. Wenn Sie einmal Vergleiche anstellen — da brauchen Sie nur das von Ihnen geschätzte SIPRI-Jahrbuch 1985 heranzuziehen —, so sehen Sie, daß das Verhältnis der verwertbaren chemischen Waffen der UdSSR und der USA 80:1 zugunsten der UdSSR ist. Mit diesen Dingen müssen Sie sich auseinandersetzen. Wir sind Ihnen gar nicht undankbar dafür, daß Sie dieses Problem hier ansprechen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016209600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Willy Wimmer (CDU):
Rede ID: ID1016209700
Das hat Ihre Kollegin gerade nicht getan, Herr Schily, und da müssen Sie sich genauso behandeln lassen.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das ist aber arm! Sie sind doch ein unabhängiger Mensch! Das haben Sie doch nicht nötig! — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Wir wollen so viel von Ihnen wissen!)

— Das ist arm für Sie; so ist das.
Dazu muß man einmal auf folgendes verweisen, Frau Kollegin. Ihr Antrag gibt uns die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, was eigentlich Vorleistungen bedeuten. Das wird aus Ihrer Argumentation immer ins Feld geführt, um uns zu dem einen oder anderen Verhalten zu bewegen. Was haben wir getan? Der Kollege Dr. Feldmann hat darauf hingewiesen, daß die Amerikaner seit 1969 keine chemischen Waffen mehr produziert haben. Es gibt dazu die Entscheidung der NATO aus dem Jahre 1980, daß wir 1000 Atomsprengköpfe aus Mitteleuropa abgezogen haben. Es gibt dazu die Entscheidung von Montebello, daß wir 1400 Sprengköpfe abgezogen haben. Wenn Sie einmal danach fragen, was eigentlich Ihre Freunde, deren Argumentation Sie ja hier immer übernehmen, getan haben, dann kann ich Ihnen nur sagen: Die haben unsere Vorleistungen nicht honoriert, sondern alles getan, um ihre Potentiale auszubauen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU) Das ist nicht das, was wir darunter verstehen.

Wir müssen in diesem Zusammenhang auch einmal etwas an die Adresse der Sozialdemokraten sagen, und zwar unabhängig von dem, was an Vorleistungen immer wieder von uns verlangt wird.

(Dr. Scheer [SPD]: Jetzt kommt's!)

— Es kommt immer, Herr Scheer, immer kommt's!

(Heiterkeit)

Herr Kollege Bahr hat in einer der letzten Sitzungen, als es um die SPD-Vorstellungen in der sogenannten Bülow-Kommission ging, hier mit Aplomb angekündigt, daß damit eigentlich die zweite Phase der Entspannungspolitik eingeläutet würde.
Jetzt muß ich natürlich einmal etwas kritisch hinterfragen. Wir gehen ja nach dem Verständnis nicht nur dieses Hauses davon aus, daß das, was Entspannungspolitik genannt wurde, im wesentlichen auch mit dem Harmel-Bericht des Jahres 1968 zusammenhängt. Das ist damals unter wesentlicher Beteiligung des sozialdemokratischen Außenministers Willy Brandt zustande gekommen

(Dr. Scheer [SPD]: Von Ihnen wütend bekämpft!)

und hatte folgendes zum Inhalt: Wir wollten militärische Stärke als Standbein unserer Politik, um von diesem Standbein aus Dialogfähigkeit zu den osteuropäischen Staaten in Substanz ausfüllen zu können. Und was ist heute sozialdemokratische Politik, von von Bülow bis zum sozialdemokratischen Parteitag in Essen im vergangenen Jahr? Daß Sie selber Hand an dem anlegen, was Standbein der Entspannungspolitik gewesen ist. Sie gleichen einer



Wimmer (Neuss)

Dame ohne Unterleib, was Ihre abrüstungspolitischen Vorstellungen

(Zurufe von der SPD)

und was Ihre Möglichkeiten einer substantiierten Dialogbereitschaft mit den Staaten des Warschauer Paktes anbetrifft.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie haben nur ein Bein, kein Standbein!)

Herr Kollege Voigt hat eben vorgetragen, wir hätten Angst vor Verträgen. Mitnichten! Sie wissen, daß wir uns hier in der Kontinuität der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland befinden. Wir wollen alles in Substanz behandelt wissen. Aber gerade die Erfahrungen mit MBFR haben doch nachdrücklich klargemacht, Herr Kollege Voigt, daß wir bei all dem, was Abrüstungsverträge anbetrifft, einen zentralen Punkt haben, der sich nicht wegdiskutieren läßt: Wir müssen Wert darauf legen, daß das, was verhandelt wird, in der Tat auch überprüft werden kann. Verträge sind Schall und Rauch, wenn sie einer abrüstungspolitischen Vorstellung dienen, ohne daß wir die Möglichkeit und Fähigkeit haben, sie auch zu kontrollieren.

(Zuruf von der SPD: Völlig richtig!)

Eines muß in dem Zusammenhang mit allem Nachdruck gesagt werden: Ihre Vorstellungen, die Sie dazu auf den Tisch gelegt haben, dienen auch nicht im Ansatz diesen Überlegungen, eine tatsächliche Überprüfung von Verträgen zu ermöglichen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

— Herr Kollege Voigt, Sie sollten vielleicht weniger in bestimmte Zirkel Ihrer Partei gehen und dafür mehr in den Verteidigungsausschuß kommen. Dann haben Sie die Gelegenheit, einmal substantiierte Vorträge und Diskussionen darüber zu erleben

(Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

— das gilt auch für Sie, Herr Professor! —, was tatsächlich auf der anderen Seite alles getan wird, um die Überprüfung und Verifikation zu umgehen.

(Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

— Herr Kollege Voigt, Sie sollten bei dem, was Sie tun, auch was die Diskussion über angebliche oder vermeintliche chemiewaffenfreie Zonen anbestrifft, doch eines bedenken: Sie müssen sich fragen, ob Sie in Anbetracht der Entwicklung auf der anderen Seite nicht Gefahr laufen, vielleicht jenseits Ihrer Intention, die ich Ihnen unterstelle, zum Vorreiter einer bestimmten sowjetischen Argumentation zu werden, und zwar vor folgendem Hintergrund.

(Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

— Herr Professor, halten Sie doch bitte einmal den Mund.

(Heiterkeit)

Es liegen begründete Anzeichen dafür vor, daß die Sowjetunion in eine Produktion chemischer Waffen eintritt, die nicht unter das Genfer Abkommen des Jahres 1925 fallen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Das ist natürlich etwas, was Sie bei Ihrer Argumentation bedenken müssen, damit Sie nicht in eine Situation kommen, die auch Sie — das unterstelle ich Ihnen ehrenhafterweise — nicht wollen.


(Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD]) meldet sich

zu einer Zwischenfrage.)
— Herr Voigt, es sind nur noch wenige Minuten.
Ein Zweites muß in diesem Zusammenhang auch gesagt werden. In welche Position bringen Sie eigentlich auch Ihre eigenen Überlegungen der letzten dreizehn Jahre? Die Situation im Deutschen Bundestag und auch bei der von Ihnen getragenen Regierung war doch, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland hier das weltweite Verbot chemischer Waffen forderten. Dadurch, daß Sie in diese Hinterrücksverhandlungen mit der SED verfallen,

(Zuruf von der SPD)

bringen Sie sich doch selber historisch in eine äußerst unglaubwürdige Situation. Welches Motiv soll die andere Seite eigentlich noch haben, in einem Vertragsbereich, der wirklich unterschriftsreif ist, zu Verträgen mit uns zu kommen, wenn Sie aus Ihrer eigenen Position, die Sie 13 Jahre eingenommen haben, so zurückfallen, daß Sie den anderen jede Legitimation geben, nicht mit uns zu verhandeln? — Sie wollen offensichtlich trotzdem noch fragen?

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ja!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016209800
Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Karsten D. Voigt (SPD):
Rede ID: ID1016209900
Herr Wimmer, ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, das Angebot anzunehmen, daß ich vor der Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik Ihrer Fraktion einmal diesen Entwurf von SPD und SED erläutere, weil Sie ihn offensichtlich nicht gelesen haben; denn sonst würden Sie zur Kenntnis nehmen können, daß das von Ihnen angesprochene Problem der Definition der chemischen Waffen dort in diesem Vorschlag angesprochen und gelöst ist, den die Bundestagsfraktion der SPD in ihrer Arbeitsgruppe mit Vertretern der politischen Führung der SED und der DDR erarbeitet hat.

Willy Wimmer (CDU):
Rede ID: ID1016210000
Herr Kollege Voigt, wir sind nicht für Spezialveranstaltungen, die Sie uns präsentieren.

(Zuruf von der SPD: Man kann doch auch einmal etwas lernen!)

Wir sind dafür, daß diese Fragen in dem Plenum diskutiert werden, das auch die deutsche Öffentlichkeit darstellt — und das ist das Plenum des Deutschen Bundestages —, zu jeder Zeit, zu jeder Stunde in diesem Kreis, und dann werden Sie auch die Möglichkeit haben, Ihre Position dazu darzulegen.
Meine Damen und Herren, alles das, was diesen Bereich betrifft, wird durch die solide Art und Weise unserer Politik fundiert dargestellt.
Herr Kollege Voigt, in welche Situation bringen Sie eigentlich Ihre osteuropäischen Gesprächspartner, und wie peinlich ist deren Verhältnis zur Bun-



Wimmer (Neuss)

desregierung der Bundesrepublik Deutschland? Was sollen wir eigentlich mit diesen Regierungen noch verhandeln, wenn Sie schon vorher mit den Staatsparteien in diesem Bereich alles ausgehandelt haben? Das ist doch kein Verhältnis, das Sie als eine der führenden deutschen Parteien an den Tag legen sollten. Man kann nur an die osteuropäischen Regierungen appellieren, daß sie endlich von einem derart peinlichen Verhältnis uns gegenüber Abstand nehmen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016210100
Herr Abgeordneter, für Ihre Aufforderung an Professor Ehmke, zu schweigen, hat das Präsidium viel Verständnis. Ob die Wortwahl besonders vornehm war, darüber läßt sich streiten.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Beim Professor gibt es nichts Vornehmes! — Gegenruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] — Weitere Zurufe von der SPD und der CDU/ CSU)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016210200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung in den nächsten Wochen erstens, daß sie sich besonders dafür einsetzt, alle sich bietenden Chancen für einen drastischen Abbau der Atomwaffen zu nutzen. Dies bedeutet, das konkrete sowjetische Angebot auf einen 50 %igen Abbau sollte inhaltlich aufgegriffen und durch gleichgerichtete westliche Zusatzvorschläge ergänzt werden. Dazu gehört auch, daß die Chance verfolgt werden muß, einen Abbau über die angebotenen 50 % hinaus zu erreichen.
Zweitens. Wir erwarten, daß diese Chance nicht leichtfertig verspielt wird durch die verstiegene Weltraumrüstungsprogrammatik, die nach wie vor vorherrscht. Wenn die Bundesregierung ihre eigenen Worte noch ernst nimmt, muß jetzt die Gelegenheit genutzt werden zur Abrüstung auf der Erde und zur Verhinderung des Wettrüstens im Weltall, wie es selbst in Schriften der Bundesregierung heißt.
Drittens. Wir erwarten, daß die Bundesregierung jeden Versuch unterläßt, parallel zum SDI-Programm eine europäische Verteidigungsinitiative zu ergreifen, die nach Vorschlägen aus der CDU/CSU-Fraktion Abwehrsysteme gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen anstrebt.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Ein solches Programm würde die Lage noch mehr destabilisieren

(Zuruf des Abg. Berger [CDU/CSU])

und uns in den finanzwirtschaftlichen Ruin treiben. Statt dessen muß alles versucht werden — das ist die Antwort, Herr Kollege Berger —, eine Abrüstung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen zu erreichen, und dazu haben Sie noch keinerlei Initiative ergriffen.
Viertens. Wir erwarten, daß sich die Bundesregierung endlich dafür einsetzt, daß die westeuropäischen Staaten eine aktive Rolle und Mitverantwortung in der Rüstungskontrolle übernehmen. Es darf nicht länger sein, daß die Verhandlungen über Atomwaffen in Europa allein von den beiden Supermächten geführt werden. Vor allem Frankreich und Großbritannien sollten aufgefordert werden, an diesen Verhandlungen teilzunehmen und damit eine unmittelbare westeuropäische Rüstungskontrollverantwortung zu übernehmen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Bundesregierung müßte alle auf Abrüstung zielenden Vorschläge anderer Regierungen beim Wort nehmen; aber sie war bisher nicht einmal in der Lage, ihre eigenen Worte und Versprechungen praktisch ernst zu nehmen, so etwa bei den Bedingungen, die noch im Frühjahr vom Bundessicherheitsrat für eine Mitarbeit beim SDI-Projekt aufgestellt wurden,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!) die jetzt aber schon wieder vergessen sind.

Wir erleben in der Abrüstungsdiskussion seit Jahren, daß naheliegende und erreichbare Fortschritte immer wieder unterlassen oder in ihrer Bedeutung geringgeschätzt werden, weil man entweder irrealen und falschen Maximalpositionen anhängt, so wie es auch die GRÜNEN tun, oder weil man praktisch erreichbare Abrüstungsschritte gegen unerreichbare Maximalpositionen ausspielt, die vorgeschoben werden, um damit Abrüstung zu verhindern.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt so nicht!)

Das ist die Position der CDU/CSU. Auch die Öffentlichkeit sollte wissen, wie die Negativkoalition von Regierungsparteien und GRÜNEN mit ihren jeweiligen Maximalpositionen — gemeinsam die CDU/ CSU, FDP und GRÜNE — in den Ausschüssen in der Abstimmung über vorliegende Entschließungsanträge vernünftige und weit über die Grenzen hinaustragende Vorschläge der SPD gemeinsam niederstimmt.

(Berger [CDU/CSU]: Das ist eine Behauptung, die Sie da aufstellen! — Zuruf des Abg. Horacek)

— Daß Sie das nicht hören wollen, kann ich verstehen; aber Sie können das im Protokoll nachlesen. Sie können sich der Verantwortung dafür nicht entziehen. Das ist ein Sachverhalt.
Wir haben kein Verständnis dafür, daß die GRÜNEN alle konkreten SPD-Vorschläge, die heute hier vorliegen, bisher abgelehnt haben, weil der Handlungsbezug zur NATO darin enthalten ist.

(Berger [CDU/CSU]: Und Ihre Verhandlungen in Essen?)

Wer die Mitgliedschaft in der NATO ablehnt, macht damit eine nationale und eine internationale Abrüstungspraxis unmöglich.

(Berger [CDU/CSU]: Seid ihr eigentlich noch koalitionsfähig?)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016210300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horacek?

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016210400
Gleich, wenn ich diesen Gedankengang zu Ende geführt habe.
Die Position der GRÜNEN ist deshalb illusionär. Es ist nicht ehrlich, falsche und uneinlösbare Strategien zu propagieren. Auf der anderen Seite: erst recht unverantwortlich sind die Maximalpositionen der CDU/CSU bzw. der Bundesregierung. Realistischen Verhandlungslösungen stellten Sie und stellen Sie auch in Zukunft wohlklingende Null-Null-Lösungen gegenüber, ob bei Mittelstreckenraketenverhandlungen oder bei Verhandlungen über chemische Waffen, und eigenen Abrüstungsvorschlägen und -initiativen gegenüber verhalten Sie sich abstinent. Damit entziehen Sie sich ebenfalls einer Eigenverantwortung und machen das Mögliche unmöglich. Das ist der Punkt, der hier festgehalten werden muß. — Jetzt bitte ich um die Zwischenfrage.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016210500
Bitte schön.

Milan Horacek (GRÜNE):
Rede ID: ID1016210600
Ja, Hermann, wir kennen uns ja nicht nur aus den letzten zwei Jahren hier. Würdest Du mir nicht zustimmen, daß es, wenn man von der Seite der GRÜNEN einen Antrag der SPD ablehnt, darauf ankommt, wie differenziert der Inhalt ist, und daß es nicht gut ist, wenn man in demagogischer Art und Weise nur zusammenzählt: CDU/ CSU, FDP und die GRÜNEN haben etwas von der SPD abgelehnt!?

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016210700
Ich habe eben das gemeinsame Abstimmungsverhalten von CDU/CSU, FDP und den GRÜNEN bei der Abstimmung über unsere Entschließungsanträge im Auswärtigen Ausschuß hervorgehoben. Daran besteht kein Zweifel, und ich bezeichne das — das ist die einzige Bewertung, die ich gemacht habe — als eine Negativkoalition, wiewohl ich natürlich zugestehe, daß die Motive andere waren. Das habe ich aber auch dargestellt, daß die Motive von Union einerseits und GRÜNEN andererseits verschieden waren. Aber gerade deshalb habe ich gesagt: Beide Maximalpositionen machen Abrüstungspolitik unmöglich.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016210800
Um eine weitere Zwischenfrage bittet Herr Abgeordneter Schily. — Herr Schily, bitte.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016210900
Herr Kollege Scheer, dürfen wir es nicht mitunter auch erleben, daß es Negativkoalitionen, die Sie meinen so ansprechen zu müssen, zwischen CDU/CSU und SPD und FDP in sehr substantiellen Fragen gibt, und wie sollen wir das vergleichen?

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016211000
Herr Kollege Schily, ich kann leider mit dieser Frage nichts anfangen. Sie müßten den jeweiligen Inhalt, um den es ging, darstellen.

(Zurufe von den GRÜNEN) Dann kann man bewerten, ob es eine Negativkoalition ist oder nicht. Ich habe die Inhalte, um die es geht, wo die Negativkoalition vorhanden war, dargestellt. Daß Ihnen das jetzt peinlich ist, kann ich verstehen, aber der Sachverhalt ist da.


(Beifall bei der SPD — Zurufe von den GRÜNEN)

Es geht heute in unseren Entschließungsanträgen unter anderem um zwei internationale Initiativen, die nach unserer Auffassung von der Bundesregierung unterstützt werden sollten. Die eine Initiative hat die Kollegin Borgmann soeben dargestellt, die Vier-Kontinente-Initiative. Eine zweite Initiative unter mehreren Vorschlägen ist die für eine Zusammenkunft der Regierung aller fünf Atommächte, um sich erstmals gemeinsam über die Voraussetzungen und die möglichen Schritte einer atomaren Abrüstung verständigen zu können. Solchen Initiativen liegt die Erfahrung zugrunde, daß die Politik der Abrüstung und Abrüstungskontrolle grundsätzlich nicht mehr dem Selbstlauf der Verhandlungen der Supermächte allein überlassen werden darf und daß das zentralste Anliegen der Menschheit, die atomare Abrüstung, nicht mehr in erster Linie unter dem Vorzeichen des Ost-WestAbschreckungsverhältnisses gesehen werden darf. Zu lange schon geht das Spiel, daß sich die Fortsetzung der atomaren Rüstung der einen Seite immer wieder mit der atomaren Rüstung der anderen Seite begründet. Statt der Fixierung auf das atomare Ost-West-Verhältnis ist es deshalb notwendig und überfällig — das entspricht übrigens dem Grundgedanken des Atomwaffensperrvertrages —, das gemeinsame Interesse aller nichtatomaren Staaten, ob es westliche, östliche oder blockfreie Staaten sind, stärker und gemeinsam zu artikulieren. Dies ist auch ein Punkt der Vier-KontinenteInitiative. Diese Forderungen müssen sich an alle atomaren Staaten unabhängig von deren Bündniszugehörigkeit richten und deren gemeinsame Verantwortung für atomare Abrüstung unmißverständlich einfordern. Dies gilt auch für die französische Mitverantwortung.
Was aber macht die Bundesregierung? Wir sehen nicht, daß sie sich ernsthaft — auch die Regierungsparteien — damit beschäftigt. Statt dafür einzutreten, daß die unmittelbar in Ost- und Westeuropa stationierten atomaren Waffen, die Kurzstreckenwaffen und die Gefechtsfeldwaffen, abgebaut werden — bisher wurde noch nie darüber verhandelt —, betreiben Sie immer weitere und kostspieligere Gegenrüstung. Statt dafür einzutreten, daß die europäischen Atommächte Großbritannien und Frankreich eine aktive Rolle bei den Rüstungskontrollverhandlungen übernehmen, raten Sie diesen auch noch davon ab. Statt sich dafür einzusetzen, daß endlich auch taktische Atomwaffen in die Verhandlungen einbezogen werden, betätigen Sie sich als Kopfnicker gegenüber Verhandlungsansätzen, die dieses wiederum nicht vorsehen. Statt zu Ihren eigenen Bedenken und Kriterien etwa bei SDI zu stehen, machen Sie immer weitere und erneute Ausflüchte und Beschönigungen.



Dr. Scheer
Meine Damen und Herren, die Atommächte Frankreich und Großbritannien erklären — um zu dem aktuellsten Punkt dieser Wochen zurückzukehren — seit Jahren, Sie seien bereit zu atomaren Abrüstungsverhandlungen aller fünf Atommächte, wenn die Supermächte zunächst einmal ihr Potential um 50 % reduzierten. Gegenüber unserem Vorschlag in den Entschließungsanträgen, daß sich die Bundesregierung für Verhandlungen aller fünf Atommächte einsetzen möge, haben die Vertreter der Regierungsfraktionen eingeräumt, daß dies unrealistisch sei wegen der französischen und chinesischen Weigerung, vor einem drastischen Abbau der Atompotentiale der Supermächte selbst zu gemeinsamen Abrüstungsbemühungen zusammenzutreffen. Jetzt bietet sich aber vielleicht die Chance zu einem solchen drastischen Abbau, die Chance also zur baldigen Realisierbarkeit einer atomaren Abrüstungskonferenz der fünf Mächte. Jetzt müßte doch also die Bundesregierung und müßten die Regierungsfraktionen unter Berufung auch und nicht zuletzt auf die Verlautbarungen der französischen und der chinesischen Regierung und gemeinsam mit diesen die Gelegenheit ergreifen, sich zu einer solchen internationalen Initiative zusammenzuschließen, sich ihr anzuschließen und gemeinsam die politischen Forderungen zu artikulieren. Aber was wird getan?

(Zuruf von der SPD: Nichts!)

Das Festhalten am SDI-Projekt und an allem, was man sich davon erhofft, steht offenbar vor diesen Möglichkeiten.
Das heißt: Die — vielleicht erste — Möglichkeit eines umfassenden Schrittes zur atomaren Abrüstung wird, wenn es so bleibt, wie es sich in den letzten Tagen zeigt, auch von der Bundesregierung mit verspielt. Wir werden deshalb — da kommen Sie nicht umhin — den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland die abrüstungspolitische Untätigkeit der Bundesregierung, die immer gefährlichere Ausmaße annimmt, verdeutlichen.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016211100
Das Wort hat der Herr Staatsminister Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1016211200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen drei Jahren seit die Koalition aus CDU/CSU und FDP die Regierung hier in Bonn stellt, sind sicherheitspolitische Fragen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß Gegenstand parlamentarischer Erörterungen gewesen. Die Bundesregierung hat sich dieser sicherheitspolitischen Diskussion in diesem Haus gestellt und sieht darin eine willkommene Gelegenheit, ihre Sicherheitspolitik auch der Öffentlichkeit näherzubringen. Deswegen, Herr Kollege Voigt, ist es nicht vernünftig, wenn Sie hier sagen, es gebe auf diesem Gebiet bei wem auch immer eine Denkfaulheit. Die Tatsache, die ich erwähnte, widerlegt das. Wir unterhalten uns hier im Dialog zwischen Regierung und Parlament ja sehr kritisch und sehr regelmäßig über dieses Thema.
Ich glaube auch, daß die aktuelle Präsenz hier im Saal zeigt, daß selbst unsere eigenen Kollegen anfangen, von den Klischees gelangweilt zu werden, mit denen hier gelegentlich gearbeitet wird. Das ist wirklich wahr. Wenn ich mir die Beiträge anhöre, so geht das mit einem Rollenspiel vor sich, das mit der Sache kaum noch etwas zu tun hat.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Dann ändern Sie doch mal was!)

Ich möchte eigentlich anraten, daß wir versuchen, uns auf die Sache zu konzentrieren. Mein Beitrag soll so angelegt sein.

(Mann [GRÜNE]: Haben Sie Frau Borgmann eigentlich zugehört?)

— Das habe ich sehr genau getan. Ich komme auch auf einige ihrer Bemerkungen zurück, und zwar auf ihre sachlichen Positionen. — Das einzige, was ich — offengestanden — an den letzten Minuten interessant fand, war der Disput zwischen Herrn Scheer und Herrn Schily. So ist das eben, Herr Schily, wenn man ein Ministeramt vom sozialdemokratischen Spitzenkandidaten angeboten bekommt, unter der „kleinen" Bedingung, daß man vorher seine Partei verläßt. Dann muß man demnächst wahrscheinlich auch solche Botmäßigkeiten zeigen. Das, was an Stillosigkeit in dieser wechselseitigen Anbiederei hier praktiziert wird, ist schon erstaunlich.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte gibt erneut Gelegenheit, in kurzen Zügen einige wichtige Teile dieser Politik zu umreißen. Die uns vorliegenden Beschlußempfehlungen und Anträge betreffen die Abrüstung und Rüstungskontrolle im umfassenden Sinne sowie nukleare Mittelstreckensysteme und chemische Waffen im besonderen.
Lassen Sie mich mit der Mittelstreckenproblematik beginnen. Die Position der Bundesregierung in dieser Frage gilt unverändert fort. Wir halten an der konsequenten Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses fest, des NATO-Doppelbeschlusses, Herr Kollege Voigt, den wir j a seinerzeit gemeinsam getroffen, herbeigeführt haben und der gemeint war als ein neuer Ansatz rüstungskontrollpolitischer Art, nämlich für eine befristete Zeit einseitig die Vorleistung des Verzichts auf eine bestimmte Rüstungskategorie zu erbringen, verbunden mit dem Angebot, in dieser Zeit durch Verhandlungen die Notwendigkeit der Aufstellung von Systemen überflüssig zu machen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Dann wurde nicht richtig, nicht vernünftig verhandelt!)

Das geschah dann allerdings deswegen nicht, weil die Sowjetunion die Aufstellung ihrer SS-20-Raketen nicht nur nicht zurücknahm, sondern zusätzliche Systeme aufstellte. Der Deutsche Bundestag hat seine Billigung der Haltung der Bundesregierung in der Frage der Mittelstreckenwaffen ausgesprochen.
Zur Berücksichtigung der britischen und französischen Nuklearstreitkräfte im Rüstungskontrollzusammenhang ist die Haltung der britischen und französischen Regierung wie die der Bundesregie-



Staatsminister Möllemann
rung, des Bündnisses bekannt. Herr Kollege Scheer, ich glaube, ich entsinne mich noch ziemlich genau, daß Sie hier auch gesessen haben, als François Mitterrand von diesem Platz aus die Haltung der französischen Regierung darstellte. Ich entsinne mich auch, daß er damals wie heute als Sozialist galt und gilt. Warum glauben Sie eigentlich, diese Bundesregierung belehren zu müssen? Versuchen Sie doch, Ihre Überzeugungsarbeit in der Sozialistischen Internationale zu leisten, und machen Sie uns keine Vorwürfe. Wo haben denn entsprechende Anträge der Bundeskanzler Brandt und Schmidt, daß sich die Franzosen so verhalten sollten, im NATO-Bündnis ihren Niederschlag gefunden? Man kann das nicht so machen, daß man, wenn man in der Regierung ist, der eine Sozialdemokrat ist, dann aber, wenn man nicht mehr darin ist, ein anderer Sozialdemokrat. Das überzeugt mich nun wirklich nicht!

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Für unsere Sicherheit und die der anderen nichtnuklearen Allianzpartner ist die nukleare Abschreckung der USA gegenüber der Bedrohung durch eine konventionell wie nuklear hochgerüstete Militärmacht unentbehrlich. Die amerikanischen wie die französischen und die britischen Nuklearwaffen erfüllen vorrangig eine politische Funktion, nämlich die der Kriegsverhinderung. Diese politische Funktion war auch in der Phase unserer gemeinsamen Regierungsverantwortung unbestritten, und Ihr heutiger Fraktionsvorsitzender, der j a Mitglied des Kabinetts war, hätte dort jederzeit Anträge einbringen können, daß sich die Bundesregierung entsprechend einlassen solle. Das ist nicht geschehen. Ich frage mich: Warum hat er das nicht gemacht? Die Lage war damals die gleiche, die Prämissen waren die gleichen; die Situation ist unverändert.
Nun soll zunächst der Punkt erwähnt werden, den Sie, Frau Borgmann, in diesem Zusammenhang hier angesprochen haben. Sie sagten, Sie stellten sich eine positivere Reaktion der Bundesregierung auf die Initiative mehrerer Länder zu einer nuklearen Abrüstung als wünschenswert vor. Sie haben diese Staaten genannt und haben dann selbst eine leichte Kritik an dem Verhalten der Staaten in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich — Sie nannten Indien — angebracht.
Ich will das so nicht aufnehmen, aber folgendes dazu sagen: Es fällt doch auf, daß wir auf seiten der westlichen Allianz gelegentlich solche Empfehlungen aus Regionen erhalten, in denen der Frieden mitnichten sicherer ist als bei uns. Wir können uns nicht etwa dagegen verwahren — und wollen das auch nicht —, daß wir entsprechende Empfehlungen bekommen — man muß sie kritisch diskutieren —, aber ich glaube nicht, daß die Bundesregierung Grund hat, aus diesen Empfehlungen eine neue Strategie abzuleiten.
Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß wir in Zentraleuropa seit 40 Jahren eben keinen Krieg haben, dürfte ja wohl nicht zuletzt auch auf das bestehende militärpolitische Konzept zurückzuführen sein, und die Tatsache, daß in der gleichen Zeit besonders in solchen Regionen, aus denen uns solche Empfehlungen erreichen, eine Vielzahl von Kriegen geführt worden ist, daß also die Kriegsverhinderung dort nicht funktioniert hat, macht solche Vorschläge nicht eben mitreißender und kann uns nicht dazu bewegen, unsere Position in dieser Frage zu ändern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016211300
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheer?
Möllemann, Staatsminister: Bitte.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016211400
Herr Staatsminister, da wir hier im Bundestag und nicht in Münchhausens Märchenstunde sind: Könnten Sie sich noch einmal darauf besinnen, daß ich eben die Möglichkeit und die Notwendigkeit hervorgehoben habe, daß man seitens der Bundesregierung auf die immer vorhandenen französischen und auch chinesischen Positionen eingeht, an Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen, wenn die Supermächte um 50% reduzieren? Dies ist ein Sachverhalt, der nie anderes war und von uns nie anderes gesehen wurde, für den sich jetzt aber vielleicht erstmals die Chance der Realisierung bieten würde, wenn Sie mitmachen.
Möllemann, Staatsminister: Auf diesen Punkt, in dem Sie jetzt etwas differenzierter darstellen, unter welchen Bedingungen Sie sich eine Beteiligung der französischen Partner an den Verhandlungen vorstellen, komme ich gleich zu sprechen.
Die politische Funktion der Nuklearwaffen wird mit der Umstrukturierung des Nuklearpotentials der NATO auf Grund der Verwirklichung des Doppelbeschlusses und des Montebello-Beschlusses noch unterstrichen, denn die darin enthaltenen Reduzierungsentscheidungen, die das Nuklearpotential der NATO in Europa auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren führen, bewirken bei deutlichem Abbau von Gefechtsfeldwaffen einen Trend zu weiterreichenden Systemen.
Auch hier, meine verehrten Kollegen von der SPD, muß man doch klarstellen, daß Ihre Behauptung, der Bundeskanzler und die Bundesregierung setzten sich nicht für die Umsetzung der Ankündigung, Frieden mit immer weniger Waffen zu schaffen, ein, auf diesem Felde keine Entsprechung findet. Von 7000 nuklearen Sprengköpfen in Europa werden wir bis Ende 1988 angesichts der Reduzierungsbeschlüsse auf 4600 kommen. Es ist nicht richtig, wenn Sie dann sagen, es kämen mehr Nuklearwaffen hierher. Wir können darüber streiten, ob das nicht immer noch zu viele sind, aber die schlichte Aussage, die Politik dieser Regierung führe nicht zu weniger Waffen, die Regierung bemühe sich nicht darum, und es kämen im Gegenteil mehr Waffen hierher, ist falsch, und Sie sollten sie künftig unterlassen.
Zu chemischen Waffen hat sich die Bundesregierung wiederholt gegenüber dem Parlament geäußert. Ich erinnere nur an die Antworten auf drei



Staatsminister Möllemann
Große Anfragen aus dem Jahre 1983 oder an die Behandlung der Petition Steinkamp vor etwa einem Jahr. Die bei diesen Gelegenheiten dargestellte Position der Bundesregierung, die übrigens in der Kontinuität der vorherigen Bundesregierungen steht, gilt unverändert fort. Lassen Sie mich einige zentrale Punkte herausgreifen.
Solange die Bedrohung mit chemischen Waffen durch den Warschauer Pakt fortbesteht, hält es das Bündnis für unerläßlich — wie übrigens die frühere Bundesregierung auch —, im NATO-Bereich eine im Umfang begrenzte Repressalienkapazität aufrechtzuerhalten, um einen Aggressor von einem völkerrechtswidrigen Einsatz chemischer Waffen abzuhalten.
Es läßt sich übrigens in Bundestagsdrucksachen wortgleich eine Antwort nachlesen, die der seinerzeitige Parlamentarische Staatssekretär von Bülow dem Deutschen Bundestag gegeben hat. Ich fände es gut, wenn Herr von Bülow an dieser sicherheitspolitischen Debatte teilnähme und diesen interessanten Sinneswandel einmal erläutern könnte.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Der hat Gedächtnisschwund!)

Innerhalb dieses Bündnisses verfügen nur die USA über einen begrenzten Bestand an chemischen Waffen. Die Bundesregierung, die schon 1954 einen Verzicht auf A-, B- und C-Waffen ausgesprochen hat und an diesem Verzicht auch festhält, hält es angesichts der Bedrohung durch den Warschauer Pakt für dringend erforderlich, die Bemühungen um ein weltweites, umfassendes und verläßlich verifizierbares Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von chemischen Waffen fortzusetzen und zu intensivieren.
Die Vereinigten Staaten haben im Gegensatz zur Sowjetunion vor 16 Jahren die weitere Produktion chemischer Kampfstoffe eingestellt. Die Hoffnung, dadurch den Abschluß einer umfassenden Verbotskonvention für chemische Waffen zu fördern, hat sich trotz jahrelanger Verhandlungen nicht erfüllt.
Vielleicht darf ich, wenn es auch etwas ungewöhnlich ist, den nächsten sozialdemokratischen Redner, der hier sprechen wird, einmal bitten, uns in diesem Zusammenhang die Auffassung der SPD darzustellen — wir wären daran sehr interessiert —, weshalb nach Meinung der SPD während des 16jährigen Moratoriums der USA im Bereich der chemischen Waffen die Sowjetunion ein beispielloses Programm zur Anschaffung chemischer Kampfstoffe durchgeführt und ihre Streitkräfte mit Spezialeinheiten ausgestattet hat, die in der Lage sind, mit chemischen Kampfstoffen zu kämpfen.
Man muß sich mit dieser Frage auseinandersetzen,

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Natürlich!)

wenn man — wie Frau Borgmann — sagt, nötig seien einseitige Schritte. Wir können uns darüber streiten, welche einseitigen Schritte zureichend sind. Aber ein 16jähriger Verzicht auf die Produktion chemischer Kampfstoffe ist doch ein einseitiger Schritt.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Von unserem Land her!)

— Wir sind nun einmal Bündnispartner. Bei anderer Gelegenheit sprechen Sie sehr wohl von der amerikanischen Regierung. Sie sprechen ja auch im Bereich der chemischen Kampfstoffe davon.
Die Frage, meine Damen und Herren, ist: Welchen Sinn macht eine einseitige Vorleistung, dargestellt am Beispiel der chemischen Kampfstoffe,

(Ströbele [GRÜNE]: Und welchen Sinn hat es, das Zeug hier zu lagern?)

wenn wir von seiten der westlichen Staatengemeinschaft für 16 Jahre auf die Produktion solcher Kampfstoffe verzichten und dieses von der anderen Seite „honoriert" wird mit der Produktion gigantischer Kampfstoffmengen in demselben Bereich und mit der Aufstellung und Ausbildung von Spezialeinheiten, die mit diesen Kampfstoffen im Bereich des Warschauer Pakts umgehen können? Sie müssen diese Frage beantworten, weil es doch keinen Sinn macht, solche Vorschläge zu unterbreiten, wenn diese immer so ausgehen.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Wex [CDU/CSU] — Ströbele [GRÜNE]: Sie reden ja nicht mit denen! — Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

Eine Entscheidung zur Aufnahme der Produktion binärer Kampfstoffe in den USA steht bisher aus. Der US-Kongreß hat seine abschließende Zustimmung noch nicht gegeben. Vertreter der Administration haben zuletzt erst gegenüber einer Delegation des Verteidigungsausschusses erklärt, daß keine Absicht besteht, binäre Waffen außerhalb der USA zu stationieren.
Unsere Haltung in dieser Frage bedarf keiner vorbeugenden Verpflichtung, wie sie uns aus Teilen der Opposition empfohlen wird. Die Bundesregierung läßt sich durch solche Scheingefechte nicht darin beirren, daß höchste Priorität den Bemühungen um ein weltweites, umfassendes und verläßlich kontrollierbares Verbot chemischer Waffen gilt. Dieses in Genf angestrebte Ziel — ich fand, daß der Kollege Feldmann das in seiner sachlichen Begründung sehr einleuchtend dargestellt hat — sollte nicht durch Teillösungen unterlaufen werden, die insbesondere in der zentralen Überprüfungsfrage hinter den Verhandlungsstand von Genf zurückfallen.
Dies bestimmt nach sorgfältiger Prüfung auch unsere Antwort auf die Schreiben von Herrn Honecker und Herrn Strougal. Wir schlagen vor, daß unsere Delegationen im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz Gespräche aufnehmen, welche die noch offenen Fragen eines Abkommens über ein weltweites Verbot zum Gegenstand haben. Indem wir uns gemeinsam für die Lösung dieser zentralen Problematik einsetzen — und nur so —, können unsere Regierungen einen wertvollen Beitrag zur Förderung der laufenden Genfer Verhandlungen leisten.



Staatsminister Möllemann
Noch einige Bemerkungen zu den umfassenden sicherheits- und rüstungskontrollpolitischen Anträgen. Wir haben zu diesen vor den Fachausschüssen Stellung genommen; ich möchte folgende Punkte hervorheben.
Erstens. Die Bundesregierung unterstützt uneingeschränkt und nachdrücklich die am 8. Januar 1985 zwischen den USA und der UdSSR vereinbarten Ziele der Genfer Verhandlungen. Es geht darum, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde zu beenden. Es geht um wirksame Übereinkünfte, die Nuklearwaffen strategischer und mittlerer Reichweite zu begrenzen und zu verringern. Es geht also um die Festigung der strategischen Stabilität. Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn sich die Verhandlungsparteien unter Berücksichtigung der legitimen gegenseitigen Sicherheitsinteressen ernsthaft und flexibel um kooperative Lösungen bemühen. Es muß also ohne Vorbedingungen verhandelt werden. Alle in Genf zu behandelnden Fragen müssen in ihrem wechselseitigen Zusammenhang erwogen und gelöst werden. Drastische, zuverlässig überprüfbare Reduzierungen der nuklearen Offensivpotentiale werden zwangsläufig die Notwendigkeit und den Umfang neuartiger, bisher nicht existierender Defensivsysteme beeinflussen. Und seien Sie getrost: Der Beschluß des Bundessicherheitsrates in diesem Zusammenhang gilt unverändert in allen seinen Punkten fort.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Weiß das auch der Bundeskanzler?)

Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß angesichts der vielschichtigen und komplizierten Verhandlungsmaterie Ergebnisse ihre Zeit brauchen. Sie hat es daher wie unsere amerikanischen Partner begrüßt, daß es nunmehr einen konkreten sowjetischen Reduzierungsvorschlag gibt. Man muß nun abwarten, wie dieser Vorschlag im einzelnen aussieht, wenn er in Genf am Verhandlungstisch dargelegt und analysiert wird.
Der gegenwärtigen dritten Verhandlungsrunde kommt auch im Hinblick auf das Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung hofft, daß es auf der Grundlage der vorliegenden Vorschläge möglich sein wird, die beiderseitigen Positionen einander anzunähern.
Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, daß die europäischen Interessen bei den amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen voll berücksichtigt werden. Wir werden die bewährten Konsultationsmechanismen des Bündnisses nutzen, um aktiv auf die Verhandlungen Einfluß zu nehmen. Die Bundesregierung wird insbesondere alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Mittelstreckenproblematik einer befriedigenden Lösung zuzuführen.
Neben den Bündniskonsultationen bieten die kontinuierlichen bilateralen Konsultationen mit der amerikanischen Regierung Gelegenheit, diesen Standpunkt darzulegen, und dies wird auch in allernächster Zeit erneut geschehen.
Zweitens. Bei aller fundamentalen Bedeutung der nuklearen Rüstungskontrolle dürfen wir in den Bemühungen um Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung im konventionellen Bereich nicht nachlassen. Daher bleiben für uns die multilateralen Verhandlungsforen ein unverzichtbarer Teil des Rüstungskontrollprozesses. Bei der Konferenz in Stockholm wollen wir mehr Vertrauen durch mehr Offenheit und damit mehr Berechenbarkeit schaffen. Offenheit und Transparenz dürfen nicht die Vorleistung einer Seite bleiben. Wir erbringen diese Offenheit und Transparenz. Getreu dem Mandat der Stockholmer Konferenz wollen wir konkrete vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen vereinbaren, die in ganz Europa anzuwenden sind. Wir sind bereit, im Zusammenhang mit solchen Maßnahmen, die bestehendes Gewaltverbot konkretisieren, auch den Gewaltverzicht erneut feierlich zu bekräftigen. Dieser muß allerdings überall und gegenüber jedermann gelten. Die Bundesregierung ist entschlossen, konstruktiv daran mitzuarbeiten, daß vor Beginn der Wiener KSZE-Folgekonferenz ein substantielles Verhandlungsergebnis erzielt werden kann.
Drittens. Bei den Wiener MBFR-Verhandlungen ist es unser Ziel, durch beiderseitige Truppenreduzierungen und begleitende Maßnahmen ein paritätisches Kräfteverhältnis bei konventionellen Streitkräften in Mitteleuropa herzustellen. Herstellung von Personalparität erfordert jedoch unterschiedlich tiefe Einschnitte in die Streitkräfte beider Seiten. Ein solches Abkommen ist deshalb nur zu verantworten, wenn seine Einhaltung durch wirksame Kontrollen gewährleistet ist. Hier liegt eine der größten Schwierigkeiten mit dem Osten. Wir wollen im Bündnis Vorschläge erarbeiten, die konstruktive Lösungsansätze bieten. Auch in der Frage der Datenklärung sind wir vor einem wichtigen Abschnitt.
Viertens. Es ist zu begrüßen, daß die Dritte Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die am 20. September in Genf zu Ende ging, entgegen manchen skeptischen Erwartungen — auch hier im Hause — und im Gegensatz zur Zweiten Überprüfungskonferenz ein substantielles Schlußdokument vorlegen konnte, das den Willen der Teilnehmerstaaten zum Ausdruck bringt, den Nichtverbreitungsvertrag als wichtiges Element der Rüstungskontrolle und der internationalen Sicherheit sowie als gute Grundlage für die friedliche Nutzung der Kernenergie und der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu erhalten und zu stärken. Wir haben zu diesem Ergebnis beigetragen.
Ich möchte betonen, daß die Bundesregierung dem Ziel eines umfassenden und überprüfbaren Atomteststopps nach wie vor große Bedeutung beimißt. Deswegen arbeiten wir an der Lösung des Verifikationsproblems mit. Ich konnte Ihnen ja vor einigen Tagen, in der vergangenen Woche, darstellen, daß wir dazu einen praktikablen Vorschlag mit einem Netzwerk seismologischer Stationen eingebracht haben. Ich hoffe, daß dieser Vorschlag Zustimmung findet.



Staatsminister Möllemann
Das von der Sowjetunion am 6. August einseitig erklärte Testmoratorium sieht keinen Überwachungsmechanismus vor und führt daher der Lösung dieser Frage nicht näher. Wir haben jedoch mit Interesse nachträgliche sowjetische Äußerungen vermerkt, daß für einen umfassenden Teststopp geeignete nationale und internationale Kontrollmaßnahmen notwendig seien.
Zum Schluß noch eine Bemerkung, Herr Präsident, meine Damen und Herren, zu der Aussage, die offenkundig wohl nicht nur als roter Faden die Debattenbeiträge der Opposition im Parlament künftig durchziehen, sondern auch eine der Hauptlinien der Auseinandersetzung im Wahlkampf der Jahre 1986/1987 sein soll. Ich glaube, Herr Kollege Voigt und Herr Kollege Scheer, es ist nicht sehr redlich, wenn Sie versuchen, diese Regierungskoalition als eine zu bezeichnen, die an Rüstungskontrollpolitik und Abrüstung kein Interesse habe, sondern im Gegenteil, irgendwie mit finsterer Entschlossenheit die Ausgaben für die Verteidigung drastisch heraufsetzen und aufrüsten wolle. Ich habe mir gerade noch einmal die Anteile des Verteidigungshaushaltes am Bundeshaushalt in den Phasen der verschiedenen Regierungen geben lassen. Das ist interessant. Da findet man, daß die Steigerungsraten am ausgeprägtesten unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern waren. Die umfangreichsten Rüstungsbeschaffungsprogramme datieren aus dieser Zeit. Ich kritisiere das nicht, weil sie in dieser Phase auch notwendig waren. Aus einer solchen eigenen, ja doch sehr kurz zurückliegenden Vergangenheit heraus eignet man sich dann eigentlich nicht, mit dem moralischen Zeigefinger herumzulaufen und zu erklären, diese Regierung habe offenbar einen fundamentalen Wandel vollzogen. Ich glaube, es ist dienlich, wenn Sie gelegentlich daran denken, daß das, was wir heute als Politik betreiben, von Leuten wie Hans Apel, Georg Leber und Helmut Schmidt nicht anders betrieben worden ist.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ist das die Empfehlung für einen neuen Verteidigungsminister?)

Bei Geburtstagsfeiern für diese Kollegen drücken Sie ihnen immer Ihre große Wertschätzung aus. Sie sollten sich dann hier von ihrer Politik nicht so kraß distanzieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016211500
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016211600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Staatsminister Möllemann hat gerade etwas schon oft Gehörtes wiederholt, nämlich mit einem kleinen Trick versucht, der Öffentlichkeit darzustellen, es gebe Abrüstungserfolge in den letzten Jahren. Natürlich wissen wir, daß die Zahl der Gefechtsköpfe verringert worden ist. Aber Herr Möllemann, wenn Sie darüber sprechen, müssen Sie auch darüber reden, daß sich in den letzten Jahren die Struktur und die Qualität der auf deutschem Boden stationierten Atomwaffen dramatisch verändert, und zwar leider vergrößert haben. Wenn Sie die Kampfkraft und die Wirkungen der auf deutschem Boden jetzt stationierten Atomwaffen mit der vor einigen Jahren vergleichen, dann ist das eine Steigerung und eben nicht eine Reduzierung. Einfach Zahlen gegenüberzustellen und zu sagen: so und so viele tausend sind bloß noch da, wäre so, als würden Sie es als einen Abrüstungserfolg darstellen, wenn man ein paar tausend Pistolen abschafft und dafür ein paar hundert Maschinengewehre anschafft. Die Kampfkraft ist dann jedenfalls größer.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will gerne Ihren Wunsch erfüllen, Herr Staatsminister, noch einmal etwas zu unserer Position bezüglich der chemischen Waffen zu sagen, obwohl ich nicht ganz verstanden habe, was eigentlich daran zu kritisieren ist, wenn wir beiderseitige Abrüstung auf diesem Gebiet verlangen. Kein Mensch hier bestreitet ja die Tatsache, daß die Sowjetunion auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe Anstrengungen unternommen hat. Kein Mensch bestreitet j a, daß die Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion weit über das hinausgehen, was sie zu ihrer Verteidigung wirklich brauchen würde. Aber das kann uns doch nicht zu dem Schluß verleiten: Nun sehen wir einfach zu und lassen es so, wie es ist. Die Konsequenz daraus kann doch nur sein, daß wir uns mehr Mühe geben als vielleicht in der Vergangenheit, auf beiden Seiten dafür zu sorgen, daß diese Waffen weder produziert noch jemals eingesetzt werden. Das ist unsere Position.
Lassen Sie mich noch auf etwas hinweisen. Dem einen oder anderen wird vielleicht noch erinnerlich sein, daß am 25. März 1982 das Haus hier einstimmig einen Antrag der Abgeordneten Dr. Kohl, Dr. Zimmermann und Fraktion verabschiedet hat, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, jährlich, und zwar im zweiten Quartal, einen Bericht über den Stand der Abrüstungsbemühungen vorzulegen. Dieser Bericht ist auch drei Jahre lang fristgemäß im zweiten Quartal vorgelegt worden. Jetzt sind wir bereits im vierten Quartal 1985. Der Abrüstungsbericht 1985 liegt immer noch nicht vor. Und erlauben Sie uns die Frage: Was kann der Grund sein? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Beamten des Auswärtigen Amtes es nicht geschafft haben, rechtzeitig einen Entwurf vorzulegen. Es muß ja vielmehr wohl so sein, daß hier tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über die Fakten und über die Bewertung vorliegen, die dieser Bericht enthält, Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung, so wie sie sich gerade in den letzten 24 Stunden in einer für den Beobachter erstaunlichen Art und Weise, was Wortwahl und Stil angeht, in bezug auf SDI dargestellt haben. Der Kollege Bahr als Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle hat die Bundesregierung am 23. August gebeten, ihn wissen zu lassen, wann mit der Vorlage des Jahresabrüstungsberichts zu rechnen ist und wie das erstmalige Abweichen vom Vorlagetermin begründet werden kann. Er hat darauf bis heute keine Antwort bekommen. Ich denke, es



Verheugen
sollte ein gemeinsames Anliegen aller Fraktionen sein, hier klarzustellen, daß politische Differenzen, schwerwiegende Differenzen innerhalb der Regierung nicht dazu führen dürfen, daß die Rechte des Parlaments geschmälert werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben uns j a etwas dabei gedacht, als wir diesen Bericht im zweiten Quartal haben wollten.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Stockholmer Konferenz, die hier auch schon angesprochen worden ist, müssen wir uns mit der Frage der Vertrauensbildung in Europa beschäftigen. Kollege Scheer hatte noch einmal darauf hingewiesen, daß es uns darum geht, einen neuen Impuls für Entspannungspolitik zu geben. Es ist j a wohl klar, daß ein grundlegendes Ziel der Entspannungspolitik darin besteht, die politischen Voraussetzungen zur Unterbrechung der Rüstungsspirale zu schaffen. Und das Instrument, das wir dabei brauchen, heißt Vertrauensbildung. Ich mache mir überhaupt keine Illusionen. Ich weiß, was die bisherigen Vereinbarungen über vertrauensbildende Maßnahmen erreicht haben und was sie nicht erreicht haben. Ich weiß zum Beispiel auch, daß wir es nicht geschafft haben, die traumatische Geheimniskrämerei der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Fragen der Militärstrategie und ihrer praktischen Umsetzung zu überwinden. Wir wissen auch, daß die vertrauensbildenden Maßnahmen bisher nicht dazu geführt haben, daß der offensive Charakter der sowjetischen Strategie verändert wird.
Dies vorausgeschickt, sind wir dennoch der Meinung, daß wir die Suche nach praktischer Vertrauensbildung nicht aufgeben sollten, sondern mit Phantasie versuchen sollten, weitere Möglichkeiten zu finden. Ich will nur ein einziges Beispiel nennen. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, hat vor wenigen Tagen hier in Bonn in bezug auf die Stockholmer Konferenz vorgeschlagen, als eine vertrauensbildende Maßnahme in Europa doch auf dieser Konferenz einen Appell zur Ratifizierung der Protokolle zu dem Genfer Rot-Kreuz-Abkommen zu machen. Wir haben ja über diese Protokolle schon mehrfach gesprochen. Wir unterstützen diesen Appell. Ich denke, Stockholm ist auch der geeignete Ort, über einen solchen Schritt zu reden. Es gibt hier eine Neigung, den Schutz des Völkerrechts unter den Bedingungen des Nuklearzeitalters für illusionär zu halten, wie das in aller Offenheit die amerikanische Regierung einmal ausgedrückt hat. Ich meine aber, die Frage ist, ob völkerrechtliche Regelungen dazu beitragen können, daß es zur Katastrophe des Nuklearkriegs überhaupt nicht kommt. Nach unserer Überzeugung bieten die Genfer Protokolle eine solche Chance. Wenn man sie ernst nimmt, fallen eben bestimmte gefährliche Optionen des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen weg. Und das müßte konkrete Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie man auf beiden Seiten den Verteidigungsfall vorbereitet.
Einer der Anträge befaßt sich mit der Abrüstungsinitiative von sechs Staats- und Regierungschefs aus vier Kontinenten — Indien, Mexiko,
Schweden, Tansania, Argentinien und Griechenland. Wir halten das für einen konstruktiven und wichtigen Beitrag und meinen, daß er eine positive Reaktion seitens der Bundesregierung, seitens der Europäischen Gemeinschaft und seitens der NATO verdient hätte. Diese Reaktion ist ausgeblieben. Die Bundesregierung hat durch ihren Botschafter beim Genfer Abrüstungsausschuß an den Vorschlägen der Staats- und Regierungschefs herummäkeln lassen, obwohl es sich dabei ja nun wirklich nicht um revolutionäre oder utopische Ideen handelt. Vielmehr wird hier präzise und realistisch ein Weg beschrieben, der zu umfassenden Abrüstungsverhandlungen führen könnte. Was wird denn hier verlangt?
Erstens: Ein umfassender Stopp der Erprobung, der Produktion und des Einsatzes von Atomwaffen und deren Trägersystemen. Diese Forderung ist identisch mit der Forderung nach einem Einfrieren der Atomrüstungen auf dem gegenwärtigen Stand bis zu Abrüstungsvereinbarungen und mit der Forderung nach einem Moratorium für Kernwaffenversuche jeder Art.
Ich bitte, hier doch nun wirklich nicht so zu tun, als seien das Ideen und Forderungen, die von Moskau oder sonstwoher insinuiert wären. Vielmehr sind das Vorstellungen, die in vielen westlichen Parlamenten einschließlich des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika seit langem zu Hause sind und dort verlangt werden.
Zweitens wird ein Vertrag über ein umfassendes Testverbot für Atomwaffen verlangt. Ich habe gern das gehört, was Herr Möllemann eben dazu gesagt hat: daß die Bundesregierung nach wie vor den umfassenden Teststopp für wichtig hält. Wir unterstützen auch die Vorschläge, die hinsichtlich der Verifikation des umfassenden Teststopps gemacht worden sind.
Aber ich will mal ganz ehrlich und ungeschützt — als meinen Eindruck vom bisherigen Gang der Verhandlungen bzw. Nicht-Verhandlungen — sagen: ich kann nicht daran glauben, daß nur technische Probleme der Verifikation den Vertragsabschluß bisher verhindert haben. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, daß im Zuge der Modernisierung und Miniaturisierung von Atomwaffen eben doch noch ein Bedarf an Tests besteht — die Franzosen z. B. sind hier j a ganz ehrlich; wir haben das in der vorigen Woche debattiert — und daß man im Augenblick eben einen solchen Vertrag nicht gebrauchen kann. Aber wenn sich die Bundesregierung nach wie vor zum umfassenden Teststopp bekennt, stellt sich doch wohl wirklich die Frage, warum sie die Unterstützung ihrer Position, die sich aus der VierKontinente-Initiative leicht ablesen läßt, politisch überhaupt nicht verwertet hat.
Drittens: Die Staats- und Regierungschefs setzen sich für die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum ein. Sie fordern das Verbot der Entwicklung, Erprobung, Produktion, Stationierung und des Gebrauchs aller Weltraumwaffen. Sie weisen mit Recht darauf hin, daß die Weltraumrüstung schwerwiegende destabilisierende Folgen haben und auch eine Anzahl von Waffenbeschränkungs- und Abrü-



Verheugen
stungsabkommen gefährden würde. Damit ist wohl in erster Linie der ABM-Vertrag gemeint. Wir teilen diese Besorgnisse. Und das ist j a nun keine ganz neue Frage. Wenn man kein Wettrüsten im All will, dann braucht man auch kein WeltraumrüstungsProgramm zu erforschen, und am allerwenigsten braucht man eine deutsche Beteiligung an einem solchen Programm,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

das uns in neue, unvorstellbare Dimensionen der Rüstungsaufwendungen führen könnte.
Die Staats- und Regierungschefs machen in ihren Vorschlägen klar, daß Freeze, Moratorium und Verzicht auf Weltraumrüstung kein Selbstzweck sind, sondern zur vollständigen Eliminierung nuklearer Waffen führen sollen. Man sollte eine solche Formulierung nicht für übertrieben idealistisch halten. Wir dürfen uns nicht mit den Gefahren abfinden, denen wir durch die Überrüstung ausgesetzt sind. Und wir sollten als ein wohlhabendes Land sehr genau hinhören, wenn Repräsentanten großer Völker der Dritten Welt auf den Zusammenhang zwischen Rüstung und Unterentwicklung hinweisen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist doch der wirkliche Skandal, daß weltweit eineinhalb Millionen Dollar pro Minute für Rüstung ausgegeben werden, während gleichzeitig zwei Drittel der Weltbevölkerung in Armut oder Elend leben müssen.
Weil wir gerade diesen Gedanken der Vier-Kontinente-Initiative für so richtig und so wichtig halten, hatten wir die Bundesregierung aufgefordert, im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit eine europäische Abrüstungsinitiative zu ergreifen. Eine solche Antwort auf Abrüstungsvorschläge aus der Dritten Welt stünde Europa gut an.

(Mann [GRÜNE]: Sehr wahr!)

Warum sollte denn die Europäische Gemeinschaft, warum sollten die europäischen Allianzpartner ihr Gewicht nicht geltend machen, um den wieder in Gang gekommenen Abrüstungsdialog zu beeinflussen?
In unserem nur teilweise durch Zeitablauf überholten Antrag haben wir besonders auf die Notwendigkeit des beiderseitigen Einfrierens der Rüstung in Ost und West als Verhandlungseinstieg hingewiesen, und daran halten wir fest, weil wir nicht daran glauben können, daß Sie wirklich zur Rüstungsminderung kommen, solange immer noch aufgerüstet wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. Mann [GRÜNE])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016211700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.

Torsten Lange (GRÜNE):
Rede ID: ID1016211800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Minute alles in Kürze: Herr Kollege Möllemann, Sie hatten vorhin an die Adresse meiner Kollegin Frau Borgmann gesagt, was es denn für einen Sinn habe, 16 Jahre auf die Produktion chemischer Waffen zu verzichten, wenn die andere Seite in dieser Zeit massiv aufrüstet. Ich frage Sie: Was hat es für einen Sinn, wenn der Westen genau das gleiche tut? Herr Kollege Möllemann, die USA haben laut SIPRI-Jahrbuch 1985 zwischen 35 000 und 50 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe. Was wollen Sie eigentlich noch mehr? Ich frage Sie weiterhin: Was hat es denn für einen Sinn, mit diesen 35 000 bis 50 000 Tonnen auf einem künftigen Schlachtfeld in Mitteleuropa zu kämpfen? Verteidigen Sie uns um Himmels willen nicht mit diesem Zeug! Da haben wir eine ganz bescheidene Begründung: Wir können Ihnen nicht mehr dafür danken, wenn Sie uns damit verteidigen.
Zur zweiten Frage, zur Teltschik-Delegation. Ich weiß gar nicht, was die Kritik der SPD an diesem Herrn Teltschik eigentlich soll. Herr Teltschik ist doch ehrlich, er ist doch das Sprachrohr von Herrn Kohl, und Herr Kohl hat sich doch bereits seit April dieses Jahres für dieses Projekt entschieden.

(Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Wenn sich Herr Teltschik jetzt entscheidet, dann gibt er damit nichts anderes als die Aussage seines großen Herrn und Meisters wieder. Ich denke, Herr Kohl hat im April gesagt: SDI ist Chance und Risiko zugleich. Das Motto dieser Regierung heißt: Wir haben nun Chancen in Hülle und Fülle herausgefunden. Entscheiden wir uns jetzt mal dafür! Was mit dem Risiko um sich geht, das sehen wir dann später. Ich nenne das ein klassisches Muster einer verantwortungslosen Politik.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016211900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berger.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016212000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um noch einmal auf das Argument der chemischen Waffen einzugehen: Es ist soeben wieder der Eindruck erweckt worden, als wollte das westliche Bündnis, als wollten die Vereinigten Staaten von Amerika, als wollte etwa die Bundesregierung chemische Waffen, um hier damit zu kämpfen. Das Gegenteil ist richtig. Chemische Waffen sind geächtet, aber wir können an der Tatsache nicht vorbeisehen, daß die andere Seite, daß der Warschauer Pakt, daß die Sowjetunion diese Waffen gegen uns hortet.

(Ströbele [GRÜNE]: Und dann horten Sie auch?)

Wenn wir wollen, daß wir das, was das Genfer Abkommen zuläßt, nämlich eine Repressalie, anwenden könnten, um die andere Seite davon abzuhalten, solche Waffen gegen uns einzusetzen, dann müssen wir die dazu notwendigen Kapazitäten haben.

(Ströbele [GRÜNE]: Was machen Sie damit?)




Berger
Niemand will hierzulande mit chemischen Waffen kämpfen,

(Ströbele [GRÜNE]: Sondern?) das Gegenteil haben wir vertraglich erklärt.


(Ströbele [GRÜNE]: Wofür liegen die da rum?)

Daran sollten Sie zukünftig nicht mehr zweifeln.
Herr Kollege Verheugen, ich möchte Ihre Eingangsbemerkung aufgreifen, in der Sie davon sprachen, daß die Struktur und die Kampfkraft des Nachrüstungspotentials eine dramatische und gefährliche Veränderung des Gleichgewichts der Kräfte hier in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland bewirkt hätten. Herr Verheugen, wenn das wirklich heute Ihre Meinung ist, haben Sie sich weit von der Position entfernt, die Sie einmal als Generalsekretär Ihrer damaligen Partei vertreten haben. Sie üben damit Kritik am Herzstück sozialliberaler Sicherheitspolitik, und es stand für uns als damalige Opposition außer Zweifel, daß das, was Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher als Nachrüstungspotential konzipiert hatten, dem Gesetz der strategischen Defensive angepaßt war. Es ist schade, daß Sie diesen Weg gegangen sind; denn das macht die Sache nicht leichter.
Das macht deutlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß, wer wirklich Abrüstung will, sich der Konservativen bedienen muß, wer wirklich Abrüstung will sich der Christdemokraten bedienen muß. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben zwar in den Jahren, als Sie Regierungsverantwortung getragen haben, sehr viel in dieser Richtung gefordert. Sie haben auch sehr viel gesprochen.

(Ströbele [GRÜNE]: Und Sie?)

Ich möchte sogar sagen: Sie hatten eine ausgesprochene Abrüstungsrhetorik. Aber Sie müssen sich schon an den Ergebnissen dieser Zeit messen lassen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016212100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lange?

(Berger [CDU/CSU]: Wenn es nicht angerechnet wird!)

— Es wird nicht angerechnet. — Bitte sehr, Herr Lange!

Torsten Lange (GRÜNE):
Rede ID: ID1016212200
Herr Kollege Berger, würden Sie mir bitte in einem Punkt Aufklärung liefern: Die Androhung eines irrationalen Aktes, wie Fred C. Iklé sagt — es sind seine Worte —, ist doch nur dann glaubwürdig, wenn Sie zugleich signalisieren, daß Sie diese angedrohten Waffen auch einzusetzen bereit sind.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016212300
Ich akzeptiere zunächst einmal nicht die Charakterisierung dieser Repressalienkapazität — nämlich „irrational" —, die das westliche Bündnis heute hat, auch noch gemessen an der Tatsache der einseitigen Vorleistungen, die heute morgen hier sehr eindrucksvoll dargestellt worden sind, und an dem, was etwa unsere Bündnispartner, die Vereinigten Staaten, jetzt wollen: eine notwendige Modernisierung dieser Kapazitäten, damit sie als Repressalie auch noch wirkungsvoll sein können.

(Ströbele [GRÜNE]: Ach, Repressalie ist das? Das muß man festhalten!)

Ich akzeptiere es nicht, dies als irrational zu charakterisieren; ganz im Gegenteil: Wenn ich gegenüber einem mir einseitig drohenden Potential die notwendigen Vorkehrungen treffe, dann ist das rational.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal die Frage erörtern: Wohin hat denn die Abrüstungsrhetorik der SPD der 70er Jahre geführt — etwa zu weniger Kernwaffen, die uns bedrohen, etwa zu weniger Divisionen, die uns aus dem Stand heraus angreifen könnten, etwa zu weniger Feuerkraft an Panzern, Artillerie, Flugzeugen des Warschauer Paktes, die gegen die schmale Halbinsel Westeuropa in Marsch gesetzt werden könnten? Nein, Herr Verheugen! Die SPD hat über Abrüstung geredet. Sie haben dabei allerdings falsche Nachgiebigkeit und damit Schwäche signalisiert, die Moskau rücksichtslos ausgenutzt hat. Geerntet haben Sie das genaue Gegenteil von Abrüstung und Rüstungskontrolle, nämlich den Versuch einer Abkoppelung der westeuropäischen Sicherheit von jener der Vereinigten Staaten von Amerika, eine völlig neue Waffenkategorie, die Westeuropa allein und bewußt allein flächendeckend bedrohen sollte, und zwar die atomaren Mittelstreckenwaffen, und Stillstand in Wien seit 1974. Die neuen, heute gelobten Ansätze für Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen hat es erst während unserer Regierungsverantwortung gegeben. Das gilt für die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa ebenso wie für die jetzigen Verhandlungen in Genf: die bilateralen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion zur Verminderung des Rüstungswettlaufs auf der Erde und zur Vermeidung eines Rüstungswettlaufs im Weltraum.
Woher, meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie eigentlich die Stirn, sich zum Gralshüter einer erfolgreichen Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik aufzuspielen? Am Ende Ihrer Abrüstungseuphorie stand der Doppelbeschluß. Dann hatten Sie nicht die Nerven und auch nicht den Charakter, ihn überhaupt auszuführen. Das mußten wir tun. Dadurch gab es westlicherseits, wie Sie wohl zugeben müssen, den einseitigen Abzug von tausend Atomwaffen. Das haben Christdemokraten getan. Zusätzlich haben wir im Bündnis den Montebello-Beschluß durchgesetzt: noch einmal 1 400 Atomwaffen weniger.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sprengköpfe!)

— Sprengköpfe! Das haben Christdemokraten getan.
Heute wird in Genf wieder über weniger Waffen bei gesamtstrategischer Stabilität verhandelt. Das
12098 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Berger
ist ein großer Erfolg westlicher Festigkeit, nämlich der Regierung Reagan in den Vereinigten Staaten, der Regierung Kohl in der Bundesrepublik Deutschland, auf die alle europäischen Mitgliedstaaten der NATO schauen, bevor sie, wie jetzt etwa die Niederlande, ihrerseits die Folgen des Doppelbeschlusses auf sich zu nehmen bereit sind.
Das sind durchweg christdemokratische und konservative Regierungen. Ich sage noch einmal: Wer Abrüstung will, der muß sich der Konservativen bedienen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

Ihr Mißerfolg bei den Rüstungskontrollbemühungen ist letztlich darauf zurückzuführen, daß Sie die Voraussetzungen, die Ziele und die möglichen Wege der Rüstungskontrolle nicht richtig eingeschätzt haben und offensichtlich auch noch nicht einzuschätzen vermögen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Rüstungskontrolle ist die Verteidigungsfähigkeit und die Sicherheit aller an diesem Prozeß beteiligten Staaten. Das Ziel von Rüstungskontrolle ist mehr Sicherheit durch strategische Stabilität mit weniger Waffen und nicht etwa, wie es die Folge von einseitigen Vorleistungen normalerweise sein müßte, zumindest aber sein könnte, weniger Sicherheit.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016212400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016212500
Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016212600
Ich bitte aber, es kurz zu machen, weil wir nicht mehr in der Zeit sind.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016212700
Herr Kollege Berger, halten Sie es nicht für etwas merkwürdig, um einen ganz gelinden Begriff so benutzen, die abrüstungspolitischen Leistungen in derselben Zeit zu preisen, wo in den letzten fünf Jahren die weltweiten Rüstungsausgaben um 70 % gestiegen sind? Wo bleibt denn da der Erfolg?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016212800
Herr Kollege Scheer, mich erstaunt auch hier die geringe Seriosität dieser Frage; denn gerade vorher hat Kollege Möllemann darauf hingewiesen, daß diese Steigerung der Rüstungsausgaben weiß Gott nicht in der Bundesrepublik Deutschland und nicht etwa im freien Westen zu verzeichnen ist. Warum also halten Sie uns dies vor?

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Und in den USA?)

Nein, meine Damen und Herren, Rüstungskontrolle, von der ich sprechen möchte, ist damit Teil einer Politik, die auf Überwindung der Spannungsursachen mit dem Ziel einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung auf der Grundlage von Sicherheitsgarantien gerichtet ist. Rüstungskontrolle soll daher — und jetzt spreche ich von dem möglichen Weg — Rüstungsprozesse begrenzen. Es wird auch in Zukunft so sein, Kollege Voigt, daß wir in einem Zustand des Friedens bei fortgesetzter Rüstung und Rüstungsmodernisierung leben wollen und leben müssen. Es kommt also dann darauf an, daß man diese Rüstungsmodernisierung, diese Rüstungsprozesse begrenzt und gleichzeitig Modernisierungen und natürlich auch Verträge auch etwa dazu nutzt, bestehende Waffenpotentiale zu verringern, und schließlich, bei solchen Modernisierungsmaßnahmen darauf zu achten, daß an ihrem Ende weniger destabilisierende, sondern stabilisierende Systeme aufgebaut werden. Letztlich müssen wir dafür sorgen, daß dies alles auch noch so geschieht, daß Fehleinschätzungen nicht möglich sind. Hier berühren wir die Grenze zu dem, was wir vertrauensbildende Maßnahmen nennen.
Übrigens, meine sehr geehrten Damen und Herren: das alles wird keinen Erfolg haben, wenn nicht die strikte Einhaltung des Gewaltverzichtes der UN-Charta durch alle Staaten, die an dieser Rüstungskontrolle, an diesem Prozeß, teilnehmen, gewährleistet ist. Leider — und auch da braucht man j a nur einen Blick über den Zaun zu werfen — entspricht die Wirklichkeit noch nicht diesem hehren Prinzip. Deshalb müssen Transparenz und ausreichende Verifikation die Rüstungskontrolle erleichtern; sonst wird es sie nicht geben.
Ich möchte nun, wenn Sie gestatten, im letzten Teil meiner Ausführungen kurz auf die Anträge zu sprechen kommen, über die wir heute abzustimmen haben. Mit einem Satz nur zum Antrag der GRÜNEN: Was Sie hier vom Deutschen Bundestag verlangen, was er letztlich beschließen soll, um die Regierung in Pflicht zu nehmen, ist der Bruch bestehender Verträge. Wenn wir Ihrem Antrag stattgäben, würden wir damit in einem wesentlichen Punkt dem Deutschland-Vertrag und dem diesem Deutschland-Vertrag anhängenden Truppenstatut die Grundlage entziehen. Meine Damen und Herren, der Deutschland-Vertrag ist unsere Entrée in das gewesen, was wir westliche Sicherheitszone nennen. Der Deutschland-Vertrag legt alle unsere westlichen Partner z. B. auch auf unser höchstrangiges Ziel deutscher Politik — die Wiedervereinigung — fest. Wollen Sie im Ernst, daß wir dies aufkündigen? Wir werden diesem Antrag nicht entsprechen.
Einige wenige Bemerkungen zum Antrag der SPD. Herr Verheugen hat ihn in großen Teilen referiert. Sie fordern in einem Beitrag den beiderseitigen Stopp weiterer Stationierungen von atomaren Mittel- und Kurzstreckenraketen jetzt, also ein Moratorium. Herr Verheugen, mit anderen Worten: dieses Moratorium, das Sie jetzt verlangen, würde bedeuten, daß wir allein nachgerüstet hätten, würde — tendentiell jedenfalls — jene Singularisierung der Nachrüstung bedeuten, die Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher damals aus gutem Grund nicht gewollt haben. Wir können dem nicht zustimmen.
Im weiteren Teil sprechen Sie dann den Vorschlag des früheren kanadischen Ministerpräsidenten an, die fünf Atommächte jetzt zu einer Konferenz einzuladen. Vermutlich gehört das zu dem Teil, von dem Sie sagten, daß er ein bißchen überholt sei; aber gleichzeitig haben Sie die Bedeutung einer solchen Konferenz unterstrichen. Glauben Sie im
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12099
Berger
Ernst, daß dabei mehr herauskommen könnte als etwa bei dem, was sich in Genf so hoffnungsvoll abzeichnet? Glauben Sie das im Ernst, oder könnte das nicht umgekehrt den Genfer Prozeß behindern?
Schließlich fordern Sie eine Konferenz der NichtAtomwaffen-Staaten — unter deutscher Führung sozusagen —, als müßten wir deren Opposition gegen die Kernwaffenstaaten anführen. Meine Damen und Herren, es ist abenteuerlich, wenn Sie überlegen, daß wir eine solche Alternativkonferenz gegen unsere Bündnispartner Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika einberufen wollten.
Als letztes — auch das möchte ich kurz argumentativ aufgreifen —, fordern Sie, daß unverzüglich die Entwicklung und Erprobung von Hochenergiestrahlenwaffen oder Antisatellitenwaffen eingestellt werden und daß ein Vertrag über das Verbot solcher Antisatellitenwaffen mit der Sowjetunion angestrebt wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016212900
Herr Abgeordneter, das Fragebedürfnis ist unstillbar; aber ich kann jetzt wirklich nur noch Sekunden geben.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1016213000
Herr Kollege Berger, hielten Sie 1968 die Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten, die die damalige Bundesregierung betrieb und an die unser Vorschlag anknüpfte, auch für abenteuerlich?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016213100
Nein, aber das war in einer ganz anderen historischen Situation; insofern ist das völlig unvergleichbar.
Nun zum letzten Punkt, diesem ASAT-Vertrag, gegen den wir nichts einzuwenden hätten. Das wäre sicher ein Schritt zur Begrenzung weiterer Rüstung, der sinnvoll sein könnte; aber jetzt die Entwicklung, Erprobung und Forschung einzustellen, würde bedeuten, daß Sie der Sowjetunion den hier „errüsteten" Vorsprung für alle Zeiten garantieren wollen. Meine Damen und Herren, das ist Aktionismus zu Lasten der westlichen Sicherheit. Wir können das nicht mitmachen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte — übrigens ist das sicher keine Bewertung der Qualität; wir debattieren jetzt seit zwei Stunden über diese ernst zu nehmenden Fragen, und ich habe Verständnis dafür, daß die Kollegen irgendwann zur Abstimmung kommen wollen — jetzt auf unseren Antrag nicht mehr im einzelnen zu sprechen kommen, von dem ich allerdings glaube, daß er von hoher Qualität ist und deshalb Annahme verdient, weil er exakt die Prinzipien, von denen ich vorhin gesprochen habe, widerspiegelt.
Lassen Sie mich zum Schluß nur sagen: Rüstungskontrolle ist eine junge Politik. Sie erfordert Geduld, Wirklichkeitssinn und einen langen Atem. Wer sich selbst in Zugzwang bringt, erschwert den Erfolg und erleichtert ihn nicht. Wir wollen nicht Abrüstung um jeden Preis. Was wir wollen, ist Abrüstung mit Sicherheit, mit mehr Sicherheit für alle an diesem Prozeß beteiligten Staaten und damit
Abrüstung als einen Beitrag zum wirklichen Frieden in Europa und der Welt.

(Dr. Scheer [SPD]: Das wollen wir alle! — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016213200
Die Aussprache kann geschlossen werden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 5 a. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen in Drucksache 10/3357 unter Nr. 1 a, den Antrag der SPD-Fraktion in Drucksache 10/1298 abzulehnen. Wer dieser Empfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen weiter unter Nr. 1 b, die Beschlußempfehlung auf Antrag der Fraktion der SPD in Drucksache 10/1573 abzulehnen. Wer dieser Empfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Wir haben über eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. In der Drucksache 10/3357 empfiehlt der Ausschuß unter Nr. 2, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 10/1674 anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses ebenfalls angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Antrag unter Tagesordnungspunkt 5 b, den Antrag der Abgeordneten Frau Borgmann, Lange und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3541. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag unter Tagesordnungspunkt 5c, den Antrag der Abgeordneten Frau Borgmann, Lange und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3817. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer lehnt ihn ab?
— Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5 d, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/3494. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/150 abzulehnen. Wer dieser Empfehlung des Ausschusses folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3924 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer



Vizepräsident Cronenberg
stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit sind wir mit diesem Tagesordnungspunkt am Ende.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (6. ÄndG BVFG)

— Drucksache 10/3407 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses

(4. Ausschuß)

— Drucksache 10/3859 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Czaja Jaunich
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3890 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster (Mainz) Kühbacher
Frau Seiler-Albring
Kleinert (Marburg)


(Erste Beratung 143. Sitzung)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß jede Fraktion eine Redemöglichkeit von fünf Minuten hat. Ich wäre aber dankbar, wenn diese Redezeit im Interesse der Mittagspause nicht ausgenutzt wird. Widerspruch gegen die Regelung gibt es nicht. Die Berichterstatter wünschen offensichtlich auch nicht das Wort.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Nöbel von der SPD.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1016213300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ist unerläßlich. Sie beseitigt Ungleichbehandlungen, die jeder Logik entbehren und völlig unverständlich sind. Es darf einfach nicht sein, daß gesetzesgemäß Personengruppen gegeneinander ausgespielt werden können, denen es ohnehin nicht leicht gemacht wird. Sie alle gehören in gleicher Weise in die Obhut unseres Staates.
Ist es nicht absurd, daß ein Übersiedler aus der DDR, der dort als Selbständiger tätig war, der keine Sprachförderung braucht, kein Arbeitslosengeld, nicht einmal Arbeitslosenhilfe erhält, sondern Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß, daß ebenso der, der aus Polen kommt, auch selbständig war, auch sein Deutschtum und die deutsche Sprache bewahrt hat, daher auch keiner Sprachförderung bedarf, weil er selbständig war, Sozialhilfe beantragen muß, während der Dritte dagegen, der auch aus Polen kommt, der nur polnisch spricht und deshalb Sprachförderung erhält, ein Jahr Unterhaltsgeld vom Arbeitsamt bekommt, damit er nicht der Sozialhilfe anheimfällt? Fehlt nur noch, meine Damen und Herren, daß einer feststellt, je „deutscher" ein Neubürger ist, je schlechter wird er — ich füge hinzu: leistungsmäßig — behandelt, oder daß es andererseits heißen kann, er hat es ja doch schwerer als die beiden anderen. Diese Deuteleien werden jetzt unmöglich gemacht.
Ferner sollen Übersiedler, die in der DDR aus politischen Gründen, die nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht vertretbar sind, keine Beschäftigung ausüben durften, ab 1. Januar 1986 versicherungsrechtlich Zeiten angerechnet bekommen, um wie beitragspflichtige Beschäftigte nach dem Arbeitsförderungsgesetz Anspruch auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zu haben. Die gleichen möglichen Ansprüche sollen auch Spätaussiedlern eingeräumt werden.
Weiter: Bisher erhielten bereits nach dem Häftlingshilfegesetz ehemalige politische Häftlinge Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe in entsprechender Anwendung der für die Heimkehrer geltenden Rechtslage. Nunmehr soll für DDR-Übersiedler auch ohne C-Ausweis, die aus den gleichen Gründen ohne Ansprüche in der Bundesrepublik sind, diese Lücke geschlossen werden.
Der Innenausschuß billigte mehrheitlich den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Gesetzentwurf — es handelt sich hierbei nicht um eine Negativkoalition, sage ich hier einmal —, brachte jedoch in seiner Beschlußempfehlung an den Deutschen Bundestag eine Ergänzung ein, die auch vom mitberatenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfohlen worden war. Danach sollen mögliche Ansprüche auf Arbeitslosenhilfe entsprechend dem Arbeitsförderungsgesetz auch die ehemals Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen erhalten. Meine Damen und Herren, dies ist ganz im sozialdemokratischen Sinne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016213400
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.

Bernhard Jagoda (CDU):
Rede ID: ID1016213500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes rückt wieder einmal die Probleme in unser Blickfeld, die sich als Spätfolge des Zweiten Weltkrieges und der Teilung Deutschlands für die Menschen ergeben. Auch 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beantragen Hunderttausende Deutsche die Ausreise aus ihrer mittel- und ostdeutschen Heimat und aus den Ländern Ost- und Südosteuropas. Aus ihrer ausweglosen Lage unter kommunistischer Herrschaft suchen sie den Weg in die Freiheit und setzen sich durch den Entschluß, ihre Heimat zu verlassen, bis zur Ertei-



Jagoda
lung einer Ausreisegenehmigung noch jahrelangen schwierigen Lebensbedingungen aus.
Für viele steht nicht erst am Ende dieses Prozesses die eigene berufliche Degradierung oder gar der völlige Verlust des Arbeitsplatzes, verbunden mit erheblichen materiellen Nachteilen. Nach dem Eintreffen im Bundesgebiet stehen diese Menschen dann häufig ohne Verdienstbescheinigungen in unseren Arbeitsämtern, um ihre Arbeitslosenunterstützung zu beantragen. Die bestehenden gesetzlichen Maßnahmen sowie die Verwaltungsvorschriften der Bundesanstalt für Arbeit haben sich hier zwar für den Regelfall als ausreichende Grundlage für die Zuerkennung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bewährt. Unstreitig sind aber in den vergangen Jahren — verstärkt durch die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik Deutschland — in einer zunehmenden Zahl von Einzelfällen auch Probleme zurückgeblieben. Teils gab es bürokratische Hemmnisse, teils waren die Schwierigkeiten darauf zurückzuführen, daß es an den entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen gefehlt hat.
Die Plenardebatte, die wir im Mai des vergangenen Jahres hier geführt haben, sowie die öffentliche Informationssitzung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen vom 12. Juni 1985 haben diese Problematik besonders deutlich werden lassen. Wir stehen daher vor der Aufgabe, die bestehenden gesetzlichen Vorschriften an die heutigen Gegebenheiten und Erfordernisse anzupassen.
Diesem Ziel dient der vorliegende von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP gemeinsam eingebrachte Gesetzentwurf. Er enthält Regelungen, die der besonderen Situation der Aussiedler und Übersiedler im Falle von Arbeitslosigkeit Rechnung tragen sollen. Er soll insbesondere Härten und Ungereimtheiten beseitigen, die bisher die soziale und berufliche Eingliederung dieses Personenkreises erschwert haben.
Im einzelnen ist vorgesehen, Aussiedler und Umsiedler, die in der Heimat aus politischen Gründen inhaftiert waren oder wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihrer Aussiedlungs- und Übersiedlungsabsichten oder aus sonstigen nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen keine Erwerbstätigkeit ausüben durften, künftig bei der Gewährung von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz so zu behandeln, als wären sie bis zum Verlassen ihres Heimatgebiets als Arbeitnehmer tätig gewesen.
Außerdem erhalten Aussiedler und Übersiedler, die in der Heimat als Selbständige erwerbstätig waren oder in einem Familienbetrieb mitgearbeitet haben, künftig einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Durch die vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfohlene Einbeziehung der ehemals Selbständigen in die Regelung der Arbeitslosenversicherung soll berücksichtigt werden, daß der Verlust der Existenzgrundlage durch das Schicksal der Aussiedlung oder der Übersiedlung aus der DDR verursacht worden ist und die Betroffenen im Bundesgebiet im allgemeinen eine neue Existenzgrundlage als Arbeitnehmer aufnehmen müssen. Damit werden gleichzeitig die Beschränkungen zurückgenommen, die 1981 durch das ArbeitsförderungsKonsolidierungsgesetz eingetreten sind.
Insgesamt wird durch den vorliegenden Entwurf eine bessere soziale Absicherung der arbeitslosen Aussiedler und Übersiedler erreicht. Durch die Einbeziehung in das Arbeitsförderungsgesetz werden die Betroffenen in Zukunft vor allem nicht mehr ausschließlich auf die Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sein.
Ich bitte Sie um Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016213600
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1016213700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben den Inhalt des Gesetzes hinreichend dargestellt. Wir sehen in dem Gesetz ein Stück Solidarität mit den Menschen, die aus der DDR zu uns kommen; es sollen ja in den nächsten sechs Monaten insgesamt 9 000 Umsiedler aus der DDR hierher ziehen, und ein Teil von ihnen wird zu den Gruppen gehören, um die es bei dem Gesetz geht, das wir heute behandeln und mit dem wir diesen Menschen das Leben erleichtern möchten.
Wir begrüßen, daß der Bundeshaushalt die Kosten, die sehr gering sind, übernimmt. Es wird eine Lücke geschlossen, und es werden Härten beseitigt. Wir begrüßen das Gesetz und stimmen ihm zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016213800
Danke schön! Das Präsidium dankt Ihnen insbesondere für die Kürze, Herr Abgeordneter. Diese könnte beispielhaft für Sie, Herr Abgeordneter Ströbele, sein.

(Ströbele [GRÜNE]: Nicht ganz!) Bitte sehr.


Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016213900
Herr Präsident! Verehrte noch anwesende Kollegen! Wir begrüßen den Gesetzentwurf, der von den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vorgelegt worden ist, und wir werden diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das reicht ja!)

Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn Aussiedlern und Umsiedlern hier eine materielle Besserstellung gewährt werden soll, wenn solche, die aus politischen Gründen und — nach Wertung auf Grund freiheitlich-demokratischer Auffassung — zu Unrecht in ihren Heimatländern Nachteilen ausgesetzt waren, hier in der Bundesrepublik bessergestellt werden und es ihnen ermöglicht wird, hier die Eingliederung ohne große soziale Not hinter sich zu bringen. Dafür wird hier ein kleiner Schritt getan.
Aber wir sind der Auffassung, daß Menschen gleich Menschen sind. Wir meinen, daß das Prinzip, politisch Verfolgten in der Bundesrepublik auch materiell eine Startmöglichkeit zu geben, nicht nur für die Menschen gelten soll, die in diesem Gesetz genannt worden sind, sondern auch für Ausländer



Ströbele
und Asylbewerber. Warum? Ist es nicht eine tolle Vision, wenn man sich vorstellt, daß Menschen, die auf Grund von politischer Verfolgung aus ihren Ländern weggehen müssen, Menschen, die sich alle in einer solchen Situation, wie sie hier gerade beschrieben worden ist, befinden, in die Bundesrepublik kommen können, hier unsere sozialen Einrichtungen benutzen können, sich hier bilden können und hier ein menschenwürdiges Leben finden können?
Aber Ihnen geht es hier nicht darum, für alle Menschen die gleichen Rechte zu sichern, sondern darum, die Wiedervereinigungsutopien festzuschreiben. Sie wollen die Möglichkeiten, sich einzugliedern, nur den Leuten gewähren, die aus dem Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 stammen, bzw. denen, die ihnen gleichgestellt werden. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis: Es gibt zwei souveräne Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches. Und nehmen Sie zur Kenntnis: Es gibt das assoziierte, freie — ich hätte fast gesagt: wilde — West-Berlin.
Ihre prinzipielle Haltung gegenüber politisch Verfolgten wird durch Scharfmacher wie Herrn Lummer in Berlin bestimmt; wir werden uns morgen mit dem Gesetz beschäftigen müssen. Ihre Haltung wird auch daraus deutlich, daß Sie mit den DDR-Behörden dazu gekommen sind, politisch Verfolgten die Möglichkeit zu nehmen, überhaupt an die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, hier einzureisen und die Möglichkeit des Asyls in Anspruch zu nehmen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!)

Ich verstehe nicht, wieso die DDR auf so etwas eingehen konnte. Ich wünsche mir jedenfalls, daß diese Regelung, die Sie hier für einen ganz beschränkten Personenkreis vorsehen, für alle politisch Verfolgten, die an unseren Grenzen um Hilfe bitten, Geltung erlangt.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sie haben sicher noch Platz in Ihrer Wohnung!)

Wir sehen das als ersten Schritt in diese Richtung und stimmen deshalb dem Gesetz zu.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016214000
Zum Schluß hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt das Wort.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1016214100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt diese Gesetzesinitiative, die ein Akt notwendiger und praktizierter Solidarität im geteilten Deutschland ist, und sie wird alles tun, um den Inhalt des Gesetzes möglichst bald umzusetzen.
Nur eine Bemerkung zu dem, was Sie, Herr Ströbele, hier gesagt haben: Hier wird im Blick auf ganz Deutschland nicht von Utopien gesprochen, sondern wir alle in diesem Hause stehen unter dem Auftrag des Grundgesetzes: „Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden."

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das gilt nach wie vor für uns alle.

Im übrigen meine ich in bezug auf das, was Sie zu den anderen Notleidenden gesagt haben: Ich glaube, dieser Staat kann sich mit den Aufwendungen seiner Bürger für Ausländer, Asylanten und andere Menschen in Not sehen lassen.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1016214200
Herr Staatssekretär, die bescheidene Inanspruchnahme Ihrer Redezeit ist vorbildlich und beispielhaft. Ich kann den übrigen Mitgliedern der Regierung nur empfehlen, gelegentlich entsprechend zu verfahren.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6, nämlich den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes auf Drucksache 10/3407. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen.
Ich kann Ihnen einen guten Appetit in der Mittagspause wünschen. Wir setzen die Sitzung um 14 Uhr mit der Fragestunde fort.

(Unterbrechung von 13.11 bis 14.00 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016214300
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde
— Drucksache 10/3918 —
Ich rufe zuerst den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Gilges auf:
Kann die Bundesregierung die Mitteilung des Verbandes „Anwalt des Kindes" (VAK) bestätigen, wonach im Jahre 1983 nur jeder fünfte Jugendliche einen Verteidiger hatte, sowie in einem Verfahren vor den Jugendschöffengerichten nur jeder zweite Jugendliche einen Rechtsbeistand hatte, und wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Situation?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.




Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID1016214400
Herr Kollege Gilges, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
Die Mitteilung des Verbandes über die Mitwirkung von Verteidigern an Verfahren vor den Jugendgerichten trifft, was das statistische Ergebnis angeht, zu. Ein Zeitreihenvergleich über die Jahre 1971 bis einschließlich 1983 hat ergeben, daß die Mitwirkung von Verteidigern an Hauptverhandlungen beim Jugendrichter als Einzelrichter bei durchschnittlich 21,5% und beim Jugendschöffengericht bei 47,6% der durchgeführten Hauptverhandlungen gelegen hat.
Es liegen jedoch keine Erkenntnisse vor, die einen rechtspolitischen Handlungsbedarf erkennen lassen. Die unterschiedliche Mitwirkungsquote dürfte sich vielmehr aus den Zielsetzungen und der Ausgestaltung des Jugendstrafverfahrens sowie aus dem Sanktionensystem des Jugendgerichtsgesetzes rechtfertigen, die gegenüber dem Erwachsenenstrafverfahren und den strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten gegen Erwachsene erhebliche Unterschiede aufweisen.
Die vielfältigen Möglichkeiten des geltenden Rechts sind nach Meinung der Bundesregierung ausreichend, um auch dem mittellosen jungen Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen, wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage den Beistand eines Verteidigers erfordern oder erkennbar ist, daß sich der junge Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016214500
Herr Abgeordneter Gilges, bitte.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016214600
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Kritiker dieses Verfahrens und dieses Zustands behaupten, einer der Beweggründe dafür, daß die Eltern für ihre Kinder keinen Wahlverteidiger nähmen, liege darin, daß sie sich dies finanziell nicht leisten könnten. Können Sie das bestätigen oder sieht das Bundesministerium das anders?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Es mag Einzelfälle dieser Art geben. Sie betreffen aber nicht nur Jugendliche, die in Strafverfahren verwickelt sind. Das gibt es nach den Beobachtungen des Lebens, über die keine Statistik vorliegt, in allen Bereichen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016214700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016214800
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Kritiker dieses Zustands äußern weiterhin, daß dies eine Nichtbeachtung des Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes sei. Ich frage Sie nun, weshalb auf Grund dieser Umstände nicht im Referentenentwurf für ein neues Jugendgerichtsgesetz der § 68 in der Weise geändert wird, daß grundsätzlich ein Pflichtverteidiger zugeordnet wird.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht dazu keine Veranlassung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016214900
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Gilges auf:
Sieht die Bundesregierung durch eine bewußte Nutzung der §§ 45, 47 Jugendgerichtsgesetz die Möglichkeit, für eine frühe, informelle und somit jugendgemäße Erledigung von Verfahren zu sorgen, und wenn ja, wie kann dieser Auffassung breiter Raum geboten werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Jugendgerichte in der Bundesrepublik Deutschland wenden in zunehmendem Maße die Möglichkeiten der §§ 45 und 47 des Jugendgerichtsgesetzes zur informellen Erledigung eingeleitete Verfahren an. Die Bundesregierung begrüßt diese Tendenz.
Im Bundesministerium der Justiz ist ein Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes erarbeitet worden, in dem unter anderem im Interesse einer besseren Handhabung die Systematik der §§ 45 und 47 des Jugendgerichtsgesetzes verdeutlicht und die sogenannte Betreuungsweisung in den Katalog der Maßnahmen aufgenommen werden soll, die vom Jugendrichter auf Anregung des Jugendstaatsanwalts angeordnet werden können. Von einer solchen Gesetzesänderung erwartet die Bundesregierung im Bereich dessen, was jetzt im Referat erarbeitet worden ist, eine Stützung der beschriebenen Tendenz und ein Signal zu noch stärkerer und verbreiteterer Anwendung der Möglichkeiten informeller Erledigungen.
Ich darf dem, was mir hier aufgeschrieben worden ist und was ich vorher auch abgesegnet habe, noch hinzufügen: Man könnte mit dieser Maßnahme einen Schritt in eine Praxis gehen, wie sie in einem ostasiatischen Staat angewendet wird, nämlich in Japan.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016215000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016215100
Ich habe Sie richtig verstanden, daß Sie beim § 68 keinen Handlungsbedarf sehen, während Sie nach Ihrer Aussage bei den §§ 45 und 47 Handlungsbedarf bejahen. Nun, wenn das so ist, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist ja die Frage: Wann werden Sie Ihren Entwurf eines Jugendgerichtsgesetzes dem Parlament zuleiten? Nach den jetzt bestehenden Informationen, die uns auch von Ihren Beamten im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit gegeben wurden, ist es zweifelhaft, daß dem Parlament noch in dieser Legislaturperiode eine Reform des Jugendgerichtsgesetzes mit den Punkten, die eben dargestellt worden sind, zugeleitet wird.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Wenn ich das alles jetzt richtig im Kopf habe, würde ich Ihnen die folgende Antwort geben: Handlungsbedarf ist etwas anderes als Handlungszweckmäßigkeit. Ich habe vorhin gesagt, ich hielte es für zweckmäßig und für gut, wenn man eine zusätzliche Systematisierung und Erweiterung in den Maßnahmen der §§ 45 und 47 des Jugendgerichtsgesetzes vornähme. Eine zwingende Notwendigkeit gibt es für solche Dinge nicht.
Zur zweiten Frage, wann mit einer Vorlage an das Parlament zu rechnen ist: Ich bin kein Hellseher, Herr Kollege, aber ich gehe davon aus, daß ein



Parl. Staatssekretär Erhard
solcher Gesetzentwurf dem Bundestag in dieser Wahlperiode nicht mehr zugeleitet wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016215200
Weitere Zusatzfrage, Herr Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016215300
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, unterstützen Sie dann, wenn das nicht möglich ist, die Meinung der Kritiker im Bereich des Jugendgerichtsgesetzes, daß die Probleme mittlerweile so drängend geworden sind, daß es unbedingt notwendig wäre, ein solches Gesetz bald zuzuleiten?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen ziemlich deutlich gesagt, daß ich diese Auffassung so nicht teile.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016215400
Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016215500
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die GRÜNEN im Bundestag in diesem Sommer im Bundeshaus ein öffentliches Hearing zur Frage der Jugendstrafe und des Jugendgerichtsgesetzes durchgeführt haben und daß das Ergebnis der Sachverständigenanhörung gewesen ist, daß sämtliche Sachverständigen einheitlich zu der Meinung gekommen sind, daß die Verhängung von Jugendfreiheitsstrafe weder angemessen noch nützlich, noch sonst in irgendeiner Weise zu rechtfertigen ist, und wird die Bundesregierung diese Erkenntnisse in Ihrem Gesetzentwurf berücksichtigen?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Nein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016215600
Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Erhard für die Beantwortung der Fragen.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Würtz auf:
An welchen prozentualen deutschen Anteil denkt die Bundesregierung beim Hermes-Projekt, und ist eine gleich hohe Beteiligung von Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1016215700
Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hat über eine deutsche Beteiligung an dem von Frankreich vorgeschlagenen Hermes-Projekt nicht entschieden. Aus diesem Grunde sind Angaben über die Höhe einer deutschen Beteiligung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016215800
Zusatzfrage, Herr Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1016215900
Herr Staatssekretär, da Ihnen der Vorwurf aus der deutschen Raumfahrtindustrie sicher bekannt ist, die Bundesrepublik Deutschland habe bei anderen Projekten die Führung verspielt — ich denke da z. B. an Ariane und Columbus —, frage ich Sie: Muß die Bundesregierung bei künftigen Verhandlungen nicht an eine führende Beteiligung in diesem Technologiebereich denken?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Eine führende Beteiligung und die Führung eines Projekts sind zweierlei. Mit Sicherheit muß die Bundesrepublik Deutschland bestrebt sein, eine führende Beteiligung bei Projekten ähnlicher Art — das ist ja noch nicht real — zu erwerben und zu bekommen. Darum bemüht sich die Bundesregierung auch.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016216000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer (Homburg).

Lothar Fischer (SPD):
Rede ID: ID1016216100
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß gestern Meldungen bekanntgeworden sind, wonach dem französischen Premierminister Fabius drei Studien vorgelegt worden sind, und zwar eine Studie bezüglich Hermes vom Verteidigungsministerium, die zweite Studie von einer Kommission, die bei CNES angesiedelt ist, und die dritte Studie von dem französischen Forschungsministerium, und daß schon entschieden sei, daß nicht die französische Gesellschaft Airbus Spacial, sondern die französische Firma Dassault die Projektträgerschaft übernehmen soll?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über Eureka und auch mit Unternehmungen der bemannten Raumfahrt viel spekuliert. Es ist mit Sicherheit einfach ein Gebiet der Spekulationen. Konkretes ist nicht ausgehandelt. Es ist im Zweifelsfall die Frage einer gemeinsamen europäischen Aktion.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016216200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1016216300
Herr Staatssekretär, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie bei dem Projekt Eureka von Raumfahrt gesprochen haben?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Wir haben ja das Columbus-Projekt. Es steht das Thema Eureka zur Debatte. Sie wissen, daß von Frankreich Vorstellungen eingebracht worden sind, auch im Rahmen von Eureka Weltraumaktionen durchzuführen. Das alles ist letztendlich in der Diskussion. Es gibt keine Beschlüsse hierzu und zunächst auch kein Geld.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016216400
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Forschung und Technologie. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Herr Staatsminister Vogel steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Schily auf:
Ist von einem Mitglied oder Mitarbeiter der Bundesregie- rung, möglicherweise von Bundeskanzler Kohl selbst, erklärt worden, er, Bundeskanzler Kohl, stehe nach wie vor zu dem



Vizepräsident Westphal
Maßnahmenkatalog der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Pretoria, oder hat Bundeskanzler Kohl in einem Telefongespräch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß am 17. September 1985 geäußert, daß er keine wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen gegenüber Südafrika billigt?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016216500
Herr Kollege Schily, Ihre Frage ist identisch mit der Frage, die Sie in der vorigen Woche schon eingebracht hatten. Ich kann Ihnen deshalb dieselbe Antwort geben, die ich Ihnen bereits schriftlich auf Ihre Frage in der vorigen Woche gegeben habe. Diese Antwort lautet:
In der Kabinettsitzung am 11. September 1985 wurde erörtert, daß die Bundesrepublik Deutschland von den meisten Maßnahmen, über die im Rahmen des EPZ-Ministerrats die Haltung der Mitgliedstaaten abgestimmt werden soll, nicht betroffen ist. Im Kabinett bestand Einvernehmen, daß das seit 1962 bestehende bilaterale Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika gekündigt wird — mit dem Ziel, mit Südafrika sofort Verhandlungen aufzunehmen, um dann im Zuge eines geänderten Kulturabkommens die Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas am kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland rechtlich abzusichern. Außerdem wurde beschlossen, daß in der Frage der Visapflicht an dem derzeitigen Zustand nichts geändert werden soll.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, wirtschaftliche Boykottmaßnahmen gegen die Republik Südafrika zu ergreifen. Eine Verpflichtung hierzu ist die Bundesregierung im europäischen Rahmen nicht eingegangen.
Was Ihre Frage nach dem Inhalt eines Telefongesprächs des Bundeskanzlers angeht, Herr Kollege Schily, so kann ich Ihnen auch hier noch einmal mitteilen, daß zum Inhalt von Telefongesprächen des Bundeskanzlers grundsätzlich keine Auskunft gegeben wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016216600
Jetzt hat der Abgeordnete Schily eine Zusatzfrage.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016216700
Herr Vogel, worauf ist diese Einstellung zurückzuführen, daß Sie über den Inhalt von Telefongesprächen zwischen dem Bundeskanzler und dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß keine Auskunft geben, während die CSU-Landesleitung Veranlassung gesehen hat, unter Bezugnahme auf dieses Telefongespräch bestimmte Mitteilungen der Presse zu übergeben? Worauf ist dieser Widerspruch zurückzuführen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, ich habe vorhin gesagt, daß grundsätzlich über den Inhalt von Telefongesprächen des Bundeskanzlers keine Auskunft erteilt wird. Ich meine damit natürlich die Bundesregierung. Was andere tun, ist deren Sache.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016216800
Sie haben eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016216900
Herr Vogel, empfinden Sie es nicht als ungewöhnlich und für das Erscheinungsbild der Bundesregierung doch vielleicht auch abträglich, daß Sie es anderen Institutionen überlassen, sich über den Inhalt von Telefongesprächen in der Weise zu verbreiten, daß dann von der CSU-Landesleitung erklärt wird, im Gespräch mit Strauß habe der Kanzler ihm zugeschriebene Behauptungen als falsch bezeichnet und sei von früheren Aussagen zu Südafrika abgerückt?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, ich habe ja nicht die Aufgabe, hier über meine Empfindungen etwas mitzuteilen, sondern ich habe Sie lediglich über Tatsachen zu informieren. Und zu diesen Tatsachen gehört, daß die Bundesregierung nichts zugelassen hat und daß es auch gar nicht darauf ankam, daß die Bundesregierung etwas zuläßt.

(Binding [SPD]: Aber sie läßt es sich gefallen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016217000
Ist es richtig, daß die Abgeordnete Frau Eid sich zu einer Zusatzfrage gemeldet hat? — Dann sind Sie jetzt dran.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016217100
Sie haben in Ihrer Antwort ausgeführt, daß Sie ein neues Kulturabkommen mit der Regierung in Südafrika schließen wollen. Meine Frage ist: Wenn Sie gewährleisten wollen, daß dieses neue Kulturabkommen auch der schwarzen Bevölkerung zugute kommen soll, mit welchen Gruppen, mit welchen Personen in der Apartheid-Regierung wollen Sie dann Verhandlungen führen, um zu gewährleisten, daß auch schwarze Bevölkerungsteile in den Genuß dieses Kulturabkommens kommen?
Vogel, Staatsminister: Frau Kollegin, Ihnen dürfte bekannt sein, daß Abkommen zwischen Staaten nur zwischen den jeweiligen Regierungen geschlossen werden können und daß mit den jeweiligen Regierungen darüber zu verhandeln ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016217200
Jetzt kommt der Abgeordnete Verheugen mit einer Zusatzfrage.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016217300
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, daß die Bundesregierung von den von der Europäischen Gemeinschaft beschlossenen Maßnahmen mit Ausnahme des Kulturbereichs nicht betroffen sei. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß dieser europäische Katalog z. B. auch die Forderung nach einem Ölembargo enthält und daß seit Jahren bereits durch eine deutsche Ölhandelsfirma Rohöl nach Südafrika über Rotterdam verschickt wird? Und sind Sie nicht der Meinung, daß Maßnahmen der Bundesregierung erforderlich sind, um diesen Handel mit Rohöl zwischen einer deutschen Firma und Südafrika zu unterbinden?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Verheugen, ich kann dazu nur sagen, daß die Luxemburger Beschlüsse der Außenminister bei uns keine neuen Beschränkungsmaßnahmen auslösen.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016217400
Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016217500
Herr Staatsminister, der erste Teil der Frage des Kollegen Schily bezieht sich generell auf eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zu den Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft, also nicht auf das Telefongespräch. Deshalb meine Frage: Hat der Herr Bundeskanzler sich vielleicht außerhalb des Telefongesprächs in diesem Sinn oder in einem anderen Sinn zu der Entschließung der Europäischen Gemeinschaft geäußert?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Ströbele, der Bundeskanzler hat in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt" vom 18. September 1985 ausgeführt:
In der Kabinettssitzung am 11.9. hat der Bundesaußenminister unter dem Tagesordnungspunkt „Internationale Lage" über die Sitzung des EPZ-Ministerrates in Luxemburg vorgetragen. Wir haben erörtert, daß die Bundesrepublik Deutschland von den meisten Maßnahmen, über die im Rahmen des EPZ-Ministerrates die Haltung der Mitgliedstaaten abgestimmt werden soll, nicht betroffen ist.
Dann kommt das Einvernehmen über die Änderungskündigung des Kulturabkommens. Das ist identisch mit dem, was ich auf die Frage des Kollegen Schily hier geantwortet habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016217600
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1016217700
Herr Minister, was ist der Grund dafür, daß die Bundesregierung grundsätzlich keine Auskünfte über den Inhalt dienstlicher Telefongespräche des Herrn Bundeskanzlers gibt?
Vogel, Staatsminister: Ich habe Ihnen mitgeteilt, Herr Kollege — ich wiederhole das gerne —, daß über Telefongespräche — damit sind dienstliche Telefongespräche gemeint, denn private Telefongespräche können wohl nicht gemeint und nicht Gegenstand einer Fragestunde im Bundestag sein — grundsätzlich keine Auskunft gegeben wird.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Er hat nach dem Grund gefragt, warum das so gehandhabt wird!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016217800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1016217900
Herr Staatsminister, warum gibt es die Informationssperre für Telefongespräche — dienstlicher Art, versteht sich —, und warum gibt es eine solche Informationssperre für sonstige Gespräche — dienstlicher Art, versteht sich — nicht?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Penner, ich halte den Begriff Informationssperre in dem Zusammenhang für den Sachverhalt nicht richtig beschreibend. Um es so zu sagen: Über Telefongespräche — es gibt viele Telefongespräche, das wissen Sie —,

(Ströbele [GRÜNE]: Das stimmt, das ist richtig! — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

über den Inhalt dieser Telefongespräche wird — dies sage ich noch einmal — grundsätzlich keine Auskunft gegeben.

(Ströbele [GRÜNE]: Was ist der Unterschied?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016218000
Jetzt hat die Abgeordnete Frau Hürland um eine Zwischenfrage gebeten.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1016218100
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß die Entscheidung, über dienstliche Telefongespräche keine Auskunft zu geben, nicht eine Erfindung dieser Bundesregierung ist?
Vogel, Staatsminister: Soweit ich weiß, Frau Kollegin Hürland, ist dies eine Übung aller Bundesregierungen gewesen, und ich bin auch der Auffassung, daß es eine gute und richtige Übung ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016218200
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Schily auf:
Trifft die Darstellung der CSU-Landesleitung (Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 18. September 1985) zu, daß die Behauptung, Bundeskanzler Kohl stehe nach wie vor zu dem Maßnahmenkatalog der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Pretoria, „frei erfunden und erlogen" sei'?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, hier gilt zunächst allgemein das, was ich zu Ihrer vorigen Frage gesagt habe. Ich gebe Ihnen also auch auf diese Frage dieselbe Antwort wie auf Ihre Frage in der vorigen Woche: Von den meisten Empfehlungen dieses Katalogs ist die Bundesregierung schon deswegen gar nicht mehr betroffen, weil sie die darin aufgeführten Maßnahmen bereits früher durchgeführt und eingeleitet hat. Hinsichtlich der Empfehlungen des Katalogs im Bereich von Kultur und Wissenschaft bestand im Kabinett Einvernehmen, das seit 1962 bestehende bilaterale Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika zu kündigen. Diese Kündigung — ich darf das wiederholen — erfolgt mit dem Ziele, mit Südafrika sofort Verhandlungen aufzunehmen, um dann im Zuge eines geänderten Kulturabkommens die Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas am kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland rechtlich abzusichern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016218300
Eine Zusatzfrage, Herr Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016218400
Herr Minister, haben Sie Erkenntnisse darüber, auf welche Erklärung sich die Darstellung der CSU-Landesleitung bezieht, in der die Rede davon war, die Behauptung, Bundeskanzler Kohl stehe nach wie vor zu dem Maßnahmenkatalog der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Pretoria, sei „frei erfunden und erlogen"?



Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, ich habe Ihnen hier mitgeteilt, welches die Haltung der Bundesregierung und damit auch die Haltung des Bundeskanzlers ist. Wenn Sie zusätzliche Auskünfte von der CSU-Landesleitung wünschen, bitte ich Sie, sich an die CSU-Landesleitung zu halten. Ich bin sicher, daß die Ihnen die entsprechenden Auskünfte geben wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016218500
Dies ist die zweite Zusatzfrage, Herr Schily, bitte schön.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016218600
Herr Minister, ich gehe davon aus, daß die Informationsverbindungen zwischen der CSU-Landesleitung und der CDU-Spitze ausgezeichnet sind und daß es sich hier bei dem Verhalten gegenüber Südafrika um eine sehr sensible Frage handelt, und ich frage, inwieweit Sie über Informationen verfügen, ob Darstellungen aus CDU-Kreisen — so war auch die Formulierung in den entsprechenden Presseberichten —, „frei erfunden und erlogen" seien, was die Haltung des Bundeskanzlers anbelangt. Ich nehme an, daß Sie auch gegenüber der Öffentlichkeit ein Interesse haben, wenn solche harten Worte gebraucht werden, wie „frei erfunden und erlogen", das in einer klaren Form darzustellen.
Vogel, Staatsminister: Ich möchte Ihnen trotzdem empfehlen, Herr Kollege Schily, daß Sie die CSU-Landesleitung fragen, und Sie werden dann sicher gebührende Auskünfte bekommen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016218700
Wir kommen zur Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016218800
Hat das Bundeskanzleramt oder der Herr Bundeskanzler selber Gelegenheit genommen, sich mit der bayerischen Staatskanzlei oder mit dem Ministerpräsidenten Strauß in Verbindung zu setzen und die Frage, daß das frei erfunden und erlogen sei, zu klären, und was ist bei einem solchen Gespräch herausgekommen?
Vogel, Staatsminister: Der Bundeskanzler hat die Frage dort geklärt, wo sie zu klären ist, nämlich im Bundeskabinett. Sie wissen ja, daß die Frage im Bundeskabinett am 18. September noch einmal eine Rolle gespielt hat. Dabei hat der Bundeskanzler deutlich gesagt, welches das Ergebnis der Kabinettsitzung gewesen ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016218900
Zusatzfrage, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016219000
Sie haben auch eben noch einmal das Kulturabkommen angesprochen. Darauf bezieht sich meine zweite Frage.
Wie können Sie es denn gewährleisten, daß eine Regierung, die schwarze Menschen — und das heißt: die schwarze Mehrheit — in Südafrika unterdrückt, sie ausgrenzt und ihrer Bürgerrechte beraubt, gerade diese Schwarzen an kulturellen Aktivitäten gleichberechtigt teilnehmen läßt?
Vogel, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe Ihnen j a dargelegt, mit welchen Zielsetzungen die Verhandlungen geführt werden sollen. Ich darf im
übrigen auf den Inhalt der Debatte in der vorigen Woche hier im Plenum des Deutschen Bundestages gerade zum Kulturabkommen verweisen. Ich darf Sie auf die Ausführungen des Kollegen Klein (München) und des Kollegen Bangemann aufmerksam machen; vielleicht können Sie das auch noch einmal nachlesen. Darin ist alles, was Sie wissen möchten, ausführlich gesagt worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016219100
Zusatzfrage des Abgeordneten Penner!

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1016219200
Herr Staatsminister, wenn ich das Ganze so sehe, dann drängt sich die Frage an Sie auf: Entspricht also das, was der CSU zugeschrieben wird, daß sie es in bezug auf den Bundeskanzler in seiner Einstellung zu Südafrikaproblemen geäußert hat, den Tatsachen, oder entspricht das nicht den Tatsachen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Penner, ich würde Ihnen j a gerne die Antworten geben, die Sie haben möchten; aber ich habe Ihnen die Tatsachen mitgeteilt. Ich glaube, daß es von Ihnen doch gewünscht ist, Auskunft über die Haltung der Bundesregierung, über die Haltung des Bundeskanzlers, über den Inhalt der Politik dieser Bundesregierung — und dies ist ja auch der Sinn der Fragestunde — zu bekommen. Dies habe ich Ihnen jetzt wiederholt dargelegt, und allein das ist maßgebend. Die Süppchen, die Sie sonst kochen möchten, sind Süppchen, bei denen ich nicht mitrühre, um das sehr deutlich zu sagen.

(Duve [SPD]: Kulinarische Dinge wollen wir hier nicht erörtern!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016219300
Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Neumann (Bramsche), der aber nicht im Raume ist; dann wird die Frage entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Das gleiche gilt für die Frage 7.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Teilt der Bundeskanzler die Feststellung des Bundesministers des Auswärtigen, die dieser auf der Kabinettssitzung vom 18. September 1985 zu Protokoll gegeben hat, daß der Bericht des Bundesministers des Auswärtigen vom 11. September 1985 im Kabinett widerspruchslos zur Kenntnis genommen und damit einschließlich der operativen Konsequenzen — Änderungskündigung des Kulturabkommens mit Südafrika — akzeptiert wurde?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Ich darf auch hierzu zunächst einmal darauf hinweisen, daß diese Frage mit der Frage identisch ist, die Herr Kollege Hauchler bereits in der vorigen Woche eingebracht hatte und die ich schriftlich beantwortet habe.

(Duve [SPD]: Gibt es denn bei Ihnen, Herr Staatsminister, nie einen Erkenntniszuwachs von Woche zu Woche?)

— Ach, ich würde sagen: Unsere Bemühungen richten sich an der Qualität der Fragen aus.

(Heiterkeit)




Staatsminister Vogel
Herr Kollege Dr. Hauchler, ich gebe Ihnen also dieselbe Antwort, die ich Ihnen schriftlich mitgeteilt habe. Diese Antwort lautet: Ja, der Bundesminister des Auswärtigen hat in der Kabinettsitzung am 11. September 1985 über die Konsequenzen berichtet, die sich für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Beschluß des EPZ-Ministerrats vom 10. September 1985 über unverzüglich und abgestimmt zu ergreifende Maßnahmen ergeben. Hiergegen wurde Widerspruch nicht erhoben. Damit bestand im Kabinett Einvernehmen darüber, das seit 1982 bestehende bilaterale Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika mit dem Ziel zu kündigen — ich sage das auch auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole und Sie sich dadurch vielleicht langweilen; aber das liegt an den Fragen —, mit Südafrika sofort Verhandlungen aufzunehmen, um dann im Zuge eines geänderten Kulturabkommens die Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas am kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland rechtlich abzusichern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016219400
Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1016219500
Herr Minister, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß am 11. September Einvernehmen bestand und offenbar nach wenigen Tagen doch wieder kein Einvernehmen bestand? Insofern befriedigt mich Ihre Antwort nicht. Also, entweder es gab Einvernehmen, und dann blieb es dabei, oder es gab kein Einvernehmen.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hauchler, es ist von mir wiederholt mitgeteilt worden, daß im Kabinett am 11. September Einvernehmen bestand, das heißt also, daß niemand dem widersprochen hat. Der Bundeskanzler hat in der Kabinettsitzung am 18. September noch einmal ausdrücklich festgehalten, daß in der Sitzung vom 11. September dieses Einvernehmen bestanden hat.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016219600
Dann kommt Herr Toetemeyer jetzt zu einer Zusatzfrage.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1016219700
Herr Staatsminister, welche juristische Qualifikation würden Sie der von meinem Kollegen Hauchler erwähnten Protokollnotiz des Bundesministers des Auswärtigen geben, und in welcher Weise würden Sie zwischen der ebenfalls erfolgten Protokollnotiz der dem Bundeskabinett angehörenden Minister der CSU und der Protokollnotiz des Bundesministers des Auswärtigen unterschiedlich gewichten?
Vogel, Staatsminister: Nein, dies sind Meinungsäußerungen von Kabinettsmitgliedern, die aber sehr wohl zu trennen sind von den tatsächlichen Vorgängen in der Kabinettsitzung vom 11. September, und diesen Vorgang habe ich Ihnen hier mitgeteilt. Daran ändert sich nichts. Daran ändert sich auch nichts durch zu Protokoll gegebene Erklärungen. Das ist zunächst einmal keine Frage von juristischen Wertungen, sondern einfach eine Feststellung von Tatsachen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016219800
Herr Grünbeck, bitte schön.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1016219900
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß durch den Entschließungsantrag, den dieses Hohe Haus vergangene Woche verabschiedet hat, die Fragen jetzt alle eigentlich überflüssig sind und daß das eher einer billigen Nachkarterei entspricht?

(Zuruf von der SPD: Sie sind gar nicht informiert! — Weitere Zurufe von der SPD)

Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Grünbeck, ich kann mich hier ja nicht dazu äußern, was ich von den wiederholt gestellten Fragen halte und was ich insbesondere von dem Vorgang halte, daß die Fragen, die in der vorigen Woche eingebracht waren und schriftlich beantwortet sind, heute für diese Fragestunde erneut eingebracht worden sind, ganz sicher mit dem Ziel, dieselben Antworten zu bekommen.

(Zurufe von der SPD)

Meine Gemütsregung dazu: ich habe diese Fragen zu beantworten, und ich tue dies nach bestem Wissen und Gewissen.

(Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220000
Ich muß hier zunächst einmal feststellen, eine solche Reihe von Fragen, die denselben Wortlaut haben, können in unserer Liste hier nur vorkommen, Herr Staatsminister, wenn sie vorher zurückgezogen und deshalb in dieser Versammlung nicht beantwortet worden sind. Es ist dann möglich, sie erneut einzubringen. Ob es dazwischen eine schriftliche Beantwortung durch Ihr Haus gegeben hat oder nicht, ist dazu nicht relevant.
Vogel, Staatsminister: Ich habe leider nicht die Möglichkeit, dem Herrn Präsidenten zu widersprechen,

(Heiterkeit — Zuruf: Diese Möglichkeit haben wir auch nicht!)

aber ich will nicht verhehlen, daß ich das sehr gerne täte, Herr Präsident; aber das verbietet ja der Comment des Hauses.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220100
Das müssen wir dann bis nach der Fragestunde verschieben.
Ich rufe jetzt die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Wie beurteilt der Bundeskanzler die Tatsache, daß die CSU-Bundesminister erst am Montag, dem 16. September 1985, nach einem Zusammentreffen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß erkannt haben, daß im Bundeskabinett am 11. September 1985 kein Beschluß zur Beteiligung der Bundesregierung an den EG-Maßnahmen zu Südafrika gefaßt worden ist?
Vogel, Staatsminister: Auf die Frage 9 des Kollegen Hauchler — ich bitte sehr um Nachsicht, wenn



Staatsminister Vogel
Sie die wiederholte gleiche Antwort langweilen sollte, aber es liegt an den Fragen —

(Lachen bei der SPD)

— antworte ich folgendes. Nach dem Protokoll über die Sitzung des Bundeskabinetts am 11. September 1985 ist ein Widerspruch gegen die Ausführungen des Bundesministers des Auswärtigen über den Beschluß des EPZ-Ministerrats vom 10. September 1985 und die sich für die Bundesregierung hieraus ergebenden Konsequenzen nicht erhoben worden. Damit bestand im Kabinett das hier bereits wiederholt dargestellte Einvernehmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220200
Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1016220300
Herr Minister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es vielleicht nicht an den Fragen liegt, sondern daran, daß Sie nicht bereit sind, wirklich den Wortlaut von Fragen zu lesen und deshalb eine wirkliche Antwort auf die Fragen verweigern? Ich kann das ja belegen. Hier steht: „Wie beurteilt der Bundeskanzler die Tatsache, daß die CSU-Bundesminister erst am Montag" darauf „erkannt haben", daß es offenbar keinen Beschluß gegeben hat? Darauf haben Sie nicht geantwortet.

(Staatsminister Vogel: Doch!)

Ich habe nach der Beurteilung dieses Vorgangs durch den Bundeskanzler gefragt.
Vogel, Staatsminister: Die Beurteilung des Bundeskanzlers besteht darin, daß er den tatsächlichen Hergang hier noch einmal bestätigen läßt, und dies habe ich getan.

(Duve [SPD]: Ohne die Berichte zu erwähnen! So darf hier nicht regiert werden!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220400
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.
Vogel, Staatsminister: Aber ich habe natürlich noch eine andere Erklärung dafür, daß man einen solchen Vorgang als eine Art Dauerlutscher benutzt. Aber dies ist vielleicht schon eine ungehörige Bemerkung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220500
Ja, zumal ich den Fragesteller für die nächste Frage schon aufgerufen hatte. — Herr Hauchler, bitte. — Keine weitere Zusatzfrage.

(Duve [SPD]: Das Wort „Dauerlutscher" ist aber nicht eine Sache für diese Bundesregierung!)

Dann rufe ich jetzt die Frage 10 des Abgeordneten Verheugen auf:
Unterstützt der Bundeskanzler die im Rahmen der Europäischen Zusammenarbeit (EPZ) von den Außenministern der EG am 10. September 1985 in Luxemburg beschlossenen Maßnahmen gegenüber Südafrika, oder sind die unter Berufung auf die CSU-Landesleitung veröffentlichten Berichte zutreffend, die Behauptung, der Bundeskanzler stehe zum Katalog der EG, sei „frei erfunden und erlogen"?
Herr Staatsminister, bitte.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Verheugen, für Sie gilt dasselbe wie für die anderen Kollegen, was Ihre Frage angeht, und damit auch dasselbe, was meine Antwort auf Ihre Frage angeht.

(Duve [SPD]: Aber diesmal ohne „Dauerlutscher"!)

Ich kann also nur noch einmal dasselbe wiederholen: Von den meisten Empfehlungen dieses Katalogs ist die Bundesregierung schon deswegen gar nicht mehr betroffen, weil sie die darin aufgeführten Maßnahmen bereits früher durchgeführt oder eingeleitet hat.
Hinsichtlich der Empfehlungen des Katalogs im Bereich von Kultur und Wissenschaft bestand im Kabinett — ich darf das jetzt abkürzen — das hier bereits wiederholt dargestellte Einvernehmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220600
Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016220700
Meine Zusatzfrage ist deshalb notwendig, Herr Staatsminister, weil auch diese Frage nicht beantwortet worden ist.
Ich möchte von Ihnen nun präzise wissen, ob die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft — unabhängig davon, ob Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaft sie direkt betreffen oder nicht — diese Beschlüsse, wenn sie sie mitgefaßt hat, unterstützt oder nicht. Also, konkret: Unterstützt der Bundeskanzler das, was die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft in Luxemburg entschieden haben, oder unterstützt er es nicht?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Verheugen, Sie haben vielleicht überhört, daß ich vorhin bereits gesagt habe, daß die Luxemburger Beschlüsse der Außenminister keinen zusätzlichen Handlungsbedarf ausgelöst haben — bis auf das, was ich als Reaktion der Bundesregierung bereits dargelegt habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016220800
Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016220900
Herr Staatsminister — Sie machen mich wirklich etwas wütend —, ich habe auch danach nicht gefragt. Ich muß wirklich bitten, Herr Präsident, daß Fragen, die man stellt, beantwortet werden. Ich wiederhole meine Frage: Ich möchte wissen, ob der Bundeskanzler die Entscheidungen der Außenminister von Luxemburg unterstützt.

(Ströbele [GRÜNE]: Ja oder nein! Deine Rede sei: ja, ja, nein, nein! — Frau Hönes [GRÜNE]: Er weiß es nicht! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Vogel, Staatsminister: Ich habe hier bereits dargelegt, daß dies erörtert worden ist, daß es im Kabinett daran keine Beanstandungen gegeben hat

(Lachen bei den GRÜNEN)

und daß das Kabinett weiter ausschließlich die
Frage erörtert hat, welcher Handlungsbedarf sich
aus diesen Beschlüssen des Ministerrates für die



Staatsminister Vogel
Bundesrepublik Deutschland, für die Bundesregierung ergibt.

(Ströbele [GRÜNE]: Sagen Sie doch lieber, daß Sie das nicht beantworten dürfen! Das ist doch ehrlicher als dieses Theater!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016221000
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016221100
Herr Minister, da Sie beklagt haben, daß Ihre Antworten uns etwas langweilen könnten, könnten Sie diesem Umstand vielleicht dadurch abhelfen, daß sie präzise Fragen präzise beantworten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb möchte ich noch einmal die Frage stellen: Trifft die Behauptung, der Bundeskanzler stehe zum Katalog der EG, zu, oder ist sie „frei erfunden und erlogen"?
Vogel, Staatsminister: Der Bundeskanzler hat überhaupt keine Veranlassung, an den Beschlüssen des Ministerrates irgend etwas auszusetzen; dies ist auch deutlich geworden. Sie können nur nicht erwarten, daß ich Ihnen die Antworten gebe, die Sie haben möchten. Ich gebe Ihnen vielmehr die Antworten, von denen ich meine, daß sie den Fragen, die hier gestellt sind, angemessen sind. Wie Sie die Antworten bewerten, ist völlig Ihre Sache.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016221200
Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID1016221300
Herr Staatsminister, vielleicht kommen wir an dieses Problem so heran: Unterstützt der Bundeskanzler den einsamen Beschluß des bayerischen Ministerpräsidenten in München in Fragen Südafrika?
Vogel, Staatsminister: Dazu besteht überhaupt keine Veranlassung, Herr Kollege Löffler, weil wir es hier mit der Bundesregierung und dem Handeln der Bundesregierung zu tun haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016221400
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1016221500
Herr Staatsminister, müssen wir in der Europapolitik künftig davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach dem „Rosinenprinzip" verfährt, sich aus gemeinsam gefaßten Beschlüssen von Ministerräten das herauszusuchen, was in der innenpolitischen Diskussion unschädlich ist, und das andere sozusagen auf sich beruhen zu lassen und nicht zu kritisieren, wie Sie es eben gesagt haben?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Duve, Sie gehen von einem Sachverhalt aus, der nicht zutrifft. Ich habe gesagt, daß uns vorgetragen worden ist, was die Außenminister beschlossen haben, daß die Bundesregierung an Hand dessen, was die Außenminister beschlossen haben, geprüft hat, inwieweit Handlungsbedarf für die Bundesregierung daraus entsteht, und daß sie diesem Handlungsbedarf nachgekommen ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016221600
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1016221700
Herr Minister, ist es Ihnen möglich, den ersten Teil der Frage 10 mit einem schlichten Ja zu beantworten?

(Zurufe von der SPD: Nein! — Lachen bei der SPD)

Vogel, Staatsminister: Ja. — Ich habe es nur noch einmal nachgelesen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016221800
Eine Zusatzfrage, Frau Hönes.

Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016221900
Herr Staatsminister, können Sie mir zustimmen, daß inzwischen die Fragestunde im Deutschen Bundestag eine Gelegenheit zur Verarschung von Abgeordneten geworden ist?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016222000
Diese Ausdrücke mag ich hier nicht, und es bleibt dabei, sie zu korrigieren.
Vogel, Staatsminister: Ich könnte mir vorstellen, daß der Herr Bundestagspräsident diese Frage nicht zuläßt, aber nur wenn er sie zuläßt, kann ich antworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016222100
Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Verheugen auf:
Trifft es zu, daß der Bundeskanzler gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten die Einführung des allgemeinen Stimmrechts für alle Bewohner Südafrikas für „undurchführbar und unverantwortlich" erklärt hat, wie unter Berufung auf die CSU-Landesleitung am 18. September 1985 von der „Süddeutschen Zeitung" berichtet wurde?
Vogel, Staatsminister: Herr Verheugen, Ziel der Südafrikapolitik der Bundesregierung ist ein friedlicher Wandel zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung in Südafrika, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird und die die legitimen Ansprüche aller Südafrikaner auf politische Teilhabe befriedigt. Über Art und Weise einer solchen künftigen politischen Teilhabe und des demokratischen Prozesses, auf dem sie beruhen soll, können nur die Betroffenen selbst entscheiden. Die Bundesregierung lehnt es daher ab, hierzu Vorschläge zu entwickeln oder zu verwerfen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016222200
Zusatzfrage, Herr Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016222300
Herr Staatsminister, kann sich die Bundesregierung andere legitime Formen der politischen Teilhabe vorstellen als die des freien, gleichen und geheimen Wahlrechts?
Vogel, Staatsminister: Ich habe ja ausgeführt — ich darf noch einmal zurückkommen auf die Aussprache in der vorigen Woche —, welches die Vorstellungen der Bundesregierung über die Entwicklung in Südafrika sind, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird, die die legitimen Ansprüche aller Südafrikaner auf politische Teilhabe befriedigt. Darin ist alles enthalten. Darüber ist ausführlich hier im Plenum des Deutschen Bundestages in der vorigen Woche gesprochen worden. Sie haben dazu einen Beitrag geleistet, der sich



Staatsminister Vogel
natürlich unterscheidet von dem Beitrag, den andere dazu geleistet haben. Ich muß zu den Beiträgen des Kollegen Klein und des Kollegen Bangemann sagen, daß es sehr sachbezogene Beiträge zu dieser Problematik gewesen sind.

(Duve [SPD]: Es ist nicht Ihre Aufgabe, das Parlament zu zensieren!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016222400
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016222500
Herr Staatsminister, nachdem der von mir zitierte Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom 18. September, in dem es unter Berufung auf die CSU-Landesleitung heißt, der Bundeskanzler halte freie, gleiche und allgemeine Wahlen für alle Bewohner Südafrikas für undurchführbar und unverantwortlich, nicht dementiert worden ist und Ihnen bekannt ist, daß dies in den Ländern der Dritten Welt und vielen anderen Ländern als Unterstützung des Apartheidsystems ausgelegt werden wird: Was hat die Bundesregierung unternommen, um diese Deutung der dem Bundeskanzler unterlegten Äußerung zu unterbinden?
Vogel, Staatsminister: Zunächst einmal, wir hätten viel zu tun, wenn wir alles dementierten, was irgendwo in Zeitungen steht oder gesagt wird, auch wenn wir alles dementierten, was im Deutschen Bundestag gesagt wird, Herr Kollege Verheugen. Auf der anderen Seite hat die Bundesregierung den Inhalt ihrer Politik sehr unmißverständlich dargelegt. Ich glaube, daß dies allein maßgeblich ist, daß dies allein auch maßgeblich ist für die Bewertung anderer, und nicht das, was der Bundesregierung hier oder da unterstellt wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016222600
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016222700
Herr Minister, würden Sie freundlicherweise jetzt konkret die Frage beantworten, ob der Bundeskanzler zu irgendeinem Zeitpunkt in der jüngsten Zeit gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten erklärt hat, daß er die Einführung des allgemeinen Stimmrechts für alle Bewohner Südafrikas für undurchführbar und unverantwortlich hält?
Vogel, Staatsminister: Ich halte es für ausgeschlossen, daß der Bundeskanzler das erklärt hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016222800
Zusatzfrage des Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1016222900
Herr Staatsminister, welche Bedenken hat denn nun der Bundeskanzler gegen die Einführung des allgemeinen Stimmrechts für alle Bewohner in Südafrika?
Vogel, Staatsminister: Da die Voraussetzung, die Sie nennen, nicht stimmt, kann ich den Inhalt solcher Bedenken nicht mitteilen. Es gibt solche Bedenken nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016223000
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1016223100
Herr Staatsminister, eine solche dem Bundeskanzler unterstellte Äußerung hat ja international große Weiterungen. Es ist ein sehr sensibler Gegenstand unserer Außenpolitik. Was hat die Bundesregierung unternommen, um diesem Eindruck entgegenzuwirken, um klarzustellen, daß der Bundeskanzler eine solche Äußerung nie getan hat? Es ist nicht irgendeine Äußerung, sondern es ist eine Äußerung, die unser Verhältnis zu vielen Staaten in der Welt berührt.
Vogel, Staatsminister: Die Bundesregierung hat — ich darf das noch einmal wiederholen — den Inhalt ihrer Politik an allen dafür in Frage kommenden Orten immer wieder dargestellt. Sie muß dies teilweise tun gegen Unterstellungen, die — wie sich ja auch aus einigen Fragen ergibt — sogar hier im Hause noch zusätzliche Lautverstärkung erfahren. Sie wird dennoch dabei bleiben, ihre Politik geduldig weiter darzustellen und sie den Regierungen anderer Länder nahezubringen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016223200
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016223300
Falls der Herr Bundeskanzler keine Bedenken gegenüber einem freien, gleichen und allgemeinen Wahlrecht für Schwarze in Südafrika hat, will ich fragen, ob er sich dann mit allen seinen Möglichkeiten aktiv dafür einsetzen wird, daß den Forderungen der schwarzen Bevölkerung nach dem allgemeinen Wahlrecht nach dem Slogan „One person, one vote, one constitution" auch entsprochen wird.
Vogel, Staatsminister: Ich habe Ihnen ja schon dargestellt, welches die Zielvorstellungen der Bundesregierung sind. Ich könnte das nur wiederholen, Frau Kollegin.
Ich darf hier einmal ganz allgemein sagen: Wieso sollte bei uns eigentlich irgend jemand etwas dagegen haben, wenn ein allgemeines und gleiches Stimmrecht in Südafrika entstehen würde?

(Zurufe von den GRÜNEN)

Niemand kann etwas dagegen haben. Ich glaube, daß hier ein Sturm im Wasserglas entfesselt wird, der überhaupt keine Ursache in irgendwelchen Erklärungen der Bundesregierung oder des Bundeskanzlers hat. Da kann ich nur sagen: Das hätten Sie wahrscheinlich gerne.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016223400
Zusatzfrage des Abgeordneten Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016223500
Herr Staatsminister, wir sind Ihnen ja dankbar, daß Sie sich hier eindeutig und klar von der Aussage distanziert haben, die die CSU-Leitung in München übermittelt hat. Sie haben sich von der „Undurchführbarkeit" und der „Unverantwortlichkeit" distanziert. Nun sagt die CSU-Landesleitung — das ist meine Frage —,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

daß diese Aussage — wenn Herr Kohl sie so getroffen hätte — ein Aufräumen mit der Heuchelei gewesen sei. Ich stelle auf Grund Ihrer Distanzierung



Gilges
im Umkehrschluß fest, daß Sie der Meinung sind, daß die CSU-Leitung heuchelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Akrobat!)

Vogel, Staatsminister: Verehrter Herr Kollege, ich habe mich hier an keiner Stelle auf irgendeine Äußerung der CSU bezogen. Ich lege Wert darauf, ausdrücklich festzustellen, daß ich mich hier nicht zu dem Inhalt einer Presseerklärung oder einer sonstigen Äußerung der CSU-Landesleitung geäußert habe, auch nicht zu irgendwelchen sonstigen außerhalb dieses Parlaments von irgendwem gemachten Äußerungen. Dies ist nicht die Aufgabe, die ich hier habe. Meine Aufgabe hier ist es vielmehr, Ihnen den Inhalt der Politik der Bundesregierung darzulegen, und dies tue ich nach bestem Wissen und Gewissen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016223600
Dr. Hauchler zu einer Zusatzfrage.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1016223700
Herr Minister, nachdem Sie klargestellt haben, daß der Bundeskanzler für ein allgemeines und gleiches Wahlrecht und Stimmrecht in Südafrika wie auch anderswo eintritt, darf ich Sie nun fragen: Ist der Bundeskanzler mit dieser Meinung gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten, der ja andere Ideen vertritt, vorstellig geworden? Was hat er unternommen, um hier eine Einheitlichkeit in der Bewertung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten zu versuchen?
Vogel, Staatsminister: Ich bin völlig sicher, Herr Kollege, daß — aber dies ist jetzt eine Wertung, die ich abgebe — der bayerische Ministerpräsident überhaupt nicht anderer Auffassung ist. Sie mögen ihm das gerne unterstellen — dafür habe ich sogar Verständnis —, aber dies stimmt nicht mit den Tatsachen überein.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016223800
Wir kommen zur Frage 12 des Abgeordneten Toetemeyer:
Hat der Bundeskanzler im Kabinett einen Beschluß herbeigeführt, der die Änderungskündigung des Kulturabkommens mit Südafrika vorsieht?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Toetemeyer, zunächst einmal gilt auch hier die allgemeine Vorbemerkung.
Die Antwort lautet: Ja, das Bundeskabinett hat am 11. September 1985 beschlossen, das seit 1962 bestehende bilaterale Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika zu kündigen mit dem Ziel, mit Südafrika sofort Verhandlungen aufzunehmen und dann im Zuge eines geänderten Kulturabkommens die Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas am kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland rechtlich abzusichern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016223900
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1016224000
Herr Staatsminister, teilen Sie daher meine Auffassung, daß die förmliche Beschlußfassung in der Sitzung des Kabinetts am 11. September erfolgt ist und daß es einer erneuten Erörterung dieses Komplexes in der darauffolgenden Sitzung eigentlich nicht bedurft hätte?
Vogel, Staatsminister: Es trifft zu, daß die Entscheidung in der Sitzung am 11. September erfolgt ist. In der Sitzung am 18. September sind dazu Erklärungen abgegeben worden. Der Inhalt ist öffentlich bekanntgegeben worden; da haben wir auch gar nichts zu verschweigen. Damit ist der Sachverhalt klargestellt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016224100
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte, Herr Toetemeyer.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1016224200
Ist es in dieser Bundesregierung üblich, daß Beschlüsse, die einmal gefaßt werden, in der darauffolgenden Kabinettsitzung erneut erörtert werden?
Vogel, Staatsminister: Es ist kein Kabinettsbeschluß erörtert worden, sondern es sind zu diesem Kabinettsbeschluß Erklärungen abgegeben worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016224300
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1016224400
Herr Staatsminister, die Frage des Kulturabkommens mit Südafrika ist zweifellos eine Frage von eminenter Bedeutung. Meine Frage ist: Werden Sie dem Herrn Bundeskanzler mitteilen, daß bei der Beantwortung der dazu gestellten Fragen beim Ressort „Kanzleramt" in der Fragestunde nur noch drei Mitglieder seiner Bundestagsfraktion zugegen waren, die damit das Interesse der eigenen Fraktion an der Politik des Bundeskanzlers dokumentieren?
Vogel, Staatsminister: Die Fraktion der CDU/CSU wie auch die Fraktion der FDP haben ihr Interesse durch die Beschlußfassung in der vorigen Woche deutlich zum Ausdruck gebracht. Deutlicher, als es dort in einer namentlichen Abstimmung geschehen ist, ist das gar nicht möglich.
Vielleicht liegt das, was Sie ansprechen, daran, daß die Kollegen es nicht als notwendig angesehen haben, daß die Fragen, die in der vorigen Woche erörtert worden sind, in dieser Woche erneut in dieser Breite erörtert werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016224500
Wir kommen jetzt zur Frage 13 des Abgeordneten Toetemeyer:
Kann der Bundeskanzler bestätigen, daß das gesamte Bundeskabinett die inzwischen ausgesprochene Änderungskündigung des Kulturabkommens mit Südafrika trägt?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Toetemeyer, die Antwort lautet: Die Kündigung des bilateralen Kulturabkommens mit dem Ziel seiner Neuverhandlung — die Änderungskündigung — ist in der Sitzung des Bundeskabinetts am 11. September



Staatsminister Vogel
1985 ohne Widerspruch und damit einvernehmlich beschlossen worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016224600
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1016224700
Herr Staatsminister, auch hier muß ich feststellen, daß meine Frage nicht beantwortet worden ist. Ich hatte gefragt: Trägt das gesamte Bundeskabinett diesen Beschluß, von dem Sie gesagt haben, er sei am 11. September gefaßt worden? Darf ich also davon ausgehen, daß die Protokollnotiz der vier CSU-Minister ohne jede Bedeutung ist?
Vogel, Staatsminister: Sie ist rechtlich in der Tat ohne Bedeutung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016224800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1016224900
Herr Staatsminister, da ich Sie für einen exzellent informierten Mann im Bundeskanzleramt halte, möchte ich folgende Frage anschließen dürfen: Ist Ihnen aus der Lektüre der Protokolle von Kabinettsitzungen vorheriger Bundesregierungen ein ähnlich gelagerter Fall bekannt, in dem ein eindeutiger Beschluß des Kabinetts in der darauffolgenden Kabinettsitzung zur Disposition gestellt wurde?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Toetemeyer, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich bisher weder mir die Zeit genommen habe noch sie gehabt hätte, alle Kabinettsprotokolle früherer Bundesregierungen durchzulesen und sie insbesondere auf Ihre Frage hin durchzulesen.

(Toetemeyer [SPD]: Würden Sie dann die Frage schriftlich beantworten?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016225000
Das geht nun nicht mehr. — Vielleicht hat er es gehört.
Herr Duve zu einer Zusatzfrage.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1016225100
Herr Staatsminister, der Bundeskanzler ist für die Richtlinien der Politik verantwortlich, nicht für die Richtlinien des Rechts. Sie haben eben ausgeführt, rechtlich seien die Protokollnotizen von keiner Relevanz. Könnten Sie dem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit mitteilen, welche politische Relevanz im Sinne der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers denn diese Protokollnotizen haben?
Vogel, Staatsminister: Die politische Relevanz liegt in der Erklärung, die der Bundeskanzler in dieser Sitzung abgegeben hat und die auch öffentlich mitgeteilt worden ist.

(Duve [SPD]: Also Nonsens-Notizen oder was?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016225200
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily. Bitte schön.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016225300
Herr Minister, gibt es denn eine nahtlose Übereinstimmung der Koalitionspartner in Ihrer Regierung, d. h. auch der CDU-Minister, der
FDP-Minister und der CSU-Minister, hinsichtlich der Südafrikapolitik? In einem allgemeineren Rahmen gefragt: Müssen Sie sich möglicherweise demnächst von Ihren CSU-Ministern Heuchelei vorhalten lassen, nachdem Sie in dankenswerter Klarheit gesagt haben, daß Sie nicht die Auffassung teilen, daß die Einführung des Stimmrechts für alle Bewohner Südafrikas undurchführbar und unverantwortlich sei?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, ich bin sicher, daß eine solche Äußerung von irgendeinem der CSU-Kollegen im Kabinett nicht erfolgen wird. Im übrigen gehe ich davon aus, daß innerhalb der Koalition inhaltliche Übereinstimmung über die Südafrikapolitik besteht, so daß alle Voraussetzungen, die Sie an Ihre möglichen Schlußfolgerungen knüpfen, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016225400
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016225500
Wurde die Absicht, das Kulturabkommen zu ändern, bereits so umgesetzt, daß gegenüber Pretoria diese Änderung schon mitgeteilt worden ist? Wenn j a, möchte ich gern wissen, wann und durch wen das geschehen ist.
Vogel, Staatsminister: Frau Kollegin, das erfolgte duch das Auswärtige Amt, das dafür zuständig ist. Sie haben vielleicht auch schon erfahren, daß dadurch eine sechsmonatige Kündigungsfrist in Gang gesetzt worden ist, eine Frist, die nach unserer Auffassung und Überzeugung ausreicht, um den Vorstellungen über den Inhalt eines geänderten Kulturabkommens näherzukommen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016225600
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hornhues.

Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1016225700
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß durch diese Fragestunde ein konstruktiver Beitrag zur Abschaffung der Apartheid in Südafrika geleistet wird?
Vogel, Staatsminister: Ihre Frage kann ich deutlich mit Nein beantworten, Herr Kollege.

(Duve [SPD]: Zur Selbstbeweihräucherung!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016225800
Zusatzfrage des Abgeordneten Schulte.

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1016225900
Herr Staatsminister, Sie sagten, daß es eine völlige Übereinstimmung zwischen den Ministern gibt. Seit wann gibt es diese Übereinstimmung? Gibt es sie schon seit dem 11. September? Wenn j a, warum war es notwendig, diesen Punkt am 18. nochmals zu erörtern?

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Uhrzeit nicht vergessen!)

Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, die Frage ist ja, ob Sie bereit sind, diese Übereinstimmung zur



Staatsminister Vogel
Kenntnis zu nehmen. Ihr Oppositionsgeist hindert Sie daran, dies zur Kenntnis zu nehmen.

(Zuruf des Abg. Duve [SPD])

Die Südafrikapolitik der Bundesregierung ist bereits in der Antwort auf die Große Anfrage der Opposition im, wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, Dezember 1983 deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Dort ist sie ausführlich dargelegt worden. Sie müssen das nur zur Kenntnis nehmen.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Aber lesen müßte man können!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016226000
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein (München).

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1016226100
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß die Auffassung von CDU-, CSU- und FDP-Fraktion

(Duve [SPD]: Die Auffassungen!)

zur Südafrikapolitik, insonderheit festgehalten in unserem Antrag, der vom Deutschen Bundestag in der letzten Sitzungswoche verabschiedet worden ist, deckungsgleich ist mit der Auffassung des Bundeskabinetts?
Vogel, Staatsminister: Dies ist völlig zutreffend, Herr Kollege Klein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016226200
Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen. Dann schließen wir die Frage ab.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1016226300
Herr Staatsminister, ist meine rechtliche Bewertung zutreffend, daß das Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika eine Änderungskündigung überhaupt nicht vorsah und deshalb auch keine Änderungskündigung, sondern eine ganz normale fristgemäße Kündigung ausgesprochen worden ist und dann, wenn innerhalb von sechs Monaten kein neues Kulturabkommen ausgehandelt wird, nach sechs Monaten tatsächlich kein Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika mehr besteht?
Vogel, Staatsminister: Da wir davon ausgehen, daß innerhalb dieser sechs Monate der Inhalt eines neuen Kulturabkommens zustande kommen wird, erübrigt sich die Beantwortung Ihrer Frage.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016226400
Wir kommen zu den Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Herterich. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Bindig auf:
Treffen Berichte zu, daß Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Strauß auf ihrem Treffen am 10. September 1985 eine völlige Übereinstimmung erzielt haben, daß keinerlei wirtschaftliche Sanktionen oder Boykottmaßnahmen von deutscher Seite gegenüber Südafrika zu verhängen seien?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Bindig, auch bei Ihnen muß ich die allgemeine Vorbemerkung
machen. Die Antwort auf Ihre Frage 16 lautet: ja. Die Bundesregierung lehnt grundsätzliche wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen zur Durchsetzung politischer Ziele ab.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016226500
Zusatzfrage, Herr Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1016226600
Herr Staatsminister, sind Sie schon einmal auf die Idee gekommen, daß wir diese Fragen aus dem Grunde noch einmal einreichen mußten, weil sie zwar schriftlich beantwortet waren, aber so, daß sie sich nicht mit dem deckten, was gefragt worden ist? Deshalb frage ich Sie auch jetzt, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß ich nach wirtschaftlichen Sanktionen gefragt habe und nach sonstigen Boykottmaßnahmen. Das Wort „Boykottmaßnahmen" enthält nicht das Beiwort „wirtschaftliche". Denkt die Bundesregierung daran, andere Boykottmaßnahmen, die über das Wirtschaftliche hinausgehen, gegen Südafrika zu verhängen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, so wie ich die Frage gelesen habe, habe ich das Wort „wirtschaftliche" auf beide nachfolgenden Worte bezogen und waren sie auch zu beziehen; denn hier spielten ja in der Tat nur wirtschaftliche Boykottmaßnahmen in der Auseinandersetzung eine Rolle.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016226700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Bindig.

(Bindig [SPD]: Nein!)

Dann habe ich eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1016226800
Herr Staatsminister, der Bundeskanzler bestimmt auch die Richtlinien für die Außenpolitik. Was gedenkt die Bundesregierung künftig zu tun, um solche erheblichen Irritationen eines parteipolitischen Landesverbandes auf Außenpolitik, die wir zu verzeichnen hatten und die Gegenstand dieser Fragen war, zu verhindern? Es geht ja nicht an, daß wir in dieser Weise außenpolitisch dauernd von Bayern irritiert werden.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Und von der SPD!)

Vogel, Staatsminister: Die Bundesregierung wird zu jeder Zeit und überall da, wo es erforderlich ist, den Inhalt ihrer Politik darstellen. Das ist das, was die Bundesregierung tut.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016226900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klein (München).

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1016227000
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß unabhängig von Gesprächen, die zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden der CSU stattgefunden haben, der Bundesaußenminister für seine Fraktion und Partei von vornherein erklärt hat, aus prinzipiellen Erwägungen dächte er nicht an wirtschaftliche Sanktionen?



Vogel, Staatsminister: Dies ist zutreffend, Herr Kollege Klein. Der Herr Bundesaußenminister hat dies in alle Himmelsrichtungen hinein gesagt.

(Duve [SPD]: Auch nach oben? — Heiterkeit!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016227100
Wir kommen zur Frage 17 des Abgeordneten Bindig:
Treffen Berichte zu, daß Bundeskanzler Kohl keine Bedenken gegen die EG-Maßnahmen zu Südafrika hat, weil nach seiner Meinung die dort vereinbarten Maßnahmen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südafrika und der Bundesrepublik Deutschland nicht berühren?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Bindig, ich beantworte die Frage wie folgt. Von den meisten Empfehlungen, die in dem Beschluß des EPZ-Ministerrates vom 10. September 1985 enthalten sind, ist die Bundesrepublik Deutschland nicht betroffen. Insoweit bedarf daher die Frage keiner weiteren Beantwortung. Ich möchte aber grundsätzlich hinzufügen: Die Bundesregierung und alle sie tragenden Parteien — die CDU, die CSU und die FDP — halten wirtschaftlichen Druck nicht für ein geeignetes Mittel, um die Ziele ihrer Südafrikapolitik durchzusetzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016227200
Eine Zusatzfrage, Herr Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1016227300
Da ich nicht danach gefragt habe, ob die Bundesrepublik vom Beschluß des EPZ-Ministerrates betroffen ist, sondern wie der Bundeskanzler darüber denkt — oder bildet sich der Bundeskanzler keine Meinung über Sachverhalte, die über die Bundesrepublik hinausgehen? —, frage ich, wie der Bundeskanzler diese bewertet.
Vogel, Staatsminister: Diese Frage habe ich hier heute schon einige Male beantwortet, Herr Kollege Bindig. Ich betone noch einmal, daß das Bundeskabinett vor der Aufgabe stand, sich das, was im EPZMinisterrat beschlossen worden war, daraufhin anzusehen, welche Konsequenzen die Bundesregierung daraus zu ziehen hatte. Über diese Konsequenzen ist gesprochen worden, zu diesen Konsequenzen sind die notwendigen Beschlüsse gefaßt worden. Dies ist exakt der Inhalt der Politik auch des Herrn Bundeskanzlers.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016227400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1016227500
Herr Staatsminister, Sie haben eben eine sehr grundsätzliche Ausführung über die Haltung der Bundesregierung zu Wirtschaftssanktionen gemacht. Es wird uns ja immer wieder gesagt, daß es wichtig ist, ein möglichst einheitliches Vorgehen des Westens zu erreichen. Was hat die Bundesregierung unternommen, um herauszubekommen, was den amerikanischen Präsidenten Reagan bewogen hat, seinerseits wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen für ein sinnvolles Mittel der Politik zu halten?
Vogel, Staatsminister: Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, sich danach zu erkundigen, was den amerikanischen Präsidenten bewogen hat, sondern es ist Aufgabe der Bundesregierung, sich damit zu befassen, welches die Aufgabe, die Haltung und die Konsequenzen für die Bundesregierung sind. Dazu hat die Bundesregierung auch eine klare Meinung geäußert, daß sie nämlich wirtschaftliche Boykottmaßnahmen nicht für ein geeignetes Mittel hält.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016227600
Zusatzfrage des Abgeordneten Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016227700
Wenn die Bundesregierung wirtschaftliche Boykottmaßnahmen als ungeeignet ansieht, welche Sanktionen bleiben dann über diese ungeeigneten Maßnahmen hinaus der Bundesregierung noch übrig, und welche Sanktionen hält sie für notwendig, um gegen die Apartheidpolitik Südafrikas vorzugehen?
Vogel, Staatsminister: Wir haben ja wiederholt auch hier im Hause darüber gesprochen, daß wir der Auffassung sind, daß die Entwicklung in Südafrika auch in unserem Interesse eine evolutionäre Entwicklung sein muß, daß wir alles unterstützen, was diese evolutionäre Entwicklung vorwärtsbringt, daß wir aber alles ablehnen, was mit dazu beitragen könnte, daß es in Südafrika zu einem revolutionären Prozeß kommt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016227800
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1016227900
Herr Staatsminister, würden Sie kollegialiter bereit sein, einzuräumen, daß es ohne die am 18. September durch die CSU-Minister erfolgte Irritation über einen einmal gefaßten Beschluß zu dieser Fragestellung hier und heute nicht gekommen wäre?
Vogel, Staatsminister: Ich weiß nicht, welche Motive sie bewegt haben, und habe auch nicht die Absicht, danach zu forschen, Herr Kollege. Ich habe lediglich die Aufgabe, Fragen, die Sie aus eigener Entscheidung einbringen, so zu beantworten, wie ich das für richtig halte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016228000
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein (München).

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1016228100
Herr Staatsminister, könnten Sie vielleicht auch kollegialiter einen Kommentar dazu abgeben, daß eine Fraktion versucht, sich die Hände an etwas zu wärmen, was ein wirklich ernsthaftes Weltproblem ist?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Klein, Sie sagen mit anderen Worten das, was ich vorhin als den Versuch bezeichnet habe, sich aus innenpolitischen Gründen eines Dauerlutschers zu bedienen. Ich halte dies in der Tat für keine angemessene Haltung in ernsten außenpolitischen Fragen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016228200
Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
12116 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016228300
Herr Minister, wäre dieser Tadel nicht eher gegenüber einer CSU-Landesleitung angebracht, die einen Zusammenhang mit der Frage der Einführung des Stimmrechts und dem Ausdruck „unverantwortlich und undurchführbar" herstellt, solche Dinge in die Welt setzt und in diesem Zusammenhang von Heuchelei spricht? Meinen Sie nicht, daß angesichts eines so ernsten Zustandes in Südafrika, wo Menschen gefoltert, ermordet und wo Kinder gefangengesetzt werden,

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

wo ein rassistisches Regime an der Macht ist, nicht vielleicht ein milder Tadel angebracht wäre und nicht das, was Sie soeben kundgetan haben, Herr Minister?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schily, auch wenn Sie ein bißchen laut und emotional werden: Ich habe es mit dem Deutschen Bundestag und dem zu tun, was innerhalb des Deutschen Bundestages geschieht. Ausschließlich damit habe ich mich zu befassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016228400
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Es steht zur Beantwortung der Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Die Fragen 18 und 19 sollen auf Wunsch des Fragestellers des Abgeordneten Oostergetelo, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den Ausdruck „Deutschstämmige", wenn sie sich dessen in der Antwort auf eine schriftliche Frage bedient?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (CDU):
Rede ID: ID1016228500
Herr Kollege, der Ausdruck „Deutschstämmige" wurde bei der Beantwortung der Frage 189 des Abgeordneten Dr. Czaja im Zusammenhang mit Personen verwandt, die mit finanzieller Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Hoheitsbereich der Volksrepublik Polen deutsche Kriegsgräber pflegen. Diese Pfleger wurden in diesem Zusammenhang als „deutschstämmig" bezeichnet, weil unbekannt ist, ob sie Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes oder deutsche Volkszugehörige im Sinne des § 6 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes sind.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016228600
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1016228700
Herr Staatsminister, wenn Sie schon davon ausgehen, daß da keine Gewißheit bestanden haben könnte, wäre doch der Ausdruck „Deutsche und Deutschstämmige" angebracht.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, da die Gewißheit nicht bestand und es auch der Bundesregierung nicht möglich war, diese Gewißheit herzustellen, ist ein Begriff verwandt worden, der sinngemäß auch in § 6 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes vorkommt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016228800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1016228900
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß die Deutschen, die innerhalb Deutschlands in den Grenzen von 1937 leben, Deutsche und keine Deutschstämmigen sind?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, darin kann ich Ihnen zustimmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016229000
Wir kommen zur zweiten Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka, zur Frage 21:
Wie beurteilt die Bundesregierung Rechtsfragen, die bei Abschluß der Ostverträge „bestehen blieben"?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Herr Kollege, im Moskauer Vertrag haben die Vertragspartner bekanntlich in Art. 4 festgestellt:
Dieser Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken berührt nicht die von ihnen früher abgeschlossenen zweiseitigen und mehrseitigen Verträge und Vereinbarungen.
Entsprechende Aussagen sind in Art. IV des Warschauer Vertrags und in Art. 9 des Grundlagenvertrags enthalten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016229100

Da eine friedensvertragliche Regelung noch aussteht, sind beide Seiten davon ausgegangen, daß der beabsichtigte Vertrag die Rechte und Verantwortlichkeiten der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Vereinigten Staaten von Amerika nicht berührt.
Ein entsprechender Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten fand am 19. November 1970 im Zusammenhang mit dem Abschluß des Warschauer Vertrags statt.
In einem Briefwechsel zu Art. 9 des Grundlagenvertrags schließlich erklärten die Bundesrepublik Deutschland und die DDR u. a.,
daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und die entsprechenden diesbezüglichen vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken durch diesen Vertrag nicht berührt werden können.



Staatsminister Dr. Stavenhagen
Die Bundesregierung hat sich abschließend in ihrer Denkschrift zum Warschauer Vertrag vom 13. Dezember 1971 geäußert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016229200
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1016229300
Herr Staatsminister, kann ich aus Ihren Ausführungen, denen ich zustimme, die Schlußfolgerung ziehen, daß es sich hier um eine Konkretisierung in Ausführung des Friedensvertragsvorbehalts handelt?
Dr. Stavenhagen, Staatsminister: Dies ist zutreffend, Herr Kollege.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016229400
Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall. Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs, weil auch die Fragen 22 und 23 wegen des Wunsches des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Kübler, schriftlich beantwortet werden sollen. Danke schön, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, den ich aber nicht aufzurufen brauche, weil die beiden Fragesteller, die Abgeordneten Stahl (Kempen) und Lutz, ihre Fragen 24 und 25 bzw. 26 und 27 schriftlich beantwortet haben wollen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Die Frage 28 des Abgeordneten Grünbeck und die Frage 29 des Abgeordneten Tatge sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 30 des Abgeordneten Löffler:
Hat beim Internationalen Panzerwettschießen (CAT '85) der Leopard II die hohen Erwartungen erfüllt, die bei der Beschaffung dieses Systems bestanden und dargelegt wurden, insbesondere im Hinblick auf die neuartige Kanone?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1016229500
Herr Kollege Löffler, die Erwartungen der Kampfwertsteigerung für den Kampfpanzer Leopard II wurden beim Internationalen Panzerwettschießen voll bestätigt. Es haben 20 Bataillone aus sechs Nationen mit fünf verschiedenen Typen von Kampfpanzern teilgenommen. Dabei erzielte das deutsche Panzerbataillon 244 mit dem Leopard II die höchste Punktzahl.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016229600
Eine Zusatzfrage, Herr Löffler.

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID1016229700
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß bei dem Panzerwettschießen CAT überhaupt keine Mängel an dem Leopard II aufgetreten sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies können Sie entnehmen. Es sind Mängel an dem Kampfpanzer nicht bekanntgeworden. Sehr wohl — und dies ist uns bekannt — gibt es Dinge, die festgestellt wurden und die damit zusammenhängen, daß wir nicht mit einer scharfen Munition, die für den Kampfpanzer im Ernstfall vorgesehen ist, sondern mit einer extra entwickelten Übungsmunition geschossen haben, und zwar deshalb, weil der Gefahrenbereich, die Sicherheitszone mit der Übungsmunition nur 7,5 km beträgt, während die scharfe Munition eine Sicherheitszone von 20 km erforderlich macht. Diese Übungsmunition, mit der unsere Mannschaften geschossen haben, ist etwas seiten-windempfindlich. Dies wissen wir, dies wissen die Besatzungen. Und dies hat zur Folge, daß zuweilen das Richtsystem nachgerichtet werden muß.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016229800
Weitere Zusatzfrage, Herr Löffler.

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID1016229900
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, weshalb dann, wenn eine Munition seitenwindempfindlich ist, zu tief geschossen wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist leicht zu erklären: Ein System, eingerichtet auf einen bestimmten Punkt, muß entsprechend den Windverhältnissen nachgerichtet werden. Dabei ist wichtig: Kommt der Wind von links? Kommt er von rechts? Kommt er von vorn? Kommt er von hinten? Das ist anders als bei einer Munition mit kinetischer Energie — Sie haben sich damit beschäftigt und wissen, welches andere Geschoß im Ernstfall benutzt wird —, wo dieser Seitenwind eine solche Folge nicht hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016230000
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Lange auf, der aber nicht im Saal ist. Sie wird der Geschäftsordnung entsprechend behandelt.
Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Eid auf:
Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Urlaubsaufenthalt zweier Hauptleute der Bundeswehr bei der südafrikanischen Armee im Norden Namibias und der Einladung an südafrikanische Soldaten zu einem Umtrunk auf dem Gelände des Bundesministeriums der Verteidigung (vgl. General Anzeiger, 17. September 1985)?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ein Zusammenhang zwischen den beiden Sachverhalten besteht nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016230100
Zusatzfrage, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016230200
Welche Gründe und welchen Anlaß gab es für diesen Umtrunk, an dem bundesdeutsche und südafrikanische Militärangehörige teilgenommen haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Eingeladen zu diesem Umtrunk hat die Unteroffizierkameradschaft. Das ist keine dienstliche Institution. Das geschieht nicht im Namen des Verteidigungsministers, sondern das ist ein Zusammenschluß, seit einiger Zeit sogar ein eingetragener Verein, der seit 1973 immer wieder, in der Regel zweimal im Jahr, zu einem solchen geselligen Zusammensein die Un-



Parl. Staatssekretär Würzbach
teroffiziere aller hier vertretenen Militärattachestäbe — aller! — einlädt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016230300
Weitere Zusatzfrage, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016230400
Meinen Sie, daß es der rechte Umgang für Angehörige der bundesdeutschen Bundeswehr ist, sich mit Militärangehörigen Südafrikas zu treffen, die dort z. B. in schwarzen Townships, in schwarzen Gettos, auf Zivilpersonen schießen?
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Ich halte es für international üblich, daß Angehörige, in diesem Fall nicht des Offizierkorps, sondern des Unteroffizierkorps, oder auch andere Institutionen die hier akkreditierten und damit anerkannten diplomatischen Vertreter in Uniform oder ohne Uniform unabhängig von der Staats- und Regierungsform in den Ländern einluden und einladen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016230500
Wir kommen zur Frage 33 der Abgeordneten Frau Eid:
Symbolisiert diese Einladung an südafrikanische Soldaten durch Soldaten der Bundeswehr zu einem Fest auf dem Gelände des Bundesministeriums der Verteidigung den von der Bundesregierung vertretenen kritischen Dialog mit den in Südafrika herrschenden Weißen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Meine Antwort auf die Frage ist: Nein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016230600
Zusatzfrage, Frau Eid, bitte schön.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016230700
Darf ich noch fragen, wie oft solche Freundschaftsbesuche südafrikanischer Soldaten hier und eventuell bundesdeutscher Soldaten in Südafrika stattfinden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es hat keine offiziellen Besuche hin und her gegeben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016230800
Frau Eid, noch eine Zusatzfrage? Bitte schön.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016230900
Sie sagten, daß außer den südafrikanischen Soldaten Soldaten aus anderen Ländern teilgenommen haben. Können Sie mir sagen, aus welchen anderen Ländern die anderen Gäste waren?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es sind immer auch alle Ostblock-Attachéstäbe eingeladen gewesen. Sie haben seit einigen Jahren auf entsprechende Einladungen mitgeteilt, daß sie Unteroffiziere hier in Deutschland nicht stationiert haben. Daraufhin hat die Unteroffizierkameradschaft naturgemäß, nachdem ihnen offiziell mitgeteilt worden war, Unteroffiziere seien nicht da, diese nicht mehr eingeladen.
An dieser Veranstaltung haben Unteroffiziere aus Argentinien, Indien, Portugal, Ecuador, Kanada, Belgien und Österreich teilgenommen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016231000
Zusatzfrage, Herr Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016231100
Welche Kontakte zwischen Angehörigen der südafrikanischen Armee und der Bundeswehr bzw. dem Bundesverteidigungsministerium gibt es?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Keine.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016231200
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Grunenberg auf:
Ist — nachdem festgestellt wurde, daß die Besatzungen der am Flugzeugabsturz am 31. Januar 1985 in Bremerhaven beteiligten Maschinen nach einer Feier am Abend zuvor nicht mehr alkoholisiert waren — ausgeschlossen, daß sie dennoch z. B. wegen Übermüdung fluguntauglich bzw. nur bedingt flugtauglich waren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grunenberg, die Bundesregierung hat Anlaß, davon auszugehen, daß die am vorgenannten Flugunfall beteiligten Besatzungen weder fluguntauglich noch auch nur bedingt flugtauglich waren. Der fliegerärztliche Bericht besagt, daß die 48-Stunden-Anamnesen aller Beteiligten ohne Besonderheiten sind und keine Rückschlüsse auf ursächliche Zusammenhänge mit dem Unfall zulassen. Anders ausgedrückt: Die Besatzungen waren fit, topfit.

(Werner [Westerland] [GRÜNE]: Nüchtern!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016231300
Zusatzfrage, Herr Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1016231400
Herr Staatssekretär, wann ist mit der Fertigstellung und Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zu rechnen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier liegen mir keine konkreten Anhalte vor. Ein solcher Bericht muß gründlich, umfassend sein, und ich sage Ihnen zu, daß Sie ihn zur Kenntnis bekommen, sowie er abschließend vorliegt. Druck, von wem auch immer, auf die untersuchende Kommission auszuüben, verbietet die Sache.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016231500
Eine Zusatzfrage, Herr Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1016231600
Herr Staatssekretär, worauf ist die ungewöhnlich lange Dauer der Ermittlung des Unfallhergangs zurückzuführen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Jeder Flugunfall ist sehr schwer zu rekonstruieren, und hier lehrt die Erfahrung, daß eine solche Auswertung leider viele Wochen und manchmal Monate, wie in diesem Fall, in Anspruch nimmt. Dies ist bei uns, Herr Kollege, nicht anderes als in anderen Nationen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016231700
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Grunenberg auf:
Welche Vorsorge wird bei der Luftwaffe betrieben, um zu gewährleisten, daß nur in einwandfreier körperlicher Verfassung befindliche Besatzungen am Morgen in ihre Flugzeuge steigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.



Würzbach, Parl. Staatssekretär: Kollege Grunenberg, die Flugbetriebsordnung für die Bundeswehr enthält eindeutige Weisungen bezüglich Alkoholgenuß bzw. auch Einnahme von Medikamenten. Die tägliche Einsatzbesprechung zu Beginn des Flugdienstes gibt dem fliegerischen Vorgesetzten, aber auch den Kameraden der anderen im Verband mitfliegenden Maschinen die Möglichkeit, Verstöße gegen diese Weisungen zu erkennen. So ist auch eine gegenseitige Kontrolle sichergestellt. Zudem ist es bei uns und bei den anderen Luftwaffen gängige Praxis, daß ein Besatzungsmitglied seinem Vorgesetzten von sich aus meldet, wenn er sich auf Grund welcher Einwirkung auch immer nicht einsatzbereit fühlt, und er wird dann ohne nachteilige Auswirkungen an diesem Tag nicht zum Flugeinsatz eingeteilt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016231800
Sie haben eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1016231900
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die vom ehemaligen Oberstleutnant im „FAZ-Magazin" vom 13. September 1985 geäußerte Ansicht, daß der Waffensystemoffizier der abgestürzten Maschine wegen der Aufgabenverteilung im Cockpit auf keinen Fall in der Lage gewesen sei, die Maschine zu landen, und was gedenkt die Luftwaffenführung zu unternehmen, um die Waffensystemoffiziere für solche Notfälle zu schulen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Für Notfälle sind alle diese geschult. Die Bundesregierung teilt die soeben geschilderte Auffassung nicht, Herr Kollege.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016232000
Keine weitere Zusatzfrage? — Der Abgeordnete Gerstl (Passau) hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 36 und 37 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Würtz auf:
Ist der Bundesminister der Verteidigung bereit, die Belastungen der Bürger der Bundesrepublik Deutschland durch Verlagerung von Tiefflugstrecken ins Ausland zu vermindern, und wenn ja, wird in diesem Zusammenhang mit der türkischen Regierung verhandelt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würtz, der Bundesminister der Verteidigung ist bemüht, die Belastung der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland durch Verlagerung militärischer Tiefflüge ins Ausland weiter zu vermindern. Sie sind über das Maß informiert, wieviel wir inzwischen im Ausland fliegen; es sind runde 30 %. Dabei wird auch die Frage geprüft, ob Teile der fliegerischen Verbandsausbildung in die Türkei verlegt werden können. Die Aufnahme konkreter Verhandlungen mit der türkischen Seite ist eingeleitet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016232100
Eine Zusatzfrage, Herr Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1016232200
Herr Staatssekretär, ich hätte gern von Ihnen gewußt, wann mit der Beendigung dieser Verhandlungen zu rechnen ist.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen — ich sage: leider —, der Lage entsprechend, noch kein konkretes Datum sagen. Viel wichtiger scheint mir zu sein, daß diese Verhandlungen eingeleitet, veranlaßt und begonnen worden sind, bei uns wie auf der türkischen Seite, und intensiv, das Ziel vor Augen, vorangetrieben werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016232300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1016232400
Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht Auskunft darüber geben, an welchen Umfang Sie denken, wenn Sie die Verlagerung von Tiefflugübungen in die Türkei planen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies kann ich nicht, und könnte ich es, so wollte ich es öffentlich noch nicht tun. Klar ist, daß wir da nicht nur an ein oder zwei Maschinen, sondern an etwas gedacht haben, was ins Gewicht fällt. Es muß eine solche Anzahl sein, daß sich die Investitionen, die getätigt werden müssen, rentabel gestalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016232500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schulte (Menden).

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1016232600
Können Sie mir sagen, in welchen Ländern Tiefflüge und Tiefstflüge der Bundesluftwaffe stattfinden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies kann ich. Ich wiederhole das im Stenogrammstil — wir haben das fast jeden Monat hier in den Fragestunden behandelt —: Nur in Kanada Tiefstflug, d. h. Höhe etwa 30 m, was wir nirgendwo sonst machen. Wir fliegen in Großbritannien mit dem Tornado, wir fliegen in Italien, speziell in und um Sardinien, wir fliegen in Portugal, speziell in und um Beja herum, und wir machen einen nicht unerheblichen Teil der Ausbildung ebenfalls in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016232700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner (Westerland).

Gerd Peter Werner (GRÜNE):
Rede ID: ID1016232800
Herr Staatssekretär, zählt der Tieffliegerschießübungsplatz im Norden der Insel Sylt, in einem Naturschutzgebiet, der vor zwei Tagen von Protestierenden besetzt war, zu den offiziellen Tiefflugstrecken in der Bundesrepublik?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, ein Schießplatz kann keine Strecke sein. Das deutsche Wort schließt das schon aus; das sind zwei unterschiedliche Begriffe.
Klar aber ist, daß wir diesen Platz immer dann, wenn der Fremdenverkehr aufgehört hat — so auch zu diesem Datum —, anfliegen und dort entsprechende taktische Ausbildung mit bestimmten Waffen vornehmen und auch in Zukunft vornehmen müssen.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016232900
Zusatzfrage des Abgeordneten Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1016233000
Sie sprachen von notwendigen Investitionen für den Fall der Verlagerung von Tiefflugübungen in die Türkei. Um welche Investitionen würde es sich dabei handeln?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Um solche, die mit den Türken ausgehandelt werden müssen und die die Bundesregierung dann festlegen wird, wenn sie abwägen kann, ob das Investieren das damit angestrebte Ergebnis lohnt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016233100
Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016233200
Ist die Bundesregierung sicher, daß bei Tiefflugübungen in der Türkei durch die deutsche Bundeswehr mindestens die Kriterien eingehalten werden, die hinsichtlich der Störung der Bevölkerung und der Leute, die von dem Fluglärm betroffen sein können, hier in der Bundesrepublik eingehalten werden sollten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird Einzelheiten mit den Türken aushandeln.
Ich will aber hinzufügen: Es verwundert schon, daß Sie einerseits — hierüber haben wir kürzlich eine Debatte gehabt — die deutsche Bevölkerung hier entlasten wollen und andererseits etwas dagegen haben, daß wir die nötigen Übungen ins Ausland verlagern. Eines kann man nur!

(Ströbele [GRÜNE]: Aber nicht auf Kosten der türkischen Bevölkerung!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016233300
Die Frage 39 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Ich hätte noch den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit aufzurufen, muß aber leider feststellen, daß die zur Beantwortung zuständige Frau Staatssekretär nicht da ist. Es ist versucht worden, sie noch rechtzeitig zu erreichen. Wegen dreier Minuten einen Vorwurf zu erheben, würde mir schwerfallen. Wir werden mit ihr sprechen.
Sind Sie einverstanden, wenn ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Schulte noch die Möglichkeit gebe, Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr zu beantworten? — Das ist der Fall. Dann rufe ich aus diesem Geschäftsbereich die Frage 46 des Abgeordneten Ströbele auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der GRÜNEN, daß der Luftverkehr im Düsseldorfer Luftraum durch den dort laufenden Feldversuch zur zivil-militärischen Flugsicherung („Sobernheimer Konzept") unsicherer geworden ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016233400
Meine Antwort auf die Frage 46 lautet: Nein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016233500
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016233600
Herr Staatssekretär, gibt es einen Zusammenhang zwischen dem im laufenden Feldversuch angewandten Koordinationsverfahren und einer unsicheren Situation im Luftraum über Düsseldorf?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die seit dem 16. April 1984 in der Regionalstelle Düsseldorf laufende Phase 1 der praktischen Erprobung des neuen zivil-militärischen Flugsicherungskonzeptes verlief im ersten Erprobungsjahr sehr erfolgreich; das gilt sowohl für die Wirtschaftlichkeit der Flüge als auch für die Sicherheit im Luftraum.
Im Sommer dieses Jahres traten dann unerwartete Probleme bei der Koordination der Flüge zwischen den zivilen und den militärischen Fluglotsen auf. Es stellte sich insbesondere heraus, daß die getroffenen Koordinationsregelungen durch ihre Vielfalt insgesamt zu unübersichtlich waren, um in der betrieblichen Praxis bei weiter gestiegenem Luftverkehr noch mit der erforderlichen Zuverlässigkeit angewandt werden zu können.
Seit dem 27. August dieses Jahres gelten neue Regelungen, mit denen diese Probleme behoben sind. Deswegen habe ich vorher mit einem klaren Nein auf Ihre Frage geantwortet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016233700
Zusatzfrage, Herr Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016233800
Herr Staatssekretär, warum ist der schwere Zwischenfall über der Gominkreuzung nach über einem Jahr — er war am 13. 9. 1984 — noch nicht endgültig geklärt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Dies steht nicht im Zusammenhang mit diesem Feldversuch.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016233900
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dann.

Heidemarie Dann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016234000
Herr Staatssekretär, halten Sie es für vertretbar, daß weder die Möglichkeit des Abbruchs vorgesehen ist noch daß der Leiter des Betriebes bei unsicheren Situationen den Feldversuch unterbrechen kann, weil keine Verfahren für eine Unterbrechung erarbeitet wurden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Der Abbruch durch die Leitung ist jederzeit möglich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016234100
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1016234200
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von neuen Regeln ab August. Um welche Regeln handelt es sich hierbei?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Koordination zwischen den militärischen und den zivilen Fluglotsen wurde verbessert.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016234300
Ich lasse noch eine Zusatzfrage zu; dann müssen wir wegen Zeitablaufs abbrechen. Das ist die Zusatzfrage des Abgeordneten Schulte (Menden).

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1016234400
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage mit Nein beantwortet haben, frage ich Sie: Wie ist es dann zu erklären, daß die Düsseldorfer Dienststelle erklärt hat, daß das Sicherheitsniveau, das vor dem Feldversuch bestanden hat, nicht mehr gehalten werden kann?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß wir in diesem Luftraum nicht weniger an Sicherheit haben als vorher.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016234500
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Sie werden unterrichtet, mit welchem Fragenbereich wir morgen beginnen. Natürlich müssen wir an dieser Stelle fortsetzen; aber es muß noch geklärt werden, wann der Fragenbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit aufgerufen wird. Es gibt einen Fall, der das Fehlen von Frau Karwatzki entschuldigt. Sie werden über den Fortgang unterrichtet werden.
Ich habe eine amtliche Mitteilung zu machen, bevor wir in den weiteren Verlauf der Tagesordnung eintreten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/3931 — erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll nach Punkt 7 der Tagesordnung aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/3906 (neu)
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer (Offenburg).

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1016234600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantragt den Untersuchungsausschuß, um die Amtsführung des gegenwärtigen Bundesinnenministers Dr. Friedrich Zimmermann im Bereich der Spionageabwehr zu durchleuchten und aufzuzeigen, ob Bundesinnenminister Zimmermann seiner Dienst- und Fachaufsicht gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz in ausreichender Weise nachgekommen ist. Es geht also um Ministerverhalten und um Ministerverantwortung.
Der Untersuchungsausschuß, meine Damen und Herren von der Koalition, ist deshalb kein Spionage-, sondern ein Zimmermann-Untersuchungsausschuß.

(Beifall bei der SPD)

Bundesinnenminister Zimmermann hat bei seiner Eidesleistung am 30. März 1983 geschworen, Schaden von der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten. Wir bezweifeln, daß er diesem Eid im Bereich der Spionageabwehr gerecht geworden ist. Der Ausschuß soll deshalb auch aufklären, in welchem Ausmaße die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland während der Amtszeit des Bundesministers des Innern Dr. Friedrich Zimmermann durch Vorgänge im Bereich der Spionageabwehr beeinträchtigt worden sind.
Daß wir der Regierung und der Koalition mit unserem Antrag unbequem sind, wissen wir. Seit die SPD-Bundestagsfraktion die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt hat, ergießt sich aus den Reihen der CDU/CSU eine Flut von Verdächtigungen und Unterstellungen. Sie sind gegen den Untersuchungsausschuß, weil Sie die Wahrheit über Zimmermanns mangelhafte Amtsführung scheuen. Dies ist der eigentliche Grund für Ihre Einlassung.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Der Hinweis, meine Damen und Herren, die Parlamentarische Kontrollkommission sei über alles informiert und der Innenminister habe zu jeder gestellten Frage umfassend Antwort gegeben und jede Form der Aufklärung herbeigebracht, geht in zweierlei Hinsicht fehl: Die Parlamentarische Kontrollkommission hat die Aufgabe, die parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes zu übernehmen — nicht mehr und nicht weniger. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist kein Untersuchungsausschuß, sie kann und darf ihn auch nicht ersetzen. Die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse bleiben von der Parlamentarischen Kontrollkommission unberührt; so sieht das Gesetz es vor. Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt — und dies aus gutem Grunde — unter strikter Geheimhaltung. Man darf deshalb von diesem Gremium auch nicht erwarten, meine Damen und Herren, was nicht seine Aufgabe ist.
Das gleiche gilt auch für den Innenausschuß: Er hat nicht die Möglichkeit, die Aussagen des Innenministers und seiner Mitarbeiter tatsächlich zu überprüfen. Er kann keine Akten anfordern, er kann keine Vorladungen vornehmen, er kann Zeugen nicht unter Eid zu wahrheitsgemäßen Aussagen vernehmen. Kurz: Die Einsetzung des Untersuchungsausschusses ist zur Aufklärung der Wahrheit — der Wahrheit über Ihre Amtsführung, Herr Bundesinnenminister — unverzichtbar.

(Clemens [CDU/CSU]: Sie brauchen sich dafür doch nicht zu entschuldigen!)

Im übrigen, meine Damen und Herren von der Union, glauben Sie ja selbst nicht an Ihre eigenen Argumente. Statt vieler nur ein Beleg dafür: Hin-



Schäfer (Offenburg)

sichtlich des Lutze/Wiegel-Spionagefalles — immerhin ein Spionagefall, Herr Bundesinnenminister, mit NATO-Bezug — hat der damalige Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion Dr. Friedrich Zimmermann erklärt: „Dieser Spionagefall schreit geradezu nach einem Untersuchungsausschuß."

(Dr. Vogel [SPD]: So ist es! — Zuruf von der CDU/CSU: Na und?)

Herr Bundesinnenminister, wollen Sie so schnell alles vergessen, auch Ihre Auffassungen von gestern?

(Clemens [CDU/CSU]: Sie wollen nach dem Motto verfahren: Auge um Auge, Zahn um Zahn!)

Ich will in diesem Zusammenhang noch ein Zitat bringen, ein Zitat, das den Unterschied zwischen dieser Regierung und ihrer Vorgänger-Regierung in der Einschätzung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeit und -notwendigkeit deutlich macht. Der Vorgänger des Herrn Bundeskanzlers Kohl, Helmut Schmidt, hat am 24. Februar 1978 zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses Lutze/Wiegel erklärt — ich zitiere —:
Die Bundesregierung und ich als Bundeskanzler, wir haben daher die Konstituierung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß in dieser Angelegenheit begrüßt, damit die näheren Umstände dieses Spionagefalls durch das Parlament für das Parlament und für die Öffentlichkeit geklärt werden können.
So Helmut Schmidt. Diese Worte haben für unsere Fraktion auch heute noch Gültigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Auch deswgen ist die Einsetzung des Untersuchungsausschusses notwendig.
Der von uns formulierte Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zeigt, daß das Ziel der von uns geforderten Aufklärung die Amtsführung des Bundesinnenministers Zimmermann ist.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sie wiederholen sich!)

Der Untersuchungsausschuß ist unumgänglich geworden. Herr Bundesinnenminister, Sie sind Ihrer
politischen Verantwortung nicht gerecht geworden.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Ich denke, das wollen Sie untersuchen!)

Sie kleben an Ihrem Ministersessel. Sie werfen dabei Ihre eigenen Maßstäbe über Bord.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Das soll doch erst untersucht werden! Das wollen wir doch erst untersuchen und nicht vorwegnehmen!)

Wir erinnern uns, meine Damen und Herren: Sie, Herr Bundesinnenminister, waren gerade sechs Wochen im Amt, als die Sicherheitsorgane im November 1982 das damalige Führungstrio der Roten Armee Fraktion fassen konnten. Sie, Herr Bundesinnenminister, ließen sich damals für diesen Fahndungserfolg öffentlich abfeiern. Ich zitiere Friedrich Zimmermann, sechs Wochen als Bundesinnenminister im Amt: „Meine Methode ist das schnelle Zupacken."

(Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

Und: „Ich habe mich ohne Zögern fürs Zufassen entschieden."

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

Das waren Ihre markigen Worte zum Fahndungserfolg der Polizei, die markigen Worte des Hohenpriesters der inneren Sicherheit, Friedrich Zimmermann; er hatte gesprochen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016234700
Herr Abgeordneter Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Olderog?

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1016234800
Nein. —

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Was heißt „nein"?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016234900
Das war ein Nein auf die Frage, ob er eine Zwischenfrage zulassen will.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1016235000
Auf die Frage an Sie, Herr Bundesinnenminister, „Wenn Sie sich ohne Zögern fürs Zupacken entschlossen haben, dann sind doch diese Festnahmen ein persönlicher Erfolg von Ihnen" antworteten Sie, Herr Bundesinnenminister — hören Sie bitte gut zu, meine Damen und Herren von der Koalition —:

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Das ist doch alles alt!)

„Umgekehrt gesagt: Wenn die Aktion ein Fehlschlag geworden wäre, dann wäre ich politisch für den Fehlschlag verantwortlich gemacht worden."

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

Sie, Herr Innenminister, haben damals politische Verantwortung beschrieben, wie sie gesehen werden muß. Von alledem wollen Sie heute, drei Jahre danach, nichts mehr wissen.

(Beifall bei der SPD)

Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hellenbroich, ist seines Amtes als Präsident des Bundesnachrichtendienstes enthoben worden, weil er bei einer Entscheidung erfolglos war. Dazu Originalton Friedrich Zimmermann im Bundestagsinnenausschuß am 2. September dieses Jahres:
Was Herrn Hellenbroich vorgeworfen wird, ist klar: Es ist ein Fehler in der Abwägung. Er mußte wissen, daß er die Verantwortung tragen muß, wenn sich diese Güterabwägung als falsch herausstellt.
Auf die Frage des Kollegen Olderog, ob dies vom Ergebnis abhängig sei, führte Zimmermann wörtlich aus:
Das hängt in diesem Fall vom Ergebnis ab. Das
ist natürlich nicht eine erfolgsunabhängige,
sondern eine erfolgsabhängige Maßnahme, die
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12123
Schäfer (Offenburg)

mit einer großen persönlichen Entscheidung verbunden ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Bundesinnenminister Zimmermann, wir fragen Sie: Warum gilt diese Ihre Meßlatte nur für Beamte, aber nicht für Sie als den politisch verantwortlichen Minister? Ist das tatsächlich Ihr Verständnis von politischer Verantwortung, die Verantwortung nur für Erfolge zu beanspruchen, für die Mißerfolge aber die Beamten büßen zu lassen?
Herr Bundesinnenminister, wir müssen während Ihrer Amtszeit die größte Kette von Spionagefällen mit noch nicht absehbarem Schaden für die Bundesrepublik Deutschland erleben, und Sie, Herr Zimmermann, wollen uns und der Öffentlichkeit weismachen, damit hätten Sie nichts zu tun, dies alles entzöge sich Ihrer Verantwortung. Für wie dumm, Herr Zimmermann, wollen Sie die Offentlichkeit eigentlich noch verkaufen?
Dies alles, meine Damen und Herren, muß jetzt bis in alle Einzelheiten untersucht und aufgeklärt werden,

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Sie haben doch schon das Urteil gesprochen! Sie haben sich durch die Vorverurteilung als Mitglied des Untersuchungsausschusses disqualifiziert!)

und zwar mit einem Höchstmaß an Öffentlichkeit. Dazu ist dieser Untersuchungsausschuß notwendig.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Sie haben sich disqualifiziert als Mitglied des Untersuchungsausschusses! — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie wissen doch schon alles im voraus! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir wollen wissen, Herr Bundesinnenminister Zimmermann, warum Sie sich in diesen Spionagefällen, vor allem in den Fällen Tiedge und Willner, so seltsam gleichgültig und untätig verhalten haben. Was sind die tatsächlichen Gründe dafür, Herr Zimmermann? Ihre bisherigen Erklärungen vernebeln mehr, als sie zur Aufklärung des Tatbestandes beitragen. Was sind die Gründe für Ihr Verhalten? Gleichgültigkeit, gestörtes bzw. fehlendes Vertrauen zu dem von Ihnen berufenen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, mangelnder Fleiß, zuwenig Arbeit für den Bereich der inneren Sicherheit? Sie selbst haben sich gebrüstet, mehr als 80 % Ihrer Arbeit nur für den Bereich des Umweltschutzes zu verwenden. Lag es an Ihrer falschen Menschenführung? Lag Ihre seltsame Untätigkeit an der Selbstisolierung im Ministerium? War es eine falsche politische Einschätzung der Sicherheitslage, Herr Zimmermann?
Dazu noch einmal Originalton Friedrich Zimmermann:
Meine letzten Gespräche mit Herrn Hellenbroich unter vier Augen fanden am 13. Mai und am 28. Juni statt. Dabei erklärte ich dem Präsidenten, daß nach meiner Meinung zuwenig Erfolge bei der Spionageabwehr gegenüber Agenten
der DDR verzeichnet seien und woran das liege.
Dennoch, Herr Bundesinnenminister, blieben Sie schlichtweg untätig, als Herr Hellenbroich Sie am 28. Juni auf den schweren Verdacht gegen das Ehepaar Willner hinwies, Sie darauf hinwies, daß eine Sekretärin im Bundeskanzleramt unter Verdacht der nachrichtendienstlichen Tätigkeit für die DDR steht. Sie haben daraufhin nichts unternommen bzw. veranlaßt. Warum eigentlich, Herr Bundesinnenminister, welche Güterabwägung haben Sie vorgenommen? Sie blieben auch nach dem Verschwinden Tiedges in die DDR untätig, obwohl Sie wußten, Herr Zimmermann, daß Tiedge auch Kenntnis über den Verdacht der Sicherheitsbehörde gegen das Ehepaar Willner besaß. Dies alles, Herr Innenminister, und noch vielmehr offene, ungeklärte Fragen werden Sie dem Untersuchungsausschuß in aller Öffentlichkeit zu erklären haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu der nach dem G-10-Gesetz möglichen Telefonüberwachung machen. Wir Sozialdemokraten wollen keine Ausweitung der Telefonüberwachung. Ganz im Gegenteil, wir sind der Meinung, daß im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs in die Privatsphäre äußerste Zurückhaltung geboten ist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Wo andere, weniger einschneidende Wege zur Aufklärung möglich sind oder auch die Tragweite des aufzuklärenden Sachverhalts nicht wichtig genug ist, ist eine Abhörmaßnahme nicht verantwortbar. Das ändert aber nichts daran, meine Damen und Herren, daß im Einzelfall von der gesetzlich vorgesehenen Abhörmöglichkeit auch Gebrauch gemacht werden muß. Wie auch immer: Die Verantwortung für oder gegen eine G-10-Maßnahme kann dem Minister niemand abnehmen. Er hat für seine Entscheidung oder Nicht-Entscheidung einzustehen, wie dies die Regierung auf dienstlicher Ebene von Herrn Hellenbroich eingefordert hat.

(Beifall bei der SPD)

Der Bundesinnenminister und die CDU/CSU-Fraktion beklagen, der Untersuchungsausschuß — so Herr Zimmermann in dieser Woche in der „Quick" —, sei als „politisches Kampfmittel" gegen ihn gedacht, schade aber in Wirklichkeit der Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

(Dr. Vogel [SPD]: Zimmermann schadet dem Amt!)

Dazu ist zu sagen: Es ist das legitime, verfassungsmäßige und vom Grundgesetz verbriefte Recht, ja, nachgerade die Pflicht der parlamentarischen Opposition, dafür zu sorgen, daß offenkundige Fehler, Nachlässigkeiten, Ungereimtheiten, Widersprüche und Halbwahrheiten der Regierung oder eines Ministers von diesem Parlament selbst aufgeklärt werden. Haben Sie vergessen oder verdrängt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie bei Fällen mit viel geringerem Schaden für die Sicherheitsinteressen unseres Landes selbst Unter-
12124 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Schäfer (Offenburg)

suchungsausschüsse durchgesetzt und das legitime Recht der parlamentarischen Opposition für sich beansprucht haben?
Der Untersuchungsausschuß soll die Amtsführung des Bundesinnenministers untersuchen, nicht die nachrichtendienstlichen, nicht die operativen Überlegungen und Praktiken des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das wissen Sie von der Koalition. Das geht aus unserem Untersuchungsauftrag eindeutig hervor.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie irren auch, Herr Bundesinnenminister, wenn Sie meinen, der Untersuchungsausschuß schade dem Verfassungsschutz. Das Gegenteil ist richtig. Er ist notwendig, um weiteren Schaden von ihm und der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, Schaden, der weitgehend in Ihrer Person und in Ihrer Amtsführung begründet ist.

(Beifall bei der SPD)

Unter Ihrer Amtsführung, Herr Bundesinnenminister, ist das Bundesamt wie nie zuvor in schwere Wetter geraten. Was ist das für ein Minister, meine Damen und Herren,

(Dr. Vogel [SPD]: Ein vereinsamter! — Weitere Zurufe von der SPD)

der von den angeblich „fidelen Zuständen" — so Ihr Parteivorsitzender Franz Josef Strauß — im Kölner Amt keine Ahnung hat? Warum schweigen Sie auch zu dieser Behauptung Ihres Vorsitzenden, Herr Bundesinnenminister? Wenn die Behauptung von Franz Josef Strauß richtig ist, haben Sie sich zuwenig um das Amt gekümmert. Wenn sie falsch ist, wäre es Ihre Pflicht, sich vor Ihre Mitarbeiter im Bundesamt zu stellen. Beides unterlassen Sie.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat vor wenigen Wochen den Rücktritt von Bundesinnenminister Zimmermann gefordert,

(Zuruf von der CDU/CSU: Erfolglos!)

weil er den Übertritt eines der wichtigsten Männer der Spionageabwehr in die DDR politisch zu verantworten hat. Die Entscheidung des Innenministers und auch des Bundeskanzlers, im Amt zu bleiben bzw. Sie nicht aus dem Amt zu entfernen, sind nicht Ausdruck politischer Stärke, sondern Eingeständnis politischer Schwäche. Es ist eben so, daß der Bundeskanzler diesen Innenminister — selbst wenn er es wollte — gar nicht mehr entlassen kann, weil sonst sein ganzes Kartenhauskabinett in sich zusammenfallen würde.

(Zuruf von der SPD: Gruselkabinett!)

So versteckt man sich denn allenthalben hinter der Behauptung, der Bundesminister habe von allem nichts gewußt, sei nicht informiert und sei deshalb so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.
Meine Damen und Herren, in einem ähnlichen Fall hat der damalige CDU/CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann die süffisante Frage gestellt — ich zitiere —:
Jetzt muß man wirklich die Frage stellen: War der zuständige Minister vielleicht der einzige, der von dieser Sache nichts erfahren hat?
— Ja, Herr Zimmermann, heute müssen wir Sie fragen, ob Sie wirklich der einzige waren, der nichts erfahren hat, und wenn ja, warum Sie, Herr Bundesinnenminister, der einzige waren, dem man nichts gesagt hat.
Wir müssen im Untersuchungsausschuß der Frage nachgehen, ob es wirklich zutreffend ist, daß Sie, Herr Zimmermann, und Ihr Haus bis zum 21. August 1985 von dem Fall Tiedge keine Ahnung hatten. Diesem Ziel — und das heißt, Herr Zimmermann: Ihrer Amtsführung und Ihrer Person als dem für die innere Sicherheit politisch Verantwortlichen — gilt in den nächsten Monaten unsere Aufmerksamkeit. Wir wollen öffentlich die Art und Weise aufklären, wie Sie regieren bzw. es unterlassen.
Meine Damen und Herren, wenn es je eine Rechtfertigung für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß gegeben hat, dann sind es Ihre mangelhafte Amtsführung, Herr Bundesinnenminister, und die sich aus ihr offenkundig ableitende Gefährdung der Sicherheit unseres Staates.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Warum wollen Sie untersuchen, wenn Sie alles schon wissen?)

Die Wahrheit muß ans Licht. Dafür ist der Untersuchungsausschuß zwingend geboten. Sie, Herr Bundesinnenminister — das ist inzwischen klar erkennbar, und Sie können es auch in Ihnen sonst nahestehenden Presseorganen nachlesen —, Sie, Herr Bundesinnenminister Zimmermann, sind zum Sicherheitsrisiko für unsere Republik geworden.

(Beifall bei der SPD)

Der vermeintliche und selbsternannte Hohepriester der inneren Sicherheit, Dr. Friedrich Zimmermann, hat politisch längst abgedankt.

(Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der SPD: Deshalb sitzt er allein auf der Regierungsbank!)

Alle wissen es,

(Seiters [CDU/CSU]: Warum wollt ihr dann noch einen Untersuchungsausschuß, wenn ihr das schon vorher wißt?)

nur Sie selbst nicht, Herr Zimmermann. Auch darin liegt eine gewisse Tragik für Sie.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. Bastian [fraktionslos])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016235100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1016235200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der SPD beantragt im Zusammenhang mit den jüngsten Spionagefällen einen Untersuchungsausschuß. Das ist ihr verfassungsgemäßes Minderheitenrecht. Wir nehmen dies mit Gelassenheit, aber auch mit Be-



Dr. Laufs
sorgnis hinsichtlich der Folgen für die innere Sicherheit unserers Staates zur Kenntnis.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, wir fragen uns, was es in den jüngsten Fällen noch zu untersuchen gibt. Selbst die Presse hat ihr Interesse an den konkreten Fällen verloren,

(Zurufe von der SPD: Welche Presse? — „Bayernkurier"!)

weil es nichts mehr aufzuklären gibt.

(Zuruf von den GRÜNEN: „Münchner Merkur", was?)

In der Parlamentarischen Kontrollkommission hat der Bundesinnenminister alle Fakten zu den Fällen Tiedge und Willner auf den Tisch gelegt.

(Zuruf von der SPD: Woher wissen Sie das denn?)

Ihre Fragenkataloge, die nach Art des Hauses ebenso umfangreich wie schulmeisterhaft waren, sind erschöpfend beantwortet worden.
Wenn Sie schon einen Untersuchungsausschuß wollen, warum fragen Sie nicht konkret nach Mängeln bei der Spionageabwehr? Die Parallele, die Sie, Herr Kollege Schäfer, zum Fall Lutze/Wiegel ziehen, geht deshalb ins Leere. Sie stellen solche Fragen nicht, weil Sie bereits aus der Parlamentarischen Kontrollkommission und dem Innenausschuß präzise wissen, daß Sie damit den Minister Zimmermann nicht belasten können.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Statt dessen wollen Sie aus dem Untersuchungsausschuß einen allgemeinen Ausforschungsausschuß machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit Ihren Fragen unterstellen Sie, daß der Innenminister persönlich Einfluß auf Maßnahmen des Verfassungsschutzes nehmen und sich um operative Einzelheiten hätte kümmern müssen.

(Dr. Vogel [SPD]: Um Herrn Tiedge!)

Es fehlt nur noch der Vorwurf, die Eheleute Willner nicht persönlich observiert zu haben.
Bei allem geht es Ihnen offensichtlich nicht um die Verbesserung unserer Spionageabwehr gegenüber dem Osten, sondern allein um parteipolitischen Lärm auf Kosten der Sicherheit unseres Staates.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Schäfer, Sie haben dies gerade in brutaler Offenheit bestätigt.
Ihr Beitrag, Herr Kollege Schäfer, zeigt Ihre tiefe Befangenheit

(Seiters [CDU/CSU]: So ist es!)

in Ihre selbstgestrickten Vorverurteilungen. Wie wollen Sie der Wahrheit dienen? Sie haben sich heute hier als Mitglied dieses Ausschusses disqualifiziert!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Untersuchungsausschuß ist kein geeignetes Mittel, sich mit der Wirksamkeit der Spionageabwehr zu befassen. Die Arbeit vor allem des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird auf Monate gestört und durch die öffentliche Erörterung höchst sensibler Vorgänge nachhaltig geschädigt. Sie vergrößern den bereits entstandenen Schaden weiter.
Es kommt nicht von ungefähr, daß die Kollegen aus Ihrer Fraktion, die sich aus langjähriger Fachkenntnis für unsere Nachrichtendienste mitverantwortlich fühlen, nämlich die Kollegen Dr. Wernitz und Kühbacher, diesen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht befürwortet hatten.

(Lambinus [SPD]: Fragen Sie doch mal nach den Motiven!)

Die Debatte zum Fall Tiedge vor einem Monat brauchen wir nicht zu wiederholen. Damals haben der Herr Bundeskanzler

(Zuruf von der SPD: Wo ist er denn?)

und meine Freunde alles Notwendige zur Ministerverantwortlichkeit und zu der — man muß es rückblickend so bezeichnen — katastrophalen Fehleinschätzung des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hellenbroich gegenüber seinem Gruppenleiter gesagt.
Es gibt, Herr Kollege Schäfer, zum Spionagefall Willner keine Parallele nach dem Motto: Wenn Präsident Hellenbroich wegen einer fehlerhaften Güterabwägung in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, müßte der Bundesinnenminister wegen der unterlassenen Abhörmaßnahmen beim Ehepaar Willner zurücktreten. Beide Vorgänge sind auch nicht im entferntesten miteinander vergleichbar. Während das Verbleiben des Tiedge an seinem Arbeitsplatz eine Ermessensentscheidung war, die der Präsident der Behörde nach Abwägung aller Faktoren kraft seiner Entscheidungsgewalt frei traf, mußte der Bundesinnenminister über den Antrag des Bundesamtes auf Abhörmaßnahmen gegen die Eheleute Willner in einem vom Gesetz bis ins einzelne geregelten Verfahren entscheiden. Der Bundesinnenminister und seine zuständigen Beamten haben sich nach dem Buchstaben und dem Sinn des G-10-Gesetzes verhalten und den Antrag des Kölner Amtes zurückgestellt. Daß diese Verfahrensweise bei den engagierten Abwehrspezialisten des Bundesamtes für Verfassungsschutz keine Begeisterung auslöste, ist verständlich.
Es ist aber geradezu grotesk, wenn Sie von der SPD jetzt den Eindruck erwecken wollen, als hätte der Bundesinnenminister im Fall Willner von den Abhörmöglichkeiten gegen die Vorschriften des Gesetzes Gebrauch machen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 20. Juni 1984 betont, daß das grundrechtseinschränkende Gesetz zu Art. 10 aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses auszulegen und in seiner grundrechtsbegrenzenden Wirkung selbst im Lichte dieser Grundrechte einzuschränken sei.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016235300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich?

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1016235400
Einen Augenblick.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit von Abhörmaßnahmen gegenüber den Eheleuten Willner hatte der Bundesinnenminister keinen Entscheidungsspielraum und auch nichts abzuwägen, solange die vom Gesetz und von der Verfassung aufgestellten Eingriffsvoraussetzungen nicht vorlagen.

(Dr. Vogel [SPD]: Vor-Freispruch?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016235500
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich?

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1016235600
Bitte schön. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1016235700
Herr Kollege Laufs, ich respektiere durchaus die Mühe, die Sie sich geben, um den Bundesinnenminister zu verteidigen. Aber sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es ein überzeugenderer Beweis für die Solidarität wenigstens der Bundesregierung und des Bundeskanzlers mit dem Bundesinnenminister wäre, wenn wenigstens der Bundeskanzler und einige Mitglieder der Bundesregierung hier anwesend wären und wenn nicht der Eindruck unübersehbar wäre, wie einsam und verlassen der Bundesinnenminister schon jetzt ist?

(Beifall bei der SPD)


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1016235800
Herr Kollege Emmerlich, diese Zwischenfrage zeigt und ist symptomatisch dafür, auf welches niedrige Niveau Sie die Auseinandersetzung um so wichtige Fragen wie die Spionageabwehr herunterholen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

Wenn die Opposition diese Voraussetzungen jetzt als zu hoch und für die Arbeit der Nachrichtendienste hinderlich ansieht, sollte sie Vorschläge für eine erleichterte Anordnung der Brief- und Telefonüberwachung machen. Wir sehen Ihren Gesetzentwürfen mit Interesse entgegen.
Meine Damen und Herren von der SPD, mein Vertrauen in Ihre Beteuerungen zur Wahrung der Interessen unserer Nachrichtendienste und der notwendigen Geheimhaltung ist gering.

(Bundesminister Windelen nimmt auf der Regierungsbank Platz — Beifall und Zuruf von der SPD: Jetzt kommt Verstärkung!)

Am Tage Ihres Beschlusses über den Untersuchungsausschuß hat der Kollege Jahn im Deutschlandfunk ganz offen ausgesprochen, daß es Ihnen um Aufdeckung dessen gehe, was innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz geschehen beziehungsweise nicht geschehen sei. Wer mit einer solchen Absicht in den Untersuchungsausschuß geht, soll später vor dem Scherbenhaufen für die innere Sicherheit unseres Staates nicht sagen, dies habe man nicht gewollt. Für die Herren, der östlichen Nachrichtendienste kann es doch nichts Besseres geben,

(Dr. Vogel [SPD]: Als Herrn Tiedge! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Als Zimmermann!)

als daß über den Untersuchungsausschuß die nachrichtendienstlichen Details und Arbeitsmethoden bei der Spionageabwehr, durch welche undichten Stellen und Kanäle auch immer, bekannt werden.
Wenn Sie den Kollegen Jahn zum Vorsitzenden dieses Untersuchungsausschusses vorschlagen, muß ich daran erinnern, daß er, was die Geheimhaltung vertraulicher Dokumente angeht, einschlägig vorbelastet ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Widerspruch und Zurufe bei der SPD: Das ist Niveau! — Das war Zimmermann auch! — Klein [München] [CDU/CSU]: Die Wahrheit schmerzt, Herr Vogel!)

Schließlich hat er 1963 seinen Posten als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion niedergelegt, weil er vertrauliche Protokolle des Verteidigungsausschusses an den „Spiegel" weitergegeben hat.

(Clemens [CDU/CSU]: Das ist ja sehr interessant, daß man das mal hört! Das ist ja unwahrscheinlich! — Lenzer [CDU/CSU]: Das sind die richtigen Saubermänner!)

An der Spitze dieses Ausschusses muß ein Kollege stehen, dem von allen Seiten dieses Hauses volles Vertrauen entgegengebracht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Außerdem wäre es sonderbar, wenn der Ausschuß von einem Kollegen geleitet würde, der als Mitglied der PKK immer mehr als die übrigen Mitglieder weiß und bei dem sich notwendig die Kenntnisse aus der PKK mit den Angaben vor dem Ausschuß vermischen. Wollen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, uns dies ernsthaft zumuten?
Ihr Fraktionskollege Harald Schäfer hat 1983 vor der Bundestagswahl erklärt, alle Angriffe auf unser Gemeinwesen — Terrorismus, Extremismus und Spionage — seien insgesamt erfolglos geblieben. Für 13 Jahre sozialdemokratischer Regierungsarbeit im Innern habe der Grundsatz gegolten: Weniger staatliche Gewalt, aber dafür mehr Überzeugungsarbeit und Bereitschaft zum Dialog.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das konnte man 1983 noch sagen!)

Ich frage mich jetzt — und auch Sie —, weshalb die Frankfurter Gewalttäter und Krawallmacher immer noch nicht auf die sozialdemokratische Überzeugungsarbeit und Ihre Dialogbereitschaft ansprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Liebe Leute!)

Inzwischen kennen wir eine weitere Erblast aus
sozialdemokratischer Regierungszeit, nämlich die
damals bereits in sicherheitsrelevante Positionen



Dr. Laufs
eingeschleusten Langzeitagenten wie Höke und Willner.

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist doch die glatte Unwahrheit! Sie reden wider besseres Wissen!)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sind auch auf dem Gebiet der inneren Sicherheit seit Jahren nicht mehr zu einer überzeugenden und eindeutigen Aussage fähig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit den Vorwürfen gegen den Bundesinnenminister wollen Sie lediglich von Ihrer zwielichtigen Politik in Sachen der inneren Sicherheit ablenken.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Aus Ihren Reihen sind doch immer wieder — und zwar bis heute — Zweifel an der Notwendigkeit der Nachrichtendienste geäußert worden. Es sind Ihre Genossen, welche ständig eine Beschränkung der Arbeit des Verfassungsschutzes verlangen und dessen Tätigkeit als verfassungswidrig oder als Schnüffelpraxis diffamieren.

(Dr. Vogel [SPD]: Sie sollen sich um ernsthafte Sachen kümmern!)

Tatsache ist doch, daß die SPD-Rechtspolitiker nach Verurteilung eines bayerischen Landtagsabgeordneten wegen nachrichtendienstlicher Kontakte zur DDR praktisch eine Streichung des einschlägigen § 99 StGB verlangt haben.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Tatsache ist weiter, daß das SPD-Kabinett in Nordrhein-Westfalen 1984 die Überprüfung der Melderegister durch die Verfassungsschutzbehörden auf Perspektivagenten abgeschafft hat, obwohl damit über 400 Spione enttarnt wurden.
Wer sich in dieser Weise wie die SPD als Anwalt für die innere Sicherheit disqualifiziert hat, dem steht es nicht zu, der Bundesregierung oder dem Bundesinnenminister in Sachen Verfassungsschutz und Spionageabwehr Belehrungen zu erteilen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016235900
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016236000
Frau Präsidentin! Verehrte Frauen und Männer! Ich sehe das mit dem Herrn Zimmermann etwas anders. Dieses Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln ist unter dem Motto gegründet worden: Der Feind steht links. Nach diesem Motto hat das Amt all die Jahre gearbeitet, ganz egal, ob die zuständigen Minister Baum, Genscher oder wie auch immer geheißen haben.
Beim Regierungswechsel hat der Rechtsaußen aus Bayern, Herr Zimmermann, überhaupt keinen Grund gehabt, an der Loyalität dieses Amtes zu zweifeln und daran zu zweifeln, daß es hier einen Gleichklang der Interessen zwischen ihm und dem Motto und der Arbeitsweise dieses Amtes gegeben hat. Warum sollte er sich besonders darum kümmern? Er lies sie spionieren und schnüffeln.
Die Frage ist also nicht die Frage nach der Aufsicht des Ministers, sondern die Frage ist: Warum stellt die SPD einen solchen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses? Dieser Antrag zielt nicht etwa — wie vorgegeben — auf Sicherheitsinteressen, sondern er ist allein darauf gerichtet, den Konkurrenten, CSU-Innenminister Dr. Zimmermann, im Wahljahr vorzuführen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Spionagefälle Tiedge, Höke und Willner sind der willkommene Anlaß, die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland der Vorwand, das Kölner Amt stellt die Statisten, und der Bundestagsausschuß soll die Bühne sein. Aber was für eine Sicherheit soll das sein, die durch die Spione und Gegenspione, von denen die Zeitungen so voll waren, bedroht sein soll? Die einzige Sicherheit, die der Kölner Geheimdienst durch seine Spione tatsächlich gefährdet hat, ist doch die Sicherheit der DDR-Bürger, die angeworben wurden und vom Doppelspion Tiedge geführt wurden und die jetzt wahrscheinlich in die Gefängnisse wandern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da ist kein Sicherheitsinteresse der SPD; die Sozialdemokraten wollen als das dastehen, was sie schon immer gewesen sind, sie wollen die besseren Sicherheitsexperten, die Supersicherheitsexperten sein. Sie weisen jeden Vorwurf ihrer eigenen Kollegen wie des Dr. Wernitz empört zurück, die Verhandlungen des Untersuchungsausschusses könnten vielleicht ein wenig Licht in das Dunkel dieses Geheimdienstes bringen. Ich glaube Ihnen, wenn Sie das zurückweisen. Der Verfassungsschutz — der Kollege Schäfer hat das ja wieder zum Ausdruck gebracht — ist für sie heilig.

(Lambinus [SPD]: Heilig?)

Die SPD ist dabei, sich als die staatstragende Partei zu profilieren. Sie will erneut ihre Regierungsfähigkeit als der bessere Ordnungsfaktor beweisen.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Nun übertreiben Sie nicht!)

Mit dem Untersuchungsauftrag stellt sich die SPD-Fraktion bewußt in die Tradition ihrer Regierungszeit, in die Zustimmung zu den Notstandsgesetzen, in die Verschärfung des politischen Strafrechts, in die Tradition des Radikalenerlasses und der Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Das alles führt direkt zu dem Antrag für diesen Untersuchungsausschuß.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sind die besseren Garanten der Sicherheit, die besseren Hüter der inneren Sicherheit, das ist die Botschaft, die Sie rüberbringen wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie kommt aber nicht rüber!)




Ströbele
Verglichen mit dieser SPD — man konnte es im „Spiegel" nachlesen — ist ein CSU-Innenminister Zimmermann schon fast ein Liberaler,

(Heiterkeit bei den GRÜNEN — Lachen bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

ein bayerischer Liberaler, wie er sich selber im „Spiegel" charakterisiert hat.

(Lachen und Zurufe von der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Einen solchen Untersuchungsauftrag tragen wir nicht mit, da machen wir nicht mit. Wenn ein Untersuchungsausschuß, dann zum ganzen Verfassungsschutz. Dann wollen wir aufklären, was der Geheimdienst hier bei uns an der Heimatfront wirklich betreibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unseren Antrag werde ich nachher erläutern. Wir sind — das wurde in der Diskussion über das Volkszählungsgesetz hier im Bundestag deutlich — die einzige Fraktion, auf die sich der Bürger verlassen kann,

(Lachen bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

die einzige Fraktion, die kritisch zu diesem Verfassungsschutz eingestellt ist, die diesen Verfassungsschutz abschaffen will. Wir werden einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellen, der wirlich Licht in das Dunkel des Bundesamtes für Verfassungsschutz bringt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016236100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Dr. Schily?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016236200
Beim nächsten Mal.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016236300
Beim nächsten Mal, Herr Kollege Schily.

(Heiterkeit)


Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016236400
Herr Kollege, bitte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016236500
Darf ich wissen, jetzt wollen Sie doch? — Bitte, Herr Dr. Schily, Sie haben das Wort.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016236600
Frau Präsidentin, ich möchte keine unlautere Titelführung. Ich bin kein Doktor, ich bin nicht promoviert. Das ist mein Bruder, Frau Präsidentin.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016236700
Aber das wird ja nicht wehtun, hoffe ich.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1016236800
Ich bin immer für neue Erkenntnisse dankbar. Deswegen würde ich den Kollegen Ströbele bitten, uns doch einmal zu erläutern, wo die liberalen Züge des amtierenden Innenministers festzustellen sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016236900
Die liberalen Züge dieses Innenministers hat er sich selber in dem „Spiegel"-
Interview versucht an den Kopf zu setzen, und die SPD hat mit ihrem Antrag, so wie er formuliert ist, ihm die Gelegenheit dazu gegeben.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen und Zurufe von der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016237000
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1016237100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ja wirklich merkwürdige Frontstellungen bei einer solchen Debatte. Es ist das Recht der SPD, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu erreichen. Wir werden der Fragestellung, die Sie beantragt haben, zustimmen.
Allerdings wehren wir uns gegen alle Versuche, in dieser Debatte Ergebnisse dieses Untersuchungsausschusses sozusagen vorwegzunehmen. Was Sie gesagt haben, Herr Kollege Schäfer, erinnert mich an den schönen Dialog zwischen Faust und seinem Famulus Wagner, wo der Wagner sagt: „Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen." Wirklich eine naive Bemerkung. Denn der bisherige Verlauf der Debatte zeigt doch eines: daß am Ende eines solchen Untersuchungsausschusses, gering geschätzt, drei Wahrheiten stehen werden. Das ist das eigentlichen Problem dieses Ausschusses. Wir haben schon immer bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen skeptische Bemerkungen in diesem Hause gehört, ob seine Arbeitsweise geeignet ist, tatsächlich zur Klärung der jeweiligen Fragestellung zu führen. Das ist bei der Einsetzung des Guillaume-Ausschusses mit umgekehrten Fronten gesagt worden. In demselben Jahr legte die Enquete-Kommission Verfassungsreform ihren Bericht vor, in dem die politische Frontstellung in Untersuchungsausschüssen behandelt wird. Sie sagt:
Im parlamentarischen Untersuchungsverfahren stehen nämlich in der Regel auf der einen Seite diejenigen, die sich von der Aufklärung der gestellten Fragen einen politischen Vorteil versprechen, und auf der anderen Seite diejenigen, die einen politischen Nachteil befürchten. Diese Positionen wechseln allerdings im Laufe des Untersuchungsverfahrens wegen einzelner Untersuchungsthemen möglicherweise mehrfach.
Der Kollege Engelhard und ich haben damals ein Sondervotum abgegeben und darauf hingewiesen, daß die Mitglieder eines Untersuchungsausschusses immer versuchen, ihre politischen Debatten in Frageform auf dem Rücken der Zeugen und der Beteiligten fortzuführen. Dadurch wird ihr eigener Standpunkt nicht deutlicher und werden die Antworten, die sie erhalten, nicht glaubwürdiger.
Ausschüsse, die in dieser Art verfahren sind, haben häufig heftigste Kritik der Öffentlichkeit provoziert. Das hat dazu geführt, daß innerhalb und außerhalb solcher Ausschüsse zwischen den streitenden Parteien Verabredungen zum weiteren Verfahren getroffen wurden, die verfahrensrechtlich in



Dr. Hirsch
dieser Form nicht vorgesehen, gleichwohl aber notwendig waren, um das Ansehen des Parlaments zu retten. Es liegt auf der Hand, haben wir damals gesagt, daß solche Vereinbarungen auch mißbraucht werden können. Wir haben gefordert, daß das Parlament die Regeln der Untersuchungsausschüsse präzisieren müsse, denn sonst erscheine die Tätigkeit der Ausschüsse als Wettbewerb mehrerer konkurrierender Gruppen, nicht etwa die Wahrheit zu ermitteln oder gar recht zu haben, sondern in der öffentlichen Bewertung möglichst günstig abzuschneiden.
Nach der Verfassung ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein Recht des Parlaments, nach der politischen Wirklichkeit ein Recht der Opposition. Parlamentarische Kontrolle bedarf im Grundsatz der Öffentlichkeit. Die eigentliche Frage ist, wie diese Öffentlichkeit in ein vernünftiges Verhältnis zu den besonderen Bedingungen gebracht werden kann, unter denen sich die Arbeit des Staates im Sicherheitsbereich vollziehen muß.
Die Mercker-Kommission, auch eine Art Untersuchungsausschuß, hat am Ende ihres noch heute lesenswerten Berichtes besonders eindringlich auf diesen Konflikt zwischen notwendiger öffentlicher Kontrolle und für die Arbeit notwendiger Geheimhaltung hingewiesen.
Darum haben wir alle Erörterungen der Spionagefälle und der Dienst- und Fachaufsicht im Innenausschuß begrüßt, vor allem die Erörterungen in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Wir glauben, daß sie dort hätten fortgesetzt werden können. Und es sind j a dort auch die Fragebereiche, die den Antrag der SPD darstellen, im einzelnen in direkter Befragung des Bundesinnenministers, seines Staatssekretärs und des früheren und jetzigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz behandelt worden.
Wir können und wir wollen das verfassungsmäßige Recht der Opposition nicht schmälern. Wir möchten sie aber eindringlich darauf aufmerksam machen, wie groß die Verantwortung ist, die sich mit diesem Antrag verbindet. Wir befürchten, daß auch hier politische Auseinandersetzungen, die notwendig und berechtigt sind, auf dem Rücken der in dem Sicherheitsbereich tätigen Beamten ausgetragen werden, und daß am Ende des Untersuchungsausschusses nicht mehr Erkenntnisse stehen, als wir heute haben, sondern eine massive Belastung der Zusammenarbeit innerhalb des Bundesamtes und im Verhältnis zwischen dem Bundesamt und dem Ministerium. Es wird die Verpflichtung aller Mitglieder des Untersuchungsausschusses bleiben, diese Gefahr zu sehen und zu beachten und zu verhüten, daß sie eintritt. Der Schaden wäre sonst noch größer als der Nutzen, den Sie mit Ihrem Antrag für sich erstreben.
Herr Kollege Penner?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016237200
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1016237300
Herr Kollege Hirsch, das ist ja ganz interessant, daß Sie Appelle jeweils an das
Parlament bzw. an die Parlamentarier richten, die einen Untersuchungsausschuß begleiten müssen. Ich frage Sie nun: Würde das Ganze nicht ein bißchen glaubwürdiger, wenn Sie dabei auch an die manchmal jämmerliche Rolle der Auskunftspersonen erinnern würden?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1016237400
Ich weiß nicht, von welcher jämmerlichen Rolle Sie sprechen. Wir haben in der Parlamentarischen Kontrollkommission eine Serie von über 20 Fragen gestellt, und sie sind Punkt für Punkt beantwortet worden. Wenn das nicht ausreicht, hätte man das dort fortsetzen können. Das heißt, die Kenntnisse, die Sie als Opposition mit Recht erwarten, hätten Sie dort auch ohne die politische Begleitmusik und ohne die politischen Gefahren, die ein Untersuchungsausschuß und seine Arbeitsweise bedeutet, erreichen können.
Sie sind, Herr Kollege Penner, wie ich glaube, in einer ganzen Reihe von Untersuchungsausschüssen gewesen, und Sie wissen, daß selbst in dem Guillaume-Ausschuß, wo wir teilweise unter formell geheimen Bedingungen getagt haben, der Inhalt dessen, was wir beraten haben, zum Nachteil der Operationsmöglichkeiten der Dienste kurze Zeit danach in den Zeitungen stand.
Ich sage nicht, daß ich Sie nicht verstehe, daß Sie einen Untersuchungsausschuß haben wollen; ich appelliere nur an alle Beteiligten, dafür zu sorgen, daß dieser Untersuchungsausschuß nicht zu einer immensen Belastung der Arbeitsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz und damit zu unser aller Schaden gerät.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir können dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN nicht zustimmen; denn Sie zielen in Wirklichkeit nicht auf die Tätigkeit des Innenministers, sondern auf die Tätigkeit und Arbeitsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz ab.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

— Sie sagen das ja auch, und Sie berühren genau die Bereiche, die wir im Innenausschuß zur Zeit behandeln, und zwar bei dem Sechsten und Siebenten Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten. Sie, Herr Kollege Ströbele, sind einer der Berichterstatter. Wir tagen dort auch in qualifizierter Weise, also teilweise auch unter formeller Geheimhaltung. Ich frage mich, was dann dieser Antrag eigentlich soll, mit dem Sie die normale Tätigkeit des Innenausschusses in einen Untersuchungsausschuß hineinziehen wollen, während wir dort gemeinsam unsere parlamentarische Kontrolltätigkeit ausüben, die in einem Bericht an das Plenum dieses Hauses enden wird.

(Abg. Ströbele [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Sie wollen eine Frage stellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016237500
Zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Ströbele das Wort.




Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016237600
Herr Kollege, ist es Ihnen entgangen, daß mir im Innenausschuß bei Fragen schon mehrfach geantwortet wurde, der Minister oder der zuständige Staatssekretär, die gerade anwesend waren, brauchen Fragen nicht zu beantworten, daß es deshalb einen ganz großen Unterschied zwischen dem Innenausschuß und einem Untersuchungsausschuß gibt, wo die Möglichkeiten größer sind, Fragen zu stellen und auch Leute heranzubekommen, die man sonst nicht bekommt? Ich habe ohne Erfolg versucht, Herrn Hellenbroich in den Innenausschuß zu bekommen. Diese Möglichkeiten sind im Untersuchungsausschuß wesentlich besser als im Innenausschuß.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1016237700
Herr Kollege Ströbele, ich habe nicht den Eindruck, daß uns als Berichterstattern dort irgend etwas vorenthalten wird. Wir bekommen sogar Dokumente, die formell geheim sind und die Sie nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen können. Es gehört zur Selbstverständlichkeit einer Regierung, daß sie selber entscheidet, wer im Ausschuß oder bei Berichterstattern auf Fragen Rede und Antwort steht. Es steht Ihnen ja frei, mit offenen Fragen dann in dem Bericht des Innenausschusses oder hier im Plenum zu agieren. Wir sehen keine Veranlassung, hier den Eindruck zu erwecken, als ob uns dort in wesentlichen Fragen nicht die Auskünfte zuteil würden, die wir haben wollen. Bisher ist das so, und ich denke, es wird dabei bleiben.
Wir werden der Fragestellung aus dem Antrag der SPD zustimmen, wir werden den Antrag der GRÜNEN mit dieser maßlosen Ausdehnung des Ausschusses ablehnen. Wir werden dazu beitragen, daß dieser Untersuchungsausschuß sobald wie möglich eingesetzt wird, seine Arbeit aufnehmen und vor allen Dingen seine Arbeit sobald wie möglich abschließen kann.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016237800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.

Otto Regenspurger (CSU):
Rede ID: ID1016237900
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In dem führenden Kommentar zum Grundgesetz von MaunzDürig wird zum Wesen und der Funktion der Untersuchungsausschüsse ausgeführt:
Nach einhelliger Ansicht haben die Untersuchungsausschüsse speziell die Aufgabe, Tatsachen zu ermitteln.
An anderer Stelle heißt es:
Die Untersuchungsausschüsse ... verfolgen ... nicht einen selbständigen Zweck, sondern wollen und sollen wie jedes andere Unterorgan des Bundestages dessen Arbeit fördern und erleichtern.
Sinn und Zweck eines Untersuchungsausschusses, wie er hier definiert ist, ist ohne jeden Zweifel zuzustimmen.
Was aber will jetzt die Opposition aus diesem Instrument machen, wozu will sie hier einen Untersuchungsausschuß nutzen? Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Vogel hat es uns bereits vorausschauend öffentlich verraten. Nach einer dpa-Meldung vom 25. September 1985, 14.23 Uhr, erklärte er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Parlamentarischen Kontrollkommission,

(Dr. Vogel [SPD]: Falsch! — Dr. Emmerlich [SPD]: Erste Unwahrheit!)

daß seine Fraktion nach den ausweichenden Antworten Zimmermanns kaum eine — —

(Zuruf von der SPD: Völlig falsch! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Unwahrheit! — Dr. Vogel [SPD]: Fälschung! — Vosen [SPD]: Unwahrheit!)

— Wissen Sie, meine Damen und Herren, liebe Kollegen von der SPD; von meiner Großmutter habe ich als kleiner Junge ein paar Lebensweisheiten mitbekommen. Sie hat einmal zu mir gesagt: „Merke dir eines fürs Leben: Wenn du mit dem Finger auf andere deutest, dann weisen drei Finger auf dich zurück." Dies ist genau das, meine Damen und Herren, was wir hier erleben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Abg. Jahn [Marburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016238000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Otto Regenspurger (CSU):
Rede ID: ID1016238100
Nein, Herr Kollege Jahn, ich bin nicht bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten. Das, was ich Ihnen zu sagen habe, ist für die bemessene Zeit sowieso schon zuviel.

(Zurufe von der SPD)

— Ich habe Ihnen so viel zu sagen, daß die Zeit, die mir zur Verfügung steht, gar nicht ausreicht.
Also, um 14.23 Uhr die dpa-Meldung, und Sie haben dort bereits festgestellt, daß Ihre Fraktion nach den ausweichenden Antworten Zimmermanns kaum eine andere Möglichkeit als einen Untersuchungsausschuß sehe. Minister Zimmermann konnte aber diese Antworten noch gar nicht gegeben haben; denn die Sitzung, auf der er 21 Fragen der Opposition beantworten sollte, begann erst sieben Minuten später, nämlich um 14.30 Uhr!

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Unsinn!)

Der SPD kam es also gar nicht auf die Beantwortung bestimmter Fragen in der Parlamentarischen Kontrollkommission an.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Es kommt ihr auch heute nicht darauf an, mit einem Untersuchungsausschuß Tatsachen zu ermitteln. Sie will nur politischen Klamauk, ohne zu bedenken, welchen Schaden sie für den Staat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung damit anrichtet.

(Lambinus [SPD]: Politischer Klamauk! — Weitere Zurufe von der SPD)




Regenspurger
— Ich kann ja Ihre Aufregung verstehen. Das gefällt Ihnen natürlich nicht, was ich hier sage; aber es ist nun einmal so!

(Lambinus [SPD]: Sie bezeichnen das verfassungsmäßige Recht der Opposition als Klamauk!)

— Ich glaube, ich habe Ihnen vorhin erzählt, welche Aufgabe der Untersuchungsausschuß hat. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie auch gewußt, warum dies so ist.

(Zuruf von der SPD: Sie haben Maunz zitiert!)

Wenn also der verständliche Wunsch — —

(Bernrath [SPD]: Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen! — Heiterkeit bei der SPD)

— Aber diese Großmuttererklärungen, lieber Kollege Bernrath, sind Lebensweisheiten. Es wäre gut, wenn Sie sich manchmal daran halten würden.
Wenn also der verständliche Wunsch nach Aufklärung der Spionagefälle bei der Opposition nicht das Motiv für die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist, müssen wir uns heute fragen, was die SPD mit dem Untersuchungsausschuß im einzelnen bezweckt. Die Antwort liegt auf der Hand: Die Opposition versucht, mit diesem Instrument den beginnenden Wahlkampf parlamentarisch aufzufuttern; konkrete Themen hat sie nämlich nicht vorzuweisen, Sachkompetenzen schon überhaupt nicht.

(Lachen bei der SPD)

Ihr mühsam gegen Fritz Zimmermann zusammengebasteltes Feindbild soll künstlich erhalten werden.
Das Unternehmen muß genauso scheitern wie der klägliche Versuch, auf eine Entlassung des Bundesinnenministers hinzuarbeiten. Nach dem gescheiterten Entlassungsantrag wird nun versucht, auf dem Feld der inneren Sicherheit eine neue Betätigung zu finden, obwohl die vergangenen Sitzungen der parlamentarischen Gremien klar und eindeutig gezeigt haben, daß es nichts gibt, was die SPD gegen den Bundesinnenminister ins Feld führen könnte.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß dient hier weder der Aufklärung von Sachfragen noch der Wahrheitsfindung, sondern hat, wie ich bereits sagte, allein den Zweck eines den Wahlkampf vorbereitenden Forums. Die SPD will auf diese Weise ihr parteipolitisches Süppchen kochen, und zwar auf dem außerordentlich empfindlichen Gebiet der Spionageabwehr.
Ich stelle hier in aller Deutlichkeit fest: Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bringt Schaden für unser Land.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Eine Nummer kleiner!)

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen — so Ihre bisherigen Verlautbarungen — vielfach in öffentlichen Sitzungen tagen.

(Dr. Vogel [SPD]: 16.31 Uhr!)

Damit wird ganz deutlich, daß Sie das parlamentarische Instrument eines Untersuchungsausschusses zur Verfolgung vordergründiger Interessen mißbrauchen wollen. Überwiegend wird der Untersuchungsausschuß nämlich hinter verschlossenen Türen tagen müssen, da sonst die große Gefahr besteht, daß Einzelheiten der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes an die Öffentlichkeit durchsikkern. Das von Ihnen beabsichtigte öffentliche Verfahren schadet nicht nur den Sicherheitsinteressen, sondern behindert darüber hinaus auch die konkrete Tätigkeit des Verfassungsschutzes.

(Zuruf von der SPD: Hat das die Oma gesagt?)

Daß dies teilweise auch in Ihrer Fraktion so gesehen wird, zeigen die bekanntgewordenen Meinungsäußerungen Ihrer Experten auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Gegen deren Rat haben Sie sich allein aus parteiopportunistischen Gründen für diesen Antrag entschieden. Eine öffentliche Durchleuchtung der Spionageabwehr ist ohne Schaden für unsere Sicherheitsinteressen nicht machbar.

(Dr. Vogel [SPD]: Wir durchleuchten Zimmermann und nicht die Spionageabwehr!)

— Das zeigt mal wieder, wenn Sie Zimmermann durchleuchten wollen, wie Sie einen Untersuchungsausschuß ansehen.

(Dr. Vogel [SPD]: Ministerverantwortung!)

Das ist ein Hilfsmittel des Bundestages und soll Tatsachen beleuchten, meine Damen und Herren.
Wenn Sie sich — und ich wiederhole es — aus Gründen des Vorwahlkampfes zu diesem Vorgehen entschlossen haben, muß man ernstliche Zweifel an Ihrer parlamentarischen Verantwortlichkeit hegen. An einer sachlichen Kritik ist Ihnen wenig gelegen. Es kommt Ihnen in diesem Fall allein auf die politische Ausschlachtung an. Dazu ist jedoch das Instrument eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses vom Grundgesetz nicht vorgesehen.
Ich kann dazu nur nochmals betonen: parteipolitische Auseinandersetzungen auf einem derartig hochsensiblen Gebiet schaden dem Ansehen und der Funktion der Sicherheitsdienste und damit der Bundesrepublik Deutschland. Das ist bereits von einem Kollegen so trefflich formuliert worden, daß ich Ihnen seine Worte nicht vorenthalten möchte. Mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitiere ich:
Ich würde sofort zum Befürworter einer Sondersitzung, wenn es darum geht, den Konsens zwischen den Parteien in dem empfindlichen Bereich innere Sicherheit ... wiederherzustellen, in der Erkenntnis, daß innere Sicherheit kein Schlachtfeld für politische Parteien ist, während des Wahlkampfes nicht und auch außerhalb des Wahlkampfes nicht ...
Meine Damen und Herren, mit diesen Worten hat
sich am 30. September 1980 der Kollege Liedtke im



Regenspurger
Hessischen Rundfunk zu der Forderung einer Sondersitzung des Innenausschusses 1980 im Zusammenhang mit den damaligen Fahndungen nach Terroristen geäußert. Das Zitat spricht für sich.
Ähnliche Erklärungen aus der damaligen Zeit gab es darüber hinaus von den Kollegen Wernitz, Jahn und dem seinerzeitigen Kollegen Hugo Brandt. In Ihren eigenen Reihen, meine Damen und Herren von der Opposition, scheinen diese Worte heute vergessen zu sein.
Lassen Sie mich kurz noch einmal auf die Pläne der Opposition für den Untersuchungsausschuß im einzelnen eingehen. Die Antragsteller versuchen, eine Verletzung der Dienst- oder Fachaufsicht des Bundesinnenministers zu konstruieren. Dies zeigt einerseits das mangelnde Verständnis der Antragsteller von dem Inhalt der Dienst- und Fachaufsicht im nachgeordneten Geschäftsbereich eines Ministeriums. Andererseits soll die Untersuchung einer allgemeinen Dienst- und Fachaufsichtsverletzung bewußt in die Irre führen.
Ausgangspunkt sind die bekannten Spionagefälle. Bundesinnenminister Zimmermann hat hier den zuständigen Gremien Rede und Antwort gestanden. Parlamentarische Kontrollkommission und Innenausschuß sind hierfür der richtige Ort gewesen. Dabei hat der Bundesinnenminister sein Verhalten und die Gründe dafür überzeugend dargelegt. Er hat seine Entscheidungen in Übereinstimmung mit Recht und Gesetz getroffen.
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in diesem Fall läßt sich auch nicht mit der Tätigkeit früherer Untersuchungsausschüsse vergleichen, deren Einsetzung von unserer Seite beantragt wurde. Der Guillaume-Ausschuß ging damals auf die widersprüchlichen Erklärungen der Verantwortlichen bzw. auf das beharrliche Schweigen der damaligen Bundesregierung zu Einzelfragen zurück.

(Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

Dem konnte nur durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses begegnet werden. Das ist heute nicht der Fall. Minister Zimmermann hat den parlamentarischen Gremien lückenlos Auskunft über den Ablauf der Spionagefälle erstattet. Er hat in mehrstündigen Sitzungen Rede und Antwort gestanden. Alle Fragen wurden beantwortet. Am Ende der Sondersitzung des Innenausschusses hat der Bundesinnenminister ausdrücklich gefragt, ob noch Fragen offen sind. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, waren ausweislich des Protokolls nicht in der Lage, weitere Fragen zu stellen.
Es ist tatsächlich nicht einzusehen, welcher Aufklärung ein Untersuchungsausschuß nun noch dienen soll. Auch hier ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 20. September 1985:
Alle Achtung vor einem Minister, der die Gesetze korrekt anwendet und ihren Vollzug an streng rechtsstaatlichen Maßstäben orientiert und der alle nur erdenklichen Sicherungen einbaut, ehe er so einschneidende Eingriffe in die Intimsphäre und in den in der Verfassung verbrieften Schutz der Persönlichkeitsrechte beantragt wie das Abhören von Telefonaten.

(Zurufe von der SPD)

Abschließend noch ein Zitat aus der „Münchner Abendzeitung" vom 19. September 1985:
Die Opposition, eingeschlossen der Jurist Dr. Hans-Jochen Vogel, macht sich mit ihrem Lechzen nach dem Blut des Ressortchefs lächerlich.

(Zurufe von der SPD)

Dies alles, meine Damen und Herren, wird nun auch in einem Untersuchungsausschuß festgestellt werden. Der Bundesinnenminister hatte und hat nichts zu verbergen. Er kann mit Gelassenheit abwarten, wem die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses politisch nutzen und wem sie politisch schaden.

(Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD] — Weitere Zurufe von der SPD)

Aber wir haben die Sorge um die Sache, nämlich um die effektive Arbeit unserer Sicherheitsbehörden. Diese Sorge, meine Damen und Herren von der Opposition, sollte auch Ihre Sorge sein. Aber — so scheint es — nicht einmal dazu sind Sie in der Lage.

(Beifall bei CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016238200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Bundestag verpflichtet, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, wenn die Einsetzung von einem Viertel seiner Mitglieder verlangt wird. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wird von der Fraktion der SPD verlangt. Ich kann somit feststellen, daß der Untersuchungsausschuß gemäß Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes eingesetzt ist.
Nach § 31 unserer Geschäftsordnung habe ich jetzt noch eine Erklärung des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz zuzulassen.

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016238300
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie aus der öffentlichen Diskussion wissen, habe ich im Rahmen der internen Willensbildung meiner Fraktion hinsichtlich der Vorgehensweise eine andere Auffassung vertreten. Es ist selbstverständlich, daß ich nach der Entscheidung der Fraktion die Auffassung, die sich dort herausgebildet hat, solidarisch mittrage. Nach § 31 unserer Geschäftsordnung gebe ich eine entsprechende Erklärung zu Protokoll*), um das Verfahren hier abzukürzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Olderog [CDU/ CSU]: Welche Konsequenz hat das? Was ändert sich nun?)

*) Anlage 2




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016238400
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Zusatz-Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/3931 —
Interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.

(Seiters [CDU/CSU]: Paß auf, der Schily stellt wieder eine Zwischenfrage!)


Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016238500
Herr Kollege Hirsch, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen: Für uns ist das Problem dieser Verfassungsschutz, und dieses Problem läßt sich im Innenausschuß allein aus vielen Gründen nicht erledigen. Ich will Ihnen zwei Gründe davon jetzt einmal nennen.
Der eine Grund ist, daß das, womit wir uns im Innenausschuß derzeit beschäftigen, die Jahre betrifft, in denen Herr Baum und nicht Herr Zimmermann Innenminister gewesen ist. Das heißt: Alles das, was wir da haben, ist viele Jahre alt und genauso interessant wie das, was sich auf diesem Gebiet heute ereignet. Das ist der eine Grund.
Der zweite Grund ist, daß wir im Untersuchungsausschuß die Möglichkeit haben, bestimmte Leute, die wir im Ausschuß haben wollen, im Ausschuß auch auf Antrag zu hören, gegenüberzustellen und mit den Fragen und Antworten der anderen zu konfrontieren. Diese Möglichkeit haben wir im Innenausschuß leider nicht.
Für uns ist das Problem der Verfassungsschutz, die Frage: Was macht dieser Verfassungsschutz eigentlich? Im Jahre 1970 hatte ich meinen ersten Kontakt mit dem Verfassungsschutz. Da kam ein Regierungsrat Urbach zu mir in die Anwaltspraxis und bot mir einen geklauten Badewassererhitzer an, nachdem er vorher, wie wir später erfahren haben, der RAF versprochen, zugesagt hatte, Waffen zu besorgen. Wir lesen in der Zeitung fast jeden Tag von Verfassungsschutzagenten, die in Krefeld eingesetzt gewesen sind und sich dort an Gewalttätigkeiten beteiligt haben. Wir lesen von Anwerbungen von Studenten, die mit BAföG nicht auskommen und sich unter diesem Druck bereit erklären, für den Verfassungsschutz zu arbeiten. Das alles ist für uns Grund, uns mit diesem Verfassungsschutz näher zu beschäftigen. Wir kriegen ja jedes Jahr einen Bericht über die Arbeit des Verfassungsschutzes. Wer darin blättert, meint, die Bundesrepublik sei ein Horrorgemälde.
Nach diesem Bericht muß man den Eindruck haben, daß dann, wenn fünf oder sechs Leute zusammensitzen und sich über die Bedeutung Lenins in der heutigen Zeit oder über den Marxismus-Leninismus unterhalten, diese bereits Objekte des Verfassungsschutzes geworden sind.
Für uns ist nicht das entscheidend, was Ministerpräsident Strauß in Leipzig bei Herrn Honecker erklärt hat, daß nämlich dieser Verfassungsschutz zu 90% Unnützes und Unbrauchbares produziere. Für uns ist auch nicht entscheidend, daß dieser Verfassungsschutz uns jedes Jahr mehr als 200 Millionen DM kostet — auch im Jahre 1986 soll er wieder so viel kosten —, für uns ist entscheidend, in welcher Weise dieser Verfassungsschutz die Sicherheitsinteressen der einzelnen Bürger gefährdet und verletzt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu hatten wir im „Spiegel" vom Juni dieses Jahres sehr ausführlich zu lesen. Da waren Praktiken aufgezeigt, wie der Verfassungsschutz in Lauschangriffen vorgeht gegen Bürgerinitiativen, gegen Solidaritätskomitees für Chile, für Lateinamerika, für Eritrea, für Palästina. Nicht nur solche Komitees waren Objekte des Verfassungsschutzes, sondern auch Gewerkschaften, die Partei DIE GRÜNEN, j a sogar Teile der SPD. Uns wundert es, daß die SPD hier keine Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Wir wollen aufklären, in welcher Weise der Verfassungsschutz heute noch in diesen Bereichen Bürger bespitzelt, überwacht, die Daten sammelt und die Daten weitergibt. Wir wollen mit einem solchen Untersuchungsausschuß einen Beitrag leisten, einen ersten Schritt zur Abschaffung dieses Geheimdienstes.
Danke sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016238600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016238700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein sehr bemerkenswertes Kränzchen, das da von seiten der Opposition in den Untersuchungsausschuß geschickt wird. Da ist zunächst der Herr Jahn, der Vorsitzender werden soll. Wochenlang war der Mann völlig still. Ich wußte gar nicht mehr, daß er in diesem Hause noch vorhanden ist.

(Zurufe von der SPD)

Jetzt interessiert er sich für Spione und Agenten.

(Zuruf von der SPD: Zur Sache! — Zuruf von der CDU/CSU: Der soll sich für die Neue Heimat interessieren!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen das. Der Präsident des Deutschen Mieterbundes sollte sich aber in den letzten Wochen viel mehr interessiert haben für Tausende von Mietern, die von der gewerkschaftseigenen „Neuen Heimat" übervorteilt werden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016238800
Verehrter Herr Kollege, darf ich Sie auf den Punkt der Tagesordnung aufmerksam machen.
12134 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016238900
Dann wird offenbar der Herr Kollege Ströbele Mitglied, der vermutlich auf diese Weise die Rotation überwinden will wie weiland Herr Kollege Schily. Herr Ströbele sozusagen ein Schily in Schwundstufe, ein Mini-Schily,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

wie man eben in der Debatte der beiden Kollegen entdeckt hat.
Meine Damen und Herren, wir wollen aber die GRÜNEN nicht schlechter machen, als sie wirklich sind. Manchmal sind sie gar nicht so dumm. Mit Recht haben Sie bemerkt, Herr Kollege Ströbele und Ihre Fraktion, daß mit dem alten abgenagten Knochen dieser Geschichten, derentwegen die SPD den Untersuchungsausschuß einsetzen möchte, natürlich nichts mehr zu gewinnen ist. Deswegen haben Sie einen anderen Antrag nachgereicht. Die GRÜNEN fragen z. B. nach Dateien, in denen Körpergeruch festgestellt wird, und nach Untersuchungen gegenüber den GRÜNEN — unter uns: eine sehr peinliche Kombination.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, da alles dieses im Innenausschuß besprochen worden ist und weiter besprochen werden kann, nämlich im Rahmen des Datenschutzberichtes — —

(Abg. Ströbele [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Fünf Minuten. Verstehen Sie bitte, ich möchte das eben ausführen. — Na, bitte schön; wenn Sie es nicht anrechnen, Frau Präsidentin, wäre ich sehr dankbar. — Bitte schön!

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1016239000
Herr Kollege, für wen ist das peinlich, wenn solche Daten auch über Körpergeruch gesammelt werden und auch über GRÜNE, für die GRÜNEN oder für den Verfassungsschutz?

(Lenzer [CDU/CSU]: Für den Mann mit dem Körpergeruch! — Heiterkeit)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016239100
Lieber Herr Kollege, ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, ich glaube, das Haus insgesamt, eine Kombination auch bei Ihnen wäre in höchstem Maße peinlich.

(Heiterkeit)

Ich habe den Eindruck, Herr Minister Zimmermann, da in der Sache im Innenausschuß alles beraten worden ist — im Zusammenhang mit dem siebenten Tätigkeitsbericht beraten werden konnte —, es liegt den GRÜNEN nur daran, Sie bei sich zu sehen. Neulich schon konnten die GRÜNEN es kaum noch aushalten. Sie zitierten den Minister, obwohl es gar nicht nötig gewesen wäre, und jetzt besteht möglicherweise der Wunsch nach einem jahrelangen Untersuchungsausschuß. Die GRÜNEN scheinen in Minister Zimmermann geradezu vernarrt zu sein, und das, so haben wir bei Herrn Ströbele eben gemerkt, hat seine tiefen Ursachen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir den Katalog der Fragen in diesem Antrag bedenken, so muß ich sagen, es ist in der Sache völlig überflüssig, das als Untersuchungsausschußthema zu stellen. Die GRÜNEN haben aber offenbar einen pathologischen Zwang, hier im Hause für Unterhaltung zu sorgen. Das fängt mit der Plenaruniform an, die sie draußen ablegen, wenn sie das Plenum verlassen, das geht weiter mit der Tatsache, daß morgen hier der Bundesvorsitzende der Schwulen Einzug halten wird — oder ist er schon da? —, und das geht dann schließlich so weit, nachdem es nach dem Scheitern des Growian offenbar nicht mehr interessant ist, aus Wind Energie zu erzeugen, daß es immer noch ein politisches Programm sein kann, mit viel Energie Wind zu machen.

(Abg. Frau Hönes [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016239200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1016239300
Ich bin beim letzten Satz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir fällt dazu, zu Ihnen, trotz aller Sympathie, nur eines ein: Sunt pueri pueri; pueri puerilia tractant.

(Heiterkeit)

Ich muß das übersetzen, weil natürlich in meiner Fraktion viel zuwenig humanistisch gebildete Intellektuelle sitzen. Das sind handfeste Realschüler, wahrscheinlich Oberrealschüler. Das heißt auf deutsch: Kindsköpfe sind Kindsköpfe, und was kann man von denen anderes verlangen als Kindereien. Deswegen lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016239400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
Dr. Wernitz (SPD). Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einen Appell an den Kollegen Laufs richten. Das, was Sie hier in Richtung auf den Kollegen Jahn gesagt haben, entspricht nicht der Wahrheit, nicht den Tatsachen. Bitte korrigieren Sie dies. Es ist eine Frage des Umgangs miteinander.

(Beifall bei der SPD)

Man kann sich irren, aber das muß man dann eingestehen und die notwendige Korrektur vornehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016239500
Herr Abgeordneter Wernitz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Laufs?

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016239600
Bitte.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1016239700
Kollege Wernitz, würden Sie mir bitte helfen und mir nachweisen, was ich hier Unwahres gesagt haben soll?

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016239800
Gerne.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Bitte!)

Damals, als dieser Vorwurf aufkam, hat der Kollege
Jahn die Konsequenzen gezogen und seine Position
zur Verfügung gestellt. Dann gab es eine Untersu-



Dr. Wernitz
chung, und der GBA hat am Ende festgestellt, daß an diesen Vorwürfen nichts dran ist.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Da haben Sie ja keine Ahnung mehr! — Abg. Dr. Laufs [CDU/CSU] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016239900
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wernitz?

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016240000
Nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016240100
Keine weitere Zusatzfrage.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist wirklich allerhand! Aber es ist nicht richtig, was Sie hier gesagt haben! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen die Einstellungsverfügung des GBA lesen!)


Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016240200
Der Fakt ist klar. Bitte klären Sie dies ab. So sollten wir nicht miteinander umgehen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU )

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Antrag der GRÜNEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses übergehen. Zunächst einmal: Dieser Antrag ist schludrig formuliert, denn wenn ich Sie richtig verstehe und wenn wir Sie richtig interpretieren, wollen Sie offensichtlich die Tätigkeiten sämtlicher Bundesinnenminister untersuchen. Das ist eine komplette Fußballmannschaft; das sind elf Bundesinnenminister. Ich bitte also, in Zukunft ein bißchen sorgfältiger zu arbeiten oder es dann deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren, zur Sache selbst haben der Kollege Hirsch und ansatzweise auch der Kollege Broll Äußerungen gemacht. Ich möchte hier eindeutig feststellen, daß die GRÜNEN mit ihrem Antrag eine Thematik aufgreifen, die bereits Gegenstand intensiver parlamentarischer Kontrolltätigkeit im Innenausschuß im Zusammenhang mit den Beratungen zum sechsten und zum siebten Tätigkeitsbericht gewesen ist und weiterhin sein wird.
Wir haben z. B. die beiden Tätigkeitsberichte vor der Sommerpause im Innenausschuß intensiv behandelt. Wir haben am 9. September — Sie selbst waren dabei — ein erweitertes Berichterstattergespräch mit allen Details gehabt. Wir haben die Prüfberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz voll mit einbezogen. Wir werden am 15. Oktober ein erneutes Berichterstattergespräch haben. Weitere Termine sind möglich. Am Ende werden wir im Innenausschuß alle möglichen Sachfragen und Probleme intensiv behandeln. Da bleibt nichts offen. Da können Sie sämtliche Fragen stellen, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben. Am Ende der Beratungen im Ausschuß stehen die Beschlußempfehlung und der umfangreiche Bericht. Wir werden dann im Plenum des Bundestages auch noch detailliert beraten, diskutieren können und die notwendigen Beschlüsse fassen. Es ist einfach nicht sachgerecht, sondern vordergründige, durchsichtige Profilierung, wenn Sie so verfahren, wie Sie es hier getan haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es wird nichts unter den Teppich gekehrt. Jede Sachfrage — auch die nach der persönlich-politischen Verantwortung dieser Bundesregierung oder früherer Bundesregierungen — kann gestellt werden. Ich weise Sie darauf hin, daß Sie in keiner Ausschußsitzung und in keinem Berichterstattergespräch zur Sache selbst und auch zur persönlich-politischen Verantwortung Fragen gestellt haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016240300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016240400
Ja, bitte.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016240500
Herr Dr. Wernitz, stimmen Sie mir erstens darin zu, daß Ihre Ausführungen ebenso auf den Antrag der SPD und — zumindest in weitem Umfang — die Behandlung im Innenausschuß zutreffen — auch da sind viele Fragen geklärt worden —, und stimmen Sie zweitens meinen Beurteilungen, daß sich Nachrichtendienste und das Bundesamt für Verfassungsschutz in dem Umfang, wie sie sich heute darstellen, nämlich mit einem jährlichen Aufwand in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen DM, ...

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016240600
Ich bitte, die Frage zu beenden. Sie haben sowieso schon zwei gestellt.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016240700
... nicht mehr mit einem Gemeinwesen vereinbaren lassen, das auf Öffentlichkeit angelegt ist, und daß es nicht ausreicht, daß der Innenausschuß diese Fragen berät?

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016240800
Ich muß Ihnen energisch widersprechen. Sie haben mir soeben nicht zugehört, denn ich habe vorhin gerade ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Fragen in Richtung auf persönlich-politische Verantwortlichkeiten bisher von den Vertretern Ihrer Fraktion zu keinem Zeitpunkt gestellt wurden, weder im Ausschuß noch in den Berichterstattergesprächen,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: So ist es!)

und dies ist eine eindeutige Abgrenzung zu dem soeben behandelten und abgestimmten Antrag.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Sie haben jederzeit die Möglichkeit, entsprechende Fragen zu stellen; ich habe auf die kommenden aktuellen Termine hingewiesen.
Das Gremium Innenausschuß ist dafür zuständig, ist der parlamentarische Ort der Kontrolltätigkeit, und deshalb sagen wir, daß das, was Sie hier vorgelegt haben, erstens ein in keiner Weise durchdachter Antrag und zweitens ein vordergründiger Schaufensterantrag ist, den wir deshalb aus bester Überzeugung und guten Gründen ablehnen.

(Beifall bei der SPD)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016240900
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1016241000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nur deshalb zu Wort gemeldet, weil ich die wirklich maßlose Diskreditierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Sie vorgenommen haben, hier zurückweisen möchte. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Das Bundesamt ist in unserer Verfassung verankert. Es nimmt in unserem Auftrage Aufgaben wahr und dient damit dem Schutz dieser Demokratie. Die Aufgaben sind Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Überprüfung der Personen in Schlüsselfunktionen. Das Bundesamt unterrichtet uns jährlich über verfassungsfeindliche Bestrebungen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Mehr oder weniger einseitig!)

Diese Berichte nehmen wir zur Kenntnis, diese Berichte diskutieren wir. Das alles ist für eine Demokratie eine legitime, eine rechtsstaatliche Aufgabe, die nicht in Zweifel gezogen werden sollte.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Nun stellt sich die Frage: Werden dort Fehler gemacht? In der Geschichte der Bundesrepublik sind Fehler gemacht worden, wie überall, so auch dort. Dann, wenn es im Bundesamt, dem sensibelsten Amt der Bundesregierung, Fehler gibt, sind das auch immer Dinge, die einen großen Widerhall finden. Aber bisher hat diese Demokratie immer die Kraft gehabt, durch ihre verschiedenen Kontrollmechanismen — durch die öffentliche Meinung und durch die parlamentarische Kontrolle auf verschiedenen Ebenen: durch den Haushaltsausschuß, durch den Innenausschuß, durch die Parlamentarische Kontrollkommission, durch zwei G-10-Gremien — auch mit Fehlern fertigzuwerden. Dieses Amt wird rechtsstaatlich kontrolliert. Wir sind gerade dabei, Gesetze zu formulieren — wir werden sie dann ja in diesem Hause beraten —, um die Tätigkeit und die Informationsverarbeitung dort auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und auch die Datenverarbeitung zu überprüfen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Auf diese Gesetze sind wir aber gespannt!)

Es dürfen nicht grenzenlos Daten gesammelt und verwendet werden. Da gibt es Eingrenzungen, die vorgenommen worden sind. Da gibt es beispielsweise Eingrenzungen, die das Verhältnis des Verfassungsschutzes zur Polizei betreffen, weil der Verfassungsschutz nach dem Auftrag unserer Verfassung keine exekutiven Befugnisse hat. Dies geschieht also.
Da gibt es die Sorge, daß Demokraten bei der Ausübung ihrer demokratischen Rechte diskreditiert werden könnten. Diesen Sorgen sind wir nachgegangen; denn so etwas darf nicht passieren.
Sie können, wenn Sie an einzelnen Stellen Grund zur Kritik haben, dort ansetzen, aber Sie können nicht bei der Frage ansetzen, ob sich dieser Rechtsstaat ein solches Amt leisten kann oder nicht. Er muß sich verteidigen. Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir müssen uns überzeugend verteidigen. Wir dürfen bei der Verteidigung nicht selber rechtsstaatliche Prinzipien verletzen. Da gibt es ab und zu Diskussionen. Diese Diskussionen — auch die Dateiendiskussion, die Herr Wernitz hier noch einmal erwähnt hat — sind notwendig. Es ist zu viel auf Gebieten gesammelt worden, wo es nicht geboten und nicht notwendig ist und wo Bürgerrechte in Mitleidenschaft gezogen werden.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich bitte Sie also sehr: Überprüfen Sie diese maßlose Position. Wir lehnen Ihren Antrag aus tiefer Überzeugung ab.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016241100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/ 3931. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schulte (Menden), Tatge, Vogel (München), Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN
Neue schwere Bedenken gegen die Genehmigung der Wiederaufarbeitungsanlage in Wakkersdorf zur Gewinnung von Uran und Plutonium
— Drucksache 10/3809 —
Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/3925, 10/3928, 10/3942 und 10/3953 Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD, der GRÜNEN sowie der CDU/CSU und der FDP vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wünscht einer der Anfragenden das Wort zu einer zusätzlichen Begründung? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.

Eberhard Bueb (GRÜNE):
Rede ID: ID1016241200
Meine Damen und Herren! Mit der Freigabe der ersten Teilerrichtungsgenehmigung für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wakkersdorf letzte Woche durch das bayerische Staatsministerium haben Ihre politischen Verwandten von der CSU den ersten Schritt zur Verwirklichung eines Höllenfeuers getan, um das Franz Josef Strauß zu seinem 80. Geburtstag tanzen will.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf des Abg. Fellner [CDU/CSU])

Das will er üben, bevor er dorthin fährt, wo er sich bestimmt am wohlsten fühlt.
Aber er wird nicht nur bei uns Pech und Schwefel hinterlassen, sondern auch ein Machwerk, mit dem
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12137
Bueb
sich Menschen noch in 100 000 Jahren beschäftigen und vor dem sie sich schützen müssen, um von der Hinterlassenschaft eines Franz Josef Strauß nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Fürwahr, für Franz Josef Strauß ein faszinierender Gedanke: Auch in 100 000 Jahren werden die Menschen seiner noch gedenken und ihn verfluchen.

(Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU])

Am Beispiel Wackersdorf wird wohl am deutlichsten, um was es Ihnen wirklich geht. Nicht die Wohlfahrt der Menschen liegt Ihnen am Herzen, sondern der geradezu manische Zwang, alles zu bauen, was machbar erscheint,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

im wahrsten Sinne des Wortes: koste es, was es wolle.
Deutsche Ingenieurkunst soll der Welt beweisen: Wir sind immer noch die Größten. Wir können zwar nicht mehr die ganze Welt mit Krieg überziehen, aber wir können sie immerhin noch mit tödlicher Radioaktivität überziehen; das schaffen wir allemal noch.

(Unerhört! bei der CDU/CSU)

„Friedliche Nutzung der Atomenergie" nennen Sie das. Was ist denn da so friedlich, wenn Menschen ständig in Angst leben, radioaktiv verseucht zu werden? Was ist denn da so friedlich, wenn Mütter immer in der Angst leben, Kinder mit unheilbaren Erbschäden zu gebären? Was ist denn da so friedlich, wenn Sie mit Polizeiterror und Überwachung antworten, wenn sich Menschen gegen die angeblich so friedliche Atomenergie wehren?

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch nicht solchen Unsinn! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Unerhört, hier von „Polizeiterror" zu reden!)

Was ist denn da so friedlich, wenn die Möglichkeit besteht, bei einem größeren atomaren Unfall ganz Mitteleuropa zu entvölkern und auf Jahrtausende unbewohnbar zu machen?
Wer das „friedlich" nennt, ist in meinen Augen nicht mehr zurechnungsfähig.

(Beifall bei den GRÜNEN — Pfeffermann [CDU/CSU]: Volksverhetzer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Maximal 40 Jahre soll diese Höllenmaschine, wenn alles wie geplant verläuft, arbeiten. Dann muß sie abgestellt werden, weil sie total radioaktiv verseucht und nicht mehr betriebssicher ist. Dann wird sie eingemottet und strahlt in Ihren Augen 100 000 Jahre friedlich vor sich hin.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sie verbreiten Schauermärchen!)

Eine solche Denkweise kann nur kranken Hirnen entspringen. Nicht die Irren, die Sie einsperren, sind krank, sondern für Sie müßten Tausende von Irrenhäusern gebaut werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Unerhörte Frechheit! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Unglaublich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016241300
Herr Abgeordneter, ich rufe Sie wegen dieser Äußerung zur Ordnung.

Eberhard Bueb (GRÜNE):
Rede ID: ID1016241400
Dafür wären die 10 Milliarden DM, die die WAA in Wackersdorf kosten soll, besser angelegt. Außerdem würden viel mehr nützlichere Arbeitsplätze geschaffen werden.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sie können auch nicht dafür!)

Um diese großtechnische Todesmaschine Wirklichkeit werden zu lassen und den Betroffenen schmackhaft zu machen, haben Sie ein Lügengebäude zusammengezimmert, das diesem Innenminister alle Unehre macht.

(Lenzer [CDU/CSU]: Seien Sie vorsichtig!)

Erste Lüge: die Entsorgung. Als Sie im Bundeskabinett die Grundsatzentscheidung zugunsten der großtechnischen Wiederaufarbeitung faßten, sagte Minister Zimmermann wörtlich:
Der Bau einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage ist ein notwendiger Entsorgungsschritt.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Da hat er recht!)

Wir wissen, daß das erlogen und erstunken ist. Alle Sachverständigen einer Anhörung des Ausschusses für Forschung und Technologie, auch die Sachverständigen der DWK, waren sich einig: Im krassen Gegensatz zur Position der Bundesregierung trägt die WAA nicht zur Lösung des Entsorgungsproblems bei.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lenzer [CDU/ CSU]: Das ist doch Unsinn! Das stimmt doch nicht! Sie waren doch gar nicht dabei!)

Die eigentliche Entsorgung des Atommülls beginnt mit seiner Endlagerung in einem direkten Endlager. Dies ist aber unmöglich, weil es kein sicheres Endlager auf der ganzen Welt gibt. Deshalb ist auch der Antrag von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, pure Augenwischerei;

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Ständige Wiederholungen helfen da gar nichts!)

denn wo wollen Sie direkt lagern? Vielleicht im kaputten Salzstock Gorleben oder im Assebergwerk, das schon zweimal abgesoffen ist? Man sollte keine neue Entsorgungslüge auftischen, sondern lieber dafür sorgen, daß kein weiterer Atommüll produziert wird. Das ist die beste Entsorgung.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016241500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wernitz?




Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016241600
Herr Kollege, können Sie uns sagen, wo Sie denn das, was an Atommüll da ist, in Zukunft endlagern wollen?

Eberhard Bueb (GRÜNE):
Rede ID: ID1016241700
Herr Kollege, wenn Sie mit Ihrer Atompolitik so weitermachen, indem Sie die Atomkraftwerke dauernd weiterlaufen lassen wollen, dann haben wir im Jahre 2000 die zehnfache Menge von Atommüll, und dann wird die Endlagerung in der Tat wesentlich schwerer als jetzt. Wir müssen jetzt damit aufhören und anfangen zu forschen, wo wir dieses Teufelszeug lagern können. Darum geht's!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweite Lüge: Die WAA in Wackersdorf schafft Arbeitsplätze.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016241800
Gestatten Sie mal, wen bezichtigen Sie hier ständig der Lüge, wenn ich das mal erfahren darf?

Eberhard Bueb (GRÜNE):
Rede ID: ID1016241900
Zunächst bezichtige ich der Lüge, daß gesagt wird, die WAA entsorgt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Den Minister haben Sie der Lüge bezichtigt! — Lenzer [CDU/CSU]: Sie müssen einmal überlegen, was Sie hier erzählen!)

Die WAA entsorgt überhaupt nicht. Das ist unserer Meinung nach eine Entsorgungslüge.
Zweitens wird die Lüge aufgestellt, die WAA schaffe Arbeitsplätze. Es sollen wohl 1 500 Arbeitsplätze geschaffen werden; das ist richtig. Aber haben Sie sich denn einmal gefragt, wieviel Arbeitsplätze in der Oberpfalz im Fremdenverkehr verlorengehen, weil sich die Leute nicht mehr trauen, dorthin zu gehen?

(Lachen bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn damit? — Zuruf bei der CDU/CSU: Es wäre gut, wenn Sie mal dahin gingen!)

Haben Sie sich denn mal gefragt, wieviel Arbeitsplätze Sie in der Landwirtschaft gefährden, weil der Boden radioaktiv verseucht werden kann? Außerdem könnte man mit den 10 Milliarden DM rund zwanzigmal soviel sinnvolle Arbeitsplätze schaffen,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist reine Volksverhetzung, was der Junge da macht!)

so z. B. in der Wärmedämmung, in der WärmeKraft-Koppelung, in der Biogaserzeugung, in der ökologischen Abfallverwertung, in einer dezentralen Wasseraufbereitung, im ökologischen Landbau, in der Altenbetreuung, im öffentlichen Verkehr und in der Entgiftung von Kohlekraftwerken. Machen Sie sich doch darüber einmal Gedanken!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dritte Lüge: Atommülltransporte sind ungefährlich und sicher. — Die Studie des Bundesministers für Forschung und Technologie zu Atomtransporten enthüllt, daß es bereits 1982 in der Bundesrepublik 1 554 Transporte von höherem Gefährdungspotential gegeben hatte. Laut einer neuen Studie der Gruppe Ökologie Hannover werden bis Mitte
des nächsten Jahrhunderts bis zu 100 000 Transporte nach Wackersdorf stattfinden müssen. Bis 1984 hat es auf der Schiene allein im Raum Nürnberg 200 Unfälle und Entgleisungen gegeben.
Kernaussage der Studie: Die entlang der Transportwege zur geplanten Wiederaufarbeitungsanlage für atomare Brennstoffe in Wackersdorf lebenden Menschen sind durch die radioaktiven Frachten weiter stärker gefährdet als bisher angenommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Die Stadt Nürnberg hat auf Grund dieses Gutachtens bereits Klage gegen die Wiederaufarbeitungsanlage eingereicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vierte Lüge: Der Betrieb der WAA Wackersdorf ist ungefährlich für Mensch und Natur. — Welche Gefahren von der WAA ausgehen können, haben die jüngeren Untersuchungen in der Umgebung der englischen Wiederaufbereitungsanlage in Wind-scale gezeigt. Dort ist die Zahl der Leukämiefälle bei Kindern zehnmal so hoch wie im nationalen Durchschnitt. Dort finden Ärzte in den Körpern von jung gestorbenen Atomarbeitern Plutonium im Gehirn, in den Augen, in den Knochen und in der Leber.

(Lenzer [CDU/CSU]: Unsinn!)

Dort gibt es für viele keine Zukunft mehr, weil das Gift im Boden und im Wasser steckt und dort die nächsten zehntausend Jahre auch bleiben wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Volksverhetzung, was Sie hier machen!)

Aber auch in der Umgebung unserer kleinen WAA in Karlsruhe wurde bereits das hochgiftige Plutonium im Boden und im Stuhl von Werksangehörigen festgestellt.
Fünfte Lüge. Mit dem Plutonium aus der WAA Wackersdorf lassen sich keine Atombomben bauen. — Genau das Gegenteil ist wahr. Nur wer eine WAA hat, kann heute überhaupt moderne Atombomben bauen. In Wackersdorf sollen jedes Jahr 5 t Reaktorplutonium abgebrannt werden. Das kann man — so wie es ist — für grobe Atomwaffen verwenden oder mit verfügbaren Techniken in hochwertiges Waffenplutonium umwandeln, um daraus 500 Atomsprengköpfe herzustellen.
Die WAA ist sinnlos, wenn es um Entsorgung oder etwa um billige und gesunde Energie und wenn es um Arbeitsplätze geht. Die WAA ist nur dann sinnvoll, wenn sie auch militärisch genutzt werden kann. Im Jahre 1995 soll der Atomsperrvertrag auslaufen und der Betrieb in Wackersdorf anlaufen. Jeder in diesem Hause weiß: Seit es die Bundeswehr gibt, träumen das Münchener Geburtstagskind und seine Freunde vom deutschen Griff zur Bombe.

(Beifall bei den GRÜNEN — Pfeffermann [CDU/CSU]: Unglaublich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Nur wer eine Atombombe will, braucht nämlich
eine Wiederaufarbeitungsanlage. Wer keine Atom-



Bueb
bombe will, braucht keine Wiederaufarbeitungsanlage.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aus den genannten Gründen, meine Damen und Herren von der SPD, wollen wir die WAA wirklich verhindern und für dieses Ziel am 12. Oktober in München mit allen Mitteln des zivilen Ungehorsams und der Bauplatzbesetzung in Wackersdorf demonstrieren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Probst [CDU/CSU]: Brechen Sie keine Gesetze! Das ist sehr schlecht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich muß leider zum Schluß kommen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016242000
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Abgeordneter.

Eberhard Bueb (GRÜNE):
Rede ID: ID1016242100
Ich wollte jetzt gerade noch einmal — —Vizepräsident Frau Renger: Ihre Redezeit ist zu Ende. Dann müssen Sie auch aufhören.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1016242200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man muß sich wirklich etwas sammeln nach einer solchen Rede, die wahrlich keine allzu großen Sorgen über die Gefahren der Kernenergie zum Ausdruck gebracht hat. Es ging sicherlich eher um die Verhöhnung einer Bevölkerung. Wir werden dafür Sorge tragen, daß die Bevölkerung, um die Sie sich anscheinend sorgen, erfährt, wie leicht und wie billig Sie es sich machen, wenn es um die Fragen der Kernenergiepolitik geht. So leicht geht es wahrlich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Vielleicht sollte man sich — ich möchte es nur ansprechen — einmal überlegen, ob von diesem Pult aus solche Reden gehalten werden dürfen, die in jedem Punkt wahrheitswidrig und wirklich widerlegbar sind und dazu aufrufen, gegen Entscheidungen dieses Staates in einer zweifelhaften Form Widerstand zu leisten.
Ich muß sagen: Die Bevölkerung in der Oberpfalz hat es wahrlich nicht verdient, wie Sie sich hier einlassen.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Die hat aber auch schon Widerstand angekündigt! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Es gibt keine neuen schweren Bedenken gegen die Wiederaufarbeitungsanlage, es gibt bestenfalls alte Geschichten, die Sie heute wieder auftischen wollen. Es gibt sonstige bestellte oder wieder ausgegrabene Gutachten, und es gibt letztlich nur wieder die grüne Suppe, die Sie halt wieder einmal aufkochen wollen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Immer noch ungenießbar!)

— Es ist nach wie vor ungenießbare grüne Suppe, die Sie hier aufkochen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016242300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1016242400
Nein danke. Er will ja auch — wie ich ihn kenne — nichts fragen, sondern nur auf meine Kosten etwas sagen.

(Mann [GRÜNE]: Doch, ich will Sie etwas fragen!)

Es ist, nachdem sich leider auch die SPD in Teilen dieser Kampagne anschließt, wohl einmal wieder notwendig, darzustellen, in welcher Form die Grundlagen für den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage überhaupt entschieden worden sind.

(Mann [GRÜNE]: Auch die CSU demonstriert, Herr Fellner!)

Es gilt, Herr Kollege Schily, hier an einen Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 28. September 1979 zu erinnern, wo es heißt: Die Regierungschefs von Bund und Ländern „stimmen darin überein, daß die Wiederaufarbeitung der bestrahlten Brennelemente mit Rückführung der unverbrauchten Kernbrennstoffe und Endlagerung der Wiederaufbereitungsabfälle nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik sicherheitstechnisch realisierbar ist und die notwendige Entsorgung der Kernkraftwerke unter den Gesichtspunkten der Ökologie wie auch der Wirtschaftlichkeit gewährleistet".

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016242500
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1016242600
Ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich meine Zeit zum Reden brauche.
Es wird dann weiter darauf hingewiesen, daß in möglichst kurzer Zeit darauf hingewirkt werden soll, daß eine Wiederaufarbeitungsanlage so zügig errichtet werden kann, wie dies unter Beachtung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist. Das waren die Grundlage und die Entscheidung für den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage.
Diese Entscheidung war im Rahmen eines Entsorgungskonzepts getroffen worden. Ich muß die SPD fragen, was an diesem Entsorgungskonzept in der Zwischenzeit nicht mehr richtig sein soll. Man merkt, wie sich die SPD von Kalkar bis Wackersdorf in Krämpfen windet, um aus dieser ihrer eigenen Entscheidung, die wir selbstverständlich mit Entschlossenheit tragen, herauszukommen. Die SPD meint, man könne es billig auf diesem Nebengleis tun, nämlich einfach zu sagen: Wir wählen die direkte Endlagerung. Es gibt Untersuchungen darüber — die sind auch damals in Auftrag gegeben worden, und daran wird auch weiter geforscht —, ob der Weg der direkten Endlagerung ein geeigneter Weg ist. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß es zwar nicht auszuschließen ist, daß es dort hingeht. Wir wissen aber umgekehrt, daß allein die



Fellner
Wiederaufarbeitung und die danach erfolgende Endlagerung nicht mehr wiederaufarbeitungsfähiger Kernbrennstoffe ein jetzt sicherheitstechnisch bereits vielfach auf der Welt realisierter und auch hier in Deutschland ein realisierbarer Weg ist. Wir haben die Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe und haben dort seit zehn Jahren Erfahrungen gesammelt, die wir selbstverständlich auch in Wackersdorf anwenden können.
Ich warne vor dem Weg, auf den Sie uns verweisen wollen. Ich kann hier nur sagen: Vorsicht, Falle! Denn diejenigen, die uns jetzt auf diesen Weg der direkten Endlagerung verweisen, werden im Zweifel sagen: Moment, das geht auch nicht, denn dort haben wir ja nun wirklich keine Erfahrung.
Das bringt mich dazu, einmal in aller Offenheit darzustellen und zu analysieren, was denn eigentlich hinter all diesen Maßnahmen und Schritten und all diesen Inszenierungen, die Sie hier veranstalten, in Wirklichkeit steht. Man muß einfach wieder ins Bewußtsein rufen, daß die GRÜNEN den Ausstieg aus der Kernenergie wollen. Sie wollen den Ausstieg aus der Industriegesellschaft und wissen natürlich, daß man einen so hochtechnisierten Staat wie die Bundesrepublik Deutschland nur dann in die Knie zwingen kann, wenn man ihn von einer sachgerechten Energieversorgung abschneidet. Deshalb wollen Sie den Ausstieg auf diesem Weg. Sie wissen, daß Sie gegen die Kernkraftwerke nichts mehr mobilisieren können. Dafür wenden Sie jetzt Ihre ganze Wut und Ihre ganze Energie natürlich gegen die Wiederaufarbeitungsanlage.
Bedauerlicherweise spielt die SPD hier teilweise mit. Denn in diesem Rahmen muß man natürlich auch den Kampf um Hanau sehen, den die SPD hier führt. In diesem Zusammenhang muß man selbstverständlich auch die Schmerzen sehen, die die Genehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen hat, wenn es um die Frage geht, ob man nach 16 Teilerrichtungsgenehmigungen nun die endgültige Genehmigung für den Kalkarer Schnellen Brüter geben soll. Das gehört zusammen. All das ist ein Szenario, das es ermöglichen soll, daß wir aus der Kernenergie aussteigen müssen. Wir wollen es nicht.
Ich möchte darauf hinweisen — das fällt bei Ihren Diskussionen leider immer unter den Tisch —, daß hier in Deutschland die zuständigen Behörden nach Recht und Gesetz zu entscheiden haben. Die rechtlichen Grundlagen haben wir seit vielen Jahren hier im Bundestag in der Form des Atomgesetzes geschaffen. Eine weitere rechtliche Grundlage ist die Strahlenschutzverordnung. Es sind auch völkerrechtliche Verträge, in denen wir uns beispielsweise verpflichtet haben, Kernenergie nur für friedliche Zwecke zu nutzen.
Wenn Sie sich selber, Herr Kollege von den GRÜNEN, so mißtrauen und meinen, Sie würden dann die Verträge ändern und das Plutonium für andere Zwecke liefern oder nützen, dann ist es Ihr eigenes Bier. Ich kann Ihnen für die Mehrheitsfraktionen in diesem Bundestag jedenfalls versichern, daß kein Mensch daran denkt, Plutonium anders als zu friedlichen Energiezwecken zu nutzen. Wenn Sie sich etwas anderes zutrauen, ist das Ihr Bier; das müssen Sie entscheiden.
Wir haben schließlich eine Trennung bei der Untersuchung der Frage, ob diese Anlage genehmigungsfähig ist. Auch das ist durch Gesetz entschieden. Das Ganze hat im Fall Wackersdorf die bayerische Genehmigungsbehörde zu entscheiden.
Diese Genehmigungsbehörde hat nun in einem sehr dicken Bericht all die Fragen, die Sie als neue schwere Bedenken hier zu verkaufen gewünscht haben, sehr sorgfältig bearbeitet. Es ist nur erstaunlich, daß Sie nicht mit diesem Buch in der Hand rumlaufen. Wahrscheinlich fehlt der Stempel „VS-Vertraulich". Sonst hätten Sie die Finger viel schneller dran. In diesem Bericht ist auf über 50 Seiten all das abgehandelt, was Sie an neuen Fragen stellen zu müssen glauben: radiologische Fragen, Fragen der Wirtschaftlichkeit, meteorologische Verhältnisse, Rückhaltung radioaktiver Stoffe, Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Anlagensicherheit, Mißbrauchsgefahr und schließlich sogar die Frage: Wie soll die Anlage, wenn sie ausgelaufen ist, wenn ihre Betriebszeit zu Ende ist, beseitigt werden können? All das ist dort gut nachlesbar.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Die beste Art der Beseitigung ist der Mißbrauch!)

Es ist im übrigen in einer Form dargestellt, daß es selbstverständlich von den Gerichten überprüfbar ist und, wie ich Sie kenne, überprüft werden wird.
Ich frage mich deshalb: Wieso sind Sie nicht bereit, endlich mit Ihrer völlig irrealen und — ich sage Ihnen ausdrücklich — verwerflichen Panikmache aufzuhören, wenn es um die Fragen der Sicherheit von kerntechnischen Anlagen geht? Sie sollten aufhören,

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal was zur Sache!)

um Ihre Ideologie zu untermauern, ständig Pseudowissenschaftler herbei zu zitieren, die längst das Mäntelchen des Wissenschaftlers ausgezogen haben müßten.

(Zuruf des Abg. Schulte [Menden] [GRÜNE])

Sie können sich darauf verlassen, daß man einem Wissenschaftler, einem Professor aus Bremen in der Oberpfalz ohnehin nix glaubt, und daß man auch jemandem von irgendeinem Öko-Institut nix glaubt. Schade ist nur, daß die Herren sich immer noch Professoren nennen. Sie sollten aufhören. Sie sollten eingestehen,

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD — Lange [GRÜNE]: Karikatur eines Politikers!)

daß diese Fragen, die Sie hier aufwerfen, alte Fragen sind, daß sie längst geprüft und untersucht sind und daß sie auch für die Entscheidung bei der ersten Teilerrichtungsgenehmigung für Wackersdorf entscheidend geprüft worden sind und schließlich gerichtlich überprüfbar sind. Darauf kann sich in



Fellner
Deutschland jeder Bürger verlassen — auch in der Oberpfalz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016242700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wernitz.

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016242800
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, zu einer Tonart zurückzukehren, die, auch wenn man sachlich unterschiedlicher Auffassung ist, etwas moderater und nüchterner ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie der Kollege Fellner!)

In den letzten Monaten hat der Deutsche Bundestag wiederholt über das Thema „Nukleare Entsorgung und Wiederaufarbeitung abgebrannter Kernelemente" debattiert. Wir Sozialdemokraten haben dabei sowohl im Plenum als auch in den zuständigen Ausschüssen unsere Haltung zu diesem Thema dargelegt. Sie kommt auch in dem heute von uns vorgelegten Entschließungsantrag zum Ausdruck. Lassen Sie mich unsere Argumente noch einmal — ich wiederhole es — sachlich und nüchtern darlegen.
Wir lehnen den Bau der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf ab. Diese Entscheidung haben wir uns keineswegs leicht gemacht. Unserer Festlegung ist ein langer Diskussions- und Meinungsbildungsprozeß vorausgegangen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Ein Eiertanz!)

Die Entscheidung wurde auf dem letzten Bundesparteitag in Essen im Mai 1984 gefällt. Die bayerische SPD hat die Ablehnung dieses Projektes noch einmal aktuell, konkret und einmütig auf ihrem Landesparteitag in Hof bekräftigt.
Schon 1979 war der Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage umstritten. Deshalb hatten die Ministerpräsidenten am 28. September 1979 beschlossen,

(Zuruf des Abg. Schulte [Menden] [GRÜNE])

daß neben der Weiterentwicklung der Wiederaufarbeitungstechnologie auch andere Entsorgungstechniken, d. h. die direkte Endlagerung von abgebrannten Brennelementen, auf ihre Realisierbarkeit und sicherheitstechnische Bewertung untersucht werden sollten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016242900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016243000
Ich möchte meine Auffassung für die SPD im Zusammenhang vortragen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016243100
Keine Zwischenfrage!

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016243200
Diese Untersuchungen wurden unter Federführung des Kernforschungszentrums Karlsruhe — das ja nicht gerade in dem Ruf steht, kernenergiefeindlich zu sein — durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Systemstudie liegen, wie jeder weiß, inzwischen vor. Unter anderem kann man danach festhalten: Punkt 1. Die Wiederaufarbeitung ist ein betriebswirtschaftlich kaum tragfähiger Entsorgungsweg.

(Schule [Menden] [GRÜNE]: Zimmermann sollte mal besser zuhören!)

Punkt 2. Die sicherheits- und sicherungstechnischen Risiken der direkten Endlagerung dürften geringer sein als bei der Entsorgung mit der Wiederaufarbeitung. Zusätzlich gilt es, Gefahren zu bedenken, die eine umfassende kommerzielle Plutoniumswirtschaft mit sich brächte. Die Gefährlichkeit des Stoffes erfordert einen hohen Aufwand — das ist unbestritten — an Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen.

(Gerstein [CDU/CSU]: Voll auf der Linie der GRÜNEN!)

Wir Sozialdemokraten sehen durchaus die Risiken, die sich durch den Mißbrauch dieser Kontrollmaßnahmen für unsere Gesellschaft ergeben könnten. Allerdings setzen wir auf die Rechtsstaatlichkeit unserer Demokratie. Wir kämpfen für die Bewahrung und Verbesserung der Stabilität unserer demokratischen Ordnung. Das Gerede vom radioaktiven Verfall der Grundrechte seitens der GRÜNEN ist für uns demagogische Polemik.

(Beifall bei der SPD)

Noch eine knappe Anmerkung zum Atomgesetz. Ich habe schon ausgeführt, daß die Wiederaufarbeitung abgebrannter Kernbrennelemente unwirtschaftlich ist.

(Abg. Schulte [Menden] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016243300
Der Herr Abgeordnete läßt keine Zwischenfrage zu.

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1016243400
Schon deswegen könnte nach § 9 a des Atomgesetzes auf sie verzichtet werden. Zur Vermeidung unterschiedlicher Interpretationen dieses Paragraphen verlangen wir eine klarstellende Änderung des § 9 a, in der festgeschrieben wird, daß die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente als alleiniger Entsorgungsweg gilt.

(Gerstein [CDU/CSU]: Was werden Sie denn nach dem nächsten Parteitag verlangen?)

Meine Damen und Herren, niemand bestreitet, daß die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle eine wichtige Voraussetzung für die weitere Nutzung der Kernenergie auch in Leichtwasserreaktoren ist. Selbst wenn man auf die weitere Nutzung der Kernenergie verzichten wollte,

(Gerstein [CDU/CSU]: Das wollt ihr ja!)

muß ein sicherer Entsorgungsweg gefunden werden. Hier kann die Bundesregierung auf uns rechnen, wenn es darum geht, die Entsorgung zunächst in Zwischenlagern und dann im Endlager sicherzustellen. Dies unterscheidet uns von den GRÜNEN,
12142 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Dr. Wernitz
die jede seriöse Lösung für das Entsorgungsproblem bisher ablehnen.

(Beifall bei der SPD — Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das stimmt doch nicht! Man muß den ersten Schritt vor dem zweiten tun!)

Die Antwort auf meine Zwischenfrage vorhin hat das erneut bestätigt.
Meine Damen und Herren, wir haben erst wieder am 11. September dieses Jahres im Innenausschuß des Bundestages gefordert, daß der Bau und der Betrieb von Zwischenlagern für abgebrannte Brennelemente formalrechtlich abgesichert werden muß und daß wegen der Unsicherheiten hinsichtlich der Eignung des Salzstockes in Gorleben für ein Endlager ein weiterer Salzstock zu untersuchen ist. Dieser Parallelansatz, den früher auch — ich erinnere daran — die Kollegen von der FDP immer mitgetragen haben, ist von den Kollegen der Koalition bei diesem Antrag leider nicht mit vollzogen, sondern der Antrag ist abgelehnt worden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aus unserer Ablehnung der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf ergibt sich die Forderung, daß der am 5. Juni 1985 gefaßte Beschluß des BundLänder-Ausschusses „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage eine Regionalförderung von 600 Millionen DM vorzusehen, rückgängig gemacht wird. Diese Mittel würden danach für andere, nach unserer Auffassung geeignetere Projekte frei.
Lassen Sie mich noch einige Worte zu den kommenden Demonstrationen gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf sagen.

(Ströbele [GRÜNE]: Machen Sie mit!)

Wir Sozialdemokraten sind und bleiben entschiedene Verfechter des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit,

(Ströbele [GRÜNE]: Wir auch!)

also das Recht, friedlich und ohne Waffen und ohne Gewaltanwendung zu demonstrieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und mit offenem Gesicht!)

Im konkreten Fall der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf werden diese Demonstrationen von uns teilweise getragen, teilweise unterstützt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Erst dieser Tage hat die bayerische SPD erneut deutlich gemacht, daß sie alle legalen — ich betone noch einmal: legalen — Möglichkeiten ausschöpfen wird, um dieses Projekt zu verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Eines, meine Damen und Herren, muß jedoch klar sein: Man tut weder der Sache noch sich selbst einen Gefallen, wenn die Aktionen den Boden von Recht und Gesetz verlassen und in die Gewalt eskalieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse appelliere ich deshalb an alle, innerhalb und außerhalb dieses Hauses, in dem von mir angesprochenen Sinne persönlich beispielhaft zu wirken und damit persönlich engagiert für unsere rechtsstaatliche Demokratie einzutreten.
Meine Damen und Herren! Zwischen der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf und dem Schnellen Brüter in Kalkar besteht zwar kein unmittelbarer Zusammenhang, weil in Wackersdorf ja keine Brennelemente für den SNR 300 wiederaufgearbeitet werden sollen. Gleichwohl besteht natürlich ein mittelbarer Zusammenhang dadurch, daß eine langfristige Brutreaktorstrategie ohne Wiederaufarbeitung keinen Sinn macht.
Dieser Zusammenhang wird derzeit in den zuständigen Gremien meiner Partei diskutiert. Hier wird es in den nächsten Tagen und Wochen eine Meinungsbildung und dann eine Entscheidung geben. Wir lehnen es allerdings ab, uns in dieser Sache durch kurzfristig von anderen entwickelte Aktivitäten unter Zeit- und Entscheidungsdruck setzen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Für unseren Entschließungsantrag zu Wackersdorf beantragen wir seitens der SPD-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung und hoffen auf eine breite Zustimmung in diesem Hause. Die Anträge der GRÜNEN lehnen wir ab, da wir unsere Position im eigenen Antrag umfassend präsentiert und präzisiert haben. Den Antrag der Koalition lehnen wir ebenfalls ab.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016243500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1016243600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Wernitz, ich greife Ihre Ansprache, die Sie vorhin an die FDP-Fraktion gerichtet haben, gern auf. Ich möchte dazu erstens feststellen, daß Sie offensichtlich doch nicht so ganz richtig informiert sind und die Dinge hier nicht in der korrekten Weise und so, wie sie sich darstellen, vorgetragen haben.
Ich stelle zweitens fest, daß die FDP-Fraktion nach wie vor auf dem Boden der seinerzeit — schon Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre — mit Ihrer Fraktion gemeinsam erarbeiteten Positionen steht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das will er nicht mehr wahrhaben!)

— Ich werde das gleich belegen.
1979 bei dem Beschluß der Ministerpräsidenten ist das integrierte Entsorgungskonzept festgeschrieben worden und noch nicht von einem parallelen Ansatz die Rede gewesen. Dieser parallele Ansatz ist erst durch die Beratungen der Enquete-Kommission aufgekommen. Ich wundere mich, daß sie bisher noch nicht angesprochen worden ist; sie hat acht Jahre gearbeitet, und ich meine, sie hätte



Dr.-Ing. Laermann
von allen Seiten des Hauses Zustimmung gefunden.

(Gerstein [CDU/CSU]: Davon wollen die nichts mehr wissen! Das ist denen unangenehm!)

Ich meine, auch das Ergebnis hätte hier Zustimmung gefunden, und dieses Ergebnis sah u. a. vor — so haben wir das am 10. Dezember 1981 mit der Mehrheit der damaligen Koalitionsfraktionen hier beschlossen, Herr Kollege Wernitz —, daß die Bundesregierung beauftragt werden solle, eine Studie zum sogenannten parallelen Ansatz, nämlich Entsorgung ohne Wiederaufarbeitung, vorzulegen. Dies ist inzwischen geschehen, exekutiert von der nachfolgenden Regierung. Wir haben darüber schon diskutiert.
Nun haben wir in der Enquete-Kommission — lesen Sie diese Empfehlungen nach! — festgestellt: Der Entsorgungsweg über die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente könnte sich nicht nur entsorgungstechnisch als vorteilhaft, sondern auch aus Gründen der Versorgungssicherung mit Brennstoffen als notwendig erweisen. Wir waren uns einig darüber — und ich wiederhole das, was ich seinerzeit schon hier ausgeführt habe —, daß es dabei um die Erprobung neuer Techniken geht, daß es vor allen Dingen auch um den Erhalt und den Ausbau des Wissensstandes für eine großtechnische Option in bezug auf die Wiederaufarbeitung geht. Wir haben deshalb aus der Kommission heraus, aufgenommen vom Plenum des Deutschen Bundestages, die Planung, den Bau und den Betrieb einer Wiederaufarbeitungsanlage in großtechnischem Maßstab empfohlen,

(Gerstein [CDU/CSU]: So war das!)

wobei zusätzlich eine Studie in Auftrag gegeben wurde, die Aufschluß darüber geben sollte, von welcher Größenordnung denn eine solche Anlage sein müßte, um diesen Forderungen zu entsprechen. Die Kommission — ich wiederhole das — hat ausdrücklich empfohlen, eine solche Anlage zu bauen.

(Gerstein [CDU/CSU]: Die Mehrheit!)

Ich habe seinerzeit ausgeführt, daß auch die FDP-Fraktion — im Einvernehmen übrigens mit Ihrer Fraktion, Herr Kollege Wernitz — Bau und Betrieb einer Wiederaufarbeitungsanlage für notwendig halte, um Sicherheit und Funktionstüchtigkeit aller erforderlichen Komponenten im großtechnischen Maßstab zu erproben und um keinen technologischen Fadenriß eintreten zu lassen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Die beschließen doch alle halbe Jahr was anderes!)

Aber da wir nun nicht alleinbleiben wollen, darf ich vielleicht mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren. Der Kollege Catenhusen hat am 10. 12. 1981 hier ausgeführt:
Wenn wir heute den Weg für eine längerfristige Nutzung der Kernenergie offenhalten wollen, dann muß auch die Technologie der Wiederaufarbeitung in einer Demonstrationsanlage großtechnisch erprobt werden. Dies bedeutet für meine Fraktion: für die 80er Jahre ist der Bau
einer kleineren Demonstrationswiederaufarbeitungsanlage sinnvoll und vertretbar.

(Zuruf von der FDP: Genau!)

Darf ich auch an das erinnern, Herr Kollege Wernitz, was in der gleichen Diskussion der Kollege Reuschenbach ausgeführt hat:
Wiederaufarbeitung ist das Allerwichtigste. Wer ist denn in dem Punkt der Entschlossenste — er wird von manchen meiner Freunde sogar kritisiert —,
— gemeint ist der Ministerpräsident von Hessen, Herr Holger Börner —
um diese erste Wiederaufarbeitungsanlage zu erreichen? Das ist doch nicht irgendein christdemokratischer Ministerpräsident; es ist ein sozialdemokratischer.

(Beifall bei der SPD)

Er bemüht sich darum, den schweren Fehler, den schweren Rückschlag, den Albrecht mit seinem Nein zum integrierten Entsorgungszentrum herbeigeführt hat, auszubügeln und auszugleichen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wernitz, wir stehen nach wie vor zu diesen seinerzeitigen Beschlüssen hier im Parlament.

(Schulte [Unna] [GRÜNE]: Man kann doch dazulernen!)

Wenn es einen Sinneswandel gibt, dann möchte ich ihn auch bitte begründet haben. Ich denke, wir haben uns über die Jahre hinweg — das sage ich auch an die Adresse der GRÜNEN, die damals noch nicht dabei waren — wirklich intensivst und gewissenhaft mit den Fragen auseinandergesetzt. Deswegen kann ich es nicht akzeptieren, daß Sie heute so tun, als ob es da grundlegend neue Erkenntnisse gäbe. Ich stelle hier fest: Im wesentlichen sind alle diese Erkenntnisse seinerzeit in die Beratungen einbezogen und aufgenommen worden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie heute so tun, als ob das Plutonium erstens zu Umweltbelastungen führte, zweitens aber der Eintritt in die Plutoniumwirtschaft eben nur dazu angelegt sei, um in den Besitz von waffengrädigem Material zu kommen, dann, muß ich Ihnen sagen, sollten Sie sich doch einmal wirklich darum bemühen zu erfahren, wie denn eigentlich unsere atomtechnischen Anlagen kontrolliert werden, welchen Kontrollen sie unterworfen sind, wie diese Kontrollen ablaufen und wie die Kontrolle von Verlusten aussieht. Da geht es nicht nur um die Bilanz — das ist j a nur ein Punkt, eine Maßnahme —, sondern da geht es um eine Fülle von zusätzlichen Kontrollen, die von internationalen Kontrolleuren durchgeführt werden, die das mit größter Sorgfalt und größter Akribie machen.
Ich will Ihnen eines sagen. Wer in den Besitz waffengrädigen Materials kommen will, der geht doch nicht den idiotischen, langwierigen und teuren Weg über Leistungsreaktoren; der wird das schon allein



Dr.-Ing. Laermann
durch Anreicherung, Hochanreicherung von Uran erreichen können. Die Atomwaffenstaaten — wir bedauern das — gewinnen ihr Waffenmaterial nicht aus Leistungsreaktoren, sondern haben dazu eigene Brutreaktoren, die eben nicht als Leistungsreaktoren eingesetzt werden.
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es eine unsinnige Unterstellung ist, daß man eine Wiederaufarbeitungsanlage in der Bundesrepublik nur brauche, um an waffengrädiges Material zu kommen. Diese Vorstellung muß mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Uhr läuft leider; ich hätte gern das eine oder andere in Ergänzung meiner Ausführungen gesagt. Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen. Ich denke, daß wir hier in Übereinstimmung mit der offiziellen Haltung der Bundesregierung feststellen dürfen und sollten, daß für uns eine Verklappung oder eine Versenkung von radioaktiven Abfällen im Meer nicht in Frage kommt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, daß die Londoner Konferenz das Moratorium zunächst einmal verlängert hat. Wir hoffen, daß es gelingt — wir werden uns alle dafür einsetzen müssen —, ein endgültiges — ein endgültiges! — Nein zur Versenkung atomarer Abfälle im Meer, auch wenn sie nur schwachradioaktiv sein sollten, zustande zu bringen.
An dieser Stelle, Frau Präsident, möchte ich meine Ausführungen beenden. Wir stimmen, wie Sie verständlicherweise wohl annehmen werden, dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP zu. Ich bitte Sie, verehrte Kollegen von der SPD-Fraktion, zu bedenken, wie Sie Ihre Haltung in bezug auf die seinerzeit gemeinsam vertretene Beschlußlage, wie Sie Ihre Abkehr von dieser Beschlußlage begründen wollen. Sie haben das bisher nicht getan.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016243700
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

(Große Unruhe)

— Herr Bundesminister, einen Moment mal! — Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen, zumindest aber Ruhe einkehren zu lassen. Sonst ist es für den Redner unmöglich, sich hier durchzusetzen.
Bitte sehr, Herr Bundesminister.

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID1016243800
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. September dieses Jahres hat die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen die erste atomrechtliche Teilgenehmigung für die Wiederaufarbeitungsanlage bei Wackersdorf erhalten.

(Zuruf von der SPD: Leider!)

Die Bundesregierung begrüßt die Entscheidung der bayerischen Genehmigungsbehörden. Sie hat mit Kabinettsbeschluß vom 23. Januar dieses Jahres ausdrücklich festgestellt, daß sie die zügige Verwirklichung einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage weiterhin für geboten hält. Sie sieht keinen Anlaß, von dem im Atomgesetz festgelegten Entsorgungskonzept abzugehen, das vom Gebot der Reststoffverwertung und damit vom Grundsatz der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ausgeht. Die direkte Endlagerung ist keine belastbare Alternative zur Wiederaufarbeitung. Die Wiederaufarbeitung ist aus wirtschaftlichen wie aus entsorgungspolitischen Gründen notwendig.

(Bueb [GRÜNE]: Das ist eine Lüge!)

Mit der nun vorliegenden ersten Teilgenehmigung für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wakkersdorf ist die Verwirklichung dieser wichtigen entsorgungspolitischen Entscheidung ein Stück nähergerückt. Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Technik der Wiederaufarbeitung erprobt und bewährt.

(Bueb [GRÜNE]: Nennen Sie eine Anlage, die sich bewährt hat!)

Nach Auffassung der Bundesregierung und der sie beratenden Reaktorsicherheitskommission und Strahlenschutzkommission bestehen keine begründeten sicherheitstechnischen Bedenken gegen Errichtung und Betrieb einer Wiederaufarbeitungsanlage. Bei ihrer sicherheitstechnischen Beurteilung wurden alle relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde gelegt. Als der für die kerntechnische Sicherheit verantwortliche Minister stehe ich dafür ein, daß keine Genehmigung erteilt wird, wenn nicht alle Anforderungen der Sicherheit und des Strahlenschutzes voll erfüllt sind.
Die in der Anfrage behaupteten, gegen die Wiederaufarbeitung sprechenden angeblichen „neuen, alarmierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse" gibt es nicht. Vielmehr sind die in der Anfrage aufgeführten Gesichtspunkte im Rahmen der Sicherheitsbeurteilung der Wiederaufarbeitungsanlage geprüft worden mit dem Ergebnis, daß die technische Auslegung ebenso wie die organisatorischen und administrativen Maßnahmen die Sicherheit des Betriebspersonals und der Bevölkerung — in voller Übereinstimmung mit Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung — gewährleisten.
Angesichts dieser Sachlage ist es unerträglich, wenn von den Oppositionsparteien immer wieder versucht wird, die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage mit angeblichen Bedenken und längst widerlegten Behauptungen zu verhindern.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Selbst aus den eigenen Reihen kommt Kritik. So hat sich kürzlich ein anerkannter Kerntechnikfachmann der SPD, der selbst ein leitender Mitarbeiter im Kernenergiezentrum Karlsruhe ist, von den absichtlich falschen Behauptungen seiner eigenen
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12145
Bundesminister Dr. Zimmermann
Partei öffentlich distanziert. Es erhöht auch nicht die Glaubwürdigkeit derer, die sich angeblich den Belangen der Umwelt verschrieben haben, wenn sie durch Ablehnung der Wiederaufarbeitung dem Verzicht auf die Wiederverwendung gewaltiger Energieressourcen das Wort reden.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Liebe Leute, wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

Mit ähnlich fadenscheinigen Argumenten wird gegen den Schnellen Brüter in Kalkar zu Felde gezogen. Auch hier gibt es keine vernünftigen Zweifel, daß die Sicherheit beim Betrieb der Anlagen — entsprechend dem Atomgesetz — gewährleistet sein wird. Das scheint selbst die Opposition so zu sehen.
Dafür werden aber Zweifel an der Entsorgung des Brüters bemüht, und es wird die energie- und forschungspolitische Notwendigkeit dieses Projekts in Abrede gestellt.
Bekanntlich ist für den SNR 300 die Wiederaufarbeitung in Frankreich vertraglich vereinbart. Dieser Vertrag und die Möglichkeit einer mehrjährigen Zwischenlagerung im Kernkraftwerk sind nach den Entsorgungsgrundsätzen belastbar. Es ist unverständlich, daß gerade diese Lösung, die sich bei Leichtwasserreaktoren seit Jahren bewährt hat und voll den Entsorgungsgrundsätzen entspricht, in Mißkredit gebracht wird. Die energie- und forschungspolitische Notwendigkeit des Brüters hat die Bundesregierung in einem Schreiben meines Kollegen Riesenhuber an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nochmals begründet und bekräftigt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Die falschen Behauptungen der Oppositionsparteien passen genau in das Bild, daß mit allen erdenklichen unsachlichen Argumenten der ordnungsgemäße Fortgang des Genehmigungsverfahrens behindert und die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters verhindert werden soll. Dagegen hat Ministerpräsident Rau auf dem Landesparteitag der SPD in Nordrhein-Westfalen erklärt, er werde es nicht zulassen, daß sachfremde politische Erwägungen an die Stelle einer sachgerechten Ermessensausübung gestellt werden. Die Bundesregierung entnimmt daraus, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ihre Pflichten erfüllen will.
Ich stelle abschließend fest: Die Wiederaufarbeitung ist ein wesentlicher Bestandteil der Entsorgung. Diese bleibt notwendige Voraussetzung für den Weiterbetrieb und den bedarfsgerechten Ausbau der Kernenergie.

(Catenhusen [SPD]: Durchhalteparolen!)

Die Kernenergie ist eine umweltfreundliche und preisgünstige Energie.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, darauf zu verzichten.
Die Beantwortung der Großen Anfrage der GRÜNEN sieht die Bundesregierung damit als erledigt an.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016243900
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu der Abstimmung kommen, meine Damen und Herren, noch folgendes: Ich habe das Protokoll vorliegen mit der Rede des Abgeordneten Bueb. Ich erteile ihm wegen seiner Aufforderung zu einer gesetzeswidrigen Handlung einen zweiten Ordnungsruf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung die namentliche Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 10/3925. Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3925 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen will oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier aufgestellten Urnen zu legen.
Nach der Auszählung gibt es noch eine zweite namentliche Abstimmung. Ich bitte also hierzubleiben.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016244000
Sind alle Stimmkarten abgegeben worden? — Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung. Ich bitte um Auszählung. —
Meine Damen und Herren, alle Schriftführer werden gebeten, sich an der Auszählung der Stimmen zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, da wir während der Auszählung einige andere Dinge erledigen können. — Darf ich Sie nochmals bitten, Platz zu nehmen oder sich zumindest ruhig zu verhalten!
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016244100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion! Ich hätte gerne Ihrem Entschließungsantrag in den Ziffern 1 und 3 zugestimmt und bedauere, daß Sie es — bei einer auch nicht ganz eindeutigen Geschäftslage — abgelehnt haben, getrennt über die einzelnen Punkte Ihres Antrages abstimmen zu lassen.
Bei dieser Abstimmung habe ich mich jetzt der Stimme enthalten. Ich will an dieser Stelle noch einmal zum Ausdruck bringen, daß ich den Ziffern 1 und 3 gern zugestimmt hätte, weil ich es außerordentlich begrüße, daß die SPD-Fraktion in einem Lernprozeß dazu gekommen ist, daß sie zum einen



Mann
mit uns den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf offensichtlich ablehnt

(Zustimmung bei Abgeordneten der GRÜNEN)

und daß sie zum zweiten die Bundesregierung und die Landesregierungen auffordert, die Förderung des Projekts WAA Wackersdorf im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" rückgängig zu machen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich hätte es allerdings überzeugender gefunden, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn sich auch die Landesregierungen von Hamburg und Bremen an der Subventionierung dieser Anlage zu deren Rückgängigmachung Sie mit diesem Antrag jetzt auffordern, gar nicht erst beteiligt hätten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016244200
Herr Kollege, Sie sind schon wieder mitten in der Aussprache! Ich bitte Sie, sich auf die Erklärung zu beschränken.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016244300
Frau Präsidentin, aus diesem Grunde bedaure ich außerordentlich, daß Sie hier eine demokratische und transparente Entscheidungsbildung in diesem Hause nicht zugelassen haben.
Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016244400
Ich habe den letzten Satz nicht ganz korrekt verstanden. Haben Sie mir vorgeworfen, daß ich hier eine demokratische Handhabung nicht zugelassen habe? — Nein. Dann bitte ich um Entschuldigung. Ich habe nur das letzte gehört. Deswegen frage ich ganz höflich nach. Es ist besser, man fragt. Danke schön.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1016244500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Wiederaufarbeitungsanlage wird in meinem Wahlkreis gebaut. Haben Sie deshalb bitte Verständnis dafür, daß ich eine persönliche Erklärung zu meiner Abstimmung abgebe.
Es ist heute in der Debatte die Akzeptanz der Wiederaufarbeitungsanlage in der Bevölkerung und auch die Gefährlichkeit dieser Anlage angesprochen worden. Ich stimme gegen die Anträge der SPD und der GRÜNEN aus folgendem Grund. Es gab eine sorgfältige und eingehende Prüfung, ob die Wiederaufarbeitungsanlage genehmigungsfähig ist. Es ist von der Bayerischen Staatsregierung ein umfassender Genehmigungsbescheid erteilt worden.
Bei meiner Entscheidung über dieses Projekt haben Mensch und Umwelt Vorrang. Es ist gewährleistet, daß die Bevölkerung wie auch die Umwelt durch die Wiederaufarbeitungsanlage nicht gefährdet sind.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Stimmt doch nicht!)

Ich halte diese Anlage für notwendig, um die Entsorgung der Kernkraftwerke zu sichern. Die SPD-Fraktion hat in ihrem Entschließungsantrag die Sicherheit diese Anlage auch nicht in Frage gestellt.
Die Gefahr, daß eine Plutoniumanlage entsteht, halte ich für einen Unsinn.
In meinem Wahlkreis sind die Argumente für und gegen die Wiederaufarbeitungsanlage jetzt vier Jahre lang ausgiebig ausgetragen worden. Ich bin für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, weil sie zukunftsträchtige Arbeitsplätze für die Oberpfalz bringt.

(Erneuter Zuruf des Abg. Schulte [Menden] [GRÜNE])

Diese Wiederaufarbeitungsanlage bedeutet eine Chance für die Oberpfalz. Diese Region ist durch die wirtschaftliche Rezession und die Umstrukturierung in den Großbetrieben erheblich gebeutelt worden und hat viele Arbeitsplätze verloren.
Die Mehrheit der Bevölkerung in dieser Region ist nicht gegen die Wiederaufarbeitungsanlage. Die Aktionen der dort gegründeten Bürgerinitiativen und der Leute, die von auswärts kommen, sowie der Niederschlag in den Medien geben nicht das wirkliche Bild wieder. Die Alternativen der Gegner der Wiederaufarbeitungsanlage sind, daß sie den jungen Menschen sagen: Sucht euch Arbeitsplätze anderswo! Die Bundesrepublik exportiert auf diesem Gebiet Arbeitsplätze und gibt dafür noch Milliarden Mark aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016244600
Herr Abgeordneter, Sie haben hier nur das Wort zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung. Ich bitte Sie, sich daran zu halten.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1016244700
Man braucht keinen Mut, gegen die Wiederaufarbeitungsanlage zu sein. Es erfordert einen gewissen Mut, zu seiner Überzeugung zu stehen. Dies tue ich im Interesse meiner Heimat und ihrer Menschen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016244800
Meine Damen und Herren, ich gebe jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3925 bekannt. Abgegebene Stimmen: 411; keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 157 Mitglieder des Hauses gestimmt. Mit Nein haben 229 Mitglieder des Hauses gestimmt. 25 Abgeordnete haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 411; davon
ja: 157 Abgeordnete
nein: 229 Abgeordnete
enthalten: 25 Abgeordnete



Vizepräsident Frau Renger
Ja
SPD
Amling Bachmaier
Bahr Bamberg
Becker (Nienberge) Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Brandt Brück Buckpesch
Büchler (Hof)

Buschfort
Catenhusen
Collet Conradi
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dr. Diederich (Berlin) Dreßler
Duve Egert Dr. Ehmke (Bonn)

Dr. Emmerlich
Ewen Fiebig Fischer (Homburg)

Fischer (Osthofen)

Franke (Hannover)

Frau Fuchs (Verl)

Gansel
Gerstl (Passau)

Gilges Glombig
Dr. Haack
Haar
Haase (Fürth)

Haehser
Hansen (Hamburg)

Frau Dr. Hartenstein
Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff
Heimann
Heistermann
Herterich
Heyenn
Hiller (Lübeck)

Horn
Frau Huber
Huonker
Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg)
Jansen Jaunich
Jung (Düsseldorf) Junghans
Jungmann
Kastning
Kiehm
Kirschner
Kisslinger
Klein (Dieburg)

Dr. Klejdzinski
Klose Kolbow
Dr. Kübler
Kühbacher
Kuhlwein
Lambinus
Leonhart
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löffler
Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Luuk
Frau Dr. Martiny-Glotz Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens (Bottrop) Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt)
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Dr. Nöbel
Frau Odendahl
Paterna Pauli
Dr. Penner
Peter (Kassel)

Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Ranker Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rohde (Hannover)

Roth
Sander
Schäfer (Offenburg) Schanz
Schlaga Schluckebier
Frau Schmedt (Lengerich)

Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (München)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schulte (Unna)

Dr. Schwenk (Stade) Frau Simonis
Dr. Sperling
Dr. Spöri Steiner Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben
Dr. Struck
Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Verheugen
Dr. Vogel Vogelsang
Voigt (Frankfurt)

Vosen
Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz
Westphal
Wieczorek (Duisburg) Wiefel
von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Dr. de With
Wolfram (Recklinghausen) Würtz
Zander Zeitler Frau Zutt
fraktionslos
Bastian Handlos
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Blens
Dr. Blüm Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Boroffka Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler (Bruchsal)

Dr. Bugl Buschbom Carstens (Emstek)

Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Czaja Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Dr. Dregger
Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Erhard

(Bad Schwalbach) Eylmann

Dr. Faltlhauser
Fellner
Fischer (Hamburg)

Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger
Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach (Obernau) Gerstein
Gerster (Mainz)

Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Günther Dr. Hackel von Hammerstein
Hanz (Dahlen)

Haungs
Hauser (Esslingen) Hauser (Krefeld) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Lörrach) Kalisch
Frau Karwatzki
Keller
Klein (München)

Dr. Köhler (Duisburg)

Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer
Link (Diepholz)

Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann (Lüdenscheid) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Müller (Wadern)

Müller (Wesseling)

Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Frau Pack Pesch
Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pinger Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rawe
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl (München)

Dr. Riesenhuber
Rode (Wietzen)

Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen)

Rühe
Ruf
Sauer (Salzgitter)

Sauer (Stuttgart)

Saurin
Sauter (Epfendorf)

Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz (Trier)

Schemken Scheu
Schlottmann
Schmidbauer
Schmitz (Baesweiler)

von Schmude
Schneider

(Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber

Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff



Vizepräsident Frau Renger
Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schultz (Wörrstadt) Schwarz

Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen)

Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Stommel
Strube
Stücklen
Stutzer
Susset
Dr. Todenhöfer Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warrikoff Weirich
Werner (Ulm) Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Wilz
Wimmer (Neuss) Windelen
Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach
Dr. Zimmermann
Zink
SPD
Rappe (Hildesheim)

FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann
Bredehorn
Eimer (Fürth)

Engelhard Ertl
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch
Hoffie
Hoppe
Kleinert (Hannover) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Weng (Gerlingen) Wolfgramm (Göttingen)
Enthalten
SPD
Stahl (Kempen) DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann
Bueb
Frau Dann
Frau Hönes
Horacek
Kleinert (Marburg) Lange
Mann
Dr. Schierholz
Schily
Schmidt (HamburgNeustadt)

Schulte (Menden)

Senfft Ströbele
Suhr
Tatge Tischer
Vogel (München) Volmer
Frau Wagner
Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler
Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat noch einmal die Frau Abgeordnete Hönes.

Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016244900
Gestatten Sie mir noch eine persönliche Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten.
Meine Fraktion hat es bedauert, daß es der SPD nicht möglich war, über die Punkte 1 und 3 ihres Entschließungsantrages getrennt abstimmen zu lassen. Ich möchte allerdings betonen: Auch wenn die SPD der getrennten Abstimmung zugestimmt hätte, hätte ich persönlich diesem Entschließungsantrag nicht zugestimmt, auch nicht in den Punkten 1 und 3, und zwar aus folgendem Grund. Es ist mir nicht möglich, mit meiner Stimme eine Doppelstrategie der SPD zu unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sprechen ständig davon, daß Sie aus der Plutoniumwirtschaft aussteigen wollen, und haben in der Bund-Länder-Kommission die Gelder für Wackersdorf freigemacht.

(Zurufe bei der SPD: Zur Sache! Zur Sache!)

Das muß in diesem Hause noch einmal gesagt werden. Ich habe nämlich den Eindruck, daß Sie sich bei den Landtagswahlen in Bayern profilieren wollen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1016245000
Frau Abgeordnete, ich bitte Sie herzlich, nicht zur Sache zu reden, sondern eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. —
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3942. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Der Abstimmungsvorgang ist wie der vorangegangene. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Es folgen noch weitere wichtige Abstimmungen, meine Damen und Herren. Bleiben Sie bitte nach dieser Abstimmung im Raum.

(Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016245100
Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch ein Mitglied des Hauses beabsichtigt, seine Stimme abzugeben.
Können mir die Parlamentarischen Geschäftsführer signalisieren, ob alle Mitglieder des Hauses, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, die Stimme abgegeben haben? — Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte, die Stimmen auszuzählen.
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen. Wir wollen in der Tagesordnung mit der Abstimmung über die Entschließungsanträge fortfahren. —
Darf ich bitten, Platz zu nehmen, da es sich um eine Abstimmung handelt.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3928. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Es ist noch über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3953 abzustimmen. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit angenommen.
Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 9 b:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN
Sexueller Mißbrauch von Kindern — Drucksachen 10/2389, 10/3845 —
Sind die Fraktionen damit einverstanden, daß wir damit während der Auszählung beginnen?



Vizepräsident Stücklen
Dann erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Wagner. Bitte sehr.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1016245200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Familie lernen die Menschen Tugenden und Verhaltensweisen, die unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht geben: Liebe und Vertrauen, Toleranz und Rücksichtnahme, Opferbereitschaft und Mitverantwortung. Die Gemeinschaft von Eltern und Kindern bietet Lebenserfüllung und Glück. Dies sagte unser Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung.
Was sagt demgegenüber die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage der GRÜNEN zum sexuellen Mißbrauch von Kindern? — Ein erstes — und das wichtigste — Ergebnis der Antwort bestätigt die hohe Schätzung über die Zahl von 80- bis 150 000 Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern pro Jahr. Ebenso bestätigt sich das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Tätern und Opfern: Väter und Töchter. 97 % der Täter sind Männer, die zu dreiviertel aus dem näheren Bekanntenkreis kommen. Die Geschichte vom bösen Onkel ist leider kein Schauermärchen, sondern Realität. Nur die Kulisse ist eine andere, als sie in den Broschüren des BKA aufgebaut wird: statt Park und Bonbon-Tüte, Plüschsofa und Fernseher in trauter Familienidylle.
Was meint hierzu nun unser Bundeskanzler? Ich zitiere: Nirgendwo lernen Menschen besser, einander zu vertrauen, als in der Familie. Alle Erfahrungsberichte haben auch ergeben, daß der sexuelle Mißbrauch von Mädchen nicht nur ein Problem von wenigen Randgruppenfamilien oder sozial benachteiligten Familien ist. Dies ist eine Praxis, die ebenso in den sogenannten besten Familien vorkommt. Das rüttelt an den Grundfesten der Familie. Der Bundesregierung ist die Expertise „Plädoyer für das Recht von Mädchen auf sexuelle Selbstbestimmung" zum Sechsten Jugendbericht bekannt. In dieser Expertise wird darauf hingewiesen, daß die Dunkelziffer bei sexuellem Mißbrauch von Kindern erschreckend hoch ist, daß diese Dunkelziffer um so höher ist, je enger der Bekanntschafts- und Verwandtschaftsgrad zwischen Täter und Opfer und je höher der soziale Status der Täter ist. Dies zeigt alles andere als die von der Bundesregierung gepredigte Idylle von der heilen Familie.
Da aber die Familie nicht in Frage gestellt werden darf, schreckt die Bundesregierung nicht vor absurden Erklärungsmustern zurück. Für das Verhalten der Männer werden ebenso chronische Krankheiten der Mütter wie hirnorganische Störungen der Väter als Ursachenerklärung abgeliefert. Dieses weitverbreitete Vorurteil wird damit erst verstärkt. Dabei dürfte auch der Bundesregierung bekannt sein, wie von Fachleuten aus der forensischen Psychiatrie festgestellt wurde, daß nur 6 % der Täter sexuell deviant, psychopathologisch verändert, seelisch oder sexuell neurotisiert und schwer gestört sind. Ich frage Sie dann: Was ist mit den restlichen 94 %?
Hier wird in der Beantwortung ein deutliches Desinteresse sichtbar. Vage Erklärungsmuster geben einen Hinweis darauf, daß die Bundesregierung diesen Zustand gar nicht beheben will und damit zugleich unfähig ist, die eigentlichen Ursachen zu untersuchen.

(Dolata [CDU/CSU]: Wieder eine Unterstellung!)

Das erschreckend hohe Ausmaß der Tabuisierung, das erst in den vergangenen Jahren durch einige Frauen durchbrochen wurde, wird damit festgeschrieben. Hierfür gibt es auch noch deutlichere Hinweise.
Sieht man sich die Antwort auf die Frage nach den Schutz- und Fluchtmöglichkeiten der mißhandelten Mädchen an, so muß man feststellen, daß die Bundesregierung hauptsächlich auf Einrichtungen verweist, die nicht mehr finanziell gefördert werden oder noch nie finanzielle Zuwendungen des Bundes erhielten.

(Dolata [CDU/CSU]: Aber andere!)

Die Modellprogramme der Kinderschutzzentren liefen aus, und die Folgefinanzierung ist überwiegend nicht gesichert. So mußte denn auch der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes feststellen — Sie können das in der Zeitung nachlesen —, daß dieser Verband juristisch gesehen vor dem Konkurs steht. Frauenhäuser und Mädchenhäuser sind nicht in Gefahr, überhaupt jemals vom Bund gefördert zu werden.
Auch bei der Frage nach den psychischen Folgen des sexuellen Mißbrauchs stellt sich die Bundesregierung dumm und verharmlost durch den Begriff „Einzelberichte". Offenbar hat sie es nicht einmal für nötig gehalten, auf die Erfahrungen der Hilfseinrichtungen und Beratungsstellen zurückzugreifen. Dabei hätte sie lediglich einmal in ihren Schubladen nachsehen müssen. Dort vergammeln nämlich inzwischen die Berichte. Allerdings wäre dann auch deutlich geworden, welche biographischen Folgen Mißbrauchserlebnisse für Mädchen haben. Auch die Erfahrung von Mädchen, mit dem Geheimnis des Mißbrauchs leben zu müssen, wird nicht thematisiert. Probleme der Familienstruktur könnten sonst auch sichtbar werden. Dieses Geheimnis bleibt u. a. so gut gehütet, weil Mütter ihre Augen verschließen und sich nicht trauen, sich mit ihren Kindern an eine Beratungsstelle zu wenden. Diese Mütter müssen, wie die Antwort der Bundesregierung bestätigt, befürchten, letztlich als schlechte Ehefrau verantwortlich gemacht und mit den Folgeproblemen wie nichtgesicherter Existenz und Ausgestoßensein alleine gelassen zu werden. Die Harmonie der Familie wird von der Bundesregierung wieder als Postulat an die Mutter gerichtet. Damit ist die Individualisierung der Probleme gemeint und eine Überforderung der Familie vorgezeichnet.
Gleichzeitig wurde die Dominanz der Männer über die Frauen durch die Politik der Bundesregierung wieder über Natürlichkeit und andere normative Charakteristiken zu stabilisieren versucht. In einer Druckschrift der CDU heißt es:
Die Emanzipation hat der Familie einen Schlag
versetzt, indem sie den Menschen beibrachte,



Frau Wagner
sich vor allem als Individuum zu sehen, das ein Recht auf Selbstverwirklichung hat, und besonders den Frauen einredete, diese Selbstverwirklichung sei nur außerhalb der Familie möglich.
Oder an anderer Stelle:
Mutterarbeit ist mehr als Erwerbsarbeit. Mutterarbeit führt zur Selbstverwirklichung der Frau.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die von der Bundesregierung betriebene Politik des Sozialabbaus und die Ausgliederung von Frauen aus dem Erwerbsleben zielt auf die Wiederherstellung von Familienstrukturen, in denen Frauen erneut auf Haus- und Erziehungsarbeit verpflichtet werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

Während Frauen gezwungen werden, alle Alltagsprobleme, seien es Kindererziehung, Haushalt, die Launen des Ehemanns, aber auch die eigene Berufstätigkeit in der Rolle der Mutter und Hausfrau zu vereinbaren und Konflikte zu harmonisieren, zu glätten und unter einen Hut zu bringen, bleiben die Männer starr in ihren alten Rollen. Diese Rollenzuweisungen lassen für Auseinandersetzungen in der Familie keinen Spielraum.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen mehr in Familien!)

Dies ist aber sicher nur eines der Erklärungsmuster für die Besitzansprüche und das gewaltsame Durchgreifen der Männer in den Familien.

(Marschewski [CDU/CSU]: Nur schlechte Männer kennengelernt bei den GRÜNEN!)

Mit unserer Folge-Anfrage zu Kindesmißhandlung und -vernachlässigung wollen wir das gesamte Problem der Gewalt gegen Kinder zur Diskussion stellen. Der sexuelle Mißbrauch ist nur die Spitze eines Eisbergs.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Sexualität als Eisberg zu bezeichnen, na!)

Die Enttabuisierung dieses Themas muß vorangetrieben werden, da es heute noch nicht möglich ist, alle Hintergründe zu erklären, geschweige denn zu beheben.

(Marschewski [CDU/CSU]: Sie wollen doch Straffreiheit!)

Erste Ansätze können aber durchaus schon gemacht werden. Unsere Vorschläge dazu haben wir in unserem Entschließungsantrag dargelegt. Wichtig ist uns hierbei vor allem, daß Hilfe vor Strafe gestellt wird, da eine vornehmliche Orientierung auf eine strafrechtliche Lösung lediglich die Dunkelziffer erhöht. Der hohe Stellenwert der Hilfe muß durch Maßnahmen und Taten zum Ausdruck kommen.
Die finanziellen Probleme der Kinderschutzzentren und anderer Modelleinrichtungen machen allerdings deutlich, daß die Bundesregierung den Familien diese Hilfe nimmt und ihnen den Zugang zu diesen Institutionen versperrt.
Auch die SPD stimmt da begeistert ein und leugnet alle Erfahrungen der Beratungsstellen, die Hilfe statt Strafe fordern. Eine Landesfinanzierung in Nordrhein-Westfalen gibt es für diese Einrichtungen jedenfalls nicht. Auch will sie, wie in Ihrer Anfrage zum Ausdruck kommt, die Meldepflicht z. B. für Kinderärzte einführen. Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Eltern würden aus Angst vor Strafverfolgung nicht einmal mehr mit ihren Kindern zu einem Arzt gehen.
Angesichts der großen Not von Kindern, besonders von Mädchen, halten wir ein Sofortprogramm für erforderlich. Unsere wichtigsten Forderungen sind: finanzielle Absicherung von Mädchenläden, Selbsthilfegruppen und Mädchenzentren, finanzielle Absicherung von Kinderschutzzentren und Wohngruppen, verstärkte Förderung der Arbeit des Deutschen Kinderschutzbundes, Absicherung der Notrufdienste für Kinder, wissenschaftliche Begleitforschung der Hilfsmaßnahmen und Darstellung des Problemkreises in der Öffentlichkeit.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016245300
Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3942 bekannt. Abgegebene Stimmen 417, ungültig keine, mit Ja 26, mit Nein 389, Enthaltungen 2.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 416; davon
ja: 25 Abgeordnete
nein: 389 Abgeordnete
enthalten: 2
Ja
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann Bueb
Frau Dann
Frau Hönes Horacek
Frau Kelly
Kleinert (Marburg) Lange
Mann
Dr. Schierholz Schily
Schulte (Menden) Senfft
Ströbele
Suhr
Tatge Tischer
Vogel (München) Volmer
Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler
fraktionslos Bastian
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Frau Augustin
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker (Frankfurt)

Dr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Boroffka Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler (Bruchsal)

Dr. Bugl
Buschbom Carstens (Emstek)

Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke
Frau Dempwolf
Deres



Vizepräsident Stücklen
Dörflinger
Dolata
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Erhard

(Bad Schwalbach) Eylmann

Dr. Faltlhauser Fellner
Fischer (Hamburg) Ganz (St. Wendel) Frau Geiger
Dr. von Geldern Dr. George
Gerlach (Obernau) Gerstein
Gerster (Mainz) Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz
Günther
Dr. Hackel
von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs
Hauser (Esslingen) Hauser (Krefeld) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich
Herkenrath
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland Dr. Hupka
Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Lörrach) Kalisch
Frau Karwatzki Keller
Klein (München)

Dr. Köhler (Duisburg) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann (Lüdenscheid) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Müller (Wadern)

Müller (Wesseling)

Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Frau Pack Pesch
Petersen Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rawe
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl (München)

Dr. Riesenhuber
Rode (Wietzen)

Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen)

Rühe
Ruf
Sauer (Salzgitter)

Sauer (Stuttgart)

Saurin
Sauter (Epfendorf)

Dr. Schäuble
Schartz (Trier) Scharrenbroich Schemken Scheu
Schlottmann Schmidbauer
Schmitz (Baesweiler) von Schmude
Schneider

(Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber

Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff
Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) Schwarz

Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Stockhausen
Stommel Strube
Stücklen Stutzer
Susset
Dr. Todenhöfer
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Düren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Weirich
Werner (Ulm)

Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Wilz
Wimmer (Neuss) Windelen
Dr. Wittmann
Wittmann (Tännesberg) Würzbach
Dr. Zimmermann
Zink
SPD
Amling
Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker (Nienberge) Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Brandt
Brück
Buckpesch Büchler (Hof)

Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen Collet
Conradi
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dr. Diederich (Berlin) Dreßler
Duve
Egert
Dr. Ehmke (Bonn)

Dr. Emmerlich
Ewen
Fiebig
Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)
Frau Fuchs (Verl)

Gansel
Gerstl (Passau)

Gilges
Glombig Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase (Fürth)

Haehser
Hansen (Hamburg)

Frau Dr. Hartenstein
Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff Heimann Heistermann
Herterich Heyenn Hiller (Lübeck)

Horn
Frau Huber
Huonker
Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg)
Jansen
Jaunich
Jung (Düsseldorf) Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg)

Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leonhart Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löffler
Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Luuk Matthöfer Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens (Bottrop)

Müller (Düsseldorf)

Müller (Schweinfurt)

Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Dr. Nöbel
Frau Odendahl
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter (Kassel)

Pfuhl
Porzner
Poß
Purps
Ranker
Rappe (Hildesheim) Reimann
Frau Renger
Reschke Reuter
Rohde (Hannover)

Roth
Sander
Schäfer (Offenburg)

Schanz
Schlaga Schluckebier
Frau Schmedt

(Lengerich)

Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (München)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiner Schulte (Unna)

Dr. Schwenk (Stade)

Frau Simonis
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl (Kempen)

Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Frau Dr. Timm
Toetemeyer Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt)

Vosen
Waltemathe
Walther



Vizepräsident Stücklen
Weinhofer
Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz
Westphal
Wieczorek (Duisburg) Wiefel
von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Dr. de With Wolfram

(Recklinghausen) Würtz

Zander
Zeitler
Frau Zutt
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann
Bredehorn
Eimer (Fürth) Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Grünbeck Grüner
Frau Dr. HamM-Brücher Dr. Hirsch
Hoffie
Hoppe
Kleinert (Hannover) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Weng (Gerlingen) Wolfgramm (Göttingen)
Enthalten
SPD
Frau Dr. Martiny-Glotz
fraktionslos Handlos
Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Sammelübersicht 103 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3939 — erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll nach Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Link (Diepholz).

Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1016245400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben bei der Debatte über den sexuellen Mißbrauch von Kindern eine sehr merkwürdige Diskussion. Während DIE GRÜNEN von Oktober 1984 bis März 1985 sich auf fünf Landesverbandstagungen in Nordrhein-Westfalen über die Freigabe der Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen unterhalten und nur auf Druck der Öffentlichkeit dies aus ihrem Wahlprogramm herausnehmen,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

kommen sie heute hierher und machen der Bundesregierung und der Regierungskoalition einen Vorwurf, daß sie nicht genug dagegen tut. Da muß man natürlich fragen: Was soll das Ganze?

(Zuruf des Abg. Ströbele [GRÜNE])

Ich will einmal versuchen, aus meiner 15jährigen Praxis in der sozialen Jugendpolitik, als Diakon, Sportlehrer und Sozialpädagoge die Frage, die Sie hier gestellt haben, ein wenig aus der pädagogisch-psychologischen Sicht zu beleuchten. Ich warne hier jede Fraktion des Deutschen Bundestages davor zu versuchen, aus diesem schwierigen Thema politisches Kapital zu schlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜNEN — Werner [Westerland] [GRÜNE]: Das haben Sie doch gerade gemacht)

Im Namen der CDU/CSU-Fraktion stimme ich der Sach- und Problemanalyse, auf die sich diese Anfrage beruft, zum Teil zu. Dagegen verurteile ich aber entschieden die vorurteilsgeladene und kenntnisleere Kritik an der Bundesregierung und vor allen Dingen an den sozialen Diensten, die unter erschwerten Bedingungen Aufklärung betreiben, Vorsorge treffen und ohne große Verlautbarungen und tönende Rechenschaftsberichte rund um die Uhr Kindern und ihren Bezugspersonen zu helfen versuchen. Kein Mitglied meiner Fraktion wird sich jemals inhaltliche Positionen und praktizierte Verfahrensweisen derjenigen Gruppen zu eigen machen, die z. B., wie vorhin erwähnt, im Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen nicht das Lebensschicksal von Kindern, sondern ihre eigenen Bedürfnisse im Auge hatten.

(Bueb [GRÜNE]: Das ist unverschämt! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Ich formuliere diese Aussage auch gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die in NordrheinWestfalen von den GRÜNEN angezettelte Diskussion über das Zugeständnis sexueller Beziehungen Erwachsener zu Kindern wegen harter Proteste und Reaktionen aus der Bevölkerung wieder abgebrochen werden mußte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Das drängende Problemfeld sexuellen Mißbrauchs von Kindern bedarf nicht des Marktes der Sensationen. Nein, jeder Versuch, mit Hilfe öffentlicher Debatten und aufsehenerregender Veröffentlichungen Möglichkeiten sexueller Praktiken an Kindern zu eröffnen, muß die seelische und körperliche Not der wehrlosen Abhängigkeit vergrößern und verantwortungslose Erwachsene in ihrem Denken und Empfinden bestärken und zu intensiviertem Handeln auffordern.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016245500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?

Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1016245600
Nein. — Sie tun gut daran, mir mal in Ruhe zuzuhören.
Auf diesen erdrückenden Wirkungszusammenhang haben immer wieder Vertreter der sozialen Gruppen hingewiesen, die im Text der Anfrage zu Unrecht bezichtigt werden. Eindeutig geht ferner aus deren Erfahrungsberichten hervor, daß die Einrichtung von Kinderschutzhäusern oder Kinderschutzwohnungen Kindern in Not nur dann helfen kann, wenn Bezugspersonen, zu denen die Kinder aber ein ungebrochenes Vertrauen haben müssen, die aktuelle Gefährdung der Abhängigen wahrnehmen und ihnen einen Zugang zu den genannten Schutzbereichen eröffnen.
Da aber, wie die Problemanalyse dieser Anfrage belegbar aufzeigt, sexuelle Mißhandlungen in oder im Umfeld der Familie — da stimme ich Ihnen ohne weiteres zu — ausgeübt werden, finden bedrohte Kinder nur selten — aus Gründen, die die Sachanalyse benennt — im anderen Elternteil den notwendigen Gesprächs- und Handlungspartner. Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Lehrer und Lehrerinnen, Pfarrer und Pfarrerinnen, Diakone, Dia-



Link (Diepholz)

koninnen und Diakonissen, Ärzte und Ärztinnen, Therapeutinnen und Therapeuten, Psychologen und Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Jugendämter und andere, die soziale Dienste leisten, finden häufiger, als es der Anfragetest für gegeben hält, einen Zugang zu Kindern, die in seelische und körperliche Not geraten sind. Anders als im Text der Anfrage beschrieben, helfen sie direkt, ohne dabei auf Anerkennung und Veröffentlichung zu bestehen. All diesen Personen und ihren Gruppen sind schon aus ihrer Ausbildungszeit Institutionen bekannt, die sich der Bedrängten annehmen können. Ich erwähnte in diesem Zusammenhang Krankenhäuser und Kliniken, in denen seit Jahren Kindern in seelischer und körperlicher Not geholfen wird. Unbestritten bleibt jedoch die Tatsache, daß der direkten und schnellen Hilfe für diese Kinder bekannte Grenzen gesetzt sind. Die erdrückenden Erlebnisse sexueller Gewalt — wer wollte das bestreiten —, die Sprachlosigkeit unerfahrener erwachsener Bezugspersonen zwingen Kinder zum Schweigen und Verschweigen. Um so mehr bedürfen aber gerade diese Kinder — ich betone: gerade diese Kinder — ihrer Familien und wir der wachen Klugheit und der ungebrochenen selbstlosen Handlungsbereitschaft der im Text der Anfrage gescholtenen sozialen Dienste.
Ich hebe noch einmal hervor: Die Vertreterinnen und Vertreter dieser sozialen Dienste verdienen den Dank, die Anerkennung und die Ermunterung zur Fortsetzung ihres segensreichen Handelns durch dieses Hohe Haus und damit durch alle politischen Parteien und Gruppen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eine exakte Vorbereitung dieser Anfrage hätte den grünen Fragestellern dann auch folgende Fakten vor 'Augen geführt und sie vor den niedergeschriebenen Vorurteilen bewahrt: In den Ausbildungsgängen der genannten sozialen Dienste wird das Problemfeld, über das wir hier sprechen, behandelt, Ursachen werden erörtert, Handlungsmöglichkeiten und -grenzen werden aufgezeigt, Handlungsspielräume erprobt. — Herr Kollege, Sie schütteln den Kopf. Ich habe mich gerade in Anbetracht unserer Diskussion hier in den letzten Tagen wiederholt mit den Berufsgruppen, die ich vorhin aufgezählt habe, unterhalten. Es gibt heute in den modernen Ausbildungsgängen aller Universitäten, Fachhochschulen und Fachschulen dieses Problemfeld.
Beobachtungen und Erfahrungen aus der täglichen Praxis ergeben eindeutige Hinweise — ich betone es erneut — auf die Handlungsmöglichkeiten und Handlungsgrenzen.
Eine gezielte Lektüre von Praxisberichten und ein direkter Kontakt zu diesen Diensten hätte die Schreiber der Anfrage zu angemessenen Einschätzungen geführt. Wer nämlich den bedrohten Kindern helfen will, wird gerade zu den Helfenden auch jenseits aller Debatten, Anfragen und Wahlkampfprogramme Kontakte halten und über diese niemals vorschnell und arrogant — wie Sie in Ihrer Anfrage — urteilen.
So fordere ich daher die Fraktion der GRÜNEN auf, kontinuierlich und ohne Sensationshascherei die Bemühungen um die gefährdeten Kinder in dieser Gesellschaft zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

An Sie, Frau Staatssekretär, richte ich die Bitte, daß Sie und Ihre Institutionen mit der aktiven Unterstützung der Familien und der sozialen Dienste fortfahren und weiterhin den länderübergreifenden Kontakt und Erfahrungsaustausch intensiv fördern, damit auch in Zukunft das Problemfeld der sexualen Gewalt gegen Kinder nicht der Sensationslust geopfert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016245700
Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1016245800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Link, Sie wissen j a, daß ich ein sehr streitbarer Kollege bin; aber es gibt Themen in diesem Hohen Hause, aus denen wir meiner Meinung nach die Polemik und den Streit eigentlich herauslassen sollten. Es gab vor längerer Zeit hier die Thematik „Die Situation krebskranker Kinder". Ich glaube, daß wir auch bei dem Thema, das wir jetzt behandeln, versuchen sollten, einmal in Sachlichkeit,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er getan!)

ohne Polemik und ohne Schuldzuweisungen und ohne schnelles Urteil an das Problem heranzugehen.

(Link [CDU/CSU]: Da stehen wir mit Ihnen in der Solidarität!)

— Herr Link, wir haben doch den GRÜNEN dafür zu danken — das müssen wir objektiv und fair sagen —, daß sie mit einer solchen Großen Anfrage der Bundesregierung und Ihnen und uns überhaupt die Möglichkeit geben, darüber zu debattieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht in der Form!)

— Ich komme nachher noch darauf zurück, auch auf den Entschließungsantrag.

(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU)

— Also, Sie sind wirklich ein Schwätzer, Herr Kollege, mit Ihren Zwischenrufen. Ein bißchen seriöser zu sein, würde Ihnen gut anstehen.
Das Thema, über das wir hier reden, ist leider erst in den letzten Jahren verstärkt in der Offentlichkeit diskutiert worden. Aber auch dann fand die Diskussion zumeist unter sehr negativen Vorzeichen statt. Dazu haben nicht zuletzt die Beschlüsse und Diskussionen eines Teils der GRÜNEN beigetragen.
Ärzte, Lehrer, Psychologen, Sozialarbeiter und alle diejenigen, die ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, wissen, daß der sexuelle Mißbrauch von Kindern eine Realität ist. So gab der „Spiegel" im Jahre 1984 in einer Titelgeschichte die Aussagen betroffener Frauen wieder. Ich zitiere einmal:



Gilges
Sehr leise sprach sie, mit gesenktem Kopf von Notizen ablesend, stockend und sichtbar aufgewühlt. Zehn Jahre lang, von ihrem sechsten bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr, sei sie von ihrem Großvater sexuell mißbraucht worden, sagte die 21jährige.
Eine andere fing an zu sprechen unter Tränen. Sie war sechs gewesen, als ihr Vater sie zum erstenmal zwang, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr habe er sie regelmäßig mißbraucht, sie habe geschwiegen vor seinen brutalen Ausfällen. Alle Anzeichen für das, was zwischen Vater und Tochter geschah, habe die Mutter geflissentlich übersehen. Als das nicht mehr ging, habe sie die Tochter, nicht den Mann, mit Vorwürfen überschüttet.
Dies sind nur zwei von vielen anderen erschütternden Aussagen. Sie machen deutlich, daß nicht nur die Tat eine Katastrophe für das betroffene Kind ist. Die Folgewirkungen, die seelische und körperliche Verwüstung und Mißhandlung sind ebenso schlimm.
Weil der sexuelle Mißbrauch von Kindern in der Regel geheim bleibt und immer noch durch die Gesellschaft tabuisiert wird, begrüßen wir Sozialdemokraten, daß nunmehr eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema stattfindet. Denn erst die öffentliche Diskussion eröffnet die Möglichkeit, Maßnahmen zur Abwehr des Verbrechens zu ergreifen.
Deshalb bedauern wir, daß die Bundesregierung auf die Große Anfrage teilweise unangemessen und dem Problem selten gerecht werdend geantwortet hat. Wir hätten uns gewünscht, daß die Antworten der Bundesregierung das Problem ernster angegangen wären, weil die Ängste und das Leid der Kinder und der heute erwachsenen Frauen und Männer dies erfordert.
Für uns Sozialdemokraten ist der sexuelle Mißbrauch von Kindern kein ausschließlich rechtspolitisches Problem, insbesondere deswegen, weil die Gewalt in Bereichen stattfindet, in denen das Recht erschwert Zugang hat.
Wie die Antworten in den Abschnitten I bis III eindeutig belegen, findet der sexuelle Mißbrauch von Kindern zum größten Teil im engsten Familienkreis statt. Experten vermuten darüber hinaus, daß nur jeder zehnte bis zwanzigste Fall öffentlich bekannt wird. Die Schätzungen gehen dahin, daß neben den umgerechnet täglich 30 bekannt werdenden Fällen weitere 240 bis 450 Fälle von sexuellem Kindesmißbrauch stattfinden. Die Ursachen für diese Dunkelziffer sind naheliegend: die Angst des Opfers vor dem bekannten Täter, die Angst des Opfers vor einer sozialen Ächtung der Familie durch den Lebensumkreis.
Die Gefahren drohen, wie Kinder- und Jugendarbeiter dies seit langem betonen, weniger durch den „bösen Onkel" auf dem Spielplatz oder in dunklen Gassen; vielmehr war und ist es der unmittelbare Lebensbereich, in dem Kinder sexuell mißbraucht werden. Wir haben es daher nicht mit einem
Rechtsproblem zu tun, sondern mit einem moralischen und ethischen Problem dieser Gesellschaft.
Lassen Sie mich auf einige Einzelpunkte der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage eingehen. Ihre Antwort auf I.7 ist wenig aussagekräftig. Auf Grund der dauernden Nähe von Täter und Opfer, insbesondere im Verwandtenbereich, muß davon ausgegangen werden, daß hier die Dauer und Anzahl des sexuellen Mißbrauchs wesentlich höher angesetzt werden muß. Es sind z. B. Fälle bekanntgeworden, wo ein Vater seine Tochter jahrelang mehrmals in der Woche mißbraucht hat.
Die Behauptung, daß das Lesen von Pornos zum sexuellen Mißbrauch von Kindern animiert, ist wissenschaftlich nicht erwiesen.
Was ich in diesem Zusammenhang als viel verheerendere Tatsache empfinde, ist, daß Väter und/ oder Mütter sich an der Ausbeutung ihrer Kinder beteiligen. Nur eine niedrige Gewinnsucht und eine moralische und ethische Verkommenheit können dies ermöglichen. Und dies ist nicht nur ein Wesensmerkmal für diese Eltern, sondern trifft ebenso auf diejenigen zu, die damit Geschäfte machen und ihre Lust befriedigen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Verfahrensdauer bei Sexualdelikten halte ich angesichts ihrer offenbaren Unkenntnis über statistische Angaben für sehr verwegen.
Und lassen Sie mich noch eine letzte, für Sozialdemokraten sehr wichtige Anmerkung machen. Im Gegensatz zu der Auffassung der Bundesregierung fordern wir die Beiordnung eines Opferanwaltes in allen Fällen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Zudem sind wir nicht davon überzeugt, daß gegenwärtig Richter und Staatsanwälte für diese Probleme ausreichend fortgebildet werden.

(Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Wir Sozialdemokraten sind nicht der Meinung, daß Geheimniskrämerei und Tabuisierung in diesem Bereich angebracht sind. Nur die offensive Auseinandersetzung mit Ursachen und Taten sowie Hilfe für die Opfer werden den sexuellen Mißbrauch von Kindern zurückdrängen können. Die Behauptung, sexuelle Mißhandlung von Kindern hätte es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben, ist eine bewußte Verharmlosung und im Hinblick auf die Tat und die Folgen unverantwortlich.
Eine Tolerierung oder Verständnis für Täter und Tat ist für uns Sozialdemokraten ausgeschlossen.

(Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Für uns auch!)

Das hohe Rechtsgut Kind bleibt für uns unantastbar. Ebenso widersetzen wir uns der Gleichsetzung des Rechts auf kindliche Sexualität mit der sexuellen Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem. Das Recht auf die ungestörte und freie sexuelle Entwicklung ist genau das Gegenteil von dem. Entfaltung und Befriedigung kindlicher Sexualität erfordern die Nichteinmischung des Erwachsenen. Es ist und bleibt eine Verletzung der kindlichen Würde, wenn Erwachsene glauben, sie seien in der Lage,



Gilges
einen Beitrag zur Verwirklichung des Rechts auf kindliche Sexualität zu leisten.

(Beifall des Abg. Vogel [München] [GRÜNE])

Die Forderung einer fortschrittlichen Kinder- und Jugendpolitik muß daher lauten, daß sich die kindliche Sexualität von der Einmischung von Erwachsenen ungestört entwickeln kann. Dies ist eine umfassende gesellschaftspolitische Aufgabe.
Dem Antrag der GRÜNEN, der hier heute zur Beratung vorliegt, können wir nicht zustimmen. Wir halten es für richtiger, daß diese Thematik im Zusammenhang mit der Debatte über unsere Große Anfrage betreffend die Lebenssituation der Kinder noch einmal aufgegriffen und diskutiert wird.
Ich will zum Schluß erklären: Aufklärung, Vorbeugung und Hilfe für betroffene Kinder und ihre Familien sind daher heute notwendig. Genau zu diesem Punkt aber ist der Beitrag der Bundesregierung nur gering. Dort, wo er erbracht wird, verfehlt er den hauptsächlichen Gefährdungsbereich, nämlich den Bereich, in dem sexuelle Kindesmißhandlung stattfindet.
Wir fordern daher von der Bundesregierung die Entwicklung eines weitreichenden Programms zum Schutz vor sexueller Mißhandlung von Kindern. Dies muß in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Jugendhilfeorganisationen geschehen. Ein solches Programm wird zu realisieren sein, weil die Bereitschaft, über das Problem zu reden und es zu lösen, größer geworden ist.
Die Sozialdemokratische Partei wird hieran mitarbeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016245900
Herr Abgeordneter Gilges, ich bitte darum, die Bezeichnung „Schwätzer" bezogen auf Mitglieder des Hauses, künftig nicht mehr zu verwenden.

(Jaunich [SPD]: Was hat denn der Kollege dazwischengerufen? — Gegenruf von der CDU/CSU: Das ist doch wohl gleichgültig!)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1016246000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der hier zu behandelnden Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN möchte ich mir jeden Hinweis auf berühmt-berüchtigte Verlautbarungen aus dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ersparen.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Das in Nordrhein-Westfalen ist doch schon lange erledigt!)

Man kann nur vermuten, daß in dieser politischen Gruppierung die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Zu diesem Schluß muß man auch kommen, wenn man sich die Große Anfrage und den heute vorgelegten Entschließungsantrag der GRÜNEN ansieht. Die Große Anfrage vom November 1984 zeigt noch das Bemühen der GRÜNEN, mit ihren
Fragen Einsicht in das vielschichtige Problem zu gewinnen und nach Lösungsmöglichkeiten und Hilfen zu suchen. Ganz anders sind die Töne im Entschließungsantrag; doch darauf möchte ich später zurückkommen.
Zunächst einmal möchte ich feststellen, daß sich die Bundesregierung mit der Beantwortung der Großen Anfrage große Mühe gemacht hat und damit jedem Interessierten einen guten Einblick in die vielschichtige Problematik des Phänomens sexueller Mißbrauch von Kindern gibt. Sicher herrscht auf allen Seiten dieses Hauses Einstimmigkeit darüber, Kindern den Schutz des Gesetzes angedeihen zu lassen. Es kann aber nicht übersehen werden, daß gerade beim sexuellen Mißbrauch von Kindern häufig eine Mauer des Schweigens errichtet wird, die auch mit gesetzlichen Maßnahmen nicht überwunden werden kann. Daher ergibt sich in diesem Bereich eine sehr hohe Dunkelziffer. Insofern bin ich bereit, den Satz aus dem Entschließungsantrag der GRÜNEN „Schon die hohen Dunkelziffern belegen das Versagen vornehmlich strafrechtlich orientierter Lösungsansätze" zu unterstreichen. Aber wie so häufig im politischen Bereich ist man bei der Benennung von Übelständen noch einer Meinung. Jedoch gehen die Meinungen nicht nur bei der Therapie, sondern auch bereits bei der Diagnose weit auseinander. Sicher können wir uns auch bei der Diagnose noch über einige Ursachen einigen, die zu Konflikten in der Familie und in der Gesellschaft führen können, die ihren Ausdruck unter Umständen in Gewaltanwendung gegenüber dem Schwächeren finden. Es sollte jedoch anerkannt werden, daß die sozialen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland heute nicht mehr als die Hauptursache für sexuellen Mißbrauch von Kindern angesehen werden können. Eine Anklage der patriarchalischen Herrschafts- und Machtverhältnisse erscheint mir schlichtweg abwegig.
Der Versuch, die individuelle Verantwortlichkeit des Täters dadurch zu mindern, daß man die Schuld in den Verhältnissen sucht, geht meines Erachtens insbesondere bei diesen Delikten an der Wirklichkeit vorbei. Nicht in den sozialen Verhältnissen, sondern in der Persönlichkeitsstruktur der Täter liegt die Ursache des Fehlverhaltens. Soziale Verhältnisse sollten daher auch nicht zur Entschuldigung des Täters herangezogen werden.
Sosehr also der Gesetzgeber durch eine entsprechend strikte Rechtsprechung gefordert ist, für den Schutz von Kindern zu sorgen, so liegt das Hauptproblem doch bei der Wachsamkeit aller. Da es sich, wie wir festgestellt haben, häufig um ein verschwiegenes Leid mit einer hohen Dunkelziffer handelt, können wir nur an alle appellieren, ein aufmerksames Auge für dieses Leid zu haben. Gleichgültigkeit in allen Fällen von Mißhandlung ist eine Anklage gegen jeden von uns. Von der Bundesregierung fordern wir aber außerdem, in ihrem Bemühen um Aufklärung nicht nachzulassen, um auf diese Weise in der Bevölkerung ein besseres Verständnis und mehr Hilfsbereitschaft zu entwickeln. Darüber hinaus sollten Einrichtungen wie Kinderschutzzentren
12156 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Vizepräsident Stücklen
und andere Anlaufstellen für Notfälle wie etwa auch das Nottelefon gefördert werden.
Von dieser Stelle aus möchte ich auch noch einmal auf die segensreiche Arbeit des Kinderschutzbundes hinweisen und für eine breite Unterstützung gerade dieser Organisation werben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016246100
Das Wort hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1016246200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sexueller Mißbrauch von Kindern ist ein Verhalten, bei dem der Stärkere sich in besonders verwerflicher Weise über den Schwächeren, über dessen Rechte und dessen Würde hinwegsetzt. Es ist Aufgabe des Staates und der Gesellschaft, den Schwächeren, also das Kind, vor Übergriffen dieser Art zu schützen. Deshalb steht auch für die Bundesregierung — anders als für Teile der GRÜNEN — eine Aufhebung oder Aufweichung der strafrechtlichen Schutzvorschriften nicht zur Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Familie — oder jeder gegen jeden? Dies ist die Frage, die sich bei der Kritik der GRÜNEN an der Beantwortung der Großen Anfrage stellt. Ich sehe die Familie als Familienverband und nicht nur als Summe von einzelnen Familienmitgliedern. Wir können doch nicht so tun, als sei jeder Mann bzw. jeder Vater ein potentieller Gewalttäter bzw. ein Mensch, der seine Töchter mißbraucht. So schlimm es ist, Frau Kollegin Wagner — Sie sprachen von 80 000 sexuell mißbrauchten Kindern; dies ist sehr viel, dies müssen wir täglich in die Welt hineinrufen —, wir müssen aber auch in diesem Zusammenhang sagen, daß wir 8 Millionen Familien mit Kindern haben, in denen so etwas nicht geschieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sehe in den Familienvätern Menschen, die — wie die Mütter — sich ständig bemühen, ihren Aufgaben in der Familie und den Anforderungen, die unsere Gesellschaft den Familien stellt, nach besten Kräften gerecht zu werden. Ich bin aber mit allem Nachdruck dafür, daß Fälle sexuellen Mißbrauchs kompromißlos verfolgt werden und alles unternommen wird, damit unsere Kinder vor solchen Taten bewahrt und geschützt werden.
Ich halte allerdings den Vorwurf der GRÜNEN für widersinnig, die Bundesregierung habe in ihrer Antwort auf die Große Anfrage das wahre Ausmaß des sexuellen Mißbrauchs von Kindern verschwiegen. In der Großen Anfrage wird zu einer Fülle von Daten zum Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder, über den Tathergang und über die Täter, zur Tätigkeit von Polizei und Justiz, über vorbeugende Maßnahmen, zur Familienpolitik der Bundesregierung, zu den psychischen und physischen Folgen von sexuellem Mißbrauch und zu den sozialen Einrichtungen Stellung genommen.
Widersinnig ist der Vorwurf der GRÜNEN auch deshalb, weil sie es gerade sind, die immer wieder vornehmlich an der falschen Stelle — den Datenschutz predigen, von der Bundesregierung aber Daten verlangen, die nur zu beschaffen wären, wenn man in jede Familie einen Aufpasser hineinstellen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nicht der Sorgerechtsentzug und die möglicherweise damit verbundene Heimeinweisung des Kindes dürfen im Vordergrund stehen, sondern ein Hilfsangebot für die ganze Familie. Hilfe und Aufklärung müssen nach Auffassung der Bundesregierung folgende Grundsätze beachten: Sie müssen eine Hilfe für die Betroffenen oder potentiell Betroffenen darstellen. Sie dürfen nicht zur Verdächtigung durch Außenstehende führen. Sie dürfen nicht Verunsicherung oder Vertrauenskrisen bei den Kindern zur Folge haben. Sie dürfen nicht die Familie pauschal als Ort sexueller Gewalt darstellen und Kinder nicht in ihren Beziehungen zu ihren Eltern erschüttern.
Hilfs- und Therapieangebote heißt natürlich nicht, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung auf den strafrechtlichen Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch verzichtet. Darum hat die Bundesregierung vor kurzem auf der Grundlage eines von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurfs eine deutlich verbesserte gesetzliche Grundlage für den Jugendschutz geschaffen.
Ebenso wichtig ist aber auch, daß Elternhaus und Schule, die bei der sexuellen Aufklärung Verantwortung und Partnerschaft praktizieren müssen, ein tabufreies Klima schaffen, in dem sexuelle Aufklärung etwas ganz Natürliches ist. Eine solche Einstellung zu erhalten und zu festigen ist ein zentrales Ziel der Bundesregierung.

(Jaunich [SPD]: Na, na, na!)

— Aber, Herr Kollege Jaunich — —

(Jaunich [SPD]: Denken Sie doch an das Aus-dem-Verkehr-Ziehen gewisser Materialien!)

— Herr Kollege Jaunich, es ist doch ein großer Unterschied, ob ich bestimmtes Material aus dem Verkehr ziehe, weil es mit der Wertvorstellung einer großen Zahl von Mitbürgern nicht übereinstimmt, oder aber ob ich dieses Ziel hier postuliere. Ich denke, darüber sollten wir uns bei aller Unterschiedlichkeit in den Auffassungen einig sein. Ich meine, das ist eine legitime Handlung.
Deshalb verstärkt die Bundesregierung die Förderung der Familie, um durch die Verbesserung der Lebensbedingungen von Familien und durch Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe dazu beizutragen.
Einen verbesserten Schutz der Kinder vor sexuellem Mißbrauch kann man nicht erreichen — wie DIE GRÜNEN das versuchen —, indem man mit Rundumschlägen nach allen Seiten Anklagen erhebt. Dabei möchte ich nur bemerken, daß DIE GRÜNEN ihre eigenen abwegigen und gefährlichen Vorschläge zur Aufhebung des strafrechtlichen
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12157
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
Schutzes von diesen Rundumschlägen und Anklagen ausnehmen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Einen verbesserten Schutz der Kinder vor sexuellem Mißbrauch kann man nur dadurch erreichen, daß alle gesellschaftlichen Kräfte — die Bundesregierung, die Länder, die Gemeinden, die Wohlfahrtsverbände und die vielen freien Initiativen im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes — gemeinsam Konzepte entwickeln, die ein stärkeres Miteinander in der vorbeugenden und therapeutischen Arbeit realisieren. Darin sieht die Bundesregierung den richtigen Weg.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogel [München] [GRÜNE]: Dann müssen Sie auch die Mittel dafür bereitstellen!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016246300
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3929. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, der Patentanwälte und der Notare
— Drucksache 10/3854 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1016246400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das wesentliche Anliegen des Ihnen vorliegenden Entwurfs ist die Lösung eines jahrzehntealten Problems: Durch die Regelung von Fachgebietsbezeichnungen für die Gebiete Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht soll dem Rechtsuchenden die Auswahl eines Anwalts mit hoher Befähigung auf einem Spezialgebiet erleichtert werden. Dem Rechtsanwalt verschafft der Entwurf im Vergleich zu den heute auf Standesrecht beruhenden, nur sehr beschränkten Möglichkeiten für einen Spezialisierungshinweis eine bessere rechtliche und wirtschaftliche Absicherung, wenn er sich intensiv einem von der Anwaltschaft bisher oft nur am Rande bearbeiteten Rechtsgebiet zuwendet.
Der Entwurf wird ferner die Tätigkeit des Anwalts über die Landesgrenzen hinaus in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft erleichtern. Die Vorschriften über die Lokalisierung sollen künftig der Einrichtung einer Kanzlei in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr entgegenstehen.
Neben diesen besonders hervorzuhebenden Zielen werden mit dem Entwurf bessere Einwirkungsmöglichkeiten der aufsichtsführenden Stellen im Interesse der Rechtsuchenden und der Integrität des Anwaltsberufs angestrebt. Die Aufgaben, die sich für die Verwaltung und für die Aufsicht in beruflichen Angelegenheiten stellen, werden in Zukunft wohl schwieriger und auch umfangreicher sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf die kritisch gewordene Situation des Berufsstands der Rechtsanwälte eingehen. Die Flut der Zulassungen zur Rechtsanwaltschaft ist besorgniserregend, nicht nur für den Berufsstand selbst, sondern auch für die Rechtspflege insgesamt. Bei etwa gleichbleibender Bevölkerungszahl hat sich die Zahl der Rechtsanwälte seit 1970 mehr als verdoppelt. Als ich Ende des Jahres 1963 zur Anwaltschaft zugelassen wurde, war in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl von 20 000 Rechtsanwälten noch längst nicht erreicht.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: So war es!)

Heute nähern wir uns der Zahl von 50 000. Die jährlichen Zuwachsraten sind von etwa 3% zu Anfang der 70er Jahre auf bis zu 8% heute angestiegen. Nach der Zahl der Studienanfänger wird sich dieser Trend auch bis zum Anfang der 90er Jahre ungebrochen fortsetzen, so daß wir Ende 1992 hochgerechnet mit 75 000 bis 80 000 Rechtsanwälten in unserem Lande rechnen müssen.
Umgekehrt ist der Bedarf an anwaltlichen Dienstleistungen nicht annähernd in vergleichbarem Umfange gestiegen, und dies läßt wirtschaftliche Schwierigkeiten für einen beträchtlichen Teil der Rechtsanwälte erwarten. Damit einher gehen nicht zu unterschätzende Gefahren für die Wahrung der beruflichen Integrität und für die Rechtspflege insgesamt.
Unsere Antwort auf diese Schwierigkeiten kann nicht die Drosselung des Zugangs zum Anwaltsberuf nach Bedürfnisgesichtspunkten sein. Eine solche Lösung ließe sich nicht mit dem Grundrecht der Freiheit der Berufswahl vereinbaren. Dies sehen im übrigen die Organisationen der Anwaltschaft, die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein, genauso. Neben zahlreichen Maßnahmen der Selbsthilfe in einer sehr realistischen Sicht der Dinge, für die ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte, hat sich die Anwaltschaft dafür ausgesprochen, durch Spezialisierung und durch Erschließung bisher wenig bearbeiteter Gebiete den Tätigkeitsbereich der Anwaltschaft auszuweiten.
Hier schließt sich der Kreis zu dem Ihnen vorliegenden Entwurf, der den Wünschen der Anwaltschaft ebenso wie den Wünschen ihrer Mandanten entspricht. Ich glaube, es ist uns hier im Ergebnis



Bundesminister Engelhard
gelungen, bei der Regelung der Fachgebietsbezeichnungen die beruflichen Interessen der Anwaltschaft mit dem Verlangen der Mandanten nach besser spezialisierten und ihre Spezialisierung auch nach außen anzeigenden und zur Kenntnis bringenden Anwälten in Einklang zu bringen.
Insofern ist ein optimaler Entwurf gelungen. Die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn dieser Entwurf möglichst bald verabschiedet werden könnte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016246500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk (Stade).

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID1016246600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Justizminister, um gleich auf das letzte einzugehen, was Sie gerade gesagt haben: Anscheinend haben wir über unterschiedliche Entwürfe gesprochen; denn irgend etwas, was zur Bekämpfung oder Regulierung einer Anwaltschwemme beitragen könnte, habe ich in dem Entwurf nicht gesehen, außer daß Richter und Beamte, die glauben, nach der Pensionierung noch in einen Ruhestandsberuf eintreten zu müssen, jetzt nicht fünf, sondern zehn Jahre warten sollen. Das ist allerdings weiße Salbe. Sie selbst haben j a auf eine parlamentarische Anfrage hin im April dieses Jahres offenlegen müssen, daß der Neuzulassung von 500 ehemaligen Beamten und Richtern 1983 20 000 Neuzulassungen gegenübergestanden haben. Das kann es nicht ausmachen, um all den Befürchtungen, die Sie eben zur Anwaltschwemme vorgetragen haben, entgegenzutreten. Das kann nur dazu dienen, gewisse Kreise zu beruhigen, daß man etwas getan hat. Es hat also, um es mit deutlichen Worten zu sagen, Alibifunktion.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich will damit keineswegs sagen, daß diejenigen im Ruhestand, wenn sie mit materiellen Mitteln ausreichend ausgestattet sind, dort noch eintreten müssen. Sie könnten sich ebenso ehrenamtlichen Tätigkeiten zuwenden. Wir wissen ja alle, daß es in vielen Lebensbereichen an qualifizierten ehrenamtlichen Helfern fehlt.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Sehr gut!) Eine Lösung ist das nicht.

Was Sie als Lösung angeboten haben, nämlich nunmehr vermehrt den Fachanwalt zuzulassen, ist ebenfalls keine Lösung. Da schließt sich auch kein Kreis, wie Sie eben so schön gesagt haben. Das war Stil deutscher Schulaufsatz, aber kein Ansatz zur Lösung eines Problems.

(Beifall bei der SPD)

Dadurch wird j a überhaupt nichts an zusätzlicher Tätigkeit geschaffen, sondern Anwälte, die qualifiziert sind, dürfen nunmehr diese Qualifizierung auch öffentlich deutlich machen. Damit kommt die Anwaltschaft endlich einem Bedürfnis nach, das schon lange bestanden hat. Damit wird aber nichts ausgeweitet. Damit wird nur eine endlich notwendige Spezialisierung und Qualifizierung nachvollzogen.
Aus der Geschichte ist deutlich zu sehen, daß solche Ansätze bereits nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge eines Nachvollzugs der Spezialisierung und Auffächerung in der Industriegesellschaft vorhanden waren. Ende der Weimarer Zeit gab es bereits einige Fachanwälte. Das ist in der NS-Zeit rigoros abgeschnitten worden. Erst nach dem letzten Krieg hat es Ansätze gegeben, den Fachanwalt wieder einzuführen. Aber von der Mehrheit der Anwaltschaft ist dem nie zugestimmt worden; wahrscheinlich deshalb, weil eine große Zahl von Anwälten befürchtet hat, daß sie als nicht qualifiziert für schwierige Prozeßlagen angesehen werden. Deshalb konnten nie die von der Bundesrechtsanwaltskammer angestrebten Beschlüsse erreicht werden.
In Wahrheit ist das ganze Gesetzesvorhaben durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Gang gekommen, das auf die nachhaltige Klage eines qualifizierten Anwalts deutlich gemacht hat, daß an sich gute Gründe bestehen, die Qualifizierungen von Anwälten anzuerkennen. Danach erst hat sich der Gesetzgeber aufgemacht, einen solchen Entwurf vorzulegen.
Ich meine, es ist richtig, daß diese Qualifizierungen jetzt eingeführt und anerkannt werden. Wir haben Rechtsgebiete, bei denen der Allgemeinanwalt deutlich überfordert ist, wenn er sich einarbeiten soll, ob es Verwaltungsrecht ist oder Arbeitsrecht oder Sozialrecht. Den Steuerfachanwalt gibt es längst schon. Es ist daran zu erinnern, daß es den Steuerfachanwalt deshalb gegeben hat, weil ein Konkurrenzkampf zwischen Steuerberatern und Rechtsanwälten bereinigt werden sollte. Das ist also der Kern der Dinge.
Deshalb bin ich auch sehr dafür, daß wir den durch den Gesetzentwurf vorgezeichneten Weg gehen, wobei wir deutlich darauf hinweisen müssen: Anwälte, die die entsprechende Qualifizierung in ihren Firmenschildern aufweisen wollen, müssen auch den erforderlichen Nachweis für diese Qualifizierung bringen. Bislang ist es großen Anwaltspraxen vorbehalten geblieben — das konnten die ja auch —, einzelne Dezernate zu schaffen, in denen sich die Mitglieder der Sozietät qualifizieren konnten, ohne daß diese Anwälte das allerdings in ihrem Firmenschild, in ihrer Berufsbezeichnung deutlich machen konnten. Jetzt wird das möglich sein. Das wird Bewegung in die Anwaltschaft bringen. Selbstverständlich haben es danach Anwälte, die sich als Allgemeinanwälte weiter betätigen, etwas schwerer, sich für fachbezogene Prozesse in der Mandantschaft bekanntzumachen. Dennoch wird sich Qualität auch ohne Fachbezeichnung langfristig durchsetzen.
Einige Worte zu dem, was in dem Gesetzentwurf über die Anspannung der Standesaufsicht steht. Es ist gut, wenn durch Überarbeitung von Gesetzen deutlichere Worte gesprochen werden. Es ist selbstverständlich, daß der Anwalt als Organ der Rechtspflege sich so zu verhalten hat, daß er seinem Berufsbild entspricht, daß er z. B. in geordneten Vermögensverhältnissen zu leben hat. Allerdings, Herr



Dr. Schwenk (Stade)

Minister, sehen Sie sich mal den § 14 Abs. 2 Nr. 9 der Neufassung an. Da bin ich ins Stocken gekommen. Da steht wegen des Widerrufs:
... wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf eines Rechtsanwalts oder mit dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft nicht zu vereinbaren ist, es sei denn, daß der Widerruf für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde.
Da frage ich mich, was ist wichtiger, daß der Rechtsanwalt sich seinem Berufsbild entsprechend verhält oder ob bei ihm persönlich eine besondere Härte vorliegt? Darf er sich anders verhalten und wird trotzdem nicht aus der Anwaltschaft ausgeschlossen? Das geht ja wohl nicht, da gucken Sie noch mal in Ihren Entwurf hinein!
Wir wissen, daß manche Anwälte, vor allem diejenigen, die sich neu niederlassen und Schwierigkeiten haben, die nötige Mandantschaft zu bekommen, sich bereits andere, zusätzliche Berufe verschafft haben. Manche sind an der Grenze des Zulässigen, manchmal geht es auch darüber hinaus. Wir wissen sehr wohl, daß seitens der Kammern nicht selten ein Auge zugedrückt wird. Das aber nun auch noch ins Gesetz hineinzuschreiben geht entschieden zu weit.
Ich will nicht sagen, daß es nicht richtig ist, diesen Entwurf vorzulegen. Richtig ist z. B., daß die Residenzpflicht gelockert wird, daß Wert darauf gelegt wird, daß deutsche Anwälte auch im Ausland gleichzeitig Kanzleien unterhalten können und nicht auch noch überall ihren Wohnsitz haben müssen. Das entspricht den Anforderungen der modernen Zeit. Es ist gut, daß dieser Entwurf den Entwicklungen Rechnung trägt.
Vieles andere in dem Entwurf ist Technik. Wir werden im Ausschuß darüber zu beraten haben. Herr Minister, und wenn Sie sich noch einmal mit der Anwaltsschwemme beschäftigen und Maßnahmen ergreifen wollen, damit die Rechtspflege seitens der Anwaltschaft gesichert ist, dann bitte ich Sie darum, mehr vorzubringen, dann müssen Sie schon mehr vorlegen.
Im übrigen weise ich noch darauf hin: Viele Klagen über die Überlastung der Justiz gehen darauf zurück, daß es Anwälte gibt, die jeden Fall, den sie in die Hände bekommen, auch wirklich bis zum letzten „ausgebühren" — so ist ja wohl der moderne Ausdruck —, und daß Prozesse losgemacht werden, die dem Mandanten nicht helfen, die die Gerichte und damit die Allgemeinheit belasten. Da bauen sich Probleme auf, die uns zu beschäftigen haben. Darauf sollten Sie Ihr Augenmerk richten. Wenn Sie derartigen Unsinn, den jedermann erleben kann, abstellen würden, dann würden wir es auch leichter haben gegenüber Klagen der Justiz über eine Überlastung ihrer Arbeit. Denn wir alle wollen eine funktionsfähige Justiz, und wir alle wollen eine Anwaltschaft, die als Organ der Rechtspflege diese Aufgabe auch so wahrnimmt.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016246700
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1016246800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Novelle zur Bundesrechtsanwaltsordnung wird vor dem Hintergrund einer Überfüllung des Anwaltsberufs, der sogenannten Anwaltsschwemme, diskutiert, die sicherlich ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hat. Ich will die Zahlen nicht wiederholen, die uns der Justizminister bereits vorgetragen hat.
Daß die Zahl der Jurastudenten immer noch zunimmt, signalisiert, daß diese über uns gekommene juristische Flutwelle ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat und wahrscheinlich erst in den 90er Jahren ihren höchsten Stand erreichen wird.
Die sehr viel größer gewordene Zahl der Rechtsanwälte, aber auch die Rechtspflege insgesamt, ja letzten Endes auch die rechtsuchenden Bürger müssen mit dieser Situation fertigwerden. Mit Zulassungsbeschränkungen kann man nicht helfen, weil sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wären. Ich habe mit Interesse den Ausführungen des Kollegen Dr. Schwenk entnommen, daß die SPD offenbar Vorstellungen hat, wie man die Zahl der Rechtsanwälte eindämmen kann. Leider hat sie daraus bisher ein Geheimnis gemacht. Vielleicht erfahren wir dann im Ausschuß, welche Vorstellungen sie hat.

(Dr. Schwenk [Stade] [SPD: Sie müssen einmal zuhören!)

— Sie haben nicht mit einem Wort einen konkreten Vorschlag gemacht.

(Beifall bei der FDP)

Im übrigen ist es einigermaßen schwer, nicht satirisch zu werden, wenn man hört, daß gerade Sie die Anwaltsschwemme beklagen, denn es war doch wohl in erster Linie die SPD, die die falschen bildungspolitischen Weichenstellungen in den 70er Jahren zu verantworten hat, die dazu geführt haben,

(Marschewski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

daß wir heute Soziologen, Politologen und auch Juristen en masse, aber Facharbeiter zuwenig haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich meine, daß es zunächst einmal die Aufgabe der Anwälte selbst ist, sich neue Betätigungsfelder zu erschließen, bzw. die bisherigen Tätigkeitsbereiche zu sichern. Das liegt um so näher, als sich ja im Laufe der letzten Jahrzehnte die Anwälte aus wichtigen Rechtsgebieten — ich nenne nur das Steuerrecht oder das Sozialrecht — haben verdrängen lassen. Sie sehen sich einer harten Konkurrenz gegenüber, die von den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bis hin zu den Wirtschaftsverbänden, den Gewerkschaften, den Sozialverbänden und den Verbraucherverbänden reicht. Diese Konkurrenz ist in der Regel hoch spezialisiert, unterliegt in vielen Fällen nicht dem Werbungsverbot und wird dazu auch noch teilweise staatlich gefördert, insbesondere in den SPD-regierten Ländern. Der Staat — das will ich nur am Rande erwähnen — sollte in



Eylmann
dieser Situation die Konkurrenz nicht noch finanziell begünstigen.
Vor allem aber müssen die Anwälte selbst versuchen, den Wettbewerb zu bestehen, und zwar in erster Linie dadurch, daß sie qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Mehr Qualität setzt aber Spezialisierung voraus. Der Allgemeinanwalt, der ab und zu vor dem Arbeitsgericht auftritt, ist z. B. in vielen Fällen dem Rechtsschutzsekretär der Gewerkschaft in der Kenntnis des Tarifrechts unterlegen. Das können wir gar nicht leugnen.
Nun heißt es in § 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung:
Der Rechtsanwalt ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.
Daraus wird nun vielfach die Vorstellung abgeleitet, der einzelne Anwalt sei als Allround-Anwalt in der Lage, in allen Rechtsangelegenheiten dem Bürger sicheren und zuverlässigen Rechtsrat zu erteilen. Das ist aber längst von der Wirklichkeit überholt. Kein Jurist ist heute mehr in der Lage, alle für die Praxis bedeutsamen Rechtsgebiete auch nur halbwegs vollständig zu überblicken. Es gibt auch keine Allround-Richter. Ein Allround-Anwalt — wäre er nur dies — nähert sich einem Allround-Dilettanten. Die Spezialisierung hat auch längst in den großen Praxen eingesetzt.
Ist sie notwendig, so muß dann aber auch konsequenterweise dem einzelnen Anwalt die Möglichkeit gegeben werden, seine Spezialkenntnisse dem rechtsuchenden Bürger kundzutun. Dieser hat auch ein eigenes Interesse daran, zu erfahren, wer denn nun für sein Problem der „richtige" Anwalt ist.
Hier setzt nun der vorliegende Gesetzesentwurf an, der durchaus insoweit einen Bezug zur Anwaltsschwemme hat und der ja auch seit Jahren von der Rechtsanwaltskammer und von dem Deutschen Anwaltverein verlangt wird. Er läßt nämlich zu, daß ein Rechtsanwalt als sein Fachgebiet das Verwaltungsrecht, das Steuerrecht, das Arbeitsrecht oder das Sozialrecht angeben darf, wenn er in dem Rechtsgebiet besondere Kenntnisse erworben hat. Es hat in der Anwaltschaft j a Jahrzehnte gedauert, bis man sich zu einer Befürwortung von Fachgebieten durchringen konnte. Das hat vielerlei Ursachen, die ich hier nicht aufführen will. Heute ist diese Erkenntnis allgemein verbreitet, und ich glaube, die Anwaltschaft hat erkannt, daß sie ihre Stellung als die berufene Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten nur durch diese notwendigerweise mit Spezialisierung verbundene Qualifizierung ihrer Mitglieder behaupten kann.
Natürlich ist sicherzustellen, daß nur derjenige Rechtsanwalt die Fachgebietsbezeichnung führen darf, der tatsächlich über die vom Gesetz geforderten Spezialkenntnisse verfügt. Der Bürger muß vor inkompetenten Anwälten geschützt werden. Ich glaube, das vorgeschlagene Verfahren wird das gewährleisten.
Einem Mißverständnis erläge, wer nun meinen sollte, mit der Zulassung von Fachgebietsbezeichnungen steuere die Anwaltschaft auf den aus anderen Bereichen bekannten und gefürchteten Fachidioten zu. Es ist keine Frage, daß für jeden Anwalt nicht nur das Beherrschen des begrifflichen Instrumentariums und der Denkmethoden der Rechtswissenschaft notwendig ist, sondern auch eine solide Grundausbildung in den drei klassischen Rechtsgebieten Zivilrecht, Strafrecht und öffentliches Recht. Erst auf dieser Basis kann in engem Zusammenwirken von theoretischer Fortbildung und praktischer Tätigkeit jenes Maß an Tatsachenkenntnis und Erfahrungswissen erworben werden, das zur Führung einer Fachgebietsbezeichnung berechtigt.
Lassen Sie mich noch kurz einen weiteren Punkt der Novelle ansprechen, der wohl noch zu einer intensiven Diskussion führen wird, und zwar wiederum vor dem Hintergrund der Anwaltsschwemme. In der Anwaltschaft artikuliert sich in letzter Zeit heftiger Unwille darüber, daß sich Richter und Beamte nach dem Eintritt in den Ruhestand nicht selten als Rechtsanwälte niederlassen. Es ist die, wie ich meine, verfassungsrechtlich bedenkliche Forderung laut geworden, in solchen Fällen die Zulassung als Anwalt zu versagen. Man sollte das Problem auch nicht überschätzen. Zwar ist der Ärger der hauptberuflichen Anwälte über diese Seiteneinsteiger verständlich. Aber die Zahlen belegen eigentlich, daß es keine sehr gewichtige Konkurrenz ist.
Der Entwurf greift dieses Problem dennoch auf, allerdings unter einem ganz anderen Aspekt. Bisher konnte nach § 20 Nr. 1 der geltenden Bundesrechtsanwaltsordnung nach pflichtgemäßem Ermessen die Zulassung versagt werden, wenn der Bewerber in den letzten fünf Jahren im Bezirk des Landgerichts als Richter oder Beamter auf Lebenszeit angestellt war. Diese Vorschrift wird in dreifacher Weise verschärft. Die Frist wird auf zehn Jahre verlängert, die Zulassungssperre gilt jetzt für den Bezirk des Oberlandesgerichts, und die Verweigerung der Zulassung, die bisher Ermessensfrage war, soll jetzt zur Regel werden.
Der Grund für diese Erschwerung der Zulassung als Anwalt liegt darin, daß es in den letzten Jahren eine Reihe von zum Teil spektakulären Fällen gegeben hat, in denen ehemalige Richter oder Beamte sich alsbald nach ihrer Pensionierung am Ort ihrer bisherigen Tätigkeit in den Anwaltsberuf begeben haben und dabei mehr oder weniger bewußt den Eindruck erweckt haben, sie hätten nach wie vor ausgezeichnete Beziehungen zu ihren früheren Kollegen oder Untergebenen, nämlich den Beamten und Richtern, vor denen sie jetzt als Anwälte auftreten. Es liegt auf der Hand, daß solche Konstellationen geeignet sind, beim rechtsuchenden Publikum Zweifel zu wecken an der Objektivität und Unabhängigkeit der Behörden und Gerichte, denen der betreffende Anwalt noch bis vor kurzem selbst, häufig an führender Stelle, angehörte, Zweifel auch daran, ob es denn mit den nach der Pensionierung nicht völlig auslaufenden Beamten- und Richterpflichten vereinbar ist, plötzlich zur Erlangung zusätzlicher Einkünfte unter Ausnutzung der im ersten Beruf erworbenen Kenntnisse und Einblicke



Eylmann
gegen den früheren Dienstherrn aufzutreten. Ich meine, daß aus diesem Grunde diese jetzt vorgenommene Einschränkung gerechtfertigt ist.
Lassen Sie mich, meine verehrten Damen und Herren, zusammenfassend feststellen, in einer Zeit, in der sich die deutsche Anwaltschaft in einer schwierigen Situation befindet, ist die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf ihrer Verantwortung gegenüber der Anwaltschaft gerecht geworden. Das Gesetz, das wir auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode verabschieden wollen, wird dazu beitragen, die freie Advokatur, die ein integrierender Bestandteil unseres Rechtsstaates ist, zu sichern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016246900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016247000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion stimmt dem wesentlichen Anliegen des Gesetzentwurfs, eine klare gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, daß Rechtsanwälte angemessen auf ihre besondere Befähigung für einzelne Rechtsgebiete hinweisen können, grundsätzlich zu.
Im Gegensatz zu der in diesem Haus üblichen Anwaltsperspektive möchte ich bei der Beurteilung des Gesetzesvorhabens stärker die Sicht der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger betonen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kleinert [Hannover] [FDP]: Unverschämtheit!)

Häufig ist davon die Rede, daß sich unser Rechtsstaat mehr und mehr — Herr Kleinert, da werden Sie mir zustimmen — in einen Rechtswegestaat verwandelt, dessen Dschungelpfade nur noch von eingeweihten und spezialisierten Juristen durchschaut werden.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Mit Hilfe der GRÜNEN!)

Für das rechtsuchende Publikum sind unter diesen Umständen Fachgebietsbezeichnungen für Rechtsanwälte eine Hilfe.
Natürlich drängt sich die Frage auf, warum es bis zum Jahr 1985 gedauert hat, daß eine derartige Initiative zustande kommt.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Immer, wenn es Ihnen einfällt!)

— Immerhin waren doch in diesem Parlament die Rechtsanwälte und ihre Interessen immer gut vertreten, Herr Kleinert.

(Ströbele [GRÜNE]: Viel zuwenig!)

Für eine gesetzliche Regelung bestehe kein Bedürfnis, meinte der Rechtsausschuß in der dritten Wahlperiode

(Seesing [CDU/CSU]: Schon lange her!)

— Drucksache 3/748, Seite 14 —, und etwas weiter — ich zitiere —:
„Ob überhaupt und in welchem Umfang ein
Fachhinweis zulässig sei, könne wie in der Vergangenheit, in der Mißstände sich nicht ergeben hätten, der Entscheidung durch die Berufungsorganisationen unter Mitwirkung staatlicher Stellen überlassen bleiben."
Abgesehen davon, daß natürlich nicht die Berufungsorganisation, sondern die Berufsorganisation berufen sein sollte, über vielleicht auch werbewirksame fachliche Weihen zu entscheiden, sollten wir hier und heute — das ist ja auch im wesentlichen geschehen — unumwunden zugeben, welche Motive für die Gesetzgebungsinitiative maßgebend sind.
Besonders die Anwaltschaft ist von der Juristenschwemme betroffen. Der Herr Bundesjustizminister und die Kollegen haben es bereits erwähnt. Ich darf aus der Begründung zum Entwurf unter Auslassung der Jahreszahl zitieren — Seite 10 —:
„Die Überfüllung des Berufs und ein starker Konkurrenzdruck angrenzender Beraterberufe haben die Erörterung über die Zulässigkeit fachlicher Hinweise vorangetrieben."
Das war im Jahr 1919. Und das ist im Jahr 1985 nicht anders. Auch die vier im vorliegenden Entwurf vorgesehenen Fachgebiete — Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht — unterscheiden sich nicht von den 1930 vorgeschlagenen Fachanwaltsbezeichnungen. Darüber hinaus hatte sich vor 55 Jahren bereits die Auffassung von der Zulässigkeit weiterer Bezeichnungen für die Gebiete Urheber- und Verlagsrecht, gewerblicher Rechtsschutz und Auslandsrecht durchgesetzt. Insofern stellt sich bei dem heute vorliegenden Entwurf die Frage, ob nicht zusätzliche Fachgebietsbezeichnungen notwendig sind, wenn wir im Interesse der Rechtsuchenden Klarheit in den Dschungel der Rechtswege bringen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Keine Sorge: Wir schlagen keinen Fachanwalt für Parteienumwegfinanzierung vor.

(Seesing [CDU/CSU]: Ach wie billig, Herr Mann!)

Rechtsanwalt Felix besorgt dieses Geschäft bereits ausreichend als Fachanwalt für Steuerrecht.

(Seesing [CDU/CSU]: Kommen Sie doch zur Sache!)

Nein, wir denken an einen Fachanwalt für Strafrecht,

(Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Für Terroristen! — Zuruf von der CDU/CSU: Für Sexualrecht!)

für Familienrecht und für Ausländerrecht. Meine Herren, das scheint Sie zu treffen.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Nein!)

Über den Sinn dieser oder auch anderer Fachgebietsbezeichnungen werden wir im Rechtsausschuß im einzelnen beraten. Entsprechendes gilt für die Vielzahl besonders verfahrensrechtlicher Vorschriften — Herr Kollege Schwenk hat auf einen wichtigen Punkt hingewiesen —, die im vorliegenden Entwurf enthalten sind.



Mann
Ich möchte die Gelegenheit benutzen, den Gesetzentwurf abschließend in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: O Gott!)

Gegen den Rat vieler Sachverständiger, des Deutschen Anwaltsvereins und des Deutschen Richterbunds haben die Regierungsparteien im Sommer 1984 eine Reform der Juristenausbildung durchgesetzt, durch die alle bisher nahezu einhellig anerkannten Reformziele, nämlich Integration von Theorie und Praxis, Einbeziehung von Nachbarwissenschaften, Verkürzung der Ausbildungsdauer und schließlich — in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung — wissenschaftliche Vertiefung in einem Schwerpunktbereich, geopfert worden sind. Zwei Sachverständige — Herr Eylmann, Sie haben das Problem der Konkurrenz durch andere Berufe ja besonders angesprochen — sprachen in der Anhörung des Rechtsausschusses am 11. April 1984 von der „heiligen Kuh" bzw. von dem „Phantom des Einheitsjuristen", von dem sich die Regierungsfraktionen bei ihrem „Zurück zur Juristenausbildung des 19. Jahrhunderts" leiten ließen. Je besser die Juristenausbildung, desto eher lassen sich die Probleme der Anwaltschaft lösen.

(Marschewski [CDU/CSU]: Zur Sache!)

— Insofern hat die christlich-liberale Koalition, Herr Marschewski, nicht nur den betroffenen Juristen, sondern der Anwaltschaft und der ganzen Gesellschaft mit dieser Art von Reform einen schlechten Dienst erwiesen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Der ganzen Welt! — Dem ganzen Erdkreis!)

Vielleicht darf ich dazu noch einen Satz sagen. Herr Eylmann, Sie weisen darauf hin, daß es notwendig ist, sich zu spezialisieren und daß es natürlich auch notwendig ist, eine solide Grundausstattung, vor allen Dingen methodischer Art, zu haben. Genau das war in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen. Ich denke, daß das auch im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Reform der Juristenausbildung stand. Sie haben mit Ihrem Entwurf in Angst vor der Juristenschwemme mit untauglichen Mitteln dafür gesorgt, daß weiter in der bisherigen schlechten Art Juristen ausgebildet werden. Da liegt auch einer der Gründe, warum viele junge Anwälte dem nicht gewachsen sind, was die rechtsuchenden Bürger zu Recht von ihnen erwarten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn es uns mit der Verbesserung des Rechtsschutzes, von der Sie, Herr Minister Engelhard, in Ihrer Presseerklärung vom 22. Mai 1985 am Ende gesprochen haben, wirklich ernst ist, so müssen wir trotz aller Be- und Überlastung der Justiz zunächst feststellen, daß auch in unserem Rechtswegestaat für die kleinen Leute die Schwelle zum Gericht in vielen Bereichen immer noch zu hoch liegt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Den kleinen Mann kennen Sie nur vom Fernsehen! — Reden Sie doch zur Sache!)

Die Fraktion der GRÜNEN tritt deshalb für einen
Ausbau der Beratungshilfe, und zwar sachlich und
finanziell, ein. Wir halten es nicht für sinnvoll, den Bereich des Arbeits- und Sozialrechtes aus dem Geltungsbereich der Beratungshilfe auszuklammern; hier besteht ein hoher Beratungsbedarf. An die Kollegen von der SPD-Fraktion und an die verehrte Frau Kollegin Dr. Hartenstein richte ich die Bitte, für diesen Gedanken auch innerhalb der Gewerkschaften zu werben; denn da gibt es in der Tat Widerstände, die es zu überwinden gilt.
Die außergerichtliche Beratung wird gegenwärtig auch nicht ausreichend vergütet. Herr Kleinert, das werden Sie vielleicht gern hören. In einem stärkeren Ausbau der Beratungshilfe, Herr Justizminister, liegt die große Chance, die Gerichte wirksam zu entlasten, ohne den Rechtsschutz zu verkürzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister, suchen wir, in die Zukunft gewandt, nach neuen Lösungen für diejenigen, die am meisten auf Rechtsschutz und soziale Gerechtigkeit angewiesen sind. Ich bin sicher, dies liegt auch im Interesse der Anwaltschaft.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016247100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert (Hannover).

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1016247200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Daß das gerade alles von Ihnen kam, Herr Mann, ist schon hilfreich. Daß dieses Thema von der Juristenschwemme überschattet ist — und wir reden tatsächlich von einer Verdoppelung der Zahlen der zugelassenen Rechtsanwälte seit 1970; das ist der Hintergrund, vor dem wir dieses hier besprechen —, das hängt natürlich damit zusammen, daß Sie überhaupt im Bundestag anwesend sind. Denn Sie wären mit Sicherheit ohne Herrn Picht und ohne einige andere Damen und Herren — auch aus meiner Partei —, nicht hierher gekommen. Man hat nämlich irgendwann mal die Idee entwickelt, man müsse nur jeden das Abitur machen und studieren lassen, und dann würde er ganz glücklich. Damit wollten einige in schöner Naivität den Betreffenden

(Ströbele [GRÜNE]: Fachanwalt nennen!)

eine sonnige Jugend und eine schöne Zukunft bescheren. Andere, mein lieber Herr, wollten damit unseren ganzen Laden durcheinander bringen,

(Lachen bei den GRÜNEN)

und das ist auch ganz trefflich gelungen. Schlicht gesagt: Dann stellen Sie sich doch dazu, dann sagen Sie doch mal, daß Sie hier alles durcheinanderbringen wollten! Sagen Sie das doch mal! Das ist der Hintergrund, vor dem wir uns heute hier zu unterhalten haben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016247300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1016247400
Ich bitte darum.




Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1016247500
Vielen Dank, Herr Kollege Kleinert. — Stimmen Sie mir darin zu, daß als Folge dieser Bildungsreform immerhin der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien, die das Abitur machen konnten, die ein Studium absolvieren konnten, erheblich gestiegen ist und daß das in einem Sozialstaat eine Selbstverständlichkeit sein sollte?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1016247600
Wenn Sie allein einmal überlegen, Herr Kollege Mann, daß Sie die Zahlen nicht kennen, sondern deshalb hier so drumherumeiern,

(Heiterkeit)

dann ist das schon ein ganz schwaches Bild für Ihre eigenen Bildungsvorstellungen, wenn Sie mir hier solch eine Frage stellen und die Tatsachen nicht kennen.
Ich sage Ihnen, mit dieser Art von Bildungsreform hat sich eine Fülle von jungen Leuten auseinanderzusetzen, die in jungen Jahren Streß haben, sich überlastet und überfordert fühlen. Und das ist genau das, was dabei eigentlich nicht herauskommen sollte. Wir sind für Chancengleichheit für jeden, und wir waren für jede normale Öffnung der Bildungseinrichtungen. Aber was sich da abgespielt hat, ist wohl denjenigen, die es einmal eingerührt haben, ein klein wenig aus der Hand geraten. Und ganz zum Schluß kommen Sie hierher und erzählen uns, wie wir es denn mit der Anwaltschaft zu halten hätten, nachdem Ihre Kollegen entweder Lehrer oder Amtsrichter sind.

(Heiterkeit und Beifall — Ströbele [GRÜNE]: Wollen Sie mich beleidigen, Herr Kollege?)

— Herr Kollege, daß Sie hier der einzige Anwalt sind, das ist mir schon alles ganz, ganz deutlich bewußt.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ CSU)

Herrn Schily ist es auch bewußt. Wie Sie sich einigen, weiß ich nicht; das ist Ihr Problem. Jedenfalls steht eines fest: Vor diesem Hintergrund führen wir diese Debatte, und das macht sie nicht leichter.
Persönlich bin ich stets der Meinung gewesen, daß die Fachgebietsbezeichnungen, die der Deutsche Anwaltsverein und noch viel mehr die Bundesrechtsanwaltskammer immer wieder verlangt haben, nicht sehr hilfreich sind;

(Zustimmung bei der FDP)

denn meiner Meinung nach werden die kleinen Praxen, insbesondere die Praxen, die die rechtsuchenden Bürger auf dem Lande versorgen, hiervon sehr nachteilig betroffen sein. Wenn ich aber nun, beiläufig gesagt, ein Dutzend Jahre dagegen gekämpft habe und zum Schluß erlebe, daß es im Berufsstand wirklich keine Leute gibt, die sich dagegen wehren wollen, was der Verband, der Verein nun gern einmal hätte, dann muß ich sagen: Okay, da habe ich mich wohl geirrt; dann müssen die ja
recht haben. Ich kann ja nun auch nicht immer wieder andere Leute aufhetzen,

(Bueb [GRÜNE]: Nein, um Himmels willen!)

hier zusätzlichen Ärger zu stiften. Das machen Sie doch; das ist ja bekannt.
Wir haben uns schließlich auf ein sehr kleines Spektrum von Fachgebietsbezeichnungen geeinigt, nachdem der Druck von seiten des Berufsverbandes sehr stark geworden war. In diesem Rahmen mag das seinen guten Sinn haben. Darum haben wir uns darauf verständigt, darum werden wir es auch so beschließen.
Das andere ist das Problem — und auch das spielt sich vor dem gleichen, eben erwähnten Hintergrund ab — der Syndikus-Anwälte, die in diesen Tagen natürlich ganz aufgeschreckt durch die Gegend laufen und sagen: Ihr wollt uns da „ein bißchen was Lämmer von unserer Weide pflücken".

(Heiterkeit)

Also: Ich kann da gar nicht weinen; denn entweder hat der Mann seine Anstellung bei diesem Industrieverband oder bei diesem Industrieunternehmen gesucht und — wofür ich sehr bin und was sehr zu seiner Bewußtseinserweiterung beitragen kann — hat nebenbei auch noch die Möglichkeit, als Anwalt zu praktizieren, obwohl in den einschlägigen Dokumenten, die an die Anwaltskammern gereicht werden, vermutlich recht euphemistisch mit Tatsachen umgegangen wird, wenn ich das einmal so sagen darf.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das verstehe ich aber nicht!)

— Ja, hören Sie mal zu; wenn Sie so was nicht verstehen, dann unterhalten Sie sich doch woanders.

(Heiterkeit — Zurufe von den GRÜNEN)

Wir sind nun einmal zufällig der Meinung, daß die wenigen, die hier jetzt noch anwesend sind, tatsächlich verstehen, worum es geht. Wenn Sie das nicht betrifft, was ich hier feststelle, dann ist das nicht meine Schuld, sondern ausschließlich Ihre; das wollen wir hier festhalten.

(Zurufe von den GRÜNEN: Wir trinken nachher einen miteinander!)

Sagen Sie mal, wollen Sie eigentlich mit Herrn Mann den Berufsstand der Juristen stärken, nachhaltig

(Zuruf von den GRÜNEN: Hochprozentig!)

verbessern und aufwärtsführen? Oder wollen Sie eigentlich gegen Herrn Mann dafür sorgen, auch an dieser Stelle unserer Gesellschft möglichst viel Tort anzutun, damit mehr Bewegung hereinkommt, damit diese enorme Unsicherheit entsteht, aus der Sie Honig zu saugen versuchen, ohne zu wissen, wie man Honig macht? Das ist doch Ihr Problem.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Hönes [GRÜNE]: Schleuderhonig!)




Kleinert (Hannover)

— Echte Schleuderer von ganz dünnem Honig.

(Anhaltende Heiterkeit — Frau Hönes [GRÜNE]: Waldhonig!)

Jedenfalls möchte ich die Syndikus-Anwälte insofern beruhigen. Wir werden im Laufe der Beratungen ganz sachlich über ihr Problem reden. Ich bin allerdings nicht der Meinung, daß jemand auf den Einfall kommen sollte, seiner Geschäftsleitung in dem Falle, daß die eigene Seite die Kosten zu tragen hat, eben diese Kostenrechnung zu überreichen. Das fände ich nicht sehr korrekt, das fände ich chancenungleich.
Das sind einige von den Dingen, über die wir uns — übrigens unter Leuten, die davon etwas verstehen und die auf einer ganz normalen, gesunden, auch wirtschaftlich gesunden Basis darum bemüht sind, unseren Bürgern in Rechtsangelegenheiten zur Verfügung zu stehen — schon lange Gedanken gemacht haben, bevor die GRÜNEN auf den Gedanken gekommen sind, dies mit skurrilen Ideen kaputtzumachen

(Zurufe von den GRÜNEN)

und dann etwas, wovon Sie noch nicht genau wissen, wie es in Zukunft aussehen soll, an dessen Stelle zu setzen. Wir machen uns weiter ganz ruhig und sachlich unsere Gedanken, und das werden wir auch noch tun, wenn Sie schon lange nicht mehr hier sind.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016247700
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/3854 an den Rechtsausschuß zu überweisen. — Andere Vorschläge gibt es nicht; dann ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis c auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes
— Drucksache 10/3629 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes
— Drucksache 10/3630 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Erstellung eines bundesweiten Altlastenkatasters
— Drucksache 10/3625 (neu)
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 11 a bis c und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.

Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016247800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß etliche Kollegen den Saal jetzt schon verlassen. Meine Rede wird zwar wesentlich trockener sein als die meines Vorgängers,

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Wie helfen ein bißchen!)

aber das läßt sich nicht vermeiden; denn es geht um Abfallbeseitigung.
Meine Damen und Herren, Innenminister Zimmermann ist es mit seiner 4. Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz wieder einmal geschickt gelungen, sich das grüne Mäntelchen über das schwarzbraune Hemd zu legen. Das ist zwar nicht so witzig, wie es in der Rede meines Vorgängers war, aber es entspricht der Wahrheit; das ist die Tragik.
Sein Entwurf strotzt nur so von Schlag- und Reizworten der Abfall-Diskussion. Begriffe wie „Vermeidung" und „Verwertung" tauchen hier ebenso auf wie „Pfand", „Rücknahmegebot" und „obligatorisches Mehrwegangebot". Geschickt erzeugt er damit die Illusion, den Abfallströmen Einhalt gebieten und vor allem die Verpackungsindustrie zum Rückzug zwingen zu können. Bei näherem Hinsehen allerdings entpuppt sich die Novelle als Seifenblase und Ronald Reagan als der bessere Schauspieler. Diese Novelle wird nämlich nicht dazu führen, daß in der Bundesrepublik eine an ökologischen Grundsätzen ausgerichtete Abfallwirtschaftspolitik aufgebaut wird. Im Gegenteil, möcht ich behaupten.
Ich will dies an einigen Beispielen belegen. Stichwort „Vermeidung": Dieses Reizwort taucht zwar im Gesetzentwurf auf, wird aber gleich mehrfach kräftig beschnitten: Zum einen ist der Vorrang der Abfallvermeidung nicht explizit festgeschrieben, zum anderen soll die Vermeidung auf gewisse schadstoffhaltige Produkte und auf bestimmte Verpackungen begrenzt werden. Damit entpuppt sich



Frau Hönes
der großartig angekündigte Vorrang der Vermeidung mehr oder weniger als Wortkosmetik.
Stichwort „Verwertung": Die soll zwar Vorrang haben, aber nur, wenn sie keinem wehtut. So könnte man die entsprechende Formulierung des Gesetzestextes auf eine knappe Formel bringen. Neben der Einladung zur Gebührenerhöhung für die Abfallentsorger enthält das Gesetz dann noch einen Freibrief für neue Müllverbrennungsanlagen bzw. Müllheizkraftwerke. Schon jetzt operieren viele Gemeinden mit der kommenden 4. Novelle und stellen sich auf die Grüne Tonne mit nachgeschaltetem Müllheizkraftwerk ein. Innenminister Zimmermann hat nämlich den ökologisch fatalen Fehler begangen — wobei ich ihm allerdings Absicht unterstelle —, die stoffliche und die energetische Verwertung gleichzusetzen. Dies ist ökologisch Schwachsinn, hat aber Methode!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn den Bayern gehen nämlich in den nächsten Jahren die Deponien aus, darum setzen sie auf Müllverbrennungsanlagen. Müllverbrennungsanlagen vernichten nicht nur Wertstoffe, sondern sie führen auch zu neuen Umweltbelastungen: neben Dioxinen fallen hochgradig schadstoffbelastete Reststoffe aus der Abluftreinigung an. Diese müssen auf Sondermülldeponien sicher beseitigt werden, d. h., es müssen also vermehrt Sondermülldeponiestandorte gefunden werden, will man hierfür nicht auf die DDR oder Frankreich ausweichen.
Auch die Grüne Tonne ist so grün nicht, wie es scheint. Hier werden verschiedene Wertstoffe, die im Haushalt getrennt anfallen, zusammengewürfelt, damit man sie dann in teuren Großsortieranlagen wieder auseinanderdividiert. Die damit zu erzielende Wertstoffreinheit ist zum Teil so schlecht, daß die so gewonnenen Wertstoffe nicht mehr wirtschaftlich wiederaufgearbeitet werden können und dann nur der Weg ins Müllheizkraftwerk bleibt. Die organische Fraktion des Hausmülls aber, die einen hervorragenden Kompost abgeben und damit einen Beitrag zum Schutz unserer letzten Torfmoore leisten könnte, wird dabei in der Grauen Tonne so stark verunreinigt, daß eine landwirtschaftliche Anwendung ökologisch und wirtschaftlich nicht vertretbar ist.
Lassen Sie mich einen weiteren Kritikpunkt anführen: die Verpackungsfrage. Da gab es einmal einen Referentenentwurf für das Abfallbeseitigungsgesetz. In dem stand drin, daß der Innenminister dem Handel ein alternatives Angebot an mehrwegverpackten Getränken vorschreiben dürfe. Die Herren ALDI ließen die Muskeln spielen, dieser Passus verschwand aus dem Entwurf.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

Der Bundesrat beschloß auf Antrag eines SPD-regierten Landes, nämlich Nordrhein-Westfalen, daß dieser Passus wieder ins Gesetz aufgenommen werden sollte. Da die Einweg-Getränkeverpackungen nun ersichtlich zugenommen hatten, stimmte die Regierung dem zu. Ob Innenminister Zimmermann von dieser Ermächtigung Gebrauch machen wird, ist aber nach wie vor fraglich; ein entsprechender Verordnungsentwurf liegt noch nicht vor. Wir glauben, daß er auch nicht kommen wird. ALDI hatte nämlich schon damals gedroht, daß das Imperium dann, wenn das obligatorische Alternativangebot käme, zurückschlagen und die ganze Republik mit ALDI-Getränkeshops überziehen und somit den Mittelstand ruinieren würde. Wie Zimmermann diesen Konflikt lösen will, ist unklar.
Dieses Beispiel belegt aber noch einmal deutlich, wie Zimmermann mit Worthülsen die Offentlichkeit täuschen will. Von der Verpackungsabgabe, die nicht nur die GRÜNEN und die SPD, sondern auch Teile des Getränkehandels wie der Bundesverband Bier und Getränkegroßhandel, der Verband des Deutschen Getränkeeinzelhandels oder Pro Mehr-weg fordern, will Zimmermann jedoch nichts wissen, obwohl hierin nach einem Verbot der effektivste Hebel zur Reduzierung des Verpackungsabfalls läge.
Ich glaube, allein diese drei Punkte haben gezeigt, daß Welten liegen zwischen dem, was die Bundesregierung verspricht, und dem, was sie hält. Die GRÜNEN haben daher eigene Anträge eingebracht, um Nägel mit Köpfen zu machen, Anträge, die Wege aufzeigen, wie wirkungsvoll gegen steigende Müllmengen, gegen die zunehmenden Einwegverpackungen und die langsame Vergiftung unserer Umwelt durch Schadstoffe aus dem Hausmüll angegangen werden kann.
Unser Antrag zur Fünften Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes sieht daher folgendes vor:
Erstens. Ab 1988 eine obligatorische Mehrwegverpackung für Getränke, die aus stofflich recyclierbarem Material sein soll, am besten aus Glas, und Zwangspfand in Höhe von 30 Pfennig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Auf alle Verpackungen mit Ausnahme der Getränkeglasflaschen wird eine Verpackungsabgabe erhoben, die sich nach der Umweltverträglichkeit und hier vor allem der Recyclierbarkeit des Materials richtet. Glas, Papier und Pappe werden niedrig, Verbundmaterial und PVC am höchsten belastet.

(Zuruf von den GRÜNEN: So ist es richtig!)

Verbundmaterial ist derzeit nicht recyclierbar, verrottet nicht, sondern muß verbrannt werden. PVC dagegen erschwert das Recycling der anderen Kunststoffe, wie auch das Umweltbundesamt bestätigt.
Drittens. Die Verpackungsabgabe wird halbiert, wenn ein entsprechend hoher Altstoffanteil enthalten ist, was ein weiterer finanzieller Anreiz zur Verwendung von Altstoffen sein wird.
Viertens. Außerdem beinhaltet unser Antrag ein Verbot von Mogelpackungen, ein Problem, dessen Existenz Innenminister Zimmermann einfach nicht zur Kenntnis nehmen möchte und das nicht nur unter dem Aspekt der Abfallreduzierung, sondern vor allem auch des Schutzes der Verbraucher vor Täuschung dringend Maßnahmen erfordert.
12166 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Frau Hönes
Nur mit diesen stringenten Maßnahmen läßt sich auf dem Verpackungssektor etwas erreichen, denn die Industrie ist nicht willens, sich selbst zu beschränken, und sie ist es auch nie gewesen. Seit nunmehr acht Jahren hat sie nämlich die wechselnden Bundesregierungen und vor allem Herrn Baum an der Nase herumgeführt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat nämlich die freiwillige Vereinbarung von 1977 bezüglich der Erhaltung des Mehrwegsystems ganz anders interpretiert als Sie, Herr Baum, und Sie haben das nicht einmal gemerkt. Tut mir leid!

(Zuruf des Abg. Baum [FDP])

Ich zitiere hier den entscheidenden Satz aus der Stellungnahme des BDI zur Abfallanhörung im Innenausschuß am letzten Montag. Da heißt es nämlich — hören Sie gut zu, Herr Baum, und auch Sie, Herr Zimmermann; der ist leider nicht da, aber für den wäre es auch nötig —:
In diesem Zusammenhang ist mit Nachdruck die verbreitete Auffassung zurückzuweisen, die Industrie habe zu irgendeinem Zeitpunkt die Festschreibung der Anteile der Einweg- bzw. Mehrwegverpackungen am Abfüllvolumen für Massengetränke zugesagt. Gegenstand der seit 1977 getroffenen Vereinbarung war die Stabilisierung des Mehrwegsystems, ein Ziel, das auf freiwilligem Wege erreicht wurde.
Acht Jahre lang sind Sie also einer Abmachung aufgesessen, die keine ist, die nie eine war. Seit acht Jahren hätten also schon einschneidendere Maßnahmen auf dem Verpackungsmarkt erfolgen müssen. Wenn heute die Kommunen in Müllnotstand geraten, dann ist das auch mit Ihre Schuld, lieber Herr Baum.
Apropos freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie, das bringt mich gleich zum nächsten Punkt unseres Antrages, zur Fünften Novelle. Der BDI weist in der zitierten Stellungnahme darauf hin, wie gut doch die Batterierücknahme klappe und daß ein Pfand nicht nötig sei. Rechnet man die vom BDI angegebenen Daten durch und zieht sozusagen eine Batterienbilanz, dann gelangen trotz dieses angeblich hervorragenden Rücknahmesystems 7500 Tonnen Blei, 90 Tonnen Nickel, 60 Tonnen Kadmium und 40 Tonnen Quecksilber in die Umwelt, und das jedes Jahr. Hier hilft unseres Erachtens nur ein drastisches Pfand, das so hoch ist, daß auch wirklich jede Batterie wieder zurückgebracht wird. Eine einzige Quecksilberbatterie mit rund 800 Milligramm Quecksilber kann z. B. knapp eine halbe Tonne Kompost so mit Quecksilber belasten, daß der Bodengrenzwert nach der Klärschlammverordnung erreicht wird.
Es fehlt mir hier die Zeit, um unsere weiteren Vorschläge zur Abfallwirtschaft vorzutragen. Ich möchte jedoch noch auf einen Punkt eingehen, der mir besonders am Herzen liegt. Das ist das Altlastenproblem.

(Abg. Senfft [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016247900
Frau Abgeordnete Hönes, kommen Sie bitte zum Schluß. Die Zeit ist abgelaufen. — Sie können dann unmittelbar auf dem Dienstweg anfragen.

(Heiterkeit — Senfft [GRÜNE]: Das war nicht der Sinn der Übung!)


Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016248000
Erlauben Sie mir noch einen letzten Satz.
Ich will die Überwachung auf stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen ausdehnen, und zwar mit einer Kann- und nicht mit einer Muß-Bestimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016248100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1016248200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Frau Hönes, es ist sehr spät heute. Sie haben die Zeit laufen lassen, anstatt sich mit Ihrem eigenen Entwurf auseinanderzusetzen, der uns sehr interessiert, weil er in der Tat einige für uns positive Dinge enthält. Sie haben sich mit dem Entwurf befaßt, der derzeit in der Beratung ist.
Ich möchte feststellen: Es gibt in der Tat einiges Positive bei Ihren Entwürfen festzustellen:
Erstens. Es wird deutlich — das haben Sie uns gerade klargemacht —, daß Sie mit Ihrer Umweltschutzpolitik erbärmlich hinterherhinken. Das machen die Entwürfe deutlich.
Zweitens. Frau Hönes, die Qualität Ihrer Arbeit bzw. die Ihrer Zuarbeiter läßt ebenfalls erheblich nach.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das merkt man!)

Drittens. Der Unterhaltungswert ist nur noch versteckt zu finden. Man muß sich schon anstrengen. Aber es gelingt Ihnen immer noch

(Zurufe von den GRÜNEN)

— warten Sie doch noch den Satz ab —, z. B. mit der Institutionalisierung von Flohmärkten im Gesetz und mit der Zwangsbepfandung von Fieberthermometern. Wissen Sie, wenn Sie das zurückkriegen, dann ist es kaputt; dann ist das Quecksilber draußen, und dann nützen Ihnen Ihre fünf DM auch nichts mehr.
Wenn ich Ihre Presseveröffentlichung vom 1. Oktober in diese Betrachtung einbeziehe, dann muß ich, um in Ihrem Vokabular zu bleiben, von politischer Unkultur sprechen, wenn Sie erneut zur Randale aufrufen. Sie haben ja hier in Ihrem Flugblatt wieder den „heißen Herbst" angekündigt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Wenn Sie es anders wollen, weil Sie den Zwischenruf machen. — Man kann das ja einfach machen. Früher haben Sie immer ein neues Schwein



Schmidbauer
durch das Dorf gejagt. Inzwischen ist es dasselbe Schwein, das Sie durchs Dorf jagen müssen,

(Ströbele [GRÜNE]: Das würden wie nie tun! Tierschutz! — Heiterkeit bei den GRÜNEN)

weil Ihnen ja nichts mehr einfällt. Dann hängen Sie dem armen Schweinchen noch ein rosa Schleifchen oder ein grünes Schleifchen um.

(Ströbele [GRÜNE]: Das würden wir nie tun! — Schulte [Menden] [GRÜNE]: Schweine werden bei Aldi gar nicht verkauft! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

— Verehrter Herr Kollege, das ist eine Politik ohne Argumente, aber mit sehr viel Zoff, wie ja in Ihrem Flugblatt angekündigt wird.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das ist Ihr Vokabular!)

Wir sind gespannt auf den Herbst, den Sie uns verkünden.

(Tatge [GRÜNE]: Sagen Sie mal was zur Sache! Das wäre mal interessant!)

Ihre Alternativentwürfe haben ein weiteres Positivum an sich, und zwar gerade im Hinblick auf Versuche bestimmter Kreise, den Regierungsentwurf in die Nähe sozialistischer Planwirtschaft zu rücken und ihm unternehmensfeindliche Tendenzen zu unterstellen. Die jetzt von Ihnen vorgelegten Alternativen dürften manchen Kritiker sehr schnell auf den Boden abfallwirtschaftlicher Realität zurückführen.
Die Anhörungen im Innenausschuß — Sie müssen auf derselben Veranstaltung gewesen sein, aber wohl immer nur das gehört haben, was Sie hören wollten — haben deutlich gemacht, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Man muß die Novelle nur lesen können. Sie haben hier erneut behauptet, darin stehe nichts von Vermeidung. Aber lesen sollte man den Entwurf schon, bevor man ihn hier kritisiert.

(Zuruf der Abg. Frau Hönes GRÜNE)

Bereits bei der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs haben wir deutlich gemacht, daß eine umfassende Abfallwirtschaft nicht nur durch die Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes erreicht wird. Dies ist sicher ein wichtiger Baustein; andere Gesetze müssen ebenfalls entsprechend wirksame Mechanismen enthalten, um eine moderne umweltorientierte Abfallwirtschaft aufzubauen. Das ist übrigens geschehen; auch das haben Sie noch nicht zur Kenntnis genommen. Ihnen ist entgangen, daß der Bundesrat bereits am letzten Freitag die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verabschiedet hat. § 5 Abs. 3 geht genau in diese Richtung.

(Abg. Senfft [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016248300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1016248400
Wenn ich es nicht angerechnet bekomme, Herr Präsident, sehr gerne.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016248500
Es wird nicht angerechnet. — Bitte.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1016248600
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir die Fortschritte durchaus wohlwollend beobachten? Zum Beispiel das von der Bundespost und der Firma Sonnenschein angebotene Modell mit der Aufforderung an die Bürgerinnen und Bürger, ihre Batterien in die Briefkästen zu werfen, damit sie dort entsorgt werden, halten wir für eine durchaus gute Übergangslösung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1016248700
Wissen Sie, genau das war das Schweinchen, von dem ich gesprochen habe, das Sie erneut durchs Dorf jagen, weil Ihnen nichts Besseres mehr einfällt. Das ist eine schwache Sache; die Sau hinkt inzwischen. — Entschuldigung, Herr Präsident!
In diesem Bereich hat die Wirtschaft einen weiten Spielraum und kann frei von bürokratischen Zwängen aktiv zu optimalen Ergebnissen bei der Vermeidung, Verwertung und schadlosen Beseitigung von Abfällen gelangen. Diesen Freiraum sollte — das sage ich jetzt nicht den GRÜNEN — die Wirtschaft nutzen.
Um ein Beispiel zu nennen, möchte ich einen Hinweis besonders an die Mineralölwirtschaft, an Altölentsorger und -aufbereiter, geben; denn ich denke, diese Branche muß wissen, daß es jetzt darauf ankommt, kooperativ zu handeln, u. a. auch im Hinblick auf die PCB-Beimischungen im Altöl. Wir meinen, daß hier die Vollzugsbehörden in den Ländern auch ohne neue Gesetze in der Tat sehr vieles regeln könnten, wenn sie die Gesetze entsprechend handhaben würden. Dies gilt gerade für das Beispiel PCB um Altöl.
Die Alternativentwürfe der GRÜNEN versuchen, mit neuen Gesetzestiteln, praxisfernen Rangfolgen für Abfallvermeidung und Abfallverwertung und mit einer — eben hier praktizierten — Verteufelung der Abfallverbrennung eine Abfallwirtschaft aufzubauen, die so überhaupt nicht funktionieren kann. Was nützt ein absoluter theoretischer Vorrang der Abfallvermeidung, wenn er sich lediglich in nicht vollziehbaren Postulaten oder in der Veranstaltung von Tauschmärkten für gebrauchte Kleider, Bücher oder Speisereste erschöpft? Gerade aus diesem Bereich sollte sich der Staat heraushalten, zumal karitative und gewerbliche Aktivitäten in diesem Bereich gut funktionieren.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Was also, liebe Kolleginnen und Kollegen, spricht dafür, Flohmärkte unter das Dach der Abfallbeseitigung zu ziehen, wie die GRÜNEN es möchten? Wir lehnen es entschieden ab, der stofflichen Verwertung absoluten Vorrang zu geben.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Sie lehnen das ab?)

Wir sind der Meinung, daß energetische Verwertung ebenfalls wichtig und von großer Bedeutung



Schmidbauer
ist. Die Verbrennung von Abfällen leistet bereits heute den größten Beitrag zur Verringerung des Abfallvolumens und damit zur Einsparung von Deponieraum.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Und was ist mit den Emissionen?)

Die von den GRÜNEN vorgeschlagenen Lösungen gehen völlig an den abfalltechnischen Erkenntnissen, aber auch an den von der Bundesregierung für die Verbrennung von Abfällen festgelegten Anforderungen in der Technischen Anleitung Luft vorbei. Die Auswirkungen kennen wir; ich darf da nur an die Länder erinnern, in denen Sie gerade dabei sind, Koalitionen zu schmieden. Wohin derartige Vorstellungen führen, zeigt sich deutlich am Export von Abfällen ins europäische Ausland — nach dem Motto: Wir haben hervorragende Ideen; aber unseren Müll transportieren wir in die DDR, wie es derzeit von Hessen praktiziert wird.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich glaube, daß die Aussagen von Professor Tabasaran gerade zu diesem Problemkreis bei der Anhörung am letzten Montag deutlich gemacht haben, daß man mit ideologischer Abfallbeseitigung eine Abfallwirtschaft nicht betreiben kann. Die Daten und die Fakten, die Professor Ta-basaran nannte, sollten Sie sich im Protokoll in Ruhe ansehen; sie könnten für unsere gemeinsamen Beratungen der vierten Novelle im Innenausschuß nützlich sein.
Mit ihren Vorschlägen zur obligatorischen Nutzen von Glasmehrwegflaschen und zur vollständigen Verwertung von Papier und Pappe ab 1. Januar 1988 macht Ihre Fraktion deutlich, daß sie mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen, dem auch der Gesetzgeber unterliegt, wenig vertraut ist. Entsprechendes gilt für europäische Regelungen in diesem Bereich.
Zum Schluß möchte ich nicht verschweigen, daß die Gesetzentwürfe der GRÜNEN auch einige positive Elemente enthalten. Allerdings handelt es sich dabei um Regelungen, die schon im geltenden Recht vorhanden sind oder von der Bundesregierung bereits in der vierten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz vorgeschlagen werden.
Zum Antrag Ihrer Fraktion betreffend Erstellung eines bundesweiten Altlastenkatasters dürfen Sie den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Unsere Verantwortung für die Umwelt" nachlesen. Dort sind die Grundzüge festgelegt. Ich könnte sie hier einzeln vorlesen, möchte aber nur feststellen, daß Sie in diesem Punkt keine große geistige Arbeit geleistet, sondern einfach abgeschrieben haben.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Wenn Sie etwas Gutes haben, warum nicht?)

— Dann muß man es aber sagen; dann darf man hier nicht sagen, daß man alternative Politik machen will. Geben Sie doch zu, daß Sie unsere Dinge abschreiben! Es stimmt genau das, was ich gesagt habe:

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Sie hinken uns in der Tat nach und tun sich außerordentlich schwer. Das mag die Rotation mit sich gebracht haben. Ihr Kollege Ehmke war da ein bißchen findiger. Auch die Quellen aus bestimmten Behörden scheinen versiegt zu sein. Dann wird die Sache natürlich so, wie sie sich heute darstellt: Die Dinge, die gut sind, sind abgeschrieben; die Dinge, die neu sind, sind nicht zu praktizieren und in der Tat keine Alternative.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016248800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1016248900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Abfälle sind Rohstoffe am falschen Platz." Wer würde diesem ersten Satz aus der Drucksache 10/3629 nicht voll zustimmen wollen? Künftig muß Abfallvermeidung vor Abfallverwertung und erst recht Abfallverwertung vor Abfallbeseitigung kommen.
Soweit ist alles klar. Auch wenn dies klar sein sollte, so muß ich doch hinzufügen, daß ich es eigentlich für einen unerträglichen Zustand halte, daß die Bundesregierung es nicht für nötig hält, hier bei dieser Debatte anwesend zu sein.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Ich bitte um Nachsicht, Herr Staatssekretär Kroppenstedt. Sie verstehen mich sicher richtig. Es geht um einen politischen Vertreter der Bundesregierung,

(Bohl [CDU/CSU]: Er ist der Staatssekretär! Was soll das?)

wenn eine Fraktion zwei neue Gesetzentwürfe und einen Antrag vorlegt. Dieses ist nicht in Ordnung. Das ist ein seltsames Parlamentsverständnis.

(Bohl [CDU/CSU]: Was soll das? Der Staatssekretär ist da, das reicht völlig aus!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016249000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1016249100
Ich hoffe, es wird nicht angerechnet.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1016249200
Frau Kollegin Hartenstein, Ihnen ist doch bewußt, daß wir beide in der Überlegung um diese Debatte derselben Meinung waren, daß diese Debatte in der Tat ohne Aussprache hätte geführt werden können. Ich denke, daß Sie doch auch einsehen, daß es ausreicht, daß der Herr Staatssekretär anwesend ist. Es ist in der Tat für die Beratung in der ersten Lesung nicht notwendig, daß die gesamte Bundesregierung hier sitzt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1016249300
Herr Kollege Schmidbauer, ich hätte persönlich nichts dagegen gehabt, wenn der Ältestenrat beschlossen hätte, die Vorlagen ohne Aussprache zu überweisen. Da er dies aber nicht beschlossen hat, da eine erste Lesung mit Aussprache beschlossen wurde, ist es die ver-



Frau Dr. Hartenstein
dammte Pflicht der Bundesregierung, hier anwesend zu sein und sprechen zu können.

(Bohl [CDU/CSU]: Die Bundesregierung ist doch da!)

— Es ist aber doch nicht möglich, hier Stellung zu nehmen. Darum geht es.

(Bohl [CDU/CSU]: Er kann jederzeit etwas sagen!)

Im übrigen dürfte das überhaupt kein Streitpunkt sein. Sie hätten Ihrerseits genau dieselbe Rüge ausgesprochen. Ist das so, Herr Kollege Werner? — So ist es.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Nein! Wir sind faire Menschen!)

Weiter zur Sache. Auch wenn wir über die Prioritäten, Herr Kollege Lippold, nicht zu streiten brauchen, so müßten wir doch höchstens darüber streiten, ob sie im Gesetzentwurf der Bundesregierung klar genug zum Ausdruck kommen. Wir meinen: nein.
Streiten werden wir uns allerdings auch über die Wege einer vernünftigen und effektiven Abfallwirtschaft. Die Fraktion der GRÜNEN schlägt den Titel „Abfallwirtschaftsgesetz" vor.

(Bohl [CDU/CSU]: Bei der SPD sind drei Leute da!)

— Sollen wir mal durchzählen? Ich wundere mich eigentlich über das Verhalten der Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, die sonst immer jede Gelegenheit wahrnehmen, auf Sachlichkeit zu drängen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1016249400
Meine Damen und Herren, bei dieser Besetzung lohnt es sich nicht, von der einen Seite zur anderen Seite zu zählen, sondern jetzt ist nur noch die große Aufmerksamkeit gefragt.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1016249500
Es hat wohl keiner Anlaß, sich allzusehr zu rühmen.

(Zuruf des Abg. Baum [FDP])

Wir stimmen Ihnen zu, daß mit Ihrem Vorschlag, ein Abfallwirtschaftsgesetz zu schaffen, die Zielrichtung deutlicher angegeben würde als mit der bloßen Fortschreibung des Abfallbeseitigungsgesetzes. Nur: Wenn Sie wirklich ein Abfallwirtschaftsgesetz wollen, meine Damen und Herren, reichen wiederum Ihre Novellierungsvorschläge nicht aus. Dann muß ein umfassendes neues Gesetz her, das nicht von heute auf morgen aus dem Boden zu stampfen ist.
Darüber hat sich übrigens auch schon die Umweltministerkonferenz den Kopf zerbrochen. Sie ist zu dem Schluß gelangt, daß dies in der vorgesehenen Zeit nicht zu schaffen ist.
Im übrigen ist j a der Titel gar nicht so wichtig. Es kommt auf den Inhalt und nicht auf die Verpackung an, womit wir wieder bei einem beliebten Thema wären.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Schmidbauer [CDU/CSU]: Da stimmen wir Ihnen voll zu!)

Meine Damen und Herren, die sozialliberale Bundesregierung hat 1975 unter Bundeskanzler Helmut Schmidt bereits ein Abfallwirtschaftsprogramm beschlossen, von dem wichtige Teile inzwischen umgesetzt sind.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Die Altglasverwertung hat sich von 1975 bis 1982 verdreifacht, die Altpapierverwertung ist um über eine Million Tonnen gestiegen, und bei der Rückführung von Quecksilberbatterien liegt die Erfassungsquote inzwischen bei 50 %. Das ist gut so. Aber das Ende der Verschwendungsgesellschaft ist damit noch längst nicht erreicht; auch das müssen wir sehen. Solange rund 80 % aller Siedlungs- und Gewerbeabfälle noch auf der Deponie landen, besteht zweifellos Handlungsbedarf.
Wir haben deshalb in der SPD-Fraktion unser Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft erarbeitet und dabei insbesondere ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt, die 1975 so deutlich noch nicht gesehen werden konnten, zum Beispiel das Problem der Schadstoffhaltigkeit der Abfälle, der Schwermetallbelastung, der Einträge in Boden und Wasser.
Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren, sind teilweise im Konzept der SPD bereits enthalten, das j a auch beim Hearing am 30. September mit zur Diskussion stand. Ich will Ihnen — sicherlich wird auch Herr Kollege Schmidbauer zuhören wollen — jedoch zwei Punkte sagen, die aus unserer Sicht schlicht und einfach nicht gingen.
Erstens. Sie wollen ab 1988 eine obligatorische Verwertung von Papier und Pappe einführen. Ausnahmen sind zwar vorgesehen. Aber haben Sie ausgerechnet, welche Investitionen dafür nötig wären? Können Sie sagen, wie der Markt das aufnehmen soll und wie dies alles in knapp zwei Jahren zu bewerkstelligen sein soll?
Zweitens. Ab 1988 soll für Getränkeverpackungen ausschließlich das Mehrwegsystem in Betracht kommen. Das würde doch im Umkehrschluß ein Verbot für Einwegbehälter bedeuten, wenn ich das richtig verstehe. Ich hätte nichts dagegen. Aber ich frage Sie: Ist Ihnen klar, daß Sie dabei dem EG-Recht voll in die Quere kommen? Ich bedaure außerordentlich, daß die Bundesregierung nicht den Mut hatte, von Art. 36 des EG-Vertrags Gebrauch zu machen, als es um die Katalysatorproblematik, um den Schutz der Wälder und um den Schutz der menschlichen Gesundheit ging. Aber bei einem Verbot der Einwegverpackungen wird uns der Gesundheitsvorbehalt des Art. 36 kaum helfen.

(Abg. Schulte [Menden] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Schulte, ich möchte diese Debatte nicht dadurch verlängern, daß Sie Zwischenfragen stellen. Ich bitte um Verständnis.



Frau Dr. Hartenstein
Im übrigen hat die Einwegverpackung im Freizeitbereich, bei Reisen, in der Touristik usw. eine sinnvolle Funktion. Dennoch bleiben wir dabei, die Wegwerfverpackung muß eingeschränkt werden, und deshalb schlagen wir vor, sie erheblich teurer zu machen als die Mehrwegbehälter.

(Zuruf bei der CDU/CSU)

— Das steht im Papier, gucken Sie bitte hinein.
Zusammengefaßt läßt sich sagen: Ihre Entwürfe zielen in die richtige Richtung. Aber die vorgeschlagenen Schritte sind so nicht machbar, mindestens nicht alle. Wir müssen auf dem Teppich bleiben. Sonst besteht die Gefahr, daß das Gegenteil von dem eintritt, was wir eigentlich wollen. Man zwingt halt einen Riesentanker wie die bundesdeutsche Wirtschaft nicht mit einem Ruck in einen anderen Kurs, auch nicht z. B. mit einem Pauschalverbot von Einwegbehältnissen. Da bliebe gewaltig viel auf der Strecke, nicht zuletzt auch Arbeitsplätze.
Die Wirtschaft braucht klare Vorgaben, aber sie muß mitmachen, und auch der Verbraucher. Sonst funktioniert gar nichts.
Die Abfallwirtschaft kann sehr wohl Modellfall für eine umweltfreundliche Kreislaufwirtschaft sein. Das wollen wir, aber das geht nicht mit einem bloßen Faustschlag auf den Tisch.
Was die Altlasten betrifft, so steht uns hier zweifellos eine Mammutaufgabe ins Haus. Sie ist nur zu bewältigen, wenn alle mitmachen. Alle — das heißt Bund, Länder, Gemeinden und die Wirtschaft. Dabei kann es nicht nur um alte Müllkippen gehen, es geht auch um alte Gewerbe- und Industriestandorte, die saniert werden müssen, um stillgelegte Produktionsanlagen, um alte Lagerstätten, um zugeschüttete Steinbrüche usw. Die Sünden des Industrialisierungszeitalters müssen gemeinsam aufgearbeitet werden. Es ging ohnehin zu lange nach dem Motto: Vergraben und vergessen. Fälle wie Gerolsheim in Rheinland-Pfalz oder Hamburg-Georgswerder zeigen die Dimensionen an, die hier auf uns zukommen. Experten schätzen, daß von den etwa 50 000 Altablagerungen etwa 10 % saniert werden müssen. Wer soll das bezahlen?

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Wieviel Minuten haben Sie eigentlich noch?)

— Eine Minute, Herr Kollege Schmidbauer.
Das Hearing am vergangenen Montag hat naturgemäß sehr unterschiedliche Auffassungen darüber zutage gefördert, wie wir mit diesem Problem fertigwerden könnten. Klar ist folgendes:
Erstens. Es sollten einheitliche Kriterien für die Erfassung, Bewertung und Feststellung des Sanierungsbedarfes der sogenannten Altlasten geschaffen werden.
Zweitens. Die Erprobung von geeigneten technischen Verfahren muß vorangetrieben werden. Dazu sollten Modellprojekte durchgeführt werden.
Drittens. Das Verursacherprinzip ist, soweit es irgend geht, anzuwenden.
Allerdings — und hier liegt der Hase im Pfeffer —: Wie weit geht das noch? Wer weist denn nach, welche giftigen Sickerwässer exakt aus der Ablagerung dieses oder jenes Betriebes kommen? Gibt es diesen Betrieb überhaupt noch? Fragen über Fragen!
Die SPD-Fraktion hat in ihrem Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft die Errichtung eines Altlastsanierungsfonds gefordert, an dem sich die Industrie mit erheblichen Beiträgen zu beteiligen hätte. Der Finanzierungsbedarf umfaßt eine zweistellige Milliardensumme.
Daß Ihr Antrag, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, genau an der Frage, woher das Geld kommen soll, vorbeigeht, ist ein entscheidender Fehler. Das mindert seinen Wert doch beträchtlich. Ich habe den Text von vorne nach hinten und von hinten nach vorne gelesen und dafür keinen Vorschlag gefunden. Wir orientieren uns an dem Beispiel des amerikanischen SuperFound-Gesetzes von 1980, das dazu geführt hat, daß die US-Umweltbehörde heute bereits 1,6 Millionen Dollar für Sanierungszwecke zur Vefügung hat. Eine weitere Aufstockung des Fonds ist bereits beschlossen.
Es wird kein vernünftiger Mensch verlangen wollen, daß die Riesenlast der Altdeponiesanierungen von den Kommunen alleine getragen wird. Die Industrie ist nicht gut beraten, hier laut nach dem Gemeinlastprinzip zu rufen, sprich: dem Steuerzahler alles aufbürden zu wollen. So kann es nicht gehen. Wenn die Wirtschaft nicht die genügende Offenheit zeigt, ist der Gesetzgeber gefordert, und für die Zukunft müssen die potentiellen Verursacher wissen, daß auch eine Gefährdungshaftung kein Tabu sein wird.
Die Reform der Abfallwirtschaft — um eine solche handelt es sich — ist eine gute und zukunftsweisende Sache. Sie wird einen wichtigen Schritt in eine ökologische Erneuerung unserer Industriegesellschaft bringen, wenn wir sie vernünftig durchführen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016249600
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1016249700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen ja im Grunde die erste Lesung noch einmal durch, die wir zur Vierten Novelle gehabt haben. Jeder gibt seine Bekenntnisse ab. In vieler Hinsicht stimmen sie überein. Allerdings haben wir über den Weg unterschiedliche Meinungen. Frau Hartenstein hat ja mit Recht darauf hingewiesen, daß das Parlament nicht nur oktroyieren kann, sondern daß wir die Bürger brauchen, daß wir die Wirtschaft brauchen, daß die Strukturen nicht zerstört werden dürfen. Wir haben ja solche Fälle von Besorgnissen — Frau Kollegin, wir waren ja zusammen auf einer Veranstaltung —, wo traditionelle Sammler von Altpapier gesagt haben: Bei einem totalen Verwertungsgebot sind wir nicht mehr da;



Baum
wir werden weggedrückt. Die Frage ist überhaupt, ob das noch ökonomisch und auch ökologisch sinnvoll ist.
Meine Basis der Diskussion ist die Vierte Novelle, die die Bundesregierung vorgelegt hat, auch aus dem einfachen Grunde, weil ich sie noch vorbereitet habe, weil ich diese Zielrichtung der Verwertung und des Recycling für richtig halte. Deshalb meine ich, wir sollten uns so schnell wie möglich im Ausschuß über diese Novelle unterhalten.
Die Koalition hat sich verständigt, daß wir auf jeder Sitzung des Innenausschusses diese Thematik haben werden. Wir werden die Novelle also zügig und mit Vorrang behandeln. Wir wollen zum Frühjahr fertig sein. Wir wollen die Verordnungen, die eine große Rolle spielen, einbeziehen. Wir wollen also nicht nur der Bundesregierung die Verordnungsermächtigung geben, sondern wir wollen die Verordnungen kennen. Ich überlege mit meiner Fraktion, ob wir nicht die Verordnung an eine Zustimmung des Parlamentes knüpfen sollten;

(Toetemeyer [SPD]: Sehr gut!)

denn es ist im Grunde ein sehr wichtiger Bestandteil der gesamten Materie. Zumindest aber müssen wir wissen, was mit den Ermächtigungen geschieht, die wir, das Parlament, erteilen.
Der Wirtschaftsminister hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die ich für wichtig halte, in der untersucht wird, welche Wirkungen die Vorschläge auf die Märkte haben. Wir haben ja auch Interesse an der Aufrechterhaltung bestimmter Märkte.
Die Abfallwirtschaft hat sich ja sehr stark entwickelt. Die Wirtschaft hat ein Recyclingsystem auf der Grundlage des von Ihnen, Frau Hartenstein, zitierten Abfallwirtschaftsprogramms von 1975 aufgebaut. Das Abfallaufkommen ist ja nicht mehr so stark gewachsen. Die Produktion nahm, um einmal eine Zahl zu nennen, in der Zeit von 1977 bis 1982 um etwa 25 % zu, der Abfall aber um 1 %. Wir haben in wichtigen Bereichen erhebliche Recyclingquoten, Frau Kollegin Hönes, aber es bleibt etwas zu tun. Darum überlegen wir hier eine Novelle, um Defizite zu beseitigen, die durch zögerliches Verhalten der Wirtschaft, des Handels, des Getränkehandels entstanden sind.
Im Vordergrund meiner Zielsetzung stehen die Schadstoffe. Ich möchte mich in erster Linie mit den Schadstoffen befassen, die in den Verpackungen oder auch in den Produkten enthalten sind. Deshalb bin ich der Meinung: In der Vierten Novelle muß deutlicher als bisher die Schadstoffproblematik von der Mengenproblematik getrennt werden. Da gibt es diese Beispiele. Herr Schmidbauer, Sie haben schon Altöl und PCB genannt. Es gibt eine ganze Reihe wirklich gefährlicher Dinge, die mit der Schadstoffproblematik zusammenhängen. Dem müssen wir uns mit Vorrang widmen.
Ein zweiter Grundsatz ist, daß wir aus der Sicht meiner Fraktion privatwirtschaftlichen Lösungen immer dann, wenn es geht, Vorrang vor öffentlich-rechtlichen Konzepten einräumen wollen. Wir werden auch auf eine umfassende Kennzeichnung der
Schadstoffinhalte in Produkten, Behältnissen und Verpackungen hinwirken.
Bei dem, was die Fraktion der GRÜNEN hier vorgeschlagen hat, ist die Zielrichtung, ich sage das noch einmal, in vielerlei Hinsicht akzeptabel. Aber das nützt nichts. Meine Vorredner haben schon an einigen Beispielen dargelegt, daß Sie Eingriffe vornehmen wollen, die das Ziel eben nicht erreichen werden. Sie wollen an vielen Stellen etwas Vernünftiges erreichen, aber Sie bewirken mit der Art der Mechanismen, die Sie einführen, etwas, was das Ziel nicht erreichbar macht. Deshalb habe ich den generellen Vorbehalt zu Ihrem Gesetzentwurf, daß er ein Netz von Dirigismus, von Verboten, von Geboten und von Faustschlägen enthält, von denen Sie gesprochen haben.
Es gibt keinen Bereich der Umweltpolitik, der so nahe an der Wirtschaft ist wie die Abfallwirtschaft. Alles, was man dort mit Anreiz bewegen kann, sollte man tun. Alles, was ohne Zwang geht, sollte man wirklich fördern. Sie haben hier den dirigistischen Hammer auf den Tisch gelegt. Wir beabsichtigen nicht, diesen Hammer zu benutzen; das muß ich Ihnen ganz deutlich sagen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016249800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1016249900
Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016250000
Bitte schön, Frau Hönes.

Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016250100
Herr Kollege Baum, ich denke, es geht nicht darum, hier den dirigistischen Hammer zu schwingen. Das liegt den GRÜNEN fern. Sie haben vielleicht noch nicht bemerkt, daß wir gerade in Sachen Abfallwirtschaft gar nicht ideologisch festgelegt sind, sondern daß wir bei verschiedener Problematik sogar private Abfallbeseitiger bevorzugen. Aber ich will auf die freiwilligen Vereinbarungen zu sprechen kommen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016250200
Sie müssen fragen, Frau Kollegin.

Hannegret Hönes (GRÜNE):
Rede ID: ID1016250300
Ja. — Haben Sie nicht in der Vergangenheit wirklich sehr schlechte Erfahrungen mit den freiwilligen Vereinbarungen der Industrie gemacht? Daraus müssen doch irgendwie Schlüsse gezogen werden.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1016250400
Teilweise habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, da haben Sie recht. Darüber habe ich auch öffentlich geredet. Aber jetzt sollen ja Instrumente geschaffen werden, die, falls Vereinbarungen nicht zustande kommen und nicht ausgefüllt werden, eben dem Staat die Ermächtigung zum Handeln geben. Das ist die Situation. Die Bundesregierung betritt j a diesen Weg. Sie sehen das in § 14 der Novelle, die die Bundesregierung vorgelegt hat. Wir sind bereit, diesen Weg mitzugehen. Wenn jetzt solche Vereinbarungen nicht zustande kommen, werden eben solche Ermächtigungen kommen, wie die Bundesregierung sie vorgesehen hat.
Übrigens bin ich der Meinung, Herr Staatssekretär, daß das Gesetz an einigen Stellen durchaus
12172 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Baum
noch verbessert werden kann. Wir von den Koalitionsfraktionen werden also eine gründliche Beratung der Vorlage der Bundesregierung vornehmen. Sie ist viel umfassender und im Sinne einer konsequenten Abfallwirtschaft viel wirkungsvoller als das, was Sie uns vorgeschlagen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016250500
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 11 a bis 11 c an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisungen sind so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verhütung und Behandlung von Krebserkrankungen im Erwachsenenalter
— Drucksachen 10/2266, 10/3675 —
Hierzu liegen Entschließungsentwürfe der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf den Drucksachen 10/3951 und 10/3952 vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1016250600
Jahre nach der großen Krebskonferenz und fünf Jahre nach der Erstellung eines Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung ist keine Verbesserung der Situation erkennbar, weder was die Entwicklung der Krebsrate angeht, noch hinsichtlich des Ausmaßes krebserzeugender Umweltbelastungen.
Krebs ist eine Krankheit, die multifaktorelle Ursachen aufweist und mit Umwelt im weitesten Sinne zu tun hat, wo aber auch der Zigarettenkonsum und unsere Art der ungesunden Ernährung nicht schweigend übergangen werden können, Themen, die für manche, auch in meiner Fraktion, unangenehm sind, weil auch wir, nicht nur die Industrie, bereit sein müssen, Konsequenzen zu ziehen.
Krebs ist der Tribut und das Resultat einer Industrialisierung, eine Folge des Wirtschaftswachstums, das auf die Qualität der Umwelt keine Rücksicht nahm und auch nicht nimmt.
Jedes Jahr, auch dieses, sterben weiterhin 150 000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger an Krebs, jährlich eine Stadt von der Größe Osnabrücks, jeden Tag über 400 Menschen. Krebs reißt mehr und mehr Menschen mitten aus ihrem Leben, lange vor Erreichen der normalen Lebenserwartung.
Um krebsauslösende Faktoren auszuschalten, müssen, wenn Verdachtsmomente vorliegen, sofort Konsequenzen gezogen werden. Während bei uns Formaldehyd als lediglich krebsverdächtig gilt, hat es die EG als eindeutig krebserzeugend eingestuft. Die Europäische Gemeinschaft also korrigiert Dr. Geißler.
Doch wann werden endlich politisch die Konsequenzen gezogen? Waldsterben und dann Menschensterben — ist das die beklemmende Reihenfolge der Nachweise, die erbracht werden müssen, um uns zu zeigen, in welch ungesunder Umwelt wir leben und arbeiten? Die Wahrnehmung des Waldsterbens setzte bei manchen Politikern erst dann ein, als schon 8 % der gesamten Forstfläche schwer geschädigt waren. Wann wird die gesundheitliche Gefährdung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den Betrieben durch gefährliche Stoffe am Arbeitsplatz wahrgenommen? Das ist die nächste Frage. Der 20-Punkte-Katalog des DGB zur Reform des Schadstoffrechts ist ein Anfang. Doch ein Streik gegen krebserzeugende Stoffe am Arbeitsplatz wäre eine bessere Antwort.
Wir müssen begreifen, daß wir allen Generationen nach uns ein bedrohtes Erbe hinterlassen, eine verseuchte Umwelt, für die wir, auch jeder einzelne von uns, Verantwortung tragen.
Die Bundesregierung schreibt in der Präambel ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage, daß wir den Eindruck erwecken würden, daß der Schadstoffgehalt der Umwelt zu den führenden Krebsverursachern zu rechnen sei. Die Bundesregierung meint: Dies trifft trotz einer Reihe nachgewiesener Zusammenhänge nach dem heutigen Kenntnisstand nicht zu; es trifft auch nicht zu, daß Umweltbelastungen ständig zunehmen. Ferner — so Reiner Geißler damals —: Durch die Gesundheits- und Umweltpolitik der Bundesregierung ist vielmehr ein genereller Rückgang der Schadstoffe zu verzeichnen, der sich fortsetzen wird.
Das glaubt die Bundesregierung doch wohl selber nicht. Ihr muß doch klar sein, daß es viele zusammenwirkende Ursachen für unsere heutige Krebswelt gibt, darunter eine Vielzahl von Chemikalien und radioaktiven Substanzen, zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Industrie, die, zum Teil erst nach vielen Jahren, zum Ausbruch der Erkrankung führen. Ich denke dabei z. B. an den Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz und Rauchen.
Natürlich stimmt es, wenn auch nur zum Teil, wenn die Bundesregierung auf die Gefahren durch den Tabakkonsum eingeht. Vielen in der Bevölkerung ist klar geworden, daß ein Raucher aus einer Zigarette eine Unzahl gefährlicher Stoffe saugt und dies häufig zu Lungenkrebs führt. Persönlich trete ich für ein Verbot aller Werbung für Zigaretten und für ein Verbot des Rauchens in öffentlichen Räumen und am Arbeitsplatz ein. Doch das ist eine Forderung, die nicht einmal innerhalb meiner Fraktion durchzusetzen ist,

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)




Frau Kelly
obwohl das Recht des Nichtrauchers auf körperliche Unversehrtheit

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Wir treten für das Verbot des Vorlesens ein!)

absolut vorrangig behandelt werden sollte. Natürlich muß jeder von uns lernen, dem Rauchen zu entsagen, ernährungsbewußter zu leben und auf krebserzeugende Substanzen in Kosmetika, Medikamenten und Chemieprodukten zu verzichten. Aber wenn die Bundesregierung als Mitverursacher der Umweltkrise durch Herrn Geißler am 24. Juli die Ursachen für Krebserkrankungen ausschließlich im Lebensstil der Bürger sucht, so ist dies schlicht pervers.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies ist eine Politik der Widersprüche. Gebraucht wird eine ökologische, ganzheitliche Politik, die diese Widersprüche auflöst, z. B. jenen, Krebserregendes wie Tabak als nicht zweckgebundene Einnahmequelle für den Militäretat anzusehen, eine Politik, die Ursachen bekämpft, anstatt es uns allein, den Verbrauchern, in die Schuhe zu schieben.
Die Luft zum Atmen ist ebensowenig auszusuchen wie das Wasser zum Trinken. Viele Kritiker reden von der Zigarette als der größten Krebssünde, verschweigen aber dabei, daß ein Erfolg einer Nichtraucherkampagne Milliardenlöcher in die Haushaltskasse reißen würde. Das gilt aber auch für Hochprozentiges.
Die Weltgesundheitsorganisation bestätigte vor kurzem wieder, daß Umweltchemikalien eine sehr entscheidende Rolle unter den Ursachen von Krebs spielen, entweder indirekt oder auch direkt durch krebsauslösende Substanzen. Aus WHO-Untersuchungen folgt, daß rund 20% aller Chemikalien als krebserregend zu gelten haben. Je mehr Chemikalien pro Kopf produziert werden, desto größer wird das Risiko. Im Klartext: Vor 20 Jahren wurden pro Bundesbürger rund 10 Kilogramm Chemikalien produziert, heute sind es 50mal so viel.
Verstärkte Ursachenforschung muß meines Erachtens wirksam verstärkt werden, um Risikofaktoren ausfindig und raschen Präventionsmaßnahmen zugänglich zu machen. Dabei bleibt die Forderung nach einem bundesweiten Krebs- und Umweltregister in meiner Fraktion immer noch sehr umstritten.
Uns, den Bürgern und Bürgerinnen, bleibt nichts anderes übrig, als krebserregende Produkte massiv zu boykottieren und krebsauslösende Arbeitsplätze zu verlassen.

(Zustimmung der Abg. Frau Hönes [GRÜNE])

Zur Zeit versucht die Holz- und Zigarettenindustrie, die Veröffentlichung der neuen Liste krebserzeugender Arbeitsstoffe zu verhindern.

(Mann [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Die Bundesregierung und viele Kollegen in diesem Haus begnügen sich mit Forderungen nach mehr Forschungsmitteln, bevor es zu den längst überfälligen politischen Konsequenzen kommt, im Falle
Asbest, das die EG schon vor zehn Jahren verboten hat, oder im Falle Formaldehyd.
Ein Stoff muß unserer Meinung nach so lange als gefährlich angesehen werden, bis das Gegenteil erwiesen ist. Allein der begründete Verdacht der Krebserzeugung muß ausreichen, um Alternativprogramme und Stoffverbote auszusprechen. Senkungen von Grenzwerten bei Radioaktivität oder bei Dioxin bringen überhaupt nichts.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben weniger ein Defizit des Wissens über diese Dinge, über krebserzeugende Substanzen als vielmehr ein Defizit des politischen Handelns.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Krebstherapie muß bei der Heilung der Umwelt und nicht nur bei der Heilung der Patienten ansetzen.
Ein Wort über unkonventionelle und biologische Wege im Kampf gegen den Krebs: Es stimmt, daß bei vielen Krebserkrankungen von Kindern die konventionellen Wege der Krebstherapie Erfolge bringen. Doch bei Erwachsenen trifft dies nicht zu, und wir alle wissen, wie qualvoll die konventionellen Krebstherapien, wie Zellgifte und Bestrahlung, für den Kranken sind.
Immer mehr Menschen suchen über Naturheilverfahren nach sanfter, nebenwirkungsfreier Heilung. Diese sanften, ganzheitlichen Heilmethoden dürfen nicht länger als Stiefkind der Schulmedizin gelten. Beide müssen und werden sich ergänzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Weil die Tatsache, daß viele Menschen durch Naturheilverfahren wieder gesund wurden, für die wissenschaftliche Anerkennung nicht ausreicht, aber der wissenschaftlich exakte Wirksamkeitsnachweis zum Teil schwer zu erbringen ist, lehnen die Krankenkassen oft die Erstattung der Kosten für biologische Methoden und Heilverfahren ab, und das darf nicht so bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine Frau an der Spitze der Naturheilärzte ist Frau Dr. Carstens — ich glaube, das ist jedem hier bekannt — , die dies in ihrer Gruppe „Natur und Medizin" versucht. Solange wir uns nur auf Chemotherapie, Zellgifte und Bestrahlung verlassen, werden wir in der Krebsbehandlung nicht weiterkommen.

(Zuruf von der FDP: Deswegen brauchen wir Gentechnologie!)

Dem Bundesministerium für Forschung und Technologie wurden seit Bestehen der Arbeitsgruppe „Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung" im Jahre 1981 vier Vorhaben zur Förderung empfohlen, die — das möchte ich hier betonen — mit einem Gesamtvolumen von 1,2 Millionen DM, gleich 0,05% des gesamten Volumens der Krebsforschung, gefördert wurden. 0,05% für biologische Methoden seit 1981 in diesem Haushalt! Andererseits beweist die Tatsache, daß die Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr in den ersten beiden Kalenderjahren, 1983 und 1984, bereits zehn Forschungs-



Frau Kelly
projekte auf dem Gebiet der biologischen Krebsabwehr mit einem Gesamtvolumen von fast 200 000 DM gefördert hat, daß es durchaus möglich ist, Forschungsförderung auf diesem Sektor sinnvoll zu betreiben.
Der Deutsche Bundestag hat schon 1976 die Bundesregierung aufgefordert, sich endlich solch hypothetischer und empirischer Ansätze zur Krebsdiagnostik und -therapie anzunehmen, die im Rahmen der Schulmedizin bisher keine Chance auf Förderung gehabt haben. In der Antwort auf die Große Anfrage sagt dies auch die Bundesregierung heute — und tut nichts. Für die Forschung auf dem Gebiet der biologischen Krebsabwehr wurden bis jetzt überhaupt keine bedeutenden Mittel bewilligt.
Und schließlich: Ich bitte Sie, dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen, und will auch noch ganz kurz mit zwei Sätzen — ich habe noch eine Minute — auf das eingehen, was Krebskranke zur Zeit bewegt. Krebskranke Erwachsene, insbesondere Frauen, greifen immer mehr zur Selbsthilfe, weil die privaten und staatlichen Gelder auch der Deutschen Krebshilfe der Krebsforschung zugute kommen, aber nicht den Kranken selbst. Der Mensch ist aber für uns ein vernetztes System aus Körper, Seele und Geist, und nur eine ganzheitliche Gesundheitspolitik kann den Menschen in seiner Gesamtheit erfassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016250700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Werner (Ulm).

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1016250800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kelly, es hätte Ihnen eigentlich auffallen müssen, daß das, was Sie als Vorwurf an die Adresse des Bundesministers Geißler gerichtet haben, so nicht haltbar ist; denn das, was Sie in bezug auf die EG-Aussagen erklärten, wurde meines Erachtens gerade auch heute früh entsprechend korrigiert.
Nach den Herz- und Kreislaufkrankheiten, meine Damen und Herren, ist der Krebs bei Männern und Frauen in der Bundesrepublik die zweithäufigste Todesursache. Diese Krankheit ist der Bereich, der neben den seelischen Krankheiten seit 1972 eine stete Zunahme zu verzeichnen hat. In den letzten 30 Jahren stieg der Anteil der Krebskrankheiten an den Todesursachen bei den Männern von 15 auf über 23 % und bei den Frauen von 17 auf über 25 %.
Dies ist eine überaus bedauerliche Entwicklung. Angesichts der sich hinter diesen Zahlen verbergenden menschlichen Schicksale und Tragödien ist es zwar grundsätzlich zu begrüßen, daß sich der Bundestag — nachdem wir im April über die pädiatrische Onkologie gesprochen hatten — heute erneut mit dem Problem der Krebserkrankung beschäftigt. Zu bedauern ist allerdings, daß mit der Anfrage der GRÜNEN versucht wird, dieses ernste Problem auf parteitaktische Überlegungen und emotionale Fragestellungen zu reduzieren.

(Bueb [GRÜNE]: Herr Kollege, ein großer Schwank!)

— Lesen Sie einmal genau durch, was Sie selber fragen. Sie wollen den Eindruck erwecken, die Bundesregierung würde nichts oder nicht energisch genug zur Lösung des Problems Krebs beitragen.

(Tatge [GRÜNE]: So ist es!)

Die in Verbindung mit dieser Krankheit bestehenden Fragen sind, so meine ich, zu ernst, als daß sachfremde Erwägungen und unterschwellige Verdächtigungen einen Platz hätten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Tatge [GRÜNE]: Empirische Erfahrungen!)

Das Erwecken von Unruhe und latenter Angst in der Öffentlichkeit hilft unseren Bürgern und den Betroffenen schon gar nicht.

(Bueb [GRÜNE]: Bei den Zahlen soll man keine Angst kriegen?)

Die Schwierigkeiten beginnen ja — darüber sind wir einig — mit der Beschreibung der Ursachen, die zu Krebs führen. Wenngleich heute ganz bestimmt niemand mehr die besondere Bedeutung von Umwelteinflüssen für die Krebsentstehung bestreitet, so ist es doch einfach zu kurz gegriffen, die Diskussion primär auf dieses Feld zu beziehen und den Eindruck zu erwecken, als ob Industrie und Wirtschaft leichtfertig karzinogene Verfahren und Produkte in Kauf nehmen und in Umlauf bringen,

(Bueb [GRÜNE]: Formaldehyd, Asbest!)

und als ob die Bundesregierung beinahe untätig zusähe. Das ist doch nicht so; das wissen Sie genau!

(Frau Hönes [GRÜNE]: Radioaktivität!)

Die Bundesregierung hat doch bisher stets gehandelt, wo auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse gesundheitliche Risiken bei der Verwendung moderner Materialien verringert oder ganz beseitigt werden mußten. Die Bundesregierung ist doch in laufender Abstimmung mit den Ämtern für Gesundheit und Umwelt darüber, welche Maßnahmen gegen erwiesenermaßen krebsfördernde Stoffe möglich und nötig sind.

(Bueb [GRÜNE]: Warum verzichten wir denn nicht auf Asbest, Herr Kollege?)

Die Ergebnisse wissenschaftlicher Prüfungen von Materialien und Stoffen werden doch fortwährend — das wurde heute schon angesprochen — z. B. im Bereich des Abfallbeseitigungsgesetzes, des Arbeitsplatzschutzgesetzes, des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes praktisch umgesetzt.
Die Fraktion der CDU/CSU wird auch in Zukunft die Bundesregierung bei diesen Bemühungen unterstützen, auch unterstützen, um Klarheit über die Art und Gewichtung der Vielzahl von Faktoren zu erhalten, die zur Entstehung von Krebs beitragen, und um die daraus für den Schutz der Gesundheit unserer Mitbürger erforderlichen Maßnahmen gemeinsam durchzusetzen.
Das Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung und die sogenannten Krebskonferenzen sind doch ein weiterer Beweis dafür, wie ernst die Bundesregierung die Krankheit Krebs nimmt. Die bisher
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12175
Werner (Ulm)

dort gemachten Vorschläge sind nach Prüfung, zügig in die Praxis umzusetzen. Die Koordinierung der Forschungsvorhaben der verschiedensten Einrichtungen und die Zusammenarbeit der mit der Krebsverhütung und -behandlung befaßten Organisationen ist noch verbesserungsfähig; denn auch nur dadurch werden wir z. B. einen Einblick erhalten in die Gesamtheit der im Bereich des Krebses, für dessen Prävention, Therapie und Nachsorge aufgewandten Mittel.
Ausdrücklich begrüße ich, daß sich die Bundesregierung nachhaltig gerade in dem Gesamtprogramm zu der Förderung sogenannter unkonventioneller Therapien bekannt hat. Der Mensch ist eine Leib-Seele-Einheit. Krebstherapien müssen daher die Ganzheitlichkeit des Menschen zum Gegenstand haben und dürfen sich nicht auf medizinische Teilbereiche beschränken. Mein Dank gilt an dieser Stelle all jenen, die sich in Forschung und Therapie, in und außerhalb unserer Kliniken, für die Krebskranken von heute, aber auch — so muß man sagen — von morgen einsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nur der unermüdlichen Arbeit dieser Menschen ist es zu verdanken, daß in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge auf dem Felde der Prävention, der Früherkennung, der Therapie wie auch der Nachsorge erreicht werden konnten. Wer diese Kleinarbeit vor Ort kennt, wird mit sensationsträchtigen Forderungen und falsche Erwartungen weckenden Vorschlägen zurückhaltend sein, meine Damen und Herren.
Der Bund wird die laufenden Forschungsprogramme fortsetzen. Dies ist dringend notwendig angesichts der Komplexität der komplizierten intrazellulären Vorgänge, um die es sich dabei handelt. Im Rahmen des Gesamtprogramms erhalten die Tumorzentren auch in Zukunft die notwendigen Gelder. Der Bund wird auch weiterhin mit beträchtlichen Mitteln die Modellvorhaben unterstützen.
Zu Recht sagen wir immer wieder, daß die Selbsthilfegruppen im psychosozialen Bereich eine unverzichtbare und dankenswerte Leistung erbringen, besonders im Bereich der Nachsorge. Wir danken ausdrücklich dafür und erkennen ihre Forderung an, daß die psychiatrische und auch seelsorgerische Betreuung der Kranken und ihrer Familien noch ausgebaut werden muß. Aber es ist zunächst Aufgabe der Länder, das hierfür erforderliche Personal zur Verfügung zu stellen. Die neue Pflegesatzverordnung bietet die Möglichkeit, in Zukunft Sonderpflegesätze für diese Leistungen zu vereinbaren.
Nun ein Wort zu regionalen Krebsregistern. Diese sind notwendig; aber es ist noch zu prüfen, ob nicht eine zentrale Datenbank die regionalen Auswertungen anonym zusammenfassen muß. Hier hat Frau Kelly selber schon auf den Zwiespalt in den eigenen Reihen hingewiesen. In Hessen lehnen die GRÜNEN jegliches Krebsregister ab. Hier in Bonn scheinen bestimmte Gruppierungen dafür zu sein.
Die Gesundheitsaufklärung — das liegt mir besonders am Herzen — muß verstärkt werden. Denn nur so können Vorbeugung und Früherkennung die
Zahl der tödlich verlaufenden Krankheiten vermindern. Die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erarbeiteten Materialien über schädliche Eß- und Lebensgewohnheiten, über Nikotin- und Alkoholgenuß gehören in die Schulen und in die Medien hinein. Hier kann und muß noch Zusätzliches geschehen. Nur dann wird es uns gemeinsam gelingen, den einzelnen zu eigenverantwortlichem, gesundheitsbewahrendem Verhalten zu bringen. Durch eigenverantwortliches Handeln kann jeder zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung beitragen und damit auch an der Verwirklichung der Vorschläge der Krebskonferenzen mitarbeiten. Staat, Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch der einzelne müssen zusammenarbeiten. Dann erst — und erst dann — werden unser aller Anstrengungen um Verhütung und Behandlung von Krebserkrankungen in allen Lebensaltern von einer größeren Aussicht auf Erfolg belohnt werden.
Wir haben Ihnen, meine Damen und Herren, einen Entschließungsantrag vorgelegt und bitten darum, daß Sie ihn unterstützen. Den Antrag der GRÜNEN halten wir für unnötig, da er sich wirklich nur mit einem sehr begrenzten Teilbereich, einem Teilbereich eines sehr weiten, komplexen Problems befaßt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bueb [GRÜNE]: Wir stimmen zu! — Frau Hönes [GRÜNE]: Und Sie stimmen unserem auch zu!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016250900
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1016251000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die SPD sieht mit großer Sorge die Entwicklung von Krebs in der Bundesrepublik. Unter dem Gesichtspunkt kann man nur bedauern, daß wir ein so wichtiges Thema zu einer solchen Stunde behandeln. Gleichzeitig möchte in anfügen, daß ich es ebenfalls bedaure, daß über diese Entschließungsanträge jetzt unter diesen Bedingungen hier abgestimmt werden soll. Nicht daß wir Ihre Positionen, Frau Kelly, damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen, inhaltlich nicht teilen, aber wenn man beide Anträge sieht, zusammennimmt, dann stellt man doch fest, daß sie dem Thema unseres Erachtens insgesamt nicht gerecht werden. Dazu muß man einiges mehr sagen; dazu ist auch einiges mehr an Beratungen und Vorschlägen möglich.
Sie, Frau Kelly, haben heute beispielsweise — zu Recht, finde ich — die Forderung des DGB nach einem neuen Arbeitsschutzgesetz angesprochen. Ich finde, daß das in dieses Thema mit hineingehört. Ich kann zumindest für unsere Fraktion sagen, daß wir diese Forderung sehr wohl auch in die Ausschußberatung einbeziehen würden. Ich bitte Sie deshalb, hier jetzt nicht eine Entscheidung zu treffen und das Thema dann als erledigt anzusehen. Vielmehr würde ich es für sehr viel sinnvoller halten, dieses Thema, beide Anträge, weitere Anregungen, die in der letzten Zeit gemacht worden sind,



Müller (Düsseldorf)

aufzugreifen und in eine sorgfältige Ausschußberatung einmünden zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich halte das auf jeden Fall für einen besseren Vorschlag, als hier um 21 Uhr abzustimmen und das Thema dann — seiner Bedeutung nicht angemessen — als abgehakt zu betrachten. Ich möchte Sie deshalb bitten, diesen Vorschlag zu akzeptieren. Wir halten ihn für sinnvoll.
Zur Begründung möchte ich ein paar Daten zur Krebsentwicklung selbst sagen: Wir wissen, daß wir in der Bundesrepublik 1983 rund 720 000 Tote hatten. Davon waren 160 000, gleich verteilt auf Männer und Frauen, Krebstote. Krebs nimmt damit mit ungefähr einem Viertel die zweithöchste Todesrate in der Bundesrepublik ein, nach Herz-/Kreislauftodesfällen. Ich glaube, diese Dimension ist schon ein Grund, um das Problem anders zu behandeln, als wir es hier behandeln, nämlich sehr viel intensiver, besonders wenn man sieht, daß nach Schätzungen, die in der Bundesrepublik vorliegen, in der Zwischenzeit rund zwei Milionen Menschen an Krebs erkrankt sind und jährlich ungefähr 300 000 Menschen an Krebs erkranken. Wir stellen fest, daß sich beispielsweise die Zahl der an Lungenkrebs erkrankten Männer in den letzten 30 Jahren verdreifacht hat. Wir sehen, daß beispielsweise 1983 21 000 Männer und rund 5 000 Frauen allein an Lungenkrebs erkrankt sind. Wir müssen, um einen anderen Aspekt anzusprechen, insbesondere einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und mit Schadstoffen hochbelasteten Räumen feststellen. Ich finde, daß beispielsweise die Antwort der Bundesregierung diesen Problemen nicht gerecht wird.

(Dr. Struck [SPD]: Leider wahr!)

Ganz im Gegenteil: Sie versucht, vor allem die Fragen der Umweltbelastung, der Arbeitsstoffbelastung in einer Art zu verharmlosen, die, wie ich finde, dem Thema nicht angemessen ist.

(Beifall bei der SPD) Das können wir nicht akzeptieren.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Bei einem Vergleich zwischen Münster und Oberhausen ergibt sich, daß die erwachsenen, arbeitstätigen Männer in Oberhausen zu 60% mehr Krebs haben.

(Toetemeyer [SPD]: Hört! Hört!)

Das auf einen zentralen Faktor wie Rauchen zurückzuführen, kann doch wohl nicht stimmen. Vielmehr muß man da doch sehen, daß so etwas wie Umweltbelastungen, wie Arbeitsstoffe eine ganz zentrale Rolle spielt. Ich kann deshalb in dem Zusammenhang nur Ihren Minister Riesenhuber, der meines Erachtens in einem gewissen Widerspruch zu Ihrer Beantwortung der Großen Anfrage steht, zitieren, der noch im letzten Jahr erklärt hat, daß nach seiner Auffassung 60 % bis 80 % der Krebserkrankungen auf Umweltfaktoren zurückzuführen seien. Ich meine, daß das zuwenig in die Antwort eingegangen ist.
Uns macht auch besonders Sorgen, daß die Hauptprobleme durch Krebs eigentlich erst vor uns liegen. Wir wissen, daß Krebs bei Arbeitsstoffen in der Regel eine durchschnittliche Latenzzeit von 30 Jahren hat, d. h. zwischen Exposition und Ausbruch liegen in der Regel zwischen zehn und 40 Jahre, im Durchschnitt 30 Jahre. Wenn wir aber wissen, daß beispielsweise die Feinstaubbelastung, die Asbestbelastung, die Belastung mit krebserzeugenden Stoffen in den letzten zehn Jahren ungeheuer zugenommen hat, wenn wir beispielsweise wissen, daß vor allem halogenierte Kohlenwasserstoffverbindungen, polyzyklische Substitute und Aromate in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen haben, dann wissen wir, daß der „Krebsberg" eigentlich erst vor uns liegt, der durch Umweltfaktoren beeinflußt ist.

(Beifall bei der SPD)

Das bedeutet, wir müssen zu einer anderen Aussage, zu einer sehr viel weiterreichenden Krebsbekämpfung kommen. Da geht es nicht, daß wir bei Vor- und Nachsorge stehen bleiben, sondern da müssen wir sehr viel stärker versuchen, vermutete Zusammenhänge von Ursache und Wirkung zu erfassen, und da konsequent handeln und sie beseitigen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das steht sehr viel stärker im Mittelpunkt. Meines Erachtens wird dem die Antwort nicht gerecht. Auch aus dem Grunde beantrage ich, dieses im Ausschuß intensiver zu beraten. Ich halte das für sinnvoll.
Ich möchte Sie an einen Satz des Präsidenten des Bundesumweltamtes erinnern. Professor Lühr hat vor ungefähr einem Jahr gesagt, wenn wir die Zunahme der chemischen Verbindungen und chemischen Stoffe — —

(Zurufe von den GRÜNEN) — Wir lehnen nicht ab.


(Erneute Zurufe von den GRÜNEN: Wir stimmen alle zu!)

— Ich bin ja für jeden Lernprozeß dankbar. Ich finde, das Positivste in der Politik ist überhaupt, wenn man sieht, daß sich Lernprozesse vollziehen. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte aber noch einen Satz zum Schluß sagen, einfach um deutlich zu machen, was eigentlich der Hintergrund dieser ganzen Diskussion ist. Ich möchte einen Satz des Leiters des Umweltbundesamtes zitieren. Angesichts einer Gefahr von 100000 Altstoffen, die wir in der Zwischenzeit haben, von denen viele völlig ungezielt, ohne daß wir es eigentlich wollen, ohne daß wir sie eigentlich brauchen, anfallen — das Seveso-Gift ist ein klassisches Beispiel dafür — muß man diesen Satz von Professor Lühr ernst nehmen, der sagt:
Wir wissen eigentlich überhaupt nichts über
die Wirkungsweisen, über die Synergismen,
über die Antagonismen von chemischen Stof-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985 12177
Müller (Düsseldorf)

fen, aber wir tun so, als ob wir wissen, und selbst das vergessen wir immer wieder.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das heißt, wir müssen zu einem anderen Verständnis kommen, und das gehört eben mit zur Krebsbekämpfung.
Die historische Aufgabe der Umweltpolitik bis zum Jahre 2000 wird es sein, die Medienbetrachtung, d. h. die Umweltbetrachtung vom Luft, Wasser, Boden, zu verbinden mit der stofflichen Betrachtung der Umwelt. Daran werden wir gemessen. Wir sollten deshalb versuchen, ohne in einen fragwürdigen Parteienstreit zu geraten — das gibt das Thema Krebs nicht her, darf es auch nicht hergeben —,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

diese Themen aufzugreifen, auch kritische Wissenschaftler sehr viel ernster zu nehmen und wirklich nicht bei Vor- und Nachsorge zu bleiben, sondern Ursachenbekämpfung zu betreiben.
Ich danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie des Abg. Kleinert [Hannover], [FDP])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016251100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1016251200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage und die Antwort darauf zeigen, daß wir uns in der Bundesrepublik außerordentlich intensiv mit Krebserkrankungen beschäftigen. Vor einigen Wochen haben wir die Behandlung von Krebserkrankungen bei Kindern diskutiert.
Wie immer, wenn eine bestimmte Krankheit sehr häufig auftritt, stellt sich die Frage nach dem Grund. Es stellt sich auch die Frage nach dem Verlauf. Die Gründe für das vermehrte Auftreten der Krebskrankheiten können wir heute nur vermuten. Zum einen wird angenommen, daß sich die höhere Lebenserwartung als einer der wesentlichen Gründe hierfür herausstellt. Wissenschaftler haben inzwischen fundierte Vermutungen geäußert, daß auch bestimmte Expositionen am Arbeitsplatz, aber auch in der Privatsphäre durchaus geeignet sind, diese Krankheit zu fördern. Wir können es uns jedenfalls nicht leisten, einem begründeten Verdacht auf Kanzerogenität bei irgendeinem Stoff nicht nachzugehen.

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

Die Belastungen der Privatsphäre einerseits durch Rauchen, andererseits durch Ernährung sind bereits verschiedentlich diskutiert worden. Bei der öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit wurde von namhaften Wissenschaftlern darauf hingewiesen, daß das sogenannte Passivrauchen einen erheblichen Risikofaktor für Nichtraucher darstellt. Ich begrüße es sehr, daß die Sensibilität der Raucher gegenüber den Nichtrauchern in den letzten Jahren gestiegen
ist. Ich begrüße ebensosehr, daß das Selbstbewußtsein der Nichtraucher gestiegen ist.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Ich wünsche mir jedoch ebensosehr, daß insbesondere von staatlichen Stellen mehr Anstrengungen unternommen werden, um Nichtraucher vor Passivrauchen zu schützen. In öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Behörden gibt es sicherlich noch weitere Möglichkeiten, Nichtraucher vor Tabakqualm zu bewahren.
Ich begrüße die Aussagen der Bundesregierung zu Krebsdiäten. Die außerordentliche Schwere der Krankheit, der oft schreckliche Verlauf und die psychische Belastung sowohl des Erkrankten als auch der Familienangehörigen und Freunde tragen dazu bei, daß sich alle Beteiligten oft an den berühmten letzten Strohhalm klammern. Dies wiederum gibt sogenannten Wunderheilern die Gelegenheit, viel Geld zu verdienen und mit der Not der Menschen ein übles Geschäft zu machen. Ich habe großes Verständnis für alle Menschen, die an dieser Krankheit leiden und sich bemühen, einen Ausweg zu finden. Selbstverständlich müssen hierbei auch unkonventionelle Wege begangen werden können. Dies darf jedoch nicht dazu führen, daß unter dem Mantel der Krebsbekämpfung Methoden und Medikamente am Menschen angewandt werden, die den Krankheitsverlauf möglicherweise noch verschlimmern. Ich weiß, wie schwierig die Abwägung bei allen Beteiligten — auch bei den Ärzten — oft ist. Auch hier kann man jedoch die Ärzteschaft nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

(Bueb [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Damit meine ich übrigens auch die Körperschaften und freien Verbände der Ärzte insgesamt. Ich würde mir wünschen, daß die Anstrengungen auf dem Gebiet der Fort- und Weiterbildung bei den einzelnen Ärzten noch intensiviert werden. Ich würde mir ebenso wünschen, daß die Fortbildungsangebote seitens der Verbände, seitens der Körperschaften, aber auch der pharmazeutischen Industrie ebenfalls zunehmen.
In diesem Zusammenhang sind die Bemühungen einiger Kassenärztlicher Vereinigungen — ich nenne hier beispielhaft die des Landes Niedersachsen — nur zu unterstützen. Mit onkologischen Arbeitskreisen, dem Erfahrungsaustausch unter Ärzten und einer engen Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken kann sichergestellt werden, daß vorhandenes Wissen weit gestreut wird und so dem Patienten zugute kommt.
Eine weitere Ursache von Krebserkrankungen wird im psychosozialen bzw. psychosomatischen Bereich vermutet. Die Forschungen hierzu müssen unbedingt verstärkt werden.
Meine Damen und Herren, das beste Mittel, um einer Krankheit zu entgehen, ist selbstverständlich, sie zu vermeiden oder einiges dafür zu tun. Offensichtlich können sowohl der Staat als auch der einzelne eine Menge hierfür tun. Der Staat bzw. die gesetzliche Krankenversicherung stellt mit ihrem



Frau Dr. Segall
Früherkennungsprogramm Mittel zur Verfügung, um Menschen über ihren Gesundheitsstand zu informieren bzw. Erkrankungen möglichst im Frühstadium zu erkennen. Die Kritik an den Früherkennungsuntersuchungen teile ich nicht. Ich halte es für außerordentlich wichtig, daß nicht nur die Zahl der Erkrankungen zurückgeht, sondern daß durch Früherkennungsmaßnahmen auch die Schwere der Erkrankung reduziert werden kann. Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Zustand sind in der Regel kaum oder nur noch mit erheblichen Nebenwirkungen zu bekämpfen. Die Prognose der Krankheit ist dann oft fatal. Im Frühstadium ergeben sich jedoch zunehmend Behandlungschancen, die es den Menschen ermöglichen, eine lange Zeit zu überleben. Ich bin daher der Auffassung, daß wir auf diese Früherkennungsuntersuchungen nicht verzichten sollten.
Als wesentliches Mittel zur Krebsbekämpfung, insbesondere bei der Epidemiologie, werden Krebsregister genannt. Ich hoffe sehr, daß die Bundesländer regionale Krebsregister schaffen, die auch den Anforderungen eines modernen Datenschutzes gerecht werden. Erste Ansätze von einigen Bundesländern hierzu sollten von anderen als Beispiel genommen werden.
Lassen Sie mich abschließend meinen Dank an all diejenigen sagen, die Krebskranke pflegen, aber auch an diejenigen, die sich mit der Erforschung von weiterem Wissen im Zusammenhang mit dieser Krankheit bemühen. Auch wenn die Antwort der Bundesregierung einen eindrucksvollen Überblick über eingeleitete und geplante Maßnahmen gibt, so dürfen wir uns dennoch nicht damit begnügen. Wir dürfen uns auch nicht damit begnügen, daß die gesetzliche Krankenversicherung heute bereits einen hohen Standard von Krebsbehandlung garantiert. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß in allen Bereichen alle Anstrengungen unternommmen werden, um dieser Krankheit auf die Spur zu kommen und sie erfolgreicher als bisher zu bekämpfen.
Der einzelne kann viele Risikofaktoren vermeiden. An erster Stelle möchte ich noch einmal das Rauchen nennen. Viele Institutionen, Krankenkassen und Ärzte können das ihre dazu beitragen, die Folgen der Krankheit zu erleichtern, die Behandlungsmethoden zu verbessern und durch Früherkennung dazu beizutragen, daß sie schnell und erfolgreich behandelt wird. Der Staat muß dazu beitragen, daß auch weiterhin Mittel zur Verfügung gestellt werden können, die die Rahmenbedingungen der Bekämpfung und der Vermeidung dieser Krankheit verbessern.
In diesem Sinne hoffe ich, daß wir uns bei der weiteren Diskussion dieses Bereichs über parteipolitische Grenzen hinweg besser als bisher verständigen können.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1016251300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich hörte, es gibt einen Antrag auf Überweisung,

(Widerspruch)

dann müßte dieser Antrag jetzt gestellt werden.

(Erneuter Widerspruch)

— Dann kommen wir also zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3951. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/3952 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch dieser Entschließungsantrag einstimmig angenommen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

— Ja, das ist schon eine bedeutende Sache! Ich hoffe, irgendein Journalist hat bemerkt, was hier im Deutschen Bundestag zehn Minuten vor neun passiert ist: daß es eine gemeinsame Annahme zweier von verschiedenen Fraktionen eingebrachter Anträge in einer Sache, die uns alle angeht, gegeben hat.

(Zustimmung)

Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Margarinegesetzes
— Drucksache 10/3159 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß)

— Drucksache 10/3658 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Wimmer (Neuötting)


(Erste Beratung 137. Sitzung)

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/3946 vor.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 und 2 mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Es ist enorm!)

Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3946 der erwähnte Änderungsantrag von CDU/



Vizepräsident Westphal
CSU, SPD und FDP vor. Es wird beantragt, Art. 3 zu streichen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen; die Vorschrift ist damit gestrichen.
Ich rufe die Art. 4 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, nach Annahme einer Änderung in zweiter Beratung darf sich nach § 84 Buchstabe b) unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwesenden Mitglieder dies beschließen. Ein Antrag, die dritte Beratung unmittelbar anzuschließen, ist fristgerecht gestellt worden. Sind Sie damit einverstanden, sofort in die dritte Beratung einzutreten? — Ich stelle fest, daß das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieses Gesetz bei einer Reihe von Stimmenthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Punkte 14 bis 16 der Tagesordnung auf:
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz)

— Drucksache 10/3852 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seerechtsforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung)

— Drucksache 10/3853 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen
— Drucksache 10/3553 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3852, 10/3853 und 10/3553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 99 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3895 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 103 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3939 —
Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer gleichen Anzahl von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Beratung. Die Tagesordnung ist abgewickelt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Oktober 1985, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.