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ID0722403700

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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 224. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 15531 A Begrüßung des Präsidenten und einer Delegation der Verfassunggebenden Versammlung der Republik Portugal 15531 A Begrüßung des Premierministers der Islamischen Republik Pakistan mit seiner Begleitung 15550 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 — Drucksache 7/4310 —, Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/4733 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/4731 — Schmidt (Kempten) FDP . . . 15531 C, 15576 B Franke (Osnabrück) CDU/CSU (zur GO) . . 15535 C Sund SPD (zur GO) . . . . . . . . 15536 B Genscher, Bundesminister AA 15536 C Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 15540 C Metzger SPD . . . . . . . . . . 15544 C Hoppe FDP 15548 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 15551 D Brandt SPD . . . . . . . . 15559 D, 15622 B Dr. Jaeger CDU/CSU . . . . . . . 15564 C Sund SPD 15570 C Franke (Osnabrück) CDU/CSU . . . . 15574 C Koschnick, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 15577 B, 15623 C Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . . . 15583 D Schmidt, Bundeskanzler . . . 15588 C, 15619 A Dr. Kohl, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz . . . 15599 C, 15620 D, 15622 D Mischnick FDP 15606 B Wehner SPD 15609 D Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . 15612 D Dr. Arndt (Hamburg) SPD . . . . . . 15616 C Dr. Hupka CDU/CSU 15624 A Dr. Czaja CDU/CSU . . . . . . . . 15626 C Schlaga SPD 15629 A Dr. Schweitzer SPD (Erklärung nach § 59 GO) 15631 D II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 Reddemann CDU/CSU (Bemerkung nach § 35 GO) 15633 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 15612 C, 15634 B Namentliche Abstimmung 15631 D Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes — Drucksache 7/4577 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksachen 7/4740, 7/4744 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1971, 1972, 1973, 1974, 1975 und 1976 — Drucksache 7/4687 —Schmidhuber CDU/CSU . . . . . . . 15634 C Dr. Waigel CDU/CSU . . . . . . . . 15636 A Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . . . 15637 A Zywietz FDP .. . . . . . . . . . 15638 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes — Drucksache 7/4323 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 7/4728 — 15641 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 139 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1974 über die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren — Drucksache 7/4178 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/4718 — 15641 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Mai 1975 zur Änderung des Artikels 12 Absatz 1 des am 30. Mai 1958 in Den Haag zustande gekommenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenlegung der Grenzabfertigung und über die Einrichtung von Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfen an der deutsch-niederländischen Grenze - Drucksache 7/4174 —, Bericht und Antrag des Finanzausschusses — Drucksache 7/4737 — . . . . . . . . 15641 C Erste Bratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Juli 1975 zur Änderung bestimmter Finanzvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften — Drucksache 7/4684 — 15641 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Oktober 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 7/4686 — . . . . . . . . 15641 D Beratung des Antrags des Bundesrechnungshofes betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung und der Bundesvermögensrechnung für das Haushaltsjahr 1973 — Drucksache 7/4306 — Frau Pieser CDU/CSU 15642 A Haehser, Parl. Staatssekretär BMF . . 15644 D Dr. Sperling SPD 15646 A Hoppe FDP 15646 C Beratung des Wohngeld- und Mietenberichts 1975 der Bundesregierung — Drucksache 7/4460 - . . . . . . . . 15647 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Rollmann, Kroll-Schlüter und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Schaffung eines einheitlichen und umfassenden Jugendgesetzbuchs — Drucksachen 7/1019, 7/4697 — 15647 B Beratung der Sammelübersicht 53 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 7/4708 — . . . . . 15647 C Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs (Nr. 4/76 — Besondere Zollsätze gegenüber Israel — EGKS) — Drucksache 7/ 4674 — 15647 C Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs (Nr. 12/75 — Erhöhung des Zollkontingents 1975 für Elektrobleche) — Drucksache 7/4685 — 15647 D Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung zur Un- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 III terrichtung vorgelegten Bericht über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag — Drucksache 7/3267, 7/4720 — . . . . .15647 D Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzauschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr von bestimmten Verkehrsmitteln — Drucksachen 7/4316, 7/4679 — 15647 D Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1955/75 über die Erstattungen bei der Erzeugung für Getreide und Reis — Drucksachen 7/4342, 7/4688 — 15648 A Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1955/75 über die Erstattung bei der Erzeugung für Getreide und Reis — Drucksachen 7/4300,7/4689 — 15648 A Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien (66/403/EWG) und (70/458/EWG) über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln und mit Gemüsesaatgut — Drucksachen 7/4277, 7/4690 — 15648 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates betreffend die Anwendung von Artikel 40 Absatz 4 EWG auf die französischen überseeischen Departements — Drucksachen 7/4341, 7/4691 —15648 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 121/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für geschlachtete Schweine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 122/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Eier Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 123/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Geflügelfleisch — Drucksachen 7/4351, 7/ 4692 — . 15648 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission zur Kodifizierung im Reissektor — Drucksachen 7/4353, 7/4693 — 15648 C Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern — Drucksachen 7/4052, 7/4724 — 15648 C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt — Drucksache 7/4753 — . . . . . 15648 D Nächste Sitzung 15648 D Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .15649* A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schweitzer SPD nach § 59 GO . . . . . . . . . 15649* B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15531 224. Sitzung Bonn, den 19. Februar 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete() entschuldigt bis einschließlich Prof. Dr. Abelein 20. 2. Dr. Aigner * 20. 2. Dr. Artzinger * 20. 2. Behrendt * 20. 2. Biermann 20. 2. Dr. Dregger 20. 2. Entrup 20. 2. Dr. Eppler 20. 2. Prof. Dr. Erhard 20. 2. Flämig * 20. 2. Frehsee * 20. 2. Gerlach (Emsland) * 20. 2. Hussing 20. 2. Dr. Jahn (Braunschweig) * 20. 2. Dr. Kreile 19. 2. Dr. Klepsch * 20. 2. Lange * 20. 2. Dr. Lauritzen 20. 2. Lautenschlager * 20. 2. Lücker * 20. 2. Dr. Marx 20. 2. Mattick *** 20. 2. Memmel * 20. 2. Müller (Mülheim) * 20. 2. Frau Dr. Orth 20. 2. Schmidt (München) * 20. 2. Schonhofen 20. 2. Dr. Schröder (Düsseldorf) 20. 2. Dr. Schwörer * 20. 2. Seibert 20. 2. Spilker 19. 2. Springorum * 20. 2. Strauß 20. 2. Suck * 20. 2. Tönjes 20. 2. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 20. 2. Dr. Wagner (Trier) 20. 2. Walkhoff * 20. 2. Frau Dr. Walz * 20. 2. Frau Dr. Wolf 20. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schweitzer (SPD) nach § 59 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und UnfallAnlagen zum Stenographischen Bericht versicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (Drucksache 7/4310) Mit meiner Zustimmung zu dem gesamten deutschpolnischen Verhandlungspaket möchte ich nicht zuletzt meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, daß wir endlich aus dem Teufelskreis alter Verwicklungen, Irrungen und Belastungen im deutschpolnischen Verhältnis herauskommen und künftig noch mehr Beiträge zur Verdeutlichung gerade auch des vielen Gemeinsamen zwischen Polen und Deutschen leisten müssen. Es ist für mich erstaunlich festzustellen, daß zumindest ein Teil der CDU/CSU gerade im Zusammenhang mit dem heutigen Thema oft eine Einsicht in große historische Zusammenhänge vermissen läßt. Nur so ist es zu erklären, daß das intern völlig verfehlte Argument ständig in die öffentliche Debatte geworfen wird, wir Deutschen würden jetzt nach dem Warschauer Vertrag zum zweitenmal gegenüber der Volksrepublik Polen „zur Kasse gebeten". Muß es denn stets aufs neue eingehämmert werden, daß wir mit den ehemaligen deutschen Ostgebieten 1970 gar keinen Preis für Hitlers begonnenen und verlorenen Krieg zahlen konnten, weil der Sieger sich diese Gebiete als Beute längst genommen hatte und keine Macht der Welt sie uns hätte zurückholen können? In der in diesem Hause in den letzten Jahren monoton wiederholten Argumentation eines kleinen Teiles der Opposition klingt doch immer wieder die Linie durch, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf", daß mit anderen Worten die alten Gebiete im Osten für uns Deutsche mit allen Konsequenzen nicht endgültig verloren seien, weil wir vor der Geschichte auf sie ein ewig verbrieftes Anrecht hätten. Tatsächlich ist aber doch die Geschichte bis zum Atomzeitalter angefüllt gewesen mit gewonnenen und verlorenen Kriegen, mit der Wegnahme von Gebieten und Bevölkerungsteilen. Diesen Teufelskreis wollen wir durchbrechen. Ein Otto von Bismarck war in dieser Beziehung sehr viel nüchterner. So rechnete er in einer heute geradezu prophetisch anmutenden Rede im Deutschen Reichstag 1885 durchaus mit der Möglichkeit, daß eines Tages, „... wenn das Deutsche Reich zertrümmert, wenn Preußen zerschlagen und niedergeworfen ist" ..., Deutschlands Grenze nach einem verlorenen Kriege „bis an die Oder heran" zurückgedrängt werden könnte. Heute sollten wir allen denjenigen, die der Aussöhnung mit unseren polnischen Nachbarn nicht nur verbal, sondern tatsächlich denselben historischen Rang beimessen wie der Aussöhnung mit Frankreich nach 1945, sagen, daß Aussöhnung und Normalisierung angesichts der teilweise so schrecklich belasteten Beziehungen zwischen Deutschen und Polen letztlich Leerformeln bleiben und neuen gefährlichen Entwicklungen Platz machen könnten, wenn es nicht gelingt, im deutschen Volk ein besseres Verständnis für Einstellungen und Geschichtsbilder des polnischen Volkes und umgekehrt zu wecken und Geschichtsbilder in beiden Ländern im Interesse der Friedenssicherung in Europa auf einen zumindest niedrigsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Zu Recht hat schon vor Jahren die UNESCO in einem 15650* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 berühmten Bericht festgestellt, daß „Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen". Das wollen wir nicht mehr. Dem Ziel eines besseren gegenseitigen Geschichtsbildes dient eine Reihe wichtiger wissenschaftlicher Gemeinschaftsvorhaben von Deutschen und Polen. An dieser Stelle will ich nur eines erwähnen, weil es von der Opposition in diesem Hause wiederholt in sträflicher Weise falsch dargestellt worden ist. Ich meine hier die jüngsten Empfehlungen der sogenannten deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz, die einer besseren Darstellung der deutschpolnischen Beziehungen nach 1945 in den Schulbüchern dienen sollen. Der Kollege Carstens hat hier am 26. November 1975 so getan, als ob diese Empfehlungen im Zusammenhang mit der Nachkriegsentwicklung in den ehemaligen deutschen Ostgebieten ausschließlich von „Bevölkerungsverschiebungen" sprechen. Damit sollten offensichtlich die Emotionen von Millionen von Landsleuten geweckt werden, die einmal in diesen Gebieten wohnten. Tatsächlich handelte es sich hier nur um eine Überschrift über einem Abschnitt, in dem völlig korrekt nacheinander von Evakuierung, Flucht — hier ausdrücklich „unter großen Verlusten" — Ausweisung und Zwangsumsiedlung gesprochen wird. Wer hier wider besseres Wissens falsch bzw. unvollständig zitiert, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er in Wirklichkeit die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen torpedieren will. Auch Vertriebenenpolitiker sollten sich klarmachen, wie schwer es den polnischen Wissenschaftlern gefallen sein muß, in Polen deutsch-polnische Hinweise z. B. darauf veröffentlichen zu lassen, daß die Bundesregierung bei Abschluß des Warschauer Vertrages „nur im Namen der Bundesrepublik Deutschland handelte", daß „man in der Bundesrepublik beim staatlichen Neuaufbau an alte deutsche demokratische Traditionen anknüpfen konnte" oder daß die „Westmächte gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren wiederholt Vorschläge vorlegten, die Sicherheit in Europa mit friedlichen Mitteln zu fördern und so die Konfrontation zu reduzieren". Wir können nur hoffen, daß die deutsche Seite nun doch schneller mit der polnischen gleichzieht, was die Umsetzung der gesamten Empfehlungen in die Praxis betrifft. In Polen ist in dieser Hinsicht schon viel geschehen. Der Bundesrat täte gut daran, statt sich mit seiner derzeitigen Mehrheit auf ein staatsrechtlich mehr als zweifelhaftes Experiment der Einmischung in die Außenpolitik des Bundes einzulassen, die Länderkultusminister aufzufordern, endlich neue Handreichungen zu liefern, mit denen der überholte sogenannte Ostkundeerlaß aus dem Jahre 1956 abgelöst werden könnte. Wer will es verantworten, daß nun auch noch die bisherigen Erfolge in der wissenschaftlich-kulturellen Zusammenarbeit zwischen Polen und der Bundesrepublik aufs Spiel gesetzt, ja vielleicht verspielt werden, und dies gerade 1976, wo wir endlich auch ein Kulturabkommen unter Dach und Fach bringen wollen, nachdem das Jahr 1975 einen großen Aufschwung in den wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen jeder Art erlebt hat? Was die heute so heftig diskutierten Probleme der Aussiedlerzahlen betrifft, so sollten wir daran objektiv und nüchtern herangehen. Niemand in Deutschland oder in Polen kann sie ganz genau kennen. Jeder, der sich mit dieser Frage an Hand von Unterlagen hier in Deutschland oder in Polen beschäftigt hat, wie ich das für mich in Anspruch nehmen darf, weiß um die statistischen, aber auch staatsrechtlichen, völkerrechtlichen und ethnologischen Schwierigkeiten. Auch das mit so viel Fleiß seit Jahren arbeitende Deutsche Rote Kreuz kann Anträge nicht alle fünf Jahre wieder auf den neuesten Stand bringen, sie im übrigen nur entgegennehmen und schon gar nicht auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen. Wer oder wessen Nachkommen sind schließlich abgesehen von unserem Staatsangehörigkeitsrecht in diesem Teil des europäischen Ostens heute noch als Deutsche zu bezeichnen? Welche Kriterien sind überhaupt für die Beantwortung der generellen Frage anzuwenden, wer mit welchem Anspruch heute zu welcher Nation und zu welchem Volk gehört? Sicher ist für mich auf Grund vieler Gespräche mit polnischen Regierungsstellen, mit polnischen Kollegen aus Wissenschaft und Politik, daß alle polnischen Stellen jetzt enorme organisatorische Anstrengungen unternehmen, um die ganze Frage in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen endgültig lösen zu helfen. Die Polen wollen ja selber auf die Dauer keine volksdeutschen Minderheiten — was nach den Erfahrungen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht unverständlich sein mag. Sicherlich treffen daher auch Ergebnisse jüngster Umfragen in Polen zu, wonach weit über 80 % der Bevölkerung die schließliche Ausreise aller in Frage kommenden Personen nach Deutschland wünschten. Wir Deutschen haben keinerlei Veranlassung, den ehrlichen Willen der polnischen Seite zur Vertragserfüllung gerade in diesem Punkte anzuzweifeln. Wer dies dennoch tut, der untergräbt die internationale Vertragsmoral schlechthin. Davor sollten gerade wir uns hüten.
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    Rede von Dr. Alois Mertes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich möchte dem Hause folgendes sagen:

    (Erneute Zurufe von der SPD)

    — Warten Sie doch bitte ab. Mir liegt daran, daß diese Sache bereinigt wird. Mir liegt daran! Ich halte mich nicht für einen unfehlbaren Menschen.
    Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß vor einigen Tagen im polnischen Sejm eine Verfassungsänderung zugunsten einer ausdrücklichen Bindung der Volksrepublik Polen an die UdSSR beschlossen worden ist; ihr wurde mit einer einzigen Enthaltung geschlossen zugestimmt. Dann hat der Kollege Wehner mir etwas zugerufen, was ich als Kritik an meinem Hinweis auf diese 100%ige oder 99,9%ige Entscheidung verstanden habe.

    (Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

    Ich habe daraufhin wegen dieser Äußerung des Kollegen Wehner gesagt: Ich verstehe, daß Sie das Bedürfnis empfinden, solche Einstimmigkeit nicht so negativ zu sehen. So war meine Äußerung zu verstehen, nicht anders.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Gelächter bei der SPD — Wehner [SPD] : Gehobener Diplomat! Geschobener Diplomat!)

    — Herr Kollege Wehner, Sie haben uns, die CDU/ CSU, einmal die ewig Gestrigen und die Reaktionären genannt. Dieses stört mich überhaupt nicht, denn das sind die Qualifikationen, die meinem Elternhaus zur Zeit des Nationalsozialismus zuteil geworden sind. Dieses kann mich sehr wenig berühren.
    Lassen Sie mich noch etwas zu dem sagen, was uns hier — so sagte der Außenminister zu Recht —bewegt, nämlich dem deutsch-polnischen Verhältnis. Ich wollte sagen: Wenn das polnische Volk völlig frei entscheiden könnte, dann bin ich der Überzeugung, daß es wünschte, daß an seiner westlichen Grenze ein deutscher Staat wäre, der unabhängig ist und der die Wertvorstellungen des polnischen Volkes teilt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieses ist aber nicht der Fall. Konrad Adenauer hat immer wieder gesagt, unser Problem ist nicht das polnische Volk, sondern unser Problem liegt in der Tatsache, daß zwischen dem freien Deutschland und Polen eine fremde Macht steht.
    Wenn wir darauf hinweisen, daß wir unseren Friedensvertragsvorbehalt aufrechterhalten müssen, dann deshalb, weil hier auch noch eine andere, sehr schwerwiegende Folge zu bedenken ist: Konrad Adenauer hat durch seinen Delegationsleiter beim Londoner Schuldenabkommen — es war Hermann Josef Abs — ganz unmißverständlich erklären lassen, daß wir die kollektive Gesamthaftung des Deutschen Reiches für die Missetaten des nationalsozialistischen Deutschen Reiches sehen. Es war aber unseren Verhandlern in London 1953 klar, daß es ein neues moralisches Problem gibt, nämlich die Unterdrückung der Freiheit durch ein neues totalitäres System in einem Teile Deutschlands. Deshalb hat die Bundesregierung damals das Londoner Schuldenabkommen mit der Auflage geschlossen, daß Reparationen — und darunter sind auch reparations-ähnliche Leistungen zu verstehen — mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verbunden sein müssen, d. h. des kollektiv haftenden Gesamtstaates.
    Die Bundesregierung sagt formal durchaus zu Recht, daß das Londoner Schuldenabkommen durch diese Abkommen nicht berührt wird. Sie dürfen doch aber nicht übersehen, daß sich in den letzten Jahren eine Form der moralischen Selbstanklage deutscher Politik — ich sage: eine Form der moralischen Selbstanklage — in diesem Lande breitmacht, die ich als nicht richtig und die ich als ungeschichtlich empfinde. Wenn ich im Namen gerade dieser Missetaten des Deutschen Reiches unter Hitler und seinen Schergen, die übrigens nicht nur aus dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland kamen, sondern auch aus dem der DDR und auch aus dem Territorium Österreichs, — —

    (Wehner [SPD] : Und auch der CSSR! Vergessen Sie das auch nicht!)

    — Dieser Einwand, Herr Kollege, war durchaus richtig, aber unterlassen Sie Ihre Störungsversuche, sonst provozieren Sie wieder eine Äußerung, die Ihre Fraktion mißversteht.

    (Lachen bei der SPD)

    Wenn jetzt mit der Begründung der Wiedergutmachung, der Versöhnung und der Tilgung bösen deutschen Tuns finanzielle Leistungen erbracht werden, ist doch ganz unabhängig vom Etikett der Vereinbarungen die Gefahr gegeben, daß dann, wenn wir uns in dieser falschen Form anklagen, andere kommen werden, die sagen: Wir haben ebenfalls gelitten. — Es gibt auch einige, die dann sagen werden: Bei uns gibt es auch Deutsche, die dann zu euch ausreisen können. — Es geht uns, der CDU/CSU, darum, daß diese Verträge mit ihren Doppeldeutigkeiten, diese Verträge, die auf grundlegende Rechtspositionen Deutschlands einen Nebel gelegt haben, nicht dazu führen, daß wir immer neu im Namen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zur Kasse gebeten werden.
    Meine Damen und Herren, wir wollen einen Schlußstrich ziehen; es darf aber keine gestrichelte Linie sein, in deren Hohlräume immer wieder neue Forderungen hineingestellt werden. Es könnte sonst sein, daß eine außen- und innenpolitische Gefahr heraufbeschworen wird. Auch wenn es Sie ärgert, Herr Kollege Wehner, ich zitiere hier Kurt Schumacher und Fritz Erler, die gesagt haben: Es waren einseitige Schuldthesen und es waren einseitige Nachgiebigkeiten demokratischer Politiker der Weimarer Republik, die das Heraufkommen der braunen Pest ermöglicht haben.
    Der Kollege Bruno Friedrich und ich haben erst neulich in Nürnberg erlebt, wie braune Rabauken unsere sachliche Argumentation gestört haben. Ich habe unseren polnischen Gesprächspartnern gesagt:



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    Nur die deutsche Opposition darf in dieser Hinsicht in verantwortlicher, intensiver und maßvoller Weise die legitimen Interessen des deutschen Volkes gegegenüber der Politik der Bundesregierung artikulieren. Wenn wir das nicht tun, machen die genannten Argumente sich sozusagen selbständig und kommen in die falschen Hände. Ich möchte dem Kollegen Bruno Friedrich ausdrücklich meine Anerkennung dafür aussprechen, daß er dort gesagt hat: Verehrte polnische Gäste, diese Gruppe ist im Deutschen Bundestag nicht vertreten. Wir streiten uns nur über den Weg, nicht aber über das Ziel. — Dies sollten Sie auch außerhalb des Evangelischen Studienzentrums von Nürnberg sagen, wenn Sie über die Haltung der CDU/CSU zu diesen Fragen sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich gerade diesen Aspekt der künftigen Entwicklung in unserem Volk noch etwas vertiefen. Fehlentwicklungen in der Geschichte eines Volkes kommen nicht von ungefähr. Wir haben heute eine junge Generation, der wir in aller Klarheit sagen müssen, wie es gekommen und wie es gewesen ist. Wir dürfen ihr aber nicht im Namen des machtpolitischen Realismus verschweigen, was es an Unrecht im anderen Teil Deutschlands, in der Sowjetunion, in Polen gibt, denn diese Jugend wird dies ohnehin erfahren. Sie wird dann sagen: Warum habt ihr dieses Unrecht nicht beim Namen genannt?
    Gerade weil unsere patriotischen und nationalen Vorstellungen mit den westlichen Freiheitsbegriffen völlig identisch und deckungsgleich sind, müssen wir auch unseren Freunden im Westen sagen, daß diese Form der Artikulation der deutschen Interessen ein Dienst an der Glaubwürdigkeit der westlichen Werte in diesem Volke ist. Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch heraus. Ich habe noch keine urteilsfähige französische, englische oder amerikanische Persönlichkeit getroffen, die, wenn ich ihr die Gründe für unser Nein eingehend dargelegt habe, dafür nicht volles Verständnis gehabt hätte.
    Im übrigen hat auch der Westen im Blick auf die polnische Geschichte eine schwere Verantwortung getragen. Wenn Sie einmal die Dokumente von Jalta von 1945 lesen und feststellen, daß Roosevelt und Hopkins dem Wunsche Stalins nachgegeben haben, nicht die demokratische Regierung Polens in London, sondern das kommunistische Komitee in Lublin als die Regierung Polens anzusehen, so müssen wir sagen, daß auch der Westen in diese großen Schuldverstrickungen — ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an das Jahr 1938 – eingewoben ist.
    Wir können und wir müssen mit dem Westen offen sprechen. Die Interessenlage des Westens ist so, daß wir mit ihm in aller Offenheit sprechen können, ja, müssen. Es ist nicht Altruismus der Verbündeten, der uns schützt, sondern es ist das Beste, was es in der Außenpolitik gibt, nämlich der Egoismus, die objektive Interessenlage des Westens, was zu der Erkenntnis führt, daß das deutsche Volk, das in seinem freien Teil immer zum Westen steht, gegen drohende Gefahren verteidigt werden muß. Sie haben einigen Freunden meiner eigenen Partei und Fraktion in früheren Jahren doch selbst immer mit Recht gesagt: Versucht doch nicht, die beste Außenpolitik darin zu sehen, daß ihr immer den Westen fragt: Gefällt es euch? Seid ihr einverstanden? Ich finde, würdevolle Haltung zum verbündeten Westen besteht darin, daß wir in großer Selbstverständlichkeit zu den Werten des Westens stehen, daß wir mit dem Westen unsere Freiheit verteidigen und daß wir die spezifischen Probleme und die spezifischen Interessen des deutschen Volkes von uns aus artikulieren, weil sie idenlisch mit den Interessen des Westens sind.
    Lassen Sie mich zum Abschluß sagen, daß wir konkrete Vorstellungen haben, wie deutsch-polnische Vereinbarungen aussehen sollen. Die CDU/CSU wünscht, daß folgendes in völkerrechtlich wirksamer Weise sichergestellt wird.
    Erstens. Beide Seiten müssen ihre Verpflichtungen zweifelsfrei in gleich klarer und in gleich verbindlicher Form eingehen, um Streit auszuschließen. Weiterhin müssen beide Seiten ihre Leistungen Zug um Zug sowie über den gleichen Zeitraum erbringen, um das gegenseitige Vertrauen zu fördern.
    Zweitens. Der Bundesrepublik Deutschland obliegt gemäß dem Grundgesetz eine besondere Schutzpflicht für alle Deutschen in den Oder-NeißeGebieten. Alle ausreisewilligen Deutschen in diesen Gebieten, die nach den Kriterien des Völkerrechts und der Schlußakte von Helsinki einen bleibenden Anspruch auf Freizügigkeit haben, müssen in einem Zeitraum von vier bis sechs Jahren tatsächlich in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen dürfen. In besonderer Weise gilt das für diejenigen Personen, die die Kriterien der polnischen „Information" bei Abschluß des Warschauer Vertrages vom 7. Dezember 1970 erfüllen, nämlich Familienzusammenführungen und Ausreise wegen deutscher Volkszugehörigkeit. Ein objektives deutsch-polnisches Verfahren, das Willkür ausschließt, sollte zwischen Bonn und Warschau vereinbart werden.
    Drittens. Den Deutschen, die in den Oder-NeißeGebieten verbleiben, müssen elementare Menschen-
    und Gruppenrechte gewährt werden. Es darf zu keinerlei Diskriminierung ausreisewilliger Deutscher kommen. Die CDU/CSU wünscht, daß der psychologische Ausreisedruck entfällt. Die CDU/CSU forciert ihrerseits diese Ausreisewünsche nicht. Das Gegenteil ist der Fall.
    Lassen Sie mich an diesem Punkte noch folgendes hinzufügen: Unser Motiv für die Forderung nach Gewährung von Einzel- und Gruppenrechten in den Oder-Neiße-Gebieten soll ja dazu führen, daß diese Menschen gerne in ihrer Heimat bleiben. Wir wollen keinen Sog der Ausreise auslösen. Wir wollen nur, daß die, die ausreisen wollen, es auch können. Das ist keine Zahlenfrage, das ist eine prinzipielle Frage.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im übrigen sind wir nicht bereit, die polnische Regierung und die Volksrepublik Polen zu beleidigen, indem wir die Lage der dortigen Deutschen mit den Kriegsgefangenen in der Sowjetunion von 1955 oder



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    mit politischen Häftlingen in der DDR vergleichen oder gar auf eine Stufe stellen. Das war und ist doch etwas völlig anderes. Zwar sind die Verhältnisse im polnischen Machtbereich aus verschiedenen Gründen für viele unserer Landsleute ganz offensichtlich unangenehm und bedrückend; aber es handelt sich doch nicht darum, daß wir sie wie aus einem Gefängnis herausführen wollen. Wir wollen nur eines: Wir wollen, daß die, die ausreisen wollen, alle heraus können und daß Zustände geschaffen werden, die den Ausreisewunsch der Bleibenden mindern und nicht vergrößern.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Viertens. Durch objektive Faktoren muß außer Zweifel gestellt werden — ich wiederhole das noch einmal, Herr Bundesaußenminister —, daß deutsche finanzielle Leistungen an Polen ihrer Begründung und ihrer Natur nach keinerlei rechtlichen, politischen oder moralischen Berufungsfall für neue polnische Geldforderungen oder für Geldforderungen anderer Staaten schaffen, die ebenfalls den gesamtdeutschen Friedensvertragsvorbehalt des Londoner Schuldenabkommens leugnen oder ihn aushöhlen wollen.
    Ich darf bei dieser Gelegenheit übrigens bemerken, daß der Fall Jugoslawien anders liegt als der Fall Polen. Jugoslawien ist Partei des Londoner Schuldenabkommens und konnte deshalb auf Grund des Art. 22 dieses Abkommens verlangen, daß wir mit ihm über eine Renten-Vereinbarung verhandeln. Das konnte Polen nicht verlangen. Vielleicht ist der Hinweis auf eine Parallelisierung des Falles Polen/ Jugoslawien, Herr Außenminister, zugleich ein Hinweis darauf, wie die von uns gewünschte Objektivierung unserer Interessen erfolgen kann.
    Fünftens. Im übrigen erwartet die CDU/CSU, daß solche Verpflichtungen dem Grundgesetz und den einschlägigen deutschen Gesetzen einwandfrei entsprechen. Weiterhin erwartet sie, daß deutsche Zahlungen aus einem Rentenabkommen die Lage der einzelnen Rentenberechtigten wirksam verbessern und nicht für versicherungsfremde Zwecke verwendet werden.
    Sechstens. Die wirtschaftlich-finanzielle Kooperation muß ausgewogen sein und elementaren Interessen der Bundesrepublik Deutschland gebührend Rechnung tragen; sie sollten nicht mit politischen und humanitären Fragen verknüpft werden, sondern in sich selbst schlüssig sein.
    Damit hier kein Mißverständnis bleibt: Ich halte jeden Abgeordneten, der in diesem Saale sitzt, für einen frei gewählten Abgeordneten, für den die freiheitliche Rechtsordnung dieses Staates das höchste politische Gut ist. Ich möchte daran überhaupt keinen Zweifel lassen. Nur: wenn historisch argumentiert wird darüber, wo der einzelne in den 20er und in den 30er Jahren gestanden hat, dann muß die ganze Geschichte auch ad personam angesprochen werden dürfen. Eugen Kogon, der sicherlich nicht auf seiten der CDU steht, hat im Entnazifizierungsjahr 1948 in den „Frankfurter Heften" das erlösende Wort vom „Recht auf den politischen Irrtum" gesprochen. Dieses Recht hatten auch Menschen in den 30er Jahren. Dieses Recht hatten auch Sie, Herr Kollege Wehner. Nur verstehen Sie bitte, daß man gerade nach Ihrer Vergangenheit, von der Sie sich abgewandt haben, besonders sensibel ist, wenn Sie Ironie auf jemanden gießen, der im Namen dieser Rechtsstaatlichkeit und dieser Freiheit hier argumentiert hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Feuer frei! Sagen Sie das mal so!)

    Die deutsch-polnische Aussöhnung, meine Damen und Herren, ist eine so große Sache — und das ist nicht Pathos, sondern das ist Überzeugung —, daß sie nicht gebunden werden darf an ein so problematisches Vertragsinstrument. Es ist nicht richtig, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, daß Sie uns vor diese Alternative stellen: entweder Versöhnung oder dieses Werk.
    Ich möchte meine Rede schließen mit der Zitierung eines Wortes, das in der polnischen Geschichte eine große Rolle gespielt hat. Das Selbstbewußtsein des polnischen Volkes hat festgehalten an seiner Überzeugung: Noch ist Polen nicht verloren! Und ich als Deutscher sage: Noch ist Deutschland nicht verloren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich mich bei dem, was ich im Rahmen dieser Debatte zu sagen habe, auf sechs Zitate stützen dürfen.
    Zitat eins: In der Gestapohaft setzte der polnische Dichter Thaddäusz Borowski 1943 an das Ende eines Gedichtes die bitteren Zeilen: „Nach uns bleibt nur Eisenschrott und das leere höhnische Gelächter von Generationen." Das war ein Jahr vor dem Warschauer Aufstand, zwei Jahre vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der mit dem deutschen Überfall auf Polen seinen Anfang genommen hatte. Ich erspare es mir, die Statistik des Grauens vorzutragen, die aufzustellen war, als unser polnisches Nachbarvolk Besetzung und Krieg hinter sich hatte. Wir alle kennen diese Statistik — das ist nicht etwas, was dieses Haus trennt — und wissen, daß hinter jeder Zahl geschundene, gequälte, gefolterte, getötete Menschen stehen. Darum habe ich Thaddäusz Borowski zitiert, weil diejenigen, die damals überlebten, zumal in jenem Teil Europas kaum noch Hoffnung hatten.
    Die Geschichte ist dann, meine verehrten Kollegen, zum Glück anders verlaufen. Nach dem Entsetzen des Krieges, nach der millionenfachen Betäubung der Menschen keimte wieder Hoffnung auf, wuchsen aus Trümmern wieder Wohnungen, wurde verwüstetes Land bestellt — in West und Ost, in Polen wie in Deutschland. Und doch schien sich die Vergangenheit weiterhin wie ein Felsblock zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk aufzutürmen. Das mußten wir verstehen, versuchen zu ver-



    Brandt
    stehen. Denn wo war neben dem millionenfachen Mord an den Juden Schlimmeres geschehen?
    Darum Zitat zwei: In der Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland von vor gut zehn Jahren, Herbst 1965, mit dem Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volk zu seinen östlichen Nachbarn" wurde von der Regierung unseres Staates mit Nachdruck gefordert, zielstrebige Initiativen zu unternehmen. Und Polen stand dabei in der vordersten Linie. Wörtlich hieß es dort:
    Die angestrebte Versöhnung kann nur das Ergebnis eines sich auch in einer tragbaren politischen Neuordnung verwirklichenden Prozesses sein. In ihm werden sich Recht und Versöhnung als Gestaltungsprinzip einer neuen Ordnung durchringen müssen.
    An anderer Stelle heißt es:
    Es wird zunächst darauf ankommen, im deutschen Volk selbst und nach außen eine Atmosphäre zu schaffen, in der dann auch in einzelnen Schritten Akte der Versöhnung mit den östlichen Nachbarn möglich werden.
    Darum ging es in den letzten Jahren, darum ist hart gestritten worden. Darum muß heute noch einmal gestritten werden, weil man in der Tat nicht von vornherein immer zu denselben Ergebnissen kommen wird, wenn es um die Konkretisierung dieses Anspruchs geht.
    Es geht um die einzelnen Schritte, um das, was geboten und was möglich ist, um die Vergangenheit, soweit wir das können, noch in dieser Generation zu überwinden. Da war nun ein wichtiger Schritt — ob man damals dafür war oder dagegen — der Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970. In ihm verständigten sich die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, wie es in der Überschrift jenes Vertrages vom 7. Dezember 1970 wörtlich heißt, „über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen".

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Was verstehen Sie unter „Normalisierung" ?)

    — Ich wiederhole: „über die Grundlagen".

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ich habe gefragt: Was verstehen Sie unter „Normalisierung" ?)

    Das heißt, Herr Kollege: Der Warschauer Vertrag war ein Instrument im Dienst der Versöhnung. Im übrigen folge ich Ihnen nicht hinsichtlich der Trennung des Überpolitischen, des Moralischen von dem Geschäft, dem wir hier nachgehen. Ich darf darauf gleich noch einmal zurückkommen. — Wie gesagt: Der Warschauer Vertrag war ein Instrument im Dienste der Versöhnung. Mit Hilfe dieses Instruments sollten unerledigte Aufgaben angepackt, sollte die Zusammenarbeit konkret gefördert werden.
    Uns war damals, meine Damen und Herren, wohl bewußt, daß dieser Vertrag nicht alle aus der Vergangenheit rührenden Fragen mit einem Schlag würde lösen können. So leicht, Herr Kollege Mertes, lassen sich — das glauben Sie doch in Wirklichkeit auch nicht — die Nachwirkungen einer dunklen Geschichte nicht ausräumen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das habe ich auch nicht gesagt!)

    Wir wußten, daß die Verantwortlichen in Polen den Abschluß des Vertrages als Voraussetzung für das Bemühen ansahen, mit uns die offenen Probleme einvernehmlich zu regeln. Es war auch klar, daß es nicht einfach sein würde, die unterschiedlichen Interessen — ich greife das Wort auf — neben dem gemeinsamen Interesse an der Bewahrung des Friedens auf einen Nenner zu bringen. Es war auch klar, meine Damen und Herren, daß wir ohne jenes Maß an Vertrauen — ich sage bewußt: j en e s Maß an Vertrauen —, das im Warschauer Vertrag seinen Niederschlag gefunden hatte, nicht würden vorankommen können.
    Zitat drei und vier: Nach dem Vertragsschluß im Dezember 1970 veröffentlichten beide großen Kirchen in unserem Land, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz, Erklärungen, in denen sie die Bundesregierung nicht schalten, wie das die Opposition heute wieder getan hat,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Kirchen sind ja keine Parteien!)

    sondern in denen sie das Vertragswerk würdigten und die Notwendigkeit der Aussöhnung und der Verständigung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk gerade vor dem Hintergrund des damals neu geschlossenen Vertrags unterstrichen. In meinem Antwortschreiben vom 27. Dezember 1970 an den damaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Dietzfelbinger hieß es:
    Ihre Aufforderung an die Menschen guten Willens, sich um Verstehen und Verständigung im Dienst des Friedens auf Erden zu bemühen, wird hoffentlich gerade in dieser Zeit
    — damals war gerade Weihnachtszeit —
    offene Herzen finden. Es ist mein sehnlichster Wunsch, daß die Deutschen sich im Streben nach Versöhnung zusammenfinden mögen.
    An Julius Kardinal Döpfner habe ich damals u. a. geschrieben:
    Sie sprechen mir aus dem Herzen, wenn Sie zum Ausdruck bringen, daß die Aussöhnung zwischen den Völkern nicht allein Aufgabe der Politiker sein kann, sondern daß der einzelne und die Gruppen in jedem Volk dazu beitragen müssen. Ich kann Ihnen versichern,
    — so hieß es in diesem Brief —
    daß die beiden Vertragsparteien sich am 7. Dezember in Warschau darüber klar waren — ich meine damit genau das, was ich in Warschau auch gesagt hatte —, daß Verständigung oder gar Aussöhnung nicht von den Staatsmännern verfügt werden kann, sondern in den Herzen



    Brandt
    der Menschen auf beiden Seiten heranreifen muß.
    Meine Damen und Herren, ich verzichte darauf, jüngste Stellungnahmen aus beiden Kirchen zu den deutsch-polnischen Vereinbarungen, über die heute hier beraten wird, ebenfalls zu zitieren. Das würde jetzt vielleicht auch gar nicht konkret weiterhelfen. Auf die beiden Schreiben habe ich vielmehr wegen des zentralen Inhalts sowohl der Erklärungen als auch meiner Anworten Bezug genommen. Das Werk der Versöhnung ist und bleibt eine Aufgabe der Politik, aber es verlangt auch das Engagement und die Hingabe einzelner und der Gruppen in unserem Volke.

    (Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

    Ich sage mit allem Bedacht und mit Respekt vor den vielen einzelnen in unserem deutschen Volk und wende mich dabei an alle Bürger und Bürgerinnen in unserer Bundesrepublik: Es ist gut, daß bei allen Sorgen, die wir haben, in unserem Volk das Engagement und die Hingabe für das Werk der Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk lebendig ist. Ich habe mich davon immer wieder überzeugen können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich weiß auch, meine Damen und Herren: Die heutige Generation ist nicht dafür verantwortlich, daß Polen ein Thema geblieben ist, das uns immer noch belastet, ein Trauma, das durch eine unselige Verstrickung von Schuld und in Schuld entstanden ist. Politische Blindheit und Verantwortungslosigkeit haben Polen zum Objekt der Aggression gemacht, die den Zweiten Weltkrieg auslöste. Schuld hat neue Schuld erzeugt. In Deutschland wie in Polen leben heute Menschen, die sich der Last der Vergangenheit entledigen müssen, viele auch, die sich dieser Last entledigen wollen, um gemeinsame Wege zur Verständigung und zur guten Nachbarschaft zu finden. Vor allem den jungen Menschen in beiden Völkern haben wir hier gerecht zu werden, weil ihre Zukunft, die Zukunft der jungen Menschen in beiden Völkern, in Polen und bei uns, nicht auf Halbherzigkeit und nicht auf Krämermentalität gegründet,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    sondern allein auf dem Fundament der Normalisierung und der Versöhnung gesichert werden kann.
    In diesem Sinne sind die Vereinbarungen, die Bundeskanzler Schmidt und Parteichef Edward Gierek im vorigen Sommer in Helsinki getroffen haben und die dann vom Bundesaußenminister im Herbst in Vertragsform gebracht wurden, ein Schritt in die richtige Richtung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Bundeskanzler hat die Aufrichtigkeit unseres Versöhnungswillens vertrauensvoll konkretisieren können. Ich sage: dieses Vertrauen darf nicht enttäuscht werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich zögere aber auch nicht, meine Damen und Herren, in aller Offenheit hier folgendes zu sagen.
    Ich habe es bedauert und habe mich selbst einzubeziehen in den Kreis derer, die ihre Dispositionen dabei zu überprüfen haben — das gibt es ja auch in der Politik —, daß nach Abschluß des Warschauer Vertrages so viel Zeit verging, bis einige wichtige Probleme, die das Verhältnis beider Völker zueinander so sehr berühren, in der Weise, mit der wir uns jetzt auseinandersetzen, geregelt werden konnten. Ich sage: die Verantwortung dafür, daß es so lange dauerte, trifft nicht nur eine Seite. Auf polnischer Seite gab es damals einen Führungswechsel, praktisch unmittelbar, nachdem der Vertrag unterzeichnet war,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Und? — Und Kanzlerwechsel bei uns!)

    und man hatte zeitweise unrealistische Vorstellungen von unseren Möglichkeiten.
    Auf unserer Seite, verehrte Zwischenrufer — vielleicht sind Sie dann näher bei dem, von dem ich spreche, als bei dem, woran Sie soeben in Ihren Zwischenrufen interessiert waren —, war das Gezerre bei der Behandlung des Vertragswerks 1971/72 sicherlich auch nicht dazu angetan, das Vertrags-und Verhandlungsklima zu verbessern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Einigung in Helsinki — in Vertragsform in Warschau — wurde möglich, weil beide Seiten Bereitschaft zum Entgegenkommen zeigten und das heute Mögliche nüchtern einzuschätzen wußten. Diese Chance darf nicht vertan werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn man sich vor Augen führt, was in den letzten Wochen öffentlich diskutiert wurde, stellt man manchmal mit Erschrecken fest, daß einige so reden und schreiben, als wäre nichts passiert, oder zumindest so, als hätten wir nicht den Streit um den Warschauer Vertrag vor vier Jahren hinter uns gebracht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wir müssen doch sagen dürfen, daß wir recht behalten haben und daß Sie die gleichen Fehler wiederholen! Das ist doch das Problem!)

    Manche tun so — was ebenso bedenklich ist —, als ob unserem Volk hier einseitige Lasten aufgebürdet würden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

    — Ich begrüße, daß Sie mir die Möglichkeit geben, Herr Zwischenrufer, durch Ihren Zuruf, es sei so, um so deutlicher zu sagen — vor unserem Volk —, daß es sich im Gegenteil darum handelt, daß die Regierungen in Warschau und in Bonn aufeinander zugegangen sind. Und das ist gut.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Bei der Sozialversicherung, meine Damen und Herren, geht es doch nicht nur darum, daß Berechtigte in Polen zu etwas mehr Geld kommen. Es geht



    Brandt
    doch auch darum, daß wir uns ehrlich machen, wenn ich es recht verstehe.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn 120 000 bis 125 000 Deutschstämmige

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    übersiedeln dürfen, ohne daß danach die Tür zugeschlagen wird, dann ist das doch keine Leistung, die wir erbringen, sondern ein Vorgang, der den polnischen Staat, gemessen an seinen Normen,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das sind nicht unsere Normen!)

    vor erhebliche Probleme stellt. — Da sagt jetzt ein Zwischenrufer aus der ersten Bank, das seien nicht unsere Normen. Herr Kollege Mertes war zum gleichen Thema etwas intelligenter. Wer damit warten will, die Probleme dieses Staates mit anderen Staaten zu lösen, bis alle diese Staaten unsere Verfassung haben, der taugt nicht, Politik zu machen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die „Information" aus dem Jahre 1970 wurde hier kritisiert. Ich will den Staatssekretären Georg Ferdinand Duckwitz und Paul Frank, die sie ausgehandelt haben, hier noch einmal ausdrücklich dafür danken. Sie haben das damals Mögliche herausgeholt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die „Information" aus dem Jahre 1970 findet hier ihre konstruktive Ergänzung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — O-jeRufe bei der CDU/CSU — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie bringen mich von dem, was ich sagen will, nicht ab. Die Zuhörer werden es zu würdigen wissen, wie Sie sich bei dieser Rede verhalten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    Was das dritte Element angeht: Der Finanzkredit wird doch auch dem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zugute kommen, einem Ausbau, an dem uns allen gelegen sein sollte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun hören wir von denen, die die Regelung dieser humanitären und praktischen Fragen kritisieren — nein, nicht nur kritisieren, sondern meinen, sie soweit kritisch betrachten zu müssen, daß ihnen die Zustimmung nicht möglich ist —, sie möchten im Grunde nur noch bessere Regelungen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Nur noch"? — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Genauso ist es! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    und die übergeordnete Aussöhnung mit Polen sei auch ihre Sache. Ich zweifle nicht daran, daß es viele so meinen, wie sie es sagen;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll diese Einschränkung?)

    aber

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    dürfen, wir, meine Damen und Herren, eigentlich den Rentenkomplex liegenlassen, wo doch alle Kundigen wissen, daß er vom Liegenlassen nicht besser wird?!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Dürfen wir die 125 000 Deutschen warten lassen und andere vertrösten,

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    indem wir Vorstellungen entwickeln, meine Kollegen von der Union, die sich schon anhören, Maximalvorstellungen, von denen Sie so gut wissen wie andere, daß sie sich nicht verwirklichen lassen?!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Die Sie aber versprochen haben, Herr Brandt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Nein, wir dürfen sie, die 125 000 Deutschen, nicht warten lassen.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Und was ist mit den 160 000!)

    Wir dürfen das Rentenabkommen nicht unerledigt lassen. Der Bundesrat darf meiner Überzeugung nach die Vereinbarungen nicht scheitern lassen.
    Jetzt bin ich methodisch bei einem wichtigen Punkt, Herr Kollege Mertes. Ich glaube, daß viele, die uns heute zuhören, darauf hingewiesen werden müssen, welch grundlegender Unterschied zwischen der Behandlung eines innerstaatlichen Gesetzes und eines zwischenstaatlichen Vertrages besteht. Sie haben den Eindruck vermittelt, als gehe es wie bei einem innerstaatlichen Gesetz darum, beispielsweise einen Artikel 2 noch ein bißchen anders zu machen und bei einem Artikel 5 noch etwas einzufügen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wo habe ich das gesagt?)

    Dieses Hohe Haus weiß, und die Burger, die uns in dieses Hohe Haus gesetzt haben, wissen es ebenfalls, daß das bei der Ratifizierung zwischenstaatlicher Verträge ganz anders ist. Dort verhandelt die Regierung im Wissen um die Meinungen der politischen Kräfte zu Hause. Sie hat sich auch in diesem Fall von der Meinung der politischen Kräfte zu Hause überzeugt.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Parlament muß nach reiflicher Überlegung sagen, ob es dafür oder dagegen ist. Ich hoffe, viele werden bei der Abstimmung des heutigen Tages dafür sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Mein Zitat Nr. 5 — das vorletzte, Herr Präsident — enthält eine kritische Frage, anders ausgedrückt: ich greife die Äußerung auf als kritische Frage, obwohl sie als Hinweis schon in der Rede meines Freundes Günther Metzger heute vormittag enthalten war. Ich greife sie auch auf, weil der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union auf der Bundesratsbank sitzt und, wie ich vermute, noch das Wort nehmen wird und die Möglichkeit wahr-



    Brandt
    nehmen können, auf diese kritische Frage einzugehen. Es wurde durch den Kollegen Metzger — ich hätte es auch ohne ihn getan — erinnert an den Satz des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU, Herrn Marx; denn es wurde ja berichtet, daß er in einer Rede gesagt habe — nicht nur in einem indirekten Zitat in der Presse, sondern in einem verteilten Redetext, wenn ich es recht in Erinnerung habe —:
    Für mich
    — so wörtlich —
    ist der Begriff Versöhnung ein Begriff der Theologie und nicht der Politik.
    Das war das Zitat. Und es wurde hinzugefügt, Versöhnung sei eine Erfindung des Ostblocks, um von der Bundesregierung Geld zu erpressen.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Lassen wir mal den Zusatz beiseite, obwohl er auch nicht hilfreich ist, wenn auch leichte Anklänge bei meinem Vorredner zu diesem Zusatz enthalten waren.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Lesen Sie bitte nach, Herr Brandt!)

    Mir kommt es auf die Sache selbst an, und zu der sage ich klipp und klar: Versöhnung ist sehr wohl auch eine Kategorie der Politik

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Richtig!)

    und, Herr Kollege Mertes, bei aller menschlichen Unzulänglichkeit auch eine zentrale Aufgabe derer, die politische Verantwortung tragen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist auch meine Auffassung!)

    Herr Kollege Mertes, ich habe es eben ja schon anklingen lassen auf einen Zwischenruf hin: Wie soll wohl deutsche Politik aussehen, wenn sie von der Vorstellung ausgeht, eigentlich müßten Staaten, mit denen wir es zu tun haben, Verfassungen haben, die der unseren ähneln?

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer sagt das denn?)

    Das polnische Volk müsse frei entscheiden können. Wenn Sie dies im Sinne unserer Interpretation zugrunde legen, Herr Kollege Mertes: Wie groß ist die Zahl der Völker, die im Sinne unseres Grundgesetzes frei entscheiden können? Dies ist doch ein schlechter Rat, den Sie unserem Volke geben, auch der Hinweis darauf, daß dieses und jenes und ein Drittes nicht oder noch nicht gemacht werden dürfte, weil es keinen Friedensvertrag gibt. Verehrter Herr Kollege Mertes, es hat hier viele Jahre gegeben, in denen Bundesregierungen — ich tadele es jetzt nicht, ich stelle es fest — aus ihren Gründen es abgelehnt haben — —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Mit Ihnen!)

    — Nein, zeitweise nicht mit mir. Ich war 1961 in
    Übereinstimmung mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten dafür, vor und nach der Mauer, den Friedensvertragsweg zu suchen. Die Regierung hat es abgelehnt. Da können Sie nicht fünfzehn Jahre später kommen, um noch etwas auszuprobieren, was man vielleicht 15 oder 20 Jahre zuvor hätte ausprobieren können.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Wirklichkeit, mit der wir es zu tun hatten, ist doch, die Westverträge, die Westverankerung, die wir nach anfänglichem Streit um die Methoden gemeinsam getragen haben, zu ergänzen durch das erreichbare Maß an Normalisierung im Verhältnis zu den Nachbarn im Osten. Indem wir dies getan haben und weiter tun, gewinnt die Bundesrepublik Deutschland an Gewicht. Ihr Einfluß wächst, damit aber auch ihre Verantwortung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Als im Grunde ungeheuerlich muß ich es bezeichnen, wenn — und das ist mein sechstes Zitat — Herr Jaeger von der CSU kürzlich erklärte — —

    (Stücklen [CDU/CSU] : Er wird jetzt gleich sprechen!)

    — Er wird noch sprechen; dann ist es gut, wenn er darauf eingeht. Ich zitiere: „Es ist wichtiger, die Bundeswehr stärker aufzurüsten, als Milliarden von Steuergeldern aus dem Staatshaushalt an Polen zu verschenken!" Meine Damen und Herren, ich halte es für geschmacklos, die Bundeswehr in diesen Streit hineinzuziehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundeswehr muß bekommen, was sie braucht, um ihren Auftrag im Bündnis zu erfüllen,

    (Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

    aber doch nicht aus Mitteln, die andere in die Sozialversicherung eingebracht haben,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    doch auch nicht, indem Georg Leber einen Kredit
    bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau aufnimmt!

    (Sick [CDU/CSU] : Sie können die Renten sowieso schon nicht bezahlen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Vor allem aber empört mich — ich sage das an die Adresse des Kollegen Jaeger — der Zynismus gegenüber einem Volk, das in dem vom HitlerRegime angezettelten Krieg

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und von Stalin!) am entsetzlichsten gelitten hat.


    (Beifall bei der SPD und der FDP — Pfeffermann [CDU/CSU] : Eine Geschmacklosigkeit! — Zuruf des Abg. Dr. Hupka [CDU/CSU] — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    In betont und bewußt stark abgestufter Replik, in bewußter Abgrenzung und Abstufung sage ich an die Adresse des Kollegen Mertes: Ich habe genau zugehört, als Sie sich mit dem Unrecht in der Welt — in Europa zumal — auseinandergesetzt haben. Wir brauchen darüber nicht zu streiten, wenn wir



    Brandt
    einen Punkt hinzufügen: Anderswo angesiedeltes Unrecht reduziert nie und in keinem Augenblick die eigene Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Stücklen [CDU/CSU] : Das gilt auch für die andere Seite! — Zuruf des Abg. Dr. Becher [Pullach] [CDU/CSU])

    Viele von uns, meine Damen und Herren aus der Koalition und aus der Opposition, haben in letzter Zeit Gelegenheit gehabt, mit ausländischen Gesprächspartnern zusammentreffen. Viele wissen also, wovon ich spreche, wenn ich in sinngemäßer Übereinstimmung mit dem Bundesaußenminister — ich denke an seine Rede heute früh — sage: Im Ausland, gerade auch im Westen, wird mit Aufmerksamkeit verfolgt, ob die Bundesrepublik die Kraft findet, Herr Kollege Mertes, bei allem kritischen Prüfen der Einzelbestandteile

    (Zuruf des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ CSU])

    durch die Verabschiedung dieser Vereinbarungen mit dem polnischen Nachbarn ein bißchen weiter ins reine zu kommen;

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    denn darin sollte sich niemand täuschen: Ein Scheitern führte nicht nur zu einer schweren Belastung unseres Verhältnisses zu Polen, es ließe nicht nur unseren Willen zur Entspannung und Zusammenarbeit in Osteuropa unglaubwürdig erscheinen — dies alles wäre schon schlimm genug —; nein, wir ernteten auch bei unseren Verbündeten und Freunden nur Unverständnis.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Da muß man sich informieren! — Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU] )

    Der Handlungsspielraum, den sich die Bundesrepublik vermehrt schaffen konnte, beruht aber essentiell auf dem Vertrauen unserer Partner. Enttäuschten wir es, erlitte die Bundesrepublik Deutschland einen schweren außenpolitischen Rückschlag.
    Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn Thaddäusz Borowski zitiert. Am Ende nenne ich ihn noch einmal, diesmal als Warnung an uns alle. Wenn die demokratischen Parteien dieses Landes es zulassen, daß die in unserem Volk vorhandene Bereitschaft zur Aussöhnung mit dem polnischen Volk mit dumpfen Ressentiments und sachfremden innenpolitischen Winkelzügen zerredet wird, wenn, was ich nicht hoffe, diese Vereinbarungen scheitern, dann bleibt uns in der Tat nur das leere, höhnische Gelächter von Generationen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Unser Volk, so meine ich, muß wissen, was auf dem Spiel steht und warum wir deutschen Sozialdemokraten mit aller Kraft, über die wir verfügen, gegen eine solche Fehlentwicklung ankämpfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ohne Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk und
    im Zusammenhang damit ohne zunehmende Normalisierung zwischen unseren Staaten ist die Zukunft Europas nicht gesichert. Das sollten wir miteinander bedenken.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)