Auf die Frage an Sie, Herr Bundesinnenminister, „Wenn Sie sich ohne Zögern fürs Zupacken entschlossen haben, dann sind doch diese Festnahmen ein persönlicher Erfolg von Ihnen" antworteten Sie, Herr Bundesinnenminister — hören Sie bitte gut zu, meine Damen und Herren von der Koalition —:
„Umgekehrt gesagt: Wenn die Aktion ein Fehlschlag geworden wäre, dann wäre ich politisch für den Fehlschlag verantwortlich gemacht worden."
Sie, Herr Innenminister, haben damals politische Verantwortung beschrieben, wie sie gesehen werden muß. Von alledem wollen Sie heute, drei Jahre danach, nichts mehr wissen.
Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hellenbroich, ist seines Amtes als Präsident des Bundesnachrichtendienstes enthoben worden, weil er bei einer Entscheidung erfolglos war. Dazu Originalton Friedrich Zimmermann im Bundestagsinnenausschuß am 2. September dieses Jahres:
Was Herrn Hellenbroich vorgeworfen wird, ist klar: Es ist ein Fehler in der Abwägung. Er mußte wissen, daß er die Verantwortung tragen muß, wenn sich diese Güterabwägung als falsch herausstellt.
Auf die Frage des Kollegen Olderog, ob dies vom Ergebnis abhängig sei, führte Zimmermann wörtlich aus:
Das hängt in diesem Fall vom Ergebnis ab. Das
ist natürlich nicht eine erfolgsunabhängige,
sondern eine erfolgsabhängige Maßnahme, die
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mit einer großen persönlichen Entscheidung verbunden ist.
Herr Bundesinnenminister Zimmermann, wir fragen Sie: Warum gilt diese Ihre Meßlatte nur für Beamte, aber nicht für Sie als den politisch verantwortlichen Minister? Ist das tatsächlich Ihr Verständnis von politischer Verantwortung, die Verantwortung nur für Erfolge zu beanspruchen, für die Mißerfolge aber die Beamten büßen zu lassen?
Herr Bundesinnenminister, wir müssen während Ihrer Amtszeit die größte Kette von Spionagefällen mit noch nicht absehbarem Schaden für die Bundesrepublik Deutschland erleben, und Sie, Herr Zimmermann, wollen uns und der Öffentlichkeit weismachen, damit hätten Sie nichts zu tun, dies alles entzöge sich Ihrer Verantwortung. Für wie dumm, Herr Zimmermann, wollen Sie die Offentlichkeit eigentlich noch verkaufen?
Dies alles, meine Damen und Herren, muß jetzt bis in alle Einzelheiten untersucht und aufgeklärt werden,
und zwar mit einem Höchstmaß an Öffentlichkeit. Dazu ist dieser Untersuchungsausschuß notwendig.
Wir wollen wissen, Herr Bundesinnenminister Zimmermann, warum Sie sich in diesen Spionagefällen, vor allem in den Fällen Tiedge und Willner, so seltsam gleichgültig und untätig verhalten haben. Was sind die tatsächlichen Gründe dafür, Herr Zimmermann? Ihre bisherigen Erklärungen vernebeln mehr, als sie zur Aufklärung des Tatbestandes beitragen. Was sind die Gründe für Ihr Verhalten? Gleichgültigkeit, gestörtes bzw. fehlendes Vertrauen zu dem von Ihnen berufenen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, mangelnder Fleiß, zuwenig Arbeit für den Bereich der inneren Sicherheit? Sie selbst haben sich gebrüstet, mehr als 80 % Ihrer Arbeit nur für den Bereich des Umweltschutzes zu verwenden. Lag es an Ihrer falschen Menschenführung? Lag Ihre seltsame Untätigkeit an der Selbstisolierung im Ministerium? War es eine falsche politische Einschätzung der Sicherheitslage, Herr Zimmermann?
Dazu noch einmal Originalton Friedrich Zimmermann:
Meine letzten Gespräche mit Herrn Hellenbroich unter vier Augen fanden am 13. Mai und am 28. Juni statt. Dabei erklärte ich dem Präsidenten, daß nach meiner Meinung zuwenig Erfolge bei der Spionageabwehr gegenüber Agenten
der DDR verzeichnet seien und woran das liege.
Dennoch, Herr Bundesinnenminister, blieben Sie schlichtweg untätig, als Herr Hellenbroich Sie am 28. Juni auf den schweren Verdacht gegen das Ehepaar Willner hinwies, Sie darauf hinwies, daß eine Sekretärin im Bundeskanzleramt unter Verdacht der nachrichtendienstlichen Tätigkeit für die DDR steht. Sie haben daraufhin nichts unternommen bzw. veranlaßt. Warum eigentlich, Herr Bundesinnenminister, welche Güterabwägung haben Sie vorgenommen? Sie blieben auch nach dem Verschwinden Tiedges in die DDR untätig, obwohl Sie wußten, Herr Zimmermann, daß Tiedge auch Kenntnis über den Verdacht der Sicherheitsbehörde gegen das Ehepaar Willner besaß. Dies alles, Herr Innenminister, und noch vielmehr offene, ungeklärte Fragen werden Sie dem Untersuchungsausschuß in aller Öffentlichkeit zu erklären haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu der nach dem G-10-Gesetz möglichen Telefonüberwachung machen. Wir Sozialdemokraten wollen keine Ausweitung der Telefonüberwachung. Ganz im Gegenteil, wir sind der Meinung, daß im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs in die Privatsphäre äußerste Zurückhaltung geboten ist.
Wo andere, weniger einschneidende Wege zur Aufklärung möglich sind oder auch die Tragweite des aufzuklärenden Sachverhalts nicht wichtig genug ist, ist eine Abhörmaßnahme nicht verantwortbar. Das ändert aber nichts daran, meine Damen und Herren, daß im Einzelfall von der gesetzlich vorgesehenen Abhörmöglichkeit auch Gebrauch gemacht werden muß. Wie auch immer: Die Verantwortung für oder gegen eine G-10-Maßnahme kann dem Minister niemand abnehmen. Er hat für seine Entscheidung oder Nicht-Entscheidung einzustehen, wie dies die Regierung auf dienstlicher Ebene von Herrn Hellenbroich eingefordert hat.
Der Bundesinnenminister und die CDU/CSU-Fraktion beklagen, der Untersuchungsausschuß — so Herr Zimmermann in dieser Woche in der „Quick" —, sei als „politisches Kampfmittel" gegen ihn gedacht, schade aber in Wirklichkeit der Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Dazu ist zu sagen: Es ist das legitime, verfassungsmäßige und vom Grundgesetz verbriefte Recht, ja, nachgerade die Pflicht der parlamentarischen Opposition, dafür zu sorgen, daß offenkundige Fehler, Nachlässigkeiten, Ungereimtheiten, Widersprüche und Halbwahrheiten der Regierung oder eines Ministers von diesem Parlament selbst aufgeklärt werden. Haben Sie vergessen oder verdrängt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie bei Fällen mit viel geringerem Schaden für die Sicherheitsinteressen unseres Landes selbst Unter-
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suchungsausschüsse durchgesetzt und das legitime Recht der parlamentarischen Opposition für sich beansprucht haben?
Der Untersuchungsausschuß soll die Amtsführung des Bundesinnenministers untersuchen, nicht die nachrichtendienstlichen, nicht die operativen Überlegungen und Praktiken des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das wissen Sie von der Koalition. Das geht aus unserem Untersuchungsauftrag eindeutig hervor.
Sie irren auch, Herr Bundesinnenminister, wenn Sie meinen, der Untersuchungsausschuß schade dem Verfassungsschutz. Das Gegenteil ist richtig. Er ist notwendig, um weiteren Schaden von ihm und der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, Schaden, der weitgehend in Ihrer Person und in Ihrer Amtsführung begründet ist.
Unter Ihrer Amtsführung, Herr Bundesinnenminister, ist das Bundesamt wie nie zuvor in schwere Wetter geraten. Was ist das für ein Minister, meine Damen und Herren,
der von den angeblich „fidelen Zuständen" — so Ihr Parteivorsitzender Franz Josef Strauß — im Kölner Amt keine Ahnung hat? Warum schweigen Sie auch zu dieser Behauptung Ihres Vorsitzenden, Herr Bundesinnenminister? Wenn die Behauptung von Franz Josef Strauß richtig ist, haben Sie sich zuwenig um das Amt gekümmert. Wenn sie falsch ist, wäre es Ihre Pflicht, sich vor Ihre Mitarbeiter im Bundesamt zu stellen. Beides unterlassen Sie.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat vor wenigen Wochen den Rücktritt von Bundesinnenminister Zimmermann gefordert,
weil er den Übertritt eines der wichtigsten Männer der Spionageabwehr in die DDR politisch zu verantworten hat. Die Entscheidung des Innenministers und auch des Bundeskanzlers, im Amt zu bleiben bzw. Sie nicht aus dem Amt zu entfernen, sind nicht Ausdruck politischer Stärke, sondern Eingeständnis politischer Schwäche. Es ist eben so, daß der Bundeskanzler diesen Innenminister — selbst wenn er es wollte — gar nicht mehr entlassen kann, weil sonst sein ganzes Kartenhauskabinett in sich zusammenfallen würde.
So versteckt man sich denn allenthalben hinter der Behauptung, der Bundesminister habe von allem nichts gewußt, sei nicht informiert und sei deshalb so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.
Meine Damen und Herren, in einem ähnlichen Fall hat der damalige CDU/CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann die süffisante Frage gestellt — ich zitiere —:
Jetzt muß man wirklich die Frage stellen: War der zuständige Minister vielleicht der einzige, der von dieser Sache nichts erfahren hat?
— Ja, Herr Zimmermann, heute müssen wir Sie fragen, ob Sie wirklich der einzige waren, der nichts erfahren hat, und wenn ja, warum Sie, Herr Bundesinnenminister, der einzige waren, dem man nichts gesagt hat.
Wir müssen im Untersuchungsausschuß der Frage nachgehen, ob es wirklich zutreffend ist, daß Sie, Herr Zimmermann, und Ihr Haus bis zum 21. August 1985 von dem Fall Tiedge keine Ahnung hatten. Diesem Ziel — und das heißt, Herr Zimmermann: Ihrer Amtsführung und Ihrer Person als dem für die innere Sicherheit politisch Verantwortlichen — gilt in den nächsten Monaten unsere Aufmerksamkeit. Wir wollen öffentlich die Art und Weise aufklären, wie Sie regieren bzw. es unterlassen.
Meine Damen und Herren, wenn es je eine Rechtfertigung für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß gegeben hat, dann sind es Ihre mangelhafte Amtsführung, Herr Bundesinnenminister, und die sich aus ihr offenkundig ableitende Gefährdung der Sicherheit unseres Staates.
Die Wahrheit muß ans Licht. Dafür ist der Untersuchungsausschuß zwingend geboten. Sie, Herr Bundesinnenminister — das ist inzwischen klar erkennbar, und Sie können es auch in Ihnen sonst nahestehenden Presseorganen nachlesen —, Sie, Herr Bundesinnenminister Zimmermann, sind zum Sicherheitsrisiko für unsere Republik geworden.
Der vermeintliche und selbsternannte Hohepriester der inneren Sicherheit, Dr. Friedrich Zimmermann, hat politisch längst abgedankt.
Alle wissen es,
nur Sie selbst nicht, Herr Zimmermann. Auch darin liegt eine gewisse Tragik für Sie.