Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich akzeptiere zunächst einmal nicht die Charakterisierung dieser Repressalienkapazität — nämlich „irrational" —, die das westliche Bündnis heute hat, auch noch gemessen an der Tatsache der einseitigen Vorleistungen, die heute morgen hier sehr eindrucksvoll dargestellt worden sind, und an dem, was etwa unsere Bündnispartner, die Vereinigten Staaten, jetzt wollen: eine notwendige Modernisierung dieser Kapazitäten, damit sie als Repressalie auch noch wirkungsvoll sein können.
Ich akzeptiere es nicht, dies als irrational zu charakterisieren; ganz im Gegenteil: Wenn ich gegenüber einem mir einseitig drohenden Potential die notwendigen Vorkehrungen treffe, dann ist das rational.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal die Frage erörtern: Wohin hat denn die Abrüstungsrhetorik der SPD der 70er Jahre geführt — etwa zu weniger Kernwaffen, die uns bedrohen, etwa zu weniger Divisionen, die uns aus dem Stand heraus angreifen könnten, etwa zu weniger Feuerkraft an Panzern, Artillerie, Flugzeugen des Warschauer Paktes, die gegen die schmale Halbinsel Westeuropa in Marsch gesetzt werden könnten? Nein, Herr Verheugen! Die SPD hat über Abrüstung geredet. Sie haben dabei allerdings falsche Nachgiebigkeit und damit Schwäche signalisiert, die Moskau rücksichtslos ausgenutzt hat. Geerntet haben Sie das genaue Gegenteil von Abrüstung und Rüstungskontrolle, nämlich den Versuch einer Abkoppelung der westeuropäischen Sicherheit von jener der Vereinigten Staaten von Amerika, eine völlig neue Waffenkategorie, die Westeuropa allein und bewußt allein flächendeckend bedrohen sollte, und zwar die atomaren Mittelstreckenwaffen, und Stillstand in Wien seit 1974. Die neuen, heute gelobten Ansätze für Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen hat es erst während unserer Regierungsverantwortung gegeben. Das gilt für die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa ebenso wie für die jetzigen Verhandlungen in Genf: die bilateralen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion zur Verminderung des Rüstungswettlaufs auf der Erde und zur Vermeidung eines Rüstungswettlaufs im Weltraum.
Woher, meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie eigentlich die Stirn, sich zum Gralshüter einer erfolgreichen Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik aufzuspielen? Am Ende Ihrer Abrüstungseuphorie stand der Doppelbeschluß. Dann hatten Sie nicht die Nerven und auch nicht den Charakter, ihn überhaupt auszuführen. Das mußten wir tun. Dadurch gab es westlicherseits, wie Sie wohl zugeben müssen, den einseitigen Abzug von tausend Atomwaffen. Das haben Christdemokraten getan. Zusätzlich haben wir im Bündnis den Montebello-Beschluß durchgesetzt: noch einmal 1 400 Atomwaffen weniger.
— Sprengköpfe! Das haben Christdemokraten getan.
Heute wird in Genf wieder über weniger Waffen bei gesamtstrategischer Stabilität verhandelt. Das
12098 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 162. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Oktober 1985
Berger
ist ein großer Erfolg westlicher Festigkeit, nämlich der Regierung Reagan in den Vereinigten Staaten, der Regierung Kohl in der Bundesrepublik Deutschland, auf die alle europäischen Mitgliedstaaten der NATO schauen, bevor sie, wie jetzt etwa die Niederlande, ihrerseits die Folgen des Doppelbeschlusses auf sich zu nehmen bereit sind.
Das sind durchweg christdemokratische und konservative Regierungen. Ich sage noch einmal: Wer Abrüstung will, der muß sich der Konservativen bedienen.
Ihr Mißerfolg bei den Rüstungskontrollbemühungen ist letztlich darauf zurückzuführen, daß Sie die Voraussetzungen, die Ziele und die möglichen Wege der Rüstungskontrolle nicht richtig eingeschätzt haben und offensichtlich auch noch nicht einzuschätzen vermögen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Rüstungskontrolle ist die Verteidigungsfähigkeit und die Sicherheit aller an diesem Prozeß beteiligten Staaten. Das Ziel von Rüstungskontrolle ist mehr Sicherheit durch strategische Stabilität mit weniger Waffen und nicht etwa, wie es die Folge von einseitigen Vorleistungen normalerweise sein müßte, zumindest aber sein könnte, weniger Sicherheit.