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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 224. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 15531 A Begrüßung des Präsidenten und einer Delegation der Verfassunggebenden Versammlung der Republik Portugal 15531 A Begrüßung des Premierministers der Islamischen Republik Pakistan mit seiner Begleitung 15550 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 — Drucksache 7/4310 —, Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/4733 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/4731 — Schmidt (Kempten) FDP . . . 15531 C, 15576 B Franke (Osnabrück) CDU/CSU (zur GO) . . 15535 C Sund SPD (zur GO) . . . . . . . . 15536 B Genscher, Bundesminister AA 15536 C Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 15540 C Metzger SPD . . . . . . . . . . 15544 C Hoppe FDP 15548 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 15551 D Brandt SPD . . . . . . . . 15559 D, 15622 B Dr. Jaeger CDU/CSU . . . . . . . 15564 C Sund SPD 15570 C Franke (Osnabrück) CDU/CSU . . . . 15574 C Koschnick, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 15577 B, 15623 C Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . . . 15583 D Schmidt, Bundeskanzler . . . 15588 C, 15619 A Dr. Kohl, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz . . . 15599 C, 15620 D, 15622 D Mischnick FDP 15606 B Wehner SPD 15609 D Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . 15612 D Dr. Arndt (Hamburg) SPD . . . . . . 15616 C Dr. Hupka CDU/CSU 15624 A Dr. Czaja CDU/CSU . . . . . . . . 15626 C Schlaga SPD 15629 A Dr. Schweitzer SPD (Erklärung nach § 59 GO) 15631 D II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 Reddemann CDU/CSU (Bemerkung nach § 35 GO) 15633 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 15612 C, 15634 B Namentliche Abstimmung 15631 D Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes — Drucksache 7/4577 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksachen 7/4740, 7/4744 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1971, 1972, 1973, 1974, 1975 und 1976 — Drucksache 7/4687 —Schmidhuber CDU/CSU . . . . . . . 15634 C Dr. Waigel CDU/CSU . . . . . . . . 15636 A Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . . . 15637 A Zywietz FDP .. . . . . . . . . . 15638 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes — Drucksache 7/4323 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 7/4728 — 15641 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 139 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1974 über die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren — Drucksache 7/4178 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/4718 — 15641 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Mai 1975 zur Änderung des Artikels 12 Absatz 1 des am 30. Mai 1958 in Den Haag zustande gekommenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenlegung der Grenzabfertigung und über die Einrichtung von Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfen an der deutsch-niederländischen Grenze - Drucksache 7/4174 —, Bericht und Antrag des Finanzausschusses — Drucksache 7/4737 — . . . . . . . . 15641 C Erste Bratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Juli 1975 zur Änderung bestimmter Finanzvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften — Drucksache 7/4684 — 15641 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Oktober 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 7/4686 — . . . . . . . . 15641 D Beratung des Antrags des Bundesrechnungshofes betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung und der Bundesvermögensrechnung für das Haushaltsjahr 1973 — Drucksache 7/4306 — Frau Pieser CDU/CSU 15642 A Haehser, Parl. Staatssekretär BMF . . 15644 D Dr. Sperling SPD 15646 A Hoppe FDP 15646 C Beratung des Wohngeld- und Mietenberichts 1975 der Bundesregierung — Drucksache 7/4460 - . . . . . . . . 15647 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Rollmann, Kroll-Schlüter und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Schaffung eines einheitlichen und umfassenden Jugendgesetzbuchs — Drucksachen 7/1019, 7/4697 — 15647 B Beratung der Sammelübersicht 53 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 7/4708 — . . . . . 15647 C Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs (Nr. 4/76 — Besondere Zollsätze gegenüber Israel — EGKS) — Drucksache 7/ 4674 — 15647 C Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs (Nr. 12/75 — Erhöhung des Zollkontingents 1975 für Elektrobleche) — Drucksache 7/4685 — 15647 D Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung zur Un- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 III terrichtung vorgelegten Bericht über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag — Drucksache 7/3267, 7/4720 — . . . . .15647 D Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzauschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr von bestimmten Verkehrsmitteln — Drucksachen 7/4316, 7/4679 — 15647 D Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1955/75 über die Erstattungen bei der Erzeugung für Getreide und Reis — Drucksachen 7/4342, 7/4688 — 15648 A Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1955/75 über die Erstattung bei der Erzeugung für Getreide und Reis — Drucksachen 7/4300,7/4689 — 15648 A Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien (66/403/EWG) und (70/458/EWG) über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln und mit Gemüsesaatgut — Drucksachen 7/4277, 7/4690 — 15648 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates betreffend die Anwendung von Artikel 40 Absatz 4 EWG auf die französischen überseeischen Departements — Drucksachen 7/4341, 7/4691 —15648 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 121/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für geschlachtete Schweine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 122/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Eier Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 123/67/EWG hinsichtlich der Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Geflügelfleisch — Drucksachen 7/4351, 7/ 4692 — . 15648 B Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission zur Kodifizierung im Reissektor — Drucksachen 7/4353, 7/4693 — 15648 C Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern — Drucksachen 7/4052, 7/4724 — 15648 C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt — Drucksache 7/4753 — . . . . . 15648 D Nächste Sitzung 15648 D Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .15649* A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schweitzer SPD nach § 59 GO . . . . . . . . . 15649* B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 15531 224. Sitzung Bonn, den 19. Februar 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete() entschuldigt bis einschließlich Prof. Dr. Abelein 20. 2. Dr. Aigner * 20. 2. Dr. Artzinger * 20. 2. Behrendt * 20. 2. Biermann 20. 2. Dr. Dregger 20. 2. Entrup 20. 2. Dr. Eppler 20. 2. Prof. Dr. Erhard 20. 2. Flämig * 20. 2. Frehsee * 20. 2. Gerlach (Emsland) * 20. 2. Hussing 20. 2. Dr. Jahn (Braunschweig) * 20. 2. Dr. Kreile 19. 2. Dr. Klepsch * 20. 2. Lange * 20. 2. Dr. Lauritzen 20. 2. Lautenschlager * 20. 2. Lücker * 20. 2. Dr. Marx 20. 2. Mattick *** 20. 2. Memmel * 20. 2. Müller (Mülheim) * 20. 2. Frau Dr. Orth 20. 2. Schmidt (München) * 20. 2. Schonhofen 20. 2. Dr. Schröder (Düsseldorf) 20. 2. Dr. Schwörer * 20. 2. Seibert 20. 2. Spilker 19. 2. Springorum * 20. 2. Strauß 20. 2. Suck * 20. 2. Tönjes 20. 2. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 20. 2. Dr. Wagner (Trier) 20. 2. Walkhoff * 20. 2. Frau Dr. Walz * 20. 2. Frau Dr. Wolf 20. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schweitzer (SPD) nach § 59 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und UnfallAnlagen zum Stenographischen Bericht versicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (Drucksache 7/4310) Mit meiner Zustimmung zu dem gesamten deutschpolnischen Verhandlungspaket möchte ich nicht zuletzt meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, daß wir endlich aus dem Teufelskreis alter Verwicklungen, Irrungen und Belastungen im deutschpolnischen Verhältnis herauskommen und künftig noch mehr Beiträge zur Verdeutlichung gerade auch des vielen Gemeinsamen zwischen Polen und Deutschen leisten müssen. Es ist für mich erstaunlich festzustellen, daß zumindest ein Teil der CDU/CSU gerade im Zusammenhang mit dem heutigen Thema oft eine Einsicht in große historische Zusammenhänge vermissen läßt. Nur so ist es zu erklären, daß das intern völlig verfehlte Argument ständig in die öffentliche Debatte geworfen wird, wir Deutschen würden jetzt nach dem Warschauer Vertrag zum zweitenmal gegenüber der Volksrepublik Polen „zur Kasse gebeten". Muß es denn stets aufs neue eingehämmert werden, daß wir mit den ehemaligen deutschen Ostgebieten 1970 gar keinen Preis für Hitlers begonnenen und verlorenen Krieg zahlen konnten, weil der Sieger sich diese Gebiete als Beute längst genommen hatte und keine Macht der Welt sie uns hätte zurückholen können? In der in diesem Hause in den letzten Jahren monoton wiederholten Argumentation eines kleinen Teiles der Opposition klingt doch immer wieder die Linie durch, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf", daß mit anderen Worten die alten Gebiete im Osten für uns Deutsche mit allen Konsequenzen nicht endgültig verloren seien, weil wir vor der Geschichte auf sie ein ewig verbrieftes Anrecht hätten. Tatsächlich ist aber doch die Geschichte bis zum Atomzeitalter angefüllt gewesen mit gewonnenen und verlorenen Kriegen, mit der Wegnahme von Gebieten und Bevölkerungsteilen. Diesen Teufelskreis wollen wir durchbrechen. Ein Otto von Bismarck war in dieser Beziehung sehr viel nüchterner. So rechnete er in einer heute geradezu prophetisch anmutenden Rede im Deutschen Reichstag 1885 durchaus mit der Möglichkeit, daß eines Tages, „... wenn das Deutsche Reich zertrümmert, wenn Preußen zerschlagen und niedergeworfen ist" ..., Deutschlands Grenze nach einem verlorenen Kriege „bis an die Oder heran" zurückgedrängt werden könnte. Heute sollten wir allen denjenigen, die der Aussöhnung mit unseren polnischen Nachbarn nicht nur verbal, sondern tatsächlich denselben historischen Rang beimessen wie der Aussöhnung mit Frankreich nach 1945, sagen, daß Aussöhnung und Normalisierung angesichts der teilweise so schrecklich belasteten Beziehungen zwischen Deutschen und Polen letztlich Leerformeln bleiben und neuen gefährlichen Entwicklungen Platz machen könnten, wenn es nicht gelingt, im deutschen Volk ein besseres Verständnis für Einstellungen und Geschichtsbilder des polnischen Volkes und umgekehrt zu wecken und Geschichtsbilder in beiden Ländern im Interesse der Friedenssicherung in Europa auf einen zumindest niedrigsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Zu Recht hat schon vor Jahren die UNESCO in einem 15650* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976 berühmten Bericht festgestellt, daß „Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen". Das wollen wir nicht mehr. Dem Ziel eines besseren gegenseitigen Geschichtsbildes dient eine Reihe wichtiger wissenschaftlicher Gemeinschaftsvorhaben von Deutschen und Polen. An dieser Stelle will ich nur eines erwähnen, weil es von der Opposition in diesem Hause wiederholt in sträflicher Weise falsch dargestellt worden ist. Ich meine hier die jüngsten Empfehlungen der sogenannten deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz, die einer besseren Darstellung der deutschpolnischen Beziehungen nach 1945 in den Schulbüchern dienen sollen. Der Kollege Carstens hat hier am 26. November 1975 so getan, als ob diese Empfehlungen im Zusammenhang mit der Nachkriegsentwicklung in den ehemaligen deutschen Ostgebieten ausschließlich von „Bevölkerungsverschiebungen" sprechen. Damit sollten offensichtlich die Emotionen von Millionen von Landsleuten geweckt werden, die einmal in diesen Gebieten wohnten. Tatsächlich handelte es sich hier nur um eine Überschrift über einem Abschnitt, in dem völlig korrekt nacheinander von Evakuierung, Flucht — hier ausdrücklich „unter großen Verlusten" — Ausweisung und Zwangsumsiedlung gesprochen wird. Wer hier wider besseres Wissens falsch bzw. unvollständig zitiert, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er in Wirklichkeit die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen torpedieren will. Auch Vertriebenenpolitiker sollten sich klarmachen, wie schwer es den polnischen Wissenschaftlern gefallen sein muß, in Polen deutsch-polnische Hinweise z. B. darauf veröffentlichen zu lassen, daß die Bundesregierung bei Abschluß des Warschauer Vertrages „nur im Namen der Bundesrepublik Deutschland handelte", daß „man in der Bundesrepublik beim staatlichen Neuaufbau an alte deutsche demokratische Traditionen anknüpfen konnte" oder daß die „Westmächte gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren wiederholt Vorschläge vorlegten, die Sicherheit in Europa mit friedlichen Mitteln zu fördern und so die Konfrontation zu reduzieren". Wir können nur hoffen, daß die deutsche Seite nun doch schneller mit der polnischen gleichzieht, was die Umsetzung der gesamten Empfehlungen in die Praxis betrifft. In Polen ist in dieser Hinsicht schon viel geschehen. Der Bundesrat täte gut daran, statt sich mit seiner derzeitigen Mehrheit auf ein staatsrechtlich mehr als zweifelhaftes Experiment der Einmischung in die Außenpolitik des Bundes einzulassen, die Länderkultusminister aufzufordern, endlich neue Handreichungen zu liefern, mit denen der überholte sogenannte Ostkundeerlaß aus dem Jahre 1956 abgelöst werden könnte. Wer will es verantworten, daß nun auch noch die bisherigen Erfolge in der wissenschaftlich-kulturellen Zusammenarbeit zwischen Polen und der Bundesrepublik aufs Spiel gesetzt, ja vielleicht verspielt werden, und dies gerade 1976, wo wir endlich auch ein Kulturabkommen unter Dach und Fach bringen wollen, nachdem das Jahr 1975 einen großen Aufschwung in den wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen jeder Art erlebt hat? Was die heute so heftig diskutierten Probleme der Aussiedlerzahlen betrifft, so sollten wir daran objektiv und nüchtern herangehen. Niemand in Deutschland oder in Polen kann sie ganz genau kennen. Jeder, der sich mit dieser Frage an Hand von Unterlagen hier in Deutschland oder in Polen beschäftigt hat, wie ich das für mich in Anspruch nehmen darf, weiß um die statistischen, aber auch staatsrechtlichen, völkerrechtlichen und ethnologischen Schwierigkeiten. Auch das mit so viel Fleiß seit Jahren arbeitende Deutsche Rote Kreuz kann Anträge nicht alle fünf Jahre wieder auf den neuesten Stand bringen, sie im übrigen nur entgegennehmen und schon gar nicht auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen. Wer oder wessen Nachkommen sind schließlich abgesehen von unserem Staatsangehörigkeitsrecht in diesem Teil des europäischen Ostens heute noch als Deutsche zu bezeichnen? Welche Kriterien sind überhaupt für die Beantwortung der generellen Frage anzuwenden, wer mit welchem Anspruch heute zu welcher Nation und zu welchem Volk gehört? Sicher ist für mich auf Grund vieler Gespräche mit polnischen Regierungsstellen, mit polnischen Kollegen aus Wissenschaft und Politik, daß alle polnischen Stellen jetzt enorme organisatorische Anstrengungen unternehmen, um die ganze Frage in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen endgültig lösen zu helfen. Die Polen wollen ja selber auf die Dauer keine volksdeutschen Minderheiten — was nach den Erfahrungen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht unverständlich sein mag. Sicherlich treffen daher auch Ergebnisse jüngster Umfragen in Polen zu, wonach weit über 80 % der Bevölkerung die schließliche Ausreise aller in Frage kommenden Personen nach Deutschland wünschten. Wir Deutschen haben keinerlei Veranlassung, den ehrlichen Willen der polnischen Seite zur Vertragserfüllung gerade in diesem Punkte anzuzweifeln. Wer dies dennoch tut, der untergräbt die internationale Vertragsmoral schlechthin. Davor sollten gerade wir uns hüten.
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    Natürlich! Ich gehe davon aus, wenn Abgeordnete ihre Kreuzehen machen, daß das immer eine Willensentscheidung ist. Ich will sie gar nicht bewerten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine legitime sogar!)

    — Auch eine legitime. Auch das habe ich nie bestritten.
    Ich bin gefragt worden: Wie würden sich die Kollegen Ministerpräsidenten verhalten, die nicht sicher sind, wie das in ihrem Land vom Volk gewählte Parlament diese Frage bewertet, ob das nicht eine andere Qualität ist als in den Bereichen, wo das klar ist. Wir Bremer haben eine eindeutige Mehrheit. Die Bayern haben eine — Gott sei's geklagt! — noch eindeutigere Mehrheit für ihre Regierung. Sie haben die Rückkoppelung. In Niedersachsen ist eine solche Rückkoppelung nicht gegeben. Darauf habe ich geantwortet.
    Nun lassen Sie mich in der Frage des Bundesrates fortfahren, wenn Sie einverstanden sind! — Danke schön.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie müssen sich verfassungsmäßig verhalten!)

    Ich gehe davon aus, daß der Bundesrat als Bundesorgan berechtigt und verpflichtet ist, an der Gesetzgebung mitzuwirken, auch an den Verträgen mitzuwirken, die hier zur Abstimmung stehen. Aber ich bezweifele, ob die Mitwirkungsrechte des Bundesrats verfassungspolitisch — verfassungspolitisch! — so ausgelegt werden dürfen, daß daran internationale Verträge, die in die Zuständigkeit dieses Hauses fallen, scheitern können.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Also, unterstützen dürfen sie es Dort, wo es um die orginären Rechte der Gliedstaaten des Bundes geht, dort, wo es um das Verhältnis von Bund und Ländern geht, dort, wo es um die Verwaltungsorganisation und Organisationsstrukturen der Länder geht, hat der Bundesrat aus gutem Grund den Verfassungsauftrag und die Verfassungschance, vom Bundestag nicht majorisiert zu werden. Doch andererseits gebietet es nach meiner Meinung die verfassungspolitisch gebotene Bundestreue der Länder, daß auf dem wichtigen Felde der auswärtigen Beziehungen die vom Parlamentarischen Rat vorgegebenen Zuständigkeiten nicht durch Verfahrenstricks gegenstandslos gemacht bzw. auf den Kopf gestellt werden. Denn wie anders als einen Verfahrenstrick, meine Damen und Herren, kann man den Versuch einiger der von CDU und CSU geführten Länder bezeichnen, jetzt wegen der nach meiner Meinung nicht zu bestreitenden Verwaltungszuständigkeit bei der Arbeiterrentenversicherung auswärtige Abkommen zu Fall zu bringen mit einer Begründung, die ganz und gar nichts mit der eng umrissenen Verwaltungszuständigkeit der Bundesländer zu tun hat? Um es auf den konkreten Fall der Polen-Vereinbarungen zu beziehen: Es entspricht vielleicht dem Buchstaben, aber ganz sicher nicht dem Sinn unserer Verfassung, daß der Bundesrat mit Hilfe reiner sozialversicherungsrechtlicher Verfahrensvorschriften, aus denen sich sein Zustimmungsrecht ergibt, in Versuchung geführt wird, eine auf Aussöhnung gerichtete Außenpolitik der Bundesregierung unmöglich zu machen. Der Bundesrat hat nach der Konzeption unseres Grundgesetzes nicht die Aufgabe, eine Art zweiten Bundeswillen im parteipolitischen Sinne zu bilden. Die auswärtigen Angelegenheiten fallen, so wollen es Art. 32 und Art. 30 des Grundgesetzes, grundsätzlich dem Gesamtstaat zur Erledigung zu. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die Bundesratsmehrheit den Grundsatz der Zurückhaltung in Fragen der Außenpolitik, den der Bundesrat 20 Jahre lang geübt hat, offenbar aufgeben will. Der Stellungnahme vom 7. November 1975 ist nämlich zu entnehmen, daß es der Mehrheit im Bundesrat augenscheinlich nur um die politische Beurteilung der Verträge geht, mithin um den Bereich der auswärtigen Politik, und nicht um die die Zustimmungsbedürftigkeit begründenden länderspezifischen Vorstellungen. Da, meine Damen und Herren, genügt es nicht, daß Herr Jaeger hier zitiert, was früher der Regierende Bürgermeister von Berlin, der Erste Bürgermeister — nicht: Regierender Bürgermeister — Senatspräsident Koschnick von Hamburg oder was mein Freund Ehlers von Bremen gesagt hat. Die haben sich zu einer aktuellen Situation geäußert, und die Regierungen haben diese Position nicht anerkannt. Das ist der entscheidende Unterschied gegenüber den damaligen Positionen. — Verzeihung. Ich werfe es niemandem vor, daß er versucht, ein solches Vehikel zu benutzen, (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : So wie Sie jetzt!)


    (Beifall bei der SPD und der FDP)





    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Und heute ist es umgekehrt!)

    wenn er meint, parteitaktische Vorteile daraus zu ziehen. Nur sollte er dann sagen, daß es parteitaktische Vorteile und keine Grundsatzfragen der deutschen Politik sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich halte es verfassungspolitisch für außerordentlich gefährlich, wenn der Versuch weitergeführt werden sollte, die politische Diskussion der Polen-Verträge aus dem Bundestag in den Bundesrat zu verlagern. Auch die Opposition im Bundestag, die die Mehrheit im Bundesrat besitzt, muß doch zugeben, daß dies eine an Mißbrauch grenzende Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wieso?)

    Dieser Mißbrauch der Verwaltungszuständigkeitsrechte gegenüber einem auf Aussöhnung, auf bessere Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft und auf die Übersiedlung von 125 000 Deutschstämmigen gerichteten Abkommen verletzt meiner Meinung nach die verfassungspolitisch gebotene Bundestreue der Gliedstaaten.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Mißbrauch, diese auf Nötigung der Bundesregierung zielende Haltung der Ländermehrheit im Bundesrat dokumentiert in geradezu erschreckender Weise ein Unvermögen im Verständnis für einen wirklich kooperativen Föderalismus.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich verstehe unter kooperativen Föderalismus eine Form des staatlichen Zusammenwirkens, die das Ganze höherstellt als das Einzelinteresse,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Die die SPD höherstellt!)

    die dem Bund gibt, was dem Bund gebührt, und die insbesondere nicht die internationale Handlungsfähigkeit einer deutschen Bundesregierung gefährdet und belastet.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es geht hier nicht um die SPD. Es geht hier nicht um die FDP. Es geht um das Handeln einer deutschen Bundesregierung, die von diesem Bundestag gewählt worden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn es nicht um einen derartigen bitterernsten Gegenstand ginge, wenn es nicht um die Entscheidung in einer politischen Frage von äußerster Tragweite ginge, dann könnte man geneigt sein, daß Verhalten der Opposition in der Frage der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen mit einer alten lateinischen Feststellung zu begleiten, die auf deutsch lautet: „Es ist schwierig, keine Satire darüber zu schreiben" .

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Und wie heißt das auf lateinisch?)

    Eine bitterböse Satire freilich! Denn selten zuvor hat die CDU so viel Mühe darauf verwandt, das Eingeständnis eigener Handlungsunfähigkeit hinter einer Nebelwand schöner Worte zu verbergen,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das ist aber keine staatsrechtliche Ausführung!)

    die Unfähigkeit nämlich, das, was sie selbst, d. h. alle ihre außenpolitischen Sachverständigen, als politisch richtig und notwendig erkannt hat, die Versöhnung mit unserem polnischen Nachbarn zu fördern, auch politisch in ihrem eigenen Lager durchzusetzen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Polemische Pflichtübung!)

    Wenn ich in den letzten Monaten die Zeitungen aufgeschlagen habe, so hat immer irgendein prominenter CDU-Politiker irgend etwas Nettes über Polen und die Polen gesagt. Immer hat es geheißen, es müsse selbstverständlich etwas geschehen, um die Beziehungen zwischen unseren Staaten nachhaltig zu verbessern. Immer wieder ist beteuert worden, selbstverständlich sei die Bundesrepublik auch zu Opfern bereit; aber leider könne man den Verträgen nicht zustimmen. Wer will es mir und vielen anderen Deutschen übelnehmen, wenn sie diese Haltung als den Versuch betrachten, sich aus der politischen Verantwortung herauszumogeln?
    „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es", hat Kästner einmal gesagt. Das gilt auch für das Regierungshandeln und das Handeln eines Parlaments. Wer also die Versöhnung mit Polen will, wer Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn nicht als Pflichtübung, sondern als Aufgabe ansieht, wer Friedenssicherung und Entspannung will, der muß dies auch beweisen, und zwar auch in konkreten Taten.
    Was prominente Vertreter der CDU in Polen und hier in der Bundesrepublik in Gesprächen mit Polen in den letzten Jahren alles an Gutem gesagt haben, das füllt allmählich nämlich ein ganzes Buch. Nun aber, wo es darum geht, wichtige Einsichten in Verträge und Vereinbarungen umzusetzen, um wegzuräumen, was wegzuräumen ist, wo es auch um die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik als Ganzes geht, da liefert die CDU ein Scheingefecht nach dem anderen, um zu verbergen, daß das, was sie kritische Einwände und Bedenken nennt, in Wirklichkeit nur ihrer eigenen, durch parteiinterne Schwierigkeiten entstandenen Handlungsunfähigkeit auf einem lebenswichtigen Gebiet der deutschen Ostpolitik entspringt.

    (Beifall bei der SPD)

    15580 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1976
    Senatspräsident Koschnick
    Das hat sich bei der Behandlung der Schlußakte von Helsinki gezeigt. Das setzt sich jetzt unübersehbar fort.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sprechen Sie als Bundesratsmitglied? — Als Bundesratsmitglied nehme ich mir das Recht, hier genauso zu sprechen, wie der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz hier gesprochen hat. (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Nur widersprechen Sie Ihren eigenen Grundsätzen, die zwar falsch sind; aber immerhin widersprechen Sie ihnen!)

    — Nein, den Widerspruch müssen Sie mir belegen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Aber gern!)

    — Aber nicht mit Zwischenrufen, sondern durch Beweise.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In welcher bejammernswerten inneren Situation sich die CDU befindet, wird sicherlich in den nächsten Monaten noch deutlicher werden. Da ist die Haltung der CSU nun doch eindeutiger; denn hier wie in vielen anderen Fällen zeigt die CSU klar Flagge. Sie wärmt ohne rhetorische Umschweife einen Teil der Parolen des früheren Antikommunismus, des kalten Krieges wieder auf. Da weiß man doch wenigstens, woran man ist.
    Die konservative Londoner „Times" schrieb am 18. Mai 1973 über die außenpolitischen Vorstellungen der CDU — ich zitiere —:
    Leider haben die Christlichen Demokraten noch nicht ihren Weg gefunden, um die konstruktiven Beiträge zu leisten, die das übrige Europa von ihnen erwartete, also sie noch an der Macht waren.
    Das im Jahre 1973 Geschriebene stimmt auch heute noch.
    Die Beiträge der CDU zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik sind in den letzten Jahren keineswegs konstruktiver geworden. Sie enthalten sogar — lassen Sie mich das in aller Offenheit sagen; das ist eine mich bedrückende, tiefe Sorge — ein ausgesprochen destruktives Element. Ich hoffe deshalb daß wir wenigstens nach dem 4. Oktober dieses Jahres in dieser Frage wieder besser miteinander sprechen können.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie haben Ihr „Sicherheitsrisiko" gut gelernt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Niemand wird von der Oppostion erwarten und verlangen dürfen, daß sie die Regierung liebt. Aber nicht umsonst nennen sich die großen politischen Parteien allesamt in der Bundesrepublik „staatstragend", was ja wohl heißen will, daß es über die parteipolitischen Sonderinteressen hinaus auch eine gemeinsame politische Verantwortung für diesen Staat gibt. Doch diese Bezeichnung „staatstragend" verlangt nach dem Beweis, und ich meine, daß die CDU hier jedenfalls den Nachweis, staatstragend
    zu sein, uns allen schuldig bleibt, wenn sie damit in I Fragen höchsten außenpolitischen Ranges

    (Sick [CDU/CSU]: Weil es Ihnen nicht paßt!)

    einwandfreie parlamentarische Mehrheiten dieses Hauses, des vom Volk gewählten Parlaments, durch die Hintertür des Bundesrats zu Fall zu bringen sucht,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Ist der Bundesrat eine Hintertür?)

    wenn sie damit die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik und damit deren Glaubwürdigkeit und Vertragstreue unterminiert und dies durch ein Bundesorgan, das keine gesamtstaatliche außenpolitische Aktivitätslegitimation besitzt

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Der sägt an seinem eigenen Ast!)

    und dessen Mitspracherecht in Fragen der Außenpolitik aus gutem Grund eng begrenzt ist.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Der sägt den eigenen Ast ab!)

    Ich will die Vereinbarungen mit der Volksrepublik Polen nicht besser machen, als sie sind.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Das geht auch nicht!)

    Sie tragen für jedermann erkennbar den Stempel des Kompromisses.

    (Reddemann [CDU/CSU] : Des Kompromittierenden, Herr Koschnick!)

    Das ist keine Schande. Vereinbarungen kommen nun einmal nur dann zustande, wenn sie Interessen beider Seiten so weit wie nur irgend möglich entsprechen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das hätten Sie tun sollen!)

    Ich meine — ich sage dies auch für die Landesregierung, deren Präsident ich bin —: Diese Vereinbarungen dienen deutschen Interessen. Sie dienen der Verbesserung der Beziehungen mit der Volksrepublik Polen, sie dienen dadurch der Versöhnung mit dem polnischen Volk, und sie dienen schließlich unmittelbar der Entspannung in Europa.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das haben Sie schon 1970 behauptet!)

    Sie ermöglichen die Ausreise von etwa 125 000 Deutschen aus Polen, sie ermöglichen die Lösung zahlreicher offener sozialversicherungsrechtlicher Fragen zwischen beiden Staaten, und sie bewirken auch eine Vertiefung und Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das hören wir seit sieben Jahren!)

    Die sachlichen Bedenken gegen einzelne Punkte der Vereinbarung hat die Bundesregierung inzwischen mit dem Schreiben des Herrn Außenministers vom 16. Februar 1976, wie ich meine, vollständig ausräumen können. Es ist vor allem, so glaube ich, hinreichend deutlich geworden, daß eine stärkere Berücksichtigung deutscher Interessen nicht möglich war. Alles, was heute dagegen gesagt wird, bedeutet



    Senatspräsident Koschnick
    ein verklausuliertes und damit ein unglaubwürdiges Nein. Es ist — das ist meine feste Überzeugung — das zur Zeit Mögliche bei den Verträgen erreicht worden.
    Trotzdem sollen, wenn ich das Kampfsignal aus der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg richtig verstanden habe, die CDU/CSU-Minderheit im Bundestag wie die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat auf die Ablehnung der Verträge festgelegt werden. Bezeichnenderweise ist diese unverhüllte Drohung aus Stuttgart ja bereits vor der heutigen Beratung und Beschlußfassung im Bundestag ergangen. Mein christdemokratischer Kollege Filbinger hält also offenbar den Austausch von Informationen und Meinungen und Argumenten, wie er hier stattfindet, für im Grunde völlig überflüssig.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD] : Sehr wahr!)

    Wenn es wirklich so wäre, daß wir, die Vertreter unterschiedlicher politischer Auffassungen, uns nur noch mit bereits bis ins Detail festgelegten Worten begegnen, dann könnten wir uns auf gedruckte Kommuniqués beziehen und diese austauschen. Das erspart uns viel Zeit, macht aber schließlich den Parlamentarismus kaputt.

    (Beifall bei der SPD)

    Diejenigen, die hier einigen vorwerfen, hier werde in Fraktionszwang gehandelt, sollten doch einmal nachlesen, was Herr Strauß an Ministerpräsidenten und Abgeordnete geschrieben hat oder was Herr Filbinger im Augenblick zum Verhalten des Bundesrats schreibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie können doch Herrn Filbinger nicht das Wasser reichen, Herr Koschnick!)

    Meine Damen und Herren, wer Verantwortung für unser Land ausübt und empfindet, muß beschwörend warnen: Die destruktive Wirkung eines Scheiterns der Polenverträge im Bundesrat wird für die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik katastrophale Folgen haben, und zwar nicht nur in Mitteleuropa und in Osteuropa, sondern auch bei unseren Freunden und Bündnispartnern. Sie alle wissen doch, daß es im Westen eine Reihe von Belastungen wegen der polnischen Geschichte aus den Jahren 1939 bis 1945 gibt und daß man mit besonderer Sorgfalt darauf achtet, wie wir uns hier verhalten, damit auch sie ihr Verhältnis in Ordnung bringen können. Ein bißchen Gespür in außenpolitischen Fragen sollte den Christlichen Demokraten nicht völlig verlorengegangen sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen)?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Claus Jäger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Bürgermeister, wenn das Scheitern dieses Vertrages derart weitreichende Wirkungen hat, wie Sie eben zum Ausdruck brachten, wie erklären Sie dann den Umstand, daß sich die Bundesregierung strikt weigert, dem Verlangen der Opposition nachzukommen und mit Polen neue Gespräche und Verhandlungen zu
    einer Verbesserung dieser Verträge aufzunehmen?