Rede von
Hans-Christian
Ströbele
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Hirsch, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen: Für uns ist das Problem dieser Verfassungsschutz, und dieses Problem läßt sich im Innenausschuß allein aus vielen Gründen nicht erledigen. Ich will Ihnen zwei Gründe davon jetzt einmal nennen.
Der eine Grund ist, daß das, womit wir uns im Innenausschuß derzeit beschäftigen, die Jahre betrifft, in denen Herr Baum und nicht Herr Zimmermann Innenminister gewesen ist. Das heißt: Alles das, was wir da haben, ist viele Jahre alt und genauso interessant wie das, was sich auf diesem Gebiet heute ereignet. Das ist der eine Grund.
Der zweite Grund ist, daß wir im Untersuchungsausschuß die Möglichkeit haben, bestimmte Leute, die wir im Ausschuß haben wollen, im Ausschuß auch auf Antrag zu hören, gegenüberzustellen und mit den Fragen und Antworten der anderen zu konfrontieren. Diese Möglichkeit haben wir im Innenausschuß leider nicht.
Für uns ist das Problem der Verfassungsschutz, die Frage: Was macht dieser Verfassungsschutz eigentlich? Im Jahre 1970 hatte ich meinen ersten Kontakt mit dem Verfassungsschutz. Da kam ein Regierungsrat Urbach zu mir in die Anwaltspraxis und bot mir einen geklauten Badewassererhitzer an, nachdem er vorher, wie wir später erfahren haben, der RAF versprochen, zugesagt hatte, Waffen zu besorgen. Wir lesen in der Zeitung fast jeden Tag von Verfassungsschutzagenten, die in Krefeld eingesetzt gewesen sind und sich dort an Gewalttätigkeiten beteiligt haben. Wir lesen von Anwerbungen von Studenten, die mit BAföG nicht auskommen und sich unter diesem Druck bereit erklären, für den Verfassungsschutz zu arbeiten. Das alles ist für uns Grund, uns mit diesem Verfassungsschutz näher zu beschäftigen. Wir kriegen ja jedes Jahr einen Bericht über die Arbeit des Verfassungsschutzes. Wer darin blättert, meint, die Bundesrepublik sei ein Horrorgemälde.
Nach diesem Bericht muß man den Eindruck haben, daß dann, wenn fünf oder sechs Leute zusammensitzen und sich über die Bedeutung Lenins in der heutigen Zeit oder über den Marxismus-Leninismus unterhalten, diese bereits Objekte des Verfassungsschutzes geworden sind.
Für uns ist nicht das entscheidend, was Ministerpräsident Strauß in Leipzig bei Herrn Honecker erklärt hat, daß nämlich dieser Verfassungsschutz zu 90% Unnützes und Unbrauchbares produziere. Für uns ist auch nicht entscheidend, daß dieser Verfassungsschutz uns jedes Jahr mehr als 200 Millionen DM kostet — auch im Jahre 1986 soll er wieder so viel kosten —, für uns ist entscheidend, in welcher Weise dieser Verfassungsschutz die Sicherheitsinteressen der einzelnen Bürger gefährdet und verletzt.
Dazu hatten wir im „Spiegel" vom Juni dieses Jahres sehr ausführlich zu lesen. Da waren Praktiken aufgezeigt, wie der Verfassungsschutz in Lauschangriffen vorgeht gegen Bürgerinitiativen, gegen Solidaritätskomitees für Chile, für Lateinamerika, für Eritrea, für Palästina. Nicht nur solche Komitees waren Objekte des Verfassungsschutzes, sondern auch Gewerkschaften, die Partei DIE GRÜNEN, j a sogar Teile der SPD. Uns wundert es, daß die SPD hier keine Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Wir wollen aufklären, in welcher Weise der Verfassungsschutz heute noch in diesen Bereichen Bürger bespitzelt, überwacht, die Daten sammelt und die Daten weitergibt. Wir wollen mit einem solchen Untersuchungsausschuß einen Beitrag leisten, einen ersten Schritt zur Abschaffung dieses Geheimdienstes.
Danke sehr.