Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt
- Drucksache 7/4753
- Widerspruch ist nicht erfolgt. Damit ist es so beschlossen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich die Ehre, den Präsidenten der Verfassunggebenden Versammlung der Republik Portugal, Herrn Professor de Barros, und eine Delegation der Verfassunggebenden Versammlung herzlich willkommen zu heißen.
Wir begrüßen die Gäste aus dem befreundeten und verbündeten Portugal um so herzlicher, als sie am Beginn einer neuen demokratischen Entwicklung ihres Landes wichtige Aufgaben vor sich haben, zu deren Bewältigung wir ihnen allen nur Glück wünschen können.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975
— Drucksache 7/4310 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/4733 —Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/4731 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schmidt
Zur Ergänzung des Schriftlichen Berichts hat der Berichterstatter, der Abgeordnete Schmidt , das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt auf Drucksache 7/4731 der Schriftliche Bericht mit dem Antrag des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 und zu der von der Bundesregierung vorgelegten Unterrichtung über die Vereinbarung mit der Volksrepublik Polen, die am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichnet wurden, vor.Wenn ich mir als Berichterstatter einige Ergänzungen erlaube, so deshalb, weil ich glaube, daß es auch zur Verantwortung des Berichterstatters gehört, die allgemeine Diskussion in der Öffentlichkeit zu diesem Thema während der Beratungen in den zuständigen Ausschüssen zu beobachten und gegebenenfalls als Ihnen verantwortlicher Berichterstatter auf der Grundlage des Berichts, auf der Grundlage der Beratungen des federführenden Ausschusses und der mitberatenden Ausschüsse für Recht und Auswärtiges — beide Voten sind dem Bericht angegliedert worden —, noch einmal einige Schwerpunkte der vorliegenden Gesetzesmaterie aufzuzeigen, um klarzumachen, daß manches — und ich glaube, Sie alle geben mir recht —, was in den Beratungen sachlich vertieft ausdiskutiert wurde, in der Öffentlichkeit nicht immer mit dem der Materie angemessenen Ernst und nicht immer auf Grund sachlicher Prüfung diskutiert wurde. Als Berichterstatter trage ich auch Verantwortung dafür, daß nicht der Eindruck entsteht, als seien die Beratungen im Ausschuß ähnlich verlaufen wie die Diskussion in der Öffentlichkeit und als beruhe die Beurteilung der Fakten und Tatbestände durch die Mitglieder der Ausschüsse auf einer ähnlich verzerrten Darstellung wie die Diskussion in der Öffentlichkeit. Es ist keine Frage — Sie alle haben das beobachtet, und alle Kolleginnen und Kollegen der beratenden Ausschüsse werden mir das bestäti-
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gen —, daß in der Öffentlichkeit über die vorliegenden Vereinbarungen ein völlig anderer Eindruck entstanden ist, als er den Tatsachen entspricht. Es tauchten Verzerrungen, Entstellungen und oftmals auch Unklarheiten auf, welche von gewissen Kreisen auch noch gefördert wurden, was dem Ernst der Lage und der Verantwortung, die dieses Hohe Haus für diese Vereinbarungen hat, nicht entspricht.Meine Damen und Herren, ich möchte hier zunächst einmal eindeutig und klar feststellen, daß die aufgeworfenen Fragen in den Ausschüssen auf das sorgfältigste und — insofern von der öffentlichen Diskussion abweichend — in sehr sachlicher Art unter den humanitären, moralischen und rechtlichen Aspekten ausdiskutiert und bis in die Tiefen der Probleme ausgelotet worden sind. Ich möchte auch ausdrücklich feststellen, daß in den Ausschüssen von allen Seiten, von allen Beteiligten der Ernst des Problems und die Verantwortung gesehen wurden, jene Verantwortung, in der wir heute unseren Mitbürgern gegenüber, den Bürgern in der Volksrepublik Polen gegenüber und der Welt gegenüber stehen. Die Beratungen im Ausschuß waren positiv beeinflußt und konnten mit einem Mehrheitsvotum abgeschlossen werden, weil sich die Bundesregierung in beispielhafter Weise immer wieder bemüht hat, noch offene Fragen — auf einzelne komme ich noch zu sprechen — durch Berichterstattungen und zusätzliche Klärungen zu beantworten. Als Berichterstatter möchte ich der Bundesregierung hierfür ausdrücklich ganz besonderen Dank sagen.
Leider aber war es nicht so — das habe ich schon eingangs erwähnt —, daß diese Sachlichkeit der Diskussion und diese Klärung der Fakten auch in der Öffentlichkeit so deutlich wurden. In der Öffentlichkeit mußte ein ganz anderer Eindruck entstehen. Es ist notwendig, angesichts der Verantwortung, die wir tragen, vor diesem Hohen Hause und vor der Öffentlichkeit noch einmal auf eine Reihe von Schwerpunkten einzugehen. Als Berichterstatter fühle ich mich dazu jedenfalls verpflichtet.Ich gehe davon aus — ich glaube, dies für das gesamte Hohe Haus sagen zu dürfen —, daß der vorliegende Gesetzentwurf zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 von der allen Fraktionen im Deutschen Bundestag gemeinsamen Zielsetzung, eine dauerhafte und positive Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses zu fördern, getragen sind und daß sie ebenso den Menschen in beiden Staaten wie der Zusammenarbeit und dem Frieden in Europa und der Welt dienen sollen. Der Gesetzentwurf steht in engstem Zusammenhang mit dem Finanzkreditabkommen und dem Ausreiseprotokoll, die gleichfalls am 9. Oktober 1975 unterzeichnet wurden. Alle Vereinbarungen sind daher nach Auffassung der Ausschußmehrheit und, wie ich glaube, wohl auch aller Fraktionen des Hauses als eine Einheit zu sehen.Dennoch wurde in der Diskussion — insbesondere in der Öffentlichkeit — immer wieder auf Einzelfragen Bezug genommen und auf diesem Wege versucht, die Gesamtproblematik aufzugliedern und die Gesamtverantwortung abzubauen. Lassen Sie mich deshalb im Rahmen der Berichterstattung über die Ausschußberatungen zu einigen der aufgeworfenen Fragen hier noch Klarstellungen geben.Die erste Frage, die auftauchte, war die, inwieweit diese Vereinbarungen überhaupt völkerrechtlich verbindlich seien, inwieweit diese Vereinbarungen vor dem Abschluß eines Friedensvertrages als ein Akt rechtlicher gemeinsamer Leistung für die Zukunft betrachtet werden könnten. Die Ausschußmehrheit war auf Grund der ausführlichen Berichterstattung der Bundesregierung über die Verhandlungen der Meinung — und das Völkerrecht gibt uns eindeutig recht —, daß es keinen Zweifel daran geben kann, daß diese Vereinbarungen als völkerrechtlich relevant und für die Zukunft bindend angesehen werden müssen. Das Völkerrecht gibt auf alle diese Fragen eine eindeutige Antwort. Es gibt nun einmal keine bestimmten Formen für völkerrechtliche Verbindlichkeiten. Entscheidend bleibt der durch Bevollmächtigte einzelner Staaten zum Ausdruck gebrachte und erklärte Bindungswille, wie er beispielsweise im Ausreiseprotokoll von beiden Außenministern der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen durch Unterzeichnung dargelegt worden ist. Alle Zweifel widersprächen allen Grundsätzen zwischenstaatlicher Beziehungen, alle Zweifel würden weltpolitische Probleme aufwerfen, die wir alle nicht wollen können. Darüber hinaus war eindeutig klar, daß die zu regelnden sozialpolitischen und damit humanitären Fragen in keiner Weise mit einem noch nicht vorhandenen Friedensvertrag oder anderen Dingen in Verbindung gebracht werden können.Die zweite Frage war: Warum ein Abkommen zu dieser Zeit, heute? Nun, meine Damen und Herren, seit 1945 sind die sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen den Bewohnern Polens und der Bundesrepublik völlig ungeregelt. Seit 1945 ist es nur möglich, in insgesamt 1 700 Fällen Renten in das Gebiet des ehemaligen Polens zu zahlen, keine einzige Rente in frühere deutsche Gebiete. Innerstaatliche Regelungen, wie sie in anderen Fällen möglich sind, erwiesen sich schon in der Vergangenheit und auch jetzt bei den Beratungen als so schwierig, daß sie zu keinen Ergebnissen führen konnten bzw. können. Die Unterschiede der sozialen Systeme zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen machen es nun einmal nicht möglich, den Menschen mit individuellen Abkommen zu helfen. Die Verschiedenartigkeit der Lebensverhältnisse ist derart, daß keine anderen Regelungen getroffen werden können. Auf Grund der unterschiedlichen Situationen wäre es in keinem Falle möglich, auf die Auszahlung von individuellen Renten an die Betroffenen echt Einfluß nehmen zu können. Darüber hinaus war auch klar, daß es die polnische Regierung nicht für gut halten konnte — das hat sie uns ja auch wissen lassen —, daß unterschiedliche Rentenzahlungen in ihrem Land möglich sind. Die innerstaatlichen, innenpolitischen Probleme, die damit verbunden wären, werden Sie verstehen.
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Das war mit der Grund — damit komme ich zur dritten Frage —, warum es notwendig und richtig war, das hier gewählte Eingliederungsprinzip statt eines Leistungsexportprinzips zu wählen; ein Eingliederungsprinzip, das davon ausgeht, daß Rentenzahlungen nach den gesetzlichen Vorschriften des Wohnlandes unter Berücksichtigung der Versicherungszeiten im anderen Land geleistet werden. Wesentlicher Grund für die Wahl dieses Eingliederungsprinzips war darüber hinaus die Tatsache, daß das Leistungsexportprinzip — einem Prinzip der Zahlung der Renten aus dem einen in das andere Land — auf Grund der Zeitsituation — 1945 bis 1975 —, der kaum lösbaren gegenstaatlichen Nachweispflichten für solche Zeiten sowie der damit verbundenen Notwendigkeit, in der Vergangenheit um und nach 1945 noch einmal nach Nachweisen zu suchen, zu erheblichen, von uns allen wohl nicht gewünschten Schwierigkeiten geführt hätte. Dabei sei nicht vergessen, daß das Eingliederungsprinzip auch unserem Fremdrentengesetz entspricht, das wir bereits in den 50er Jahren praktiziert haben und durch das alle Vertriebenen, alle, die aus den ehemals deutschen Gebieten und aus Polen als Vertriebene in die Bundesrepublik gekommen sind, in die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen der Bundesrepublik eingegliedert worden sind.Es sei auch nicht vergessen, daß es nicht etwa eine erste Praxis ist, in einem Abkommen mit einem anderen Staat das Eingliederungsprinzip zu nehmen, sondern dieses Hohe Haus hat bereits 1951 in einer ähnlichen Situation in einem Abkommen mit Holland das Eingliederungsprinzip zur Grundlage genommen, 1956 in einem Abkommen mit Jugoslawien, 1959 in einem Abkommen mit Luxemburg, 1961 in einem Abkommen mit Österreich, und die Verabschiedung eines solchen Abkommens mit Italien wegen bestimmter Rentenversicherungsprobleme in Südtirol steht vor dem Abschluß.Es sei weiter darauf hingewiesen, daß die Wahl eines anderen, also des Leistungsexportprinzips den in Polen verbleibenden Deutschen zwar deutsche Renten, den Aussiedlern in die Bundesrepublik aber dafür polnische Renten beschert hätte, mit all den Problemen, die dann auch wieder im Zusammenhang mit Aussiedlung usw. gekommen wären. Klar ist — und das sagt das Abkommen eindeutig —, daß für alle bis zum Inkrafttreten bereits bestehenden Besitzstände ein Schutz und eine Weitergeltung in dem Abkommen vorgesehen sind.Die vierte Frage, die insbesondere im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eine Rolle spielte und bei der in der Öffentlichkeit vielleicht auch manchmal die Fakten nicht gesehen wurden war die: Was bringt nun dieses Gesetz, das auch mit Zahlengrößen verbunden ist, für die Betroffenen? Was bringt es an Rentenleistungen einmal für diejenigen, die aus den polnischen Gebieten bereits in der Bundesrepublik sind oder die als Aussiedler noch dort hinkommen? Was bringt es für die in Polen verbleibenden Deutschen?Zunächst für die in der Bundesrepublik bereits befindlichen oder die noch kommenden Aussiedler:Die Praxis des Fremdrentengesetzes wird in Zukunft auch für alle die gelten — und damit all die Ansprüche, die damit verbunden sind —, die nicht den Vertriebenenstatus haben, die aber aus den ehemals deutschen Gebieten und aus Polen in die Bundesrepublik gekommen sind. Darüber hinaus wird jeder Aussiedler — wir können ja erfreulicherweise bei der Verabschiedung durch das Hohe Haus zunächst in den nächsten vier Jahren mit 125 000 rechnen — eine Rente nach deutschem Recht bekommen, unter Anrechnung all der Zeiten, die er in Polen versicherungsrechtlich tätig war; im anderen Fall — das darf ich noch einmal sagen — würden diese Aussiedler nach polnischem Recht Renten mit anderem Niveau bekommen.Für die Deutschen, die in Polen verbleiben, ergibt sich eine völlig andere, bessere Rechtsposition. Es erfolgt die volle Eingliederung in das Renten- und Unfallversicherungsrecht nach dem polnischen System. Das bedeutet Rechtssicherheit für alle diejenigen, die in Polen eine Rente zu beanspruchen haben. Alle von diesen einmal in der Bundesrepublik oder früher im Rahmen der Reichsversicherungsordnung zurückgelegten Zeiten und geleisteten Beiträge werden angerechnet. In Zukunft werden Familienangehörige — da in Polen im Rahmen der Rentenleistungen auch Familienangehörige mit berücksichtigt werden — von in Polen lebenden Deutschen, die in der Bundesrepublik leben, bei der Berechnung der Rente mit in Ansatz gebracht. Darüber hinaus werden — so darf ich noch einmal verdeutlichen — alle Rentenanwartschaften aus dem deutschen Versicherungsrecht, sei es vor 1945, sei es nach 1945, voll in die polnische Anrechnung übernommen, und sie wirken damit rentensteigernd. Es kommt also durch dieses Gesetz und die damit verbundenen Abkommen für alle Deutschen in Polen im Rentenrecht zu einer vollen Gleichstellung mit polnischen Staatsbürgern. Leistungsansprüche entstehen, wo vorher zum Teil nur Fürsorgeleistungen — rentenrechtlich — in Polen gewährt worden sind.Die nächste Frage, die sehr heftig in der Diskussion stand, vor allem auch in der Öffentlichkeit, war die Frage: Wieso eine Pauschale von 1,3 Milliarden DM? Wieso in dieser Höhe? Woher kommt diese Zahl? Es ist wohl notwendig, dazu einige Fakten sozusagen der gegenseitigen Aufrechnung klarzulegen. Zunächst: Auf dem Konto der Bundesrepublik, wenn ich das einmal so sagen darf, stehen folgende Zahlen: Erstens. In Polen leben zur Zeit 100 000 bis 180 000 Deutsche, die bis 1945 Beiträge in die deutsche Rentenversicherung gezahlt haben, also Anwartschaften haben. Zweitens. In Polen leben — die Zahl ist nicht ganz gesichert — nach Schätzungen 4,7 Millionen, die von 1940 bis 1945 im Rahmen des deutschen Reichsversicherungsrechts im Durchschnitt fünf Jahre Beitrag gezahlt haben, Anwartschaften haben — bei einem durchschnittlichen Entgelt von damals 600 RM. Sie wissen alle, welchen Personenkreis ich damit anspreche. Drittens. Weiter leben in Polen nach Schätzungen 4,7 Millionen, die vor 1940 in Polen versichert waren und 1940 im Rahmen der damaligen Zeitläufe in die Reichsversicherungsordnung eingegliedert wurden. Viertens. Darüber hinaus gibt es 2,9 Millionen Polen,
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die bis 1945 — unabhängig von Krieg und anderen Dingen — in Deutschland gearbeitet haben — ich erinnere nur an den Ruhrbergbau und andere Bereiche — und später nach Polen zurückgegangen sind, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Es handelt sich also insgesamt um eine Großzahl von Menschen, die auf Grund gewisser Zeiten in irgendeiner Form Ansprüche oder zumindest Anwartschaften an das deutsche Rentenrecht haben, Menschen, die einen Anspruch an uns haben, ihnen Leistungen zu gewähren.Auf der Gegenseite — oder, besser gesagt: auf der Gegenrechnung — haben wir, wenn also die Polen nach Deutschland Renten zahlen würden, 460 000 Aussiedler aus den Jahren 1950 bis 1975, die ab 1945 Beitragszahler in Polen waren und damit an sich Ansprüche von hier an die polnische Sozialversicherung hätten. Darüber hinaus gibt es eine nicht bekannte Zahl von Polen und Staatenlosen in der Bundesrepublik, die nach 1945 hiergeblieben sind, aber aus der Vergangenheit auch Ansprüche an die polnische Sozialversicherung haben.Dies alles und die damit verbundenen notwendigen Berechnungen führten nach langen Verhandlungen zu dem Ergebnis einer Pauschale von 1,3 Milliarden DM zur Ableistung des Überhangs, der sich aus der großen Zahl der Anspruchsberechtigten in Polen ergibt. Dabei möchte ich hier gleich noch einmal feststellen, daß bei dieser Berechnung auch gesehen wurde, daß nicht wir allein, sondern auch die DDR versicherungsrechtliche Verantwortung trägt. Die Zahlen wurden nach dem Verhältnis 78 : 22 — 78 % Bundesrepublik, 22 % Anteil der DDR, zu dem wir nichts sagen können — errechnet. Dies nur, damit auch diese Dinge hier klar sind.Aus all dem wurde die Größenordnung der Pauschale von 1,3 Milliarden DM errechnet, 1,3 Milliarden DM, die insgesamt 0,3 % — ich sage das hier, weil die Diskussion auch über die Belastung der Rentenversicherung geht — der Rentenausgaben von 1976 bis 1978 in Höhe von rund 400 Milliarden DM in der Bundesrepublik ausmachen. Dies nur, damit man einmal die Größenordnung sieht! Es ist ziemlich sicher, daß dann, wenn dieses Abkommen in dieser Form, mit dieser Pauschale nicht geschlossen würde, in absehbarer Zeit wesentlich höhere Leistungen
auf uns zukämen, höhere Leistungen, über deren Größenordnung ich hier gar nichts sagen möchte, weil man das wirklich nicht genau sagen kann. Aber daß sie höher als 1,3 Milliarden DM sein würden, kann man hier mit Sicherheit sagen. Das ist auch in den Ausschußberatungen deutlich geworden.
— Herr Kollege Jenninger, ich möchte noch einmal feststellen, daß ich mich eingangs verpflichtet fühlte zu sagen, daß sich ein Berichterstatter dann nicht nur auf den Bericht beschränken kann, wenn die Tatsachen in der Öffentlichkeit völlig anders dargestellt werden, als sie von uns allen in den Ausschüssen sachlich beraten worden sind.
Insoweit habe ich dort, wo eben die Dinge in der Öffentlichkeit verzerrt wurden, das hier noch einmal vorgetragen, was Ergebnis der Ausschußberatungen war und zu dem man unterschiedlich in der Wertung sein kann. Auch die Minderheitenvoten sind, wenn Sie den Bericht sehen, ganz eindeutigdargelegt.
— Wir können dann ja darüber diskutieren. Aber als Berichterstatter darf ich eigentlich nicht auf Zwischenrufe antworten, wenn ich die Geschäftsordnung richtig im Kopf habe.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch zu zwei weiteren Dingen kommen, bevor ich meinen Bericht abschließe. Es ist weiterhin in der Öffentlichkeit offengeblieben, ob mit diesem Rentenabkommen, mit dieser Pauschale, auch weitere Forderungen ausgeschlossen sind. Ich möchte hier auf Grund der Beratungen in den Ausschüssen, auf Grund der Berichte der Bundesregierung und auf Grund der Erkenntnis der Mehrheit der beratenden Ausschüsse feststellen, daß mit der heutigen Verabschiedung dieses Gesetzes und der damit verbundenen Vereinbarungen alle weiteren Forderungen aus der Vergangenheit gegenseitig erlöschen, daß damit also die gegenseitige Anerkennung der Ansprüche geklärt ist und in Zukunft rentenrechtlich nach den einzelnen Systemen der beiden Staaten gearbeitet wird.Es ist weiterhin in der Öffentlichkeit immer wieder dargestellt worden, daß die mit dem Gesetz und den Vereinbarungen verbundene Ausreise, im Ausreiseprotokoll niedergelegt, von 120 000 bis 125 000 Deutschen aus Polen in die Bundesrepublik in den nächsten vier Jahren sozusagen ein Abschluß wäre. Meine Damen und Herren, ich stelle fest — es war erfreulicherweise die einstimmige Feststellung aller Ausschüsse —, daß — das können Sie auch im Bericht nachlesen — die Information der Regierung der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970 weiter gilt, daß es sich hier nur um die nächsten vier Jahre und die damit gesicherten 125 000 Ausreisen handelt, aber nicht etwa um einen Schluß. Das Ausreiseprotokoll enthält keine Schlußregelung, sondern lediglich — ich glaube, das ist eine sehr positive Tatsache — 125 000 Ausreisende in den nächsten vier Jahren.Ein Wort — auch dazu fühle ich mich als Berichterstatter verpflichtet — zu den Minderheitenvoten in den einzelnen Ausschüssen. In jedem Ausschuß gab es eine Minderheit, die glaubte, nach den Auskünften und nach den Beratungsergebnissen noch nicht zustimmen zu können. Als Berichterstatter und Vertreter der Mehrheitsbeschlüsse der Ausschüsse, die ja, meine Damen und Herren, von Vertretern der SPD, der CDU/CSU und der FDP gefaßt wurden, muß ich feststellen, daß die Minder-Schmidt
heften zwar kritische Betrachtungen brachten, aber keine Alternativen angeboten haben. Wir haben von keinem anderen Weg gehört, wie auf andere Art den Betroffenen geholfen werden kann
und wie die Ausreise von 120 000 bis 125 000 auf andere Art und Weise erreicht werden kann.Abschließend — —
— Meine sehr verehrten Herren Kollegen, ich habe die Verpflichtung, nicht nur für den Sozialausschuß. sondern auch für die mitberatenden Ausschüsse zu berichten.
Meine Damen und Herren. lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal feststellen: Die Mehrheit des federführenden Ausschusses und der mitberatenden Ausschüsse, die sich aus Kollegen dieses Hohen Hauses aus allen drei Fraktionen zusammensetzte, stellte abschließend noch einmal fest — ich darf dies wiederholen —, daß es einen unlösbaren rechtlichen und politischen Zusammenhang zwischen dem Rentenabkommen und den anderen Teilen des Vertragswerkes, insbesondere auch dem Ausreiseprotokoll, gibt und daß eine Nichtzustimmung zum Rentenabkommen auch heißen würde, die Ausreise von Deutschen aus Polen auf unabsehbare Zeit zu blockieren.Deshalb, meine Damen und Herren, glaube ich, daß wir alle im Bewußtsein unserer Verantwortung bei der Entscheidung über das Schicksal dieser Vereinbarungen nicht innen- oder parteipolitische Gesichtspunkte maßgebend sein lassen dürfen. Es geht hier, meine Damen und Herren — so die Meinung der Ausschußmehrheit —, um Fragen von großer außenpolitischer Bedeutung über die menschlichen Probleme hinaus. Die Frage, wie wir unser Verhältnis zu Polen gestalten, ist in ihrer Bedeutung mit der Regelung unserer Beziehungen zu Frankreich in den 50er Jahren zu vergleichen und als deren Ergänzung anzusehen. Eine dauerhafte deutsch-polnische Verständigung liegt nicht nur im Interesse der beiden Länder selbst, sondern stellt auch einen deutschpolnischen Beitrag zur Sicherung des Friedens und zur Förderung der Zusammenarbeit in Europa dar. Ein Scheitern der Vereinbarung würde dem einzelnen Betroffenen vom Menschlichen und Humanitären her in Sachen der Renten, vor allem aber auch den Deutschen, die jahrelang auf die Ausreise gehofft haben, schwere Enttäuschung bereiten und Schaden zufügen. Es würde aber auch, meine Damen und Herren, einen Rückschlag für diejenigen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland und in Polen bedeuten, die sich allen Schwierigkeiten zum Trotz ausdauernd um eine Versöhnung bemühen.Unter diesen Aspekten, meine Damen und Herren, darf ich Sie namens der Mehrheit aus allen Fraktionen in den drei beratenden Ausschüssen um Zustimmung zum Gesetz bitten.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Debatte eröffne, hat das Wort zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe einige ergänzende Bemerkungen zum Bericht des Kollegen Schmidt im Rahmen von § 34 der Geschäftsordnung zu machen.Auf Seite 4 müssen unter der Ziffer 2 a folgende Berichtigungen angebracht werden:Im Verlaufe der Ausschußberatungen wurde von Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dargelegt, daß ein Abkommen mit der Volksrepublik Polen nicht notwendig gewesen wäre, um Verbesserungen für denjenigen Personenkreis zu erreichen, der zukünftig in die Bundesrepublik Deutschland kommen wird. Eine Besserstellung wäre hier durch eine Änderung des Fremdrentengesetzes ebenfalls zu erreichen gewesen.Auf Seite 5 bedarf der schriftliche Bericht unter dem Buchstaben d nach dem zweiten Absatz ebenfalls einer Ergänzung:Die Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertraten die Ansicht, daß die Regelung der Besserstellung für denjenigen Personenkreis, der zukünftig in die Bundesrepublik kommen wird, nicht durch den Abschluß eines Sozialversicherungsabkommens notwendig gewesen wäre, sondern eine Besserstellung für diesen Personenkreis auch durch Änderung des Fremdrentengesetzes hätte erreicht werden können.Auf Seite 5, rechte Spalte nach dem ersten Absatz, ist zur Klarstellung folgendes auszuführen:Die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hielten es nicht für vertretbar, die in Polen verbliebenen deutschen Versicherten auf das im Niveau niedrige polnische Sozialversicherungsrecht zu verweisen.
Ferner sei ungeklärt, wie groß der Personenkreis sei, der zukünftig statt einer fürsorgeähnlichen Leistung einen Rechtsanspruch auf Pflichtleistung erhalte und ob diese Pflichtleistung höher als die fürsorgeähnlichen Leistungen sei.
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Franke
Auf Seite 6, rechte Spalte, ist nach dem zweiten Absatz folgendes anzuführen:Die CDU/CSU-Fraktion war ferner der Meinung, daß durch den Abschluß des Sozialversicherungsabkommens eine Rentensteigerung nicht herbeigeführt wird, da Beschäftigungszeiten nur für die Berechnung und Erfüllung der Wartezeit in Betracht kommen und eine Rentensteigerung nur dann erzielt werden kann, wenn nach 1945 20 bzw. 25 versicherungspflichtige Jahre in der polnischen Rentenversicherung nachgewiesen werden. Der in Betracht kommende Personenkreis wird aber in der Mehrzahl der Fälle diese Voraussetzung nicht erfüllen können.Eine Schlußbemerkung noch zu dem ergänzenden Bericht des Kollegen Schmidt: Ich glaube, hier ging die Berichterstattung weit über die Möglichkeiten des § 74 der Geschäftsordnung hinaus. Der Kollege Schmidt hat hier eine Rede gehalten, nicht einen schriftlichen Bericht ergänzt.Ich bedanke mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie mich angehört haben.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Sund.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Ihnen vorliegende Bericht gibt korrekt und in der für die Berichtspraxis des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung üblichen Form die Verhandlungen und Beschlüsse des Ausschusses wieder.
Den Wünschen der mitberatenden Ausschüsse nach Aufnahme ihrer Stellungnahmen in den Bericht ist korrekt Rechnung getragen worden. Kleinliche Beanstandungen können auch hier die in den Ausschußberatungen fehlenden Argumente nicht ersetzen.
Würden wir Korrekturen wie die hier gewünschten in den Ausschußbericht übernehmen, würde in diesem Bericht ein erhebliches Ungleichgewicht in der Darstellung der im Ausschuß vorgetragenen Argumente entstehen. Ich weise darauf hin, daß der Bericht neben dem Namen des Berichterstatters auch den Namen des stellvertretenden Ausschußvorsitzenden, des Kollegen Müller, trägt.
Namens der Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung aus den Koalitionsfraktionen und namens der Fraktionen der SPD und der FDP weise ich die Kritik zurück.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr I Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Deutschen Bundestages steht das Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung sowie die Vereinbarung vom gleichen Tage. Dieses Abkommen ist nur ein Teil der am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichneten Vereinbarungen. Bei den anderen handelt es sich um den Finanzkredit und um das Ausreiseprotokoll. Aber jeder in diesem Hohen Hause weiß, daß der Tagesordnungspunkt, den wir heute behandeln, eigentlich heißen müßte: „Das deutsch-polnische Verhältnis".
Dieses deutsch-polnische Verhältnis hat heute, 31 Jahre nach Kriegsende, noch immer nicht den Stand, den man bei uns und den man in Polen wünscht. Die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen ist noch immer nicht Wirklichkeit, obwohl sie — davon bin ich überzeugt — von den Menschen auf beiden Seiten gewollt wird.
Wir alle wissen, welche Hypotheken die Geschichte hinterlassen hat, wie tief die Gräben und wie schwer die Wunden sind. Die Bundesrepublik weiß auch, welche Empfindungen mitschwingen hüben und drüben, wenn über die deutsch-polnische Aussöhnung gesprochen wird. In Polen wird man sich an alles erinnern, was im deutschen Namen geschehen ist. Wer einmal in Polen war, weiß, wie gegenwärtig das alles dort noch ist — so gegenwärtig, daß sich auch der Besucher dem nicht entziehen kann. Dennoch gilt: Das polnische Volk will auch im Verhältnis zu uns den Blick in die Zukunft richten, will auch mit uns die Zukunft gestalten. Und auch bei uns, vor allem bei den vielen Millionen, die ihre Heimat verloren haben, ist die Erinnerung wach an die Not der Vertreibung, an viele schmerzliche Schicksale. Aber wir haben unsere geschichtliche Lektion gelernt. Wir haben den Teufelskreis von Unrecht und wieder Unrecht, der so viel Leid über die Völker Europas brachte, durchbrochen. Der feierliche Verzicht der Vertriebenen auf Gewalt dokumentiert diese Gesinnung. Diese Haltung, die Integration der Vertriebenen ohne die Anfälligkeit für einen neuen Radikalismus, machte den Weg frei für die Friedenspolitik, zu der wir uns alle seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber allen anderen Völkern bekennen. Daß diese Friedenspolitik mit und nicht gegen die Vertriebenen in unserem Lande seit 1949 verwirklicht werden konnte, ist das historische Verdienst der Vertriebenen.Im Verhältnis zu Polen nahm die Verständigungspolitik Gestalt an mit dem Vertrag von Warschau von 1970. Dieser Vertrag hat die Chance eröffnet, die Belastungen der Vergangenheit abzubauen und damit ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen aufzuschlagen. Die vorliegenden Vereinbarungen sollen uns auf diesem Wege weiterführen. Die Menschen in Europa erwarten von den
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Bundesminister GenscherRegierungen, daß sie die Hindernisse beiseite räumen, die den Weg in die Zukunft behindern. Die Ergebnisse dieses Bemühens sind nicht zu übersehen.So war es im Westen möglich, cien deutsch-französischen Gegensatz zu überwinden, ihn Geschichte werden zu lassen. Aus der von Frankreich erwiderten Versöhnungspolitik wurde die deutsch-französische Freundschaft. Was immer die Gründe gewesen sein mögen, warum es erst so spät, erst 1970, zum Warschauer Vertrag kam: fest steht wohl, daß die Zeit davor in jedem Fall nicht für uns gearbeitet hat.
Deshalb sollten wir jetzt nicht zögern, den nächsten Schritt auf dem damals eingeschlagenen Wege zu tun. Weil wir wissen, was diese Fragen in der Vergangenheit immer wieder an neuer Verbitterung geschaffen haben, treten wir so entschieden dafür ein, die Probleme der Deutschen in Polen zu lösen: durch die Genehmigung der Ausreise für diejenigen, die das wünschen, und durch Erleichterungen für diejenigen, die dort bleiben wollen. Es geht uns dabei um die Menschen; es geht aber auch um eine dauerhafte Verständigung mit Polen.Dazu ist es notwendig, daß wir aufeinander zugehen, Deutsche und Polen, daß wir gegenseitig Vertrauen zueinander fassen.Meine Damen und Herren, wenn wir Aussöhnung wirklich wollen, wenn uns das Schicksal der Deutschen in Polen auf den Nägeln brennt, dann dürfen wir nicht verkennen, daß man einen solchen Weg nicht mit Vorbedingungen beschreiten kann, daß man nicht nach der Haltung verfahren kann: alles oder nichts. Nein, man kann nur dann etwas erreichen, wenn man bereit ist, Schritt für Schritt und wenn es sein muß, Zentimeter um Zentimeter — aufeinander zuzugehen.
Wer sich verständigen will, muß bereit sein, das heute Mögliche zu tun, den Weg für das dann noch Notwendige offenzuhalten und ihn zu ebnen für das, was noch zu tun bleibt. Glauben wir ja nicht, meine Damen und Herren, im deutsch-polnischen Verhältnis sei Kompromißbereitschaft nur auf der deutschen Seite und nur in bezug auf unsere Anliegen verlangt.
Ich denke, wir sollten froh sein, daß mit dem Willen zur Versöhnung das gegenseitige Aufrechnen keine Chance mehr hat. Wer sich ernstlich mit der moralischen Dimension, mit dem historischen Hintergrund der dieser Debatte zugrunde liegenden Vereinbarungen auseinandersetzt, der wird sich der Frage, die heute beantwortet werden muß, nur mit Bescheidenheit nähern können. Die starken Worte passen nicht in diese Debatte, und ich will auch nicht verschweigen, daß ich bei der Auseinandersetzung der letzten Wochen manchmal das Gefühl gehabt habe, daß nicht jedem, der sich dabei zu Wort meldete, bewußt war, daß seine Worte auch in Polen — und nicht nur dort — gehört werden.
Ich denke, jeder von uns sollte sich ganz im stillen für sich fragen, ob nicht am Ende auch unser Ja zu den Verträgen seinen Wert verliert, wenn die Art und Weise, w i e darüber diskutiert wird, in Polen neue Wunden schlägt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zum Gegenstand selbst kommen, zu dem Rentenvertrag und im Zusammenhang damit zu den anderen Vereinbarungen. Beratungsgegenstand sind die Vereinbarungen insgesamt, Rentenabkommen, Finanzkredit, Ausreiseprotokoll, denn sie stehen faktisch, sie stehen politisch und sie stehen — und das wissen die Mitglieder der beteiligten Ausschüsse — auch rechtlich in einem Zusammenhang. Der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaft bedarf entsprechend unserer Rechtsordnung nur das Rentenabkommen, aber die Bundesregierung begrüßt es nicht nur, sie hält es für dringend geboten, daß bei der Entscheidung über Ja oder Nein dieses Teiles das Ganze gesehen wird. Sie ist davon überzeugt, daß jede der Vereinbarungen doppelt gerechtfertigt ist, einmal aus sich selbst, aus ihrer materiellen Substanz heraus, zum andern als Gesamtpaket, das in sich ausgewogen und deshalb geeignet ist, das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen wirklich zu verbessern und so einen tatsächlichen Beitrag zur Aussöhnung zu leisten.Wir alle wissen: Diese Vereinbarungen sind nicht die Aussöhnung selbst. Hier geht es um eine so tiefgreifende Veränderung im Verhältnis zwischen zwei Völkern, daß sie nicht von Regierungen ausgehandelt und von Parlamenten ratifiziert werden könnte. Aussöhnung kann nicht verordnet werden, sie muß sich entwickeln. Sosehr es uns mit Genugtuung erfüllen mag und auch erfüllen darf, daß es über das Ziel der deutsch-polnischen Verständigung keine Meinungsverschiedenheiten unter uns gibt, so sehr müssen wir uns alle bewußt sein, daß es hier nicht um etwas Abstraktes geht, daß Aussöhnung, nimmt man das Wort ernst, auch ein langwieriger, Geduld und stetige Anstrengung erfordernder Prozeß der Überwindung vorhandener Probleme ist. Es ist eben nicht nur eine Frage von moralischen Bekenntnissen, so aufrichtig sie gemeint sind.Hier geht es auch um konkretes politisches Handeln. Hier ist konkrete Gestaltung der Zukunft verlangt. Die Feststellung allein, daß die Gegenwart auch uns bedrückt — ich denke hier an die bisher unerfüllten Hoffnungen der Deutschen in Polen —, diese Erkenntnis allein hilft nicht weit.Konkretes politisches Handeln heißt für uns: Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich unsere Beziehungen weiter verbessern, d. h., daß wir neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit schaffen und alte Hindernisse beseitigen. Damit haben wir begonnen, als wir 1970 den Warschauer Vertrag abgeschlossen haben. Er brachte die Wende, aber er konnte nicht alle Fragen lösen.Die vorliegenden Vereinbarungen sollen uns diesen Bereichen näherbringen. Es handelt sich um die Lage der Deutschen in Polen und die zum Teil überaus komplizierten Fragen aus dem Bereich der So-
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Bundesminister Genscherzialversicherung, mit Ansprüchen hinüber und herüber, und es handelt sich um den Wunsch nach einer noch stärkeren deutsch-polnischen Zusammenarbeit auf allen Gebieten.Meine Damen und Herren, jahrelang ist zwischen der polnischen Regierung und der Bundesregierung über diese Fragen beharrlich und zäh verhandelt worden. Das Ergebnis der Vereinbarungen liegt Ihnen heute vor. Ein Kompromiß, gewiß, aber ich denke, ein Kompromiß von beiden Seiten. Der Bundeskanzler und ich haben in jener Nacht in Helsinki, in der wir uns mit der polnischen Regierung endlich einigen konnten, redlich geprüft, ob unser Ja zu verantworten ist, und ich bekenne Ihnen hier als unsere Überzeugung: Es wurde in jener Nacht das jetzt Mögliche erreicht und für die Zukunft nichts verbaut, sondern im Gegenteil der Weg in die Zukunft und für die Lösung der noch offenen Fragen erleichtert.
Das Mehr, das wir alle wollen, bleibt möglich.Ich versichere Ihnen: Wir beide, der Bundeskanzler und ich, haben nicht den geringsten Zweifel am ernsthaften Willen unserer polnischen Partner, ihren Teil der Vereinbarungen zu erfüllen, so wie wir selbst auch dazu entschlossen sind. Das gilt auch für die Ernsthaftigkeit des Willens zur Erfüllung der sogenannten Offenhalteklausel. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir bis zur letzten Minute um die Zustimmung der Gesetzgebungsorgane ringen; denn wir wollen alles tun, damit diese Zustimmung zustande kommt.
Täuschen wir uns nicht: In der Weltöffentlichkeit wird nicht die Frage diskutiert, ob die Volksrepublik Polen ihre Verpflichtungen erfüllen wird, sondern draußen in der Welt und wahrlich nicht nur in Polen wird im Blick auf diese Debatte und auf die Debatte im Bundesrat die Frage gestellt, ob wir — die Bundesrepublik Deutschland — mit der Zustimmung zu diesen Vereinbarungen unseren Beitrag zur deutschpolnischen Aussöhnung leisten werden.
Ich denke, jeder sollte sich dieser Tatsache bewußt sein. W i r sind in den Augen der Welt zum Handeln aufgefordert.Dennoch ist in der Diskussion über die Verträge bei der Bewertung der Verbindlichkeit der polnischen Zusagen immer wieder die Frage nach dem Willen der Volksrepublik Polen, die übernommenen Verpflichtungen einzuhalten, gestellt worden. Wer daran Zweifel aufwirft, stellt die Vertragsfähigkeit der Volksrepublik Polen grundsätzlich in Frage.
Wer das tut, leugnet damit die Möglichkeit jeglicher Vereinbarungen mit Polen,
der vorliegenden und auch anderer. Die Position der Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist das jedenfalls nicht.
Niemand wird den Kritikern der Vereinbarungen die Frage nach einer noch besseren Lösung, nach einem für uns günstigeren Kompromiß verübeln. Diese Frage ist immer notwendig und berechtigt. Wir haben sie uns selbst auch gestellt, und wir haben sie nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet. Aber angesichts aller Erklärungen und Erläuterungen der Bundesregierung in den Ausschüssen und bei anderer Gelegenheit, die jedes übliche Maß weit übersteigen, muß auch die Frage erlaubt sein: Welches Zeugnis muß eigentlich noch dafür heinebracht werden, daß die Grenzen des jetzt Möglichen erreicht sind?
Meine Damen und Herren, die Stellungnahme der Bundesregierung hat die Einwände des Bundesrats Punkt für Punkt beantwortet. Die Alternative zu den vorliegenden Vereinbarungen sind nicht andere, vielleicht sogar bessere Vereinbarungen; ich fürchte, die Alternative wäre ein schwerer Rückschlag in den deutsch-polnischen Beziehungen mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Deshalb ist die Ratifizierung des Abkommens ein unentbehrlicher Schritt auf dem Wege der Verständigung.Am Dienstag hat die Opposition nun ihre Einwände auf drei Bereiche konzentriert: auf die Ausreisemöglichkeiten für Deutsche nach den vier Jahren, auf den Status der in Polen verbleibenden Deutschen und auf den finanziellen Teil der Vereinbarungen. Dabei geht sie in der Frage der Ausreisemöglichkeiten in ihren Forderungen über die Position des Bundesrats hinaus. Dazu ist festzustellen: Im Ausreiseprotokoll sichert die polnische Seite die Ausreise von 120 000 bis 125 000 Deutschen in einem Zeitraum von vier Jahren zu. Diese Zusicherung ist völkerrechtlich verbindlich. Ebenso verbindlich ist die Zusage, daß auch für Deutsche, die nach Ablauf dieser vier Jahre noch ausreisen wollen, die Kriterien der „Information" von 1970 gelten. Wir alle sind daran interessiert, daß die dann noch verbleibenden Anträge zügig behandelt und entschieden werden. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß auch die polnische Seite gewillt ist, dieses Kapitel durch Praktizierung der Offenhalteklausel im Interesse der weiteren Gestaltung unserer Beziehungen zu beenden.Durch die Annahme aller Vereinbarungen können wir das am besten fördern. Die konkrete Zusicherung der 125 000 Ausreisen und die Vereinbarung der sogenannten Offenhalteklausel waren nur durch äußerstes Bemühen in den nächtlichen Verhandlungen in Helsinki mit der polnischen Führungsspitze zu vereinbaren. Die Tatsache, daß sich dort die Verantwortlichen beider Staaten in dieser Weise um das Zustandekommen der Einigung bemüht haben, mag deutlich machen, welche Bedeutung beide Seiten diesem Fortschritt in unseren Beziehungen beimessen.
Meine Damen und Herren, Helsinki, die dort möglich gewordene deutsch-polnische Begegnung, war Ausdruck des ernsthaften Willens — wiederum auf beiden Seiten —, alle nur denkbaren Anstren-
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Bundesminister Genschergungen zu unternehmen, um das jetzt Mögliche auch wirklich möglich zu machen. Was erreicht wurde, liegt Ihnen vor. Die Bundesregierung präsentiert das Ergebnis in nüchterner Darstellung des Erreichten und des noch zu Erreichenden.Wenn wir die Annahme empfehlen, so lassen wir uns von zwei Einsichten leiten:Erstens. Die Politik des Alles oder Nichts mag stark erscheinen; aber sie ist in Wahrheit schwach, weil ihr die Kraft fehlt, das jetzt Mögliche im Interesse der Menschen zu tun, die darauf warten.
Zweitens. Was noch zu tun bleibt, werden wir nur dann erreichen, wenn wir durch Zustimmung zu den Vereinbarungen unseren Beitrag zur weiteren Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen leisten. Nicht im Klima der Verbitterung, sondern im Geiste der gegenseitigen Verständigung wird auch nach Ablauf von vier Jahren für diejenigen, die noch ausreisen wollen, die zügige Erfüllung ihrer Wünsche erreicht werden können.Es ist dann nach dem Schicksal der in Polen verbleibenden Deutschen gefragt worden. Die Situation der aus eigener Entscheidung in Polen zurückbleibenden Deutschen, vor allem die Frage ihrer sprachlichen und kulturellen Belange, steht für die Bundesregierung auf der Tagesordnung ihrer Gespräche mit der polnischen Regierung. Auch hier gilt, daß die Chance einer Verbesserung größer ist, wenn die jetzt zur Entscheidung anstehenden Vereinbarungen die weitere Verständigung mit Polen gefördert haben.
Daß uns ein Rückschlag in den deutsch-polnischen Beziehungen auch in dieser Frage nicht weiterbringen würde, sollte für jeden offenbar sein.
Die Sorge der Opposition schließlich, die Vereinbarungen mit Polen könnten einen Berufungsfall für finanzielle Forderungen anderer Staaten schaffen, ist unbegründet.
Die Leistungen, die wir erbringen, sind klar und eindeutig aus den besonderen politischen und sachlichen Voraussetzungen der deutsch-polnischen Beziehungen heraus motiviert. Die Gefahr einer Präzedenzwirkung oder einer Durchbrechung des Londoner Schuldenabkommens bestünde nur dann, wenn die vereinbarten Leistungen Reparationen oder Wiedergutmachungsleistungen wären. Das ist nicht der Fall. Beim Rentenabkommen geht es um die Lösung der sozialversicherungsrechtlichen Probleme auch im Sinne einer Besserstellung der Berechtigten.Wie in anderen vergleichbaren Fällen ist auch hier das Eingliederungsprinzip gewählt worden. Im Zusammenhang damit ist eine einmalige Zahlung von 1,3 Milliarden DM vereinbart, nämlich als pauschale Abgeltung aller gegenseitig erhobenen Ansprüche. Ein Scheitern des Abkommens würde dasRisiko wesentlich höherer Zahlungsverpflichtungen für unsere Versicherungsträger mit sich bringen, ohne daß dabei eine fühlbare Besserstellung der Berechtigten durch uns sichergestellt werden könnte.
Der Finanzkredit schließlich, aus Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Zinszuschüssen aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt, dient dem Zweck, intensivere wirtschaftliche Beziehungen unterhalten zu können. Beide Länder werden ihren Nutzen davon haben, politisch und wirtschaftlich. Auch wenn für den Finanzkredit, bindenden internationalen Regeln folgend, eine ausdrückliche Lieferbindung nicht vorgesehen ist, wird der überwiegende Teil in Form von Aufträgen an uns zurückfließen.
Sowohl der Finanzkredit wie die Rentenpauschale sind eindeutig sachbezogene Leistungen. Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir hier gemeinsam feststellen: Weder die Motive für das Zustandekommen dieser Vereinbarungen noch ihr Inhalt können sie zu einem Präzedenzfall für die Ansprüche anderer machen.
Ich erkläre verbindlich für die Bundesregierung: Es wird sich niemand uns gegenüber mit Erfolg auf diese Vereinbarungen berufen können.
Meine Damen und Herren, heute ist im Bundestag jeder Abgeordnete und am 12. März 1976 ist im Bundesrat jedes Mitglied einer Landesregierung aufgerufen, sein Ja oder Nein zu wägen. Diese Entscheidung kann uns niemand abnehmen. Bei dieser Entscheidung ist nicht nur zu fragen: Was ist am Verhandlungsergebnis unbefriedigend? Es muß mit ebensolchem Ernst gefragt werden: Welche Folgen hätte eine Ablehnung dieser Verträge?
Meine Damen und Herren, auch heute gilt und am 12. März wird gelten: Jeder muß diese Entscheidung so treffen, als hingen von ihm allein die deutschpolnischen Beziehungen ab.
— Dieser Verantwortung wird sich niemand entziehen können!
Jeder wird sich entscheiden müssen, als hinge von ihm allein ab, ob die 125 000 Deutschen jetzt ausreisen können oder nicht.
Auch derjenige, der meint, es werde bei einem Scheitern der Vereinbarungen, vielleicht nicht jetzt, so doch später, zu neuen Verhandlungen mit Polen kommen, muß sich wohl die Frage stellen, ob er wirklich die fest zugesagte Ausreise von 125 000 Menschen gefährden will, um die es hier und heute
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15540 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundesminister Genscherauch geht. Meine Damen und Herren, er wird sich fragen müssen, ob er wirklich mit der Hoffnung auf mehr mit gutem Gewissen das Verschieben auf später verantworten kann, ob nicht etwa die Gefahr besteht, daß aus dem Später ein Noch-später und für manchen der Betroffenen ein Zu-spät werden kann.
Die Hoffnung vieler auf Ausreise ist seit dem Treffen von Helsinki eine feste Erwartung geworden; sie wurde tief enttäuscht. Schon wird in den Briefen, in denen diese Menschen die bange Frage nach dem Zustandekommen der Verträge stellen, die Verzweiflung hörbar, die ein Scheitern auslösen würde. Ich wiederhole: Wir alle haben weitergehende Hoffnungen und Wünsche, aber sie werden nur in einem Klima verbesserter deutsch-polnischer Beziehungen zu verwirklichen sein.
Dieses Klima schaffen wir gewiß nicht durch Ablehnung dieser Verträge, sondern allein durch ihre Annahme.
Ein Scheitern der jetzt vorliegenden Vereinbarungen aber wäre ein schwerer Rückschlag für die deutsch-polnischen Beziehungen. Ein Scheitern — das hat Ministerpräsident Röder mit Recht festgestellt — könnte auch das internationale Ansehen unseres Landes gefährden.
Ein Scheitern würde Zweifel säen, ob es uns mit unserem Willen zur Aussöhnung mit Polen ernst ist.
Täuschen wir uns nicht: Diese Zweifel kämen nicht nur in Polen auf, sondern auch bei vielen unserer Freunde und Verbündeten.
Auch sie erwarten von uns, daß wir das Unsere zur Versöhnung mit Polen tun. Vielleicht sieht man draußen den historischen Hintergrund schärfer als hier bei uns. Ich jedenfalls habe noch keine ernst zu nehmende Stimme im Westen gehört, die in den deutsch-polnischen Vereinbarungen etwas für die deutsche Seite Unzumutbares erblickt hätte.
— Es mag sein, daß es Sie nicht interessiert, was unsere Verbündeten denken. Für uns ist das aber im Hinblick auf unsere Beziehungen wichtig.
Die Aussöhnung mit Polen und als Beitrag dazu die hier vorliegenden Vereinbarungen — das ist nicht allein Ost-, das ist ebenso Westpolitik der Bundesrepublik Deutschland.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Ich habe um kaum eine Entscheidung so gerungen wie um diese.Deshalb kann ich heute mit gutem Gewissen vor Sie hintreten und Sie namens der Bundesregierung bitten: Geben Sie dem Vertrag Ihre Zustimmung!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wallmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die CDU/ CSU-Fraktion hat die uns heute zur Entscheidung vorgelegten Vereinbarungen der Bundesregierung mit der Regierung der Volksrepublik Polen gründlich geprüft. Seien Sie sicher Herr Minister Genscher: Die persönliche Entscheidung und Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten ist in der CDU/ CSU-Fraktion in vollem Umfange gewährleistet.
Wir gehen miteinander in gegenseitigem Respekt um, auch und gerade wenn der einzelne zu einem anderen Ergebnis kommt als die Mehrheit unserer Fraktion. Bei uns gibt es keinen Fraktionszwang.
Ich rufe Sie in SPD und FDP auf, diesen unseligen Fraktionszwang fallenzulassen und der Gewissensentscheidung freien Raum zu geben.
Meine Damen und Herren, ich sagte, wir haben die uns vorliegenden Vereinbarungen gründlich geprüft. Wir haben dies allerdings — das werden Sie verstehen — nach unseren Erfahrungen mit der sogenannten neuen Ostpolitik seit 1969 mit der gebotenen Skepsis getan. Für uns lautet die entscheidende Frage, ob diese Vereinbarungen geeignet sind, Ausgleich und Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zu entwickeln, zu fördern und zu vertiefen.Herr Außenminister Genscher, Sie haben gesagt, eigentlich müßte die heutige Tagesordnung unter diesem Punkt heißen: Das deutsch-polnische Verhältnis. Ich nehme das auf. Wir, die Christlichen Demokraten und die Christlich-Sozialen treten seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland für einen dauerhaften Ausgleich und eine zukunftsgerichtete Verständigung zwischen Polen und Deutschland ein;
denn wir wußten und wissen, daß das Verhältnis dieser beiden Völker immer noch — 30 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges! — belastet ist. Diese Belastungen wollen wir überwinden. Wir wünschen eine Zusammenarbeit, die beiden Seiten und damit dem Frieden in Europa dient.Dazu ist es nötig, daß beide Seiten Verständnis füreinander haben. Wir verstehen, daß Polen in gesicherten Grenzen leben will. Wir haben das in unserer Erklärung zum Warschauer Vertrag am 4. Dezember 1970 klar zum Ausdruck gebracht.Darum erwarten auch wir Verständnis, vor allem für unsere Forderung, die Einheit Deutschlands zu-
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Dr. Wallmannrückzugewinnen. Dieses Verständnis erhoffen wir gerade vom polnischen Volk, das nach über hundertjähriger Teilung am Ende des ersten Weltkrieges seine Einheit im Zeichen des Selbstbestimmungsrechtes wiedergefunden hat. Gerade Polen müßte deshalb verstehen, daß endgültige Regelungen über Deutschland als Ganzes nicht getroffen werden können, solange die Deutschlandfrage nicht im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes gelöst ist.
Polen soll wissen, daß die Respektierung des Selbstbestimmungsrechtes auch für die Deutschen das entscheidende Problem ist. Über alle anderen Fragen mag verhandelt werden. Dabei kann für Polen nicht belanglos sein, daß die Bundesrepublik Deutschland klar und unzweideutig auf die Anwendung jedweder Gewalt verzichtet hat und daß dieser Gewaltverzicht gerade von den Vertriebenen in vollem Umfange mitgetragen wird.
Verständnis für den anderen, sagte ich, ist Voraussetzung für einen dauerhaften Ausgleich. Darum wird es Verständigung zwischen Polen und Deutschland nur geben, wenn wir ehrlich miteinander sprechen. Vereinbarungen zwischen Polen und Deutschland müssen auf Klarheit und Wahrheit beruhen. Sie müssen ausgewogen den beiderseitigen Interessen dienen. Diese Grundsätze hat die Bundesregierung schon beim Abschluß des Warschauer Vertrages vom Dezember 1970 — übrigens auch bei Abschluß des Moskauer Vertrages — nicht beachtet.
Sie hat damals einen Vertrag ausgehandelt, der nachher beide Seiten enttäuscht hat. Das um so mehr, als im ostpolitischen Überschwang Erwartungen und Hoffnungen geweckt wurden, die einfach nicht erfüllt werden konnten.Der entscheidende Fehler beim Warschauer Vertrag war, daß die Bundesregierung damals darauf verzichtet hat, das wichtgiste deutsche Anliegen, nämlich die Ausreisemöglichkeit für die Deutschen unter polnischer Herrschaft, im Vertrag selbst zu regeln,
und daß sich die Bundesregierung mit der schwachen Form einer einseitigen und nicht sehr klar formulierten polnischen Erklärung zufrieden gab — der sogenannten Information —, d. h. der Zusage, daß alle ausreisewilligen Deutschen zu uns ausreisen dürfen, wenn sie darauf antragen.
Dies geschah, meine Damen und Herren, in Kenntnis der schwerwiegenden Gegensätze über die Zahlen, über den Umfang der ausreisewilligen Deutschen. Die Folgen dieser Versäumnisse kennen wir alle, und sie haben die deutsch-polnischen Beziehungen seit 1970, Herr Außenminister Genscher, eben nicht fruchtbar entwickelt, sondern erneut schwer belastet.
Aber aus den Fehlern beim Abschluß des Warschauer Vertrages hat die Bundesregierung offenbar wenig gelernt.
Sie ist hier in der Kontinuität, wie der Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung bereits angekündigt hat, sie ist in der Nachfolge der Regierung Brandt geblieben, in einer ostpolitischen Kontinuität — wir müssen es sagen — des Nachgebens und der Schwäche.
Sicherlich, Außenminister Genscher - wir erkennen das durchaus an — bemüht sich um einen realistischeren Kurs in der Ostpolitik. Wir verfolgen das aufmerksam, auch mit Hoffnungen. Aber um so enttäuschter sind wir, daß auch den neuen Vereinbarungen mit Polen jene Ausgewogenheit und Klarheit fehlt, die wir im beiderseitigen Interesse - auch wir sagen, Herr Minister Genscher: im beiderseitigen Interesse —, aber ganz besonders im Interesse der betroffenen Deutschen für nötig halten.
Ich sagte, am Anfang unserer Beziehungen zur Volksrepublik Polen muß Aufrichtigkeit stehen. Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion erklärt, welche Grundsätze bei der Regelung der Beziehungen mit Polen beachtet werden müssen, um ein tragfähiges Fundament für Ausgleich und Verständigung zu schaffen.Erstens. Den Deutschen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße muß nach verbindlich vereinbarten Kriterien die Ausreisemöglichkeit offengehalten werden.
Zweitens. Denjenigen Deutschen, die in ihrer Heimat bleiben wollen, muß jedenfalls ein Mindestmaß der elementaren Menschen- und Gruppenrechte garantiert werden.
Drittens. Die verabredeten Leistungen müssen für beide Seiten rechtsverbindlich sein, und sie müssen gleichen rechtlichen Rang haben.Viertens. Leistungen und Gegenleistungen müssen von beiden Vertragspartnern Zug um Zug, d. h. über einen gleichen Zeitraum, erbracht werden.
Diesen Grundsätzen werden die Abmachungen, die wir heute beraten, nicht gerecht. Ich will das nur an wenigen Beispielen verdeutlichen.Der Bundesaußenminister hat bereits darauf hingewiesen, daß wir einen Finanzkredit in Höhe von einer Milliarde DM gewähren. Die erste Rate von 340 Millionen DM haben wir bereits gezahlt, die zweite und dritte Rate sollen in diesem und im nächsten Jahr überwiesen werden. Der Zinssatz beträgt — äußerst günstig — 2,5 %. Die Rückzahlung soll in 20 gleichen Raten erfolgen, beginnen 1980, endend am 15. November 1999. Für uns — die Bundesrepublik Deutschland — fallen angesichts
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Dr. Wallmanndieser günstigen Zinsbedingungen noch Zinssubventionen in Höhe von etwa 950 Millionen DM an.
Die Bundesregierung verpflichtet sich außerdem, unmittelbar nach der angestrebten Ratifikation des Abkommens zur Abgeltung angeblich bestehender Renten- und Unfallversicherungsansprüche pauschal 1,3 Milliarden DM zu zahlen; darauf wird Herr Kollege Franke im einzelnen noch eingehen Aber insgesamt: Wir sollen 2,3 Milliarden DM zahlen, und wir werden außerdem tast 1 Milliarde DM an Zinskosten zu tragen haben.Worin soll nun die Gegenleistung Polens bestehen? In der Gewährung der Ausreise für 120 000 bis 125 000 Deutsche aus den Oder-Neiße-Gebieten bis zum Jahre 1979. Meine Damen und Herren, eines ist doch zwischen uns sicherlich unstreitig: Das Recht auf Freizügigkeit haben nach der allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, nach den Menschenrechtspakten und den feierlichen KSZE-Erklärungen alle Menschen in dieser Welt.
Nicht wir verletzen die Menschenrechte, wenn wir darauf hinweisen, daß das Menschenrecht auf Freizügigkeit vielen unserer Landsleute in Polen heute noch vorenthalten wird.
Und nicht nur das. Sie werden mit ihren Angehörigen vielfältigen Schikanen ausgesetzt. Sie verloren in den vergangenen Jahren ihren Arbeitsplatz, andere mußten ihr Studium aufgeben, viele bekamen nicht einmal Fürsorgeunterstützung.
Wer von Aussöhnung spricht, meine Damen und Herren, darf diese Wahrheit nicht unterschlagen, so wie wir das Unrecht nicht leugnen, das im deutschen Namen geschehen ist.
In dieser Debatte muß eine weitere Tatsache erwähnt werden. Die polnische Regierung hat leider die von ihr 1970 in der von mir bereits erwähnten „Information" übernommene Verpflichtung, nämlich Deutsche, die dieses wollen, in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen, nur zu einem geringen Teil und nur äußerst willkürlich erfüllt.
Die Zahl der Aussiedler, die seit 1970 zu uns kommen konnten, spricht eine deutliche Sprache.Ich nenne nur ein paar Zahlen. Im Jahre 1975, im vergangenen Jahr, kamen 7 041 Deutsche zu uns in die Bundesrepublik. Von ihnen kamen aber nur 5133, wie die Polen sagen, „legal". 1 908 Menschen, fast 2 000, sind „illegal" gekommen, d. h.: nicht mit einer Ausreisegenehmigung, sondern sie sind von Besuchen nicht zurückgekehrt oder geflohen. Im Durchschnitt mußten die Menschen, die „legal" ausreisen durften, fünfmal einen Ausreiseantrag stellen, ehe sie die Genehmigung zur Ausreise erhielten.
In den letzten drei Jahren sind 23 771 Menschen, Deutsche, zu uns in die Bundesrepublik übergesiedelt. Aber auch davon nur 17 222 mit polnischer Ausreisegenehmigung. Die anderen, 6 549, kamen nach polnischer Auffassung „illegal". Dies ist die bittere, die traurige Wahrheit.
Wenn wir miteinander reden, müssen wir diese Wahrheit selbst sagen wie auch Wahrheit entgegennehmen. Nur dann werden wir Ausgleich und Verständigung erreichen das wollen wir doch gemeinsam.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns auch an einen weiteren Vorgang erinnern. Beim Besuch des polnischen Außenministers Olszowski in Bonn wurde am 7. Dezember 1973 eine nach Aussage von Staatsminister Moersch zwischen der deutschen und der polnischen Delegation abgestimmte Erklärung veröffentlicht. In ihr wurde mitgeteilt, daß zunächst im Jahre 1974 50 000 Menschen die Aussiedlung nach Deutschland gestattet werde. Auch diese Zusage blieb unerfüllt. Es konnten nur 7 827 Menschen zu uns kommen.Warum sind, meine Damen und Herren, die von der Bundesrepublik Deutschland zu erbringenden Leistungen in förmlichen völkerrechtlichen Verträgen festgeschrieben, während die in Aussicht gestellten Ausreisen nur in einem Protokoll festgehalten wurden? Warum sollen die deutschen Zahlungen an Polen innerhalb von zwei Jahren erfolgen, während sich die polnische Gegenleistung, Gewährung der Ausreise für 120 000 bis 125 000 Menschen, über den doppelten Zeitraum von vier Jahren, nämlich bis 1979, erstrecken soll?Meine Damen und Herren, wieder wird versucht, mit Hoffnungen und Erwartungen die tatsächlich bestehenden schweren Mängel der Vereinbarungen zuzudecken. Denn die Regierung weiß ganz genau, daß wir und unsere Mitbürger die Frage stellen, was denn eigentlich mit denjenigen wird, die bis 1979 nicht ausreisen dürfen. Die Bundesregierung antwortet darauf — der Herr Bundesaußenminister hat es soeben noch einmal getan —, indem sie die Behauptung aufgestellt hat, es gebe eine Offenhaltungsklausel im Ausreiseprotokoll. Aber, Herr Außenminister, diese klare, eindeutige Regelung fehlt eben. Es wird lediglich festgestellt, daß auch ab 1979 Ausreiseanträge gestellt werden können. Aber, meine Damen und Herren, es kommt — darin stimmen wir doch hoffentlich miteinander überein — nicht darauf an, daß Anträge gestellt werden dürfen,
sondern daß sie auch genehmigt werden. Daran hat es in den vergangenen Jahren gefehlt.
Wenn die Bundesregierung nun behauptet, nach dem Ausreiseprotokoll sei die Möglichkeit zur Ausreise für Deutsche auch nach 1979 gesichert, so muß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15543
Dr. Wallmannich Ihnen, verehrter Herr Außenminister, sagen, daß sich diese Aussage vom Wortlaut her nicht begründen läßt. Wenn die Bundesregierung sagt, die Formulierung bedeute eine Offenhaltungsklausel, so kommt es doch zunächst darauf an, ob auch die polnische Seite dies so versteht.
Gibt es dieses Einverständnis, so frage ich, warum es nicht deutlich formuliert worden ist.
Warum formuliert man zweideutig und verlangt von uns, eindeutig zu verstehen?
Im übrigen gibt es Anzeichen dafür, daß Polen der Meinung ist, nach vier Jahren sei das Ausreiseproblem erledigt. So hat der polnische Vize-Außenminister Czyrek vor wenigen Tagen einer Delegation der Jungen Union des Saarlandes erklärt, auch nach Ablauf der vier Jahre werde es die Möglichkeit zu Einzelausreisen geben. Meine Damen und Herren, das ist sicherlich nicht eine Offenhaltung, wie wir — ich denke, auch die Bundesregierung — sie fordern müssen.Hierher gehört das Problem der Zahlen, die Frage, wie viele Deutsche wirklich ausreisen möchten. Leider muß ich feststellen: Ich habe den Eindruck, daß neuerdings aus den Reihen der SPD damit ein Spiel getrieben wird — ich muß es so hart formulieren —, das unverantwortlich ist.
Bekannt war und ist, daß beim Deutschen Roten Kreuz die Namen von 280 000 Menschen registriert sind, die Interesse an der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland bekundet haben. Andere Zahlen standen und stehen uns nicht zur Verfügung; davon hatten und haben wir also auszugehen. Polen hat diese Zahlen auch nicht entkräftet. Seit Dezember 1974 befinden sich die vollständigen Rot-KreuzListen in Warschau. Die damals in der „Information", der polnischen Erklärung vom Dezember 1970, vereinbarte polnische Stellungnahme zu diesen Listen steht bis heute aus. Deswegen haben wir auf diese Zahlen hingewiesen, und deswegen hat es ja auch der Außenminister noch in der ersten Lesung zu diesen Vereinbarungen im November des vergangenen Jahres getan.
Es liegt gewiß nicht im Interesse der ausreisewilligen Deutschen, wenn nun Vertreter der SPD fast freudestrahlend der Öffenlichkeit mitteilen, die wahre Zahl der Ausreisewilligen liege viel niedriger als 280 000 und folglich sei das jetzt ausgehandelte Ausreiseprotokoll doch eigentlich ein recht großer Erfolg. Ich will diesen Streit hier nicht unnötig fortsetzen. Das ginge nur zu Lasten unserer betroffenen Landsleute. Aber ich muß mit aller Klarheit sagen: Nach unserem bisherigen Kenntnisstand beträgt dieZahl der Ausreisewilligen etwa 280 000. Solange wir keine anderen konkreten Zahlen kennen, dient niemand den deutschen Interessen, der sie in Zweifel zieht.
Natürlich kann es hier Veränderungen geben — wir bestreiten das nicht —, und zwar nach oben wie nach unten.Eine Frage aber ist in diesem Zusammenhang doch von Wichtigkeit: Wie viele Menschen, die sich auf die Kriterien der polnischen Zusage von 1970, auf die „Information", berufen und als Deutsche die Ausreise nach Deutschland verlangen könnten, gibt es eigentlich noch in den polnischen Herrschaftsbereichen? Die Bundesregierung hat diese Frage nie klar beantwortet. Ich frage meinerseits: Hat die Bundesregierung wirklich alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft, oder hat sie sich gescheut, an Polen unbequeme Fragen zu stellen? Dieses Problem kann man nicht mit leichter Hand vom Tisch wischen.Ich möchte in diesem Zusammenhang an eine sehr gründliche Arbeit erinnern, die eine Arbeitsgruppe des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Wenzel Jaksch im Jahre 1961 erarbeitet hat und deren Ergebnisse uns vorgelegt worden sind. Es heißt dort:In den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten leben gegenwärtig noch immer mehr als 1,2 Millionen Menschen,
die von den Polen als Autochthone bezeichnet werden, da sie dort bodenständig und seit altersher beheimatet sind. Es handelt sich hier um Angehörige des ehemaligen Deutschen Reichs, die immer noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und sich zum weit überwiegenden Teil zum Deutschtum bekennen. Nach deutschem Recht sind sie deutsche Staatsbürger.Soweit dieser Bericht, der unter dem Vorsitz desSozialdemokraten Wenzel Jaksch erarbeitet wurde.Das war 1961. Seit damals, seit 1961 bis einschließlich 1975, sind 170 620 Aussiedler zu uns gekommen. Das heißt, die verbleibende Zahl der Deutschen muß noch beträchtlich sein, und es kann also durchaus noch sehr viele antragsberechtigte deutsche Ausreisewillige dort geben.Diese Möglichkeit, meine Damen und Herren, verstärkt unsere Forderung, daß der Wille der Menschen entscheidend sein muß,
die hierher kommen wollen. Ihre Entscheidung muß frei sein und respektiert werden, und zwar in einer Formulierung, die dies unzweideutig feststellt. Sonst ist neuer Streit und schwerer Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen zu befürchten. Einer Entwicklung, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben — mit schweren Belastungen für unser Verhältnis zu Polen und mit viel, viel menschlicher Tragik für die betroffenen Deutschen —, müssen
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Dr. Wallmannwir jetzt vorbeugen. Das ist unsere menschliche, unsere humanitäre Verantwortung.
Nun sagt die Bundesregierung: Wenn das Rentenabkommen scheitert, wird 120 000 Deutschen die Ausreise hierher versperrt. Ich meine, dieses Argument, Herr Außenminister, sollte die Bundesregierung besser nicht vorbringen. Grundlage der Ausreise ist und bleibt doch — so hat die Bundesregierung mehrfach in den Ausschüssen, hier im Parlament und heute wieder dargelegt — die „Information", also die polnische Zusage aus dem Jahre 1970, wonach alle Deutschen ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen können.
Diese Grundlage gilt weiter. Sperrt Polen die Ausreise, weil die jetzt vorliegenden Vereinbarungen nicht zustande kommen, dann wäre das ein Lossagen von der damals übernommenen Verpflichtung. Ich will nicht glauben, daß dies die Absicht der polnischen Regierung ist.
Nach alledem stelle ich fest: Die von der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag vorgelegten Vereinbarungen mit Polen stehen in der Kontinuität der unsoliden, von Aufgeben und Nachgeben gekennzeichneten Ostpolitik von Brandt und Bahr.
Von ihr hat ein bekannter amerikanischer Wissenschaftler gesagt, sie verfolge minimale Ziele mit maximalen Konzessionen.
Eine derartige Politik kann nicht zu dauerhafter Verständigung und zu einem Zuwachs an Vertrauen zwischen Polen und Deutschen führen, denn ihr fehlt es auch an Aufrichtigkeit gegenüber dem Vertragspartner. Daher tragen die neuen Vereinbarungen mit Polen ebenso wie seinerzeit das Warschauer Vertragswerk den Keim zu neuen Spannungen und zu neuem Mißtrauen in sich. Sie fördern nicht die Verständigung, sie belasten sie mit neuem Hader.
Wir wollen weder eine Außenpolitik der Anbiederung noch eine Außenpolitik des Alles oder Nichts.
Wir fordern ehrliche und klare Regelungen in unseren Beziehungen zu Polen, damit wirklich Verständigung und Ausgleich zwischen diesen beiden mitteleuropäischen Völkern möglich werden, die sich so viel geben können.Diesem Ziel werden die jetzt vorgelegten Vereinbarungen nicht gerecht; und aus diesem Grunde lehnen wir sie ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure die Rede des Kollegen Wallmann,
weil sie nicht geeignet ist, dem Ziel der Verständigung und Aussöhnung mit Polen zu dienen.
Wenn es ein politisches Klima gibt, das sich für polemische Auseinandersetzungen nicht eignet, dann sind es die hier zur Entscheidung anstehenden Verträge mit Polen.
Ich stimme dem Bundesaußenminister zu, wenn er vorhin sagte, daß starke Worte nicht in diese Debatte passen.
Ich warne auch davor, durch solche Reden, wir wirsie soeben von dem Kollegen Wallmann gehört haben, mühsam verheilte Wunden wieder aufzureißen.Der Beitrag des Kollegen Wallmann, des ersten Redners der Opposition, war keine adäquate und gleichrangige Antwort auf die sachliche und überzeugende Rede des Bundesaußenministers.
Man wird auch, Herr Kollege Wallmann, der außerordentlichen Bedeutung der Verträge nicht gerecht, wenn man — und hier gebrauche ich einen Satz des Kollegen Blüm aus einer ZDF-Sendung vom 16. Dezember 1975 — als „finanztechnischer Buchhalter das Polen-Problem angeht".
Ein Wort noch zu dem Thema Fraktionszwang.
Ich will hier die Gewissensentscheidung bei der Reform des § 218 nicht bemühen; ich will ein historisches Beispiel bringen: Im Jahre 1933 haben die sozialdemokratischen Mitglieder der Reichstagsfraktion dem Ermächtigungsgesetz nicht zugestimmt —
aus eigener Verantwortung und freier Entscheidung. Das ist das Grundprinzip der Sozialdemokratischen Partei.
Sie haben das getan, obwohl diese Haltung damals mit erheblichen Risiken für Existenz und Leben dieser Abgeordneten verbunden war.
Wenn wir heute über die Verträge mit Polen diskutieren, kann das nicht losgelöst von den geschichtlichen Abläufen der letzten vier Jahrzehnte
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15545
Metzgergeschehen. Aus manchen Stellungnahmen in den letzten Wochen und Monaten und auch aus dem heutigen Beitrag des Kollegen Wallmann konnte man cien Eindruck gewinnen, als gehe es bei diesen Verträgen um Probleme, die nach Belieben polemischen Diskussionen ausgesetzt, wahltaktischen Gesichtspunkten unterworfen und ohne Rücksicht auf internationale Verpflichtungen, Erwartungen und Ratschläge unserer Freunde und Verbündeten geregelt oder auch zur Disposition gestellt werden können. Diese Verhaltensweise ist für jeden Bürger unseres Landes, der ein Minimum an Empfinden für moralische Kategorien und staatspolitische Verantwortung hat, tief beunruhigend.Für Europa und darüber hinaus war in diesem Jahrhundert kein Ereignis prägender, einschneidender und verhängnisvoller als der von Deutschland begonnene zweite Weltkrieg und seine Folgen.
Unvorstellbare Not, Elend und Erniedrigungen, Schandtaten und Verbrechen in bisher nicht gekanntem Ausmaß, blindwütige Zerstörung irdischer Güter und eine schrankenlose Vernichtung menschlicher, kultureller und moralischer Werte haben zu tiefgreifenden Veränderungen staatlicher, politischer, sozialer, gesellschaftlicher Einheiten und Strukturen geführt, die auch heute noch — bis in unsere heutige Zeit — fortwirken.Meine sehr geehrten Damen und Herren, kein Volk hat unter diesem Inferno des Grauens und der Unmenschlichkeit mehr gelitten als die Polen: bis an den Rand der existentiellen Vernichtung. Ich möchte dazu gern aus dem Briefwechsel zwischen den polnischen und den deutschen Bischöfen am Ende des II. Vatikanischen Konzils zitieren und hier aus der Botschaft der polnischen Bischöfe vorlesen, um das Empfinden derjenigen zum Ausdruck zu bringen, die sich in großer innerer Not befinden und um deren Schicksal es in der Zeit von 1939 bis 1945 ging, die aber auch mit großer Souveränität die Hand zur Versöhnung ausgestreckt haben. Die polnischen Bischöfe haben u. a. erklärt:Nach kurzer Unabhängigkeit von etwa 20 Jahren, von 1918 bis 1939, brach über das polnische Volk ohne seine Schuld das herein, was man euphemistisch einfach als zweiten Weltkrieg bezeichnet, was aber für uns Polen als totale Vernichtung und Ausrottung gedacht war. Über unser armes Vaterland senkte sich eine furchtbare finstere Nacht, wie wir sie seit Generationen nicht erlebt hatten. Sie wird bei uns allgemein als deutsche Okkupationszeit genannt und ist unter diesem Namen in die polnische Geschichte eingegangen. Wir waren alle macht- und wehrlos. Das Land war übersät mit Konzentrationslagern, in denen die Schlote der Krematorien Tag und Nacht rauchten. Über sechs Millionen polnische Staatsbürger, darunter der Großteil jüdischer Herkunft, haben diese Okkupationszeit mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die führende polnische Intelligenzschicht wurde einfach weggefegt. 2 000 polnische Priester und fünf Bischöfe, ein Viertel des damaligen Episkopats,wurden in Lagern umgebracht. Hunderte von Priestern und Zehntausende von Zivilpersonen wurden bei Ausbruch des Krieges an Ort und Stelle erschossen, 278 Priester allein in der Diözese Kulm. 48 % de r Priester wurden im Krieg in der Diözese Wloclawek und 47 % in der Diözese Kulm umgebracht ... Alle polnischen Familien hatten ihre Todesopfer zu beklagen. Wir wollen nicht aufzählen, um die noch nicht vernarbten Wunden nicht weiter aufzureißen, was sich in dieser Zeit alles ereignet hat ...Die Bischöfe fahren fort:Die Vernichtungswellen des letzten Krieges sind nicht nur einmal wie in Deutschland, sondern seit 1914 mehrere Male über die polnischen Lande hinweggebraust, und zwar hin und zurück, wie apokalyptische Reiter, und haben jedesmal Schutt und Trümmer, Armut, Krankheit, Seuchen und Tränen und Tod und wachsende Vergeltungs- und Haßkomplexe hinterlassen ...Nach alledem, was in der Vergangenheit geschehen ist — leider erst in der allerneuesten Vergangenheit — ist es nicht zu verwundern, daß das ganze polnische Volk unter dem schweren Druck eines elementaren Sicherheitsbedürfnisses steht und seine nächsten Nachbarn im Westen immer noch mit Mißtrauen betrachtet. Diese geistige Haltung ist sozusagen unser Generationenproblem, das, Gott gebe es, bei gutem Willen schwinden wird und schwinden muß.Ich möchte Ihnen auch die Antwort der deutschen katholischen Bischöfe nicht vorenthalten:Dankbar greifen wir Ihre Botschaft auf und hoffen, den begonnenen Dialog in Polen und in Deutschland miteinander fortsetzen zu können. Mit Gottes Hilfe wird dieses Gespräch die Brüderlichkeit zwischen dem polnischen und deutschen Volk fördern und festigen.Und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Döpfner, bekräftigte 1970 in einem öffentlichen Vortrag diese Haltung, indem er sagte:Ich möchte einige Friedensaufgaben nennen, die mir innerhalb der katholischen Kirche der Bundesrepublik besonders dringlich zu sein scheinen. An die erste Stelle gehört zweifellos, und zwar auf viele Jahre hinaus, die Verständigung und Aussöhnung mit Polen. Wie immer man zu diesem Vertrag— dem Vertrag von 1970 —stehen mag, über den gegenwärtig verhandelt wird: Diese Aufgabe ist und bleibt gestellt.Ich habe mir, sehr geehrte Damen und Herren, in den letzten Wochen oft die Frage gestellt und möchte sie an alle Mitglieder dieses Parlaments und an alle verantwortlichen Politiker in der Bundesrepublik weitergeben: Verliert nicht jede Kritik, die an den Verträgen geübt wird, auch wenn Einzelheiten ernst genommen werden sollen und müssen,
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Metzgeran Bedeutung und Gewicht vor dem Hintergrund dieser schrecklichen Ereignisse und im Hinblick auf die Notwendigkeit der Verständigung und Aussöhnung mit Polen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes? — Bitte sehr!
Herr Kollege Metzger, ist Ihnen bekannt, daß und warum die polnische Regierung den Brief der Bischöfe Polens an die Gesamtheit der deutschen Bischöfe vor zehn Jahren auf das heftigste kritisiert hat, gerade weil die polnischen Bischöfe das Wort gesprochen haben: „Wir gewähren Vergebung, und wir bitten um Vergebung" und weil die polnischen Bischöfe die Einheit des deutschen Volkes in klarer Form herausgestellt haben?
Herr Kollege Dr. Mertes, ich werde auf diese Frage nachher noch im einzelnen eingehen, aber ich möchte jetzt soviel sagen — —
— Sie können überhaupt nicht abwarten, bis ich den Satz zu Ende gesprochen habe. Ich will jetzt soviel sagen: Die polnische Regierung und die katholische Kirche sind sich in einer Frage absolut einig, in der Frage der Aussöhnung und Verständigung mit Deutschland und der Bundesrepublik Deutschland. Ich glaube, diese Einheit von katholischer Kirche und kommunistischem Staat sollte man hier nicht ohne Not in Zweifel ziehen.
Herr Abgeordneter Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer?
Ich möchte jetzt den Gedanken weiter ausführen.
Bitte sehr! Der Herr Abgeordnete gestattet die Zwischenfrage nicht.
Ich bin dankbar, daß es Kollegen in der Oppositionsfraktion gibt, die diese Auffassung teilen. Es gibt aber auch andere — und, wie ich meine, verhängnisvolle — Stimmen. Der Satz des Kollegen Marx, der offensichtlich heute dieser Debatte nicht beiwohnen kann,
obwohl er der außenpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion ist — — Sie sagen: China! Es gibt bei Ihnen offensichtlich Politiker, für die China näherliegt als Polen und für die die chinesischenProbleme wichtiger sind als die polnischen Probleme.
Dieser chinareisende außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Marx, hat in seiner Rede auf dem deutschlandpolitischen Kongreß der Union am 29. November des vergangenen Jahres einen Satz geprägt, der für mich bestürzend ist. Er sagte:Für mich ist der Begriff „Versöhnung" ein Begriff der Theologie und nicht der Politik.
Ich möchte hier die Frage stellen, vor allen Dingen an diejenigen Politiker, die im kirchlichen Bereich Verantwortung tragen, ob dieses Bekenntnis eines Politikers, der Mitglied einer Partei ist, die das Wort „christlich" für sich in Anspruch nimmt, nicht an die Grenze des Zynismus reicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die Versöhnung auf den theologischen Bereich beschränken und aus dem menschlichen Zusammenleben — und das ist Politik — verbannen will, hat die christliche Botschaft nicht verstanden, und er hat auch darauf verzichtet, eine humane Gesellschaftsordnung anzustreben.
Mit Recht sagt die Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche — ich zitiere hier wörtlich —: „Die Frage der deutschen Ostpolitik erweist sich als aktueller Anwendungsfall einer theologisch bestimmten politischen Ethik".Ich gehöre wie viele in diesem Parlament zu einer Generation, die den zweiten Weltkrieg als junger Mensch in vollem Bewußtsein, aber den Ereignissen ohnmächtig ausgeliefert, miterlebt hat. Mich verfolgen heute noch wie ein Alptraum die Bilder des Schreckens dieses Krieges. Für diese Generation wie auch für die Kriegsgeneration war es eine der größten und sicher auch schwersten Aufgaben, zu einer Verständigung und Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern zu kommen. Diese Politik der Verständigung und Aussöhnung der 50er Jahre, zuerst gegenüber unseren Nachbarn im Westen, wurde — wie konnte es anders sein — von CDU/ CSU, Freien Demokraten und Sozialdemokraten gemeinsam getragen.
Wir haben mit Frankreich Frieden und Freundschaft geschlossen. Ich muß Ihnen sagen: Dennoch stockt einem immer wieder der Atem, wenn man auf dem Weg nach Paris durch das Gebiet von Verdun, das Marne- und Saône-Gebiet Kilometer über Kilometer an unzähligen Soldatengräbern des ersten und zweiten Weltkrieges vorbeifährt. Ich war vor einigen Monaten mit einem meiner Söhne in Paris, und er hat mir auf dieser Fahrt die Frage vorgelegt: Warum gibt es hier so viele Gräber? Warum mußten die Menschen alle sterben?
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MetzgerWir haben mit Israel und dem jüdischen VolkVerständigung gesucht und Aussöhnung gefunden, nach langen Jahren schwieriger Gespräche und Verhandlungen. Und doch fühlt man immer wieder die schwere Schuld, die auf uns allen lastet, wenn man vor der Gedenkstätte für die Opfer der Konzentrationslager in Yad Vashem in Jerusalem steht.Ich frage uns alle: Wann endlich wollen wir die grauenvolle Vergangenheit der letzten Jahrzehnte überwinden? Wann endlich wollen wir mit Polen Frieden schließen, auch mit uns selbst, die wir doch aufgewühlt sind, wenn wir an Auschwitz, an das Warschauer Getto oder an die Vertreibung nach 1945 denken?
Ich stelle diese Frage ganz bewußt an die Fraktion der CDU/CSU: Warum können wir diesen Weg gegenüber Polen nicht gemeinsam zurücklegen, wie wir das gegenüber Frankreich und Israel taten?
Der Dialog, von dein die Bischöfe in ihrem Briefwechsel sprachen, wurde in den 60er Jahren von vielen begonnen und fortgesetzt. Dafür ist vor allem der evangelischen und der katholischen Kirche zu danken.
Die entscheidende Grundlage für den Beginn der Verständigung auf politischer Ebene, von Willy Brandt und Walter Scheel begonnen und im Warschauer Vertrag von 1970 abgeschlossen — und dafür gebührt ihnen Dank —,
wurde, wenn man den Worten der Opposition Glauben schenken darf — und ich tue das —, inzwischen als Realität anerkannt. Soll diese Grundlage jetzt wieder ausgehöhlt oder beseitigt werden, indem man ein Rentenabkommen, einen Vertrag, wie wir ihn mit zahlreichen anderen Staaten bereits abgeschlossen haben — der Kollege Schmidt hat das vorhin im einzelnen dargelegt -, mit dem Hebel des Bundesrats gegen die breite Mehrheit des von den Bürgern unmittelbar gewählten Parlaments der Bundesrepublik Deutschland scheitern läßt?Sind Sie sich wirklich darüber im klaren, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, welche moralische Verantwortung Sie damit auf sich nehmen?Für uns, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, steht im Mittelpunkt aller Bemühungen die Überwindung einer schrecklichen Vergangenheit, die Aussöhnung mit dem polnischen Volk, die Sicherung einer friedlichen Entwicklung in Europa und die humanitäre Hilfe für Bürger, die in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln wollen. Dieser Weg kann nur fortgesetzt werden, wenn wir Schritt für Schritt Mißtrauen beseitigen, Vorurteile abbauen und der gute Wille auf beiden Seiten immer wieder deutlich wird. Einen anderen Weg zu dieser Politik gibt es nicht.Deshalb kann und darf es nicht um vordergründige wahltaktische Gesichtspunkte oder um innenpolitische Machtfragen gehen.
Es darf nicht um das verhängnisvolle Aufrechnen von Unrecht und Schuld gehen,
und es darf auch nicht um den — ich sage das als Jurist — kleinlichen Streit gehen, ob diese oder jene Rechtsform für eine Vereinbarung zu wählen ist, wenn es um das menschliche Schicksal von vielen Tausenden geht.
Ich bin davon überzeugt — lassen Sie mich auch das ganz offen und mit allem Ernst sagen —: das Rentenabkommen und die übrigen Verträge, über die wir heute diskutieren, würden die Zustimmung aller im Bundestag vertretenen Parteien erhalten, wenn Vertreter der Opposition nicht immer wieder die kommunistische Staats- und Gesellschaftsordnung in Polen vor Augen hätten. Das ist eine verhängnisvolle Vermischung von zwei Sachverhalten. Wir müssen wissen — damit komme ich auf das zurück, was Herr Kollege Dr. Mertes gefragt hat —: In Polen gibt es in diesen Fragen, über die wir im Rahmen der Verträge diskutieren, keine Meinungsunterschiede zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten, zwischen Staat und katholischer Kirche. Die Frage der Aussöhnung mit Polen darf deshalb keine Frage der Ideologie und der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauer?
Bitte schön!
Herr Kollege Metzger, können Sie mir dann bitte erklären, warum die Polnische Arbeiterpartei nach der Veröffentlichung des hervorragenden Briefes der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe, in dem u. a. auch das Wort „bittere Frucht der Vertreibung" steht, die Arbeitnehmer drüben gezwungen hat, an den Betriebstoren Listen zu unterschreiben und sich gegen diesen Versöhnungsbrief der polnischen Bischöfe auszusprechen?
Ich habe nicht von einer Einheit von Kirche und kommunistischem Staat gesprochen.
— Ich habe von einer einheitlichen Haltung der katholischen Kirche und des polnischen Staates in dieser für Polen und auch für uns entscheidenden Frage gesprochen.
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MetzgerHerr Kollege Sauer, wenn Sie sich die Situation vergegenwärtigen, in der sich Polen und die polnische Bevölkerung nach den schrecklichen Jahren 1939 bis 1945 befanden, und wenn Sie sich weiter vergegenwärtigen, was dem polnischen Volk in dieser Zeit an Leid und Schrecken angetan worden ist
— ich habe vorhin aus dem Brief der polnischen Bischöfe zitiert —, haben Sie dann kein Verständnis dafür, daß man politische Sachverhalte durchaus unterschiedlich beurteilen kann?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Entscheidung über dieses Vertragswerk — darüber müssen sich jedes Mitglied im Deutschen Bundestag und auch jede Landesregierung im klaren sein — entscheiden wir auch und, ich möchte hinzufügen, in erster Linie über eine Fortsetzung der Verständigungs- und Aussöhnungspolitik mit Polen und den anderen Nachbarn im Osten und über das Schicksal vieler tausend Menschen.Die Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion werden — jeder in eigener Verantwortung und freier Entscheidung — für die Rentenvereinbarungen stimmen und für den Abschluß der Verträge kämpfen: aus moralischer Verpflichtung, aus politischer Überzeugung und — das darf ich für mich und viele meiner politischen Freunde sagen — auch aus christlicher Verantwortung.
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat seine Exzellenz, der Premierminister der Islamischen Republik Pakistan, Herr Ali Khan Bhutto, mit seiner Begleitung Platz genommen.
— Meine Damen und Herren, wir alle haben gesehen, daß wir nicht ganz richtig informiert wurden. Ich bedaure das sehr.
Wir werden das nachholen, wenn Seine Exellenz gekommen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die öffentliche Diskussion der letzten Tage und Wochen aufmerksam verfolgt hat, mußte den Eindruck gewinnen, daß bei dieser Einstimmung zur heutigen Debatte immer weniger der Inhalt der Polen-Vereinbarungen die Auseinandersetzungen um diesen Teil unserer Ostpolitik bestimmen, sondern daß immer stärker rein taktische Überlegungen in den Vordergrund zu treten scheinen. Bald könnte der Augenblick gekommen sein, an dem wir gar nicht mehr miteinander über die Sache sprechen, sondern an dem wir nur noch übereinander, ja, aneinander vorbeireden, nur noch bemüht, die beste innenpolitische Ausgangsposition zu gewinnen. Meine Damen und Herren, wenigstens hier und heute sollten wir dieses Spiel um innenpolitische Punkte durch Verketzerung des politischen Gegners in außenpolitischen Fragen nicht betreiben.
Mit dem zur Ratifizierung anstehenden Rentenabkommen werden in Form eines zwischenstaatlichen Vertrages Ansprüche pauschal abgegolten. Die Bundesregierung hat sich dabei um eine Lösung bemüht, die, wie mir scheint, für alle Beteiligten ein akzeptables Ergebnis gebracht hat. Meine Damen und Herren, ich verzichte bewußt auf einen öffentlichen Beweisantritt für diese Feststellungen und begnüge mich mit dem Hinweis auf die ausführlichen Ausschußberatungen. Wer nämlich glaubt, die eigenen Vorteile der Regelung an dieser Stelle besonders dick herausstreichen zu müssen, wird damit auf der polnischen Seite zwangsläufig Mißtrauen hervorrufen, auch wenn dies noch so unbegründet sein mag. Befürworter und Gegner des Abkommens sollten diese gegenseitige Abhängigkeit bei ihrer Auseinandersetzung nicht aus dem Auge verlieren.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat durch ein gut geschnürtes Bündel von Abkommen und Absprachen den ins Stocken geratenen deutsch-polnischen Dialog wieder flottmachen können. Sie hat das Ziel ihrer Entspannungspolitik konsequent weiterverfolgt, ohne dabei deutsche Interessen preiszugeben.
Die deutschpolnischen Vereinbarungen befinden sich nicht nur in Übereinstimmung mit denjenigen Prinzipien, die nach der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zur Grundlage europäischer Politik geworden sind, sie selbst sind zu dem herausragenden Ergebnis von Helsinki geworden. Bis dahin war leider zu registrieren, daß sich die polnische Regierung mit dem Warschauer Vertragswerk von 1970 sehr schwer tat. Sie hatte sich damit offenbar zuviel zugemutet. Welche Gründe dafür auch immer eine Rolle gespielt haben mögen, fest steht, daß der mit dem Warschauer Vertrag eingeleitete Prozeß der Normalisierung erkennbar gebremst, ja, behindert wurde. Dies führte notwendigerweise zu Reibereien und ständigen Auseinandersetzungen über die Durchführung des Warschauer Vertrages. Das gerade neu begründete Verhältnis schien gestört, der Durchbruch für eine positive Entwicklung schien unmöglich geworden zu sein. Der neu aufgeblätterte Forderungskatalog, der noch um das Verlangen ergänzt wurde, den in Aussicht gestellten Kredit nach-
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Hoppehaltig zu erhöhen, blockierte zwangsläufig den Vollzug der Vereinbarungen von Warschau.
Diese wenig erfreuliche Lage drohte wieder neue Spannungen zu produzieren. Dies war die Landschaft, die wir in Warschau antrafen, als eine interfraktionelle Delegation des Deutschen Bundestages dort Gespräche mit Parlamentariern und Regierungsvertretern führte. In sehr offenen und manchmal sehr, sehr harten Diskussionen wurde der unbefriedigende Zustand der Diskussionen analysiert und nach Möglichkeiten einer Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses auf der Grundlage des Warschauer Vertrages gesucht. Alle Aspekte der Beziehungen sind damals erörtert worden. Unter den Vertretern des Deutschen Bundestages — quer durch alle Fraktionen — hat es dabei keine Meinungsverschiedenheiten gegeben, gleichgültig, ob über territoriale Probleme, Wiedergutmachungsansprüche, humanitäre Leistungen, Kreditgewährung oder Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen gesprochen wurde, Einvernehmlich wurde dem Anspruch der polnischen Seite auf Wiedergutmachung widersprochen; unumstritten war zu diesem Zeitpunkt aber auch der deutsche Beitrag in seiner Gesamtheit.Meine Damen und Herren, wer diese Stufe der Entwicklung in den deutsch-polnischen Beziehungen vor Augen hat und sie nicht aus Gründen der Vergeßlichkeit oder der politischen Taktik unberücksichtigt läßt, muß zugeben, daß die Bundesregierung in Helsinki an der deutschen Position festgehalten hat. Er muß auch erkennen, daß für die Aussiedlung kein neuer Preis gezahlt werden soll. Es ist deshalb abwegig, ja, geradezu bösartig, zu behaupten, für die Ausreise werde jetzt doppelt gezahlt.
Richtig ist, daß mit den von der Bundesregierung in Helsinki getroffenen Vereinbarungen ein schwelender Streit ohne existentielle Veränderung des Warschauer Vertrages beigelegt werden konnte. Erreicht wurde dies durch die Erweiterung des Vertragsinhalts von Warschau um das Abkommen über die Renten- und Unfallversicherung. Die darin vereinbarte pauschale Ablösung von individuellen Ansprüchen sollte kein Anlaß für Streit und auch nicht für verfassungsrechtliche Exkursionen sein. In der Vergangenheit sind vergleichbare Abkommen auch schon mit anderen Ländern getroffen worden. Mit dem in sich ausgewogenen, sachlich vertretbaren und international durchaus üblichen Renten- und Unfallversicherungsabkommen ist es aber gelungen, die verhärteten Positionen aufzulockern und den festgefahrenen Entspannungskarren wieder flottzumachen. So gesehen, handelt es sich bei diesem Teil des Abkommens um eine sinnvolle Ergänzung des Verhandlungspaketes. Dadurch konnte nicht nur der tote Punkt überwunden werden; auch die mit dem Warschauer Pakt angestrebte Normalisierung kann jetzt endlich Wirklichkeit werden.Es sei jedoch eingeräumt, daß die aus den geschilderten Gründen vorgenommene Ergänzung des Warschauer Vertragswerks von 1970 nicht unbedingt zum diplomatischen Regelfall werden sollte.
Es soll auch nicht verschwiegen werden, daß die Lösung der humanitären Fragen nach der Information zum Warschauer Vertrag in einer kürzeren Zeit und für einen größeren Personenkreis realisierbar erschien. Gewiß kein Vorgang, der übergangen werden darf, und doch liegt alles in allem ein Ergebnis vor uns, dem man zustimmen kann und dem meine Fraktion deshalb auch geschlossen zustimmen wird.
Meine Damen und Herren, Zwang hat es bei uns dabei nicht gegeben. Herr Kollege Wallmann, wenn Sie diesen Stein auf andere werfen, dann klirrt es allerdings ganz kräftig im Glaskasten der Opposition.
Die Abstimmungsgleichschaltung im Bundesrat ist doch wohl das hochaktuelle Thema der CDU/CSU.
Was den Fraktionsmitgliedern angesonnen wird, die sich zu einer Zustimmung zu dem Abkommen entschlossen haben, ist entlarvend und peinlich zugleich. Ich möchte und kann deshalb darauf verzichten, den Stein zurückzuwerfen.Bevor nun aber jemand darangeht, die polnische Regierung wegen ihres Verhaltens zu attackieren oder gar zu schmähen,
sollte vielleicht einmal darüber nachgedacht werden, ob sich darin nicht die Probleme widerspiegeln, die eine kommunistische Regierung hat, die für Polen Politik treiben will und die doch die „brüderlichen Interessen" der Sowjetunion im Rücken und der DDR im Vorfeld nicht tangieren darf.Die von der sozialliberalen Koalition eingeleitete Politik des Ausgleichs mit den Staaten des Ostblocks — hier in erster Linie mit Polen — ist in ihrer politischen und historischen Bedeutung — wie es andere schon einmal bezeichnet haben — tatsächlich doch wohl nur mit der Aussöhnung mit Frankreich vergleichbar. Das wurde frühzeitig erkannt und auch offen ausgesprochen.
Die dazu nötigen und, wie ich meine, auch möglichen Schritte auf dieses Ziel hin sind aber in der Vergangenheit nicht konsequent genug getan worden. Erst seit 1969 wird eine als notwendig angesehene Politik auch in die Tat umgesetzt. Die Opposition steht dabei bis heute leider noch abseits. Auch die um Ausgleich bedachten Kräfte in der CDU/CSU, die
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Hoppees ja gibt — und gewiß noch vermehrt bei ihren Wählern —,
vermögen das offizielle Bild der Opposition nicht zu ändern und ihre Handlungsweise nicht entscheidend zu beeinflussen.Seit der Debatte um die Ratifizierung der Verträgevon Moskau und Warschau drcht sich dir Oppositionmit ihrer Argumentation im Kreise. Sie lehnt die Ostpolitik aus prinzipiellen Gründen ab, und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird diese Politik — manchmal geradezu in blindwütiger Kritik — in Grund und Boden verdammt. Da die Ostpolitik der Regierung aber schon im Ansatz abgelehnt wird, wird sie auch in jedem Einzelfall als gescheitert hingestellt. Dabei hat die Rede des Kollegen Wallmann auch heute hier gezeigt, daß wir über die Prinzipien und die Grundlagen gar nicht streiten. Nein, meine Damen und Herren, die Methode der Politik ist im Streit. Aber das, so scheint mir, will die Opposition nicht wahrhaben und nicht erkennen.
Die Opposition scheut manchmal nicht davor zurück, in dieser Auseinandersetzung jene Wortwahl — um nicht zu sagen: Tiraden — von Vertriebenenfunktionären zu übernehmen, die der Bundesregierung den Vorwurf machen, in einer neuen Art von Menschenhandel für die Aussiedlung von jetzt nur 120000 bis 125 000 Menschen Milliardenbeträge zu zahlen, die von deutschen Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Der Schaden, der durch solche verbalen Exzesse im Ausland angerichtet wird, ist groß. Die außenpolitische Diskussion sollte dies bei uns doch stärker beachten.Nun kann eine Opposition gerade in der Außenpolitik der Regierung mit Kritik sehr helfen, aber nur dann, wenn sie in ihren Forderungen die außenpolitischen Gegebenheiten beachtet und realisiert. Mit maßloser Kritik an der Regelung der humanitären Probleme geschieht dieses aber gerade nicht. Die Umsiedlung der Deutschen aus Polen wird in eine so unmittelbare, so direkte Wechselwirkung zu Geldleistungen gebracht — und dies dann auch noch so penetrant formuliert —, als wolle man die andere Seite geradezu noch zu Nachforderungen ermuntern. Dabei hat gerade das zweiseitige Aussiedlungsprotokoll die einseitige Information der polnischen Regierung aus dem Jahre 1970 konkretisiert und für die Durchführung der Maßnahmen eine nach Form und Inhalt unbestreitbare Verbesserung gebracht.Gewiß ist für den zunächst festgelegten Zeitraum die Zahl der betroffenen Personen limitiert, und dies ist ganz sicher kein Grund zur Genugtuung; ich wiederhole das ausdrücklich. Aber wir sollten in der innenpolitischen Diskussion darauf achten, daß wir nicht selbst jene Möglichkeiten zerreden, die dieses Protokoll für die weitere Ausreise von Deutschen auch nach dem Jahre 1979 eröffnet.
Das Protokoll hat zwar das Verhandlungsziel, auch das gegenüber dem Verhandlungspartner politisch Erreichbare relativiert. Das Ergebnis bleibt damit aber in den Grenzen, die das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7. Juli 1975 den Regierenden für ihr politisches Handeln gezogen hat.
Meine Damen und Herren, in dem Meinungsstreit über die Polenpolitik ist häufig der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer bemüht worden. Es muß konstruiert wirken oder nach Manipulation aussehen, wollte man ihn zum Kronzeugen für die Richtigkeit dieser Politik der Bundesregierung und dieser Koalition machen wollen.
Ebensowenig wäre es zulässig, von einem Adenauer-Vermächtnis zu sprechen, das es heute zu erfüllen gilt. Und doch dürfen wir uns durch jene Worte mahnen lassen, die von ihm zum 20. Jahrestag des Kriegsausbruchs am 31. August 1959 gesprochen wurden; auszugsweise heißt es da:Weit länger als ein Jahrhundert hat dieses sympathische Volk, ohne daß es irgendeine Schuld traf, unter den politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa gelitten; dreimal wurde es zerrissen und geteilt. Und vor 20 Jahren wurde es das erste Opfer des letzten Krieges, als Hitler-Deutschland und die Sowjetunion in das Land einfielen und es grausam zerstörten. Das heutige Deutschland ist ein anderes Deutschland als jenes unter Hitler ... Dieses neue Deutschland wird einmal ein guter Nachbar Polens werden ... Unser Bestreben wird es sein, Verständnis, Achtung und Sympathie zwischen dem heutigen Deutschland und dem polnischen Volk zu begründen, damit auf diesem Boden dereinst eine wahre Freundschaft erwachse.
Herr AbAbgeordneter Hoppe, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen. — Meine Damen und Herren, zwar werden die Umsichtigkeit und die Schnelligkeit des Protokolls zu Recht oft gelobt. Aber gelegentlich gibt es dafür auch Fehlleistungen, die dann um so transparenter sind.
Meine Damen und Herren, ich habe erst jetzt die Ehre und die Freude, auf der Diplomatentribüne seine Exzellenz den Premierminister der Islamischen Republik Pakistan, Herr Zulfikar Ali Khan Bhutto, mit seiner Begleitung begrüßen zu können.
Es ist uns, Exzellenz, eine große Ehre und Freude, Sie und Ihre Begleiter als Gäste aus Pakistan im Deutschen Bundestag sehr herzlich willkommen zu heißen. —
Bitte, Herr Abgeordneter!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Vorstellungen auch immer Konrad Adenauer gehabt haben mag, um dieses Ziel seiner Politik zu erreichen und seine Visionen Wirklich-
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Hoppekeit werden zu lassen, wir haben uns zu fragen, wie wir diesem Ziel heute in einer veränderten Welt näherkommen können.
Jetzt und heute ist dies aber nur möglich und nur auf dem Weg erreichbar, wie ihn die Bundesregierung mit dem Vertrag von Warschau eingeschlagen hat und wie sie ihn mit den Vereinbarungen von Helsinki konsequent weitergegangen ist.Schließlich kommt es gerade im internationalen Maßstab darauf an, jene Epoche zu beenden, die wir mit dem zweiten Weltkrieg heraufbeschworen haben. Bei dem Bemühen, die schrecklichen Folgen der kriegerischen Auseinandersetzung endlich zu überwinden, Haß abzutragen und Leid zu mildern, sind es letztlich nicht die Regierungen, die sich versöhnen, sondern mit Recht ist schon an anderer Stelle darauf hingewiesen worden, daß die Regierungen nur die Verträge schließen, die dazu bestimmt sind, einen gerechten und geordneten Frieden zu sichern. Alle Bemühungen um eine rechtliche Friedenssicherung können aber nur dann Erfolg haben, wenn die Völker ernsthaft eine Aussöhnung anstreben und damit eine solide Basis für friedliche Beziehungen schaffen. Für die sich für uns daraus ergebenden Konsequenzen zeigen die Vereinbarungen von Helsinki zwar keine in jeder Einzelheit zufriedenstellende Lösung auf, aber sie liefern ein vertretbares Ergebnis, mit dem man an dieser Aufgabe aktiv mitarbeiten kann.Auch die Opposition sollte sich, wie es dem Deutschen Bundestag insgesamt gut anstehen würde und wie es unserem ganzen Volk verpflichtend zukommt, an jener Aussage orientieren, die im Memorandum des Bensberger Kreises 1968 so formuliert wurde:Weder der Versöhnung der Völker noch der Zukunft der Staaten ist gedient, wenn sie Schuldkonten gegeneinander aufrechnen. Dem Frieden dient vielmehr, wenn jede Seite sich bemüht, nicht zu leicht zu wägen, was sie gern vergäße. So werden wir Deutsche uns zu sagen haben, daß die im Namen Deutschlands gegen Polen unternommenen Verbrechen wegen ihrer totalen Ziele, wegen ihres grausam kalt geplanten, staatlich verfügten und organisierten Terrors, wegen der Degradierung und Deklassierung der Polen und wegen ihrer verheerenden Folgen, zu denen die Vertreibung der Deutschen selbst gehört, von solcher Art sind, daß jeder Versuch von Gegenrechnungen verstummen muß.Meine Damen und Herren, die Fraktion der Freien Demokraten ist bereit, nach dieser Maxime zu handeln. Es ist an der Zeit, die häufig beschworene Pflicht und Bereitschaft zur Versöhnung endlich in die Tat umzusetzen. Noch so viele Bekundungen zu einer solchen Politik werden blaß und verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn diese Gesinnung nicht durch das politische Verhalten endlich praktiziert wird.Auch der Bundesrat muß dies bei seiner Entscheidung bedenken. Der Oppostion ist zu wünschen, daß ihr die Entscheidung im Bundesrat nicht zu einem Kraftakt mißrät, in dem innenpolitische Geschlossenheit und Stärke ohne Rücksicht auf außenpolitische Folgen demonstriert werden sollen.
Auch die Opposition kann nicht nur von Versöhnung reden; auch sie muß schließlich bereit sein, dafür zu ihrem Teil Verantwortung mitzutragen.
Andernfalls, meine Damen und Herren, wird die totale Ablehnung doch immer wieder nur zur Obstruktion ausarten. Eine solche Haltung aber wird auch dann nicht ansprechender, wenn Obstruktion neuerdings offenbar mit C. K. geschrieben werden soll; Carstens und Kohl müßten vor dem Streitwagen der CSU zu einem unglaubwürdigen Gespann werden.
Wie zahlreiche Kollegen aus meiner und aus anderen Fraktionen gehöre ich zu dem Kreis der unmittelbar Betroffenen. Wenn ich als Handelnder und Duldender zugleich der Ratifizierung der Vereinbarungen von Helsinki und damit dem Vollzug der proklamierten Entspannungspolitik das Wort rede, bin ich mir dabei sehr wohl bewußt, um was es im einzelnen geht.Ich bin nicht nur in Pommern geboren und habe bis zum Kriegsende in Stettin gelebt; ich habe später dann auch die in der Gesetzgebung gewählten Bezeichnungen und Attribute „Vertriebener" und „Flüchtling" empfangen. Aber vielleicht bin ich gerade deshalb gemeinsam mit meinen politischen Freunden bereit, den von der Bundesregierung eröffneten und eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende gehen. Mit den Vereinbarungen von Helsinki gilt es zwischen dem durch den letzten Krieg tragisch verstrickten polnischen und deutschen Volk eine Aussöhnung herbeizuführen und die Chance zu einem friedlichen und hoffentlich wieder freundschaftlichen Nebeneinander zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Mertes .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort an den Kollegen Hoppe. Herr Kollege, von totaler Obstruktion kann überhaupt keine Rede sein. Wir sprechen ein begründetes Nein. Wir haben dies klargemacht. Wir haben deutlich gesagt, unter welchen Voraussetzungen auch wir deutsch-polnischen Vereinbarungen zustimmen könnten. Wenn Sie das als eine totale Obstruktion bezeichnen, dann verstehen wir uns nun auch in diesem Wort nicht mehr.
Das große Problem in diesem Hause scheint zu sein,daß jeder seine Begriffe souverän selber denkt,ob es das Wort „moralisch", ob es das Wort „Ent-
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Dr. Mertes
spannung", ob es das Wort „Versöhnung" ist. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, daß wir uns in diesen Tagen etwas besser verstehen.Zum Moralischen, meine Damen und Herren: Es ist moralisch unerlaubt, den Begriff des Moralischen zu verengen auf einen ganz bestimmten Fall und auf eine ganz bestimmte Problematik. Die Tatsache, daß wir hier im Bundestag sind, hat bei jedem von uns eine moralische Motivation; jedenfalls gehe ich davon aus. Daß sich hier auch andere Motive einmischen, ist etwas Selbstverständliches. Wir sind eben alle schwache Menschen. Aber wir sind in der Sozialpolitik moralisch motiviert, wir sind in der Außen- und Verteidigungspolitik moralisch motiviert, wir sind es in der Deutschlandpolitik — gerade dort sind wir es. Deshalb sollte man den Begriff der „moralischen Entscheidung" nicht auf einen solchen Vertrag so einengen, daß ein falscher Begriff der Sittlichkeit in der Politik entsteht.
Meine Damen und Herren, die Not des Politikers besteht doch darin, daß sich die großen moralischen Kategorien sozusagen gegenseitig im Wege stehen oder daß sie miteinander ringen.
Die Begriffe „Freiheit", „Frieden", „Gerechtigkeit" sind doch Begriffe, die sich in einer konkreten Situation oft nicht in Übereinstimmung bringen lassen, und es ist die Not des Politikers — ich sage es noch einmal —, auch in einem solchen Falle wie dem jetzigen festzustellen, welches moralische Element denn nun den Vorrang hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Friede das allerhöchste Gut wäre, dann hätte Polen 1939 der Erpressung durch Hitler nachgeben müssen. Wenn die Gerechtigkeit das höchste Prinzip wäre, dann würden wir unter Umständen den Frieden gefährden. Wir sollten den Begriff des Moralischen hier sehr vorsichtig gebrauchen und uns nicht gegenseitig einen Mangel an moralischer Motivation unterstellen. Wir sollten uns unsere jeweilige Entscheidung mit Respekt abnehmen. Zu den gefährlichsten Dingen in der Entwicklung unserer Demokratie würde es gehören, meine Damen und Herren, wenn eine Gruppe in diesem Hause in Fragen weltlicher Gesetzgebung und Außenpolitik eine Art moralisch unfehlbaren Richtigkeitsanspruch für sich erheben würde, und wäre er noch so versteckt.
In der Mutter der Parlamente, dem englischen Unterhaus, hatte man im 19. Jahrhundert die gute Übung, auch nach der überzeugtesten und überzeugendsten Rede zum Schluß zu sagen: „Aber, meine verehrten Herren, vielleicht bin ich doch im Unrecht." Wenn wir uns das gegenseitig hier nicht mehr konzedieren, Herr Bundeskanzler, ich wende mich vor allen Dingen an Sie, weil Sie in diesen Tagen die Kategorie des unbedingt Richtigen so sehr für sich in Anspruch nehmen, dann wird die Intoleranz in diesem Hause einziehen; die Demokratie lebt davon, daß es einen unfehlbaren Richtigkeitsanspruch in der Politik nicht gibt.
Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister, ich halte es gerade unter moralischem Blickwinkel für höchst problematisch, den Begriff der Versöhnung und den Begriff des Friedens an ein so konkretes Vertragsinstrument zu ketten. Wir haben das schon einmal erlebt. Damals war es auch die Sozialdemokratische Partei, die sagte: „Wir dürfen doch die deutsch-französische Versöhnung nicht ketten an ein bestimmtes Saar-Statut, wie es jetzt vorliegt und zur Abstimmung steht." Das taten damals einige französische Politiker. Ich habe in jener Zeit selbst öffentlich mit Jakob Kaiser erklärt, daß es unmöglich und auch moralisch nicht vertretbar ist zu sagen: Wenn dieses Statut nicht durchgeht, dann ist irreparabler Schaden in den deutsch-französischen Beziehungen entstanden, dann ist die Versöhnung auf das höchste gefährdet. So können auch Sie heute als verantwortliche Politiker in diesem Hause nicht sprechen!
Die Außenpolitik der Staaten wird durch ihre Interessen bestimmt. Hier gibt es nicht Altruismus, sondern hier gibt es eine vernünftige Vertretung der Interessen des eigenen Staates, und ich bin fest davon überzeugt, daß die Vertretung der eigenen Interessen der Volksrepublik Polen für die polnische Regierung der entscheidende Maßstab ist. Das wird auch gelten, sollte es nicht zu diesem Abkommen kommen.Lassen Sie mich ein Wort zu dem Problem des Menschlichen sagen, ich meine zu den Problemen, die die Menschen in Polen selbst angehen. Vergegenwärtigen wir uns doch die eigentliche Sachlage! Nach 1956, d. h., nach der Machtergreifung Gomulkas — ich bitte um Entschuldigung wegen des Wortes; ich vergleiche diesen Vorgang nicht mit der Machtergreifung von 1933 —
— haben Sie zugehört, was ich anschließend gesagt habe? —
— sehr schön —, hat es das Deutsche Rote Kreuz, hat es das Internationale Rote Kreuz in enger Kooperation mit der Bundesregierung von 1956 bis 1969 erreicht, daß etwa 350 000 Menschen, Deutsche nach deutschem Recht, in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen konnten. Es ist einfach unerhört, uns zu unterstellen, wir hätten für diese menschliche Frage kein Organ.
Dann kam die große Wende. Das war der Winter 1969/70, das waren die Verträge der Regierung Brandt/Scheel. In dieser Situation, als die Bundesregierung bereit war, große politische und wirtschaftliche Konzessionen an die Volksrepublik Polen zu machen, war der Moment gekommen, die Frage der noch in den Oder-Neiße-Gebieten lebenden ausreisewilligen Deutschen endgültig zu klären.
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Dr. Mertes
Der damalige Bundesaußenminister hatte offensichtlich den Eindruck, dies sei gelungen. Er hat uns erklärt, daß diese Ausreisewilligen jetzt zahlenmäßig unbegrenzt ausreisen dürften. Das Problem bei den Ostverträgen und eben auch bei der „Information" war doch — das war damals unsere fundamentale Kritik, und sie hat sich als richtig erwiesen —, daß diese Verträge in wesentlichen Punkten mehrdeutig sind und Anlaß zu neuem Streit geben. Der zweite Punkt — und das gilt auch für dieses Thema — war, daß unsere Leistungen unwiderruflich sind, die Leistungen der anderen Seite aber widerruflich. Und das Dritte war, daß die Gegenleistungen der anderen Seite jeweils nicht im Vertrag selbst standen, sondern in Nebenabreden. — Damit wir uns nicht mißverstehen, Herr Bundesaußenminister: ich sehe in dem Protokoll keine Nebenabrede, und ich möchte ausdrücklich sagen, daß alles, was Sie über die Verbindlichkeit des Protokolls und über die Verbindlichkeit der Information von 1970 zum Ausdruck bringen, unsere volle Zustimmung findet. Das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Sieht auch die Regierung der Volksrepublik Polen dies so? Das war doch unser Problem bei all diesen Verträgen und bei der KSZE-Schlußakte. Wenn ich in diesen Tagen so ungefähr täglich lese, daß unserer Regierung Vorhaltungen wegen Nichteinhaltung der KSZE-Schlußakte gemacht werden, so doch nicht deshalb, weil wir früher darauf hingewiesen haben. Das war doch zu erwarten.Hier noch ein Wort an Sie, Herr Bundesaußenminister: Wir stellen in diesem Zusammenhang in keiner Weise die Vertragstreue der Regierung der Volksrepublik Polen in Frage. Wir fragen uns nur: Warum hat die polnische Regierung in bestimmten Fragen dem Dokument nicht den formalen Rang gegeben, den wir gewünscht haben? Ich nehme an, weil sie sich auf einem guten Rechtsboden eine größere Handlungsfreiheit erhalten wollte. Wir kritisieren bei all diesen Dingen ja nicht die Volksrepublik Polen und ihre Regierung, sondern die schlechte Verhandlung unserer eigenen Regierung, womit ich die politisch Verantwortlichen meine.
Sie hatte doch den Eindruck erweckt und wohl auch die subjektive Gewißheit, daß es nun weitergehen werde.Aber das Zahlenproblem ist hier nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist die grundsätzliche Frage nach der Ausreisemöglichkeit. Herr Bundesaußenminister, ich bin etwas enttäuscht darüber, daß Sie in Ihrer Antwort auf die elf Punkte des Bundesrates die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen und die KSZE-Schlußakte als Grundlage für unsere Forderungen politisch-moralisch selber so abwerten.
Wie ist das möglich? Sie mögen juristisch recht haben, wenn Sie sagen, ein unmittelbarer förmlicher Anspruch sei hier nicht gegeben. Aber wir verstehen nicht, daß diese Regierung, die doch die Schlußakte von Helsinki gerade unterschrieben hat, um diesen Anspruch erheben zu können, diese Textenicht heranzieht. Wenn Sie sagen, es trete ein ungeheurer Schaden für die Menschen ein, wenn diese Abkommen scheiterten, dann muß ich Sie fragen: Was ist denn von Ihrer Auffassung zu halten, daß die Information noch gilt? Entweder gilt die Information noch, und dann ist die Tür nicht zugeschlagen, oder sie gilt nicht mehr.
Wir brauchen hier klare Äußerungen der polnischen Regierung, nicht nur der deutschen.Lassen Sie mich aber dieses Thema verlassen, um zu dem Begriff der Versöhnung zu kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Versöhnung heißt im Deutschen Verzicht auf Sühne. Versöhnung: das ist die Wiederherstellung eines guten Verhältnisses, das durch gegenseitige Verfehlungen — nacheinander oder gleichzeitig — gestört war. Dabei spielt die frei gewährte gegenseitige Vergebung eine herausragende Rolle. Solcher Sicht gibt der Brief der polnischen Bischöfe von 1965, dem Jahr des Jahrtausendjubiläums der Christianisierung und Staatwerdung Polens, den der Kollege Metzger erfreulicherweise zitiert hat, einen vorbildlichen Ausdruck.Das deutsche Wort Versöhnung bedeutet aber auch Einsicht in die Unzulänglichkeit und die Ichbezogenheit der menschlichen Natur. Dieses gilt für Einzelmenschen wie für Völker. Deshalb ist — und so verstehe ich den Kollegen Werner Marx — Versöhnung letzten Endes eine religiös-theologische Kategorie, angesichts derer der Politiker seine Grenze erfährt. In seiner nüchternen Sicht des Menschen und in seiner Heilsbotschaft sehe ich den Kern des Christentums, nicht in moralischen Rezepten für konkrete politische Probleme, oder gar in moralischem Pharisäismus gegenüber anderen, wenn ich das einmal sagen darf.Wir alle, die wir als junge Menschen die Zeit des Nationalsozialismus mitgemacht haben, haben doch nach 1945 darüber nachgedacht: Wie konnte es dahin kommen? Die Antwort, die wir uns gaben, lautete: Das Leid begann doch nicht am 1. September 1939, als Polen überfallen wurde. Das Leid begann auch nicht am 23. August 1939, als zwischen der Sowjetregierung und der deutschen Reichsregierung ein Beschluß über die gemeinsame Vernichtung des polnischen Staates gefällt wurde. Das muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Die volle geschichtliche Wirklichkeit muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden.
Das Leid fing auch nicht an, als auf dem Rücken der Tschechoslowakei ein sogenannter Friede hergestellt wurde. Das Leid wurde grundgelegt im Jahre 1933, als das bis dahin ohne totalitäre Erfahrungen lebende deutsche Volk einem Regime in den Sattel half, das anschließend seine Schreckensherrschaft begann.Ein Mann wie Theodor Heuss, der dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hat, hat dieses als die bitterste Erfahrung seines Lebens angesehen. Auch er war bei seiner Entscheidung subjektiv moralisch und menschlich motiviert angesichts der großen sozialen
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15554 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
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Not in Deutschland. Das steht doch nicht zur Debatte. Zur Debatte steht die Frage, welche Konsequenz müssen wir aus dieser Erfahrung — was nicht mit Schuld gleichzusetzen ist — ziehen?Es ist die folgende: Niemals mehr dürfen freie Menschen, dürfen Demokraten auf deutschem Boden totalitäre Herrschaft anerkennen oder fördern; denn in totalitären Herrschaftsräumen werden die Menschen aus Not anpasserisch und feige. Die Quintessenz unserer historischen Erfahrung ist doch gerade dies: Es darf nicht mehr eine strukturelle Situa tion auf deutschem Boden entstehen, in der so etwas möglich ist. Das Entscheidende ist nicht das ständige Nachbohren in den einzelnen Verbrechen. Nichts darf vermindert werden, was böse auf dieser Erde war oder ist. Aber es darf nicht selektiv behandelt werden.
Es muß „Der SS-Staat" von Eugen Kogon gelesen und an unsere Jugend verteilt werden. Und mit dem „SS-Staat" muß gleichzeitig der „Archipel GULAG" von Alexander Solschenizyn verteilt werden. Und beide Bücher müssen aufmerksam gelesen werden!
Wer den „SS-Staat", das Buch von Eugen Kogon,unterschlägt und nur auf den „Archipel GULAG"hinweist, der ist moralisch nicht im Gleichgewicht.
Wer aber nur auf den lange zurückliegenden „SS-Staat" sieht und ihn verurteilt und aus „politischem Realismus" — das war doch auch das Entschuldigungswort in den dreißiger Jahren — über das noch existierende Unrecht schweigt, der macht sich nach unserer Auffassung moralisch unglaubwürdig.
Darum geht es in der Deutschlandfrage. Unser ganzes Festhalten am Friedensvertragsvorbehalt ist doch keine juristische Marotte. Das Recht ist ebenfalls etwas Moralisches und etwas Humanes. Es ist etwas, was den Menschen schützt. Es war das nationalsozialistische Deutschland, das im Namen der Macht das Recht anderer niedergewalzt hat, und jetzt kommen wir in die Gefahr, daß wir im Namen der Macht anderer das eigene Recht zu gering schätzen.
Herr Kollege Brandt, hier ist meines Erachtens das fundamentale Mißverständnis zwischen Ihnen und uns, daß Sie das Juristische, daß Sie das Rechtliche, das Verfassungsmäßige, das Völkerrechtliche als Zwirnsfäden abtun, die Sie in Ihrer großen Konzeption hindern. Sie machen etwas, was die Sowjetunion und was die Regierung Polens niemals tun wird. Ich habe den Eindruck, daß diese Regierungen immer mit äußerster Präzision arbeiten, und zwar aus Gründen der Vertretung der eigenen Interessen.Herr Kollege Brandt, die Mißachtung des Rechts war die Einleitung des nationalsozialistischen Terrorsystems,
und die Achtung des Rechts ist eine humane Haltung par excellence. Wenn wir den Friedensvertragsvorbehalt so sehr in Schutz nehmen, dann deshalb, weil er der rechtliche Ausdruck dafür ist, daß e i n Deutschland den Krieg verloren hat und daß mit diesem einen Deutschland eines Tages in Freiheit ein Friedensvertrag abgeschlossen werden muß.
Wenn ich die Interessenlage des polnischen Volkes sehe — ich sage jetzt nicht: der polnischen Regierung —, dann gehört ja zu den ganz schrecklichen Folgen der Politik Hitlers, daß Rußland für einen Polen jetzt nicht nur an seiner Ostgrenze steht, sondern daß an seiner Westgrenze ebenfalls russischer Machtbereich ist. Ich als Deutscher, der die Freiheitsbewegung der polnischen Geschichte immer mit Sympathie verfolgt hat, frage mich: Ist es objektiv im polnischen Interesse, in Bonn eine Deutschlandpolitik zu betreiben, in der der Friedensvertragsvorbehalt für ein ganzes Deutschland geschwächt und damit die tiefere Interessenlage des polnischen Volkes meines Erachtens im Mark getroffen wird?Herr Bürgermeister Koschnick von Bremen hat im Bundesrat und neulich auch wieder in der Öffentlichkeit daran erinnert, daß es im 19. Jahrhundert gerade die katholischen Bevölkerungsteile in Deutschland waren, die den Unabhängigkeits- und Freiheitswillen Polens nachhaltig verteidigt haben; und er ist enttäuscht, daß dieses jetzt nicht so sei. Herr Bürgermeister Koschnick, ich freue mich über Ihren historischen Hinweis, aber stehen wir heute nicht vor einer völlig anderen Lage? Sie erinnern dann an Georg Herweghs Wort von 1848, das da lautete — bezogen auf die deutschen und die polnischen Patrioten —: Unsere Geschichte ist verbunden; kein freies Deutschland ohne ein freies Polen.
— Ohne ein freies Polen, so sagte Herwegh, Herr Bürgermeister Koschnick! Das Problem kann ich ganz kurz zusamenfassen: Heute, in grundlegend veränderter historischer Perspektive, muß es heißen— vielleicht hätte Herwegh dies auch gesagt — Kein freies Polen ohne ein freies Deutschland. Alles, was an unserer Deutschlandpolitik so hart und so zäh und unerbittlich erscheint: Es ist freiheitlich motiviert, es ist moralisch motiviert, es will die Chance der echten Versöhnung erhalten. Darum geht es.
Es geht doch uns nicht ums Geld. Es geht urn den politisch-moralischen Gesamtzusammenhang. Es geht darum, daß Sie uns mit diesen Vereinbarungen vor eine moralisch unmögliche, eine einfach nicht statthafte Alternative stellen. Das ist die eigentliche Innmoralität der Lage, die Sie geschaffen haben. ich verstehe einen mir befreundeten Kollegen, der sagt: Es ist für mich eine schreckliche Sache, alle Gründe sprechen gegen die Vereinbarungen, aber diese 125000 Menschen können dann nicht kommen! Dies ist eine echte menschliche Motivation, sehr konkret und sehr unmittelbar. Aber ich nehme für mein wohldurchdachtes, wohlbegründetes und verantwortungsbewußt begründetes Nein, das die große Mehrheit meiner Fraktion teilt, denselben Respekt hin-
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sichtlich unserer menschlichen Motivation in Anspruch.
Lassen Sie mich eine letzte Frage anschneiden, die für unsere außenpolitischen Interessen immer von großer Bedeutung gewesen ist: das ist die Koordination der deutschen Rußlandpolitik mit der deutschen Polenpolitik. Dieses war ein Problem im 19. Jahrhundert, und dieses wird noch lange ein Problem sein. Man darf die deutsch-polnischen bilateralen Beziehungen nicht aus den historischen, nicht aus den kulturellen und nicht aus den Machtzusammenhängen herauslösen. Dieses ist unrealistisch. Ich kann Ihnen nach mehrjähriger Tätigkeit in der Sowjetunion nur sagen, daß die Sowjetunion und auch die Russen als Volk gegenüber allen verstärkten Bindungen Polens an den Westen höchst mißtrauisch sind. Es gibt das Wort Stalins gegenüber de Gaulle vom Dezember 1944, daß zwischen den Deutschen und den Polen am besten immer Streit wäre, und die Sowjetunion werde sich dieser Notwendigkeit mit ihrer Armee annehmen.Glauben Sie denn, daß wir diesen deutsch-polnischen Streit nicht ausräumen wollen? Nur: Wenn wir gute Polenpolitik treiben wollen, müssen wir gleichzeitig auch gute Rußlandpolitik treiben. Es war Adenauer, ein Mann Westeuropas, ein Mann, der mit den Polen, mit ihrer Glaubenstreue, mit ihrem Nationalbewußtsein menschlich tief verbunden war, der gerade diesen Machtzusammenhang gegenüber Rußland immer gesehen hat. Die Sowjetunion ist für uns ein ganz entscheidender Partner. Sie ist eine der vier Mächte, die Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin haben. Ihre Macht — oder besser gesagt: ihre politische Zielrichtung und die ihr zur Verfügung stehende Macht — ist die Begründung unserer Sicherheitspolitik. Wir müssen eine verantwortungsbewußte Politik auch gegenüber der Sowjetunion treiben.Wenn von sowjetischer Seite gesagt wird, dieses Abkommen mit Polen sei ein guter Schritt, ein Schritt in die richtige Richtung, dann muß ich mir — ich darf es einmal so ausdrücken - doch jetzt schon die mögliche Lage vorstellen können — nicht weil ich unberechtigte Forderungen provozieren will, sondern weil ich die objektive Interessenlage der Sowjetunion sehe: Wird nicht eines Tages der sowjetische Außenminister zum deutschen Außenminister kommen und sagen: „Wir dürfen doch wohl davon ausgehen, daß Sie nicht wie de Gaulle bis 1966 oder wie die CDU-Politik in den 60er Jahren eine spezifisch bilaterale deutsch-polnische Verbindung wollen; Sie, Herr Außenminister, haben in Bonn die Chance, diesen Nachweis zu erbringen, indem Sie die Sowjetunion moralisch und finanziell wie die Polen behandeln?"Damit wir uns nicht mißverstehen: Wir schießen hier keine Eigentore. Aber es ist doch unsinnig, die Augen vor der politischen Interessenlage und der Macht der Sowjetunion zu verschließen. Die Sowjetunion weiß sehr wohl, daß das polnische Volk ein zutiefst westliches Volk ist, genau wie die Tschechen und die Slowaken. Wir müssen die subjektiveSorge der Sowjetunion sehen, daß politische Bewegungen wegen dieser inneren Bindungen an Westeuropa eines Tages dazu führen könnten, daß die russischen Interessen — und zwar so, wie Moskau sie sieht, nicht wie wir sie der Sowjetunion mit guten Gründen einreden wollen — zu politischen Gegenbewegungen führen. Dieses — von uns nicht geteilte — subjektive Gefühl der sowjetischen Politik müssen wir sehen. Wie hat sie denn reagiert auf de Gaulles Polenpolitik? Wie hat sie reagiert auf einen eigenen tschechoslowakischen Weg zum Sozialismus? Sie hat gesagt: Dieser eigene Weg gefährdet die Interessen der Sicherheit der Sowjetunion. Gemeint war damit die politische Sicherheit der Sowjetunion, nicht die militärische. Die sowjetische Politik nimmt gerade die moralisch-geistigen Kräfte unseres Volkes und Polens, die den machtpolitischen Zustand als geschichtliche Anormalität ansehen, der nicht halten kann und nicht halten wird, außerordentlich ernst. Infolgedessen müssen wir doch rechtzeitig darauf hinweisen, daß in der Zukunft bestimmte Pressionen auf uns zukommen können. Wir müssen darauf hinweisen, nicht weil wir sie für berechtigt halten, sondern weil sie kommen können.Mir hat kürzlich jemand gesagt, das bedeute, schlafende Hunde zu wecken. Meine Damen und Herren, man sollte von den Russen nicht als „Hunden" sprechen. Doch wären sie es, dann machen Sie Ihre Augen sehr weit auf und die Ohren ebenfalls! Scharfblick und Wachsamkeit sind in Moskau mehr als stark entwickelt. Gehen Sie bitte davon aus, daß ich dies in großem Verantwortungsbewußtsein gegenüber Polen und auch gegenüber der Sowjetunion sage. Dieses ist doch der Grund, weshalb wir die Notwendigkeit der Sicherung gegen Präzedenzfälle so stark herausstellen: nicht weil wir sie provozieren wollen, sondern weil es in der objektiven Anlage einer solchen Politik liegt, unter Umständen so etwas zu erreichen. Wir wollen doch nicht in erster Linie die Bundesregierung in dieser Frage tadeln, sondern wir möchten, daß in diese Abkommen objektive Kriterien eingebaut werden, die Risiken objektiv ausschließen.Herr Bundesaußenminister, in Ihrer Antwort auf die elf Bundesratspunkte widersprechen Sie sich offen. So sagen Sie beispielsweise im Punkt 5, vergleichbare Abkommen seien mit den und den Staaten abgeschlossen worden. In Punkt 11 sagen Sie, dieses deutsch-polnische Abkommen sei ein ganz spezifisches, also ein nicht vergleichbares Abkommen. Das widerspricht sich. Wegen der Kürze der Zeit will ich weitere Schwächen Ihrer Antwort nicht im einzelnen darlegen. Aber darauf muß noch eingegangen werden. Aber gerade in der Präzedenzfrage bitte ich doch zu verstehen, daß das nicht eine juristische Marotte ist, sondern daß wir, die Opposition, uns hierbei verhalten wie der Wächter auf dem Turm, der weit den Horizont der Zukunft und mögliche Gefahren auf die Stadt zukommen sieht.
Es ist die Pflicht der Opposition, auf gefährliche Risiken hinzuweisen.
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15556 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
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Zur Versöhnung mit Frankreich, zur Versöhnung mit Israel und zur Versöhnung mit Polen noch ein Wort. Es wird immer wieder gesagt: Es war hohe Zeit, daß nun endlich mit dem Verbalismus der deutsch-polnischen Versöhnung Schluß gemacht wurde und daß sie jetzt konkret werden müsse. Herr Minister, eines war heute morgen in Ihrer Rede nicht gut. Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört, und ich habe manchem innerlich zustimmen können. Aber ich habe Ihnen nicht zustimmen können, als Sie sagten: „Der Friedenswille darf nicht abstrakt bleiben." Natürlich darf er nicht abstrakt bleiben. Aber wir machen doch konkrete Vorschläge.
— Natürlich, auch die Versöhnung darf nicht abstrakt bleiben.
Meine Damen und Herren, ich bitte, keine Dialoge mit der Regierungsbank zu führen.
Es war der Herr Außenminister, der mir freundlicherweise seine Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Mein Hinweis betrifft beide Seiten, Herr Kollege.
Gut!
Wir sehen natürlich auch — deshalb sitzen wir hier im Bundestag —, daß konkrete Politik notwendig ist. Das ist doch nicht die Frage. Es ist auch nicht die Frage, Herr Bundeskanzler, ob irgend jemand in diesem Hause kompromißlos ist. Das wäre doch totalitär. Niemand denkt hier totalitär. Aber es muß doch in diesem Hause noch möglich sein, darüber zu diskutieren, ob Sie einen guten oder einen schlechten Kompromiß in Helsinki geschlossen haben.
Noch einmal: Frankreich, Israel und Polen. Lassen Sie mich in allem Freimut sagen: Ein deutscher Politiker muß der Anwalt der Rechte und Interessen seines Volkes sein.
Sie wollen das auch sein, und wir unterstellen Ihnen das. Aber wir müssen doch hier darüber streiten können, welcher Anwalt besser plädiert, Sie oder wir.
— Das mag Ihre Meinung sein, und ich respektiere diese Meinung; aber ich teile sie natürlich nicht.
Die Verständigung mit Israel und die Verständigung mit Frankreich waren möglich — das hat Adenauer immer wieder betont —, weil es auch eine glückliche Konvergenz der Interessen dieser Staaten mit elementaren deutschen Interessen gegeben hat. Vergessen gerade Sie eines nicht, Herr Kollege Brandt:
Der Staat Israel ist einer der ganz wenigen Staaten, die die DDR nicht anerkannt haben, nicht, weil hier „jüdische Geldgier" am Werke ist und Israel nichts bekommt; das wäre eine Beleidigung Israels. Was die Israelis so beleidigt, ist dies: auf deutschem Boden gibt es eine Regierung und ein System, das sich mit Hilfe eines ideologischen Tricks aus der deutschen Geschichte herausstiehlt.
Das ist der Grund, weshalb Israel die DDR nicht an_ erkennt.
Meine Damen und Herren, Israel und Frankreich haben niemals das Recht des deutschen Volkes auf einen Friedensvertrag aberkannt. Israel und Frankreich haben das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes konkret und rechtlich immer respektiert. Wie sähe es aus, wenn das polnische Volk wirklich das Selbstbestimmungsrecht hätte? Ich hoffe, Sie haben alle in den letzten Wochen gesehen, was sich im Sejm zugetragen hat; dort hat es einstimmige Beschlüsse über die verfassungsmäßige Bindung Polens an die Sowjetunion in der Verfassung gegeben. Wer in diesem Hause, wer in Polen glaubt denn, daß diese einstimmigen Beschlüsse dem Willen des polnischen Volkes entsprechen?
— Ja, ich werde weiterreden; ich tue Ihnen gern diesen Gefallen, Herr Kollege Wehner.
— Ich verstehe, Herr Kollege Wehner, daß Sie gewisse Bedürfnisse empfinden.
hundertprozentige Entscheidungen in einem Parlament für richtig zu halten.
— Wissen Sie, auf einen großen Klotz gehört ein grober Keil.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, daß, wenn das polnische Volk — —
Meine Damen und Herren,
die Zwischenrufe sind nicht verständlich. Wer eine Zwischenfrage wünscht, den bitte ich, das Mikrophon dazu zu benutzen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15557
Darf ich etwas zur Klärung sagen?
Bitte!
Ich möchte dem Hause folgendes sagen:
— Warten Sie doch bitte ab. Mir liegt daran, daß diese Sache bereinigt wird. Mir liegt daran! Ich halte mich nicht für einen unfehlbaren Menschen.Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß vor einigen Tagen im polnischen Sejm eine Verfassungsänderung zugunsten einer ausdrücklichen Bindung der Volksrepublik Polen an die UdSSR beschlossen worden ist; ihr wurde mit einer einzigen Enthaltung geschlossen zugestimmt. Dann hat der Kollege Wehner mir etwas zugerufen, was ich als Kritik an meinem Hinweis auf diese 100%ige oder 99,9%ige Entscheidung verstanden habe.
Ich habe daraufhin wegen dieser Äußerung des Kollegen Wehner gesagt: Ich verstehe, daß Sie das Bedürfnis empfinden, solche Einstimmigkeit nicht so negativ zu sehen. So war meine Äußerung zu verstehen, nicht anders.
— Herr Kollege Wehner, Sie haben uns, die CDU/ CSU, einmal die ewig Gestrigen und die Reaktionären genannt. Dieses stört mich überhaupt nicht, denn das sind die Qualifikationen, die meinem Elternhaus zur Zeit des Nationalsozialismus zuteil geworden sind. Dieses kann mich sehr wenig berühren.Lassen Sie mich noch etwas zu dem sagen, was uns hier — so sagte der Außenminister zu Recht —bewegt, nämlich dem deutsch-polnischen Verhältnis. Ich wollte sagen: Wenn das polnische Volk völlig frei entscheiden könnte, dann bin ich der Überzeugung, daß es wünschte, daß an seiner westlichen Grenze ein deutscher Staat wäre, der unabhängig ist und der die Wertvorstellungen des polnischen Volkes teilt.
Dieses ist aber nicht der Fall. Konrad Adenauer hat immer wieder gesagt, unser Problem ist nicht das polnische Volk, sondern unser Problem liegt in der Tatsache, daß zwischen dem freien Deutschland und Polen eine fremde Macht steht.Wenn wir darauf hinweisen, daß wir unseren Friedensvertragsvorbehalt aufrechterhalten müssen, dann deshalb, weil hier auch noch eine andere, sehr schwerwiegende Folge zu bedenken ist: Konrad Adenauer hat durch seinen Delegationsleiter beim Londoner Schuldenabkommen — es war Hermann Josef Abs — ganz unmißverständlich erklären lassen, daß wir die kollektive Gesamthaftung des Deutschen Reiches für die Missetaten des nationalsozialistischen Deutschen Reiches sehen. Es war aber unseren Verhandlern in London 1953 klar, daß es ein neues moralisches Problem gibt, nämlich die Unterdrückung der Freiheit durch ein neues totalitäres System in einem Teile Deutschlands. Deshalb hat die Bundesregierung damals das Londoner Schuldenabkommen mit der Auflage geschlossen, daß Reparationen — und darunter sind auch reparations-ähnliche Leistungen zu verstehen — mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verbunden sein müssen, d. h. des kollektiv haftenden Gesamtstaates.Die Bundesregierung sagt formal durchaus zu Recht, daß das Londoner Schuldenabkommen durch diese Abkommen nicht berührt wird. Sie dürfen doch aber nicht übersehen, daß sich in den letzten Jahren eine Form der moralischen Selbstanklage deutscher Politik — ich sage: eine Form der moralischen Selbstanklage — in diesem Lande breitmacht, die ich als nicht richtig und die ich als ungeschichtlich empfinde. Wenn ich im Namen gerade dieser Missetaten des Deutschen Reiches unter Hitler und seinen Schergen, die übrigens nicht nur aus dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland kamen, sondern auch aus dem der DDR und auch aus dem Territorium Österreichs, — —
— Dieser Einwand, Herr Kollege, war durchaus richtig, aber unterlassen Sie Ihre Störungsversuche, sonst provozieren Sie wieder eine Äußerung, die Ihre Fraktion mißversteht.
Wenn jetzt mit der Begründung der Wiedergutmachung, der Versöhnung und der Tilgung bösen deutschen Tuns finanzielle Leistungen erbracht werden, ist doch ganz unabhängig vom Etikett der Vereinbarungen die Gefahr gegeben, daß dann, wenn wir uns in dieser falschen Form anklagen, andere kommen werden, die sagen: Wir haben ebenfalls gelitten. — Es gibt auch einige, die dann sagen werden: Bei uns gibt es auch Deutsche, die dann zu euch ausreisen können. — Es geht uns, der CDU/CSU, darum, daß diese Verträge mit ihren Doppeldeutigkeiten, diese Verträge, die auf grundlegende Rechtspositionen Deutschlands einen Nebel gelegt haben, nicht dazu führen, daß wir immer neu im Namen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zur Kasse gebeten werden.Meine Damen und Herren, wir wollen einen Schlußstrich ziehen; es darf aber keine gestrichelte Linie sein, in deren Hohlräume immer wieder neue Forderungen hineingestellt werden. Es könnte sonst sein, daß eine außen- und innenpolitische Gefahr heraufbeschworen wird. Auch wenn es Sie ärgert, Herr Kollege Wehner, ich zitiere hier Kurt Schumacher und Fritz Erler, die gesagt haben: Es waren einseitige Schuldthesen und es waren einseitige Nachgiebigkeiten demokratischer Politiker der Weimarer Republik, die das Heraufkommen der braunen Pest ermöglicht haben.Der Kollege Bruno Friedrich und ich haben erst neulich in Nürnberg erlebt, wie braune Rabauken unsere sachliche Argumentation gestört haben. Ich habe unseren polnischen Gesprächspartnern gesagt:
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Nur die deutsche Opposition darf in dieser Hinsicht in verantwortlicher, intensiver und maßvoller Weise die legitimen Interessen des deutschen Volkes gegegenüber der Politik der Bundesregierung artikulieren. Wenn wir das nicht tun, machen die genannten Argumente sich sozusagen selbständig und kommen in die falschen Hände. Ich möchte dem Kollegen Bruno Friedrich ausdrücklich meine Anerkennung dafür aussprechen, daß er dort gesagt hat: Verehrte polnische Gäste, diese Gruppe ist im Deutschen Bundestag nicht vertreten. Wir streiten uns nur über den Weg, nicht aber über das Ziel. — Dies sollten Sie auch außerhalb des Evangelischen Studienzentrums von Nürnberg sagen, wenn Sie über die Haltung der CDU/CSU zu diesen Fragen sprechen.
Lassen Sie mich gerade diesen Aspekt der künftigen Entwicklung in unserem Volk noch etwas vertiefen. Fehlentwicklungen in der Geschichte eines Volkes kommen nicht von ungefähr. Wir haben heute eine junge Generation, der wir in aller Klarheit sagen müssen, wie es gekommen und wie es gewesen ist. Wir dürfen ihr aber nicht im Namen des machtpolitischen Realismus verschweigen, was es an Unrecht im anderen Teil Deutschlands, in der Sowjetunion, in Polen gibt, denn diese Jugend wird dies ohnehin erfahren. Sie wird dann sagen: Warum habt ihr dieses Unrecht nicht beim Namen genannt?Gerade weil unsere patriotischen und nationalen Vorstellungen mit den westlichen Freiheitsbegriffen völlig identisch und deckungsgleich sind, müssen wir auch unseren Freunden im Westen sagen, daß diese Form der Artikulation der deutschen Interessen ein Dienst an der Glaubwürdigkeit der westlichen Werte in diesem Volke ist. Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch heraus. Ich habe noch keine urteilsfähige französische, englische oder amerikanische Persönlichkeit getroffen, die, wenn ich ihr die Gründe für unser Nein eingehend dargelegt habe, dafür nicht volles Verständnis gehabt hätte.Im übrigen hat auch der Westen im Blick auf die polnische Geschichte eine schwere Verantwortung getragen. Wenn Sie einmal die Dokumente von Jalta von 1945 lesen und feststellen, daß Roosevelt und Hopkins dem Wunsche Stalins nachgegeben haben, nicht die demokratische Regierung Polens in London, sondern das kommunistische Komitee in Lublin als die Regierung Polens anzusehen, so müssen wir sagen, daß auch der Westen in diese großen Schuldverstrickungen — ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an das Jahr 1938 – eingewoben ist.Wir können und wir müssen mit dem Westen offen sprechen. Die Interessenlage des Westens ist so, daß wir mit ihm in aller Offenheit sprechen können, ja, müssen. Es ist nicht Altruismus der Verbündeten, der uns schützt, sondern es ist das Beste, was es in der Außenpolitik gibt, nämlich der Egoismus, die objektive Interessenlage des Westens, was zu der Erkenntnis führt, daß das deutsche Volk, das in seinem freien Teil immer zum Westen steht, gegen drohende Gefahren verteidigt werden muß. Sie haben einigen Freunden meiner eigenen Partei und Fraktion in früheren Jahren doch selbst immer mit Recht gesagt: Versucht doch nicht, die beste Außenpolitik darin zu sehen, daß ihr immer den Westen fragt: Gefällt es euch? Seid ihr einverstanden? Ich finde, würdevolle Haltung zum verbündeten Westen besteht darin, daß wir in großer Selbstverständlichkeit zu den Werten des Westens stehen, daß wir mit dem Westen unsere Freiheit verteidigen und daß wir die spezifischen Probleme und die spezifischen Interessen des deutschen Volkes von uns aus artikulieren, weil sie idenlisch mit den Interessen des Westens sind.Lassen Sie mich zum Abschluß sagen, daß wir konkrete Vorstellungen haben, wie deutsch-polnische Vereinbarungen aussehen sollen. Die CDU/CSU wünscht, daß folgendes in völkerrechtlich wirksamer Weise sichergestellt wird.Erstens. Beide Seiten müssen ihre Verpflichtungen zweifelsfrei in gleich klarer und in gleich verbindlicher Form eingehen, um Streit auszuschließen. Weiterhin müssen beide Seiten ihre Leistungen Zug um Zug sowie über den gleichen Zeitraum erbringen, um das gegenseitige Vertrauen zu fördern.Zweitens. Der Bundesrepublik Deutschland obliegt gemäß dem Grundgesetz eine besondere Schutzpflicht für alle Deutschen in den Oder-NeißeGebieten. Alle ausreisewilligen Deutschen in diesen Gebieten, die nach den Kriterien des Völkerrechts und der Schlußakte von Helsinki einen bleibenden Anspruch auf Freizügigkeit haben, müssen in einem Zeitraum von vier bis sechs Jahren tatsächlich in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen dürfen. In besonderer Weise gilt das für diejenigen Personen, die die Kriterien der polnischen „Information" bei Abschluß des Warschauer Vertrages vom 7. Dezember 1970 erfüllen, nämlich Familienzusammenführungen und Ausreise wegen deutscher Volkszugehörigkeit. Ein objektives deutsch-polnisches Verfahren, das Willkür ausschließt, sollte zwischen Bonn und Warschau vereinbart werden.Drittens. Den Deutschen, die in den Oder-NeißeGebieten verbleiben, müssen elementare Menschen-und Gruppenrechte gewährt werden. Es darf zu keinerlei Diskriminierung ausreisewilliger Deutscher kommen. Die CDU/CSU wünscht, daß der psychologische Ausreisedruck entfällt. Die CDU/CSU forciert ihrerseits diese Ausreisewünsche nicht. Das Gegenteil ist der Fall.Lassen Sie mich an diesem Punkte noch folgendes hinzufügen: Unser Motiv für die Forderung nach Gewährung von Einzel- und Gruppenrechten in den Oder-Neiße-Gebieten soll ja dazu führen, daß diese Menschen gerne in ihrer Heimat bleiben. Wir wollen keinen Sog der Ausreise auslösen. Wir wollen nur, daß die, die ausreisen wollen, es auch können. Das ist keine Zahlenfrage, das ist eine prinzipielle Frage.
Im übrigen sind wir nicht bereit, die polnische Regierung und die Volksrepublik Polen zu beleidigen, indem wir die Lage der dortigen Deutschen mit den Kriegsgefangenen in der Sowjetunion von 1955 oder
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Dr. Mertes
mit politischen Häftlingen in der DDR vergleichen oder gar auf eine Stufe stellen. Das war und ist doch etwas völlig anderes. Zwar sind die Verhältnisse im polnischen Machtbereich aus verschiedenen Gründen für viele unserer Landsleute ganz offensichtlich unangenehm und bedrückend; aber es handelt sich doch nicht darum, daß wir sie wie aus einem Gefängnis herausführen wollen. Wir wollen nur eines: Wir wollen, daß die, die ausreisen wollen, alle heraus können und daß Zustände geschaffen werden, die den Ausreisewunsch der Bleibenden mindern und nicht vergrößern.
Viertens. Durch objektive Faktoren muß außer Zweifel gestellt werden — ich wiederhole das noch einmal, Herr Bundesaußenminister —, daß deutsche finanzielle Leistungen an Polen ihrer Begründung und ihrer Natur nach keinerlei rechtlichen, politischen oder moralischen Berufungsfall für neue polnische Geldforderungen oder für Geldforderungen anderer Staaten schaffen, die ebenfalls den gesamtdeutschen Friedensvertragsvorbehalt des Londoner Schuldenabkommens leugnen oder ihn aushöhlen wollen.Ich darf bei dieser Gelegenheit übrigens bemerken, daß der Fall Jugoslawien anders liegt als der Fall Polen. Jugoslawien ist Partei des Londoner Schuldenabkommens und konnte deshalb auf Grund des Art. 22 dieses Abkommens verlangen, daß wir mit ihm über eine Renten-Vereinbarung verhandeln. Das konnte Polen nicht verlangen. Vielleicht ist der Hinweis auf eine Parallelisierung des Falles Polen/ Jugoslawien, Herr Außenminister, zugleich ein Hinweis darauf, wie die von uns gewünschte Objektivierung unserer Interessen erfolgen kann.Fünftens. Im übrigen erwartet die CDU/CSU, daß solche Verpflichtungen dem Grundgesetz und den einschlägigen deutschen Gesetzen einwandfrei entsprechen. Weiterhin erwartet sie, daß deutsche Zahlungen aus einem Rentenabkommen die Lage der einzelnen Rentenberechtigten wirksam verbessern und nicht für versicherungsfremde Zwecke verwendet werden.Sechstens. Die wirtschaftlich-finanzielle Kooperation muß ausgewogen sein und elementaren Interessen der Bundesrepublik Deutschland gebührend Rechnung tragen; sie sollten nicht mit politischen und humanitären Fragen verknüpft werden, sondern in sich selbst schlüssig sein.Damit hier kein Mißverständnis bleibt: Ich halte jeden Abgeordneten, der in diesem Saale sitzt, für einen frei gewählten Abgeordneten, für den die freiheitliche Rechtsordnung dieses Staates das höchste politische Gut ist. Ich möchte daran überhaupt keinen Zweifel lassen. Nur: wenn historisch argumentiert wird darüber, wo der einzelne in den 20er und in den 30er Jahren gestanden hat, dann muß die ganze Geschichte auch ad personam angesprochen werden dürfen. Eugen Kogon, der sicherlich nicht auf seiten der CDU steht, hat im Entnazifizierungsjahr 1948 in den „Frankfurter Heften" das erlösende Wort vom „Recht auf den politischen Irrtum" gesprochen. Dieses Recht hatten auch Menschen in den 30er Jahren. Dieses Recht hatten auch Sie, Herr Kollege Wehner. Nur verstehen Sie bitte, daß man gerade nach Ihrer Vergangenheit, von der Sie sich abgewandt haben, besonders sensibel ist, wenn Sie Ironie auf jemanden gießen, der im Namen dieser Rechtsstaatlichkeit und dieser Freiheit hier argumentiert hat.
Die deutsch-polnische Aussöhnung, meine Damen und Herren, ist eine so große Sache — und das ist nicht Pathos, sondern das ist Überzeugung —, daß sie nicht gebunden werden darf an ein so problematisches Vertragsinstrument. Es ist nicht richtig, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, daß Sie uns vor diese Alternative stellen: entweder Versöhnung oder dieses Werk.Ich möchte meine Rede schließen mit der Zitierung eines Wortes, das in der polnischen Geschichte eine große Rolle gespielt hat. Das Selbstbewußtsein des polnischen Volkes hat festgehalten an seiner Überzeugung: Noch ist Polen nicht verloren! Und ich als Deutscher sage: Noch ist Deutschland nicht verloren.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich mich bei dem, was ich im Rahmen dieser Debatte zu sagen habe, auf sechs Zitate stützen dürfen.Zitat eins: In der Gestapohaft setzte der polnische Dichter Thaddäusz Borowski 1943 an das Ende eines Gedichtes die bitteren Zeilen: „Nach uns bleibt nur Eisenschrott und das leere höhnische Gelächter von Generationen." Das war ein Jahr vor dem Warschauer Aufstand, zwei Jahre vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der mit dem deutschen Überfall auf Polen seinen Anfang genommen hatte. Ich erspare es mir, die Statistik des Grauens vorzutragen, die aufzustellen war, als unser polnisches Nachbarvolk Besetzung und Krieg hinter sich hatte. Wir alle kennen diese Statistik — das ist nicht etwas, was dieses Haus trennt — und wissen, daß hinter jeder Zahl geschundene, gequälte, gefolterte, getötete Menschen stehen. Darum habe ich Thaddäusz Borowski zitiert, weil diejenigen, die damals überlebten, zumal in jenem Teil Europas kaum noch Hoffnung hatten.Die Geschichte ist dann, meine verehrten Kollegen, zum Glück anders verlaufen. Nach dem Entsetzen des Krieges, nach der millionenfachen Betäubung der Menschen keimte wieder Hoffnung auf, wuchsen aus Trümmern wieder Wohnungen, wurde verwüstetes Land bestellt — in West und Ost, in Polen wie in Deutschland. Und doch schien sich die Vergangenheit weiterhin wie ein Felsblock zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk aufzutürmen. Das mußten wir verstehen, versuchen zu ver-
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Brandtstehen. Denn wo war neben dem millionenfachen Mord an den Juden Schlimmeres geschehen?Darum Zitat zwei: In der Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland von vor gut zehn Jahren, Herbst 1965, mit dem Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volk zu seinen östlichen Nachbarn" wurde von der Regierung unseres Staates mit Nachdruck gefordert, zielstrebige Initiativen zu unternehmen. Und Polen stand dabei in der vordersten Linie. Wörtlich hieß es dort:Die angestrebte Versöhnung kann nur das Ergebnis eines sich auch in einer tragbaren politischen Neuordnung verwirklichenden Prozesses sein. In ihm werden sich Recht und Versöhnung als Gestaltungsprinzip einer neuen Ordnung durchringen müssen.An anderer Stelle heißt es:Es wird zunächst darauf ankommen, im deutschen Volk selbst und nach außen eine Atmosphäre zu schaffen, in der dann auch in einzelnen Schritten Akte der Versöhnung mit den östlichen Nachbarn möglich werden.Darum ging es in den letzten Jahren, darum ist hart gestritten worden. Darum muß heute noch einmal gestritten werden, weil man in der Tat nicht von vornherein immer zu denselben Ergebnissen kommen wird, wenn es um die Konkretisierung dieses Anspruchs geht.Es geht um die einzelnen Schritte, um das, was geboten und was möglich ist, um die Vergangenheit, soweit wir das können, noch in dieser Generation zu überwinden. Da war nun ein wichtiger Schritt — ob man damals dafür war oder dagegen — der Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970. In ihm verständigten sich die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, wie es in der Überschrift jenes Vertrages vom 7. Dezember 1970 wörtlich heißt, „über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen".
— Ich wiederhole: „über die Grundlagen".
Das heißt, Herr Kollege: Der Warschauer Vertrag war ein Instrument im Dienst der Versöhnung. Im übrigen folge ich Ihnen nicht hinsichtlich der Trennung des Überpolitischen, des Moralischen von dem Geschäft, dem wir hier nachgehen. Ich darf darauf gleich noch einmal zurückkommen. — Wie gesagt: Der Warschauer Vertrag war ein Instrument im Dienste der Versöhnung. Mit Hilfe dieses Instruments sollten unerledigte Aufgaben angepackt, sollte die Zusammenarbeit konkret gefördert werden.Uns war damals, meine Damen und Herren, wohl bewußt, daß dieser Vertrag nicht alle aus der Vergangenheit rührenden Fragen mit einem Schlag würde lösen können. So leicht, Herr Kollege Mertes, lassen sich — das glauben Sie doch in Wirklichkeit auch nicht — die Nachwirkungen einer dunklen Geschichte nicht ausräumen.
Wir wußten, daß die Verantwortlichen in Polen den Abschluß des Vertrages als Voraussetzung für das Bemühen ansahen, mit uns die offenen Probleme einvernehmlich zu regeln. Es war auch klar, daß es nicht einfach sein würde, die unterschiedlichen Interessen — ich greife das Wort auf — neben dem gemeinsamen Interesse an der Bewahrung des Friedens auf einen Nenner zu bringen. Es war auch klar, meine Damen und Herren, daß wir ohne jenes Maß an Vertrauen — ich sage bewußt: j en e s Maß an Vertrauen —, das im Warschauer Vertrag seinen Niederschlag gefunden hatte, nicht würden vorankommen können.Zitat drei und vier: Nach dem Vertragsschluß im Dezember 1970 veröffentlichten beide großen Kirchen in unserem Land, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz, Erklärungen, in denen sie die Bundesregierung nicht schalten, wie das die Opposition heute wieder getan hat,
sondern in denen sie das Vertragswerk würdigten und die Notwendigkeit der Aussöhnung und der Verständigung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk gerade vor dem Hintergrund des damals neu geschlossenen Vertrags unterstrichen. In meinem Antwortschreiben vom 27. Dezember 1970 an den damaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Dietzfelbinger hieß es:Ihre Aufforderung an die Menschen guten Willens, sich um Verstehen und Verständigung im Dienst des Friedens auf Erden zu bemühen, wird hoffentlich gerade in dieser Zeit— damals war gerade Weihnachtszeit —offene Herzen finden. Es ist mein sehnlichster Wunsch, daß die Deutschen sich im Streben nach Versöhnung zusammenfinden mögen.An Julius Kardinal Döpfner habe ich damals u. a. geschrieben:Sie sprechen mir aus dem Herzen, wenn Sie zum Ausdruck bringen, daß die Aussöhnung zwischen den Völkern nicht allein Aufgabe der Politiker sein kann, sondern daß der einzelne und die Gruppen in jedem Volk dazu beitragen müssen. Ich kann Ihnen versichern,— so hieß es in diesem Brief —daß die beiden Vertragsparteien sich am 7. Dezember in Warschau darüber klar waren — ich meine damit genau das, was ich in Warschau auch gesagt hatte —, daß Verständigung oder gar Aussöhnung nicht von den Staatsmännern verfügt werden kann, sondern in den Herzen
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Brandtder Menschen auf beiden Seiten heranreifen muß.Meine Damen und Herren, ich verzichte darauf, jüngste Stellungnahmen aus beiden Kirchen zu den deutsch-polnischen Vereinbarungen, über die heute hier beraten wird, ebenfalls zu zitieren. Das würde jetzt vielleicht auch gar nicht konkret weiterhelfen. Auf die beiden Schreiben habe ich vielmehr wegen des zentralen Inhalts sowohl der Erklärungen als auch meiner Anworten Bezug genommen. Das Werk der Versöhnung ist und bleibt eine Aufgabe der Politik, aber es verlangt auch das Engagement und die Hingabe einzelner und der Gruppen in unserem Volke.
Ich sage mit allem Bedacht und mit Respekt vor den vielen einzelnen in unserem deutschen Volk und wende mich dabei an alle Bürger und Bürgerinnen in unserer Bundesrepublik: Es ist gut, daß bei allen Sorgen, die wir haben, in unserem Volk das Engagement und die Hingabe für das Werk der Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk lebendig ist. Ich habe mich davon immer wieder überzeugen können.
Ich weiß auch, meine Damen und Herren: Die heutige Generation ist nicht dafür verantwortlich, daß Polen ein Thema geblieben ist, das uns immer noch belastet, ein Trauma, das durch eine unselige Verstrickung von Schuld und in Schuld entstanden ist. Politische Blindheit und Verantwortungslosigkeit haben Polen zum Objekt der Aggression gemacht, die den Zweiten Weltkrieg auslöste. Schuld hat neue Schuld erzeugt. In Deutschland wie in Polen leben heute Menschen, die sich der Last der Vergangenheit entledigen müssen, viele auch, die sich dieser Last entledigen wollen, um gemeinsame Wege zur Verständigung und zur guten Nachbarschaft zu finden. Vor allem den jungen Menschen in beiden Völkern haben wir hier gerecht zu werden, weil ihre Zukunft, die Zukunft der jungen Menschen in beiden Völkern, in Polen und bei uns, nicht auf Halbherzigkeit und nicht auf Krämermentalität gegründet,
sondern allein auf dem Fundament der Normalisierung und der Versöhnung gesichert werden kann.In diesem Sinne sind die Vereinbarungen, die Bundeskanzler Schmidt und Parteichef Edward Gierek im vorigen Sommer in Helsinki getroffen haben und die dann vom Bundesaußenminister im Herbst in Vertragsform gebracht wurden, ein Schritt in die richtige Richtung.
Der Bundeskanzler hat die Aufrichtigkeit unseres Versöhnungswillens vertrauensvoll konkretisieren können. Ich sage: dieses Vertrauen darf nicht enttäuscht werden.
Ich zögere aber auch nicht, meine Damen und Herren, in aller Offenheit hier folgendes zu sagen.Ich habe es bedauert und habe mich selbst einzubeziehen in den Kreis derer, die ihre Dispositionen dabei zu überprüfen haben — das gibt es ja auch in der Politik —, daß nach Abschluß des Warschauer Vertrages so viel Zeit verging, bis einige wichtige Probleme, die das Verhältnis beider Völker zueinander so sehr berühren, in der Weise, mit der wir uns jetzt auseinandersetzen, geregelt werden konnten. Ich sage: die Verantwortung dafür, daß es so lange dauerte, trifft nicht nur eine Seite. Auf polnischer Seite gab es damals einen Führungswechsel, praktisch unmittelbar, nachdem der Vertrag unterzeichnet war,
und man hatte zeitweise unrealistische Vorstellungen von unseren Möglichkeiten.Auf unserer Seite, verehrte Zwischenrufer — vielleicht sind Sie dann näher bei dem, von dem ich spreche, als bei dem, woran Sie soeben in Ihren Zwischenrufen interessiert waren —, war das Gezerre bei der Behandlung des Vertragswerks 1971/72 sicherlich auch nicht dazu angetan, das Vertrags-und Verhandlungsklima zu verbessern.
Die Einigung in Helsinki — in Vertragsform in Warschau — wurde möglich, weil beide Seiten Bereitschaft zum Entgegenkommen zeigten und das heute Mögliche nüchtern einzuschätzen wußten. Diese Chance darf nicht vertan werden.
Wenn man sich vor Augen führt, was in den letzten Wochen öffentlich diskutiert wurde, stellt man manchmal mit Erschrecken fest, daß einige so reden und schreiben, als wäre nichts passiert, oder zumindest so, als hätten wir nicht den Streit um den Warschauer Vertrag vor vier Jahren hinter uns gebracht.
Manche tun so — was ebenso bedenklich ist —, als ob unserem Volk hier einseitige Lasten aufgebürdet würden.
— Ich begrüße, daß Sie mir die Möglichkeit geben, Herr Zwischenrufer, durch Ihren Zuruf, es sei so, um so deutlicher zu sagen — vor unserem Volk —, daß es sich im Gegenteil darum handelt, daß die Regierungen in Warschau und in Bonn aufeinander zugegangen sind. Und das ist gut.
Bei der Sozialversicherung, meine Damen und Herren, geht es doch nicht nur darum, daß Berechtigte in Polen zu etwas mehr Geld kommen. Es geht
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Brandtdoch auch darum, daß wir uns ehrlich machen, wenn ich es recht verstehe.
Wenn 120 000 bis 125 000 Deutschstämmige
übersiedeln dürfen, ohne daß danach die Tür zugeschlagen wird, dann ist das doch keine Leistung, die wir erbringen, sondern ein Vorgang, der den polnischen Staat, gemessen an seinen Normen,
vor erhebliche Probleme stellt. — Da sagt jetzt ein Zwischenrufer aus der ersten Bank, das seien nicht unsere Normen. Herr Kollege Mertes war zum gleichen Thema etwas intelligenter. Wer damit warten will, die Probleme dieses Staates mit anderen Staaten zu lösen, bis alle diese Staaten unsere Verfassung haben, der taugt nicht, Politik zu machen.
Die „Information" aus dem Jahre 1970 wurde hier kritisiert. Ich will den Staatssekretären Georg Ferdinand Duckwitz und Paul Frank, die sie ausgehandelt haben, hier noch einmal ausdrücklich dafür danken. Sie haben das damals Mögliche herausgeholt.
Die „Information" aus dem Jahre 1970 findet hier ihre konstruktive Ergänzung.
— Sie bringen mich von dem, was ich sagen will, nicht ab. Die Zuhörer werden es zu würdigen wissen, wie Sie sich bei dieser Rede verhalten.
Was das dritte Element angeht: Der Finanzkredit wird doch auch dem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zugute kommen, einem Ausbau, an dem uns allen gelegen sein sollte.
Nun hören wir von denen, die die Regelung dieser humanitären und praktischen Fragen kritisieren — nein, nicht nur kritisieren, sondern meinen, sie soweit kritisch betrachten zu müssen, daß ihnen die Zustimmung nicht möglich ist —, sie möchten im Grunde nur noch bessere Regelungen,
und die übergeordnete Aussöhnung mit Polen sei auch ihre Sache. Ich zweifle nicht daran, daß es viele so meinen, wie sie es sagen;
aber
dürfen, wir, meine Damen und Herren, eigentlich den Rentenkomplex liegenlassen, wo doch alle Kundigen wissen, daß er vom Liegenlassen nicht besser wird?!
Dürfen wir die 125 000 Deutschen warten lassen und andere vertrösten,
indem wir Vorstellungen entwickeln, meine Kollegen von der Union, die sich schon anhören, Maximalvorstellungen, von denen Sie so gut wissen wie andere, daß sie sich nicht verwirklichen lassen?!
Nein, wir dürfen sie, die 125 000 Deutschen, nicht warten lassen.
Wir dürfen das Rentenabkommen nicht unerledigt lassen. Der Bundesrat darf meiner Überzeugung nach die Vereinbarungen nicht scheitern lassen.Jetzt bin ich methodisch bei einem wichtigen Punkt, Herr Kollege Mertes. Ich glaube, daß viele, die uns heute zuhören, darauf hingewiesen werden müssen, welch grundlegender Unterschied zwischen der Behandlung eines innerstaatlichen Gesetzes und eines zwischenstaatlichen Vertrages besteht. Sie haben den Eindruck vermittelt, als gehe es wie bei einem innerstaatlichen Gesetz darum, beispielsweise einen Artikel 2 noch ein bißchen anders zu machen und bei einem Artikel 5 noch etwas einzufügen.
Dieses Hohe Haus weiß, und die Burger, die uns in dieses Hohe Haus gesetzt haben, wissen es ebenfalls, daß das bei der Ratifizierung zwischenstaatlicher Verträge ganz anders ist. Dort verhandelt die Regierung im Wissen um die Meinungen der politischen Kräfte zu Hause. Sie hat sich auch in diesem Fall von der Meinung der politischen Kräfte zu Hause überzeugt.
Das Parlament muß nach reiflicher Überlegung sagen, ob es dafür oder dagegen ist. Ich hoffe, viele werden bei der Abstimmung des heutigen Tages dafür sein.
Mein Zitat Nr. 5 — das vorletzte, Herr Präsident — enthält eine kritische Frage, anders ausgedrückt: ich greife die Äußerung auf als kritische Frage, obwohl sie als Hinweis schon in der Rede meines Freundes Günther Metzger heute vormittag enthalten war. Ich greife sie auch auf, weil der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union auf der Bundesratsbank sitzt und, wie ich vermute, noch das Wort nehmen wird und die Möglichkeit wahr-
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Brandtnehmen können, auf diese kritische Frage einzugehen. Es wurde durch den Kollegen Metzger — ich hätte es auch ohne ihn getan — erinnert an den Satz des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU, Herrn Marx; denn es wurde ja berichtet, daß er in einer Rede gesagt habe — nicht nur in einem indirekten Zitat in der Presse, sondern in einem verteilten Redetext, wenn ich es recht in Erinnerung habe —:Für mich— so wörtlich —ist der Begriff Versöhnung ein Begriff der Theologie und nicht der Politik.Das war das Zitat. Und es wurde hinzugefügt, Versöhnung sei eine Erfindung des Ostblocks, um von der Bundesregierung Geld zu erpressen.
Lassen wir mal den Zusatz beiseite, obwohl er auch nicht hilfreich ist, wenn auch leichte Anklänge bei meinem Vorredner zu diesem Zusatz enthalten waren.
Mir kommt es auf die Sache selbst an, und zu der sage ich klipp und klar: Versöhnung ist sehr wohl auch eine Kategorie der Politik
und, Herr Kollege Mertes, bei aller menschlichen Unzulänglichkeit auch eine zentrale Aufgabe derer, die politische Verantwortung tragen.
Herr Kollege Mertes, ich habe es eben ja schon anklingen lassen auf einen Zwischenruf hin: Wie soll wohl deutsche Politik aussehen, wenn sie von der Vorstellung ausgeht, eigentlich müßten Staaten, mit denen wir es zu tun haben, Verfassungen haben, die der unseren ähneln?
Das polnische Volk müsse frei entscheiden können. Wenn Sie dies im Sinne unserer Interpretation zugrunde legen, Herr Kollege Mertes: Wie groß ist die Zahl der Völker, die im Sinne unseres Grundgesetzes frei entscheiden können? Dies ist doch ein schlechter Rat, den Sie unserem Volke geben, auch der Hinweis darauf, daß dieses und jenes und ein Drittes nicht oder noch nicht gemacht werden dürfte, weil es keinen Friedensvertrag gibt. Verehrter Herr Kollege Mertes, es hat hier viele Jahre gegeben, in denen Bundesregierungen — ich tadele es jetzt nicht, ich stelle es fest — aus ihren Gründen es abgelehnt haben — —
— Nein, zeitweise nicht mit mir. Ich war 1961 inÜbereinstimmung mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten dafür, vor und nach der Mauer, den Friedensvertragsweg zu suchen. Die Regierung hat es abgelehnt. Da können Sie nicht fünfzehn Jahre später kommen, um noch etwas auszuprobieren, was man vielleicht 15 oder 20 Jahre zuvor hätte ausprobieren können.
Die Wirklichkeit, mit der wir es zu tun hatten, ist doch, die Westverträge, die Westverankerung, die wir nach anfänglichem Streit um die Methoden gemeinsam getragen haben, zu ergänzen durch das erreichbare Maß an Normalisierung im Verhältnis zu den Nachbarn im Osten. Indem wir dies getan haben und weiter tun, gewinnt die Bundesrepublik Deutschland an Gewicht. Ihr Einfluß wächst, damit aber auch ihre Verantwortung.
Als im Grunde ungeheuerlich muß ich es bezeichnen, wenn — und das ist mein sechstes Zitat — Herr Jaeger von der CSU kürzlich erklärte — —
— Er wird noch sprechen; dann ist es gut, wenn er darauf eingeht. Ich zitiere: „Es ist wichtiger, die Bundeswehr stärker aufzurüsten, als Milliarden von Steuergeldern aus dem Staatshaushalt an Polen zu verschenken!" Meine Damen und Herren, ich halte es für geschmacklos, die Bundeswehr in diesen Streit hineinzuziehen.
Die Bundeswehr muß bekommen, was sie braucht, um ihren Auftrag im Bündnis zu erfüllen,
aber doch nicht aus Mitteln, die andere in die Sozialversicherung eingebracht haben,
doch auch nicht, indem Georg Leber einen Kreditbei der Kreditanstalt für Wiederaufbau aufnimmt!
Vor allem aber empört mich — ich sage das an die Adresse des Kollegen Jaeger — der Zynismus gegenüber einem Volk, das in dem vom HitlerRegime angezettelten Krieg
am entsetzlichsten gelitten hat.
In betont und bewußt stark abgestufter Replik, in bewußter Abgrenzung und Abstufung sage ich an die Adresse des Kollegen Mertes: Ich habe genau zugehört, als Sie sich mit dem Unrecht in der Welt — in Europa zumal — auseinandergesetzt haben. Wir brauchen darüber nicht zu streiten, wenn wir
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Brandteinen Punkt hinzufügen: Anderswo angesiedeltes Unrecht reduziert nie und in keinem Augenblick die eigene Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Viele von uns, meine Damen und Herren aus der Koalition und aus der Opposition, haben in letzter Zeit Gelegenheit gehabt, mit ausländischen Gesprächspartnern zusammentreffen. Viele wissen also, wovon ich spreche, wenn ich in sinngemäßer Übereinstimmung mit dem Bundesaußenminister — ich denke an seine Rede heute früh — sage: Im Ausland, gerade auch im Westen, wird mit Aufmerksamkeit verfolgt, ob die Bundesrepublik die Kraft findet, Herr Kollege Mertes, bei allem kritischen Prüfen der Einzelbestandteile
durch die Verabschiedung dieser Vereinbarungen mit dem polnischen Nachbarn ein bißchen weiter ins reine zu kommen;
denn darin sollte sich niemand täuschen: Ein Scheitern führte nicht nur zu einer schweren Belastung unseres Verhältnisses zu Polen, es ließe nicht nur unseren Willen zur Entspannung und Zusammenarbeit in Osteuropa unglaubwürdig erscheinen — dies alles wäre schon schlimm genug —; nein, wir ernteten auch bei unseren Verbündeten und Freunden nur Unverständnis.
Der Handlungsspielraum, den sich die Bundesrepublik vermehrt schaffen konnte, beruht aber essentiell auf dem Vertrauen unserer Partner. Enttäuschten wir es, erlitte die Bundesrepublik Deutschland einen schweren außenpolitischen Rückschlag.Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn Thaddäusz Borowski zitiert. Am Ende nenne ich ihn noch einmal, diesmal als Warnung an uns alle. Wenn die demokratischen Parteien dieses Landes es zulassen, daß die in unserem Volk vorhandene Bereitschaft zur Aussöhnung mit dem polnischen Volk mit dumpfen Ressentiments und sachfremden innenpolitischen Winkelzügen zerredet wird, wenn, was ich nicht hoffe, diese Vereinbarungen scheitern, dann bleibt uns in der Tat nur das leere, höhnische Gelächter von Generationen.
Unser Volk, so meine ich, muß wissen, was auf dem Spiel steht und warum wir deutschen Sozialdemokraten mit aller Kraft, über die wir verfügen, gegen eine solche Fehlentwicklung ankämpfen.
Meine Damen und Herren, ohne Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk undim Zusammenhang damit ohne zunehmende Normalisierung zwischen unseren Staaten ist die Zukunft Europas nicht gesichert. Das sollten wir miteinander bedenken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Jurist und als Parlamentarier weiß ich, daß Recht und Politik moralische Grundlagen haben. Aber ich glaube, man kann angesichts eines konkreten Vertragswerkes nicht einen ganzen Tag nur über diese moralischen Grundlagen sprechen. Auch ich werde dazu etwas sagen. Ich glaube jedoch, man muß zuerst noch einmal die praktischen, die konkreten, die rechtlichen Probleme aufgreifen, die ein solcher Vertrag setzt.Die Anhänger der letzten und der gegenwärtigen Bundesregierung haben uns erzählt, daß der Prager Vertrag der Schlußstein der deutschen Ostpolitik sei. Es sind seit jener Debatte keine zwei Jahre vergangen, und nun sollen wir wieder einen neuen ostpolitischen Vertrag verabschieden. Ist dies schon formell erstaunlich, so noch viel mehr inhaltlich. Das, was heute der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt zum Warschauer Vertrag gesagt hat, ist recht unterschiedlich gegenüber dem, was er uns als Bundeskanzler verkündet hat.
Weiter zurück will ich in meinen Zitaten gar nicht gehen und nicht den Regierenden Bürgermeister an sein Wort „Verzicht ist Verrat" erinnern.
Nein, meine Damen und Herren, ich erinnere daran, daß der Bundeskanzler Brandt den Warschauer Vertrag als „Schlußstrich" und Voraussetzung der Ausreise der Deutschen in Polen bezeichnet hat.Für diesen Schlußstrich, den er angeblich gezogen hat und jetzt nicht mehr gezogen haben will, haben wir einen hohen Preis bezahlt:
die Garantie der polnischen Westgrenze nicht nur im Sinne eines Gewaltverzichts, dem wir alle zugestimmt haben, sondern in der Form, daß diese Bundesrepublik für die Zeit ihres Bestehens keine Einwendungen mehr gegen den völkerrechtswidrigen Erwerb der deutschen Ostprovinzen erhebt. Das ist eine fundamentale Änderung der deutschen Außenpolitik gewesen.
Und die Gegenleistung dafür? Meine Damen und Herren, für viele in unserem Lande und nicht nur für die Betroffenen, die Vertriebenen, ist ein solcher Verzicht überhaupt unmöglich. Andere sind der Meinung, wenn man überhaupt einen Verzicht auf die deutschen Ostgebiete aussprechen könnte, hätte
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Dr. Jaegerman das nur im Augenblick der Wiedervereinigung tun können, um diese zu erreichen. Hier aber war die Bundesregierung anderer Meinung. Sie hat erklärt, für menschliche Erleichterungen, in diesem Falle also für Ausreisegenehmigungen, müsse dieser hohe Preis gezahlt werden.Ich gehöre nicht zu denen, die praktisch unwiderrufliche historische Entscheidungen gegen widerrufliche menschliche Erleichterungen aufwiegen würden, aber wenn ich mich auf den Standpunkt der Bundesregierung stelle, dann muß ich doch sagen, meine Damen und Herren, hier ist für die Dauer der Existenz dieser Bundesrepublik auf ein Viertel des deutschen Staatsgebietes verzichtet worden, und es ist ein sehnlicher polnischer Wunsch in Erfüllung gegangen. Wo ist nun die Gegenleistung geblieben, jetzt, wo Herr Brandt erklärt, das sei seinerzeit gar kein Schlußstrich im Warschauer Vertrag gewesen, jetzt müßten erst die richtigen Maßnahmen erfolgen?
Es ist doch sehr bemerkenswert, daß die Zahl der registrierten Rücksiedler — und nur die können wir doch der polnischen Regierung als ein Entgegenkommen oder ein Verdienst anrechnen, nicht diejenigen, die schwarz herübergekommen sind — im Jahre 1971, also ein Jahr, bevor der Vertrag abgeschlossen wurde, noch fast 25 000 betragen hat, im Jahr des Vertragsabschlusses noch etwas über 12 000, also die Hälfte, und im Jahre danach nur noch 6 500, also ungefähr wieder die Hälfte. Das heißt, nach dem Vertragsabschluß kam nur noch ein Viertel von dem, was vor dem Vertragsabschluß gekommen war.
Als die CDU/CSU dieses Land regiert hat, sind von 1956 bis 1969 400 000 Deutsche aus den ehemaligen Ostprovinzen gekommen, ohne daß man dafür eine Gegenleistung gezahlt hätte. Das, meine Damen und Herren, war deutsche Politik.
— Das, Herr Wehner, war ja nicht die Schuld der Politik irgendeiner der hiesigen Parteien. Darüber dürften wir uns doch wohl einig sein.
Meine Damen und Herren, die Enttäuschung über den Rückgang der Aussiedlerzahl hat Herr Dr. Wagner vom Deutschen Roten Kreuz ebenso wie sogar Herr Staatssekretär Moersch von der Regierungsbank aus in einer Fragestunde verkündet. Nun hat Polen die deutschen Aussiedler zum zweitenmal zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht. Das kann doch nach den Gesetzen der Logik nur zwei Gründe haben: Entweder hat Polen seine Pflichten nicht erfüllt, was ich gar nicht behaupten will, oder aber die Bundesregierung hat miserabelverhandelt, indem sie nämlich damals keine Zahlen festgelegt oder generell die Ausreise zwingend ermöglicht hat.
Meine Damen und Herren, wenn man die polnische Zusage als nicht oder nicht ganz erfüllt ansieht, frage ich mich, wieso man wiederum die polnischen Leistungen vertraglich so ausgestattet hat, daß sie einen geringeren Rang besitzen als die Leistungen, die die Bundesrepublik Deutschland erbringen muß. Man sollte ja dadurch gewarnt sein, daß die sogenannte „Information", also die einseitige Bereitschaft der polnischen Regierung zur Rücksiedlung, in Polen nicht einmal in den Zeitungen erschienen ist und für die Bürger damit nicht lesbar war. Wenn aber das zweite der Fall ist und wenn diese Bundesregierung dilettantisch verhandelt hat, indem sie keine Gegenleistung für deutsche Verzichte oder keine wesentlichen Gegenleistungen erreicht hat, dann, meine Damen und Herren, ist die Ostpolitik in einem wichtigen Punkt gescheitert. Im übrigen kann ich an jenen Aufruf der Herren Brandt und Wehner vom Jahre 1963 erinnern, in dem sie gesagt haben: Das Recht auf Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern.
Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt noch einmal über 3 Milliarden DM zahlen, dann war das doch vorher ein Linsengericht.Meine Damen und Herren, die Ostpolitik ist aber, um dies mit einem Satz zu sagen, noch in einem ganz anderen Punkt gescheitert. Das Weißbuch der Bundesregierung weist doch ganz klar aus, daß die Entspannung gescheitert ist, weil man im Osten noch mehr aufrüstet, als man vorher schon aufgerüstet hat. Dann darf man sich schon — nicht wegen der Polen, sondern wegen der Russen — um unsere Bundeswehr kümmern.Dem Verzicht auf ein Viertel des deutschen Staatsgebietes folgen 3,25 Milliarden mehr oder weniger gute Deutsche Mark. Und nun erwarten Sie, daß wir zu der — gemessen an Ihren ursprünglichen humanitären Maßstäben — gescheiterten Regierungs- und Ostpolitik ja sagen. Der Bundesregierung soll offenbar durch uns das Geld für die Folgen einer falschen und dilettantischen Politik beschafft werden. Meine Damen und Herren, eine solche Opposition werden Sie auf der ganzen Welt suchen können und nicht finden!
Dieses Geld müssen Sie sich selbst bewilligen und sich dabei vielleicht die Frage vorlegen, wie es eigentlich um die 270 Milliarden DM steht, auf die das private deutsche Vermögen der Vertriebenen im Osten geschätzt wird.Der Herr Außenminister hat in einer Erläuterung, die er dem Bundesrat gegeben hat, darauf hingewiesen, daß dieser Vertrag keine Erfüllung Zug um Zug vorsehe. Mir scheint dies kein Vorzug, sondern ein Fehler zu sein. Wieder gibt es deutsche Vorleistungen. Unsere Leistungen werden in zwei Jahren abgewickelt, die Leistungen der Gegenseite allenfalls
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Dr. Jaegerin vier Jahren. Die Politik des Nachgebens und des Aufgebens — diese beiden Faktoren kennzeichnen die ganze Ostpolitik dieser Regierung — wird fortgesetzt. Wir erbringen feste Leistungen bei bestenfalls verspäteten, im übrigen unklaren und unvollkommenen Gegenleistungen durch die ganze Linie der ostpolitischen Verträge hindurch.Ich will mich nicht dazu äußern, wie es sich mit den Zahlen verhält. Der Herr Außenminister war es, der hier mit seiner Autorität von 280 000 ausreisewilligen Deutschen gesprochen hat
Wenn Sie jetzt anderes statistisches Material beibringen, so kann ich nur sagen: Jetzt, unmittelbar vor der Abstimmung, kommt Ihnen solches Material ja sehr gelegen! Warum war es nicht eher da? Aber selbst nach diesem Ihrem neuen und gar nicht bewiesenen Material ist die Zahl 125 000 immer noch erheblich geringer als die Zahl der Ausreisewilligen, die man annehmen kann. Und warum überhaupt eine Begrenzung, wenn es tatsächlich nur 125 000 Ausreisewillige sein sollten? Das können Sie sich auch fragen.Meine Damen und Herren, es werden auch keine Kriterien aufgestellt, nach denen man in irgendeiner Weise auswählen, mitbestimmen oder mitraten kann, welche Deutschen zurückkommen dürfen. Es bleibt bei einer einseitigen polnischen Entscheidung, weil die Polen diese Menschen als polnische Staatsbürger und wir Deutschen sie auf Grund unserer Verfassung als Deutsche ansehen. Man sagt, man könne den Polen einen solchen Eingriff in ihre Souveränität nicht zumuten. Daß ein Ratschlag oder eine Verbindungsstelle ein Eingriff in die Souveränität sei, wird doch niemand behaupten. Vor allem die Polen können es nicht behaupten, denn sie haben in einem Vertrag mit der Sowjetunion am 25. März 1957 für die Übersiedler aus den ehemals ostpolnischen, heute russischen Gebieten, also für Menschen, die ebenso von beiden Staaten als Staatsbürger in Anspruch genommen werden, erreicht, daß sie ohne jede Beschränkung aussiedeln dürfen. Die Sowjetunion hat akzeptiert, daß ein polnischer Bevollmächtigter bei dieser Repatriierung beteiligt wird.
Es geht also, sogar nach der Rechtsauffassung und Staatsauffassung, die im Ostblock üblich ist!
Darum ist es nicht unzumutbar, wenn man die Einsetzung eines entsprechenden deutschen Bevollmächtigten oder einer gemischten Kommission erwartet.
Aber selbst wenn Sie das nicht tun, so hätten Sie doch wenigstens materielle Zusicherungen dafür erreichen können, daß zuerst die dringlichsten Fälle abgewickelt werden, daß z. B. zuerst die 25 000 Kinder zurückkommen, die noch drüben in den deutschen Ostgebieten leben sollen.
Sie haben keine Prioritäten festgelegt und haben auch damit bei den Verhandlungen Ihre Pflicht versäumt.Ich spreche nicht über die Sozialversicherung. Das Geld, das den Polen hier gegeben wird, kommt doch — um dem Herrn Kollegen Brandt zu antworten — nur zum kleinsten Teil aus der Sozialversicherung. Was Sie als Darlehen geben, stammt zwar nicht aus dem Bundeshaushalt, aber aus einer vom Bundeshaushalt garantierten Masse.
Herr Abgeordneter Dr. Jaeger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Arndt ?
Bitte sehr.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Sowjetunion die in Ostpolen lebenden Polen gerade nicht als ihre Staatsbürger in Anspruch nahm, sondern daß der Vertrag vorsah, daß diejenigen, die für Polen optieren, polnische Staatsangehörige und die übrigen sowjetische Staatsangehörige sein sollen? Im Vertrag steht genau das Gegenteil von dem, was Sie hier eben gerade gesagt haben.
Aber Herr Kollege Arndt, auch ich habe den Vertrag gelesen, sozusagen vorsichtshalber, bevor ich gesprochen habe. Wenn darin steht, daß diejenigen, die übersiedeln und auf die sowjetische Staatsangehörigkeit verzichten wollen, das zugebilligt erhalten, beweist das doch, daß sie im Augenblick des Vertragsabschlusses sowjetische Staatsbürger waren.
Aber ich will auf die Dinge der Sozialversicherung nicht eingehen, weil meine Freunde Franke und Dr. Wittmann (München), die hier viel sachkundiger sind, dazu sprechen werden. Ich möchte etwas anderes sagen. Man kann doch der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union nicht eine antipolnische Haltung unterschieben. Wir haben in diesem Hause eine Entschließung gefaßt und als Antrag eingebracht, die die Meinung unserer ganzen Fraktion und der beiden sie tragenden Parteien eindeutig klargestellt hat. Wir leugnen doch nicht die Tragik des polnischen Volkes mit seinen Teilungen und mit dem Schicksal im zweiten Weltkrieg. Aber man muß die historische Wahrheit doch ganz sehen. Die Teilungen Polens im 18. und 19. Jahrhundert sind ja nicht nur die Schuld Preußens, sondern auch die Schuld Rußlands gewesen. Die preußische Polenpolitik, so unglücklich sie war, ist doch von der russischen Russifizierungspolitik am Ende vielleicht sogar noch übertroffen worden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15567
Dr. JaegerDas größte Unglück, das Polen in diesem Jahrhundert getroffen hat, ist doch auf Grund eines Paktes zwischen Hitler und Stalin geschehen.
Die beiden großen Tyrannen unserer Zeit haben sich verbündet, um ein kleines wehrloses Land zu überfallen.
Der Einmarsch ist nicht nur von der Wehrmacht, sondern ebenso von der Roten Armee erfolgt, und es gibt nicht nur Auschwitz, es gibt auch Katyn.Ich sage das nicht, um unsere Schuld, d. h. Schuld derer, die damals verantwortlich waren, in irgendeiner Weise zu mindern.
Ich bin allerdings der Meinung, Herr Wehner, daß es keine Kollektivschuld gibt und daß Sie deshalb weder die heute lebende Generation noch gar die Hälfte unseres Volkes, die erst nach Ende des Dritten Reiches geboren ist, für schuldig erklären können.
Von einer Gesamthaftung für die Geschichte schließe ich unser Land nicht aus; denn ich bin ja kein Politiker der DDR, die aus der Geschichte aussteigen will und nur ihre Vorzüge haben möchte.Ich möchte aber auch etwas Persönliches sagen. Ich stamme schließlich aus einer Familie, die in der Tradition der Deutschen Zentrumspartei steht. Mein Großonkel, Dr. Eugen Jaeger, hat fast ein Vierteljahrhundert dem Deutschen Reichstag der Kaiserzeit angehört. Ein Bismarck hat ihn und seine Fraktionskollegen mit Welfen und Polen zusammen in einen Topf geworfen und als Reichsfeinde bezeichnet. Damals Reichsfeinde, heute Sicherheitsrisiko!
Die Geschichte ist über beides, ich würde sagen, schon jetzt hinweggegangen.
Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß in meinerFamilie, zumal sie auch eine bayerische Familie ist,
bestimmt keine Antipathie gegen Polen, sondern eher eine Sympathie für Polen vorhanden ist, wie sie im ganzen Deutschland, vor allem aber im katholischen Deutschland, nach dem polnischen Aufstand von 1830 durch viele Jahrzehnte hindurch wirksam war.Diese Erinnerungen und diese Sympathie zum polnischen Volk, was helfen sie uns gegenüber einer Regierung, die ja nun — Sie können es nicht leugnen, auch wenn Sie es nicht gern hören — eine kommunistische ist? Sie haben, Herr Brandt, gesagt, man solle die Regierungen nicht nach ihrer mehr oder weniger oder gar nicht demokratischen Struktur beurteilen, sondern man solle mit ihnen vorurteilslos zusammenarbeiten. Wenn Ihre Freunde das auch auf Spanien und Südafrika ausdehnen wollen, wäre das immerhin ein Grundsatz, über den man anfangen könnte zu reden. Wir sagen das nämlich schon lange.
Aber mir kommt die ganze Sache so vor, als wenn in der zweiten Hälfte der 30er Jahre ein ausländischer Staatsmann — Chamberlain wäre es zuzutrauen gewesen — gesagt hätte: Ach, die Deutschen, die sind ein Volk der Dichter und Denker, von Goethe und Schiller, von Albertus Magnus und Immanuel Kant; denen kann man Vertrauen entgegenbringen. Das wäre ein Satz gewesen, den Sie, meine Herren Sozialdemokraten, soweit Sie in der Emigration, in Gefängnissen oder sonst Zeitgenossen waren, sicherlich damals entschieden zurückgewiesen hätten.Wie ist das nun aber bei den Polen? Gewiß, das Volk hat wahrscheinlich und hoffentlich seinen christlichen Glauben erhalten. Aber es gibt doch da im Bensberger Kreis und anderswo Phantasten, von denen ich den Eindruck habe, daß sie das Politbüro in Warschau mit dem Kloster von Tschenstochau verwechseln. Das ist ein großer Irrtum!
Ich habe din Anfang dieser Woche — es ging leider nur teilweise wegen meiner parlamentarischen Pflichten hier — an einer deutsch-polnischen Tagung in Bonn teilgenommen, auf der auch zum Teil sehr interessante Prospekte verteilt wurden. In einem dieser Prospekte fand ich nach einer Jahreszahl die deutschen Buchstaben „n. u. Z.", was wohl heißt: „nach unserer Zeitrechnung". Das habe ich zuletzt im Dritten Reich gehört. Das war der Versuch des Nationalsozialismus, das Christentum aus unserer Geschichte zu eliminieren, also herauszuwerfen oder wenigstens zu relativieren. Dieser Versuch des Nationalsozialismus ist gescheitert. Dieser Versuch des Kommunismus wird auch scheitern. Aber an diesem kleinen Beispiel sehen Sie das Schicksal eines christlichen Volkes unter einer kommunistischen Regierung.
Damit bin ich beim Thema der Versöhnung.
Der Herr Kollege Metzger hat meinen abwesenden Freund Dr. Werner Marx angegriffen. Ich meine nicht den lächerlichen Angriff, daß er heute wegen einer lange vorbereiteten Reise nicht in diesem Saal sein kann. Daß Polen näher liegt als China, weiß hoffentlich auch der Herr Bundeskanzler, der zuerst einmal nach China gereist ist — weshalb ich ihn nicht tadle — und dann erst nach Polen reisen wird. Sie können ihn hier nicht angreifen, und Sie dürfen Herrn Dr. Marx dort nicht angreifen.
— Wer gescheit ist, kann noch dümmer werden, wer dumm ist, kann nicht noch dümmer werden. Das steht jedenfalls fest.
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15568 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Herr
Kollege Jaeger, „dünner" mit „n".
Ich habe „dümmer" verstanden.
Nein, Herr Kollege, Herr Wehner meint, die Pointen würden „dünner".
Meine Damen und Herren, es ist zweimal meinem Freund Dr. Werner Marx vorgeworfen worden, daß er die Versöhnung als theologischen Begriff bezeichnet hat. Ich sehe nicht ganz ein, warum Sie sich hierüber aufregen. Schließlich ist Versöhnung im Kern ein religiöser Begriff, für den Einzelmenschen sicherlich mit erheblichen praktischen Folgen und für die Völker mit nicht minder erheblichen politischen Folgen verbunden. Aber im Kern handelt es sich zweifellos um einen religiösen Begriff. Es waren ja auch die polnischen Bischöfe und in Antwort darauf die deutschen Bischöfe, die dieses Thema zuerst aufgegriffen haben; es wurde hier vorhin eindrucksvoll zitiert. Vergebung, meine Damen und Herren, ist ein einseitiger Akt. Zur Versöhnung gehören aber zwei. Das Entscheidende ist, daß wahrscheinlich — ich hoffe es — das polnische wie das deutsche Volk zur Versöhnung bereit ist. Ich glaube, daß die polnischen Bischöfe befugter sind für ihr Volk zu sprechen als die polnische Regierung.
Aber von einem namhaften polnischen Politiker haben wir noch nie das Wort Versöhnung, sondern nur das Wort Normalisierung gehört.
Zur Versöhnung gehört es, keine Schuld mehr aufzurechnen und keine Vorwürfe mehr zu erheben und moralische Anklagen vorzulesen. Die polnische Regierung tut dies nicht. Sie hat die Bischofsworte abgelehnt, und die Zwischenfrage meines Freundes Sauer hat eindeutig klargelegt, wie sehr das, was die Bischöfe sagten, mit Hilfe der polnischen Arbeiterpartei im Innern des Landes boykottiert wurde.
Herr Abgeordneter Jaeger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ja, bitte.
Herr Kollege Vizepräsident, ist Ihnen entgangen, daß der polnische Abgeordnete Stomma im Gedenken an einen verstorbenen Kollegen unsererseits, Herrn Beermann, gerade sehr eindringlich und sehr zu Herzen gehend öffentlich geschrieben und im Sejm geredet hat über Versöhnung, weil Sie eben sagten, es gäbe keinen namhaften Politiker Polens, der von Versöhnung gesprochen hätte?
Ich habe von namhaften Persönlichkeiten der Regierung gesprochen, wenn ich mich recht erinnere.
Meine Kollegen bestätigen es.
Meine Damen und Herren, warum wird das abgelehnt? Im Grunde doch deshalb — das müssen Sie einmal im ganzen Ernst sehen, auch Sie, meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei —: Der Kommunismus ist, wie es der Nationalsozialismus war, eine Pseudoreligion des Hasses. Deswegen sprechen die Regierungen nur von „Normalisierung". Aus dieser Situation kommt die Diskrepanz zwischen den Worten der Kollegen Metzger und Brandt und der Wirklichkeit. Denn Versöhnung, meine Damen und Herren, könnte man sich nie und nimmer honorieren lassen.
Eine kommerzialisierte Humanität wäre das Gegenteil von Versöhnung.Nun, meine Damen und Herren, das ist der Unterschied im deutschen-polnischen und im deutsch-französischen Verhältnis: Zwischen Deutschland und Frankreich haben sich freie Völker versöhnt, die auf gleichen Wertvorstellungen von freien, vom Willen ihres Volkes getragenen Regierungen geleitet wurden und geleitet werden. Hier hat man auf beiden Seiten das Wort „Erbfeindschaft" aus den Büchern gestrichen und den Haß abgebaut und nicht gepflegt. Hier hat man auf beiden Seiten nachgegeben. Man hat nicht nur einseitig die Grenze festgelegt, sondern auch die Franzosen haben auf Wünsche verzichtet, die sie ursprünglich hatten. Wenn mancher auf unserer Seite das Scheitern des Saar-Abkommens durch die Abstimmung vielleicht als ein fürchterliches Unglück angesehen hat, dann, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, haben Sie in diesem Punkte wenigstens teilweise recht gehabt und sollten jetzt das vorliegende Abkommen in seiner Bedeutung nicht so dramatisieren.
Meine Damen und Herren, aber auch Normalisierung, die wir alle wollen und die ja auch die Polen wollen, setzt eine Beendigung des Unrechts voraus, wo es noch besteht. Wenn in Art. 12 der Menschenrechtskonvention die Freizügigkeit, das Recht des Menschen, aus jedem Land, auch aus seinem eigenen, auszuwandern, festgelegt ist und wenn die Volksrepublik Polen diese Konvention mit unterzeichnet hat, dann frage ich, wie es nun wirklich mit diesem Recht auf Freizügigkeit steht, das ja zudem in Helsinki für Menschen, Meinungen und Informationen so schön deklamatorisch dargelegt worden ist. Ein Hohn auf die kaum trocken gewordene Unterschrift war es allerdings, daß der Bundeskanzler mit Herrn Gierek noch am gleichen Tag dann diese Verträge abgeschlossen hat, die diesen Grundsätzen so widersprechen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15569
Dr. Jaegerund die Haltung meiner Fraktion rechtfertigen, die lieber gar keine Unterschrift leisten als falsche Hoffnungen wecken wollte.Meine Damen und Herren, ich spreche nicht mehr über die Fragen des Londoner Schuldenabkommens, die vielleicht besser im Ausschuß behandelt wurden und die wir hier vielleicht nicht breittreten sollten. Aber ich spreche von Menschenrechten der in Polen verbleibenden Deutschen.
Wie steht es denn mit der deutschen Sprache in der Schule oder wenigstens in der Kirche?
Meine Damen und Herren, hier darf ich die Sozialdemokraten doch an ihre eigenen Worte erinnern. Im Godesberger Programm von 1959 stehen zwei Sätze, die ich Ihnen zitieren darf:
Ein Volksgruppenrecht, das im Einklang mit dem von den Vereinten Nationen verkündeten Menschenrechten steht, ist unentbehrlich. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands vertritt das Recht aller Menschen auf ihre Heimat, ihr Volkstum, ihre Sprache und Kultur.
— Ich danke Ihnen, meine Herren von der Linken, für Ihren Beifall.
Aber ich kann nur sagen: Das unentbehrliche Volks-gruppenrecht war bei diesen Verträgen offenbar entbehrlich.
Für Volkstum, Sprache und Kultur ist in diesen Verträgen nichts getan. Vom Recht auf Heimat reden wir schon gar nicht.Meine Damen und Herren, nun gehört es zum neuesten Argument der Sozialdemokraten, der Bundesrat habe kein Recht, in einer außenpolitischen Frage mitzureden und mitzustimmen. Es ist für Sie vielleicht schmerzlich, weil dort derzeit andere Verhältnisse sind als derzeit im Bundestag. Aber wenn sich ein Staat für das Zweikammersystem entscheidet, dann ist die eine Kammer in dem Maße ihrer Rechte immer die Korrektur der anderen.
— Ich weiß, daß wir in Deutschland nur ein modifiziertes Zweikammersystem haben,
modifiziert darin, daß nicht Abgeordnete, sondernLandesminister, die der Herr Außenminister vorhinan ihre Pflicht glaubte erinnern zu müssen, dort abstimmen, weiterhin modifiziert darin, daß nicht die vollen Rechte, sondern nur Teilrechte gegeben sind, d. h. ein Einspruchsrecht, das überstimmt werden kann, bei den meisten Gesetzen, und ein Zustimmungsrecht bzw. eine Zustimmungspflicht bei anderen Gesetzen, z. B. auch bei diesem.
— Das Bundesverfassungsgericht, Herr Arndt, werde ich einige Sätze später zitieren. Warten Sie noch darauf!Meine Damen und Herren, der Bundesrat ist durch das Zusammenwirken von Dr. Ehard und Dr. Menzel von CDU und SPD entstanden. Da unsere Parteien nicht ein übertrieben großes Maß an Gemeinsamkeiten haben, kann die Motivation schon verschieden gewesen sein. Aber der Wille des Gesetzgebers ist hier nicht so maßgebend wie der Wille des Gesetzes. Das Grundgesetz sagt:Durch den Bundesrat wirken die Länder bei derGesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit.Herr Ministerpräsident Filbinger nannte dies beim 25jährigen Bestehen des Bundesrates eine „alle Bereiche der Bundespolitik umfassende Kompetenzformel" und fügte hinzu:In diesem Satz steckt das Prinzip einer grundsätzlichen gesamtpolitischen Mitbestimmung der Bundespolitik durch den Bundesrat, weit über die Wahrnehmung der spezifischen Länderinteressen hinaus.Meine Damen und Herren, weil es Herr Filbinger ist und wir in Baden-Württemberg im Wahlkampf stehen, wollen Sie es nicht wahrhaben. Deshalb zitiere ich lieber Sozialdemokraten.Am 15. Mai 1953 hat der Erste Bürgermeister Brauer von Hamburg bei der Beratung des Deutschland-Vertrages, des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und zweier Nebenverträge erklärt:Der Bundesrat ist also nicht der Meinung der Bundesregierung, daß nur zwei der weniger wichtigen Verträge zustimmungsbedürftig seien. Dadurch würden die Hauptverträge der Entscheidung des Bundesrates entzogen.Er hat dann Bedenken gegen strategische und taktische Entscheidungsrechte der NATO angemeldet, gegen die Festsetzungsmethode für die Finanzzahlungen der Bundesrepublik und gegen angebliche Erschwerungen der Wiedervereinigung, also eminente politische und größtenteils auch außenpolitische Gesichtspunkte vorgebracht. Herr Senator Ehlers von Bremen, ein Sozialdemokrat, hat einen entsprechenden Antrag gestellt und Herr Ministerpräsident Zinn hat dies unterstützt. Meine Damen und Herren, hier zeigt sich doch, daß die Sozialdemokraten dann, wenn sie in der Opposition sind, die Rechte des Bundesrats ausweiten wollen, wenn
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Dr. JaegerI sie aber in der Regierung sind, wollen sie ihm nicht einmal die Rechte lassen, die er wirklich hat.
In seiner Antrittsrede als Bundesratspräsident am 20. Dezember 1957 sagte unser heutiger Kollege Willy Brandt als Regierender Bürgermeister:In den Fällen, in denen der Bundesrat aus ihm zwingend erscheinenden Gründen mit dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesinhalt nicht einverstanden ist und deshalb den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel einer inhaltlichen Änderung anruft, erfüllt er eine ihm von der Verfassung übertragene Pflicht.
Schließlich, meine Damen und Herren, hat das Bundesverfassungsgerichts am 25. Juni 1975 im Rentenurteil festgestellt:Es ist richtig, daß der Bundesrat jedes zustimmungsbedürftige Gesetz seinem ganzen Inhalt nach prüft und nicht nur die Vorschriften, die die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen.
Er darf deshalb auch einem Gesetz, das sowohl materielle Normen als auch Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltungen enthält, deshalb die Zustimmung verweigern, weil er nur mit der materiellen Regelung nicht einverstanden ist.Deutlicher kann das Recht des Bundesrats auch in diesem Falle nicht ausgesprochen werden.Wenn Herr Kollege Friedrich in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" meint, nur formelle Gründe berechtigten hier den Bundesrat zum Mitreden, dann muß ich sagen: Es bestehen rechtliche Gründe. Rechtliche Gründe sind für uns weder formell noch „Zwirnsfäden", wie Herr Wehner einmal gemeint hat.
Völlig verkehrt aber wäre es, hier vom Begriff der Bundestreue zu sprechen. Bundestreue der Länder gilt gegenüber verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzen. Der Bundesrat ist kein Länderorgan, sondern ein Bundesorgan und Bestandteil der Bundesgesetzgebung. Qua Definition kann man hier also nicht von Bundestreue sprechen, es sei denn, wir würden uns alle diese Bundestreue als Pflicht auferlegen. Das würde Ihnen ja vielleicht in dem Sinne passen, daß wir grundsätzlich allen Gesetzen zustimmen.
Aber, meine Damen und Herren, genau das wollen wir nicht. Der Herr Kollege Friedrich verwechselt hier die Bundesrepublik und die Bundesregierung, den Staat und die Sozialdemokratische Partei.
Dies scheint mir nach sieben Jahren der Regierungstätigkeit der Sozialdemokraten vielleicht das Gefährlichste: Sie entwickeln ein Selbstverständnis als Staatspartei, bei dem Sie die Opposition mindestens als unmoralisch, wenn nicht bereits als am Rande der Rechtswidrigkeit stehend betrachten.
Das, meine Damen und Herren, mußte ich zum Schluß noch sagen. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein und nehmen die Beratungen um 14 Uhr wieder auf.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Aussprache zu Punkt 2 der Tagesordnung fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Sund.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Vorgang ist denkwürdig. Sozialversicherungsabkommen werden von Ländern abgeschlossen, zwischen denen es Wanderungsbewegungen von Menschen gibt oder gegeben hat. Diese Abkommen werden zwischen Regierungen ausgehandelt und stellen auf die besonderen Problemlagen der betroffenen Menschen ab. Dabei stehen die unterschiedlichen Bedürfnisse und die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Länder einander gegenüber; sie müssen gewichtet und schließlich auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Solche Vereinbarungen werden dann, wenn die Regierungen den Konsens hergestellt haben, von den Parlamenten der Staaten durch Gesetz ratifiziert. Dies ist vielmals geschehen — mit einer Reihe von Staaten für höchst unterschiedliche Problembereiche und -schwerpunkte. Durch ihre Ratifizierung schaffen die Parlamente nur die Voraussetzung dafür, daß die Vereinbarungen im Interesse der Betroffenen wirksam werden können. Der Gesetzgeber greift in die komplizierten Abmachungen selber nicht ein; sie sind vielmehr in sich abgeschlossen.Da die Renten in der Rentenversicherung der Arbeiter in der Bundesrepublik durch Landesversicherungsanstalten berechnet und ausgezahlt werden und da die regionalen Berufsgenossenschaften, die die Unfallversicherung abwickeln, unter der Aufsicht der Landessozialminister stehen, sind die Bundesländer beteiligt. Die Sozialversicherungsabkommen gehen demgemäß durch den Bundesrat, der traditionell diesen Abkommen zustimmt und im übrigen von den Inhalten der Abmachungen auch gar nicht direkt betroffen ist.Nun, da ein Rentenabkommen mit der Volksrepublik Polen auf dem Tisch liegt, soll das alles auf
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Sundeinmal ganz anders sein. Das Abkommen muß herhalten für schwere Vorwürfe an die Adresse der Regierung. Die Bundesratsmehrheit macht schwerwiegende Bedenken geltend.Was unterscheidet dieses Abkommen denn eigentlich von anderen Abkommen, etwa von Abkommen mit Österreich, Luxemburg, den Niederlanden, Jugoslawien, den Vereinigten Staaten von Amerika oder auch von jenem Abkommen, das in absehbarer Zeit wegen der Südtiroler mit Italien zu treffen sein wird? Dieses Abkommen wird als ein Aufhänger mißbraucht für bestimmte politische Positionen der CDU und der CSU. Sie brauchen einen Vorwand, um sich so darzustellen, wie dies jetzt geschieht.Das Rentenabkommen mit der Volksrepublik Polen ist zusammen mit zwei anderen Teilen ausgehandelt worden, die auch für sich allein jeweils sinnvoll und notwendig sind. Es handelt sich nicht um das, was durch die Formel „Handel mit Menschen gegen Geld" verächtlich gemacht werden soll. Jeder dieser drei Teile ist in sich abgeschlossen und würde auch für sich allein unsere Zustimmung verdienen.Ein Kernstück der Vereinbarungen, das Sozialversicherungsabkommen, ist abgeschlossen worden, weil es zu einer vernünftigen Sozialpolitik und zu normalen, friedlichen internationalen Beziehungen gehört. Die vergleichsweise umfangreichen Wanderungsbewegungen — hier versagt unsere Sprache —, Zwangsverschleppung, Vertreibung sowie die territorialen Veränderungen, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden haben, hatten zur Folge, daß sehr viele Polen, mit Sicherheit weit mehr als eine Million Menschen, vor 1945 in Deutschland gearbeitet und Sozialversicherungsbeiträge entrichtet haben, ohne dafür von uns eine Rente zu bekommen. Darunter befanden sich nicht weniger als etwa 420 000 Zwangsarbeiter.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sick?
Bitte.
Herr Kollege Sund, da das sicher sehr wichtig ist, was Sie sagen: Sind Sie nicht auch meiner Meinung, daß es notwendig wäre, daß die Regierungsbank etwas besser besetzt ist?
Ich bin davon überzeugt, daß die Regierung in der für sie möglichen Form an der Verhandlung teilnimmt.
Ich bin sicher, daß die sehr kurzfristige Unterbrechung, die eben stattgefunden hat, dazu geführt hat, daß ein normaler zeitlicher Anschluß, wie er sonst selbstverständlich üblich ist, noch nicht vollzogen wurde.
Im übrigen sind alle diese Zahlen, die ich hier vortrage, sehr sorgfältig und selbstverständlich unter Beteiligung der Regierung im Ausschuß gewertet worden und haben auch hier die Grundlage für unsere Verhandlung in der ersten Lesung abgegeben.In Polen wohnen heute 100 000 bis 180 000 Deutsche, die früher in der deutschen Rentenversicherung versichert waren. Auch sie erhalten von uns keine Leistungen. In der Bundesrepublik leben andererseits zahlreiche Personen, vor allem Deutsche, aber auch Polen und ehemalige polnische Staatsangehörige, die zuvor in Polen sozialversicherungspflichtig waren. Als während des zweiten Weltkrieges die Provinz Posen und andere Teile Polens ins Deutsche Reich eingegliedert worden sind, wurde die Sozialversicherung übernommen, so daß die Betroffenen Beiträge an deutsche Rentenversicherungsträger zahlen mußten.Heute, meine Damen und meine Herren, mehr als 30 Jahre nach Kriegsende, sind die Folgen, die sich für viele Deutsche und Polen aus diesem undurchdringlichen Wirrwarr ergeben haben, noch immer nicht endgültig beseitigt. Gewiß wirken sich die Nachteile für viele Menschen nicht mehr aus, weil sie inzwischen gestorben sind. Gewiß haben sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Volksrepublik Polen durch Verbesserung ihres jeweiligen innerstaatlichen Sozialversicherungsrechtes viele Rentenbenachteiligungen aufgefangen, die aus Krieg, Okkupation, Verschleppung, Vertreibung, Zwangsarbeit und Wanderung entstanden sind. Aber es fehlt noch immer eine umfassende abschließende Regelung, die die verbliebenen Lücken schließt und garantiert, daß es keinen Rentner mehr gibt, dessen Alterssicherung durch die Ereignisse der Vergangenheit beeinträchtigt ist.Eine solche Bereinigung aller sozialpolitischen Folgen einer bitteren Vergangenheit war und ist nur durch ein Sozialversicherungsabkommen möglich. Ein Abkommen dieser Art kann nicht durch innerstaatliche Regelungen ersetzt werden, weil einseitige Maßnahmen — sei es von deutscher, sei es von polnischer Seite — niemals die notwendige Gegenseitigkeit und Lückenlosigkeit der sozialen Sicherung garantieren könnten.Erst 25 Jahre nach Kriegsende hat die von der sozialliberalen Koalition unter dem Bundeskanzler Brandt und Außenminister Scheel begonnene Politik der Entspannung und Aussöhnung den Grundstein dafür gelegt, daß durch ein Sozialversicherungsabkommen endlich die sozialpolitischen Probleme zu den Akten gelegt werden können, die zwischen der Bundesrepublik und Polen bestehen. Nun duldet die Sache einfach keinen Aufschub mehr. Wir haben mit dem jetzigen Vertragstext nicht nur die erste, sondern offenkundig auch die letzte Chance, denjenigen Rentnern Gerechtigkeit zu verschaffen, die bislang benachteiligt sind.
Wenn der jetzt ausgehandelte Vertrag scheitern sollte, so wird — ganz abgesehen von der katastrophalen Wirkung, die dieser Vorgang für das Ansehen unseres Landes in der Welt und für den schwierigen Weg der Entspannung hätte — die Tür
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15572 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Sundfür ein Sozialversicherungsabkommen auf Jahre hinaus zugeschlagen sein.
Sollte sich eines Tages die Möglichkeit eines neuen Rentenabkommens eröffnen, so könnte es nur noch eine theoretische Bedeutung haben, weil dann beinahe alle, denen es einen Vorteil bringen könnte, gestorben sein werden.
Niemand kann sich also vernünftiger- und gerechterweise der Notwendigkeit eines Sozialversicherungsabkommens mit Polen verschließen.Unterschiedliche Meinungen können nur darüber bestehen, ob es richtig war, das Abkommen am Eingliederungsprinzip zu orientieren, wie es die Bundesregierung und ihr Vertragspartner getan haben, oder ob ein Abkommen nach dem Exportprinzip sinnvoller gewesen wäre, ein Abkommen, das individuelle Rentenzahlungen über die Staatsgrenzen hinweg ermöglicht hätte. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben immer wieder die Gründe dargetan, die dafür sprechen, aus der Besonderheit des deutsch-polnischen Verhältnisses heraus dem Eingliederungsprinzip den Vorrang einzuräumen. Unsere Argumente sind in der Diskussion, die nun schon seit Monaten andauert, nicht entkräftet worden. Lassen Sie mich die Argumente noch einmal kurz skizzieren.Erstens. Bei individueller Abgeltung von Rentenansprüchen über die Grenzen hinweg werden auch das Sozialleistungsniveau und die Sozialleistungsdynamik des einen Landes gewissermaßen in das andere exportiert. Lebensstandard und Sozialrechtssystem Polens und der Bundesrepublik weichen so stark voneinander ab, daß individuelle Rentenzahlungen in Polen zu unangemessen hohen, in der Bundesrepublik zu nicht ausreichenden Renten führen würden.Zweitens. Das Exportprinzip hätte es erforderlich gemacht, im Vertrag bis in alle Einzelheiten hinein festzulegen, welche Zeiten bei der polnischen und welche bei der deutschen Rentenversicherung anzuerkennen sind. Dies wäre technisch unmöglich gewesen.Drittens. Das Exportprinzip hätte bewirkt, daß im Einzelfall die Rentenberechnungen in unerträglicher Weise kompliziert worden wären.Viertens. Das Eingliederungsprinzip ist im innerstaatlichen Recht beider Länder bereits vorweggenommen worden. Ein Sozialversicherungsabkommen nach dem Eingliederungsprinzip kann daher organisch und folgerichtig auf der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte aufbauen. Ein Abkommen nach dem Exportprinzip hätte sowohl für das deutsche als auch für das polnische Rentenrecht eine Reihe von Schwierigkeiten verursacht.
— Lieber Herr Kollege Franke, Sie haben die Eigenart, bei Ausführungen, die ich in der mir eigenen Ruhe zu machen pflege, ständig voreilig zu fragen und damit zu verpassen, daß Sie im Zusammenhang die Antworten kriegen,
die in der Sache gegeben werden müssen.
Fünftens. Ein Abkommen, das sich auf dem Eingliederungsprinzip gründet, wendet für die Leistungsempfänger das Wechselkursrisiko ab.
— Im Gegensatz zu Ihnen, verehrter Herr Kollege, höre ich mir die Argumente, die in der Diskussion gebracht werden, sorgfältig an, und ich überlege mir sehr genau, welche Möglichkeiten durch solche Diskussionsbeiträge entstehen können. Dann wird es Sie überhaupt nicht verwundern, daß ich selbstverständlich auf Dinge eingestellt bin, die in der Diskussion eine Rolle gespielt haben und die möglicherweise von Ihnen heute, weil Ihnen nichts anderes einfällt, noch einmal vorgetragen werden.Daß ein Abkommen, das sich auf dem Eingliederungsprinzip gründet, dazu führen würde, daß hier das Wechselkursrisiko ein großes Problem spielen würde, ist wie folgt zu begründen: Mit dem Exportprinzip ist das Problem der ständigen Änderung der Wechselkurse untrennbar verbunden. Das zeigt sich gerade bei der Anwendung der zwischenstaatlichen Rentenregelung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Hier gilt nämlich das Exportprinzip, und gerade im EG-Bereich wird deutlich, daß das Wechselkursrisiko bei der Rentenzahlung ins Ausland weder durch sozialpolitische Maßnahmen noch durch Sozialversicherungsabkommen ausgeschaltet werden kann, sondern nur durch eine gemeinsame Währungspolitik, also durch Maßnahmen, die im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Polen nicht zum Zuge kommen können.Sechstens. Auch durch individuelle Rentenzahlungen ins Ausland können wir letztlich keinen Einfluß auf das Versorgungsniveau des Empfängers nehmen, weil im Empfängerland die Rentenleistung auf andere Sozialleistungen angerechnet werden kann. Von seiten der CDU/CSU ist eingewendet worden, die Bundesregierung hätte eben für die Empfänger solcher Renten in Polen vertraglich bessere Anrechnungsbestimmungen aushandeln sollen. Das ist aber eine höchst merkwürdige Vorstellung; denn welcher Gesetzgeber könnte sich darauf einlassen, daß er durch internationale Vereinbarungen in der Freiheit beschränkt würde, sein innerstaatliches Sozialrecht selber zu gestalten!Siebtens. Ein Abkommen nach dem Eingliederungsprinzip überfordert auch die finanzielle Leistungskraft der deutschen Sozialversicherung nicht. Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, daß die individuelle Abgeltung aller Ansprüche polnischer Bürger die deutsche Rentenversicherung um ein Mehrfaches belasten würde.
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SundDies alles ist von uns auch anläßlich der ersten Lesung dargelegt worden. Aber es hat offenbar auch in der darauf folgenden Diskussion zu nichts anderem geführt, als daß Sie ganz allgemein immer wieder erklären, so sei das alles nicht zureichend; aber es ist nicht ein einziger konstruktiver Vorschlag von Ihrer Seite gekommen, wie man solche Probleme anders lösen könnte.
Alle diese Argumente sprechen dafür, daß für ein deutsch-polnisches Sozialversicherungsabkommen eben nur die konsequente Anwendung des Eingliederungsprinzips in Betracht kommen konnte. Dieser folgerichtigen und zwingenden Entscheidung können Sie kein durchdachtes Alternativkonzept entgegensetzen. Sie haben ständig nur eine allgemeine Ablehnung zum Ausdruck gebracht, ein diffuses Unbehagen, das sich letztlich gar nicht auf die konkreten sozialversicherungsrechtlichen Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten bezogen hat.Es kommt der Mehrheit der Opposition offensichtlich nur darauf an, das Abkommen abzuwerten, weil sie den gesamten Weg nicht mitgehen will, auf dem dieses Abkommen einen wichtigen Meilenstein darstellt. Im übrigen hatten die Sozialpolitiker der Oppositionsfraktion, die von der Bundesregierung bereits während der Vertragsverhandlungen konsultiert worden waren, in dieser Zeit immer eingeräumt, daß sie sich eine andere Lösung als die nach dem Eingliederungsprinzip nicht vorstellen könnten.Abschließend komme ich zu den Einwänden, die in der Diskussion noch gebracht wurden. Es wurde erstens verlangt, anstelle der Eingliederung in das polnische Rentenrecht sogenannte Teilrenten nach Polen zu zahlen. Damit sollte — von dieser Vorstellung geht man offenbar aus — eine Art Mischsystem zwischen dem Eingliederungs- und dem Leistungsexportprinzip geschaffen werden.
Herr Kollege, Ihre Redezeit beginnt abzulaufen.
Ich bitte um Vergebung. Ich bin davon ausgegangen, daß vereinbart wurde, daß den Fraktionen heute insgesamt Quoten zustehen, die innerhalb der Fraktionen ausgeglichen werden.
— Ich gehe davon aus, daß dies die Fraktionsgeschäftsführung besorgen wird.Bei dem Versuch, ein solches Mischsystem in die Diskussion zu bringen, vermochte uns jedoch niemand zu erklären, wie das denn funktionieren soll. Hinter solchen Ausdrücken wie „Mischsystem" und „Teilrente" — ein Begriff, den wir in der Sozialpolitik überhaupt nicht kennen — verbirgt sich doch Ihre ganze Hilfslosigkeit und Konzeptionslosigkeit. Sie müssen doch selbst zugeben, daß die Eingliederung die beste Lösung darstellt. Aber Siewagen es nicht, sich zu dieser Lösung auch zu bekennen.
Zweitens. Es wurde angezweifelt, daß die ausgehandelte Ausgleichszahlung von 1,3 Milliarden DM richtig errechnet worden sei. Die Bundesregierung hat die Ausgangsdaten für ihre Berechnungen offengelegt, ohne zu verschweigen, daß eine exakte Berechnung nicht möglich ist. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, daß die vereinbarte Pauschale niedriger liegt als die Summe, die zur individuellen Abgeltung erforderlich wäre.Drittens. Es wurde behauptet, daß sich aus dem Abkommen kein Vorteil für die deutschen Rentner in Polen ergeben würde. Dieser Hinweis zeugt bereits von einer nationalistischen Blickverengung; denn es kommt nicht nur auf die Vorteile für deutschstämmige Rentner in Polen an, sondern darauf, daß alle Ansprüche gegen die deutsche Rentenversicherung auf gerechte Weise befriedigt werden, ungeachtet der Frage, ob es sich bei den Anspruchsberechtigten um Polen oder um Deutsche handelt.
Viertens. Es wurde behauptet, Deutschen in Polen würden ihre Ansprüche auf individuelle Rentenzahlungen weggenommen. Diese Behauptung ist völlig falsch. Sofern nämlich nach heutiger Rechtslage solche Ansprüche bestehen, werden sie durch eine weitgespannte Besitzstandsklausel im Abkommen geschützt.Fünftens. Es wurde geargwöhnt, Polen werde seine völkerrechtliche Verpflichtung zur Genehmigung von Ausreiseanträgen nicht erfüllen und später weitere Forderungen stellen. Die Vertreter der Opposition, die so zu argumentieren versuchen, unterstellen dem polnischen Vertragspartner Böswilligkeit und diskreditieren damit dessen Vertragsfähigkeit.
Diese Haltung verdeutlicht, daß offenbar Teile der Union entgegen ihren anderslautenden Beteuerungen mit Ressentiments belastet sind und grundsätzlich keine Verhandlungen, keine Vereinbarung und keine Aussöhnung mit Polen wollen.
Sechstens. Zu guter Letzt haben Oppositionspolitiker auch noch Zahlenspiele aufgetischt, mit denen sie beweisen wollten, daß individuelle Zahlungen deutscher Renten nach Polen billiger seien als die vereinbarte Pauschalabgeltung. Darüber sind Leserbriefe in die „Welt" gesetzt worden. Allerdings verdienen die Rechnungen das Prädikat „dürftig". Dabei wurde auch wieder mit dem völlig schwammigen Begriff der Teilrente gearbeitet. Diese Leserbriefschreiber haben nicht einkalkuliert, daß die Sozialversicherungsrenten in der Bundesrepublik der Dynamisierung unterworfen sind. Hinzu kommen sim-
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15574 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Sundple Rechenfehler und die Verwechslung eines Kredits mit einem Zuschuß. Offenbar herrscht Unkenntnis darüber, daß der Finanzkredit an Polen gar nicht aus Bundesmitteln, sondern über den Kapitalmarkt aufgebracht wird und daß der Bund lediglich Zinssubventionen zahlen soll.
— Wenn Sie wissen wollen, wo das steht, schauen Sie in die von Ihnen doch sonst sehr geschätzte „Welt", wo mit schöner Regelmäßigkeit solche Leserbriefe von Ihnen erschienen sind, weil Sie parlamentarisch mit Ihren Gegenvorstellungen überhaupt keinen Eindruck schinden können.
Wir können die Einwände der Opposition gegen das Sozialversicherungsabkommen nicht gelten lassen. Sie überzeugen fachlich nicht, sie sind kleinlich, sie sind aus vorsätzlichen Mißverständnissen, aus mangelndem Gespür für die Pflicht, Menschen praktisch zu helfen, zusammengestückelt, und sie bezeugen — lassen Sie mich dies auch sagen — Mangel an geschichtlicher Verantwortung.
Ihre Argumente können auch nicht überzeugen, weil Sie in Wirklichkeit das Sozialversicherungsabkommen gar nicht meinen.
Sie wollen damit den Vertrag von Warschau treffen.
Sie wollen wegen Ihres innenpolitischen Konfliktkurses die Ausfüllung dieses Vertrages verhindern, eine Ausfüllung, die allein zur Verständigung, zum Frieden und zu gegenseitigem Verstehen führt.
Aber damit nicht genug: Die CDU/CSU kritisiert das Abkommen nicht nur mit den mühsam aufgesetzten und künstlich vergrößerten Argumenten, die in Wirklichkeit nur Scheinargumente sind; ihre Vertreter denunzieren überdies das Abkommen draußen im Lande in perfider Weise.
Wir haben doch die Stimmen gehört, daß „das Geld zum östlichen Fenster hinausgeworfen wird und es hier im Lande an Geld für den Deichbau mangelt". So entsteht ein Klima aus Gewöhnlichkeit und Niedertracht.
Ein solches Klima kann unser Land vergiften.
Hüten wir uns davor,
und versuchen wir gemeinsam, den Dingen ihrenwirklichen Rang zu geben und mit Augenmaß undLeidenschaft eine Regelung zu vertreten, die fairund gerecht ist und die nach vorn weist! Wir würdensonst eine große Möglichkeit, eine geschichtliche Möglichkeit verspielen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sund hat seine eigenen Reden als ruhig und sachlich und außerdem noch als klug qualifiziert.
Was mich an seinen Reden und insbesondere an seiner Rede heute gestört hat, war, daß jedes Wort, auch dort, wo er zur Beschimpfung der Opposition ansetzte, vorher aufgeschrieben war und er es wortwörtlich hier verlesen hat. Ich glaube, das war kein Beitrag zur sachlichen Aufklärung über das Rentenabkommen mit Polen, sondern das war Polemik eines Mannes,
der nicht in der Lage ist nachzuweisen, daß die von der Regierung genannten Zahlen, nämlich 13 bis 14 Milliarden DM, die an Polen zu zahlen wären, falls wir diesem Abkommen nicht zustimmen sollten, wirklich stimmen.
Daß es Forderungen in Höhe von 13 bis 14 Milliarden DM an die deutschen Rentenversicherungsträger geben würde, wenn dieser Vertrag nicht unterschrieben und nicht ratifiziert werden würde, ist falsch. Ich darf das erläutern.Erstens. Der Anspruch der Deutschen im polnischen Staatsgebiet und in den ehemaligen deutschen Ostgebieten an die deutschen Rentenversicherungsträger ist den gleichen Bedingungen unterworfen wie der Anspruch Deutscher in der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, ein Anspruch entsteht nach 60 Beitragsmonaten im Invaliditätsfall und nach 180 Beitragsmonaten im Normalfall.
Zweitens. Von den in Polen lebenden Deutschen haben nach Angaben der Bundesregierung — ich bitte, auch den Bericht des Kollegen Schmidt zu lesen — etwa 100 000 bis 180 000 Deutsche Beiträge an deutsche Rentenversicherungsträger entrichtet. Beitragsentrichtung, Herr Kollege Sund — das wissen Sie auch —, begründet
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Franke
aber noch keinen Rentenanspruch. Der Anspruch entsteht nur, wenn Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, die ich soeben unter Punkt eins genannt habe;
ich wiederhole: im Invaliditätsfall 60 und im Normalfall 180 Beitragsmonate.
Drittens. Deutsche in Polen, die in die Bundesrepublik ausreisen, haben nach dem seit langem gültigen Fremdrentengesetz die gleichen Ansprüche, wenn sie die Altersgrenze erreicht haben, wie ein in der Bundesrepublik lebender Deutscher, sofern sie die Vertriebeneneigenschaft besitzen. Die meisten besitzen sie; nur ein ganz kleiner Personenkreis besitzt diese Eigenschaft nicht. Aber nicht alle Ausreisenden sind schon über 65 Jahre alt. Diese begründen nach ihrer Ausreise aus Polen und Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Regel ein Arbeitsverhältnis und begründen darauf auch ein selbständiges Angestellten- oder Arbeiterrentenversicherungsverhältnis, um die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen, die ich hier soeben unter Punkt eins genannt habe.Die Zahlen, die in der Öffentlichkeit herumgeisterten und ganz eindeutig von Ihnen immer wieder lanciert worden sind, nämlich 13 bis 14 Milliarden DM im Falle einer Ablehnung der Verträge, beruhen darauf, daß die polnischen Behörden der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen in Warschau Forderungen auf den Tisch gelegt haben, die die Bundesregierung ungeprüft übernommen hat.
Hiernach handelt es sich bei diesen Zahlen z. B. um 4,7 Millionen betroffene Personen, die von 1940 bis 1945 Beiträge in die deutsche Rentenversicherung gezahlt haben sollen. Die durchschnittliche Versicherungszeit wurde von den polnischen Verhandlungspartnern in diesem Zusammenhang mit fünf Jahren angegeben. Weiterhin wurden in die Rechnung 2,9 Millionen Saison- oder andere Arbeiter einbezogen, die für eine kurze Zeit in dem damaligen deutschen Reichsgebiet vor 1939 gearbeitet haben, die eine durchschnittliche Versicherungszeit von drei Jahren erreicht hätten. Meine Damen und Herren, diese Rentenansprüche, die nach deutschem Rentenrecht gar keine sind — ich wiederhole: im Invaliditätsfall für jeden deutschen Beitragszahler fünf Jahre gleich 60 Monate oder mindestens 180 Beitragsmonate gleich 15 Jahre für den Normalfall; das ergibt aber eine sehr geringe Rente, denn die durchschnittliche Versicherungs- und Beitragszeit beträgt 40 bis 45 Jahre, um einigermaßen ausreichende Rente zu erhalten —, sind von der Bundesregierung einfach hochgerechnet worden, als müßte man die Renten zahlen. Hier liegt aber auf der Hand: Auch für deutsche Staatsbürger gibt es nach innerstaatlichem Recht keine Rentenberechtigung nach drei bis fünf Jahren. Die normale Wartezeit —ich wiederhole es zum vierten Male — beträgt für Invalidität 60 Beitragsmonate oder für den Normalfall 15 Jahre bzw. 180 Beitragsmonate.Nach den unter 2 genannten Zahlen käme man äußerstenfalls — ich verweise auf die Angaben der Bundesregierung; Sie haben auch den Bericht vorliegen, den der Kollege Schmidt auf den Tisch gelegt und hier heute morgen so ausführlich erläutert hat — auf eine Zahl von 100 000 bis 180 000 Beitragszahlern. Beitragszahlung allein begründet aber noch keinen Anspruch, wenn die Anspruchsvoraussetzungen, wie unter 1 genannt, nicht erfüllt sind. Hier kann man nach dem durchschnittlichen Rentenanfallsatz — ich hoffe, Sie verstehen, was ich damit sagen will — rechnen, daß von 100 000 bis 180 000 etwa ein Drittel — ich nehme die höchste Zahl — eine Rentenberechtigung nach den oben genannten Kriterien erworben hat. Wir nehmen die höchste Zahl, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dann entstehen aber in der Dauer der Beitragszahlung und in der Höhe der Beiträge begründete niedrige Renten. Da können Sie rechnen und nach oben hin abrunden, wie Sie wollen, es entstehen auf eine mittlere Rentenlaufzeit von zehn Jahren nicht mehr als 600 bis 700 Millionen DM an Ansprüchen, die an diese Rentenberechtigten zu zahlen wären.Die Ansprüche polnischer Bürger, die möglicherweise einen begründeten Anspruch an die ehemalige Reichsversicherung haben, sind in diesem Zusammenhang quantitativ völlig unerheblich und im übrigen auch von der Bundesregierung statistisch gar nicht zu belegen. Sie sagen, alle Unterlagen darüber seien verlorengegangen. Wie Sie dann allerdings am guten Schluß auf eine Abrundung von 13 bis 14 Milliarden DM kommen, ist uns bislang jeder der Vertreter der Bundesregierung in allen Ausschüssen des Bundestages und insbesondere auch hier der Kollege Sund — das hatte ihm niemand aufgeschrieben — zu erklären schuldig geblieben. Darum haben wir davon auch keine Kenntnis nehmen können.
Nach diesem Vertrag, meine Damen und Herren, ist ungewiß, ob ein einziger Bürger in Polen — der Beweis ist nicht erbracht worden —, ob Pole oder Deutscher, auch nur einen einzigen Pfennig aus diesen Rentenzahlungen erhält.
Ich sehe noch den Kollegen Metzger — leider ist er im Augenblick nicht da —, wie er sich heute morgen vor allem um die moralische Dimension der Vertragsinhalte bemüht hat. Ich habe von ihm sehr ernst entgegengenommen, daß er an das angeknüpft hat, was im Namen der Deutschen an Unrecht an polnischen Menschen begangen worden ist. Er hat in diesem Zusammenhang die Namen Auschwitz, Yad Vashem und Maidanek genannt und hat einen Vergleich nach Frankreich zu Verdun gezogen. Ich habe Auschwitz, Yad Vashem und Maidanek, wie soll ich sagen, besucht, und der schreckliche Eindruck hallt in mir genauso nach wie in den Worten, mit denen Herr Metzger heute morgen auf dieses Problem eingegangen ist. Das heißt also, wir sollten die Schuld, die eventuell oder eindeutig auf die Machthaber des Dritten Reiches übertragen
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Franke
werden muß, im Wege der Aussöhnung und Versöhnung um einiges abzutragen versuchen. Dazu wären wir bereit, wenn wir die Sicherheit hätten, daß die Anspruchsberechtigten in Polen, ob Pole oder Deutscher, auch nur einen einzigen Pfennig aus diesem Rentenabkommen erhalten. Das ist uns von der Bundesregierung nicht nachgewiesen worden.Darum, meine sehr verehrten Damen und Herren, lehnen wir das pauschale Rentenabkommen ab und sind fur die Befriedigung der individuellen Ansprüche, wo Rentenansprüche entstanden sind. Das müssen wir, auch wenn es mehr wären als 1,3 Milliarden DM; es werden aber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht mehr als 1,3 Milliarden DM werden. Aber moralische Ansprüche sind mit 1,3 Milliarden DM oder mit der von mir genannten Zahl von 600 bis 700 Millionen DM überhaupt nicht zu messen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ihr Anspruch, hier handle es sich um einen humanen Vertrag, um einen menschlichen Vertrag, um einen Vertrag, mit dem den Menschen geholfen wird: An diesen Beispielen habe ich Ihnen klargemacht, daß Sie nicht dem einzelnen Menschen helfen, sondern höchstens dem System, und das ist ein diktatorisches System.
Nach diesem Vertrag erlöschen nach einer gewissen Übergangszeit alle individuellen Ansprüche auch für den Kumpel in Oberschlesien deutscher Abstammung, die er irgendwann in der Zeit vor 1945 erworben hat, wenn er nicht in die Bundesrepublik Deutschland ausreist. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und der FDP, können mir und der breiten deutschen Öffentlichkeit nicht klarmachen, daß es sich hier um einen humanen Vertrag handelt. Allein die Auswirkungen der Rentenversicherung, indem sie dem einzelnen nicht zugute kommt, zeigen ganz eindeutig, daß es sich um einen unsozialen und inhumanen Vertrag handelt.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Franke, nur zwei Bemerkungen zu dem, was Sie soeben bezüglich der Berechnungen der Pauschale ausgeführt haben, aber auch eine Vorbemerkung. Natürlich erhebt sich die Frage, ob das Problem, das wir heute lösen wollen, mit Rechnungen, mit Zahlenspielen überhaupt gelöst werden kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Bitte.
Herr Kollege, ich könnte mich dieser Ihrer Meinung anschließen. Aber haben Sie nicht auch den Eindruck, daß die Bundesregierung, nämlich mit den Vorschlägen zur Saldierung, und Sie ebenfalls mit dem Nennen der Saldierung in Ihrem Bericht mit dem Zahlenspiel angefangen haben?
Herr Kollege Franke, erstens muß ich meinem Kollegen Sund recht geben: Sie sollten mit Zwischenfragen immer warten, ob das, was Sie wissen wollen, nicht sowieso gesagt wird. Aber Sie haben es immer sehr eilig.Zum zweiten. Natürlich ist es notwendig, bei den Sachberatungen eines Sozialversicherungsabkommens auch über Zahlen zu sprechen, zumal ja auch der Haushaltsausschuß und andere Ausschüsse daran beteiligt sind. Es erhebt sich aber die Frage, ob es richtig ist, nunmehr in den Mittelpunkt dieser Regelung des deutsch-polnischen Verhältnisses die Rechnung zu stellen, ob 1,5 oder 1,6 oder wieviel Milliarden DM gezahlt werden müßten.Aber da Sie nun schon die Zahlen zur Diskussion gestellt haben, zwei Bemerkungen dazu. Ich habe heute früh als Berichterstatter sehr bewußt und klar gesagt — ich habe keine Zahlen genannt —,
daß jede andere Lösung auf alle Fälle teurer werden würde als 1,3 Milliarden DM. In diesem Zusammenhang muß ich nun, weil Sie so gerechnet haben, auch einmal eine Rechnung aufmachen. Sie haben nur die 100 000 bis 180 000 Personen genannt, die hierfür in Frage kommen. Sie haben allerdings die 2,9 Millionen Personen vergessen, die vor 1945— heute früh von mir auch genannt — in Deutschland nicht als Fremdarbeiter, nicht im Zusammenhang mit dem Kriege, sondern zum Teil in Wirtschaftsregionen wie Ruhrgebiet usw. eine lange Zeit gearbeitet haben und dann im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen nach Polen zurückgegangen sind. Diese Menschen haben Sie vergessen, die nämlich auch Rentenansprüche aus völlig normalen Zeiten haben. Aber lassen wir das!
— Die zwei Zahlen von jeweils 4,7 Millionen Personen stehen in dem Bericht. Die habe ich auch genannt, ich habe aber auch gesagt, daß diese Zahlen nicht gesichert sind. Das habe ich heute früh gesagt.
Keiner kann von sicheren Zahlen sprechen. Wo wollen Sie denn eine entsprechende Übersicht hernehmen?
— Moment, Herr Kollege Czaja. Regen Sie sich doch nicht alle so auf. Ich versuche ja einmal zu rechnen. Sie haben eben ein Drittel gesagt, Herr Kollege Franke. Ich nehme jetzt das Drittel von
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Schmidt
180 000 Personen, ich nehme also nur 60 000. Ich nehme nur eine Rente von 200 DM im Monat an. Wissen Sie, was da in zehn Jahren herauskommt? Ich habe das einmal nachgerechnet: 1,44 Milliarden DM, nur unter Zugrundelegung von 60 000 Anspruchsberechtigten und 200 DM Rente im Monat. Die Feststellung, daß andere Lösungen teurer werden würden, ist also wohl berechtigt. Insoweit sollte das noch einmal klargestellt werden.
Wir brauchen also gar nicht die größeren Zahlen, die im Raum stehen und von denen wir zum Teil nicht genau wissen, wie exakt sie die Betroffenen erfassen.Eine zweite Bemerkung nur, Herr Kollege Franke: Sie haben gesagt, Sie wollten weiterhin die Erfüllung individueller Rentenansprüche. Das sei Ihr Ziel. Ich will gar nicht noch einmal darauf hinweisen, daß das, wie Sie ja zugeben, möglicherweise teurer werden würde. Ich will nur die Frage stellen: Mit welcher Alternative glauben Sie das in den nächsten Jahren erreichen zu können, wenn Sie nur die Forderung stellen und nicht nachweisen können, wie es möglich ist, daß der Betreffende in seiner polnischen Heimat das auch ausgezahlt bekommt, was er als individuelle Rente zu erhalten hat? Sie wissen sehr genau, daß das in absehbarer Zeit nicht durchsetzbar ist.
— Sie wissen sehr genau, Herr Kollege Jenninger, daß das nicht an die Betreffenden gelangt. Sie können sich die ähnliche Problematik im Kriegsopferbereich anschauen. Dort haben wir diese Probleme ja auch.
— Daß das nicht zu erreichen ist?
— Gut, das wollte ich ja nur wissen. Dann heißt das also, daß Sie die Menschen in Polen auf die Möglichkeiten warten lassen wollen, die durch dieses Abkommen eröffnet werden — wenigstens im polnischen Bereich echte Rechtsansprüche zu bekommen —, und all die Fragen offenlassen, die wir eben durch dieses Abkommen lösen wollen.
Das Wort hat der Senatspräsident von Bremen, Herr Koschnick.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich als Mitglied des Bundesrats zunächst zu der Frage Stellung nehmen, ob denn der Bundesrat überhaupt verfassungsrechtlich berechtigt ist, seine Verfassungskompetenz auch auf die gewichtigen Fragen deutscher Außenpolitik zu beziehen, obwohl doch unstrittig ist, daß die eigentliche Zuständigkeit für die Regelung der auswärtigen Beziehungen vom Verfassungsgeber aus guten Gründen dem Bundestag übertragen worden ist.
Der Bundesrat als Bundesorgan hat natürlich, wie bei allen Gesetzen, seine Mitwirkungspflicht. Gerade bei Verträgen dieser Art, die sowohl auf das Wegräumen der Trümmer der Vergangenheit als auch auf das Hinführen zur besseren Nachbarschaft in Gegenwart und Zukunft gerichtet sind, wäre ein Ausschluß von politischer Meinungsäußerung aus dem von den Länderregierungen getragenen Verfassungsorgan des Bundes eine nicht zu vertretende Einengung der politischen Willensbildung in unserem Staate. Doch bedeutet diese generelle Pflicht bzw. dieses generelle Recht der Mitwirkung des Bundesrates bei dem Gesetzgebungsgang der Ratifizierung völkerrechtlicher Abkommen und Verträge keineswegs, daß der Verfassungsgeber, daß der Parlamentarische Rat damit dem Bundesrat ein Vetorecht einräumen wollte.
Herr Senatspräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schweitzer?
Herr Senatspräsident, darf ich Sie als Vertreter des Bundesrates fragen, ob Sie in diesem Zusammenhang grundsätzlich meine Ansicht teilen, daß es einem guten demokratischen Stil entsprechen würde, wenn sich der Länderchef, der mit einem Minderheitskabinett regiert, vor der Festlegung seines Kabinetts auf ein Abstimmungsverhalten im Bundesrat gerade bei einem außenpolitischen Vertrag, der normalerweise nicht zustimmungspflichtig ist, ein Mehrheitsvotum seines demokratisch legitimierten Landtags einholt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will Ihnen diese Frage gern beantworten. Natürlich stehen die Entscheidungen im Bundesrat nicht zur Disposition der Landtage, sondern sie stehen zur Disposition der Länderregierungen. Nur diejenigen, die keine Mehrheit hinter sich haben, sollten mit ihren Länderregierungen nur das vertreten, was das Volk parlamentarisch im Land entschieden hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn die CDU/CSU schweigt, damit ich zuhören kann, gern. Ich kann aber nur einem zuhören, Herr Präsident.
Herr Bürgermeister Koschnick, darf ich damit annehmen, daß Sie in die gleiche Kampagne gegen die FDP in Niedersachsen eintreten wie einige Ihrer Parteifreunde in Niedersachsen?
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15578 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das können Sie nicht annehmen. Sie wissen auch, daß Sie das nicht annehmen können, weil das eine polemische Zwischenfrage war, die entsprechend zu bewerten ist. Ich kann Ihnen hier in allem Freimut nur folgendes sagen. Ich würde persönlich an Stelle von Herrn Albrecht mir in dieser Frage die Rücksicherung des Parlaments einholen. Er muß es nach der Verfassung nicht. Ich bin gefragt worden, was ich tun würde, und das habe ich gesagt.
— Es gab bisher noch keinen Vorgang, Herr Abgeordneter, in dem ein Ministerpräsident ein Land mit einer Minderheit regierte. Das ist das erstemal, und neue Dinge müssen neu erprobt werden. Das haben Sie früher einmal gemacht; wir müssen das wohl auch lernen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Bürgermeister Koschnick, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß die Abgeordneten des niedersächsischen Landtags, die in Kenntnis der anstehenden Entscheidungen dem Ministerpräsidenten Albrecht ihre Stimme gegeben haben, damit auch eine Willenserklärung abgegeben haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich! Ich gehe davon aus, wenn Abgeordnete ihre Kreuzehen machen, daß das immer eine Willensentscheidung ist. Ich will sie gar nicht bewerten.
— Auch eine legitime. Auch das habe ich nie bestritten.Ich bin gefragt worden: Wie würden sich die Kollegen Ministerpräsidenten verhalten, die nicht sicher sind, wie das in ihrem Land vom Volk gewählte Parlament diese Frage bewertet, ob das nicht eine andere Qualität ist als in den Bereichen, wo das klar ist. Wir Bremer haben eine eindeutige Mehrheit. Die Bayern haben eine — Gott sei's geklagt! — noch eindeutigere Mehrheit für ihre Regierung. Sie haben die Rückkoppelung. In Niedersachsen ist eine solche Rückkoppelung nicht gegeben. Darauf habe ich geantwortet.Nun lassen Sie mich in der Frage des Bundesrates fortfahren, wenn Sie einverstanden sind! — Danke schön.
Ich gehe davon aus, daß der Bundesrat als Bundesorgan berechtigt und verpflichtet ist, an der Gesetzgebung mitzuwirken, auch an den Verträgen mitzuwirken, die hier zur Abstimmung stehen. Aber ich bezweifele, ob die Mitwirkungsrechte des Bundesrats verfassungspolitisch — verfassungspolitisch! — so ausgelegt werden dürfen, daß daran internationale Verträge, die in die Zuständigkeit dieses Hauses fallen, scheitern können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15579
wenn er meint, parteitaktische Vorteile daraus zu ziehen. Nur sollte er dann sagen, daß es parteitaktische Vorteile und keine Grundsatzfragen der deutschen Politik sind.
Ich halte es verfassungspolitisch für außerordentlich gefährlich, wenn der Versuch weitergeführt werden sollte, die politische Diskussion der Polen-Verträge aus dem Bundestag in den Bundesrat zu verlagern. Auch die Opposition im Bundestag, die die Mehrheit im Bundesrat besitzt, muß doch zugeben, daß dies eine an Mißbrauch grenzende Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ist.
Dieser Mißbrauch der Verwaltungszuständigkeitsrechte gegenüber einem auf Aussöhnung, auf bessere Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft und auf die Übersiedlung von 125 000 Deutschstämmigen gerichteten Abkommen verletzt meiner Meinung nach die verfassungspolitisch gebotene Bundestreue der Gliedstaaten.
Dieser Mißbrauch, diese auf Nötigung der Bundesregierung zielende Haltung der Ländermehrheit im Bundesrat dokumentiert in geradezu erschreckender Weise ein Unvermögen im Verständnis für einen wirklich kooperativen Föderalismus.
Ich verstehe unter kooperativen Föderalismus eine Form des staatlichen Zusammenwirkens, die das Ganze höherstellt als das Einzelinteresse,
die dem Bund gibt, was dem Bund gebührt, und die insbesondere nicht die internationale Handlungsfähigkeit einer deutschen Bundesregierung gefährdet und belastet.
Es geht hier nicht um die SPD. Es geht hier nicht um die FDP. Es geht um das Handeln einer deutschen Bundesregierung, die von diesem Bundestag gewählt worden ist.
Wenn es nicht um einen derartigen bitterernsten Gegenstand ginge, wenn es nicht um die Entscheidung in einer politischen Frage von äußerster Tragweite ginge, dann könnte man geneigt sein, daß Verhalten der Opposition in der Frage der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen mit einer alten lateinischen Feststellung zu begleiten, die auf deutsch lautet: „Es ist schwierig, keine Satire darüber zu schreiben" .
Eine bitterböse Satire freilich! Denn selten zuvor hat die CDU so viel Mühe darauf verwandt, das Eingeständnis eigener Handlungsunfähigkeit hinter einer Nebelwand schöner Worte zu verbergen,
die Unfähigkeit nämlich, das, was sie selbst, d. h. alle ihre außenpolitischen Sachverständigen, als politisch richtig und notwendig erkannt hat, die Versöhnung mit unserem polnischen Nachbarn zu fördern, auch politisch in ihrem eigenen Lager durchzusetzen.
Wenn ich in den letzten Monaten die Zeitungen aufgeschlagen habe, so hat immer irgendein prominenter CDU-Politiker irgend etwas Nettes über Polen und die Polen gesagt. Immer hat es geheißen, es müsse selbstverständlich etwas geschehen, um die Beziehungen zwischen unseren Staaten nachhaltig zu verbessern. Immer wieder ist beteuert worden, selbstverständlich sei die Bundesrepublik auch zu Opfern bereit; aber leider könne man den Verträgen nicht zustimmen. Wer will es mir und vielen anderen Deutschen übelnehmen, wenn sie diese Haltung als den Versuch betrachten, sich aus der politischen Verantwortung herauszumogeln?„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es", hat Kästner einmal gesagt. Das gilt auch für das Regierungshandeln und das Handeln eines Parlaments. Wer also die Versöhnung mit Polen will, wer Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn nicht als Pflichtübung, sondern als Aufgabe ansieht, wer Friedenssicherung und Entspannung will, der muß dies auch beweisen, und zwar auch in konkreten Taten.Was prominente Vertreter der CDU in Polen und hier in der Bundesrepublik in Gesprächen mit Polen in den letzten Jahren alles an Gutem gesagt haben, das füllt allmählich nämlich ein ganzes Buch. Nun aber, wo es darum geht, wichtige Einsichten in Verträge und Vereinbarungen umzusetzen, um wegzuräumen, was wegzuräumen ist, wo es auch um die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik als Ganzes geht, da liefert die CDU ein Scheingefecht nach dem anderen, um zu verbergen, daß das, was sie kritische Einwände und Bedenken nennt, in Wirklichkeit nur ihrer eigenen, durch parteiinterne Schwierigkeiten entstandenen Handlungsunfähigkeit auf einem lebenswichtigen Gebiet der deutschen Ostpolitik entspringt.
15580 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976Senatspräsident KoschnickDas hat sich bei der Behandlung der Schlußakte von Helsinki gezeigt. Das setzt sich jetzt unübersehbar fort.
— Nein, den Widerspruch müssen Sie mir belegen.
— Aber nicht mit Zwischenrufen, sondern durch Beweise.
In welcher bejammernswerten inneren Situation sich die CDU befindet, wird sicherlich in den nächsten Monaten noch deutlicher werden. Da ist die Haltung der CSU nun doch eindeutiger; denn hier wie in vielen anderen Fällen zeigt die CSU klar Flagge. Sie wärmt ohne rhetorische Umschweife einen Teil der Parolen des früheren Antikommunismus, des kalten Krieges wieder auf. Da weiß man doch wenigstens, woran man ist.Die konservative Londoner „Times" schrieb am 18. Mai 1973 über die außenpolitischen Vorstellungen der CDU — ich zitiere —:Leider haben die Christlichen Demokraten noch nicht ihren Weg gefunden, um die konstruktiven Beiträge zu leisten, die das übrige Europa von ihnen erwartete, also sie noch an der Macht waren.Das im Jahre 1973 Geschriebene stimmt auch heute noch.Die Beiträge der CDU zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik sind in den letzten Jahren keineswegs konstruktiver geworden. Sie enthalten sogar — lassen Sie mich das in aller Offenheit sagen; das ist eine mich bedrückende, tiefe Sorge — ein ausgesprochen destruktives Element. Ich hoffe deshalb daß wir wenigstens nach dem 4. Oktober dieses Jahres in dieser Frage wieder besser miteinander sprechen können.
Niemand wird von der Oppostion erwarten und verlangen dürfen, daß sie die Regierung liebt. Aber nicht umsonst nennen sich die großen politischen Parteien allesamt in der Bundesrepublik „staatstragend", was ja wohl heißen will, daß es über die parteipolitischen Sonderinteressen hinaus auch eine gemeinsame politische Verantwortung für diesen Staat gibt. Doch diese Bezeichnung „staatstragend" verlangt nach dem Beweis, und ich meine, daß die CDU hier jedenfalls den Nachweis, staatstragendzu sein, uns allen schuldig bleibt, wenn sie damit in I Fragen höchsten außenpolitischen Ranges
einwandfreie parlamentarische Mehrheiten dieses Hauses, des vom Volk gewählten Parlaments, durch die Hintertür des Bundesrats zu Fall zu bringen sucht,
wenn sie damit die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik und damit deren Glaubwürdigkeit und Vertragstreue unterminiert und dies durch ein Bundesorgan, das keine gesamtstaatliche außenpolitische Aktivitätslegitimation besitzt
und dessen Mitspracherecht in Fragen der Außenpolitik aus gutem Grund eng begrenzt ist.
Ich will die Vereinbarungen mit der Volksrepublik Polen nicht besser machen, als sie sind.
Sie tragen für jedermann erkennbar den Stempel des Kompromisses.
Das ist keine Schande. Vereinbarungen kommen nun einmal nur dann zustande, wenn sie Interessen beider Seiten so weit wie nur irgend möglich entsprechen.
Ich meine — ich sage dies auch für die Landesregierung, deren Präsident ich bin —: Diese Vereinbarungen dienen deutschen Interessen. Sie dienen der Verbesserung der Beziehungen mit der Volksrepublik Polen, sie dienen dadurch der Versöhnung mit dem polnischen Volk, und sie dienen schließlich unmittelbar der Entspannung in Europa.
Sie ermöglichen die Ausreise von etwa 125 000 Deutschen aus Polen, sie ermöglichen die Lösung zahlreicher offener sozialversicherungsrechtlicher Fragen zwischen beiden Staaten, und sie bewirken auch eine Vertiefung und Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Die sachlichen Bedenken gegen einzelne Punkte der Vereinbarung hat die Bundesregierung inzwischen mit dem Schreiben des Herrn Außenministers vom 16. Februar 1976, wie ich meine, vollständig ausräumen können. Es ist vor allem, so glaube ich, hinreichend deutlich geworden, daß eine stärkere Berücksichtigung deutscher Interessen nicht möglich war. Alles, was heute dagegen gesagt wird, bedeutet
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15581
Senatspräsident Koschnickein verklausuliertes und damit ein unglaubwürdiges Nein. Es ist — das ist meine feste Überzeugung — das zur Zeit Mögliche bei den Verträgen erreicht worden.Trotzdem sollen, wenn ich das Kampfsignal aus der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg richtig verstanden habe, die CDU/CSU-Minderheit im Bundestag wie die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat auf die Ablehnung der Verträge festgelegt werden. Bezeichnenderweise ist diese unverhüllte Drohung aus Stuttgart ja bereits vor der heutigen Beratung und Beschlußfassung im Bundestag ergangen. Mein christdemokratischer Kollege Filbinger hält also offenbar den Austausch von Informationen und Meinungen und Argumenten, wie er hier stattfindet, für im Grunde völlig überflüssig.
Wenn es wirklich so wäre, daß wir, die Vertreter unterschiedlicher politischer Auffassungen, uns nur noch mit bereits bis ins Detail festgelegten Worten begegnen, dann könnten wir uns auf gedruckte Kommuniqués beziehen und diese austauschen. Das erspart uns viel Zeit, macht aber schließlich den Parlamentarismus kaputt.
Diejenigen, die hier einigen vorwerfen, hier werde in Fraktionszwang gehandelt, sollten doch einmal nachlesen, was Herr Strauß an Ministerpräsidenten und Abgeordnete geschrieben hat oder was Herr Filbinger im Augenblick zum Verhalten des Bundesrats schreibt.
Meine Damen und Herren, wer Verantwortung für unser Land ausübt und empfindet, muß beschwörend warnen: Die destruktive Wirkung eines Scheiterns der Polenverträge im Bundesrat wird für die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik katastrophale Folgen haben, und zwar nicht nur in Mitteleuropa und in Osteuropa, sondern auch bei unseren Freunden und Bündnispartnern. Sie alle wissen doch, daß es im Westen eine Reihe von Belastungen wegen der polnischen Geschichte aus den Jahren 1939 bis 1945 gibt und daß man mit besonderer Sorgfalt darauf achtet, wie wir uns hier verhalten, damit auch sie ihr Verhältnis in Ordnung bringen können. Ein bißchen Gespür in außenpolitischen Fragen sollte den Christlichen Demokraten nicht völlig verlorengegangen sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ?
Herr Bürgermeister, wenn das Scheitern dieses Vertrages derart weitreichende Wirkungen hat, wie Sie eben zum Ausdruck brachten, wie erklären Sie dann den Umstand, daß sich die Bundesregierung strikt weigert, dem Verlangen der Opposition nachzukommen und mit Polen neue Gespräche und Verhandlungen zu
einer Verbesserung dieser Verträge aufzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf diese Frage kann ich nur mit Adenauer antworten: Wenn etwas ausgehandelt worden ist, vorher abgeklärt worden ist, unterschrieben worden ist, gibt es keine neuen Verhandlungen; dann muß entschieden werden.
Ich frage Sie ganz ernsthaft: Was halten Sie eigentlich von unserer Regierung und von den Gesprächspartnern auf der anderen Seite?
— Allein Ihre Reaktion ist ein guter Beweis dafür, daß Sie nicht berufen sein dürften, die Mutter des Parlamentarismus in Zitaten herbeizuziehen. Wie Sie soeben würde kein englischer Abgeordneter reagiert haben.
Dort kann man nämlich sehr wohl unterscheidenzwischen innenpolitischer Auseinandersetzung undgesamtstaatlicher Verantwortung einer Regierung.Darf ich jetzt zu dem Beitrag des Herrn Abgeordneten Mertes kommen, der mich ja persönlich angesprochen hat. Ich würde auch ganz gern einige Bemerkungen zu Herrn Dr. Jaeger machen.Wer von den letzten 200 Jahren deutsch-polnischer Geschichte spricht, der weiß, daß dieses Land, daß dieses Volk, daß diese für die Entwicklung Europas so wichtige polnische Nation stets darunter gelitten hat, daß andere über sie verfügten. Als Objekt des zaristischen Rußlands und seiner Orthodoxierungspolitik, als Objekt des protestantischen Preußen mit seiner Germanisierungspolitik und als Objekt einer — zugegeben — liberaleren Grundhaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie haben sich die Polen in wiederholten Aufständen, in gewaltsamen Revolutionen und in gewaltfreier Widerstandstätigkeit darum bemüht, die Einheit der Nation und die Gewährleistung ihrer christlichen Glaubensentscheidung allen Gewalten zum Trotz durchzusetzen. Lang war dieser Kampf. Blutig waren die Auseinandersetzungen und schrecklich die Konsequenzen für das Volk. Die Konsequenzen waren Verfolgung und Emigration.Der Höhepunkt des Leidens des polnischen Volkes, meine Damen und Herren, waren ganz sicher die Jahre zwischen 1939 und 1945 — ein Leiden, an dem wir Deutschen die Hauptschuld zu tragen haben, bei dem wir aber nicht vergessen, daß auch die Sowjetunion unter Stalin ihr Maß an Schuld auf sich zu nehmen hat. Die stalinistische Schuld verkleinert aber keineswegs unsere Aufgabe, den Menschen in Polen die Möglichkeit zu ebnen, auf dem Wege zur Aussöhnung und Versöhnung mit dem deutschen Volk weiterzuschreiten.In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß es neben der geschichtlichen Belastung im Verhältnis der Polen zu uns und zu den Deutschen ins-
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15582 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Senatspräsident Koschnickgesamt auch positive Beispiele gutnachbarlicher und freiheitlicher Zusammenarbeit gab. Das gilt für die Bindungen der Sachsen an Polen, nicht zuletzt nach den ersten Erhebungen in Polen zum Ende des 18. Jahrhunderts, das gilt für die Demokraten ganz besonders stark im Hambacher Fest 1830, die große Dokumentation für ein freies Polen. 1848 im Kampf um demokratische Rechte haben die Demokraten in Europa, auch hier in Deutschland, für Polen gekämpft. Da hat der politische Katholizismus im Kulturkampf und vorher die Rechte Polens und nicht nur der Kirche Polens vertreten und nachhaltig unterstützt. Da haben sich Sozialdemokraten vor dem Ersten Weltkrieg darum bemüht — gemeinsam mit dem Zentrum —, Freiheit für Polen zu schaffen. Das sind positive Marksteine in der Geschichte, und die verschütten Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie heute nicht, aufbauend auf diesen Geschichtsergebnissen, die Wege der Versöhnung mitgehen, sondern zurückfallen in eine überhebliche Position gegenüber Polen, die nicht zu rechtfertigen ist.
Wir wollen versuchen — und das ist eine Bitte eines in dieser Frage Engagierten —, nicht nur die Last der geschichtlichen Beziehungen und Verstrikkungen zu sehen, sondern auch die Zeichen gegenseitiger Hoffnung neu zu beleben und neue Ansätze eines gemeinsamen Verständnisses sichtbar werden zu lassen.
Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes ?
Herr Bürgermeister Koschnick, hätten Sie die Freundlichkeit, einmal zu meiner Aussage Stellung zu nehmen, daß die machtpolitische Lage westlich der polnischen Grenzlinie heute ein objektives politisches Problem geschaffen hat, das man anders sehen kann, als Sie es sehen, und daß es nicht um Versöhnungswillen geht, sondern um unser politisches Urteil über konkrete Versöhnungspolitik dieser Regierung und ihre langfristigen Auswirkungen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, die Frage ist berechtigt. Ich will sie gerne beantworten, Herr Mertes. Es trifft sicher zu, daß die politische Landschaft von heute nicht die Landschaft von 1830, 1848 oder 1871 ist. Es trifft sicher zu, daß zwischen dem freien Teil Deutschlands und der polnischen Nation ein Teil Deutschland ist, in dem kommunistische Gewaltherrscher regieren. Aber das kann uns doch nicht hindern, mit dem polnischen Volk zusammenzuarbeiten und den Versöhnungsgedanken auszubauen. Die Polen können doch nichts dafür, daß nach 1945 in dem anderen Teil Deutschlands ein anderes System entwickelt worden ist. Hier geht es nicht darum, wie eng wir uns mit Regierungen befreunden, sondern ob wir den geschichtlichen Auftrag begriffen haben, dem polnischen Volk sichtbar zu machen, daß unser Volk, eine frei gewählte Regierung und ein frei gewähltes Parlament bereit sind, die entscheidenden Schritte zur
Versöhnung zu gehen. Diese Frage besteht. Davon
kann auch die Existenz der DDR nichts abstreichen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes? — Bitte schön!
Herr Bürgermeister Koschnick, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß auch wir mit der heutigen polnischen Regierung, mit der Volksrepublik Polen Abmachungen schließen wollen, daß wir präzise und zumutbare Kriterien aufgestellt haben, die für uns maßgebend sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie das erklären. Ich glaube auch, daß eine Fülle von Abgeordneten, die ich aus Ihrem Lager kenne — und einige haben in Polen sehr Vernünftiges dazu gesagt —, das auch konkret wollen. Ich stelle aber ebenso fest, daß Ihre Fraktion im Augenblick nicht handlungsfähig ist und daß keine Chance besteht, wenn wir heute die Polen zurückstoßen, morgen noch verhandeln zu können, weder eine Regierung von unserer noch eine Regierung von Ihrer Seite.
Sie müssen heute mit uns die Grundlagen dafür schaffen, daß wir morgen weiter sprechen können. Das Gespräch ist natürlich noch nicht zu Ende. Die jetzigen Verträge sind wiederum nur Schritte zu weiteren Verträgen in anderen Bereichen. Wir wollen doch nicht bei den heutigen diplomatischen Ergebnissen im Verhältnis zu Polen stehenbleiben; wir müssen weiter arbeiten.Herr Mertes, ich bitte Sie ernsthaft über folgendes nachzudenken: Sie haben, wie Herr Dr. Jaeger vorhin auch, den Begriff Versöhnung als einen im Kern nur religiösen Begriff dargestellt. Es kommt aber darauf an, daß wir auch als einzelne gefordert sind, sichtbar zu machen, daß wir religiöse Begriffe nicht nur vordergründig in der Interpretation gebrauchen, sondern auch in der konkreten Haltung realisieren. Für mich ist Versöhnung in Europa und mit Israel sehr viel mehr als nur ein religiöses Gebot; es ist eine Verpflichtung aus meiner Glaubenshaltung heraus, und danach möchte ich handeln.
Wenn das so ist, dann schieben Sie diesen Begriff nicht auf das nur Religiöse ab, sondern verbinden Sie damit die Forderung an uns alle, aus dem sittlichen Gebot heraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
— Sie, Herr Mertes, haben das getan. Herr Jaeger hat hier vorhin auf diesem Gebiet eine schreckliche Schau abgezogen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15583
Senatspräsident KoschnickIch gebe zu, er wollte Herrn Marx verteidigen. Aber ich muß hier in aller Form feststellen — —
— Ich nehme das Wort „Schau" zurück, einverstanden.
— Ich nehme den Begriff „Schau" zurück. Es war auch keine gute.
Ich nehme es zurück und sage: Die Art und Weise,
wie hier die Position vertreten worden ist, entspricht nach meiner Meinung nicht dem Gebot und dem Ernst, Herr Mertes, von denen Sie vorhin ausgegangen sind.
Ich sage hier in allem Freimut: Wer sich hier hinstellt und sagt: „Wir haben ja in Entschließungen bekundet, was wir an Versöhnung mit dem polnischen Volke wollen", und gleichzeitig die Verträge mit der Begründung diffamiert, wir wollten diese Konsequenz eines Aussöhnungsprozesses kommerzialisieren oder das, was wir materiell vorleisten, uns honorieren lassen, der diffamiert nicht nur unsere Regierung, sondern der diffamiert im gleichen Umfang auch den Gesprächspartner in Polen. Ich weise das mit aller Entschiedenheit zurück. Ich habe diese Haltung beider Regierungen nicht so zu interpretieren, und ich warne auch davor,
daß wir hier den Eindruck aufkommen lassen, daß wir mit Geld Versöhnung erreichen wollen. Versöhnung erreichen wir nur, indem wir uns den Problemen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft öffnen.Ich möchte — das sage ich in aller Offenheit — gern erreichen, daß mein jetzt 18jähriger Sohn nicht mehr mit den gleichen Belastungen in Europa leben muß wie wir. Wir, die wir wissen, was geschehen ist, haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß jetzt die Trümmer beseitigt werden. Die nächste Generation muß unbelasteter leben können.
Ich sage deswegen: Wer uns heute vorwirft, wir wollten Versöhnung verkommerzialisieren und honorieren, der hat von der sittlichen Verpflichtung in der Politik und für den handelnden Politiker kaum ein Gespür.Der Weg der Regierung Brandt/Scheel und die Leistungen der Bundesregierung Schmidt/Genscher, über Helsinki zu diesen Vertragswerken zu kommen, verdienen unseren Respekt. Wir, d. h. die Mitglieder des Senats des Landes Bremen, werdenjedenfalls die Bundesregierung nicht im Stich lassen.
Ich bitte, diese Position nicht als eine der Koalitionsdisziplin zu sehen. Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung, die in Sorge um die Gefahr einer ernsthaften Störung eines sich allmählich zum Guten wandelnden deutsch-polnischen Verhältnisses getroffen wurde.Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich mir die Empfehlung der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands zu eigen mache, die da lautet:Es sind Verträge und Vereinbarungen abgeschlossen oder vorbereitet worden, die der Aussöhnung und menschlichen Erleichterung dienen sollen. Annahme oder Ablehnung der jetzt zur parlamentarischen Behandlung anstehenden Verträge und Protokolle haben entscheidenden Einfluß darauf, ob Deutsche und Polen auf diesem Wege vorankommen oder ob die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Volksrepublik Polen Belastungen mit schwer absehbaren Folgen ausgesetzt sein werden. Daher bittet die Synode die politisch Verantwortlichen, diese Versöhnung — bei voller Würdigung aller gegen die Vereinbarung vorgebrachten Bedenken — nicht scheitern zu lassen. Dies gilt um so mehr, als die Vereinbarungen, die auf eine bessere Verständigung zwischen beiden Völkern abzielen, eine langerhoffte Hilfe für Tausende von Polen und Deutschen bringen werden.Dieser Empfehlung der Synode habe ich nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Carstens .Dr. Carstens (CDU/CSU) (Von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt — Lachen und Zurufe bei der SPD und der FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, welches uns heute beschäftigt, ist ein ernstes und wichtiges Thema, und wir sollten es mit Ernst behandeln und sollten uns frei halten von solch allgemeinen Formeln wie „verdammte Pflicht und Schuldigkeit" und ähnlichem, von dem der Präsident des Senats von Bremen, Herr Koschnick, hier eben gesprochen hat.
Wir alle sind für die Aussöhnung, für die Verständigung, für den Ausgleich mit Polen. Wir sagen das nicht nur, sondern wir haben — gerade wir von der CDU/CSU — in der Vergangenheit viele Beweise dafür geliefert, daß dies unsere Politik ist. Aber wir sind nicht der Meinung, daß wir, weil wir für eine Aussöhnung, einen Ausgleich und eine Verständigung mit Polen sind, unbesehen die Argumentation annehmen müssen und unbesehen den
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15584 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Dr. Carstens
Texten zustimmen müssen, die Regierung und Regierungskoalition uns hier vorlegen.
Herr Kollege Brandt hat gesagt, man könne Aussöhnungspolitik nicht mit halbem Herzen betreiben, und er hat das besonders in bezug auf die jungen Menschen gesagt. Das mag richtig sein, Herr Kollege Brandt, aber man kann Aussöhnungs- und Verständigungspolitik auch nicht mit halben Wahrheiten bestreiten.
Deswegen will ich noch einmal auf Ihre — der SPD und der Bundesregierung — Argumentation zurückgehen.Sie erwecken hier den Eindruck, durch alle Ihre Redner, als wenn das Leid, das schwere tragische Leid, welches in den vergangenen 40 Jahren über das polnische Volk gekommen ist, ausschließlich auf deutsche Schuld und deutsche Ursachen zurückgeht. Dies, meine Damen und Herren, ist eben eine falsche und verfälschende Darstellung der deutschen Geschichte, gegen die sich die Deutschen mehr und mehr zur Wehr setzen, weil sie endlich genug davon haben, immer von neuem hören zu müssen, daß sie an dem Leid in der Welt und insbesondere an dem Leid des polnischen Volkes die alleinige Schuld trügen.
Hitler hat gesagt, der polnische Staat hat aufgehört zu existieren. Das ist ein schreckliches Wort gewesen,
das hier in der letzten Polen-Debatte zitiert worden ist. Aber kurz danach hat der sowjetische Außenminister, Herr Molotow, gesagt: Ein schneller Schlag der Wehrmacht und der Roten Armee, und nichts blieb übrig von diesem scheußlichen Gebilde des Versailler Vertrags!
Das hat er mit Bezug auf Polen gesagt, meine verehrten Damen und Herren, und das war auch ein schreckliches Wort.
Ich bin ebenso wie Sie, Herr Bundesaußenminister Genscher, tief beeindruckt und erschüttert gewesen bei einer Reise durch Polen, als ich an den verschiedenen Stätten gestanden habe, die an zurückgebliebenes und erlittenes Leid erinnern. Aber ich habe doch versucht, meinen polnischen Gesprächspartnern deutlich zu machen, daß es ein Gebot der Ehrlichkeit und der Gerechtigkeit wäre, das, was ihnen angetan worden ist, nicht ausschließlich den Deutschen anzulasten. Ich meine, in diesem Punkt sollten wir alle, alle Fraktionen in diesem Hause, übereinstimmen.
Wir sollten, wenn wir von den Leiden des polnischen Volkes sprechen, auch der Leiden gedenken, die Deutsche in den letzten mehr als 30 Jahren seitKriegsende erlitten haben, der Leiden der Vertriebenen. Wir sollten nicht hinnehmen, wenn die Bundesregierung plötzlich anfängt, statt von ,Vertreibung" von „Bevölkerungsverschiebung" zu sprechen.
Dies dient nicht der Herstellung eines wahrhaftigen Bildes der Vergangenheit. Aber nur auf Grund eines wahrhaftigen Vergangenheitsbewußtseins ist nach unserer Auffassung eine Aussöhnung möglich.
Wir sollten auch nicht verschweigen — ich habe sehr bedauert, daß darüber von seiten der Regierung und der Regierungskoalition gar nicht gesprochen worden ist —, welchen Leiden Deutsche auch jetzt noch in Polen ausgesetzt sind.
Es ist doch eine Tatsache, daß Deutsche, die ihre Ausreise beantragt haben, deswegen, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt haben, schwere Nachteile haben in Kauf nehmen müssen. Ich meine, es gehört zur Wahrnehmung der Fürsorgepflicht, die wir allen Deutschen in Polen und in den Ostgebieten gegenüber haben, daß wir auch darüber ein Wort sagen und diese Dinge nicht einfach mit Stillschweigen übergehen.
Lassen Sie mich ein Wort über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen seit 1950 sagen. Auch da ist einiges zurechtzurücken. Sie, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Regierungskoalition, versuchen, den Eindruck zu erwecken, als ob mit dem Jahre 1969, als Sie die Regierung antraten, die große Wende im deutsch-polnischen Verhältnis eingeleitet worden sei. Das ist so nicht richtig. Es haben schon Kollegen von mir darauf hingewiesen, daß in den Jahren von 1950 bis 1969 über 400 000 deutsche Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind — übrigens ohne daß dafür irgendwelche finanziellen Gegenleistungen erbracht wurden. Ich möchte darauf hinweisen, daß in dieser Zeit amtliche Beziehungen mit Polen aufgenommen worden sind.Dann kam die große Wende. 1969 kam die neue Bundesregierung. Es kamen ihre ersten Gespräche mit den osteuropäischen Staaten, es kamen die ersten grundlegenden Gespräche im Mai 1970 in Moskau, als die neue Bundesregierung mit der sowjetischen Regierung das gesamte Feld der Ostpolitik neu absteckte und bestimmte. In dieser damals getroffenen und zu Papier gebrachten deutsch-sowjetischen Vereinbarung ist auch von der Oder-Neiße-Linie als der Westgrenze des polnischen Staates die Rede. Also schon in der ersten Dokumentation, die es nach 1969 überhaupt gab, wird diese zentrale polnische Forderung erfüllt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15585
Dr. Carstens
Aber, meine Damen und Herren, Sie können diese damalige Dokumentation einmal, zweimal, dreimal und viermal lesen: Sie finden nicht ein Wort über die Deutschen, die in diesen Gebieten leben, nicht ein Wort über Familienzusammenführung,
nicht ein Wort über menschliche Erleichterungen, nicht ein Wort über Volksgruppenrechte und Minderheitenschutzrechte. Meine Damen und Herren, wo war da Ihr humanitäres Gewissen?
Dann kamen die Verhandlungen mit Polen im Herbst des Jahres 1970, es kam der Warschauer Vertrag zustande, und es gab im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag eine einseitige polnische Erklärung über die Gewährung der Ausreise für die Deutschen. Damals wurde uns gesagt: Diese einseitige polnische Erklärung deckt alle Fälle, eine zahlenmäßige Begrenzung gibt es nicht, alle, die ausreisen wollen, können ausreisen. Das wurde uns hier gesagt. Das sagte uns dieselbe Regierungskoalition, die uns jetzt zum soundsovielten Male sagt, dies, was wir heute beschließen sollen, sei der letzte Akt.
Es wurde behauptet, mit dieser polnischen Erklärung sei keine Begrenzung der Zahl der Ausreisen verbunden. Und was stellten wir fest? In einem einzigen Jahr — ich glaube, es war im Jahre 1972 — wurden die Zahlen der Ausreisenden von vor 1969 übertroffen. In allen anderen Jahren, 1970, 1973, 1974 und 1975, kamen viel weniger Deutsche im Jahresdurchschnitt als in den Jahren vor 1969. Das müssen sich die Regierung und die Regierungskoalition vorhalten lassen.Ich bin bewegt, wenn hier gesagt wird: Wir wollen die Aussöhnung, und wir wollen uns mit den Polen verständigen. Das wollen wir alle. Aber wir wollen nicht, daß diese Äußerungen, diese Erklärungen dazu dienen, die offenkundigen Schwächen einer jahrelangen Ostpolitik zu vertuschen, zu verheimlichen und zu verharmlosen.
Jetzt kommt der dritte Anlauf, und dieser ist mit der Zahlung von 2,3 Milliarden DM verbunden. Nun wird gesagt: Das hat mit der Ausreisegenehmigung überhaupt nichts zu tun; das dient der Ablösung von Rentenansprüchen, die Deutsche und auch Polen in diesen Gebieten im Laufe der Jahre erworben haben. In der Tat, meine Damen und Herren, diejenigen, die Ansprüche erworben haben, verlieren durch diese jetzt zu treffende Vereinbarung ihre Ansprüche, und wir zahlen zum Ausgleich für diese Ansprüche
1,3 Milliarden DM. Nur, von denen, die ihre Ansprüche verlieren, erfahren bestenfalls ganz wenigeeine Verbesserung ihrer Position. Die weitaus überwiegende Mehrzahl geht leer aus, sie verliert ihre Ansprüche, und von dem Geld, das wir zahlen, bekommt sie nicht einen einzigen Pfennig zu sehen.
— Das hat mit humanitären Erwägungen, so möchte ich sagen, sehr, sehr wenig zu tun.Aber, meine Herren von der Regierungskoalition, räumen Sie doch endlich ein, gestehen Sie doch endlich ein, daß Ihnen alle diese Überlegungen, die wir hier anstellen, gleichgültig sind, daß es Ihnen gleichgültig ist, ob die Menschen höhere Renten bekommen oder nicht! Was hat denn die Mehrheit im Arbeits- und Sozialausschuß gesagt? Ich möchte das wörtlich zitieren:Die Mehrheit des Ausschusses war angesichts der Unterschiedlichkeit der Systeme der Auffassung, daß es nicht auf die Frage ankomme, ob sich im Einzelfall deutsche Versicherungszeiten rentensteigernd auswirken würden.
Mit anderen Worten: es ist Ihnen gleichgültig, ob die Menschen von diesen Zahlungen einen Nutzen haben oder nicht.
Es kommt Ihnen darauf an, einen Grund zu finden,1,3 Milliarden DM an den polnischen Staat zu zahlen.
— Jawohl, so ist es! Ich zitiere Sie selbst.Nun, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Regierungskoalition, machen Sie eine ungeheuerliche Sache: Sie versuchen, das, was Sie tun, damit zu rechtfertigen, daß Sie sagen: wenn wir das nicht täten, müßten wir noch viel mehr zahlen, müßten wir vielleicht 14 oder 15 Milliarden DM zahlen. Es tut mir sehr leid, Herr Bundeskanzler, daß ich Ihnen das sagen muß: Dies ist ein typisches Argument nach Ihrem Stil und nach dem Stil Ihrer Regierung!
Sie versuchen, die gleiche Leistung, die Sie der polnischen Regierung als ein großes Opfer darstellen, in unserem Lande dadurch schmackhaft zu machen, daß Sie den Eindruck erwecken, als ob wir Deutschen damit ein großes Geschäft machten.
Es gibt überhaupt keine zahlenmäßige Grundlage für diese Berechnungen, überhaupt keine!
Und, meine Damen und Herren, was das Allerschlimmste ist: Indem mit solchen Zahlen — 14, 15 Milliarden DM — operiert wird, muß ja das ein-
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Dr. Carstens
treten, was wir befürchten, was wir, so glaube ich, mit Recht immer wieder als unsere Befürchtung ausgesprochen haben, muß die Begehrlichkeit anderer osteuropäischer Staaten geweckt werden.
Die müssen sich doch sagen, wenn die Bundesregierung schon selbst der Meinung ist, daß Polen 14 bis 15 Milliarden DM bekommen könnte oder müßte oder sollte: Ja, wie steht es denn dann mit uns, haben wir nicht auch Menschen in unserem Lande, die in Deutschland gearbeitet haben usw.?Ich will das nicht in allen Einzelheiten ausschmükken. Ich will nur sagen, es ist dies ein verantwortungsloses Argument, es ist ein Argument, das auf derselben Stufe steht wie das Argument Ihres Finanzministers und des Bundeskanzlers selbst: „Wir haben im Jahre 1975 hervorragend gewirtschaftet, wir haben 8 Milliarden DM Kassenüberschüsse erzielt." Und dabei verschweigen Sie dem deutschen Volk, daß Sie in diesem Jahr 40 Milliarden DM Schulden gemacht haben!
Und nun zu dem wichtigsten Thema, zu dem Thema der Menschen, der von diesen Vereinbarungen erfaßten und der von ihnen nicht erfaßten Menschen. 120 000 Deutsche werden kommen, sagt die Bundesregierung. Unsere Prüfung ergibt, daß die Verpflichtung, die die polnische Seite übernimmt, in diesem Punkte nicht zweifelsfrei ist, und angesichts dessen, was wir im Jahre 1970 und danach erlebt haben, kann uns niemand verdenken, daß wir diese Texte kritisch prüfen.Aber wir können doch, selbst wenn 120 000 Deutsche kommen sollten, nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß es insgesamt 280 000 Deutsche sind, die den Wunsch haben, zu kommen. — Ich halte mich an diese Zahl, die der Bundesaußenminister noch im November vorigen Jahres hier vor dem Deutschen Bundestag als seine Zahl genannt hat. Und, meine verehrten Damen und Herren, es ist doch legitim, es ist doch auch human, zu fragen: Ja, was wird denn aus den 160 000, die nicht kommen können?
Und da gibt uns die Bundesregierung, geben uns die Koalitionsparteien völlig unbefriedigende und völlig unzulängliche Antworten.Es wird gesagt, es sind gar keine 160 000 mehr. Da wird dieselbe Manipulation mit Zahlen versucht wie bei den finanziellen Leistungen. Aber ich sage noch einmal: Wenn das Wort des deutschen Außenministers vor dem Bundestag vom November vorigen Jahres nichts mehr gilt, dann mag er das selber sagen. Ich halte mich daran.
Wir haben keinen Einfluß auf die Auswahl. Das ist ein ganz gravierender Punkt, ein Punkt, den mehrere meiner Kollegen schon angesprochen haben und in dem wir dringend eine Änderung, eine Verbesserung, eine Ergänzung in der Weise wünschen, daß auch die deutsche Seite an der Auswahl derer, die ausreisen dürfen, beteiligt wird.Wir haben keine Gewähr dafür, daß diejenigen, die ausreisen wollen, nicht weiterhin Nachteile erleiden, so wie leider in den vorangegangenen Jahren andere, die ausreisen wollten, Nachteile erlitten haben. Wir haben keinerlei, aber auch keinerlei Inaussichtstellung seitens der Bundesregierung gehört, daß diejenigen, die zurückbleiben, ein Mindestmaß — und ich sage: wirklich auch nur ein Mindestmaß — an Möglichkeiten der Entfaltung in ihrer eigenen Sprache — und sci es auch nur im Gottesdienst — erhalten werden.
Das sind schwerwiegende Mängel, vor denen niemand, meine verehrten Damen und Herren, seine Augen verschließen darf. Es muß doch jeder, der objektiv urteilt, einräumen, daß diejenigen, die diese Sorgen und Argumente vortragen, sich genauso von humanitären Überlegungen leiten lassen wie diejenigen, die den Hauptakzent und das Hauptgewicht auf 120 000 legen, denen eine Aussicht auf Ausreise eröffnet wird. Es ist grundfalsch, den Eindruck zu erwecken, als ob wir, die wir diese Dinge zur Sprache bringen, aus anderen als aus humanitären Gründen handeln würden. Wir lassen uns von humanitären Gesichtspunkten leiten.
Nun wird uns in den düstersten Farben die Gefahr des Scheiterns dieser Vereinbarungen vor Augen geführt. Ich habe schon einmal gesagt — ich wiederhole es —: Es ist natürlich, daß eine Regierung das tut, daß eine Regierung, die bemüht ist, einen bestimmten Vertrag durchs Parlament zu bringen, die mit dem etwaigen Scheitern dieses Vertrages verbundenen Folgen so dunkel, so schwarz und so düster wie nur möglich darstellt. Es ist hier schon erwähnt worden: Wir haben in den letzten 30 Jahren auch andere Verträge scheitern sehen. Auch das Scheitern dieser Verträge wurde mit den düstersten Kommentaren begleitet. Wir haben erlebt, daß es nach dem Scheitern eines solchen Vertrages, wie z. B. des ersten deutsch-französischen Saarstatuts, dennoch einen Weg gab — und wie wir doch wohl alle heute zugeben —, einen besseren Weg gab, um dieses Problem zu lösen.So sage ich Ihnen für den Fall, daß diese Verträge scheitern und die CDU/CSU im Herbst dieses Jahres die Regierung in der Bundesrepublik Deutschland übernimmt:
die CDU/CSU wird sich dann diesen deutsch-polnischen Problemen stellen und das ihr Mögliche tun, um im Geiste der Verständigung und des Ausgleichs eine bessere Lösung dieser Probleme zu suchen.
Sie, Herr Bundesminister Genscher, sagen, bei unseren westlichen Freunden würde das einen schlechten Eindruck machen. Ich bin 20 Jahre lang, seitdem ich überhaupt in der Politik bin, für das
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Dr. Carstens
enge Zusammenstehen der Bundesrepublik Deutschland mit ihren westlichen Freunden und mit ihren westlichen Verbündeten eingetreten. Aber ich weiß auch, daß es immer wieder Fragen gibt, Fragen, in denen es sich um Interessen und Notwendigkeiten unseres Volkes, um Interessen und Notwendigkeiten der Deutschen handelt, bei denen eine deutsche Regierung den Mut haben muß, für diese Interessen und Notwendigkeiten einzutreten, auch wenn dies vielleicht nicht von vornherein dem Verständnis der westlichen Partner entspricht. Dies gehört auch zur Pflicht, zur Fürsorgepflicht einer deutschen Regierung.
Dann sagen Sie, die Opposition dürfe dieses Vertragswerk nicht scheitern lassen. Herr Bürgermeister Koschnick hat darüber Ausführungen gemacht, die mich insofern verwundert haben, als er hier als Mitglied des Bundesrates soweit ich ihn richtig verstanden habe — die ganze Zeit gegen die Institution gesprochen hat, die er angeblich vertritt.
Aber ich muß Ihnen doch das eine sagen. Bevor Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister Genscher, nach Helsinki fuhren bevor Sie nach Helsinki fuhren; ich betone das, denn das war der Zeitpunkt, wo nach den Ausführungen des Außenministers, die wir soeben gehört haben, die Entscheidung fiel —, wo die grundsätzliche Vereinbarung mit dem polnischen Parteichef Gierek getroffen wurde, haben Sie meinen Kollegen Stücklen, meinen Kollegen Katzer, meinen Kollegen Marx und mich zwei oder drei Tage vor Ihrer Abreise in großen Zügen über das unterrichtet, was Sie da vorhatten. Wir haben die Art der Unterrichtung als völlig ungenügend beanstandet, und wir haben Ihnen nicht den Schatten einer Erklärung gegeben, aus der Sie schließen konnten, Sie führen mit unserer Zustimmung nach Helsinki und würden diese Vereinbarung mit unserer Zustimmung unterzeichnen. Das Risiko mußten Sie schon allein auf sich nehmen.Nun schickt sich die Bundesregierung an, dieses Thema, das Thema der deutsch-polnischen Vereinbarungen, zu einem Kampfthema der innenpolitischen Auseinandersetzung zu machen.
Der Bundeskanzler — hören Sie sich doch einmal an, was der Bundeskanzler gesagt hat; vielleicht interessiert Sie das ja auch ab und an
hat vor einigen Tagen in einem Interview mit einer süddeutschen Zeitung gesagt: „Einige werden mich nicht wiedererkennen."
Herr Bundeskanzler, das sind Drohungen, von denen sich, so hoffe ich, niemand in Deutschland beeindrucken lassen wird.
Im übrigen, Herr Bundeskanzler: Was heißt „nicht wiedererkennen"? Wir kennen Sie mittlerweile, glaube ich, alle ganz gut.
Ich halte Sie jedenfalls für einen sehr intelligenten und sehr schnell zupackenden Politiker, der allerdings seine Argumente wählt, wie ihm das gerade in den Kram paßt, ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt und ohne — —
— Herr Kollege Wehner, wenn das deutscheSprichwort „Benehmen ist Glücksache" richtig ist,
dann sind Sie von einer permanenten Pechsträhne verfolgt.
Diejenigen Kollegen von der SPD, die der Meinung sind, daß alle Argumente des Bundeskanzlers wahr seien, möchte ich fragen, ob sie sich noch daran erinnern, daß dieser Bundeskanzler im Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen den bevorstehenden Aufschwung für den Sommer des vergangenen Jahres vorausgesagt hat.
Und, Herr Bundeskanzler, Ihre Fähigkeit, gelegentlich Tiefschläge auszuteilen, ist auch unbestritten;
das brauchen Sie hier nicht noch einmal vorzuführen.Um noch etwas zur Frage der innenpolitischen Auseinandersetzung hinzuzufügen: Einige Kollegen unserer Fraktion werden im Gegensatz zur Meinung der Mehrheit der Fraktion diesen Verträgen ihre Zustimmung geben.
Diesen Kollegen bezeuge ich meinen und bezeugt meine Fraktion ihren Respekt.
Das ist das Selbstverständnis, das wir in der CDU/ CSU-Fraktion von uns selbst, von unserer Fraktion haben.
Aber ich möchte doch diejenigen, die sich in dieserAuseinandersetzung mit ganz anderen Zungenschlägen einmischen, einmal fragen dürfen, wie sie
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15588 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Dr. Carstens
es eigentlich mit ihrem Demokratieverständnis in Einklang bringen, daß sie Mitglieder des niedersächsischen Landtags, die sie noch nicht einmal kennen,
als Verräter, Feiglinge und Dunkelmänner bezeichnen, bloß weil sie nicht so gestimmt haben, wie die Mehrheit von SPD und FDP es erwartet hat.
Der Hinweis auf die Reichstagsfraktion der SPD von 1933, vor der ich hohe Achtung habe,
hilft hier überhaupt nicht weiter; denn Sie, meine Damen und Herren, gleichen nicht mal mehr einem Schatten Ihrer damaligen Vorgänger.
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal, wir sind für Aussöhnung, wir sind für Verständigung, wir sind für Ausgleich mit Polen.
Ich sage dies in großem Respekt auch vor dem polnischen Volke und seiner tragischen Geschichte.
Ich sage es in großem Respekt vor einem Volke,
das trotz schwerer Bedrängnis an seinem christlichen Glauben festhält wie kaum ein anderes Volk.
Ich sage es in großem Respekt vor einem Volke, welches in 150jähriger Trennung niemals den Willen zur Wiedervereinigung preisgegeben hat, einem Volke, welches in dieser Beziehung mir als Deutschem immer als Vorbild erschienen ist.
Ich sage es — und ich spreche hier für die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion insgesamt — mit dem Willen, einen Ausgleich mit Polen zu finden, die noch nicht gelösten Probleme zu lösen, sie besser, dauerhafter
und vor allem ehrlicher zu lösen als diese uns vorliegende Vereinbarung.
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß während des letzten Teils der Rede das Wort „Heuchler" gefallen ist. Wir können nicht sehen, von wo es kam und können damit keinen Ordnungsruf erteilen.
— Wir können keinen Ordnungsruf erteilen. Ich bedaure diesen unparlamentarischen Ausdruck.
Ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich knüpfe zunächst an die Rede des Herrn Abgeordneten Mertes an, der heute morgen — und ich stimme ihm zu — ausgeführt hat, wir dürften uns gegenseitig unseren moralischen Respekt voreinander nicht zerstören. Ich stimme ihm auch, nachdem ich die Rede des Herrn Abgeordneten Carstens gehört habe — und gerade wegen dieser Rede —, ausdrücklich zu.
Herr Mertes hat sodann ausgeführt, es könne auch gar nicht eine Seite allein und zur Gänze recht haben; es könne auch nicht so sein, daß die andere Seite zur Gänze unrecht habe. Auch dem stimme ich ausdrücklich zu. Ich stimme auch dem zu, was Herr Kollege Mertes über das Wesen des Kompromisses hat ausdrücken wollen.Aber, Herr Kollege Mertes, bleiben wir eine Sekunde bei dem moralischen Respekt. Einer Ihrer Redner hat heute morgen — es war der Herr Abgeordnete Wallmann — ausgeführt, es fehle der Bundesregierung gegenüber dem polnischen Vertragspartner an Aufrichtigkeit. Ich will gar nicht den ehemaligen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes fragen, wie er eine solche Bemerkung außenpolitisch beurteilt. Ich frage Herrn Kollegen Mertes und andere, die sich nicht von Stimmungen in diesem Hause fortreißen lassen, wie man eine solche Äußerung bewerten muß, die der Kollege machte, der sagte, es fehle der Bundesregierung an Aufrichtigkeit gegenüber dem Vertragspartner. Dabei wird dann hinsichtlich des Vertragspartners diesem Hause in gleichem Atemzug insinuiert, man könne sich auf das, was er mit uns abgemacht habe, nicht verlassen.Oder ich frage den Herrn Kollegen Mertes, wie er die schriftliche, mit dem Namen gezeichnete, in einem Aufsatz in einer Zeitung veröffentlichte Äußerung eines seiner Fraktionskollegen, eines Fraktionsgeschäftsführers seiner Fraktion, bewertet, der in der „Neuen Bildpost" unter einer widerwärtigen Überschrift, die vielleicht nicht von ihm stammt und die ich deswegen nicht zitieren will — man weiß das bei Zeitungen nicht so genau, aber der Namens-Artikel stammt gewiß von ihm —, den gegenwärtigen Generalsekretär der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei mit Adolf Hitler vergleicht.
Glauben Sie, Herr Professor Carstens, daß solche Töne — Sie waren nicht der einzige, der es vorgetragen hat —, der für einen großen Teil Ihrer Fraktion glaubwürdig gemachten Ernsthaftigkeit Ihres Versöhnungswillens entsprechen und daß sie der Versöhnung irgendwie nützen können? Oder müßten Sie sich nicht selber fragen: Was kann ich eigent-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15589
Bundeskanzler Schmidtlieh tun, um diese zerstörerische Wortwahl in meiner eigenen Partei zum Schweigen zu bringen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie schon versuchen, mich zu zitieren, würden Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen, daß das, was ich geschrieben habe, Kritik am Vorenthalten von Menschenrechten gewesen ist und daß wir uns eigentlich auf dieser Ebene treffen könnten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Reddemann, nachdem ich Ihren Aufsatz gelesen habeer liegt dort auf meinem Platze —, bezweifle ich, daß ich die Möglichkeit habe, mich mit Ihnen auf irgendeiner Ebene zu treffen.
Meine Damen und Herren, wir haben eingangs dieses Jahres alle auf die eine oder andere Weise des 100. Geburtstags des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland gedacht.
Ich habe mir in jenem Zusammenhang erlaubt, öffentlich auf die Äußerungen hinzuweisen, die der Bundeskanzler Adenauer nicht nur allgemein in Richtung Osten, sondern insbesondere auf Polen bezogen gemacht hat, insbesondere gegen Schluß seiner Amtsperiode und auch danach. Ich habe mich, nachdem ich aus Ihren Reihen, den Reihen seiner eigenen Partei, kritisiert worden war,
sehr bemüht, mir ein vollständiges Bild zu verschaffen. Mir sind inzwischen auch andere Äußerungen in die Hand gekommen. Am Vorabend des 20. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges sagte Adenauer in einer Rundfunkansprache mit Bezug auf Polen, es ist eine lange Polen-Passage — ich zitiere wenige Sätze daraus —:In den vergangenen zehn Jahren habe ich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland öfter erklärt — und ich wiederhole diese Erklärung heute —: Unser Bestreben wird sein, Verständnis, Achtung und Sympathie zwischen dem heutigen Deutschland und dem polnischen Volk zu begründen, damit auf diesem Boden dereinst wahre Freundschaft erwachse.
So wie ich sie verstehe, kann das ganze Haus diesen Sätzen seinen inneren Beifall nicht versagen.
Übrigens hat er sich wenige Tage darauf, im Oktober 1959, erneut ähnlich geäußert. Schon am nächsten Tage, am 1. September 1959, hat die Sozialdemokratische Partei zu dieser Rede, die ich soeben zitiert habe, in ihrem Pressedienst geschrieben: „Warum spricht Adenauer für die Zukunft und stellt dafür einen Scheck aus? Weshalb nicht gleich damit beginnen?"
Diese Frage war sicherlich 1959 nicht zu Unrecht zu stellen. Einige von Ihnen würden sagen: Es war legitim, die Frage zu stellen. Die Frage ist seither immer wieder gestellt worden. Es war nicht nur legitim, sondern es war sittlich geboten, diese Frage zu stellen. Es hat lange, lange Jahre gedauert. Ich will nicht zweifeln an vielen von Ihnen, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union, die uns glaubwürdig versichern, sie meinten es ernst, so wie es Adenauer ganz zweifellos auch ernst gemeint hat. Sie können das ja auch nachlesen in Erinnerungen von Heinrich Krone oder in den Erinnerungen des Botschafters Kroll. Es gibt mehrere Gesprächspartner, die darüber geschrieben haben.Nur müssen Sie sich einmal fragen, ob Sie aus den damals schon klar ausgesprochenen Überzeugungen politisch die richtige Konsequenz gezogen haben, wenn Sie in den zehn Jahren, die Sie anschließend an 1959 noch regierten, keine Möglichkeit sahen, aus dem theoretisch-sittlichen Bekenntnis tatsächliches politisches Handeln zu machen und heute, wo seit sechs Jahren andere endlich handeln, dann immer nur nein sagen, sich bestenfalls zu einer Stimmenthaltung durchringen.
Letztlich ist die politische Konsequenz, wenn es gilt, ja oder nein zu sagen, bei vielen von Ihnen immer doch nur wieder ein Rückzug aus der konkreten Verantwortung.Moralische Befehle sind nicht abstrakt. Sie sind konkret. Sittliche Befehle haben nur Sinn in der konkreten Situation. Wenn man sich dann mit ihren konkreten Einlassungen auseinandersetzt, kommt man zu dem Eindruck, letztlich hinter allem doch nur das Nein zu spüren, gerade weil die Argumente, die Sie gebrauchen, sich zum Teil gegenseitig so widersprechen, daß die Ablehnung nicht schlüssig begründet werden kann.Auf der einen Seite sprechen Sie z. B. von Ihrer Bereitschaft zur Aussöhnung. Auf der anderen Seite meinen Sie, den Vertrag von Warschau als etwas „Abschließendes im Leben unseres Volkes" verstehen zu sollen; ich zitiere den Herrn Ministerpräsidenten Kohl, hier im Bundestag so gesprochen. Als „Etwas Abschließendes!" Zum einen — auch hier zitiere ich den Herrn Ministerpräsidenten Kohl, hier im Bundestag gesagt — erkennen Sie an, daß die polnische Seite ein Zeichen setzte, als sie nach Abschluß der deutsch-polnischen Vereinbarungen die
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15590 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundeskanzler SchmidtRenten für die ehemaligen KZ-Häftlinge erhöhte. Man kann es sicherlich so nennen, wie Herr Kohl es getan hat. Aber zum anderen wirft dann ein anderer von Ihnen, und zwar der Vorsitzende der CSU, in einem am 1. November 1975 veröffentlichten Brief uns vor, daß wir tatsächlich Reparationen zahlten. Zum einen spricht der CDU-Vorsitzenden der polnischen Regierung Dank dafür aus, daß von 1950 bis 1969 ohne ausdrückliche Vereinbarung insgesamt 400 000 Deutsche haben ausreisen können — ich komme auf die Zahlen gleich noch zurück, weil auch Herr Carstens und Herr Jaeger sie gebraucht haben —; aber andererseits weigern Sie sich, auf ein schriftliches Versprechen der polnischen Regierung zu vertrauen, daß in den nächsten Jahren wiederum 125 000 ausreisen können.
Einerseits betonen Sie das vorrangige humanitäre Interesse — ich bezweifle dies nicht —, andererseits sind Sie bereit, in Kauf zu nehmen, daß beim Scheitern dieser Verträge so bald nicht einmal diese 120 000 bis 125 000 ausreisen können werden. Einerseits halten die Redner der Opposition die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Rentenpauschale für beanstandenswert, andererseits verlangen sie, daß wir den in Polen lebenden polnischen und deutschen Rentenberechtigten die Renten nicht durch den polnischen Staat, sondern unmittelbar zahlen sollten. Herr Carstens sprach soeben davon und nannte das — was war Ihr Ausdruck, Herr Abgeordneter Carstens? Sie haben mir in sehr feiner Form vorgeworfen, ich würde die Unwahrheit sprechen.
Das heißt, in Wirklichkeit war das nicht fein, in Wirklichkeit war das infam, Herr Abgeordneter Carstens.
Sie selber haben an anderer Stelle hier im Deutschen Bundestag im Plenum zu dieser Frage ausgeführt:Ich werde das Gefühl nicht los, daß es der Bundesregierung gar nicht in erster Linie um die Rentenberechtigten geht, sondern darum, einen Grund zu finden, der polnischen Seite noch weitere 1,3 Milliarden DM aushändigen zu können.
Herr Abgeordneter Carstens, Sie sind lange genug im auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland gewesen, um zu wissen, daß zu der Zeit, wo Sie als hoher Beamter entscheidende Verantwortung in jenem Amte trugen, unter einer CDU/CSU-geführten Regierung ein Gesetz hier in diesem Haus verabschiedet worden ist, das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, in dem Leistungen an Rentenberechtigte im Ausland allüberall versprochen wurden.
Sie wissen sich zu erinnern, daß damals Ihre heutigen Parteifreunde — Sie waren damals Beamter und sicherlich nicht verantwortlich für die Politik der Partei, die Sie heute im Bundestag führen, aber Sie haben mitgewirkt an der Argumentation gegenüber dem Ausland — dafür gesorgt haben, daß die Rentenberechtigten, die in Staaten lebten, gegenüber denen die sogenannte Hallstein-Doktrin galt, von den Rechtsansprüchen nach dem Fremdrentengesetz ausgenommen wurden. Sie wissen auch, daß wir inzwischen diplomatische Beziehungen zu Polen haben.Es ist ja auch nicht so, Herr Professor Carstens, daß Sie in Wirklichkeit ein Gegner dessen gewesen wären. Wenn man fremde Leute Schreibtische erbt, erbt man auch ihre Akten.
Ich sehe im Augenblick das interessierte Gesicht des Kollegen Kiesinger, der ja von Ihnen als Staatssekretär eine Denkschrift zur Deutschen Außenpolitik bekommen hat. Herr Kiesinger hat sie nicht vernichtet;
sie ist noch da. Sie ist auch nicht mehr geheim. Sie haben sie damals als „geheim" eingestuft, Herr Abgeordneter Carstens.
Ich will Sie hier nicht vorführen mit dem, was Sie damals über die Aussichten an den neu ins Amt tretenden Bundeskanzler Kiesinger ausgeführt haben. Es ist kein kurzes Gutachten; es ist auch nicht nur eins, es sind drei.
— Ich will das gar nicht,
aber wir können auch über eine Veröffentlichung reden. Mir kommt es nur darauf an, daß jemand, der wie Sie eine lange Tätigkeit in solchen Ämtern hinter sich hat und viel getan und auch vieles gelassen hat,
sich bei all dem, was er heute ausführt, bitte dessen bewußt bleiben möge, was er früher getan und was er früher ausgeführt hat.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15591
Bundeskanzler SchmidtDas Fremdrentengesetz ist unter der Stabführung der CDU/CSU zustande gekommen; es gewährt Ansprüche. Sie wissen genau wie ich, daß zu Ihrer Zeit die ersten Pauschalierungs- und auf Eingliederungsprinzip beruhenden Abkommen mit anderen Staaten abgeschlossen worden sind - nicht nur in Richtung Westen —,
die dem Prinzip nach ein Vorbild waren
— vielleicht ist das Wort „Vorbild", wenn ich Ihre Zurufe richtig empfange, ein bißchen zu hoch gegriffen —,
nach dessen Schema immer verfahren worden ist und auch heute wieder verfahren wird.
Ich würde nur gern, Herr Abgeordneter Carstens — vielleicht sollte ich mich auch wieder an Herrn Mertes wenden —, an Ihren Sinn für den Respekt vor der Moral des anderen appellieren wollen, nachdem Sie uns hier vor 20 Minuten attestiert haben, uns seien die Ansprüche der Rentenberechtigten „gleichgültig". Ich weise das zurück, Herr Abgeordneter Carstens.
Der Abgeordnete Carstens war auch derjenige, der schon mehrfach öffentlich von Vorleistungen gesprochen hat, die wir das eine ums andere Mal gegenüber der polnischen Seite erbrächten: der Warschauer Vertrag sei eine Vorleistung gewesen, die allgemeinen Vereinbarungen aller europäischen Staaten, Kanadas und Amerikas in Helsinki am Ende der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa seien eine Vorleistung gewesen. Ich wundere mich, daß nicht auch noch — vielleicht kommt das demnächst — das Viermächteabkommen über Berlin, SALT 1 und alles dies zu Vorleistungen an kommunistische Staaten erklärt werden. —Sie haben recht, Herr Abgeordneter Carstens, wenn Sie soeben hier ausgeführt haben, daß man natürlich auch gegenüber seinen westlichen Freunden und Partnern in gewissen Fragen standfest bleiben muß. Ich stimme dem zu. Ich weiß, daß es in früherer Zeit einige Fragen gegeben hat, bei denen Sie das für sich in Anspruch nehmen können, und Sie wissen, daß es einige Punkte gibt, bei denen wir das auch für uns in Anspruch nehmen können. Nur kann das doch nicht darauf hinauslaufen, daß alles, was nicht in Ihre gegenwärtige Argumentation paßt — in der gesamten Politik nicht nur desganzen Westens, sondern ganz Europas —, von Ihnen zur angeblichen Vorleistung erklärt wird. Und Herr Ministerpräsident Kohl geht, wenn er aus Paris zurückkommt, her und sagt zunächst: nein, mit dem Präsidenten Giscard d'Estaing ist über Polen gar nicht geredet worden, und dann ist doch darüber geredet worden! Dann treffe ich ein paar Tage später unsere französischen Freunde und weiß genau, was wirklich geredet worden ist.
— Es waren ja nicht Sie, Herr Stücklen, der mir etwas gesagt hat, es waren andere.Mir liegt daran, daß der Abgeordnete Carstens so oft wie möglich durch Darlegungen hier im Deutschen Bundestag den Boden für eine gewisse Argumentation entzogen bekommt, nämlich für die Argumentation, Entspannungspolitik sei Vorleistungspolitik. Deswegen wiederhole ich etwas, was viele von uns, was der Außenminister, was die Redner der Freien Demokratischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei viele Male hier dargelegt haben.
Die erste Voraussetzung für unsere Entspannungspolitik ist: Mindestens die beiden Weltmächte müssen sie wollen. Die zweite Voraussetzung ist die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der in Europa und auf Europa wirkenden militärischen Kräfte. Aber unter diesen Voraussetzungen ist für uns und für andere Entspannungspolitik drittens eben auch eigene Bemühung um Entspannung, die sich niederschlagen muß in Abmachungen und Verträgen.
Auf den Feldern, auf denen Abmachungen und Verträge nicht möglich sind, z. B. auf dem Felde der ideologischen Auseinandersetzungen, wird es Entspannung gegenüber der Sowjetunion kaum geben. Im Gegenteil, sie sagt uns ja nun schon seit vielen Jahren immer wieder, es gebe keine ideologische Koexistenz. Es gibt auch andere Felder, z. B. in geographischer Hinsicht — Angola gehört dazu —, oder im rein militärischen Bereich — z. B. gehört bisher die maritime Rüstung dazu —, die durch Verträge nicht abgedeckt sind, wo man insoweit nicht von Entspannung reden kann und wo Sie es, meine ich, unterlassen sollten, uns der Illusionen auf solchem Felde zu bezichtigen.
Die Entspannung birgt eine große Hoffnung, weil diese Art der Politik, die ich noch einmal beschrie-
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15592 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundeskanzler Schmidtben habe, der einzige Weg ist, die Zahl der Felder, die durch Verträge und Abmachungen gedeckt werden können, schrittweise zu erweitern. Dies, was heute zur Debatte steht, ist eine Erweiterung jenes Feldes, das im Zuge dieser Entspannungspolitik durch Verträge und Abmachungen entspannt wird.Ich möchte auf die Zahl von 400 000 zurückkommen, die der Abgeordnete Carstens genannt hat. Ich nehme an, daß Sie die Originalstatistik zur Hand haben, Herr Abgeordneter Carstens aus derSie die Zahlen addiert haben.
Es handelt sich um eine Statistik über Umsiedlung von Deutschen aus dem Bereich der Volksrepublik Polen, Jahreseinreisezahlen seit 1950. Dort sind die 26 Jahre — einschließlich 1950 — aufgeschlüsselt. Es stellt sich heraus, daß es — abgesehen von den vorangegangenen Jahren der Vertreibung und der Flucht — in diesen Jahren seit der Existenz der Bundesrepublik Deutschland einen Schwerpunkt der Ausreisen in die Bundesrepublik in den Jahren 1957 und 1958 gegeben hat. Dann flacht es sehr stark ab. In den ersten zehn Jahren der Existenz der Bundesrepublik Deutschland sind über 300 000 Menschen aus Polen gekommen, bis einschließlich 1960. In den zweiten zehn Jahren — bis einschließlich 1970 — waren es nur noch 100 000,
wobei die Tendenz absinkend war. Im Jahre 1966 waren es 17 000, im Jahre 1967 waren es 10 000, im Jahre 1968 waren es 8 000 usw., im Jahre 1970 waren es noch 5 000.
- Ich komme noch darauf. In den folgenden fünfJahren von 1971 bis 1975 waren es etwas über 60 000.
Das heißt, im Durchschnitt waren es mehr, aberebenfalls mit sinkender Tendenz. Wir hatten 1971— das war das Jahr, als die Verhandlungen in vollem Gange waren — 25 000, dann 13 000, dann knapp 9 000, dann knapp 8 000, dann 7 000 .. .
Das sind auch nicht viel mehr als 1969 oder 1970.
— Man kann lange darüber sprechen, wie es kam. Nur, jetzt wird es sich ändern. In den nächsten vier Jahren werden 125 000 kommen.
Das sind jedenfalls mehr als in den ganzen zehnletzten Jahren Ihrer Regierung, meine Damen undHerren. Ich wollte eigentlich diese Rechnung gar nicht vortragen; ich hatte die Statistik nur sicherheitshalber in meinen Unterlagen.
Ich halte statistische Aufrechnungen in mancherlei Hinsicht, Herr Kollege Carstens, für nicht ganz ohne Bedenken. Ich zweifle nicht an den Zahlen, damit Sie mich richtig verstehen. Nur, wenn Sie solche Rechnungen aufmachen, dann müssen Sie zugeben, daß in den Jahren del suzialliberalen Koalition, seit Brandt und Scheel, daß in fünf Jahren wesentlich mehr Leute gekommen sind als in den Jahren vorher, wo Sie verantwortlich waren,
und daß in den Jahren, die jetzt folgen werden, im Durchschnitt jedes einzelnen Jahres mehr als vorher kommen werden. Sie werden zugeben müssen, daß wir in den nächsten vier Jahren auf Grund unserer Verträge mehr Ausreisen haben werden, als Sie vorher in einem ganzen Jahrzehnt zu verzeichnen hatten.
— Die Statistiken stehen ja jedem zur Verfügung. Ich trage Sie nur deswegen detailliert öffentlich vor, weil ich den daraus gezogenen Folgerungen, vor allen Dingen des Abgeordneten Dr. Jaeger, sie seien das Ergebnis deutscher Politik — so hat er gesagt, er meinte aber, sie seien das Ergebnis christlich-demokratischer und christlich-sozialer Politik; das setzt er ja im Grunde und im Geiste gleich —, entgegentreten mußte.Nun verlangen Sie in diesem Zusammenhang von uns, wir sollten noch einmal eine „äußerste Anstrengung" machen. Ich möchte dazu zwei Dinge sagen:Erstens. Im Gegensatz zu den CDU-Regierungen der letzten zehn Jahre vor 1970 sind wir die einzigen, die überhaupt eine ernste Anstrengung zu vertraglicher Bindung zustande gebracht haben.
Herr Ministerpräsident Kohl zum Beispiel hat doch öffentlich gesagt, er habe eine Einladung nach Polen. Warum wird sie nicht befolgt, um herauszufinden, was an Anstrengungen noch möglich sei?Zweitens habe ich zu sagen: Das, was nach langer, langer Periode des Überlegens, des Miteinandersprechens, des Abtastens, des Verhandelns noch übrig war, als Herr Kollege Genscher und ich nach Helsinki flogen, und das, was wir dann in einer langen Nacht schließlich doch zusammengeführt haben, einschließlich der Offenhalte-Klausel, das war in der Tat eine äußerste Anstrengung. Das war in der Tat für beide Seiten eine äußerste Anstrengung. Wenn ich absehe von dem Besuch Konrad Adenauers in Moskau, dann glaube ich, können wir uns nicht erinnern, daß bei anderer Gelegenheit
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15593
Bundeskanzler Schmidtnach jahrelangen Verhandlungen durch die zuständigen Minister, Außenminister, Finanzminister und Beamte der Bundesregierung, ein Bundeskanzler mit dem Chef des anderen Staates selber stundenlang endlos versucht hat, ob nicht doch noch eine Einigung zu finden war.
— Das hat mit Weihrauch nichts zu tun. Ich habe am Anfang dem Herrn Kollegen Mertes eingeräumt, daß man sehr wohl Kritik üben könne an dem Ergebnis, sehr wohl. Ich habe das für legitim erklärt am Anfang meiner Ausführungen. Nur: Das war eine äußerste Anstrengung, wie man sie so nicht wiederholen kann. Vielleicht man selbst; die Frage ist, was Sie dem Verhandlungspartner und seiner innenpolitischen und seiner außenpolitischen Position glauben zumuten zu können. Insbesondere kann ich nicht hoffen, daß jemand von Ihnen bei einer ähnlichen äußersten Anstrengung mehr erreicht nach dem Vorangehen dieser Debatten hier und nach dem Vorangehen Ihrer Beschuldigung, der Vertragspartner werde sich an sein Wort nicht halten.
Herr Bürgermeister Koschnick hat den ersten Bundeskanzler zitiert, dem bei einer Gelegenheit — es ist lange her — vorgeworfen wurde, er solle noch einmal verhandeln, und er hat die klassische Antwort zitiert, die Adenauer darauf gegeben hat; ich will sie nicht noch einmal verlesen. Wenn jedes Land noch mal anfangen würde zu verhandeln und jeder Außenminister käme mit neuen Vorschlägen, dann wäre nach zehn Jahren noch keine Übereinstimmung. Ich erkenne an, daß die CDU/CSU — jedenfalls, soweit es sich um die Ministerpräsidenten und den Bundesrat handelt — seit dem ersten Durchgang durch den Bundesrat, wo sie in elf Punkten Bedenken erhoben und Fragen an die Bundesregierung gestellt hat, Fragen, die wir zunächst im Bundestagsausschuß für Auswärtiges durch den Herrn Kollegen Genscher, inzwischen aber auch schriftlich für die Mitglieder des Bundesrates, die sich ja demnächst wieder mit der Sache zu befassen haben werden, und auch für alle Abgeordneten beantwortet haben, ich erkenne an, daß die CDU/CSU, jedenfalls ihre Ministerpräsidenten und ihre Führungsmannschaft, vorgestern nach Kenntnisnahme der elf Antworten auf elf Fragen das, was sie noch anzumerken hatte, nicht nur quantitativ wesentlich eingeschränkt hat. Daß dieselben Argumente heute doch noch vorgetragen werden, will ich niemandem ankreiden. Aber Sie haben das, was Sie Dienstag noch anzumerken hatten, wesentlich eingeschränkt. Dabei ist das, was jetzt noch steht, in Ihren Augen sicherlich von erheblicher Bedeutung, und ich nehme es ernst. Nur: Wie soll man eigentlich diesen Sinneswandel verstehen? Es ist ja ein vielfältiger Sinneswandel. Wie soll man verstehen, daß in Kenntnis derselben Texte, die heute hier im deutschen Parlament zur Ratifikation vorliegen, die außenpolitische Kommission beim CDU-Präsidium sich am 16. Oktober mehrheitlich für die Zustimmung ausgesprochen hat? Wie soll man verstehen, daß am 25. Oktober ein Brief bekannt wird, in dem der Herr Vorsitzende der CSU allen Mitgliedern Ihrer Fraktion und allen Ministerpräsidenten der CDU/CSU-geführten Bundesländer die geschlossene Ablehnung der Verträge anrät, weil — so wörtlich — eine einmütige Kontrastaussage zur Außenpolitik der SPD/FDP notwendig sei?Wie soll man es verstehen, wenn zwei Tage später bekanntgegeben wird — ich zitiere die „Welt", eine Ihnen relativ freundlich gesonnene Zeitung, soweit es bei dieser Zeitung möglich ist, freundlich gesonnen zu sein —: „Der CDU-Chef Helmut Kohl gab keine Stellungnahme zu diesem Brief ab"? Der „Kölner Stadtanzeiger" schrieb ebenfalls am 27. Oktober letzten Jahres „Aus seiner Umgebung verlautet nach Agenturberichten, er sei von diesem Brief völlig überrascht gewesen".Wie soll man es erklären, daß wiederum ein paar Tage später, am darauffolgenden Wochenende, der Sprecher der CDU, Herr Weiskirch, nach einer Sitzung Ihrer Gremien an jenem Wochenende sagte, auf allgemeinen Wunsch habe nach einer Diskussion über die deutsch-polnischen Vereinbarungen keine formelle Abstimmung stattgefunden? Immerhin war doch, wenn man die Presse verfolgt, über die Meinungsbildung dort eine ganze Menge durchgesikkert.Ich denke, es ist gar nicht so ganz schwer zu verstehen, warum dann trotzdem am 4. November Herr Carstens im Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion sagte, auf Empfehlung der Herren Kohl und Strauß und auf Grund seiner eigenen Empfehlung habe die CDU/CSU soeben mit sehr großer Mehrheit gegen elf Stimmen beschlossen, die Verträge nunmehr abzulehnen. Ich glaube, das ist gar nicht so schwer zu verstehen; denn inzwischen waren Sie konfrontiert mit der Drohung der Auflösung der Fraktionsgemeinschaft.
Das ist der eine Grund. Zweitens waren Sie inzwischen konfrontiert mit der Drohung der Gründung einer vierten Partei. Diese Drohung sitzt Ihnen immer noch im Nacken, und das ist der eigentliche Grund.
— Man braucht das ja nicht irgendwo zu hören, sondern man liest, was Sie darüber verlautbaren, Herr Abgeordneter Stücklen. Es gibt eine Verlautbarung der Herren Strauß und Kohl vom 17. November 1975 zum Thema Bundes-CSU. Darin heißt es, daß es für eine weitere politische Partei in der politischen Landschaft der Bundesrepublik keinen sinnvollen Platz gibt, „wenn die beiden Unionsparteien in allen entscheidenden politischen Problembereichen die gleiche Auffassung geschlossen vertreten".
— Das Wort „wenn" muß man zusammen mit dem Brief lesen, den Herr Strauß an Sie alle, die Sie hier sitzen, und an Sie alle von der CDU/CSU, die Sie dort sitzen, geschrieben hat.
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15594 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundeskanzler SchmidtMeine Damen und Herren, die Wahrheit ist die: Es gibt in der CDU/CSU, vielleicht mehr in der CDU, eine Reihe von Kollegen, die unter Überwindung mancher Bedenken und unter Inkaufnahme schwerer Kritik durch ihre eigenen Kollegen zustimmen wollen. Es gibt andere, die in sich Bedenken überwinden müssen, um bei dem Nein zu bleiben, das ihnen letztlich mehr geboten erscheint als das Ja. Das alles kann man als ernsthaftes Abwägen nur anerkennen. Aber Sie müssen mir dann innerlich auch recht geben, wenn ich sage: In Wirklichkeit wird hier nicht der Wille des Herrn Fiaktionsvorsitzenden und nicht der Wille des Herrn Ministerpräsidenten Kohl aus Mainz, sondern der Wille des CSU-Vorsitzenden Strauß exekutiert, nichts anderes.
Herr Strauß weiß, warum er heute nicht hier ist, nehme ich an.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielleicht etwas später, Herr Abgeordneter.
— Vielleicht etwas später! Ich möchte nämlich ganz gerne auch noch auf die Kontroverse zu sprechen kommen, die der Herr Abgeordnete Carstens mit dem Herrn Bürgermeister von Bremen gehabt hat.Jedermann weiß, daß dieses Ratifikationsgesetz zustimmungsbedürftig ist. Einige von Ihnen haben in den vergangenen Wochen und Monaten beinahe mit einem gewissen Triumph in der Stimme darauf hingewiesen. Sie haben allerdings selten öffentlich bekannt, warum dieses Gesetz zustimmungsbedürftig ist. Es liegt mir am Herzen, das für die Zuhörer öffentlich noch einmal klarzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit diesen Fragen in einer Entscheidung von Juni 1974 beschäftigt und hat im Zusammenhang mit einem. Rentenversicherungsgesetz die Rollenverteilung zwischen Bundesrat und Bundestag in seinem Urteil präzise umschrieben. Darin sagt das Gericht: Nach der Regelung des Grundgesetzes ist der Bundesrat nicht eine zweite Kammer eines einheitlichen Gesetzgebungsorgans, die gleichwertig mit der ersten Kammer entscheidend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wäre, sondern die Gesetze werden vom Bundestag als der unmittelbar legitimierten Volksvertretung beschlossen. Der Bundesrat, ein Kongreß von Regierungsvertretern, wirkt lediglich an der Gesetzgebung mit.Zustimmungsrechte stehen ihm nur zu, soweit es um die Wahrung spezifischer Länderinteressen geht, insbesondere im Bereiche der Administration, d. h. der Verwaltung.Nun hat sich die Bundesratsverwaltung, Herr Ministerpräsident Osswald, durch diese klare Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts nicht davon abhalten lassen, den Bundesrat in einer Werbeschrift — gar nicht so ganz billig — dennoch als ein dem Bundestag gleichrangiges Organ hinzustellen. Wir haben darüber gesprochen, und ich habe Sie so verstanden, daß Sie eine zweite Auflage dieser Schrift nicht genehmigen werden.
— Wenn ich es richtig verstehe, war es nicht nur ein Gespräch, sondern wenn ich die Zeitung richtig gelesen habe, hat sich die Präsidentin des Deutschen Bundestages ganz offiziell an den Bundesrat gewandt. Ich brauchte da gar nichts zu tun, Herr Kollege.
— Sie sollten sich, Herr Abgeordneter, bei Ihrem Pochen auf die Rechte des Bundesrates bewußt werden, daß Sie damit kräftig an einer diminutio capitis des vom Volk in direkter Wahl gewählten Deutschen Bundestages mitwirken.
In diesem konkreten Fall des Rentenabkommens mit Polen sind es in der Tat ausschließlich Länderinteressen im Bereich des Verwaltungsverfahrens, welche diese Stellung des Bundesrates gegenüber den Polen-Verträgen begründen. Es handelt sich um die Art. 12 und 13 des Rentenabkommens, die man genau lesen sollte, um zu richtigen politischen Wertungen zu kommen. Art. 12 bestimmt — es ist hier schon gesagt worden —, daß die zuständigen Behörden und die Träger der Rentenversicherung unentgeltlich Amts- und Rechtshilfe gewähren, daß sie sich „unentgeltlich Auskünfte und Nachweise über den Arbeits- und Versicherungsverlauf im Gebiet des anderen Staates" erteilen, daß sie „unmittelbar miteinander korrespondieren" und daß sie Bescheide und andere zustellungsbedürftige Schriftstücke durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zustellen können. Art. 13 hat eine ähnliche Qualität.Nun finden sich Vorschriften dieser Art auch in vielen anderen Rentenabkommen, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat, z. B. mit Belgien oder mit Kanada oder mit Rumänien. Sie dienen der Verfahrensvereinfachung. Zum Teil dienen Sie nur der Klarstellung von Dingen, die eine vernünftige Verwaltung auch von sich aus tun würde, ohne daß man es ins Gesetz hineinschreibt. Wir
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15595
Bundeskanzler Schmidtschreiben sowieso alle zusammen zu viel in die Gesetze hinein. Das könnte hier auch der Fall sein.
— Augenblick, Herr Stücklen! - Aber diese Vorschriften sind vielfach erprobt. Sie sind in der Sache ganz unbestritten. Der Bundesrat hat in seinen elf Fragen auch gar nicht diese Vorschriften in Zweifel gezogen, er hat gar nicht daran gedacht.
„Die stehen auch gar nicht zur Debatte", wird mir zugerufen. Es steht auch gar nicht zur Debatte, ob diese Vorschriften den Landesrentenversicherungsanstalten Schwierigkeiten machen könnten. Auf diese, gemessen an der Bedeutung der Verträge mit Polen, weiß Gott nebensächlich, marginalen Regelungen stützt sich das Zustimmungsrecht des Bundesrats nach Art. 84 des Grundgesetzes.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigung! Ich möchte den Gedanken zu Ende führen. Ich werde dem Kollegen gleich die Möglichkeit dazu geben.
Was Sie nämlich jetzt sagen wollen, will ich selbst sagen; ich weiß ja, was Sie fragen wollen.
Da die Zustimmungsbedürftigkeit einer einzelnen Vorschrift die Zustimmungsbedürftigkeit des ganzen Gesetzes oder des ganzen Vertrages auslöst, sind es also die hier genannten Verfahrensregelungen, die einzelnen Landesregierungen die Möglichkeit geben, die Verträge mit Polen und damit ein ganz wesentliches Stück unserer Außenpolitik zu verwerfen und, wie sie meinen, sogar unmöglich zu machen.
Ich will jetzt den Kollegen die Möglichkeit geben, ihre Zwischenfragen zu stellen.
Herr Bundeskanzler, ich muß Ihre hellseherische Befähigung in der Tat bestätigen. Können Sie mir ausdrücklich bestätigen, daß in der von Ihnen angesprochenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wörtlich gesagt wird:
Der Bundesrat darf deshalb auch einem Gesetz, das sowohl materielle Normen als auch Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltungen enthält, deshalb die Zustimmung versagen, weil er nur mit der materiellen Regelung nicht einverstanden ist. Wenn der Bundesrat einem Gesetz zustimmt, so stimmt er stets dem gesamten Inhalt des Gesetzes zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stimme Ihnen zu. Ich war in der Tat auf dem Wege, dies auszuführen, Herr Kollege. Nach Ihrer langen Frage müssen Sie mir nun aber auch erlauben, die Antwort ein wenig auszuschmücken.
— Sie sind mit Herrn Strauß dran; er ist aber doch gar nicht hier, Herr Kollege Stücklen. Lassen Sie uns einmal bei dem Thema „Bundesrat" bleiben, zumal auf der Bundesratsbank einige Ministerpräsidenten deutscher Länder sitzen, die sich sicherlich zu dieser Frage äußern wollen und die Anspruch darauf haben, daß ich mich in der Antwort auf die Frage, die der Herr Kollege Jenninger eben gestellt hat, genau ausdrücke. Herr Kollege Jenninger, ich denke, daß im Fall der Polen-Verträge ein solches Ergebnis nicht dem Sinne der Verfassung entspricht, denn das Zustimmungsrecht des Bundesrates nach Art. 84 des Grundgesetzes soll in diesem Falle ja eigentlich die administrativen Interessen der Länder schützen. Letztendlich soll dem Bundesrat ja nicht ein Entscheidungsrecht in der Außenpolitik eingeräumt werden. Dem Bundesrat ist hier aus gesetzestechnischen Gründen eine formale Rechtsposition zugewachsen, die ihm nach dem Sinn der Verfassung eigentlich nicht zustehen sollte. Dem Sinne der Verfassung nach ist Außenpolitik Sache der Bundesregierung, des Bundestages, soweit es um Ratifikationen geht, nicht aber des Bundesrates, wie ja auch die Bundesregierung nur dem Bundestage und nicht dem Bundesrate verantwortlich ist.Ich denke — ohne das Urteil, das Sie richtig zitiert haben, in Zweifel ziehen zu wollen —, der Bundesrat wäre gut beraten, in einer solchen Situation Zurückhaltung zu üben. Ich denke, daß die Versagung der Zustimmung des Bundesrates zu Verträgen, die in diesem Hause mit Mehrheit gebilligt werden, verfassungspolitisch nicht zu rechtfertigen ist. Ich will die Frage offenlassen, ob der Bundesrat damit Rechtspflichten — z. B. die Verpflichtung zu bundesfreundlichem Verhalten — verletzte, ob ein Mißbrauch vorläge usf. Ich will aber sagen, daß der Bundesrat sich und dem Föderalismus einen Bärendienst erwiese, von den Interessen der Bundesrepublik Deutschland als Ganzer zu schweigen.
Nun scheint es ja so, als ob einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages und vielleicht auch Mitglieder des Bundesrats inzwischen ahnen, daß das Zustimmungsbedürfnis in dem vorliegenden Fall ein Danaergeschenk an den Bundesrat ist. Jedenfalls lese ich das in den Zeitungen, und ich höre es auch von Kollegen. Das Nachdenken darüber hat begonnen. Mich hat es wenig überrascht, daß der Bundesregierung aus den Reihen der Opposition die Frage signalisiert worden ist, ob man nicht das Dilemma dadurch lösen könne, daß man die fraglichen Verfahrensartikel aus dem Rentenabkommen streiche und damit das Zustimmungsbedürfnis aufhebe.
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15596 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundeskanzler Schmidt— Ich sehe, daß es bei Ihnen gar keine Empörung gibt. Ich kann auch verstehen, warum jemand im Bundesrat von dem Punkte weg möchte, an dem er ja oder nein sagen muß.
Die Idee ist doch, daß danach nur noch ein sogenanntes Einspruchsgesetz vorläge. Dann könnte man im Bundesrat zwar Einspruch erheben; dieser Einspruch könnte aber hier im Bundestag von der Mehrheit zurückgewiesen werden. Jeder kann dann fröhlich sein Nein sagen — so wie in außenpolitischen Zusammenhängen früher schon in einem deutschen Parlament geschehen —, darauf vertrauend, daß die anderen schon dafür sorgen werden, daß die Versöhnung doch ein Stück konkret vorangebracht werde.
Der Generalsekretär der CDU hat sich heute dazu geäußert und gesagt, der Bundeskanzler sei an einem Erfolg der Polen-Verträge gar nicht interessiert.
Ich sage Ihnen dazu dies, und zwar nicht nur für meine Person — dies gilt für Herrn Genscher und für die freie demokratische Fraktion genauso wie für die sozialdemokratische Fraktion —: Wir sind mit dem Herzen und mit dem Hirn ganz und gar bei dieser Sache!
Ich habe jüngst über das Verhältnis des Bundesrates zur Außenpolitik viel nachdenken müssen, und es haben ja auch Journalisten und Politiker insgesamt viel darüber nachgedacht. Ich möchte mir dazu eine kluge Meinung zu eigen machen. Da sagt jemand:Außenpolitische Entscheidungen können so folgenschwer für das Schicksal eines Staats sein, daß es höchst undemokratisch wäre, sie der parlamentarischen Mitbestimmung und Kontrolle des Volkssouveräns zu entziehen. Das außenpolitische Geschäft bringt es außerdem mit sich, daß die Regierung häufig das Parlament vor vollendete Tatsachen stellen muß. Sie muß sich in vertraulichen Verhandlungen mit einer fremden Regierung über ein vielleicht schwieriges Vertragswerk einigen. Dabei kann sie nur in den seltensten Fällen gewissermaßen unterwegs, noch bevor das Endresultat der Verhandlungen erreicht ist, das Parlament einschalten.Die völkerrechtliche Prozedur verlangt weiter, daß der Vertrag unterzeichnet wird, bevor das Parlament ihn ratifiziert, d. h. bevor es ihm zugestimmt hat. Und obwohl der Vertrag rechtlich erst durch die Ratifikation in Kraft gesetzt wird, bedeutet seine Unterzeichnung durch den Außenminister oder den Regierungschef doch so etwas wie eine Vorwegnahme der Entscheidung des Parlaments.Dies haben Sie früher genauso empfungen, wie es hier steht und wie ich es empfinde: eine Vorwegnahme der Entscheidung des Parlaments.Denn die bindende Verpflichtung der Unterschrift durch die Regierung— Paraphierung nennt man das —gilt gemeinhin als so stark, daß ihre nachträgliche Desavouierung durch das Parlament, wenn das auch kein Vertragsbruch ist, so doch so erhebliche Zweifel in die Glaubwürdigkeit, in die Handiungsfähigkeit der Regierung und des von ihr vertretenen Staates erweckt,
— Dieses ist zur Sache gesprochen! daß dieses mit Schaden ausgeht.
Und es wird dann weiter ausgeführt — es ist von Fritz von Globig in der „Stuttgarter Zeitung" vor zwei oder drei Tagen , daß das natürlich noch komplizierter wird, wenn sich eine Regierung zwar der Mehrheit im Parlament sicher ist, aber nicht der Mehrheit in einem föderativen Organ.Infolgedessen war es für uns geboten, uns auch zu vergewissern, wie sich denn der Bundesrat einstellen würde. Ich führe das hier zum zweiten Male aus, weil der Abgeordnete Carstens vorhin berichtet hat, vor unserer Reise nach Helsinki habe er selbst mit uns gesprochen. Das stimmt. Er hat diese Unterhaltung jetzt sogar qualifiziert; dies stimmte natürlich nicht, aber ich will darauf nicht eingehen und nicht dagegen polemisieren. Richtig ist, Herr Kollege Carstens, daß weder wir Sie gebeten haben, irgend etwas zuzustimmen, noch Sie von sich aus im Sinne gehabt hätten, irgend etwas zuzustimmen. Das ist ganz gewiß wahr.Entscheidend ist, daß wir uns nach der Rückkehr aus Helsinki — ich kann Ihnen Datum und Stunde angeben — und lange vor der Formalisierung und Paraphierung in Warschau vergewissert und noch einmal vergewissert haben; ich bleibe bei dieser sehr vorsichtigen Formulierung, weil ich nicht mehr Schaden anrichten möchte, als unvermeidbar ist.
Aber wenn einige meinen, Unterhaltungen in staatswichtigen Dingen seien Privatsache, und man dürfe dem Parlament die Rechenschaft darüber verweigern, so irren die sich allerdings über ihre Verantwortung.
Im übrigen will ich für den Herrn Abgeordneten Carstens einen, wie ich denke, ihm einleuchtenden Satz zitieren. Da hat sich jemand, der etwas davon weiß und der ein Fachmann ist, in einem dicken Buch mit dem Verhältnis des Bundesrates zur Außenpolitik auseinandergesetzt. Da heißt es — wenn ich noch einmal zitieren darf, Frau Präsidentin —:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15597
Bundeskanzler SchmidtSehr negativ sind die Versuche der Länder zu bewerten, das Vertretungsrecht der Bundesregierung im Verhältnis zu anderen Staaten einzuschränken. Wenn ihre Bemühungen Erfolg hätten, könnte es den Ländern gelingen, die Bundesrepublik auf gewissen Gebieten international handlungsunfähig zu machen.Eine weise Voraussicht, Herr Professor Carstens!Die Sätze stammen aus Ihrer Feder, wie Sie wissen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens? — Bitte.
Darf ich Sie bitten, Herr Bundeskanzler, dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit zu bestätigen, daß Sie mich eben falsch wiedergegeben haben:
Meine Bemerkung bezieht sich auf die Zuständigkeit der Länder und auf Verhandlungen des Bundes in Materien, in denen die Länder eine Zuständigkeit haben, nämlich Kulturangelegenheiten und dergleichen mehr.
Meine Bemerkung bezieht sich nicht
auf die Zuständigkeit des Bundesrates.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Carstens, die Zustimmung bei all denen, die das Buch nicht kennen, einerseits, und die Heiterkeit bei den anderen, die das Buch auch nicht kennen, andererseits, entheben mich einer Antwort.
Ich möchte aber an dieser Stelle, da es ja letztlich auf die Stimmabgabe des Herrn Kollegen Carstens in dieser Sache nicht mehr anzukommen scheint,
noch eine Bemerkung an die Vertreter des Bundesrates machen, die ja nicht von ungefähr hier heute erschienen sind; es kommt ja sehr selten vor, daß die Bundesratsbank so gut besetzt ist wie heute.
Ich möchte eine allgemeine Bemerkung zur zukünftigen Gesetzgebungsarbeit im Bundesrat machen, meine Herren.
Die Situation, daß eine Mehrheit des Bundesrates eine politisch anders tendierende Mehrheit ist als die des Bundestages, haben wir seit ein paar Jahren. Sie prägt sich immer stärker in Ihrer politischen Willensbildung aus. Sie wird, wie ich fürchte, Überlegungen auf allen beteiligten Seiten auslösen müssen, wie in Zukunft Gesetzgebung funktionieren kann.
Die Bundesregierung wird davor nicht resignieren. Sie wird, falls der Bundesrat — und das sind Überlegungen, die mindestens bis in den Anfang der nächsten Legislaturperiode des Bundestages hineinreichen; später gibt es dann Länderwahlen; dann mag sich noch etwas ändern oder, genauer gesagt, verbessern — weiterhin den verlängerten Arm der Opposition spielen will, darauf achten müssen — und das empfehle ich eben auch der Mehrheit des Bundestages —, daß die Bundesgesetze auf das materielle Recht, auf die gesellschafts-, wirtschafts-und außenpolitisch relevanten Fragen beschränkt bleiben und die Länder dann zur Ausführung solcher Gesetze verpflichtet bleiben, auch wenn sie damit politisch nicht einverstanden sind, auch wenn sie die notwendigen Verfahrensregelungen dann selbst erlassen müssen.Es wird trotzdem auch eine Reihe von Gesetzen geben, die von ihrem materiellen Gehalt her nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden können. Da mag es schwierig werden.Es wird vielleicht der Öffentlichkeit überlassen bleiben müssen, ob und wie lange der Rückfall in administrativen Partikularismus hingenommen werden kann. Ich erinnere daran, daß lange zwischen elf Landesregierungen und einer Bundesregierung um eine Vereinbarung — auf kulturpolitischem Gebiet liegt sie — verhandelt worden ist. Dann stellte sich heraus: Ein Land konnte ihr nicht beitreten. Dann haben sie zehn Länder und die Bundesregierung geschlossen. Da hat das eine Land gesagt: Ihr dürft aber nichts ohne uns beschließen. Dann hat sich ein Teil der zehn Länder dem einstweilen gebeugt und gesagt: Wir sehen ein, wir können nicht etwas auf Grund einer Vereinbarung, die wir geschlossen haben, beschließen, wenn nicht auch das elfte Land einverstanden ist. Das ist administrativer Partikularismus, der die Entwicklung lähmt.Vielleicht muß man sich dann darauf verlassen, vielleicht wird dann auch die Bundestagsmehrheit oder die Bundesregierung darauf warten müssen, bis sich, wie z. B. im Bereich des Hochschulrechts, schließlich solche partikulären Experimente unter
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15598 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundeskanzler Schmidtdem Druck der öffentlichen Meinung heißlaufen und dann doch bundeseinheitliches Länderrecht zustande gebracht wird.
Ich will am Schluß auf ein paar Bemerkungen eingehen, die Herr Abgeordneter Carstens gegen Ende seiner Rede machte. Sie haben über die polnische Geschichte gesprochen, Herr Professor Carstens, Sie haben versucht, sie von mehreren Seiten zu zeigen. Das ist ganz gewiß auch richtig. Ich stimme Ihnen darin zu, in diesem Versuch und in der Notwendigkeit, ihn zu unternehmen.Aber Sie hatten unrecht darin, zu meinen, die Bundesregierung — ich weiß nicht, ob Sie sich an der Stelle an die Sozialdemokraten gewandt haben — gebe allein den Deutschen die Schuld am polnischen Leid.Sie hatten zweitens unrecht, als Sie sagten, wir verschwiegen das Leid, das von polnischer Seite Deutschen angetan worden ist. Sie hatten unrecht, wenn Sie behaupteten, wir redeten nur noch von Bevölkerungsverschiebung statt von Vertreibung. Es ist doch noch keine sechs Stunden her, daß der Bundesminister des Auswärtigen hier wörtlich von der Not der Vertreibung gesprochen hat.
Sie haben unrecht, wenn Sie sagen, wir verschwiegen die Bitterkeit, die gegenwärtig Deutsche drüben zu tragen hätten. Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede heute morgen gesagt: Die Feststellung allein, daß die Gegenwart auch uns bedrückt — und ich denke hier an die bisher unerfüllten Hoffnungen der Deutschen in Polen —, die allerdings hilft nicht weiter. Richtig: Man muß aus seiner Geschichtsbetrachtung dann auch zur Konsequenz kommen.Die polnische Geschichte wird, so hoffe ich, im Laufe der nächsten Wochen und Monate sehr in unser öffentliches Bewußtsein gerückt werden. Vielleicht wird man dann auch entdecken, daß es in Polen wie auch in der Bundesrepublik Deutschland Menschen gegeben hat — ich denke etwa an den jüngst verstorbenen Professor Eckert in Braunschweig —, die sich in sorgfältiger, jahrelanger Arbeit Mühe gegeben haben, auf beiden Seiten zur Aufhellung der in der jeweils nationalen Geschichtsschreibung dunkel bleibenden Teile beizutragen. Das ist auf beiden Seiten notwendig und wünschenswert.
— Nur wird, Herr Abgeordneter Hupka, auch bei einer vollständigen Darstellung der preußisch-polnischen, österreichisch-polnischen, der polnischrussischen, der deutsch-polnischen, der innerpolnischen, der polnisch-litauischen Geschichte, bei einer Darstellung der vielen Teilungen, bei einer Darstellung der Ereignisse von 1939 und 1945 letztlich von niemandem von uns geleugnet werden können, daß wir, unser Volk, unsere Nation, an diesem Leid, das jene getragen haben, eben auch einen Teil auf uns zu nehmen haben. Deshalb ja ist das Wort von der Notwendigkeit der Versöhnung, das auch Sie, genau wie wir, sprechen, keine leere Phrase.Es hat keinen Zweck, sich hier gegenseitig vorzurechnen, wieviel der eine, der andere und der Dritte auf sich zu nehmen hat. Wir wollen nichts verschweigen, wir brauchen ein vollständiges Geschichtsbild. Aber wir müssen aus diesem Geschichtsbild dann auch lernen. Wir müssen auch die Zwänge verstehen, unter denen die Polen heute sind. Wer heute mit Polen zu einer Vereinbarung, zu einer Normalisierung kommen will, der muß wissen, mit wem er es dort zu tun hat: mit einem Staat in einer nicht eben einfachen außenpolitischen Lage, mit einem Staat mit einer von der unsrigen sehr verschiedenen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, mit einer Nation aber auch, die, obwohl sie geschlagen war und viele Male geschlagen worden ist, jetzt um so stolzer darauf ist, Widerstand leistend überlebt zu haben, sich eine Zukunft eröffnet zu haben — mit einer Nation, die ein besonderes Verhältnis zu ihrer Geschichte hat, ein besonderes Verhältnis auch zur deutschen Nation, und zwar nicht durch rechtliche Konstruktionen, sondern durch vielerlei Erfahrungen.Wir dürfen nicht glauben, daß wir unsere Beziehungen zu dieser Nation und zu diesem Staat wie ein Geschäft regeln könnten. Wer das wollte, wird bestenfalls Geschäfte zustande bringen, niemals aber ein dauerhaft tragfähiges Verhältnis zwischen diesen beiden Völkern.Mit Polen weiterzukommen, verlangt zuallererst Einfühlungsvermögen einander gegenüber und Takt — aber Taktik möglichst kleingeschrieben —, Einfühlungsvermögen auf beiden Seiten und Takt
und sicherlich auch Bekenntnisse. Es bedarf aber noch mehr als dies. In der polnischen öffentlichen Meinung wird derjenige heute ernst genommen, der handelnd seine Veständigungsbekundungen in die Tat umsetzt, der sie verwirklicht.Eine Opposition, die statt dessen zwar gutgemeinte Wunschbilder, wie es sein könnte und wie es eigentlich sein müßte, an die Wand projiziert und zu dem, was ist und was ermöglicht werden kann, lieber nein sagt, die selber aber doch nur post festum Vorschläge macht, und noch nicht einmal handfeste, eine solche Opposition muß sich fragen, was sie von dem vielen, was sie beitragen könnte, zu der Versöhnung beiträgt. Viele von Ihnen tragen nicht viel dazu bei. Viele reden in einer Weise, daß man es anders qualifizieren muß. Ich habe nur zwei Äußerungen vorhin in Erinnerung gerufen. Wir sind solches gewohnt. Die sozialliberale Koalition ist seit Beginn ihrer Ostpolitik gewohnt, daß Sie viel kritisieren und es zum Schluß sehr schwer haben, ja zu sagen. Die Kritik stört auch gar nicht, im Gegenteil:
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Bundeskanzler SchmidtAn vielen Stellen — ich sage das ganz offen; es überrascht Sie hoffentlich nicht — ist doch Ihre Kritik auch erwünscht. Es überrascht Sie hoffentlich nicht!
Aber die Kritik kann doch nicht zu anderen Zwekken dienen als dazu, daß im Zuge von Verhandlungen die Position des eigenen Staates gestützt und gestärkt wird. Kritik kann doch nicht z. B. zu dem Zweck mißbraucht werden, daß sie, als Instrument dienend, eine schwierig zusammenzuhaltende Gemeinschaft von Parteien besser zusammenhalten helfen soll, als es sonst im Augenblick möglich wäre.
Die Außenpolitik darf doch nicht zum Instrument innerparteilicher Auseinandersetzungen und Taktik gemacht werden.
Was hier heute zur Debatte steht, ist mehr als eine Summe von einzelnen Abkommen, es ist der zweite Schritt nach dem Warschauer Vertrag, der zur Zeit der Regierung Brandt/Scheel die Voraussetzung dafür geschaffen hat. Ohne die neuen Vereinbarungen blieben wir noch lange im lähmenden Zustand all jener 25 Jahre, die uns an Hand der Tabelle, aus der wir beide die Zahlen zitiert haben, in Erinnerung sind, ein Stillstand, der mit der Zeit ja unweigerlich zum Rückschritt führen müßte.
Manche unbedachte Äußerung in diesen Tagen könnte diesen Weg in der Zukunft noch weiterhin erschweren. Es werden ohnehin auf diesem Weg noch oft genug Hindernisse auftreten, nicht nur drüben, sondern auch hüben, nicht nur bei den Polen, auch bei den Deutschen. Daran sollte man nicht zweifeln. Trotzdem soll man sich bemühen. Sie sagen: „Wir wollen die Versöhnung."Also laßt uns etwas tun! Wir wissen, daß Versöhnung auch Opfer fordert. Wir begrüßen, daß die polnische Führung dies auch weiß und dies auch will. Wir heißen die 125 000 Deutschen in ihrem Vaterlande willkommen.
Wir heißen sie in ihrem Lande willkommen. Wir tun das in Übereinstimmung — ich wiederhole eine Bemerkung aus der Debatte zur Lage der Nation —mit den Normen und mit den Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes. Das ist der Weg, auf dem wir bleiben werden.
Das Wort hat das Mitglied des Bundesrats Herr Ministerpräsident Kohl.
Ministerpräsident Dr. Kohl (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten 60 Minuten Gelegenheit gehabt, in der Rede des Herrn Bundeskanzlers einen weiten Bogen von Anspruch und Wirklichkeit zu beobachten. Er eröffnete seinen Beitrag mit einem Gespräch mit unserem Kollegen und Freund Alois Mertes, daß man den moralischen Respekt voreinander nicht zerstören solle. Er hat dies bekräftigt, und er hat dann im wesentlichen die 45 folgenden Minuten darauf verwandt, möglichst jeden Respekt zwischen Regierungsfraktionen und Opposition zu zerstören.
Herr Bundeskanzler, ich habe mich in den letzten Monaten oft gefragt, ob in Ihrem Wesen und in Ihrer Politik das Taktische wirklich so überwiegt, daß Sie nicht bereit sind, auch die notwendigste Grundausstattung mitmenschlicher Gemeinschaft und Gemeinsamkeit unter deutschen Demokraten zu tragen. Die letzten Wochen haben mich in meiner Meinung zunehmend bestärkt, daß Sie um den Preis des Erhalts Ihrer Macht als Kanzler dieser Bundesrepublik die menschlichen Brücken zerstören, koste es, was es wolle.
Meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis für ein Wort, das aus der Leidenschaft der Stunde geboren ist und wo jeder, der noch einen Sinn für das Menschliche und das Politische hat, auch weiß, daß es dann die Minute gibt, wo man sich fragt, ob man dieses Wort nicht besser zurücknimmt. Nur, Herr Bundeskanzler, zwischen jenem Interview in der „Süddeutschen Zeitung", wo Sie uns ankündigten: „Einige werden mich nicht wiedererkennen", und jenem gönnerhaften Zitat eben gegenüber dem Kollegen Carstens, daß Sie nicht die Absicht hätten, ihn hier „vorzuführen", klafft in der Tat keine Welt. Dies ist eine Sprache und dies ist eine Politik, die mit unserer Politik nichts gemeinsam hat.
Herr Bundeskanzler, ich muß mich wirklich fragen, woher Sie das moralische Recht, woher Sie überhaupt ein Recht nehmen, einem Kollegen aus diesem Hause, einem Manne, der Jahrzehnte hindurch wie Karl Carstens diesem Lande in vielen wichtigen Funktionen treu gedient hat, mit einer Sprache, die sich selbst verrät, entgegenzutreten: „Ich habe nicht die Absicht, Sie hier vorzuführen."
Ich hoffe, daß viele Mitbürger in diesem Lande diese letzte Stunde mitgesehen und miterlebt haben.
Denn dann, Herr Bundeskanzler, werden diese Mitbürger dafür sorgen, daß wir im Oktober Ihre Schreibtische, von denen Sie gesprochen haben, erben werden.
Es wird sich dann herausstellen, ob wir vor der Geschichte das gleiche sagen können wie Ihre Vor-
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15600 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Ministerpräsident Dr. Kohl
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daß wir von unserem Vorgänger ein geordnetes Gemein- und Staatswesen übernommen haben.
Meine Damen und Herren, in dieser Debatte war soviel von Versöhnung die Rede. Es ist erstaunlich, wie man hier dem Volke einredet, diese Politik sei eine Politik der Versöhnung, und gleichzeitig alles nur Denkbare tut, um die Gräben in unserem Lande aufzureißen.
Dabei arbeiten Sie, Herr Bundeskanzler, mit einem System von Drohungen, Halbwahrheiten und Verleumdungen jeglicher Art.
Sie haben mich angesprochen — und ich antworte Ihnen sehr konkret auf Ihre Fragen — auf eine angebliche Behauptung von mir, ich sei in Frankreich und von dem Staatspräsidenten Giscard d'Estaing auf die Polen-Frage nicht angesprochen worden. Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, daß dies nicht stimmt. Eine solche Aussage von mir gibt es nicht. Es gibt eine Aussage von mir — und so war der Hergang —, daß ich außer in dem Gespräch beim Staatspräsidenten von anderen Gesprächspartnern auf diese Frage nicht angesprochen wurde, abgesehen — auch das habe ich öffentlich gesagt — von einer Nebenbemerkung des französischen Außenministers.
Aber jetzt, Herr Bundeskanzler, wird es sehr interessant. Ich hätte dieses Gespräch nicht in die Öffentlichkeit gezerrt. Aber wenn ich mir jetzt überlege, was Sie hier gesagt haben, und wenn ich den Ablauf in Paris vor vierzehn Tagen noch einmal rekapituliere, muß ich feststellen: Es war vor diesem Gespräch, Herr Bundeskanzler, als mir ein Bonner Journalist, der Ihrem Lager enger angehört, bereits mitteilte, daß mich der französische Staatspräsident auf die Polen-Frage ansprechen würde.
Ich war darüber doch etwas verwundert, um das deutlich zu sagen.
Jetzt muß ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, damit hier keine Geschichtsklitterung aufgebaut wird, auch sagen: Der französische Staatspräsident hat mich zum Thema deutsch-polnische Aussöhnung befragt. Wir haben uns darüber unterhalten, und den Standpunkt, den ich vorgetragen habe, kennen Sie aus meiner letzten Einlassung hier. Ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen. Es muß aber auch gesagt werden, daß mich das französische Staatsoberhaupt, als ich dann auf den deutschpolnischen Vertrag zu sprechen kam, Herr Bundeskanzler, im ersten Halbsatz unterbrach und sagte: „Dies ist eine innerdeutsche Angelegenheit, in die ich mich nicht einzumischen wünsche."
Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, daß der Ablauf so war; denn auch in dem Bericht des deutschen Botschafters — ich hatte den Botschafter zu diesem Gespräch mitgenommen — aus Paris nach hier kommt genau diese Formulierung vor.
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Was soll das, wenn beide in einer solchen Form öffentlich verkehren müssen? Glauben Sie wirklich, das trägt zur Reputation des Amtes bei, das Sie bekleiden und für das ich kandidiere? Ich habe Verständnis für eine harte und kämpferische Auseinandersetzung. Sie haben sich heute in die Ahnenreihe Konrad Adenauers hineinschmuggeln wollen.
Ich kann Ihnen nur sagen: der verstand etwas davon. Aber die Autorität dieses Amtes sollte man doch nicht mit solchen billigen Mätzchen schmälern. Auch das will ich deutlich sagen.
Nun, Herr Bundeskanzler, zu Ihrer seit Wochen fein über das Land gestreuten Andeutung über jenes Gespräch. Sie sagten, Tag und Uhrzeit seien Ihnen gut bekannt, und Sie schrieben in der „Süddeutschen Zeitung", Sie gingen davon aus, alle drei Gesprächsteilnehmer hätten ein gutes Gedächtnis. Ich meine jenes Gespräch am 18. September, am Vorabend meiner Reise nach Moskau. Herr Bundeskanzler, was Sie hier gesagt haben, ist interessant. Sie sagten als erstes, das sei kein Privatgespräch gewesen. Kein Mensch hat erwartet, daß dies ein Privatgespräch ist. Nur, Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Beginn dieses Gespräches deutlich darauf hingewiesen, daß dies ein ganz offenes Gespräch sein müßte, das selbstverständlich streng vertraulich sei.
Und, Herr Bundeskanzler, damit dies ganz klar ist: Ich bekenne mich zu solchen Gesprächen; denn in einer freiheitlichen Demokratie mit Regierung und Opposition und ich bin viele Jahre Regierungschef in einem Gemeinwesen, das demokratisch verfaßt ist, in einem Bundesland —, in einer solchen politischen Szenerie muß es möglich sein, daß Verantwortliche sich zusammensetzen und in der klaren Erkenntnis, daß es aus Gründen des Allgemeinwohls vielleicht nötig ist, sich ein Stück aufeinander zuzubewegen, auch Meinungen miteinander austauschen.
Ich füge jetzt etwas hinzu, was nicht Sie gesagt haben. Aber einige Ihrer Helfer aus dem Presseamt, aus dem Bundeskanzleramt sind ja unterwegs, Meinung zu streuen. Ich will, weil ich den Kollegen Brandt hier sitzen sehe, doch noch diesen Einschub machen. Ich habe in meinen Amtsgeschäften mehrere Bundeskanzler i111 Amt erlebt. Aber die Erfah-
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Ministerpräsident Dr. Kohlrungen, die ich auf diesem Gebiet mit Ihnen gemacht habe, stehen völlig einzigartig da. Das will ich klar und deutlich aussprechen. In dieser Form hat bisher keiner auf Ihrem Amtsstuhl gehandelt.
— Ich komme darauf. Verehrter Herr Professor Ehmke, ich bin bereit, über dieses Gespräch zu reden.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie über eine Reihe Ihrer Gespräche der letzten fünf Jahre ebenfalls so offen redeten.
Herr Bundeskanzler, ich sage ausdrücklich: Das haben nicht Sie gesagt. Aber ich füge hinzu: Wesentliche Mitarbeiter des Kanzleramtes — und deswegen spreche ich Sie an — und des Bundespresseamtes sagen dann unter Bonner Journalisten: Das ist ja bezeichnend für diesen Neuling Kohl, daß er zu einem solchen Gespräch allein geht. Meine Damen und Herren, das unterscheidet verantwortliche demokratische Politiker von Mafia-Bossen, daß wir allein miteinander reden.
Ich bekenne mich auch jetzt nach diesem Gespräch zu der Notwendigkeit solcher Gespräche, zu denen man nicht gegenseitig Zeugen mitbringt. Das ist nämlich der Anfang vom Ende jeglicher Gemeinsamkeit.
Nun, Herr Bundeskanzler, was war denn der Gegenstand dieses Gespräches?
— Ich weiß nicht, warum Sie so aufgeregt sind. Offensichtlich haben Sie Probleme, die Wahrheit zu ertragen. Das scheint mit der Punkt zu sein.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in der ersten Sitzung über die Polen-Verträge eine erste Andeutung gemacht. Sie haben gesagt, Sie seien auf Grund dieses Gesprächs damals sehr beeindruckt von meiner prinzipiellen polenfreundlichen Haltung gewesen. Ich habe in meiner Replik damals gesagt, daß das eigentlich für Sie keine Überraschung sein dürfte. Das war auch der wesentliche Gegenstand unseres Gespräches. Ich habe gesagt, daß ich Nachfolger Konrad Adenauers bin.
Ich weiß nicht, warum Sie da lachen müssen. Es läßt sich nicht leugnen, daß ich Nachfolger Konrad Adenauers bin und die Absicht habe, im Herbst auch in einem anderen Bereich sein Nachfolger zu werden.
Wir haben über viele Fragen gesprochen im Zusammenhang mit dem, was Adenauer auch zur deutsch-polnischen Freundschaft sagte; Sie haben dankenswerterweise vorhin Zitate gebracht, die alle richtig sind und die ich nur bekräftigen kann.Ich habe auch in diesem Gespräch Sie darauf hingewiesen — unser Freund Jaeger hat dies heute mittag für sich und seine Familie einmal sehr plastisch deutlich gemacht — —
— Entschuldigung, bei uns ist es durchaus noch üblich, daß wir Freunde miteinander sein können und nicht Genossen zu sein brauchen, um Freundschaft zu pflegen.
Wir haben darüber gesprochen, daß es aus der großen Tradition der Deutschen Zentrumspartei heraus— aus der meine Familie kommt und in deren Tradition ich, der die Zeit selbst nicht mehr erlebt hat, großgezogen wurde — ganz selbstverständlich war, eine pro-polnische Haltung zu beziehen. Ich habe Ihnen in diesem Gespräch erzählt, daß mein Vater mir als Buben von deutschen Greueln an Juden und Polen im Winter 1939/40 erzählt hat. Dies alles, meine Damen und Herren, ist doch keine Frage von Kontroversen, ist doch keine Frage, worüber man sich streiten muß. Jeder von uns kommt aus einem anderen Schicksal, aus einem anderen persönlichen Bezug. Aber untereinander können wir uns doch wenigstens abnehmen, daß das in wichtigen Fragen zu gleichen Ergebnissen führen kann, die etwas Gutes für die Zukunft unseres Volkes bedeuten können.
Ich habe Ihnen, Herr Bundeskanzler — eine These, die ich oft und immer wieder vortrage — auch in diesem Gespräch gesagt, daß ich als einer der über 40jährigen, der nicht auf Grund eigenen Verdienstes, sondern wegen des Ablaufes seines Lebensweges gar kein Nazi gewesen sein kann, zu einer Generation gehöre, die eine besondere Friedenspflicht hat, eine Friedenspflicht innerhalb der Bundesrepublik auch gegenüber jener älteren Generation, die, auf welchen Positionen auch immer stehend, doch dann gemeinsam nach dem Kriege mit großer innerer Zustimmung unsere Bundesrepublik wieder aufgebaut hat, und daß aus dieser Friedenspflicht nach innen die Friedenspflicht nach außen folgt, daß ich groß geworden bin in der Union, daß wir in der Jungen Union die Frage Deutschland/Frankreich, die Frage der Aussöhnung mit Polen als zentrale Fragen betrachtet haben und daß wir zur Last der Geschichte stehen und nicht ausweichen.Dies alles war Gegenstand, und ich nehme an, Herr Bundeskanzler, daß Sie ganz zutreffend in diesem Gespräch den Eindruck gewonnen haben: Hier sitzt kein deutscher Nationalist und kein engagierter Feind Polens, sondern ein engagierter Freund der polnischen Geschichte, der polnischen Zukunft und vor allem des polnischen Volkes.
— Ich überlasse das getrost der Geschichte, darüber zu entscheiden, wer von uns ein Mann der Tat ist und wer nicht.
Wir haben dann, Herr Bundeskanzler, über das gesprochen, was in dieser Nacht in Helsinki war.
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15602 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Ministerpräsident Dr. KohlIch habe nicht die Absicht — obwohl Sie jetzt dauernd mit Andeutungen arbeiten —, auf dieses Feld näher einzugehen. Ich habe Ihnen nur gesagt: Sie sind nach Helsinki gegangen ohne Mitwirkung der Opposition; und dies läßt sich ja nun wirklich nicht leugnen, denn diese Kurzinformation, von der Karl Carstens sprach, kann ja wirklich nicht als eine Information bezeichnet werden. Ich habe Ihnen dann die ganz zentrale Frage, die Frage, die doch heute noch im Raum steht, gestellt: Gibt es überhaupt noch eine Chance, das, was sich damals noch vor der Paraphierung durch den Außebnminister in Warschau auf dem Papier zeigte, zu verändern? Sie haben das verneint und sehr intensiv belegt. Ich will nicht sagen, was Sie über die Chancen des Entgegenkommens der anderen Seite gesagt haben — ich will das alles nur andeuten —, indem Sie ganz zu Recht auch auf die innerpolitische Szenerie in Polen hinwiesen.Dann, Herr Bundeskanzler, habe ich Ihnen zugesagt, daß wir als Union und ich als Person in einer ganz konkreten Verfassungsfunktion des Verfassungslebens der Bundesrepublik und in voller Wahrung unserer Verantwortung sowie dessen, was außenpolitischer Spielraum der Bundesregierung sein muß, das prüfen werden. Das ist der Gegenstand dieses Gesprächs gewesen.In der nächsten Runde werden jetzt ja wohl Gespräche zwischen dem Bundesaußenminister und mir angesprochen. Ich mache hier einen ganz großen Unterschied, auch nach der Debatte heute, und zwar ohne jeden sonstigen Hintergrund. Ich habe bisher nie Grund zu der Erfahrung gehabt, das, was ich Ihnen, dem Kanzler, sagen mußte, auf den Bundesaußenminister zu übertragen.Wir haben auch im Jahre 1975 in einer Fülle von Gesprächen — auch im Zusammenhang mit der Polen-Frage — miteinander gesprochen. Damit auch da gar kein Zweifel aufkommt: Wir haben, auch ohne daß da ein Kuhhandel im Rücken war, in einer konkreten innenpolitischen Situation eines deutschen Bundeslandes — und das war noch vor den Polen-Abmachungen — Überlegungen angestellt, ob man sich in einer Frage bewegen kann oder nicht. Zu diesem allen bekenne ich mich, weil dies die Funktion eines Parteiführers ist,
in einer konkreten Situation darüber nachzudenken, was das Beste für das Land und legitimerweise auch das Beste für die einzelne Sache ist.Nur, meine Damen und Herren und verehrter Herr Bundeskanzler, wenn Sie aus diesem Zusammenhang jetzt die Conclusio ziehen wollen, daß das für Sie die Blankovollmacht war, dann ist dies schlicht und einfach falsch.
Nach den Beobachtungen heute und in den letzten Tagen muß ich in der Tat die Frage — ich glaube, sie wurde schon vom Kollegen Carstens gestellt —aufnehmen: Wollen Sie überhaupt eine Zusammenarbeit in der Frage der Polen-Verträge?
Eine große deutsche Tageszeitung schrieb in diesen Tagen: Wer so auf die Führung der Union einprügelt — so ungefähr war die Formulierung —, der hat doch offensichtlich gar kein Interesse mehr daran, ein vernünftiges Gespräch mit uns zu führen.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?
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Selbstverständlich.
Herr Kollege Kohl, um diese Frage klar zu behandeln, ohne aus Gesprächen zu schöpfen: Würden Sie mir bestätigen, daß der Außenminister — und ich habe ja in Warschau unterzeichnet — in der Erwartung nach Warschau fahren durfte, daß wohl ein Land, das von der CDU regiert wird, sich anders verhält als möglicherweise die anderen, ohne daß die anderen schon ihre Position festgelegt hatten?
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Herr Bundesaußenminister Genscher, Herr Kollege Genscher, Sie konnten nach Polen fahren in der Meinung, daß in einem deutschen Bundesland eine besondere Prüfung angestellt wird in Zusammenhang mit einer Reihe von anderen Fragen. Sie konnten nicht davon ausgehen — dies füge ich klar und entschieden hinzu —, daß das womöglich für Sie ein vollzogener Akt ist.
— Ich weiß, daß dies alles für Sie schwer zu ertragen ist;
Sie werden es aber ertragen müssen.
Herr Bundeskanzler, Sie sprachen jetzt von dem taktischen Kalkül der Union und davon, daß dies alles, was wir hier miteinander besprechen — ich muß daraus schließen: auch das, was in unseren Gesprächen so war —, nur Taktik sei, um die innerparteiliche Einheit aufrechtzuerhalten. Jetzt taucht, wie immer in solchen Gesprächen, als Buhmann der Kollege Strauß auf. Auch dieses Thema muß einmal klar angesprochen werden. Ich finde, Herr Bundeskanzler, bevor Sie einen Kollegen rügen, ob er hier ist oder ob er nicht hier ist,
sollten Sie wenigstens so viel Fairneß walten lassen, daß Sie sich vergewissern, aus welchen Gründen der Kollege nicht hier ist. Wenn der Kollege Strauß heute nicht hier ist, weil er in ärztlicher Behandlung ist, ist das eine Sache, die Sie zu respektieren haben. Sie haben im letzten Jahr hier die gleiche Form der Herabsetzung gewählt, als ich — und das wußten Sie genau — bei der Beerdigung meines Freundes Karl Schleinzer, des verstorbenen Bundesparteiobmanns der ÖVP, war und Sie in der
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Ministerpräsident Dr. KohlDebatte über die Helsinki-Erklärung fragten: „Wo ist denn der Kanzlerkandidat?"
Das ist der Punkt, Herr Bundeskanzler, wo ich finde, daß man so nicht miteinander umgehen sollte.
Herr Bundeskanzler, was Sie im Zusammenhang mit dem Kollegen Strauß denken oder sagen, berührt uns seit langem nicht mehr. Aus Ihrer Sicht ist es, da Ihnen politisch die Argumente zunehmend ausgegangen sind, eine der wenigen Lösungen für Ihre Wahlkampfstrategie, daß Sie sich immer wieder erneut einen Buhmann aufbauen, wobei Sie dem Kollegen Strauß dann allerdings im Gespräch versichern, es wäre Ihnen am allerliebsten, wenn er der wirkliche Gegner wäre.
Sie haben über die Vierte Partei geredet, Herr Bundeskanzler. Ich las neulich eine Äußerung von Ihnen, die ich ganz richtig fand und die ich hier vortragen will. Warum sagen Sie das aber nicht auch hier, warum sagen Sie hier nur das genaue Gegenteil? Herr Bundeskanzler, das Problem der Vierten Partei ist doch nicht nur ein Problem der Union. Ich brauche Ihnen im Blick auf Ihre Fraktion, mühsam gebändigt von der Angst vor dem Wähler am 3. Oktober,
doch nicht zu sagen, daß nach dem Prinzip kommunizierender Röhren in der Politik und der politischen Statik in der Bundesrepublik einer vierten Partei alsbald eine fünfte folgen wird und dann Verhältnisse entstehen, wie wir sie in der Weimarer Zeit gehabt haben und wie sie in manchen europäischen Ländern heute noch bestehen.
Auch hier bekenne ich mich dazu, daß es die Pflicht eines Parteivorsitzenden ist, der zutiefst davon überzeugt ist, daß die große innenpolitische Stabilität bei allen Sorgen, die wir haben, nicht zuletzt darauf beruht, daß wir mit diesem Parteiensystem alles in allem gute Erfahrungen gemacht haben, daß es ein wichtiger Auftrag eines Vorsitzenden einer deutschen demokratischen Partei ist, dafür Sorge zu tragen, daß unser Parteiensystem auch in Zukunft überzeugend und tragfähig bleibt.
Dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie wieder Ihr Einführungskolleg für parlamentarische Anfänger über den Bundesrat — Ihr Spezialthema — gehalten.
Sie haben erstaunliche Dinge gesagt. Sie haben den Kollegen Osswald strafend angeblickt
und gesagt, da sei eine Bundesratsschrift erschienen. Man stelle sich vor: Der Bundesrat untersteht sich, eine Werbeschrift über den Bundesrat herauszubringen.
Das Hauptelend dieser Schrift scheint zu sein, daß darin auch einige Bilder von uns sind, weil es auch uns eben in diesem Bundesrat gibt.
Herr Bundeskanzler, dabei haben Sie gesagt, Sie nähmen an, daß die zweite Auflage nicht genehmigt werde. Warum haben Sie das nicht noch mit dem Stift des Kanzlers abgezeichnet? Ich frage mich wirklich: Woher nehmen Sie das Recht, so zum Abkanzler der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen zu werden?
Herr Bundeskanzler, woher nehmen Sie das Recht, von einem „Kongreß von Regierungsvertretern" zu reden? Glauben Sie wirklich, daß Heinz Kühn, daß Albert Osswald, daß der Bürgermeister Koschnick, sein Hamburger Kollege, daß alle diejenigen, die zum Aufbau dieser Republik beigetragen haben, von Zinn bis Max Brauer und Ernst Reuter, glauben Sie wirklich, daß der frühere Innensenator von Hamburg, Helmut Schmidt, in einem „Kongreß von Regierungsvertretern" gesessen haben? Sie werden gleich sagen: Das ist doch eine ehrenwerte Sache, wobei — und darin sind Sie in diesem Hause unübertreffbar — in Ihrer Stimme schon mitschwingt, was Sie wirklich meinen. Meine Damen und Herren, alle Kanzler — und Sie zitieren doch jetzt gerne Konrad Adenauer — hatten ihre Probleme mit dem Bundesrat. Das ist doch aber der Sinn von Transparenz und Dezentralisation von Macht, daß eben nicht einer darüber bestimmen kann, was in diesem Lande gemacht wird!
Ich kann Ihnen nur zurufen: Gott sei Dank ist es noch nicht so weit, daß Sie die Disziplin, die für den SPD-Teil Ihres Kabinetts gilt, auf Bundestag und Bundesrat übertragen können.
Herr Kollege Brandt, Sie muß es doch förmlich vom Stuhl hochtreiben, wenn Sie sich überlegen, daß Sie 1969 hier mit jenem guten gewichtigen Wort angetreten sind - ich will jetzt nicht untersuchen, was eingetreten ist, ich respektiere aber Ihr Wollen —: „Wir wollen jetzt mehr Demokratie wagen." Und da wird der Präsident des Bundesrates immerhin apostrophiert, um es vornehm zurückhaltend zu sagen, ob eine Auflage genehmigt wird oder nicht. Da wird im Zusammenhang mit dem Bundesrat von „administrativem Partikularismus" gesprochen. Herr Bundeskanzler, in der „Süddeutschen Zeitung" haben Sie gesagt, der Kohl müsse mehr Akten lesen und weniger freundlich zu den Leuten sein.
Ich kann nur sagen: Die Akten des Vermittlungsausschusses haben Sie mit Sicherheit nicht gelesen, sonst hätten Sie — und Sie haben wirklich wenig Ahnung von der Problematik des Hochschulrechts , sonst hätte der Stellvertretende Vorsitzende der SPD dieses Thema nicht in diese Diskussion eingeführt.
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15604 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Ministerpräsident Dr. KohlHerr Bundeskanzler, wenn der Deutsche Bundesrat in den letzten Jahren und Monaten als eine Stimme der Vernunft gewirkt hat, dann doch ganz gewiß beim Hochschulrahmengesetz. Dann haben Sie vorhin gesagt, da gebe es in diesem Parlament so eine Stimmung, dagegen zu stimmen, wenn die Annahme gesichert sei. Herr Bundeskanzler, das haben die meisten Sozialdemokraten beim Hochschulrahmengesetz gedacht: Wenn sich nur die Union durchsetzt, damit dem Unfug, an bestimmten deutschen Universitäten ein Ende bereitet wird!
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schweitzer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gerne. Ich darf nur den einen Satz noch sagen: Herr Bundeskanzler — ich sage das ganz ernsthaft , ich bin in diesem Falle in der glücklichen Position, daß ich sicher bin, daß wir beide über dieses Thema gleich denken. Ihr Problem liegt nicht bei der Union, sondern bei anderen.
Bitte schön!
Herr Ministerpräsident Kohl, könnten Sie dem Hohen Hause und damit auch der Öffentlichkeit einmal mitteilen, wann Sie gedenken, aus der Sicht des Bundesrates zum Thema zu kommen?
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Herr Abgeordneter Schweitzer, wenn Sie in den letzten eineinhalb Stunden zugehört haben, werden Sie mir recht geben, daß ich bis jetzt nur zu dem Stellung bezogen habe, was vor mir ein Redner von diesem Pult aus ausgeführt hat.
Noch ein Wort zum Bundesrat. Meine Damen und Herren, ich habe für die Union im Einvernehmen mit allen meinen Kollegen im Bundesrat erklärt, daß wir nach der Entscheidung für Ernst Albrecht in Hannover sehr genau wissen,
daß wir als Verfassungspartei
zwei Dinge nicht tun werden, nämlich erstens, uns als eine Art von Gegenregierung zu verstehen, und zweitens, zu versuchen, mitzuregieren. Das Mehr an Stimmen im Bundesrat — Herr Kollege Schäfer, ich nehme doch an, dies findet jetzt wirklich IhreZustimmung — bedeutet für uns ein Mehr an Verantwortlichkeit bei unseren Entscheidungen.Noch ein Wort zu dem Thema Helmut Schmidt und Konrad Adenauer. Herr Bundeskanzler, ich höre es gern, wenn Sie sich auf Konrad Adenauer beziehen. Ich sähe es aber noch lieber, wenn Sie sich auf Adenauer nicht nur bezögen, sondern sich auch an den Maximen der Politik Adenauers orientierten.
Sie wissen — das hat sehr viel mit unserer heu tigen Entscheidung zu tun —, daß Konrad Adenauer vor allem das Prinzip Geduld in der auswärtigen Politik kannte. Er wußte, daß sich ein Zeitzwang, unter den man sich setzen läßt, immer negativ auswirken wird. Jeder, der nüchtern und ohne Voreingenommenheit die Erfahrungen der sogenannten neuen Ostpolitik in den letzten Jahren betrachtet, weiß doch, daß die aufgetretenen Schwierigkeiten ihren Grund auch darin hatten, daß man sich selbst unter Zeitdruck setzte.Damit sind wir bei dem zentralen Thema des heutigen Tages. Meine Damen und Herren von der SPD, was immer Sie hier im Hause sagen mögen und wenn Sie später draußen auch eine gewaltige Propagandakampagne veranstalten mögen, eines ist sicher: Auch Sie werden es nicht fertigbringen, die Entscheidung über diese Polen-Verträge mit Aussöhnung und Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses gleichzusetzen. Es gibt in diesem Hause überhaupt niemanden, der nicht weiß, daß dies eine Frage ist, die die Herzen und die Gemüter, die die Erinnerungen und die die Menschen zutiefst bewegen muß. Jeder weiß aus seinem Bereich heraus, daß dies eine zentrale Frage ist und daß die genannte Zielsetzung von uns bejaht wird. Aber es muß doch auch in einer solchen Frage das macht die politische Kultur einer Demokratie aus — möglich sein, sich die Frage zu stellen: Ist das, worüber ich jetzt abzustimmen habe, wirklich gut und ausreichend? Ist mehr Ausgewogenheit wirklich nicht zu erreichen? Ich kann doch, wie ich hoffe, unterstellen, daß wir das gleiche Verhältnis zur Geschichte, zur Kontinuität der Geschichte, wozu wir ein klares Ja sagen, haben. Wir sagen ein klares Ja zum Auf und Ab und zu dem, was auch in deutschem Namen an Schuld in Polen geschehen ist. Es ist doch aber kein Chauvinismus und Nationalismus und es ist auch kein primitives Aufrechnen — das verabscheue ich zutiefst —, wenn wir sagen: Die polnische Teilung im Jahre 1939 war nicht nur eine Sache der Deutschen, sondern Stalin war an dieser scheußlichen Aktion mit beteiligt.
Es ist auch kein Nationalismus, wenn wir darauf hinweisen, daß durch den Vertrag von Warschau im Blick auf die deutsche Geschichte und auf die Landkarte tiefgreifende Veränderungen vor sich gegangen sind, daß sich diese Veränderungen auf eine Dimension des Reichsgebietes von früher, die man doch nicht so einfach abtun kann, bezogen. Wenn wir unser Ja zum Frieden und zum Ausgleich sprechen, dann ist es eben das Ja aus der Friedens-
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Ministerpräsident Dr. Kohlpflicht jener Generation heraus, die versucht, aus der Geschichte dazuzulernen. Wir wollen Frieden und Ausgleich mit allen Völkern und mit allen Nachbarn. Herr Bundesaußenminister, es muß gestattet sein, hier darauf hinzuweisen, daß natürlich Aussöhnung in Verhandlungen mit Regierungen, die das gleiche Staatssystem und die gleichen Grundideale der Freiheitsrechte des Bürgers haben, leichter zu erreichen und, was die Völker betrifft, anders strukturiert ist, als mit einer kommunistischen Regierung.Natürlich — um den Kollegen Brandt aufzunehmen, der das Thema heute früh auch ansprach — müssen wir Politik machen und mit Ländern verhandeln, die eine andere Struktur haben. Wir, die Deutschen, haben den allerletzten Grund, uns als die moralischen Präzeptoren der Welt oder unseres Umfelds aufzuspielen. Das ist in diesem Jahrhundert ganz gewiß nicht unser Thema. Nur, wenn man dauernd von Aussöhnung redet, dann muß man diesen Unterschied doch klarmachen können, etwa jenen Unterschied, der auch darin besteht, daß wir alle glücklich wären, wenn neben dem Deutsch-Französischen Jugendwerk in diesem Lande möglichst bald ein deutschpolnisches Jugendwerk möglich wäre und viele junge Deutsche und Polen gegenseitig in Familien wären und erkennen würden, daß weder in Polen noch in Deutschland der Geist des Chauvinismus umgeht, sondern daß die Menschen die Lektion der Geschichte begriffen haben.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege Arndt, ob Sie dabei auf Ihre Fragen anspielen, die ich in diesem Zusammenhang gelegentlich lese, etwa auf Ihre Interpretation des Rederechts des Vorsitzenden der CDU. Das ist in der Tat für die Klippschule des Verfassungsrechts geeignet.
Ich meine nur, wenn wir von Aussöhnung und Frieden sprechen, ist es unsere Pflicht — und nicht nur gestattet —, auch von Gerechtigkeit zu sprechen.Herr Bundeskanzler, Sie sagten - und das ist richtig —, daß wir in einer ganz besonderen Verantwortung stehen, gerade wir, die im Bundesrat abzustimmen haben, ohne daß die elf Punkte irgendwie an Gewicht verloren haben. Jeder ist für sich bedeutsam, und das, was der Außenminister dazu vorgelegt hat, muß in den zuständigen Ausschüssen der parlamentarischen Gremien — in diesem Fall des Bundesrats — sehr sorgfältig gewürdigt und besprochen werden. Das ist ganz. selbstverständlich. Aber es muß doch möglich sein, im Zusammenhang mit der Frage Aussöhnung, Friede und Gerechtigkeit die Frage der Freizügigkeit für die Deutschen zu stellen,
zumal die Polen das doch offensichtlich auch immer so verstanden haben.Heute ist schon vorgetragen worden, daß nach dem Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen 1957 mehrere hunderttausend Polen aus der Sowjetunion in die Volksrepublik Polen zurückkehren sollten. Was zwischen diesen beiden Ländern möglich war, sollte doch auch für die Deutschen, die in die Bundesrepublik wollen, möglich sein, selbst wenn uns das Opfer kosten wird. Es ist doch berechtigt, dann zu fragen — ich bleibe bei Ihren Zahlen, Herr Bundesaußenminister; 130 000 können hoffentlich zurückkehren —: Was geschieht mit den anderen 150 000? Es ist doch nicht unbillig, diese Frage aufzuwerfen; denn es gibt doch die Solidarität in der deutschen Geschichte, in diesem Fall gegenüber den 150 000 Deutschen, die dann nicht das Glück der Rückkehr haben werden.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, denen, die zurückkehren, sagen: willkommen im Vaterland — da schließen wir uns voll und ganz an.
— Meine Damen und Herren, das ist eben der Punkt: daß Sie in Ihrer Betrachtung, einer völligen parteipolitischen Verengung jeder Ihrer Perspektiven, zu einem normalen demokratischen Patriotismus gemeinsam mit anderen nur noch sehr schwer fähig sind.
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und wir sagen nein zu dieser konkreten Politik, weil sie einem erheblichen Teil unserer deutschen Mitbürger außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland jetzt die Chance nicht gibt und weil wir meinen, daß wir alles tun müssen, um ihnen auch das Tor zu öffnen, damit sie letztendlich selbst darüber entscheiden, wo sie leben wollen und wie sie leben wollen, damit wir auch ihnen sagen können: Willkommen im deutschen Vaterland!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Kohl, eine gewisse Begabung für Schaueffekte ist Ihnen nicht abzusprechen, wie wir eben gesehen haben.
Auch eine gewisse Begabung als Regisseur ist sichtbar geworden. Ich kann nur hoffen, daß im Rahmen dieses Debattengegenstandes auch noch der Staatsmann sichtbar wird, um den es bei der Entscheidung endgültig gehen wird.
— Da sieht man wieder die Aufbruchsstimmung in der Union! Man will nur das Eigene hören, weil man genau weiß, daß die anderen Argumente so stichhaltig sind, daß man sie nicht einmal anhören kann, ohne unsicher zu werden.
Meine Damen und Herren, politische Diskussion hat ja nur dann einen Sinn, wenn der Anlaß der Auseinandersetzung im Mittelpunkt steht. Es darf nicht -- wie wir das jetzt wieder erlebt haben — dazu kommen, daß flankierende parteipolitische Probleme zur alles entscheidenden Kernfrage umgeformt werden. Daß diese Gefahr der Umformung nicht nur droht, sondern in den letzten Wochen immer sichtbarer geworden ist, hat der heutige Tag wieder einmal bewiesen.In der Tat, meine Damen und Herren, nur ein Mindestmaß an politischer Fairneß und staatspolitischer Vernunft wird in dieser Schlußphase des Ratifizierungsprozesses das unheilvolle Ende einer schlimmen Entwicklung verhindern können. Was jetzt noch an zusätzlicher Verschärfung des parteipolitischen Gegeneinander betrieben wird, kann eine sachliche Lösung der deutsch-polnischen Fragen unmöglich machen.Im Namen meiner Fraktion appelliere ich an alle Seiten dieses Hauses und auch an den Bundesrat, daß wir gemeinsam die Sache sehen und nicht weiter eine zerstörerische Konfrontation betreiben. Das hilft uns allen nicht!
Dies wäre nur dazu angetan, die Versöhnungsidee, an der sich das Ganze doch entzündet hat, ad absurdum. zu führen. Dies bringt, wenn wir nicht Einhalt gebieten, die Bundesrepublik Deutschland nach meiner Überzeugung in eine außenpolitische Sackgasse, und es vergiftet das innenpolitische Klima.Uns geht es um die Menschen, die von diesem Streit betroffen sind, uns geht es um die Aufgabe, Haß zu überwinden, Abgründe zu überbrücken und gute Nachbarschaft herzustellen, und uns geht es auch um die Durchsetzung der Gebote der Moral, der Menschlichkeit und der politischen Vernunft.Wir haben heute in den Diskussionsbeiträgen aller Kollegen der Union immer wieder gehört: Wir wollen die Aussöhnung. Aber Sie sagen nicht ja zum konkreten Schritt zur Aussöhnung. Diesen Widerspruch haben Sie nicht ausräumen können.Wenn Herr Ministerpräsident Kohl hier davon gesprochen hat, daß jeweils in konkreter Funktion — also etwa im Bundesrat - geprüft werden müsse, ob man sich so oder so verhält, ist das anerkennenswert, steht aber im Widerspruch zu dem, was sein Stellvertreter, Ministerpräsident Filbinger, gesagt hat, daß es nämlich ausschließlich darum geht, daß die Bundesländer, die CDU/CSU-regiert sind, in einer Sprache reden. Was gilt denn nun eigentlich in der Union? Sorgen Sie doch dafür, daß diese Unabhängigkeit, von der Sie sprechen, ermöglicht wird, daß von diesem Prüfen von Fall zu Fall auch Gebrauch gemacht und nicht versucht wird, alles über einen Leisten zu scheren, wie es innerhalb der Union jetzt versucht wird.
Herr Ministerpräsident, wenn Sie fragen, was mit den 150 000 geschieht, sage ich: Ist Ihnen denn nicht bewußt, daß das Nein zu den Vereinbarungen, das Sie hier proklamiert haben, eben auch für die 125 000
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Mischnickdie Ausreise blockiert und damit unmöglich macht, daß 125 000 kommen können, und auch dazu führt, daß es erst recht nicht 200 000 oder 280 000 werden? Das ist die Logik Ihres Verhaltens, nichts anderes!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir folgen den Überlegungen, daß nicht nur die Frage der Ausreise, das Problem des Rentenabkommens, die Vergabe von Krediten eine Aussöhnung bringen. Da muß doch noch mehr geschehen. Dies ist für uns ein erster Schritt, ein Schritt zu dem Gesamtziel.Wenn Sie von dem deutsch-polnischen Jugendwerk sprechen: Wir sind alle dafür. Nur, auch das werden Sie nicht bekommen, wenn Sie hier wieder wider bessere Überzeugung nein sagen.
Meine Damen und Herren, der Kollege Mertes hat heute vormittag davon gesprochen, daß das Recht für Sie nicht eine Marotte sei. Für uns auch nicht! Nur, es kommt auch darauf an, ohne Rechtspositionen aufzugeben, weiter Politik zu machen und nicht mit dem Berufen auf Rechtspositionen keine Politik zu machen, wie Sie es hier vorhaben. Das ist der entscheidende Unterschied
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ja, bitte.
Herr Kollege Mischnick, besteht das schwere politische Problem nicht darin, daß die Bundesregierung behauptet, sie habe keine Rechtspositionen aufgegeben, und die Sowjetregierung und die polnische Regierung dagegen behaupten, die Bundesregierung habe wesentliche Positionen aufgegeben?
Sehen Sie, Herr Kollege Mertes, hier unterscheiden wir uns vielleicht; ich hoffe, daß es nicht so ist. Wir haben unseren Rechtsstandpunkt gewahrt. Von dem gehen wir aus. Dies ist uns auch von unseren westlichen Verbündeten bestätigt worden. Warum setzen Sie es dann in Zweifel und arbeiten mit der Auslegung, die Sie vornehmen, den anderen in die Hände?
Dann haben Sie noch gesagt, Herr Kollege Mertes, es gehe nicht um das Geld.
Ich habe das gern gehört. Nur, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus der Union: Warum benutzen Sie dann die mit dieser Vereinbarung vorgesehenen finanziellen Leistungen ständig bei der
Auseinandersetzung draußen im Lande als das Hauptargument, um diese Vereinbarung zu kritisieren? Hier liegt doch der Widerspruch zwischen Ihrer Argumentation im Deutschen Bundestag und draußen.
Wenn vorhin der Kollege Reddemann versucht hat, den Artikel in der „Neuen Bildpost" so etwas herunterzuspielen, dann kann ich nur sagen: Daß dieser Stil eben nicht eine einmalige Entgleisung ist, sehen wir doch gerade in der von Ihnen herausgegebenen offiziellen Zeitung „CDU/CSU, MdB, Informationen aus dem Bundestag".
Da heißt es — ich zitiere —:
Mit anderen Worten: Wir verschulden uns um weitere 3 000 Millionen Mark und lassen dafür 180 000 Deutsche im Stich. Oder zahlen in vier Jahren noch einmal in die Kasse des polnischen Chauvinismus.
Diese Methode in einem offiziellen Blatt einer Fraktion ist genau das, was dem Gedanken der Versöhnung Hohn spricht und die Politik dieses Landes erschwert.
Wenn Sie dann weiter unter der Verantwortung von Herrn Reddemann schreiben:
Die Regierung will zahlen und die Menschen vergessen. Wir nicht.
dann ist das eine infame Unterstellung. Wir kämpfen um die Menschen. Wir werden dafür sorgen, daß sie rauskommen, Sie wollen es verhindern. Das ist der Tatbestand und nichts anderes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Carstens, Sie haben uns vorgeworfen, daß hier mit Zahlen gespielt worden sei und daß keine Grundlage für dieses Zahlenspiel vorhanden gewesen sei. Wann sind denn weitere Zahlen eingeführt worden? Das ist doch erst von dem Augenblick an geschehen, als Ihre Kollegen die Behauptung aufstellten, mit der Vereinbarung werde finanziell mehr geleistet, als überhaupt notwendig sei. Erst dann sind weitere Zahlen in die Debatte eingeführt worden. Es wäre besser gewesen, man hätte diese Art Auseinandersetzung sein gelassen.
Wir verkennen nicht die schwierige Situation, in die sich die Opposition durch eine allzu frühe Festlegung, eine allzu frühe Abwehrhaltung selbst gebracht hat. Ich zitiere eine neutrale Stimme aus der Schweiz. Der in Bern erscheinende „Bund" schreibt unter dem 18. Februar:
Vor allem Franz Josef Strauß und seine Anhänger haben diesen Kurs durchgesetzt. Der
Druck, der von ihnen auf jene ausgeübt wird,
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Mischnick
die eventuell bereit gewesen wären, die Verträge zu retten, ist unverkennbar.
Sehen Sie, hier ist doch die Fernsteuerung immer sichtbar gewesen. Wenn Sie hier dazwischenrufen, wir übten Fraktionszwang aus,
dann müßten Sie auch nur ein einziges Beispiel als Beweis bringen, daß es in der Fraktion der Freien Demokraten je einen Fraktionszwang gegeben hat. Den hat es nicht gegeben, und den wird es nicht geben. Dessen können Sie sicher sein!
Allerdings sind wir Liberalen auch in der Lage, wenn man sich auf einen gemeinsamen Weg geeinigt hat, diesen durchzustehen. Wenn nun jemand aber eine abweichende Meinung hat, dann haben wir ihm noch nie gesagt: „Jetzt mußt du diese oder jene Funktion niederlegen", wie es Ihren Kollegen aus Ihren Reihen angeraten worden ist. Bei uns hat es das nicht gegeben.
Als der Bundesminister Ertl zu § 218 eine andere Meinung hatte, ist kein Mensch auf die Idee gekommen, auch nur den geringsten Vorwurf zu erheben.
Sie haben es gerade nötig, uns etwas über Fraktionszwang zu erzählen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die „Stuttgarter Zeitung" hat am gleichen Tag wie „Der Bund" das Problem mit folgenden Worten kommentiert — ich zitiere —:
Es grenzt ans Tragische, daß der ohnehin äußerst vielfältige Komplex moralischer, politischer, ideologischer, humanitärer und nicht zuletzt finanzieller Probleme in den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen jetzt auch noch mit der Frage belastet wird, ob die Union darüber zerbricht oder ob sie nur im Nein zu einem gemeinsamen Nenner finden kann.
Ich will das nicht vertiefen. Ich will vielmehr unmißverständlich klarstellen: Gerade in Kenntnis dieses schwierigen Sachverhalts werden wir uns auf das Sachthema konzentrieren. Wir sehen, daß sich die übergroße Mehrheit der Opposition im Deutschen Bundestag auf ein Nein festgelegt hat. Wir sehen aber auch, daß für die abschließenden Beratungen im Bundesrat noch ein gewisser Spielraum existiert. Er kann genutzt werden, ohne daß von Inkonsequenz oder Gesichtsverlust geredet werden könnte. Nirgendwo steht ja geschrieben, daß zwischen Bundestag und Bundesrat, sei es nach der einen oder nach der anderen Seite, ein Automatismus gleichgestalteten Abstimmungsverhaltens eintreten muß.
Aber — und das ist bei den Auseinandersetzungen über das Recht des Bundesrats hier bisher nicht
zitiert worden — es steht ausdrücklich in Art. 73 GG — ich zitiere wörtlich —: „Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten." Ich gehe davon aus und ich bin überzeugt, daß Sie alle dies verfassungsgemäß so gehandhabt wissen wollen. Das heißt doch aber logisch: Jeder Ministerpräsident, ganz gleich, welcher parteipolitischen Färbung er ist, wird mehr Verständnis und Zustimmung als Ablehnung finden, wenn er dem Bund läßt, was des Bundes ist, und nicht durch ein Verwaltungsverfahren — und um das geht es doch hier — die von Bundesregierung und Bundestag gewollte Außenpolitik konterkariert. Um diese Frage geht es bei der Auseinandersetzung.
Ich habe von Bundesregierung und Bundestag gesprochen und habe deutlich gemacht, daß dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung zusteht. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß der Bundesrat hier ein Recht hat, und füge hinzu: Es ist natürlich eine Verlockung, jetzt über ein solches Rentenabkommen Außenpolitik machen zu wollen. Aber wo steht denn geschrieben, daß man jeder Verlockung nachgeben muß? Man muß das mit Sicherheit nicht.
Hinzu kommt doch die Überlegung, daß in ähnlicher Situation der Ministerpräsident von BadenWürttemberg Reinhold Maier einmal zwar bis zum letzten seine Möglichkeiten als Ministerpräsident ausgereizt hat, als es um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ging, daß er aber mit seiner Stimme dafür gesorgt hat, daß die Verträge hier nicht gescheitert sind. Das war der Unterschied in der Haltung. Da ging es darum, deutlich zu machen, was möglich ist, aber auf keinen Fall dem Bund in außenpolitischen Fragen in den Arm zu fallen. Das ist der Unterschied in der Handhabung gegenüber dem, was wir heute erleben.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Czaja?
Herr Kollege Mischnick, können Sie die Tatsache bestreiten, daß der verstorbene Ministerpräsident Maier so lange „gereizt" hat, bis die Regierung, der Schuman angehörte, gestürzt war und Mendès-France in Frankreich zur Herrschaft kam? Können Sie das leugnen?
Herr Kollege Dr. Czaja, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Frankreich gescheitert ist, bestreitet niemand. Das geschah aber nicht dadurch. Sie wissen ganz genau, daß andere Überlegungen dann zu dem geführt haben, was heute die NATO ist.Zu den Überlegungen in Richtung Bundesrat kommt noch hinzu, was der saarländische Ministerpräsident, Röder, heute in einem Interview mit der „Zeit" gesagt hat. Er erklärte dort — ich zitiere —:
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MischnickIch halte es durchaus für möglich, daß man sich auch in der Außenpolitik auf der Grundlinie seiner Partei bewegen kann, ohne bei einer Einzelentscheidung bei der Mehrheit sein zu müssen.Diese Einstellung zeugt nicht nur von Souveränität, sondern auch von der begrüßenswerten Absicht, einen Beitrag zur Auflockerung verhärteter innenpolitischer und parteipolitischer Fronten zu leisten. Wir Freien Demokraten wollen dies unterstützen. Wir meinen, wir alle gemeinsam sind es dem Bürger doch schuldig, konstruktive politische Arbeit zu verrichten, überall und in jeder Funktion.Ich bin mir durchaus bewußt, daß es für den Vorsitzenden der CDU, den Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz, sehr schwierig ist, alle Gesichtspunkte unter einen Hut zu bringen. Aber er sollte sich daran erinnern, daß es in dieser Frage eben nicht nur um die Union, sondern um die Bundesrepublik Deutschland, unseren Staat, geht, und er sollte sich dann nicht in erster Linie als Parteivorsitzender, sondern als Staatsmann entscheiden — um des Staates willen. Da ist die Aufgabe, die jetzt vor ihm steht.
Wir wissen sehr genau — wir tun es selbst —, daß bei der Auseinandersetzung um solche Fragen mit Engagement und Leidenschaft gerungen wird. Und natürlich brauchen wir die Kritik und die Opposition. Auch wir üben Kritik, wo es notwendig ist, und sind Opposition in den Ländern. Aber wir werden darauf achten, daß immer die Verhältnismäßigkeit der Mittel stimmt. Diese Verhältnismäßigkeit stimmt aber nur, wenn nicht Gefühle zum ausschlaggebenden Faktor werden, wenn nicht mit ihnen und von ihnen getrieben Politik gemacht wird, sondern die Vernunft entscheidet und nicht die demagogische Aufwallung, wie das leider so oft immer wieder der Fall ist.
— Lieber Herr Kollege, Sie wissen genau, daß einer Ihrer Fraktionskollegen mit aller Deutlichkeit gesagt hat, daß es darauf ankomme, die Gefühle anzusprechen und nicht mit der Vernunft zu operieren. Genau das ist die Gefahr, wenn Sie so Außenpolitik zu einem innenpolitischen Faktor machen, wie Sie es getan haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesaußenminister und mein Fraktionskollege Hans-Günter Hoppe haben sehr eingehend die Details, die mit dieser Vereinbarung zusammenhängen, dargestellt und auf die Konsequenz des gesamten Ratifizierungsverfahrens für den Fortgang der Entspannungspolitik hingewiesen.
— Unserer Entspannungspolitik, von der Sie ja genau wissen, daß sie nicht leicht ist, daß es aber zuihr keinerlei Alternative gibt. Eine solche Alternative haben Sie nicht vorweisen können und werden Sie nicht vorweisen können. Deshalb bleibt es bei diesem Grundsatz.
— Wenn Sie darüber lachen, zeigt das ja nur, daß Sie nicht in der Lage sind, sachlich zu antworten, und daß Sie sich damit der Notwendigkeit der sachlichen Antwort entziehen wollen. Weiter gar nichts! Sie wissen keine Alternative; das ist doch der Punkt.
Auch in dem Land des Vertragspartners ist eine kritische Phase erreicht. Auch dort gibt es Strömungen und Entwicklungen, die niemandem in diesem Hause gelegen sein können, die sich aber verstärken dürften, wenn die Abmachungen scheitern sollten. Dann würden Emotionen und Ressentiments freigesetzt, die sich innen- wie außenpolitisch bestimmt nicht zu unserem Vorteil auswirken können. Daran kann nur Interesse haben, wer politische Eiszeiten für einen erstrebenswerten Zustand hält.
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haben ihn hier demütigend behandelt — bitte, es ist jedermanns Sache, auch eines Vertragspartners Sache, sich in dem Umgang zurechtzufinden, den Sie ihm angedeihen lassen —, Sie haben über diesen Vertragspartner Volksrepublik Polen soviel Negatives gesagt und auch sagen lassen, daß es unvermeidlich ist, sich zu fragen, wie Sie denn den Umgang mit Polen eigentlich meinen: Das ist ein „diktatorisches Regime", das sind „natürlich Kommunisten", die „Bischöfe wären viel besser" ; alles Mögliche kann man sich zusammenflicken aus der heutigen Debatte.
— Bitte sehr, gucken Sie doch nach. Falls Sie das nicht herauskorrigiert haben, dann finden Sie das alles darin. Und rundherum wird ja noch vielmehr gesagt. Es sei Ihnen ja auch unbenommen. Sie sind ja völlig frei. Sie erfinden fortgesetzt neue Dingeund fragen nicht danach, welches Maß von Demütigungen — so nenne ich das — Sie dem Vertragspartner in einem solchen Streit aufzuerlegen sich bemühen.
Was soll denn das, daß man dann hört — mit Augenaufschlag und immer genauso schön halblinks von der Mitte —,
daß so viele aus alten Zentrumsfamilien kommen? Ich habe ein Respekt-Verhältnis zu Zentrumsfamilien, und einigermaßen kenne ich mich da auch aus. Nur, wissen Sie, daß man meint, damit sozusagen einen Schein auf Vertrauen beim Vertragspartner Volksrepublik Polen zu haben, das ist wohl ein wenig — wenn ich es mir so zu nennen erlauben darf — naiv. Aber es ist natürlich berechnet.
Sie sagen, hier seien ja „alle Seiten" für die „Aussöhnung". Ja, was bedeutet das aber dann für Sie faktisch, wenn Sie sagen: Das darf aber nicht Geld kosten, und das muß s o sein. Sie geben ja auch Zahlen an. Das geht bis in die 900 000, die dort konstituiert werden sollen. Bei der Gelegenheit versetzen Sie der SPD auch noch einen Schlenker wegen deren Programmsatzes über Volksgruppenrecht — was tatsächlich unser Ziel ist: ein demokratisches Volksgruppenrecht, d. h. ein Europa und Verhältnisse untereinander in Europa und in anderen Ländern, auch außerhalb Europas, die es ermöglichen, zu einem demokratischen Volksgruppenrecht zu kommen. Ich habe das kürzlich hier auch zitiert. Da hat sogar einer aus Ihren Reihen gesagt, dafür sei er auch. Na gut; nur: das können Sie doch wohl nicht unter völliger Ignorierung der tatsächlichen weltmachtpolitischen Verhältnisse mit dem Zeigefinger „Da gibt es ja gar keins!" zum Gegenstand des Entdeckens machen.Sie sagen z. B., kein namhafter polnischer Politiker habe von Versöhnung gesprochen. Als ich mir heute morgen eine Frage dazu erlaubt habe, wurde gesagt, es seien Regierungsmitglieder gemeint. Nun habe ich inzwischen natürlich — so etwas fliegt einem dann ja zu — den „Kölner Stadtanzeiger" vom 17. Februar 1976 erhalten, also eine ziemlich neue Ausgabe, in dem es u. a. heißt „Warschau: Chance wäre vertan", die Glaubwürdigkeit sei in Gefahr. Dort steht auch die Äußerung des polnischen Außenministers Olszowski, welche die polnische Nachrichtenagentur PAP verbreitet hat: Ein solcher Schritt würde außerdem nicht nur in den Augen der polnischen Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik in der Frage der Versöhnung mit Polen verlorengehen lassen" . Hier steht „Versöhnung". Also habe ich nun auch den Rang getroffen.Im übrigen: Ich habe heute morgen nach Herrn Stomma gefragt, nicht um Sie in Verlegenheit bringen zu wollen, meine Damen und Herren. Sie kann man ja nicht in Verlegenheit bringen, weil das, was unsereiner Ihnen sagt, von vornherein abgestempelt ist. Nun gut, gehen wir so miteinander um. Ich jedenfalls habe mir noch einmal das Protokoll der
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Wehner202. Sitzung von Mittwoch, dem 26. November 1975, herausgenommen.
— Den Witz können Sie sich ersparen. Ich wollte nur sagen: Die Sitzung begann mit einem Nachruf auf den verstorbenen Herrn Kollegen Dr. Friedrich Beermann, verehrter Herr. Lassen Sie Ihre blöden Witze!
Da habe ich gefunden — ich bin dann auch in den Besitz einer ordentlichen deutschen Übersetzung gekommen —, daß der Sejm-Abgeordnete Stanislaw Stomma sowohl in TYGODNIK POWSZECHNE geschrieben als auch im Sejm über den Eindruck gesprochen hat, den auf ihn die Erklärung gemacht hat, welche der Abgeordnete Friedrich Beermann seinerzeit bei der Abstimmung über den Warschauer Vertrag am 17. Mai 1972 abgegeben hat. Ich habe sie mir aus dem Protokoll herausgenommen. Ich will Ihnen das nicht zumuten. Es gibt vielleicht den einen oder den anderen — vielleicht auch die eine oder die andere —, die sich diese erschütternde Erklärung — es könnte ja auch einmal ein Dienst dazu geleistet werden — ansehen, über die natürlich jemand, der so wie Sie dahinten gebaut ist, feixen mag. Diese Erklärung beginnt mit dem, was er als Leutnant, der am 1. September 1939 im Dienst über die Grenze nach Polen marschiert ist, bei der Begegnung mit dem ersten Gefallenen auf der Gegenseite — Polen— erlebte und wie ihn das verfolgt hat. Beermann war ja ein Soldat, und ich kenne ihn lange genug, um das auch mit Respekt beurteilen zu können. Er hat damals erklärt:Wenn wir diesen für uns so beschämenden Zeitabschnitt— er meinte den Krieg und das, was am Ende des Krieges vice versa geschehen ist, was die einen den anderen angetan haben —Revue passieren lassen, so sollten wir ganz tief und innerlich und ohne jeden Vorbehalt auch für das uns angetane Unrecht Vergebung gewähren, Vergebung gewähren für die Tausenden von Toten, als sich bei Kriegsbeginn aufgespeicherter polnischer Volkszorn gegen die dort ansässige deutsche Bevölkerung entlud.Der eine oder andere wird es nachlesen. Der Stomma-Artikel ist ein bewegender Artikel. Daß er in einem Land wie dem dort geschrieben wurde und daß in ihm Beermanns gedacht wurde als eines deutschen Abgeordneten, der aus dem Militär — zuletzt im Range eines Generals — kommt, ist bemerkenswert.
Das darf man ja wohl sagen, verehrte Unruhige, auch wenn der Beermann rot war. Das war unser Mann, er war ein Sozialdemokrat, er war ein guter Soldat, und er war ein guter Abgeordneter.
Ein solcher Mann wurde von einem polnischen Abgeordneten dafür gerühmt,
daß die stärkste Antriebskraft der Geschichte die moralischen Strömungen sind, genau das, was Beermann als sein Erlebnis, als Summe seiner Lehren und als Lehre für das Verhalten zwischen Deutschen und Polen herauszufiltern versucht hat und was der andere genau verstanden hat. Bitte, ich gebe es auf; ich will nicht zitieren. Aber sehen Sie einmal zu, ob Sie dort nicht manches finden, was nachdenklich macht, gerade in einem Saal mit Abgeordneten, wo es coutume geworden ist zu sagen, daß alle die Aussöhnung oder die Versöhnung wollen; denn derjenige, der kürzlich auf Ihrer Tagung in Ingolstadt postuliert hat, das sei lediglich ein theologischer Begriff, ist ja nicht hier. Sonst würde er natürlich diese besondere Auffassung, daß das lediglich ein theologischer Begriff sei, auch hier noch darlegen können.Meine Damen und Herren, hier ist gesagt worden: Es war nicht Deutschland allein. Das ist wahr. Nur, mindert das eigentlich unsere Verantwortlichkeit?
Nicht im Sinne der Kollektivschuld; ich bitte Sie, mißverstehen Sie mich nicht. Mindert es unsere Verantwortlichkeit, wenn man sagt: Es waren aber noch andere usw.? In diesem Punkt muß ich Sie, auch wenn das keinen Einfluß auf Ihre Stellung zu Ihrer Entscheidung hat, dringend darum bitten, daß Sie sich einmal überlegen, ob das — ich will Ihren Parteinamen gar nicht ironisieren — mit dem Gewissen von Leuten vereinbar ist, die sich auf das Gewissen berufen — das tun wir ja unabhängig von Konfession und Partei sonst alle, wenn es darauf ankommt —, ob es in Ordnung ist, daß man sagt: Es waren ja auch noch andere dabei, und vielleicht hätte unsere Seite das gar nicht gemacht, wenn die anderen nicht dabei gewesen wären. Nein, nein, hier ist vieles, um das man sich Sorgen machen muß.Hier ist heute mit großer Beredtsamkeit gesagt worden, was man eigentlich alles mit dem Friedensvertragsvorbehalt machen kann, der nicht genügend berücksichtigt worden sei.
— Nun wissen Sie, sehr zu ehrender Herr Kollege— ich will mich gar nicht in den Streit — —
— Es gibt ja mehrere sehr zu ehrende Kollegen; diese darf ich ja wohl einmal insgesamt ansprechen. Ich habe Sie, Herr Stücklen, in diesem Fall nicht gemeint.
Sie nenne ich dann direkt; aber das geschieht meist in anderen Zusammenhängen.Ich wollte nur sagen — hierüber brauchen wir gar nicht zu streiten —: Als es darum ging, auszuloten, ob Friedensvertrag oder nicht, haben Ver-
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Wehnerbündete und die damalige Regierung Gründe gehabt, es nicht zu machen. Die Argumente waren so, daß, wenn man einmal gründlich darüber reden kann, eines jedenfalls einen historischen Kunst- und Denkfehler so großen Ausmaßes ausmacht, daß alles, was sonst bedeutend an diesem Staatsmann war, das nicht aufwiegt, was hier an historischem Kunst- und Denkfehler gemacht worden ist, nämlich: Wenn die jetzt schon mit solchen Vorschlägen kommen, dann werden sie bald mit noch besseren Vorschlägen kommen. So etwas kann auch einem bedeutenden Staatsmann passieren. Vielleicht war es so, daß damals nichts drin war. Nur, das gehört auch der Geschichte an.Worum geht es jetzt? Was heißt Friedensvertragsvorbehalt? Ich bitte Sie: Wir haben doch keine Verträge abgeschlossen, weder den Warschauer noch den Moskauer noch einen anderen Vertrag, ohne uns darauf zu berufen, daß sich unsere Rechtsauffassung darin von der unserer Vertragspartner unterscheidet, daß wir auf einen Friedensvertrag hinaus wollen. Nur, tun Sie doch bitte nicht so, als ob wir Leute wären, die nichts für einen Friedensvertrag übrig hätten oder nichts dafür getan hätten. Wir sind doch dafür immer abgeschmiert worden. Brandt hat völlig recht gehabt, als er heute an jene leider nur Episode gebliebene Sache 1961 mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten Kennedy erinnerte. Da ging es nicht um Friedensvertrag schlechthin. Als aber plötzlich die sowjetische Seite reizte, gab es kurzzeitig einen amerikanischen Präsidenten, der sagte: Bitte, dann gehen wir hin. Da hieß es hier in Bonn: Das wünschen wir aber nicht.
— Ja, sicher. Das ist historisch nachweisbar. Das weiß der Herr auch. Es ist gar nicht notwendig, sich heute abend zu streiten, weil das nichts ändern wird an der Entschlossenheit, die Sie erfüllt, sich zu den konkreten Abkommen, die mehr sind, als daß Sie alle nur sagen können, Sie seien für Aussöhnung, nicht umzubesinnen.Als wir heute morgen begannen, hat der Herr Wallmann die SPD, wenn schon nicht beschworen — das liegt seinem Charme nicht —, aber doch sehr bedrängend angesprochen — und ich fand, das war interessant —, sie solle den unsinningen „Fraktionszwang" aufheben. Ich muß sagen. ich habe noch nie ein so tolles Modell für das, was man imperatives Mandat nennen kann, gefunden als jenen Brief des Vorsitzenden der CSU an alle Abgeordneten der CDU/CSU
und an alle Ministerpräsidenten, die Mitglieder der CDU/CSU sind. Der Brief war veröffentlicht, ehe die, die er anging, ihn überhaupt gehabt haben.
Ich verstehe, daß das seine Regie ist. Der braucht auch nie hier herzukommen,
wenn über Polen gesprochen wird.Machen Sie bitte ruhig so weiter, meine Damen und Herren. Nur wird eines dabei schwer beschädigt, und ich weiß noch nicht, wie verhindert werden kann, daß diese Sache Schaden nimmt, der nicht wiedergutzumachen ist. Ich will nicht unken, aber ich fürchte, hier richten Sie Schaden an, der nicht wiedergutzumachen ist. Schaden für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und in einer Sache, die humanitär wesentlich ist. Daß Sie mit unseren auswärtigen Beziehungen so umgehen, meine Damen und Herren, macht mir — und ich spreche das Wort selten aus — angst.
Meine
Damen und Herren, während die Frau Kollegin Funcke präsidierte, hat der Herr Kollege Stark in wenig schwäbischer Weise beleidigende Zurufe gemacht. Nach Rücksprache mit der Frau Kollegin Funcke rufe ich den Herrn Kollegen Stark dafür zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete von Weizsäcker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist vorgerückt, aber ich habe mich zugleich im Namen einer Reihe von Kollegen zu Wort gemeldet, weil wir die Absicht haben, dem Polenabkommen zuzustimmen, und das Bedürfnis haben, die Gründe dafür selbst darzulegen. Wir wollen sagen, wozu wir ja und wozu wir nein sagen. Wir können das nicht anderen überlassen, die aus Versehen oder mit Absicht aus unserem Votum falsche Schlüsse ziehen. Ich habe jedenfalls unter den Rednern der Koalition heute und bei der ersten Lesung keinen gehört, der einen ernst zu nehmenden Versuch gemacht hätte, zu verstehen, worum es uns geht.Ich muß noch einmal zu einigen Themen zurückkehren, die wir heute im Laufe des Tages schon mehrfach behandelt haben. Wir stimmen hier nicht darüber ab — wie man aus manchen Ihrer Beiträge schließen könnte —, ob die Ostverträge der Jahre 1970 und 1973 noch einmal in Kraft gesetzt werden sollen. Diese Entscheidungen liegen hinter uns. Die Unionsparteien achten gültiges Recht und bedürfen dazu Ihrer Ermahnungen nicht. Es war deshalb — ich greife hier noch einmal auf die erste Lesung zurück — eine ganz besonders abwegige Unterstellung des Kollegen Friedrich, die Union wolle nun mit Hilfe des Bundesrates die Grundlage der Ostverträge zerstören.
Ebensowenig geben wir mit unserer Zustimmung ein Urteil darüber ab, ob sich die Entspannungspolitik in der Regierungszeit der Bundeskanzler Brandt und Schmidt bewährt habe. Die Bilanz wäre
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15613
Dr. Freiherr von Weizsäckerja wenig ermutigend. Gewiß, wir alle wollen die naturgegebene Nachbarschaft zur Sowjetunion so normal und friedlich wie möglich gestalten. Dies kann allerdings so lange nicht gelingen, als Gesundbeter die Szene beherrschen. Die Schwierigkeiten haben ja zugenommen, wie jedermann weiß. Man denke nur an die verhärtete Haltung der Sowjetunion in der Frage des Status von Berlin, jener deutschen Testfrage der Entspannung. Ich verweise hier auch auf das, was die Führung der Sowjetunion an die Adresse ihrer eigenen Bevölkerung und damit der ganzen Welt über die Wirkungen der Entspannungspolitik sagt, daß sich nämlich das Kräfteverhältnis zwischen Ost und West im Zeitalter der Entspannungspolitik zugunsten des Ostens verschoben habe.
Das alles sollte dem letzten unter uns diejenige Nüchternheit beibringen, ohne welche verantwortliche Ostpolitik nicht betrieben und Normalisierung nicht erreicht werden kann.
Folglich geht es auch nicht um eine konsequente Fortsetzung der Ostpolitik des ehemaligen Kanzlers Brandt. Ganz im Gegenteil, es geht um Korrekturen eben jener Versäumnisse, zu denen es unter seiner Verantwortung damals gekommen ist.
Die Vertragsverhandlungen mit Polen im Jahre 1970 hatten humanitäre Leistungen von seiten der Polen eben nicht in dem Umfang erbracht, wie die Regierung Brandt sie öffentlich angekündigt hatte.
Das hat hierzulande dann später eine tiefe Enttäuschung ausgelöst. Allerdings meine ich, es wäre nicht recht, in erster Linie die Polen dafür verantwortlich zu machen.
Es war vielmehr unsere eigene Regierung, welche keine inhaltlich ausreichenden verbindlichen Verabredungen erzielt hatte, obwohl sie es öffentlich behauptet hatte.Die Folge war eine Periode der Abkühlung in den Beziehungen, und diese hat das deutsch-polnische Verhältnis erneut stark belastet. Wir waren dafür, jede Anstrengung zu unternehmen, um dieser Probleme im Verhandlungswege Herr zu werden. Freilich wurde es deshalb um so wichtiger, neue deutsch-polnische Vereinbarungen nicht noch einmal mit Zweifeln in bezug auf Inhalt und Form zu belasten.Nun liegen die neuen Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 vor, aber wieder sind solche Zweifel nicht ausgeräumt. Hinzu kommt die Frage, warum Leistungen und Gegenleistungen nicht Zug um Zug erbracht werden und warum sie sich nicht über den gleichen Zeitraum erstrecken. Ich habe überdies, Herr Bundesaußenminister, in den Erklärungen der Bundesregierung zum Verhältnis der Grundsätzedes Völkerrechts und der Verpflichtungen in der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit zu den hier vorliegenden Vereinbarungen auch keine befriedigenden Antworten gefunden. Wie soll es mit den menschlichen und kulturellen Rechten bei jenen Deutschen stehen, welche aus den polnischen Gebieten nicht ausreisen? Solche und verwandte Fragen und Zweifel bleiben ungeklärt zurück.Freilich — darauf wurde im Laufe der Debatte schon hingewiesen —, wir haben es hier nicht mit einem innenpolitischen Gesetzentwurf zu tun. Auswärtige Verträge dieser Art treten zwar erst durch Ratifizierung, d. h. durch parlamentarische Zustimmung in Kraft, aber sie zeitigen auch schon durch die Regierungsunterschrift selbst erhebliche außenpolitische Wirkungen. So hat denn angesichts dieser Lage jeder in eigener Verantwortung abzuwägen, was für ihn schwerer wiegt: die unbeantworteten Fragen und die unausgeräumten Zweifel, anders gesagt, die notwendige Kritik an der eigenen Regierung oder die ungewissen Folgen einer Lage, wenn die unterschriebenen Vereinbarungen im Parlament nicht ratifiziert werden.Wahrlich niemand in meiner Fraktion hat sich diese Prüfung leicht gemacht, weder mit sich allein noch miteinander in der Fraktion. Da ging es sogar mitunter hart und deutlich zu, aber immer freimütig. Natürlich haben wir um Solidarität gerungen; die schuldet auch jeder dem anderen. Nur, Herr Bundeskanzler, Sie haben vorhin beklagt, daß bei uns der Wille von Strauß exekutiert werde. Dahinter kann ich nur ein Demokratieverständnis entdecken, das die SPD in Niedersachsen offenbar gerne durchgesetzt hätte.
Bei uns gibt es eben nicht — es war ja ganz charakteristisch, mit welcher Inbrunst Sie das Thema Fraktionszwang aufgegriffen haben; auch Sie, Herr Wehner — jenen unerträglichen Druck von oben wie bei der antiquierten SPD/FDP-Koalition in Niedersachsen
— Augenblick mal —, nicht jenen Psychoterror.
— Lieber Herr Ehrenberg, regen Sie sich doch bitte nicht über mich auf, sondern über Ihren ehemaligen Koalitionskollegen Groß in Niedersachsen. Er hat nämlich das Wort vom „Psychoterror durch die SPD" geprägt.
Bei uns gibt es dann zum Glück auch keinen Helmut Schmidt, der, anstatt die Verantwortung für die Folgen eines solchen Psychoterrors der Führung zu übernehmen, diese Folgen einfach als Betrug wegzuinpretieren versucht. Es ist nur gut, Herr Bundeskanzler, daß Ihnen die Bürger in Niedersachsen da gar nicht folgen.
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15614 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Dr. Freiherr von WeizsäckerDie fühlen sich nämlich mit ihrem Albrecht alles andere als betrogen.
— Sie können ja Ihre Auseinandersetzung zwischen SPD und FDP nachher weiterführen. Jetzt lassen Sie erst einmal mich zu Worte kommen.
Es bedarf nun gar keiner weiteren Erwähnung, daß es bei uns auch keinerlei Versuche gegeben hat, sich gegenseitig humanitäre Gesinnung abzusprechen. Derartige Unterfangen sind ja immer sinnlos und überheblich. Jeder, der es ernst meint, weiß, daß man mit den allerbesten menschlichen Zielen dennoch gegen Vereinbarungen dieser Art sein kann. Niemand kann seine Menschlichkeit einfach dadurch unter Beweis stellen, daß er dafür stimmt. Vielmehr gilt es in einem Bezirk deutscher Politik abzuwägen, der, wie ich meine, der schwierigste und wohl auch der heilloseste ist, mit dem wir es miteinander zu tun haben.Lassen Sie mich auch meinerseits noch einige Worte zu diesem deutschpolnischen Verhältnis sagen. Da gibt es in der langen und leidvollen Geschichte vor allem den zweiten Weltkrieg, den wir in das polnische Land getragen haben und der namenloses Leid über unschuldige Polen und Deutsche gebracht hat. Was Krieg, was Besatzung, was Vertreibung an Menschenleben und Menschenleid gekostet haben, kann nicht rückgängig gemacht und auch nicht vergessen werden, Aber die Zeit kann ihre heilenden Kräfte entfalten. Zerstörte Bauwerke und eine verlorene Heimat können nicht wiederhergestellt werden. Aber es gibt die Möglichkeit eines Wiederaufbaus und eines neuen Anfangs.Aber das ist ja nicht allein im deutsch-polnischen Verhältnis, was unsere Beziehungen belastet. Etwas anderes, davon Abgeleitetes wirkt in die tägliche Gegenwart fort. Das ist die politische Konstellation, in welche das polnische Volk ganz gegen den eigenen Willen durch diesen Krieg geraten und bis zum heutigen Tag geblieben ist. Die polnische Bevölkerung hat ihre Regierung nicht gewählt, sie hat auch nicht den Pakt ausgesucht, der den Namen ihrer Hauptstadt trägt. Ebensowenig hat sie die politische Tuchfühlung mit jenem anderen größeren Nachbarn herbeigeführt, zu dem die geschichtlichen Beziehungen Polens wahrlich nicht weniger kompliziert sind als zu uns.
Wir können und wir wollen uns nicht in die inneren Verhältnisse Polens einmischen. Es wäre auch gar niemand gedient, ja es wäre vermessen und gefährlich, wenn wir von uns aus den untauglichen Versuch machen wollten, irgendwelche Keile in die innen- oder außenpolitischen Bindungen Polens zu treiben. Aber wir müssen die Verhältnisse Polens vor Augen haben, wenn wir die polnischen Gefühle uns gegenüber verstehen wollen;
denn die tägliche Erfahrung dieser Verhältnisse prägt die Gedanken der Polen über uns noch heute.Heillos war aber auch das Schicksal der Deutschen, derer, die ihr Leben eingebüßt haben, aus ihrer Heimat unmenschlich vertrieben wurden oder heute noch dort leben, abgeschnitten von Familie, Gemeinde und Sprache. Sie waren und sind an dem, was das Dritte Reich und der Krieg gebracht haben, so unschuldig wie einer von uns, der seine Heimat behalten hat. Was aber oft so schwer für sie erträglich ist, das ist die Haltung, mit der wir ihnen oft begegnen. Wir sparen nicht mit Appellen nach Vernunft und Aussöhnung. Aber was tragen denn wir dazu bei, die Lasten dabei nicht allzu einseitig auf ihren Schultern zu belassen?Es gibt noch immer große, ungelöste Probleme, nicht nur im materiellen, sondern vor allem auch im menschlichen Lastenausgleich. Wieviel hat es gerade diesen Problemen geschadet, wenn die einen unter uns sich selbst für fortschrittlich erklärten, um die anderen, von den Lasten viel stärker Betroffenen dadurch verstockt erscheinen zu lassen!Meine Damen und Herren, ich schildere das alles nicht, weil ich glaubte, ich hätte eine Lösung. Ich habe nur, wie viele von uns, ein Stück eigene Erfahrung darin, daß sich solche Fragen gar nicht lösen lassen ohne Streit, ohne Mißverständnisse und Schmerzen. Da kann jeder nur allzu rasch in alle möglichen Verdächte geraten: er sei ein Opportunist des kalten Krieges oder aber ein Pharisäer der Versöhnung, er opfere seine Überzeugung der Parteidisziplin oder umgekehrt, er verletze die gebotene Solidarität unter Freunden. Aber das ist alles gar nicht so wichtig, was man da persönlich erlebt. Entscheidend dagegen ist die Konsequenz aus solchen Erfahrungen; daß wir keinen Versuch unternehmen dürfen, diesen kaum lösbaren Fragen zu entfliehen, uns dieser Spannung zu entziehen.Bei keinem anderen Thema haben wir es uns in meiner Fraktion so schwer gemacht wie bei den deutsch-polnischen Beziehungen. Wir haben niemals der Versuchung nachgegeben, uns mit oberflächlichen Lösungen zufriedenzustellen oder einfach in die Polarisierung auszuweichen; das ist ja auch nur ein ganz billiger Ausweg. Und wenn es ein Thema gibt, bei dem wir gelernt haben, den Andersdenkenden zu respektieren, dann ist es eben das Thema Polen. In ungezählten Stunden der letzten Jahre habe ich immer wieder empfunden, welche Achtung wir etwa unserem Kollegen Herbert Czaja und anderen schulden. Was Heinrich Windelen bei seinem Besuch in Warschau auf sich genommen hat, offen auszusprechen, das zeugt von jener notwendigen Aufrichtigkeit, die sich eben nicht davonmacht, um den Augenblick leichter zu gestalten.
Das ist eine Bereitschaft, die den deutsch-polnischen Beziehungen auf die Dauer mehr helfen wird als wenn ein deutscher Politiker in Warschau einfach seine innenpolitischen Gegner des antipolnischen Chauvinismus bezichtigt.
So etwas schadet nicht nur der Aussöhnung, sondern es wird in Wahrheit von den nachdenklichen Polen auch gar nicht respektiert.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15615
Dr. Freiherr von WeizsäckerDie Demokratie wird von Menschen getragen. So wie der menschliche Respekt erst dort wirklich wächst, wo man die Spannungen untereinander aushält, so gewinnt auch die Demokratie ihr festes Fundament erst dort, wo wir dasselbe im Verhältnis demokratischer Gegner untereinander lernen.Damit, Herr Bundeskanzler, bin ich bei Ihnen. Ich habe Ihnen Ihr Engagement für das deutschpolnische Verhältnis immer geglaubt. Aber das kann nur so bleiben, wenn Sie bereit sind, nachhaltig den Gegenbeweis zu Ihrem eigenen derzeitigen Verhalten anzutreten.
Ich meine vor allem Ihr Interview in der „Süddeutschen Zeitung" vom vergangenen Freitag und Ihre Bemerkungen heute von dieser Stelle. Denn das, was Sie da in der „Süddeutschen Zeitung" gesagt haben, war ja ein klassisches Beispiel für einen Bärendienst erstens am deutschpolnischen Verhältnis und zweitens an unserer eigenen Demokratie.
Dort schildern Sie zunächst eindrucksvoll die deutsch-polnische Entwicklung, aber dann versuchen Sie sich den großen Schwierigkeiten, die nun einmal in der Sache selbst liegen, im entscheidenden Moment dadurch zu entziehen, daß Sie. diese Schwierigkeiten in sachliche und moralische Abqualifizierungen Ihres persönlichen Gegenkandidaten umfälschen. Das heißt, daß Sie die Schwierigkeiten in eigene wahlpolitische Ziele umfunktionieren wollen.
Auf diesem Weg wird es keine Erfolge geben.
Viele Jahre bin ich nun schon den Weg von Helmut Kohl in freundschaftlicher Verbundenheit mit ihm gegangen. Ich habe manches Auf und Ab miterlebt, und natürlich hat er wie der Herr Bundeskanzler, wie ich und wie Sie alle seine Stärken und Schwächen. Er ist ein Vollblutpolitiker von Jugend auf, aber er ist ein Mensch, und er bleibt das in der Politik. Das ist es gerade, was ihn auszeichnet.
Wenn es einen gibt, der sich dem deutschpolnischen Verhältnis gewidmet hat, ohne immerfort taktisch nach rechts und links zu sehen, dann ist es Helmut Kohl.
Dabei ist er den heillosen Schwierigkeiten so wenig entgangen, wie irgendeiner von uns das hier kann. Aber das, was Helmut Kohl damit leistet, ist nach meiner Überzeugung für die deutsch-polnischen Beziehungen langfristig wahrhaft wichtiger als das, was Sie, Herr Bundeskanzler, in dem Interview getan haben, nämlich im letzten Moment schnurstracks weg vom Polen-Thema hin zur Diffamierung des politischen Gegners zu marschieren.
Wo kommen wir denn hin in unserer Demokratie, die doch ihre Basis im Menschlichen braucht, wennSie diesen Stil hier einführen? Was soll das denn: nach Lösungen suchen in Gesprächen, die Sie selbst für „Streng vertraulich" erklären — Gespräche über staatswichtige Dinge, wie Sie heute gesagt haben —, dann in dem Interview hinzufügen, gegenwärtig wollten Sie keine Einzelheiten darüber mitteilen oder, wie Sie heute gesagt haben, Sie wollten bei Ihrer vorsichtigen Schilderung bleiben, aber dennoch heute zum zweiten Mal vom Pult des Bundestages aus Verdächtigungen in die Welt setzen
und weitere Verdächtigungen lancieren lassen? Herr Bundeskanzler, das ist ein Vertrauensbruch und, wie wir zumal an dem Beispiel über das Gespräch mit Giscard d'Estaing gelernt haben, darüber hinaus auch noch mit falschem Inhalt.
Wollen Sie uns damit beweisen, daß Sie mit Herz und Sinn bei der Sache sind? Wollen Sie damit Ihre tiefe sittliche Überzeugung unter Beweis stellen, von der Sie in dem Interview gesprochen haben?Wer dem Polen-Thema gegenüber ehrlich ist und bleibt — ich hoffe, wir ringen uns alle immer wieder dazu durch —, der hilft doch nur dann weiter, wenn er aufhört, schwarzweißzumalen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Ich möchte bitte zu Ende reden. Ich bin gleich fertig. — Der muß einräumen, daß die heute hier debattierten Abkommen nicht eine erfolgreiche Fortsetzung des Warschauer Vertrages sind, sondern der Versuch, nachzubessern, was die damalige Regierung versäumt hat,
der wird freilich auch einräumen, daß es noch keine guten Lösungen geben kann, und der wird sich — trotz aller bekannten Schwierigkeiten in Warschau - um die Frage bemühen, was aus den Deutschen werden soll, die nicht ausreisen können. Vor allem aber wird jemand, der ehrlich ist, nicht den Bundesrat der unzulässigen Einmischung in die Außenpolitik zeihen dürfen, solange er selbst eine Möglichkeit hat, seiner außenpolitischen Verantwortung auch ohne Einschaltung des Bundesrates nachzukommen.
Sie, Herr Bundeskanzler, forderten uns auf, Farbe zu bekennen. Dann bekennen Sie sie doch hier selber, wenn Sie die deutsch-polnische Sache und nicht die innenpolitische Szene so im Auge haben, wie Sie es heute gesagt haben. Deshalb wird jeder, der es mit den deutsch-polnischen Beziehungen ernst meint, bis zuletzt der Versuchung widerstehen, in den Zerwürfnissen und Spannungen dieses Themas am Ende parteipolitische und persönliche Chancen
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15616 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Dr. Freiherr von Weizsäckerzu suchen und das Polenthema im Wahlkampf zu verheizen.Herbert Wehner hat, genau wie er es 1972 ja auch getan hat, alsbald aus der Ostpolitik wieder Wahlkampf gemacht. Wie anders soll ich es denn sonst verstehen, wenn er laut Zeitungsmeldungen vorgestern in seiner Fraktion davon gesprochen hat, nun hätten wir wieder die Situation von damals, nämlich als es um den Bestand der Regierung Brandt ging? Das war doch damals die Situation, Herr Wehner, zu der man sich bei Ihnen angeschickt hat, Betriebe zu mobilisieren, zu holzen und mit jedem Gefühlswert die Hitzen anzufachen. Was soll es denn bedeuten, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, davon sprechen, Sie wollten sich mit aller Kraft im innenpolitischen Streit für das volle Engagement der Bürger einsetzen, und dann hinzufügen: „Einige werden mich nicht wiedererkennen" ? Nicht wiedererkennen? Wenn Sie auf diesem Kurs fortfahren wollen, dann zwingen Sie die Bürger dazu, Sie als einen zu erkennen, der sich zwar zunächst für die deutschpolnischen Belange wirklich eingesetzt hat, dann aber umschwenkt, das Polenthema für den Wahlsieg einsetzen will und dabei nicht einmal die Würde des Gegners als Mensch zu achten weiß.
Herr Abgeordneter von Weizsäcker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Nein, ich möchte zu Ende führen.
Helmut Kohl wird dies nicht tun. Ich hoffe, niemand wird dies in Zukunft weiterhin tun. Das Polenthema belastet uns dazu allzu schwer. Wer ihm nützen will, halte auch heute durch und mache nicht diese unsachlichen Zwischenrufe.
Schwierigkeiten gibt es weiter, aber es gibt auch weiter Chancen. Diese wollen wir nützen.
Meine Damen und Herren, zusammen mit meinen Freunden, in deren Namen ich hier spreche, sage ich ja zu dem Abkommen, weil uns dies in der Abwägung des Für und Wider geboten erscheint. Was wir allen anderen zubilligen, beanspruchen wir auch für uns selbst: politische und humanitäre Gründe. Sie lassen sich ohnehin in sinnvoller Weise nicht trennen. Uns scheint die Zustimmung auch deshalb geboten, weil nur andere, Dritte davon profitieren, solange die Angelegenheiten zwischen Polen und Deutschen unerledigt bleiben. Wir müssen aber unsere Zustimmung mit der Kritik an den Verhandlungen der Bundesregierung verbinden. Wir widersetzen uns mit Nachdruck jedem Versuch, das Polenthema für den Wahlkampf zu mißbrauchen; denn dabei
würde keine der Parteien gewinnen, sondern nur die Demokratie verlieren.
Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Arndt .
Ich bitte, dem Redner die Möglichkeit zu geben, mit seinen Ausführungen beginnen zu können.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Mai 1972 habe ich von dieser Stelle aus zu den Verträgen von Moskau und Warschau folgende Erklärung abgegeben, die ich teilweise hier zitieren will:Politisch halte ich beide Verträge um des Friedens und der freiheitlichen Entwicklung unseres Landes für unverzichtbar.
Wird rechtlich einem Friedensvertrag nicht vorgegriffen, den Verfassungsorgane, die vom ganzen deutschen Volk legitimiert sind, abzuschließen hätten, so ist doch die eindeutige Erklärung der vom Grundgesetz konstituierten Organe erforderlich, daß sie im Rahmen ihrer nur von den Deutschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes herrührenden Kompetenz insoweit die Zugehörigkeit der Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zu Polen nicht mehr in Frage stellen. Ungeachtet dieser Rechtslage muß es politisch jedem Deutschen klar sein, daß diese Gebiete für immer für Deutschland verloren sind.Dies ist keine Folge der Verträge, sondern eine solche der Nazi-Diktatur und des von Hitler angezettelten Krieges, für die Sozialdemokraten in diesem Lande die geringste Schuld tragen.Obwohl meine beiden Großväter Ostpreußen waren , mein Vater in Königsberg geboren ist und ich 1945 mit meiner Familie aus Schlesien vertrieben wurde, will ich den Teufelskreis von Haß und Vertreibung jedenfalls für meine Person durchbrechen. Ich gestehe den 40 % bereits dort geborenen Polen und Russen in diesen Gebieten heute das gleiche Heimatrecht zu, das meine Familie und ich bis 1945 dort besessen haben. Gerade auch im Hinblick auf das millionenfache Leid, das im deutschen Namen Polen und Russen von 1939 bis 1945 angetan wurde, halte ich dies auch für moralisch vertretbar und geboten.Soweit meine Erklärung damals. Die Grundgedanken dieser Erklärung sind auch der Grundtenor dessen, was ich heute zu dem hier zur Beratung anstehenden Vertragswerk zu sagen habe; sie geben den roten Faden meiner Stellungnahme ab.Weil das aber so ist, benutze ich — und das ausdrücklich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion — diese Gelegenheit, um das Ergebnis der Er-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15617
Dr. Arndt
klärung, die hier soeben abgegeben worden Ist, nämlich die Zustimmung zu den Vertragswerken durch den Herrn Kollegen von Weizsäcker und andere Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, ausdrücklich zu begrüßen.
Dies schließt nicht unbedingt ein, daß ich mich hier. allen Argumenten Herrn von Weizsäckers anschließen muß,
insbesondere nicht manchem Unterton, den er hier hat mitschwingen lassen. Aber der Respekt vor seiner andersgearteten Meinung läßt uns dennoch das Ergebnis begrüßen, ein Ergebnis, von dem ich sagen muß, daß es bei uns mehr Respekt findet als an anderer Stelle.
Ich will hier nur eine einzige Stimme zitieren, ganz abgesehen von den Meinungsäußerungen und den Lachsalven, die soeben in der CDU/CSU-Fraktion teilweise aufbrandeten, während Herr Kollege von Weizsäcker sprach — nicht gerade ein Zeichen besonderer Hochachtung für alle seine Argumente.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Herr Kollege Mertes, ich habe eine sehr kurze Redezeit; ich bitte um Verständnis, daß ich mich darauf beschränke.Ich will Ihnen nur als einziges Beispiel dafür, wie andere — nicht die Sozialdemokraten — auf diese Haltung reagieren, aus der Tageszeitung „Die Welt" mitteilen, was dem Kollegen Barzel, der die gleiche Meinung vertritt, die der Kollege von Weizsäcker hier heute geäußert hat, dort ans Herz gelegt wird. Es wird zuerst kritisiert, daß er kampflos die Position aufgegeben habe, an der Spitze der nordrhein-westfälischen Landesliste der CDU zu kandidieren, und er habe sich auch weitere Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Dann heißt es weiter:Und jetzt verzichtet Herr Barzel auch noch auf Frontbewährung im Kampf gegen die PolenVerträge und stimmt zu.Sehen Sie, meine Damen und Herren, dies ist nicht der Respekt, den wir Sozialdemokraten jedenfalls dieser Äußerung und denjenigen, die hier, ihrem Gewissen folgend, für die Verträge stimmen, die zur Beratung anstehen, entgegenbringen.
Leider ist Herr Kollege Carstens eben aus dem Saal gegangen, aber ich muß mich hier noch einmal mit ihm und seinem Zahlenspiel auseinandersetzen. Herr Carstens hat vorhin gesagt, 280 000 Deutsche, die ausreisewillig seien, seien für ihn der Fixpunkt, an dem er sich festhalte. Dieses habe vor geraumer Zeit der Außenminister gesagt, und damit sei diesesfür ihn das Maßgebliche. Nun, es wäre sicher gut, wenn Herr Kollege Carstens immer Worte des Außenministers als für ihn so maßgeblich ansähe.Aber wie sind nun die Tatsachen? Meine Damen und Herren, auf dem Tisch bei Ihnen liegt der Bericht des federführenden Ausschusses. In diesem Bericht, der nach tagelangen intensiven Debatten im Ausschuß gedruckt worden ist
— das ist jetzt nicht der Punkt, Herr Kollege Mertes —, finden Sie zu dem Problem der Zahl der ausreisewilligen Deutschen die Mitteilung des Referats des Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes. Er berichtet dort ganz konkret — jeder von Ihnen hat es auf dem Tisch und kann es aktuell mitlesen —, daß 271 000 Deutsche die Ausreise begehrten, als 1969 das Deutsche Rote Kreuz Bilanz aus dem bei ihm vorliegenden Material gezogen habe. Dann — so wird weiter der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes zitiert — habe in diesem Jahr das Deutsche Rote Kreuz die Zahlen aktualisiert und dabei festgestellt, daß 90 000 dieser damals registierten Bewerber nicht mehr die Absicht hätten, auszureisen und sich in diesem Zusammenhang aufführen zu lassen.
— Herr Reddemann, Sie wissen, daß ich von Ihnen keine Zwischenfragen entgegennehme.Wer rechnen kann, wird sofort erkennen, daß 271 000 minus 90 000 niemals 280 000 ergeben, daß also im Ergebnis die Zahl nach der Meinung des Roten Kreuzes — ich zitiere nur den Generalsekretär des Roten Kreuzes, nicht Zahlen, die, wie hier behauptet worden ist, die Regierung vorgelegt haben soll; das Rote Kreuz hat sie auf Grund seiner Archivunterlagen vorgelegt - bei etwa 180 000 liegt.Aber, meine Damen und Herren, niemand von uns hier im Saal kann die Garantie für die Genauigkeit irgendeiner Zahl geben. Auch ich will dieses nicht tun.
— In der Tat, Herr Jahn, wir wollen sie alle heraushaben. Ich werde darauf gleich noch zurückkommen.Wir brauchen doch überhaupt nicht theoretisch zu streiten. Ich begrüße es daher, daß der Präsident und der Generalsekretär des Roten Kreuzes dem Deutschen Bundestag in diesen Tagen ein offizielles Angebot gemacht haben, eine aus Mitgliedern der drei Fraktionen dieses Hauses gemeinsam bestehende Delegation zum Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes nach Hamburg zu entsenden, damit sie sich dort über die wirklichen Zahlen sachkundig machen kann und diese Zahlen hier nicht als ein Schlaginstrument im politischen Kampf benutzt werden können. Dieses ist die richtige Auffassung, die
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15618 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Dr. Arndt
sich aus der Neutralität und Unparteilichkeit einer Institution wie der des Roten Kreuzes ergibt.
— Entschuldigen Sie, Herr Sauer, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. Das gilt auch für eventuelle weitere Bewerber.
Es entspricht auch der Neutralität des Roten Kreuzes, Zahlen zunächst nicht mehr zu bestätigen. Dieses ist eine Art, wie man mit Menschenschicksalen umgeht. So sollten wir alle in Zukunft verfahren.Ein weiterer Punkt: Die Herren Carstens und Wallmann haben zunächst schon im Ausschuß, aber dann später auch hier die Forderung aufgestellt, es sollten objektive Bedingungen für die Ausreise geschaffen werden.Zunächst überlegte man: Was versteht man unter solchen objektiven Bedingungen? Nun, Herr Carstens ließ in seiner Rede die Katze aus dem Sack. Er sagte: Wir hier in der Bundesrepublik wollen darüber mitreden, wer im einzelnen aus der Volksrepublik Polen hierher ausreisen darf.
Was ist das für ein Verständnis unserer Verfassung? Eine deutsche Stelle soll darüber befinden, welchem Deutschen sein Grundrecht auf Freizügigkeit gewährt werden soll und welchem nicht.
Dieses ist schlechterdings mit dem Verständnis von deutscher Verfassung nicht vereinbar. Keine deutsche Stelle kann sich jemals erlauben, einzuteilen:
Du darfst jetzt als erster oder Du darfst überhaupt Dein Grundrecht wahrnehmen, und Du darfst es erst später. Niemand wird sich auch danach drängen, eine solche Aufgabe zu übernehmen.
Ich kann mich über dieses Verfassungsverständnis, das einer solchen Forderung zugrunde liegt, nur zutiefst wundern.
Das letzte Problem, das ich vor Ihnen auszubreiten die Absicht habe, betrifft die Mitteilung, die Sie auch bereits Ihrer Drucksache entnehmen können, nämlich daß zwei Tage intensiver Beratung im Rechtsausschuß ergeben haben, daß gegen alle Bestandteile dieses Vertragswerkes weder verfassungsrechtliche noch völkerrechtliche Bedenken stehen. Auch im Rechtsausschuß war klar, daß der politische Kernpunkt die Frage der menschlichenProbleme, der Aussöhnung mit Polen und der Möglichkeit für die Deutschen, nach hier zu kommen, wenn sie es wollen, war. Es ist die Realisierung und Konkretisierung unseres Willens zur Aussöhnung nach den Qualen und Leiden, die im — wenngleich usurpierten — deutschen Namen dem polnischen Volk zugefügt wurden.Einer der zentralen Kernpunkte war daher für uns die Beratung der rechtlichen Bedeutung des sogenannten Protokolls, jener Rechtsgrundlage, die als Konkretisierung der „Information" für die Ausreise der 120 000 bis 125 000 Personen geschaffen wurde. Die Opposition hat nun die künstliche Frage aufgerichtet, ob dieses Protokoll weniger verbindlich sei als andere Teile des Gesamt-Vertragswerks. Der Rechtsausschuß, der Bundesminister des Auswärtigen und andere haben bereits sehr deutlich klargemacht, daß es im Völkerrecht keine unterschiedliche Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verpflichtungen gibt. Der Bundesminister selbst hat in seinem Schreiben vom 16. Februar auf den berühmten Grönlandfall hingewiesen. Dort hat der Ständige Internationale Gerichtshof in Den Haag bekanntlich sogar die mündliche Äußerung eines Außenministers als völkerrechtlich verpflichtend für das betreffende Land erklärt.
Aber es kommt noch etwas hinzu. Absatz 3 des Protokolls, der vielfach bewußt oder fahrlässig, wie auch im Minderheitenbericht des Rechtsausschusses, mißverstanden wurde, enthält für Polen einen Ratifikationsvorbehalt hinsichtlich der Verträge. Es wirkt also das oberste Staatsorgan, der Staatsrat der Volksrepublik Polen, mit. Es liegt auf der Hand, daß die amtliche Mitteilung über diese Mitwirkung des Staatsrats der Volksrepublik Polen, dieser Staatsrat habe sein Einverständnis zur Ausreiseverpflichtung erteilt, die völkerrechtlich einer Ratifizierungsurkunde bei einem Vertrag entspricht, selbst bei dem Skeptischsten den letzten Zweifel ausräumen muß, daß hier eine unanfechtbare und unaufhebbare Verpflichtung der Volksrepublik Polen begründet wird. Daraus folgt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Mit dem Protokoll verpflichtet sich die Volksrepublik Polen völkerrechtlich so verbindlich, wie sich ein Staat nur verbindlich verpflichten kann, erstens binnen vier Jahren 120 000 bis 125 000 Personen die Ausreise zu gestatten, und zweitens, daß es für alle, auf die die „Information" zutrifft — gleichgültig, wie viele es auch seien —, auch nach Ablauf der im Protokoll genannten Zeit ein Recht auf Ausreise gibt. Diesem Punkt hat übrigens auch die Opposition im Rechtsausschuß zugestimmt.Beide Punkte hat erst gestern — jetzt hören Sie bitte gut zu — auch Professor Dobrosielski, der Direktor des polnischen Instituts für internationale Beziehungen, in Gegenwart zweier Mitglieder des Zentralkomitees der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei — sie haben vor wenigen Stunden dort oben auf der Diplomatentribüne gesessen — ausdrücklich bestätigt. Er hat insbesondere ausdrücklich bestätigt, daß es nicht so ist, wie hier gesagt wurde, es bestehe nur die Verpflichtung, Anträge
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15619
Dr. Arndt
entgegenzunehmen. Er sagte: Was soll eine solche Verpflichtung bedeuten, wenn sie nicht bedeutet, daß diese Anträge, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, auch zu genehmigen sind?
Wir sollten diese erst gestern in Bonn ausgesprochene offizielle polnische Stellungnahme hier nicht übergehen. Sie räumt alles aus, was hier von verschiedener Seite, insbesondere seitens der Opposition, zu diesem Thema gesagt worden ist.Ich stelle damit fest, daß die Voraussetzungen dafür gegeben sind, den Abkommen in ihrer Gesamtheit zustimmen zu können. Sie tragen in allen Teilen rechtlich verpflichtende Wirkung. Gehen wir an das Werk der Aussöhnung! Gehen wir daran, die Brücke zu bauen zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk, zum Nutzen der Jugend, die nach uns kommt!
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß auf zwei Redner der Nachmittagsdebatte noch einmal zurückkommen. Herr Ministerpräsident Kohl hat gesagt, es müsse möglich sein, unter Politikern vertrauliche Meinungen miteinander auszutauschen. Ich stimme dem ausdrücklich zu.
Eine Reihe von Gegenständen aus dem Gespräch zwischen ihm, Herrn Genscher und mir waren in der Tat vertraulich, und es ist überhaupt nicht notwendig, daß sie hier berührt werden. Drei Punkte waren dagegen von staatspolitischer Bedeutung aus diesem Gespräch, nämlich:Erstens. Herr Genscher und ich haben Herrn Kohl zu Beginn des Gesprächs gefragt: Sprechen Sie als endgültig offiziell nominierter Kanzlerkandidat nunmehr für die ganze CDU/CSU, oder sollen wir in staatspolitisch wichtigen Fragen mit den Herren Fraktionsvorsitzenden Carstens und Stücklen reden? Darauf kam die sehr klare Antwort, wir sprächen gegenwärtig mit dem richtigen Mann.Der zweite Punkt, der hier von Bedeutung ist
— ich erwähne es nur, weil es von Bedeutung für das ist, was jetzt kommt: der zweite Punkt war der, daß wir gefragt haben — nicht nach einer „Blankovollmacht", wie hier jemand gesagt hat — ich weiß nicht mehr, wer es gewesen ist —, sondern daß wir gefragt haben: Können wir davon ausgehen — nachdem wir wußten, was der Herr Ministerpräsident Kohl persönlich dachte und was an Meinungsbildung allüberall in seiner Partei sich vollzog; das vollzog sich ja zum Teil öffentlich —, daß im Bundesrat jene Vereinbarung mit Polen, jenes Abkommen ratifiziert werden wird, das wir ja noch garnicht paraphiert hatten; können wir davon ausgehen? Daraufhin gab es eine positive Antwort.
Darauf kam die dritte Frage von unserer Seite: Da Herr Genscher — es war drei Wochen vor seiner Reise nach Warschau — demnächst in Warschau danach gefragt werden wird, ob das, was er paraphiert, und so, wie er es paraphiert, nach dem deutschen Grundgesetz ratifiziert werden würde: Können wir den Polen mitteilen, daß ratifiziert werden würde? Daraufhin kam die Antwort, daß der Herr Ministerpräsident sich dies überlegen wolle.Da haben wir gefragt: Wie lange dauert diese Überlegung? Können wir damit rechnen, daß wir zu dieser Frage eine endgültige Antwort von Ihnen kriegen, ehe Herr Genscher nach Warschau abreisen muß? — Das lag damals noch drei Wochen in der Zukunft. — Können wir diese Antwort bekommen, ehe daß Herr Genscher abreisen muß? Die Antwort lautete: Ja, damit können Sie rechnen. Wir haben dann Herrn Kohl in dieser Sache nicht weiter bedrängt. Es lag auch gar kein Grund vor, und das Gespräch wendete sich anderen Themen zu, über die zu berichten hier kein Anlaß ist.Ehe dann Herr Genscher nach Warschau gefahren ist, ist ein erneutes Gespräch — telefonisch — zwischen ihm und dem Ministerpräsidenten Kohl gewesen, von dem ich unterrichtet wurde; denn wir hatten miteinander gemeinsam zu entscheiden, wie nun bei den Gesprächen, die der Paraphierung in Warschau vorangehen würden, der Vertreter der deutschen Regierung, nämlich der Außenminister, sich zu stellen und wie er zu antworten haben würde. Bei dieser zweiten Gelegenheit ist die Überzeugung vermittelt worden — und so hat sie, auf das Gespräch sich gründend, der Vertreter der Bundesregierung in Warschau dem Vertragspartner weitergegeben, und das ist auch kein Privatgespräch in einem solchen Zusammenhang —, daß die Ratifikation in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz vonstatten gehen würde.Was alles sonst darüber gesagt und geschrieben worden ist — mir tut es leid, ich habe mich hier nicht dazu gedrängt, das voll auszubreiten;
aber die kurze Zwischenfrage von Herrn Genscher und die allzu kurze Zwischenantwort von Herrn Kohl hat in allzu großer Unklarheit gelassen, was hier wirklich vorgegangen ist.
Man könnte nun auch, Herr Kollege Jenninger, wahrscheinlich verstehen, warum ich Wert darauf legte, am Anfang gefragt zu haben, ob der Herr Ministerpräsident nur für sich oder seine Landesregierung oder für die ganze Union spricht. Das war in diesem Zusammenhang von ganz großer Bedeutung.Da ich gerade das Wort habe, will ich auch etwas zu einer anderen Äußerung sagen, die heute nachmittag durch den Herrn Ministerpräsidenten gefallen ist. Er hat auf ein Telegramm unseres Botschaf-
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15620 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Bundeskanzler Schmidtters in Paris, des Freiherrn von Braun, verwiesen, in dem unter anderem über sein — des Herrn Ministerpräsidenten Kohl — Gespräch mit dem französischen Präsidenten berichtet wird. Der Bericht über das Gespräch mit dem Präsidenten umfaßt eine Seite. Sie haben einen Satz daraus zitiert. Sie haben richtig zitiert, Herr Ministerpräsident; aber das Thema Polen macht die Hälfte in diesem Bericht des Botschafters aus. Wenn Sie die anderen Teile auch vorlesen wollen, hätte ich nichts dagegen, Herr Ministerpräsident.
— Ich hätte nichts dagegen; möge er es doch vorlesen. Ich kann es ihm auch übermitteln, damit er es vorliest.
Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Redner die Möglichkeit zu geben, seine Ausführungen zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde dem Ministerpräsidenten den Bericht gleich gerne zur Verfügung stellen. Er kann ihn ganz vorlesen, wenn ihm danach ist. Es ist nichts Unangenehmes und nichts für irgend jemanden Abträgliches darin.
Es ist aber fraglich, ob sein bisheriges Zitieren nur eines einzigen Satzes dann noch genauso authentisch Auskunft gibt über den Gesamtinhalt des Gesprächs, wie es vorhin geschienen haben mag.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich bitte um Entschuldigung, ich will jetzt zum Schluß kommen.
Herr Ministerpräsident Kohl hat Ausführungen über das gemacht, was ich irgendwo zum Thema „Vierte Partei" gesagt haben soll. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß das im Protokoll des Deutschen Bundestags gelesen werden kann, gesagt in der Debatte zur Lage der Nation, für die Bundesregierung sprechend. Im Ergebnis, Herr Ministerpräsiden, unterschied es sich nicht von Ihrer heutigen Wertung. Wenn Sie es gesehen haben, bitte ich Sie, in diesem Punkt mit mir nicht weiter zu polemisieren. In diesem Punkt sind wir beide auch im Gesamtzusammenhang des politischen Parteienspektrums, von dem Sie gesprochen haben, offensichtlich einig.
Ich muß aber auch darauf zurückkommen, daß Sie sagten, ich hätte gewußt, Sie seien, als Sie bei irgendeiner Debatte nicht hier waren, bei der Beerdigung eines Freundes gewesen. Es tut mir leid, ich habe es nachträglich erfahren. Es tut mir wirklich leid; ich habe es nicht gewußt.
Eine Bemerkung zum Herrn Kollegen von Weizsäcker. Herr Kollege von Weizsäcker hat gemeint, man solle die Würde des Gegners wahren. Ich stimme dem zu.
Daß das dem einen oder anderen nicht immer ganz gelingt, haben wir sicherlich auch im Laufe des heutigen Tages gemerkt.
Soweit er mich damit gemeint hat, bezog er sich auf ein Interview in der „Süddeutschen Zeitung". Das kann ja jeder lesen. Das muß ich hier gar nicht verteidigen; das ist nämlich gar nicht schlecht.
Nun, Herr Kollege von Weizsäcker: Sie müssen wissen, daß es auf unserer Seite sehr viel Zurückhaltung erfordert, auf den öffentlich — nicht hier in diesem Hause — wiederholt erhobenen Vorwurf des Herrn Ministerpräsidenten, von dem wir sprechen, die Sozialdemokratische Partei bediene sich „nazistischer Methoden", zurückhaltend zu antworten.
— Es täte mir leid, wenn die Abgeordneten der CDU/CSU dem Kollegen von Weizsäcker nicht die Gelegenheit gäben, meine Antwort an ihn zu verstehen. Genauso, Herr von Weizsäcker, macht es der Vergleich mit Mafia-Bossen außerordentlich schwer, darauf zurückhaltend zu antworten.
Das Wort hat nach Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes der Herr Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, das, was ich in meinem Debattenbeitrag zu allen hier anstehenden Fragen gesagt habe, noch einmal zu wiederholen. Aber drei Bemerkungen von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zwingen mich dazu, hier noch einmal zu sprechen. Ich beginne mit der letzten.Sie haben mich auf meine öffentliche Äußerung angesprochen, daß sich die SPD nazistischer Metho-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15621
Ministerpräsident Dr. Kohlden bediene. Herr Bundeskanzler, Sie müssen auch hier korrekt, d. h. umfassend, zitieren. Ich habe das im Hinblick auf die für mich völlig unverständliche und unerträgliche Tatsache gesagt, daß in dem SPD-Mitgliedermagazin Nr. 1 für den Monat Januar mit einer Auflage von weit über 1 Million unter der Überschrift „Sicherheitsrisiko" Dinge dargeboten werden,
die — das sage ich ganz klar — in Form und Inhalt an nazistische Methoden erinnern.
Herr Kollege Brandt — —
— Meine Damen und Herren, hören Sie erst einmal die jetzt folgenden Sätze an.
Herr Kollege Brandt,
Sie sind Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei,
ich bin Vorsitzender der Union.
Was würden Sie sagen — das ist meine konkrete Frage an Sie —, wenn in einem Druckerzeugnis der CDU eine Guillotine — —(Wehner [SPD] : „Deutschlandmagazin" z. B.!— Anhaltende Unruhe)
Meine
Damen und Herren, ich bitte, dem Redner die Möglichkeit zu geben fortzufahren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie mich hier auf diese Dinge ansprechen, müssen Sie meine Antwort ertragen.
Herr Kollege Brandt, ich frage jetzt als Vorsitzender der CDU
den Vorsitzenden der SPD:
Was würden Sie sagen, wenn in irgendeiner Zeitung oder Zeitschrift der Union
eine Guillotine aus der Nazizeit abgebildet würde
und darunter geschrieben stünde: „Dies sind die Resozialisierungsmaßnahmen der SPD im Gefangenenvollzug" ?
Ich habe in meiner amtlichen Verantwortung als deutscher Ministerpräsident seit vielen Jahren mit dem Strafvollzug und der Resozialisierung von Strafgefangenen zu tun. Ich habe eine Begnadigungspraxis, Herr Kollege Brandt, die sich sehen lassen kann. Ich lasse mir als Vorsitzender der Union von niemandem sagen, daß Fragen der Gefangenenresozialisierung von der Union durch die die Guillotine im Sinne der Nazibarbaren gelöst würden.
Damit das ganz klar ist, Herr Kollege Brandt: Wenn Sie jetzt an dieses Pult gehen und sagen, Sie bedauern, daß die Union in diesem Mitgliedermagazin in einer solchen Weise dargestellt wird, gehe ich anschließend sofort hierher und nehme diesen Ausdruck zurück.
— Herr Kollege Wehner, den Vergleich mit Nazi-Propagandamethoden.
— Natürlich!
Zweitens.
— Meine Damen und Herren von der SPD, Sie dürfen nicht glauben, daß Sie sich anderen gegenüber alles erlauben dürfen, und wir sollen schweigen.
Herr Bundeskanzler, ich hätte es begrüßt, daß, wenn Sie mich in diesem Zusammenhang apostrophieren — und ich sage noch einmal, ich nehme dieses Wort sofort zurück, wenn sich die SPD öffentlich von diesem Bild distanziert —, Sie dann wenigstens in Ihrer Funktion als Stellvertretender Vorsitzender der SPD das offensichtlich Notwendige getan hätten.
Zweitens. Ich weiß nicht, was Ihr Hinweis auf das Gespräch oder das Telegramm des Botschafters soll. Ich habe doch diese Frage hier nicht angesprochen, sondern Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte in dieser Sache in der Öffentlichkeit etwas nicht Zutreffendes gesagt. Ich habe aus diesem Bericht— ich wußte gar nicht, daß es ein Telegramm ist — nur den Satz zitiert, der in Wirklichkeit gesagt wurde. Ich zitiere doch nicht aus Gesprächen, die
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15622 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Ministerpräsident Dr. Kohlich unter vier oder sechs Augen führe, Herr Bundeskanzler.
Ich habe mich auch nicht gedrängt, dieses Thema hier auszubreiten.
Nur, Herr Bundeskanzler, Sie arbeiten doch hier jetzt mit Andeutungen. Ich habe erklärt — was ist daran eigentlich so erstaunlich, daß Sie das beinahe pathetisch gesagt haben? —, daß ich dieses Gespräch als Kanzlerkandidat der Union führe. Daran müssen Sie sich gewöhnen, daß ich diese Gespräche als Kanzlerkandidat der Union führe. Natürlich paßt es in Ihr Feindbild, das Sie hier heute in Ihrer Rede aufgemauert haben,
daß da immer -fremde Einflüsse vorhanden sind. Herr Bundeskanzler, ich bin Manns genug, mit Ihnen zu reden oder nicht zu reden, wie immer ich das für richtig halte. Ich gebe aber Richard von Weizsäcker recht. Meiner Darstellung des Gesprächs von vorhin habe ich kein Wort hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, überlegen Sie wirklich einmal, wohin wir in dieser Bundesrepublik gelangen,
wenn durch diese Art des Umgangs miteinander
ein normales, menschlich vernünftig begründetes Gespräch nicht möglich ist. Wir sollten nicht nur über den Frieden und den Ausgleich und die Versöhnung nach draußen nachdenken — und ich sage es für mich selbst —, wir sollten jeder für sich auch die Frage stellen, ob jeder seinen Beitrag für den Frieden und die Versöhnung nach innen leistet.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will keine Rechnungen aufmachen. Herr Ministerpräsident Kohl, ich könnte hier aus Presseorganen zitieren, wenn ich sie zur Hand hätte.
Meine Damen und Herren, ich habe das Gefühl, daß wir alle zunächst einmal Ruhe bewahren sollten, um die Möglichkeit zu geben, die Dinge zu klären.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will hier keine Rechnungen aufmachen, sondern Ihnen zunächst einmal folgendes sagen, Herr Ministerpräsident. Ich bin fast ebenso betroffen darüber, daß Sie nicht zur Kenntnis genommen und dem Haus heute nicht gesagt haben, was in dieser Frage passiert ist, über die Sie sich beschweren. Was war der Tatbestand?
Der Tatbestand war der, daß nicht der Vorstand der SPD etwas herausgegeben hat, sondern daß ein junger Redakteur
etwas geschrieben hat, was sich auf die unbestreitbare Tatsache bezog, daß einige Mitglieder der COU und besonders der CSU Anhänger der Todesstrafe sind und wir diese ablehnen.
Das, was dieser Redakteur hat darstellen wollen, ist in einer unserer Meinung nach völlig unmöglichen Form dargestellt worden.
Herr Ministerpräsident Kohl, der Chefredakteur des SPD-Mitgliedermagazins hat. seine Betroffenheit über den Vorgang zum Ausdruck gebracht und seine Reaktion mitgeteilt.
Der Pressesprecher der SPD, Herr Schwarz, hat Ihren Pressesprecher, Herrn Weiskirch, auf diesen Artikel und diesen Ausdruck der Betroffenheit hingewiesen und Herrn Weiskirch gebeten, Ihnen dies zu sagen. Ich weiß von Herrn Biedenkopf, daß es Ihnen gesagt worden ist. Warum stellen Sie es hier so dar, als ob dies nicht geschehen wäre?
Nehmen Sie Ihre ungeheuerliche Beschuldigung gegen die deutschen Sozialdemokraten zurück!
DasWort hat der Herr Ministerpräsident Kohl.Ministerpräsident Dr. Kohl (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Bemerkungen zu dem, was hier eben gesagt wurde. Herr Kollege Brandt, die erste Bemerkung, die Sie gemacht haben, war wiederum sehr interessant. Sie
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15623
Ministerpräsident Dr. Kohlhaben hier gesagt, daß einige Mitglieder der CDU/ CSU Anhänger der Todesstrafe seien.
Ich muß Sie jetzt wirklich fragen: Was hat das mit dieser Frage überhaupt zu tun?
Meine Damen und Herren, ich, der ich ein leidenschaftlicher Gegner der Todesstrafe bin, brauche Ihnen in diesem Saal doch wohl nicht zu sagen, daß wir, die Gegner der Todesstrafe, in der Gesamtbevölkerung mit Sicherheit nicht in der Mehrheit, sondern eher in der Minderheit sind. Wenn das so ist, Herr Kollege Brandt, was soll dann diese Ihre Bemerkung? Das ist eine Frage, die zum Freiheitsraum des Kollegen Jaeger gehört. Es gibt hochrespektable Rechtsgelehrte auf der ganzen Welt, überzeugte Demokraten, die Anhänger der Todesstrafe sind. Sie haben doch ganz selbstverständlich das Recht für sich, Anhänger zu sein, in gleicher Weise, wie ich das Recht habe, Gegner zu sein. Wenn das so ist, was ist es dann für eine Denkkategorie, sozusagen ex cathedra zu verfügen, daß das eine moralisch und das andere unmoralisch sei?
Das ist eine Frage, über die von den Deutschen vor der Geschichte mit großer Betroffenheit zu reflektieren ist, nicht mehr und nicht weniger.
Eine zweite Bemerkung. Herr Kollege Brandt, nur damit wir die Enden wieder zusammenbekommen: Nicht ich habe hier die Sozialdemokraten angegriffen.
Nicht ich habe diesen Gegenstand in die Debatte eingeführt. Der Herr Bundeskanzler hat mir dieses Zitat vorgeworfen. Das war doch der Grund, warum ich überhaupt darüber gesprochen habe. Herr Kollege Brandt, meine Reaktion, die hier zitiert wurde, geschah zu einem Zeitpunkt, als von Ihrer Seite von überhaupt keiner Reaktion die Rede war. Jetzt sagen Sie, es sei ein junger Redakteur gewesen. Ich kann das nicht widerlegen und will es auch nicht tun. Sie sagen weiter, der Pressesprecher der SPD, Herr Schwarz, habe Herrn Weiskirch mitgeteilt,
er bedaure diese Darstellung.
Verehrter Herr Kollege Brandt, wenn so eine Ungeheuerliclikeit in irgendeinem Presseorgan der Union steht, erwarten Sie von mir, daß ich sage: Ich billige das nicht! Ich erwarte von Ihnen, daß Sie das gleiche tun und dies nicht auf einen Redakteur abschieben.
Ich füge das hinzu: Nachdem ich Sie hoffentlich so verstehen darf, daß nicht nur Herr Schwarz, sondern auch Sie selbst hier vor dem Forum des Bundestages die Darstellung in dieser Form mißbilligen, nehme ich selbstverständlich auch meinerseits den von mir gebrauchten Ausdruck zurück.
Das
Wort hat gemäß Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes
der Senatspräsident der Freien Hansestadt Bremen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn nach Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes die Ministerpräsidenten das Wort nehmen dürfen, nehme ich es auch. Das zunächst einmal.
Zweitens glaube ich, daß der Ansatz zu einem vernünftigen Gespräch wieder möglich ist, nachdem der Kollege Kohl eben den Vorwurf zurückgenommen hat.
— Ich schieße nicht nach. Aber, Kollege Stücklen, vielleicht ist es doch notwendig, in diesem Kreise eine Bitte zu äußern. Wir wissen, daß in der Zeit der Verfolgung im Nazisystem viele Bürger dieses Landes ihr Leben lassen mußten. Wir wissen, daß diese Bürger aus den verschiedensten Schichten kamen und daß es keine Schicht gab, die kein Opfer gebracht hat. Wenn sich dann der Chefredakteur der Zeitung entschuldigt, nachdem er darauf aufmerksam gemacht worden ist, kann man zum Schluß noch darüber streiten, wie wir es gemeinsam erreichen können, daß so etwas nicht wieder geschieht. Aber dann bitte auch beim „Bayernkurier", meine Damen und Herren!
Jetzt wende ich mich an nicht an Sie, Herr Kohl; denn Sie sind in diesem Falle Kanzlerkandidat, aber nicht Vorsitzender der CSU. Ich wende mich im Augenblick an den Fraktionssprecher der CSU,
weil sein Vorsitzender nicht anwesend ist — aus ehrbaren Gründen, wie wir wissen —, und bitte jetzt Stücklen und Anhang, dafür zu sorgen, daß mit der gegenseitigen Verleumdung zwischen den Parteien Schluß gemacht wird.Ich gehe davon aus, daß wir nach einem harten Wahlkampf auch am 4. Oktober 1976 gemeinsam unter Beachtung allgemeiner staatlicher Prinzipien arbeiten müssen. Jetzt ist es an Ihnen, hier aufzutreten und sich dafür zu entschuldigen, daß Sie Sozialdemokraten häufig in die Nähe der Kommu-
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15624 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Senatspräsident Koschnicknisten oder der Baader-Meinhof-Gruppe gebracht haben.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte zu Beginn auf eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers von heute nachmittag eingehen, in der er unserem Fraktionsvorsitzenden vorwarf, daß er gegen den Ausdruck Bevölkerungsverschiebungen polemisiert habe. In dem Gesetzentwurf — Drucksache 7/4310 — steht der Ausdruck Bevölkerungsverschiebungen. Es ist richtig, daß der Herr Bundesaußenminister heute vormittag von Vertreibung gesprochen hat. Aber es ist nicht einzusehen, daß die Bundesregierung einen Ausdruck aus den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen übernommen hat, von denen wir wissen, daß der Begriff Vertreibung für die polnischen Angehörigen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission ein Reizwort war. Wir sollten bei der geschichtlichen Wahrheit bleiben. Verbrechen unter Hitler müssen Verbrechen genannt werden. Verbrechen unter dem Kommunismus müssen auch Verbrechen genannt werden.
Zum anderen haben Sie, Herr Bundeskanzler, heute — wie auch schon im Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland — wieder darauf hingewiesen, welche Leiden die Vertriebenen auf sich nehmen mußten und daß wir wissen, was die Vertriebenen zu leiden hatten. Darum ist bei Gott nicht einzusehen, daß sich die Bundesregierung weigert, die Dokumentation über die Verbrechen der Vertreibung der Öffentlichkeit vorzulegen. Das kann ich nur als eine Gefälligkeit in eine ganz bestimmte Richtung bezeichnen. Es gehören alle Dokumente, auch die Zusammenfassung dieser Akten, auf den Tisch der Öffentlichkeit.
Nun zu Ihnen, Kollege Arndt. Sie treiben dasselbe Verwirrspiel mit Zahlen, auf das sich seit langem Ihr Fraktionskollege Bruno Friedrich eingelassen hat. Es soll plötzlich nicht mehr wahr sein, daß beim Deutschen Roten Kreuz 280 000 Aussiedlungswünsche registriert sind. Es ist heute vormittag und nachmittag wiederholt darauf verwiesen worden, daß der Herr Bundesaußenminister sowohl am 7. November vor dem Bundesrat als auch am 26. November 1975 vor dem Bundestag ausdrücklich gesagt hat, wir haben von noch mindestens 280 000 Aussiedlungswünschen auszugehen. Hier wird völlig falsch aus dem Auswärtigen Ausschuß zitiert, indem sich diejenigen, die an diesen Zahlen manipulieren wollen, auf den Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes berufen. Das Deutsche Rote Kreuz steht nach wie vor auf dem Standpunkt, daß im Dezember 1974 die letzte aktualisierte Liste über die Aussiedlungswilligen dem Polnischen Roten Kreuz übermittelt worden ist. Jetzt hat, wenn die „Information" einen Sinn hat, Artikel 3 dieser „Information" zum Warschauer Vertrag zu gelten. Jetzt muß das Polnische Rote Kreuz diese Listen prüfen und dem Deutschen Roten Kreuz mitteilen, wie viele von den Aussiedlungswilligen ihren Wunsch aufrechterhalten. Dazu hat das Polnische Rote Kreuz über ein Jahr Zeit gehabt, und nichts ist geschehen.Zum andern ist es eine Milchmädchenrechnung, wenn gesagt wird, bereits im Jahre 1970 seien etwa 270 000 oder 280 000 Aussiedlungswillige dem Deutschen Roten Kreuz bekannt gewesen, 60 000 seien hierher gekommen, und 90 000 hätten ihr Begehren nicht erneuert. Wenn man redlich ist, müßte man hinzufügen: Warum haben diese 90 000 ihr Begehren nicht erneuert? Zum Teil, weil sie die Schikanen nicht aushalten wollten, und zum Teil, weil sie darüber gestorben sind, weil sie es nicht mehr erlebt haben, ausreisen zu können.
Es ist verschwiegen worden, auch von Ihnen, Herr Kollege Arndt, daß inzwischen 150 000 neue Anträge gestellt worden sind. Warum wird diese Zahl unterschlagen?
Inzwischen haben wir die Antworten des Herrn Bundesaußenministers auf die Fragen des Bundesrates. Auch er bezieht sich auf die Aussiedlungsziffer und geht nun von Aussiedlungswünschen aus. Er schreibt, daß ebensowenig zuverlässig gesagt werden kann, ob alle diese Personen, die ausreisen wollen, die Kriterien erfüllen. Hier, meine ich, ist höchste Wachsamkeit geboten. Die polnische Seite spricht immer davon: „Wir lassen den und jenen nicht aussiedeln, weil er die Kriterien nicht erfüllt." Darüber können wir nicht befinden, weil das in die Souveränität etwa der polnischen Lokalbehörden gehört. Wir haben von den Zahlen auszugehen. Wir sollten uns nicht auf diese Rechnerei mit Kriterien einlassen, sondern sollten für alle geradestehen, deren Wünsche wir in der freien Bundesrepublik Deutschland kennen.
Mit Recht ist in der Einlassung vom Bundesaußenminister, wie auch in dem einstimmig gefaßten Beschluß des Rechtsausschusses auf die Geltung der „Information" verwiesen worden. Hier muß aber an die Bestimmungen dieser „Information" zum Warschauer Vertrag erinnert werden. An den Art. 3, daß man Listen austauscht, habe ich schon erinnert. Jetzt möchte ich auf den Art. 4 hinweisen, worin es heißt, daß das Deutsche Rote Kreuz vom Polnischen Roten Kreuz darüber informiert wird, aus welchen Gründen ein Antrag abgelehnt wird. Bis heute ist eine derartige Information in den letzten vier Jahren dem Deutschen Roten Kreuz gegenüber nicht erteilt worden. Wir müssen leider sagen, daß die „Information" von der polnischen Seite nicht erfüllt worden
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15625
Dr. Hupkaist. Hierin befinden wir uns sogar in Übereinstimmung mit der Bundesregierung.Nur sollten wir noch darüber hinausgehen und hinzufügen: Sie ist leider auch wiederholt verletzt worden. Ich sehe eine Verletzung dieser „Information" darin, daß diejenigen, die aussiedeln wollten, den gemeinsten Schikanen ausgesetzt gewesen sind.
Wir haben doch die Zahl, daß 5 000 Aussiedlungswillige entlassen, daß 15 000 tiefer eingestuft worden sind. Diese Zahl mußte im Frühjahr 1973 sogar von der Bundesregierung bestätigt werden.
Im Augenblick herrscht etwa in Oberschlesien die Atmosphäre: Rette sich wer kann! Hoffentlich komme ich noch heraus. Ich weiß nicht, was nach der Wahl zum Deutschen Bundestag am 3. Oktober werden wird, ob dann nicht wieder mit Vehemenz Schikanen einsetzen, die es mir unmöglich machen, von der Möglichkeit zur Aussiedlung Gebrauch zu machen.Aussiedler, die ich selbst vor 14 Tagen in Friedland sprechen konnte, haben mir gesagt, daß es jetzt schon in manchen Orten den einen oder anderen gibt, der seinen Antrag zurückgegeben hat, weil er Angst hat, er könne nicht zu den 125 000 gehören. Also müsse er über den 1. Januar 1980 hinaus dableiben, und da habe er nicht die Gewißheit, ob er jemals herauskomme. Er sei nicht stark genug, um Schikanen zu erleiden, weswegen er diesen Antrag zurückziehe.
Ich selbst habe einen Brief hier von jemandem, der am 11. Februar, also vor genau acht Tagen, seinen Antrag auf Aussiedlung wieder zurückbekommen hat — zum zwölften Mal. Das bedeutet, daß man das, da dann immer ein Einspruch erhoben wird, mit zwei multiplizieren muß, so daß hier jemand 24mal eingegeben hat, um aussiedeln zu können, ohne bis heute die Chance erhalten zu haben, daß er aussiedeln darf. In gleicher Weise hat mir soeben Kol- lege Sauer über Briefe berichtet, die er in der Hand hat.Aber wir sollten, da hier schon so viel von Zahlen die Rede ist, auch einmal die Politik der „Menschen in Raten" ansprechen. Es ist doch erschütternd, daß in dem Augenblick, als die Ratifizierung des Warschauer Vertrags vor dem Deutschen Bundestag anstand, nämlich im Jahre 1971, 25 000 Aussiedler zu uns kommen konnten. Kaum war die Ratifizierung erreicht, drosselte die polnische Regierung die Ausreise der Deutschen, und es kamen nur noch 13 000. In den nächsten Jahren waren es 8 900, dann 7 800 und schließlich nur noch 7 000.In diese Zahlen muß die große Zahl derer mit einbezogen werden, die als „Illegale" — so der Fachausdruck; Herr Kollege Wallmann hat heute früh daran erinnert — hier bleiben. Das sind Besucher — bekanntlich läßt die polnische Regierung immer nur eine Ehehälfte ausreisen —, die hier bleiben in der Hoffnung, weil sie so oft enttäuscht worden sind, auf diese Weise nun endlich ihre andere Familienhälfte mit den Kindern herauszubekommen. Das dauert dann zwei, drei und mehr Jahre, bis diese Familien zusammengeführt werden können. So ist — das müssen wir hier in aller Offenheit sagen — aus der Familienzusammenführung vielfach eine Familienzerreiflung geworden, etwas Inhumanes und nicht etwas Humanes.
Nun hören wir jetzt, daß in den nächsten vier Jahren 125 000 zu uns kommen sollen und daß - jedenfalls können wir uns des Zahlenspiels der Sozialdemokraten nicht bedienen — 160 000 nicht wissen, was aus ihnen wird. Hier hat nun die Bundesregierung eine Antwort bereit, indem sie sagt, es gebe ja in diesem Protokoll eine Offenhalteklausel. Diese Offenhalteklausel ist zunächst einmal eine binnendeutsche Auslegung eines Satzes aus dem Protokoll. Es gibt bis heute für diese Offenhalteklausel keine Bestätigung aus offiziellem polnischem Mund.
Im Gegenteil, der mehrmals zitierte Professor Stomma hat in einem Interview gesagt, daß jetzt ein Dach über die letzten 125 000 gebaut sei.
Und der stellvertretende polnische Außenminister Czyrek hat gesagt, das sei eine einmalige und letzte Aktion. Das, was in der Offenhalteklausel steht, wenn man sie so lesen will, wie die Bundesregierung sie liest, heißt, daß noch Anträge nach 1980 gestellt werden können. Wer diese Praxis mit der „Information" bis zum heutigen Tage genau verfolgt hat, muß doch dann die Frage stellen: Besteht auch die Gewißheit, daß alle diejenigen, die vielleicht noch einen Antrag stellen können, auch die Erlaubnis erhalten werden, auszureisen? Diese Gewißheit besteht eben nicht.
Auch der von Ihnen, Herr Arndt, hier mit angeführte, zur Zeit sich in der Bundesrepublik befindende Direktor des Instituts für Auswärtige Politik, Herr Professor Dobrosielski, hat in einem Interview im Deutschlandfunk auch nur gesagt: Wir werden diese Anträge annehmen und natürlich nicht in der Schublade liegenlassen. Das besagt überhaupt nichts. Es ist nicht zu verstehen, daß der Bundesaußenminister nicht in Warschau diese Offenhalteklausel so definiert hat, wie er sie im Auswärtigen Ausschuß und im Bundestag immer definiert. Das wäre doch der richtige Ort gewesen,
um von dieser Offenhalteklausel tatsächlich die Legalität und diese Wirkung zu erhalten, die wir uns alle gemeinsam wünschen.Vielfach wird übersehen, wenn von der besonderen Bedeutung dieser humanitären Frage gesprochen wird, daß es die CDU/CSU-Abgeordneten die-
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Dr. Hupkases Hohen Hauses gewesen sind, die allein und ständig im Deutschen Bundestag die Bundesregierung befragt haben, wie es denn um das Schicksal der Deutschen jenseits von Oder und Neiße steht. Kein einziger SPD-Abgeordneter oder FDP-Abgeordneter hat nur eine einzige eigene Frage nach dem Schicksal der Deutschen jenseits von Oder und Neiße gestellt.
Gewiß, es sind Fragen nach dem Schicksal der Chile-Flüchtlinge gestellt worden. Niemand hat etwas dagegen, daß auch nach dem Schicksal der Chile-Flüchtlinge gefragt wird. Aber ich meine, es gehört zu unserer Pflicht, als frei gewählter Abgeordneter Anwalt derer zu sein, die selbst nicht für sich sprechen können, die aber darauf warten, daß wir ihr Anwalt hier in Freiheit sind.
— Ich meine, die Fragestunde ist der richtige Ort. Ich lasse mir auch nicht von Herrn Wehner das Maul verbieten, indem er von Warschau aus sagt, hier sei mit „infamen Unterstellungen" operiert worden. Ausgerechnet in Warschau, in der Hauptstadt des Staates, der den Deutschen die Ausreise verweigert hat.
Wir haben große Vorbilder gerade aus der Sowjetunion. Denken Sie an Solschenizyn, solange er in der Sowjetunion war, denken Sie an Sacharow. Dort braucht man Mut, um für die Menschen einzutreten. Von uns verlangt man keinen Mut, sondern nur, daß wir das Selbstverständliche als Menschen für unsere Landsleute tun.
Ich muß zum Schluß kommen. Es muß in der Tat unglaubwürdig erscheinen, die deutsch-polnische Verständigung immer nur herbeireden zu wollen. Der Ausgleich zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk bedarf der Gewährung und Sicherung der Menschenrechte als eines sicheren Fundaments. Wenn aus polnischem Munde jetzt zu vernehmen war, daß man nicht mehr bereit sei zu verhandeln — das sagte Herr Professor Dobrosielski vor wenigen Tagen —, falls die deutsch-polnischen Vereinbarungen in der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt würden, muß darauf geantwortet werden, daß es sich immer lohnt, über Menschenrechte, Freiheit und Frieden zu verhandeln. Es ist darum auch nicht richtig, daß, wie die Bundesregierung behauptet, die Aussöhnung mit Polen mit der Annahme oder Ablehnung dieser Vereinbarungen gleichzusetzen sei. Die Verständigung und der Ausgleich mit Polen sollten uns allen gemeinsam so viel wert sein, daß man sie nicht von dem Ja zu einer schlecht ausgehandelten Sache abhängig macht. Es muß darum neu verhandelt werden, damit bessere Ergebnisse erzielt werden, Ergebnisse, hinter denen nicht nur die Regierungen, sondern die Mehrheiten der Völker stehen. Es darf nicht Aussiedler erster und zweiter Wahl oder Qualität geben. Es darf keine Deutschen ohne Rechte geben! Das Neinzu diesen deutsch-polnischen Vereinbarungen ist zugleich ein Ja zur ewigen deutsch-polnischen Nachbarschaft. Sie zu stärken, bedeutet, die zwischen unseren Völkern befindlichen Probleme ganz zu lösen und nicht völlig unzureichend, wie es jetzt geschehen soll.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die umfangreiche Debatte konnte den aufmerksamen Zuhörer weder davon überzeugen, daß diese zwei Rentenabkommen und die begleitenden Dokumente — ich sage: leider zu einem echten Ausgleich helfen, noch vor allem, daß sie zur Sicherung der Freizügigkeit oder der Menschenrechte der Deutschen einen echten Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, es ist richtig — und das habe ich nie verschleiert —, daß auch Deutsche furchtbare Verbrechen begangen haben, aber damit darf man nicht die aktuelle Versagung eines Teils der Grund- und Menschenrechte an Tausende unschuldige Deutsche nach 30 Jahren rechtfertigen oder verschweigen wollen. Ich bedauere es zutiefst, daß der Bundesvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in einer 50minütigen Rede nicht einen einzigen Satz zu den Opfern dieser falschen Verhandlungspolitik gesagt hat.
Meine Damen und Herren, man muß — das möchte ich Herrn Brandt sagen — gegen übersteigerten deutschen Nationalismus antreten; man darf sich aber auch nicht davon abhalten lassen, die Nachbarn vor ihrem Nationalismus zu warnen und auch den polnischen Nachbarn zu helfen, vom nationalistischen Roß herunterzusteigen. Sonst kann kein Ausgleich wachsen. Die Behandlung der Deutschen in der Heimat reißt neue Gräben auf. Lange vor den Verträgen habe ich mich auf den Standpunkt gestellt — ich sage das bewußt —, daß wir den Ausgleich auf der Grundlage der Achtung, der Würde, der Freiheit und der angemessenen Entfaltung unseres Nachbarvolkes suchen müssen. Aber wir wollen diesen Ausgleich ohne Preisgabe der Rechte des eigenen Volkes und ohne Preisgabe der Menschenrechte für die Deutschen. Sie schreiben diese zweite Säule des Ausgleichs ganz klein, Sie behandeln sie kaum.
1970 hat unsere Regierung verkündet, sie habe verbindliche schriftliche Zusagen über die Ausreise für jene Deutschen, die ausreisen wollen, in der sogenannten „Information" von 1970. Diese wurde damals als die Vertragsgrundlage des Warschauer Vertrages bezeichnet. Die Polen haben damals — Herr Kollege von der SPD, hören Sie genau zu — Maßnahmen zur raschen Ausreise der Bewerber mit verbindlichen deutsch-polnischen Vergleichslisten versprochen; aber Tausenden von Familien wurde
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15627
Dr. Czajazehnmal, 15mal, 20mal und noch öfter die Ausreise verweigert. Sie wurden von kommunistischen Funktionären und ihren nationalistischen Helfern als Verräter angeprangert, zahllose wurden aus dem Dienst entlassen, und sie sind, Herr Genscher, entgegen Ihren Aussagen weiterhin ohne Arbeit, sie sind degradiert, ihre Kinder sind vom Studium ausgeschlossen, und jahrelang werden die Eltern in verzehrender Ungewißheit über die Existenz und Ausreise gehalten. Man braucht kein Völkerrechtler zu sein, um aus der Praxis selbst zu sagen: Diese Zusagen wurden leider tausendmal gegenüber den einzelnen Menschen und Familien gebrochen, diese Zusagen haben sich leider als eine Kette von Enttäuschungen herausgestellt.
— Ich komme gleich darauf. — Die Fehler von 1970, Herr Kollege Arndt, wirken fort und werden wiederholt.Bei dieser Vertragsgrundlage des Warschauer Vertrages von 1970 reiste der damalige deutsche Außenminister, wie der „Vorwärts" minutiös darstellt, frühzeitig ab, als um die Zahlen noch gerunden wurde. Im Bundestag behauptete man dann 1972, wenn Polen die Zusage nicht erfüllt, läge arglistige Täuschung vor und auch unsere Vertragsbindungen seien erschüttert. Polen gegenüber sagte man das nie, als sich die Hoffnungen und Illusionen nicht bestätigten.Monatelang verschleierte man die katastrophale Lage der Deutschen. Drei Jahre nach der verbindlichen Zusage von 1970 auf rasche Ausreise soll der polnische Außenminister Ende 1973 versprochen haben: aber 1974 kommen 50 000 Deutsche. Tatsächlich gekommen sind nur 5 000 Deutsche. Jetzt sagt die Regierung: wir haben ein Konkretisierungspapier, das Ausreiseprotokoll. Danach wollen polnische kommunistische Behörden angeblich festgestellt haben, daß 125 000 Menschen ausreiseberechtigt seien; 30 000 von ihnen sollen 1980, also zehn Jahre nach der verbindlichen Zusage von 1970, daß die Menschen rasch kommen würden, vielleicht wirklich zu uns kommen. Herr Genscher gebraucht dazu dann noch das Wort „zügig". Ich frage mich, was die Menschen, die drüben in den Oder-Neiße-Gebieten diese Dinge am Rundfunk hören, dazu sagen. Herr Brandt, gehen Sie einmal in die Dörfer um Oppeln, Gleiwitz und Beuthen und hören Sie die Verbitterung und Erbitterung der Menschen über diejenigen, die diese humanitären Fragen völlig unzureichend geregelt haben! Vielleicht haben Sie auch deshalb nichts über diese Menschen gesagt, weil Sie wissen, wie sie über Sie denken.
Unsere Regierung muß endlich die eindeutige Erfüllung der verbindlichen Zusage aus dem Jahre 1970 einfordern. Das ist die Alternative, Kollege Arndt. Dazu braucht man keine neuen, vagen Papiere.Den eindeutigen politischen völkerrechtlichen Bindungswillen Polens findet ein Teil unserer Völkerrechtler nicht bestätigt. Wir können der Regierung nur zurufen: Machen Sie keine neuen Vorleistungen! Denn Sie schaden damit den Ausreisewilligen. Je mehr man sich bereit zeigt, neu zu zahlen, desto weniger werden tatsächlich Menschen herausgelassen werden.Meine Damen und Herren, wir sind nicht gegen die Hilfe für Polen, wenn die Menschenrechte für die Deutschen erfüllt werden und wenn die Devisen wirklich den bedürftigen Menschen des Nachbarvolkes zugute kommen. Wir sind aber dagegen, daß unser Geld nur der östlichen Planwirtschaft und Rüstung zufließt und sich dann im breiten Strom weiter nach Osten ergießt und in Afrika, Asien und Europa gegen die Freiheit der Europäer verwendet wird.
Die polnische Bestätigung der Ausreisemöglichkeit wäre sehr einfach, Herr Kollege Arndt. Sie könnte lauten:Die Volksrepublik Polen bestätigt die völkerrechtliche Rechtspflicht, diejenigen Deutschen, die es wollen, ausreisen zu lassen. Über strittige Fälle entscheidet eine gemischte Kommission und in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.Herr Bundeskanzler — er ist jetzt nicht da, aber er wird es ja lesen —, statt sich lange über vertrauliche Gespräche des französischen Staatspräsidenten auszulassen, hätten Sie besser daran getan, nachzuweisen, daß ein solches Schreiben des polnischen Ministerpräsidenten oder des polnischen Staatsrats vorliegt. Das haben Sie aber nicht tun können.
Herr Abgeordneter Czaja, einen Augenblick bitte! Der Herr Bundeskanzler ist bei den Terminierungen des Gespräches mit dem Ministerpräsidenten Bhutto davon ausgegangen, daß entsprechend unserer interfraktionellen Vereinbarung die Debatte spätestens um 20 Uhr abgeschlossen sein würde.
— Herr Abgeordneter Czaja, lassen Sie bitte den amtierenden Präsidenten ausreden!
Der Herr Bundeskanzler bittet hierfür um Verständnis und hat mich gebeten, das bekanntzugeben. — Sie haben weiter das Wort.
Ich danke. Ich habe auch — ich bitte, das sagen zu dürfen, Herr Präsident — das Verständnis dafür nicht in Frage gestellt. Ich habe gesagt: der Herr Bundeskanzler wird das nachlesen können. Das aber wird man im Parlament noch sagen dürfen.
Die Bestätigung Polens steht aus. Bei der Abstimmung im Bundestag — und das ist entscheidend
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15628 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Dr. Czajawichtig — steht die rechtliche Mauer, der Vorbehalt der fehlenden Zusage des polnischen Staatsrats vor uns. Was dieser sagen wird, weiß man nicht. Man weiß vor allem nicht, ob er sich klar zu der völkerrechtlichen Rechtspflicht äußern wird.Polen sagt: das sind unsere Staatsbürger. Aber unser Bundesverfassungsgericht stellt fest: Nach Grundgesetz und Völkerrecht müssen alle deutschen Staatsorgane diese Menschen, die bis 1945 deutsche Staatsangehörige waren, als Deutsche verteidigen, ihnen Hilfe leisten, wenn sie das als Bürger wollen und uns darum ansprechen. Von Verfassung wegen haben alle deutschen Staatsorgane die Schutzpflicht für diese Menschen. Die Bundesregierung besteht leider nicht auf dem für 90 % der Aussiedlungsbewerber zutreffenden objektiven Merkmal der deutschen Staatsangehörigkeit, die die rechtliche Grundlage für diese selbstverständliche, moralisch und grundgesetzlich verankerte Schutzpflicht bieten würde. Die Versagung von immer neuen Zahlungen könnte der Durchsetzung dieser Schutzpflicht Nachdruck verleihen.Meine Damen und Herren, auch die Rentenabkommen selbst sind von einer in der deutschen Nachkriegsgeschichte unbekannten Härte gegenüber den Menschen. Die Vereinbarung über die Zahlung von 1,3 Milliarden DM sagt — man höre genau — in Art. 1, daß kein Mensch daraus individuelle Rentenforderungen an Polen ableiten darf. Mir ist kein Sozialabkommen seit 1948 bekannt, das einen solchen Satz enthält.
Die Regierung nennt einige Beispiele für Abkommen, in denen das Rentenrecht des jeweiligen Wohnsitzes gelten soll. Auch in diesen Abkommen sind, Herr Kollege Schäfer, ganz exakte Vorschriften über die Höhe und die verschiedenen Anrechnungszeiten enthalten. Diese Präzision der Aussage fehlt leider in den Rentenabkommen mit Polen. Im übrigen gilt in allen anderen Abkommen für deutsche Staatsangehörige unwiderlegbar die Auszahlung und der Export der deutschen Renten.Mit Italien haben Sie eben ein vorbildliches Abkommen unterzeichnet — Herr Kollege Schmidt hat es vorhin genannt —, das rasch ratifiziert werden sollte. Dort wird Italien der im einzelnen nachgewiesene Mehrbetrag der Renten für die Versicherungszeiten deutscher Südtiroler ersetzt, aber nur dann, wenn Italien die entsprechenden Personen der Bundesregierung namentlich und unter Nennung der Mehrbeträge nachweist; erst nach fünf Jahren erfolgt die Pauschalierung. Das ist eine gemeinsam vereinbarte vorbildliche Überprüfung tatsächlicher Verbesserungen.Meine Damen und Herren, so etwas geht nach jedem Rentensystem, wenn wir nicht wieder die gleiche Tragik erleiden wollen wie bei der Entschädigung der Opfer der Konzentrationslager oder der Menschenopfer, wo wir bis heute nicht den Nachweis haben, daß auch nur ein Pfennig der über 100Millionen DM an polnische Opfer der Konzentrationslager ausgezahlt worden wäre.
Die Bundesregierung hat bisher kein einziges Beispiel für eine Verbesserung für die Menschen in der Heimat gebracht. Die Behauptung „keine Schlechterstellung" stimmt für 40 000 oder 50 000 Altersrentner nicht. Diese meist oberschlesischen Kumpel verlieren Anwartschaften, solange sie drüben sind, obwohl sie 15, 20, 30 Jahre in die deutsche Reichsversicherung eingezahlt haben. Die Regierung hat nichts getan, was sie nach der Normalisierung der Beziehungen hätte tun können, um über angemessene Überweisungsbedingungen zu verhandeln.Frühere Regierungen hatten in Teilabkommen — ich sehe im Moment Herrn Kollegen Katzer nicht, der das durchgesetzt hat — die Kriegsopferteilversorgung unter immerhin vertretbaren Überweisungsbedingungen abgemacht. Eine solche Regelung hätte 60 Millionen, in zehn Jahren also 600 Millionen DM gekostet. Statt dessen errichtet man ein Kartenhaus von Zahlen für Personen, die zwei Jahre lang in die deutsche Versicherung einzahlten, und man unterläßt Gespräche über die Deutschen, die 15 oder 20 Jahre zahlten.Wenn Polen die berechtigten — und humanen — Forderungen der Union, die seit dem 4. Dezember 1970 konstant entwickelt wurden, erfüllt, ist Polen in seinem Devisenbedarf nicht verloren. Diese Forderungen lauteten schon 1970: vor einem Friedensvertrag verbindliche und konkrete Regelung der humanitären Frage, formelle und materielle Sicherung der Menschen- und Gruppenrechte einschließlich des Rechts auf Freizügigkeit.Der Herr Bundeskanzler hat wiederholt den Vergleich mit Adenauer beschworen. Er möchte sich in diesem Punkt auch mit dem Besuch Adenauers in Moskau vergleichen. Adenauer hat alle Kriegsgefangenen, soweit sie nur erfaßbar waren, tatsächlich herausgebracht. Er hat dafür keine zusätzlichen Finanzleistungen erbracht, und er hat bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen keine Grenzfestsetzungen getätigt.
Das ist der Unterschied zwischen Konrad Adenauer und Helmut Schmidt!Von den jetzigen vagen Übereinkünften aber gilt, was Solschenizyn in der „New York Times" Ende 1975 geschrieben hat. Er schrieb:Es ist keine Diplomatie, wenn man sich mit einer Fülle materieller Mittel in den Händen den Verhandlungspartnern ständig unterwirft, sie auszahlt und damit sich nur eine zeitweilige Pause bis zu neuen Zugeständnissen verschafft.
Dieses Urteil von Solschenizyn ist klar. Es ist ein Urteil über die Verhandlungsführung seit 1970. Über diesem Tag sollte nicht stehen „Deutsch-polnische Beziehungen", sondern „Verkehrte Verhandlungs-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15629
Dr. Czajaführung der Regierungen seit 1970 in der deutschpolnischen Frage".
Es ist höchste Zeit, dem ein Nein entgegenzusetzen.Lassen Sie mich zum Schluß sagen, daß alle Staatsorgane, die Mehrheit des Bundestages und seine Minderheit, aber auch jedes einzelne Land und der Bundesrat als ganzer die Verantwortung für die Verteidigung und die Wahrung der Menschen- und Grundrechte der Deutschen, die Verantwortung für die grundgesetzliche Schutzpflicht auch für die Deutschen, für die Wahrung der Rechtslage Deutschlands und der Deutschen und für einen gerechten Ausgleich mit Polen haben.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Schlaga.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicher nicht meine Aufgabe, Zensuren für Reden zu verteilen, die heute in diesem Haus gehalten worden sind, und schon gar nicht gegenüber der Opposition. Aber ich meine, daß eine Rede doch als besonders intelligent zu bezeichnen ist. Das ist die von Herrn Mertes. Sie war definierend und analysierend, sie war philosophisch glänzend, schillernd, kommend aus allen philosophischen Schulen.
Aber ein Mirabeau ist Herr Mertes deshalb noch lange nicht;
denn er trat auf der Stelle. Es gelang ihm nicht auch nur der Ansatz, sagen wir: einer kalkulierten Vision oder einer Konzeption, eines Konzepts und schon gar nicht eines Rezeptes. Seine Ausführungen waren auch nur beschreibend, umschreibend, kritisierend.
Ich meine, daß es gut ist, wenn man darauf hinweist, daß letztlich auch sein Beitrag die decouvrierende Frage enthielt: Und was tun die anderen?Ich erlaube mir, an dieser Stelle als Antwort Karl Jaspers zu zitieren, der Ihnen in seiner Grundaussage wohl etwas näher steht als vielleicht mir.
Da heißt es:
Die Würde des vernünftigen Menschen liegt darin, daß er sich eingesteht, was geschehen und was getan ist. Die Würdelosigkeit bloßen Lebens liegt darin, einen Strich unter die Vergangenheit zu machen, zu vergessen und weiterzuleben aus dem bloßen Anspruch gegenwärtigen Daseins. Die Würdelosigkeit steigert sich,wenn die sogenannte Bewältigung der Vergangenheit in Forderungen an andere endet.So weit Karl Jaspers.Ein weiteres Beispiel, das ich für nicht uninteressant hielt, sind Ihre Ausführungen dazu, warum z. B. Israel gegenüber der DDR nun gerade nicht ein besonders gutes Urteil abzugeben in der Lage ist, nämlich weil die DDR an Israel keinerlei Entschädigung geleistet hat und — da brauchen wir uns gar nicht lange zu streiten — so tut, als habe es Krieg und Faschismus nur im westlichen Teil Deutschlands gegeben. So weit kann ich Ihnen folgen.Aber ich meine, was hier heute gelaufen ist, vor allen Dingen im Vorfeld dieser Debatte, bedarf doch wohl eines Kommentars.
Ich zitiere dazu Peter Bender, der am 10. Januar 1975 im Norddeutschen und Westdeutschen Rundfunk folgendes gesagt hat:Daß die Union ihre innere Einheit wahren und daß sie die Wahlen gewinnen will, ist ihr gutes Recht. Daß sie dafür die Polen-Politik der Regierung benutzt, ist unverantwortlich. Manche begreifen überhaupt nicht, was sie tun, und anderen ist es egal, was sie anrichten, und eben darin, in dieser Ignoranz und Arroganz, liegt die Beleidigung Polens.
Nur einen Staat minderer Bedeutung, nur ein Volk zweiter Klasse mißbraucht man als Knüppel für den Wahlkampf.
Ich meine, dieser Vergleich ist statthaft.Ich möchte schließlich auch unter die Lupe nehmen, was Herr Carstens und Herr Kohl gesagt haben. Mich hat gewundert, daß auch Herr Kohl noch einmal anderen die Mitschuld an der Vergangenheit ankreidet und damit versucht, in irgendeiner Form zu relativieren.
Ich halte es moralisch für unzulässig und politisch für gefährlich, die Schändlichkeit der eigenen Geschichte relativieren zu wollen, weil man Komplicen gehabt hat und auf diese verweisen kann.
Etwas, was heute zu kurz gekommen ist, war die Würdigung dessen, was tatsächlich an Ergebnissen in der Entwicklung des deutschpolnischen Verhältnisses in den Jahren seit dem Vertragsabschluß zu verzeichnis ist. Wir haben eine erkleckliche, eine bedeutsame Leistungsbilanz vorzuweisen, die Sie
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15630 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Schlagaständig ignorieren, von der Sie keine Kenntnis nehmen.
Ich bitte Sie, das doch einmal zu tun und zu überlegen, was an zahlreichen Annäherungen, was an Gemeinsamkeiten tatsächlich zustande gekommen ist.
: Da
machen wir mit!)Ich will nur ein Ergebnis herausgreifen, nämlich den Reiseverkehr. Beide Regierungen haben sich ernsthaft bemüht und bemühen sich weiter, den Reiseverkehr zu beleben und auch zu vereinfachen.
Diese Reiseverkehrserleichterungen sollten auch dazu dienen — und werden auch dazu benutzt —, Umsiedlungswilligen die Möglichkeit zu verschaffen, einen Blick in das Land zu werfen, das sie aufnehmen will, und gleichzeitig solche Reisen als Entscheidungshilfe zu benutzen. Dies ist erleichtert worden, da hat es Möglichkeiten gegeben. Ich denke z. B. daran, daß man früher auf ein Visum zwei, vier, sechs Wochen oder gar ein Vierteljahr warten mußte; heute bekommt man es in zwei Wochen oder sogar in zwei Tagen. In Dringlichkeitsfällen bekommt man es sofort. Das ist doch ein Fortschritt, ob Sie ihn nun zur Kenntnis nehmen wollen oder nicht. Ich halte das jedenfalls für einen Fortschritt. Ich bin sogar der Meinung, daß es gut wäre, wenn es bei uns genauso schnell ginge. Bei uns dauert es nämlich länger.Die Kosten für das Visum, die 1973 noch bei35 DM lagen, betragen zur Zeit 24 DM. Auch hier ist doch etwas Positives zu verzeichnen.
Auch das mag Ihnen nicht reichen.Sie können sich in Polen mit dem Pkw, mit der Bahn oder mit dem Bus bewegen, ohne sich an eine bestimmte Route halten zu müssen. Sie haben absolute Bewegungsfreiheit. Davon sollten Sie Kenntnis nehmen. Wenn ich sehe, wie sich der Reiseverkehr entwickelt hat, dann muß ich sagen: Das verdient Respekt. Von 1970 bis 1975 hat sich der Reiseverkehr von Polen in die Bundesrepublik von 45 000 auf 120 000 Reisende fast verdreifacht.
Die Zahl der Reisenden von der Bundesrepubliknach Polen hat sich versiebenfacht, nämlich von36 000 auf 250 000.Sie werden wohl nicht bestreiten: Menschen, die einander begegnen, die miteinander sprechen, die auch bereit und genötigt sind — und es auch so wollen —, sich über Gräbern die Hände zu reichen, bauen Vorurteile ab, bauen Mißverständnisse ab.Das wirkt oft viel entspannender als feierliche Erklärungen oder Staatsakte.
Über das Ausreiseprotokoll wurde heute genug gesagt; darüber wurde auch genug geschrieben. Dabei bleibt noch eines anzumerken. Sie haben ständig Kritik an der völkerrechtlichen Verbindlichkeit geübt.
[CDU/CSU])— Ich weiß, Sie haben das nicht getan. Sie fragten nur: Sind denn die anderen dazu bereit? — Wie kann man denn als Völkerrechtler, Herr Mertes, eine solche Frage überhaupt stellen?Herr Wallmann und Herr Carstens haben etwas anderes gesagt. Sie wollen das eben nicht zur Kenntnis nehmen und nicht glauben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die heute schon mehrfach zitierte Repatriierungs-Vereinbarung mit der Sowjetunion, die von Ihnen 1958 doch recht deutlich gefeiert wurde. In der Bundestagsdrucksache III/545 heißt es auf Seite 24: Allein die Tatsache des positiven Abschlusses der Verhandlungen ist in beiden Ländern lebhaft begrüßt worden.Was war das Ganze? Es war eine mündliche Vereinbarung, die im Kommuniqué mit ganzen 19 Zeilen erwähnt wurde. Das, was den Hauch des Konkreten in dieser Vereinbarung enthält,
waren die beiden Worte, daß man „wohlwollend prüfen" will und „daß sich die Sowjetunion und die Bundesrepublik zum Prinzip der Zusammenführung von infolge des letzten Krieges getrennt lebenden Familien bekennen".
Das ist alles, was darin steht.Wir haben im Ausreiseprotokoll eine Vertragsform, wir haben Daten, wir haben Zahlen, wir haben Verbindlichkeiten, wenn auch keine Schlußformel. Aber wo ist all das in diesem Abkommen, das Sie so gefeiert haben? Trotzdem — das wissen Sie genau — ist es völkerrechtlich verbindlich, weil es eine übereinstimmende Willenserklärung zum Inhalt hat. Aber Sie müssen das doch einmal vergleichen.
Herr Abgeordneter, einen Augenblick, bitte! — Meine Damen und Herren, wir nähern uns der Abstimmung. Ich bitte Sie aber, Platz zu nehmen, damit der Redner bis zum Schluß seiner Ausführungen hier im Hause gehört werden kann.
Ich höre gleich auf. — Woher nehmen Sie dann den Hochmut, an diesem Vertrags-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15631
Schlagawerk, an dieser Vereinbarung, an diesem Ausreiseprotokoll herumzunörgeln, das eindeutige Zahlen, Fakten, Daten und Verpflichtungen enthält? Ich halte das, was Sie tun, für blamabel. Sie halten die Bevölkerung für so wenig kritisch, daß Sie glauben, sie merke nicht, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Ich fürchte, es wird sich eines Tages bitter an Ihnen rächen, daß Sie hier versuchen wollen zu düpieren. Dies sind sauber ausgehandelte Vereinbarungen. Gibt es überhaupt einen Unterhändler, einen Verhandler, in diesem Fall der Bundesaußenminister und der Bundeskanzler, die härter verhandeln können? Das hat sich doch wohl eindeutig erwiesen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang noch eine Sache zitieren. Da wagt es ein Mitglied Ihrer Fraktion — ich will das in aller Ruhe sagen, ohne etwa die Absicht zu haben, hier noch einmal Öl ins Feuer zu gießen —, zu sagen und zu schreiben: „Die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD und FDP ist mit konspirativen Mitteln hinter dem Rücken der westlichen Verbündeten und des deutschen Volkes getrieben worden." Das ist am 9. Januar in der „Süddeutschen Zeitung" geschrieben worden. Derjenige, der das gesagt hat, ist der CSU-Abgeordnete Zimmermann. Ich halte das für einen Skandal.
Nun, er hat sich ja schon mehrmals disqualifiziert. Dies ist Staatsgefährdung nach § 97 des Strafgesetzbuches. Sehen Sie sich das bitte einmal an! Ich halte das schlicht für einen Skandal.
Wenn sich Herr Zimmermann oder seine Fraktion oder die Gruppe schon nicht bei uns entschuldigen will, dann sollte er wenigstens zu den von ihm geschmähten westlichen Verbündeten gehen und sie für das Unrecht um Entschuldigung bitten, das er ihnen angetan hat.
Herr Kollege Kohl erklärt: Wir sagen nein, weil es nur 125 000 sind. Das muß er vor dem Volk, vor seiner Partei, vor seinen Anhängern vertreten. Es wird ihm schwer genug fallen. Sie wollen die 125 000 dort lassen, Sie wollen ihnen keine Chance geben auszureisen. Aus christlicher Humanität? Wie denn das? Herr Kohl begründete sein Nein u. a.. mit folgender Formulierung: „Man kann nicht Menschlichkeit mit dem Metermaß messen." Das ist in sich richtig; aber Ihre christliche Politik, Ihre limitierte Humanität messen Sie doch exakt mit der Elle von Herrn Strauß, und die ist zu kurz, und sie ist gezinkt. Ich warne Sie; denn es geht hier um die Zukunft und nicht um momentane Erfolge, die Sie vielleicht glauben, damit erreichen zu können.In diesem Hause sind seit Dezember 1970 allein 308 Fragen — im wesentlichen gegen die Ostpolitik —, bezogen auf Polen, an die Regierung gestellt worden. Es hat sich genügend Gelegenheit ergeben, zu diesem Komplex Informationen einzuholen. Die Fragen waren aber nicht dazu angetan, der Regierung und dem deutsch-polnischen Verhältnis zu dienen, sondern sie waren im wesentlichen geeignet — ich will nicht einmal Vorsätzlichkeit unterstellen —, das deutsch-polnische Verhältnis empfindlich zu stören. Dadurch ist ein unübersehbarer Schaden eingetreten; denn es ist oft zu laut, zu militant, zu aggressiv und mit der Absicht argumentiert worden, tatsächlich zu stören, aber vielleicht auch mit der Absicht, sich die Bühne für dieses skurrile und makabre Verhalten noch lange zu erhalten und Kampfzahlen zu nennen, die als politischer Dauerbrenner benutzt werden sollten. So, meine Damen und Herren von der Opposition, werden Sie bei den gegebenen Konstellationen, bei den gegebenen Kräfteverhältnissen in Europa und in dieser Welt keinen Interessenausgleich zustande bringen. Aber davon reden Sie dauernd. Wir sind als Sozialdemokraten, als sozialliberale Koalition davon überzeugt, daß wir diesen Beitrag leisten werden, wenn es sein muß, ohne Sie. Wir laden Sie aber ein, teilzunehmen und diese Politik konstruktiv zu unterstützen.
Meine
Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Gemäß § 59 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Professor Schweitzer das Wort zu einer Erklärung.
— Meine Damen und Herren, Sie werden vielleicht angenehm überrascht sein.
Herr Präsident! Angesichts der vorgeschrittenen Zeit habe ich meine Wortmeldung zurückgezogen. Ich darf Ihnen gemäß § 59 der Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung zu Protokoll übergeben *).
MeineDamen und Herren, wir kommen zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, Einleitung und Überschrift auf. — Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung in zweiter Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 bekannt. Mit Ja haben 276 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 12 Berliner Kolleginnen und Kollegen, mit Nein 191 stimmberechtigte Mitglieder und 9 Kolleginnen und Kollegen aus Berlin gestimmt. Keine Stimmenthaltungen. 467 stimmberechtigte und 21 Berliner Abgeordnete haben abgestimmt.*) Vgl. Anlage 2
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15632 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 466 und 21 Berliner Abgeordnete; davonja: 275 und 12 Berliner Abgeordnete,nein: 191 und 9 Berliner AbgeordneteJa SPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaack Bäuerle Barche Dr. BardensBatzDr. BayerlBecker BehrendtBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt BredlBrück BuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannCollet Conradi Coppik Dr. CorterierFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmEsters Ewen FellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. Focke Franke FrehseeFriedrichGansel GeigerGerlach Gerstl (Passau) GertzenDr. GeßnerGlombigDr. GlotzGnädingerGrobeckerGrunenbergDr. HaackHaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier HansenHauckDr. Hauff HenkeHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau Huber HuonkerImmer
Jahn
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans JunkerKaffkaKaterKernKoblitzKonradKratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LangeLattmann LautenschlagerLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtke LöbbertDr. Lohmar LutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr.-Ing. OettingOffergeld FreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau Renger ReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RöhligRohde RosenthalSander SaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiberSchulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSimon SimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. StienenSuckSundTietjenFrau Dr. TimmUrbaniakVahlbergVitDr. Vogel VogelsangWalkhoffWaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann WolfWolframWrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner Abgeordnete BühlingDr. DübberEgertGrimmingFrau Grützmann LöfflerMänningDr. Schellenberg Frau SchleiSchwedlerSieglerschmidtCDU/CSUDr. BarzelDr. Becker Dr. BlümBlumenfeldBreidbachKatzerKiepDr. Klein Dr. KliesingMickDr. MikatMüller Dr. Schulze-Vorberg VogtDr. Freiherr von WeizsäckerFDPDr. AchenbachBaumDr. BögerChrist EngelhardErtlFrau FunckeGallus GeldnerGenscherGrüner HölscherHoffie JungKirstKleinertKrallDr. KreibaumDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. Maihofer Mertes MischnickMöllemannMoerschOlleschOpitzPeters SchleifenbaumSchmidt
von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeis
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15633
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenNein CDU/CSUDr. AignerAlbervon Alten-NordheimDr. Althammer Dr. ArnoldDr. Artzinger BaierDr. Becher
Frau Benedix BenzBergerBewerungeBiecheleBiehleDr. Dr. h. c. BirrenbachDr. von Bismarckvon Bockelberg Böhm
BraunBremerBremmBurgerCarstens
Dr. Carstens
Dr. CzajaDammvan Delden Dr. Dollinger DreyerEigenEilers EngelsbergerErhard ErnestiDr. EversEyDr. EyrichFreiherr von FircksFranke
Dr. FranzDr. FrühDr. FuchsGeisenhofer Gerlach
Gerster GewandtGierenstein Dr. GölterDr. GötzDr. GruhlHaase Dr. HäfeleHärzschelDr. HammansHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser
Dr. HeckHöslDr. Hornhues Horstmeier Frau Hürland Dr. HupkaDr. JaegerJäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)Dr. Jenninger Dr. JobstJostenDr. Kempfler KiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein
Dr. KlepschDr. Köhler KösterKrampeDr. KraskeKroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-StummDr. Kunz LagershausenLampersbachLeicht LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLöher Dr. LudaMaucherMemmelDr. MendeDr. Mertes
Dr. MiltnerMilzMöller
Dr. Müller
Dr. Müller-Hermann Mursch Dr. NarjesFrau Dr. NeumeisterNiegel NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß Frau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. ProbstRainer Rawe ReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenDr. Ritz Röhner RollmannRommerskirchenRoser Russe Sauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchedl SchetterFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt Schmitt (Lockweiler) Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderFrau Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. SchwörerSeiters SickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerSpringorumDr. SprungStahlbergDr. Stark
Dr. Starke
Dr. StavenhagenFrau Stommel StücklenSussetde TerraThürkTillmannDr. Todenhöfer Frau TüblerDr. UnlandVeharFrau Verhülsdonk Vogel VolmerDr. Waffenschmidt Dr. WaigelDr. Wallmann Frau Dr. Walz Dr, Warnke WawrzikWeber WernerFrau Dr. Wex Frau Will-FeldWindelen WissebachDr. Wittmann Dr. WörnerBaron von WrangelDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. Gradl Kunz
Müller
Frau PieserDr. Schulz Straßmeir WohlrabeDamit ist der Entwurf in zweiter Beratung und Schlußabstimmung angenommen.
Wir kommen nun noch zu den Anträgen des Ausschusses, zunächst zu II. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist mit den Stimmen der Regierungsparteien gegen die Opposition angenommen worden.Ich gehe davon aus, daß ich über die Anträge III und IV gemeinsam abstimmen lassen kann. — Einverständnis. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich gehe davon aus, daß die Zustimmung zu Antrag I in der Annahme des Entwurfs in der Schlußabstimmung bestand und damit erledigt ist.Zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Reddemannn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner heutigen Einlassung die schon von anderen Sozialdemokraten erhobene Behauptung wiederholt, ich hätte in einer am 24. August 1975 erschienenen Kolumne den Chef der polnischen Einheitspartei, Gierek, mit Adolf Hitler verglichen. Der Bundeskanzler knüpfte an diese seine Behauptung die Aussage, dadurch werde die Glaubwürdigkeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erschüttert, für eine Verständigung mit Polen einzutreten. Ich darf dazu folgendes bemerken.Erstens. In der genannten Kolumne habe ich vor dem Hintergrund des verbrecherischen nationalsozialistischen Versuchs, Ungarns Juden gegen Lastwagen zu verkaufen, kritisiert, daß die polnische Regierung 31 Jahre nach Kriegsende das Menschenrecht auf freie Bestimmung des Aufenthaltsorts nur gegen eine hohe finanzielle Abfindung zugestehen will.Zweitens. Zur deutsch-polnischen Verständigung habe ich in der zitierten Kolumne wörtlich geschrie-
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15634 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Reddemannben — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Moralisten der Regierungsparteien verweisen darauf, daß es Hitlers Verbrechen waren, die uns die unnatürlichen Beziehungen zu Polen brachten. Sie haben recht. Hitler wollte die Intelligenz des polnischen Volkes auslöschen — durch Mord. Polens Menschen sollten die Heloten für seinen Rassenwahn abgeben. Neben den Juden waren es die Polen, die am meisten unter den Verbrechen der Nationalsozialisten gelitten haben. Ihre Regierung glaubte sich daher berechtigt, Millionen Deutscher zu vertreiben, an ihnen Greueltaten zu begehen und Millionen Quadratmeter deutschen Landes mit Milliardenwerten zu beschlagnahmen. Auf Massenverbrechen unter der Hakenkreuz-Flagge folgten Massenverbrechen unter dem Polen-Adler, nach landläufiger Vorstellung also genau das, was neues Blutvergießen provozieren mußte. Wir Deutschen haben auf Haß und Rache verzichtet, wir wollen Versöhnung über den Gräbern, wie wir uns mit Frankreich und den Franzosen ausgesöhnt haben.Soweit das Zitat.Wenn der Bundeskanzler heute im Deutschen Bundestag sagt, er habe nach der Lektüre dieses meines Aufsatzes festgestellt, daß er mit mir keine gemeinsame Ebene besitze,
dann sagt das über den Bundeskanzler mehr aus als über mich.
Ich muß dem Bundeskanzler abschließend sagen: Nach dem Stil, den er sich heute hier geleistet hat, bin ich sogar sehr froh, daß er mich nicht auf seiner Ebene vermutet.
Meine Damen und Herren, der letzte Absatz geht über den Rahmen der angemeldeten persönlichen Erklärung hinaus. Ich rüge das.
Ich rufe jetzt Punkt 3 unserer heutigen Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes
— Drucksache 7/4577 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksachen 7/4740, 7/4744 — Berichterstatter:
Abgeordneter Russe
Abgeordneter Reuschenbach
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1971, 1972, 1973, 1974, 1975 und 1976
— Drucksache 7/4687 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
Ich frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob dazu das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
In zweiter Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes liegt zu Art. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Zur Begründung des Antrags hat das Wort Herr Abgeordneter Schmidhuber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hiermit möchte ich alle Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/4765 begründen.Im ersten Antrag auf Streichung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a geht es darum, es bei der. bisherigen Regelung des Dritten Verstromungsgesetzes zu belassen, die eine Förderung der Altkraftwerke erst ab einer Nennleistung von 10 Megawatt vorsieht. Die Einbeziehung der Altkraftwerke mit einer Nennleistung zwischen 1 und 10 Megawatt erfordert einen finanziellen Mehraufwand von 80 Millionen DM, wenn man von einer angenommenen Wärmepreisdifferenz von 20 DM pro Tonne sowie von Betriebskostenzuschüssen von ebenfalls 20 DM pro Tonne ausgeht. Mit diesem Aufwand soll eine Minderung des Steinkohleeinsatzes in diesem Bereich von zirka 300 000 Tonnen im Jahr 1976 vermieden werden. Aus diesen Angaben errechnet sich ein Förderungsaufwand von 270 DM pro Tonne Mehreinsatz. Dies ist fast der doppelte Listenpreis einer Tonne Kraftwerkskohle. Ein so hoher finanzieller Mehraufwand für eine marginale Förderungsmenge, die angesichts des Gesamtvolumens als nicht nennenswert bezeichnet werden muß, kann nicht vertreten werden. Deshalb ist die CDU/CSU-Fraktion der Ansicht, daß es bei der ursprünglichen Regelung des Dritten Verstromungsgesetzes bleiben sollte.Der zweite Antrag bezieht sich auf eine Ergänzung des neu eingefügten § 3 a, der einen Mehrkostenausgleich in besonderen Fällen vorsieht. Diese Bestimmung soll es ermöglichen, den Erdgaseinsatz der Elektrizitätswirtschaft zugunsten der Steinkohle zurückzudrängen. Ich will hier nicht näher auf die Problematik dieses Vorhabens und seine Rückwirkungen auf die Erdgaswirtschaft eingehen. Es geht uns bei dieser Ergänzung — wie schon bei dem ersten Antrag — darum, das Volumen der Förderung in ein angemessenes Verhältnis zu dem gesteckten Ziel zu bringen. Deshalb schlagen wir vor, die Leistungen für diesen Mehrkostenausgleich nach oben zu begrenzen. Die Leistungen für den Mehrkostenausgleich sollen daher je eingesetzter Tonne Steinkohle zusammen 80 % und nicht, wie in der Drucksache versehentlich ausge-
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Schmidhuberdruckt, 75 °/o des Preises der Steinkohle ab Zeche nicht überschreiten. Wie Modellrechnungen ergeben, können die Mehrkostenausgleichsleistungen ohne eine solche Beschränkung in der Spitze Zuschüsse bis zu 140 DM je eingesetzter Tonne Steinkohle betragen. Ein derartiger Subventionsaufwand ist bei einem derzeitigen Listenpreis der Kraftwerkskohle von 153 DM pro Tonne gegenüber den Stromverbrauchern, die über die Verstromungsabgabe diese Mehrkosten zu tragen haben, nicht vertretbar.Der Dritte Antrag zielt darauf ab, die Belastungen für den Stromverbraucher anders zu verteilen, als durch das Dritte Verstromungsgesetz vorgesehen. Der Vorschlag läßt die Höhe des Aufkommens unberührt. Die Verstromungsabgabe, der sogenannte Kohlepfennig, wird derzeit als prozentualer Aufschlag auf den Strompreis aufgebracht. Dies führt dazu, daß derjenige Stromverbraucher, der schon einen höheren Stromtarif zu entrichten hat, auch dem absoluten Betrag nach eine höhere Verstromungsabgabe pro verbrauchter Kilowattstunde zu zahlen hat. Das Strompreisniveau liegt in den revierfernen Gebieten bis zu 25 °/o höher. Diese revierfernen Gebiete sind in vielen Fällen auch die strukturschwachen Gebiete. Damit wird also das Strompreisgefälle zwischen den industriellen Verdichtungsräumen und den strukturschwachen Gebieten noch größer. Es liegt auf der Hand, daß dadurch die regionalpolitischen Maßnahmen, die auf den Ausgleich der regionalen Kostenunterschiede gerichtet sind, partiell unterlaufen werden.Ein ähnliches Problem liegt bei den stromintensiven Produktionsverfahren vor, bei denen der Stromaufwand bis zu 50 °/o der Herstellungskosten des Endprodukts ausmachen kann, z. B. bei der Gewinnung von Aluminium. Der Aufschlag auf den Strompreis in Form der Verstromungsabgabe stellt bei diesem Produktionsverfahren eine erhebliche Kostenbelastung dar, die Nachteile im internationalen Wettbewerb bringen und in extremen Fällen bis zur Aufgabe der Produktion im Inland führen kann. Die Einstellung der Produktion von Phosphor und Karbid in der Bundesrepublik würde z. B. zu einem Minderverbrauch von zirka einer Million Tonnen Koks führen. Ein solches Ergebnis würde der Zielsetzung des Dritten Verstromungsgesetzes diametral entgegenwirken. Man fragt sich überhaupt, warum bei der Belastung des Stromverbrauchs mit der Verstromungsabgabe nicht analog dem Mineralölsteuerrecht zwischen dem Einsatz der elektrischen Energie als Rohstoff — z. B. bei der Aluminium- und Phosphorerzeugung — einerseits und als Energiequelle andererseits differenziert worden ist. Ich möchte aber dieses Thema hier nicht weiter vertiefen.Der von uns vorgelegte Vorschlag soll durch eine erweiterte Fassung der Verordnungsermächtigung ermöglichen, 1. für stromintensive Produktionszweige einen niedrigeren Prozentsatz der Ausgleichsabgabe festzulegen und 2. unterschiedliche Prozentsätze der Ausgleichsabgabe in Abhängigkeit vom Strompreisniveau der Versorgungsunternehmen festzusetzen.Ich möchte jetzt nicht auf die technischen Einzelheiten dieses Vorschlags eingehen. Sie sind in denAusschußberatungen und in den Vorgesprächen im Bundeswirtschaftsministerium erörtert worden. Ich möchte mich nur auf die Bemerkung beschränken, daß man bei diesem Vorschlag keineswegs den Vorwurf erheben kann, hier werde in dirigistischer Weise in das Preisgefüge eingegriffen. Das Gegenteil ist der Fall. Es sollen die Verwerfungen des Preisgefüges, die durch einen prozentualen Aufschlag auf den Strompreis verursacht werden, vermieden werden.Mit der in Aussicht genommenen Erhöhung der Strompreisabgabe auf 4,5 °/o werden die Verzerrungen eine Dimension erreichen, die weder für die revierfernen Länder noch für die stromintensiven Produktionsbereiche hinnehmbar ist. Hinzu kommt, daß sich das Strompreisgefälle auch aus anderen Gründen eher verstärkt. Diese beiden Umstände — die Erhöhung der Ausgleichsabgabe und die Verstärkung des Strompreisgefälles — machen es unabdingbar notwendig, unterschiedliche Sätze der Ausgleichsabgabe festzulegen, um Mehrbelastungen der Verbraucher in Versorgungsgebieten mit höherem Strompreisniveau zu vermeiden. Die Festlegung eines niedrigeren Ausgleichsabgabensatzes für stromintensive Produktionszweige ist geboten, um nachteilige Auswirkungen der Ausgleichsabgabe auf die Kostenstruktur dieser Produktionszweige zu verhindern.Meine Damen und Herren, ich komme zu Ziffer 5 des Antrags der CDU/CSU-Fraktion. Sie bezieht sich auf die Neufassung der sogenannten Härteklausel in § 7 Abs. 2. Es ist in der ersten Lesung übereinstimmend festgestellt worden, daß die Härteklausel neu gestaltet werden muß. Die bisherige Härteklausel war so gefaßt, daß sie bei mehr als 500 Anträgen nur zu einer Ausnahmegenehmigung geführt hat. Der von Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums in den Ausschußberatungen vorgelegte Formulierungsvorschlag hält am zentralen Tatbestandsmerkmal der Existenzgefährdung eines einzelnen Unternehmens oder eines Unternehmensteils oder einer Betriebsstätte fest. Lediglich beim Kausalzusammenhang wurde eine gewisse Lockerung vorgesehen. Es soll jetzt genügen, daß die Belastung mit der Abgabe zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz wesentlich beizutragen drohe. Ich halte diese neue Formulierung nicht für sonderlich effektiv. Sie bringt ein Erwartungsmoment in den Tatbestand, das die Aufgabe des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft sicher nicht erleichtert. Der Ermessensspielraum des Bundesamts ist nicht in der erforderlichen Klarheit umschrieben. Hinzu kommt, daß z. B. der Begriff der Betriebsstätte nicht genügend klar ist. Wenn in einer Fabrik zwei Produktionsanlagen zusammengefaßt sind, von denen die eine stromintensiv ist und die andere nicht, so wird heute in Anlehnung an den steuerlichen Begriff der Betriebsstätte die Fabrik als eine Betriebsstätte bezeichnet, so daß das betriebswirtschaftliche Ergebnis beider Anlagen zusammengerechnet wird, was volkswirtschaftlich keinesfalls sinnvoll ist und wohl auch dem Zweck dieser Vorschrift widerspricht.Unser Vorschlag stellt daher nicht auf die Existenzgefährdung, sondern auf den wirtschaftspoli-
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Schmidhubertisch treffenderen Begriff der Wettbewerbsfähigkeit ab. Die Ausgleichsabgabe soll im Einzelfall ganz oder teilweise entfallen, wenn die Belastung mit der Ausgleichsabgabe für das einzelne Unternehmen, einen Unternehmensteil oder ein einzelnes Erzeugnis zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung seiner Wettbewerbsfähigkeit führt. Mit dieser Formulierung gehen wir auch auf einen Vorschlag der Konferenz der Länderwirtschaftsminister vom 9. Februar 1976 ein, daß bei der anstehenden Novellierung des Dritten Verstromungsgesetzes eine Neufassung der Härteklausel entwickelt werden soll, die auf die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen abstellt.Meine Damen und Herren, ich bitte um Annahme dieser Anträge der CDU/CSU-Fraktion.
Wünscht zu diesem Antrag jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann hat Herr Abgeordneter Dr. Waigel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in aller Kürze den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion Drucksache 7/4756 begründen und mich dabei auf die wichtigsten verfassungsrechtlichen, haushaltsrechtlichen und finanzpolitischen Bedenken der Opposition in diesem Änderungsantrag beschränken.Diese Argumentation wird gestützt von den grundsätzlichen Einwänden, die bereits der Bundesrechnungshof am 23. September 1974 bei der ersten Beratung des Dritten Verstromungsgesetzes gegenüber dem Haushaltsausschuß zum Ausdruck gebracht hat. Damals war die Quintessenz der Kritik des Bundesrechnungshofes, daß die vorgesehene Regelung eine Einengung des parlamentarischen Budgetrechts und der parlamentarischen Kontrolle für einen wichtigen Bereich der Wirtschaftspolitik zur Folge haben werde. Diese kritische Besorgnis des Bundesrechnungshofes und der Opposition ist angesichts des steigenden Volumens der Ausgleichsabgabe und des damit verbundenen Schattenhaushalts noch drängender geworden. Bei einer Größenordnung von fast 1,5 Milliarden DM erscheint es unumgänglich, das Sondervermögen als Schatten- und Nebenhaushalt aufzulösen und die Mittel gemäß Art. 110 des Grundgesetzes im Bundeshaushalt zu verankern.Ein weiteres Anwachsen dieser Mittel und damit eine weitere Belastung der Verbraucher ohne. entsprechenden Einfluß und ohne parlamentarische Kontrolle durch Haushaltsausschuß und Plenum ist rechtlich und politisch unerträglich. Durch die bisher praktizierte und auch künftig von der Regierung und der Koalition vorgesehene Handhabung wird der Haushaltsplan seiner politischen Programmfunktion beraubt, die Aussagekraft des Haushalts schwindet, das politische Ziel und die Rechenhaftigkeit des Haushalts sind nicht genügend erkennbar. Wirtschafts- und Finanzpolitik vollziehen sich damit zunehmend außerhalb des Bundeshaushalts in Sonderprogrammen, Nebenhaushalten undSchattenhaushalten, ohne daß der rechenmäßige Zusammenhang gewährleistet ist. Damit geht die notwendige Gesamtübersicht verloren, und die nach dem Grundgesetz verlangte Vollständigkeit des Haushalts wird verletzt. Ein solches Finanzgebaren widerspricht der nach dem Grundgesetz notwendigen ordnenden Gestaltungsfunktion des Haushaltsplans.Ich darf auf eine weitere Widersprüchlichkeit hinweisen. Im Einzelplan 09 sinken im Energiebereich die Investitionsausgaben, und es wird eine Minderausgabe als Einsparung verzeichnet, während auf der anderen Seite der Energie-Schattenhaushalt gerade durch diesen Gesetzentwurf beträchtlich ansteigt. Damit ist keine vergleichende Ubersicht über die Staatsausgaben und öffentlichen Investitionen möglich. Wahrheit und Klarheit des Haushalts sind nicht mehr gegeben.Das vorliegende Änderungsgesetz enthält auch eine lautlose Automatik einer Verbrauchsteuererhöhung für die Bürger. Denn die Ausgleichsabgabe — darauf hat bereits der Bundesrechnungshof hingewiesen — kommt im Ergebnis einer Verbrauchsteuer auf elektrische Energie gleich. Es ist auf der anderen Seite eine Subvention in Gesetzesform, ohne daß diese Subvention regelmäßig finanzpolitisch verantwortet und parlamentarisch behandelt wird.Wir halten es auch für bedenklich, daß nach diesem Gesetz und dem Änderungsentwurf die Anwendung des § 1 der Bundeshaushaltsordnung ausgeschlossen ist, also die Feststellung des Wirtschaftsplans durch ein Gesetz. Gerade das aber wäre die notwendige Voraussetzung für die parlamentarische Kontrolle, für die parlamentarische Behandlung einer so wichtigen Angelegenheit. Es ist auch nicht gut, wenn Vollzug und Feststellung dieses Wirtschaftsplans durch ein und dieselbe Stelle, nämlich das Bundeswirtschaftsministerium, erfolgen.Gegenüber diesem finanzpolitischen Notbehelf einer sogenannten Wirtschaftsverwaltungsabgabe sollte wieder der klare Weg der haushaltsmäßigen Verankerung gegangen werden.Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion in Ziff. 1 auf Streichung des § 2 des Gesetzes bezweckt daher die Auflösung des Sondervermögens und die Rückführung in den Bundeshaushalt. Hilfsweise — falls unser Antrag wider Erwarten nicht angenommen wird —
beantragen wir die Anwendung haushaltsrechtlicher Vorschriften, insbesondere des § 1 der Bundeshaushaltsordnung. Das bedeutet die von mir vorhin gewünschte Verbindung des Wirtschaftsplans mit dem Haushaltsgesetz und die Feststellung durch das Parlament.Der Antrag verlangt unter Ziff. 2, daß Rechtsverordnungen über die Festlegung der Ausgleichsabgabe mit Zustimmung des Parlaments erlassen werden sollen, eine selbstverständliche und, wie ich meine, für das Parlament unumgängliche Forderung, wenn es sich nicht selber entmachten möchte. Hilfsweise beantragen wir, daß dem Bundesminister für
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Dr. WaigelWirtschaft keine weitergehende Ermächtigung eingeräumt wird, für die in absehbarer Zeit keine zwingende Notwendigkeit besteht.Der Antrag, meine Damen und Herren, steht in der Kontinuität unserer bisherigen Argumentation. Die Kollegen Professor Zeitel, Spilker und Schmidhuber haben darauf mehrfach hingewiesen. Er entspricht verfassungspolitischen, haushalts- und finanzpolitischen Erfordernissen. Ich bitte, ihm zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Rücksicht auf die späte Stunde möchte ich nur wenige Bemerkungen zu den Anträgen machen und diese gleich mit einigen Bemerkungen zur dritten Lesung der Novelle zum Verstromungsgesetz und zum Kohlezollkontingentgesetz verbinden dürfen.Meine Damen und Herren, namens der Koalitionsfraktionen bitte ich Sie, die von der CDU/CSU gestellten Anträge abzulehnen. Wir haben im Wirtschaftsausschuß eingehend die Gründe beraten.Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, § 2 zu streichen, hätte zur Folge, daß das Sondervermögen beim BAW aufgelöst werden müßte. Die Frage ist bereits bei der Verabschiedung des Dritten Verstromungsgesetzes ausführlich erörtert und entschieden worden. Der Vorschlag in dieser Form ist auch nicht praktikabel. Es wäre eine grundlegende Umgestaltung auch anderer Gesetzesvorschriften notwendig, was kurzfristig gar nicht möglich ist. Die parlamentarische Kontrolle ist gesichert. Das Bundeswirtschaftsministerium legt dem Bundesrat jährlich gesondert Rechnung. Im übrigen gibt es nur einen geringen Spielraum des BAW, da ganz überwiegend Rechtsansprüche auf Grund gesetzlicher Tatbestände vorliegen.Wir bitten, den Hilfsantrag ebenfalls abzulehnen. Auch diese Frage ist bei der Verabschiedung des Dritten Verstromungsgesetzes entschieden worden.Der Antrag, die Festsetzung des Prozentsatzes der Ausgleichsabgabe durch Rechtsverordnung der Zustimmung des Bundestages zu unterwerfen, ist auch abzulehnen, weil wegen der Unsicherheit der Marktentwicklung ein Spielraum für eine flexible Anpassung des Prozentsatzes notwendig ist. Der Bundestag wäre gar nicht in der Lage, immer kurzfristig zu entscheiden. Sollte z. B. im zweiten Halbjahr 1976 eine geringfügige Anhebung des Prozentsatzes erforderlich werden, wäre eine rechtzeitige Beschlußfassung des Bundestages äußert zweifelhaft. Auch der Hilfsantrag ist abzulehnen; darum bitten wir.Lassen Sie mich auch noch zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ein Wort sagen. Hier geht es ja um Wünsche bezüglich einer zukünftigen Regelung, wobei die Aufbringung der Mittel künftig nach Stromintensität und regionalem Strompreisniveau differenziert werden soll. Wir wissen, weitere Maßnahmen stehen zur Zeit nicht zur Beratung an.Wir wissen auch, daß die Preisdifferenzen andere Gründe haben und nicht ausschließlich und primär durch die Ausgleichsabgabe begründet sind. Deshalb bitten wir, diesen Antrag ebenfalls abzulehnen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu der Novelle selbst sagen. Wir haben in der ersten Lesung am 22. Januar 1976 eingehend diese Novelle begründet. Ich verweise auf die Ausführungen meines Kollegen Adolf Schmidt und der anderen Sprecher der SPD-Fraktion sowie auf die Beratungen im Wirtschaftsausschuß. Wir sind dankbar, daß die Novelle so schnell in den zuständigen Ausschüssen beraten wurde. Wir sind Ihnen, Herr Wirtschaftsminister, sehr dankbar für das Ergebnis Ihrer Verhandlungen mit der Elektrizitätswirtschaft. Wir können nur hoffen, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen die Ihnen gegebenen Zusagen auch einhalten. Wir werden auf Grund unseres Antrages, der eine vierteljährliche Berichterstattung über den Kohleeinsatz in den Kraftwerken vorsieht, zu verfolgen und darauf zu achten haben, daß sich die Ereignisse des Jahres 1975 nicht wiederholen. Wir haben im einzelnen dargelegt, weshalb wir diese Novelle für dringend erforderlich halten. Ich möchte nur noch zwei Bemerkungen dazu machen dürfen.Zunächst einmal haben wir die Härteklausel verbessert. Es wird jetzt sicherlich möglich sein, daß Unternehmen, die in eine schwierige Situation geraten, Antrag auf Entlastung stellen und Aussicht auf Berücksichtigung ihres Antrages haben.Wir haben außerdem dafür gesorgt, daß soweit wie möglich den denkbaren Einsprüchen des Bundesrates Rechnung getragen wurde. Eine zeitliche Verzögerung des Inkrafttretens der Novelle wäre sicherlich nicht wünschenswert. Wir können nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß z. B. die Zusagen, die der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz bei einer Grubenfahrt gegeben hat, eingehalten werden.An die Elektrizitätswirtschaft appellieren wir, ihre Zusagen einzuhalten, die entsprechenden Kohlenmengen in den Kraftwerken einzusetzen und vor allem das 6 000-MW-Programm zügig zu realisieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu der ersten Lesung des Kohlezollkontingentgesetzes sagen. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist Importkohle notwendiger Bestandteil der Energiepolitik. Sie trägt zur Diversifizierung bei; sie ist für die Küstenländer von Bedeutung; sie ist eine relativ sichere Energie; sie ist auch ein Gegenstück zu unseren deutschen Kohleexporten. Abnehmer und Verbraucher von Importkohle, Importeure, aber auch ausländische Produzenten von Kohle haben Anspruch darauf, zu wissen, welche Versorgungsfunktion die Importkohle zu erfüllen hat.Die vorliegende Gesetzesnovelle führt im wesentlichen die bisherige bewährte Regelung fort. Das bedeutet, daß das Einfuhrkontingent wie bisher nach geltendem Gesetz 5 1/2 Millionen t pro Jahr betragen wird.In der Fortschreibung des Energieprogramms hat die Bundesregierung neben der Verlängerung
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Wolfram
des Kohlezollkontingentgesetzes bis 1981 eine Eröffnung eines Zollkontingents für Verbraucher von Hüttenkoks vorgesehen. Diese Eröffnung sollte dann erfolgen, wenn zwischen Kohle und Stahl eine einvernehmliche Regelung bezüglich des Ruhrhüttenvertrags kommt. Da Kohle und Stahl zur Zeit noch verhandeln, bestand keine Notwendigkeit, eine Bestimmung über ein Kokskohlekontingent in den Entwurf zur Änderung des Kohlezollkontingentgesetzes aufzunehmen. Wir werden diesem Gesetz in den weiteren Beratungen zustimmen.Abschließend bitte ich Sie noch einmal, die CDU/ CSU-Anträge, die zur Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz gestellt worden sind, abzulehnen und der Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Ausführungen des Kollegen Wolfram zu den vorliegenden CDU/CSU-Anträgen möchte ich mich inhaltlich anschließen und meine Anmerkung auf die vorliegenden Gesetzesvorlagen konzentrieren.Das Thema Verstromungsgesetz ist offensichtlich ein Beratungspunkt mit vielen Fortsetzungsfolgen. Drei Verstromungsgesetzes, d. h. drei Gesetze, deren Zielsetzung es war, den Einsatz deutscher Kohle für die Stromerzeugung zu fördern, hat es schon gegeben, und heute haben wir abschließend über eine Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes zu beraten.Die Verabschiedung des Dritten Verstromungsgesetzes wurde von diesem Hohen Hause erst im Jahre 1974 vollzogen, eines Verstromungsgesetzes, dessen Absicht es war, den Einsatz von 30 bis 33 Millionen t deutscher Steinkohle für die Elektrizitätserzeugung in Kraftwerken durch ein finanzielles Anreizsystem sicherzustellen. Dieses finanzielle Anreizsystem besteht darin, daß den Elektrizitätsversorgungsunternehmen die Mehrkosten beim Bau von Kohlekraftwerken gegenüber Heizölkraftwerken von der Hand gehalten werden sollen, genauso wie die betrieblichen Mehrkosten beim Kohleeinsatz gegenüber dem Einsatz von schwerem Heizöl. Ich möchte darum hier mit aller Deutlichkeit anmerken, daß die FDP-Bundestagsfraktion die Absicht, den einzigen und wesentlichen deutschen Energieträger, nämlich die Kohle, zu fördern, insbesondere ihre bevorzugte Verwendung für die Elektrizitätserzeugung, für richtig erachtet. Der eingeschlagene Weg der Verstromungsgesetze hat sich im Grundsatz bewährt. Ich möchte dies noch einmal hervorheben, weil ja gerade die Ölkrise vor zwei Jahren durch einen besonderen Nachhilfeunterricht die Bedeutung der Energiesicherung als eine zentrale wirtschaftliche und politische Aufgabe ins Rampenlicht gerückt hat. Die Sicherheit der Energieversorgung hat spätestens seit dieser Zeit einen höheren Stellenwert erhalten. Es ist aber auch deutlich geworden, daß insbesondere die heimischeEnergie Kohle in Schwierigkeiten besonderer Art gelangt, nicht zuletzt dadurch, daß durch den Ölschock 1973 weltwirtschaftlich Rezessionstendenzen nachhaltig verstärkt worden sind mit der Folgewirkung, daß mit abflauendem Wirtschaftswachstum auch die noch vor zwei Jahren prognostizierten Absatzzahlen für die deutsche Kohle längst nicht erreicht werden konnten, was zusehends zur schnellen Haldenbildung — bis hin zu 17 Millionen t im Jahre 1975 — führte.In Abwägung der beiden denkbaren, nach meinem Dafürhalten zentralen Lösungsansätze in einer solchen Situation, entweder die Produktion und damit die Zahl der Arbeitsplätze im Ruhrgebiet drastisch zurückzunehmen oder aber, wie es diese Vorlage vorsieht, in dem wichtigen Absatzbereich der Kohleverwendung für die Elektrizitätserzeugung den Kohle-Einsatz zu stimulieren, entscheidet sich die FDP-Bundestagsfraktion zunächst für diesen zweiten Lösungsweg. Wenn etwa ein Drittel der deutschen Ruhrkohle für die Stromerzeugung eingesetzt wird — etwa 25 °/o, ein Viertel der deutschen Elektrizität werden aus heimischer Kohle produziert —, wird bei Überlegungen zur Stärkung des Absatzes wohl mit Recht zunächst einmal konzentriert auf diesen Verwendungsbereich geachtet. Wir begrüßen darum sowohl den Weg als auch die zeitliche Begrenzung der Fördermaßnahmen auf zwei Jahre, weil zur Zeit weder die nationale noch die internationale Wirtschaftslage so erscheint, daß seriöse Schätzungen längerfristiger Art möglich sind. Erst der Verlauf der weiteren wirtschaftlichen Belebung wird erweisen, ob die avisierten Kohleproduktionsmengen auch sinnvoll verwendet werden können oder ob eine Überprüfung erfolgen muß.Wie immer sich aber mittelfristig die Entwicklung vollziehen mag: Wir gehen davon aus, daß die Kohleproduktion nicht wie durch ein Auf- und Zudrehen eines Wasserhahns zu regulieren ist, sondern es sich dabei um kaum oder, wenn überhaupt, dann nur sehr langfristig korrigierbare Strukturentscheidungen handelt. Nach unserer Auffassung kann die deutsche Kohle als ein wesentlicher Energieträger niemals nach dem Motto „Der Kohlemohr hat seine Schuldigkeit getan, der Kohlemohr kann gehen" behandelt werden.Wir akzeptieren andererseits auch sehr bewußt und sehenden Auges — und ich möchte das auch in aller Deutlichkeit hier sagen —, daß eine sichere Energieversorgung insbesondere in der transformierten Form der elektrischen Energie ihren Preis hat, der letztlich vom Verbraucher — und das sind alle Bürger — zu zahlen ist. Es muß aber auch darauf verwiesen werden, daß für alle wesentlichen Lebensnotwendigkeiten in einem Staat auch eine breite solidarische Verantwortung in der Lastenteilung nötig ist. Energiepolitik in der Ausprägung der Kohlepolitik kann darum nicht zur Sache der Bergbauländer in unserem Staat und auch nicht zur Sache der Industrie einerseits oder der Kleinverbraucher andererseits gemacht werden, sondern muß im weitesten Sinne des Wortes auch in der Lastentragung eine Angelegenheit aller Energieverbraucher sein.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15639
ZywietzWir begrüßen, daß in dieser Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes für alle diejenigen, die durch die Erhöhung der Abgabe möglicherweise eine Existenzgefährdung erfahren könnten, durch Anwendung einer Härteklausel die Möglichkeit für Ausnahmen gegeben ist. Dabei möchten wir mit Nachdruck betonen, daß diese Härteklausel flexibler als in der Vergangenheit ausgestaltet worden ist.Auch heute sind im Verlaufe der Aussprache — wie schon bereits in der ersten Lesung — wieder unterschiedliche Auffassungen in der Frage deutlich geworden, ob die generelle Anhebung der Kohleabgabe in einem einheitlichen Prozentsatz der richtige Ansatz ist oder ob vielleicht regional oder nach Verbrauchsmengen vorgegangen werden sollte. Die schon erwähnte energiepolitische Solidarität spricht nach meinem Dafürhalten für einen gleichen Prozentsatz. Ich möchte allerdings nicht verhehlen, daß dieses prozentuale Zuschlagsverfahren tendenziell um so bedenklicher werden muß, je höher der Abgabesatz wird, weil dann die Preisunterschiede pro Kilowattstunde in den verschiedenen Ländern des Bundesgebietes noch verstärkt werden. Die Folge könnten regionale Wettbewerbs-und Standortverzerrungen sein, was auch, wie ich es sehe, nicht dem Auftrag des Grundgesetzes, für etwa gleichwertige Lebensverhältnisse der Bundesbevölkerung Sorge zu tragen, entsprechen kann. Gemachte Vorschläge lesen sich vielleicht etwas differenzierter und damit auch gerechter, aber es hilft nichts, wenn sie nicht auch relativ einfach praktizierbar sind.Wir meinen darum, daß bei der vorgesehenen Abgabe die vorgebrachten Bedenken noch nicht voll durchschlagen, insbesondere wenn man die Maßnahmen für den norddeutschen Raum, der durch die zweite Gesetzesvorlage, die hier in erster Lesung zur Beratung ansteht, betroffen ist, mit in die Betrachtung einbezieht. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, der auch über das Jahr 1976 hinaus für weitere fünf Jahre die Einfuhr von Kohle in der Größenordnung von 5,5 Millionen Tonnen pro Jahr erlaubt. Wir glauben, daß diese Menge ausreichend ist, weil sie sich an den tatsächlich in den letzten Jahren realisierten Importmengen orientiert. Diese Importkohlekontingente bedeuten insbesondere für den strukturschwächeren norddeutschen Raum eine Unterstützung, da Importkohle für norddeutsche Kraftwerke, die aus Übersee, aus England, aber insbesondere auch aus Polen eingeführt werden kann, billiger als Ruhrkohle zu beziehen ist.Es mag darum — wenn Sie so wollen — gut passen, daß gerade heute nach einer langen Debatte über Vereinbarungen mit dem Nachbarland Polen auch auf diesen Tatbestand im Zusammenhang mit der Energiepolitik hingewiesen werden kann. Ich möchte hinzufügen, daß gerade der Einsatz von Importkohle in norddeutschen Kraftwerken sehr dazu beiträgt, auf der einen Seite eine halbwegs preiswerte Stromerzeugung in dieser Region durchzuführen, auf der anderen Seite aber einen wesentlichen Lieferanten, nämlich den Staat Polen, in seiner Devisenausstattung in den Stand zu versetzen, so manche Aufträge — vielleicht noch mehr als in der Vergangenheit - beispielsweise an Werften in Schleswig-Holstein zu vergeben.Wir sehen, daß die Kohleabgabe zwar die Verbraucherbelastung erhöht, daß aber insbesondere aus norddeutscher Sicht ein gewisser Vorteil gegengerechnet werden muß, der gerade in der Verwendung der billigeren Importkohle liegt. Unabhängig davon leistet — wie ich meine — die Importkohle auch einen Beitrag zur unbedingt erforderlichen Diversifikation im Energiebereich mit dem Ziel, Energie sowohl sicher als auch preiswert im Rahmen der Möglichkeiten bereitzustellen.Die energiepolitische Situation, die zu dieser Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes führt, scheint mir allerdings auch die Notwendigkeit erkennen zu lassen, in Zukunft mehr Gedankenarbeit darauf zu verwenden, wie die Handlungsalternativen der Regierung in der Energiepolitik erweitert und vertieft werden können. Ich glaube, man kann feststellen, daß es eine Tendenz zur Versteinerung der energiepolitischen Handlungsmöglichkeiten gibt. Das muß um so bedenklicher erscheinen, als bei einem geschärften Bewußtsein der Öffentlichkeit für die essentielle Bedeutung der Energieversorgung für jeden einzelnen Bürger und das Funktionieren der Volkswirtschaft die volle politische Verantwortung aus der Sicht des Staatsbürgers bei der Regierung liegt. Das kann nicht zufriedenstellend sein. Es bedarf besonderer Anstrengungen in der Zukunft, damit sich die Handlungsmöglichkeiten der Regierung im energiepolitischen Bereich zumindest nicht weiter verengen. Ich möchte das in ganz wenigen Sätzen andeuten.
— Herr Kollege Wehner, in diesem Hause wird Zeit für manches gebraucht und auch vertan. Ich erachte es als richtig, auch zu dieser Stunde noch einige Bemerkungen zu dieser Frage vorzutragen.Rasche Veränderungen in der Kohleförderung sind sowohl aus regionalpolitischen als auch zum Teil aus technischen Gegebenheiten heraus kaum möglich. Mit zunehmendem Anteil der Elektrizität aus Kernenergie erhöht sich ebenfalls diese Versteinerungstendenz, weil Kernkraftwerke nur in der Grundlast — und das heißt: rund um die Uhr und unter voller Kapazitätsausnutzung — sinnvoll betrieben werden können. Wenn darüber hinaus eine ständige und sehr langfristige Verpflichtung zur Abnahme und damit auch zur Bezahlung weit im voraus vertraglich vereinbarter Gasmengen besteht und zum anderen die Verarbeitungsmöglichkeiten des Rohöls beispielsweise durch den technischen Stand vieler Raffinerien begrenzt sind, muß man, wie ich meine, zu dem Schluß kommen, daß diesen Tendenzen energisch entgegengewirkt werden muß, wenn der Staat seinen energiepolitischen Aufgaben in Zukunft noch gerecht werden will. Verschafft er sich diese Handlungsflexibilität nicht, kann er in ernsthafte energiepolitische Schwierigkeiten kommen, wenn sich langfristig prognostizierte Energieverbrauchszahlen, aus
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Zywietzwelchen Gründen auch immer, nicht mit dem realen Wirtschaftsablauf decken.Meine Damen und Herren, wir begrüßen die vorgesehene Hilfestellung für die Kohle im Verstromungsbereich, die — neben einer Haldenbevorratung — bei einem normalen Produktionsrhythmus richtige Maßnahmen sind, die Arbeitsplätze im Bergbau zu sichern und ebenfalls sicheren Strom zu garantieren. Wir begrüßen ausdrücklich auch die Bereitschaft der Elektrizitätswirtschaft zur Zusammenarbeit, die letztlich die vorgeschlagenen Lösungen ermöglicht hat, auch wenn ich den Eindruck hatte, daß es nicht während der ganzen Zeit der Verhandlungen so positiv ausgesehen hat, wie es vielleicht das Endergebnis erscheinen läßt. Ich kann nur hoffen und wünschen, daß die weitere Zusammenarbeit durch das Motto geprägt sein mag: Gesagt, aber auch getan.Ich möchte darum hervorheben, daß insbesondere die Liebhaber unseres Wirtschaftssystems, die zugleich Vorständen großer Unternehmen, vor allem großer öffentlicher Unternehmen angehören, sich nicht immer und ausschließlich nur auf betriebswirtschaftliche Überlegungen und Entscheidungen zurückziehen. Die unternehmerische Verantwortung in einem so wichtigen und sensiblen Bereich wie der Energiepolitik muß nach meinem Dafürhalten zumindest etwas weiter reichen. Es erscheint mir notwendig, dies noch abschließend an die Adresse einiger am Dritten Verstromungsgesetz Beteiligter anzumerken, einem Gesetz, dem wir im übrigen als FDP zustimmen.
Meine Damen und Herren, wir stehen in der Debatte über Art. 1 und über die beiden Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann komme ich zur ersten Abstimmung über den Änderungsantrag unter Ziffer 1 a auf Drucksache 7/4756. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere war die Mehrheit; Ziffer 1 a ist abgelehnt.Dann komme ich zum Alternativantrag, Ziffer 1 b. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksache 7/4765, und zwar zunächst Ziffer I. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.Ich komme zu Ziffer II. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.Ich gehe zurück zum Änderungsantrag auf Drucksache 7/4756, und zwar Ziffer 2 a. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.Nunmehr muß ich zum Alternativantrag unter Ziffer 2 b kommen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt. Damit ist dieser Änderungsantrag erledigt.Ich kehre zurück zum Änderungsantrag auf Drucksache 7/4765, und zwar Ziffer III. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt. Die Mehrheit ist stabil,
nicht groß, aber stabil.
— Sie ist eindeutig, kein Zweifel.
Ich komme jetzt zu Ziffer IV. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere war wieder die Mehrheit. Sie ist inzwischen größer geworden.Ich komme zu Ziffer V. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.Ich komme zu Ziffer VI. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.Wir kommen als letztes zu Ziffer VII. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Auch dieser Antrag ist abgelehnt.Damit kommen wir zur Abstimmung über Art. 1 in der Fassung des Ausschußantrages. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 1 a, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen der CSU und zwei Enthaltungen ist es mit großer Mehrheit so beschlossen.Wir haben nun noch über Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Damit sind sicher alle einverstanden. — Es ist so beschlossen.Der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU — Drucksache 7/4758 — soll dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und dem Haus-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15641
Vizepräsident Dr. Jaegerhaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.Der unter Punkt 3 b der Tagesordnung aufgeführte Entwurf eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1971, 1972, 1973, 1974, 1975 und 1976 soll auf Vorschlag des Ältestenrates dem Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes— Drucksache 7/4323 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/4728 —
Ich danke dem Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Dr. Schachtschabel, für seinen Schriftlichen Bericht.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 139 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1974 über die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren— Drucksache 7/4178 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/4718 —
Ich danke dem Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Ziegler, für seinen Schriftlichen Bericht.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich verbinde die Abstimmung in zweiter Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Mai 1975 zur Änderung des Artikels 12 Absatz 1 des am 30. Mai 1958 in Den Haag zustande gekommenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenlegung der Grenzabfertigung und über die Einrichtung von Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfen an der deutschniederländischen Grenze— Drucksache 7/4174 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4737 —
Ich danke dem Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Schinzel, für seinen Schriftlichen Bericht.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.Ich verbinde die Abstimmung in zweiter Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Punkte 7 und 8 der Tagesordnung auf:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Juli 1975 zur Änderung bestimmter Finanzvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften— Drucksache 7/4684 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates : Haushaltsausschuß8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Oktober 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 7/4686 —überweisungsvorschlag des Ältestenrates: FinanzausschußIch stelle fest, daß das Wort hierzu nicht gewünscht wird. Die Überweisungsvorschläge des
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15642 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Vizepräsident Dr. JaegerÄltestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesrechnungshofes betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung und der Bundesvermögensrechnung für das Haushaltsjahr 1973— Drucksache 7/4306 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort hat Frau Abgeordnete Pieser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß einleitend feststellen: Sie alle tun mir leid. Aber ich tue mir auch leid.
Das hilft aber nichts; wir müssen unsere Tagesordnung abwickeln. Ich will versuchen meinen Beitrag dazu so kurz wie irgend möglich zu gestalten, obwohl man auf Grund des vorgelegten Berichtes des Bundesrechnungshofes verlockt wäre, sehr viele Dinge anzusprechen, um zu zeigen, daß nach wie vor Kritik angebracht ist an Haushaltsführung, an Einzelmaßnahmen bis hin zu aktiver Verletzung haushaltsrechtlicher Grundbestimmungen.
Eine Reihe dieser Prüfungsbemerkungen, die wir in der Zusammenstellung finden, mag nicht zuletzt auch darin begründet sein — das haben die Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß über die Vorlage zum Haushaltsjahr 1972 gezeigt —, daß die Terminierung in der Arbeit dieses Hohen Hauses — je länger, desto mehr — einem Zustand ständiger Hektik unterliegt, daß Gesetze in Windeseile beschlossen, verabschiedet und durchgeführt werden,
zum Teil ehe dafür dringend notwendige Durchführungsverordnungen, Richtlinien und sonstiges so abgeklärt sind,
daß eine haushaltsrechtlich einwandfreie Durchführung der aus diesen Gesetzesvorlagen entstehenden finanziellen Leistungen aus Steuermitteln gewährleistet wäre.
Es gibt in diesem Bereich einen großen Katalog, angefangen von Gemeinschaftsaufgaben bis hin zu anderen Plänen. Ich darf erinnern an das, was allein im Zusammenhang mit dem Haushaltsstrukturgesetz vermutlich vor uns stehen wird, auch eines der Gesetze, die in Windeseile verabschiedet wurden, und bei dem wir jetzt bereits merken, daß z. B. bezüglich Veränderungen im Bereich des öffentlichen Dienstes Paragraphen ungenau fixiert, ergänzende Absätzeüberhaupt nicht berührt sind, so daß wir heute statt mehr Gleichheit und mehr Gerechtigkeit eine Ungleichheit haben, die sich darin zeigt, daß unter Umständen gewisse Gruppierungen von öffentlich Bediensteten nur auf Grund dieser Versäumnisse anders behandelt werden als andere, bis hin zu der paradoxen Erscheinung, meine Damen, daß ledige alleinstehende Frauen über 40 Jahre besser gestellt sind als eine alleinstehende geschiedene Frau desselben Lebensalters, weil man auch dort vergessen hat, beizeiten entsprechende Vermerke anzubringen.
Leider muß in diesem Zusammenhang auch wieder festgestellt werden, daß es eine Reihe von Maßnahmen gegeben hat, die der Steuerzahler wohl nicht ganz zu Unrecht unter dem Gesichtspunkt öffentliche Verschwendung beurteilen wird. Es gibt und gab Dinge, wo wir feststellen müssen, daß eine finanzielle Förderung von Maßnahmen erfolgt ist, ohne daß die aus diesen Geldern bezahlten Vorhaben überhaupt jemals fertig geworden sind, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurden. Ich möchte Ihnen empfehlen, den Bericht, den wir heute kurz ansprechen und der dann nach der Überweisung in den Rechnungsprüfungsausschuß eingehender diskutiert wird, daraufhin einmal abzuklopfen.Wir finden dabei Bemerkungen, die sich damit befassen, daß man z. B. für Wahlkampfvorbereitungen und -durchführungen öffentliche Mittel in Anspruch genommen hat. Von daher stellt man plötzlich fest, daß aus einer Eisenbahnversicherungskasse z. B. Kugelschreiber beschafft worden sind, die für einen gewissen künftigen Abgeordneten werben, und ähnliche Dinge mehr.
Wir haben erfahren, daß das aber nicht nur bundesimmanent ist, sondern, daß das auch auf der Ebene der Bundesländer geschieht; denn wenn wir uns die Rechnungserinnerungen des Landesrechnungshofes Nordrhein-Westfalen anschauen, die in den vergangenen Tagen Presseschlagzeilen gemacht haben, dann sehen wir, daß die Regierung Kühn mit erheblichen Steuergeldern auf Vierfarb-Glanzdruckbroschüren für ihren Wahlkampf geworben hat
und daß dort zweifelsohne Rückforderungen erforderlich sein werden.In diesem Zusammenhang wird davon auszugehen sein, daß wir in einem kommenden Jahr sicherlich Rechnungsprüfungserinnerungen bekommen werden, die sich mit dem befassen, was der Hofberichterstatter Graf Nayhauss in den vergangenen Tagen bezüglich der Vorbereitungen und Durchführung der Reise des Bundeskanzlers nach Nizza angesprochen hat. Kein Mensch in diesem Hause wird etwas dagegen haben, daß eine Reisegruppe von mehreren Ministern der Regierung nicht in dieselbe Maschine gepackt wird; das geht schon aus Sicherheitsgründen nicht. Das alles wissen wir. Aber ob es nun immer das Richtige ist, mit vier Maschinen zu fliegen, wo-
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Frau Pieservon die eine eine Kapazität von 200 Personen hat, ist eine Frage, die der Steuerzahler zweifellos äußern wird.
In diesem Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, daß diese Regierung in der jetzigen finanziellen und Haushaltssituation doch zweifellos beispielhaft daran mithelfen müßte, daß solche Beanstandungen in Zukunft nicht mehr möglich sind.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kulawig?
Sind Sie nicht der Auffassung, Frau Kollegin, daß Sie zu dem Tagesordnungspunkt zu reden haben, der aufgerufen worden ist und nicht zu Tagespressemitteilungen, von denen nicht feststeht, ob der Rechnungshof sie überhaupt aufgreifen wird?
Geehrter Herr Kollege Kulawig, wenn Sie die einleitenden Worte, die ich dazu gebraucht habe, gehört haben, werden Sie unschwer erkennen — Sie werden es auch im Protokoll nachlesen können —, daß ich gesagt habe, es ist zu erwarten, daß das nicht nur für dieses angesprochene Jahr gilt, sondern daß auch bei künftigen Berichten des Rechnungshofes mit Erinnerungen etwa dieser Art zu rechnen sein wird.
Wir haben bei dem angesprochenen Jahr — um Ihrem Wunsche zu entsprechen und wieder zur Drucksache zurückzukehren —
festgestellt, daß hier zahlreiche Beanstandungen notwendig waren. In einer Reihe von Fällen mußte kritisiert werden, daß ausgeschiedene Bundesbeamte oder sonstige in poltischer Tätigkeit befindliche uns Bekannte durch erhebliche Bundesmittel in den Stand gesetzt wurden, die Differenz zwischen ihren aktiven Bezügen als hohe Bundesbeamte. auszugleichen, oder daß sie für ehemals innegehabte Mandate oder Positionen finanzielle Aufbesserungen aus dem Bundeshaushalt erhielten. Dies gilt sowohl für einen inzwischen in den Ruhestand versetzten Ministerialdirektor, als auch für unseren Kollegen, den Herrn Minister Ehmke, der einen Gutachterauftrag aus dem Bereich des Arzneimittelrechts für einen nennenswerten Betrag ausgeführt hat.
Es gibt weiter einen ehemaligen Bundesgeschäftsführer einer Partei, der einmal Leiter eines Ministerbüros war. Seit dem 1. Januar 1973 befindet sich dieser 40jährige ehemalige Beamte mit einem Ruhegehalt von 61 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge im Ruhestand. Er hat inzwischen 116 000 DM erhalten.Ein anderer hoher Beamter, der unmittelbar vor seinem Übergang in den Ruhestand mit der Vertretung der Interessen der Bundesrepublik bei einer Unterorganisation . der UN beauftragt war, erhält neben seinem Ruhegehalt ein besonderes Honorar und eine Aufwandsentschädigung von zusammen 44 000 DM. Ich würde doch denken, daß Kollegen gerade aus Ihren Reihen, wie etwa Herr Gansel, der uns immer darauf hinzuweisen versucht, daß in diesen Dingen Sparsamkeit zu herrschen hätte, sich einmal objektiv mit solchen Fragen befassen sollten.
Es ist weiter festzustellen, daß aus dem Bericht für das Jahr 1972 ein ähnlich liegender Fall bis heute noch nicht geklärt ist. Dort waren die auf Gravamina so schwer, daß gegen den verantwortlichen Beamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden mußte. Seit dem 4. Mai 1973 befindet sich dieser hohe Beamte wegen des laufenden Disziplinarverfahrens unter Fortzahlung der Bezüge in Urlaub. Auch diese Dinge werden den Steuerzahler zweifellos nicht erfreuen.
Meine Damen und Herren, wenden wir uns nun, um die Zeit zu raffen, dem Hauptthema zu, das in diesem Bericht ebenso wie im Bericht 1972 angesprochen ist, nämlich einigen haushaltsmäßig zu beanstandenden Ausgaben aus dem Bereich des Bundesministeriums der Finanzen. Eigentlich müßten wir miteinander davon ausgehen können, daß gerade dieses Ministerium die haushaltsrechtlichen Bestimmungen in vorbildlicher Form einhält. Wir haben hingegen aber festzustellen — das weisen die Berichte 1972 und 1973 aus —, daß in diesem Zusammenhang über- und außerplanmäßige Ausgaben im Jahre 1972 von insgesamt 2,47 Milliarden DM geleistet worden sind und daß sich im Jahre 1973 diese Summe auf 4,5 Milliarden DM belaufen hat. Eine Tatsache — ich darf Sie daran erinnern —, die die Opposition veranlaßt hat, bezüglich der rechtlichen Seite eine Überprüfung all dieser Ausgaben durch das Verfassungsgericht in Karlsruhe zu beantragen. Ich nehme an, daß zumindest diejenigen, die heute noch hier sind und die in etwa wissen, was es mit den Bestimmungen des Haushaltsrechts in bezug auf über- und außerplanmäßige Ausgaben und auf die einstweilige Führung des Bundeshaushalts gemäß der Art. 111 und 112 des Grundgesetzes auf sich hat, diese Verstöße ermessen können.Nun sind wir uns sicher darüber einig, daß jeder sorgsame Hausvater am Ende eines Jahres Kassensturz macht. So tat es offensichtlich auch der für den angezogenen Jahresbereich noch zuständige verantwortliche Minister Helmut Schmidt, heutiger Bundeskanzler, und zwar zum Jahreswechsel 1972/ 1973 und 1973/1974. Er kam bei diesem Kassensturz zu offensichtlich ganz erstaunlichen Ergebnissen. Vielleicht mit Verwunderung mußte er feststellen, daß seine Bundeshaushalte 1972 und 1973 in den Haushaltsansätzen offenbar überhöht waren — eine Tatsache, auf die die Kollegen der Opposition sowohl in allen Haushaltsberatungen als auch bei der Verabschiedung des Haushalts hier in diesem Ho-
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Frau Pieserhen Hause hingewiesen haben. Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb bei der abschließenden Beratung auch Anträge auf Kürzungen in Höhe von 2,5 Milliarden DM gestellt.Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß der Opposition die Unterlagen, die die Kollegen der Regierungskoalition zur Verfügung haben, nicht in dem gleichen Umfang zugänglich sind. Dennoch haben wir die Summe mit unseren 2,5 Milliarden DM beinahe bis auf Mark und Pfennig genau getroffen. Denn ich sagte Ihnen ja einleitend, daß sich der Betrag in diesem Jahr auf 2,047 Milliarden DM belaufen habe, den man dann noch in der Kasse gefunden hat und natürlich auch einer nutzbringenden Verwendung zuführen wollte, wogegen niemand etwas einzuwenden hätte, wenn man den dafür vorgesehenen gesetzlichen Weg bestritten und die parlamentarischen Gremien an der Beratung über diese zusätzlichen Ausgaben beteiligt hätte.
Wir sind überzeugt, daß zu einigen dieser Maßnahmen auch eine Zustimmung aus unseren Reihen möglich gewesen wäre.Es war also noch Geld im Topf. Man erinnerte sich nun der Möglichkeiten, daß man doch im Rahmen der Gegebenheiten suchen müsse, wohin man dieses Geld nun schnell weiterleiten wollte. Auch da gibt es, wie der Bundesrechnungshof festgestellt hat, abenteuerliche Verfahren. Da sind Beträge in nennenswerter Höhe auf Grund telefonischer Rückfragen bei Banken bzw. Bankenkonsortien • angekündigt und in Marsch gesetzt worden. Telefonate wurden am 25. Januar geführt. Ohne daß man erst noch weitere Verständigungen gebraucht hat, hat man dann am 31. Januar die Mittel auf den Weg gebracht, obwohl — das hat der Rechnungshof eindeutig festgestellt — Mittel für diesen Zweck zu diesem Zeitpunkt aus gar keinem Grunde erforderlich gewesen sein konnten. Denn noch kurze Zeit vorher hatte die Regierung auf eine Kleine Anfrage der Opposition erklärt, daß für diesen genannten Zweck Mittel zur Zeit nicht erforderlich seien.
Von daher also muß man sagen, daß es sich zweifellos nicht nur um Haushaltsüberschreitungen gehandelt hat, sondern daß auch die Veranschlagungen durch Planungsfehler, mangelnde Koordination, unrealistische Schätzungen und sonstige Dinge von vornherein fehlerhaft betrieben worden sind.Es war so — um das noch einmal zu wiederholen —, wie die Opposition von Anfang an behauptet hatte: In dem Haushalt war Luft. Einzelaufstellungen dieser Verstöße bei der Führung des Haushaltsjahres 1972 bieten die Textziffern 9 bis 22 der Bundestagsdrucksache 7/2709. Die Dinge, die 1973 betreffen, sind unter den Textziffern 33 bis 37 aufgezeichnet. Ich will Ihre Zeit nicht noch länger damit in Anspruch nehmen, daß ich hier die Punkte im einzelnen aufführe. Auf die entsprechenden Textziffern habe ich Sie hingewiesen.Ein kurzer Hinweis noch auf den krassesten Fall des Jahres 1973, in dem man der Kreditanstalt fürWiederaufbau außerhalb des Bundeshaushalts, außerhalb der parlamentarischen Kontrolle eine Zuwendung in Form eines Darlehens in Höhe von 480 Millionen DM gegeben hat, das durch anfallende Zinsen von rund 444 Millionen DM klammheimlich auf einen Betrag von mehr als 926 Millionen DM anwuchs, die man nun als Schattenhaushalt für dieses Unternehmen weiter vor sich herschiebt.Meine Damen und Herren, ich habe — um vielleicht den Ärger meines Kollegen Kulawig, mit dem mich sonst viele gemeinsame Auffassungen in bezug auf Rechnungsprüfung und Haushaltsführung verbinden, noch einmal zu provozieren — in der heutigen Presse eine große Überschrift gelesen, die ich Ihnen zitieren möchte. Den Inhalt konnte ich auf Grund unseres umfangreichen heutigen Tagespensums nicht zur Kenntnis nehmen. Die Schlagzeile war typisch: „Grünkohlkönig Hans Apel — voller Mund und leere Taschen". Wenn es so ist, so ist das ein Ansatz mehr dazu, daß wir sagen: 1976 hoffen wir auf eine andere Regierung, denn das Umgekehrte wäre uns lieber.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herr Haehser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und meine Herren! Lassen Sie mich den Herrn Präsidenten und die Verwaltung des Bundestages und Sie alle zunächst darauf aufmerksam machen, daß nach meinem Gefühl der Tagesordnungspunkt 9 falsch formuliert ist. Hier heißt es: „betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung und der Bundesvermögensrechnung für das Haushaltsjahr 1973". In Wirklichkeit geht es um die Bemerkungen des Rechnungshofs für das Haushaltsjahr 1973; denn nach alter Übung, nach Recht und Gesetz, stellt nicht der Bundesrechnungshof den Antrag auf Entlastung der Bundesregierung, sondern das Bundesministerium der Finanzen. Wir werden das zur gegebenen Zeit tun.Das zweite, was ich sagen will, ist folgendes. Liebe, verehrte, gnädige Frau Pieser, wir haben es in dem Haushaltsjahr, um das es hier geht, mit einem Volumen von über 125 Milliarden DM zu tun gehabt. Nun werde ich Ihnen eine überraschende Mitteilung machen. Bei der Abwicklung eines solchen riesigen Volumens von 125 Milliarden DM kommen Fehler vor. Fehler kommen bei der Abwicklung eines Haushaltsjahres immer vor. Um diese aufzudecken, gibt es seit 1949 einen Bundesrechnungshof.
Weil es unter früheren Regierungen auch Fehler gab, hat es früher auch Reichsrechnungshöfe gegeben. Gut, daß es sie gibt. Wir sind für jede Anregung dankbar, auch wenn diese Anregungen gleichzeitig eine Kritik an der Abwicklung des Haushaltsgeschehens beinhalten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15645
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Er
— der Bundesrechnungshof —
hat festgestellt, daß die Beschaffung in einer Weise betrieben wurde, die mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht im Einklang steht.
Zum gleichen Thema heißt es an anderer Stelle:
Der Bundesrechnungshof kann demgegenüber nur feststellen, daß nach seiner Ansicht auch politische Entscheidungen die Verwaltung nicht dazu berechtigen oder gar zwingen, vermeidbare Ausgaben zu verursachen und die Bundeswehr, wenn auch nur vorübergehend, mit nichterprobten, unausgereiften und unzulänglichen Waffen auszurüsten.
Damals ging es um HS 30. Das ist noch in unserer aller Erinnerung. Solche Fälle werden Sie im jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofs nicht angekreidet sehen.
Ich könnte Ihnen gern auch noch vorlesen, was zu F 104 G gesagt worden ist. Ganze Romane könnte ich Ihnen vorlesen. Wäre es noch etwas früher, dann hätte ich es auch gern getan, zumal Sie ja meiner Anregung, auf die heutige Debatte zu verzichten, nicht gefolgt sind.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten van Delden?
Gern, Herr van Delden.
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit behaupten, daß unter der jetzigen Regierung ähnliche Fehler beim Beschaffungswesen nicht auch vorkommen können? Wenn nein, empfehle ich Ihnen, sich einmal die Debatte im Verteidigungsausschuß von gestern zu Gemüte zu führen.
Ich will damit, Herr van Delden, genau das behaupten, was der Rechnungshof auch gesagt hat, nämlich daß so leichtfertige Anschaffungen von unerprobten Waffen in der Tat nicht vorgekommen sind, seitdem es diese Regierung gibt. Das will ich damit behaupten. Dies tue ich aber auch ganz eindeutig.Ich will etwas anderes vorlesen, weil vielleicht zu später Stunde dem Hohen Hause etwas Erheiterung guttut. Hier haben wir es zu tun mit einem Aulagebäude für die Ingenieurakademie Dieburg — eine Postakademie — mit Künstlergarderoben und zahlreichen Nebenräumen. Dazu schrieb vor ein paar Jahren der Rechnungshof:Das Gebäude ist ungewöhnlich gut ausgestattet. Die Böden der Aula, der Eingangshalle, derWandelgänge und der Treppen sind für rund 220 000 DM mit italienischem Marmor belegt. Zur Beleuchtung der Eingangshalle und der Wandelgänge dienen Lüster aus Muranoglas ...Was meinen Sie, was ich Ihnen für eine Fundgrube anbieten könnte, wenn man statt des bisherigen Verfahrens Ihr neues wählte, hier zu reden statt im Rechnungsprüfungsausschuß, wo man die Entgegnungen der Regierung zur Kenntnis nehmen kann! Denn, liebe Frau Pieser, daß nicht nur die Regierung Fehler macht, sondern auch der Rechnungshof Fehler macht, hat sich wohl inzwischen herumgesprochen. Ich denke da nur an die Debatte um die Begutachtung im Zusammenhang mit dem Ministerium Eppler.Nun haben Sie, wie ich das selbstverständlich erwartet habe, auch über die überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben gesprochen. Da habe ich hier eine Zahl aus dem Jahre 1965. Frau Pieser, ich rede doch zu Ihnen! Ich rede zu Frau Pieser, und sie schaut Sie an, Herr Windelen. Sind Sie wirklich attraktiver als der hier Redende?
Ich wollte Ihnen sagen, daß im Jahre 1965 die über-und außerplanmäßigen Ausgaben in vom Hundert des Ausgabesolls 6,5 °/o betragen haben. Im von Ihnen beanstandeten Jahr betragen sie 3,8 °/o. Was soll also diese Kritik? Solche Abweichungen gab es immer wieder, und auch die des Jahres 1975, die Sie demnächst beanstanden werden, liegen weit unter denen der Rekordjahre früherer Regierungen.Nun haben Sie das schon ein halbes dutzendmal hier und zwei dutzendmal im Haushaltsausschuß beanstandet. Wir haben das auch alles gehört, und wir wissen auch Ihre ganzen Bemerkungen zu würdigen. Nur eins will ich Ihnen sagen: Es ist merkwürdig, daß Sie bei den Beanstandungen der über-und außerplanmäßigen Ausgaben eine Ausgabe in Höhe von mehreren hundert Millionen DM nicht beanstandet haben, nämlich die an den nationalen deutschen Ölkonzern VEBA-Gelsenberg zum Zusammensthluß der beiden Einrichtungen. Diese Ausgabe haben Sie nicht beanstandet, weil es unpopulär gewesen wäre, in der Energiekrise das zu beanstanden. Deswegen haben Sie das wohlweislich unterlassen und sogar nicht einmal in die Verfassungsklage eingebracht, obwohl das Verfahren genau dasselbe ist wie die Überweisung an die Deutsche Bundesbahn oder die Überweisung an die Salzgitter AG zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung dieses Unternehmens. Ich habe den Dichter nicht zur Hand, wohl aber, was er geschrieben hat. Er hat geschrieben: „Mit der Größe der Pfarre dürfen sich die Grundsätze nicht verändern." Das gilt bei Ihnen wohl nicht; wahrscheinlich verstehen Sie zuwenig von einer Pfarre.Im übrigen, meine Damen und meine Herren — damit schließe ich —, hat das Bundesfinanzministerium über die außer- und überplanmäßigen Ausgaben, wie es seine Pflicht ist, nicht nur dem Haushaltsausschuß, sondern selbstverständlich dem Deutschen Bundestag berichtet. Der Deutsche Bundestag hat
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Parlamentarischer Staatssekretär Haehseralle einzelnen Drucksachen ohne jede Debatte zustimmend zur Kenntnis genommen. Finden Sie sich doch damit einmal ab, und finden Sie sich, liebe Frau Pieser, vor allen Dingen damit ab, daß es vielleicht doch besser wäre, das alte Verfahren wieder zu wählen: Der Rechnungshof legt seine Bemerkungen vor; diese werden ohne Debatte an den Rechnungsprüfungsausschuß überwiesen; dort stehen Rechnungshof und Ministerien einander gegenüber, dort wird mit größter Sachlichkeit debattiert und anschließend hier im Bundestag.
Ich bitte alle künftigen Redner, doch einen Blick auf die Uhr zu tun. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Blick auf die Uhr verkneife ich mir; sonst sehe ich noch, daß ich fast gar nicht gesprochen haben werde.
Frau Pieser, im Grunde genommen haben Sie den Beifall Ihrer Fraktionsangehörigen für eine Rede bekommen, die Sie im vorigen Jahr schon einmal gehalten haben. Bloß hat es niemand gemerkt. Deswegen können wir wohl auch ganz kurz über das hinweggehen, was Sie gesagt haben. Ich möchte nur eines wiederholen — auch aus dem vorigen Jahr —: Halten Sie hier bitte keine Reden zu noch nicht durch den Rechnungsprüfungsausschuß gegangenen Bemerkungen des Bundesrechnungshofs, weil Sie diesem sonst das Unfehlbarkeitsdogma zuschieben, zureden und zuschreiben, das der Präsident des Rechnungshofs selber gestern in der Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses abgelehnt hat. Sie bringen den Rechnungshof in eine Klemme, in die er nicht gehört, für die er eigentlich zu schade ist. Er wird mit noch nicht durchgeprüften Berichten hier bereits als Lieferant von Angriffsmaterial für die Opposition in Anspruch genommen.
Und dann, Frau Pieser, lassen Sie doch bitte, wenn Sie zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen, andere Dinge heraus! Die Ehrenordnung des Bundestages gestattet es den gewählten Abgeordneten, als Anwälte für oder gegen die Bundesrepublik aufzutreten. Warum soll ein solcher Mann, wenn er besonders sachverständig ist, nicht auch einmal ein Gutachten schreiben? Statt dessen beteiligen Sie sich an der schleichenden Rufmordkampagne gegen den Kollegen Ehmke, die zunächst mit falschen Zahlen und falschen Angaben eingeleitet wurde. Niemand der Kollegen aus Ihren Reihen, der es besser wußte, hat irgend jemanden von denen gestoppt, die sich daran beteiligt haben. Mich hat es enttäuscht, Frau Pieser, daß Sie dabei mitgemacht haben. Sie sind im Grunde genommen zwar, um das so zu sagen, eine freundliche Pairings-Partnerin im Rechnungsprüfungsausschuß, aber von dem, was Sie dort an Fairneß zeigen, bringen Sie in die Reden hier leider nichts ein. Es wäre vernünftiger, diese Reden zu den Entlastungsanträgen zu halten und nicht bei den Überweisungen. Bei den Entlastungsanträgen könnte man dann feststellen, ob das, was Ihr Kollege gestern im Rechnungsprüfungsausschuß gesagt hat, nämlich daß der Rechnungshof zu bestimmten Fragen, die er moniert hat, gestanden oder nicht gestanden hat, richtig ist. Man könnte dann in der Tat eine saubere Auswertung vornehmen. Einstweilen können wir dies zu der überwiesenen Drucksache nicht tun. Wir werden uns mit ihr im Rechnungsprüfungsausschuß befassen, und ich hoffe, daß der Geist, den Sie heute abend hier gezeigt haben, Frau Pieser, im Rechnungsprüfungsausschuß wieder verschwunden sein wird.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Stunde bringen mich nur die Hochachtung vor der verehrten Frau Kollegin Pieser und die Bedeutung, die der Bundesrechnungshof für dieses Parlament und für diesen Staat hat, an das Rednerpult. Ich meine, es wäre der Arbeit des Bundesrechnungshofs dienlicher, wenn wir über seine Empfehlungen, über seine Kritik, die wir auch in den nächsten Jahren gern entgegennehmen wollen, erst dann hier in die offene Aussprache gingen, wenn der Rechnungsprüfungsausschuß in seiner Beratung Kritik und Stellungnahmen der Kritisierten miteinander hat saldieren können und wir dann ein durch die sachliche Beratung gefiltertes Ergebnis vor uns haben.
Daß die Opposition den Bericht des Bundesrechnungshofs über die Jahresrechnung 1972 zur Aussprache gestellt hat, habe ich noch mit Rücksicht auf das politisch interessante Thema der überplanmäßigen Ausgaben verstanden. Aber das ist Gegenstand eines Verfassungsgerichtsstreits. Hier wollen wir miteinander auf die Entscheidung des angerufenen Gerichts warten.Danach hätte eigentlich die alte Übung wieder Platz greifen können; denn der Bericht 1973 gibt ähnliche Sensationen nun wirklich nicht her. Schade um diesen Aufwand und schade darum, daß bei so vorgezogenen und damit einseitigen Debatten immer wieder der Rechnungshof in die Gefahr kommt, unnötig in eine zwielichtige Situation zu geraten. Das gerade möchten wir dem Rechnungshof ersparen; denn er ist das wichtigste Glied in dem Bereich der Zuarbeiter für dieses Parlament, insbesondere für den Haushaltsausschuß dieses Parlaments. Ich würde es begrüßen, wenn wir bei der Behandlung — wenn schon die nun von der Opposition gewählte Praxis auch künftig beibehalten werden soll — etwas mehr Fairneß im Umgang miteinander bewahren könnten.Frau Kollegin Pieser hat hier auf den Fall eines Geschäftsführers abgehoben — nicht eines früheren, sondern der Betreffende ist immer noch Bundesgeschäftsführer. Aber genau dieser Fall, meine Damen und Herren, der sicher zu Recht vom Bundesrechnungshof aufgegriffen und in seine Beanstandungen aufgenommen worden ist, war bereits Gegenstand der parlamentarischen Behandlung. In
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15647
Hoppeder Sitzung des Bundestages vom 12. Februar 1976 hat die Bundesregierung auf Anfrage der Opposition mitgeteilt, daß der Beamte, unbeschadet der unterschiedlichen Rechtsauffassung, die in dieser Sache zwischen Bundesregierung und Bundesrechnungshof besteht, den nach Meinung des Bundesrechnungshofs überzahlten Betrag voll zurückgezahlt hat. In der Antwort der Bundesregierung hieß es dann, die Bundesregierung betrachte die Angelegenheit damit als erledigt. Auch die Opposition hat nicht nachgefragt, und man durfte davon ausgehen, daß auch sie die Angelegenheit als erledigt betrachtet hat — dies um so mehr, als im zuständigen Haushaltsausschuß bereits zuvor, nämlich am 22. Januar, vom zuständigen Ministerium diese Aufklärung gegeben worden war. Meine Damen und Herren, so sollten wir nicht miteinander umgehen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich komme zur Überweisung an den Haushaltsausschuß. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich werde noch darauf aufmerksam gemacht, daß wir bei Punkt 5 der Tagesordnung versehentlich nicht über Ziffer 2 des Ausschußantrages abgestimmt haben, die Empfehlung 147 betreffend die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren zur Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich gegen eine solche Kenntnisnahme Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung des Wohngeld- und ,Mietenberichts 1975 der Bundesregierung— Drucksache 7/4460 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
HaushaltsausschußWegen der späten Stunde haben die vorgemerkten Redner auf mündliche Behandlung verzichtet. Wir kommen damit zur Überweisung. Der Ältestenrat schlägt die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Überweisungen vor. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Rollmann, Kroll-Schlüter und Genossen und der Fraktion der CDU/CSUbetr. Schaffung eines einheitlichen und umfassenden Jugendgesetzbuchs— Drucksachen 7/1019, 7/4697 — Berichterstatter: Abgeordneter GanselWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 12 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 53 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/4708 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Beschlußfassung über den Antrag des Ausschusses, seine in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge anzunehmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltung? — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 13 und 14 auf:13. Beratung der zustimmungsbedürftigten Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs
— Drucksache 7/4674 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft14. Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 7/4685 —Überweisungsvorschlag des- Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Bericht über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag — Drucksachen 7/3267, 7/4720 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau VerhülsdonkWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Punkte 16 bis 23 der Tagesordnung auf :16. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu dem von
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15648 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
Vizepräsident Frau Funckeder Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr von bestimmten Verkehrsmitteln— Drucksachen 7/4316, 7/4679 —Berichterstatter: Abgeordneter SchreiberBeratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1955/75 über die Erstattungen bei der Erzeugung für Getreide und Reis— Drucksachen 7/4342, 7/4688 —Berichterstatter: Abgeordneter Vit18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1955/75 über die Erstattung bei der Erzeugung für Getreide und Reis— Drucksachen 7/4300, 7/4689 —Berichterstatter: Abgeordneter Vit19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien (66/403/EWG und 70/458/EWG) über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln und mit Gemüsesaatgut— Drucksachen 7/4277, 7/4690 —Berichterstatter: Abgeordneter Saxowski20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates betreffend die Anwendung von Artikel 40 Absatz 4 EWG auf die französischen überseeischen Departements— Drucksachen 7/4341, 7/4691 —Berichterstatter: Abgeordneter Gallus21. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineVerordnung des Rates zur Änderungder Verordnung Nr. 121/67/EWG hinsichtlichder Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für geschlachtete SchweineVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 122/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für EierVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 123/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Geflügelfleisch— Drucksache 7/4351, 7/4692 — Berichterstatter: Abgeordneter Bremm22. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission zur Kodifizierung im Reissektor— Drucksachen 7/4353, 7/4693 —Berichterstatter: Abgeordneter Rainer23. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern— Drucksachen 7/4052, 7/4724 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau GrützmannWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ausschußanträge. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Zwei Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt— Drucksache 7/4753 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Damit sind wir am Ende der Beratung der für heute vorgesehenen Punkte der Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf Freitag, den 20. Februar 1976, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.