Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für
eine Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über Beziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den assoziierten überseeischen Ländern und Gebieten
eine Empfehlung einer Verordnung des Rates über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
einen Entwurf eines Abkommens über den Handel mit den überseeischen Ländern und Gebieten mit Erzeugnissen, die unter die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallen
— Drucksachen 7/3569, 7/3784 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Dohnanyi
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Empfehlung einer Verordnung (EWG) des Rates über den Abschluß eines Abkommens über handelspolitische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Sri Lanka
— Drucksachen 7/3459, 7/3785 —
Berichterstatter: Abgeordneter Russe
Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Anpassung der in Artikel 13 Absatz 9 von Anhang VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften vorgesehenen Sätze der Tagegelder für Dienstreisen
— Drucksachen 7/3615, 7/3787 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
— Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Bundesbericht Forschung V dem Ausschuß für Forschung und Technologie — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 a) und b) der heutigen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Berufsbildungsgesetzes
— Drucksachen 7/3714, 7/3732 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. weitere Reform der beruflichen Bildung
— Drucksache 7/3746 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Das Wort zur Begründung zu Punkt 2 a) hat Herr Bundesminister Rohde.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Erfüllung der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt und auch der Erwartung der Fraktionen des Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform der beruflichen Bildung vorgelegt. Sie hat damit Voraussetzungen für konkreten Fortschritt in einer der schwerwiegendsten gesellschaftspolitischen Fragen geschaffen, denen sich heute Industrieländer gegenübersehen. Wir sind heute mit der Frage nach der Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung im Gesamtbildungssystem und nach einer besseren Sicherung des Ausbildungsplätzeangebots für die jungen Menschen konfrontiert. In einer solchen Zeit zählen nicht mehr allgemeine Thesen und Erwägungen, sondern nur noch präzise Vorschläge.Die Debatte, die wir im vergangenen Jahr im Deutschen Bundestag über die weitere Entwicklung der Berufsbildung geführt haben, endete seinerzeit mit der einmütigen Auffassung, daß es mit kosmetischen Korrekturen nicht mehr getan sei, sondern daß im Hinblick auf die sich abzeichnenden Strukturprobleme des beruflichen Bildungssystems weiterführende Lösungen gefunden werden müßten. Bereits in den Erörterungen des Bundesrates habe ich darauf hingewiesen, daß der Entwicklung unserer Volkswirtschaft und unserer gesellschaftlichen Ordnung insgesamt schwerer Schaden zugefügt würde, wenn die Reform nicht zustande käme.
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12612 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Bundesminister RohdeDenn die wirtschaftlichen Aufgaben, denen sich ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik angesichts weltwirtschaftlicher Veränderungen und auch neuer Formen internationaler Arbeitsteilung gegenübersieht, sind nur durch ein breites Potential qualifizierter Arbeitskräfte zu bewältigen.Es ist nicht zu verkennen, daß soziale Stabilität und Gerechtigkeit auch abhängen von Chancengleichheit im Bildungswesen und vom Vertrauen der Bevölkerung in dieses Prinzip. Das Bildungssystem geriete auf Dauer aus den Fugen, wenn weiterhin Gymnasien und Hochschule allein der „Königspfad" zu allen Privilegien blieben.
Wenn es nicht gelingt, ,die berufliche Bildung, die für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen der Weg ins Arbeitsleben ist, zu einem gleichgewichtigen und gleichwertigen Bestandteil des Bildungssystems zu machen, dann wäre dies die Bankrotterklärung gegenüber den unbestrittenen Zielen von Chancengleichheit, Leistungsfähigkeit und Durchlässigkeit. Wir können es uns weder wirtschaftlich noch sozial und politisch leisten, unser Bildungswesen in Elitebildung und Bildungswege zweiter Klasse zu polarisieren.Wer heute dem Rat folgt, alles so laufen zu lassen, wie es ist, der gefährdet nicht nur unser Berufsbildungssystem mit seinen beiden Lernorten Betrieb und Schule, sondern er riskiert auch schwere Verwerfungen im Gesamtbereich von Bildung und Beschäftigung. Wenn tatenlos abgewartet wird, manövriert sich das praxisbezogene und praxisorientierte berufliche Bildungssystem in die Gefahrenzone hinein. Ich bitte den Deutschen Bundestag um Verständnis dafür, daß ich mich deshalb im Bundesrat mit Nachdruck gegen jeden Versuch gewandt habe, die Reform der beruflichen Bildung zeitlich und politisch bis in die 80er Jahre hinein zu verschieben.
Eines zeichnet sich allerdings heute schon ab: Die Beratungen im Deutschen Bundestag, die wir heute aufnehmen, fangen unter anderen und, wie ich sagen möchte, besseren Voraussetzungen an, als sie im Bundesrat mit dem Antrag der CDU/CSU-regierten Länder geendet haben. Das war ein Antrag, der in allgemeinen und widersprüchlichen Erwägungen steckengeblieben war und der sich im ganzen gesehen mit pauschalen Urteilen über den Entwurf der Bundesregierung begnügte, ohne eigene Vorstellungen unid Auffassungen der Antragsteller selbst darzulegen. Bei der Bundesratsdebatte waren noch jede Form der staatlichen Kontrolle in der beruflichen Ausbildung, 'die Regelungen in der Weiterbildung, die Vorschläge für differenziertere Strukturen in der Berufsausbildung, die bessere Abstimmung der Ausbildungsinhalte durch eine zentrale Stelle auf Bundesebene, die Bundeseinheitlichkeit der Ausbildungsordnung und vor allem auch das Bestreben, in dieser Legislaturperiode eine Finanzierungsregelung im beruflichen Bildungssystem zu erreichen, auf scharfe Kritik der CDU/CSU-regierten Länder gestoßen. Ich stelle heute fest, daß es in diesen Fragensichtbare Auffassungsunterschiede zwischen Bundestag und Bundesrat gibt.Das zeigt sich nicht nur in den Stellungnahmen der Koalition und in der Regierungsvorlage. Das macht auch der Antrag der Opposition deutlich. Insofern ist das weitgehende Nein der Bundesratsmehrheit der CDU/CSU-regierten Länder in meinen Augen weder sachlich noch politisch von Bestand.
Der Mehrheitsantrag im Bundesrat hat sich nicht, wie manche meinten, als ein Einschnitt, sondern als eine Episode in der Reformdebatte erwiesen.
In einer eingehenden Stellungnahme hat die Bundesregierung — auch zur Information für die heutige Debatte — in jedem Punkt nachgewiesen, warum der Antrag der Bundesratsmehrheit nicht den Anforderungen entspricht, die an die Qualität eines Beitrages zur Reformdebatte in dieser Zeit zu stellen sind. Wir hoffen, daß diese detaillierte Stellungnahme zu einer Versachlichung beiträgt. Daß diese Hoffnung nicht unbegründet ist, entnehme ich auch dem Antrag der Opposition im Deutschen Bundestag, der sich offensichtlich in einer Reihe von Punkten von der Auffassung der Bundesratsmehrheit distanziert.In Hinblick darauf, daß von mancher Seite in den letzten Monaten die Notwendigkeit einer Reform durch Gesetz überhaupt bestritten worden ist, will ich nunmehr zusammengerafft wesentliche Ausgangspositionen für die Regierungsvorlage nennen.Erstens. Bereits bei der Verabschiedung des geltenden Berufsbildungsrechts im Jahre 1969 hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß in einer absehbaren Zeit weitere Reformschritte folgen müssen. Sein Interesse richtete er dabei insbesondere auf die Fragen der Finanzierung, indem er einstimmig eine unabhängige Sachverständigenkommission zur Untersuchung der gegenwärtigen Finanzierungsstrukturen und zur Ausarbeitung von Vorschlägen einsetzte. Wenn wir in der Vorbereitung des Gesetzentwurfs mit Energie und Nachdruck Finanzierungsfragen aufgegriffen haben, dann nicht aus persönlichen Intentionen und Auffassungen, sondern darum, weil wir uns verpflichtet fühlten, einer Linie zu folgen, die der gesamten Deutsche Bundestag bereits 1970 in einmütig gefaßten Beschlüssen vorgezeichnet hatte.
Zweitens. Bei den inhaltlichen Regelungen hat sich inzwischen herausgestellt, daß im geltenden Recht keine zulängliche Gestaltung der Berufsausbildung nach Grund- und Fachbildung angelegt ist und vor allem auch für Lernbehinderte und für Lernschwache keine angemessenen Ausbildungswege geschaffen werden konnten.Drittens. Die berufliche Weiterbildung, die allein schon durch die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit in den letzten Jahren eine neue Dimension erhalten hat, ist in dem Gesetz von 1969 nur als Merkposten mit einem Paragraphen erwähnt, aber nicht konzeptionell ausgearbeitet.
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Bundesminister RohdeViertens. Die Vorschriften über die Ausbilderqualifizierung, über die Kontrolle der Berufsausbildung, über die Prüfungen und den Fernunterricht und vor allem auch über die Eignung der Ausbildungsstätten bedürfen nach den Erfahrungen der letzten Jahre einer praxisorientierten und qualitativ fundierten Ausformung.Fünftens. Die Abstimmung der Ausbildungsinhalte zwischen Betrieb und Schule ist inzwischen nach Auffassung aller Beteiligten völlig unzureichend. Bisher, meine Damen und Herren, gibt es noch nicht einen bundeseinheitlichen Rahmenlehrplan für die Berufsschulen in der Bundesrepublik.
Die Erarbeitung von Ausbildungsordnungen dauert fünf bis zehn Jahre. Wenn wir das gegenwärtige Verfahren fortsetzten, würden wir für die heute vorhandenen Berufe erst im Jahre 2000 neue Pläne für Schule und Betrieb haben, von der Entwicklung neuer Ausbildungsgänge ganz zu schweigen. Diese Feststellung ist nicht überzogen, sondern entspricht den Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren auf diesem Felde gemacht haben.Sechstens. Die Instrumente der Vorausschau sind völlig unzulänglich. Wir haben nach dem geltenden Recht nicht die mindesten Voraussetzungen statistischer und anderer Art zu unserer Verfügung. Das ist auch ein Grund dafür, daß in der deutschen Offentlichkeit alljährlich die Frage nach der Zahl der Ausbildungsplätze wie ein Lotteriespiel empfunden wird.Siebtens ist eine entscheidende Sorge die Entwicklung des Ausbildungsplätzeangebots. Es ist nicht erst, wie manche meinen und wie von einigen in der öffentlichen Debatte behauptet wird, in den letzten Jahren zurückgegangen, sondern entwickelt sich seit anderthalb Jahrzehnten rückläufig. Die Hauptgründe dafür liegen in strukturellen Veränderungen, die ihren Einfluß auch unabhängig vom Gang der Reformdebatte auf die Angebotsseite gehabt haben. Der Angebotsrückgang zeichnete sich bereits in einer Zeit ab, in der wirtschaftliche Expansion und Hochkonjunktur herrschten.Neben der strukturellen und konjunkturellen Abhängigkeit kommt nun aber hinzu, daß die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in den nächsten Jahren von geburtenstarken Schulabgängerjahrgängen beeinflußt werden wird. Insgesamt steht also vor uns die Sorge, daß auf der einen Seite die seit eineinhalb Jahrzehnten rückläufige Kurve des Ausbildungsplätzeangebotes und auf der anderen Seite die Kurve wachsender Nachfrage durch stärkere Schulabgängerjahrgänge in der Zukunft immer mehr in Konflikt miteinander geraten.
Wegen der fehlenden finanziellen Absicherung unserer beruflichen Ausbildung war es bisher nicht möglich, die Erosionserscheinungen im Ausbildungsplätzeangebot aufzuhalten. Ein Gesetzgebungsprozeß kann in dieser Zeit an einer so zentralen Erfahrung nicht vorbeigehen. Meine Damen und Herren, es trifft zu: Die bisherigen Instrumente und Möglichkeiten haben sich als unzulänglich erwiesen.
Achtens. Ein wesentliches Kennzeichen der Ausbildungsstruktur liegt auch darin, daß mehr als die Hälfte aller Jugendlichen in Kleinbetrieben ausgebildet wird, darunter allein 400 000 in Betrieben bis zu 9 Beschäftigten. Diese Betriebe brauchen für die Zukunft ergänzende und stützende Hilfen.Wer heute in der Öffentlichkeit behauptet, die bestehenden Strukturmängel seien ohne ein neues Gesetz zu beheben, der muß sich die Frage gefallen lassen, warum er dann nicht entsprechend handelt und warum die Mängel nicht abgebaut werden.
Die Entwicklungslinien, die ich aufgezeigt habe und die wesentlicher Anlaß für den Gesetzentwurf der Bundesregierung sind, zeigen nach unserer Auffassung, daß die berufliche Bildung nicht allein mit Appellen und kurzfristigen und gelegentlichen Interventionen qualitativ und quantitativ für die Zukunft abgesichert werden kann.Aufbauend auf dieser Erfahrung enthält der Regierungsentwurf inhaltlich folgende grundlegende Ziele.Erstens besteht unsere grundlegende Orientierung darin, die berufliche Bildung zu einem gleichwertigen Bestandteil des Gesamtbildungssystems zu machen. Das drückt sich insbesondere darin aus, daß die Abschlüsse der Berufsbildung künftig, meine Damen und Herren, Abschlüsse der Oberstufe unseres Bildungswesens sein sollen.
Daran wird zwar Kritik aus dem Bereich der Länder geübt. Allerdings ist demgegenüber festzustellen, daß die Schule nicht allein Maßstab für das Bildungswesen sein kann. Wenn der Anspruch auf Gleichwertigkeit ernst genommen werden soll, dann muß er auch die im Gesetz enthaltenen Ausbildungswege und Lernorte mit einbeziehen.Ich bin mir bewußt, daß mit diesem Ziel ein hoher Anspruch an alle Träger der beruflichen Bildung gestellt wird. Dazu bedarf es nicht nur dieses Reformgesetzes, sondern auch eines wirkungsvollen Ausbaus der Berufsschulen. Unter Einfluß und Initiative des Bundes sind dafür in der Bund-LänderKommission zwei wichtige Weichenstellungen vollzogen worden: zum einen durch den Kosten- und Finanzierungsplan von Bund und Ländern für die Bildungsausgaben bis 1978, in dem die Berufsschule zum ersten Mal in so deutlicher Akzentuierung Priorität erhalten hat; zum anderen durch den neuen Stufenplan für die berufliche Grundbildung und für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, die damit endlich aus dem Streit der Meinungen herausgezogen worden sind und ihre Anerkennung nunmehr durch die gemeinsame Unterschrift von Bund und Ländern erhalten haben. Der Bund hat begonnen, diese Verpflichtungen einzulösen, indem er z. B. für
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Bundesminister Rohdeden Bau dieser überbetrieblichen Ausbildungsstätten allein im Jahre 1975 rund 150 Millionen DM für die Träger zu günstigen Konditionen bereitstellt.Im ganzen gesehen hat die Bund-Länder-Kommission im Stufenplan für die berufliche Bildung präzise ausformuliert, was der Antrag der Opposition heute an allgemeinen Erwägungen für die Weiterentwicklung der Berufsschulen im Blick auf Behinderte, auf Hauptschüler ohne Abschluß oder im Blick auf das Berufsgrundbildungsjahr enthält.Der vorliegende Gesetzentwurf regelt ferner das Verhältnis von breitangelegter Grundausbildung und darauf aufbauender Fachbildung für alle Ausbildungsberufe. Damit wird die Konsequenz aus der Tatsache gezogen, daß wir junge Menschen für eine sich dynamisch verändernde Wirtschaft ausbilden und sie nicht allein auf schmalspuriges Spezialwissen hin orientieren wollen.Von grundlegender Bedeutung ist auch das neue Konzept für die berufliche Weiterbildung. Es ermöglicht, weiterführende Bildungsgänge zu entwickeln, erhöht damit die Attraktivität beruflicher Bildung, stärkt ihre Gleichwertigkeit und schafft Voraussetzungen dafür, ebenfalls auf praxisbezogenen Ausbildungswegen und nicht nur in weiterführenden Schulen ein hohes Qualifikationsniveau zu erreichen. Hiermit werden Voraussetzungen dafür geschaffen, das vielzitierte „Baukastensystem" von aufeinander bezogenen Bildungsgängen zu verwirklichen und auf diese Weise mehr Chancengleichheit zu ermöglichen. In zahlreichen Gesprächen, die wir mit Weiterbildungsexperten in den letzten Wochen geführt haben, ist deutlich geworden, daß es sich bei unserem Entwurf um ein offenes und differenziertes Konzept handelt, das den Bedürfnissen der Praxis Rechnung trägt.Ein wesentlicher Fortschritt des Gesetzes liegt auch darin, daß sein Geltungsbereich erweitert worden ist, z. B. durch die Einbeziehung von Behinderten und der Seeschiffahrt sowie des Strafvollzugs und der Erziehungshilfe. In Zukunft soll es möglich sein, für die Behinderten Ausbildungswege zu konzipieren, die einmal ihre Vorbildung und die Art ihrer Behinderung berücksichtigen, zum anderen aber auch in normale Ausbildungsverhältnisse hineinführen sollen.Mit diesem Gesetz wird somit zugleich ein wesentlicher Beitrag zur Rehabilitation geleistet. Es ergänzt gleichsam die Anstrengungen, die von der Bundesregierung im sozialpolitischen Bereich für die Behinderten unternommen worden sind. Wir wollen sowohl durch bildungspolitische als auch durch sozialpolitische Mittel dazu beitragen, daß endlich die Besenbinder- und Bürstenmacher-Philosophie, unter der die Behinderten über Jahrzehnte gelitten haben, in die Vergangenheit hinabsinkt.
Um die Durchlässigkeit zwischen Industrie und Handwerk und damit sowohl die berufliche als auch die wirtschaftliche Mobilität zu erhöhen, ermöglicht der Gesetzentwurf, künftig einheitliche Ausbildungsordnungen bei gleichen oder verwandten Berufen für beide Bereiche zu schaffen.Die von uns weiterentwickelten Vorschriften zur inhaltlichen Ausgestaltung von Berufsausbildung und Weiterbildung sind in den vergangenen Monaten von manchen Seiten mit sehr widersprüchlichen Begriffen wie „praxisfern" und „bürokratisch" auf der einen und „Atomisierung und Zersplitterung der Ausbildung" auf der anderen bedacht worden. Wir werden uns hiermit in den Ausschußberatungen bei der Behandlung der verschiedenen Paragraphen im einzelnen auseinandersetzen und dabei klarstellen, daß solche pauschalen Vorwürfe im Entwurf keine Stütze finden. Im übrigen wäre es ein großer Gewinn, wenn wir in der Berufsbildungsdebatte von der pauschalierenden Sprache endlich herunterkämen und uns konkreten Sachverhalten zuwenden würden.
Zweitens. Wie künftig eine bessere Abstimmung der Ausbildungsinhalte in Betrieb und Schule sichergestellt werden kann, ist inzwischen eine Kernfrage in der Diskussion um die Berufsbildung geworden. Sie muß von allen ernst genommen werden, die nicht Verschulung oder Verstaatlichung wollen, sondern von den beiden Lernorten Betrieb und Schule ausgehen und praxisorientierte Bildungsprinzipien sichern wollen. Eine Berufsbildung, die über die Betriebe und Schulen zugleich vollzogen wird — wie das in unserem Lande der Fall ist — und zudem noch eingebettet ist in die Strukturen unseres föderalistischen Bildungssystems, kann überhaupt nur dann funktionieren, wenn ihre Inhalte nicht auseinanderlaufen und die für diese Inhalte Verantwortlichen — das sind Bund und Länder — ein befriedigendes Maß von Kooperation verwirklichen.Wenn jeder nur seine Karte ausreizt oder gar, wie es im Antrag der Bundesratsmehrheit der Fall ist, auch noch die Bundeseinheitlichkeit der außerschulischen, also der betrieblichen Ausbildung in Frage gestellt wird,
kann das nur zu Lasten der Zukunft des dualen Systems gehen, meine Damen und Herren.
Das fehlte uns eigentlich noch, daß wir neben einer Fülle unterschiedlicher Rahmenlehrpläne für die Berufsschulen auch noch länderbezogene Ausbildungsordnungen für Bäcker, Werkzeugmacher und Elektriker hätten.Solchen Fehlentwicklungen will die Bundesregierung begegnen. Ziel ihrer organisatorischen Vorstellungen sind Kooperation und Konzentration: Kooperation, indem öffentliche Verantwortung auf der einen sowie Mitverantwortung und Mitgestaltung der an der beruflichen Bildung Beteiligten auf der anderen Seite miteinander verbunden werden; und Konzentration, indem durch die Zusammenfassung der heute zahlreichen Gremien, die sich mit Abstimmungsfragen beschäftigen, die Entscheidungswege im beruflichen Bildungssystem übersichtlich und kürzer werden.Im Bundesrat habe ich dargelegt — ich will das hier nicht im einzelnen wiederholen —, wie schwer-
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Bundesminister Rohdefällig und bürokratisch die Abstimmungsprozesse heute sind, die eine erhebliche Zahl von Institutionen, Kontakt- und Koordinierungsgremien im Beziehungsfeld zwischen Bund und Ländern durchlaufen müssen. Der Gesetzentwurf enthält den Vorschlag, in Zukunft mit einem Bundesinstitut für berufliche Bildung eine gemeinsame Adresse zu schaffen, unter der alle an der beruflichen Bildung Beteiligten zu erreichen sind. Das sind Bund und Länder, Arbeitgeber und Gewerkschaften sowie Berufsbildungsforschung und Berufsbildungspraxis, die unmittelbarer als heute in die Erarbeitung der Ausbildungsinhalte einbezogen werden sollen. Zum erstenmal haben damit Ausbilder und Lehrer einen gesetzlichen Anspruch zur fachlichen Mitarbeit. Ihr Sachverstand und ihr Engagement sollen dabei zur Geltung gebracht werden.Mit dem Bundesinstitut für berufliche Bildung wird ein so hohes Maß von Konzentration und, wie ich überzeugt bin, auch Effektivität in der Entwicklung von Ausbildungsinhalten, in der Planung, Abstimmung und Zusammenarbeit erreicht, wie es auf einem anderen Wege schwerlich ermöglicht werden könnte.Mit dem Vorwurf der Bürokratisierung ist dieser Vorschlag zur Konzentration in der Berufsbildung nicht aus der Welt zu schaffen. Bürokratisch und kostspielig sind die heutigen Verhältnisse,
die hohen Zeitaufwand, Reibungsverluste in der Grauzone der Gremien zwischen Bund und Ländern und Fehlentwicklungen mit allen finanziellen Konsequenzen beinhalten.Nun wissen wir, daß die Vorschläge des Bundesinstituts für die Berufliche Bildung, die es in bezug auf die Ausbildungsinhalte machen wird, nicht unmittelbar geltendes und bindendes Recht für Bund und Länder sein können. Diesem Sachverhalt trägt unser Vorschlag Rechnung: gleichsam parallel zum Gesetzesverfahren ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern abzuschließen, mit dem gesetzlich nicht regelungsfähige Verfahrensfragen über das gemeinsame Inkraftsetzen neuer Ausbildungsinhalte zwischen Bund und Ländern vereinbart werden sollen.Unser Vorschlag bedeutet also insgesamt und konkret: in dem Bundesinstitut durch Zusammenarbeit von Berufsbildungspraxis und Berufsbildungsforschung die Empfehlungen für Ausbildungsinhalte in Betrieb und Schule zu erarbeiten und durch das Verwaltungsabkommen dafür zu sorgen, daß sich Bund und Länder über das gemeinsame Inkraftsetzen verständigen. Wenn dieses Mindestmaß der Kooperation nicht erreicht wird, dann müssen diejenigen, die das nicht wollen, sagen, wie sich dann eigentlich das duale Ausbildungssystem, das sich auf Betrieb und Schule, auf Bundes- und Länderkompetenzen stützt, in Zukunft weiterentwickeln soll.
Aus dem Antrag der Opposition ersehe ich — damit komme ich, Herr Probst, zu Ihrem Einwand —,daß auch sie eine zentrale Stelle auf Bundesbene für notwendig hält.
Insofern ist das wenigstens ein Schritt vorwärts gegenüber dem Antrag des Bundesrates und der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder. Meine Frage aber ist, ob durch Ihren — im einzelnen noch nicht präzisierten — Vorschlag wirkliche Partnerschaft aller Beteiligten und eine sinnvolle Aufgabenerfüllung erreicht werden können.
Wir haben den Eindruck gewonnen, daß durch diesen Antrag Arbeitgeber, Arbeitnehmer und andere nicht mitgestaltend in die Verantwortung einbezogen, sondern auf reine Beratungsfunktionen abgedrängt werden sollen
und daß die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit zu unverbindlichen Empfehlungen herabgestuft werden.
Es wird auch kein zulänglicher Raum für Forschung und Umsetzung gelassen. Ferner würden die bestehenden Bundeskompetenzen, zumindest tendenziell, zugunsten einer gesetzlich nicht gefestigten Zentralstelle ausgehöhlt. Man muß im Ernst fragen, ob dadurch mehr Einheitlichkeit und zügigere Entscheidungsprozesse in der beruflichen Bildung erzielt würden.
Im einzelnen will ich die Debatte darüber, Herr Kollege Probst, nicht vertiefen,
aber mit meinen Einwänden andeuten, welche Fragen uns beim Vergleich des von der Regierung vorgeschlagenen Bundesinstituts für berufliche Bildung und der allgemeinen Aussage der Opposition über eine zentrale Stelle in den Ausschußberatungen, die vor uns stehen, beschäftigen werden.Im Zusammenhang mit der Organisationsstruktur der beruflichen Bildung will ich darauf hinweisen, daß auf der Landesebene die Entwicklungsmöglichkeiten und Aufgabenstellungen des Berufsbildungsausschusses entsprechend den Erfahrungen der letzten Jahre verstärkt werden sollen. Den Ländern wird die Möglichkeit eröffnet, darüber hinausgehende Formen der Kooperation in einer Landesanstalt für berufliche Bildung zu entwickeln. Die Opposition wird mit diesem unseren Vorschlag sicherlich den Vorwurf der Zersplitterung verbinden. Auf der einen Seite wird uns der Vorwurf gemacht, daß wir den Ländern nicht genügend Gestaltungsmöglichkeiten in der Organisation auf ihrer sie besonders beschäftigenden Ebene eröffnen, und wenn wir dann auf der anderen Seite, wie das im
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Bundesminister RohdeGesetzentwurf der Fall ist, ein flexibleres Angebot machen, wird genau das umgekehrte Bedenken und der Vorwurf der Zersplitterung erhoben.
— Ja, wenn Sie uns mit dem Vorwurf der Zersplitterung kommen, dann würden wir uns bei anderer Gelegenheit einmal über die konkrete Ausformung des föderalistischen Bildungssystems in der Bundesrepublik unterhalten.
Sehr viel differenzierter — Herr Kollege Gölter, jetzt will ich ja etwas Freundliches zum Antrag der Opposition sagen —,
anders als in den Bundesratsberatungen stellt sich heute im Bundestag die Frage nach den Rechten der Berufsbildungsausschüsse in den zuständigen Stellen, den Kammern, dar. Auch der Antrag der Opposition geht über die Auffassungen der CDU/CSU-regierten Länder hinaus. Soweit es die Rechte des Berufsbildungsausschusses für Regelungen in der Berufsbildung, für die Anstellung von Ausbildungsberatern, für deren Berichterstattung sowie für Haushaltsfragen angeht und soweit es die Frage der Kontrolle der Ausbildungsbetriebe betrifft, zeigen Regierungsentwurf sowie auch die Vorlage der Opposition Gemeinsamkeiten auf, die nach meiner Auffassung im Gesetzgebungsverfahren zu konkreten Ergebnissen geführt werden können. Die Prüfungsausschüsse werden in Zukunft staatlich berufen — eine Erwartung, die wir auch dem Berufsbildungsantrag der Opposition vom März vergangenen Jahres entnommen haben, Herr Kollege Gölter.Drittens. Ein zentrales Thema ist — ich habe es einleitend erwähnt —, wie in Zukunft mit Hilfe eines Finanzierungsinstrumentariums eine bessere Absicherung des Angebots von Ausbildungsplätzen erreicht werden kann. Wer auf diesem Felde Vorschläge unterbreitet, sieht sich widersprüchlichen Einwänden und Angriffen ausgesetzt. Dem einen ist das Finanzierungsvolumen nicht weitgehend genug, und dem anderen ist ein solcher Gedanke von vornherein suspekt. Insofern kann man nicht von der Gesamtablehnung der Finanzierungsregelung sprechen. Wir haben es hier vielmehr mit ganz unterschiedlichen Auffassungen der sozialen Gruppen in unserer Gesellschaft zu tun.
Inzwischen hat auch die Opposition in ihrem Antrag die Frage nach der Finanzierung aufgeworfen. Sie hat es aber nur bei der Frage belassen. Eine Antwort finden wir bei ihr nicht. Sie läßt Parlament und Öffentlichkeit völlig im unklaren darüber, in welcher Weise finanziellen Notwendigkeiten entsprochen werden soll.
Wenn Sie, Herr Kollege, keinen Fraktionsvorschlag vorlegen können, weil Sie innerhalb der Opposition in dieser Sache nicht zu einer Einigung gekommen sind, so sollten doch wenigstens die Bildungspolitiker der CDU in der Fraktion — die CSU macht da ohnehin nicht mit, wie wir wissen — die Grundlinien ihrer mehrfach angekündigten Finanzierungsvorstellungen darlegen. Es wäre interessant, wenn Sie die in den vergangenen Wochen viel zitierte Schublade endlich einmal, und sei es nur ein Stück, öffnen würden.
— Herr Kollege, das ist ein bemerkenswerter Einwurf, den Sie gemacht haben: „Das könnte Ihnen so passen!" Finden Sie nicht, daß es bei der ernsten Situation im Bereich der Ausbildungsplätze und ihrem Zusammenhang mit Finanzierungsfragen im Grunde genommen eine politische Pflicht der Opposition wäre, hätte sie Beiträge, sie auf den Tisch zu legen?
Dieser Einwurf: „Das könnte Ihnen so passen!", hat doch den Verdacht in sich, als solle hier in einer ganz wichtigen Frage nur mit taktischem Kalkül gespielt werden.
Soweit es das Finanzierungsinstrumentarium in der Regierungsvorlage angeht, orientiert es sich an einem wesentlichen Kriterium der Berufsbildung, nämlich an der Nachfrage der schulentlassenen Jugendlichen nach Ausbildungsplätzen. So wichtig auch in meinen Augen ein Lastenausgleich zwischen Betrieben mit hohen und solchen mit geringen oder völlig fehlenden Ausbildungsleistungen ist, so muß doch jedes Finanzierungssystem darüber hinaus auch die Frage beantworten, wie es das Angebot von Ausbildungsplätzen zu stärken in der Lage ist.
Unser System ist zur Sicherung des Normalfalles und nicht allein als Notfallfinanzierung gedacht. Der Normalfall ist in unseren Augen ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen. Wenn nicht mindestens 12,5 % mehr Ausbildungsplätze angeboten als nachgefragt werden, sollen Mittel erhoben werden, die zur Schaffung zusätzlicher und zur Stabilisierung vorhandener Ausbildungsplätze, zum Abbau spezifischer sektoraler und regionaler Mangellagen und zur Leistungsfähigkeit überbetrieblicher Ausbildungsstätten beitragen sollen. Im einzelnen berücksichtigt das Finanzierungssystem bei seinen Umlagekriterien auch die Ausbildungsanstrengungen der Betriebe; es wirkt insofern nicht undifferenziert, sondern enthält auch Elemente des Ausgleichs zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben.Die Bundesregierung nimmt die Diskussionen über die Einzelheiten des Finanzierungssystems ernst; sie sollen in die Beratungen der Parlamentsausschüsse einfließen. Aber eines will ich hier deutlich unterstreichen: Aus unserer Sicht kann und darf nicht
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Bundesminister Rohdeauf eine ergänzende überbetriebliche Finanzierung der Ausbildung verzichtet werden.
Mit der allgemeinen Aussage „Wir werden noch alles prüfen" kann sich der Gesetzgeber angesichts der Ausbildungsplatzsorgen heute nicht mehr aus der Affäre ziehen.
Die Opposition versuchte bisher, mit dem Vorwurf der Bürokratisierung die Notwendigkeit eines Finanzierungsinstrumentariums herabzusetzen und mit allgemeinen Vorwürfen einer Diskussion über den konkreten Inhalt einer Regelung auszuweichen. Im Gesetzentwurf wird klargelegt, daß wir keine neuen Erhebungsbürokratien schaffen, sondern Einrichtungen und Möglichkeiten der Berufsgenossenschaften nutzbar machen und daß die Ausgabe der Mittel in engem Zusammenhang mit der Berufsbildungspraxis erfolgen soll.Ich bin gespannt darauf — vielleicht nicht nur ich —, wie die Opposition einen kontinuierlichen Lastenausgleich zwischen den Betrieben schaffen will — ohne Fondsbildungen und Verwaltungsaufwand, wie sie sagt — und welche Vorschläge sie für die Stimulanz zusätzlicher Ausbildungsplätze parat hat. Bisher tappen alle im dunklen. Vieles in den allgemeinen Darlegungen im CDU/CSU-Antrag erinnert mich an die Quadratur des Kreises, weil ich den Verdacht nicht loswerde, daß darin Leitsätze aufgestellt worden sind, die sich inhaltlich gegenseitig ausschließen.
Viertens. Für die vorausschauende Entwicklung der Berufsausbildung und für die Finanzierung wollen wir in Zukunft ein besseres Datenwerk schaffen. Es wäre für alle ein großer Fortschritt, wenn nicht Jahr für Jahr — wie das heute der Fall ist — Staat, Jugendliche, Eltern und Öffentlichkeit mit spektakulären und spekulativen Zahlen über das Ausbildungsangebot überrascht und belastet würden. Wir bekommen die Zahlen von den zuständigen Stellen, wann diese das und wie diese das für richtig halten. Mit diesen Zahlen wird auch in die Berufsbildungsdiskussion politisch eingegriffen.In Zukunft soll Jahr für Jahr ein Berufsbildungsbericht vorgelegt werden, in dem für Fachleute und Öffentlichkeit in gleicher Weise die qualitativen und die quantitativen Entwicklungstendenzen dokumentiert werden. Dieses Hauptbuch für die berufliche Bildung kann auch wesentliche Aufgaben in der Information und in der Berufsberatung erfüllen.Ein in Inhalt, Organisation und Finanzierung so umfassendes Gesetz, wie wir es vorgelegt haben, das zudem noch für ein flexibles Ausbildungssystem konzipiert ist, kann nicht alle wichtigen Tatbestände durch Gesetz ein für allemal festschreiben. Dies und nichts anderes ist der Grund für die Zahl der Rechtsverordnungen, die der Entwurf ermöglicht. Daß sie verfassungsrechtlich abgesichert sind, hat auch der Rechtsausschuß des Bundesrates nicht bezweifelt. Wenn Sie von der Opposition uns im Laufe der Ausschußberatungen nachweisen können, an welcher Stelle eine Rechtsverordnung überflüssig erscheint, werden wir mit Ihnen darüber ernsthaft diskutieren; Weltanschauungsfragen sind das nicht.Ein abschließendes Wort sei mir gestattet. Wer sich eine Reform der beruflichen Bildung heute und nach der Berufsbildungsdebatte, so wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat, vornimmt, gerät damit in ein Feld unterschiedlicher Auffassungen, Interessen und zugespitzter Widersprüche. Er kann nicht erwarten, daß er unter solchen Voraussetzungen in jedem Punkt die Zustimmung aller Beteiligten findet. Diese Erfahrung hat nicht nur die Bundesregierung gemacht. In gleicher Weise hat sie auch die Opposition des Parlaments bei ihrem Antrag nachvollziehen müssen. Zu dem Oppositionsantrag liegen inzwischen außerordentlich kritische Stellungnahmen von der Wirtschaft über die Gewerkschaften bis hin zur Jungen Union und anderen vor. Die Stunde der Wahrheit kommt eben dann, wenn man konkret wird und aus den Wolken allgemeiner Darlegungen heraustritt. Wer sich in den Reihen der Opposition in den letzten Wochen ausschließlich an den Auffassungen einer Gruppe — z. B. der Wirtschaftsverbände — orientiert hat, muß jetzt an deren Reaktion auf den CDU/CSUAntrag feststellen, daß Einseitigkeit weder belohnt noch belobigt wird.
Meine Damen und Herren, der Inhalt der kritischen Anmerkungen der Wirtschaftsverbände zu dem Antrag der Opposition ist nahezu deckungsgleich mit den Texten, die wir seit Monaten zu der Regierungsvorlage erhalten. Da gibt es offensichtlich einige, die sich noch nicht einmal die Mühe machen, die Texte umzuformulieren. Ein Vergleich mit den 60er Jahren zeigt, daß eine Reihe der Thesen, die heute gegen die Regierungsvorlage kritisch eingewandt werden, bis in die Formulierung hinein den Vorwürfen entsprechen, die z. B. dem früheren Minister Katzer bei dem damaligen Berufsbildungsgesetz gemacht worden sind.
Ich habe mich in den letzten Wochen unter dem Eindruck dieser sogenannten Papiere der Wirtschaft oft gefragt, ob dahinter wirklich die Wirtschaft und die ausbildenden Betriebe stehen oder ob es nicht vielmehr eine Handvoll Leute sind, die seit Jahren dieselben Ressentiments formulieren.
Jedenfalls kann der Gesetzgeber das, was er zu tun hat, nicht auf das abstellen, was ihm in dieser professionellen Neinsager-Philosophie angeboten wird.
Meine Damen und Herren, ich werde nicht zu denen gehören, die solche kritischen Stellungnahmen, wie sie gegenüber den Anträgen der Opposition geäußert worden sind, selbstzufrieden registrieren. Wenn sich Probleme und Schwierigkeiten so abzeichnen, wie das heute in der Berufsausbil-
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Bundesminister Rohdedung der Fall ist, reicht es eben nicht aus, nur widersprüchliche Interessen und Auffassungen zu sammeln und zu zitieren. Dann muß der Staat — dies ist seine Funktion, seine Pflicht und seine Aufgabe — seine ausgleichende und, wo Ausgleich wegen des Widerspruchs der Interessen nicht zu erreichen ist, auch seine ordnende Funktion wahrnehmen. Alles andere wäre opportunistisch.
Wenn wir auf die zentrale Frage nach der Zukunft des größten Teils der jungen Generation — immerhin gehen 75 % eines Altersjahrgangs durch die berufliche Bildung ins Arbeitsleben — keine Antwort finden, die kräftige Impulse und neue Voraussetzungen für einen Reformprozeß schafft, sind Chancen über Jahre hinweg vertan. Nicht allein die wirtschaftlichen Aufgaben, denen sich ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik gegenübersieht, sondern auch soziale Stabilität sowie Chancengleichheit im Bildungswesen hängen entscheidend von den Fortschritten in der beruflichen Bildung ab.Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen in der Europäischen Gemeinschaft über die Probleme von Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsdefiziten in Europa müssen als Signal gewertet werden. Ändert sich am hohen Stand der Jugendarbeitslosigkeit in Europa nichts, wird dies eine schwere soziale und politische Hypothek für die Gemeinschaft.Im Vergleich zu anderen Ländern zeigt sich heute, daß die Bundesrepublik, was die Ausbildungszahlen der Jugendlichen angeht und auch die Qualität der Ausbildung betrifft, noch immer einen Vorsprung besitzt. Anlaß zur Sorglosigkeit aber besteht nicht. Vielmehr gilt es, die Chance zu nutzen, durch einen konzentrierten und zügigen Gesetzgebungsprozeß im Sinne einer Gemeinschaftsaufgabe aller Verantwortlichen das Fundament für berufliche Bildung und damit auch für Arbeitsplatzsicherheit und soziale Sicherheit von Millionen von Menschen in unserem Lande zu stärken.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, begrüße ich sehr herzlich eine Delegation beider Häuser des australischen Parlaments in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein Gegenbesuch, den diese Delegation macht. Alles Gute für Ihren Aufenthalt hier!
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Darin ist auch die Begründung des CDU/ CSU-Antrags eingeschlossen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Gölter!
Frau Präsidentin! Meine sehr vereherten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat genau vor einem Jahr, im Juni 1974, letztmals ausführlich über berufliche Bildung diskutiert. Grundlage der damaligen Debatte war derAntrag der Fraktion der CDU/CSU vom März 1974. Mit diesem Antrag hatten wir unsere Position in den Grundzügen dargelegt. Der Antrag war Alternative zu der Berufsbildungspolitik der Koalition, die bis Frühjahr 1974 nichts anderes war als ein einziger hakenschlagender ideologischer Slalomlauf.
Ich erinnere an den Bildungsbericht des Jahres 1970, der das Heil in erster Linie in der Einschmelzung der beruflichen Bildung in die Gesamtschule gesehen hatte, verbunden mit der Studienberechtigung für die größtmögliche Zahl.
Ich erinnere an die Markierungspunkte des Spätjahres 1973, die das Ziel der Verschulung durch die Vorstellung einer weitgehenden Verstaatlichung ergänzt und übertroffen haben. Bereits im Juni 1974, in der damaligen Debatte, wurde deutlich, daß diese ideologisch durchsäuerte Bildungspolitik an der Realität, an den entscheidenden Problemen und an allen Betroffenen vorbei betrieben worden war.
Die Rede, die Bundesminister Rohde im Juni 1974 gehalten hat, war das Eingeständnis des Scheiterns der vorhergegangenen Politik der Koalition.
Auch Teilen der Koalition war allmächlich klargeworden, daß die jahrelange Polemik gegen die betriebliche Ausbildung,
die Zielsetzung, Ausbildung im Betrieb schrittweise zu reduzieren und durch schulische Formen zu ersetzen,
zu immer fragwürdigeren Ergebnissen führen würden.
Das, was man jahrelang als Ziel angestrebt hatte, war nämlich tatsächlich eingetreten: ein Rückgang an Ausbildungsbereitschaft und der Ausbildungsmöglichkeiten in der Wirtschaft.
Ist die Zeit vom Sommer 1974 bis Sommer 1975 wirklich genutzt worden? Hat die Bundesregierung in ihrem Verantwortungsbereich die Konsequenzen gezogen? Ist der verantwortliche Minister bei der Verwirklichung der Zielsetzungen, die er im Juni 1974 nannte und die im wesentlichen unsere Zustimmung gefunden hatten, wirklich weitergekommen?
Trotz mancher Bemühungen, z. B. in der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung, ist die Bilanz der letzten zwölf Monate für die Bundesregierung eindeutig negativ. Die Bundesregierung steht in der Berufsbildungspolitik nicht nur vor dem Scheiterhaufen der Illusionen vergangener Jahre;
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Dr. Göltersie hat sich zusätzlich in den letzten zwölf Monaten den Blick für die Notwendigkeiten verstellt, indem sich die Kräfte der Verantwortlichen in Regierung und Koalitionsfraktionen auf einen ermüdenden Streit um ein neues Gesetz konzentriert haben. Die Illusionen vergangener Jahre sind offensichtlich durch die Illusion abgelöst worden, ein neues Gesetz werde alle, zum Teil selbstfabrizierten, Probleme auf einmal lösen, als handle es sich dabei um eine Wundertüte, die man nur zu öffnen brauche, und die Augen aller Beteiligten erstrahlten wie die eines fünfjährigen Kindes.
Oder sollte es sich bei der Propagierung dieser Wundertüte gar nicht um eine Illusion handeln? Ist am Ende der nach außen an den Tag gelegte Kinderglaube, ein neues Gesetz vertreibe die Jugendarbeitslosigkeit, sichere in allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland ein gleichbleibendes Überangebot an qualifizierten Ausbildungsplätzen ausschließlich in sogenannten Zukunftsberufen, sichere somit jedem Jugendlichen unabhängig von Eignung und Einsatz den richtigen Ausbildungsplatz, nichts anderes als ein vorweggenommener Beitrag zum Konzept des Bundestagswahlkampfs 1976?
Es wäre unhöflich, der Koalition jeden Sachverstand in der Berufsbildung absprechen zu wollen.
Da ich dies nicht kann und nicht will, Herr Wehner, scheidet als Antwort doch aus, die Koalition hege wirklich die Illusion, ein neues Gesetz beseitige alle Probleme.
Wenn dies aber richtig ist, dann bleibt doch nur die Antwort, daß die Koalition wider besseres Wissen den Eindruck zu erwecken versucht, ein neues Gesetz sei ein Allheilmittel.Worum geht es in der Berufsbildungspolitik? Was haben Bundestag und Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit den Regierungen der Länder in den nächsten 12 Monaten zu leisten?Vorrangiges Ziel ist die Sicherung eines quantitativ ausreichenden Angebots an qualifizierten Ausbildungsplätzen sowie die Verwirklichung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung. Mit dieser Formulierung hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Zielsetzungen des einstimmig verabschiedeten Antrags zusammengefaßt, mit denen wir den Antrag vom vergangenen Frühjahr ergänzt haben und mit dem wir jetzt erneut unsere Alternative zur Regierungspolitik vorlegen.
In den kommenden Jahren wird die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen über die Nachfrage des Jahres 1974/75 weit hinausgehen. Die geburtenstarken Jahrgänge 1962 folgende kommen auf unser Ausbildungssystem zu. Zusätzlich stellen wir bereits jetzt eine zunehmende Nachfrage nach Ausbildungsplätzen durch Realschüler und Abiturienten fest. Die immer deutlicher werdende Skepsis gegenüber Abitur und Studium wird diese Entwicklung verstärken. Die Verpflichtung, auch bildungsschwächeren Jugendlichen eine abgeschlossene Ausbildung zu ermöglichen und sie nicht nur auf von der konjunkturellen Entwicklung abhängige Hilfstätigkeiten zu verweisen, kommt hinzu.Dieses Ziel eines erheblich ausgeweiteten Ausbildungsplatzangebots kann aber nur erreicht werden, wenn alles geschieht, um die Ausbildungsbereitschaft aller zur Ausbildung qualifizierten Betriebe zu stärken, wenn der breite Fächer der Ausbildungsbetriebe gerade in der mittelständischen Wirtschaft nicht nur erhalten bleibt, sondern wenn sich auch Betriebe, die die Ausbildung in den letzten Jahren eingestellt haben, erneut dieser Aufgabe unterziehen.Warum haben viele Betriebe in den letzten Jahren die Ausbildung eingestellt? Die systematische Kampagne, die in kaum einem anderen Bereich unserer Gesellschaft eine Parallele gefunden hat, hat in erheblichem Umfang zum Rückgang der Ausbildungsbereitschaft beigetragen.Eine weitere Antwort liegt in der Tatsache, daß in neuen Ausbildungsordnungen zum Teil überhöhte Anforderungen gestellt wurden. Dafür einige Beispiele: Der stärkste Rückgang des Ausbildungsplatzangebots ist in den kaufmännischen Berufen eingetreten. Wenn dem jungen Bankkaufmann und dem Versicherungskaufmann in der Ausbildung Kenntnisse aller wichtigen arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen vermittelt werden sollen, wenn der junge Versicherungskaufmann — ich zitiere wörtlich — „Grundkenntnisse der internationalen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse", also der sogenannten Multis, aufweisen muß, wenn dem jungen Bankkaufmann 117 Arbeitsbereiche abschließend vermittelt werden sollen, darunter viele, deren Kenntnis sich erst im Laufe einer mehrjährigen Banktätigkeit schrittweise erwerben läßt, wenn Kenntnisse in der automatischen Datenverarbeitung sowohl beim Versicherungskaufmann wie beim Bankkaufmann zwingende Voraussetzungen sind,
obwohl in vielen kleineren Banken und Zweigstellen von Versicherungen keine Datenverarbeitungsanlagen vorhanden sind,
dann wird die Ausbildungsordnung zur Ausbildungsverhinderungsordnung, vor allem in der mittelständischen Wirtschaft.
— Entschuldigung, es ist doch keine Frage für mich, wer die gemacht hat. Diejenigen, die sie gemacht haben, haben überzogen; daran waren alle Beteiligten schuld.
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12620 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Dr. GölterWenn aus dem Starkstromelektriker ein Energiegeräteelektroniker mit entsprechenden Anforderungen gemacht wird, sollte sich doch keiner wundern, wenn in einem mir sehr genau bekannten Kammerbezirk die Zahl der Ausbildungsbetriebe von 88 auf 16 zurückgeht. Und auch von diesen 16 Ausbildungsbetrieben bildet rund ein Dutzend nur noch deshalb aus, weil die ach so vorzüglichen Anforderungen der Ausbildungsordnung weitherzig ausgelegt werden, und zwar weitherzig im Interesse der Jugendlichen und ihrer Ausbildungsplätze.
Die Anforderungen der einzelnen Ausbildungsordnungen werden nicht im Gesetz festgelegt. Auch wenn es uns gelänge, meine Damen und Herren, in größter Harmonie zwischen den Parteien, den Gewerkschaften, der Wirtschaft und den Lehrern ein wunderbares Berufsbildungsgesetz zu verabschieden, wenn .aber andererseits bei der Erarbeitung vieler Ausbildungsordnungen weiter nach dem Motto verfahren würde: „Gibt es noch irgend etwas, was wir zum Nachteil der höheren Ehre dieses Berufes vergessen haben könnten?", dann wird auch das wunderbare Gesetz gar nichts nützen; die Zahl der Ausbildungsplätze wird zurückgehen, weil Betriebe gar nicht mehr ausbilden dürfen.Die Schlußfolgerung: Ein Gesetz hilft gar nichts, wenn berufliche Bildung in Distanz und im Affekt gegen die Arbeitswelt betrieben wird. Seit Jahren scheint der Stolz vieler Verantwortlicher gerade bei der Erarbeitung der Ausbildungsordnungen darin zu liegen, so praxis- und so berufsfern wie nur irgend möglich vorzugehen.Ein zweites Beispiel für die notwendig begrenzte Wirkung jedes Gesetzes: Auch wenn es in einem Gesetz gelänge, eine von allen akzeptierte Form der Finanzierung zu finden, wenn andererseits aber die Ausbildung im Betrieb durch Ausbildungsordnungen oder — wie geschehen — durch überzogene Ausbildereignungsverordnungen erschwert oder unmöglich gemacht wird, werden die Betriebe die Ausbildung einstellen müssen, auch wenn ihnen ein Kostenersatz angeboten wird.
Ein drittes Beispiel. Das Ausbildungsplatzangebot unterliegt in gewissem Umfang auch Schwankungen der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung. Wenn in einer tiefgreifenden Rezession, wie der vorliegenden, Betriebe, und zwar in erster Linie mittelständische Betriebe, schließen müssen, dann bringt dies zwangsläufig in vielen Fällen auch eine Reduzierung des Ausbildungsplatzangebots mit sich.Ein Berufsbildungsgesetz kann doch weder Ersatz sein für Konjunkturpolitik, noch kann es Arbeitsmarktpolitik oder regionale Strukturpolitik ersetzen. Auch das ausgefeilteste Instrumentarium eines Berufsbildungsgesetzes ist machtlos angesichts der für Jugendliche entscheidenden Frage, ob in einer bestimmten Region ein ausbildungsintensiver Betrieb angesiedelt werden kann oder — da sich diese Frage zu unserem gemeinsamen Bedauern derzeit nichtmehr stellt — ob ein ausbildungsintensiver Betrieb am Leben bleibt.Ein viertes Beispiel für die begrenzte Wirkung eines Gesetzes: Ob die berufliche Bildung wirklich zu einer gleichwertigen Alternative zur allgemeinen Bildung, zu Abitur und Studium wird, ob der jungen Generation auch über berufsbezogene Bildungsgänge Aufstiegs- und Lebenschancen eröffnet werden, hängt doch nicht davon ab, daß man in ein Gesetz hineinschreibt, die Berufsbildungsabschlüsse seien Abschlüsse der Oberstufe des Bildungswesens.
Das hängt doch davon ab, ob es zu einer umfassenden Berufs- und Laufbahnreform kommt.
Berufs- und Laufbahnreform unter dem Gesichtspunkt einer fairen Chance berufsbezogener Bildungsgänge wird immer mehr zu dem Prüfstein der Gestaltungs- und Leistungsfähigkeit des Bundes. Berufs- und Laufbahnreform findet, wenn ich es recht sehe, jedoch auch in dieser Legislaturperiode nicht statt.Ein fünftes Beispiel: Wer mit Ausbildern und Lehrern redet und Berufsbildung nicht nur in der Form von Parteitagsresolutionen betreibt, erfährt immer wieder, daß die mangelnde Abstimmung zwischen Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen der Berufsschule immer mehr zum bedrückendsten Problem wird. Damit sind Bund und Länder gleichermaßen angesprochen; denn beide sind gemeinsam verantwortlich dafür, daß berufliche Bildung als einheitliches Konzept für Betrieb und Schule gestaltet werden kann.
Bislang funktioniert die Zusammenarbeit nicht ausreichend. Ein Beispiel unter vielen ist die mangelnde Abstimmung zwischen beruflicher Grundbildung und beruflicher Fachbildung.Kernstück einer wirksamen Berufsbildungspolitik ist in der Tat eine reibungslose Zusammenarbeit, eine reibungslose Abstimmung der Maßnahmen von Bund und Ländern für Betrieb und Schule. Aber selbst die Bundesregierung ist doch bereit, zuzugeben, daß diese Zielsetzung über ein Berufsbildungsgesetz des Bundes nicht erreicht werden kann. Die Behauptung vom Allheilmittel Berufsbildungsgesetz hält, wie sich weiter an einer Fülle von Beispielen nachweisen ließe, einer sachlichen Überprüfung nicht stand. Berufsbildungspolitik darf sich gerade nicht in einer gläubigen Heilserwartung gegenüber einem Gesetz erschöpfen.
Die entscheidende Frage, ob die Betriebe zur Ausbildung motiviert werden oder nicht, hängt ab von einer vernünftigen staatlichen Ordnungspolitik und dem Klima des Vertrauens und der Sachlichkeit, das unter den Betroffenen geschaffen wird. Ein Beirufsbildungsgesetz ist somit nur ein Baustein.Wo eine Neufassung des Berufsbildungsgesetzes von 1969 jedoch sinnvoll sein könnte, wird die Bun-
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Dr. Gölterdesregierung unseres Erachtens den Anforderungen nicht gerecht. Ich will dies an Hand der wichtigsten Bestandteile unseres Antrags in der Gegenüberstellung zum Regierungsentwurf verdeutlichen.Erstens. Eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes muß in dem grundsätzlichen Teil die Zielvorstellung, die der Erstausbildung zugrunde liegt, in überschaubarer Form zum Ausdruck bringen. Sie muß die Grundstrukturen der beruflichen Erstausbildung, soweit sie durch Ausbildungsordnungen zu regeln ist, verbindlich vorschreiben. Sie muß insbesondere eine klare Gliederung nach dem Prinzip der Stufenausbildung sichern. Nach unserer Auffassung sollen dabei, auf der jeweiligen Grundbildung aufbauend, zweijährige Ausbildungsgänge, dreijährige Ausbildungsgänge und zweijährige Ausbildungsgänge mit aufbauender einjähriger Stufe möglich sein. Die Zielsetzung verbindlicher Festlegung der Grundstrukturen würde eine begrenzte Novellierung der grundsätzlichen Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes von 1969 rechtfertigen.Bei einem Vergleich des geltenden Gesetzes, verabschiedet von der Großen Koalition unter Federführung von Hans Katzer, und des Regierungsentwurfs stellt sich jedoch nicht nur heraus, daß diese Zielsetzung nicht erreicht wird, vielmehr beseitigt der Regierungsentwurf auch die vorhandene Klarheit und Übersichtlichkeit. Er ist gegenüber dem Gesetz von 1969 ein eindeutiger Rückschritt. Er schlägt einen Weg ein, der zwangsläufig zur Atomisierung der Ausbildung führen muß.In dem für die Bewertung des Gesetzes — hinsichtlich der Struktur der Erstausbildung — entscheidenden zweiten Kapitel jongliert die Bundesregierung in einem beängstigenden Umfang mit unklaren und teilweise widersprüchlichen Begriffen: Teilabschlüsse, Teilprüfungen, Zwischenprüfungen, Teile von Teilprüfungen, Teile von Abschlußprüfungen, ausbildungsbegleitende Leistungsnachweise und was dergleichen mehr ist, erhalten einen Stellenwert, daß man sich besorgt fragt, wer in Zukunft mit wieviel Personal mit diesen Teilabschnitten fertig werden soll.
Man fragt sich besorgt, welche Komplikationen dies zwangsläufig für die Übersichtlichkeit und Praktikabilität eines bis heute noch im wesentlichen ehrenamtlichen Prüfungsverfahrens haben muß.Der Regierungsentwurf erreicht somit gerade nicht, was die Bundesregierung als Zielsetzung vorgibt, nämlich die Absicherung des Ausbildungsplatzangebots. Nur noch, so befürchten wir, hauptamtliche Spezialisten in großen Betrieben werden in der Lage sein, den auf diesen Begriffssalat zwangsläufig folgenden Verordnungswirrwarr zu überblicken.
Die Bundesregierung reagiert auf den Vorwurf, diese Perspektive führe unweigerlich zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand, wie eine in ihrer Ehre zu Recht bescholtene alte Jungfrau.
— Schönes Bild, gell? — Ich wiederhole: Im Interesse der Auszubildenden und der Ausbilder, im Interesse der kleinen und mittleren Ausbildungsbetriebe ist nach Auffassung der CDU/CSU eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes nur dann sinnvoll, wenn in verständlicher, wenigstens für die Ausbilder lesbarer Form die Perspektive der Erstausbildung klargemacht wird.
Das Stiften von Verwirrung kann jedoch beim besten Willen nicht als Konzeption bezeichnet werden.Im Zusammenhang mit der Zielsetzung des Gesetzentwurfs eine kurze Bemerkung zum Stellenwert der überbetrieblichen Ausbildung. Wir unterstreichen die Bedeutung überbetrieblicher Einrichtungen als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung, vor allem in der mittelständischen Wirtschaft. Wir können jedoch nicht zustimmen, daß der Regierungsentwurf entgegen allen offiziellen Erklärungen die überbetrieblichen Einrichtungen zu einem eigenständigen dritten Lernort verselbständigt, wie dies aus dem Wortlaut des § 4 zweifelsfrei hervorgeht, wenn Sprache überhaupt noch einen Sinn haben soll.Da die Bundesregierung darüber hinaus vorsieht, daß durch Rechtsverordnungen eine generelle Zuweisung der Ausbildung an überbetriebliche Ausbildungsstätten vorgenommen werden kann und Teilverträge mit überbetrieblichen Ausbildungsstätten abgeschlossen werden können, besteht die Gefahr, daß die überbetrieblichen Ausbildungsstätten in der Konzeption ,des Regierungsentwurfs zum Vehikel des Abbaues betrieblicher Ausbildung werden.Zweitens. Wegen der sachlichen und der politischen Bedeutung darf ich als nächstes auf die Vorstellungen der CDU/CSU eingehen, wie die kardinale Frage der Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen gelöst werden soll.Wir schlagen einstimmig eine Vereinbarung von Bund und Ländern vor, die zur Errichtung einer von Bund und Ländern gemeinsam getragenen Zentralstelle für berufliche Bildung führen soll. Unter gleichberechtigter Mitwirkung der Vertreter der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Lehrer an berufsbildenden Schulen, die von der Bundesregierung durchgängig nicht berücksichtigt worden sind, sind in dieser Zentralstelle die Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne gemeinsam zu erarbeiten und aufeinander abzustimmen. Der Erlaß von Rahmenlehrplänen durch die Länder und von Ausbildungsordnungen durch den Bund muß nach unserer Auffassung die vollzogene Abstimmung in der Zentralstelle zur Voraussetzung haben.
Die Zentralstelle für berufliche Bildung soll darüber hinaus den Bund in allen wesentlichen Fragen der beruflichen Bildung beraten; ich verzichte auf die Aufführung im einzelnen.Wir gehen davon aus, daß nur eine gleichberechtigte und gleichgewichtige Zusammenarbeit von Bund und Ländern zum Erfolg führen kann. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, umgehend
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Dr. Gölterin Verhandlungen mit den Ländern einzutreten, um noch im Laufe dieses Jahres auf der Grundlage unserer Vorstellung zu einer Vereinbarung zu kommen, deren den Bund bindende Teile, soweit nötig und möglich, in ein novelliertes Berufsbildungsgesetz übernommen werden könnten.
Wir befürchten, daß die Bundesregierung ihren Vorschlag eines Bundesinstituts für Berufsbildung zuerst im Bundestag von der Mehrheit absegnen lassen will, um dann mit den Ländern zu verhandeln, in welcher Form durch eine das Berufsbildungsgesetz ergänzende Vereinbarung die Abstimmung gesichert werden kann. Der von der Bundesregierung unterbreitete Vorschlag des Bundesinstituts ist nichts anderes als der institutionalisierte Konflikt.
Die SPD-geführten Länder sprechen dies hinter verschlossenen Türen aus; wir sagen es unverhohlen: Die Länder sollen im Konzept der Bundesregierung überspielt und an die Wand gedrückt werden.
Der Vorschlag eines Länderausschusses innerhalb des Bundesinstituts, dessen Mitglieder dann in anderer Funktion wieder für die Abstimmung mit dem Bund, in dessen Institut sie ja ansonsten arbeiten, zuständig sein sollen, zeigt doch, daß dieser Vorschlag zum Scheitern verurteilt sein wird.
Gerade in dieser Frage angesichts des weitgehenden, von der CDU/CSU vorgeschlagenen Konzepts einer Zentralstelle wird sich zeigen, ob die Bundesregierung mit dem Entwurf wirklich mehr will als einen Beitrag zum Jahr 1976 und dessen Auseinandersetzungen. Daß der Regierungsentwurf, wie sich im Bundesrat erwiesen hat, noch nicht einmal mit den SPD-geführten Bundesländern, geschweige denn mit den von der CDU/CSU regierten, ausführlich erörtert worden ist, zeigt ein merkwürdiges Verständnis von Kooperation.
Nur „beifällige Bejahung eines unabgestimmten und unausgegorenen Konzepts" wird als Kooperation anerkannt. Widerspruch wie im Bundesrat wird mit „staatszersetzender Obstruktion" gleichgesetzt, um ein Wort des rheinland-pfälzischen Kultusministers Bernhard Vogel aus der Bundesratsdebatte aufzugreifen.Drittens. Das Konzept der CDU/CSU sichert, daß — um jetzt ein Wort von Bundesminister Rohde aus der Bundesratsdebatte aufzunehmen — der „Gremiendschungel" verhindert wird.Nach unseren Vorstellungen wird auf Bundesebene lediglich eine einzige Einrichtung zuständig sein; der Gesetzentwurf der Bundesregierung jedoch macht neben dem Bundesinstitut nach wie vor dasdavon getrennte Abstimmungsverfahren mit den Ländern notwendig.Auf Landesebene darf es nach Auffassung der CDU/CSU nicht zu einer unterschiedlichen Entwicklung kommen, die in dem einen Land einen Landesausschuß, in dem anderen Land eine Landesanstalt mit zwangsläufig erheblichem Aufwand zur Folge hat und damit die bundeseinheitliche Organisationsstruktur zerstört. Ich verweise darauf, daß alle Bundesländer in den Beratungen der Ausschüsse des Bundesrates gegen die Einführung einer Landesanstalt erhebliche Bedenken geäußert haben.In Abweichung vom Regierungsentwurf müssen unseres Erachtens im Landesausschuß für Berufsbildung, der ja als Beratungsorgan der Landesregierung fungieren soll, neben den Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Lehrer an berufsbildenden Schulen gleichberechtigt beteiligt werden.
Von besonderer Bedeutung im Konzept der CDU/CSU ist die Aufforderung an die Länder, in wichtigen Fragen, also beispielsweise beim Erlaß der Rahmenlehrpläne für das berufsbildende Schulwesen, das Votum des Landesausschusses einzuholen.
— Och, Herr Schäfer, Sie haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Berufsbildung ja nun sicher nicht durchgelesen;
dazu haben Sie ja gar nicht die Zeit. Ich nehme Ihnen das gar nicht übel.
— Lesen Sie einmal unseren Antrag durch!
Auf der regionalen Ebene sieht das Konzept der CDU/CSU in Übereinstimmung mit allen Bundesländern vor, auf Bezirksausschüsse zu verzichten. Der Bezirksausschuß ist überflüssig, seine Einführung beinhaltet lediglich die Gefahr der Zersplitterung der Beratung, der Kompetenzüberschreitungen und der uneinheitlichen Organisationsstruktur. Der Berufsbildungsauschuß der zuständigen Stelle muß nach den Forderungen der CDU/CSU zu gleichen Teilen aus Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Lehrer an berufsbildenden Schulen zusammengesetzt sein.
Besonderen Wert legt die CDU/CSU auf eine durch die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes abzusichernde Vertretung der Ausbilder. Wir schlagen daher vor, daß in der Regel die Hälfte der Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer über die Ausbildereignung verfügen soll. Im Vergleich zur
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Dr. Göltergeltenden gesetzlichen Regelung schlägt die CDU/CSU eine Ausweitung der Kompetenzen des Berufsbildungsausschusses vor. Es sind dies im einzelnen: Mitwirkung bei der Bestellung und Abberufung von Ausbildungsberatern sowie der anderen Beschäftigten der Kammern, die überwiegend mit wesentlichen Aufgaben der Berufsbildung befaßt sind; Mitwirkung bei der Erstellung des Haushaltsplans der Kammer betreffend die Mittel für die Berufsbildung; Berichtspflicht der Ausbildungsberater auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Berufsbildungsausschusses.Die CDU/CSU lehnt es jedoch ab, daß durch den Berufsbildungsausschuß der Kammer — wie im Regierungsentwurf vorgesehen — auch die allgemeinen Verwaltungsanweisungen erlassen werden, durch die alle im Verwaltungsbereich tätigen Mitarbeiter gebunden würden. Ihr Erlaß muß zwangsläufig das originäre Recht jener Organe sein, die für die Verwaltung der zuständigen Stelle insgesamt die Verantwortung tragen.Viertens. Im Interesse der Sicherung der Ausbildungsqualität schlägt die CDU/CSU vor, daß durch die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes die Voraussetzung für eine ebenso unkomplizierte wie die Kompetenzen klar abgrenzende Regelung des Verhältnisses von staatlicher Kontrolle und zuständigen Stellen geschaffen wird. Die Zulassung der Ausbildungsbetriebe und der Entzug der Ausbildungserlaubnis sollen nach unseren Vorstellungen von den zuständigen Stellen nach bundeseinheitlichen Richtlinien vorgenommen werden. Es soll auch in Zukunft Aufgabe der zuständigen Stellen sein, die Ausbildungsbetriebe zu beraten sowie für die Erfüllung der sachlichen und personellen Voraussetzungen und die Einhaltung der vorliegenden Ausbildungspläne Sorge zu tragen.
Werden von dem Beauftragten der zuständigen Stelle festgestellte Mängel nicht in zumutbarer Zeit behoben, so soll nach unseren Vorstellungen die zuständige Stelle die Ausbildungserlaubnis umgehend entziehen können.
Diese Regelung ist eine eindeutige Ausweitung der Kompetenzen der Kammern im Interesse einer schnellen und wirksamen Sicherung der Ausbildungsqualität. Wir wissen, daß der Entzug der Ausbildungserlaubnis die Kammern heute und nach dem Regierungsentwurf auch in Zukunft auf ein oft langwieriges, bürokratisches Verfahren verweist.Wir treten — über den Regierungsentwurf hinausgehend — für die Einrichtung einer von der Tätigkeit der Kammern getrennten staatlichen Kontrolle ein. Die nach Landesrecht zuständige Behörde soll die Erfüllung der gesetzlichen und sonstigen Vorschriften durch die Ausbildungsbetriebe überprüfen. Die Länder sollen dafür Sorge tragen, daß die zuständigen Behörden personell in der Lage sind, in ausreichendem Umfang Stichproben vorzunehmen.
Wir wissen, daß dieser Vorschlag in den Ländern zu einem personellen Mehraufwand führt. Wir haben uns trotz der dadurch bedingten Bedenken einstimmig entschlossen, dieses Konzept im Deutschen Bundestag einzubringen.Fünftens. Um so notwendiger ist es unseres Erachtens, bei der Errichtung der Prüfungsausschüsse auf personalintensiven und zeitraubenden Aufwand zu verzichten. Während wir noch in unserem Antrag Drucksache 7/1908 vom März des vergangenen Jahres die Berufung der Mitglieder der Prüfungsausschüsse durch die zuständige staatliche Behörde vorgesehen hatten, haben wir uns jetzt für eine Berufung durch die Kammern entschieden. Die Berufung der Mitglieder von 17 000 Prüfungsausschüssen durch die Länder bzw. ihre Stellen würde einen erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand mit sich bringen, ohne daß sich im Vergleich zur heutigen gesetzlichen Regelung der Berufung durch die Kammern Veränderungen ergäben.
Denn auch die staatliche Stelle wäre auf die Vorschläge der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen angewiesen; davon abzuweichen, fehlen jener staatlichen Stelle der Überblick und die Personalkenntnis.Sechstens. Ich verweise nachdrücklich auf das Kapitel C II unseres Antrags, das auf die Sonderformen der Ausbildung, insbesondere auf die Notwendigkeit verstärkter Maßnahmen zugunsten leistungsschwacher und behinderter Jugendlicher, eingeht. Den besonderen Formen des Berufsgrundschuljahres für leistungsschwache Jugendliche, durchgeführt durch die Länder, und den berufsvorbereitenden Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit kommt gerade angesichts der Erfahrungen der letzten zwölf Monate in Zukunft noch größere Bedeutung zu. Bund und Länder müssen dieser Aufgabe Priorität zumessen. Die soziale Verpflichtung ist so eindeutig, daß anderes gegebenfalls zurückstehen muß, wenn dies Voraussetzung der Finanzierung dieser Sonderaufgaben sein sollte.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung in ihrem Entwurf besondere Vorschriften für die Berufsbildung Behinderter vorgesehen hat. Diesem Abschnitt wird wegen seiner Bedeutung im federführenden Ausschuß ein eigenes Anhörverfahren gewidmet.Siebtens. Eine kurze Bemerkung zu dem Komplex „Weiterbildung"! Wir unterstreichen die Bedeutung der Fort- und Weiterbildung, in deren Rahmen breitgefächerte Bildungsangebote zur Verfügung gestellt werden müssen, um den Erwerb höherer beruflicher Qualifikationen, die sogenannte Aufstiegsbildung, sowie die Anpassung an neue Erkenntnisse, Technologien und wirtschaftliche Veränderungen, die sogenannte Anpassungsbildung, zu ermöglichen.
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12624 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Dr. Gölter— Lesen Sie einmal die Paragraphen am Anfang Ihres Gesetzentwurfs; dort wird auch in dieser Richtung differenziert. — Der Bereich der „Anpassungsbildung", also der Anpassung an neue Erkenntnisse, Technologien und wirtschaftliche Veränderungen, muß von der Verschiedenartigkeit des Personenkreises und damit von der Notwendigkeit eines breitgefächerten Bildungsangebots ausgehen. Damit entzieht sich die „Anpassungsbildung" weitgehend einem über Rahmenvorschriften hinausgehenden staatlichen Ordnungsanspruch.In Gegensatz dazu ist für den Bereich der „Aufstiegsbildung" eine staatliche Normierung angebracht. Diese Normierung hat nach dem Prinzip der Pluralität von der gewachsenen, bewährten Vielfalt sowohl von Trägern als auch von Angeboten auszugehen. Sie muß sich über allgemeine Rahmenvorschriften hinaus im wesentlichen auf die Sicherung einheitlicher Standards für berufliche Qualifikationen beschränken.Der Vorschlag der Bundesregierung, der ohne jede Differenzierung zwischen „Aufstiegs-" und „Anpassungsbildung" den gesamten Komplex der Fort- und Weiterbildung spiegelbildlich zur Erstausbildung regeln will, führt zwangsläufig zu einer „Weiterbildungspersonaleignungsverordnung" und ist im Ergebnis ein brillantes Arbeitsbeschaffungsprogramm für arbeitslose Volks- und Sozialwirte, Soziologen, Politologen und Juristen. Die Zielsetzung der totalen Perfektion, die hier zum Ausdruck kommt, wird nicht eine Ausweitung des Angebots zur Folge haben — im Gegenteil: sie wird die unverzichtbare freie Initiative im gefährlichen Umfang strangulieren.
Achtens. Wir bejahen die Notwendigkeit einer verbesserten Berufsbildungsstatistik. Das Kapitel „Planung und Statistik" des Regierungsentwurfs allerdings ist eine seltene statistische Orgie.
Bis auf die Haarfarbe der Aus- und Weiterzubildenden wird alles erfragt, was nur irgendwie erfragt werden könnte.
Dies bedeutet, daß einzelne Kammerbezirke pro Jahr mehrere Millionen Daten zur Verfügung stellen müssen — angesichts einer Ausgangssituation, die durch Computer weitgehend überhaupt nicht erfaßt ist.
Der Regierungsentwurf legt einen kostenaufwendigen Maximalkatalog fest, der lediglich im nachhinein durch Rechtsverordnung eingeschränkt werden kann, statt sich auf unbedingt erforderliche statistische Daten zu beschränken.Es ist selbstverständlich, daß in den Ausschüssen des Bundestages von der Regierung detaillierte Unterlagen über die durch derartige Vorschriften sicherlich entstehenden personellen Mehraufwendungen erwartet werden.
Neuntes. In der Frage der Finanzierung hat die Fraktion der CDU/CSU noch nicht abschließend Stellung genommen.
Wir geben das zu. Ich sage das ganz offen. Nach Auffassung der Fraktion ist noch nicht schlüssig nachgewiesen, daß ein Finanzierungssystem überhaupt geeignet ist, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu stärken, oder, anders formuliert, daß ein Finanzierungssystem in den kommenden Jahren eine Ausweitung des Ausbildungsplatzangebotes fördert.
Unabhängig von der Entscheidung in der Grundsatzfrage hat die Bundestagsfraktion vor allem die Möglichkeiten eines kontinuierlichen Lastenausgleichs diskutiert. Ein solcher Lastenausgleich läßt sich in verschiedenen Formen bewerkstelligen. Eine davon ist der Vorschlag, der von einem mittelständischen Unternehmer im Bezirk der Industrie- und Handelskammer Augsburg zuerst in Diskussion gebracht wurde, einen Lastenausgleich mit Hilfe der Berufsgenossenschaften durchzuführen. So ist im übrigen der Name „Augsburger Modell" entstanden.Unsere Fraktion wird keinen Vorschlag unterbreiten
— einen Augenblick, Herr Kollege Rappe; hören Sie den Satz zu Ende — und keiner Vorstellung zustimmen, die in irgendeiner Form zu Fondsbildungen führt. Jeder Fonds ist mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden, jeder Fonds beseitigt keine Probleme, sondern schafft sie erst, wenn die Auseinandersetzungen über die Einzelheiten der Steuerung einsetzen.Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren, wir hätten in den letzten Jahren das Vergnügen gehabt, mit einem Fonds arbeiten zu dürfen. WeißeKragen-Berufe im Bereich der Computer, der Elektronik und der Fernmeldetechnik wären als Lieblingskind der planenden Steuerer auf die Förderliste gesetzt worden. Die Dienstleistungsberufe des Handwerks, die für die Lebensqualität der Bürger nicht minder wichtig sind, wären auf die Aussterbeliste einer angeblichen Vergangenheit gesetzt worden.Der Vorschlag der Bundesregierung, wie er im Regierungsentwurf seinen Niederschlag findet, trägt alle Spuren eines nicht lebensfähigen Kompromisses. Er ist mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Er ist in der zeitlichen Durchführung langwierig und bedeutet keinerlei Hilfe für die Ausbildungsbetriebe.
Deutscher Bundestau — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12625Dr. GölterZunächst muß — so schlägt die Bundesregierung vor — die Berufsbildungsstatistik den Notfall nachweisen.
Es wäre reizvoll, jetzt über die Notfallgrenze zu diskutieren, die aus unserer Sicht sehr willkürlich auf 12,5 % Überangebot angesetzt ist. Warum eigentlich nicht auf 8, 10, 15 oder 17,5 %.
Welches sind die Kriterien, die die Bundesregierung gerade veranlaßt haben, 12,5 % anzusetzen? Steht hinter der Sache wirklich mehr als das arithmetische Mittel zwischen Herrn Rohde und Herrn Friderichs?
Zurück zum Verfahren. Wenn die Notfallgrenze erwiesen ist, erläßt die Bundesregierung eine Rechtsverordnung. Auf deren Grundlage müßten die Berufsgenossenschaften Beiträge einziehen. Diese überweisen dann die Mittel an das Bundesinstitut für Berufsbildung, in dem mit Sicherheit ein nicht enden wollender Streit über die Kriterien der Vergabe ausbricht.
Wenn die Betriebe ihre Anträge eingebracht haben — die Formulierung des § 88 vermittelt einen kleinen Vorgeschmack von dem Papieraufwand, der mit der ganzen Sache verbunden ist —, dann verteilt das Bundesinstitut die Mittel über die Lastenausgleichsbank.Frühestens zwei Jahre nach Feststellung des sogenannten Notfalls bekommen dann die Betriebe die Unterstützung, über deren bescheidene Höhe sie sich allerdings füglich sehr wundern werden. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln soll nämlich eine solche Fülle von Maßnahmen finanziert werden, daß für die einzelne Maßnahme gar kein nennenswerter Beitrag mehr übrigbleibt.
Der bürokratische Aufwand und die damit verbundene finanzielle Belastung wird für manchen Betrieb größer sein als der Gegenwert, der ihm auf Grund der Weisheit der Bundesregierung zugewiesen wird.
Mit genau der Argumentation, die ich vortrage, gehen Mitglieder der Bundesregierung, vielleicht bis hinein in die jüngsten Tage, in bestimmten Häusern ein und aus und sagen, man solle dem doch zustimmen, weil mindestens zwei Jahre vergingen; vor 1979 passiere ja mit absoluter Sicherheit nichts.
— Erkundigen Sie sich einmal.Die Bilanz: Das Finanzierungsmodell der Bundesregierung wird weder im Jahre 1976 noch im Jahre1977 und auch nicht im Jahre 1978 eine einzige müde Mark zur Förderung auch nur eines einzigen Ausbildungsplatzes locker machen. Das Modell der Bundesregierung ist ungeeignet, zur Sicherung des Lehrstellenangebotes auch nur den geringsten Beitrag zu leisten. Wenn das aber selbst von Mitgliedern der Bundesregierung ganz offensichtlich so gesehen wird, dann, finde ich, sollte man sich bei den Vorwürfen gegenüber der Opposition ein wenig zurückhalten.Ich fasse zusammen. Für die Berufsbildungspolitik der kommenden Jahre gibt es nur einen einzigen sachgerechten Maßstab: die Sicherung eines ausreichenden Angebots an qualifizierten Ausbildungsplätzen im Interesse der Berufs- und Lebenschancen der jungen Generation, im Interesse der zukünftigen wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit unseres Staates. Wir legen einen Initiativantrag vor, der sich an diesen Maßstäben orientiert und sie in das weitere Beratungsverfahren einbringt.
Der Gesetzentwurf der Koalition muß im Ansatz und in der Ausgestaltung als Fehlschlag bezeichnet werden. Er geht an den Interessen der Betroffenen und den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten vorbei. Er verbessert die Chancen auf qualifizierte Ausbildung für den einzelnen Jugendlichen nicht; für den Ausbilder wird er vor allen Dingen in seinem Grundsatzteil, dem zweiten Kapitel, zu einer erheblichen Belastung werden.
Wir erfüllen mit unserem Initiativantrag die bei der Behandlung der beruflichen Bildung auf uns zukommende Verantwortung. Wir werden unserer Verantwortung auch im weiteren Verfahren im einzelnen gerecht werden. Es wird der Koalition nicht gelingen, uns aus dieser Verantwortung herauszupolemisieren.
Wir meinen, es liegt jetzt an der Koalition, zu zeigen — vor allen Dingen in einigen sehr wesentlichen Fragen wie Abstimmung zwischen Bund und Ländern —, ob sie in der beruflichen Bildung wirklich mehr will, als jetzt einen Beitrag für das Jahr 1976 zu leisten, ob sie wirklich ein Gesetz will oder ob sie sogar darauf hinsteuert, gar kein Gesetz zu wollen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Engholm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gewiß kein Phlegmatiker. Aber wie jemand zu so früher Stunde einer so hohen Motorik fähig ist, ringt mir doch ein ungläubiges Staunen ab.
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12626 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
EngholmHerr Kollege Gölter, wir sind uns gewiß darin einig, daß die Kraft der Argumente nicht unbedingt hochgradig mit der Lautstärke, in der sie vorgetragen werden, korreliert.
Ein zweites vorweg: Ich finde es immer schade, wenn jemand eine bildungspolitische Debatte im Bundestag — und Bildungspolitiker haben es in diesem Hause nicht leicht — mit einer politischen Pflichtübung beginnt, um der anderen Seite nun unbedingt wieder etwas in den Kaffee zu schütten, das wie Arsen aussieht. Ich finde das bedauerlich.
Ich möchte gerne sagen, Herr Kollege Dr. Gölter: Bellende Hunde beißen nicht. Aber ich könnte dann mit dem strengen Ohr der Präsidentin in Konflikt geraten; deswegen lasse ich das. Ich bin der Meinung, daß wir uns in den Ausschußberatungen auf sehr viel nüchternerer Basis zusammenraufen können.Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung im vergangenen Jahr ausgeführt:Wir wollen für unsere jungen Menschen nicht weniger, sondern mehr Ausbildungsplätze in Werkstätten und Büros, die eine qualifizierte Berufausbildung ermöglichen.Weiterentwicklung der beruflichen Bildung heißt nicht Verschulung. Uns geht es darum, eine sinnvolle Aufgabenteilung und Zusammenarbeit von Betrieb, Schule und — soweit notwendig — auch von überbetrieblichen Ausbildungsstätten zu erreichen.
Das heißt konkret: Herstellung eines quantitativ ausreichenden Ausbildungsplatzangebots bei hoher Qualität in einem dualen System, in dem die Kooperation großgeschrieben wird. Das ist präzise die Kurzfassung der Motive des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfes, mit dem sie ihre Ankündigung in die Praxis umsetzt.Daß es dem Bundesbildungsminister trotz zahlloser Fußangeln, die ihm gelegt worden sind, gelungen ist, in relativ kurzer Zeit einen so kompletten Gesetzentwurf vorzulegen, erfordert, meine ich, den Respekt dieses Hauses.
Ob er auf Kritik unbedingt wie eine „gezierte Jungfrau" reagiert, wie vorhin gesagt wurde: Ich habe gesehen, daß es ihn schwer getroffen hat, aber ich nehme an, er wird mit solchen Vorwürfen fertig werden.Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Regierung stellt den vorläufigen Abschluß einer langen und für die Berufsbildung ganz gewiß leidvollen Bildungsgeschichte dar. Wir alle wissen, daß sich im Geiste und in der Konsequenz des Neuhumanismus geschichtlich eine unüberbrückbare Kluft zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung ergeben hat. In diesem Prozeß ist der allgemeinen Bildung, und dies heißt im Sprachgebrauch des Alltags: den höheren Bildungsgängen, ein eindeutiger Vorrang zugeordnet worden. Das heißt, daß eine Minderheit unseres Volkes im Laufe der Bildungsgeschichte bis zum heutigen Tage ,den Zugang zu allen Spitzenpositionen von Wirtschaft und Gesellschaft gehabt hat. Derjenige Teil der Gesellschaft, der die Majorität ausmacht, ist beruflich verwertbar ausgebildet, aber bildungspolitisch immer nur als Restposten dieser Gesellschaft betrachtet worden.
Dieser Zustand hat sich auch nach 1945 im wesentlichen nicht geändert, denn die herrschende Mehrheit im Deutschen Bundestag hat Berufsbildungspolitik mehr als ein Problem der Gewerbeförderung denn als eines der demokratischen Chancengleichheit betrachtet. Erst durch die Größe Koalition — dies soll deutlich gesagt werden — wurde 1969 zum erstenmal in der Bildungsgeschichte der Deutschen ein Berufsbildungsgesetz verabschiedet, das die Belange der Mehrheit der jungen Menschen berücksichtigte, nämlich die Belange der Lehrlinge in unserem Lande. Dies ist, um es deutlich zu sagen, ein eindeutiges Verdienst der Sozialausschüsse und der Sozialdemokraten gemeinsam, und dieses Gesetz hat ganz gewiß als ein erster Versuch erhebliche Fortschritte gegenüber dem davor bestehenden gesetzlosen Zustand gebracht. So hat es erstmals strengere Ausbildungseignungskriterien zugrunde gelegt, so hat es die Überwachung und Kontrolle der Ausbildung verbessert, und es hat den Arbeitnehmern erstmals in der Geschichte Mitwirkungsrechte im System der beruflichen Bildung zuerkannt. Das waren Fortschritte, gemessen am Zustand davor.Allein, dieses Gesetz aus dem Jahre 1969, das Gesetz der Großen Koalition, hat eine ganze Reihe uns heute bedrückender Fragen nicht lösen können und kann sie auch heute nicht beantworten. Dazu gehören Fragen nach der hochgradigen konjunkturellen, strukturellen und Kostenanfälligkeit des Ausbildungsplatzangebotes; dazu gehört die Frage nach dem ungelösten Problem der langen und häufig ergebnislosen Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern und damit in der Konsequenz zwischen Betrieb und Schule; dazu gehören die unheilvollen sektoralen und regionalen Unterschiede in der Quantität, aber auch in der Qualität des Berufsbildungsangebots. Wir können doch in diesem Hause — zumindest auf Unionsseite — nicht so tun, als hätte es in den letzten Jahren nicht vier oder fünf namhafte Analysen über die Qualität der Ausbildung gegeben — Alex-Studie, WEMA-Studie etc. etc. —, wobei wir alle zugeben müssen, daß die Ergebnisse dieser Untersuchungen ein erschreckendes Bild von der Qualität der Ausbildung in deutschen Landen offenbart haben.
Dieses Problem wird vom alten Gesetz ebenfalls nicht mehr vollends zu lösen sein. Hinzu kommt die völlig unzureichende Zahlen-, Daten- und Faktenlage. Wer weiß denn heute, wie der Ausbildungsmarkt im Detail aussieht, und wer kann den jungen Menschen auf ihre Fragen eine Antwort ge-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12627
Engholmben, wie sich der Ausbildungsmarkt morgen und übermorgen entwickeln wird? Hinzu kommt die immer noch erschreckende Benachteiligung der beruflichen gegenüber der allgemeinen Bildung, die wir mit dem alten Gesetz nicht beseitigen können. — Dies waren einige wenige Hinweise zu Problemen, die mit dem Gesetz von 1969 nicht zu lösen sind.Ich meine aber auch festhalten zu müssen, daß die deutsche Wirtschaft und die Kammerorganisationen einschließlich ihrer Dachverbände, die ja ein hohes Maß an autonomer Verantwortung in der Ausbildung gehabt haben, keine entsprechenden Antworten auf diese uns seit langem bekannten Fragen geben konnten.
Deshalb: Zwangsläufig und als Konsequenz der heutigen Lage setzt hier ein erhebliches Stück öffentlicher Verantwortung ein, und öffentliche Verantwortung heißt zunächst einmal Verantwortung des Gesetzgebers, des Bundestages. Meine Damen und Herren, wir dürfen es nicht hinnehmen, daß Jugendliche heute quasi als Bittsteller vor Werkstoren und Bürotüren stehen und um einen Ausbildungsplatz betteln müssen; das gibt es heute in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft, ist aber einer hochentwickelten Gesellschaft wie der unseren unwürdig.
Und ich meine, es ist einer hochorganisierten Gesellschaft ebenso unwürdig, daß wir die Antworten auf die Fragen nach Gegenwart und Zukunft der Ausbildungsmarktentwicklung aus dem Kaffeesatz herauslesen müssen.
Sie hätten viele Jahre die Chance gehabt, in diesem Hause mit großen Mehrheiten statistische Grundlagen zu schaffen, die das verhindern.
— Wenn hier jemand in unqualifizierten Zwischenrufen der Meinung ist, diese Situation sei ein Produkt unserer Politik,
dann braucht er sich nur die statistische Entwicklung des Schrumpfens der Zahl der Ausbildungsplätze anzuschauen. Wir wissen, daß ein gutes Drittel der Ausbildungsplätze allein im Verlaufe der wirtschaftlichen Konzentration zunichte gemacht worden ist, und niemand wird doch wohl behaupten wollen, daß der Konzentrationsprozeß seit 1945 von unserer Regierung betrieben worden ist. Das wäre doch Nonsens!
Wenn wir diese Probleme lösen wollen, brauchen wir neue gesetzliche Ansätze, und ich meine, wir müssen diese Probleme lösen, weil ihre Folgen, die ja jedes Jahr rund 1,5 Millionen junge Menschen bedrücken, uns alle im Endeffekt überrollen werden.Je weniger Menschen in dieser Gesellschaft qualifiziert ausgebildet werden, um so mehr soziale Deklassierung in unserem Lande wird es geben — mit unabschätzbaren individuellen und sozialen Folgekosten und -risiken für den einzelnen und für die Gesellschaft. Ich meine, die, die davon betroffen werden, werden mit Recht an den Postulaten, die aus diesem Hause immer wieder nach draußen hinausgerufen werden — an den Postulaten wie Freiheit und Gleichheit —, zweifeln. Wenn sie anfangen, daran zu zweifeln, geht das an die Legitimationsbasis unserer demokratischen Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir befinden uns heute ganz objektiv in einer Phase, in der die Selbstregulierungsmechanismen der Vermittlung von Ausbildungsqualifikationen in ihren alten, hergebrachten Formen den gesellschaftlichen Ansprüchen nicht mehr genügen. Der wirtschaftliche Fortschritt, der gesellschaftliche Fortschritt, die Zukunft der Gesellschaft und die Glaubwürdigkeit der Demokratie stehen auf dem Spiel, wenn es diesem Hause nicht gelingt, kollektiv eine Antwort auf die Herausforderungen zu geben.
Wir sind der Meinung, daß wir ein neues Gesetz benötigen, und wir glauben auch, daß das Gesetz, das von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, eine tragfähige Grundlage für die Beratungen dieses Hauses sein wird. Die Sozialdemokraten haben vier wichtige Kriterien, an denen sie die Qualität des vorliegenden Gesetzentwurfs messen.Das erste Kriterium ist einfach, und jeder muß es begreifen. Es heißt: Wir müssen für alle Jugendlichen einen Beitrag zu einem ausreichenden, quantitativ und qualitativ ausgewogenen Ausbildungsplatzangebot leisten. Jeder junge Mensch muß entsprechend seinen Fähigkeiten und Neigungen, wenn er diesen Wunsch hat, einen Ausbildungsplatz erhalten können.Das zweite Kriterium: Die Ausbildung muß weiterhin qualifiziert betrieben werden, weil wir nur mit qualifiziert ausgebildeten Menschen den Problemen der wissenschaftlich-technischen Zukunft begegnen können und weil wir nur mit einer hochqualifizierten Ausbildung die Mobilität des Arbeitnehmers und damit seinen Status und den seiner Familie auf Dauer sichern können.Wir wollen drittens erreichen, daß alle beteiligten Partner — dies sind die Länder und der Bund, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer — kooperativ miteinander verfahren, d. h. daß sie von dem bisherigen Egoismus herunterkommen und lernen, solidarisch, gemeinsam Bildungspolitik zwischen Passau und Flensburg zu machen.
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12628 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
EngholmViertens. Das Gesetz muß nach unserer Auffassung einen Beitrag dazu leisten, daß der Berufsbildung ein höherer, d. h. ein gleichwertiger Positionswert im gesamten Bildungssystem zuerkannt wird.Wenn wir mit Hilfe dieser vier Kriterien den Gesetzentwurf durchleuchten, kommen wir zu dem Ergebnis, daß er nicht nur verfassungskonform ist — ernsthafte Zweifel daran hat ja auch der Bundesrat nicht geäußert —, sondern daß er auf viele der bislang ungelösten Fragen konkrete Antworten gibt. Ich will nur vier Antworten des Gesetzentwurfes herausgreifen, weil sie praktische Probleme berühren, auf deren Lösung draußen viele junge Menschen warten.Erstens trägt dieser Gesetzentwurf dazu bei, durch ein abgewogenes und begrenztes Finanzierungsinstrumentarium einen nachfrageorientierten Ausbildungsmarkt herzustellen. Nachfrageorientiert — d. h. zugunsten derjenigen, die in der schwächeren Position sind und heute einen Ausbildungsplatz suchen. Das ist eine echte sozialdemokratische Position, die wir unterstützen und fördern.
— Ich will auf den Zwischenruf eingehen. Die CDU/CSU hat zu diesem Punkt gesagt, sie werde bei der Finanzierung abwarten und prüfen. Angesichts der Probleme unserer Tage heißt das, daß die CDU/ CSU bereit ist, eine mögliche Katastrophe in Kauf zu nehmen, in der Hoffnung, das dann eintretende Chaos sei hinterher noch verwaltbar. Ich halte das für eine pure Illusion.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klein?
Ich möchte erst noch den Gedanken zu Ende führen und hinzufügen, daß dieser Gesetzentwurf zum erstenmal einen konkreten Ansatzpunkt bietet, mit dem alljährlichen Vabanquespiel mit den Auszubildenden Schluß zu machen. Die Lehrplatzsuche — das hat der Minister deutlich gesagt — darf für die Betroffenen nicht zum Lottospiel werden. Deshalb begrüßen wir den Ansatz dieses Gesetzes.
Herr Dr. Klein, bitte sehr!
Herr Kollege Engholm, übersehen Sie hier nicht zwei Dinge, nämlich erstens, daß Ihr Gesetzentwurf, selbst wenn die Finanzierungsregelung gut wäre, was sie aber nachweislich nicht ist, erst 1978 in Kraft treten kann
und Sie mit diesem Gesetzentwurf überhaupt keinen Beitrag zur Lösung der aktuellen Probleme 1975 und 1976 leisten, und zweitens, daß Sie zu unserem Vorschlag eines Dringlichkeitsprogramms für 1975 und 1976 in diesem Hause überhaupt keine Alternative entwickelt haben?
Ich habe nichts dagegen, daß jemand lange Fragen und auch mehrere Fragen zugleich stellt. Dies halte ich für vertretbar. Mir geht es darum, noch einmal deutlich auf folgendes hinzuweisen: Die Regierung hat einen konkreten Gesetzentwurf mit einer konreten, faßbaren, überprüfbaren Regelung vorgelegt. Die Unionsparteien — und diesen gehören Sie, wenn ich mich nicht irre, an, Herr Kollege Klein — haben gesagt, sie wollten erst einmal abwarten und prüfen und verschieben, d. h., sie betreiben eine Politik mit dem Blick auf 1985 oder 1990, wenn ich das richtig sehe.
Wenn Sie diese Finanzierungsregelung — das habe ich Ihrer Frage entnommen — für nicht ausreichend halten, muß ich Ihnen in aller Bescheidenheit sagen: Der Spatz in der Hand ist besser als die von Ihnen versprochene Taube auf dem Dach des Jahres 1980.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal. — Bitte schön!
Herr Kollege Engholm, würden Sie mir bestätigen, daß die Zwischenphase bis zum Inkrafttreten einer Regelung, wie sie hier im Gesetz vorgeschlagen ist, erstens durch eine Reihe von Maßnahmen ausgefüllt ist, um überbetriebliche Ausbildungsstätten zu fördern — wir haben dafür 150 Millionen DM allein im Etat dieses Jahres vorgesehen —, und daß — zweitens — der Haushaltsausschuß neben der Förderung des Baus und der Einrichtung solcher Stätten in einem begrenzten Zeitraum von vier Jahren z. B. auch eine laufende Finanzierung ermöglicht hat?
Ich kann das nur bestätigen. Die wenigen Bildungspolitiker, die sich auf der rechten Seite dieses Hauses aufhalten, wissen auch,
daß sich die Mittel für überbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen im Haushalt „vermehrfacht" haben, daß es eine Fülle von Programmen der Bundesanstalt für Arbeit gibt und daß auch im Programm der „Mobili-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12629
Engholmtätszuschüsse" eine ganze Reihe von Ausbildungsmaßnahmen gefördert worden sind. Dies war nur eine Zusatzbemerkung zu dem, was ich vorher gesagt habe.Das zweite, meine Damen und Herren — ich komme wieder zur Sache zurück —, ist: Durch die Schaffung des von uns vorgeschlagenen Bundesinstituts für Berufsbildung und die Eingliederung der Forschung in dieses Institut wird, meine ich, zum erstenmal eine reale Chance der Abstimmung zwischen Bund und Ländern und damit der Abstimmung der Ausbildungsinhalte zwischen Schule und Betrieb angeboten. Wir bieten hier den vier beteiligten Partnern an, gleichberechtigt in ein neues System der Kooperation einzusteigen und sich in diesem System solidarisch zu üben.
Wir bieten ihnen damit die Chance, zum erstenmal sichtbar von der egoistischen Kirchturmspitze ihrer Interessenpolitik herunterzukommen.
Dies ist ein Angebot, bei dem sich die Partner unter Wahrung ihrer jeweils eigenen Verantwortung bewähren können.Drittens. Dieser Gesetzentwurf ist bildungspolitisch ein Fortschritt, weil er der Berufsbildung insgesamt einen höheren Rang im Bildungssystem zuordnet. Nicht nur durch die Einbettung der Ausbildungsabschlüsse in die Oberstufe des Bildungswesens oder durch die Aufwertung der Prüfungen, sondern auch durch die enge Verknüpfung der Ausbildung mit der Weiterbildung im Rahmen eines Baukastensystems wird erstmals ein durchgängiges, der Tendenz nach lebenslanges Lernen ermöglicht. Ich halte das für einen erheblichen Fortschritt.Viertens kümmert sich dieser Gesetzentwurf um die besonders benachteiligte Gruppe der Behinderten. Wir wissen, es entspricht guter sozialdemokratischer Tradition, wo man Behinderte integrieren kann, dies auch zu tun. Ich halte diesen Schritt für sinnvoll.
Meine Damen und Herren, das Recht auf Ausbildung in einer Gesellschaft gehört zu den unverzichtbaren Elementen und Ansprüchen menschlicher Existenz. Wir wissen, daß sich die Industriegesellschaft nur von den Menschen bewältigen läßt, die eine breite Qualifikation, und zwar nicht nur technischer, sondern auch kommunikativer Art, besitzen, damit sie in den Stand gesetzt werden, mit ihren eigenen und den Problemen der Gesellschaft fertig zu werden und diese Gesellschaft frei mitzugestalten. Dies mag der Auffassung der CDU/CSU widersprechen; ich lasse das dahingestellt sein. Es ist unsere Vorstellung. Der Gesetzentwurf leistet einen kleinen Beitrag in genau diese Richtung. Damit ist nicht alles bildungspolitisch abgedeckt. Aber ich meine, die Richtung, in die dieser Gesetzentwurf zielt, stimmt haargenau.Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen. Die Union wird nun sagen — Herr Gölter hatdamit angefangen —, dies alles, was wir tun, was die Regierung vorgelegt habe, sei der falsche Weg. Von den Wirtschaftsverbänden und den KammerDochorganisationen wissen wir bereits, daß sie der Meinung sind, dies sei ohnehin alles überflüssig. Ich glaube, daß gerade darin die Chance dieses Gesetzentwurfs liegt. Er verspricht weder zuviel noch zuwenig, und er verbindet problemorientierten Realitätssinn mit bildungspolitischer Perspektive.
Sie sollten das ernthaft überdenken. Er ist eine Plattform, auf der sich möglicherweise die widerstreitenden Gruppen und Interessen einigen könnten.
Kritik, meine Damen und Herren, ist gut, Kritik ist notwendig. Aber was sich die Verbände der Wirtschaft — ich meine jetzt ausdrücklich die Verbände, nicht die Betriebe —, die Kammern und die Kammerdachorganisationen in den letzten Monaten geleistet haben, ist sachlich ebenso dünn, wie es in vielen Fragen politisch eine ausgesprochene Zumutung war.
Der Wust von Verdächtigungen aus diesem Bereich, der Wust von Unterstellungen, von Klischees und Vorurteilen läßt für den neutralen Beobachter nur eine Schlußfolgerung zu: Den Funktionären in den Wirtschaftsverbänden geht es weniger um eine bessere Ausbildung als allein um die Weckung von Emotionen gegen diese Regierung schlechthin.
Wer wider besseres Wissen — und das haben diese Funktionäre getan — den vorliegenden Gesetzentwurf als einen Hebel zur Verstaatlichung, zur Verschulung, zur Bürokratisierung bezeichnet — wider besseres Wissen! —, der hat nichts anderes im Sinn, als nackte Interessen durchzusetzen: die Interessen der Erhaltung des Status quo, damit sich möglichst wenig verändert.
Wer Briefe schreibt wie jüngst die fünf Spitzenverbände der Wirtschaft — unter Umgehung des zuständigen Fachministers an den Bundeskanzler — und dabei kaum verhüllt Pressionen gegen das Gesetz androht, das von einem frei gewählten Parlament verabschiedet werden muß, der mißt Berufsbildung allein mit der ökonomischen Elle und der Elle seiner Machtinteressen. Das aber ist nicht unsere Elle und nicht die der Auszubildenden.
Ich meine, daß auch die Resolutionen zahlreicher Kammerorganisationen, die inzwischen unsere Tische überflutet haben, bei der Debatte über die Sache wenig hilfreich sind. In diesen Resolutionen wird das geltende Gesetz von 1969 als ausreichend
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12630 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Engholmbezeichnet. Ich möchte die Kammer-Mächtigen fragen, ob sie die Resolutionen, die sie in Auflagen von Hunderttausenden im Lande kursieren lassen, denn vorher mit den zuständigen Berufsbildungsausschüssen, wie das Gesetz es vorsieht, abgestimmt haben.
Sie haben es nicht getan, meine Damen und Herren. So ernst nimmt man bei denen das Gesetz, das wir heute haben. Dies wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Glaubwürdigkeit der Argumentation der Industrie- und Handelskammern.Ich erlaube mir hierzu eine letzte Frage: ob es nicht ein Mißbrauch des öffentlich-rechtlichen Status der Kammern ist, wenn diese in einigen Fällen eindeutig zu politischen Kampfinstrumenten degradiert werden.
Das ist nicht die Vorstellung des Gesetzgebers bei der Verleihung des öffentlich-rechtlichen Status gewesen.
— Ich wäre gern bereit, wenn mir die Zeit nicht davonliefe, Herr Kollege Probst, über die Haltung des DGB einiges zu sagen. Sie hat gegenüber den soeben genannten Gruppen den Vorzug, konkret zu sein und bereits in Gesetzesformulierungen hineinzugehen. Darüber werden wir an anderer Stelle noch zu reden haben.Meine Damen und Herren, nach dem ganzen Wust von Verdächtigungen, den uns Funktionäre— ich wiederhole: Funktionäre — von Wirtschaftsverbänden und Kammern in den letzten Monaten an den Kopf geworfen haben, ist es notwendig, zu sagen, daß für Sozialdemokraten und Freie Demokraten berufliche Bildungspolitik eben keine „Kammermusik" ist
und daß die sozialliberalen Fraktionen nicht die politischen und parlamentarischen Agenten von Kammerinteressen sind. Das sollten sich die Herren hinter die Ohren schreiben.
Wer die bloße Negation zum Inhalt seiner Politik macht, verliert auf Dauer den Anspruch auf Glaubwürdigkeit. Das gilt nicht nur für die Verbandsbürokratien der Wirtschaft, sondern in einem guten Maße auch für die Haltung der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat. Die undifferenzierte Ablehnung des Gesetzentwurfs — darauf hat der Bundesbildungsminister hingewiesen — wird nichts weiter sein als eine vergessenswerte Episode in der Bildungsgeschichte, weil sich dankenswerterweise nicht einmal die Unionsparteien in diesem Hause die Meinung der Bundesratsmehrheit zu eigen gemacht haben. Das zeigt die Qualität jener Meinung.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Nachdem das Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung am gestrigenTage auch den CDU/CSU-Antrag zur Berufsbildung als unbrauchbar und papierkorbreif verworfen hat
und das Kuratorium es nicht einmal für nötig befunden hat — die beiden sind ja in dieser Beziehung nicht unbedingt zerstritten —, den Verriß auch noch sachlich zu begründen, geht mein abschließender Appell an die Unionsparteien. Ich empfehle Ihnen, und zwar ernsthaft: Schielen Sie nicht mehr nach der falschen Seite. Beifall werden Sie dort nicht erhalten; was Sie von dieser Seite erwartet, ist allenfalls noch Verriß oder Spott. Je weiter Sie zur Seite der Wirtschaftsverbände schielen, desto mehr wird Ihre berufsbildungspolitische Sehkraft gelähmt sein.Deshalb bieten wir Ihnen an, auf der Basis des vorliegenden Gesetzentwurfs gemeinsam nach einem der Sache dienenden Weg zur Verbesserung des Ausbildungssystems in unserer Republik zu suchen.
Diese Angebot ist ernst gemeint und gilt.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schuchardt.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um das Berufsbildungsgesetz hat in den beiden vergangenen Jahren einen sehr wechselvollen Verlauf genommen. Wenn dieser nun vorliegende Entwurf von keiner Seite wirklich begrüßt wird, so sollte das niemanden, der sich mit diesem Themenbereich befaßt, überraschen. Zu vielfältige, widerstreitende Interessen sind zu berücksichtigen, so die der Bildungspolitik, der Wirtschaftspolitik, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften, der Auszubildenden, der Ausbildenden und letztendlich des Bundes und der Länder.Nachdem sich noch vor zwei Jahren wohl fast alle darauf verständigen konnten, daß das jetzige Berufsbildungsgesetz dringend der Reform bedürfe, sprechen heute nicht ganz unerhebliche Teile aus Wirtschaft und Politik davon, daß mit unserer Berufsausbildung doch wohl alles in Ordnung sei.Tatsache ist nach wie vor, daß berufliche Bildung im Verhältnis zur allgemeinen Bildung einen schlechten Ruf genießt. Eltern, die etwas auf Sozialprestige halten und ihren Kindern Verdienst- und Aufstiegschance sichern wollen, werden sie wohl kaum in die betriebliche Berufsausbildung schicken wollen. Dieses gilt es zu verändern.Bei der Reform der beruflichen Bildung geht es um die Bildungs- und Berufschancen von 1,6 Millionen Jugendlichen, von denen sich 1,4 Millionen in einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis befinden, während die übrigen ohne eine berufliche Ausbildung als Jungarbeiter ins Berufsleben eingetreten sind. Für diese Mehrheit der Jugendlichen, die man vielleicht einmal zu Recht die „vergessene Mehrheit" genannt hat, gilt es, die Berufsbildungs- und Lebenschancen zu verbessern. Wenn heute rund 70 % der
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Frau Schuchardtzur Zeit arbeitslosen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren keinen Berufsabschluß haben, macht dies gerade deutlich, wie notwendig eine qualifizierte schulische und berufliche Bildung ist.Berufsbildungspolitik von heute ist gleichzeitig Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik von morgen. Eine gute berufliche Bildung kann in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zwar keine absolute Arbeitslosenversicherung sein, aber doch dazu beitragen, daß der Arbeitsplatz sicherer wird. Der notwendige Strukturwandel unserer Wirtschaft erfordert diesen Wandel vollziehende Arbeitnehmer.Die Ziele der Berufsbildung sind heute umfassender als früher. Berufliche Bildung soll die Jugendlichen auf das Erwerbsleben, d. h. auf die sich rasch ändernden Anforderungen im Beruf, vorbereiten. Sie haben aber auch Staatsbürger in unserer Gesellschaft heranzubilden.Zur Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung gehört nach Auffassung der FDP, daß die berufliche Bildung sich an den gleichen allgemeinen Maßstäben orientiert wie das übrige Bildungssystem. Wir brauchen, wie im Bildungsgesamtplan von allen Ländern — mit Ausnahme allerdings von Bayern — festgestellt wurde, eine engere Abstimmung und Verzahnung zwischen den beiden Bildungsbereichen. Die berufliche Bildung darf keine Sackgasse bleiben, wie sie es bisher ist. Sie muß den Jugendlichen motivieren und ihm ermöglichen, weiter zu lernen. Die Verbindung von beruflicher Erstausbildung und Weiterbildung im sogenannten Baukastensystem, wie es der Regierungsentwurf vorsieht, entspricht dieser Forderung.Die berufliche Bildung ist eine öffentliche Aufgabe. Der Staat trägt auch in diesem Bereich eine Verantwortung. Es darf für ihn kein Alibi sein, daß im Regelfall private Unternehmen die Ausbildungsverträge abschließen und so unter anderem über das Ausbildungsplatzangebot entscheiden. Zur Klarstellung muß allerdings hier gesagt werden, daß die staatliche Verantwortung für diesen Bildungsbereich nichts, aber auch gar nichts mit der Verstaatlichung der betrieblichen beruflichen Bildung zu tun hat.Für die FDP ist der Regierungsentwurf des Berufsbildungsgesetzes eine geeignete und gute Grundlage für die weitere parlamentarische Beratung. Die angestrebte Berufsbildungsverwaltung faßt den Wildwuchs der bisherigen Zuständigkeiten zusammen und ermöglicht, falls die Länder zu Kooperation bereit sind, die Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen.Nun ist der Vorbereitung dieses Gesetzes laufend der Vorwurf parallel gegangen, die sozialliberale Koalition würde eine ungerechtfertigte Bürokratie aufbauen. Nun, wer hat schon etwas für Bürokratien übrig, erst recht dann, wenn sie uneffektiv, überflüssig und dann dementsprechend kostspielig sind? Was trifft nun wirklich zu? Die Organisation ist kein Selbstzweck, sondern sie muß die zu bewältigenden Aufgaben möglichst effektiv lösen. Allerdings kann wohl kein Zweifel daran gelassen werden, daß die Organisation auch benutzt wurde, um vielleicht Machtansprüche durchzusetzen.Die Aufgaben stellen sich wie folgt dar:Erstens. Die öffentliche Verantwortung muß sichergestellt werden, d. h., der Staat und die Regierung und die Parlamente dürfen sich aus ihrer Verantwortung für diesen Bereich nicht herausstehlen.Zweitens. Die Beteiligung der Betroffenen muß sichergestellt sein.Drittens. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern muß organisiert werden.Viertens. Der Verwaltungsaufbau muß effektiv und praxisnah sein.Fünftens. Künftige Entwicklungen müssen rechtzeitig erkannt werden können, damit man geeignete Maßnahmen im Sinne der Auszubildenden einleiten kann.Wie stellt sich nun heute der Wildwuchs der Gremien dar, die sich mit beruflicher Bildung befassen? Wir haben den Deutschen Bildungsrat, die BundLänder-Kommission für Bildungsplanung, die Kultusministerkonferenz, das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung, den Bundesausschuß für Berufsbildung, die Bundesanstalt für Arbeit, das dort angegliederte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung; schließlich sind der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, die Fachminister des Bundes, die Ministerien der Länder zuständig — und, und, und. Besonders ausgeprägt ist dann noch die Institutionalisierung der Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen. Die Zusammenfassung der wesentlichen Aufgaben und Organe in einem Bundesinstitut für Berufsbildung ist also eine notwendige Vereinfachung der Verwaltung. Wer dies als „Bürokratisierung" bezeichnet, verläßt sich auf das Unwissen der Bürger und führt selbst die betroffenen Betriebe irre.Im Rahmen der Diskussion des Berufsbildungsgesetzes von 1969 wurde das Fehlen von Daten über die Kosten der betrieblichen Ausbildung bemängelt. Auf Antrag der SPD und FDP wurde dann eine unabhängige Sachverständigenkommission eingesetzt, die die Kosten und Möglichkeiten der Finanzierung prüfen sollte. Die nun vorliegende Untersuchung zeigt, daß je nach Beruf unterschiedlich erhebliche Kosten für die Betriebe anfallen. Berufliche Bildung ist für die Wirtschaft Investition. Dies bedeutet aber gleichzeitig, daß dieser Teil unseres Bildungssystems konjunkturabhängig ist. Die damit zusammenhängenden Probleme und die Auswirkungen auf das Ausbildungsplatzangebot sind gerade in den letzten Jahren sehr deutlich geworden. Die steigenden Anforderungen an die Qualität der Ausbildung sind auch mit steigenden Kosten verbunden. Das kann zu bestimmten Zeiten zur Verknappung des Ausbildungsplatzangebots führen, und auch dies gilt es im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes aufzufangen.Ein Berufsbildungsgesetz muß deshalb auch ein Finanzierungssystem mit einbeziehen. Dieses hat die Aufgabe, bestehende Ausbildungsplätze zu erhalten, aber gerade auch für den steigenden Bedarf zusätzliche Plätze zu schaffen. Hierfür kann unserer Meinung nach die Wirtschaft insgesamt zur Umlage
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Frau Schuchardtder anfallenden Kosten herangezogen werden. Das vorgesehene Finanzierungssystem greift allerdings erst, wenn das Ausbildungsplatzangebot unter eine Schwelle sinkt.Die FDP wird unter dem Gesichtspunkt „Wie schaffe ich in den nächsten Jahren ein ausreichendes Angebot von qualitativ hochwertigen Ausbildungsplätzen?" diese Maßnahmen prüfen. Dabei muß unserer Meinung nach sichergestellt sein, daß der Jugendliche noch eine Auswahl von Berufen hat und kleinere und mittlere Betriebe — darunter besonders das Handwerk —, die heute die Hauptlast der Ausbildung tragen, von den Kosten besonders entlastet werden.Die Diskussion um die Finanzierung ist mit besonderen Emotionen geführt worden. Man braucht sich deshalb wohl auch nicht zu wundern, wenn die CDU/CSU bis heute noch keine Lösung anbietet. Herr Gölter, Sie werden zugeben, daß Zeit genug dazu gewesen wäre, aber vermutlich war da wohl keine Einigung in Ihren Reihen zu erzielen.
Eine Partei, die sich als unfähig erweist, solche Fragen zu beantworten, dürfte wohl kaum eine Alternative zu dieser Regierung der sozialliberalen Koalition sein.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem Finanzierungssystem ist es von besonderer Bedeutung, zu wissen, wann Verknappungen an Ausbildungsplätzen relativ zur Nachfrage eintreten werden. Der Berufsbildungsplanung und -statistik kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Der Bund ist hierbei aber in besonderem Maße auf die Zusammenarbeit mit den Ländern und der Wirtschaft angewiesen. Von deren Unterstützung wird es also im wesentlichen abhängen, ob rechtzeitig Maßnahmen eingeleitet werden können, wenn sich ein Mangel abzeichnet.
Während der Ausschußberatungen wird meine Fraktion eine Reihe zusätzlicher Fragen eingehend prüfen. Die Aufteilung der Kompetenz zwischen Bund und Ländern erfordert eine sorgfältige Abstimmung. Das leidige Abstimmungsproblem zwischen Ausbildungsordnungen des Bundes und Rahmenlehrplänen der Länder für die beruflichen Schulen ist voll befriedigend eigentlich nur zu lösen, wenn man dem Bund auch für den schulischen Teil die Rahmenkompetenz zugestünde. Darauf können wir uns aber weder mit der SPD noch mit der CDU/CSU verständigen.
Der Bund will nun im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag zu diesem Problem leisten, indem er den Ländern nicht nur den Abschluß eines Abkommens vorschlägt, sondern ihnen zugleich anbietet, in seinem Kompetenzbereich, nämlich dem der betrieblichen Ausbildung, wirksam mitzuentscheiden. Die Hoffnung, daß die Länder dies ihrerseits durch ein Angebot zur Kooperation honorieren würden, ist leider bisher nicht begründet. Diese Kooperation sicherzustellen werden wir aber als eine wesentliche Aufgabe ansehen.Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Rechtsverordnungen vor, die sich sicherlich nicht vermeiden lassen. Wir werden aber versuchen, das Berufsbildungsgesetz bereits im Gesetzgebungsverfahren so konkret auszugestalten, daß sich das Rechtsverordnungsunwesen tatsächlich auf das Notwendige beschränkt.
Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten sind für ,die FDP keine dritte Säule der beruflichen Bildung. Sie ergänzen den betrieblichen Teil der Ausbildung überall dort, wo der Betrieb selbst einen erforderlichen Lernschritt nicht anbieten kann. Überbetriebliche Ausbildungsstätten sind insoweit geeignet, auch solchen Betrieben die Ausbildung zu ermöglichen, die den Anforderungen der Ausbildungsordnungen nicht voll gewachsen sind.
Im Rahmen der Mitbestimmung der Betroffenen in den Gremien auf Bundes-, Landes- und Kammerebene werden wir besonders das Stimmrecht der Lehrer prüfen. Da meine Fraktion bereits im Jahre 1969 im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes das Stimmrecht der Lehrer gefordert hat, nehmen wir mit Befriedigung zur Kenntnis, daß sich die CDU/ CSU darauf nun offenbar verständigt hat. Auf Kammerebene werden wir auch die Möglichkeit ausloten, inwieweit die Betroffenen selbst, z. B. die Auszubildenden, in den Berufsbildungsausschüssen vertreten sein können.Die steigende Qualität der Ausbildung erfordert die besondere Beachtung der Probleme der Sonderschüler und Hauptschüler ohne Hauptschulabschluß. Der Aufgabe, ihre Integration sicherzustellen sowie besondere Bildungsangebote bereitzuhalten, wird in den Beratungen eine besondere Bedeutung zukommen.Das Berufsbildungsgesetz, meine Damen und Herren, geht von der Mitbestimmung der Verbände in den Berufsbildungsgremien aus. Man kann dann mit gewisser Berechtigung von den Verbänden wohl auch erwarten, daß man etwas auf ihr Wort geben kann. In meinen zahlreichen Diskussionsveranstaltungen hatte ich nicht immer den Eindruck, daß sich die Betriebe von ihren Spitzenverbänden angemessen vertreten sehen.
Die Homogenität, die die Spitzenverbände zeigen, entspricht keineswegs der Interessenlage aller Betriebe. Diese Homogenität der Aussagen war nicht zugleich auch eine Garantie für die Kontinuität der Aussagen.Als z. B. die „Markierungs-Punkte" als erste Grundlage der Diskussion eingebracht worden wa-
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Frau Schuchardtren, wurden diese mit dem pauschalen Urteil, es handele sich um eine Verschulung, Verstaatlichung oder Verbürokratisierung, abgelehnt. Später, als neue Entwürfe von dem damals neuen Minister Rohde diskutiert wurden, erfreuten sich die „Markierungs-Punkte" und ihre wesentlichen Ansätze bei der Wirtschaft großer Beliebtheit.Oder: Mit Recht hat die Wirtschaft es beklagt, daß auch die Schule ein gehörig Maß von Verantwortung für die schlechte Qualität der beruflichen Bildung trage. Es wurde bemängelt, daß in vielen Ländern nicht zwei Berufsschultage, sondern nur ein Berufsschultag angeboten wurde. Als die Länder ihrerseits nun endlich dazu übergingen, zwei Berufsschultage in der Woche anzubieten, war es die lange Abwesenheit ,der Auszubildenden vom Betrieb, die mit ein Grund für den Rückgang der Ausbildungsplätze sei. So die Argumentation der Wirtschaftsverbände.Oder ein drittes Beispiel: Die Ausbildungsordnungen werden gemeinsam mit den Fachverbänden der Wirtschaft erarbeitet. Nicht selten sind es gerade die Fachverbände der Wirtschaft, die auf eine gute Qualität der Ausbildung dringen; keine Ausbildungsordnung wird gegen ihren Willen erlassen. Oft stellt sich dann aber in der Praxis heraus, daß sie entweder zu detailliert oder nicht in allen Bereichen haltbar sind. Dieses ist dann allerdings — so sagt man — nur auf das Wirken dieser Regierung zurückzuführen, nicht aber auf das Wirken der Fachverbände. Wenn die Verbände Mitsprache beanspruchen, sollten sie ihren Mitgliedern gegenüber für ihre Entscheidungen auch einstehen
und nicht von ihrer Mitverantwortung ablenken. Dazu sollten sie sich auch nicht des Sprachrohrs des CDU-Sprechers hier bedienen.Ich habe mich bisher noch nicht zu den Einzelheiten des CDU-Antrags geäußert. Nun kann ich im Augenblick überhaupt nicht abschätzen, welchen Stellenwert dieser Antrag hat.
Herr Gölter, es wird Sie sicherlich nicht verwundern, wenn ein Teil der Vorschläge, die die CDU/CSU macht, dort, wo sie konkret werden, sehr wohl meine Zustimmung finden könnte, etwa was das Stimmrecht der Lehrer oder die Rechte der Berufsausbildungs-Ausschüsse betrifft.
Dieser Antrag steht im krassen Gegensatz zu der Haltung der CDU/CSU-Länder im Bundesrat.
Welch glückliche Opposition, kann man da nur sagen, wenn auf der einen Seite Herr Kohl, Herr Gölter, Herr Katzer mit ihrer Klientel mit dem Antrag in der Hand, den ihre Fraktion im Bundestag eingebracht hat, diskutieren können, während auf der anderen Seite Herr Strauß, Herr Stoltenberg, Herr von Bismarck oder sicherlich Herr Maier mit der ablehnenden Haltung der CDU/CSU-regierten Bundesländer argumentieren können. Ich frage michin diesem Zusammenhang wirklich, wie lange sich die Wähler der CDU/CSU noch für so dumm verkaufen lassen.
Oder sollte man daraus etwa Rückschlüsse auf das Bildungsniveau in der Bundesrepublik Deutschland ziehen können?
Beschäftigen Sie sich einmal mit den unterschiedlichen Zungen in Ihrer Partei! Ich habe zwar viel für Pluralismus übrig, allerdings sollte man doch ein bißchen Solidarität innerhalb einer Partei erwarten können.
Dieses Berufsbildungsgesetz kann leider nur den betrieblichen Teil der Ausbildung regeln, da der Bund lediglich hierfür die Kompetenz hat. Es wird also allein auf die Kooperationsbereitschaft der Länrer ankommen, ob die Verzahnung mit dem schulischen Teil Wirklichkeit wird.Wir werden es nicht schaffen, ein Gesetz zu machen, das keine Kritik erfährt; ein solches Gesetz kann es nicht geben, denn zu widerstreitende Interessen sind berührt. Berechtigte Interessen zu berücksichtigen und einen Interessenausgleich herzustellen, das gilt es während der Beratungen anzustreben. Die FDP-Fraktion ist dazu bereit.
Das Wort hat 'der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung, die der Bildung des gegenwärtigen Bundeskabinetts unmittelbar folgte, haben wir die Reform der beruflichen Bildung als ein zentrales Gebiet unserer Arbeit bezeichnet, ein Gebiet, auf dem sich das ganze Kabinett und auch ich persönlich in der Zwischenzeit sehr engagiert haben. Mir liegt daran, dieses Engagement und ebenso das Ausmaß an Einsicht in anderer Leute Erfahrungen, die wir dabei gewonnen haben, heute morgen wenigstens anzudeuten.Die Entschlossenheit, teilweise sogar Leidenschaftlichkeit, mit der die öffentliche Debatte über die Berufsausbildung bisher geführt worden ist, scheint mir ein Indiz dafür zu sein, daß die öffentliche Meinung die große Bedeutung, die dieser Komplex für die künftige Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft hat, wohl verstanden hat.Weil aber dieser Komplex eine so große Bedeutung hat, kann weder die Bundesregierung noch die Koalition sich die Reform auf diesem Feld von
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Bundeskanzler SchmidtInteressenverbänden aus den Händen schlagen lassen.
Sie kann auch nicht zulassen, daß dieser Reformbereich von einer bisher in dieser Frage in sich selber uneinigen CDU/CSU — siehe Stellungnahme der CDU/CSU-Länder im Bundesrat, siehe ihren Antrag von vor acht Tagen, der am 10. Juni gedruckt wurde — auf die lange Bank geschoben wird — von einer bisher völlig uneinigen Union!
— Ich verstehe Sie nicht! Die Koalition hat Ihnen nach großer, schwerer Arbeit einen einheitlich getragenen Gesetzentwurf vorgelegt. Machen Sie das erst mal nach!
Sie haben doch vom Saarland bis nach Hamburg Kongresse veranstaltet, ohne etwas anderes als — entschuldigen Sie — Zeitungsüberschriften zu produzieren.
Sie haben selbst im Bundesrat — es wird nachher der Kultusminister eines schwarz regierten Landes sprechen —
nicht einen einzigen konkret ausformulierten Antrag zu einem einzigen Paragraphen vorgelegt.
Ich will Sie nicht unnötig reizen, weil der Professor Carstens nicht hier ist, der gemeinhin mit großem Sachverstand und großer Sachkunde darauf zu antworten pflegt.
— Herr Reddemann, Sie werden es dann machen. Sie sind sicherlich sachkundiger.
Aber wenn Sie sich hier durch Zwischenruf auf den Standpunkt stellen, Sie hätten es deshalb nicht nötig, sich zu einigen, weil es bei uns auch lange gedauert habe — so kann ich das doch nur verstehen —,
dann bitte ich doch zu würdigen, daß diejenigen, die auf seiten der Bundesregierung an der Arbeit beteiligt waren — ob das Hans Friderichs mit seinen Mitarbeitern war, ob das die übrigen Kollegen im Kabinett waren oder ich, oder ob es der federführende Minister, Helmut Rohde, war —,
da zig Stunden, Wochen und Monate an Arbeit hineingesteckt haben. Meine Damen und Herren, die Arbeit bestand nicht aus dem Ausformulieren vorgefaßter geistiger Konzepte, sondern zunächst und im wesentlichen aus einem unendliche Stunden andauernden und immer erneut wiederholten Gespräch mit den Menschen in der Praxis. Gesprächspartner waren die Berufsschulen, die Betriebsleiter, die Ausbildungsleiter in den großen Unternehmen, die Handwerkskammern und ihre Fachleute auf diesem Feld und sicherlich auch der Deutsche Industrie- und Handelstag. Auf den komme ich gleich nochmal zu sprechen, er hat auf diesem Felde nicht gerade den größten Sachverstand, so sehr man ihn auf anderen Feldern schätzen muß. Man kann nicht sagen, daß er sich hier besonders hervorgetan hat.Wir haben z. B. auch erlebt, daß uns fünf angesehene Herren — mit Recht angesehene Herren — in diesem Frühjahr in Sachen Berufsausbildung einen quasi-öffentlichen Brief geschrieben haben.
— Wer ihn veröffentlicht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls ist der Brief veröffentlicht worden, ehe der Adressat, nämlich ich, ihn je gesehen hatte.
Es geht doch nicht darum, wer ihn veröffentlicht hat, sondern um das, was in dem Brief drinsteht.
In dem Brief stand, die Wirtschaft sei bereit, einige zigtausend zusätzliche Lehrstellen, Ausbildungsplätze zu schaffen, wenn doch bitte die Koalition von dem ganzen Reformvorhaben Abstand nehmen wollte.
Der Brief war unvorsichtigerweise mit Anlagen mehr als acht Seiten lang und enthielt also auch Details der Forderungen.Ich habe den Brief zum Anlaß genommen — das ist jetzt schon ein Vierteljahr her —, die Herren, die ihn unterschrieben hatten — und übrigens auch die entsprechenden Damen und Herren von der gewerkschaftlichen Seite —, zu einem Gespräch in das Bundeskanzleramt zu bitten. Ich habe die zwar ungewöhnliche, aber in diesem Fall — wie Sie gleich hören werden — sehr effektive Bitte hinzugefügt, ohne die Hauptgeschäftsführer und ohne die Sekretäre zu erscheinen. Das ist dann auch so geschehen.
— Entschuldigung, ich möchte die Passage zu Ende führen, Herr Präsident.Wir haben in einem Gespräch, das zunächst auf zwei Stunden bemessen war und sich dann auf drei
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Bundeskanzler SchmidtStunden, schließlich auf vier Stunden ausgedehnt hat, alle die einzelnen Stellen in dem Brief abgeklopft und die betreffenden Herren — ich bin bereit, Ihnen die Namen hier zu Protokoll zu geben — gefragt, wie dies denn gemeint sei und wie das denn gemeint sei und wie dies und jenes zu verstehen sei. Es stellte sich heraus, daß mit der Ausnahme eines Herren, den ich gern namentlich nennen will, der in der Lage war, wenigstens teilweise zu begründen, was in dem Brief stand — er war dazu in der Lage, weil er in seinem eigenen Großunternehmen auf diesem Felde eine Vorstandsverantwortung trägt; es war Hanns-Martin Schleyer —, die übrigen gar nicht in der Lage waren, die Details ihres gemeinsamen Briefes zu begründen. Die gingen nach vier Stunden ziemlich bedripst wieder raus, wie man in Hamburg sagt.
Inzwischen hat man ein Kuratorium für Berufsausbildung gebildet.Herr Reddemann mag sich seinen Zwischenruf überlegen; er kann ihn so scharf formulieren, wie es ihm Spaß macht. Aber es ist jetzt keine Arroganz, wenn ich sage: In jenem Gespräch hat sich gezeigt, daß viele Personen der Bundesregierung über dieses Sachfeld sehr viel besser Bescheid wußten als mancher Präsident der Spitzenverbände der Wirtschaft.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schedl?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber bitte sehr!
Herr Bundeskanzler, hätten Sie die Liebenswürdigkeit, dem Hohen Hause mitzuteilen, daß der öffentliche Brief, den Ihnen ehrenwerte Herren geschrieben haben, von Ihnen selber in einem Gespräch mit einigen dieser Herren als persönlicher Brief angeregt worden ist, daß so von den Herren auch verfahren worden ist, die Veröffentlichung aber durch ganz andere Kanäle erfolgte und daß das damals von den Verbänden so in der Offentlichkeit richtiggestellt worden ist? Sie haben sich nicht anderweitig geäußert, aber hier reden Sie wieder von öffentlichen Briefen, die unglaublich gewesen seien.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, zunächst stimme ich dem mehrfachen Gebrauch des Adjektivs „ehrenwert" in Ihrer Frage durchaus zu.
Zum zweiten: Ich habe mit der Veröffentlichung des Briefes wirklich nichts zu tun. Ich hatte ihn auch nicht angeregt. Darin irren Sie. Im Gegenteil: Ich habe in der Besprechung, von der ich eben berichtete, den Herren angekündigt, daß ich mir vorbehielte, darauf öffentlich zu antworten. Das habe ich heute, eben in dieser Minute getan.
Ich warne die Vorsitzenden oder die Präsidenten von Interessenverbänden, sei es auf der Rechten der deutschen Gesellschaft, bei der Arbeitgeber- oder Unternehmerseite, sei es auf der Linken der deutschen Gesellschaft, auf der Gewerkschaftsseite, Dinge zu unterschreiben, die sie nicht selbst geprüft haben.
Wir müssen — darin stimmt ja offenbar doch sogar die CDU/CSU überein, sei es im Bundesrat, sei es in diesem etwas dünn besetzten morgendlichen Parlament — aus der Tatsache, daß sich z. B. viele Jugendliche bei den Arbeitsämtern vergeblich um eine Lehrstelle bemühen, zu der Konsequenz kommen — aber nicht nur aus dieser Tatsache —, daß das bestehende Berufsbildungswesen kein ausreichendes Ausbildungsangebot erbringt. Wenn Sie dieser Meinung nicht wären, hätten Sie ja Ihren Antrag nicht gestellt.Dieser Meinung sind wir nun schon seit langer Zeit. Um so mehr bedauere ich eigentlich, daß, wenn schon die Politiker auf beiden Seiten des Hauses und auch die Mehrheit des Bundesrates darin übereinstimmen, daß etwas neu geschaffen oder altes geändert werden müsse — das ist ja doch wohl wirklich übereinstimmend festgestellt worden —, die Spitzenverbände der Wirtschaft nach wie vor meinen, es bräuchte gar nichts geändert zu werden, man sollte einfach auf dem alten Wege fortfahren. Das ist wirklich ein Punkt, mit dem ich aus eigenem Erlebnis des Gespräches und des gedanklichen Austausches über viele Monate tief unzufrieden bin: mit einem mangelnden Augenmaß für öffentliche Verantwortung in einigen Spitzenverbänden.Das Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, das sich neuerdings gebildet hat, lehnt ja Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, wie Sie gelesen haben, mit beinahe genau denselben Worten ab wie den Regierungsentwurf. Ich mache Sie deswegen darauf aufmerksam, weil Sie in der Debatte — z. B. der Kollege, der mich eben interpellierte — aufpassen müssen, daß Sie nicht in die falsche Front geraten. Sie werden dort ganz genauso und genauso oberflächlich kritisiert wie der Regierungsentwurf.
Sie sollten aufpassen, daß Sie in bezug auf diese Qualität der Oberflächlichkeit der Kritik anderer nicht in einen Wettbewerb eintreten.
Ich will darauf hinweisen, daß z. B. der Deutsche Industrie- und Handelstag, der wohl der heimliche Spiritus rector in dieser Verbandspolitik ist, in seinem Bereich von den Unternehmen und Betrieben,
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Bundeskanzler Schmidtdie in den Kammerorganisationen zusammengefaßt sind, nur 10 % Ausbildungsbetriebe vertritt und daß 90 % der Firmen in seinem Bereich keine Ausbildungsbetriebe sind. Das sieht beim Handwerk vollständig anders aus. Sie hören vom Handwerk ja auch andere Töne als vom Deutschen Industrie- und Handelstag.Sie hören ja auch übrigens abseits dieser Spitzenverbände und dieses Kuratoriums andere Töne, z. B. vom Ettlinger Kreis, der sich in der Unternehmerschaft gebildet hat. Der geht in der Finanzierungsfrage sogar über den Regierungsentwurf hinaus. Das kann ich nur begrüßen, daß dort die Meinungen nicht durch Verbandsdisziplin uniformiert werden können.Frau Kollegin Schuchardt hat Sie schon darauf hingewiesen — und ich habe nicht nötig, dies zu wiederholen oder auszuführen —, daß sich die Stellungnahme, die die CDU/CSU im Bundesrat abgibt, in vielen Punkten sehr unterscheidet von der Stellungnahme, die sie hier im Bundestag eingebracht hat. Was Ihren Antrag hier im Bundestag angeht, so will ich in einem Punkte ausdrücklich eine Verbeugung machen, insofern nämlich, als ich anerkennen möchte, daß hinsichtlich des organisatorischen Konzepts in Ihrem Antrag — leider ist er nicht in Paragraphen ausformuliert, das dauert offenbar noch ein Jahr;
Sie haben später angefangen als wir, was ich Ihnen nicht vorwerfe — eine in sich geschlossene Vorstellung daliegt, wenn auch — und auch das ist kein Vorwurf — unter erheblicher Anlehnung an die vorher öffentlich vorgetragenen Gedanken des Regierungsentwurfs.
In der Finanzierungsfrage bieten Sie allerdings keinerlei alternatives Konzept, meine Damen und Herren. Das ist nach wie vor Ihre offene Flanke. Ich nehme an, Sie werden mit der Bundesratsstellungnahme fertig; aber hier ist Ihre eigene Konzeption unvollständig.Ohne daß ich hier länger herumstochern will, möchte ich auch zu der dritten Seite, die sich außerhalb der sozialliberalen Koalition mit dieser Reform beschäftigt hat, zur gewerkschaftlichen Seite, sagen — wenn wir schon, so unzulässig das sein mag, die Unionsparteien und die Unternehmer- und Arbeitgeberschaft als je eine Einheit nehmen;
die dritte Seite sind die Gewerkschaften —, die Forderungen der Gewerkschaften, die natürlich sowohl in organisatorischer Hinsicht wie auch in finanzierungspolitischer Hinsicht über den Regierungsentwurf hinausgehen, müssen letztlich in dieses Bild mit hineingenommen werden, damit man erkennen kann, wie sehr dieser Regierungsentwurf, der erst nach langer Arbeit vorgelegt werden konnte, ein ausgewogener Entwurf ist, der die Interessen undZielsetzungen aller Seiten sorgfältig in den Blick gezogen hat. Übrigens, damit kein Mißverständnis entsteht: die gewerkschaftliche Seite hat ja unter den gegebenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, unter denen wir Gesetze zu machen haben, diesen Reformeinstieg durchaus anerkannt und wird ihn mittragen.
— Ja, als Einstieg, ganz gewiß nicht als komplette Reform aus einem Guß, auf einmal. Das gibt es sowieso nur bei der Jungen Union und bei den Jungdemokraten und bei den Jungsozialisten.
— Sicher.
Alles auf der Welt bedarf der schrittweisen Evolution, und ganz gewiß ist das so in einem so komplizierten demokratischen Gesellschaftskörper wie dem unsrigen. Sie haben ja durchaus in Erinnerung, daß das, was Sie heute vorschlagen, auch nicht alles in einem Akt umgestalten will. Sie haben doch damals in den späten 60er Jahren den ersten Schritt mitgemacht. Bei Ihnen ist es heute doch auch schon der zweite Schritt. Sie wollen mir doch nicht im Ernst vormachen, Sie hätten damals in den 60er Jahren geglaubt, einen alles umfassenden, alles auf einmal regelnden Schritt getan zu haben.
— Na, bitte, dann lassen Sie doch die Zwischenrufe, Herr Reddemann, wenn Sie es nicht wirklich meinen.
Ich möchte noch auf ein Gebiet zu sprechen kommen, das Herr Kultusminister Maier anschließend auch nicht umgehen sollte. Eines der Kernprobleme— und ich stimme Frau Schuchardt in der Beurteilung voll zu — liegt darin, daß nun einmal das Grundgesetz so beschaffen ist und wir es gegenwärtig weder ändern können noch — anders als Frau Schuchardt — in diesem Punkte gegenwärtig ändern wollen.
Vielleicht wird uns die Erfahrung im Laufe der nächsten zehn Jahre eines anderen belehren. Nach dem Grundgesetz hat der Bund — wenn ich es so verkürzt ausdrücken darf — und hat der Bundesgesetzgeber — das sind Sie, meine Damen und Herren — die Zuständigkeit auf dem Felde der betrieblichen Ausbildung, und elf Länder haben die Zuständigkeit auf dem Felde der Berufsschule. Ich möchte aus dem Kopf keine Zahlen nennen; aber ich glaube, wir haben für beinahe 500 Berufe Ausbildungsordnungen — so heißt es heute; früher nannte man das Berufsbilder — einheitlich für das ganze Bundesgebiet geschaffen, nicht ganz so viele neu. Einheitliche Rahmenlehrpläne für die Berufsschulen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12637
Bundeskanzler Schmidtdes ganzen Bundesgebietes gibt es dagegen nicht. Wir können sie auch nicht durch Gesetzgebung erzwingen, sondern nur hoffen, daß sie durch aus Einsicht dargebrachte freiwillige Kooperation zustande kommen.Das Berufsschulwesen der elf deutschen Länder hat — auch in einzelnen Städten gegenüber anderen — eine sehr unterschiedliche Qualität; es ist in manchen Regionen vorbildlich, in manchen Regionen in erschreckender Weise zurückgeblieben. Es ist in manchen Berufen, in manchen Berufsfeldern sehr nahe an der tatsächlichen modernen Entwicklung des betreffenden Berufes im Betrieb; in anderen Berufsfeldern ist es weit hinter dem zurückgeblieben, was tatsächlich im Betrieb passiert. Das ist nicht gut. Das hat nichts mit rot oder schwarz oder blau-gelb zu tun, sondern hat damit etwas zu tun, daß in den letzten 30 Jahren in vielen Ecken des Vaterlandes zeitweilig die Volksschule, zeitweilig die höhere Schule und in den letzten zehn Jahren über Gebühr die Universität, aber niemals die Berufsschule im Vordergrund des öffentlichen Interesses gestanden hat, niemals!
Deswegen — hier handelt es sich um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz, das gegen die Mehrheit des Bundesrates nicht verabschiedet werden kann, und hier handelt es sich um die Notwendigkeit freiwillig über das Gesetz hinaus dargebrachter Kooperation, zu der es einer Vereinbarung oder eines Vertrages bedarf — wird, so denke ich, die endgültige Stellungnahme der deutschen Länder — ich werde demnächst Gelegenheit haben, mit den Ministerpräsidenten über das von uns anzubietende Abkommen oder die Vereinbarung zu sprechen —, die Stellungnahme der Landesregierungen von kardinaler Bedeutung dafür sein, ob nun endlich ein Schritt voran getan wird oder ob es dabei bleibt, daß letztlich betriebliche und schulische Ausbildung nebeneinanderherlaufen und nicht funktionstüchtig — sich gegenseitig befruchtend und ergänzend — ineinanderpassen.Sicherlich lassen sich auch noch andere Institute, andere Organisationsformen als das Bundesinstitut für Berufsbildung und anderes als das dazu von uns gemachte Zusammenarbeitsangebot denken. Man kann sich vieles vorstellen; das gebe ich gerne zu. Was man nicht kann, ist, mit immer neuen verbalen Anträgen, die nicht zum Beschluß, sondern nur als Material vorgelegt werden,
die Sache vor sich herzuschieben mit dem vielleicht nicht gewollten, aber dann in der Tat eintretenden Endeffekt, daß alles so bleibt, wie es im Augenblick schleift. Es schleift ja am Boden;
es ist ja auch von Ihnen anerkannt, daß da etwas am Boden schleift, sonst würden Sie ja nicht einen fünf- oder sechsseitigen Antrag vorlegen.
Es muß ja — auch in Ihrer Vorstellung — etwas an dieser Sache geändert werden.
— Ich bin ganz sicher, daß Sie darin recht haben.
Was das Wort vom Schleyer-Tanz angeht, so will ich Ihnen eines sagen: Selbst wenn der Herr Reddemann sich sieben Schleier umhängen würde, man würde ihn immer noch erkennen. Er bleibt immer derselbe.
— Ich wollte von der Finanzierung sprechen, aber das Stichwort mit dem Schleyer war zu schön.Gestatten Sie mir nun ein letztes Wort zur Finanzierung. Dieses Haus war sich 1969 bei der Verabschiedung des damaligen Berufsbildungsgesetzes einig, daß die Verbesserung der beruflichen Bildung in Zukunft mit finanzieller Verbesserung Hand in Hand gehen müsse. Ohne Finanzierungsteil — das sage ich auch zu den Vorstellungen, die in Ihrem Antrag enthalten sind — würde das ganze Konzept in der Tat nur ein Torso bleiben; aber auch der Rückgang der Ausbildungsplätze in den Betrieben und die wachsende Nachfrage nach Ausbildungsplätzen durch die auf uns zukommenden geburtenstarken Jahrgänge der Schulabgänger machen ein Finanzierungsinstrument in der Tat unausweichlich. Nun ist die Finanzierungslösung unseres Entwurfs so ausgestaltet, daß einer Mangellage auf dem Ausbildungsmarkt begegnet werden kann. Unsere Finanzierungslösung ist so gestaltet, daß Handwerk und Unternehmen — mir läge wirklich am Herzen, hier immer das Handwerk zuerst zu nennen, nicht aber die Unternehmen, die im Deutschen Industrie- und Handelstag zusammengeschlossen sind;
es geht hier viel mehr um ein Problem des Handwerks, und die Handwerksbetriebe haben auf diesem Gebiet auch sehr viel mehr Erfahrung als ein gewisser Herr Broicher — die Möglichkeit behalten, zunächst auf der Basis des gegenwärtigen sogenannten Finanzierungssystems das vorrangige Ziel der Lehrstellensicherheit zu erreichen. Soweit dieses System nicht ausreichen sollte, greift das im Gesetzentwurf vorgesehene System, das ein maßvolles System ist. Wir betreten hier Neuland. Wir gehen dabei ganz gewiß nicht so weit, wie mancher engagierte Vertreter der Interessen der Arbeitnehmer sich das gewünscht hat. Wir tun aber einen prinzipiellen Schritt — das will ich auch deutlich sagen —, der in der Zukunft, wenn die ersten Erfahrungen vorliegen, ausbaufähig ist.
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Bundeskanzler SchmidtWer aber auf all diesen Gebieten — ich sage es noch einmal: das Finanzierungssystem ist ein ganz wichtiger Aspekt der Sache, genauso wie die Verzahnung zwischen schulischer und beruflicher Ausbildung der Länder und Betriebe — auf den alten Wegen bleiben wollte, muß auch wissen, daß er damit — wenn auch sicherlich ungewollt — einen Beitrag zur späteren weiteren Verschulung der beruflichen Bildung leistete. Letztlich ist berufliche Bildung doch eine öffentliche Aufgabe, und der Staat kann nicht davon absehen, daß er hier Verantwortung trägt. Wenn solche abgewogenen mittleren Wege, wie sie im Gesetzentwurf beschritten werden, also überhaupt nicht beschritten werden sollen, wird der Staat in Gestalt der einzelnen Behörden in den Ländern oder Städten — da er sich ja nicht beiseitestellen kann — gezwungen sein, seine Verantwortung dadurch wahrzunehmen, daß er die unzureichende Zahl betrieblicher oder überbetrieblicher Ausbildungsplätze durch zunehmende schulische Ausbildung ergänzt.Den Satz, den ich eben ausgesprochen habe, habe ich nicht aus dem Herzen meiner Kollegen in der SPD gesprochen, aber ich wollte Ihnen dieses zu bedenken geben. Jemand, der das Beschreiten der aufgezeigten Wege behindert, wird die zuständigen Instanzen im Ergebnis zur weiteren Verschulung der beruflichen Ausbildung zwingen. Ich bitte Sie, das zu durchdenken; ich will es nicht weiter ausführen.Ich möchte die Opposition zum Schluß nicht im Zweifel darüber lassen, daß dieses Bundeskabinett — gerade weil wir so viele Wochen und Monate miteinander über viele Details dieses Konzepts gerungen haben — mit sehr gutem Gewissen sagen kann: Sie müssen damit rechnen — abgesehen von einem Detail hier oder einer Korrektur dort; Frau Schuchardt hat einige angedeutet; ich hätte etwas ähnliches sagen können, wenn ich als freier Abgeordneter hier zu reden gehabt hätte —, daß die sozialliberale Koalition und daß die Bundesregierung diese Sache mit großer Kraft und mit großem innenpolitischem Kraftaufwand vertreten und durchsetzen wollen.
Das Wort hat der bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Herr Dr. Maier.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben festgestellt, daß der Entwurf der Bundesregierung mit Menschen aus der Praxis viele Stunden lang diskutiert worden sei und daß sich in ihm „die Einsicht in anderer Leute Erfahrung" spiegele. Dann wundert es mich doch, Herr Bundeskanzler, daß dieser Entwurf nicht nur von sieben Wirtschaftsverbänden, sondern auch von den vier größten Lehrerverbänden sowie von zahlreichenLändern abgelehnt wird und daß der DGB ihm bis heute nicht zugestimmt hat.
Sie haben sehr stark die Einheit und Geschlossenheit der Bundesregierung in Fragen dieses Entwurfs betont, und Sie hatten nach dem fesselnden Zweipersonenstück Rohde gegen Friderichs, Friderichs gegen Rohde, das monatelang auf dem Bonner Spielplan stand, auch einigen Grund dazu.
Allein in den wenigen Wortmeldungen dieses Morgens aus den Reihen der Koalitionsredner waren aber so viele Widersprüche zu hören — ich erinnere nur an die Rede von Herrn Engholm und an die ganz anderen Vorstellungen, die Frau Schuchardt vorgetragen hat —, daß ich glaube, es wird Ihres Einsatzes auch in der Zukunft noch sehr bedürfen, damit die Beteiligten dieses Gesetz nicht auf Pressekonferenzen unterschiedlich interpretieren.
Hier ist der Sachverstand von Herrn Carstens ein wenig in Zweifel gezogen worden. Ich muß ihn nach dem, was ich soeben gehört habe, verteidigen. Mit einem gewissen Mitgefühl stelle ich fest — auch ich habe es vor Jahren lernen müssen —, daß auch Ihnen die Unterscheidung zwischen Rahmenlehrordnungen, Rahmenlehrprüfungen, Ausbildungsordnungen und Berufsordnungen einige Schwierigkeiten macht.
Der Bundeskanzler hat die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Er muß nicht die Einzelheiten aller Gesetze kennen. Aber wenn er selber radebrecht, sollte er nicht anderen Vorwürfe machen.
Vor allem aber möchte ich einer Behauptung, einer These nicht nur des Herrn Bundeskanzlers, sondern auch des Herrn Bundesbildungsministers, des Kollegen Rohde, hier deutlich entgegentreten. Beide sprechen von diesem Gesetz als von der „Reform", und sie sagen: Von hier und heute und von diesem Gesetz geht die Reform aus, und wer gegen dieses Gesetz ist, der stellt sich gegen die Reform, der verhindert, daß die Reform beginnt. Es gelte, sagte der Bundeskanzler, daß wir uns die Reform nicht vor Interessengruppen aus den Händen schlagen lassen
Meine Damen und Herren, die Reform beginnt gai nicht hier und heute und mit diesem Gesetz. DieseReform hat schon vor langer Zeit begonnen. Die Reform der Berufsbildung ist seit vielen Jahren in Gange: auf der schulischen Seite in den Ländern in der außerschulischen Bildung durch das Berufs
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12639
Staatsminister Dr. Maier
bildungsgesetz von 1969 sowie durch die Planungen der Bund-Länder-Kommission. Ich möchte im Gegenteil hier folgende These aufstellen: Der Regierungsentwurf entwickelt die seit Jahren in Gang befindlichen Reformen in manchen Punkten keineswegs weiter; ja, er wirft sie besonders auf der schulischen Seite der Berufsausbildung zurück. Das wird im einzelnen noch darzustellen sein.Zweitens glaube ich auch nicht, daß die betriebliche Ausbildung durch den Entwurf verbessert wird. Schon gar nicht stimmt es — drittens —, daß dieses Gesetz imstande sei, die Probleme des Mangels an Ausbildungsplätzen und die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit zu lösen.
Das muß im einzelnen dargestellt werden. Ich bitte Sie, mir hierzu einige Minuten Zeit zu geben.Eine Bemerkung noch zu Herrn Rohde. Er hat zu Beginn seiner Begründung ein gutes Wort gesprochen: man solle in dieser Debatte Pauschalurteile vermeiden. Aber, Herr Rohde, Sie selber haben die Behauptung aufgestellt, der Bundesrat habe in seiner Stellungnahme die Einheitlichkeit der Ausbildungsordnungen im Bundesgebiet in Frage gezogen. Ich muß das deutlich zurückweisen. Das ist einfach nicht wahr. Der Bundesrat hat nur bezweifelt, daß der Bund nach dem Grundgesetz die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis zur Regelung der außerschulischen beruflichen Bildung hat. Die Einheitlichkeit der Ausbildungsordnungen ist eine Sache; wer die Einheitlichkeit herstellt, ist eine andere Sache. Sie sind der Meinung: der Bund stellt die Einheitlichkeit her, wir meinen — durchaus in Einklang mit vielen Verfassungsrechtlern —: Bund und Länder. Man darf aber aus verfassungsrechtlichen Bedenken, die geäußert werden, nicht schließen, daß hier gesagt wird: Ausbildungsordnungen können im Grunde von Land zu Land und von Stadt zu Stadt differieren. Das hat der Bundesrat nie gesagt. Wir wollen doch nicht so diskutieren, daß wir hier Türken bauen und wechselseitig falsche Behauptungen aufstellen.
Und noch eine letzte Vorbemerkung. Es ist gesagt worden, Gymnasium und Universität dürften nicht länger „Königspfad" zu allen Privilegien bleiben. Dazu ist zweierlei zu bemerken.Einmal eine keineswegs nur rhetorische Frage: Waren sie es denn je? Herr Engholm, wenn Sie die Geschichte der deutschen Betriebsverfassung wirklich kennten, wüßten Sie, daß die Akademisierung der leitenden Positionen relativ spät eingesetzt hat und daß es im vorigen Jahrhundert, aber noch bis in unser Jahrhundert hinein, eher die Ausnahme war, daß man über akademische Zugänge in führende Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft gekommen ist. Wir sollten auch sozialgeschichtlich die ältere Vergangenheit nicht schlechtmachen und sollten nicht 'behaupten, daß schon im 19. Jahrhunderteine Akademisierung stattgefunden habe. Das ist einfach nicht so.
Wenn Sie aber sagen: in Zukunft müssen auch die Berufsschulen ausgebaut werden, in Zukunft muß mehr für das berufsbildende Schulwesen getan werden — da stimmt Ihnen die Union ja voll zu —, dann stelle ich eine zweite nicht nur rhetorisch gemeinte Frage: Wer hat denn im Bildungsbericht 1970 das Ziel proklamiert, 50 % eines Altersjahrgangs sollten das Abitur II machen?
Woher soll denn dieses Mehr gegenüber den jetzigen 12 % kommen?
Doch aus solchen, die sonst in eine berufsbildende Ausbildung gegangen wären! Ihre Bildungspolitik — das muß um der historischen Wahrheit willen festgehalten werden — ging also 20 Jahre lang darauf aus, immer mehr junge Menschen aus der beruflichen Ausbildung herauszunehmen und sie in die allgemeinbildenden Schulen hinüberzunehmen.
Damit haben Sie den „Königsweg" Gymnasium-Abitur gerade erst festgetreten und gepflastert.
Die Folgen bekommen wir alle heute zu spüren, weil ja diejenigen, die heute vor den geschlossenen Türen der Hochschulen stehen, den anderen, den Hauptschülern, den Realschülern, die Plätze wegnehmen.
Darüber wird nachher noch zu sprechen sein. Ich wehre mich entschieden dagegen, daß man mit Reizworten wie „Gymnasium", „Universität" und „Königsweg" eine Verbindung zur Union herstellt. Die Unionspolitik war genau die gegenteilige, und wir sind noch im letzten Landtagswahlkampf in Bayern beschimpft worden, weil wir davor gewarnt haben, die Zahl der Abiturienten uferlos zu steigern.
Ich habe vorhin gesagt, der Regierungsentwurf schwäche die schulische Berufsbildung. Ich glaube, als Autor des ersten Berufsbildungsgesetzes, das ein deutsches Land 1972 veröffentlicht hat, weiß ich, wovon ich rede.Meine Damen und Herren, ich gehöre nicht zu denen, die mit dem Ruf „Hie gut duales System allerwege!" die Probleme der Berufsbildung für schon gelöst ansehen. Ich bin mir sehr bewußt und habe das seit vielen Jahren vertreten, daß das duale System auch Schwächen aufweist. Grundsätzlich wollen wir am dualen System festhalten, weil es ja in hervorragender Weise die Vorzüge der unmittelbaren Anschauung fertigungstechnischer und wartungstechnischer Vorgänge, gepaart mit dem unmittelbaren Erleben betrieblicher Abläufe auf der einen
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Staatsminister Dr. Maier
Seite, mit der entsprechenden fachtheoretischen Untermauerung in der Berufsschule auf der anderen Seite miteinander verbindet.Das duale System hat sicher auch Mängel und muß weiterentwickelt werden. Die starre Einteilung in vier Tage betrieblicher und einen Tag schulischer Arbeit hat in einer Vielzahl von Berufen dazu geführt, daß die bereits jetzt, aber erst recht für die Zukunft notwendige breite fachtheoretische Basis nicht mehr geschaffen werden kann. Deswegen die Reformvorhaben der Länder, die ja seit vielen Jahren laufen; deswegen der Übergang zum Block- und Phasenunterricht, der Übergang zum Berufsgrundschuljahr und zum Berufsgrundbildungsjahr.Ich frage Sie, meine Damen und Herren: 1. Welcher SPD- oder FDP-Parteitag hat sich je zum Berufsgrundbildungsjahr und Berufsgrundschuljahr in der Weise bekannt, wie ich es Ihnen etwa vom Münchner CSU-Parteitag 1974 ohne weiteres hier vorlesen kann? Es gibt keine Parteitagsbeschlüsse dieser Art.2. Warum hat die Bundesregierung nicht die Möglichkeiten genutzt, innerhalb des Berufsbildungsgesetzes von 1969 den Reforminitiativen der Länder Sukkurs zu bieten? Sie hat das nicht getan. Die Anrechnungsverordnung für das Berufsgrundbildungsjahr kam sehr, sehr spät.Meine Damen und Herren, für mich ist es ein wichtiger Punkt: Ich höre, die Anrechnungsverordnung soll jetzt auf ein halbes Jahr Anerkennung abgeschwächt werden. Ich begrüßte es sehr, wenn die Bundesregierung dazu Stellung nähme; denn wenn ich heute versuche, das Berufsgrundschuljahr in Bayern weiter voranzutreiben, sagt mir die Wirtschaft: Aber die Bundesregierung hat ja vor, das abzubauen, die Anrechnungsverordnung wird abgeschwächt werden!Ich möchte eine klare Stellungnahme der Bundesregierung, ob sie einen Reformabbau in diesem Bereich vorhat.
Die Bundesregierung hat die Reformen im schulischen Bereich auch im Bereich der Berufsfelder nicht genügend unterstützt. Meine Damen und Herren, es wird viel von der Sabotage der Wirtschaft gegenüber dem Berufsgrundbildungsjahr gesprochen. Die Anerkennungsbereitschaft der Wirtschaft hängt aber ganz stark von dem Zuschnitt der Berufsfelder und der entsprechenden berufsfeldbezogenen Grundbildung ab.Wir haben im Augenblick nur elf Berufsfelder. Wir haben in der Union immer die Meinung vertreten: Das ist zu wenig; denn dann werden die Berufsbilder so weit und so unspezifisch, daß natürlich die spezielle Ausbildungsleistung, welche die Wirtschaft erwartet, um das auf den Lehrvertrag umrechnen zu können, nicht erbracht wird. Es mag ja noch gehen in einem Berufsfeld wie Metall, wo es sehr viele Metallberufe gibt. Aber wenn ich etwa Brauer, Mälzer, Fotografen, Textillaboranten, Weinhandelsküfer zusammenrinnen lasse in einem Berufsfeld „Chemie, Physik, Biologie", dann hört derSpaß einfach auf. Hier hätte die Bundesregierung handeln können!
Hier hat sie die Länder schmählich im Stich gelassen.Wir sind uns doch einig, daß die außerschulische Berufsbildung nicht verbessert werden kann, wenn nicht auch die schulische Bildung verbessert wird. Die Berufsschule ist ja das Fundament für alles.Ich frage auch hier, was die Bundesregierung — die Frage geht an den Wirtschaftsminister — in bezug auf die Berufsfelder vorhat.Daß nichts geschehen sei, kann man gleichwohl nicht sagen, Herr Kollege Rohde. Immerhin sind seit 1969 44 Ausbildungsordnungen von der Bundesregierung erlassen worden. Das sei anerkannt. Aber sie sind leider mit den Ländern nicht abgestimmt worden, obwohl es im Bundesberufsbildungsausschuß möglich gewesen wäre.Bis heute besteht die Schwierigkeit — ich komme gleich im zweiten Teil darauf zurück —, daß die Rahmenlehrpläne der Länder in der Tat mit diesen Ausbildungsordnungen nicht harmonieren. Ich bitte aber doch zu sehen, daß das ein Versäumnis von seiten des hier allein Verordnungsberechtigten ist, nämlich des Bundes und der Bundesregierung.Ich möchte, um diesen Teil abzuschließen, nochmals ganz deutlich die Frage stellen: was meint die Bundesregierung zur Zukunft des Berufsgrundbildungsjahres und des Berufsgrundschuljahres? Denn man kann ja nicht so tun, als ob seit Jahren in diesem Gebiet der schulischen Berufsbildung nichts Neues geschehen sei; ja, man muß zunächst einmal den von mir erhärteten und begründeten Verdacht widerlegen, man sei an einer Reform in diesem Bereich gar nicht interessiert.Ich habe vorhin gesagt: nicht nur im schulischen Bereich, sondern auch im außerschulischen Bereich bringt das Gesetz keine wirksamen Verbesserungen. Ganz im Gegenteil, die Ausbildung im Betrieb wird erschwert.Dies einmal dadurch, daß die Eignungsanforderungen für die Ausbildung in einer Weise bestimmt werden, die, wie ich meine, keinen Bezug zu betrieblichen Notwendigkeiten mehr hat. Man kann aber die Berufsausbildung nicht exakt nach der schulischen konstruieren.Zweitens gibt es eine Erschwerung dadurch, daß die Prüfungsvorgänge in einer Weise aufgesplittert und atomisiert werden, daß der Ausbildungsabschluß seinen Charakter als Gesamtqualifikation verlieren muß, — ein wichtiger Punkt!Drittens fehlt dem Entwurf ein durchgreifendes und wirksames Instrument für die Abstimmung zwischen Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen. An dieser mangelnden Abstimmung krankt ja in der Tat bis heute, wie von allen anerkannt wird, auch vom Bundesrat, das Gesetz von 1969.Endlich, viertens, werden die Ausbildungsbetriebe durch den starken Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten im Gesetzentwurf nicht so sehr er-
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gänzt und abgerundet — das wäre durchaus in unserem Sinn, das kann in vielen Bereichen, besonders denen des Handwerks, durchaus vernünftig sein —, sie werden vielmehr zu einem System, das die Tendenz in sich hat, die betriebliche Ausbildung zu absorbieren und zu ersetzen; aus dem dualen System wird dann ein triales System mit drei Lernorten.Zunächst zum ersten Punkt: die Eignungsanforderungen für die Ausbildung. Auch hier will ich nicht verkennen, daß Verbesserungen notwendig sind. Schon das Gesetz von 1969 geht davon aus, daß hier das Niveau schrittweise gehoben werden soll und daß man auf diese Weise dann die wirklich zur Ausbildung ungenügenden Betriebe und Ausbilder allmählich ausscheidet.Auch der Bildungsgesamtplan sieht das vor, und die Stellungnahme der Unionsländer im Bundesrat lehnt eine Anhebung keineswegs ab. Ich sage das in Erwiderung auf die Einwendungen der Bundesregierung zu dieser Stellungnahme. Sie wenden sich nur gegen eine unangemessene Ausweitung formalisierter und durch Prüfungen zu belegender Eignungsnachweise.Außerdem wenden sie sich — das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt — gegen die unzureichenden Übergangsbestimmungen für bereits tätige Ausbilder. Das ist heute das Hauptproblem. Denn wir verhandeln diese Frage ja nicht im luftleeren Raum. Berufsbildung ist keine erzwingbare Leistung. Sie beruht wesentlich auf der Motivation der Bereitschaft der Beteiligten und der Bereitschaft der Ausbilder.Ich wundere mich, warum die Koalition aus unseren Erfahrungen mit der Lehrerbildung in den letzten zehn Jahren nichts gelernt hat. Man hat den alten Allround-Lehrer allmählich beseitigt — das war gewiß nötig —, man ist aber sicher zu weit gegangen in der Richtung einer fachspezifischen Ausbildung bis in die Grundschule hinunter. Wir sehen heute, daß wir bei fortschreitendem Geburtenrückgang diesen spezialisierten Lehrer gar nicht mehr sinnvoll einsetzen können. Wir bräuchten jetzt wieder einen etwas weiter zugeschnittenen Lehrer. Sie machen den gleichen Fehler bei den Ausbildern. Vergessen Sie nicht, auch das Tal der nächsten Jahre mit den großen Jahrgängen endet eines Tages, und zwar schon früher als die Überfüllung der allgemeinbildenden Schulen; dort geht sie ja noch bis zum Ende der 70er und in den Universitäten bis zur Mitte der 80er Jahre.Wenn Sie dann das Ausbildungsniveau so stark spezialisiert haben, wie das der Entwurf vorsieht, werden Sie am Ende die alten Ausbilder herausgedrängt haben, die neuen aber sind unter den veränderten Umständen — gerade, wenn Sie die Klein-und Mittelbetriebe mit heranziehen wollen, was ja der Entwurf will — nicht mehr verwendbar.
Der zweite Punkt betrifft das Prüfungswesen. Ich meine, daß hier die Einheitlichkeit im Prüfungswesen nicht nur im Regierungsentwurf nicht gesichert ist; ich meine, die Zersplitterung sowohl in der Durchführung von Prüfungen wie auch in der Anrechnung von Teilprüfungen führt zu einer Auflösung des gesamten Prüfungsvorgangs.Auch hier bitte ich doch die Zusammenhänge mit dem allgemeinbildenden Schulwesen zu sehen. Auch dort haben die pädagogischen Erkenntnisse dazu geführt, daß man nicht mehr die Prüfungsvorgänge so stark splittet wie in den vergangenen zehn Jahren. Aus Amerika, aus der neuesten Pädagogik, sogar aus der linken, kommt jetzt gerade die umgekehrte Bewegung: nämlich den Charakter der Prüfung, der Schwelle, auch der Überwindung der Schwellenangst, wiederherzustellen. Ich will nicht in die Einzelheiten eingehen; „Frustrationstoleranz" heißt das pädagogische Stichwort.Jedenfalls sollte man hier die weiche Welle der allgemeinbildenden Schulen aus den 60er Jahren doch nicht unnötig wiederholen, ganz abgesehen davon, daß Sie alle, auch die Gewerkschaften, personell überfordern, wenn Sie die Prüfungsvorgänge so splitten; denn so viel Prüfer stehen nun einmal einfach nicht zur Verfügung.Dritter Punkt: das Abstimmungsverfahren zwischen Bund und Ländern. Meine Damen und Herren, es ist vorhin sehr viel gesprochen und auch viel gerätselt worden über den gewaltigen Graben, die kaum zu überwindende Kluft, die hier zwischen der Stellungnahme des Bundesrates und dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion liegen soll. Darf ich zur Versachlichung beitragen, indem ich folgende Feststellungen mache:Das Kernstück einer Reform der beruflichen Bildung ist in der Tat — darüber besteht sicher Einigkeit in diesem Haus — eine wirksame Abstimmung der Maßnahmen von Bund und Ländern, besonders eine Abstimmung zwischen Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen. Das ist zunächst die These, von der wir alle ausgehen können, und hier besteht keinerlei sachlicher Unterschied zwischen dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion und der Stellungnahme des Bundesrates. Es besteht auch Übereinstimmung darüber, daß die Abstimmung nur außerhalb des Berufsbildungsgesetzes durch eine Vereinbarung von Bund und Ländern geregelt werden kann. Der Antrag des Bundesrates stellt das Verfahren der Abstimmung dar. Dem fügt der Antrag der CDU/CSUFraktion hinzu, daß die Abstimmung in einer durch die Vereinbarung zu errichtenden Zentralstelle für berufliche Bildung vorgenommen werden soll. Der Bundesrat hat sich bezüglich der organisatorischen Ausgestaltung bekanntlich nicht festgelegt. Der CDU/CDU-Antrag verdeutlicht ferner gegenüber dem Bundesratsantrag, daß die Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne in der Zentralstelle gemeinsam von Bund und Ländern erarbeitet und abgestimmt werden. „Tant de bruit pour une omelette", kann ich nur sagen. Man hat hier wahre Gräben und unüberbrückbare Unterschiede gesehen.Meine Damen und Herren, zunächst einmal finde ich es normal und legitim, daß die Länder im Bundesrat aus ihrer Interessenlage und ihrer verfassungspolitischen Verantwortung argumentieren und daß eine Fraktion im Deutschen Bundestag das aus ihrer Verantwortung tut. Es ist ja nicht ganz glaub-
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würdig, wenn die SPD auf der einen Seite den Bundesrat prügelt, wenn er sich zu nahe an die Linie der CDU/CSU hinbewegt,
und jetzt, wo er einmal eine gewisse Selbständigkeit einzunehmen scheint, ist das auch wieder unrecht. Meine Damen und Herren, Sie werden unglaubwürdig!
Der Verfassungsgesetzgeber hat nicht eine Kammer gewollt, sondern zwei Organe,
und dann sollten Nuancen zwischen beiden durchaus als ein bereicherndes Element unserer politischen Wirklichkeit begrüßt und nicht verdammt werden, wenn es einem gerade ins Konzept paßt.
Der letzte Punkt in diesem Bereich betrifft die überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Meine Damen und Herren, über die überbetrieblichen Ausbildungsstätten besteht ja, vor allem in der Bund-LänderKommission, im Grundsatz Einigkeit zwischen Bund und Ländern. Wichtig scheint mir nur zu sein — unabhängig vom Streitpunkt: dritter Lernort oder betriebsergänzende Funktion —, daß man sich über die Kriterien dieser überbetrieblichen Werkstätten klar ist.Zunächst: Überbetriebliche Ausbildungsstätten kommen nur für einen Teil der Ausbildungsberufe zum Zuge, nämlich für solche — ich brauche es hier nicht näher auszuführen —, deren Ausbildungsordnungsmittel auf Grund der Struktur der zu vermittelnden Fertigkeiten und Kenntnisse einen klar trennbaren Abschnitt beruflicher Grundbildung aufweisen. Das ist also hauptsächlich in der Metallverarbeitung, auch bei den elektronischen Berufen und bei verschiedenen handwerklichen Berufen der Fall. Bei anderen Ausbildungsberufen von geringerer Besetzungsdichte — z. B. beim Hotel- und Gaststättengewerbe und einem Großteil auch der kaufmännischen Ausbildungsberufe — kommen solche überbetrieblichen Werkstätten ohnehin nicht in Betracht.Und nun meine ich, es muß im Interesse der Auszubildenden sichergestellt sein — auch darüber hätte ich gern ein Wort der Bundesregierung gehört —, daß die betriebliche Fachbildung, also in der Regel das zweite und dritte Ausbildungsjahr, in einem in entsprechender räumlicher Nähe gelegenen Ausbildungsbetrieb fortgesetzt werden kann. Wenn wir uns nicht nur in Worten, sondern auch als Gesetzgeber zum dualen System bekennen, dann muß der Betrieb als spezifischer Erfahrungsort — nicht nur als Lernort! — seine Stelle darin haben. Betriebliche Erfahrung, die vor allem soziale und nicht nur fachliche Erfahrung ist, kann nicht simuliert werden.
Eine überbetriebliche Werkstätte tendiert ja von Natur aus immer zu schulischen Formen. Damit kapselt sie sich zunächst einmal von der praktischentechnischen Betriebsentwicklung ab. Die Erfahrungen der Kultusminister mit den Fachoberschulen und mit in die Schulen eingelagerten Praktika sprechen hier eine deutliche Sprache.
Auf der anderen Seite — ich wiederhole das noch einmal — wollen wir den Betrieb ja als einen sozialen Erfahrungsort und wollen nicht, daß sich diese überbetrieblichen Werkstätten verselbständigen. Dazu, glaube ich, müßte im Entwurf der Bundesregierung ein deutlicheres Wort gesagt werden.Ich komme jetzt zur entscheidenden Frage und zum dritten und abschließenden Teil meiner Ausführungen: Trägt dieser Gesetzentwurf dazu bei, zwei entscheidende Probleme zu lösen, die sich heute im Bereich der beruflichen Ausbildung stellen: nämlich den Mangel an Ausbildungsplätzen und die, wie auch ich meine, erschreckend zunehmende Jugendarbeitslosigkeit? Der Herr Bundesminister Rohde wird nicht müde, seinen Entwurf als die Lösung all dieser Probleme anzupreisen; der Bundeskanzler hat ihm vorhin sekundiert. Die Bundesregierung versucht diejenigen, die Bedenken äußern, in eine Art Abseits zu drängen, indem sie den Eindruck erweckt: Wer gegen den Entwurf ist, perpetuiert die Ausbildungsnot der Jugend und verewigt die Jugendarbeitslosigkeit.
Hier möchte ich einmal ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung ist uns jeden Beweis schuldig geblieben, daß dieser Entwurf zur Vermehrung der Ausbildungsstellen beiträgt
und ein Mittel zur Eindämmung der Jugendarbeitslosigkeit darstellt. In Klammern sei angemerkt: Wenn ich heute in Bayern versuche, ein Berufsgrundschuljahr gerade für Jungarbeiter zu entwikkeln, dann kommt mir die Bundesregierung mit ihrer Tendenz, die Anrechnungsverordnung zurückzunehmen oder auf ein halbes Jahr zu verkürzen, entscheidend in die Quere — bei einem Vorhaben, bei dem mich übrigens auch der bayerische DGB unterstützt.
Auch dazu möge man bitte einmal Stellung nehmen!Aber zunächst zur Frage der Berufsausbildung. Meine Damen und Herren, man muß hier zunächst eine Legende wegräumen, zerstören: Die Kosten der Berufsausbildung waren und sind nicht der entscheidende Punkt für die Frage, ob die Betriebe ausbilden oder nicht. Hier hat schon die Arbeit der Sachverständigenkommission zweierlei erwiesen: Einmal mußten die Ausbildungskosten bei den Betrieben erst erhoben werden. Wären die Kosten sozusagen der Kulminationspunkt der Ausbildungsentscheidung gewesen, dann hätten die Betriebe diese Daten mit Sicherheit früher schon selbst er-
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mittelt. Zum anderen ist durch die Betriebserhebung der Sachverständigenkommission, aber auch durch viele Untersuchungen anderer Institute bei den Betrieben heute in der Tat eine Art Kostenbewußtsein für ihre Ausbildungstätigkeit erwachsen. Konstruiert man derzeit eine Indikatorenreihe für die Ausbildungsentscheidung eines Betriebs, müßte sie etwa so lauten: 1. Nachwuchsbedarf, 2. Eignung des Betriebes als Ausbildungsstätte, 3. Vorhandensein geeigneter Ausbildungsplätze, 4. Qualifikation der Bewerber und erst 5. Kosten der Berufsausbildung. Wenn man bei den Kosten einsetzt, trifft man also nicht den Kern der Motivation oder mangelnden Motivation; das möchte ich deutlich sagen. Es ist schon aus dem Gutachten der Sachverständigen herauszulesen.Ein zweites Argument muß, wenn nicht weggeräumt, so doch differenziert werden: Am meisten verwendet für ein kollektives Finanzierungssystem wird ja der Gedanke des Lastenausgleichs zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben.Ich bin dem ein wenig nachgegangen. Die Begründung resultiert wieder aus dem Abschlußbericht der Sachverständigenkommission. Danach bilden im Bereich der Industrie- und Handelskammern 10 bis 11 °/o der kammerzugehörigen Betriebe aus; im Bereich der Handwerkskammern tun dies etwa 25 % der kammerangehörigen Betriebe. Es ist ja bekannt, daß das Handwerk ausbildungsintensiver ist. Als gewogenes Mittel aus diesen beiden Prozentsätzen hat man einen Wert von 16 % ermittelt. Dieser Wert von 16 % geistert durch den Gesetzentwurf und durch alle Diskussionbeiträge.Diese Statistik wirkt im ersten Augenblick verständlich. In Wahrheit handelt es sich aber doch um eine beachtliche Augentäuschung. Es kommt nämlich entscheidend darauf an, wie viele Arbeitnehmer bei den 16 % Ausbildungbetrieben tatsächlich beschäftigt sind. Es läßt sich aus dem Gutachten der Sachverständigenkommission und aus Materialien des Statistischen Bundesamtes eindeutig folgern: das sind 70 bis 80 % aller Arbeitnehmer.
Die Argumentation ist also falsch, daß gewissermaßen nur sechzehn Prozent ausbilden und man der übergroßen Zahl der übrigen einen Ausgleich schaffen müßte. Man darf nicht die Zahl der Betriebe, sonderen muß die Zahl der Auszubildenden zugrunde legen;
dann zeigt sich daß die Ausbildungsbereitschaft relativ gleichmäßig verteilt ist — mit zwei kleinen Einbrüchen, nämlich bei den Betrieben zwischen 100 und 200 und bei Betrieben unmittelbar unter der Tausendergrenze.Wie das Finanzierungsmodell der Bundesregierung dazu beitragen soll, gerade diese etwas langsamer fahrenden Schiffe wieder in den Geleitzug einzuordnen, das bleibt ihr Geheimnis. Ich möchte doch einmal ganz klar die Zahlen wissen, wie dieses Finanzierungsmodell überhaupt bei der so von mir geschilderten Struktur der Wirtschaft wirken kann.Ich behaupte, daß es gar nichts verbessert, daß es zwar einen Anreiz für diejenigen schafft, die schon gut ausbilden, auf der anderen Seite jedoch die Demotivierung bei denjenigen fortsetzt, die nicht ausbilden.
Denn dort liegt der Kern eindeutig bei dem in der gegenwärtigen Konjunkturlage sicher zu hoch gesteckten Anforderungsniveau an die Ausbilder.Meine Damen und Herren, wenn wir uns heute in den Universitäten überlegen, wie wir durch den gewaltigen Studentenberg bis 1985 hindurchkommen, und wenn Bund und Länder gemeinsam bereits jetzt eine Überbelegungsquote bis zu 15 % vereinbaren, dann sollte man auf der anderen Seite bei den Betrieben, wo man das gleiche sieht, nicht den Purismus in der Ausbildung so weit treiben, daß man sagt: Die springen über die Klinge; die können eben nicht ausbilden.
Wie gesagt: Es wird nicht gelingen, durch die Hintertür der Finanzierung das zu ersetzen, was man mit dem Zuschlagen der Vordertür verloren hat.
Nun zum Punkt der Jugendarbeitslosigkeit: Auch hier wurde von der Bundesregierung — von verschiedenen Sprechern auch in dieser Debatte — gesagt, daß man über dieses Gesetz zu einem längerfristigen Abbau, zumindest zu einer Kanalisierung der Jugendarbeitslosigkeit kommen könne.Meine Damen und Herren, auch hier fehlt jeder Beweis. Die Bundesregierung widerspricht sich hier selbst; denn in ihrer Analyse der Jugendarbeitslosigkeit sagt sie gerade, daß es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen der Ausbildungssituation und der Jugendarbeitslosigkeit gibt. Ich darf hierzu mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem „Bulletin" vom 28. Januar 1975 zitieren:Die Bundesregierung rechnet auch nicht damit, daß sich auf längere oder mittlere Sicht in der Bundesrepublik eine strukturelle Jugendarbeitslosigkeit einstellen wird. Hierfür spricht der auf absehbare Zeit andauernde Arbeitskräftemangel, bedingt durch die nur noch wenig ansteigende Erwerbspersonenzahl und die von der Bundesregierung beschlossene Konsolidierungspolitik im Bereich der Ausländerbeschäftigung.Woher stammt also die Annahme, daß dieses Gesetz die Verhältnisse im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit verbessern könne?Meine Damen und Herren, ich möchte meinen, zugegebenermaßen, flüchtigen Rundgang durch diesen Gesetzentwurf abschließen und mit einer grundsätzlichen Bemerkung enden: Ich meine, daß sich in diesem Gesetzentwurf ein Denkfehler wiederholt, len ich auch in der Hochschulpolitik der sozialliberalen Koalition und der SPD und der FDP sehe. Man versucht, ein Problem — Ausbildungsnot —, das seinen Ursprung in gesellschaftlichen Vorgängen Ind Bewegungen hat und das nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer, nicht nur mechanischer, sondern auch psychologischer Natur ist, durch Einsatz staatlicher Lenkungs- und Zwangsmittel und
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durch eine Reihe institutioneller Patentlösungen, die man nun verteidigt wie Shylock sein Pfund Fleisch, in den Griff zu bekommen.In Wahrheit kuriert man mit riesigem Personal- und Organisationsaufwand an Symptomen herum. Meine Damen und Herren, man meint, es sei ein Problem der Organisation. In Wahrheit ist es ein Problem des Vertrauensschwundes in diesen Staat, in diese Bundesregierung. Man schafft neue Gremien. In Wahrheit gälte es, persönliche Initiative wieder zu beleben. Man ersetzt die Selbstverwaltung teils durch den Staat, teils durch paritätisch zusammengesetzte Gesellschaftskräfte. In Wahrheit müßte man nur die vorhandenen Kräfte wirksamer machen und reformieren. Man baut eine Fülle von neuen gesetzlichen Bestimmungen, von Gremien, von Stellen auf, genau wie seinerzeit in der Hochschulpolitik. Dort hieß es damals: Morgen ist dieses Problem gelöst, wenn wir erst den Präsidenten haben, wenn die Drittelparität verwirklicht ist, wenn alle Fakultäten in Fachbereiche umgewandelt sind. Was ist geschehen? Von den wirklichen Problemen quantitativer und qualitativer Art haben wir — ich schließe die Länder durchaus ein — mit diesen Methoden noch nichts gelöst.
Meine Damen und Herren, die Enttäuschung ist bei solchen Gesetzentwürfen, die sich die Aufgaben der Analyse und der Berücksichtigung der Motive zu leichtmachen und sofort auf institutionelle Patentlösungen zusteuern, schon einprogrammiert. Wir haben heute den Zorn und die Enttäuschung der jungen Abiturienten, denen man vor 1970 eingeredet hat — gerade die Bundesregierung —, daß sie zu 50 % des Abitur erwerben können und die Hälfte von ihnen in akademische Positionen kommen kann. Wie groß wird erst der Zorn der jungen Menschen sein, denen man eingeredet hat, es bedürfe nur eines neuen Berufsbildungsgesetzes, dann sei es mit der Ausbildungsnot und mit der Jugendarbeitslosigkeit zu Ende!
Die Union und auch der Bundesrat lehnen eine neue gesetzliche Regelung sicher nicht ab. Sie glauben aber nicht, daß dieser Gesetzentwurf ein Weg zu dem von uns gewünschten Ziel sein kann. Wir werden nicht müde werden, unsere Stimme rechtzeitig warnend zu erheben gegen eine Reform, die keine ist.
Das Wort hat der Senator für Bundesangelegenheiten der Freien und Hansestadt Hamburg, Herr Steinert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung erfordert, insbesondere nach dem Diskussionsbeitrag meines Kollegen Maier, der für die Mehrheit des Bundesrates, also die CDU/CSUregierten Länder, gesprochen hat, eine Stellungnahme, damit nicht der Eindruck entsteht, als sei das, was soeben gesagt wurde, die Auffassung des Bundesrates insgesamt.Kollege Maier, Ihre Bemerkungen zum Schluß, daß Sie auch ein Gesetz für erforderlich hielten, haben mich wieder hoffnungsvoll gestimmt,
obwohl ich sehr deutlich sehe, daß zwischen Ihrer Stellungnahme im Bundesrat und der Stellungnahme der Bundestagsfraktion der CDU/CSU in der Sache ganz erhebliche Unterschiede bestehen, insonderheit bei den Aussagen zur Finanzierungsregelung und ihren Wirkungen.
Auch das, was Sie — um das an einem anderen Beispiel zu demonstrieren — zum Berufsgrundbildungsjahr gesagt haben
— Sie können gerne Fragen stellen; ich werde Ihnen darauf gerne antworten —,
entbehrt insoweit der Grundlage, als all jene, die Praxisbezug haben, wissen, welche Einwände die ausbildende Wirtschaft in diesem Bereich hat. Hier von Reformabbau zu reden, wenn es darum geht, ernsthafte Einwände der ausbildenden Wirtschaft zu prüfen und möglicherweise Veränderungen herbeizuführen, halte ich für bildungspolitische Perfidie.
Insoweit stimme ich sogar mit Ihrem Kollegen der Bundestagsfraktion, Anton Pfeifer, überein, der in einer Pressemeldung am 5. April 1975 ausdrücklich gesagt hat: „Die Bundesregierung muß die Anrechnungsverordnung für das Berufsgrundbildungsjahr so ändern, daß der Übergang in die berufliche Fachbildung erleichtert wird",
und zwar genau aus denselben Gründen, warum Bildungspolitiker und Fachleute in den Betrieben diese Anrechnungsverordnung heute diskutieren, nämlich im Hinblick auf die Frage, ob es wirklich möglich ist, ein schulisch durchgeführtes Berufsgrundbildungsjahr voll zur Anrechnung zu bringen, ohne daß mehr als ein Drittel Fachpraxis im schulischen Bereich realisiert wird. Das ist doch zumindest eine ernsthafte Fragestellung, die unter Bildungspolitikern, unabhängig vom parteipolitischen Kalkül, im Interesse der Jugendlichen ausdiskutiert werden muß, damit man dann entsprechende Veränderungen vornehmen kann.
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Senator Steinert
Ich verstehe dies um so weniger, Kollege Maier, als bei der Verabschiedung des Berufsgrundbildungsjahres die Frage der Zahl der Berufsfelder in der Tat quer durch alle Parteien und Länder kontrovers diskutiert worden ist. Wir haben uns letztlich, übrigens auch im Bundesrat einstimmig, auf die jetzige Zahl der Berufsfelder verständigt und einstimmig die Bundesregierung gebeten, nach einem vollen Durchlauf, d. h. nach Ablauf von drei bis vier Jahren, einen Bericht darüber vorzulegen, wie die Erfahrungen mit dem Zuschnitt der Berufsfelder aussehen und wie diese Anrechnungsverordnung möglicherweise verändert werden müßte.
— Nein, müßten wir nicht. Wir müssen wirklich die Kraft haben, diesen Durchlauf einmal zu vollenden, d. h., die Erfahrungen mit der Anrechnungsverordnung aus drei bis vier Jahren auf den Tisch legen, um nicht wieder in die Gefahr zu geraten, eine Anrechnungsverordnung und einen Zuschnitt der Berufsfelder zu bekommen, die wir spätestens nach einem Jahr wieder verändern. Meine Damen und Herren, damit ist den jungen Menschen auch nicht gedient. Niemand in diesem Hause und im Bundesrat leugnet die Probleme mit dieser Anrechnungsverordnung, aber wenn wir sie ändern, sollten wir doch den Versuch machen, möglichst viele Erfahrungen aus der Praxis einzubringen. Dies bedeutet in der Tat nicht nur ein Berufsgrundbildungsjahr, sondern auch die darauf aufbauenden Fachstufen durchlaufen zu lassen, um am Ende sagen zu können, wie sich denn im Gesamtkontext eines Ausbildungsberufes auf der Grundlage eines Berufsfeldes dieses auf die Qualität der Auszubildenden ausgewirkt hat, wie sie durch die Prüfungen gegangen sind.Ich vermag auch nicht einzusehen, Kollege Maier, wenn Sie hiermit, wie mir scheint, zu undifferenzierten Formulierungen davon reden,
daß die Prüfungsvorgänge in unzulässiger Weise im Gesetz aufgesplittert werden. Was die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vernünftigerweise will, ist die Einführung von Teilprüfungen. Sie will dies vernünftigerweise aus pädagogischen Gründen, weil wir doch beim heutigen System — lassen Sie es mich einmal in ein Bild kleiden — eine Kletterstange haben, bei der der Jugendliche gezwungen wird, sich vom ersten Ausbildungsjahr bis zum dritten oder über dreieinhalb Jahre hochzuhangeln. Wenn er dann durch die Prüfung fällt und auch die Wiederholungsprüfung nicht besteht, rutscht er hinunter bis zum Punkt Null. An die Stelle dieses im Prinzip sehr unsinnigen und im Interesse der Jugendlichen nicht sehr hilfreichen Systems soll mit dem Element der Teilprüfung eine Treppe gesetzt werden, die es dem Jugendlichen ermöglicht, in kleineren Schritten Stufe für Stufe zu ersteigen, damit er nicht wie beim jetzigen System,falls er die Prüfung nicht besteht, wieder auf den Boden hinunterrutscht.
Eine weitere Bemerkung. Sie befürchten, daß das duale System zu einem trialen System wird, weil der Gesetzentwurf der Bundesregierung völlig zu Recht die überbetrieblichen Ausbildungsleistungen und -stätten einbezieht und regelt. Meine Damen und Herren, wenn Sie den Lernort Betrieb — und darüber gibt es offenbar in diesem Hause und auch im Bundesrat keinen Zweifel — auf lange Frist erhalten wollen, müssen Sie auch bereit sein, die Schwächen, die der Lernort Betrieb zugegebenermaßen hat, so auszugleichen, daß das Prinzip der betrieblichen Ausbildung nicht in Frage gestellt wird. Ich sage das deshalb so nachdrücklich, weil ich die Verschulung der Berufsausbildung für keine Alternative halte,
weil ich zutiefst davon überzeugt bin, daß die betriebliche Berufsausbildung ein pädagogisches Prinzip auf Dauer sein muß, das uns eine Ausbildung garantiert, bei der die Jugendlichen — im Gegensatz zur Situation an der Universität und der Hochschule — vor der Käseglocke bewahrt werden.
Kollege Maier, diese Ergänzung des Lernortes Betrieb mit überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen haben die Länder in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung einmütig gebilligt.
Ich verstehe deshalb Ihre Einlassung und Ihre Replik hier um so weniger.
Und wenn Sie sagen, die Reform hätte seit langem begonnen, frage ich Sie: Was hat denn diese seit langem begonnene Reform im Hinblick auf die Qualitätsunterschiede der Berufsschulen unter den Ländern oder der Betriebe bewirkt, was hat denn die Reform im Hinblick auf das Thema „Jugendarbeitslosigkeit" bewirkt? Das, was Sie „begonnene Reform" nennen, hat uns vor diesen strukturellen Problemen der Berufsbildung bis zur Stunde nicht bewahrt,
und deshalb bedarf es dringend eines solchen Gesetzes.
Meine Damen und Herren, es besteht überhaupt kein Zweifel, daß das Berufsbildungsgesetz zustimmungsbedürftig ist und daß wir insoweit auch im Bundesrat einen Konsens finden müssen, aus dem meines Erachtens kein Land entlassen werden darf, weil die Reform der Berufsbildung eben nicht allein im außerschulischen Bereich — im wesentlichen in den Betrieben —, sondern im Zusammenhang mit den Berufsschulen stattzufinden hat. Insoweit hat die Bundesregierung durch ihren Gesetzentwurf im Rahmen ihrer Kompetenzen den Teil der Reform,
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Senator Steinert
den sie zu verantworten hat und den sie mit Hilfe des Bundestages regeln kann, vorgelegt. Ich bin sicher, daß sich die Länder — und hier meine ich in der Tat alle Länder — dieser Pflicht der Reform für den Teil der Berufsschule in möglichst enger Abstimmung nicht entziehen können und dürfen, weil Schule und Betrieb eine Einheit sind. Ich hoffe zuversichtlich, daß es dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten gelingt, ein Bund-Länder-Abkommen, ein Verwaltungsabkommen auf den Weg zu bringen, das insoweit das Berufsbildungsgesetz für den Teil der Rahmenlehrpläne ergänzt.Ich mache aber auch keinen Hehl daraus, daß uns da noch schwierige Debatten bevorstehen. Der Kollege Maier hat sich in dieser Frage positiv und zustimmend geäußert, aber er hat ständig von „Abstimmung" gesprochen. Das Problem, das wir zu lösen haben werden, besteht aber darin, daß man bei dem Terminus „Abstimmung" sehr schnell dahin gerät, fertige Produkte, d. h. die Ausbildungsordnungen auf der einen Seite und die Rahmenlehrpläne auf der anderen Seite, wenn sie entwickelt sind, hinterher aufeinander abzustimmen.
Wenn ich es aus der Position des betroffenen Jugendlichen sehe, kommt es, glaube ich, sehr viel mehr darauf an, daß man den Versuch macht, gemeinsam zu erarbeiten.
— Aber darüber müßten Sie dann mit Ihrem Kollegen Maier auch einmal sprechen
und mit den anderen Kollegen aus den CDU/CSUregierten Ländern, und ich garantiere Ihnen, daß ausgerechnet dieser Punkt in unserer Debatte erhebliche Probleme bereiten wird.
Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr!
Herr Senator, gibt diese Ihre Position nicht gerade unseren Bedenken recht, zwei Institutionen zu schaffen, nämlich zum einen das Bundesinstitut, wie es im Grunde die Regierung vorsieht, und zum anderen per Vereinbarung zwischen Bund und Ländern eine Institution für die Abstimmung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe nicht den Eindruck, daß die Bundesregierung insoweit etwas anderes vorschlägt. Ich habe das Bundesinstitut und seine Zusammensetzung im Regierungsentwurf so interpretiert, daß alle, die heute Kompetenzen haben, nämlich der Bund, die Länder, die Gewerkschaften und die ausbildende Wirtschaft, soweit es die Ausbildungsordnungen anlangt, an diesem Teil des Tisches gemeinsam arbeiten. Nach dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 16. April dieses Jahres sollen — der Bundeskanzler hat das hier vorhin bestätigt — Verhandlungen mit den Ländern über ein
Abkommen aufgenommen werden, um die Rahmenlehrpläne gemeinsam mit dem Bund zu erarbeiten. Insoweit vermag ich einen Dissens in diesem Punkt nicht zu erkennen und stimme einer solchen Konzeption ausdrücklich zu. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß es in diesem Zusammenhang nicht nur um Abstimmung, sondern auch um gemeinsame Erarbeitung geht.
— Wissen Sie, soweit es den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg anlangt, kann ich Ihnen dazu sagen, daß wir — im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern — eine eindeutige Federführung des Kultusministers für Berufsbildungsfragen haben
und daß wir uns zur Frage der Abstimmung und gemeinsamen Erarbeitung schon 1970 — auch schriftlich in der Fachliteratur — positiv geäußert haben. Aber dieser Streit führt uns nicht weiter.
Ich meine, wir müssen in den nächsten Monaten bei den Beratungen über diesen Gesetzentwurf darauf hinwirken, daß wir unter dem Strich für den Lernort „Betrieb" und für den Lernort „Schule" gleichermaßen zu einheitlichen, gleichgerichteten Ergebnissen kommen, die im Interesse der Jugendlichen dann auch die Qualität der Berufsbildung verbessern.
Gestatten Sie mir am Schluß noch eine, wenn Sie so wollen, auch selbstkritische Bemerkung. Wenn es richtig ist, daß der Lernort „Schule" einen solchen Rang einnimmt, müssen die Länder untereinander stärker als in der Vergangenheit dafür Sorge tragen, daß die Qualitätsunterschiede der Berufsschulen in den einzelnen Bundesländern im Hinblick auf ein und denselben Ausbildungsberuf nicht mehr so eklatant sind wie heute. Ich möchte Ihnen das an Hand eines konkreten Beispiels erläutern. Wenn ein Versicherungskaufmann im dritten Ausbildungsjahr in Berlin 14 Wochenstunden Unterricht — ich lasse einmal völlig außen vor, ob nun wöchentlich oder im Blockunterricht —, in Hamburg 12, in Düsseldorf 8 und in München 7 Wochenstunden Unterricht hat
— darüber streite ich mich jetzt gar nicht; dies weiß ich aus dem Kopf nicht; das ist aber auch gar nicht der Punkt, um den es geht —, so halte ich dies in der Tat für einen eklatanten Qualitätsunterschied, auf den sich auch die Länder untereinander konzentrieren müssen, um einen einheitlichen Standard der Berufsschulleistungen und der Unterrichtsorganisation zu gewährleisten, ebenso wie das Berufsbildungsgesetz auf der anderen Seite den Versuch macht, diese Qualitätsunterschiede und die zum Teil mangelhafte Qualität auf der betrieblichen Seite zugunsten der Jugendlichen zu verändern.
Das Wort hat der Abgeordnete Schedl.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12647
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf einige Widersprüche eingehen, die im Ablauf dieser Debatte hier zutage getreten sind, und möchte noch einmal mit dem beginnen, was ich mit einer Zwischenfrage aufzuhellen versucht habe, weil die Haltung der Wirtschaft in den Ausführungen des Bundeskanzlers, des Kollegen Engholm und auch der Kollegin Schuchardt eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat.Der Bundeskanzler hat von einem „öffentlichen Brief" gesprochen. Herr Engholm hat sich darüber beschwert, daß dieser Brief nicht an den Fachminister, sondern direkt an den Bundeskanzler gerichtet worden sei. Dies alles ist hier breit erörtert worden. Ich habe dazu eine Frage gestellt, um die Dinge aufzuklären. Der Herr Bundeskanzler ist eine klare und schlüssige Antwort leider schuldig geblieben. Er selber hat sich in Köln anläßlich einer bedeutsamen Veranstaltung der Wirtschaft bei zwei Präsidenten der beteiligten Verbände diesen Brief mit der Bemerkung bestellt: „Schreiben Sie mir einen persönlichen Brief, in dem Sie klar zum Ausdruck bringen, wie sich die Dinge aus Ihrer Sicht darstellen, damit ich die Sache endlich weiterbringen kann."
So waren die Dinge, meine sehr verehrten Damen und Herren.
— Herr Kollege Wehner, wir wollen es unter diesen Umständen ganz zu Ende bringen. Ich darf auch Ihnen vielleicht noch etwas auf die Sprünge helfen. Sie wissen das natürlich ganz genau. Dieser Brief ist nach Absprache an den Kanzler, den Wirtschaftsminister und den Minister für Bildung und Wissenschaft gegangen. Er ist drei Tage später in einer Frankfurter Zeitung veröffentlicht worden. Ein sonderbarer Zufall wollte es
— Herr Kollege Ehrenberg, ich darf das kurz zu Ende bringen —, daß sich am Nachmittag vor dieser Veröffentlichung der Kollege Rohde in Offenbach— mir ist sogar als Bayer bekannt, daß die Entfernung von Frankfurt nicht sehr erheblich ist — über diese Dinge in einem internen Kreis auseinandergesetzt hat. Meine verehrten Damen und Herren, wir sollten hier nicht so tun, als ob wir nicht wüßten, was sich hinter all diesen Wolken abspielt.Ich möchte einen weiteren Punkt in diesem Bereich aufzeigen. Ich bin nicht der Meinung, man müsse diese Dinge immer im Gleichschritt mit den Präsidenten der Verbände und mit den Verbänden abstimmen. Aber es war für mich hochinteressant, daß heute Herr Engholm genauso wie Frau Schuchardt und auch der Herr Bundeskanzler eine noble Adresse an die verdienstvollen Handwerker gerichtet und erklärt haben, die einzelnen Handwerker verstünden die großartigen Manöver dieser Regie-rung sehr wohl; nur die Verbände und ihre Spitzen wüßten natürlich nicht, was hier gespielt werde.
In diesem Zusammenhang ist es für mich um so verwunderlicher, daß Mitglieder dieser Bundesregierung vor wenigen Stunden, kann man beinahe sagen, an dieselben Spitzen der Verbände, von denen der Bundeskanzler und der Fachminister etwas wegrücken, indem sie sagen: „die haben nicht die notwendige Sachkenntnis" — mit dem direkten Auftrag herangetreten sind:
Nun sagt ihr doch einmal, wie miserabel die Vorschläge der Opposition sind!
Herr Kollege Engholm, auch die von Ihnen angesprochene Veröffentlichung spielt hier eine Rolle. Ich kann mir durchaus vorstellen, warum es bestimmte Regierungsmitglieder für richtiger halten, in diesem Stadium, in dieser schwierigen Situation, nicht in die Debatte einzugreifen.
— Herr Kollege Engholm, ich wollte Ihnen nur belegen, daß Sie — ich nehme Ihnen das als Ihre ehrliche Auffassung ab — hier erklärt haben: Die Funktionäre vertreten das nicht. Aber, Herr Kollege Engholm, sollen denn die Funktionäre nur dazu da sein, Mitgliedern Ihrer Koalitionsregierung Argumente gegen die Vorschläge der Opposition zu liefern, die man dann draußen gegen die Opposition einsetzt?
— Herr Kollege Ehrenberg, ich glaube, Sie wissen genau, was ich damit sagen will. Sie sollten es tunlichst unterlassen, auf der einen Seite davon abzurücken und sich auf der anderen Seite dort die Argumente zu holen.
Meine verehrten Damen und Herren, hier ist mit einer, ich möchte nicht sagen, unglaublichen Doppelzüngigkeit — —
— Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben schon bessere Zwischenrufe gemacht. Außer Polemik verstehen Sie von diesen Dingen offensichtlich überhaupt nichts. Wenn Sie mit Ihrer Regierung in den Bereich, über den Sie Ihre Bücher schreiben, Ordnung brächten, hätten wir einen großen Teil dieser Probleme mit den Ausbildungsplätzen nicht!
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12648 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
SchedlEs ist schlimm, daß ich so wenig Zeit habe, sonst würde es mir ausgesprochenen Spaß machen, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen.Nun zu dem anderen Bereich, den ich ansprechen wollt: Jugendarbeitslosigkeit. Die Jugendarbeitslosigkeit wurde von Ihrem Minister Rohde so abgegrenzt, daß er, wie ich meine, hier gehört zu haben, wörtlich sagte, es handle sich um ein strukturelles und konjunkturelles Problem und nur zu einem Teil um ein Problem der Gesetzgebung über die berufliche Bildung. Die Redner der Koalition haben das wiederum ganz anders dargestellt. Es wurde bis hin zu Herrn Senator Steinert, den ich hier natürlich als einen Ländervertreter gehört habe, die Formulierung gebraucht, die auch draußen in der volkstümlichen Argumentation benutzt wird: Hättet ihr schon vor langer Zeit schnell ein Gesetz gemacht, hätten wir dort keine Schwierigkeiten. Meint verehrten Damen und Herren, auch dies sollten wir uns abgewöhnen. Ich bin dankbar, daß wir uns das im Ausschuß schon abgewöhnt haben.Im übrigen haben wir Ihnen mit unserem Dringlichkeitsantrag ja ein Rezept auf den Tisch gelegt. Vielleicht darf ich noch einmal kurz daran erinnern. Heute habe ich einen Termin bekommen; heute wollen wir uns unter den Berichterstattern wieder einmal unterhalten.
— Herr Kollege Rappe, über eines müssen wir uns hier im klaren sein:
Wir haben diesen Antrag vor geraumer Zeit — —
— Moment, lassen Sie mich das doch ganz ausführen: Wir haben vor geraumer Zeit diesen Antrag im Plenum des Deutschen Bundestages eingebracht. Er ist an die Ausschüsse überwiesen worden. Wir haben ihn anberaten und konnten dann nicht weiter— das mußten wir erkennen —, weil die notwendigen Grundlagen nicht auf den Tisch gelegt werden konnten.
— Von Nürnberg, teilweise aber auch von der Regierung. — Herr Kollege Rappe, gut, dann eben von Nürnberg. Auf jeden Fall konnten wir dort nicht weitermachen. Wir sind dann in die Runden der Berichterstatterüberlegungen gegangen. Eine solche Runde findet heute hier wieder statt.Herr Kollege Rappe, aber über eines werden wir uns doch klar sein: Wenn dieses Anliegen mit der Dringlichkeit und Präferenz behandelt worden wäre, die wirklich notwendig ist, hätte man — auch das haben wir im Ausschuß überlegt — damals sehr schnell mindestens partiell einige Punkte durchziehen können. Nur, was sollen wir uns denn um einen Bart streiten, den der Kaiser in dem Fall gar nichthat! Bundesminister Rohde hat doch hier in der Debatte vor wenigen Monaten sinngemäß erklärt: Was wollt ihr mit eurem Antrag; wir machen ein tolles Gesetz, dann haben wir die Dinge alle weg! So war es doch, meine verehrten Damen und Herren.
Ich möchte auf noch etwas hinweisen, was in dieser Debatte häufig angeklungen ist und was auch Herr Senator Steinert soeben noch einmal angeführt hat, weil mir das ein ganz wesentliches Anliegen zu sein scheint.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Schedl, sind Sie nicht der Meinung, daß alle die Punkte, die in Ihrem Antrag enthalten waren, längst in Programmen der Regierung aufzufinden waren? Das einzige, was Sie hatten, war ein Prämiensystem für Lehrstellenplätze,
was möglicherweise dazu beigetragen hätte, daß im Herbst noch weniger Lehrstellen vorhanden sein würden, als es sie geben wird. Das war das einzige, was übriggeblieben ist.
Und Sie meinen, das wäre der Punkt, der die große Vertagung gebracht hat?
Herr Kollege Rappe, vielen Dank für diese Frage, weil sie noch mehr Aufklärung bringt. Ich bin nicht mit Ihnen der Auffassung, daß alle diese Punkte durch die Gesetzgebung abgedeckt sind. Ich möchte jetzt nicht all die Punkte abhandeln, die offenbleiben, aber ich möchte gerade zu dem Prämienangebot noch ein Wort sagen. Dieses Prämienangebot haben Sie hier an dieser Stelle— nicht Sie persönlich, aber Ihre Freunde — verteufelt als eine Kopfgeldprämie.
— Herr Kollege Ehrenberg, offenbar haben Sie den Rohde-Entwurf auch nicht gelesen. Ich darf Ihnen eines sagen: Dieses Prämienangebot ist im Grunde gar nichts anderes gewesen als das, was jetzt, etwas feiner ausgefeilt und perpetuiert, in Ihren Vorschlägen als eine „Dauernotfall-Reißleinen-Lösung" — wie es Herr Rohde immer bezeichnet — festgeschrieben ist.
— Herr Kollege Engholm, ich möchte nur eines sagen;
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12649
SchedlDa Sie noch einmal von der Kopfgeldprämie angefangen haben, möchte ich Ihnen folgendes sagen. Damals hat einer Ihrer Kollegen, der die großartige Formel „Kopfgeldprämie" über dieses Dringlichkeitsprogramm geschrieben hat, auch eine markige Eingangsbemerkung gemacht: Jeder einzelne Arbeitslose ist schon zuviel. Er hat gemeint, er müsse das in der Konsequenz umdrehen, und er ist zu dem kuriosen Schluß gekommen, genau deswegen, weil das so sei, sei diese Kopfgeldprämie verwerflich.Ich kann nicht weiter darauf eingehen, aber eines bringen Sie nicht vom Tisch: Wenn Sie gewollt hätten, hätten Sie hier hintreten können und die Dinge sehr schnell und unkompliziert, ohne Zentner von Papieren, als einen Versuchslauf für ein Jahr in den Griff bekommen und in die Hand nehmen können. Das haben Sie nicht gewollt; warum, weiß ich nicht.
Herr Abgeordneter Schedl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Selbstverständlich!
Herr Kollege Schedl, halten Sie andere Finanzierungsmöglichkeiten, als sie jetzt gegeben sind, für ein Mittel, Ausbildungsplätze zu schaffen? Ich stelle die Frage im Hinblick darauf, daß wir eben von Herrn Minister Maier gehört haben, das sei kein geeignetes Mittel.
Herr Kollege Vogelsang, ich meine, wir haben in aller Ausführlichkeit auch im Ausschuß darüber diskutiert. Dieser Vorschlag des Dringlichkeitsprogramms erfolgte in einer besonders miserablen wirtschaftlichen Situation — wenn man auch die regionalen Aspekte in Betracht zieht — und war für ein Jahr geplant, um entgegen der konjunkturellen Situation, entgegen der arbeitsmäßigen Auslastungssituation gerade den kleinen und mittleren Unternehmen einen weiteren Anreiz zu bieten. Das war das Dringlichkeitsprogramm. Das ist die eine Seite der Medaille.Im übrigen, Herr Kollege Vogelsang, dürfen Sie ja nicht glauben, daß Sie mit dem Dringlichkeitsprogramm nach zwei Seiten spielen können: einmal lehnen Sie es ab, weil es „Mist" ist, auf der anderen Seite wollen Sie uns vielleicht noch dazu bringen, daß wir an Ihre „viel besser ausgefeilte" Finanzierungslösung glauben sollen!
Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte nur noch zu einem Punkt Stellung nehmen, um Ihre strapazierten Nerven nach diesen vielen Stunden nicht über Gebühr zu strapazieren. Ich stehe auch dem Kollegen Möllemann gegenüber im Wort, mich möglichst kurz zu fassen.
Ein ganz wesentlicher Punkt, den wir in allen un-seren Reden herausgearbeitet haben — Kollege Gölter hat dies sehr markant getan —, scheint mir zu sein, daß wir der Auffassung sind, daß wir die Dinge überhaupt nur im dualen System vernünftig weiterbringen. Ich war sehr froh darüber, daß sich Herr Staatsminister Maier sehr deutlich dazu eingelassen hat. — Herr Kollege Möllemann, es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir uns über diese Dinge noch ein wenig unterhielten; denn hier könnte einiges passieren, was Sie wollen, von dem aber einige andere sagen, sie wollten es nicht. Vielleicht wollen Sie es auch nicht.
— Herr Wüster, ich lese nicht nach vorn getragene Gedanken vor. Ich bemühe mich, in der Debatte einen kleinen Beitrag zu leisten. Mehr gelingt mir nicht unter soviel Sachverständigen. Deswegen halte ich mich an das, was sich bisher hier abgespielt hat.Senator Steinert, Herr Wüster, hat hier ursprünglich ein hartes und deutliches Bekenntnis zum dualen System abgelegt. Er hat dann in seiner Schlußeinlassung davon gesprochen, daß dies natürlich nur über den betriebsbegleitenden, betriebsergänzenden Weg in den überbetrieblichen Einrichtungen möglich sei. Auch dies ist unsere Auffassung. Wir wissen, daß wir ohne diesen betriebsbegleitenden Bereich gerade in schwierigen Räumen gar nicht zu einem Ergebnis kommen.Aber wir wissen auch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß es auf Ihrer Seite mehr als genug Leute gibt, die sich nach wie vor überlegen, inwieweit Vertragsschließungen auf diesem dritten Weg möglich sind, inwieweit alle diese Dinge viel weiter als in der Form eines dritten Weges verwirklicht werden können, inwieweit daraus nicht doch auf einem Umweg die dritte Säule wird, die Sie immer gewollt haben, vor der Sie immer nur etwas zurückgewichen sind, weil Sie insgesamt bemerkt haben, daß das nicht der Weg sein kann, der funktioniert.Was das Problem der Abstimmung der Rahmenlehrpläne und der Ausbildungsordnungen anlangt, sind die Dinge auch von unserer Seite, meine ich, klargestellt worden. Ich möchte ein Argument in diesem Bereich zurückweisen. Es ist heute noch nicht gekommen, aber es wird wahrscheinlich noch kommen. Wenn wir immer davon reden, daß Ausbildungsordnungen praxisnäher gestaltet, daß sie gewissen Entwicklungen der Praxis angepaßt werden müssen, dann sagen Sie sofort: Jetzt wollen Sie die Anforderungen wieder absenken. Dabei ist es überhaupt nicht so. Wir gehen nur davon aus, daß vieles in diesem Bereich — nicht durch eine verminderte, sondern durch eine besser auf die Praxis zugeschnittene Form — tatsächlich auf Anhieb ein Mehr an Ausbildungsplätzen bedeuten würde, das so gar nicht erschließbar ist, weil eben in der anderen Form die Leute gar nicht mehr imstande sind, ihren Vorstellungen nachzukommen.Nach den Dingen, die wir Ihnen hier vorgetragen haben, muß ich noch ein Wort zu dem letzten Anwurf sagen. Der Kollege Wüster meinte: wenn man nichts vorzulesen hat, dann soll man lieber aufhö-
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12650 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Schedlren. Ich möchte Ihnen darauf antworten: Aufhören werden wir auf diesem Gebiet nicht. Wir werden immer wieder, und wenn es noch so bitter ist, versuchen, auch etwas Praxis dort hineinzubringen, wo offensichtlich viel zu viel in der Theorie, in der Praxisferne jonglieren. Die Praxis beherrschen Sie nicht.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Meine
Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk
— Drucksache 7/3777 — Berichterstatter ist Herr Minister Dr. Schwarz.
— Ich frage, ob das Haus bereit ist, auf einen mündlichen Bericht zu verzichten. — Das ist der Fall.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Sieglerschmidt hat das Wort. .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den Beschluß des Vermittlungsausschusses zum Zeugnisverweigerungsrecht, der das uneingeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht vorsieht, wie es im Entwurf der Bundesregierung enthalten war und vom Bundestag gegen die Stimmen der Opposition beschlossen worden ist.Wie die anderen an der Gesetzgebung beteiligten Organe stand der Vermittlungsausschuß hier vor einer schwierigen Entscheidung — schwierig deshalb, weil zwei höchst bedeutsame Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen waren und sind: Auf der einen Waagschale liegt dabei das Recht des Bürgers auf ein Gerichtsverfahren, das wirksame Vorkehrungen für die Ermittlung der Wahrheit — das bedeutet im Strafverfahren: für die Überführung und Verurteilung von Straftätern — vorsieht. Auf der anderen Waagschale liegt die Pressefreiheit, die als Informationsfreiheit vor allem auch ein Grundrecht des Bürgers und nach den Vorstellungen der Väter des Grundgesetzes kein Privileg der Verleger und Journalisten ist.Eine Abwägung dieser Art kann nach Lage der Dinge nicht abstrakt vorgenommen werden. Doch ebenso falsch wäre es, sich dabei von Stimmungen des Tages leiten zu lassen. Unsere Überlegungenmüssen jedoch die konkreten Erfordernisse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung insbesondere auf dem Gebiet des Terrorismus einbeziehen.Wenn wir bei dieser Abwägung auf den verschiedenen Seiten des Hauses zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind, so gestehe ich allen Beteiligten zu, daß sie ihre Entscheidung nicht leichten Herzens getroffen haben. Die Opposition hat uns zwar in der letzten Zeit des öfteren verdächtigt, wir — die Koalitionsfraktionen — nähmen die Fragen der inneren Sicherheit nicht ernst genug. Sie hat uns zudem noch mit ähnlichen Unterstellungen in Sachen Pressefreiheit bedacht.Deshalb könnten Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nicht beklagen, wenn ich diese Gelegenheit benutzen würde, gegen Sie den entsprechenden Vorwurf bezüglich Ihres Verhältnisses zur Pressefreiheit zu erheben. Ich tue es nicht, weil wir davon ausgehen, daß die Fraktionen dieses Hauses bei allen Meinungsverschiedenheiten darüber, wie im einzelnen in den beiden Bereichen das Notwendige zu geschehen hat, die Pressefreiheit sichern und den Rechtsstaat gegen kriminelle Aktivitäten verteidigen wollen.Die Argumente, die im Verlauf der Beratungen über diesen Gesetzentwurf für ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vorgebracht wurden, sollen hier nicht alle wiederholt werden. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß nicht nur in der Zeit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Ende des Jahres 1973 — in jener Zeit, zu der in fast allen Bundesländern das uneingeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten galt —, sondern auch in den Strafverfahren, die danach — insbesondere wegen terroristischer Straftaten — stattfanden, diese Frage keine nennenswerte Rolle gespielt hat Auf der anderen Seite würde eine Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts Unsicherheit bei der Wahrnehmung der grundgesetzlich geschützten Freiheit der Berichterstattung hervorrufen. Es ist mindestens beachtlich, meine Damen und Herren, daß die gesamte Presse einhellig dieser Auffassung ist.Manch einem von Ihnen mag jetzt die Frage auf der Zunge liegen: Weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem blauen Pressezelt? Weißt du das denn nicht? — Sicherlich ist es nicht auszuschließen, daß uns ab und zu ein trüber Stern in dieser Hinsicht irritiert, aber er sollte uns nicht das Licht eines fairen und verantwortungsbewußten Journalismus verdunkeln.Im übrigen sind die bei dem Gesetz strittigen Punkte ohne Bedeutung für die Frage, ob man in einem solchen Fall gegen ein Presseorgan etwas unternehmen kann oder nicht. Wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vertrauen darauf, daß die Mitarbeiter von Presse und Rundfunk das ihnen mit diesem Gesetz gegebene Recht — wie bisher — nicht als ein Privileg mißverstehen, sondern im Interesse der Pressefreiheit aller Bürger gebrauchen werden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12651
SieglerschmidtEine kurze Bemerkung noch zu der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Änderung des Gesetzestextes. Wir hätten es lieber gesehen, wenn — entsprechend dem uneingeschränkten Zeugnisverweigerungsrecht — das Gesetz die Beschlagnahme von Druckwerken durchgehend nur durch den Richter zulassen würde. Die Möglichkeit der Beschlagnahme von nichtperiodischen Druckwerken auch durch den Staatsanwalt, nicht jedoch durch seine Hilfsbeamten, erscheint indessen annehmbar. Wir sind deshalb bereit, dieser Regelung zuzustimmen und hoffen, daß dieses Zugeständnis zu einem baldigen Inkrafttreten dieses Gesetzes beitragen wird.Der Bundesrat hat im Sommer 1974, also vor gut einem Jahr, selbst einen Gesetzentwurf eingebracht, der das uneingeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vorsah. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß die schrecklichen Ereignisse in Berlin und Stockholm, mit denen wir danach konfrontiert wurden, irgend etwas mit der heute zur Entscheidung anstehenden Frage zu tun haben. Es sollte deshalb möglich sein, daß Bundesrat und Bundestag auf der Grundlage des Beschlusses des Vermittlungsausschusses wieder zu einer gemeinsamen Haltung in dieser Sache finden.
Meine
Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch das Wort zu Punkt 3 begehrt wird? — Das ist nicht der Fall. — Wir sind im Ältestenrat so verblieben, daß wir die Abstimmung nach den Erklärungen auch zu den übrigen Punkten, den Punkten 4 und 5, durchführen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz (Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz — StREG) — Drucksache 7/3778 —
Berichterstatter: Abgeordneter Jahn
Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Vermittlungsausschuß empfiehlt dem Deutschen Bundestag, das Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz in der vorliegenden geänderten Fassung anzunehmen.Das Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz hat eine lange Vorgeschichte. Der Deutsche Bundestag hatte das Gesetz am 21. März 1974 in dritter Lesung verabschiedet. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. Mai 1974 beschlossen, den Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes anzurufen. Er begründete die" Anrufung des Vermittlungsausschusses vor allem damit, daß der Schwangerschaftsabbruch als Leistung der Krankenversicherung nurdann in Betracht kommen kann, wenn er aus Gründen der Erhaltung der Gesundheit — Gesundheit im umfassenden Sinne verstanden, wie der Bundesrat ausdrücklich sagte — notwendig ist. Nach seiner Ansicht treffe das nur in den Fällen zu, in denen der Schwangerschaftsabbruch medizinisch, eugenisch oder ethisch indiziert ist.Der Vermittlungsausschuß hat in seiner 13. Sitzung am 27. Juni 1974 beschlossen, daß das vom Deutschen Bundestag beschlossene Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz bestätigt wird. Daraufhin hat der Bundesrat in seiner 410. Sitzung am 12. Juli 1974 dem Gesetz die nach Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes erforderliche Zustimmung versagt. Hierbei hat der Bundesrat zum Ausdruck gebracht, daß er wesentliche Regelungen dieses Gesetzes, vor allem die Kostenübernahme für ärztliche Beratung, für das Verschreiben empfängnisverhütender Mittel und für die Sterilisation begrüße, es jedoch bedauere, daß in der Frage der Kostenregelung für den Schwangerschaftsabbruch kein Kompromiß zustande gekommen sei. Der Bundesrat hat seine Zustimmung nur in Aussicht gestellt, wenn die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch, der ohne das Vorliegen einer anerkannten Indikation allein auf Wunsch der Schwangeren vorgenommen wird, weder von der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten noch vom Steuerzahler getragen werden.Die Bundesregierung hat daraufhin beschlossen, nach Art. 77 Abs. 2 Satz 4 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen. In seiner Sitzung am 12. Juni 1975 hat der Vermittlungsausschuß mit Mehrheit die vorliegenden Änderungen des Gesetzes beschlossen. Durch eine einheitliche Fassung ist sichergestellt, daß die in diesem Gesetz vorgesehenen Leistungen bei der Sterilisation oder beim Abbruch der Schwangerschaft nur dann gewährt werden, wenn nach dem Strafrecht die Tat nicht rechtswidrig ist. Außerdem wurde das Gesetz der sich durch die Verabschiedung und das Inkrafttreten neuerer Sozialgesetze ergebenden Rechtslage angepaßt. Mit der neuen Fassung folgt das Gesetz dem Verlangen des Bundesrates, daß Anspruch auf die Leistungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen einer anerkannten Indikation bestehen soll.Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 25. Februar 1975 festgestellt, daß der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch dann nicht strafbar ist, wenn er aus medizinischen, eugenischen oder ethischen Gründen angezeigt ist. Es kann nunmehr auch nach der bisherigen Auffassung des Bundesrates keinen Grund mehr geben, das Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz 15 Monate nach der Beschlußfassung durch den Bundestag nicht endgültig zu verabschieden.Mit dem Gesetz werden den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung folgende Ansprüche eingeräumt: ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung einschließlich der Verordnung von empfängnisregelnden Mitteln sowie Leistungen bei einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwan-
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12652 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Jahn
gerschaft durch einen Arzt. Zu diesen Leistungen gehören die ärztliche Beratung über die Erhaltung und den Abbruch der Schwangerschaft, die ärztliche Untersuchung und Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen für eine nicht rechtswidrige Sterilisation oder für einen nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch, ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie Krankenhauspflege. Anspruch auf Krankengeld sowie unter den entsprechenden arbeitsrechtlichen Voraussetzungen Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, wenn für die Frau wegen einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder wegen eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt Arbeitsunfähigkeit eintritt. Die genannten Sachleistungen erhalten auch die Personen, bei denen die Voraussetzungen vorliegen, nach denen auf Grund des Bundessozialhilfegesetzes Hilfen in besonderen Lebenslagen gewährt werden. Ihnen können ärztlich verordnete empfängnisregelnde Mittel zusätzlich als Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden.Die Ansprüche auf Leistungen bei der Sterilisation oder beim Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt hängen davon ab, daß die Sterilisation oder der Abbruch der Schwangerschaft nicht rechtswidrig geschehen. Diese Regelung enthielt zwar schon das Gesetz in der vom Deutschen Bundestag am 21. März 1974 verabschiedeten Fassung. Durch die vom Vermittlungsausschuß vorgenommene Neufassung wird aber eindeutig klargestellt, daß Anspruch auf die Leistungen der Krankenkassen, der Träger der Sozialhilfe und der Arbeitgeber nur dann besteht, wenn der vorgenommene Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt nach strafrechtlichen Vorschriften nicht rechtswidrig ist. Das gilt gleichfalls für die nicht rechtswidrige Sterilisation.Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 werden Leistungen nach dem Strafrechtsreformergänzungsgesetz beim Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt nur dann gewährt, wenn der Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen, eugenischen oder ethischen Gründen angezeigt ist. Ist dagegen die Schwangerschaft von einem Arzt mit Einwilligung der Schwangeren abgebrochen worden, um von der Schwangeren die auf andere ihr zumutbare Weise nicht abzuwendende Gefahr einer schwerwiegenden Notlage abzuwenden, bestehen bis zur Neuregelung der strafrechtlichen Vorschriften keine Ansprüche nach dem Strafrechtsreformergänzungsgesetz.Durch die Fassung des Gesetzes ist jedoch sichergestellt, daß nach einer gesetzlichen Neuregelung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs die Leistungen nach dem Gesetz bei allen vom Gesetzgeber anerkannten Fällen des nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt zu gewähren sind.Der Vermittlungsausschuß hat außerdem vorgeschlagen, § 13 des Strafrechtsreformergänzungsgesetzes dahin zu ändern, daß das Gesetz am Ersten des auf die Verkündung folgenden vierten Kalendermonats in Kraft tritt. Damit wird den Bedenken Rechnung getragen, daß die Krankenversicherungsträger, Kassenärzte und Krankenhäuser unmittelbar nach der Verkündung des Gesetzes noch nicht hinreichend über den Inhalt des Gesetzes und die ihnen daraus erwachsenen Verpflichtungen informiert sein können.Mit dem um drei Monate hinausgeschobenen Inkrafttreten des Gesetzes wird dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen Gelegenheit gegeben, die erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Maßnahmen zu beschließen und die nach § 368 n Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung vorgesehenen Verträge mit ärztlich geleiteten Einrichtungen, insbesondere Krankenhäusern, über die ambulante Erbringung ärztlicher Leistungen zu schließen.Außerdem besteht während der Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes Gelegenheit, das Netz der nach dem Strafgesetzbuch vorgesehenen ermächtigten Beratungsstellen zu verdichten.Das Strafrechtsreformergänzungsgesetz erweitert das Leistungsspektrum der Krankenversicherungsträger und der Träger der Sozialhilfe in dem Bereich der Empfängnisregelung und der Sterilisation. Die angebotenen sozialen Hilfen auf ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung und auf Leistungen bei nicht rechtswidriger Sterilisation oder bei nicht rechtswidrigem Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt erfordern es, daß das Gesetz nunmehr endgültig verabschiedet wird und in absehbarer Zeit in Kraft tritt.Ich bitte, dem Gesetz in der vom Vermittlungsausschuß angenommenen Fassung zuzustimmen. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Ich
danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zu einer Erklärung hat Frau Abgeordnete Eilers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die sozialen und gesundheitlichen Maßnahmen bei der Neuregelung des § 218 stets als den wichtigeren Teil der Gesamtreform betrachtet. Daher begrüße ich im Namen meiner Fraktion das Strafrechtsreformergänzungsgesetz in der vom Vermittlungsausschuß beschlossenen Fassung.
Dieses Gesetz, das von der Mehrheit dieses Hauses bereits im März 1974 in dritter Lesung verabschiedet wurde, sollte so schnell wie möglich in Kraft gesetzt werden: Die von uns vor über einem Jahr beschlossenen Maßnahmen, vor allem die umfassenden ärztlichen Beratungen, ermöglichen eine
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12653
Frau Eilers
verantwortliche Familienplanung und sind darin impliziert.Millionen von Bürgern in unserem Lande, Jugendlichen wie Erwachsenen, sind wir es schuldig, den Worten von verantwortlicher Elternschaft, Kinder-und Familienfreundlichkeit jetzt Taten und konkrete Leistungsangebote folgen zu lassen. Dieses Gesetz duldet keinen längeren Aufschub.Es ist unsere Vorstellung von einer zeitgemäßen Familienplanung, daß sie gewünschte Schwangerschaften ermöglicht und ungewollte Schwangerschaften verhindert. Daher sollten sich alle Versicherten, Männer und Frauen, von einem Arzt ihres Vertrauens über Fragen der Empfängnisregelung beraten lassen. Zu diesen Leistungen der Familienplanung gehören auch die ärztliche Untersuchung sowie die Rezeptur empfängnisregelnder Mittel. An den Kreis der Sozialhilfeempfänger sollten diese Mittel darüber hinaus kostenlos abgegeben werden.Ein Schwangerschaftsabbruch und eine freiwillige Sterilisation sind Eingriffe, die medizinisch fachgerecht durchgeführt werden müssen, will man schwere gesundheitliche Schäden vermeiden. Das können wir erfahrungsgemäß nur dann garantieren, wenn der Zugang zu einem Facharzt nicht wenigen Privilegierten vorbehalten bleibt. Daher sollen die entsprechenden nicht rechtswidrigen ärztlichen Eingriffe in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. Durch die einheitlich verwendete Terminologie „nicht rechtswidrig", wie sie der Vermittlungsausschuß beschlossen hat, wird dieser Bezug zum Strafrecht nochmals verdeutlicht.Eine Kostenübernahme erfolgt auf der Grundlage des geltenden Rechts und der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts. Dennoch wird durch das vorliegende Leistungsgesetz die weitere strafrechtliche Neuordnung des § 218 in keiner Weise präjudiziert.An die Adresse der Opposition im Deutschen Bundestag und an die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, die alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen für systemwidrig halten, sei gesagt: Wir können nur auf diese Weise unsachgemäß durchgeführte Eingriffe und die damit verbundenen gesundheitlichen Folgeschäden und ihre immensen Kosten vermeiden. Und ich meine, daß allein der hieraus zu erwartende Rückgang der Müttersterblichkeit eine solche sozialrechtliche Regelung voll rechtfertigt.In einer Sachverständigenanhörung vor dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wurde uns seinerzeit von Experten bestätigt, daß bereits jetzt Komplikationen und Folgeschäden illegaler Schwangerschaftsabbrüche von den Krankenkassen und der Sozialhilfe finanziert werden, ohne daß man deren genaue Höhe quantifizieren kann.Wenn es nach dem vorliegenden Gesetz als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung eine ärztliche Beratung über Familienplanung gibt, eine ärztliche Beratung, um eine bestehende Schwangerschaft zu erhalten, wenn nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche und Sterilisationen medizinisch fachgerecht durchgeführt werden, dann handelt es sich um Leistungen, die im Interesse einer allgemeinen Gesundheitsvorsorge und Gesundheitssicherung liegen. Sie fügen sich an die von der Krankenversicherung bereits gewährten Vorsorgemaßnahmen an. Von daher ist es angemessen, wenn sich der Bund an den zu erwartenden Kosten mit einem jährlichen Zuschuß von 55 Millionen DM beteiligt. Selbst in Anbetracht allgemeiner Sparsamkeit in den öffentlichen Haushalten hält die Bundesregierung ihre finanzielle Zusage für diese wichtige gesundheits-und familienpolitische Aufgabe aufrecht.Die sozialdemokratische Fraktion stimmt dem Strafrechtsreformergänzungsgesetz in der vom Vermittlungsausschuß am 12. Juni 1975 angenommenen Fassung zu.
Zu einer weiteren Erklärung hat das Wort Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU gebe ich zu dem Antrag des Vermittlungsausschusses — Drucksache 7/3778 —, das Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz betreffend, folgende Erklärung ab.Die CDU/CSU bedauert, daß die Koalitionsmehrheit im Vermittlungsausschuß zum jetzigen Zeitpunkt, noch bevor neue Gesetzentwürfe zur fünften Strafrechtsreform dem Parlament vorliegen, das Gesetz über ergänzende Maßnahmen verabschieden will.
Schon bei der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes hatte meine Fraktion nachdrücklich darauf hingewiesen, daß zuerst klar sein muß, in welchem Umfang und mit welcher Begründung Schwangerschaftsabbrüche als nicht rechtswidrig vom Gesetzgeber zugelassen werden,
bevor über eine Kostenregelung entschieden werden kann. Der Streit um das Strafrechtsreformergänzungsgesetz hat sich nie auf die Frage der Erleichterung der Verhütung bezogen. Wir haben stets erklärt, daß wir diesem Teil des Gesetzes, nämlich Kostenübernahme für ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung, zuzustimmen. Auch die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel für von der Sozialhilfe Betreute halten wir für eine gute und notwendige Sache. Wir waren jederzeit bereit, diesen Teil des Gesetzes in Kraft zu setzen, und wir sind es auch heute.Wir bedauern ausdrücklich die Verzögerung um eineinhalb Jahre, die eingetreten ist. Schließlich hat es aber nicht die CDU/CSU zu verantworten, daß das Gesetz über die flankierenden Maßnahmen so lange liegenblieb. Hätte die Koalition die verfassungs-
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Frau Verhülsdonkmäßigen Bedenken gegen die Fristenlösung von vornherein ernst genommen, könnte längst ein Strafrechtsreformgesetz zu § 218 in Kraft getreten sein,
und auch die ergänzenden Maßnahmen wären geregelt.Leider ist meine Fraktion angesichts der völligen Unklarheit über die finanziellen Auswirkungen der künftigen Abtreibungsgesetzgebung heute nicht in der Lage, der hier vorgeschlagenen Kostenübernahme durch die Krankenkassen für alle nicht rechtswidrigen Abtreibungen zuzustimmen. Unklar ist, wie im Strafrechtsreformgesetz soziale Notlagen der Schwangeren, für die das Bundesverfassungsgericht unter bestimmten Bedingungen eine Indikationsregelung als zulässig ansieht, in die Gesetzesreform einbezogen und abgegrenzt werden. Sollen die Kosten für Abbrüche, die vorwiegend auf sozialen Gründen beruhen, etwa auch der Solidargemeinschaft der Versicherten aufgeladen werden?Es ist noch nicht einen Monat her, meine Damen und Herren, daß das Parlament den Krankenkassen, die schon lange an der Grenze der finanziellen Belastbarkeit angelangt sind, mit dem Gesetz über die studentische Krankenversicherung neue Kostenbelastungen aufgebürdet hat. In der Debatte über die Große Anfrage der CDU/CSU zur Gesundheitspolitik am 5. Juni sagte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Arendt:Auch vom Gesetzgeber her sollte die schwierige Finanzlage der Krankenkassen voll berücksichtigt werden. Die Bundesregierung beabsichtigt daher nicht, weitere Leistungsverbesserungen in der Krankenversicherung vorzuschlagen. Ich betone das mit Nachdruck.
Heute, drei Wochen später, verlangen die Koalitionsparteien Zustimmung zu einem Blankoscheck zur Belastung der Krankenkassen mit Kosten, deren Ausmaß niemand übersieht.
Die CDU/CSU hat schon bei der zweiten und dritten Lesung des Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetzes am 21. März 1974 deutlich gemacht, daß sie eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht anerkennen kann, wenn diese mit dem Prinzip der solidarischen Krankenversicherung nicht das geringste zu tun hat. Das trifft aber auf alle nicht krankheitsbedingten Abbrüche zu. Das Wesenselement der gesetzlichen Krankenversicherung besteht darin, daß die gemeinschaftlich aufgebrachten Mittel ausschließlich für die Erhaltung und die Wiederherstellung der Gesundheit der Versichertengemeinschaft verwandt werden.
Für Schwangerschaftsabbrüche, die überwiegend zur Behebung einer schwerwiegenden sozialen Notlage notwendig sind, kann also nicht die Versichertengemeinschaft mit ihren Pflichtbeiträgen einstehen, sondern hier muß in den Bundeshaushalt ein Betrag eingesetzt werden, der jedoch in der vorgesehenen Höhe von 55 Millionen DM nach Aussage der Sachverständigen in dem auch von Frau Kollegin Eilers zitierten Hearing vom 16. Januar 1974 zur Abdeckung der Kosten für die Beratung über Empfängnisregelung und der Kosten für die freiwillige Sterilisation schon bei weitem nicht ausreicht. Die CDU/CSU ist der Meinung, daß den Krankenkassen für alle nicht medizinisch begründeten Abbrüche nur eine Auftragsleistung übertragen werden kann. Es ist nicht einzusehen, warum die Regierungsparteien zum jetzigen Zeitpunkt eine solche präjudizierende gesetzliche Regelung sozusagen ins Blaue hinein oder, besser würde ich sagen, in die roten Zahlen der Krankenkassen hinein beschließen wollen.
Die nach dem Übergangsrecht, wie es das Bundesverfassungsgericht in Kraft gesetzt hat, zulässigen Abtreibungen auf Grund einer medizinischen oder einer kindlichen Indikation sind bereits bisher durch das geltende Recht in die Krankenkassenpflichtleistungen einbezogen; es entstehen also zur Zeit keine finanziellen Notlagen,Angesichts der hier vorgetragenen Bedenken lehnt die Fraktion der CDU/CSU den Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/3778, die jetzige Fassung des Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetzes zu verabschieden, ab.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem die Fraktionen hierzu Erklärungen abgegeben haben, darf ich für die Fraktion der FDP erklären, daß wir dem Vorschlag, den der Vermittlungsausschuß vorlegt,
hier zustimmen.Zu Ihnen, Frau Verhülsdonk, darf ich nur eines bemerken: Wie sieht es denn mit der Beratung aus? Auch der CDU/CSU-Entwurf sieht eine Beratung vor; auch hierfür entstehen Kosten, auch hierfür. muß gezahlt werden. Ich glaube, Frau Kollegin Verhülsdonk und meine Kollegen von der CDU/CSU, dies ist kein Beschluß ins Blaue hinein,
— auch nicht ins Rote hinein; das spielt gar keine Rolle —, sondern dies ist eine Regelung, die klar zum Ausdruck bringt, daß das, was hier gesetzlich möglich, gesetzlich zulässig ist, durch die Krankenkassen finanziert wird. Wie der Rahmen aussieht, wird dieses Parlament — und nur dieses Parlament— beschließen. Und ich meine, Sie werden — auch gegenüber den Frauen, die betroffen sind, oder den Frauen, die sich vorstellen, daß sie einmal betroffen sein könnten, oder vor allem den Müttern, die annehmen, daß ihre Kinder einmal betroffen sein wer-
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Spitzmüllerden — mit Ihren Vorstellungen zur Änderung des § 218 nur glaubwürdig, wenn Sie hier zustimmen und damit klar zum Ausdruck bringen, daß das, was gesetzlich möglich ist, durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt wird. Alles andere bringt Sie ins Zwielicht, alles andere läßt Sie in der Offentlichkeit so dastehen, daß Sie bei dem § 218 nicht wirklich etwas zum Schutze der Betroffenen ändern wollen.
Deshalb, meine Damen und Herren, weil wir das nicht wollen, stimmen wir dem Vorschlag, wie ihn der Vermittlungsausschuß vorgelegt hat, zu und können an die Opposition nur appellieren, in letzter Minute vielleicht doch noch etwas mehr Einsicht zu bekommen, auch wenn Pfingsten schon vorbei ist.
Meine
Damen und Herren, ich stelle auch die Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt zurück und rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau
— Drucksache 7/3779 — Berichterstatter: Senator Willms
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Senator Willms, Freie Hansestadt Bremen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau erstatte ich Ihnen im Namen des Vermittlungsausschusses folgenden Bericht.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. Mai 1975 den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen, in sechs Punkten eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen. Der Vermittlungsausschuß hat sich mit dem Beschluß des Bundesrats in seiner Sitzung am 12. Juni 1975 befaßt und den Vermittlungsvorschlag gemacht, der Ihnen in der Bundestagsdrucksache 7/3779 vorliegt. Erlauben Sie mir dazu bitte die folgenden erläuternden Anmerkungen.
In Ziffer 1 seines Beschlusses zielte der Bundesrat auf eine Neufassung des § 1 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ab. Der Vermittlungsausschuß hat diesem Begehren hinsichtlich der Sätze 1 bis 4 dieser Vorschrift Rechnung getragen.
Einer Änderung des Satzes 5, die besondere Förderungswürdigkeit des Dauerwohnbesitzes zu streichen, konnte der Vermittlungsausschuß nicht zustimmen, da das dem Gesetzeszweck widersprochen hätte.
Mit Ziffer 2 seines Beschlusses begehrte der Bundesrat die generelle Streichung der Förderungspräferenzen für die Wohnbesitzwohnung. Eine Streichung würde dem Wohnbesitz jedoch jegliche Attraktivität nehmen und ein zentrales Anliegen dieses Geseztes zunichte machen. Diesem Begehren vermochte der Vermittlungsausschuß daher nicht zu folgen. Er schlägt deshalb vor, es bei der Fassung des Gesetzes zu belassen.
Ebenfalls nicht zu folgen vermochte der Vermittlungsausschuß dem Begehren des Bundesrats in Punkt 3. Die verlangte Gleichstellung der freien mit den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ist nicht gerechtfertigt, weil die freien Wohnungsunternehmen weder einer Staatsaufsicht noch einer gesetzlichen Prüfungspflicht unterliegen. Die vorgesehene Voraussetzung, daß sie sich einer jährlichen Prüfung unterziehen, bedeutete nur eine freiwillige Unterwerfung, die jederzeit widerrufbar wäre.
Den mit Ziffer 4 des Bundesratsbeschlusses gewünschten Änderungen des § 62 f Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, wonach bereits mehr als die Hälfte der Wohnbesitzberechtigten die Umwandlung des Wohnbesitzes in Wohnungseigentum verlangen könnte, vermochte der Vermittlungsausschuß wegen der Befürchtung rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten nicht zu folgen.
Dem Begehren des Bundesrats, die Überschrift des Art. 5 zu ändern, ist der Vermittlungsausschuß gefolgt.
Dagegen stimmte der Vermittlungsausschuß auch dem Anrufungsbegehren unter Ziffer 6 des Bundesratsbeschlusses nicht zu. Die gewünschte Möglichkeit, die in dien Mieteinnahmen enthaltenen Beträge für die Instandhaltung und Erneuerung der Wohnung in der Bilanz als zweckgebundene Rückstellung auszuweisen, begegnet erheblichen steuerrechtlichen Bedenken, da mit der angestrebten Regelung die angesammelten und zunächst nicht verausgabten Beträge vom steuerpflichtigen Bauträger nicht als Einkünfte versteuert werden müßten. Der Vermittlungsausschuß schlägt hier vor, es bei der Fassung des Gesetzes zu belassen.
Nach allem bitte ich Sie, den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses Ihre Zustimmung zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zu einer Erklärung hat Herr Abgeordneter Krockert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird den Vorschlag des Vermittlungsausschusses akzeptieren. Sie stellt dabei die Bedenken zurück, die gegen die Gleichrangigkeit der Förderungsziele in § 1 geltend zu machen waren. Das Gesetz bringt erhebliche Erleichterungen für die Eigentums- und Vermögensbildung im sozialen Wohnungsbau. Dies betrifft nicht nur die Einführung des Wohnbesitzmodells, das im Vordergrund des öffentlichen Interesses gestanden hatte, sondern auch die Förderung
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Krockertvon Eigentumswohnungen und Eigenheimen. Ich erinnere an die Erleichterung des Nachsparens zugunsten des Mietkaufs, was besonders kinderreichen Familien und jungen Familien zugute kommen wird. Ich erinnere an die Erleichterung der Vor- und Zwischenfinanzierung durch öffentliche Bürgschaften. Viele werden durch dieses Gesetz stärker begünstigt; niemand erfährt Benachteiligungen. Es liegt also im Interesse vieler Bürger, wenn diese Vorschriften bald in Kraft treten können.Darum halten wir es für gerechtfertigt, wenn der Bundestag heute dem Verlangen des Bundesrats insoweit, was § 1 betrifft, entgegenkommt. Wir verbinden damit die Hoffnung, daß nunmehr auch die Vertretung der Länder den erforderlichen Schritt tut und durch ihre Zustimmung die Verbesserungen alsbald wirksam werden läßt.Ich bitte das Hohe Haus, dem Vermittlungsvorschlag zuzustimmen.
Das Wort zu einer Erklärung hat Herr Abgeordneter Jahn .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSUBundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung zur Abstimmung ab:Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert, daß die SPD/FDP-Mehrheit im Vermittlungsausschuß die Anrufungsbegehren des Bundesrats in den wichtigsten Punkten abgelehnt hat. Sie vermag daher dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses nicht zuzustimmen.Lediglich in bezug auf die Zielsetzung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes wurde Übereinstimmung erzielt, die geltende Rechtslage nicht zu verändern. Die breite Streuung privaten Eigentums bleibt selbständiges Ziel des Zweiten Wohnungsbaugesetzes. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Doch dazu bedarf es keines neuen Gesetzes; es steht bereits im geltenden Gesetz.Gewiß, 51 % der Wohnungsbaumittel sollen künftig zum Bau von Eigenheimen oder eigengenutzten Eigentumswohnungen verwandt werden. Auch dies haben wir gemeinsam beschlossen. Kommt dieses Gesetz nicht, bleibt es entsprechend der geltenden Rechtslage gleichwohl bei dem Vorrang der echten Eigentumsmaßnahmen vor den Maßnahmen des Mietwohnungsbaus. Auch dies darf nicht übersehen werden.Unser Nein richtet sich gegen das Wohnbesitzbriefmodell nicht generell — das möchte ich ausdrücklich noch einmal von dieser Stelle aus betonen —, sondern gegen, wie wir meinen, zwei entscheidende Mängel. Die CDU/CSU begrüßt grundsätzlich die Suche nach neuen Wohnungsformen und nach neuen Modellen. Der Wohnbesitzbrief ist jedoch kein neues Modell. Er ist kein zusätzliches Angebot für den Markt; er ist bereits am Markt; er wird bereits öffentlich gefördert. Hiergegen wenden wir unsnicht. Alle diesbezüglichen Vorschriften im Gesetz werden von uns mitgetragen.SPD und FDP wollen mit diesem Gesetz aber mehr. Sie wollen den Wohnbesitzbrief mit absolutem Vorrang vor dem herkömmlichen Mietwohnungsbau in die öffentliche Förderung einbeziehen.
Dies kann die CDU/CSU im Interesse der Chancengleichheit zwischen privatem und öffentlichem Mietwohnungsbau am Markt nicht verantworten.
Die CDU/CSU vermag nicht einzusehen, warum unsere Bürger, wenn sie schon neben der Kostenmiete 15 % Eigenkapital für eine Wohnbesitzwohnung aufbringen, nicht einen Rechtsanspruch auf Umwandlung dieser Wohnung in eine Eigentumswohnung erhalten, wenn sie ihre Verbindlichkeiten erfüllt haben.
SPD und FDP haben dies verhindert. Leistung und Gegenleistung stehen somit in einem krassen Mißverhältnis. Der Kleinverdiener zahlt sein erspartes Geld; „Herr in der eigenen Wohnung" wird er nicht. Die großen Baugesellschaften machen das Geschäft auf Kosten des kleinen Mannes.
Dies ist ein Stück Gesellschaftspolitik, zweifellos; nur, wir sind der Meinung: in 'die verkehrte Richtung.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat seit seinem Bestehen viele sozialpolitische Gesetze mit sozialer Grundtendenz beschlossen. Der Neuling Wohnbesitzbrief in der Fassung des Gesetzes gehört nicht dazu. Was er bietet, das Dauermietrecht, kann jedermann am Markt bereits billiger haben. Das SPD/FDP-Wohnbesitzbriefmodell steuert den Markt und verbindet damit das gesellschaftspolitische Ziel: öffentliche Mittel für Mietwohnungsbau vorrangig in öffentliche Hand. Die Zahl der privaten Vermieter soll sich verringern. Dies ist nicht unser Ziel. Um eine ehrliche und wirkliche Vermögensbildung durch Wohnbesitz für unsere Bürger, also nicht für die Baugesellschaften, zu erreichen, fordert die CDU/CSU weiterhin die Verwirklichung ihrer im Bundestag und im Vermittlungsausschuß abgelehnten Anträge.Erstens. Der Wohnbesitzbrief muß durch Abbau der Förderungspräferenzen die Chancengleichheit zwischen privatem und öffentlichem Mietwohnungsbau wahren.Zweitens. Der Wohnbesitzbrief muß durch Gewährung eines Rechtsanspruchs auf Umwandlung einer Wohnbesitzwohnung in eine echte Eigentumswohnung das Prinzip der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung einhalten.Die SPD/FDP-Mehrheit im Vermittlungsausschuß hat die Chance vertan, eine ehrliche und wirkliche
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Dr. Jahn
Vermögensbildung zugunsten unserer sozial schwachen Bürger herbeizuführen.
Durch Wohnbesitzbrief zu Volleigentum, diesen Weg lehnen Sie ab. Zur Einräumung einer bloßen Mieterposition aber ist der Wohnbesitzbrief zu teuer.Wir treten weiterhin dafür ein: Privates Eigentum für alle! Nicht jedem eine, sondern jedem seine eigene Wohnung! Und das ist mehr als eine Politik der bloßen „Sicherung des Wohnens".
Herr Kollege Jahn, ich habe einen Hinweis: Hier werden Erklärungen zu dem Antrag des Vermittlungsausschusses abgegeben.
Herr Präsident, ich bin sofort am Ende.
Wir wollen mehr als die Politik der „Sicherung des Wohnens". Wir lehnen mit guten Gründen den Vorschlag des Vermittlungsausschusses ab. Wir sagen ja zur Vermögensbildung beim einzelnen Bürger, nicht bei den Baugesellschaften. Deshalb unser Nein zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens meiner Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab. Die Fraktion der Freien Demokraten stimmt dem Begehren des Vermittlungsausschusses zu.
Es ist festzustellen, daß es bei dieser Gesetzesvorlage um die Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz geht. Hier wird von der CDU der Versuch unternommen, nur den Wohnbesitz in das öffentliche Interesse zu bringen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ausdrücklich und überwiegend, d. h. mit mindestens 51 %, das Einzeleigenturn gefördert wird. Es handelt sich deshalb um ein Gesetz, das außerordentlich eigentumsfreundlich ist und gerade den schwachen Bevölkerungsschichten zugute kommt. Es trifft also nicht zu, wie Sie, Herr Kollege Dr. Jahn, sagten, daß hier eine Präferenz für den Wohnbesitzbrief besteht; vielmehr stehen beide Modelle gleichwertig nebeneinander. Ich hoffe, daß nunmehr auf Grund der Entscheidung des Vermittlungsausschusses die breiten Schichten der Bevölkerung in die Lage versetzt werden, Eigentum zu bilden. Wir hoffen, daß auch der Bundesrat seine Zustimmung geben wird. Ich darf den Bundestag bitten, dieser Gesetzesvorlage zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, die Berichte und die Erklärungen zu den Punkten 3, 4 und 5 unserer heutigen Tagesordnung sind damit abgegeben. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf der Drucksache 7/3777 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — 2 Stimmenthaltungen. Damit ist der Antrag des Ausschusses — gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU — angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag zu Punkt 4 auf der Drucksache 7/3778, Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Auch dieser Antrag ist — gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU — angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau auf der Drucksache 7/3779. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei 1 Stimmenthaltung ist auch dieser Antrag — gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU — gebilligt.
Damit sind die Abstimmungen über Anträge des Vermittlungsausschusses abgeschlossen.
Wir fahren in der Aussprache zu Punkt 2 der Tagesordnung — Berufsbildung — fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wüster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der bildungspolitischen Debatte vom Vormittag hat wieder einmal bewiesen: Deutschland braucht Bayern.
Es bedurfte augenscheinlich des bayerischen Kultusministers, um das Defizit in der Berufsbildungspolitik der CDU/CSU-Fraktion zu kompensieren. Auch der bayerische CSU-Abgeordnete Schedl brachte nicht viel mehr, als das dünne Papier Ihres Antrags hergab.Meine Damen und Herren von der Opposition, offenbar haben Sie nunmehr erkannt, daß ein totales Nein zu allen konkreten Vorhaben der Berufsbildungsreform draußen im Lande von niemandem mehr verstanden wird.
Die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs wurde von Ihnen um eine volle Woche mit der Ankündigung verschoben, man wolle eine Alternative vorlegen. Nun, was haben Sie vorgelegt? Damit hat die CDU/CSU erneut den Eindruck erweckt, als hätte sie tatsächlich ein Konzept, auf das sie sich, wenn schon nicht mit den anderen Parteien, so doch untereinander einigen könnte.
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Meine
sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte doch um Verständnis, daß der Redner im Hause nur verständlich ist, wenn die — sicher notwendigen — Gespräche außerhalb des Plenums geführt werden.
„Gemessen an diesem Ankündigungseffekt ist das Ergebnis mehr als enttäuschend", schreibt die „Süddeutsche Zeitung". Ich meine: Es ist auch ein Armutszeugnis, was Sie auf wenigen Seiten vorgelegt haben.
Wer sich nach jahrelanger Diskussion und vielen eigenen Ankündigungen nicht zu klaren Aussagen bekennt, der zeigt, daß er entweder immer noch etwas zu verbergen hat, so meine ich, oder daß ihm der Mut zur klaren Politik einfach fehlt.
Wer die verschiedenen Versuche der CDU/CSU, ihre Kongresse und Beschlüsse verfolgte, konnte deshalb auch nicht überrascht sein. Einerseits versucht die Opposition, durch unverbindliche und fortschrittlich klingende Formulierungen den Eindruck einer Reformbereitschaft zu erwecken, andererseits bezieht sie Positionen, die einfach nicht haltbar sind, offenbar deshalb, um damit frühzeitig auch ein Alibi für eine Ablehnung aller anderen Positionen zu schaffen.Zu diesem Instrumentarium gehört auch, weiterhin Verdächtigungen auszusprechen und Behauptungen aufzustellen, welche der Koalition einfach unterstellen, sie meine gar nicht das, was sie im Gesetzentwurf schwarz auf weiß vorlegte.Wer sich so verhält, meine Damen. und Herren, der versucht doch, mit gewaltigem Wortgeklingel die Zerstrittenheit zwischen Wirtschaftsflügel und Sozialausschüssen zu kaschieren und die offensichtlich immer noch unüberbrückbaren Gegensätze zwischen CDU und CSU zu vertuschen.
Wenn dabei einerseits fast übereinstimmende Meinungen zwischen Regierung und Opposition in der Offentlichkeit als Gegensätze aufgebaut und andererseits eigene Meinungsverschiedenheiten verniedlicht werden, steckt dahinter der Versuch, die Offentlichkeit für dumm zu verkaufen.Wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, in Ihrem Antrag nunmehr den Vorschlägen der Koalition nähern, ist damit ein erfreulicher Schritt von der pauschalen Verdammung zu einer differenzierteren Haltung vollzogen. Die Ernsthaftigkeit Ihrer Vorschläge müssen Sie allerdings noch in den Ausschußberatungen unter Beweis stellen, und Sie müssen von den vagen Formulierungen zu konkreten Beschlüssen kommen.Ich erkenne gern an, daß Sie sich mit Ihrem Antrag von der zwiespältigen Haltung der CDU/CSUregierten Länder im Bundesrat absetzen, die nur mit pauschalen und hergeholten Argumenten den Regierungsentwurf konterten und deren Vertreter inden beteiligten Ausschüssen sogar jede konstruktive Mitarbeit ablehnten. Auch der Auftritt von Herrn Maier heute morgen konnte mich nicht überzeugen und konnte darüber nicht hinwegtäuschen.Ich werfe niemandem vor, eine andere Meinung zu haben. Er bleibt aber als Politiker unglaubwürdig, wenn er kein praktikables Alternativkonzept vorlegen kann. Daß Ihr in Eile zusammengebastelter Alternativantrag diesen Kriterien nicht genügt, hat sogar Ihre eigene Jugendorganisation, die Junge Union, erkannt; denn nach einer Abwimmelung des Antrags wird festgestellt, er gefährde durch den Verzicht auf eine Finanzierungsregelung die Glaubwürdigkeit der Union.
Das ist, meine ich, starker Tobak.Es genügt eben nicht, Herr Pfeifer, ein Kompendium unverbindlicher, konkret kaum nachprüfbarer Erklärungen mit Sentenzen des Regierungsentwurfs zu vermengen und alles unter dem Motto zu verkaufen „weitere Reform der beruflichen Bildung". Es liegt an dieser Unverbindlichkeit und Ungenauigkeit, daß Ihre bisherigen Vorschläge von den beteiligten Gruppen auch kaum ernsthaft diskutiert wurden. Erst als Sie, wenn auch in einem bescheidenen Ausmaß, den Versuch machten, konkret zu werden, wurden Sie dabei auch ernst genommen. Das Ergebnis kennen wir alle: scharfe Ablehnung der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften. Die können Sie sich, so meine ich, hinter den Spiegel stecken.Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie daraus zweierlei lernen werden. Erstens. Es gibt in der Berufsbildung weder heute noch morgen eine Lösung, der alle Beteiligten gleichermaßen zustimmen. Eine solche Situation hat es auch noch nie gegeben. Zweitens. Die Anpassung an eine bestimmte Gruppe ohne ein eigenes bildungspolitisches Konzept zahlt sich politisch nicht aus. Ich hoffe aber auch, daß Sie nach diesem Erlebnis nicht erneut den Mut verlieren und daß Ihre Bildungspolitiker nicht zurückgepfiffen werden.Ich versuche, Ihren Antrag kritisch zu würdigen. In Teil B, meine Damen und Herren von der Opposition, fordern Sie das duale System der Berufsbildung in Betrieb und Schule, ein System mit der Ergänzung der Ausbildung in überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Genau das gleiche finden Sie auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Der Herr Bundeskanzler hat es heute morgen auch betont. In. der Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 heißt es: Dieses Berufsbildungssystem muß beibehalten werden. Warum also, so frage ich, verdächtigen Sie die Bundesregierung immer wieder, sie wolle die Berufsbildung verstaatlichen und verschulen? Es wäre gut, Sie würden einmal die Beschlüsse und Begründungen der Bundesratsmehrheit lesen, um festzustellen, wer wirklich die Schule zum Maßstab der Berufsbildung machen will und wer in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich die Verschulung am meisten vorangetrieben hat.Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12659WüsterAuch Ihre Behauptung, die überbetrieblichen Ausbildungsstätten würden zu einem dritten selbständigen Lernort, sind im Hinblick auf den Gesetzentwurf völlig aus der Luft gegriffen. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird ihr Zweck klar und unmißverständlich formuliert — ich zitiere —:Die Hauptaufgabe überbetrieblicher Ausbildungsstätten ist die Er g ä n z u n g der betrieblichen Berufsausbildung. Sie bieten in der Regel jene Ausbildungsabschnitte an, die im Betrieb aus verschiedenen Gründen . .. nicht hinreichend vermittelt werden können .. .Wie unhaltbar Ihre Behauptung ist, zeigt sich auch daran, daß die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung wenige Tage zuvor vereinbart hat, zusätzlich zu den bestehenden 23 000 überbetrieblichen Ausbildungsplätzen 27 000 neue zu fördern. Hier wird genau das begrüßt, was Sie polemisch immer wieder verzerren.Die in den Abschnitten B 2 und B 6 Ihres Antrags enthaltenen Forderungen zur Öffnung von Aufstiegs- und Lebenschancen durch berufliche Bildung sind blasse Umschreibungen der im Regierungsentwurf konkret gefaßten Ziele und Aufgaben der beruflichen Bildung, der inhaltlichen Gestaltung der Abschlüsse und der Finanzierung. Jedenfalls ist in diesem Bereich kein ernsthafter Gegensatz erkennbar. Ich bin gerne bereit, Ihnen dies durch eine Gegenüberstellung Punkt für Punkt zu belegen.Noch vor wenigen Wochen bezeichnete Ihr bildungspolitischer Sprecher die differenzierten Regelungen des Gesetzentwurfs — und heute morgen haben wir es wieder gehört — als „Zersplitterung" und sogar „Atomisierung". Nun fordern Sie in Ihrem Antrag, das Prinzip der Stufenausbildung müsse erhalten bleiben; Inhalt, Dauer und Zielsetzung müßten sich an den tatsächlichen Möglichkeiten orientieren; Schule und Ausbildungsgänge sollten den verschiedenen Lernfähigkeiten und Interessen der einzelnen Rechnung tragen. Aber haargenau das erfordert eine differenzierte Regelung.Der Regierungsentwurf ermöglicht das Prinzip der Stufenausbildung, und er sieht eine Grund- und Fachausbildung vor. Er schreibt allerdings das Berufsgrundbildungsjahr in seiner jetzigen Form nicht fest, sondern läßt Raum für die notwendige Entwicklung, die ja möglich sein muß. Sie müssen sich aber entscheiden, ob Sie eine gesetzliche Regelung wollen, die der Vielfalt beruflicher Bildung, der Notwendigkeit ständiger Entwicklungen und unterschiedlicher Bedürfnisse der Lernenden entspricht, oder ob Sie weiterhin polemisch jede Abweichung vom Einheitstopf als Verunsicherung und als Zersplitterung bezeichnen wollen.Auch die im Kapitel C II geforderten Sonderformen für leistungsschwache und behinderte Jugendliche können mit den Regelungen des Gesetzentwurfes weitaus besser als bisher erreicht werden. Der Gesetzentwurf sieht für Personengruppen, die wegen ihrer Vorbildung und ihrer vorangegangenen beruflichen Tätigkeit oder körperlicher, geistiger und seelischer Behinderung besonderer Ausbildungsmaßnahmen bedürfen, diese auch ausdrücklich vor.Ziel des Entwurfs ist es also, auch durch die berufliche Bildung den einzelnen Behinderten auf Dauer in Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Allerdings können nicht alle Forderungen im Gesetz geregelt werden. Viele dieser Aufgaben gehören nicht in dieses Gesetz, sondern in den Bereich der Länderzuständigkeit, der Bundesanstalt für Arbeit oder der Sozialversicherungsträger. Alles, was in einem Berufsbildungsgesetz zu regeln möglich ist, sieht der Gesetzentwurf vor.Die berufliche Weiterbildung nimmt darin einen breiten Raum ein. Der Entwurf berücksichtigt die erforderlichen Anpassungsfähigkeiten des Weiterbildungssystems genauso wie die Eigenverantwortlichkeit der Träger von Bildungsmaßnahmen. Ein solches offenes und anpassungsfähiges System ermöglicht den Erlaß staatlich anerkannter Weiterbildungsordnungen, und er läßt den Trägern der Weiterbildung alle Initiativen zur Entwicklung sowie zum Auf- und Ausbau offen.Die von Ihnen geforderte Trennung in Anpassungs- und Aufstiegs-Fortbildung — welch merkwürdige Begriffe! — wäre für ein flexibles Weiterbildungssystem nicht akzeptabel. Die Fortbildung mag sich zwar für den, der sie finanziell fördert, so darstellen; für eine inhaltliche Regelung sind diese Begriffe aber völlig ungeeignet.Meine Zwischenbilanz zeigt, meine Damen und Herren: Sie müßten dem Regierungsentwurf eigentlich sofort zustimmen. Er folgt in vielem den Aussagen Ihrer Anträge vom März des vergangenen Jahres und vom 10. Juni 1975. Die unionsregierten Länder scheinen dies in blindem Eifer übersehen zu haben. Wie Sie solche Widersprüche der staunenden Offentlichkeit verkaufen und klarmachen wollen, bleibt Ihr Geheimnis.Eines der zentralen Themen aber, die Abstimmung von Ausbildungsinhalten für Betrieb und Schule, ist so alt wie das duale System selbst. Das sogenannte gemeinsame Ergebnisprotokoll aus dem Jahre 1972, in dem Bund und Länder die Modalitäten für die Abstimmung von betrieblichen Ausbildungsordnungen mit schulischen Rahmenlehrplänen festlegten, war zwar ein erster Schritt. Die bisherige Praxis zeigte jedoch: Dieses Verfahren ist zu schwerfällig und auch zu zeitraubend. Darum ist ein klar definiertes und praktikables Verfahren zur Abstimmung und Anwendung unverzichtbar.Die organisatorischen Regelungen des Gesetzentwurfs müssen die vielfältigen, umfangreichen Kornpetenzen sinnvoll koordinieren. Das angestrebte Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern soll unter Wahrung der vollen verfassungsmäßigen Zuständigkeit das Abstimmungsverfahren vervollkommnen. Alle Forschungs-, Entwicklungs- und Verwaltungsaufgaben, die nicht von den Ministerien und von Verbänden unmittelbar selbst wahrgenommen werden können, sollen in einem Bundesinstitut für Berufsbildung konzentriert werden. Der bestehende Bundesausschuß für Berufsbildung und das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung werden darin eingegliedert.Wer nun behauptet, ein solches Institut würde ein perfektionistischer, bürokratischer Super-Was-
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Wüsterserkopf mit tausenden von Planstellen sein, mag sparschöpferische Begabung unter Beweis stellen; den Boden der Realität und der Glaubwürdigkeit hat er damit ganz bestimmt verlassen.
Es ist schlechterdings undenkbar, meine Damen und Herren, daß ein führender Bildungspolitiker der Union nicht weiß, daß das neue Institut insgesamt nicht einmal ein halbes Tausend Beschäftigte haben wird.Ihr Vorschlag, eine sogenannte Zentralstelle für berufliche Bildung einzurichten, versucht erfreulicherweise, den Anschluß an die Realität zu erreichen. Sie erkennen erstmalig an, daß eine gemeinsame zentrale Stelle auf Bundesebene notwendig ist. Zwar verlassen Sie damit die unhaltbare Position der CDU/CSU-Länder im Bundesrat, an Klarheit ist jedoch nicht das geringste gewonnen. Fragen über Fragen türmen sich auf:Erstens. Welche Rolle soll das bisherige Bundesinstitut für Berufsbildung in Berlin spielen? Wollen Sie es auflösen? Soll es separat weiter existieren? Soll es ein Bund-Länder-Institut werden?Zweitens. Welche Aufgaben und Rechte haben Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen? Wollen Sie diese auf bloße Beratungen zurückdrängen?Drittens. Wer soll die Rechtsverordnungen vorbereiten?Viertens. Wie wollen Sie Forschung und Entwicklung der beruflichen Bildung in die Praxis und in die Bildungsverwaltung einbeziehen?Sie teilen die bildungspolitische Welt offenbar in Besitzende und Habenichtse, in die vertragsschließenden Partner Bund und Länder, die etwas zu sagen haben, und die Außenseiter, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nur mitwirken dürfen. Das gilt dann — „edelmütig" — als Novum auch noch für die Lehrer.
— Im Rahmen der Beratungsrechte, lieber Herr Gölter; das nützt aber sehr wenig!
Mit diesem Vorschlag muten Sie auch dem Bund zu, auf eine Vielzahl von Instrumenten und Kompetenzen, die im geltenden Recht bereits verankert sind, zu verzichten und sogar seine eigenen Beratungsgremien zugunsten einer Vereinbarung mit den Ländern aufzugeben.
Das ist sicherlich kein Beitrag zur geforderten Bundeseinheitlichkeit, Herr Pfeifer.
— Lesen Sie einmal das, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben! — Das ist sicherlich — ich muß es noch einmal sagen — kein Beitrag zur geforderten Bundeseinheitlichkeit.Der von Ihnen vorgesehene Landesausschuß — man höre! — läßt das Land völlig unbeteiligt. Dies ist der einzige Ausschuß, der die jeweils zuständige Institution — ob Bund, ob Land oder Kammer — auf ihrer Ebene nicht beteiligt. Statt dessen sollen Vertreter der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Lehrer zu gleichen Teilen — Herr Gölter, das sagen Sie, aber hören Sie, jetzt kommt es nämlich — „beraten", „votieren" und „im Benehmen mit dem Kultusminister" dann Rahmenlehrpläne erlassen; das räumen Sie ihnen ein. Auf dieser Ebene aber kommt es auf die volle Berücksichtigung der Landespolitik an. Die nehmen wir hier wahr, die sichern wir. Sie werden das mit Ihrem Modell kaum erreichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gölter?
Bitte sehr!
Herr Kollege Wüster, halten Sie es für sinnvoll, daß in einem Landesausschuß, der auch nach dem Regierungsentwurf im wesentlichen die Funktion der Beratung der Landesregierung hat, Beamte der Landesregierung die eigene Landesregierung beraten?
Mein lieber Herr Gölter, hier zeigt es sich, ob ich diesen Gremien lediglich ein Mitwirkungsrecht einräume oder ob ich ihnen echte Mitbestimmung ermögliche; das ist bei Ihnen nicht der Fall.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gölter?
Bitte sehr!
Ich darf die Frage noch einmal präzisieren: Halten Sie es für sinnvoll, daß der Kultus- und der Wirtschaftsminister im Landesausschuß eigenen, ihnen im eigenen Ministerium unterstellten Beamten gegenübersitzen, die dann ihren eigenen Chef beraten? Glauben Sie, daß so unabhängige Beratung möglich ist?
Lieber Herr Gölter, ich bin der Meinung, daß es richtiger und besser ist, daß alle diese Gremien in einem Ausschuß vertreten sind, um sich untereinander zu konsultieren, als daß Beschlüsse gefaßt werden, die man nachher annullieren muß; das ist eine schlechte Sache.Natürlich ist die Mitbestimmung der Lehrer und Ausbilder ein sehr wichtiges Problem. Deshalb hat der Gesetzentwurf beide Gruppen auch viel stärker als jemals zuvor an der Mitarbeit auf allen Ebenen beteiligt. Man kann aber eine Gleichberechtigung
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Wüsterder Lehrer nicht dadurch erreichen, daß die Rechte der Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschmälert werden; das wollen wir nicht.
Die in Ihrem Antrag vorgesehene Regelung, wonach die Hälfte der Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Ausbildereignung verfügen müssen, greift voll in die autonomen Rechte dieser Gruppen ein. Man kann hier wohl nur sagen, daß dies einem Antifunktionärskomplex entsprungen sein muß. Wo in unserer Demokratie gibt es das denn, meine Damen und Herren: den Verbänden zwar Vertretungen einzuräumen, ihnen aber gleichzeitig vorzuschreiben, wen sie zu benennen haben!Bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, scheienen auch Planung und Statistik immer noch suspekt zu sein. Deshalb habe ich folgerichtig auch nichts davon in Ihrem Antrag vorgefunden. Wie wollen Sie aber allen Ernstes ein höheres Maß an Vorausschau erreichen, wie wollen Sie ohne gesicherte Datengrundlage verantwortlich handeln? Die Zeit, in der die Betroffenen im Nebel herumirrten und die Aufstiegsmöglichkeiten zum Lotteriespiel wurden, muß für uns endgültig vorbei sein.
Das neue Berufsbildungsgesetz, meine Damen und Herren, über das wir heute debattieren, ist das Kernstück der Berufsbildungsreform, aber es ist noch nicht alles. Die Bundesregierung hat eine Korrektur der Bildungspolitik erwirkt; der Stufenplan für die berufliche Bildung ist ein Beweis dafür. Berücksichtigen Sie aber bitte, daß nicht der Bund, sondern die Länder für die Berufsschulen verantwortlich sind, wie auch bekannt ist, daß auf diesem Feld noch außerordentlich große Mängel liegen. Wenn Sie nun, meine Damen und Herren, diese Mängel mit der Steuerverteilung, die Sie ja in Ihrem Antrag erwähnt haben, in Verbindung bringen, so zeigt das nur, wer Ihnen dabei die Feder geführt hat. Die Mängel in der Berufsschule sind aber keinesfalls eine Folge der Steuerverteilung, sonst müßte es ja gleiche Mängel auch in den Gymnasien geben. Sie sind eindeutig die Folge einer falschen Prioritätensetzung.Über Ihren Finanzierungsvorschlag haben bereits meine Kollegen gesprochen. Nur soviel möchte ich anmerken: Wer nach so langer Zeit nicht in der Lage ist, wenigstens e i n Modell vorzuschlagen, und sich deshalb in Prüfvermerke zurückziehen muß, zeigt, daß die Differenzen im eigenen Lager groß sind, zeigt, daß man nicht ernsthaft an eine Lösung herangeht, daß man keine ernst zu nehmende politische Kraft ist. „Das ist nicht nur ein Armutszeugnis, sondern auch für die Öffentlichkeit ein Ärgernis, die gerade in einem so komplizierten Sachbereich eine Alternative der Opposition gesehen hätte," schrieb die „Süddeutsche Zeitung".
Eine Prüfung Ihres Antrags, meine Damen und Herren, ergibt zwar viele Gemeinsamkeiten, zudenen ich auch Ja sagen könnte; in entscheidenden Punkten aber läßt er eine Menge zu wünschen übrig. Ich kann Ihnen daher nur empfehlen: Befreien Sie sich endlich von Ihrer Klientel! Beherzigen Sie ein Wort Lincolns: „Man kann das ganze Volk eine Zeitlang zum Narren halten und einen Teil des Volkes die ganze Zeit, aber nicht das ganze Volk die ganze Zeit."
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat seine Bemerkungen eingeleitet mit dem Satz: „Deutschland braucht Bayern." Ich würde im Blick auf Herrn Kultusminister Maier das doch etwas bescheidener formulieren und sagen: Deutschland braucht Schlaumeier.
und zwar einfach deshalb, meine Damen und Herren, weil hier ohne jeden Zweifel ein rhetorisches Feuerwerk abgefeuert worden ist,
aber doch in wesentlichen Sachfragen die eigentliche Problematik verdeckt worden ist nach der alten Devise: Immer alles auf die Bundesregierung schieben und in der Offentlichkeit nicht erkennen lassen, wie sehr hier die Verantwortung zwischen Bund und Land geteilt ist.
Nehmen Sie das Beispiel der Anrechnungsverordnung, die Frage des Kultusministers an die Adresse des Wirtschaftsministers, wie es mit den Berufsfeldern stehe. Jeder, der sich mit den Dingen beschäftigt, weiß, wie heftig umstritten die Berufsfeldfrage ihrer Zahl nach im Blick auf die Anrechnungsverordnung unter den Ländern ist, und wir können vom Bund her nichts tun ohne die Kooperation mit den Ländern in dieser Frage. Oder die Kritik, daß wir die Anrechnungsverordnung für einige Berufsfelder auszusetzen beabsichtigen oder jedenfalls da die Anrechnung auf ein halbes Jahr reduzieren — das ist eine Forderung, die etwa Herr Dr. Gölter ganz generell in seiner entsprechenden Schrift erhoben hat —, wo die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Herr Professor Maier scheint hier anderer Auffassung zu sein. Ich finde, wir müssen diese Debatte hier so führen, daß auch für die Öffentlichkeit sichtbar wird, wie sehr wir im Grunde genommen in diesen Fragen aufeinander angewiesen sind.
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Parl. Staatssekretär GrünerOder nehmen Sie die überhöhten Ausbildungsanforderungen, die uns hier vorgehalten worden sind, auch von Herrn Professor Maier, auch von Ihnen, Herr Dr. Gölter, und von beiden Seiten mit dem Unterton: Das habt ihr doch falsch gemacht. Das ist ja auch der Vorwurf gewesen, den die Wirtschaft lautstark — auch in dem Brief an den Bundeskanzler — erhoben hat. Meine Damen und Herren, das ist einfach unehrlich, denn diese Ausbildungsordnungen sind in entscheidender Weise mit von den Fachverbänden der Wirtschaft und von den Gewerkschaften gemacht worden; sie sind nicht etwa gegen den Willen dieser Verbände, sondern mit deren ausdrücklicher Zustimmung gemacht worden.
Ich finde, daß das berechtigt war, und ich kritisiere am Verhalten der Wirtschaft insbesondere, daß sie — ich glaube, Frau Schuchardt hat darauf mit Recht hingewiesen — in ihrer Polemik in der Offentlichkeit mit ungeheuerer Intensität den Eindruck erweckt hat, als habe sie mit diesen Ausbildungsordnungen überhaupt nichts zu tun gehabt, als sei das da oben in Bonn einseitig gemacht und aufoktroyiert worden.Meine Damen und Herren, das ist ein Fortstehlen aus einer gemeinsamen Verantwortung. Manches von der viel besprochenen Verunsicherung in der Wirtschaft wäre nicht entstanden, wenn die Verantwortlichen in der Wirtschaft bereit gewesen wären, sich wenigstens in diesem Bereich zu ihrer Mitverantwortung zu bekennen.
Herr Kollege Schedl hat von geheimnisvollen Aktivitäten von Mitgliedern der Regierung gesprochen,
von Briefen, die geschrieben worden sind. Daran ist gar nichts Geheimnisvolles, Herr Kollege Schedl. Der Bundeswirtschaftsminister hat nicht nur an den Fraktionsvorsitzenden Ihrer Fraktion, sondern auch an die führenden Männer der Wirtschaft für diese Debatte die Frage gerichtet, wie sie zu den neuen Vorschlägen der Fraktion der CDU/CSU stehen. Nichts anderes wird in diesen Briefen gefragt, übrigens fast inhaltlich gleich auch in einem Brief
in Fortsetzung einer Korrespondenz, die Minister Friderichs mit Herrn Carstens geführt hat. — Wenn die Adressaten einverstanden sind, bin ich sehr gern bereit, Ihnen diesen Brief zur Verfügung zu stellen. Ich erbitte dann aber als kleine Gegenleistung auch die Antwort, die Sie bekommen werden.
— Eine Antwort ist uns bis heute nicht zugegangen.Wir können im Augenblick lediglich die Presseverlautbarung des Kuratoriums der Wirtschaft zudiesem Thema zitieren. Sonst steht eine Antwort auf diese Frage noch aus.
— Keinerlei konzertierte Aktion, aber es ist doch selbstverständlich, daß nach den erbitterten und außerordentlich harten Angriffen der Wirtschaft gegen dieses Konzept der Bundesregierung die Frage erlaubt sein darf, wie nun die Teilkonzepte der Opposition, die sich diese Kritik pauschal zu eigen gemacht hat, aus der Sicht der Wirtschaft betrachtet werden und ob etwa bei Ihren doch sehr freundschaftlichen und engen Beziehungen gerade zu diesen Kreisen der Wirtschaft aus der Tatsache, daß ein solches Konzept nun von Ihnen mit Andeutungen über einen Lastenausgleich vorgelegt wird, etwa auch auf einen Sinneswandel bei der betroffenen Wirtschaft geschlossen werden kann. Das ist doch sicher eine berechtigte Frage, die uns interessiert.
Herr
Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer?
Herr Staatssekretär, nachdem Sie diesen Brief jetzt selbst in die Debatte eingeführt haben, darf ich Sie folgendes fragen: Ist dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft der Briefwechsel bekannt, den es in den letzten Tagen zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft und zumindest einem der Spitzenverbände der Wirtschaft gegeben hat, die heute von der Koalition unisono hier angegriffen worden sind?
Herr Kollege Pfeifer, es wird in dieser Debatte von einer Unzahl von Briefen gesprochen. Ich habe keine Ahnung, von welchem Briefwechsel Sie jetzt sprechen. Sie können jedenfalls sicher sein, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft über jede Korrespondenz, die in dieser Frage geführt worden ist, orientiert ist.
— Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit, um das hier einmal nachdrücklich zu unterstreichen. Ich kann nur noch einmal betonen, daß keiner dieser Briefe, die gewechselt werden, das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen hat unter der Voraussetzung, daß die Adressaten auch dieser Veröffentlichung zustimmen.
Aber lassen Sie mich zum Kernpunkt dessen kommen, was ich gern in dieser Debatte sagen möchte, da ja gerade die Frage der Finanzierung der beruflichen Bildung mit Recht im Mittelpunkt der heutigen Diskussion steht und mit Recht die Frage aufgeworfen wird, ob dieses Finanzierungskonzept der Bundesregierung den entscheidenden Anforderungen, die wir eigentlich gemeinsam an ein solches Konzept zu stellen haben, gerecht wird, nämlich der Anforderung, geeignet zu sein, zu-
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Parl. Staatssekretär Grünersätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Das ist jedenfalls die Grundlage für die Vorlage der Bundesregierung gewesen.Angesichts der außerordentlichen ökonomischen Bedeutung eines solchen Finanzierungskonzeptes war es selbstverständlich, daß der Bundeswirtschaftsminister in dieser Fage und bei der Erarbeitung dieses Konzepts ein entscheidendes Wort mitzureden hatte und daß dieses gesamte Konzept, das wir hier vorlegen, auch voll vom Bundeswirtschaftsminister wegen seiner ökonomischen Sachgerechtigkeit getragen wird.Alle anderen Überlegungen, die angestellt worden sind — es gibt ja beachtliche Überlegungen, etwa Vorschläge der Edding-Kommission, aber auch die in Ihrem Papier angestellte Überlegung, ob ein genereller Lastenausgleich zwischen den Betrieben der richtige Weg wäre —, haben einen entscheidenden Nachteil: daß die Umlage der gesamten Kosten der betrieblichen Berufsausbildung oder eines wesentlichen Teils dieser Kosten in einen Schattenhaushalt oder in einen Fonds, oder wie immer Sie das nennen, einmünden — übrigens auch beim Augsburger Modell; in dem Augenblick, wo Sie Kosten umverteilen, muß eben ein solcher Fonds in Milliardenhöhe entstehen. Das hätte die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft mit Sicherheit getroffen und die Inflationsgefahr erhöht. In dem Maße, in dem durch eine Kollektivierung von betrieblichen Kosten der Berufsausbildung der Zwang zum sparsamen Wirtschaften fortfällt, steigt die Gefahr der Mißwirtschaft, des staatlichen Dirigismus und der Zementierung überholter Strukturen einschließlich der Fehllenkung von Arbeit und Kapital.Ziel unseres vorgelegten Systems ist es — im Gegensatz zu einem generellen Umverteilungssystem, das sich an dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit des Lastenausgleichs orientiert —, diese negativen Auswirkungen zu verhindern; denn man muß sich klar darüber sein, daß, wenn große Teile der jetzigen Kosten umgelegt werden — ob im Augsburger Modell oder auf eine andere Weise —, diese Umlage dann auch dazu führen kann, Betriebe in diesem Bereich zu subventionieren, die in Wahrheit nicht mehr voll wettbewerbsfähig sind. Auf diese Weise kann es sogar dazu kommen, daß Jugendliche in Berufen ohne Zukunft ausgebildet werden und „kostenlose" Lehrlinge an die Stelle von normalen Arbeitskräften treten. Man sollte sich dieses Thema sehr gründlich durch den Kopf gehen lassen, um einer solchen Gefahr vorzubeugen.Das Ziel unserer Bildungspolitik ist ja nicht etwa, billige Arbeitskräfte für die Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, sondern qualifizierte Kräfte als Nachwuchs auszubilden, und zwar dort, wo sie in der Zukunft auch benötigt werden.
Zwei von drei Erwerbstätigen haben eine betriebliche Ausbildung im Rahmen des dualen Systems absolviert. Fehlentwicklungen im Bereich der beruflichen Bildung, auch durch ein falsch angesetztes Finanzierungssystem, können folglich schwerwiegende Auswirkungen auf die Vollbeschäftigungund die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft haben.
Angesichts der Bedeutung dieser Problematik bin ich nicht bereit, die Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung" zu unterstreichen, die sagt: „Armutszeugnis für die CDU/CSU", weil Sie sich bisher nicht zu einem Konzept haben durchringen können. Aber ich finde, Sie sollten auch ehrlich genug sein, anzuerkennen, daß es außerordentlich schwierig war, auf diesem Neuland ein Konzept vorzulegen, wie das die Bundesregierung getan hat, das jedenfalls diesen negativen Auswirkungen nicht nachgibt. Das scheint mir das Entscheidende zu sein. Ich habe gegen dieses Finanzierungskonzept auch bisher einen schwerwiegenden Einwand noch nicht gehört.In der Offentlichkeit ist zuwenig gesehen worden, daß dieser Regierungsentwurf an Stelle von Vorschlägen getreten ist, die, wie es das Gutachten der Edding-Kommission vorschlägt, eine globale Umverteilung vorsehen, sondern daß nach diesem Konzept nur im Bedarfsfall eine Förderung erfolgen soll und daß diese Förderung, ähnlich wie eine Investitionszulage, durch Prämien im wesentlichen auf zusätzlich zu schaffende Ausbildungsplätze beschränkt ist. Dieses „incentive system" hat sich in der Ökonomie vielfach bewährt. Es funktioniert auch unbürokratisch. Es ist effizient, und — das ist auch für Ihre Überlegung ja ganz entscheidend — es beinhaltet eben gerade nicht die von Ihnen befürchtete Manipulationsmöglichkeit über ein finanzielles Steuerungssystem. Das muß man sehr deutlich sehen.Nicht der Fonds ist die eigentliche Gefahr, die Sie im Auge haben müssen, sondern Sie müssen die Frage im Auge haben, ob ein solcher Fonds etwa dazu mißbraucht werden kann, daß nur bestimmte Betriebe unter ganz bestimmten Gesichtspunkten ausbilden werden. Das vermeidet unser System — —
— Darüber werden wir dann in den Ausschüssen sehr eingehend zu diskutieren haben.
— Ja, selbstverständlich, weil hier ein ganz klares Konzept vorliegt, mit dem. eine klare Anspruchsberechtigung, die das Verhalten der Wirtschaft nicht von außen bestimmt, verbunden ist: also kein Lastenausgleich zwischen den Betrieben. Hier stimme ich voll mit dem überein, was Herr Professor Maier hier ausgeführt hat.Es besteht — und das hat ja auch das EddingGutachten zum Ergebnis gehabt — kein Zusammenhang zwischen den Kosten der Ausbildung und der Qualität der Ausbildung. Das ist ein wesentliches Ergebnis des Edding-Gutachtens. Ein solcher Zusammenhang konnte dort nicht festgestellt werden. Wir appellieren eindringlich an die Wirtschaft — vor allem an die Betriebe, die eine entsprechende Neigung haben, weil sie sich davon finanziell etwas versprechen, gerade weil sie stark ausbildungsinten-
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Parl. Staatssekretär Grünersiv sind —, sich doch nicht verführen zu lassen, von diesem Grundtatbestand abzugehen, der einfach ökonomisch vorhanden ist. Wir sollten es dabei belassen, wenn wir diese berufliche Ausbildung auch in Zukunft im sogenannten dualen System haben wollen. Die Betriebe bilden nicht aus, weil sie eine gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllen, sondern sie bilden ganz nüchtern deshalb aus, weil sie die künftigen Facharbeiter für ihren eigenen Betrieb brauchen. An diesen Grundlagen sollte man nicht vorbeigehen, und man sollte sie auch nicht verändern.
Die Finanzierungsregelung im Regierungsentwurf sieht dementsprechend finanzielle Hilfen nur für den Fall vor, daß ein bestimmtes Mindestangebot an Lehrstellen nicht erreicht wird.
Ziel dieses Anreizsystems ist es, ein ständiges Überangebot an Lehrstellen sicherzustellen und so einen Numerus clausus für Lehrlinge zu vermeiden. Es ist ein zentrales bildungspolitisches Anliegen, daß jeder, der eine Berufsausbildung anstrebt und dafür geeignet ist, auch die Möglichkeiten zu einer solchen Ausbildung hat. Wir sind bewußt davon ausgegangen, daß es mindestens für eine Übergangszeit bis zum Jahre 1982, wenn die Jahrgänge wieder schwächer werden, aus gesellschaftspolitischen Gründen auch in Kauf genommen werden sollte, daß unter Umständen mit einem solchen System mehr Lehrlinge ausgebildet werden, als das dem heute angenommenen Bedarf der Wirtschaft tatsächlich entspricht; denn wir haben ja auch die Erfahrung gemacht, daß eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung einen Wert an sich darstellt
und daß selbst der, der dann in einen anderen Beruf überwechseln muß, unter Berufung auf diese Ausbildung und die Qualifikation, die er sich mit einer solchen Ausbildung erworben hat, insofern profitiert, als er weniger anfällig etwa gegen Arbeitslosigkeit ist, als er es ohne eine solche Berufsausbildung wäre. Das sind die entscheidenden Kriterien.Die Ausbildungsplatzprämien — ich habe darauf hingewiesen — sollen für die Dauer eines Jahres gewährt und durch eine Berufsbildungsabgabe finanziert werden, die von allen öffentlichen und privaten Arbeitgebern erhoben wird. Die Abgabe kann nur dann für ein weiteres Jahr erhoben werden, wenn nach Ablauf eines Jahres der Mindestüberhang nicht erreicht worden ist und nicht zu erwarten ist, daß er im Laufe des nächsten Jahres erreicht wird. Es ist also nicht beabsichtigt, eine Ausbildungssteuer einzuführen. Die Wirtschaft hat es vielmehr in der Hand, durch die Bereitstellung eines ausreichenden Lehrstellenangebots die Abgabe zu vermeiden. Hier wird eine Hilfe zur Selbsthilfe angeboten, meine Damen und Herren, und wir wünschen uns, daß dieses System nicht in Funktion treten muß. Wenn es nicht in Funktion treten müßte, hätten wir wie in der Vergangenheit ein so großes Angebot an Ausbildungsplätzen, daß keine Notwendigkeit zu einem solchen Förderungssystem bestünde.Wir können es aber nicht hinnehmen, daß die Wirtschaft sich auf den Standpunkt stellt: Wir werden das schon schaffen, und ihr Politiker braucht keine Instrumente für den Fall vorzubereiten, daß wir das nicht schaffen. — Das ist in Wahrheit die Haltung, die der Deutsche Industrie- und Handelstag in dieser Frage eingenommen hat, und ich meine, ohne daß ich damit einen Vorwurf verbinde — die konjunkturellen Entwicklungen haben natürlich auch gute Absichten der Wirtschaft insgesamt durchkreuzt —, die heutige Situation zeigt, daß wir nicht davon ausgehen können, daß es ohne ein solches Instrumentarium gelingen kann, den Numerus clausus — auch wenn ich nicht den Ergebnissen unserer Erhebungen, unserer Statistik in dieser Frage vorgreifen will — zu vermeiden. Wir können jedenfalls im Augenblick nicht davon ausgehen, daß es ohne ein solches Instrumentarium, ohne eine solche Möglichkeit zu haben, geht.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas hinzufügen. Herr Dr. Gölter hat in der Debatte etwas höhnisch gesagt: Was Sie hier vorlegen, ist ein Hilfsinstrument für das Jahr 1979, und jetzt haben Sie gar nichts. Meine Damen und Herren, es ist ganz entscheidend, daß dieses Finanzierungssystem, das wir hier vorgelegt haben, ein System ist, das in jeder Form jederzeit anwendbar ist, auch wenn wir die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Umlage noch nicht geschaffen haben. Die entscheidende Kritik an dem Prämiensystem in Ihrem Dringlichkeitsantrag zielt ja nicht auf die Tatsache, daß Sie den Vorschlag gemacht haben, 20 000 Ausbildungsplätze zusätzlich durch ein Prämiensystem anzureizen — das ist ja auch der Grundgedanke dieses Gesetzentwurfs —, sondern auf die Tatsache, daß Sie keine Kriterien vorgelegt haben, daß Sie nicht gesagt haben, wer die Prämien bekommen soll und unter welchen Voraussetzungen.
Sie haben damit einen ganz schweren Fehler gemacht;
denn wenn man tatsächlich die Absicht hat, eine solche Anreizwirkung zu entfalten, und das so undifferenziert ankündigt, wie Sie das getan haben, dann ist der Attentismus derer, die auszubilden haben, die zwangsläufige Folge. Das ist ein sehr unüberlegter Schritt gewesen.
Meine Damen und Herren, ich meine, daß man sich über diese ökonomischen Zusammenhänge klar sein muß, und ich bin überzeugt davon, daß es uns in der Debatte in den Ausschüssen und auch bei der Anhörung gelingen wird, die Erkenntnisse über diese ökonomischen Zusammenhänge noch zu vertiefen. Der Regierungsentwurf ist kein Allheilmittel, und wir wissen sehr genau, daß ein solches Gesetz nur auf Grund der Kooperationsbereitschaft der
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Parl. Staatssekretär GrünerWirtschaft, auch durch die Bereitschaft der Unternehmer, hier ihre Verantwortung zu erkennen, überhaupt funktionieren kann.Wir betrachten dieses Gesetz auch als eine — lassen Sie es mich so formulieren — vertrauensbildende Maßnahme. Wir erwarten aber auch, daß die ökonomischen Grundlagen dieser Überlegungen tatsächlich von der Wirtschaft anerkannt werden und daß man nicht in einem Pauschalverfahren — ohne eigentlich auf die Grundüberlegung einzugehen, nämlich mit der Not fehlender Ausbildungsplätze fertig werden zu müssen — einfach erklärt, es bedürfe keines solchen Gesetzes.Im Hinblick auf die vielfach hohe Ausbildungsintensität der kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Lohnintensität ist in diesem Regierungsentwurf für den Eventualfall der Umlage ein Freibetrag in Höhe von 400 000 DM vorgesehen. Das entspricht etwa einer Beschäftigungszahl von 20 Arbeitnehmern. Dieser Freibetrag wird allen Unternehmen gewährt, d. h. daß Unternehmen mit etwa 20 Arbeitnehmern oder weniger von der Umlage völlig befreit sind und daß Unternehmen, deren Lohnsumme diesen Betrag übersteigt, nur auf der Basis der diese 400 000 DM übersteigenden Lohnsumme zur Abgabe herangezogen werden. Damit ist sichergestellt, daß die ja besonders ausbildungsintensiven kleineren und mittleren Unternehmen zu einem erheblichen Teil freigestellt, aber auch in einem ganz erheblichen Maße entlastet werden.Denn, meine Damen und Herren, es ist ja ein zweiter Haken des Themas „Lastenausgleich für die Betriebe", daß sich jeder Lastenausgleich an der Lohn- und Gehaltssumme orientiert und damit gerade die lohnintensiven Betriebe aufs härteste trifft. Wir haben bei unserem System an die kleinen und mittleren Unternehmen gedacht; für uns ist Mittelstandpolitik in diesem Bereich nicht nur ein leeres Wort, sondern wir haben unsere Maßnahmen darauf abgestellt, daß hier nicht eine schwerwiegende Wettbewerbsverfälschung zu Lasten der kleinen und der mittleren Betriebe eintritt, übrigens eine Wettbewerbsverfälschung, die selbstverständlich auch beim Augsburger Modell, das Sie vor Augen haben, eintreten muß. Je höher Sie nämlich den Lastenausgleich wählen, desto weniger sind Sie in der Lage, kleine und mittlere Unternehmen aus diesem Lastenausgleich zu befreien, wenn Sie die Belastung der übrigen Betriebe nicht ins Ungemessene und Unerträgliche steigen lassen wollen.Ich möchte das, was wir hier überlegt haben, an einem Zahlenbeispiel deutlich machen. Die Ausbildungsabgabe soll höchstens 0,25 % der um den Freibetrag verminderten Lohnsumme betragen. Das bedeutet, daß ein etwaiges jährliches Aufkommen aus der Abgabe auf der Basis von 1974 eine Größenordnung von maximal 700 Millionen DM erreichen wird. Wenn Sie sich vorstellen, daß etwa eine Gesamtumlage der Nettoausbildungskosten einen Fonds von 7 Milliarden DM erfordern würde, sehen Sie schon die Größenordnungsunterschiede. Obwohl dieser Betrag wesentlich niedriger ist als alle sonstigen bisher diskutierten Ganz- oder Teilumlagen, bietet das vorgesehene Verfahren die Möglichkeit, mit einem relativ geringen Aufwand eine großeZahl von zusätzlichen Ausbildungsplätzen wirksam- und zwar mit durchschnittlich etwa 5 000 DM imJahr — zu finanzieren.
— Der Attentismus wird dadurch ausgeschaltet, daß die Grundlage für den Anspruch ganz klar festgehalten ist: Nur der, der zusätzliche Ausbildungsplätze anbietet, kann diese Prämie erhalten. Und das läßt sich nicht manipulieren. Wenn Sie bei der Prämiierung zusätzlicher Ausbildungsplätze die Durchschnittszahl der letzten drei Jahre nehmen, läßt sich das nicht manipulieren.
In Ihrem Antrag steht davon gar nichts!
— Ein Bezugsjahr 1974? Wir haben in unserem System einen Bezugszeitraum von drei Jahren vorgesehen, um auf jeden Fall sicherzustellen, daß dieser Vorwurf der Manipulation nicht erhoben werden kann.
— Das ist nicht der Fall, weil die befürchtete Tendenz, langfristig nicht auszubilden, an dem Grundtatbestand vorbeigeht, daß die Betriebe, die ausbilden, im eigenen Interesse ausbilden.
Alle, die so argumentieren, gehen völlig an demGrund dafür vorbei, daß die Betriebe ausbilden, gehen am Motiv vorbei. Und der „Lastenausgleich" übersieht ja, daß eine große Firma nicht deswegen, weil man ihr die Hälfte der Berufsbildungskosten zu Lasten anderer Firmen abnimmt, etwa die Zahl ihrer Auszubildenden verdoppeln wird, wenn sie für diese Auszubildenden keinen Bedarf hat.
Das ist ein zentraler Fehler des Lastenausgleichssystems und dieses Denkens.Dieses Denken ist deshalb so gefährlich, weil wir diese Forderung aus vielen Bereichen der Wirtschaft gestellt bekommen und weil das Denken in Ansprüchen, in Berechtigungen in einem Maße um sich greift — auch in vielen Betrieben der Wirtschaft —, das uns besorgt stimmt, weil hier die eigentliche Grundlage verlassen wird, auf der diese Betriebe ausbilden. Wir sollten dem nicht nachgeben, sollten diesem Anspruchsdenken nicht Rechnung tragen und sollten nicht so tun, als bildeten diese Betriebe um gesellschaftspolitischer Verantwortung willen aus, weshalb man ihnen das abnehmen müßte. Nein, sie bilden aus, weil sie die Leute brauchen, und dabei soll es bleiben.Ich habe darauf hingewiesen, daß eine Förderung aller vorhandenen Ausbildungsplätze im Wege eines Umlageverfahrens einen Mittelaufwand, also eine Umverteilung in Höhe von 7 Milliarden DM erfor-
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Parl. Staatssekretär Grünerdern würde. Dagegen würde die Förderung von 60 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen — das sind immerhin mehr als 15 % der Ausbildungsplätze oder -verhältnisse, die wir heute haben — mit durchschnittlich 5 000 DM jährlich nur 300 Millionen DM im Jahr an Ausbildungsumlage erfordern. Kein Bildungspolitiker, der an der Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von — und zwar auch qualitativ hochstehenden — Ausbildungsplätzen interessiert ist, kann wünschen, daß die finanzielle Belastbarkeit der Wirtschaft durch die Umverteilung bestehender Ausbildungskosten strapaziert wird, statt für die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in Anspruch genommen zu werden. Ich halte das für einen ganz entscheidenden Gesichtspunkt, gerade auch weil ja der Bildungspolitiker wünschen und hoffen muß, daß wir wieder in die Lage zurückkehren, in der der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen ein wesentlich größeres Angebot entgegensteht; denn nur so haben wir die Chance, auch schwächer Begabte in Ausbildungsstellen unterzubringen. Das war ja doch in der Vergangenheit der Fall, und das ist ein zentrales bildungspolitisches Anliegen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir uns über diese Grundfragen im Finanzierungsbereich in den Ausschüssen eingehend unterhalten werden, und ich hoffe sehr, daß es insbesondere gelingen wird, die Wirtschaft davon zu überzeugen, daß hier ein Weg beschritten wird, der gangbar ist und der den Problemen, die ja viele Unternehmer selber spüren, etwas von ihrer Schärfe nimmt. Ich muß jedenfalls an die Adresse der Verbände sagen, daß ihre Haltung, zu sagen: der Gesetzgeber hat sich nicht vorzubereiten, der Politiker braucht in dieser Richtung nicht nachzudenken, der großen Verantwortung nicht gerecht wird, die die Wirtschaft in dieser Frage hat. Ich möchte das mit außerordentlichem Nachdruck gerade angesichts der jetzigen wirtschaftlichen Entwicklung unterstreichen.Ich habe schon darauf hingewiesen, wie sehr die Kritik an den angeblich überzogenen Ausbildungsordnungen unberechtigt ist, weil ja diese Ausbildungsordnungen in Wahrheit von der Wirtschaft selber, von den Fachverbänden entscheidend geprägt werden. In den Ministerien ist ja gar nicht der Sachverstand vorhanden, um die Vielzahl solcher Ausbildungsordnungen zu gestalten. Und wir verlangen von den Verbänden, daß sie sich auch zu dieser Mitverantwortung bekennen. Ich glaube, daß dabei viel an Versachlichung der Diskussion, aber auch an Wirkung nach außen, in den einzelnen Betrieb hinein, geleistet werden könnte, wenn die Wirtschaft sich zu dieser Verantwortung bekennen würde. Das halte ich für unerläßlich.
— Sicher, das ist völlig richtig, und ich glaube, ichhabe sehr deutlich gemacht, daß das Konzept, daswir hier vorgetragen haben, ganz ausgeprägt diekleinen und die mittleren Betriebe im Auge hat, weil wir wissen, welche hohe Ausbildungsleistung dort erbracht wird, weil wir auch wissen, daß etwa die Handwerker in einem ganz erheblichen Maße den Rückgang an Ausbildungsplätzen, der in anderen Bereichen eingetreten ist, aufgefangen haben. Weil wir das wissen und weil wir das schätzen und weil wir auch wissen, daß das, was an Ausbildungsleistung im Kleinbetrieb erbracht wird, vielfach eben nicht allein an der Elle von irgendwelchen papierenen Verordnungen zu messen ist, sondern weil da noch andere Dinge mit eine Rolle spielen, haben wir in unserer Finanzierungsregelung auf diese Betriebe entscheidend Rücksicht genommen, die auch dann von unserem Finanzierungssystem profitieren können, wenn sie selber zur Abgabe nicht herangezogen werden. Das zu sagen, ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch ganz wichtig.Aber — und das möchte ich noch einmal unterstreichen — wenn etwa der Präsident des Handwerks, Herr Schnitger, die Forderung erhebt, daß Ausbildungskosten aus Steuermitteln übernommen werden sollten — in welcher Form auch immer —, dann meine ich: Wer eine solche Forderung erhebt -- es gibt durchaus Gründe dafür, und man kann sicher darüber diskutieren, solche Leistungen aus Steuermitteln zu erbringen; wir alle wissen, welche Schwierigkeiten einer solchen Finanzierung entgegenstehen —, den warne ich vor solchen Gedankengängen. Denn sie stehen in Wahrheit doch im Widerspruch zu der bisher eingenommenen Haltung, daß in diesem Bereich vom Gesetzgeber nichts getan werden müsse. Wer Steuermittel fordert, hat im Grunde genommen schon unterstellt, daß hier zusätzliche finanzielle Leistungen erbracht werden müssen. Das ist ein Beweis dafür, daß — etwa im Bereich des Handwerks — ein solches Konzept doch für notwendig gehalten wird.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß die Möglichkeit, in dieser Frage zu einem Konsens zu kommen, durchaus gegeben ist — gerade auch in dieser außerordentlich schwierigen Frage der Finanzierung. Ich bin mir als einer derjenigen, die an der Erarbeitung dieses Konzepts beteiligt waren, völlig darüber im klaren, welche Schwierigkeiten bei einer solchen Konzeption zu überwinden sind und wie außerordentlich kompliziert die Sachverhalte sind, wie wenig berechenbar. Das haben wir ja in allen Bereichen der Wirtschaft, auch bei unseren Investitionszulagen. Vieles hängt ja von der Reaktion derer ab, an die diese Offerte gerichtet wird.Ich meine, daß hier eine Grundlage für die Zusammenarbeit gegeben ist, und ich möchte Sie von der Opposition auffordern, an der Erarbeitung dieser Konzeption mitzuwirken. Eine Grundlage ist heute hier vorgelegt worden, und ich meine, die Debatte hat gezeigt, daß dieses Konzept eine Grundlage darstellt, auf der wir gemeinsam arbeiten können.
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Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier soeben einen Vertreter der Bundesregierung gehört, der eine lange Zeit darauf verwendet hat, dem Prinzip des Lastenausgleichs eine klare Absage zu erteilen, dem Prinzip des Lastenausgleichs, das innerhalb der Sozialdemokratischen Partei noch am letzten Wochenende von der AfA, deren Vorsitzender ja, wenn ich mich nicht irre, Herr Bundesminister Rohde ist, wieder auf den Schild gehoben worden ist. Eines kann ich dann allerdings nicht verstehen: daß die Sozialdemokraten, sobald sie im Parlament sitzen, auf eben diesen Lastenausgleich verzichten. Ich gehe dabei davon aus, daß Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner das, was er hier gesagt hat, im Namen der Koalition gesagt hat. Wir werden dann von Ihnen dafür geprügelt, daß wir dieses Prinzip des kontinuierlichen Lastenausgleichs nicht so leichtfertig aufgeben, sondern in diesem Antrag sagen:
Wir wollen dies in den nächsten Monaten in einem Hearing, das im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft durchgeführt wird, auf den Prüfstand stellen.
— Bevor Sie uns solche Fragen stellen, Herr Kollege Reuschenbach, würde ich an Ihrer Stelle einmal Gewissenserforschung betreiben. Auf der einen Seite beschließen Sie nämlich auf Kongressen — ich kann mir vorstellen, daß Sie selber dabei waren —: kontinuierlicher Lastenausgleich! Dann aber lassen Sie hier Herrn Grüner sprechen, der spricht dagegen, und anschließend werden wir geprügelt, weil wir sagen: wir wollen diesen Gedanken nicht von vornherein abblocken, sondern das in einem Hearing mit Experten auf den Prüfstand stellen. Dies ist eine sachgerechte Haltung, meine sehr verehrten Damen und Herren.Wir haben hier heute morgen von den Koalitionsrednern auch in einigen anderen Punkten Stellungnahmen gehört, die man einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte. Nehmen wir beispielsweise Herrn Engholm oder auch andere Kollegen! Sie haben hier immer wieder die Fehlentwicklungen der letzten Jahre in der beruflichen Bildung beschworen. Es muß doch die Frage erlaubt sein: Wer regiert denn in diesem Lande seit sechs Jahren? Wer hat sich denn sechs Jahre lang über die berufliche Bildung so gestritten, zum Teil so zerstritten, daß die Betroffenen immer mehr verwirrt wurden? Wer hat sechs Jahre lang eine so leichtfertige Wirtschaftspolitik betrieben, daß Jugendarbeitslosigkeit in diesem Lande erstmals zu einem Massenproblem geworden ist? Sie können die Verantwortung für die Probleme, die entstanden sind, nicht von sichweisen und sie erst recht nicht auf andere abwälzen, wie das hier heute morgen auch wieder einmal versucht worden ist.
Der Herr Bundeskanzler hat übrigens uns von der Opposition heute morgen mehr oder weniger schadenfroh vorgehalten, daß wir mit unserem Antrag zur Reform der beruflichen Bildung ebenfalls ins Kreuzfeuer der Spitzenverbände der Wirtschaft geraten sind. Ich kann da nur fragen: Wieso versuchen Sie dann draußen und auch in diesem Parlament, uns immer wieder in diese Ecke hineinzudrängen?
Ich bin der Auffassung, die Herren Friderichs und Grüner wären da wohl die geeigneteren Prügelknaben, insbesondere für Sozialdemokraten. Meine Damen und Herren, wir wissen doch, daß die Drähte der Spitzenverbände der Wirtschaft bis tief ins Kabinett hineinreichen.
Sie können hier nicht so tun, als gäbe es diesen Sachverhalt nicht.
Ein zentraler Vorwurf gegen die bisherigen Regelungen in der beruflichen Bildung lautet: Über die Kammern als Arbeitgebereinrichtungen kontrolliert sich die Wirtschaft selber. Dieser Vorwurf ist schwerwiegend; er schadet dem Ansehen der beruflichen Bildung ebenso wie dem Ansehen der Marktwirtschaft. Wenn aber der Regierungsentwurf Wirklichkeit wird, wird dieser Vorwurf, kaum abgeschwächt, im Raum stehenbleiben.Ihr Vorschlag sieht vor, der paritätisch besetzte Berufsbildungsausschuß bei den Kammern solle in der beruflichen Bildung mehr Kompetenzen erhalten, insbesondere in Personalfragen. Aber glauben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, im Ernst, daß Sie damit dem berechtigten Vorwurf der Interessenschlagseite Ihres Entwurfs entgehen können?Hier hat die Union in ihrem Antrag eine klare und bessere Alternative. Ohne die Selbstverwaltungsaufgaben der Kammern aufzuheben, ohne die Funktion der Ausbildungsberater zu beeinträchtigen, kann und muß nach unseren Vorstellungen die notwendige Interessenneutralität und -unabhängigkeit bei der Kontrolle der betrieblichen Ausbildung hergestellt werden. Als Konsequenz daraus haben wir den Vorschlag gemacht, bei der Kontrolle der betrieblichen Ausbildung unabhängige staatliche Aufsichtsbehörden damit zu beautragen, vor Ort zu überprüfen, „inwieweit die gesetzlichen und die sonstigen Vorschriften durch die Ausbildungsbetriebe erfüllt werden". Dazu bedarf es allerdings keines Riesenapparats. Entscheidend ist, daß die Aufsichtsbehörden in ausreichendem Umfang Stichproben vornehmen können.
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12668 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Dr. Klein
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die berufliche Bildung ist ja ein Bereich, in dem die Mitbestimmung der Beteiligten und der Betroffenen ganz besonders wichtig ist. In diesem abstrakten Grundsatz stimmen in diesem Hause wohl alle überein. Aber dann müssen wir die Koalition kritisch fragen: Warum läßt der Regierungsentwurf die Berufsschullehrer und ihren Sachverstand in den meisten Gremien draußen vor der Tür? Warum enthält man den Berufsschullehrern im Berufsbildungsausschuß der Kammern das Stimmrecht vor? Warum berücksichtigt der Regierungsentwurf in den eigentlichen Mitbestimmungsgremien die wichtige Gruppe der Ausbilder überhaupt nicht, abgesehen von einem Fachausschuß auf untergeordneter Ebene im Berufsbildungsinstitut, das Sie vorgeschlagen haben?Wir sind der Meinung: Eine solche Diskriminierung zentral wichtiger Gruppen in der beruflichen Bildung machen wir nicht mit.
Die Koalition ist unserer Auffassung nach zu eng und zu starr auf das Dreieck Staat — Arbeitgeber — Arbeitnehmer fixiert.Unser Vorschlag, nämlich neben dem Staat und neben den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen auch die Berufsschullehrer und die Ausbilder in die Mitbestimmung einzubeziehen, hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens. Dieser Vorschlag ist gerechter, weil er alle an der Ausbildung Beteiligten einbezieht. Zweitens. Er ist sachgerechter, weil Berufsschullehrer und Ausbilder am hautengsten mit der Berufsausbildung befaßt sind und daher ein besonders hohes Maß an Sachverstand in die entsprechenden Gremien einbringen können.Lassen Sie mich auch noch etwas zu einem Kapitel des Regierungsentwurfs sagen, das hier in der Diskussion vielleicht etwas zur kurz gekommen ist, nämlich zum Kapitel „Planung und Statistik". Die gesetzliche Einführung verläßlicher Datenerhebung ist auch nach unserer Auffassung notwendig. Dabei aber bitte Konzentration auf die wesentlichen Daten und kein statistischer Wildwuchs, wie es Ihr Gesetzesvorschlag in die Diskussion bringt!Im übrigen erweist sich der hochtrabende Titelbegriff „Planung" im Gesetzestext, wenn man genau hinschaut, als Hochstapelei. Für eine vernünftige Planung wäre es nämlich notwendig, wie wir schon im vergangenen Jahr in einem Antrag gefordert haben, „fundierte Aussagen über künftige sozialwirtschaftliche Entwicklungen und Berufsstrukturen zu erarbeiten".Aber genau dies leisten die §§ 74 bis 84 Ihres Gesetzentwurfs nicht; denn die zentralen Fragen — „Wie wird sich der gesellschaftliche Bedarf für die Berufe X und Y wahrscheinlich entwickeln; wie läßt sich vermeiden, daß jährlich Zehntausende von jungen Menschen eine Ausbildung in einem Berufbeginnen, mit dem sie anschließend keine Chance
Kollege Gölter hat mit Recht gesagt, die Koalition propagiere ihren Gesetzentwurf, insbesondere die Finanzierungsregelung, als ein Allheilmittel. Um es klipp und klar zu sagen: Dies ist ein Täuschungsmanöver. Genausowenig wie SPD- oder FDP-Wahlen in Nordrhein-Westfalen etwas mit dem Aufschwung zu tun hatten, genausowenig hat dieser Gesetzentwurf mit der Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit oder des Lehrstellenmangels in diesem Lande etwas zu tun.
Der Beweis ist leicht erbracht; den Beweis hat mir Herr Grüner besonders leicht gemacht:Dieses Gesetz tritt vor 1976 nicht in Kraft. Für die Finanzierungsregelung brauchen Sie Daten, die Sie nach diesem Gesetz frühestens 1977 ermitteln können, so daß eine Finanzierungsverordnung frühestens 1978 in Kraft treten kann. Dennoch tun Sie seit Monaten so, als wenn dieser mißlungene Gesetzentwurf als Wunderwaffe gegen die gegenwärtige Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt werden könnte.Wenn man sich die Finanzierungsregelung einmal im Detail anschaut, kann man voraussagen, daß dieser Finanzierungsvorschlag eben nicht mehr Ausbildungsplätze schafft, sondern er verführt sogar dazu, das Ausbildungsangebot einzuschränken.
Mir ist überhaupt nicht die Behauptung einleuchtend gewesen, daß der Finanzierungsvorschlag, wie Herr Grüner ihn hier dargestellt hat, ein Überangebot an Ausbildungsplätzen noch am ehesten sichere. Denn wer heute die Ausbildungsplätze reduziert und einspart, der hat eben die Aussicht, ab 1978 Prämien zu kassieren, wenn er dann nämlich auf das bisherige Kontingent aufstockt. Wir wissen doch, daß in der Diskussion um diesen Gesetzentwurf in Ihren eigenen Reihen — ich weiß das von Ihren Kollegen — der Konzeption der Herren Friderichs und Grüner, die sich dann doch durchgesetzt haben, dieses entgegengesetzt worden ist. Ihnen ist, hoffe ich, wenn Sie mit der Basis in den Betrieben einigermaßen vertraut sind, auch bekannt, daß es leider heute schon Betriebe gibt, die mit diesem Gedanken spielen: „Lassen wir 1975 und 1976 unter dem Kostendruck, den wir nun einmal haben, erst mal das Lehrstellenangebot einschränken, und anschließend haben wir dann ab 1978 die Chance, die Prämie abzukassieren." Dies ist eben kein Beitrag zu mehr Ausbildungsplätzen, sondern dies ist ein Beitrag zu weniger Ausbildungsplätzen.Einen solchen Fonds für ein Jahr einzuführen und ihn dann wieder sterben zu lassen, was ist denn das eigentlich für eine Regelung? Sie brauchen dafür einen großen Apparat, und diesen großen Apparat wollen Sie in kürzester Frist, in ein paar Monaten auf die Beine stellen, und im nächsten Jahr wollen Sie die Leute dann wieder vor die Türe setzen,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12669
Dr. Klein
Im übrigen ist dieser Vorschlag auch aus einem anderen Grund ein Beitrag zur Verunsicherung der Betroffenen. Denn kein Mensch weiß, ob er etwas bekommt, und kein Mensch weiß, wieviel er bekommt. Was die jungen Menschen in diesem Lande brauchen, ist eine zweifache Antwort auf ein doppeltes Problem: erstens eine kurzfristig wirksame Antwort und zweitens eine langfristig bessernde Antwort. Mit den Mechanismen, die frühestens 1977/1978 greifen, ist doch den jungen Menschen im Jahre 1975/76 nicht gedient. Selbst wenn es gute Regelungen wären, wäre dies nicht anders.
Deswegen haben wir von der Union für 1975/1976 ein Dringlichkeitsprogramm vorgeschlagen, bei dem wir bis zu einem gewissen Grade sicher sind, daß es greifen würde. Der entscheidende Unterschied im System dieser Förderung ist, daß nach unserem Vorschlag eben das Lehrstellenangebot durch dieses Prämiensystem nicht nach unten manipulierbar ist. Wenn das Bezugsjahr 1974 ist, dann können Sie eben nicht manipulieren, was im Jahre 1975 ein zusätzlicher Ausbildungsplatz ist. Wenn Sie aber die Prämie erst 1978 oder 1979 einsetzen lassen, kann ein Betrieb 1975 und 1976 mit Blick auf die künftige Prämie manipulieren. Wenn es Ihnen mit der Abhilfe bei den Problemen in dieser Zeit, in 1975 und 1976, ernst gewesen wäre, hätten wir Sie zu fragen: warum haben Sie dann unser Dringlichkeitsprogramm abgelehnt, und zwar ohne eine eigene Alternative vorzulegen, obwohl unser Dringlichkeitsprogramm zentral vorsah, zusätzliche Ausbildungsplätze aus Konjunkturförderungsmitteln mit einer Prämie bis zu 4 000 DM zu fördern?Wie unsolide dieser Ihr Finanzierungsvorschlag ist — ich komme sofort zum Schluß, Frau Präsident! —, wird auch an der janusköpfigen Propaganda sichtbar, die die Minister Friderichs und Rohde jeweils in ihrem eigenen Bereich betreiben. Da geht Herr Rohde hin, stellt sich vor die AfA oder auch vor die Gewerkschaft und sagt: „Wir haben hier einen Fonds." Die Herren Friderichs und Grüner gehen hingegen zur Wirtschaft und versichern: „Alles nur halb so schlimm! Das Ding ist so konstruiert, daß es niemals in Kraft tritt." Das ist unsolide Politik!
Das arithmetische Mittel zwischen den Herren Friderichs und Rohde ist eben noch lange kein „ausgewogenes Konzept", wie es der Herr Bundeskanzler hier genannt hat. Die Millionen junger Menschen in unserem Lande haben ein besseres Reformkonzept verdient als das, was Sie hier vorgelegt haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Möllemann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schon bei einer Reihe von voraufgegangenen Debatten über bildungspolitische Vorhaben wird auch heute wieder deutlich, daß eine der wesentlichen Ursachen für die unbefriedigende Situation auf dem Bildungssektor die gegebene Kompetenzverteilung ist. Mit Recht ist von verschiedenen Rednern hier darüber Klage geführt worden, daß die inhaltliche Verzahnung von Theorie und Praxis der beruflichen Bildung wie auch die Ausgestaltung der organisatorischen Voraussetzungen auf den unterschiedlichen Ebenen sehr zu wünschen übriglasse.Wir Freien Demokraten teilen diese Kritik. Allerdings meinen wir, es wäre sinnvoller, nicht nur über die Symptome dieses Problems zu reden, sondern die Ursachen ins Auge zu fassen. Das bedeutet dann: Da ganz offensichtlich Bund und Länder bei der gegebenen Kompetenzverteilung seit längerem nicht in der Lage sind, der bildungspolitischen Probleme dergestalt Herr zu werden, daß im notwendigen Maße eine einheitliche und bessere bundesweite Situation entsteht, da dies ohne Zweifel trotz aller Bemühungen von Koordinierungsgremien wie der Bund-Länder-Kommission oder der Kultusministerkonferenz nicht gelingt, da diese Gremien überdies außerhalb der direkten Kontrolle des Parlaments in einer grauen Zone der Demokratie angesiedelt sind, sollten alle Parteien in diesem Hause, die der gleichen Auffassung sind oder es vielleicht einmal waren — wie beispielsweise die CDU in ihrem Berliner Programm —, mit den Liberalen für die notwendige Bundeskompetenz im Bildungswesen nicht nur eintreten, sehr viel mehr auch endlich verwirklichen.
— Herr Kollege Probst, ich warte nun schon etwa seit sechs Stunden auf den ersten konstruktiven Beitrag Ihrerseits, bin aber sicher, daß ich darauf noch lange werde warten müssen.
— Ach, Herr Kollege Nordlohne, nachdem ich Ihre Attacken auf den NDR zur Kenntnis genommen habe, weiß ich auch, was ich von Ihnen zu halten habe, gerade bei bildungspolitischen Fragen.
Eine weitere Vorbemerkung erscheint nach dem bisherigen Verlauf der Debatte geboten zu sein: Bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen im Detail, die, wenn man das rhetorische Beiwerk einmal beiseite biegt, offenkundig nicht mehr so groß ist, jedenfalls nicht in allen Punkten, und bei aller sozusagen naturnotwendigen Polemik scheint den verantwortlichen Rednern der Fraktionen und damit auch diesen selbst die Ansicht gemeinsam zu sein, daß im Bereich der beruflichen Bildung sowohl im schulischen wie im betrieblichen Teil, in der Frage der Organisation, der Inhalte wie auch bei der Finanzierung Verbesserungen unbedingt notwendig sind.Dies erscheint deshalb wichtig — und auch dem Grunde möchte ich es unterstreichen —, weil auf Kundgebungen der einen oder anderen Industrie-, Handels- oder Handwerkskammer nicht nur von de-
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Möllemannren Vertretern manchmal praktisch jede Reformnotwendigkeit bestritten wurde, sondern auch Kollegen dieses Hauses, nämlich Abgeordnete der Opposition, wider besseres oder auf Grund schlechteren Wissens in diesen Chor einstimmen nach dem Motto: Wir sind nach der alten Art ausgebildet worden. Wir sind dabei etwas geworden und sogar in den Bundestag gekommen. Was soll also das ganze Reformgerede?
Diese Kollegen haben die heute morgen hier zitierten Schleiertänze aufgeführt, niemand sonst.
Mit diesen Verfahren sollte man Schluß machen; auch mit solchen Zwischenrufen, wie Sie sie hier machen, Herr Kollege Kroll-Schlüter von der Opposition. Denn ein solches Verfahren könnte sich natürlich sehr schnell als Bumerang erweisen. Es könnte ja sein — ich wage das jetzt einfach einmal für möglich zu halten —, daß aus dem Antrag, dem Initiativantrag der CDU/CSU ein richtiger Gesetzentwurf wird. Es könnte ja sein, daß darin dann die verschiedenen Berufsbildungskonzeptionen der Union unter einen Hut gebracht werden.
Es ist ja auch gar nicht auszuschließen, daß dieses Konzept dann beispielsweise in der Frage der Organisation und der Finanzierung Veränderungen bringt. Dann, liebe Kollegen, werden Sie es doppelt so schwer haben, plötzlich die Notwendigkeit einer Reform zu begründen, die bislang von einigen aus Ihren Reihen — gerade bei solchen Anlässen — heftigst verneint wurde. Das bestätigt ja schon die gestrige Stellungnahme von seiten der Wirtschaft, die hier schon des öfteren zitiert worden ist.
Erlauben Sie mir allerdings, meine Damen und Herren, dennoch Zweifel daran anzumelden, daß es die Opposition schaffen wird, diesem Hause, den Betroffenen und der Offentlichkeit einen eigenen konkreten Gesetzentwurf vorzustellen, wiewohl es der Offentlichkeit dann sicherlich leichter fallen würde, Ihre Entscheidungsgrundlage als Basis Ihrer Kritik an uns objektiv zu beurteilen. Es muß auch gar nicht, finde ich, an Sonthofen liegen, daß diese Alternative von Ihnen bislang nicht vorgelegt wurde.
— Natürlich! Das ist auch sehr gut gewesen, mit Sonthofen; das wird auch noch öfter kommen, Herr Kollege Probst.
Es ist ganz einfach so, daß in der Oppositionsfraktion mindestens vier Richtungen bestehen,
denen allerdings gemeinsam ist, daß sie alle etwas anderes wollen. Da ist zunächst jene Richtung, die ich bereits angesprochen habe, jene Kollegen wie die Abgeordneten Schulze-Vorberg und Hauser, die schlicht erklären, im Grunde sei ja alles gut — das sehe man an ihnen selbst —, deshalb sei auch nichts zu ändern. Das ist so geschehen vor einem Berufsbildungskongreß der Kammern.Dem ist verwandt die Konzeption der Kollegen Probst und Schedl, die bei ihrer Schwesternpartei CSU in dieser Frage offenbar das Sagen haben. Das geltende Gesetz reiche aus, sagen diese.
Mit der Ihnen eigenen Feinfühligkeit, mit einem besonderen Sinn für das Historische sprechen Sie, Herr Probst, dann von der Regierungsvorlage als einem Ermächtigungsgesetz.
Die Gruppe drei — angeführt von den Kollegen Gölter und Pfeifer —, das ist die Gruppe der Bildungspolitiker der Union.
Diese sind im Grunde in der schwierigsten Lage. Sie wissen um die Probleme, sie möchten auch ganz gerne konstruktive Lösungsvorschläge unterbreiten, sogar, wenn ich es richtig verstanden habe, zur Finanzierung
— ja, Sie kommen natürlich auch noch dran! —; aber es rächt sich jetzt, daß sie die erstgenannten Gruppen nicht nur haben nachdenken und vortragen lassen, sondern daß sie diesen auch die Gelegenheit gegeben haben, ihre Meinung, ihre Positionen öffentlich festzulegen, und zwar in einer Richtung, die ihnen wohl, glaube ich, nicht paßt, und das mehr, als sie es eigentlich wollen können.
— Der des öfteren zitierte Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" spricht Ihnen, glaube ich, Herr Kollege Gölter, wahrscheinlich, wenn Sie es auch nicht zugeben wollen, aus dem Herzen.Doch wir sollten die Gruppe vier, Herr Kollege Klein, tatsächlich nicht vergessen, die CDA, das christ-demokratische Arbeiteralibi, die das genaue Gegenteil von dem will, was beispielsweise die Kollegen Hauser und Probst ersonnen haben: Entmachtung der Kammern; davon reden sie selber. Es wird uns doch sicherlich gestattet sein, es mit Interesse zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie sich hier über Arbeitsgemeinschaften in der einen oder anderen Art, in der einen oder anderen Partei mokieren und daß man dann bei Ihnen feststellen muß, daß Sie vor zwei Wochen auf dem Kongreß der CDA
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12671
MöllemannRheinland noch Forderungen aufgestellt haben, von denen Sie hier natürlich mit keinem Wort mehr gesprochen haben, wohl deshalb, weil Sie es natürlich nicht mehr dürfen. Ich meine, wenn man selbst im Glaushaus sitzt, sollte man auf andere nicht mit Steinen werfen.
Vielleicht — um diese tour ,d'horizont zu Ende zu bringen — könnte auch der Kollege Blüm, der sich in „Konkret" und „Das da" zu diesen Fragen zu äußern pflegt, hier einmal zur Kenntnis bringen und seinem Vorsitzenden Kohl klarmachen, weshalb er staatliche Instanzen gern an der Stelle der Kammern sähe, was wiederum Herr Kohl für eine unzulässige Entmachtung erachtet.Sie wissen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß wir Liberalen Anhänger des Pluralismus sind. Aber so viel Pluralismus, wie Sie in dieser Frage bieten, ist etwas schwierig.
— Da würde ich Ihnen völlig zustimmen, daß wir so liberal wie Sie nicht sind; auf diese Art und Weise möchte ich auch nicht liberal werden.
Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, daß die Diskussionen des heutigen Tages, die außerhalb dieses Hauses stattfinden, auch für eine gewisse Einheitlichkeit in dieser Frage sorgen werden, wie wahrscheinlich diese Erörterungen außerhalb dieses Hauses auch eine Einheitlichkeit in anderen Fragen bei Ihnen bringen werden.Bei der Erörterung der beruflichen Bildung haben wir dann hier auch ein Votum des bayerischen Staatsministers für Kultus, des Herrn Maier, gehört, der die unterschiedlichen Stellungsnahmen der CDU/CSU im Bundestag und der CDU/CSU im Bundesrat damit begründet hat, daß er auf die eigenständige Funktion des Bundesrates als föderatives Bundesorgan verwies. Ich nehme fast an, daß darauf Herrn Grüners Bezeichnung vom „Schlaumeier" gemünzt war. Es wäre ja schön, wenn die CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat nicht mehr als Nothelfer der Opposition des Bundestages taktieren würden. Aber die Verhältnisse sind bislang nicht so, denn man kann darauf verweisen, daß erstens das Berufsbildungsgesetz von den Kultusministern der Länder bereits abgelehnt wurde, als es überhaupt noch keinen Regierungsentwurf gab,
zweitens, daß für Herrn Kiesinger beispielsweise, der ja — denke ich — immer noch eine gewisse Rolle bei Ihnen spielt, der Bundesrat ein wichtiges Oppositionsinstrument ist und daß drittens selbst Ihr Parteivorsitzender, Herr .Kohl — ich zitiere —, „den Ausbau der Koordination und Kooperation zwischen Parteizentrale, Bundestagsfraktion und Mehrheit im Bundesrat" gefordert hat.
Die unterschiedlichen Stellungnahmen zum Berufsbildungsgesetz bedeuten meines Erachtens nicht, daß die Koordination zwischen Bundesratsmehrheit und Bundestagsminderheit nicht funktioniert. Nur haben sich offensichtlich mittlerweile zwei Koordinationszentralen bei Ihnen gebildet, eine in Bonn, die andere in München, und das ist letztlich Ihr entscheidendes Problem, glaube ich.
— Ja, es bekümmert mich manchmal.
— Herr Kollege Gölter, Sie werden mir schon erlauben, den Beitrag, den ich hier zu halten gedenke, so zu gestalten, wie ich es für richtig halte.
Ich hätte bei Ihrer Rede heute morgen allerdings auch einiges Inhaltliche erwartet; ich weiß gar nicht mehr, wo ich den Optimismus hergenommen habe.Bei der Erörterung der Lage der beruflichen Bildung, meine Damen und Herren, haben wir immer wieder festgestellt, daß die berufsbildenden Schulen in besonderem Maße Schwierigkeiten haben, ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden. Ihre räumliche, sächliche und personelle Ausstattung ist oft völlig unzureichend. Wir Freien Demokraten begrüßen es daher, daß die für diesen Bereich zuständigen Länder entschlossen sind, auf die Beseitigung des Lehrermangels an den Berufsschulen wie auch auf die Verbesserung der sonstigen Ausstattung zu dringen und darauf besonderen Wert zu legen. Das Angebot an qualifizierten Lehrkräften nimmt ja im Zuge der allgemeinen Entwicklung derzeit zu. Wir hoffen, daß die Länder trotz der angespannten Finanzlage alle Anstrengungen unternehmen werden, dieses Angebot auch zu nutzen.Wir müssen nun unsererseits dazu beitragen, daß den Lehrern an den Berufsschulen ihre Arbeit erleichtert wird. Dafür ist nicht nur die endlich durchzuführende Abstimmung der Inhalte der Schulen mit den betrieblichen Inhalten vonnöten, dazu würde sicherlich auch beitragen — dies ist hier schon mehrfach angesprochen worden —, wenn die Lehrer stärker mit echten Einflußmöglichkeiten an der Arbeit der verschiedenen mit der Berufsbildung befaßten Gremien beteiligt würden. Dies beginnt bei den Berufsbildungsausschüssen der Kammern, wie vorhin hier angesprochen, und geht bis zum Bundesinstitut. In dieser Hinsicht möchten wir die Gesetzgebungsvorlage kritisch überprüfen.In einem weiteren Punkt, meine Damen und Herren, beweist der Gesetzentwurf seine Notwendigkeit. Er konzipiert ein offenes und anpassungsfähiges Weiterbildungssystem, das den Trägern der beruflichen Weiterbildung einen großen Spielraum für alle Initiativen beläßt. Wir alle können dem, so glaube ich, zustimmen, wenn es im Gesetzgebungstext heißt:Die berufliche Weiterbildung hat für den einzelnen, die Gesellschaft und die Wirtschaft an Ge-
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12672 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Möllemannwicht gewonnen. Berufliche Weiterbildung ist angesichts der sich ständig verändernden Anforderungen in Beruf und Gesellschaft eine notwendige Ergänzung der Berufsausbildung im Sinne eines lebenslangen Lernens.Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute ist hier darüber gesprochen worden, daß Maßnahmen zur Sicherung oder auch zur Schaffung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots vonnöten seien, daß dieses Anliegen äußerst dringlich sei. Wir stimmen dem zu und glauben, daß dieser Gesetzentwurf, insbesondere das auf dieses Ziel gerichtete Finanzierungsverfahren, dazu einen wesentlichen Beitrag leisten können.Auch die Aussagen des Kollegen Klein wie die des Kultusministers Maier hierzu haben mich nicht vom Gegenteil überzeugen können. Sie waren in gewisser Weise auch, so fand ich, widersprüchlich, da Kultusminister Maier wohl der Auffassung ist, daß das finanzielle Problem zumindest kein wesentlicher Aspekt bei der Entscheidung der Betriebe ist, während wir doch in den Gesprächen beispielsweise mit den Mitgliedern der Kammern, insbesondere den Handwerkern, die dort organisiert sind, den Eindruck gewonnen haben, daß auch die Kostenfrage für sie ein ganz erhebliches Argument ist, das sie geregelt wissen möchten.Wir würden uns eigentlich freuen, wenn wir künftig nicht immer nur bei Podiumsdiskussionen, bei denen wir dann auf die einzelnen betroffenen Handwerker treffen, von ihnen hören könnten: Natürlich möchten wir einen Ausgleich erfahren!, sondern wenn sich auch einmal Herr Schnitker beispielsweise dies zu eigen machen könnte; denn sonst kommt irgendwann einmal der Verdacht auf, daß einer von beiden vom anderen nicht so recht weiß.Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, einige der bestehenden Bedenken bei den kommenden Anhörungsverfahren auszuräumen. Wir wollen auch nicht ausschließen, daß — was dieses Finanzierungsverfahren angeht — wir im Detail noch zu einigen besseren und wirkungsvolleren Lösungen kommen können. Die Freien Demokraten sind dafür offen, offen nicht nur für eine Diskussion im Ausschuß, sondern auch für die Erörterungen mit den betroffenen und beteiligten Organisationen.Wir wären allerdings, wie ich schon sagte, sehr froh, wenn künftig der Eindruck vermieden würde, als seien Vorsitzende und Präsidenten von Verbänden zu konstruktiven Dialogen bereit, während dann die Geschäftsführer und andere die Konfrontation um jeden Preis suchen, wobei es dann allerdings — diesen Verdacht kann man nicht ausräumen — weniger um Fragen der beruflichen Bildung als vielmehr um bloße Machtpolitik geht.Die Lehrer an den berufsbildenden Schulen, die Ausbilder in den Betrieben, die Betriebe selbst und nicht zuletzt die Auszubildenden erwarten von uns, daß wir alles unternehmen, um sehr bald die Lage der beruflichen Bildung zu verbessern.Die FDP wird dazu ihren Beitrag leisten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Rohde.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So ist das eben, Herr Kollege Dr. Klein: Auf der einen Seite wird aus den Reihen Ihrer Fraktion gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung' der Vorwurf erhoben, er höhle die Selbstverwaltung der Wirtschaft in der Berufsbildung aus. Auf der anderen Seite habe Sie in einem Artikel des „Deutschland-Union-Dienstes" bedauert, daß die „Macht der Kammern" leider nicht gebrochen werde. Nun werden wir in den Ausschußberatungen sehen, was aus den „Brechern" wird. Dann wieder wird im Hinblick auf die Finanzierung erklärt, sie sei zu umfangreich in ihren Größenordnungen, beispielsweise in der Bezugszahl 12,5 % als Markierung für das angestrebte Überangebot von Ausbildungsplätzen; andererseits sagen Sie, sie helfe gar nichts. Es wird Zeit, daß alsbald in den Ausschußberatungen die Einzelheiten behandelt werden. Dann gibt es die Chance — so denke ich jedenfalls —, von den Vorurteilen wegzukommen und hin zu den Urteilen zu gelangen, die auf der Grundlage des konkreten Gesetzestextes zu bilden sind.Ich habe mich insbesondere deshalb gemeldet, um den Beitrag des bayerischen Kultusministers aufzugreifen, den er selbst „einen flüchtigen Durchgang durch die Sache" genannt hat. Er hat eine ganze Reihe von Fragen an mich gerichtet. Ich hätte es übrigens begrüßt, Herr Kollege Maier, wenn wir in dieser Weise schon im Rahmen des Bundesrates hätten diskutieren können.
Dort hat sich der bayerische Kultusminister weder in den Ausschuß- noch in den Plenardebatten zu Wort gemeldet. Erst der Bundestag ist von ihm als Forum benutzt worden, um seine Auffassungen darzulegen.
Ich kritisiere das nicht. Ich stelle das hier nur fest.
Ich will noch ausführen, was eine solche Feststellung soll, wenn Sie mich zu Wort kommen lassen.
— Das ist Ihre Meinung. Ich werde Ihnen das Argument sagen, das in den letzten Wochen eine erhebliche Rolle gespielt hat, nämlich der Vorwurf, der Bundesbildungsminister stimme sich nicht in ausreichender Weise mit den Kultusministern der Länder ab. Ich habe es bedauert, daß die von der Union regierten Länder über Wochen — eigentlich kann man sagen: über Monate — hinweg zumeist nur von nachgeordneten Beamten in den Beratungen des Bundesrates und vor allen Dingen in den zuständigen Fachausschüssen vertreten waren.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12673
Bundesminister RohdeIch hätte lieber die Diskussion mit den Kollegen geführt, die in ihren Ländern politisch Verantwortung tragen, und nicht allein mit Beamten, die sich zur Sache nicht äußern durften. Sie waren gehalten, nur vorfabrizierte Resolutionen in den Fachausschüssen des Bundesrates vorzulesen. Das ist doch wohl nicht Ausdruck sachbezogenen, kooperativen Föderalismus.Nun zu den einzelnen Fragen, die der Kollege Maier aufgeworfen hat. Nicht durchgehen lassen kann ich das, was er zur verfassungsgemäßen Einschätzung der Zuständigkeiten im Bereich der außerschulischen, also betrieblichen Ausbildung gesagt hat. Das blieb in der Sache beunruhigend und unbefriedigend. Wer an Zuständigkeiten in Frage stellt, was heute ist, der stellt damit die Weichen zur Zersplitterung der betrieblichen Bildung, welche rethorischen Einschränkungen er dabei auch macht.Es stimmt, Herr Kollege Maier, daß die Mehrheit des Bundesrates nicht so weit gegangen ist wie etwa der „Bayerische Staatsanzeiger", der dem Bund nur noch die Zulassung zu den Berufen, aber nicht die Regelung der Ausbildungsinhalte gestatten will. Wenn wir die Erfahrungen, die wir mit dem Berufsgrundbildungsjahr und in vielen anderen Fragen, wie z. B. den Berufsfeldern, gemacht haben, auf die betrieblichen Ausbildungsordnungen übertragen wollten, dann würde das für das duale System eine erhebliche Belastung und Beunruhigung bedeuten. Mein Mißtrauen gegenüber dem blau-weißen Horizont bleibt also in dieser Frage.
— Weiß-blau. Das will ich auch gern aufnehmen. Sie können das von beiden Seiten besehen, in der Sache bleibt das in diesem Punkte leider gleich.
— Dazu liegt mir eine Bemerkung auf der Zunge. Aber die will ich herunterschlucken; denn Altbundeskanzler Adenauer hat einmal gesagt, in der Politik müsse man manchmal auch dem Juckreiz widerstehen können.Ich komme damit zu einem zweiten Einwand, den der Kollege Maier gemacht hat, wie sich nämlich die berufliche Bildung zu Entwicklungen in der Gesamtbildungspolitik verhält und wie das Spannungsfeld von Bildung und Beschäftigung einzuschätzen ist. Darüber hätte ich mit ihm auch schon gern im Bundesrat diskutiert. Aber dort war nur der bayerische Wirtschaftsminister anwesend, mit dem solche Grundsatzfragen und auch die besonderen Probleme des Berufsgrundbildungsjahres nicht auf jener bildungspolitischen Betrachtungsebene zu erörtern waren, wie sie der Kollege Maier heute in die Diskussion eingeführt hat.Wenn wir im Bundesrat Zeit gehabt hätten, Herr Kollege Maier, dann hätte ich darauf hingewiesen, daß der Numerus clausus nicht nur die Gründe hat, die Sie heute genannt haben. Zu einem Teil ist er auch ein Reflex auf die Entwicklung der beruflichen Bildung und die Art und Weise, wie die Chancen und die Qualität der beruflichen Bildung in den letzten Jahren im Bewußtsein vieler Jugendlicher und vieler Eltern eingeschätzt worden sind.Ferner hätte ich Sie darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht die Absicht der Bildungsplanung und der Bundesregierung in den vergangenen Jahren gewesen ist, nur die Zahl der Oberschüler, der Besucher der Oberstufe, zu erhöhen und gleichsam alles nur im Sinne einer Einbahnstraße auf das Hochschulstudium hin zu orientieren. Der Bildungsgesamtplan und die Bundesregierung sind vielmehr davon ausgegangen, daß die Oberstufe differenzierter sein soll, als sie traditionell gewesen ist, und zwar im Sinne der sogenannten Doppelqualifikation, indem dann Jugendliche nicht nur auf ein Hochschulstudium, sondern auch auf qualifizierte berufliche Ausbildungsgänge vorbereitet werden. Ich hätte Ihnen auch näher, als das heute möglich ist, im Bundesrat die Fragen der Finanzierung darlegen können.Soweit es die Finanzierung angeht, Herr Kollege Maier, hat sie unter den von Ihnen genannten Indikatoren, die für die Bewertung von Berufsausbildung Gewicht haben, einen höheren Stellenwert, als Sie vermuten. Wir sind in dieser Beziehung nicht nur partiellen Erfahrungen nachgegangen, sondern haben im letzten Jahr 5 000 ausbildende Betriebe befragt, was nach ihrer Meinung in Zukunft auf dem Felde der beruflichen Bildung von besonderem Gewicht und Belang sein würde. Dabei ist überwiegend geantwortet worden: Die Abstimmung der Ausbildungsinhalte und eine bessere Finanzierung seien zwei wesentliche Voraussetzungen für die weitere Entwicklung.Herr Kollege Maier, es ist zwar originell — wenn ich das so sagen darf —, aber wenig sachgerecht, nun ausgerechnet die Edding-Kommission gegen Finanzierungsvorstellungen in dieser Diskussion ins Feld zu führen. Es trifft auch nicht so zu, daß 16 % der Betriebe, die heute noch ausbilden, 80 % aller Arbeitnehmer, aller Beschäftigten umfassen. Die heutigen Statistiken erlauben darüber kein abschließendes Urteil. Was sagt es im übrigen für Ihre Beweisführung aus, wenn unter diesen Betrieben Großbetriebe mit vielen Beschäftigten, aber wenigen Auszubildenden sind? Wenn z. B. ein großes Kaufhaus, nur wenige Ausbildungsstellen hat, dann wird das zwar in Ihrer Beschäftigtenstatistik der 80 % geführt. Damit ist aber keine überzeugende Aussage über Ausbildungsintensität und Weiterentwicklung der Ausbildungsplätze gemacht.
— Herr Kollege, wir werden das auf Grund der Statistik, die wir in Zukunft zur Verfügung haben werden, sehr viel differenzierter und tiefer gestaffelt darlegen können.
Im übrigen will ich anfügen, Herr Kollege Gölter, daß Sie die Sorgen, die Sie sich um die Statistik machen, zu den Akten legen können. Für uns kommt es darauf an, daß das, was heute an statistischem Material bei den zuständigen Stellen bereits vor-
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Bundesminister Rohdehanden ist, endlich dem Staat gemeldet und nicht unter politisch manipulativen Vorzeichen verwendet wird. Darum geht es!
Soweit es die Finanzierungsfragen angeht, meine Damen und Herren, bitte ich das Parlament, daß ich heute nicht auf alle Einzelheiten und auf alle Fragen einzugehen brauche, die in der Debatte zu diesem zweifellos wichtigen Punkte aufgeworfen sind. Zunächst ist in der Debatte deutlich geworden, wie widersprüchlich die CDU/CSU die Finanzierungsfragen beurteilt. Der eine, vor allem der Kollege Maier, bezweifelt, daß sie überhaupt einen Einfluß auf das Angebot an Ausbildungsstellen haben. Andere aus den Reihen der CDU sprechen' von einem Dringlichkeitsprogramm mit finanziellen Anreizen, weil sie sich davon im Gegensatz zu dem Kultusminister aus Bayern positive Wirkungen auf das Angebot an Ausbildungsplätzen versprechen.
Zum anderen, Herr Dr. Klein, ist es auch nicht richtig, daß der Vorschlag der Bundesregierung zur Finanzierung überhaupt kein Element des Lastenausgleichs enthält. Hätten wir heute mehr Zeit, könnte ich Ihnen darlegen, daß die Art der Umlage, die sich nicht nur auf die Schaffung neuer, sondern auch auf die Stabilisierung vorhandener Arbeitsplätze bezieht, auch Elemente des Lastenausgleichs beinhaltet.Aber es geht nicht nur, Herr Kollege Dr. Klein, um Lastenausgleich; es geht auch entscheidend darum, mit welchen Finanzierungsmethoden in Zukunft ein höheres Maß von Ausbildungsplätzesicherheit erreicht werden kann. Dieser Frage müssen auch Sie sich zuwenden, wenn Sie sich nicht nur auf den „Prüfstand." im Sinne eines Schüttelrostes begeben wollen, indem Sie immer nur den Kopf schütteln, wenn von Finanzierung die Rede ist. Sie müssen endlich einmal einen Vorschlag vorlegen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Bundesminister, wer gibt nun hier die Ansicht der Bundesregierung wieder, Sie mit Ihren Ausführungen eben oder Herr Staatssekretär Grüner mit seinen Ausführungen von vorhin?
Da gibt es eine einfache Antwort: Die Ansicht der Bundesregierung kommt in den konkreten Passagen des Gesetzentwurfs zum Ausdruck.
— Ja sicher, das ist ja der Unterschied! Sie reden immer von Thesen; wir haben einen viele Seiten umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt,
In diesem Gesetzentwurf steht — um das noch einmal zu unterstreichen —, daß die finanziellen Mittel, die durch die Umlage gewonnen werden, für die Schaffung neuer Ausbildungsplätze und auch für die Stabilisierung des Ausbildungsplätzeangebots eingesetzt werden sollen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher? — Bitte!
Herr Minister, Sie haben eben gesagt: Wir haben einen Gesetzentwurf, Darf ich Sie fragen: warum kein Gesetz — —
Herr Kollege, da kann ich nur mit der Empfehlung antworten, sich in der Geschäftsordnung des Bundestages zu informieren.
Herr Kollege Maucher, wir kennen uns lange; glauben Sie, es hat mir keinen Spaß gemacht, Ihnen eine solche Antwort zu geben!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? — Bitte schön!
Herr Bundesminister, darf ich Ihrer Antwort, die Sie auf die Frage, wer hier die Meinung der Bundesregierung wiedergibt, gegeben haben, entnehmen, daß Ihr Beitrag im Augenblick in keinem Zusammenhang mit dem vorgelegten Gesetzentwurf steht?
Nein, das können Sie überhaupt nicht entnehmen. Der Kollege Grüner hat hier auf die Frage, die in der Diskussion vom Kultusminister aus Bayern aufgeworfen worden war — „Dient dieser Gesetzentwurf der Schaffung neuer Ausbildungsplätze?" —, ins einzelne gehend geantwortet. Daraufhin hat der Kollege Dr. Klein erklärt: Ja, aber er bringt gar nichts für den Lastenausgleich.
Und ich habe, nachdem nun der Kultusminister aus Bayern aufgeklärt worden ist, jetzt den Kollegen Dr. Klein aus der CDU/CSU-Fraktion aufgeklärt, daß er auch Elemente des Lastenausgleichs enthält.
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Bundesminister RohdeAber ich komme jetzt zu einer wichtigen Frage, die Sie an mich gerichtet haben und die ich auch ernst nehme.
— Nein, Herr Kollege Klein, jetzt fahre ich fort. Sie können sich ja noch einmal in der Debatte melden.Ich wollte eine wichtige Frage beantworten, die Sie an mich gerichtet haben, die Frage nämlich, wann die Finanzierung greift. Im März werden Angebot und Nachfrage festgestellt. Im April kann die Finanzierungsverordnung, in der viele Einzelfragen, die Sie hier in der Debatte aufgeworfen haben, beantwortet werden, von der Bundesregierung auf den Weg gebracht werden. Bereits im Juni stehen die Mittel zur Verfügung, um dann — also vor dem üblichen Einstellungstermin im Herbst — den Abschluß der Ausbildungsverträge zu stimulieren und zu finanzieren. Die notwendigen Mittel können aus dem Haushalt vorgeschossen werden. Es hängt also von dem Tempo der Gesetzesberatung in diesem Parlament ab, wann der Finanzierungsteil zugunsten der Jugendlichen und für eine bessere Sicherung der Ausbildungsplätze greift.
— Herr Kollege, ich habe Ihnen die Termine deutlich gemacht
und damit angedeutet — —
— Ja, nun lassen Sie mich doch einmal ausreden! Ich will sagen, daß wir, wenn dieser Gesetzentwurf zügig beraten wird, im Jahre 1976 mit den Instrumenten dieses Gesetzes handlungsfähig sein werden.
— Herr Kollege Maucher, diese Frage hatte eine ähnliche Qualität wie die, die Sie hier am Mikrophon gestellt hatten.
Sie können sich nur freuen, daß ich hier in diesem Zusammenhang milde gestimmt bin,
so daß ich darauf nicht noch einmal eingehen möchte.
Herr Kollege Gölter, Sie haben die Frage aufgeworfen, ob denn nicht auch mit anderen Mitteln als mit der Berufsausbildungsfinanzierung zur Stabilisierung des Ausbildungsplätzeangebots beigetragen werden müßte, beispielsweise mit der Arbeitsmarktpolitik und der Regionalpolitik. Da ist doch gar kein Zweifel! Aber dieses neue Mittel der Berufsbildungsfinanzierung wird den Fächer der Hilfsmöglichkeiten erweitern. Wenn heute Arbeitslosigkeit für Ältere eintritt, können wir nach dem Arbeitsförderungsgesetz Fortbildung und Weiterbildung finanzieren, aber wenn Jugendliche nach der Schulentlassung vor Problemen vergleichbarer Art stehen, haben Sie kein Finanzierungs- und kein Steuerungsinstrument in der Hand. Genau das ist der Unterschied.Das führt übrigens in einigen Betrieben zu einer Wirkung, die wir mit Sorge beobachten, nämlich dazu, daß Ausbildungsplätze für Jugendliche in Angebote für Fortbildung und Weiterbildung umgewandelt werden, einfach aus der betrieblichen Kalkulation heraus: Vom Arbeitsamt bekomme ich Geld für Erwachsene, aber für die Jugendlichen gibt es kein Finanzierungsinstrumentarium. Diese Art der unterschiedlichen Beeinflussung der Bildungsmöglichkeiten mit oder ohne Finanzierungsinstrumentarium hat Einfluß auf die Entwicklung der Zahl der Ausbildungsplätze.Gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen zur Frage der Abstimmung der Ausbildungsinhalte. Alle in dieser Debatte — dies berechtigt zu der Hoffnung, zu sinnvollen Entscheidungen zu kommen — haben die Regelungsnotwendigkeit auf diesem Felde unterstrichen. Herr Kollege Gölter hat die Formel von der gemeinsamen Erarbeitung der Ausbildungsinhalte gebraucht. Ich begrüße diese Formel. Es kommt nun darauf an, wie wir sie im Gesetz im einzelnen ausprägen. Dies ist eine bessere Formel als diejenige, die noch im Bundesrat vorherrschte: nämlich eine Reihe von Ad-hoc-Kommissionen neuer Art auf Bundesebene zu schaffen. Der Gedanke der Konzentration und der Kooperation der Beteiligten auf Bundesebene muß sich meiner Einschätzung nach im Gesetzgebungsprozeß durchsetzen.Nun hat Herr Dr. Klein, wenn ich mich recht erinnere, in einer Zwischenfrage gesagt, wir wollten zwei Institutionen schaffen. Herr Kollege Dr. Klein, das stimmt nicht. Das Verwaltungsabkommen ist keine Institution, sondern es regelt das Verfahren zwischen Bund und Ländern, das wir der Sache und unserer Zuständigkeit nach nicht in einem Bundesgesetz regeln können. Insofern haben wir eine institutionelle Regelung mit dem Bundesinstitut für berufliche Bildung und eine Verfahrensregelung, die wir nur auf dem Wege des Verwaltungsabkommens erreichen können.Herr Kollege Maier, der Kultusminister aus Bayern, hat sich darüber beschwert, daß der Bund die Ausbildungsordnungen, die er erlassen hat, nicht in zulänglicher Weise mit den Rahmenlehrplänen der Berufsschulen abgestimmt habe. Herr Kollege Maier, es gibt — das habe ich heute morgen deutlich gemacht — bis heute noch keinen einheitlichen, also länderübergreifenden Rahmenlehrplan für das berufliche Schulwesen. Was von mir verlangt wird, ist, die Abstimmung gleichsam mit einem Phantom vorzunehmen. Das wäre dann weniger ein Abstimmungsprozeß, sondern eigentlich mehr eine spiritistische Sitzung. Darüber haben wir auch im Rahmen
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Bundesminister Rohdeder Kultusministerkonferenz eingehend gesprochen. Herr Kollege Maier weiß das. Wenn wir die von Herrn Kollegen Maier genannten 44 neuen Ausbildungsordnungen so lange auf die Bank geschoben hätten, bis ein entsprechender bundeseinheitlicher Rahmenplan vorhanden gewesen wäre, würden heute noch Jugendliche nach Ausbildungsinhalten in den Betrieben ausgebildet, die aus der Zeit des Beginns dieses Jahrhunderts stammen.
Herr Kollege Maier, gestatten Sie mir, Ihnen auch dies zu sagen: Nicht nobel fand ich Ihre Bemerkung gegenüber dem Herrn Bundeskanzler, daß er die Begriffe „Rahmenlehrplan" und „Rahmenordnung" verwechselt habe. Die Kultusminister wissen selber nicht — wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf —, wie sie die Dinge eigentlich benennen sollen.
Es gibt eine Liste mit Begriffen wie „Rahmenordnung", „Rahmenlehrplan" bis hin zu „Handreichungen". Dies möchte ich jetzt auch dem bayerischen Kultusminister gleichsam handreichend in die Erinnerung rufen.
Herr Kollege Maier, Sie haben die Frage nach dem Berufsgrundbildungsjahr aufgeworfen. Dies war gleichsam ein zentraler Punkt in Ihrem Diskussionsbeitrag. Dazu will ich zunächst feststellen, daß der Gesetzentwurf zum erstenmal eine klare Gliederung zwischen breit angelegter Grundausbildung und darauf aufbauender Fachbildung vorsieht. Natürlich kann der Gesetzentwurf nicht so weit gehen, daß er die bayerische Form des Berufsgrundbildungsjahres der gesamten Bundesrepublik und damit allen Ländern vorschreibt. Die wollen das nämlich nicht.Ich habe die Frage an Sie, Herr Kollege Maier, ob Sie mir — das entnahm ich der Art Ihres Diskussionsbeitrages — eigentlich die Schuld für Probleme aufladen wollen, die Sie in Bayern nicht gelöst haben. Trifft es zu, daß in München nur wenige Schulabgänger von den insgesamt, wenn ich mich recht erinnere, 4 000 Schulabgängern bereit sind, in das von Ihnen angebotene Berufsgrundbildungsjahr zu gehen?
Trifft es zu, daß ein erheblicher Teil von Absolventen des Berufsgrundbildungsjahres in Bayern keine Lehrstelle für die anschließende Fachbildung finden? Was unternehmen Sie, um diese Probleme zu lösen?
Sie haben gesagt, es gehe bei der Berufsbildung auch um eine besondere Art psychologischer Einfühlung in die Mentalität der Ausbildungsbetriebe. Ich möchte, ohne anmaßend zu sein, Ihnen nur den Rat geben, diese Ihre psychologischen Fähigkeiten bei den Ausbildungsbetrieben einzusetzen, um den Absolventen des Berufsgrundbildungsjahres einen Ausbildungsplatz in der Fachbildung zu verschaffen.
Ihren Einwand, die Verordnung über das Berufsgrundbildungsjahr sei zu spät gekommen, kann ich nicht gelten lassen. Wir haben heute in der Bundesrepublik insgesamt 15 000 Plätze im Berufsgrundbildungsjahr, während Jahr für Jahr etwa 500 000 Jugendliche die Schulen verlassen. Trotz dieser geringen Zahl der Plätze ist die entsprechende Verordnung schon vor Jahren auf den Weg gebracht und mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen worden.Die Probleme, vor denen wir heute stehen, Herr Kollege Maier, sind anderer Natur. Es geht nämlich um die Frage, wie der Übergang von der Grundbildung in die Fachbildung, aus der Schule in den Betrieb geschaffen werden kann und welche Schwerpunkte Sie eigentlich bei den Berufsfeldern setzen. Sie haben mich dazu anklagend befragt. Sie in Bayern haben 22 Berufsfelder; im Bundesrat ist beschlossen worden, daß man sich für den schulischen Bereich auf 11 Berufsfelder in den Ländern konzentrieren will. Wohin führt es, wenn im föderalistischen Bildungssystem die Entwicklungen in einer solchen Weise auseinanderlaufen? Auf die Frage des Bundes in der Bund-Länder-Kommission, wie denn nun in den neuen 80 000 Berufsgrundbildungsplätzen bis zum Jahre 1978 die fachliche Ausgestaltung vorgenommen werden soll, in welchem Fachbereich die Jugendlichen ausgebildet werden — diese Frage muß beantwortet werden, damit sich Staat und Wirtschaft insgesamt darauf vorbereiten können —, hat es bis auf den heutigen Tag keine klare Antwort gegeben. Die einen organisieren wie in Bayern das Berufsgrundbildungsjahr rein schulisch, andere Länder in kooperativer Form, nämlich in Zusammenarbeit mit den Betrieben. Es wird Zeit, meine Damen und Herren, daß wir zwischen Bund und Ländern auch auf diesem Felde zu einer besseren Abstimmung kommen.Jetzt erreichen mich die Briefe der Eltern und der Jugendlichen hinsichtlich der Auswirkungen der sogenannten Anrechnungsverordnung. Es wird gefragt, wie es komme, daß die Jugendlichen, zunächst in das Berufsgrundbildungsjahr genommen, nach Abschluß dieses Jahres keinen Ausbildungsplatz finden. Herr Kollege Maier, es geht doch in dieser Frage nicht um Abbau, sondern darum, wie wir es fertigbringen, daß solche Probleme von Bund und Ländern gemeinsam gelöst und nicht ungelöst auf dem Rücken der Jugendlichen draußen im Lande ausgetragen werden. Darauf müssen wir uns verständigen.Eine letzte Bemerkung zu den überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Herr Kollege Maier, Sie haben den Eindruck erweckt — jedenfalls ich hatte ihn —, als sei dies ein Ausbildungsort, dem man immer noch mit großem Zweifel, ja eigentlich mit Mißtrauen, begegnen müsse. Das steht nicht in Übereinstimmung mit den Unterschriften, die Bund und Länder unter den Stufenplan für die berufliche Bildung gesetzt haben. Es wäre nicht denkbar, die überbetrieblichen Ausbildungsstätten im Gesetz überhaupt nicht zu erwähnen. Es gibt Zehntausende solcher Ausbildungsplätze, beispielsweise im Handwerk. Das hat im Gesamtsystem der beruflichen
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Bundesminister RohdeBildung sein Gewicht und muß auch im Gesetz seinen Platz zugeordnet erhalten. Wir sagen, daß diese überbetrieblichen Ausbildungsstätten die betriebliche Ausbildung ergänzen sollen, insbesondere da, wo die Betriebe auf Grund ihrer Größe nicht alle Ausbildungsinhalte zu erbringen vermögen. Denken Sie daran, daß 400 000 Jugendliche in Betrieben mit bis zu 9 und 700 000 Jugendliche in Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten ausgebildet werden! Viele dieser Kleinbetriebe sind heute hochspezialisiert. Was z. B. vor 10 oder 15 Jahren Bauoder Möbeltischlereien waren, sind heute zum Teil Betriebe, die beispielsweise nur noch Türen und Fenster herstellen. Wenn sie weiter in der Ausbildung bleiben sollen, brauchen sie die ergänzenden Hilfen, die überbetriebliche Ausbildungsstätten zu erbringen vermögen.Mancher hat in dieser Debatte und draußen behauptet oder durchklingen lassen, daß Qualitätsanforderungen immer die Tendenz hätten, das Angebot zu senken. Meine Erfahrung geht in eine andere Richtung. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist in den vergangenen Jahren in den Bereichen am stärksten zurückgegangen, in denen überhaupt keine neuen Ausbildungsordnungen auf den Weg gebracht worden sind. Mir ist das auch klar: Wo nicht mehr nach Qualität gefragt wird, wo keine Anforderungen mehr gestellt werden, wo keine Investitionen vollzogen und keine zusätzlichen Leistungen mehr erbracht werden, trocknet Berufsausbildung aus — zum Nachteil der Jugendlichen und auch der Wirtschaft.Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir in den Ausschußberatungen mit größerer Präzision, als dies in einer ersten Lesung verständlicherweise möglich ist, manches, was heute noch Vorurteil war, abbauen können.
Das Wort hat Herr Staatsminister Maier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Rohde, nicht um das letzte Wort zu haben, sondern um auf einige Fragen, die Sie gestellt haben, einzugehen, melde ich mich hier nochmals zu Wort.Erstens. Im Kulturausschuß des Bundesrates war kein einziger SPD- oder FDP-Kultusminister.
Der einzige Kultusminister, der dort war, gehörte der Union an; es war der Kollege Hahn aus Baden-Württemberg. Das möchte ich feststellen, weil von Ihnen der Eindruck erweckt worden ist, die führenden Kulturpolitiker der Union seien nicht anwesend gewesen.Im Plenum des Bundesrates hat Bernhard Vogel die Meinung der Kulturpolitiker und darüber hinaus der fünf unionsregierten Länder im einzelnen dargestellt. So wie ich auf der anderen Seite im Bereich des Hochschulrahmengesetzes mit der Koordination — wenigstens zeitweise — beauftragt war, so war er mit dem Problem der Berufsbildung beschäftigt. Wir haben nun einmal auch in den Ländern unsere Arbeit zu leisten, und keiner kann alles machen.Sie sollten die Ebene der Auseinandersetzung, die der einzelne wählt, schon dem jeweiligen Kulturpolitiker der Union selbst überlassen, zumal Ihre Kultusminister — ich wiederhole es — bei dieser Debatte nicht anwesend waren.Zweitens. Im Bund-Länder-Anhörungsverfahren wurden die Länder entgegen eindringlicher Bitten um ausführliche Beratung mit einem — ich wiederhole: mit einem — Tag abgespeist. Bei der Fülle der Gesetzesmaterie und der Paragraphen war das ganz bestimmt viel zuwenig Zeit. Die Beratung des Gesetzes ist deswegen nur zu einem sehr geringen Teil erfolgt. Ich halte meine Behauptung aufrecht: Bis heute hat sich der Bund nicht die Zeit genommen, die Länder auch nur ausgiebig in ein Anhörungsverfahren hereinzunehmen.
Darüber hinaus betrug die Einladungsfrist nicht ganzzwei Wochen. Man, weiß, daß man in dieser Zeiteine vernünftige Anhörung nicht vorbereiten kann.
Dritte Bemerkung: Sie haben gemeint, meine Äußerung gegenüber dem Herrn Bundeskanzler sei „nicht nobel" gewesen. Vielleicht war sie nicht nobel; sie war aber die Erwiderung auf eine nicht noble Bemerkung des Bundeskanzlers gegenüber Herrn Carstens.
Ich pflege das Maß meiner Noblesse dem meiner Vorredner anzupassen.
Viertens. Berufsgrundschuljahr und Berufsgrundbildungsjahr. Im Grunde sind durch die Äußerungen von Herrn Grüner meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden. Sie rücken von einer Bund und Ländern bisher gemeinsamen Reformvorstellung ab. Das wird ganz deutlich, wenn man die Begründung zu § 6 des Gesetzentwurfs liest — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Der Bundesausschuß für Berufsbildung hat ausdrücklich gefordert, daß berufliche Grundbildung überwiegend lehrgangsmäßig und damit vom laufenden betrieblichen Geschehen unabhängig durchgeführt werden soll. Ihre Dauer muß aber nicht für alle Ausbildungsberufe gleich sein. Sie kann ein Jahr betragen, sie kann aber auch im Rahmen einer zweijährigen Berufsfachschule vermittelt werden. Deswegen ist der Begriff „Berufsgrundbildungsjahr" nicht aufgenommen worden. Eine zweckmäßige Entwicklung auf der Grundlage weiterer Forschungsergebnisse und empirisch gewonnener Erfahrungen soll offengehalten werden.Das ist die stillschweigende Beerdigung des Grundbildungsjahres, einer bisher — ich wiederhole es — Bund und Ländern gemeinsamen Reform-
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Staatsminister Dr. Maler
vorstellung im schulischen Bereich des Bildungswesens.Wenn Sie mich fragen, warum in München dieses Angebot — ich betone: neuerdings — von den Jugendlichen nicht mehr angenommen wird, dann sage ich: natürlich deswegen, weil das in Ihrem Gesetz steht, deswegen, weil die Wirtschaft — ich habe mit dem Berufsbildungsausschuß der bayerischen Wirtschaft erst vor wenigen Tagen ausgiebig darüber gesprochen — hohnlachend, was ich ihr gar nicht übelnehmen kann, darauf hinweist: Sollen wir denn päpstlicher sein als der Papst, wenn die Bundesregierung selber diese Reformvorstellungen zurückzieht, wenn — wie Herr Grüner vorhin bestätigt hat — die Anrechnungsverordnung halbiert wird, d. h. Anerkennung nur eines halben Jahres erfolgt?Dann ist ja die Wirtschaft in all ihren schlimmen Vermutungen, die wir ihr jahrelang auszureden versucht haben, bestätigt, nämlich daß sie gewissermaßen überhaupt keine Ausbildungsleistung mehr bekommt. Dann wird sich natürlich auch der einzelne Jugendliche nicht mehr melden.Meine Damen und Herren, was Sie im schulischen Bereich mit diesem kleinen Paragraphen jetzt in einer Zeit der Jugendarbeitslosigkeit an Möglichkeiten verbauen, einem Jungarbeiter wenigstens vorübergehend, unter Umständen durch ein Berufsgrundschuljahr, wenn er keine Stelle bekommt, eine berufsbezogene Ausbildung zu geben, haben Sie und nicht die Länder zu verantworten.
Sie malen hier große Reformvisionen an den bundesrepublikanischen Himmel, und dort, wo es um konkrete, schon laufende Reformen geht, dort bauen Sie ab. Das hat Herr Grüner ganz deutlich gezeigt.Ich darf noch mit einer Bemerkung beim Berufsgrundschuljahr verweilen. Die Zurücknahme der Anrechnungsverordnung wird ohne Frage dazu führen, daß der Betrieb wieder zum alleinigen bestimmenden Ort der Berufsausbildung wird, daß die Stärkung des schulischen Elements im dualen System gebremst und rückgängig gemacht wird. So etwas wagen Sie dem deutschen Publikum als einen Fortschritt in der Berufsbildung zu verkaufen!Die Länder haben jahrelang im schulischen Bereich Reformen betrieben. Ich kann das für mein Land ganz gewiß auf Heller und Pfennig und Planstelle belegen. Das Verhältnis etwa von Schülern und Lehrern ist in den beruflichen Schulen in Bayern das beste im Bundesgebiet, während wir in den allgemeinbildenden Schulen einen großen Nachholbedarf haben. Hier ist vieles geschehen, gerade in diesem Bereich. Nun soll der Bund ja ergänzend im außerschulischen Bereich diese Reform weiterführen. Was tut er? Er macht erst einmal die Reformen der Länder im schulischen Bereich kaputt, wie ich hier am Beispiel des Berufsgrundbildungsjahres dargetan habe. Auf die Frage, was Sie hier vorhaben, habe ich einfach keine Antwort bekommen. Herr Grüner hat bestätigt: die Anrechnungsverordnung wird zurückgenommen. Ich frage Sie: ist das die Meinung der gesamten Bundesregierung? Denn Herr Rohde hat das Gegenteil erklärt.Überhaupt finde ich, daß wir von der FDP-Seite mindestens drei Auslegungen und Versionen dieses Gesetzes gehört haben,
nämlich von Frau Schuchardt, von Herrn Grüner und von Herrn Möllemann. Herr Grüner hat mir ja in vieler Hinsicht recht gegeben. Wenn seine Interpretation des Gesetzes stimmt, dann ist es nicht das Gesetz Rohde.Diese Debatte hat viel mehr Fragen offengelassen, als sie geklärt hat.
Sie rechnen es mir bitte nicht als Hochmut an, wenn ich sage: wenn nur das im Kulturausschuß des Bundesrates herausgekommen ware, dann hätte ich, auch wenn ich den ganzen Tag dort gesessen hätte, wirklich nicht mehr lernen können.Fünftens. Die Kosten der Berufsbildung, so habe ich ausgeführt, waren und sind nicht der entscheidende Punkt für die Frage, ob die Betriebe ausbilden oder nicht. Das ist von Herrn Grüner ausdrücklich bestätigt worden. Von Herrn Rohde ist es in Zweifel gezogen worden. Auch hier habe ich die Frage: wer bestimmt nun die Gewichte im Gesetz? Denn jeder, der mit Gesetzen zu tun hat, weiß, daß das Wesentliche in der Verwaltung, im Vollzug der Gesetze liegt. Wenn Herr Grüner hier die Akzente ganz anders setzt und diesen Punkt sehr niedrig ansetzt, den Herr Rohde sehr hoch heraufrückt —, ja was ist das nun für ein Gesetz, das von Herrn Rohde, das von Herrn Friderichs oder das von Herrn Grüner? In welcher Richtung wird das vollzogen? Das alles müßte geklärt werden. Ihr Beitrag, Herr Rohde, hat hier eher weitere Verwirrung gestiftet.
— Wenigstens bei mir ist die Klarheit nicht größer geworden.
— Ich fürchte, es ist anderen in diesem Saal genauso ergangen.
Jeder Journalist, der das Protokoll hinterher unvoreingenommen auf sich wirken läßt, und vor allem — das war wirklich der Höhepunkt eines bunten Pluralismus — wer einmal die drei FDP-Abgeordneten hintereinander nimmt, der fragt sich ja wirklich, wie viele Parteien dieses Namens es gibt; es müssen eine ganze Menge sein.
— Die Union ist in ihren Grundsätzen viel einiger, als Sie denken.
Sechster Punkt! Ich bin etwas erschrocken, Herr Kollege Rohde, daß Sie sagen, man könne diese Zahlen nicht verifizieren, nämlich einerseits 16 %
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Staatsminister Dr. Maier
Ausbildungbetriebe und auf der anderen Seite 70 bis 80 % Auszubildende in diesen Betrieben.
Ich bin tatsächlich erschrocken, daß Sie sagen, das lasse sich nicht verifizieren. Ich mache Ihnen gern eine Studie zugänglich, in der aus allgemein verfügbaren Quellen, aus dem Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland, die Unternehmen nach der letzten Totalerhebung nach der Zahl ihrer Beschäftigten in verschiedene Gruppen aufgeteilt werden. Es würde zu weit führen, dem Hause die Zahlen vorzutragen; ich betone nur, daß man die Unternehmen von einem bis über 5 000 Beschäftigte in insgesamt acht Kategorien aufteilen kann, die das Statistische Bundesamt führt, und zwar auch — was Sie bestritten haben — bezüglich der Zahl der Beschäftigten und der Zahl von Auszubildenden innerhalb der Zahl der Beschäftigten.Ich will nur das Ergebnis vorwegnehmen: In der Größenklasse von 10 bis 19 Beschäftigten sind 2,3 % Beschäftigte, darunter 1,1 % Auszubildende, und zwar bezogen auf die Gesamtsumme von 2,3 %. Bei der Unternehmens-Größenklasse von 20 bis 49 Beschäftigten steigt der Prozentsatz der Beschäftigten auf 6,7, darunter 5,3 % Auszubildende. Bei den Betrieben von 50 bis 99 Personen beläuft sich der Prozentsatz der Beschäftigten auf 8,5, davon 7 % Auszubildende. Bei Unternehmen von 100 bis 199 Beschäftigten liegt der Satz — annähernd konstant— bei 11,3 °/o Beschäftigten und 11,6 % Auszubildenden, bezogen wiederum auf diese 11,3 °/o. Bei Unternehmen von 200 bis 499 Beschäftigten lauten die entsprechenden Zahlen 18,2 % bzw. 19,4 %, bei Unternehmen von 500 bis 999 Beschäftigten 13,7 und — der Anteil der Auszubildenden steigt jetzt— 14,9 %. Bei den Betrieben über 1 000 Beschäftigte beträgt der Anteil der Beschäftigten 39,1 %, davon wiederum 40,3 % Auszubildende.Man kann also diese Zahlen ganz exakt wiedergeben und man müßte doch annehmen, daß sich die Bundesregierung dieses Profil der Betriebe erst einmal genau angesehen und es durchgearbeitet hat, bevor sie in ein Finanzierungsmodell einsteigt, das nach ihrer Aussage — Sie haben gesagt, darüber gebe es keine Zahlen — erst recht als ein Sprung ins kalte Wasser und als Experiment im un-erkundeten Raum wirken muß.
Ich bin gern bereit, auf Fragen der Bundesregierung zu antworten und auf sie einzugehen. Die Länder haben sicher in ihrem Bereich der beruflichen Bildung viele Erfahrungen und können mit vielem dienen. Ich weigere mich aber, daß dieser Befragungsverkehr nur in eine Richtung gehen soll. Die Fragen, die ich in dieser Debatte heute gestellt habe, bleiben auf der Tagesordnung. Wir werden auf ihre Beantwortung dringen und werden uns nicht mit Totalvisionen und mit Aussichten auf das Jahr 1980 zufrieden geben, wo doch konkrete Hilfe am Ort notwendig ist. Auf ihr bestehen sowohl der Bundesrat sowie die Unionsfraktion mit ihrem zu dieser Sitzung eingebrachten Antrag.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Maier, wenn Sie es entschuldigen und es als scherzhafte Bemerkung nehmen: Ich möchte angesichts der Verwirrung, die diese Debatte bei Ihnen erzeugt hat, mein Wort vom „Schlaumeier" doch zurücknehmen, und zwar deshalb, weil ich vorausgesetzt habe, daß jeder, der an dieser Aussprache teilnimmt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung gelesen hat und auf Grund dessen in der Lage ist, den Gesamtzusammenhang zu sehen. Hier gibt es keine Widersprüche.
Sicher ist richtig beobachtet worden, daß in der Diskussion, die auf die Debattenbeiträge einging, die Akzente unterschiedlich gesetzt worden sind. Mir kam es entscheidend darauf an, aus ökonomischen und bildungspolitischen Gesichtspunkten klarzumachen, daß die Konzentration finanzieller Leistungen auf zusätzliche Ausbildungsplätze das Entscheidende sein muß und daß jeder, der Lastenausgleich fordert, sich darüber im klaren zu sein hat, um welche Größenordnungen es geht. Trotzdem haben wir in diesen Gesetzentwurf, wie jeder, der ihn gelesen hat, feststellen kann, wichtige Elemente des Lastenausgleichs mit aufgenommen. Herr Minister Rohde hat ja darauf sehr nachdrücklich hingewiesen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Probst?
Habe ich Sie recht verstanden, Herr Staatssekretär, daß Sie auch davon ausgehen, daß Ihr Finanzierungskonzept Lastenausgleichselemente enthält?
So ist es, ja. Jeder, meine Damen und Herren, der den Gesetzentwurf gelesen hat, weiß, das; eine Debatte im Parlament kann eigentlich von keiner anderen Voraussetzung ausgehen. Ich gebe zu, daß jemand, der diesen Gesetzentwurf nicht gelesen hat und meine Ausführungen gehört hat, nicht auf dieses Element des Lastenausgleichs, das wir in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, stoßen konnte. Aber es ist ja auch nicht Sinn einer solchen Debatte, daß hier Elementarunterricht über den Gesetzentwurf geleistet wird. Das möchte ich doch noch einmal sehr deutlich sagen. Insofern ist die Bemerkung „Wer bestimmt eigentlich hier die Gewichte?" nicht berechtigt. Sie ist allerdings in einem anderen Sinn berechtigt: daß sich aus diesem Gesetzentwurf, der hier vorgelegt worden ist — darauf hat der Bundeskanzler hingewiesen —, selbstverständlich etwas entwickeln kann, etwas entwickeln läßt, was im Sinne einer Dauerlösung, auch im Sinne eines Lastenausgleichs, wirken kann. Ich habe in meinem Beitrag sehr deutlich gemacht, daß ich das nicht für den richtigen Weg halten würde, obwohl die Erfahrung zeigen muß, wie die betroffene Wirt-
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Parl. Staatssekretär GrünerSchaft, wie wir alle, wenn ein solches Instrument einmal in Kraft gesetzt worden ist, darüber denken. Insofern gilt es bei einem solchen Modell sicher auch die Möglichkeit der Entwicklung in zwei unterschiedliche Richtungen.Es ist auch falsch, wenn Herr Professor Maier die drei FDP-Abgeordneten mit unterschiedlichen Auffassungen zitiert. Man kann von der FDP-Fraktion und von der SPD-Fraktion ja nicht etwa die vollständige Übernahme dieses Gesetzentwurfs der Regierung erwarten. Das Parlament hat darüber zu entscheiden, wie er endgültig aussieht. Wenn von FDP-Sprechern Gedanken der CDU begrüßt worden sind, etwa die Beteiligung der Lehrer im Berufsbildungsausschuß, dann ist das, glaube ich, kein Zeichen für Gegensätzlichkeiten, sondern nur ein Zeichen dafür, daß das Parlament zu diesen Dingen etwas eigenes beizutragen hat. Und der Regierungsentwurf wird in einer solchen Frage auch nicht als absolut abgeschlossen angesehen werden dürfen, insbesondere, wenn eine so wichtige Gruppe wie die CDU eine solche Forderung — eine alte Forderung der FDP übrigens — aufgreift.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mikat? — Bitte!
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, Herr Staatsminister Maier habe falsch zitiert, möchte ich Sie fragen: Was in aller Welt hat er denn nun Ihrer Meinung nach in dem Zusammenhang falsch zitiert?
Er hat die Behauptung erhoben,
die Verwirrung sei vollständig,
weil in meinem Diskussionsbeitrag das Thema Lastenausgleich im Rahmen unseres Finanzierungsmodells nicht ausdrücklich angesprochen war. Ich kann nur noch einmal sagen: Wenn es so klar im Gesetzentwurf steht, dann konnte dieses Mißverständnis bei einem wirklich interessierten Beobachter dieser Debatte, der den Gesetzentwurf gelesen hat, was ja Voraussetzung ist, um eine Debatte wirklich verfolgen zu können, nicht entstehen.
Nun aber noch etwas zum Berufsgrundbildungsjahr, zur Anrechnungsverordnung und zu dem Vorwurf, hier werde von der Regierung eine Reform abgebaut. Ich kann mich hier nicht nur auf das berufen, was in der Debatte an Forderungen an die Regierung gerichtet worden ist, nämlich Reformen, die sich nicht bewährt haben, auf ihre Bewährung zu überprüfen, sondern ich kann mich auch auf den bildungspolitischen Sprecher der CDU berufen, nämlich Herrn Dr. Gölter, der in seinem Aufsatz in „Neue Bildungspolitik" ausgeführt hat:
Die Anrechnung beruflicher Grundbildung auf
die Ausbildungszeit setzt voraus, daß in den
jeweiligen Ausbildungsfeldern Berufsgrundbildung in der Schule und Berufsfachbildung im Betrieb ausreichend aufeinander abgestimmt sind. Wo dies noch nicht der Fall ist, muß die Anrechnungsverordnung vorläufig außer Kraft gesetzt werden.
Das ist die Meinung von Herrn Dr. Gölter. Herr Kultusminister Maier weiß ja sehr genau, wie eng die Frage der Wirksamkeit dieser Anrechnungsverordnung mit der Frage der Berufsfelder zusammenhängt und wie zersplittert die Meinungen in den Ländern über die Zahl dieser Berufsfelder tatsächlich sind.
— Weil es für die Länder ungewöhnlich schwierig
ist, sich in dieser Frage auf ein gemeinsames Konzept zu verständigen; das ist doch der Tatbestand.
Inzwischen haben wir als Übergangslösung den Entwurf einer Änderungsverordnung vorgelegt, auf Grund derer während einer befristeten Übergangszeit von drei Jahren die volle Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahres vertraglich abbedungen werden kann, weil die Wirtschaft das von uns verlangt hat, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß viele Jugendliche diese Berufsgrundbildungsjahre nicht machen, weil sie anschließend von den Betrieben nicht eingestellt werden, weil die Betriebe sagen: Die Voraussetzungen zur Fortsetzung der Ausbildung sind in diesen Berufsgrundbildungsjahren von den Schulen bisher nicht erbracht worden, weil eben die Schulen Schwierigkeiten haben, sich auf die anschließende berufliche praktische Ausbildung einzustellen. Mindestens angerechnet werden muß jedoch ein halbes Jahr der schulischen Ausbildung. Darüber hinaus ist ein weiterer Zeitanteil anzurechnen, wenn ein höherer schulischer Ausbildungsstand dies rechtfertigt. Die zeitweise Aussetzung der vollen Anrechnung soll sich im übrigen auf drei Berufsfelder beschränken: Wirtschaft und Verwaltung, Metall und Elektro, in denen besondere Anrechnungsschwierigkeiten aufgetreten sind, und zwar nicht im Sinne der Abschaffung dieser Anrechnungsverordnung oder des Verzichtes auf das Berufsgrundbildungsjahr, sondern einfach in Reaktion auf die praktischen Schwierigkeiten, die in den Schulen entstanden sind, für die die Länder ja bekanntlich zuständig sind.
Es kann also keine Rede davon sein, daß die Bundesregierung von der Anrechnungsverordnung stillschweigend wieder abrückt. Das hat doch, glaube ich, einer Klarstellung bedurft.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Benedix.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer langen, umfassenden Debatte wurden die Positionen sehr argumentenreich und sehr sprachgewaltig dargestellt, und Herr Minister Maier sprach davon, daß trotzdem erneut
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Frau Benedixoffene Fragen aufgetreten sind. Eine dieser offenen Fragen, die eine Frage der Grundposition ist, erhielt mindestens nur undurchsichtige Antworten, Antworten, auf die auch nur in Nebensätzen beim Herrn Bundeskanzler oder bei Herrn Engholm verwiesen wurde. Da es sich hier, wie ich meine, um die Kernfrage handelt, sozusagen um das Fundament, auf das wir das Gebäude „Weiterentwicklung der Reform der beruflichen Bildung" stellen wollen, muß ich noch einmal insistieren.Die Frage lautet: Wie hältst du es denn wirklich mit dem dualen System? Ich meine, nicht aus Notwendigkeit, wobei nicht nur taktische Notwendigkeit gemeint ist! Es kann sich absolut um eine unumgängliche Notwendigkeit handeln, etwa um die, daß ich eben nicht in der Lage bin, 16 Milliarden DM aufzubringen, die ich aber aufbringen müßte, um eine schrittweise Ablösung der betrieblichen Ausbildung in absehbarer Zeit vorzunehmen. Es geht um die Frage: Wie hältst du es mit diesem Problem aus Erkenntnis? Ist das Zusammenwirken von Betrieb und Schule, wie wir es in der Bundesrepublik praktizieren, bei aller Unzulänglichkeit vom System her die beste Form der Ausbildung, oder könnte man sie — so hörte man es von den Experten der SPD und der FDP noch vor kurzem, und ich nehme das ganz ernst — durch schulische Ausbildung etwa mit gelenkten Propädeutika, wie wir sie auch in anderen Ländern kennen, verbessern?Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, an einigen Stellen der Debatte entstand erneut der Eindruck, Sie bekundeten hier im Grunde genommen eine Struktur der beruflichen Bildung, die Sie in Wirklichkeit gar nicht wollen, die Sie vielleicht gar nicht wollen können. Das sage ich auch ganz im Ernst und ganz wertfrei. Wer etwas tun muß, was wider seiner Einsicht ist, eben aus der politischen Notwendigkeit, der wird stets versucht sein, die Normen, die er selber setzt, zu umgehen. Das wäre allerdings die schlechteste Ausgangsbasis für unsere Ausschußberatungen bis zur zweiten Lesung. Damit würden alle Weiterentwicklung, alle Reformansätze wieder zunichte gemacht. Aus diesem Grunde — ich wende mich vor allem an Sie, Herr Minister Rohde — muß heute noch in dieser Frage, in dieser Grundlagenkonzeption eine klare Antwort kommen. Auf so schwankendem Boden kann man kein Haus bauen, das das Schicksal des größten Teils unserer Jugend beherbergen soll. Wir hören natürlich zu gern, daß Sie sich zum dualen System bekennen. Aber es muß doch wohl die Frage erlaubt sein: Kann man sich eigentlich so schnell korrigieren? Natürlich kann man Meinungen ändern, nicht nur Einzelmeinungen, auch Fraktionsmeinungen. Aber hier, meine Damen und Herren, vor allen Dingen der SPD, geht es doch nicht um Meinungen, hier geht es doch um Glaubensüberzeugungen Ihrerseits, etwa um die Glaubensüberzeugung, daß übergeordnete Dinge am besten vom Staat geregelt werden können, und um den anderen Glaubenssatz, Chancengleichheit könne man am besten verwirklichen, wenn alle Schüler möglichst gleich lange in eine möglichst gleichartige Schule — sprich: am besten in die Gesamtschule — gehen.Gesetzt den Fall, Sie wären zu einer solchen Kehrtwendung bereit, dann müßten Sie aber doch tiefgreifende Begründungen geben. Bei all der Disziplin, die in Ihrer Fraktion herrscht und die wir manchmal mit Neid betrachten: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Sie Ihren Mitgliedern, Ihren Genossen, von heute auf morgen an die Stelle der alten Zielsetzung der Überwindung des Systems die neue Losung geben können: Dieses System ist ohne Alternative, wir müssen es stärken und kräftigen!Meine Damen und Herren, es bedarf also jetzt Ihrer Antwort, die nicht eine Deklamation sein darf, sondern eine Korrektur; es bedarf des handelnden Eingreifens in vielen Bereichen. Ich will nur beispielhaft einige anführen.Da wäre erst einmal der Bereich „Struktur" in Ihrem Gesetzentwurf, der schon angesprochen worden ist, wodurch die Möglichkeit der Ausbildungsverträge mit verschiedenen Lernorten eine Lockerung des Ausbildungsverhältnisses gegeben ist. Dies ist kein Beitrag zur Stärkung ,des dualen Systems. Auch die Ausweisung der überbetrieblichen Bildungsstätten als selbständiger Lernorte und die durch Rechtsverordnung möglichen voll gültigen generellen Zuweisungen der Berufsausbildung an überbetriebliche Ausbildungsstätten fördern dieses System nicht.Zweitens. In den SPD-regierten Ländern werden, durch Schulgesetze rechtlich abgesichert, in immer zahlreicher werdenden Modellversuchen integrierte Sekundarstufen II gefördert. Ich habe einige Reden aus den Landtagen und aus den Kommunalparlamenten ganz frisch im Ohr. Diese integrierten Sekundarstufen II — das haben alle Erfahrungen bisher gezeigt — gehen zu Lasten der berufsbildenden Teile.Nun haben etwa Professor Paul Blankerts und sein Team und andere Vertreter dieser Richtung immer wieder betont, genau dies führe zur Gleichwertigkeit der Bildungsgänge. Eine gewisse Absorbierung des beruflichen Teils sei geradezu gewollt. Hier, Herr Minister Rohde, stellt sich erneut die Gretchenfrage: In der Praxis sieht es doch so aus, daß man die beruflichen Vollzeitschulen, vor allem die Berufsfachschulen, organisatorisch mit relativ geringen Schwierigkeiten in eine solche Kollegstufe oder Integrierte Sekundarstufe II einordnen kann. Draußen bleibt in der Regel die berufsbegleitende Schule, sprich: die Berufsschule und damit im Grunde das duale System, eben wegen der organisatorischen Schwierigkeiten, an denen ja die Blankertschen Modelle alle kranken.Da viele qualifizierte Lehrer nicht gern ausschließlich an Berufsschulen tätig sind, vermindert sich das Lehrerangebot in Quantität und Qualität. Es zeichnet sich ab, daß auf dem Plakat „Bekenntnis zum dualen System" steht und dahinter leise und unauffällig eben dieses System austrocknet.Herr Minister Rohde, Sie müssen sich hier entscheiden. Ich kann die Gleichrangigkeit der beruflichen Bildung dadurch betreiben, daß ich integriere und den berufsbildenden Teil schließlich absorbiere, so daß es eben diesen eigenständigen Bil-
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Frau Benedixdungsweg nicht mehr gibt. Viele der Experten Ihrer Partei propagieren und praktizieren das. Ich kann die Gleichrangigkeit aber auch zu erreichen trachten, indem ich den eigenständigen Weg ausbaue — das ist das, was wir wollen — und das Bewußtsein fördere, daß jede Bildung einen berufskonkreten Bezug hat und der Zeitpunkt der ersten konkreten Phase einfach vom Interesse, d. h. von der Bildungseinlaßbereitschaft des jungen Menschen her gesehen werden muß, so daß wir endlich einmal von der Ideologie des geraden Striches abkommen, die auf die Entwicklungsphasen junger Menschen überhaupt keine Rücksicht nimmt.Hier ist auch die Frage der Doppelprofilierung zu nennen — Sie sprachen sie vorhin in Ihrer Replik auf Herrn Minister Maier wieder an, Herr Minister Rohde —; in dieser Richtung fördern Sie ja auch eine Reihe von Modellversuchen. Erfahrungen in anderen Ländern haben gezeigt, daß das eine Augenwischerei ist, daß ich eben nicht auf einem Wege zu zwei Zielen gleich gut ausgerüstet gelangen kann, daß ich nicht auf der einen Seite bestens für ein Hochschulstudium vorbereitet sein und auf der anderen Seite gleichzeitig etwa eine Elektrolehre abschließen kann. Wenn Sie also überzeugt sind, daß das duale System die beste Ausbildungsform ist, dann dürfen Sie diese Entwicklung nicht fördern, dann müssen Sie solche Entwicklungen, die vor allem auch von Ihren verantwortlichen Politikern in den Ländern betrieben werden, schleunigst stoppen.Ein Blick in den Referentenentwurf für die Krankenpflegerausbildung zeigt z. B., daß auch hier ein Widerspruch zum Bekenntnis zur Dualität besteht. Oder meinen Sie wirklich, daß eine Verbesserung der Ausbildung dadurch erreicht werden kann, daß sie vom Krankenhaus und vom Krankenbett weg an einen anderen Ort verlegt wird, daß sie auf Kosten der praktischen Ausbildung intellektualisiert wird und daß man gleichzeitig die Fachausbildung verkürzt? Ganz abgesehen davon, daß die Ausbildung an den Bedürfnissen der Kranken selbst vorbeiführt, nimmt sie auch den Hauptschülern, die sich häufig der praktischen Pflege mit Hingabe zugewandt haben, jede Chance. Und das alles mit der Begründung, Durchlässigkeit zu schaffen.Sehen Sie, das ist doch ein typisches Beispiel der Verkehrung der Zielsetzungen. Um wen geht es hier eigentlich? Um zwei oder drei in einer Ausbildungsgruppe, die eine Fachhochschule anstreben, oder um das Gros, das einen praktischen Beruf erlernen möchte, in dem man eine Existenzgrundlage findet, in dem man sich selbst verwirklichen kann durch Hilfeleistung für andere? Auf diesem Nebenschauplatz der Ausbildung nichtärztlicher Heilberufe feiert also die überwunden geglaubte Verschulungstendenz wieder fröhliche Urständ.Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, wenn ich es damit erst meine, daß es nur um die bestmögliche Förderung der jungen Menschen geht, dann darf ich auch keinerlei Zielsetzungen anderer Art in diese Ausbildungsregelung hineinpacken. Dann muß ich mich dem Menschen, um dessen Förderungschance es ja geht, in seinem So-Sein zuwenden und nicht so, wie ich ihn mir vor-stellen möchte. Ich muß ausgehen von der heute unbestrittenen pädagogischen Erfahrung, die Sie alle kennen, der Erfahrung der Bildungsgesperrtheit, die im Alter von 15, 16 oder 17 Jahren eintritt und die man nur durch ein differenziertes Angebot, durch eine grobe Spezialisierung, wie sie die berufliche Ausbildung bietet, überwinden kann.Für diese jungen Menschen — das ist ja, wie wir wissen, die überwiegende Zahl — ist die berufskonkrete Ansprache der fruchtbare Ansatz zu einer Gesamtbildung, die sie beanspruchen dürfen. Werde ich dem Entwicklungsstand — aus welchen Motiven auch immer — nicht gerecht, dann kommt es bei vielen jungen Menschen eben zu dieser Gesperrtheit, und die geht ja, wie wir wissen, meist mit Disziplinlosigkeit einher. Das aufgelockertste Kurssystem, die besten Wahlmöglichkeiten, die raffiniertesten Unterrichtsmethoden und der Einsatz modernster elektronischer Unterrichtsmittel können dagegen nur wenig ausrichten. Da sich die Motivation der Schüler und die der Lehrer gegenseitig bedingen, kommt es nicht selten zur Resignation, die jeden Unterricht und jeden Ausbildungseinsatz neutralisiert.Unter der Fragestellung aber: Was kann ich später einmal gemäß meinem Interesse anfangen? ist fast jeder Schüler zu erreichen. Verweigere ich ihm diese Ansprache aus gut gemeinten, aber falsch verstandenen Vorstellungen von Chancengleichheit, kommt es über eine zeitliche Bildungsgesperrtheit hinaus häufig zu einer totalen Verschüttung aller Lernantriebskräfte. Das aber heißt, sich an dem jungen Menschen vergehen; denn diese Verschüttung ist besonders dann verhängnisvoll, wenn man in dem lebenslangen Lernen innerhalb bestimmter Zeitetappen die zukünftige Form der Bildung sieht.Das duale System ist notwendig, weil der berufskonkrete Ansatz in einer bestimmten Lebensphase die Einlaßstelle für Lernprozesse darstellt. Eine berufskonkrete Ausbildung ist ein pädagogisches Pfund. Der Bezug zum Beruf kann auf dreierlei Weise hergestellt werden — auch hier müssen Sie sich entscheiden —: erstens durch polytechnischen Unterricht, zweitens durch überbetriebliche Lehrwerkstätten, drittens durch die Ausbildungsstätte Betrieb selbst. Die Wahlentscheidung muß davon ausgehen, wo die stärkste Motivation erfolgt, wo bei der Ausbildung nach dem neuesten Stand der Entwicklung verfahren wird und wo in absehbarer Zeit ausreichende Innovationen erwartet werden können. Heute wurde schon einmal gesagt, je echter die Situation, d. h. je weniger simuliert sie ist, desto größer ist ihre Impulswirkung.Meine Damen und Herren, es gibt deshalb für die betriebliche Praxis nur den Ersatz in der Bedeutung von Notlösungen, allenfalls in der Bedeutung von Ergänzungen. Auf diese Erkenntnis allein gründet sich unsere Forderung: Überbetriebliche Werkstätten dürfen nur betriebsergänzend — auch räumlich gesehen — und nicht betriebsersetzend sein.Zweitens. Wir beklagen heute, daß sich die Schere zwischen biologischer und teilweise auch
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Frau Benedixintellektueller Reife auf der einen und anthropologischer Reife auf der anderen Seite bei unserer Jugend immer weiter öffnet. Eine Hauptursache dafür ist, daß der junge Mensch zu spät in die Verantwortung kommt. Er braucht den Ernstfall, das damit verbundene Erfolgserlebnis und — das wurde auch von Herrn Minister Maier genannt — die sozialintegrative Erfahrung, die man eben nur im Betrieb und nicht in der simulierten Situation machen kann.Drittens. Duale Ausbildung, betriebliche Lehre und berufsbegleitender Unterricht sind die moderne Form des Lernens, des sogenannten induktiven Lernens, also Einzelfälle, die sich möglichst konkret darstellen, aus denen ich dann das Allgemeine, das Gesetzmäßige ableiten kann. Aus einer theoriefähigen Praxis entstehen Fragen, die ihre Beantwortung im Unterricht finden sollen. Darauf baut auch die Forderung des gestuften lebenslangen Lernens auf.Viertens. Vom berufskonkreten Bezug her wird der junge Mensch leichter zu der Einsicht kommen, daß Leistung eben nicht suspekt ist, sondern zur Vorbereitung auf ein erfolgreiches Bestehen in unserer Gesellschaft ebenso notwendig ist wie zur eigenen Erfolgserfahrung und damit zum Glückserlebnis. Einsichtig wird ihm auch die Erkenntnis werden, daß Leistungsauslese das einzige sozial gerechte Ausleseprinzip ist.Fünftens. Die dosierte berufliche Verantwortung fördert die Einsicht, daß die differenzierten Mechanismen unserer Industriegesellschaft Konzentration, Sorgfalt und Präzision verlangen. Auch das ökonomische Gesetz der Kostenrelation wird einsehbar. Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, wieviel Mühe heute Lehrer, Erzieher und Ausbilder oft aufwenden müssen, diese Einsicht zu erreichen, und wie oft alle Mühe und aller Einsatz, wenn sie nicht von dieser eigenen Erfahrung begleitet werden, vergebens sind!Schließlich wächst sechstens aus der Erkenntnis, daß es neben der vorrangig spekulativen Intelligenz die vorrangig konkrete gibt, die Notwendigkeit, durch den jeweils anderen Weg beiden gerecht zu werden. Wenn ich in Ihre integrierte Sekundarstufe II zuviel hineinpacke, Herr Minister Rohde, kommt es statt zur Differenzierung zur Indifferenz und statt zur vielfältigen Förderung zur Einebnung. Aus all dem folgt doch, daß in der nachpubertären Phase eine berufskonkrete Ansprache der einzige Weg zur Förderung ist.Herr Minister, ich sage noch einmal: Angliederung der beruflichen Vollzeitschulen, integrierte Sekundarstufe II, Doppelqualifikation, Ausbildung etwa in den nichtärztlichen Heilberufen, dies sind keine Beispiele zur Förderung, sondern zur Aushöhlung des dualen Systems. Sie erwecken den Eindruck, als hätten Sie sich immer noch nicht von Ihrer Fixierung freigemacht, als begriffen Sie noch immer nicht, daß Lieschen Müller nur geholfen werden kann, wenn man sie als Lieschen Müller ernst nimmt und in ihr nicht eine Eloisa sociologia sehen will.
Diesen Erkenntnisdurchbruch müssen Sie vollziehen; denn erst dann werden wir den Gegensatz zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung, der hier so oft beklagt worden ist, echt aufarbeiten. Erst dann, meine Damen und Herren von der Koalition, stimmt die Richtung, erst dann bieten Sie jungen Menschen durch die Chance des anderen Weges den Impuls und das Erfolgserlebnis, auf das sich jeder Fortschritt gründet.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß dieser Debatte noch einmal auf ein besonders brennendes Problem zu sprechen kommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert in ihrem Antrag Sonderformen der Ausbildung für leistungsschwache und behinderte Jugendliche. Die Lage dieser Jugendlichen ist besorgniserregend. 123 000 junge Menschen unter 20 Jahren haben zur Zeit keinen Arbeitsplatz. Über 70 v. H. dieser Arbeitslosen können keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. Gegenüber früheren Beobachtungen sind Jugendliche stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als alle übrigen Altersgruppen, und besonders betroffen sind Jugendliche ohne Berufsausbildung. Am 1. August dieses Jahres werden rund 600 000 Jugendliche aus den Schulen entlassen, so daß ein weiterer Anstieg zu befürchten ist.Um viele Ausbildungsplätze wird gekämpft. Überall werden Qualifizierungen gefordert. Abiturienten ohne Studienplätze konkurrieren mit Realschülern, diese mit Hauptschülern. Die Aussiebung der lernbegabten Schüler im Anschluß an die Grundschule verringerte die Chancen der anderen. Dabei gerät eine immer größer werdende Gruppe ins Abseits; dies sind vor allem die Sonderschüler und die Hauptschüler ohne Schulabschluß. Die Zahl der Sonderschüler stieg von 180 000 im Jahre 1964 auf 395 000 im Jahre 1974. Deshalb wird die Zahl dieser Schulabgänger ständig zunehmen. Dazu kommen jährlich zwischen 90 000 und 100 000 Jugendliche, die ohne Hauptschulabschluß entlassen werden.Da auch die Anforderungen an die Berufsausbildung im Rahmen der Ausbildungsordnungen ständig gesteigert werden, haben Abgänger aus Sonderschulen und Hauptschüler ohne Abschluß immer weniger Chancen, mit ihren oft nur manuellen Fähigkeiten einen Ausbildungsplatz zu erhalten.
Viele suchen deshalb eine Arbeitsstelle. Aber auch hier finden sich immer weniger Plätze, da der Ecklohn recht hoch ist und Schulpflicht sowie Jugendschutz die Einstellung unrentabel machen. Viele Eltern sind deshalb verunsichert und blicken mit Sorge in die Zukunft.Kritisch werden auch die Ergebnisse der Bildungspolitik bewertet. Das Bildungsziel, über den Zugewinn an Bildungschancen eine Umverteilung der Sozialchancen mit dem Leitbild des Abiturienten zu
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Burgererreichen, hat bedenkliche Ergebnisse gebracht. In Zukunft werden immer mehr Abiturienten immer weniger Chancen haben, ein Studium beginnen zu können, und die praktisch Begabten fühlen sich unterbewertet. Die Folge ist, daß alle unzufrieden sind. Hier gilt es deshalb, einiges wiedergutzumachen.Für die Schwer- und Mehrfachbehinderten werden vor allem Plätze in Berufsbildungswerken zur Verfügung gestellt werden müssen. Ich darf daran erinnern, daß in den nächsten Jahren einige tausend contergan-geschädigte Kinder zur Schulentlasssung kommen und einen Weg zu einem Beruf finden müssen. Für zahlreiche Sonderschüler und Hauptschüler ohne Abschluß aber müssen Sonderformen der beruflichen Ausbildung angeboten werden, die jedoch — und das ist wichtig — keinerlei diskriminierende Auswirkungen haben dürfen.Erhebungen des christlichen Jugenddorfwerkes ergaben — auch das ist sehr wichtig —, daß die meisten der Jugendlichen ohne Schulabschluß aus intakten Familien stammen und die Mütter überwiegend nicht berufstätig waren. Die Ursache ihres scheinbaren Scheiterns liegt demnach meist nicht im Elternhaus. Für diese besonderen Gruppen sollte als Ausnahme — und dies ist kein Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Frau Benedix — die überbetriebliche Ausbildung ermöglicht werden.Die Erfahrungen der freien Träger mit durchgeführten Berufsvorbereitungsjahren sollten verwertet, und dieses Angebot an Plätzen sollte vergrößert werden. Die Förderung dieser Jugendlichen durch werkpraktische und fachtheoretische Unterweisung mit sozialpädagogischer Begleitung hat sich bewährt. Viele Benachteiligte erhalten durch das Berufsvorbereitungsjahr eine Startmöglichkeit. Für die Schwächsten aber müßte eine echte Ausbildungsmöglichkeit darüber hinaus angeboten werden; sonst stehen sie den derzeitigen Wettbewerb nicht durch.Wir halten auch ein besonderes Prüfungsverfahren für diese Gruppe für möglich. Wer nur manuell tüchtig ist, aber in der Theorie Schwierigkeiten hat, sollte trotzdem eine Gesellenprüfung ablegen können, die allerdings dann nicht den Zugang zur Meisterprüfung eröffnen könnte. Wenn es nicht gelingt, diesen Jugendlichen zu helfen, wird das Sprichwort vom Letzten, den die Hunde beißen, zur bitteren Wahrheit. Auch die rund 50 000 jährlich zur Zeit schulentlassenen Gastarbeiterkinder und die spätausgesiedelten Jugendlichen bedürfen einer besonderen Hilfe. Die aus diesem schwerwiegenden bildungs- und sozialpolitischem Problem resultierenden Schäden sind sonst nicht abzusehen. Dieser drohenden Entwicklung muß bereits im Entstehen energisch begegnet werden; denn wer erst einmal in den Kreislauf „kein Ausbildungsplatz", „keine Arbeit", „Straße", „Kneipe" und gar noch „straffällig" geraten ist, hat wenig Chancen, aus eigener Kraft wieder herauszufinden.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit ihren Vorschlägen diese drohende Entwicklung aufhalten. Dieses schwerwiegende bildungs- und sozialpolitische Problem wollen wir mit allen geeigneten Mitteln lösen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
In der Tagesordnung finden Sie den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates ausgedruckt. Wer diesem Vorschlag folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes, des Soldatenversorgungsgesetzes und der Wehrdisziplinarordnung
— Drucksache 7/3505 —
Bericht und Antrag des Verteidigungsausschusses
— Drucksache 7/3773 —Berichterstatter: Abgeordneter Gerstl (Erste Beratung 171. Sitzung)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerstl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Drucksache 7/3505 vom 15. April 1975 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes, des Soldatenversorgungsgesetzes und der Wehrdisziplinarordnung dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Heute, nach neun Wochen, kann der Bundestag dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Der Innenausschuß und der federführende Verteidigungsausschuß haben diesen Gesetzentwurf in gründlichen Beratungen begutachtet und geprüft, ob er in der vorliegenden Form den militärischen Notwendigkeiten, aber auch den gesellschaftspolitischen Problemen unserer Zeit Rechnung trägt. Ich kann heute mit Recht und Überzeugung für die SPD-Bundestagsfraktion feststellen, daß er einer kritischen und sachbezogenen Prüfung vollinhaltlich standhält.Mit diesem Gesetz, das wir heute verabschieden werden, haben die Bundesregierung und initiativ der Bundesverteidigungsminister einen mutigen, längst überfälligen und in der Geschichte der Bundesrepublik wichtigen neuen Schritt getan. Hier wurde mit dem Vorurteil aufgeräumt, daß die Frauen weniger geeignet wären als die Männer, bestimmte Aufgaben in diesem Staat zu übernehmen. Überfällig war dieser Schritt deshalb, weil seit Bestehen der Bundeswehr das Sanitäts- und Gesundheitswesen in der Bundeswehr mit personellen Mängeln zu kämpfen hat. Struktur, Organisation und Umfang des Sanitäts- und Gesundheitsdienstes sind eine wesentliche Aufgabe der Heilfürsorge für die in der Bundeswehr dienenden Soldaten. Die Forderungen der
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Gerstl
NATO und die operativen Grundsätze der Streitkräfte für den Verteidigungsfall können nur erfüllt werden, wenn auch das Gesundheitswesen der Bundeswehr den Anforderungen gerecht wird. Das Streben nach Verbesserung und nach Vervollkommnung ist vornehmste Pflicht der Verantwortlichen in diesem Staat. Mit diesem Gesetz wird der Erfüllung dieser Pflicht sichtbar Ausdruck gegeben, indem einem Mangel im Personalbereich wirksam entgegengetreten wird. 1 400 Stellen für längerdienende Ärzte konnten bisher nur mit 800 Medizinern besetzt werden. Ein Fehl von 600 längerdienenden Ärzten mußte deshalb weitgehend durch wehrpflichtige Sanitätsoffiziere ersetzt werden. Weitere Aufgaben nach dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 verschärften noch die Personalproblematik. Ein ungünstiger Altersaufbau der Offiziere des Sanitätsdienstes hat zur Folge, daß in den nächsten Jahren eine ungewöhnlich hohe Zahl von Ärzten aus der Bundeswehr ausscheidet.Der Verteidigungsminister hat deshalb klug gehandelt, als er mit einem Tabu in dieser Bundesrepublik brach und mithalf, die Möglichkeit zu schaffen, Frauen auf Grund freiwilliger Verpflichtung in die Offizierslaufbahn des Sanitätsdienstes zu berufen. Ohne daß bisher in nennenswertem Umfang Werbung betrieben wurde — lediglich durch die Erörterung der Gesetzesvorlage in der Offentlichkeit —, liegen bisher 80 ernstgemeinte Anträge auf Übernahme als Sanitätsoffizier vor.Eine wesentliche langfristige Hilfe für die Beseitigung des Engpasses im Arztangebot im Sanitätswesen der Bundeswehr könnte von den Ländern gegeben werden, wenn mehr Studienplätze für Sanitätsoffiziersanwärter an den Universitäten zur Verfügung gestellt würden.Wir sind fest überzeugt, daß die Vorlage dieses Gesetzes eine wirksame Hilfe darstellt, um mit den Personalsorgen der Sanitätsoffiziere besser fertig zu werden als bisher. Aber auch im gesellschaftspolitischen Bereich tut es gut, daß von der Emanzipation der Frau nicht nur geredet, sondern auch durch Handeln sichtbar wird, was wir wollen. Die Gleichberechtigung, die Gleichstellung der Frau in Staat und Gesellschaft ist ein wichtiger Teil unserer Politik. Dabei muß der besonderen Stellung der Frau als Mutter selbstverständlich Rechnung getragen werden. Dieses Gesetz kommt diesem Erfordernis deutlich nach.Die Opposition hat in den Beratungen und auch hier in diesem Hause Befürchtungen, Vermutungen und Unterstellungen ausgesprochen, die ich an dieser Stelle deutlich zurückweisen muß. So hat die Kollegin Frau Tübler vor einem Arbeitskreis für Landesverteidigung die Ansicht vertreten — und Herr Kollege Biehle hat das auch in der ersten Lesung angedeutet —, daß die CDU/CSU streng darauf achten werde, daß die Bundeswehr keine Flintenweiber bekomme. Die SPD-Bundestagsfraktion muß eine solche Unterstellung, als ob solche Absichten erkennbar gewesen wären, entschieden zurückweisen. Wir achten das Grundgesetz und das internationale Recht, und die . Bürgerinnen und Bürgerdieses Landes können sich darauf verlassen, daß niemand in der SPD daran denkt, Frauen an der Waffe auszubilden und sie der kämpfenden Truppe zuzuweisen.Eine weitere Behauptung kann nicht unwidersprochen hingenommen werden, nämlich die des Kollegen Biehle, daß der Gleichheitsgrundsatz von uns verletzt werden würde, weil beabsichtigt sei, die Frauen vom Sanitätsdienst für Zahnärzte, Apotheker und Veterinäre auszuschließen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Schmidt hat bei der ersten Lesung schon darauf hingewiesen — und im Ausschuß wurde das noch einmal verdeutlicht —, daß hier der besonderen Personallage Rechnung zu tragen ist. Wenn in diesem Bereich der leichte Überhang abgebaut ist, treten selbstverständlich die Frauen als gleichberechtigte Bewerber auf. Nur kann man heute nicht Erwartungen wecken, wenn für die nächste Zeit entsprechende Stellen von Männern besetzt sind und auch nicht freigegeben werden. Die Glaubwürdigkeit unserer Absichten wird eher erkennbar, wenn wir Zustände deutlich machen, als wenn ungerechtfertigt Hoffnungen genährt werden.Lassen Sie mich auch zur Attraktivität des Berufs der Sanitätsoffiziere noch etwas sagen. Es sagt sich leichthin, daß die Attraktivität noch gesteigert werden müsse. Wenn Einkommensverhältnisse wie im freien Beruf gefordert werden, müssen auch die Bedingungen die gleichen wie im freien Beruf — wie Belastung, Risiko, Sicherheit im Alter und viele andere Dinge — sein. Wer bei der Bundeswehr eine höhere Attraktivität des Sanitätsoffiziersstandes in bezug auf Vergünstigungen fordert, muß auch bereit sein, dem übrigen öffentlichen Dienst das gleiche oder ähnliches zuzugestehen. Nicht vergessen werden darf dabei auch das, was wir als Staat und als Versichertengemeinschaft noch zu leisten imstande sind.
Es sind heute überall Grenzen sichtbar, die von verantwortungsbewußten Menschen beachtet werden müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zusammenfassend darf ich festhalten, daß die Gesetzesvorlage Anerkennung verdient. Ich möchte ausdrücklich danken: der Bundesregierung für die Initiative, dem Verteidigungsministerium für die Unterstützung, aber auch den beteiligten Ausschüssen für die zügige Beratung. Sie haben dazu beigetragen, daß das Sanitätswesen der Bundeswehr spürbar verbessert werden kann und daß die Frau die Möglichkeit bekommt, gleichberechtigt neben dem Mann einen Beitrag zur äußeren Sicherheit unseres Landes zu leisten. Wenn wir die ersten Erfahrungen hinter uns haben, werden wir vielleicht darüber reden müssen — lassen Sie mich das ein wenig humorvoll sagen —, welcher Lippenstift am besten zur Uniform paßt und welches Parfüm den Mief aus den Kasernen und Soldatenstuben vertreibt. Es darf und wird uns nicht stören, wenn Befehle von der Frau Stabsarzt oder vielleicht schon von der Frau Generalstabsarzt kommen. Hauptsache ist, sie sind sachgerecht und helfen, die Probleme auf gerechte und optimale Weise zu
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Gerstl
lösen, und sie dienen unserer Landesverteidigung. Wir vertrauen auf den Sachverstand der Frau und der Sanitätsoffiziere von morgen und werden dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Gerstl darf ich gleich eingangs feststellen, daß unsere Bedenken gegen dieses Gesetz eigentlich noch größer geworden sind, als sie ursprünglich schon waren.
Der Kollege Gerstl meinte, daß es ein mutiger und längst überfälliger Schritt gewesen sei und daß Herr Bundesminister Leber sehr klug gehandelt habe, dieses Tabu zu brechen. Nun, ich meine, es bedarf nicht großen Mutes, sondern der Zweckmäßigkeit, um dieses Problem zu lösen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Einstellung von Frauen für die Laufbahn der Sanitätsoffiziere sieht die Kommission allerdings keinen entscheidenden Weg zur Beseitigung des Mangels an längerdienenden Sanitätsoffizieren.Ich glaube, es bedarf keines besseren Beweises, daß dieses Gesetz mit Sicherheit kein Jahrhundertgesetz ist, wie Herr Kollege Gerstl das darstellen und interpretieren zu können glaubte.Er meinte, daß auch die Länder durch mehr Studienplätze die Situation verbessern könnten. Nun, da taucht die Frage auf: Was hat denn die Bundesregierung zur Veränderung der Staatsverträge unternommen, die auf diesem Gebiet abgeschlossen sind? Wir haben wiederholt darauf hingewiesen. Auf unsere Fragen im Ausschuß haben wir nichts gehört; es war das „Schweigen im Walde" von Ganghofer, als wir nach der Gesamtkonzeption gefragt haben.Der Kollege Gerstl hat die Gleichstellung der Frau herausgestellt, ohne wesentliche Einschränkungen in bezug auf etwaige Ausweitungen damit zu verbinden. Der nächste Schritt ist dann eben die Nachrichtenhelferin, die Fluglotsenhelferin und wer immer da in Betracht kommt. Genau dagegen aber wenden wir uns, auch unter dem Gesichtspunkt, den ich in der ersten Lesung — Sie haben das noch einmal erwähnt — mit der Verwendung des Begriffs „Flintenweiber" angesprochen habe. Sie haben mich allerdings nicht ganz richtig zitiert; ich darf wiederholen, was ich gesagt habe:Wir jedenfalls muten dies den Frauen nicht zu, und deshalb werden wir darauf achten, daß nicht auf dem Wege über die weiblichen Sanitätsoffiziere eine Bresche geschlagen wird, dieeines Tages, langfristig gesehen, zu einem Soldatentyp führt, der dem eines Flintenweibes östlicher Prägung auch nur ähneln könnte.
Genau das habe ich gesagt, und wer weiß, wie das mit den Frauen im Osten ist — Herr Kollege Wehner, Sie wissen da ja besser Bescheid als ich —,
kann feststellen, daß Frauen bis zu 55 Jahren sogar der Wehrpflicht und der Pflicht zum Waffendienst unterliegen. — Ihr Beispiel, Herr Kollege Wehner, zieht doch nicht; das haben Sie das letzte Mal schon gebracht. Das ist doch nichts Neues. Es müßte Ihnen gelegentlich wieder einmal etwas Neues einfallen, was Sie in diesem Zusammenhang sagen sollten.
Soviel zu dem, was der Kollege Gerstl gesagt hat.Zur Sache selbst! Mit dem Gesetz zur Zulassung der freiwilligen weiblichen Sanitätsoffiziere erhalten nach dem 20jährigen Bestehen der Bundeswehr nun auch die Frauen den Soldatenstatus. Mit diesem Vorgang, so meinen wir, wird aber keineswegs die bisherige Untätigkeit und auch das Versagen sowohl von Bundesminister Leber als auch seines Ministeriums bei der Lösung der — ich habe das schon einmal anklingen lassen — schlechten Personalsituation im Sanitäts- und Gesundheitswesen der Bundeswehr behoben. Nahezu bei allen Haushaltsberatungen im Ausschuß wurde diese Personalmisere im Sanitätswesen der Bundeswehr angesprochen. Wir entsinnen uns, daß am 29. November 1973 der Bundesminister der Verteidigung den Plan der neuen Wehrstruktur vorgelegt hat. Darin befindet sich auch der Plan über die Neugliederung des Sanitätswesens. Nun, nach zwei Jahren, soll endlich am 1. Oktober 1975 in Schleswig-Holstein ein erster Modellversuch beginnen. Das zeigt: Konkret liegt außer diesem Gesetz, das Sie uns heute präsentieren, immer noch nichts vor.Ich wiederhole: Auf die Fragen im Ausschuß, welche Pläne zur Lösung der Gesamtmisere und des Gesamtproblems der schlechten Personallage im Sanitätswesen der Bundeswehr bestehen, haben wir leider keine verbindliche Antwort bekommen. Eine Beratung der in anderen Bereichen gegebenen Antworten auf Fragen unserer Fraktion wurde uns auch nicht ermöglicht, weil man mit der Mehrheit der Koalition die Abstimmung durchgesetzt und mit den Stimmen der Koalition dieses Gesetz dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt hat. Dadurch war uns keine Möglichkeit gegeben, diese Dinge im Detail anzugehen. In diesem Zusammenhang muß auch über das Demokratieverständnis der Koalition in den Ausschüssen gesprochen werden.Zum Gesetzesthema der Frau im Soldatenstatus bei der Bundeswehr wiederhole ich meine Feststellung aus der ersten Lesung des Gesetzes, daß meine
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12687
BiehleFraktion die Erschließung des Sanitätsbereichs im Truppendienst für Ärztinnen begrüßt. Die Meinung, daß dies in jedem Fall im Soldatenstatus zu geschehen habe, ist jedoch nicht einhellig.Es muß wohl einmal generell ein Wort zu dem Wert des Dienstes der Frau in der Armee gesagt werden. Wohl unvergessen sind sicherlich die Leistungen gerade auch der Frauen in den vergangenen beiden Weltkriegen. Zu Recht wurde vor kurzem ineinem Beitrag über „Die Frau in der Landesverteidigung" festgestellt, daß es leider über die Frage,wie viele Frauen und Mädchen in den zehn Dienstjahren der beiden Weltkriege getötet, verwundet oder verschleppt wurden, wie viele in den Gefangenenlagern starben, keinerlei Dokumentation gibt. Es wäre sicherlich ein Denkmal für die Frau.Die wertvolle ärztliche Hilfe der Frauen nehmen wir im Interesse der Soldaten nun auch in der Bundeswehr dankbar an, doch findet der Soldatenstatus der Frau für meine Fraktion, für die Fraktion der CDU/CSU, bereits beim Sanitätsoffizier seine Grenzen.Die Vorlage ides Gesetzes ist für uns keine Schau zum Jahr der Frau. Es sollte auch von anderen dieser Eindruck nicht erweckt werden, zumal das Gesetz, gemessen am Gesamtproblem, nur eine Minilösung darstellt.Wie ist denn die Lage?Erstens. Für den Sanitätsdienst werden 2 100 Ärzte, davon 1 400 längendienende, benötigt. Gegenwärtig können nur 800 Dienstposten mit längerdienenden Sanitätsoffizieren — das sind Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit mit mehr als zweijähriger Verpflichtung — besetzt werden. Es besteht somit ein Fehl von rund 600 längerdienenden Sanitätsoffizieren.Zweitens. Eine neue Sanitätsstruktur wird keine Einsparung an Sanitätsoffizieren bringen. Durch den Facharzteinsatz könnte jedoch die Attraktivität für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes gesteigert werden. Leider — ich habe es schon einmal erwähnt — beginnt der einjährige Modellversuch erst am 1. Oktober dieses Jahres.Drittens kommt hinzu, daß sich das Fehl von 1975 bis 1980 durch die Erreichung der Dienstaltersgrenze bei weiteren 290 Sanitätsoffizieren vergrößert.Viertens ist durch die angestrebte Aussetzung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer — das sollten Sie auch bedenken, wenn Sie morgen darüber in diesem Plenum reden — ein weiterer Ausfall an Ärzten zu erwarten. Wehrpflichtige -Mediziner werden nach ihrer Approbation in den mit Facharztstellen und finanziell bestens bedachten zivilen Bereich gehen, zumal auch die geplanten Sanitätszentren mit den damit verbundenen Facharztstellen noch in weiter Ferne liegen. Es ist eine feststehende Tatsache, daß von den wehrpflichtigen Medizinern, den sogenannten Restanten, insgesamt nur rund 50 % echten Wehrdienst leisten.Fünftens. Im Besoldungsbereich gab und gibt es keine Initiativen, um die Attraktivität zu heben.Sechstens. Es wird für Frauen keine Sanitätsoffiziersanwärterstellen geben, weil das Angebot an männlichen Bewerbern in bezug auf vorhandene Studienplätze überreichlich ist. Für einen Studienplatz stehen zehn erfolgreiche Prüflinge bei der Offiziersbewerberprüfungszentrale zur Verfügung.Siebtens. Man will nur Frauen einen Sonderurlaub bis zu drei bzw. sechs Jahren sichern, wenn pflegebedürftige Angehörige im Haushalt leben. Das ist eine besonders fragwürdige Regelung. Pflegebedürftige kann jeder Soldat im Haushalt haben, nicht nur der weibliche Sanitätsoffizier im Soldatenstatus. Wie handhabt man hier eigentlich das Grundgesetz und den Gleichheitsgrundsatz nach dem § 3 des Soldatengesetzes? Wo bleibt die propagierte Anwendung von grundsätzlich gleichen Rechten und Pflichten? Nach dem zu ändernden § 3 des Soldatengesetzes soll es künftig weder Vorteile noch eine Benachteiligung wegen des unterschiedlichen Geschlechtes geben. Das ist doch damit nicht garantiert.
Achtens. Für den Sanitätsoffizier besteht generell die Pflicht zur Ausbildung mit der Waffe zur Selbstverteidigung und zum Schutz anvertrauter Verwundeter. Der weibliche Sanitätsoffizier muß diesen Schutz jedoch nicht vollziehen. Das sind interessante Perspektiven für einen Verwundeten in einem Lazarett, wenn weibliche Sanitätsoffiziere im Ernstfall ihn zu betreuen haben.Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung hat zwar am 8. Februar 1974 in einer Ausschußvorlage richtig festgestellt — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:Gleichgewichtig für die Nachwuchsgewinnung steht neben einer zeitentsprechenden, modernen Aufgabenstellung die Erfüllung der finanziellen Erwartungen im Vergleich zu den Verhältnissen für die gleiche Berufsgruppe im Zivilleben. Weiterhin wird auf eine besonders schlechte Personallage im musterungsärztlichen Dienst aufmerksam gemacht.Ende des Zitats. Dies ist aber auch heute noch das gleiche Problem. Hierzu hat man leider weder etwas vorgelegt noch etwas erreicht. Hier ist Schweigen im Walde; ich muß das nochmal wiederholen.Ein Besoldungsbeispiel! Wenn ein 35 Jahre alter Oberstabsarzt, verheiratet, zwei Kinder, als Berufssoldat 3 775,25 DM verdient, dagegen laut Ausschreibungen in neuesten Ärzteblättern in Mengen jungen Assistenzärzten neben einer Besoldung nach BAT II noch zusätzlich eine pauschale Bereitschaftsdienstvergütung von monatlich sage und schreibe 3 265 DM gegeben wird — das ist nahezu -der Betrag des Gesamtverdienstes des Oberstabsarztes —, dann glaube ich doch feststellen zu dürfen, daß wir bei einer solchen Situation in hundert Jahren noch auf den großen Andrang bei den Sanitätsoffizieren zu warten haben.
Hier muß einfach rasch gehandelt werden. Hier darfnicht weiter abgebaut werden, wie es z. B. in der
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BiehleFrage der Erschwerniszulage der Fall ist. Allerdings können die Auswüchse der zivilen Angebote — das sei hier ganz offen gestanden — nicht unbedingt der Maßstab für die Regelungen in der Bundeswehr und im öffentlichen Gesundheitswesen sein.Auch die Kommission „Personalergänzung im Sanitäts- und Gesundheitswesen" hat am 5. Juni festgestellt, daß der Dienst als Sanitätsoffizier in der Bundeswehr sowohl für den jungen Arzt als auch für den Abiturienten wenig anziehend ist, weil von der Besoldung bis zur Weiterbildung und zur Beförderung die Dinge einfach ungelöst sind. Langfristig wird damit die gute ärztliche Versorgung sowohl der Soldaten als auch der Musterungszentren in Frage gestellt. Genau das ist der wunde Punkt. Die Kommission hat eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht, unter anderem auch im Besoldungsbereich. Ich möchte sie nicht im einzelnen wiederholen. Ich kann nur sagen, sie decken sich weitgehend mit unseren Vorstellungen und sind von uns wiederholt vorgetragen worden.Wenn wir dem Gesetz mit seiner Mini-Lösung dennoch zustimmen, dann nur, weil wir — erstens — das Dilemma nicht noch mehr vergrößert wissen wollen und — zweitens — die Hoffnung haben, daß wenigstens das weiter ansteigende Fehl an Sanitätsoffizieren mit diesem Gesetz einigermaßen kompensiert werden kann, wenn auch — das sei vermerkt — mit 82 Bewerbungen aus dem zivilen Bereich und mit 2 Bewerbungen von den 29 jetzt im zivilen Status bei der Bundeswehr eingesetzten Ärztinnen der Andrang sicher nicht groß ist. Herr Staatssekretär Schmidt hat ja neulich im Ausschuß gesagt, die Frauen, die sich jetzt im zivilen Status bei der Bundeswehr befänden, seien unter völlig anderen Voraussetzungen angetreten. Dazu muß ich bemerken: Das Argument war doch, daß jetzt Beförderungen und besoldungsmäßige Verbesserungen eintreten. Wenn dem so wäre, dann müßten genau diejenigen, die schon zur Zeit bei der Bundeswehr als zivile Ärztinnen Dienst leisten, die ersten sein, die sich für diesen Bereich melden.
Wir fordern jedoch — darauf sei sehr eindringlich hingewiesen — anläßlich dieser Zustimmung erneut:Erstens. Umgehende Vorlage eines Konzepts zur Gesamtlösung des Personalproblems beim Sanitäts- und Gesundheitswesen der Bundeswehr.Zweitens. Keinerlei Ausweitung des Soldatenstatus für Frauen außerhalb der Laufbahn für Sanitätsoffiziere. Minister Leber hält das zumindest für denkbar; so laut Bonner General-Anzeiger vom 12. April 1975.Drittens. Rasche Verbesserung der Sanitätsstruktur der Bundeswehr auf allen Ebenen.Viertens. Volle Zuständigkeit des Sanitäts- und Gesundheitswesens beim Inspekteur für das Sanitätswesen auch unter Einbeziehung der arbeitsmedizinischen Bereiche der Bundeswehr.
Fünftens. Erhöhung der Zahl der durch Staatsverträge festgelegten Studienplätze, um langfristig eigene Sanitätsoffiziere heranzubilden, wobei die Frau nicht ausgeklammert werden darf; das sei auch sehr deutlich gegen die bestehenden Tendenzen gesagt.Lassen Sie mich abschließend bemerken: Wir hoffen, daß man den vorliegenden Vorschlägen sowie den vorgetragenen Prioritäten künftig Rechnung trägt und mit noch größerem Eifer und Elan ans Werk geht, um unseren Soldaten auch in Zukunft modernsten Sanitätsdienst mit ausreichendem und qualifiziertem Personal zur Verfügung stellen zu können. Nur in diesem Sinne spricht sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Annahme des Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes, des Soldatenversorgungsgesetzes und der Wehrdisziplinarordnung in der vom Verteidigungsausschuß geänderten Fassung vom 12. Juni 1975 aus.
Das Wort hat der Abgeordnete Krall.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich bin davon ausgegangen, daß wir hier eine Debatte über Tagesordnungspunkt 6 haben. Herr Kollege Biehle hat einen wesentlichen Teil seines Beitrags auf ein Gutachten bezogen, das von dem Bundesminister der Verteidigung vorgelegt worden ist und über das wir im Ausschuß noch nicht diskutiert haben.
Ich habe im Ausschuß den Antrag gestellt, die Konzeption über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vortragen zu lassen und dabei dieses Gutachten zu verwerten.
— Herr Biehle, ich muß sagen, daß die Bedenken, die Sie hier vorgetragen haben, im Grunde genommen an den Haaren herbeigezogen sind, weil Ihnen vorher nichts besseres eingefallen ist. Jetzt machen Sie sich diese Vorschläge der Kommission zu eigen. Wo haben Sie jemals einen entsprechenden Antrag— etwa im Verteidigungsausschuß — eingebracht?
Wir werden uns zu gegebener Zeit eingehend mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Sie können sicher sein, wir werden hierzu unseren Beitrag leisten.Im übrigen haben Sie versäumt zu erwähnen, daß in dem genannten Gutachten beispielsweise steht — ich erlaube mir, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die Ziffer 65 vorzulesen —:Wie bereits bisher als Beamte oder Angestellte im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, können auch für die Laufbahn der Sanitätsoffiziere grundsätzlich Ärztinnen, Zahn-
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Krallärztinnen, Apothekerinnen und Tierärztinnen eingestellt werden.Diesen Beitrag der Kommission haben Sie wohlweislich verschwiegen, wobei ich bemerke, daß Ihr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, der als Mitglied Ihrer Fraktion der Kommission angehörte, diesem Votum zugestimmt hat.Meine Damen und Herren, bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs Drucksache 7/3505, der die Voraussetzungen dafür schafft, daß auch Frauen in die Laufbahn des Sanitätsdienstes eingestellt werden können, habe ich namens meiner Fraktion bereits unsere Zustimmung angekündigt. Die Behandlung im Ausschuß war kurz, aber eingehend. Unüberwindliche Differenzen in den Auffassungen sind nicht zutage getreten. Die von mir in der ersten Lesung gestellten Fragen sind in der Beratung zufriedenstellend beantwortet worden. Es ist hinreichend geklärt worden, warum mit weiblichen Ärzten im zivilen Status die Lücken im Sanitätsdienst nicht geschlossen werden können. Wir sehen in dem Gesetzesvorschlag allerdings auch nur einen, aber immerhin einen wesentlichen Ansatz, das Fehl an Sanitätsoffizieren abzubauen.Wir hatten geglaubt, daß wir aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes die Frage der Teilzeitarbeit in dieses Gesetz einbringen sollten, haben aber festgestellt, daß diese Vorstellung mit den Eigentümlichkeiten des militärischen Dienstes nicht vereinbar ist. Ich brauche hier nur ein Beispiel zu nennen, nämlich das: Im Soldatengesetz ist im Gegensatz zum Bundesbeamtengesetz eine Arbeitszeitregelung nicht vorgesehen.Von mir ist weiter die Frage angeschnitten worden — das hat auch Herr Kollege Biehle hier angesprochen, sowohl in der ersten als auch jetzt in der abschließenden Lesung —, ob die weiblichen Sanitätsoffiziere nur der Anfang von weiteren militärischen Laufbahnen für Frauen in der Bundeswehr sein sollen. Hier gibt es für uns gar keine Zweifel: Es wird weder ein weibliches Schwesternkorps noch ein MTA-Korps noch gar weibliche Nachrichtenhelferinnen geben.Nachdem auch in der Beratung im Verteidigungsausschuß weitgehend Einvernehmen erzielt worden ist und nachdem wir die wirklich schicken Uniformen für die Ärztinnen bewundert haben, wollen wir dem Fortschritt nicht im Wege stehen. Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen.Meine Damen und Herren, ich wünsche uns allen auf viele Jahre gute Gesundheit. Den Zweiflern an der Notwendigkeit der Verabschiedung dieses Gesetzes kann ich nur wünschen, daß sie, falls sich meine Wünsche nicht in jedem Falle erfüllen, Gelegenheit erhalten, etwa bei Wehrübungen oder beim Aufsuchen eines Bundeswehrkrankenhauses von zarter Frauenhand behandelt zu werden. Das gilt nicht nur für Abgeordnete, sondern auch für Mitglieder der Bundesregierung.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Schmidt .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nur drei ganz kurze Bemerkungen.
Erstens. Es ist kein nächster Schritt, keine Ausweitung vorgesehen — das habe ich im Ausschuß und an anderer Stelle, Herr Biehle, mehrmals betont —; es es gibt darüber keine Planungen irgendwelcher Art. Weil Sie danach gefragt haben, erkläre ich das hier noch einmal offiziell.
Zweitens. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten im Ausschuß vielerlei Konzepte vorgetragen und darüber diskutiert. Ich glaube, die Information in den Ausschuß hinein war nie umfassender als jetzt. Das Gesamtkonzept kann selbstverständlich in der Reihenfolge, wie der Vorsitzende des Ausschusses es will, auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Drittens. Ich möchte mich sehr dagegen verwahren, daß hier dem Minister vorgeworfen wird, er habe versagt. Wir haben zu allen Zeiten, bei allen Verteidigungsministern Mangel an Ärzten gehabt. Dann müßte der Vorwurf auf alle früheren Minister ausgedehnt werden, jedoch bei diesem Minister wesentlich abgeschwächt werden. Denn er tut erstmalig auf eine völlig unkonventionelle Art etwas, was uns aus dieser Misere wesentlich herausbringt. Ich kann also einen solchen Vorwurf nicht unwidersprochen lassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung in zweiter Lesung.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf mit den Art. 1, 2, 3 und 4, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme ohne Enthaltungen angenommen.Ich rufe diedritte Beratungauf. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme ist das Gesetz in dritter Lesung verabschiedet.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Marktstrukturgesetzes— Drucksache 7/2508 —
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Vizepräsident von Hassela) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3679 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/3678 —Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Beratung in zweiter Lesung. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen in zweiter Lesung zur Abstimmung über die Art: 1, 2, 3, 4, 5 sowie Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort hat der Abgeordnete Marquardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Umfang der heutigen Tagesordnung und das Überziehen der Zeitplanung für den Tagesordnungspunkt 2 haben die Frage aufgeworfen, ob wir die Beschlußfassung über die Änderung des Marktstrukturgesetzes nicht ohne Aussprache vornehmen könnten. Wir sind jedoch interfraktionell übereingekommen, daß die Bedeutung dieses Gesetzes für die deutsche Landwirtschaft die Abgabe von Erklärungen der Fraktionen erforderlich macht, und ich möchte alle, insbesondere jene, die seit heute morgen hier ausharren, um Nachsicht bitten.Dem Wunsch, diesem Hohen Hause den jeweiligen Standpunkt darzulegen, steht auch nicht die Tatsache entgegen, daß der Ernährungsausschuß nach eingehenden Beratungen und nach Anhörung von Sachverständigen diesmal den Entwurf einstimmig gebilligt hat. Ich betone diese Einstimmigkeit deshalb besonders, weil die Entstehungsgeschichte des Marktstrukturgesetzes keineswegs immer unter dem Stern allgemeinen Einvernehmens und politischer Harmonie gestanden hat. Insbesondere in den 60er Jahren haben wir in diesem Hause miteinander und gegeneinander hart um den richtigen Weg einer strukturellen Marktanpassung der deutschen Landwirtschaft gerungen, denn schon dem vierten Deutschen Bundestag lagen einige Marktstrukturgesetzentwürfe vor. Da gab es zunächst einen der sozialdemokratischen Fraktion, dann folgte der Entwurf der FDP und schließlich ein solcher der CDU/CSU. Alle berufsständischen Organisationen, Agrarwissenschaft, Agrarpraxis, alle Fraktionen waren einer Meinung, daß die Agrarstruktur dringend einer Verbesserung bedarf. Nur über das Wie gingen die Meinungen erheblich auseinander. Der Weg von der Einsicht zur Tat ist leider oftmals lang, oftmals sehr steinig, und man muß sagen, daß die damalige Bundesregierung dem Vorhaben wenig hilfreich war. So kam es, daß erst vier Jahre später, 1969, auf Grund eines erneuten Initiativantrages der sozialdemokratischen Fraktion das Marktstrukturgesetz in der heutigen Fassung verabschiedet werden konnte.Ziel dieses Gesetzes war und bleibt es, rechtliche Voraussetzungen für die Förderung von Erzeugergemeinschaften und deren Vereinigungen zu schaffen, und zwar sollen es Gemeinschaften sein, zu denen sich die Erzeuger freiwillig — darauf haben wir alle großen Wert gelegt — zusammenschließen. Die Tätigkeit dieser Gemeinschaft ist auf die Produktion bestimmter landwirtschaftlicher und verwandter Erzeugnisse beschränkt. Bedingung ist ferner, daß eine Erzeugergemeinschaft eine Mindestzahl von Betrieben mit einer Mindestanbaufläche oder einer Mindestproduktion umfassen muß. Die Mitglieder sollen sich durch Satzung zu bestimmten Qualitäts- und Erzeugungsregeln verpflichten.Die staatliche finanzielle Förderung — nunmehr ist sie in der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" verankert — erstreckt sich auf die notwendigen gemeinschaftlichen Erstinvestitionen. Wir nennen das Starthilfe. Sie erstreckt sich ferner auf Beihilfen für die notwendige Beratung und für eine wirksame Qualitätskontrolle.Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist nun seit sechs Jahren in Kraft und hat im ganzen zu recht beachtlichen Ergebnissen geführt. Es bestehen zur Zeit etwa 720 Erzeugergemeinschaften und 20 Vereinigungen von Erzeugergemeinschaften. Es sind Zusammenschlüsse, die sich im Rahmen des Gesetzes darum bemühen, die Erzeugung und den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse den Erfordernissen des Marktes anzupassen. Sie haben eine Absatzsicherung bewirkt, die die angeschlossenen Landwirte in den Stand versetzt hat mit der technischen Entwicklung in etwa Schritt zu halten und die Möglichkeiten zur rationellen Bewirtschaftung besser auszuschöpfen.Wir haben feststellen müssen, daß die Bildung und Förderung von Erzeugergemeinschaften bisher vorwiegend in marktfernen Gebieten lag. Aber zunehmend — das ist erfreulich — sieht es so aus, daß auch in marktnahen Bereichen mit einem stärkeren Ansteigen der Zahl von Gemeinschaften zu rechnen ist. Es ist ferner zu erkennen, daß Investitionsbeihilfen stärker in den Vordergrund treten.Die Intensität der Zusammenschlüsse ist zwangsläufig unterschiedlich. Sie reicht von der vergleichsweise lockeren Bindung bis zu sehr straffen Regelungen von Produktion und Vermarktung.Meine Damen und Herren, wir haben 1969 vorausgesehen — und das hat sich bestätigt —, daß die Bildung von Erzeugergemeinschaften zusätzlichen finanziellen Aufwand und zudem einen hohen Grad von Einsatzfreude erfordert. Wir verstehen deshalb sehr wohl, daß die Landwirtschaft einen finanziellen Anreiz braucht, um sich solchen Gemeinschaften anzuschließen und sich den daraus erwachsenden Verpflichtungen auch zu unterwerfen. Das gilt nicht nur für neu entstehende Gemeinschaften, sondern auch für bestehende Zusammenschlüsse, die sich im Rah-
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Marquardtmen des Gesetzes umbilden. Aber es sollte und kann nicht verkannt, und es sollte anerkannt werden, daß Bund und Länder einen ansehnlichen Beitrag geleistet haben, diesen materiellen Anreiz zu schaffen. Für 1975 sind von Bund und Ländern allein Zuschüsse in Höhe von 53 Millionen DM bereitgestellt worden.Wir können also feststellen, daß sich das Gesetz in den zurückliegenden sechs Jahren im allgemeinen bewährt hat. Aber es hat sich auch gezeigt, daß einige Vorschriften verbesserungsbedürftig sind. Diesen gewonnenen Erkenntnissen soll mit dem vorliegenden Entwurf so weit wie möglich Rechnung getragen werden, und zwar in folgender Weise.Die bisherigen Förderungszeiträume waren angesichts der tatsächlichen Anlaufschwierigkeiten zu kurz bemessen. Wir haben sie deshalb von drei auf fünf Jahre verlängert. Ferner erfordert der zwischenzeitliche Erlaß von EG-Verordnungen die Änderung des Gesetzes. In diesem Falle treten EG-Bestimmungen materiellrechtlich an die Stelle der nationalen Regelungen. Schließlich sollen Regelungen über bestimmte Investitionsbeihilfen auf die Zusammenschlüsse nach EG-Recht erstreckt werden.Weiterhin soll auch der sachliche Anwendungsbereich des Marktstrukturgesetzes ein wenig verändert werden. Einige Erzeugnisse, für die bisher Erzeugergemeinschaften möglich waren, werden aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen. Für andere Erzeugnisse werden die Möglichkeiten zur Bildung von Gemeinschaften neu eröffnet.Der Ernährungsausschuß hat bei seinen Beratungen alle Einwände geprüft. Alle Anregungen wurden eingehend erörtert. Die Änderungen, die der Bundesrat vorgeschlagen hatte und denen die Bundesregierung zustimmte, sind von uns übernommen worden. Mancherlei Ergänzungen und Wünsche sind außerdem — das ist ganz natürlich — u. a. von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Erzeugergemeinschaften an den Ausschuß herangetragen worden. Sie konnten jedoch insbesondere insoweit nicht berücksichtigt werden, als sie die finanziellen Möglichkeiten, die uns gegeben sind, übersteigen. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß auch die Opposition in dieser Hinsicht Vernunft wahrte.Wir können also mit Zufriedenheit feststellen, daß die Finanzierung des Gesetzes keine Probleme aufwirft. Zwar erfordert die Verlängerung der Förderungszeiträume voraussichtlich jährliche Mehraufwendungen von 2 bis 5 Millionen DM, von denen der Bund 60 % zu tragen hat. Die zusätzlichen Anforderungen an den Bund werden aber aus dem bestehenden Finanzplafonds der Gemeinschaftsaufgabe gedeckt.Zum Schluß gestatten Sie mir noch ein Wort direkt an die Landwirtschaft. Das Marktstrukturgesetz ist als Hilfe zur Selbsthilfe geschaffen worden. Wir haben der deutschen Landwirtschaft damit die Möglichkeit eingeräumt, durch staatlich geförderte neue Organisationsformen ihre Stellung im europäischen Markt zu stärken. Wir haben das vor sechs Jahren mit dem Ziel getan, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen. Ob die Landwirtschaft von dem Angebot des Marktstrukturgesetzes bislang im ausreichenden oder im notwendigen Umfang Gebrauch gemacht hat, muß allerdings in Anbetracht der vorliegenden Zahlen bezweifelt werden.Wir haben den Eindruck, daß sich die Landwirtschaft und deren Organisationen in den anderen EG-Partnerländern schneller und wirkungsvoller auf die Notwendigkeiten der Zeit und auf die Chancen im gemeinsamen Agrarmarkt eingestellt haben. Eigenbrötelei verbaut Zukunftschancen. Voraussicht, Mut und Tatkraft sind geboten, will die Landwirtschaft auf dem Markt bestehen. Gewiß, das zwingt mancherorts zum Undenken, und dazu kann niemand gezwungen werden. Der Zwang zur Marktanpassung ist jedoch unabweislich. Deshalb wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Änderungsgesetz zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Marquardt, wir konnten auf diese Aussprache nicht verzichten, obgleich ich ja nun feststellen muß, daß Sie die Opposition in Ihren Ausführungen auch sehr nett behandelt haben. Ich werde bei meinen Ausführungen Ihnen gegenüber Gleiches tun; ich hoffe jedenfalls, das jeweils so hinzukriegen.Die Änderung des Marktstrukturgesetzes — Bundestagsdrucksache 7/2508 — wurde nötig, um die kartellrechtlichen Bestimmungen der geänderten Rechtslage anzupassen, die nach dem Inkrafttreten der EWG-Verordnungen zur Regelung von Erzeugergemeinschaften bzw. -organisationen eingetreten ist.Das Marktstrukturgesetz — das muß wiederholt werden — ist einfach dringend erforderlich, um das zersplitterte Angebot der Landwirtschaft — wir haben immerhin allein in der Bundesrepublik Deutschland eine Million Betriebe, die den Markt beliefern — zu bündeln, um letztlich dem Verbraucher hohe Qualitäten anbieten zu können und um uns schließlich der Vermarktungsstruktur anzupassen. Sie wissen, daß gerade in bezug auf die Vermarktung gegenüber dem Endverbraucher in den letzten zehn Jahren enorme Strukturveränderungen vonstatten gegangen sind.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetz zu. Sie haben das ja schon bei der zweiten Beratung festgestellt. Aber wir haben doch einige Wünsche vorzutragen, die wir auch schon im Ernährungsausschuß dargelegt haben, wie ich meine, mit sehr guten Begründungen. Leider wurden diese unsere Vorstellungen jeweils mit 8 : 8 Stimmen abgelehnt.In bezug auf die Starthilfe möchten wir gerne, daß nicht nur der Zeitraum von drei auf fünf Jahre verlängert wird, sondern daß auch die beiden letzten Jahre mit jeweils 1 % zusätzlich dotiert werden, weil wir einfach meinen, daß es notwendig ist, den
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EigenLandwirten einen etwas höheren Anreiz zu geben und die Erzeugergemeinschaften für die Landwirte attraktiver zu machen; denn wir müssen uns darüber im klaren sein, daß ein Landwirt als Betriebsleiter einen wesentlichen Teil seiner Dispositionsfreiheit aufgibt. Das tut er nicht so furchtbar gerne. Die Kosten sind gering und liegen zwischen Null und bis zu 6 bis 7 Millionen DM. Das sollte bei einem Etat von 2 Milliarden DM für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" wohl zu verkraften sein, ohne den Haushalt zusätzlich zu belasten.Zweitens wünschen wir uns, daß die Investitionsförderung für die Erzeugergemeinschaften, die Erstförderung nicht nur von fünf auf sieben Jahre ausgedehnt wird, sondern daß die zeitliche Begrenzung völlig wegfällt; denn wir möchten gerne Fehlinvestitionen vermeiden, die nur deshalb entstehen, weil eine zeitliche Befristung vorgesehen ist. Auch die Marktpartner, die die Produkte von den Erzeugergemeinschaften aufnehmen, haben keine zeitliche Begrenzung. Man sollte also die Erzeugergemeinschaften gleichstellen.Drittens sind wir nicht ganz sicher, ob zum heutigen Zeitpunkt die Produktliste bereits so verändert werden kann, wie sie in der Änderung des Marktstrukturgesetzes vorgesehen ist. Unsere Fischwirtschaft und unsere Obst- und Gemüsewirtschaft sind z. B. durchaus nicht der Meinung, daß alle ihre Probleme über Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft geregelt sind. Wir haben gerade in diesem Jahr bei den Marktstörungen in der Fischwirtschaft festgestellt, daß andere Länder der Europäischen Gemeinschaft schneller und wirkungsvoller reagieren, wenn es darum geht, ihre eigene Produktion, ihre eigene Fischwirtschaft zu stärken.Ich meine aber auch, daß sechs Jahre Marktstrukturgesetz — im Mai 1969 trat dieses Gesetz in Kraft — Anlaß geben sollten, einmal kritisch zu überprüfen, wie dieses Marktstrukturgesetz eigentlich gewirkt hat, wie es die Position der Landwirtschaft gegenüber den Vermarktern, gegenüber den Verbrauchern verbessert hat. Vor allen Dingen müssen wir auch kontrollieren — das ist ganz bedeutsam —, ob die Instrumente Marktstrukturgesetz und Absatzfondsgesetz, das hier direkt mit hineinspielt, gemeinsam der deutschen Landwirtschaft eine Wettbewerbsstellung geben, die beispielsweise der der Landwirtschaft unserer Hauptkonkurrenten Frankreich und Holland in der Europäischen Gemeinschaft entspricht.
Bei den Produkten Fleisch, Milch und Eier, die das ganze Jahr kontinuierlich an den Markt geliefert werden, haben sich die Marktverhältnisse mit den Erzeugergemeinschaften und deren Vereinigungen leicht stabilisiert und damit positiv verändert. Bei Rindfleisch ist mit nationalen Maßnahmen der saisonale Angebotsdruck beim Weideabtrieb gemildert worden. Das ist von der Einfuhr- und Vorratsstelle und — das kann man ja auch von seiten der Opposition einmal positiv feststellen — auch von derBundesregierung in wirklich hervorragender Weise durchgeführt worden. Allerdings müssen wir uns darüber im klaren sein, daß die Mangelverordnungen bei Rindfleisch und vor allem auch deren zu späte Aufhebung 1973 einen wesentlichen Einbruch in den Markt gebracht haben, der erst jetzt in diesen Tagen ausgeräumt werden konnte.Meine Damen und Herren, bei zwei Produktgruppen — und das ist der eigentliche Grund, weshalb ich hier vorne stehe — müssen wir, mit Verlaub gesagt, feststellen, daß die Bundesregierung total versagt hat. Sie hat überhaupt keine Hilfestellung gegeben, damit auch diese Bereiche eine vernünftige Marktausrichtung bekommen konnten. Als erstes nenne ich die Bemühungen der Landwirtschaft, über Erzeugergemeinschaften die Qualitätsproduktion von Getreide, vor allen Dingen von Weizen, voranzutreiben. Immerhin gibt es 189 Erzeugergemeinschaften, davon allein 76 in Schleswig-Holstein, die sich diese Aufgabe gestellt haben. Da die Bundesregierung überhaupt nichts unternommen hat, während der Ernte die gestörte Marktsituation, Angebot und Nachfrage, zugunsten der Landwirtschaft zu unterstützen, ist das Ergebnis, daß die Mühlenindustrie während der Ernte Qualitätsweizen zum Interventionspreis für Füllweizen hat aufkaufen können. Man kann den Mühlenkaufleuten daraus gar keinen Vorwurf machen. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Natürlich muß ein Kaufmann so günstig einkaufen, wie es der Markt nur zuläßt. Aber die Bundesregierung hätte hier mit der Auffüllung der nationalen Reserve eine entscheidende Hilfestellung geben können. Meine Freunde und ich haben hier im Bundestag, meine Damen und Herren, in vielen Fragen an die Bundesregierung die Richtung aufgezeigt, hier der Landwirtschaft Unterstützung zu gewähren, und wir haben immer nur ausweichenden oder abschlägigen Bescheid bekommen.
— Das ist das Thema Marktstrukturgesetz, weil es darum geht, ob es Erfolg gehabt hat oder nicht.
— Herr Schmidt , Sie können ganz sicher sein, meine Mutter hat mich richtig gewickelt, sonst wäre ich nicht in meiner ganzen Statur hier im Bundestag; darauf können Sie sich verlassen.
Meine Damen und Herren, es gibt sogar Meldungen aus dem Jahre 1973, daß die Bundesreserve amerikanischen Qualitätsweizen ausgelagert hat, um französischen Qualitätsweizen einzulagern. Diese Berichte sind nicht dementiert worden. Deutlicher kann man, so meine ich, die Fehlleistung der Bundesregierung in diesem Bereich nun wirklich nicht aufzeigen.
Die zweite Produktgruppe, um die es hier geht, ist Obst und Gemüse zur Verarbeitung. Wir wissen, daß Obst und Gemüse für den Frischmarkt durch
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Eigendie Verordnung Nr. 159/66 der Europäischen Gemeinschaft geregelt ist und daß die Erzeugerorganisationen auch in der Bundesrepublik Deutschland relativ gut funktionieren. Nur eine Produktgruppe ist deswegen herausgefallen, weil man die Kriterien für die Erzeugerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich verschärft hat, und das ist die Produktgruppe Obst und Gemüse zur Verarbeitung.Und nun kommt es, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung hat in den sechs Jahren nicht einmal Verordnungen zur Gründung von Erzeugergemeinschaften in diesem Produktbereich erlassen, obgleich er in der Liste der Produkte aufgeführt ist,
und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, bei einem Produktbereich, der dem allerschärfsten Verdrängungswettbewerb in der Europäischen Gemeinschaft ausgesetzt war.
Ich will gern zugeben, daß einer der wesentlichen Gründe der ist, daß Obst- und Gemüsekonserven überhaupt nicht mit dem Grenzausgleich bedacht waren; das hat eine noch stärkere Wirkung gehabt. Aber die Bundesregierung hätte mit einer vernünftigen Hilfestellung durchaus auch über Erzeugergemeinschaften mit dazu helfen können, daß diese vollständige Verdrängung der deutschen Produktion vom deutschen Markt, wie sie bei einigen wichtigen Produkten — denken Sie z. B. an Erbsen — vonstatten gegangen ist, nicht hätte sein müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier ist Volksvermögen vergeudet worden, so die ganzen Fabriken, auch die von der GEG in Meldorf, die einen Millionenwert haben; sie stehen still und rosten still vor sich hin. Es sind hier auch den Landwirten Anbauchancen genommen worden, die nicht wiederkommen. Das ist bei solchen Entwicklungen immer das Bedauerliche, daß man das nicht wieder reparieren kann.Wenn man die Frage prüft, ob die deutsche Landwirtschaft mit Marktstruktur- und Absatzfondsgesetz ähnlich schlagkräftige Vermarktungsinstrumente besitzt wie Frankreich und Holland, so ist dies eindeutig mit Nein zu beantworten, und das, obgleich auch die deutsche Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft in den letzten Jahren erhebliche Exportsteigerungen haben durchführen können. Interprofessionelle Abkommen, die vom Staat verbindlich anerkannt werden, in Frankreich Forma und Sopexa, haben — genau wie die Produktschappen in Holland — der jeweiligen Landwirtschaft sicherlich eine stärkere Marktstrategie erlaubt, als es der Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland bisher möglich ist.Ich komme zum Schluß.
— Ja, es tut mir leid, Herr Wehner, daß Sie sich nicht für die Probleme der Vermarktung von Nahrungsmitteln und für das Ziel, daß die Verbraucher hervorragende Qualitäten bekommen, interessieren,
aber das wird ja jetzt im Protokoll vermerkt sein.Wir werden also zu prüfen haben, ob nicht weitere Maßnahmen zur Verbesserung des Wettbewerbs für die deutsche Landwirtschaft notwendig sind, wobei wir die Erhaltung der Vielfalt der Partner am Markt, insbesondere der mittelständischen Betriebe, im Auge behalten müssen, wenn wir den Verbrauchern und den Erzeugern von Nahrungsmitteln und nichteßbaren Produkten der Land-, Garten- und Forstwirtschaft gleichermaßen dienen wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich sollten hier ja nur Erklärungen abgegeben werden. Nach den Ausführungen von Herrn Kollegen Eigen ist es aber sicher notwendig, auch etwas auf das einzugehen, was er hier über den Rahmen dieses Gesetzes hinaus zum Besten gegeben hat.Zunächst einmal möchte ich für die FDP-Fraktion feststellen, daß diese Ergänzung des Marktstrukturgesetzes, wenn man sie richtig wertet, nicht mehr als eine Hilfe zur Selbsthilfe für die deutsche Landwirtschaft sein kann. Das muß man hier ganz klar feststellen. Wir wissen auch, daß das Marktstrukturgesetz bei seiner Einführung vom Grundsatz her richtig gelegen und sich vom Grundsatz her in den letzten Jahren auch bewährt hat. Es ist aber deutlich geworden, daß nun auf Grund von gewissen Anfangsschwierigkeiten Verbesserungen notwendig sind. Es ging darum, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft am Markt weiter zu stärken. Darüber hinaus ging es insbesondere darum, die Regelungen, die von der EWG getroffen wurden, in dieses Gesetz einzubauen. Für uns von der FDP war es weiterhin entscheidend, die Neutralität der Marktpartner in diesem Gesetz und durch dieses Gesetz zu wahren.Bei der Anhörung, die wir im Ausschuß gemeinsam erlebt haben, ist deutlich geworden, daß die Länder in der Mehrheit nicht bereit sind — Herr Eigen, dies gleich zur Erwiderung auf Ihre höheren Forderungen —, höhere Leistungen im Blick auf die Durchführung dieses Gesetzes zu erbringen, wie es von einigen Wirtschaftsverbänden gefordert worden ist. Die Abstimmung bei der Einbringung im Bundesrat hat eindeutig bewiesen, daß höhere Leistungen von den Ländern mit Mehrheit abgelehnt werden. Ich glaube, wir können feststellen, daß die Finanzierung nach dem Gemeinschaftsaufgabengesetz erfolgt und — so, wie das Gesetz verabschiedet worden ist — gesichert ist.
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12694 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
GallusNun aber ein paar Worte zu Ihnen, Herr Eigen. Sie tun hier so, als ob die gesamten im Zusammenhang mit diesem Gesetz sich ergebenden Fragen noch offen wären. Dabei wissen Sie genau, daß Ihre Gruppe im Ernährungsausschuß diesem Gesetz zugestimmt hat.
— Mal langsam! Man kann aber der Offentlichkeit gegenüber hier in einer Rede nicht so tun, als ob das alles noch zu regeln wäre. Dies möchte ich eingangs zu Ihren Äußerungen festgestellt haben.
In der Anhörung wurde von seiten eines so stark agrarwirtschaftlich orientierten Landes wie Niedersachsen auf die Frage eines Mitglieds unseres Ausschusses, ob Niedersachsen z. B. bereit wäre, mehr Geld für die Finanzierung dieses Gesetzes zur Verfügung zu stellen, eindeutig erklärt, das Land sei nicht in der Lage, über das, was das Gesetz sowieso an Mehrbelastungen mit sich bringt, hinausgehend weitere Leistungen zu finanzieren. Man kann sich dann nicht hier hinstellen und weitere Prozente in der Förderung verlangen. Das geht nicht!
Ich bin auch der Meinung, daß, was die Investitionsförderung anbetrifft, die Regelung der zeitlichen Begrenzung auf sieben Jahre durchaus bestehen kann. Wir wollen aber sehen, wie die Dinge sich in den nächsten sieben Jahren entwickeln. Wir sollten uns nicht nur an die Brust schlagen, sondern ehrlich genug sein, um zuzugeben, daß es nicht nur im übrigen Bereich der Wirtschaft, sondern auch im Bereich der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte Fehlinvestitionen gegeben hat. Man sollte auch einmal so ehrlich sein, dies zu sagen. Insofern ist meiner Meinung nach eine Begrenzung durchaus sinnvoll.Zu dem, was Sie darüber hinaus über den echten Wettbewerb in der EWG gesagt haben, und zu Ihren agrarpolitischen Vorwürfen gegenüber dieser Bundesregierung kann ich nur folgendes sagen. Herr Eigen, wenn Sie Europa agrarwirtschaftlich und agrarpolitisch betrachten und untersuchen, wie der Lebensstandard der Landwirte in den einzelnen Gebieten Europas ist, stellen Sie fest, daß wir in der Bundesrepublik — und auch in Schleswig-Holstein — nicht schlecht abschneiden. Wenn wir uns einzelne Gebiete in Europa ansehen und das feststellen, müssen wir wenigstens auch so ehrlich sein, dieser Bundesregierung und diesem Bundeslandwirtschaftsminister zu bescheinigen, daß sie den Versuch unternommen haben, im Rahmen der EWG eine vernünftige Agrarpolitik zu betreiben,
zu der mir selbst Ihre Parteifreunde von der CDU draußen im Lande, die nicht hier im Parlament sitzen, fast jeden Tag ins Ohr flüstern: Leider haben unsere Freunde in Bonn kein Alternativprogramm zu dieser Agrarpolitik von Josef Ertl vorgelegt. Leider steht nicht einmal in Ihrem Parteiprogramm von Mannheim ein Wort zur Agrarpolitik.
Ein Lob muß ich hier der CSU sagen. Sie hat ein umfangreiches Kapitel zur Agrarpolitik in ihr Programm geschrieben. Bei der CDU ist das vergessen worden.
Das müssen Sie sich von hier aus einmal sagen lassen, wenn Sie schon in diesem Ausmaß Kritik an der Agrarpolitik dieser Bundesregierung üben.Was die Qualität des Weizens anbetrifft, Herr Eigen, so liegt die Problematik nicht auf dem Gebiet, das Sie erwähnt haben. Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie eine freie Wirtschaft, die andererseits durch Interventionspreise in der EWG abgesichert ist, oder wollen Sie eine bis ins Detail reglementierte Wirtschaft? Das wollen wir nicht, und das kann auch nicht Sinn und Zweck der Agrarpolitik in der EWG sein. Ich bin der Meinung, hier wird genug reglementiert.Wenn es ein Problem beim Weizen gibt, dann ist es das des Massenweizens, für den, wie ich kürzlich in Brüssel erklärt habe, kein Interventionspreis festgesetzt werden darf. Im Gegensatz dazu vertreten Sie hier eine andere Auffassung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Nein,
und zwar deshalb nicht, weil hier Erklärungen vorgesehen waren, und im Rahmen von Erklärungen gibt es keine Zwischenfragen.Ich sage Ihnen, das Problem beim Weizen liegt darin, daß wir, wenn wir auch noch einen Interventionspreis für Massenweizen festsetzen, in eine Situation geraten, in der wir über kurz oder lang nicht mehr wissen, wo wir letzten Endes das Geld hernehmen sollen, um all diese Dinge zu bewältigen.Sie haben hier wiederum einiges zu Ihrem speziellen Gebiet Obst und Gemüse zum besten gegeben. Ich kann zum Schluß nur folgendes sagen: Jedem denkenden Menschen war klar, daß sich von dem Tage an, als wir in die EWG eintraten, auf Grund der verschiedenartigen klimatischen Bedingungen in Europa eine Verlagerung der Produktion insbesondere im Bereich Obst und Gemüse ergeben würde.
Die FDP, meine Damen und Herren, wird diesem Gesetzentwurf auf jeden Fall zustimmen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12695
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war ursprünglich nicht meine Absicht, hier einzugreifen. Aber ich glaube, der Verlauf der Debatte und die Erklärungen zwingen mich dazu, einiges richtigzustellen.Erstens. Soweit ich informiert worden bin, Herr Kollege Eigen, ist von keinem Mitglied des Ausschusses der Antrag gestellt worden, Investitionshilfen unbefristet zu gewähren. Deshalb kann man auch nicht hergehen und sagen, das habe im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Das muß ich richtigstellen. Ich muß Ihnen aber auch sagen: selbst wenn ein solcher Antrag gestellt worden wäre, hätte ich mich dagegen ausgesprochen, weil es nicht Sinn der Sache sein kann, Dauerinvestitionshilfen für Erzeugergemeinschaften zu schaffen. Das würde auch auf den härtesten Widerstand aller anderen Marktpartner stoßen. Sie kennen das Schlagwort vom dritten Vermarktungsweg. Insoweit geht das also gar nicht. Diese Feststellung war deshalb nicht richtig. Das ist auch Gott sei Dank, möchte ich sagen, auf Grund des Sachverstandes im Ausschuß nicht weiterverfolgt worden.
— Auch diese kann nicht unbeschränkt sein. Es kann nur eine vorübergehende Selbsthilfe sein, Herr Kollege Eigen. Ich war noch im Ausschuß, als wir um das Gesetz rangen. Damals gab es verschiedene Lösungsvorschläge; Kollege Marquardt hat das angeführt. Mehr konnten Sie doch nicht erwarten. Hier sollte die Möglichkeit einer Qualitätsproduktion geschaffen werden, und wenn diese Möglichkeit genutzt wird, ist es nicht notwendig, daß der Staat auf die Dauer Investitionshilfen gewährt. Es gibt keinen Wirtschaftszweig in unserer Gesellschaft, der auf die Dauer Investitionshilfen bekommt.
— Sie haben es so gesagt. Wenn ich Sie falsch verstanden habe, nehme ich es zurück. Aber ich glaube, auch die Zuhörer haben es so verstanden.
Zweiter Punkt. Sie sind sehr auf das Markt-Thema eingegangen. — Ich muß und will es sehr kurz machen. — Ich kann nur folgendes feststellen: Inzwischen — das macht manchen Leuten gar keine Freude; mir macht es sehr große Freude — ist die Bundesrepublik Deutschland als Agrarexportland an die siebente Stelle gerückt. Das war vor zehn Jahren unvorstellbar. Offensichtlich hat also unsere gesamte Agrar- und auch Agrarmarktpolitik doch einige Wirkung gezeigt. Sie können sich jederzeit darüber informieren, wie sich die Warenströme bewegen, z. B. auch von der Bundesrepublik Deutschland in die Niederlande und nach Frankreich. Vom klassischen Absatzland Italien will ich nicht sprechen. Offensichtlich muß es also doch gelungen sein, unsere Landwirtschaft und unsere Agrarwirtschaft sehr leistungsfähig und konkurrenzfähig zu machen; denn sonst wären ja die zehn Milliarden DM Exportvolumen nicht zustande gekommen. Darin sehe ich einen Erfolg unserer Bemühungen im Zusammenhang mit dem Absatzfondsgesetz und dem bisherigen Marktstrukturgesetz.Was jetzt geschehen soll, ist eine Verbesserung auf Grund der vorliegenden Erfahrungen. Ich bin dankbar dafür, daß wir uns hier im Grundsatz auch alle einig sind. Aber ich darf noch einmal sagen: Unsere Agrarwirtschaft gehört heute mit zu den leistungsfähigsten und konkurrenzfähigsten. Die Zahlen beweisen das. Das ist ja immer das Wichtigste. Nicht die Worte sind das Wichtigste, sondern die Zahlen.Ich darf auch sagen, daß die Leistungsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit von Landwirtschaft und Agrarwirtschaft dadurch gestärkt wird, daß es in unserem Lande möglich war, durch die Politik der Bundesregierung, aber auch der Bundesbank, erfolgreiche Stabilitätspolitik zu betreiben.
— Das werden Sie im nächsten Agrarbericht wieder sehr deutlich lesen können. Ich kann Ihnen, verehrter Herr Kollege, nur sagen: Noch kann sich die Bundesregierung für die sechs Jahre, in denen sie die Verantwortung trägt, in den jährlichen Zuwachsraten immer noch mit den fünf Jahren vorher messen. Und solange es so bleibt, habe ich ein ruhiges Gewissen.
— Das ist nachlesbar. Das braucht hier gar nicht diskutiert zu werden. Aber wenn Sie mir andere Zahlen vorlegen, bin ich bereit, mich überzeugen zu lassen. Ich schicke Ihnen den Agrarbericht; es tut not, daß Sie den einmal lesen.
— Dann hätten Sie so etwas nicht sagen können. Ichnehme nicht an, daß Sie einen Joke gemacht haben.
— Auch real!
— Auch real! Lesen Sie einmal die Zahlen nach! Wir sprechen uns wieder. Es gibt einen neuen Agrarbericht. Bei uns wird das immer auf den Tisch gelegt. Dann müssen Sie das schon differenzierter darlegen. So global geht das nicht.Nun eine letzte Bemerkung, Herr Kollege Eigen. Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe bei der Bewältigung des Qualitätsweizenproblems total versagt. Erstens. Vom Staat her gibt es nur die Marktpolitik, die in den Brüsseler Bestimmungen bezüg-
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Bundesminister Ertllich der Interventionen festgelegt ist. Darauf hat Kollege Gallus hingewiesen. Zweitens. Sie wissen genau — sogar besser als ich —: In der Frage des Hartweizen- und des Qualitätsweizenanbaus gibt es große Meinungsverschiedenheiten. Ist dieser Qualitätsweizen vergleichbar mit Hartweizen und ähnliches mehr?
Kann er in vollem Umfang eingesetzt werden? Gibt es in dem Zusammenhang nicht strukturelle Überschüsse in Schleswig-Holstein? — Ein uraltes Lied! Da ist der Staat nicht aufgefordert; da müssen die Produzenten im Zweifelsfall in Form von Erzeugergemeinschaften Möglichkeiten suchen. Die aber räumt wiederum das Marktstrukturgesetz ein, etwa die Möglichkeit, durch Verträge mit Abnehmern, seien es genossenschaftliche Abnehmer, private Abnehmer oder Müller, einen Weg zu suchen, die Produktion auf den Bedarf abzustellen. Mein Haus hat darüber x-mal verhandelt und hat das nahegelegt. Ansonsten kann ich niemandem die Erkenntnis ersparen, daß er über das Maß dessen hinaus, was an Interventionen möglich ist, keinen Anspruch hat. Ich würde das auch nicht abdecken. Insoweit, glaube ich, können Sie dieses Beispiel nicht heranziehen.Dann kommt die schwierige Frage Obst und Gemüse. Erstens, Herr Kollege Eigen, gilt für Obst und Gemüse die EG-Regelung.
Zweitens gibt es ein Gemeinschaftsaufgabengesetz. Deshalb müssen Sie sich an das Land Schleswig-Holstein wenden. Für die Durchführung aller derartiger Aufgaben ist seit Inkraftsetzen des Gemeinschaftsaufgabengesetzes der Planungsausschuß zuständig. Dort muß ein entsprechender Antrag eingebracht werden. Und für die Durchführung der Marktstrukturvorhaben, die auch für Obst und Gemüse gelten, ist das Land federführend; der Bund finanziert nur mit 60 %.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Herr Minister, haben Sie bei Obst und Gemüse Verordnungen in bezug auf das Marktstrukturgesetz wie bei allen anderen Produkten erlassen, ja oder nein?
Das kann ich nicht, weil die Grundregelung in der EWG-Verordnung festgelegt ist. Die Grundverordnung liegt fest, und im Rahmen der Maßnahmen zu Marktstrukturverbesserungen ist die Regelung bezüglich Obst und Gemüse als Gemeinschaftsaufgabe anerkannt.
Herr Bundesminister, lassen Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen zu?
Wie immer!
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es in Deutschland keine Erzeugergemeinschaften für Obst und Gemüse gibt, weil die Kriterien für die Bildung von Erzeugerorganisationen mit dem Vermarktungszwang und mit der Mindestvermarktung von 6 Millionen DM 1966 in der Bundesrepublik Deutschland verschärft worden sind?
Ich kann dazu nur sagen, daß mir die Kriterien alle äußerst sinnvoll erscheinen. Sie werden doch nicht glauben, daß Sie mit kleinen Einheiten konkurrenz-, wettbewerbs- und leistungsfähig bleiben. Das Marktstrukturgesetz wurde auch gerade deshalb geschaffen, um größere Einheiten als gemeinsame Angebote am Markt abzusetzen.Herr Kollege Eigen, das hat doch gar nichts mit der EG zu tun, sondern mit der Veränderung in der Handelsstufe. Im übrigen kenne ich genug Genossenschaften auf dem Obst- und Gemüsesektor. Sie kommen damit auf ein ganz anderes Thema, das ich am Schluß ansprechen möchte. Wir haben heute doch genug Vertragsobstbau. Gehen Sie doch einmal nach Baden-Württemberg, und schauen Sie sich dort einmal den ganzen Vertragsobstbau an; schauen Sie sich dort auch einmal den Vertragsgemüsebau und die entsprechenden Organisationen an. Schauen Sie sich einmal die Organisation des Vertragsgemüsebaus des alten Landes mit den Großmärkten in Köln und Bonn an. Es gibt doch genug Beispiele. Ich bin gern bereit, Herr Kollege Eigen, Ihnen das einmal vorführen zu lassen.Sie haben dann die Konservenindustrie erwähnt. Natürlich ist die Konservenindustrie in Deutschland in einer schwierigen Situation. Aber wir können sie doch nicht dauernd mit Subventionen aufrechterhalten. Wir haben Subventionen und direkte Beihilfen gegeben. Hier gibt es einen echten Umstellungsprozeß. Herr Kollege Eigen, Sie werden mir doch zugeben, daß bei uns ein Teil der Konservenproduktion in einer Zeit aufgebaut wurde, als unsere Märkte dicht waren. In dem Moment, wo die Märkte geöffnet wurden und wir die Konkurrenz mit unseren Partnern aus der Gemeinschaft spürten, kamen wir auf diesem Gebiet in eine ganz schwierige Wettbewerbssituation. Sie können doch nicht erwarten, daß der Staat auf ewig alle Einrichtungen am Leben erhält.Es gibt eine Reihe von sehr lebensfähigen Obst- und Gemüsekonservenindustrien. Diese sind allerdings wiederum zu einem Höchstmaß an Spezialisierung und Qualitätsproduktion gezwungen. Das wird der deutschen Landwirtschaft und der deutschen Verarbeitungsindustrie niemand ersparen. Diesbezüglich gibt es auch gar keine großen Schwierigkeiten. Das haben die Wirtschaftsgruppen und die Erzeuger, wie ich meine, Gott sei Dank erkannt. Ich muß sagen: erfreulicherweise erkannt; denn ich sehe in dem Prinzip der verbesserten Marktstrukturförderung plus Möglichkeiten aus der Absatzvorförde-
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Bundesminister Ertlrung den Weg dazu, daß unsere Landwirtschaft nicht immer fragen muß: Welchen Marktanteil haben wir im Inland? Unsere Marktwirtschaft kann sagen: Wir haben einen guten Marktanteil im Inland, und wir sind außerdem ein leistungsfähiger, konkurrenzfähiger Partner im europäischen Markt und sogar am Weltmarkt.Dazu soll dieses Gesetz beitragen. Dazu bedarf es der freiwilligen Mitarbeit vom Produzenten bis hin zur Agrarwirtschaft. Ich hoffe, daß mit diesem Gesetz ein weiterer Baustein dazu gelegt wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in dritter Beratung. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung seine Zustimmung zu geben wünscht, möge sich erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir müssen dann noch über den Ausschußantrag unter Nr. 2 auf Seite 4 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — So beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Sozialgesetzbuchs — Allgemeiner Teil
— Drucksache 7/868 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/3766 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 7/3738, 7/3786 —
Berichterstatter: Abgeordneter Gansel
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf mit den Artikeln 1, —2, — 3, — der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel gewünscht.
— Verzeihung, mir ist gemeldet worden: der Abgeordnete Gansel. Wenn er nicht anwesend ist, erteile ich das Wort dem Abgeordneten Müller .
— Verzeihung, ich muß in der Reihenfolge zunächst dem Abgeordneten der stärksten Fraktion das Wort geben. Ich habe Sie nicht gesehen. Ich habe Sie aufgerufen. Herr Abgeordneter Gansel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir gingen davon aus, daß der Kollege Müller zuerst sprechen würde. Deshalb mein Zögern. Ich bitte, das zu entschuldigen.
Ich bitte um Entschuldigung. Das ist dem Präsidium nicht mitgeteilt worden. Es tut mir leid. Ich habe es so vorgefunden, es ist mir so gesagt worden.
Ich wollte es auch nur sagen, um zu entschuldigen, Herr Präsident.Meine Damen und Herren, die Abstimmung eben hat gezeigt, daß das Vorhaben des Sozialgesetzbuches im Grunde genommen nicht kontrovers ist. Ich sehe auch, daß die parlamentarische Situation zur Zeit nicht dazu angetan ist, noch einmal eine Grundsatzdebatte zu führen. Andererseits hat das Werk doch eine solche Bedeutung, daß wir in der dritten Lesung etwas dazu sagen müssen. Um den Kollegen nicht zusätzlich Zeit zu nehmen, wollen wir versuchen, es flott zu machen; mit einer Erklärung kann man dabei vielleicht etwas Zeit sparen. Ich sage das, weil es immer etwas unangenehm ist, wenn man sich so starr an einen Text halten muß; aber dadurch geht es dann eben schneller.Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion trägt die Bemühungen der sozialliberalen Bundesregierung, das Sozialrecht zu kodifizieren. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches ihre Zustimmung. Sie sieht darin den ersten Schritt zur Verwirklichung einer Forderung des Godesberger Programms, „die gesamte Sozialgesetzgebung einheitlich und übersichtlich in einem Sozialgesetzbuch zu ordnen".Der Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung enthält eine große Zahl Änderungen des Regierungsentwurfes. Sie sind zum überwiegenden Teil redaktioneller Art und aktualisieren nur die Verweise auf das geltende Recht; denn die Regierungsvorlage ist ja schon fast zwei Jahre alt. Aber sie haben dennoch politischen Aussagewert. Sie zeigen an, in welchem Umfang das Sozialrecht in den vergangenen zwei Jahren durch die sozialliberale Koalition fortentwickelt wurde.Auf folgende inhaltliche Verbesserungen des Regierungsentwurfs soll aber besonders hingewiesen werden.Erstens. Die sozialen Rechte in den §§ 3 bis 10 sind auf Grund des neuen § 2 Abs. 2 bei der Auslegung von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs und bei der Ermessensausübung zu beachten. Dabei ist sicherzustellen, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Die sozialen Rechte sind also nicht mehr nur eine Art Inhaltskatalog. Sie sind zwar nicht selbst An-
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Ganselspruchsgrundlage geworden, sie bleiben unter dem Vorbehalt der Einzelgesetze stehen. Durch diese Änderung sind die sozialen Rechte aber dynamisiert worden. Erst durch diese Dynamisierung konkretisieren sie die Leitideen des sozialen Rechtsstaats, wie die Sozialdemokraten sie verstehen. Der Sozialstaat ist eben nach unserer Auffassung nicht statisch. Er hat keine Grenzen. Der Sozialstaat ist eine sich dynamisch entfaltende Ordnung, die in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit schafft.Zweitens. Soziale Gerechtigkeit heißt heute in unserem schon hochentwickelten Sozialleistungssystem z. B. auch, den Zugang zu den sozialen Leistungen zu erleichtern und zu vereinfachen. Der Sozialstaat darf kein Privileg derer werden, die sich in ihm auskennen. Wir messen daher der Verpflichtung der Leistungsträger zu Aufklärung, Auskunft und Beratung große Bedeutung bei — §§ 13 bis 15. Deshalb haben wir dafür gesorgt, daß sich der Rat-und Auskunftsuchende eine schriftliche Bestätigung geben lassen kann. Auskunft und Beratung bleiben damit nicht länger eine unverbindliche Pflichtübung der Leistungsträger. Falscher Auskunft, falschem Rat wird vorgebeugt. Tritt dennoch ein Schaden ein, wird die Beweislage des Bürgers verbessert. In Zukunft wird der Extremfall nicht mehr vorkommen, daß der hilfesuchende Bürger von Amt zu Amt herumgeschickt wird, bis er aufgibt. Die Ortskrankenkasse zum Beispiel als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung hat dem Auskunftsuchenden die zuständige Stelle zu nennen, diese hat ihn umfassend zu beraten und ihm dem neuen § 16 Abs. 3 gemäß bei der Antragstellung zu helfen.In § 17 Abs. 1 sind die Leistungsträger verpflichtet worden, allgemeinverständliche Antragsvordrucke zu verwenden. Man mag diesen Vorschlag des Ausschusses durchaus mit Skepsis betrachten.Das Recht des Bürgers auf allgemeinverständliche Antragsvordrucke hat zwar im bürokratischen Staat den Charakter eines modernen Menschenrechtes, bleibt aber wohl deswegen schwerlich einklagbar. Die jüngsten Erfahrungen mit den Kindergeld-Anträgen beweisen, wie wichtig es ist, daß Formulare aus der Perspektive des Leistungsberechtigten — des Bürgers, des Verbrauchers — entworfen werden. Formulare, die hunderttausendfach, ja millionenfach Verwendung finden sollen, müßten praktisch getestet werden, bevor sie auf die Menschheit losgelassen werden.Formulare sind für viele Mitbürger nicht selten Schranken vor Sozialleistungen. Mühselige Umwege werden dem Bürger oft auferlegt, wenn er Papiere besorgen soll, wenn die Verwaltung Beweisurkunden über Tatsachen wie etwa die Existenz und die Wohnung des Antragstellers verlangt. Wir haben deshalb in § 65 zusätzlich dafür gesorgt, daß es dann keine Mitwirkungspflicht des Bürgers gibt, wenn sich der Leistungsträger durch einen geringeren Aufwand die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.Alle diese Verbesserungen gegenüber dem Regierungsentwurf sollen den Zugang zu den Sozialleistungen popularisieren und entbürokratisieren — um das mit Schlagworten deutlicher zu machen. Wir wissen, daß mit diesen Vorschriften experimentiert und Erfahrung gesammelt werden muß. Daher haben wir uns dafür eingesetzt, die Bundesregierung zu bitten, nach drei Jahren einen Erfahrungsbericht über diese Vorschriften vorzulegen. Der Gesetzgeber muß dann auch den Mut haben, gegebenenfalls aus den Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen.Drittens. Durch die Anträge der Sozialdemokraten sind im Ausschuß die Vorschriften über die Anhörung Beteiligter, über den Schutz der Intimsphäre, über Vorschüsse und vorläufige Leistungen sowie ihre Erstattung, über Verzinsung — nach einstimmigem Vorschlag des Ausschusses 6 Prozent — und über Pfändungsschutz noch verbessert worden. Wer zum Beispiel Arbeitslosengeld beantragen muß, hat spätestens nach einem Monat einen gesetzlichen Anspruch auf Vorschuß — § 42 —.So wird es in Zukunft z. B. auch nicht mehr möglich sein, daß sich bei einem Gesundheitsschaden das Versorgungsamt und der Unfallversicherungsträger darüber streiten, wer zur Rente verpflichtet sei, während der Antragsteller an das Sozialamt verwiesen wird. Spätestens nach einem Monat ist der zuerst angegangene Leistungsträger zu vorläufigen Leistungen verpflichtet — § 43 —.Zum Beispiel wird es auch nicht mehr vorkommen, daß ein Rentner durch den fertigen Bescheid damit überrascht wird, daß seine Erwerbsunfähigkeitsrente in eine Berufsunfähigkeitsrente umgewandelt worden ist. Jedem Bürger muß Gelegenheit gegeben werden, sich vor dem Eingriff in seine sozialen Rechte zu äußern — § 34 —.Leider ist es erforderlich, die Verbesserungen, die der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuchs schon jetzt für den Bürger bringt, durch solche Beispiele plastisch zu machen. Das Gesetz ist durch Abstraktheit und durch Juristendeutsch gekennzeichnet; dies müssen wir selbstkritisch zugeben. Eine volkstümliche Sprache wird der Gesetzgeber wohl erst finden, wenn das Sozialrecht popularisiert worden ist. Die Kodifikation eröffnet jedenfalls den Weg dazu.Immerhin hat der Ausschuß dafür gesorgt, daß in § 56, der die Sonderrechtsnachfolge regelt, die Geschwister des Berechtigten nicht mehr als seine „Kinder im Sinne von Absatz 1 gelten", sondern daß sie den Kindern „gleichgestellt" werden. Solche revolutionären Großtaten für eine verständlichere Sprache sind leider die Ausnahme geblieben.Der Freiraum der gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen wird durch das Sozialgesetzbuch nicht berührt. Wir sind uns seiner — und ihrer — Empfindlichkeit durchaus bewußt. Der § 17 Abs. 3 ist deshalb neugefaßt worden. Er soll die Zusammenarbeit mit den freien Trägern nicht etwa einschränken, sondern verbessern helfen. Ihre Tätigkeit, ihr Engagement und ihre Initiative sind ein unverzichtbares Stück Sozialstaat, der eben nicht nur Sozialverwaltung ist.Meine Damen und Herren, Sie sehen, daß das Sozialgesetzbuch doch eine Menge materieller Ver-
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Ganselbesserungen bringt. Es ist eben nicht so, wie der Abgeordnete Professor Klein von der CDU/CSU heute in Ihrem Pressedienst geschrieben hat, daß es nur eine bibliothekarische Aufgabe sei, was der Gesetzgeber auf sich nehme; das ist eine etwas „Klein"-liche Kritik. Wir sind der Auffassung, daß die Kodifikation des Sozialrechtes selbst ein Stückchen Reform ist, und zwar dadurch, daß das Sozialrecht zusammengefaßt und überschaubar wird. Wir feiern das nicht als eine große Reform, wie Herr Klein behauptet, aber das, was wir schaffen, wollen wir nicht „Klein" machen lassen.Die Sozialdemokraten begrüßen es, daß die meisten Anträge im Ausschuß einstimmig verabschiedet wurden. Wir danken der Opposition, daß sie auf ein Anhörverfahren verzichtet und damit die Voraussetzung geschaffen hat, daß das Gesetz noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden kann. Wir knüpfen daran die Hoffnung, daß der Bundesrat dem Gesetz ohne Verzögerung zustimmen wird, so daß es zum Jahresende in Kraft treten kann.Wir Sozialdemokraten sind den Bedenken des Bundesrates und der Opposition in einigen Fällen entgegengekommen. So im § 1, § 29 Abs. 1 Nr. 3, § 35 und § 36. Es bleiben im wesentlichen drei Auffassungsunterschiede, bei denen folgende Klarstellung hilfreich sein wird.Erstens. Die Jugendhilfe kann nicht aus der Kodifikation herausgenommen werden, ohne diese zu gefährden. Die sozialpädagogische Orientierung der Jugendhilfe steht ihrer Einbeziehung nicht im Wege. Eine Isolierung der Jugendhilfe vom übrigen Sozialrecht kann im Gegenteil nur dadurch vermieden werden. Im übrigen wird ihrer besonderen Bedeutung durch ein eigenes Buch innerhalb des Sozialgesetzbuches Rechnung getragen werden können. Ausdrücklich weise ich unter Bezugnahme auf den Ausschußbericht darauf hin, daß die Kodifikation nicht die Änderung von Ressort-, Verwaltungs- oder Gerichtszuständigkeiten zum Ziel hat.Zweitens. Ähnliches gilt für die Einbeziehung des Wohngeldes. Die Bundesregierung ist aufgefordert worden, den Entwurf eines Wohngesetzbuches vorzulegen. Bis zur Vorlage dieses Entwurfes sprechen die engen sozialpolitischen und rechtlichen Gemeinsamkeiten des Wohngeldes mit den übrigen im Sozialgesetzbuch geregelten Sozialleistungen für eine Einbeziehung des Wohngeldgesetzes. Im Rahmen der Kodifikation des Wohnrechts muß geprüft werden, wie beide Gesetzbücher am besten aufeinander abgestimmt werden können.Drittens. In der Begründung zu § 44 und in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates hat die Bundesregierung überzeugend dargelegt, daß für die Verzinsung im Sozialrecht spezifische sozialrechtliche Überlegungen sprechen. Wir betonen ausdrücklich, daß die Verzinsung, wie sie das Sozialgesetzbuch einführen will, keine präjudizielle Bedeutung für den Bereich der Steuerverwaltung haben soll.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist sich des Umstandes bewußt, daß die Kodifikation des Sozialrechts durch eine politische Polarisierungin Frage gestellt werden kann: Der Bundesrat muß zustimmen. Wir sind der Bundesratsmehrheit entgegengekommen, die nun ihrerseits die Kodifikation nicht in Frage stellen sollte.Wir hoffen, daß die Verabschiedung des Allgemeinen Teils der Sachverständigenkommission für das Sozialgesetzbuch zeigt, welchen hohen Wert wir ihrer Arbeit beimessen, und daß sie dadurch ermutigt wird, sie energisch fortzusetzen. — Wir danken den Mitarbeitern des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung für die gute Zusammenarbeit.Bei diesem Anlaß möchte ich einem Mann den besonderen Dank der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sagen: Wir danken Walter Auerbach, der bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen Vorsitzender der Sachverständigen-Kommission war, der seine Kraft für den sozialen Fortschritt gab und dessen Arbeit ermöglicht hat, daß der Bundestag diesem wichtigen Gesetz heute seine Zustimmung geben kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allem Wohlwollen, Herr Kollege Gansel, muß ich als Oppositionsvertreter doch ein paar Bemerkungen zusätzlich machen.Namens der CDU/CSU-Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab:Die Zusammenfassung verschieden strukturierter Sozialbereiche und der Vorschriften für alle sozialen Einrichtungen mit unterschiedlichem Rechtscharakter und subsidiärer Abgrenzung der Leistungen in einem Gesetzbuch wird von uns grundsätzlich und ausdrücklich begrüßt. Solche Pläne bestanden längst vor der Bildung der sozialliberalen Koalition. Schon unter Arbeitsminister Katzer wurde in seinem Ministerium ein neues Referat eingerichtet, das die Vorarbeiten für ein solches Vorhaben in Angriff nahm.Wir gingen und gehen auch künftig davon aus, daß zunächst durch Kodifizierung des geltenden Rechts in einem Gesetzbuch weder an dem bestehenden gegliederten System der sozialen Sicherung noch an den geltenden und an den besonderen Bedürfnissen in den unterschiedlichsten Wechselfällen des Lebens orientierten Grundprinzipien sich etwas ändern soll. Dies gilt insbesondere — um nur die wichtigsten aufzuzählen — für das Arbeitsförderungsgesetz, die gesamte Sozialversicherung mit der gegliederten Krankenversicherung, der Unfall- und gesetzlichen Rentenversicherung, des Rehabilitations-, Schwerbehinderten- und Kriegsopferrechts sowie des Bundessozialhilfegesetzes.Obwohl wir bei Beginn der Beratungen über die Regierungsvorlage nicht ganz frei von Zweifeln waren, ob nicht mehr beabsichtigt sei, hatten wir gehofft, daß diese Zweifel während der Ausschußberatungen ausgeräumt werden und wir uns über
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12700 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Müller
eine möglichst leicht verständliche, auch für den weniger sachkundigen Bürger überschaubare und vereinfachte Kodifizierung des geltenden Sozialrechts im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs einigen könnten. Leider war das nicht ganz der Fall. Daß es nicht ganz einfach war, haben Sie, Herr Gansel soeben selber zugegeben. Unsere zahlreichen Anträge wurden überwiegend mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit abgelehnt. Auf eine Wiederholung einiger uns wichtig erscheinender Anträge in der zweiten Lesung, die nur der Klarheit dienen sollten, haben wir nur deshalb verzichtet, weil sie ja doch nur in gewohnter Weise der Ablehnung durch die Koalition anheimgefallen wären. Warum sollen wir uns also mehr anstrengen, als praktisch dabei herauskommt?Um so mehr kann ich deshalb leider nicht darauf verzichten, auf einige Fragen kritisch einzugehen. Zuvor jedoch möchte ich der Koalition dafür danken, daß sie, einer besseren Einsicht folgend oder auch nur aus Opportunismus, entgegen der Ablehnung durch die Bundesregierung schließlich doch dem Begehren des Bundesrates und der Opposition im Hinblick auf Art. 6 des Grundgesetzes, den Schutz und die Förderung der Familie in den Aufgabenkatalog des Sozialgesetzbuchs aufzunehmen, stattgegeben und einen Antrag aller Fraktionen daraus gemacht hat. Herzlichen Dank!Wieso die Hervorhebung des Schutzes und der Förderung der Familie, wie die Regierung meint, die Gefahr mit sich brächte, daß andere wichtige Aufgaben dadurch als weniger bedeutsam angesehen werden könnten, bleibt uns unerklärlich. Wir halten es in dieser Frage mit dem Zweiten Familienbericht, d. h. mit den unabhängigen Sachverständigen, die feststellten, daß die Familie die am besten geeignete Gemeinschaft zur Erziehung der Kinder ist und die Qualität unserer Gesellschaft entscheidend von der Qualität unserer Familien abhängt. Deshalb ist es besonders wichtig, die Familie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, wenn sie dazu aus eigenèr Kraft nicht oder nicht mehr fähig ist.Ich frage also: Gibt es vor dem Hintergrund der heute nicht ganz familienfreundlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft sozialere Aufgaben als die Förderung der Familie? Nicht nur die Einzelperson, wie es die Koalition dauernd betont hat, sondern auch die Familie als die kleinste natürliche Gemeinschaft hat ein Recht auf soziale Leistungen. Es soll doch gerade eines der wesentlichen Ziele des Sozialgesetzbuches sein — das haben Sie, Herr Gansel, auch hervorgehoben —, dem Bürger auch im Hinblick auf die Familie, so möchte ich sagen, das Sozialrecht überschaubarer und verständlicher zu machen.Lassen Sie mich anschließend noch ein Wort zu der Ablehnung unseres Änderungsantrags zu dem gleichen § 1 sagen: Wenn die Bundesregierung und mit ihr die Koalition mit nicht überzeugenden Argumenten den Wunsch, neben der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit auch noch die der Würde des Menschen entsprechende Lebensführung als Leitvorstellung für die Gestaltung des Sozialrechts anzusehen, ablehnten, so ist das Argument, eine solcheFormulierung könnte unter Hinweis auf die Rechtsprechung den Eindruck erwecken, das Sozialgesetzbuch strebe eine Nivellierung aller Sozialleistungen auf die Höhe der Sozialhilfesätze an, nicht überzeugend und geht einfach völlig an der Sache vorbei.Auch wir sind der Meinung, daß sich das Sozialgesetzbuch an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes orientieren muß. Wir verkennen dabei auch nicht, daß die Hauptanliegen des sozialen Rechtsstaates die soziale Gerechtigkeit und die soziale Sicherung sind. Im Gegensatz zur Bundesregierung und zur Koalition sind wir aber der Auffassung, daß sich die Verwirklichung dieser Ziele auch am dominierenden Verfassungsgrundsatz, wie er in Artikel 1 des Grundgesetzes an erster Stelle steht, orientieren muß, zumal dies überhaupt erst die Motivation, d. h. der Beweggrund für die Sozialstaatlichkeit ist. Wo die Menschenwürde mißachtet wird, gibt es keine soziale Gerechtigkeit. Im übrigen hat das angezogene Urteil nur gesagt, daß aus Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes nicht ein höherer Rentenanspruch als der Satz der öffentliche Fürsorge, oder besser: als der Regelsatz nach dem Sozialhilfegesetz hergeleitet werden kann.Zu den nach unserer Meinung unbefriedigenden Lösungen lassen Sie mich nur wenige Bemerkungen machen:Erstens. Wir sind — wie der Bundesrat — dem Grunde nach für — und nicht gegen — die Herausnahme der Jugendhilfe aus dem Sozialgesetzbuch. Natürlich enthält die Jugendhilfe Elemente sozialer Leistungen. Ihrem Wesen nach gehört die Jugendhilfe aber im ganzen und die Jugendpflege im besonderen in den Gesamtbereich der Erziehung und Bildung. Wir streben auch nach wie vor eine Reform des Jugendhilferechts an.Zweitens. Es bleibt auch unsere Auffassung, daß z. B. das Wohngeld in erster Linie im Zusammenhang mit dem Recht der Wohnungsbauförderung als wesentliche wohnungspolitische Zielsetzung zu betrachten ist. Es mag sein, daß man das Wohngeld mancherorts als Sozialleistung betrachtet. Die Frage wird sicher noch einmal aufgeworfen, wenn die Bundesregierung dem Ersuchen nachkommt, einen Entwurf für ein Wohnungsgesetzbuch vorzulegen.Drittens. Wir befürchten auch, daß die Formulierung in § 4, die neu hinzugekommen ist — „Jeder hat im Rahmen dieses Gesetzbuchs ein Recht auf Zugang zur Sozialversicherung" —, genau am Ziel einer besseren Aufklärung vorbeigeht. Rechtsunkundige Leser werden sehr leicht die Worte „im Rahmen dieses Gesetzbuchs" überlesen. Eine solche Formulierung wird für sie leicht zur Irreführung und Enttäuschung, obwohl doch gerade für Bürger ohne juristische Vorbildung leicht verständliche Formulierungen gewählt werden sollten, auf daß er seine sozialen Rechte erkennt.Dieser Satz ist im übrigen völlig überflüssig, weil nach dem vorherigen § 2 „Ansprüche nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden können, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs im einzelnen bestimmt sind", es sei denn
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Müller
— lassen Sie mich dieses kritische Wort sagen —, man strebt auf lange Sicht mit dem Wort „jeder" eine psychologische Vorbereitung einer allgemeinen Volksversicherung an.Viertens. Wir bedauern ferner, daß sich die Koalitionsmehrheit nicht mit uns entschließen konnte, den Wünschen der freien und gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände mehr, als es geschehen ist, entgegenzukommen und Formulierungen aufzunehmen, die auch für den Anspruchsberechtigten klar erkennbar machen, daß die öffentlich-rechtlichen Leistungsträger bei der Durchführung von Sozialleistungen mit den freien und gemeinnützigen Trägern der Wohlfahrts- und Krankenpflege bzw. Jugendhilfe partnerschaftlich zusammenarbeiten sollen, so daß der Berechtigte bei der Inanspruchnahme von sozialen Einrichtungen dieser Träger von seinem Recht der freien Wahl ungehindert Gebrauch machen kann.Schließlich noch kurz zwei Bemerkungen. Wir sind selbstverständlich für eine ortsnahe und möglichst umfassende Auskunftserteilung; denn wer in sozialen Angelegenheiten Rat und Hilfe sucht, muß sie schnell und umfassend erhalten. Wir befürchten nur, daß die dafür u. a. vorgesehenen Ortskrankenkassen, die über alle — ich betone: alle — sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch Auskünfte zu erteilen haben — und zwar hat die möglichst umfassende Auskunftserteilung durch eine Stelle zu erfolgen —, im Laufe der Zeit eine Aufgabe wahrnehmen sollen, die eine mit hochqualifizierten Fachkräften besetzte Zentralstelle erfordert und später einen Ansatz für eine Einheitsversicherung sein könnte. Wir können nur hoffen und wünschen, daß sich die uns im Ausschuß erteilte Auskunft wirklich erfüllt, wonach z. B. nur an die Einrichtung gemeinsamer Sprechtage gedacht ist, an denen Fachleute der einzelnen Leistungsbereiche an einem Ort zur Auskunftserteilung zur Verfügung stehen. Die Praxis wird zeigen, ob unsere Skepsis unberechtigt war.Der letzte Punkt, den ich, ehe ich zum Schluß komme, noch ansprechen möchte, macht mich persönlich etwas mißtrauisch. In § 23 Abs. 1 werden die einzelnen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung aufgezählt. Unter Nr. 1 Buchstabe e stand in der Regierungsvorlage — ich zitiere —:Beiträge für die Krankenversicherung der Rentner
und nicht, wie jetzt in der Ausschußvorlage:Zuschüsse zu den Beiträgen von Rentnern fürihre Krankenversicherung .Zur Änderung dieses Textes in „Zuschüsse zu den Beiträgen von Rentnern für ihre Krankenversicherung " heißt es im Ausschußbericht lediglich, „daß die Einweisungsvorschriften in der Regel nur unmittelbare Leistungsansprüche des Bürgers enthalten".Ich möchte deshalb feststellen, daß diese Vorschrift nur einen relativ kleinen Personenkreis betrifft. Ich stelle ferner fest, daß damit das Recht auf Beiträge für die Krankenversicherung der Rentner als Regelleistung der Rentenversicherung unberührt bleibt. Diese Feststellung ist notwendig, weil seitens I der Regierungsvertreter während der Ausschußberatungen die Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner nur als Vermögensverschiebung zwischen den Trägern der Rentenversicherung und der Krankenversicherung bezeichnet wurden. Wir bleiben bei der Feststellung, daß die Beiträge der Rentenversicherung an die Krankenversicherungsträger für die Krankenversicherung der Rentner eine Regelleistung der Rentenversicherung ist, auch wenn sie zur Zeit nicht kostendeckend sind, auf die der Rentenversicherte im Rahmen des geltenden Rentenversicherungsrechts einen Rechtsanspruch hat. Dennoch möchte ich mich bei dieser Gelegenheit dem Dank an die Mitarbeiter des Arbeitsministeriums anschließen.Wenn wir nun wie in der zweiten Lesung dem Gesetzentwurf bei aller Kritik im Ausschuß zugestimmt haben und ihm auch in der dritten Lesung zustimmen werden, dann aus zwei Gründen: Einmal wollten wir damit zum Ausdruck bringen, daß wir grundsätzlich für eine Zusammenfassung des in zahlreichen Einzelgesetzen geregelten Sozialrechts in einem für den Bürger überschaubaren Sozialgesetzbuch sind. Darin sind wir uns einig.Der federführende Ausschuß empfiehlt zum zweiten, eine Entschließung zu fassen, wonach die Bundesregierung bis zum 31. Dezember 1978 einen Bericht über die Erfahrungen mit den Vorschriften des Sozialgesetzbuches — Allgemeiner Teil — vorlegen soll. Sollte sich in der Praxis unsere Kritik an den Vorschriften als berechtigt erweisen, werden wir bei passender Gelegenheit die entsprechenden Änderungen beantragen. Sollten wir, was wir hoffen, nach den nächsten Bundestagswahlen die Mehrheit in diesem Hause haben, werden wir dieses begonnene Werk eines einheitlichen Sozialgesetzbuches konstruktiv weiterführen.Mit diesen Vorbehalten stimmt die CDU/CSUFraktion dem Gesetzentwurf auch in der dritten Lesung zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten darf ich folgende Erklärung abgeben.Mit dem Sozialgesetzbuch wird ein liberales Anliegen verwirklicht, nämlich die Forderung, unser Sozialrecht in einem Gesetzbuch zusammenzufassen. Bereits in der Regierungserklärung der ersten sozialliberalen Koalition wurde dieses Vorhaben angekündigt. Mit der heutigen Verabschiedung des Allgemeinen Teils eines Sozialgesetzbuches verwirklichen wir den ersten Schritt. Gerade die Sozialpolitiker dieses Hauses wissen, unser Sozialrecht ist unübersichtlich und schon für den Fachmann, geschweige denn für den Bürger, schwer verständlich. Es ist auch eine Aufgabe des freiheitlichen Sozialstaates, diese Hürden abzubauen oder jedenfalls niedriger zu setzen. Bei der Bedeutung, die das So-
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12702 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Hölscherzialrecht für die weit überwiegende Mehrheit der Bürger in unserer Arbeitnehmergesellschaft hat, muß dieses Rechtsgebiet auch für den einzelnen überschaubarer werden. Karl-Hermann Flach hat einmal mit folgenden Worten darauf hingewiesen:Die solidarische Grundsicherung gegen die sozialen Risiken von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Alter ist eine entscheidende Voraussetzung für die individuelle Freiheit des Bürgers in der Massengesellschaft.Meine Damen und Herren, nach liberalem Verständnis ist der Gesetzgeber verpflichtet, dem Bürger den Zugang zu seinen sozialen Rechten zu erleichtern, auch durch eine besser verständliche Fassung der gesetzlichen Vorschriften, die seine sozialen Rechte begründen. Die Grenzen, die diesem Vorhaben gesetzt sind, verkennen wir Freien Demokraten nicht. Das Leistungssystem im Bereich der sozialen Sicherheit ist sehr differenziert, sehr kompliziert, eben in der guten Absicht, eine möglichst große Gerechtigkeit im Einzelfall zu erreichen. Daran können und wollen gerade wir Liberalen nichts ändern. Vereinfachungen, die zu neuen Ungerechtigkeiten führen, kamen und kommen für uns daher nicht in Betracht.Die Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des geltenden Rechts hat aber zu einem großen Teil auch andere Gründe. Einmal setzt sich das Sozialrecht aus einer Fülle von Gesetzen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Rechtstechnik zusammen. Diese Gesetze sind in der Regel nicht aufeinander abgestimmt. Sie treffen für vergleichbare Sachverhalte ohne zwingenden Grund unterschiedliche Regelungen. Häufig bestehen z. B. auch im Rentenrecht Parallelvorschriften, die ohne weiteres zusammengefaßt werden können. Hier liegt für uns der Ansatzpunkt für das neue Sozialgesetzbuch. Uns geht es in erster Linie darum, die Fülle der Einzelregelungen systematisch zu gliedern und zusammenzufassen, um das Sozialrecht auf diese Weise zu vereinheitlichen, zu vereinfachen und überschaubar zu machen.Der Allgemeine Teil des neuen Sozialgesetzbuches macht diese Konzeption deutlich. Alle auf Dauer angelegten Bereiche des Sozialrechts werden zusammengefaßt: Bildungs- und Arbeitsförderung, Sozialversicherung, Entschädigung bei Gesundheitsschäden, Familienlastenausgleich, Wohngeld, Sozialhilfe und die Eingliederung Behinderter. Das Lastenausgleichs- und das Wiedergutmachungsrecht, die nicht auf Dauer angelegt sind, werden dagegen auch nicht in das Sozialgesetzbuch aufgenommen. Von dieser Konzeption her, meine Damen und Herren, halten wir es weiterhin nicht für sachdienlich, Rechtsgebiete wie das Jugendrecht oder das Wohngeld aus dem neuen Sozialgesetzbuch auszuklammern. Sinn dieses Gesetzgebungsvorhabens ist es ja gerade, eine neue Zersplitterung des Sozialrechts auszuschließen.Über den Aufbau des Allgemeinen Teils haben meine Vorredner bereits ausführlich gesprochen. An der Spitze stehen dabei die allgemeinen Aufgaben und Leitlinien für das Gesamtgebiet. Sinn die-ser Vorschriften ist es zwar nicht, neue Rechte zu begründen, wie § 2 und der neugefaßte § 4 unmißverständlich klarzustellen; wir Freien Demokraten messen diesen Vorschriften aber nicht nur allgemein politische, sondern auch rechtliche Bedeutung — nämlich bei der Gesetzesauslegung und -anwendung — bei.Meine Damen und Herren, die sich anschließenden Einweisungsvorschriften dienen dem Hauptanliegen des Sozialgesetzbuchs. Sie schaffen größere Transparenz für den Bürger und erleichtern ihm den Weg durch den Dschungel der Leistungsträger. Hervorzuheben sind die ausdrücklichen Rechte auf Information, Beratung und Hilfestellung bei der Inanspruchnahme der Sozialleistungen, aber auch die Verpflichtung der Träger zur Zusammenarbeit. Mehr Transparenz schafft auch die Zusammenstellung und Aufzählung der verschiedenen Sozialleistungen und Sozialleistungsträger.Unmittelbare Rechtswirkungen, die die Rechtsstellung des Bürgers gegenüber den Leistungsträgern verbessern und verstärken, gehen aus den Gemeinsamen Vorschriften hervor. Anzuführen sind die ausdrückliche Bindung der Leistungsträger an Gesetz und Recht, das Prinzip der Individualisierung von Rechten und Pflichten, die Anhörungs- und Geheimhaltungsrechte des Bürgers, der Anspruch auf Vorschüsse, das Verzinsungsgebot und nicht zuletzt auch der Grundsatz, daß der zuerst angegangene Leistungsträger die begehrte Leistung vorläufig zu erbringen hat, wenn streitig ist, welcher Träger zuständig ist. Wir haben ja hierzu kürzlich ein Gesetz geschaffen, bei dem gerade diese Frage von ganz besonderer Bedeutung ist, das Rehabilitationsangleichungsgesetz. Meine Damen und Herren, das Hin- und Herschieben des Bürgers im Behördendickicht gehört damit hoffentlich für immer der Vergangenheit an.Diese Hinweise auf die Grundsätze des Leistungsrechts zeigen: Neben dem Ziel der Transparenz verfolgen wir auch das Ziel, die Rechtsstellung des einzelnen gegenüber der der Leistungsverwaltung zu verbessern. In diesem Zusammenhang möchte die FDP aber auch deutlich machen: Eingriffe in das gegliederte System unserer sozialen Sicherheit und in den Grundsatz der Wahlfreiheit wird es mit uns nicht geben, auch im Bereich des Sozialgesetzbuches nicht. Darüber wird aber noch beim nächsten Teil des Sozialgesetzbuches, den gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung, zu sprechen sein, wenn wir diesen Teil hier in Kürze in erster Lesung behandeln.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion stimmt dem vorliegenden Allgemeinen Teil als dem ersten Schritt zu der vorgesehenen Schaffung eines einheitlichen Sozialgesetzbuches zu.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
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Arendt, Bundesminister für Arbeit und 'Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuches, der jetzt zur Verabschiedung ansteht, ist die erste Stufe und zugleich die entscheidende Grundlage zur Verwirklichung eines neuen Gesetzgebungswerkes. Wir haben in unserem Lande ein imponierendes Sozialleistungssystem geschaffen; es ist jedoch mit einem Defizit an innerer Geschlossenheit und Überschaubarkeit unserer Sozialrechtsordnung belastet. Unser Sozialrecht ist in eine große Zahl von Gesetzen und Verordnungen gegliedert. Sie machen es vor allem dem Bürger, aber auch der Verwaltung, der Rechtsprechung und der Gesetzgebung schwer, sich darin zurechtzufinden. Dieser Gesetzesdschungel birgt die Gefahr wachsender Entfremdung unserer Bürger gegenüber der Rechtsordnung in sich, die fast für jeden von großer Bedeutung ist.Es ist deshalb an der Zeit, unsere Sozialrechtsordnung so zu gestalten, daß der Bürger sein Recht auch versteht und daß Verwaltung und Rechtsprechung in die Lage versetzt werden, das Sozialrecht nach einheitlichen Leitideen gleichmäßig anzuwenden. Eine Sozialrechtsordnung, die solchen Anforderungen genügt, kann nur verwirklicht werden, wenn alle auf Dauer angelegten Sozialleistungsbereiche in das Sozialgesetzbuch einbezogen werden. Nur dann ist gewährleistet, daß die funktionalen Zusammenhänge der aus unterschiedlichen Traditionen stammenden Sozialleistungsbereiche verdeutlicht und mehr als bisher bei der Rechtsanwendung und Gesetzgebung beachtet werden. Nur so wird erreicht, daß die einzelnen Sozialleistungsbereiche in ihren Aufgaben, ihren Rechtsgrundsätzen und ihren Begriffen besser aufeinander abgestimmt werden, und nur so wird sichergestellt, daß sachlich nicht begründete Unterschiede in den verschiedenen Sozialleistungsbereichen beseitigt und die entsprechenden Regelungen harmonisiert werden können. Dies bedingt die Einbeziehung der Ausbildungs- und Arbeitsförderung, der Sozialversicherung und sozialen Entschädigung, des Kindergeld- und Wohngeldrechts sowie der Sozialhilfe.Die genannten Zielvorstellungen machen daneben auch die Einbeziehung der Jugendhilfe in das Sozialgesetzbuch erforderlich.Die Politik sozialer Sicherung und Förderung darf sich nicht in Geld- und Sachleistungen erschöpfen. Sie muß in steigendem Maße das ganze Feld sozialer Dienstleistungen einschließlich persönlicher und erzieherischer Hilfen umfassen.Nicht zuletzt deshalb setzt sich die Bundesregierung mit Nachdruck dafür ein, die persönlichen und erzieherischen Hilfen nach. dem Recht der Jugendhilfe in das Sozialgesetzbuch zu integrieren. Wir gehen davon aus, daß die Selbständigkeit und die Grundprinzipien der Jugendhilfe in einem besonderen Buch des Sozialgesetzbuchs unangetastet bleiben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang betonen, daß das Sozialgesetzbuch keine monetäre Schlagseite haben darf und haben wird.Bei der Kodifizierung des Sozialrechts muß den sozialen Diensten ein besonderes Gewicht zukommen.Die Bundesregierung war sich von Anfang an bewußt, daß ein so umfangreiches Gesetzesvorhaben nur stufenweise verwirklicht werden kann. Der Ihnen heute vorliegende Allgemeine Teil enthält als erste Stufe jene Vorschriften, die übergreifende Bedeutung für alle Sozialleistungsbereiche haben, den Gegenstandsbereich des Sozialgesetzbuches festlegen und die Grundlage für die Einordnung der einzelnen Sozialleistungsbereiche in das Sozialgesetzbuch bilden.Der Allgemeine Teil beginnt mit einer Charta sozialer Rechte. Hier werden die Leitideen unserer Sozialrechtsordnung programmatisch und in die Zukunft orientiert formuliert sowie die sozialrechtlichen Grundpositionen des Bürgers zusammengefaßt. Ziel ist dabei, dem Bürger seine Teilhabe an den verschiedenen sozialen Sicherungs- und Förderungseinrichtungen unserer Gesellschaft transparent zu machen.Durch die im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beschlossene Fassung des § 2 ist noch deutlicher als im Regierungsentwurf sichergestellt, daß die sozialen Rechte von der Verwaltung und Rechtssprechung bei der Auslegung des Sozialrechts, bei der Ausfüllung von Gesetzeslücken und bei der Ermessensausübung als „authentische Interpretationsregeln" zu beachten sind. Das dürfte insbesondere zu einer stärkeren Gleichheit in der Rechtsanwendung, aber auch zu einer effizienten Fortbildung des Sozialrechts beitragen.Der Verbesserung der Information des Bürgers im Sozialrecht durch sogenannte Einweisungsvorschriften mißt die Bundesregierung größte Bedeutung zu, weil gerade die sozial Schwachen ihre Rechte aus Unkenntnis oft nicht wahrnehmen. Wir wollen das Sozialrecht so ausgestalten, daß es allen Bürgern gleiche Chancen zur Wahrnehmung ihrer Rechte gewährleistet. Deshalb werden die Einweisungsvorschriften durch eine Verpflichtung aller sozialen Institutionen zur Rechtsaufklärung der Bevölkerung ergänzt. Der Bürger erhält einen Anspruch auf Beratung über seine sozialen Rechte und Pflichten durch den zuständigen Leistungsträger sowie einen Anspruch auf Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten durch regional nahegelegene Auskunftsstellen. Diese Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflicht ist in einem so weit verzweigten und so stark gegliederten Sozialleistungssystem wie dem unseren keine Nebenleistung. Sie ist im Gegenteil vor allem wegen den vorsorgenden und fördernden sozialen Maßnahmen von größter Aktualität und daher eine der wichtigsten Dienstleistungen für die soziale Sicherung unserer Bevölkerung.Die Bundesregierung begrüßt daher den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 1978 einen Bericht über die Erfahrungen mit den entsprechenden Vorschriften des Allgemeinen Teils vorzulegen.
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12704 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Bundesminister ArendtEin weiteres wichtiges Anliegen des Allgemeinen Teils ist es, den Rechtsanspruch auf soziale Leistungen auszubauen sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Sozialverwaltung zu stärken. Diesem Ziel dienen insbesondere die Vorschriften über Vorschüsse und vorläufige Leistungen, über Auszahlung, Verzinsung und Vererbung von Geldleistungen, über die Übertragung, Aufrechnung und Pfändung von Sozialleistungen sowie über den Schutz der Intimsphäre, das rechtliche Gehör und die Mitwirkung des Bürgers bei der Gestaltung und Verwirklichung von Sozialleistungen. Hier zeigt sich, daß die Kodifizierung des Sozialrechts in einem einheitlichen Sozialgesetzbuch notwendigerweise mit einer begrenzten Sachreform verbunden ist.Es ist sozialpolitisch notwendig, den Allgemeinen Teil vorab und schon bald in Kraft treten zu lassen.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit der Vorlage des Allgemeinen Teils ein weiteres Stück ihres Regierungsprogramms erfüllt. Sie dankt dem federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den beteiligten Ausschüssen des Bundestages für die intensive Beratung des Gesetzentwurfs. Sie hat in zahlreichen Punkten zu Verbesserungen der Regierungsvorlage im Interesse der Bürger unseres Landes geführt. Die Bundesregierung begrüßt es, daß bei den Beratungen des Gesetzentwurfs weitgehende Übereinstimmung mit der Opposition erzielt werden konnte. Sie hofft, daß dieses Stück sozialpolitischer Gemeinsamkeit auch bei der weiteren Gesetzgebungsarbeit zum Sozialgesetzbuch erhalten bleibt.Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung das Sozialgesetzbuch seit 1970 in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Sachverständigenkommission für das Sozialgesetzbuch vorbereitet. Der heutige Tag gibt Veranlassung, den Sachverständigen dieser Kommission für ihre gründliche Arbeit und wertvolle Hilfe den besonderen Dank des Hauses zu sagen. Ich verbinde diesen Dank mit der Bitte, uns bei den noch verbleibenden Vorbereitungsarbeiten in der bisherigen Art und Weise zu unterstützen.Bundesregierung und Sachverständigenkommission haben in der Zwischenzeit weitere Stufen des Sozialgesetzbuchs teils fertiggestellt, teils vorbereitet. Der Gesetzentwurf über die „Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung" befindet sich im ersten Durchgang des Bundesrats und wird dem Deutschen Bundestag in Kürze zugeleitet. Zum „Verwaltungsverfahren" liegt ein Referentenentwurf vor, dessen Ziel es ist, das sehr unterschiedlich geregelte Verfahren weitgehend zu vereinheitlichen, den Verfahrensablauf zu beschleunigen und die Stellung des Bürgers im Verfahren zu stärken. Der Referentenentwurf wird zur Zeit mit allen Beteiligten intensiv beraten.Die Sachverständigenkommission steht jetzt vor der Aufgabe, das Sozialrecht insgesamt zu harmonisieren und damit die Grundsätze des Allgemeinen Teils auch im Detail zu verwirklichen. Bei dieser Aufgabe geht es nicht etwa um eine Beseitigung derVielgestaltigkeit sozialer Leistungen und sozialer Institutionen. Vielmehr geht es darum, das innere Gefüge unserer gegliederten Sozialrechtsordnung nach seiner Systematik, seiner Sprache, seinen Begriffen und seinen Rechtsgrundsätzen in Einklang zu bringen sowie die einzelnen Sozialleistungsbereiche nahtlos miteinander zu verzahnen. Hierzu gehören auch eine Verbesserung in der Koordinierung der unterschiedlichen Aufgaben in den einzelnen Sozialbereichen und eine Verbesserung der Kooperation zwischen den verschiedenen Leistungsträgern. Eine befriedigende Lösung dieser bedeutenden und schwierigen Probleme wird weitgehend darüber entscheiden, ob das Ziel, ein „Sozialrecht aus einem Guß" zu schaffen, optimal erreicht wird.Namens der Bundesregierung bitte ich Sie, meine Damen und Herren, diese Arbeiten zur Schaffung einer verständlichen und überschaubaren Sozialrechtsordnung in einem einheitlichen Sozialgesetzbuch auch weiterhin zu unterstützen. Vielen herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die dritte Beratung.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir haben noch über zwei Anträge des Ausschusses zu befinden. Wir können wohl über beide gemeinsam abstimmen. Wer den Anträgen des Ausschusses unter den Ziffern 2 und 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die beiden Anträge sind angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Biermann, Hölscher und den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes— Drucksache 7/3460 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/3749 —Berichterstatter: Abgeordneter Ziegler
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht er noch zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über Art. 1, 1 a und 2 sowie Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12705
Vizepräsident von HasselIch eröffne diedritte Beratung.— Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir haben noch über den Ausschußantrag unter Ziffer 2 auf Seite 3 abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. November 1974 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Gewährung von Sachleistungen der Krankenversicherung— Drucksache 7/3587 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/3742 —Berichterstatter: Abgeordneter Kratz
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung.— Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift in zweiter Lesung, verbunden mit der Schlußabstimmung, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3797 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Althammerbb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 7/3771 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Fuchs Abgeordneter Vogelsang
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 7/3386 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 7/3771 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Fuchs Abgeordneter Vogelsang
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen sie das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Entwurf der Bundesregierung in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung. Wer den Artikeln 1, 1 a und 2 sowie Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungdes Entwurfs der Bundesregierung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir haben dann abzustimmen über drei Anträge des Ausschusses und zwar unter den Ziffern 2, 3 und 4 auf Seite 9 der Drucksache 7/3771. Ich kann darüber wohl gemeinsam abstimmen lassen. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Damit entfällt die zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Auflösung, Abwicklung und Löschung von Kolonialgesellschaften— Drucksache 7/2885 —Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/3772 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich eröffne die zweite Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.
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19706 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Vizepräsident von HasselWer dem Gesetz mit den §§ 1 bis 7 einschließlich Einleitung und Überschrift seine Zustimmung zu geben wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, möge sich bitte erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter— Drucksache 7/3550 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3781 —Berichterstatter: Abgeordneter Erhard
Abgeordneter Dr. Arndt (Hamburg)
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die zweite Beratung. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen -zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den Artikeln 1 bis 5 einschließlich Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz in dritter Beratung seine Zustimmung zu geben wünscht, erhebe sich bitte. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol— Drucksache 7/3722 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/3783 —Berichterstatter: Abgeordneter von AltenNordheim
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht dieser das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur zweiten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.Wer den Artikeln 1 bis 4 sowie der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, möge sich bitte erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. September 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung— Drucksache 7/3735 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: FinanzausschußIch eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wie Sie aus der Tagesordnung ersehen, empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Finanzausschuß. Wer dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
1. zu dem von den Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Dr. Jahn , Dr. Jobst und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Dr. Schneider, Braun, Frau Stommel, Dr. Warnke, Frau Tübler, Blumenfeld, Dr. Jahn (Münster), Volmer, Vogt, Eilers (Wilhelmshaven), Pfeifer, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Zimmermann, Biehle, Röhner, Dr. Jobst, Thürk, Vehar, Frau Verhülsdonk und Genossen und der Fraktion der CDU/CSUbetr. Lage der Städte, Gemeinden und Kreise
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12707
Vizepräsident von Hassel2. zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksachen 7/2744, 7/3747 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schmitt-Vockenhausen dazuBericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3767 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
Zunächst zu Ziffer 1! Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Ausschußantrag unter Ziffer 1 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen dann zu Ziffer 2. Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe den Punkt 18 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Dr. Schneider, Braun, Frau Stommel, Dr. Warnke, Frau Tübler, Blumenfeld, Dr. Jahn (Münster), Volmer, Vogt, Eilers (Wilhelmshaven), Pfeifer, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Zimmermann, Biehle, Röhner, Dr. Jobst, Thürk, Vehar, Frau Verhülsdonk und Genossen und der Fraktion der CDU/CSUbetr. Lage der Städte, Gemeinden und Kreise — Drucksachen 7/2741, 7/3764 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Waffenschmidt Abgeordneter SpilleckedazuBericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3765 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer dem Ausschußantrag zu folgen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe den Punkt 19 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. Mai 1975 eingegangenen Petitionen— Drucksache 7/3752 —b) Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksachen 7/3758, 7/3798 —Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat Frau Dr. Riede .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß legt Ihnen mindestens einmal im Monat Ausschußberichte über Petitionen in einer Sammelübersicht vor, wie es § 113 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorsieht. Die Sammelübersicht bilden die Grundlagen für die Schlußmitteilungen an die Petenten. Sie enthalten in einer Tabelle den Namen und den Wohnort des Einsenders, die schlagwortartige Bezeichnung des Anliegens und den Vorschlag des Ausschusses, wie die Petition erledigt werden soll. Einen darüber hinausgehenden Aussagewert haben die Sammelübersichten nicht.Um Ihnen auch einen Überblick über die Tätigkeit des Petitionsausschusses insgesamt zu verschaffen, wird den Sammelübersichten vierteljährlich eine systematische Ubersicht über die in der laufenden Wahlperiode beim Deutschen Bundestag eingegangenen Petitionen beigegeben. Außerdem ist der Petitionsausschuß dazu übergegangen, anläßlich der Beratung von Sammelübersichten eines seiner Mitglieder in diesem Hohen Hause das Wort nehmen zu lassen, um über die Tätigkeit des Petitionsausschusses allgemein zu berichten und um Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, über besonders beispielhafte Eingaben in Kenntnis zu setzen.Wenn ich dies heute tue, so besteht dazu ein besonderer Anlaß. Sie wissen, daß die am 27. Februar dieses Jahres vom Plenum beschlossenen Gesetze über die erweiterten Befugnisse des Petitionsausschusses am 30. Mai im Bundesrat abschließend beraten worden sind. Damit haben die jahrelangen, bis in die 5. Wahlperiode zurückgehenden Bemühungen, dem Petitionsausschuß das Recht auf eigene, unmittelbare Sachaufklärung und Wahrheitsfindung zu geben, endlich ein erfolgreiches Ende gefunden.Der Petitionsausschuß kann nunmehr zur Vorbereitung von Beschlüssen über Beschwerden nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch direkt von den ihr nachgeordneten Behörden und den ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Auskunft verlangen. Außerdem sind die vorgenannten Stellen jetzt verpflichtet, dem Ausschuß auf Verlangen Akten vorzulegen und Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten. Der Ausschuß hat ferner das Recht,
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Frau Dr. Riede
den Petenten, Zeugen und Sachverständige anzuhören. Er kann die Ausübung dieser Befugnisse auf eines oder mehrere seiner Mitglieder übertragen. Gerichte und Verwaltungsbehörden sind dem Petitionsausschuß und den von ihm beauftragten Mitgliedern zur Amtshilfe verpflichtet.Damit sind die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben, daß der Petitionsausschuß seinen Aufgaben noch besser als bisher gerecht werden kann.Die weitestgefaßten Befugnisse nützen aber wenig, wenn die personelle Ausstattung des Petitionsausschusses und seines administrativen Hilfsdienstes, der Zentralstelle für Petitionen und Eingaben, unzureichend ist. Ich richte deshalb erneut von dieser Stelle aus die schon wiederholt geäußerte Bitte an die Fraktionen, Kolleginnen und Kollegen in den Petitionsausschuß zu entsenden, die hierfür besondere Sachkunde und nach Möglichkeit auch Erfahrungen mitbringen.
An die Frau Präsidentin geht meine Bitte, die Zentralstelle für Petitionen und Eingaben mit einer genügenden Anzahl von qualifizierten Mitarbeitern auszustatten.
Die seit langem geforderte Einrichtung eines vierten Eingabenreferats zur Entlastung der übrigen Referate muß jetzt vordringlich verwirklicht werden.
Ein Vergleich mit der personellen Situation beim Wehrbeauftragten zeigt, daß hier einiges verbessert werden muß.Erlauben Sie mir noch ein Wort zu den Ihnen zur Beschlußfassung vorliegenden Sammelübersichten 44 und 45. Wie der statistische Teil ,der Sammelübersicht 44 ausweist, sind in der 7. Wahlperiode bereits rund 22 500 Petitionen neu eingegangen. Das sind weitaus mehr als in der vergleichbaren Zeit der 6. Wahlperiode. Die Zahl der Eingaben ist von Jahr zu Jahr gestiegen. In der Zeit von Januar bis Mai dieses Jahres belief sich diese Zahl auf rund 4 800. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte die Zahl der Eingaben noch 3 500 und in den ersten fünf Monaten des Jahres 1973 sogar nur 2 800 — also zirka 2 000 Eingaben weniger als dieses Jahr — betragen.Diese Zahlen zeigen Ihnen, meine Damen und Herren, daß der Petitionsausschuß als Klagemauer für den Bürger in zunehmendem Maße in Anspruch genommen wird und somit auch als Mittler zwischen Bürger und Staat immer mehr an Bedeutung gewinnt.Gestatten Sie mir die Frage, woran es liegt, daß die Zahl der Petitionen, insbesondere die der Beschwerden, ständig steigt. Ist der Grund dafür in anwachsender, nachlässiger und uneinsichtiger Bürokratie zu suchen, oder hat die Zunahme der Eingaben andere Ursachen? Sicherlich führt eine größere Aufklärung des Bürgers dazu, daß er sichseines Grundrechts nach Art. 17 des Grundgesetzes mehr bewußt ist
und vom Petitionsrecht Gebrauch macht. Aber auch die Vielzahl neuer Gesetze sowie die wachsende Komplizierung von Gesetzen und Rechtsvorschriften haben zur Folge, daß der Bürger häufiger einen Grund hat, sich hilfesuchend an den Petitionsausschuß zu wenden, der oft genug für ihn sozusagen die letzte Instanz ist.
Je stärker der einzelne von staatlichen Leistungen und Ansprüchen, von Geboten und Verboten abhängig ist, um so nötiger wird die Aufgabe des Petitionsausschusses, auf der einen Seite quasi als „Notrufsäule" zu fungieren und auf der anderen das vielfach erschütterte Vertrauen des Bürgers in die staatlichen Organe wiederherzustellen.Lassen Sie mich zum Schluß über ein wahllos herausgegriffenes Beispiel aus der Ihnen vorliegenden Sammelübersicht 44 für eine Petition eines Bürgers und ihre Behandlung im Petitionsausschuß berichten. Ein geprüfter Landwirtschaftsgehilfe beantragte auf Grund des Arbeitsförderungsgesetzes beim zuständigen Arbeitsamt ,die Förderung seiner Teilnahme an der Ausbildung zum staatlich geprüften Landwirtschaftsleiter. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, daß der Antragsteller zwar eine abgeschlossene Berufsausbildung habe, nicht aber eine für das Erreichen des Förderungszieles notwendige, mindestens einjährige praktische Berufserfahrung. Die zweijährige Lehrzeit wurde also dafür nicht als ausreichend anerkannt. Rechtsbehelfe und bis zur Bundesanstalt für Arbeit vorgetragene Gegenvorstellungen führten nicht zum Erfolg. Daraufhin wandte sich der Bürger an den Petitionsausschuß.Der Ausschuß kam bei seiner Prüfung — im Gegensatz zur Gesetzesauslegung durch die zuständigen Behörden — zu dem Ergebnis, daß die Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Förderung gegeben seien. Dabei stützte er sich auch auf ein in einem ähnlich gelagerten Fall ergangenes Gerichtsurteil. Der Ausschuß hat vorgeschlagen, die Eingabe dem zuständigen Bundesminister zur Erwägung zu überweisen mit dem Ziel, der Bundesanstalt für Arbeit eine nochmalige Prüfung ihrer Entscheidung nahezulegen. Ich rechne sicher mit einem positiven Ergebnis.Interessant ist auch die Petition, die im Nachtrag zur Sammelübersicht 45 — Drucksache 7/3798 — enthalten ist. Der Ausschuß hat sie nachgereicht, weil die Bundesregierung nach seiner Meinung hier vordringlich eine Möglichkeit finden sollte zu helfen. Die Petentin war in der NS-Zeit wegen Abhörens eines englischen Senders sowie wegen Hochverrats und landesverräterischer Feindbegünstigung zunächst zum Tode verurteilt, später jedoch zu einer Zuchthausstrafe von zwölf Jahren begnadigt worden. Daraufhin wurde die Ehe der Petentin geschieden. Die Petentin beantragte nun ohne Erfolg, ihr
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Frau Dr. Riede
aus der Versicherung ihres 1966 verstorbenen früheren Ehemannes eine Hinterbliebenenrente zu gewähren. Der Versicherungsträger sieht wegen Fehlens eines durch die Hinterbliebenenrente zu ersetzenden Unterhaltsanspruchs keine Möglichkeit, dem Antrag der Petentin zu entsprechen. Dieses Ergebnis erscheint dem Ausschuß äußerst unbefriedigend, weil es seine Ursache in der auf politischen Gründen beruhenden Ehescheidung hat. Er hält es für angebracht, daß hier über die Anwendung des die Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben geholfen wird und schlägt deshalb vor, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.Es versteht sich von selbst, daß nicht alle Petitionen für den Einsender zum Erfolg führen können. Die Zahl der Eingaben, die positiv erledigt werden oder bei denen dem Petenten durch einen Rat, eine Auskunft, durch Übersendung von Material oder in anderer Weise geholfen werden kann, ist jedoch nicht gering. Sie beläuft sich auf rund 40 %.Wir Abgeordneten haben also durch den Petitionsausschuß echte Chancen, etwas für den Bürger zu erreichen, d. h. wir haben Chancen, hier Erfolg zu haben. Und Erfolg wirkt auf den Politiker wie Mairegen:
Er weckt schlummernde Kräfte, gibt Elan und vielfältige Ideen. Kurz: Ein Politiker ohne Erfolg ist wie ein Kinderwagen ohne Baby.
Man sieht ihn, aber man geht, ohne ihn näher zu betrachten, weiter. Deshalb, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie den Petitionsausschuß und seine Möglichkeiten ernst! Denn er kann für Sie zum Lebenselixier werden.Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie um Zustimmung zu den vorliegenden Sammelübersichten.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Anträgen des Petitionsausschusses auf Drucksachen 7/3752, 7/3758 und 7/3798, die in den Sammelübersichten 44 und 45 enthaltenen Anträge des Petitionsausschusses anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
betr. Einspruch des Hessen-Nassauischen Heimatbundes e. V., vertreten durch den Vorsitzenden, Peter Heilmann, Oberursel, gegen die Gültigkeit des Volksentscheides im früherenBezirk Montabaur des Landes Rheinland-Pfalz vom 19. Januar 1975— Drucksache 7/3751 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Stark
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/3751 — Zurückweisung des Einspruchs — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe auf die Punkte 21 bis 29 sowie die Zusatzpunkte 1 bis 3 der Tagesordnung:21. Beratung des Antrags des Innenausschusses zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für Verordnungen des Rates über die Einführung einer Sonderprämie für die Atomanlagenbediensteten in Deutschland und in den Niederlanden sowie einer vorübergehenden Pauschalzulage für dieses Personal, das in den beiden genannten Ländern sowie in Belgien dienstlich verwendet wird— Drucksachen 7/3525, 7/3743 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
22. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsturzschutzvorrichtungen von landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern— Drucksachen 7/3108, 7/3748 — Berichterstatter: Abgeordneter Horstmeier23. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Gasverbrauchsgeräte, hierfür bestimmte Gas-sicherheits- und Regelgeräte und über Prüfverfahren für diese GeräteRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Warmwasserbereiter für sanitäre Zwecke, die mit gasförmigen Brennstoffen beheizt werden— Drucksachen 7/3184, 7/3750 —Berichterstatter:Abgeordneter Franke
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Präsident Frau Renger24. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zudem Übereinkommen Nr. 137 über die sozialen Auswirkungen neuer Umschlagmethoden in Häfender Empfehlung Nr. 145 betreffend die sozialen Auswirkungen neuer Umschlagmethoden in Häfenmit je einer Stellungnahme der Bundesregierung— Drucksachen 7/3445, 7/3753 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Blüm25. Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in Geel-Mol (Belgien) dienstlich verwendet werden— Drucksachen 7/3377, 7/3761 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
26. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineEmpfehlung für einen Beschluß des Rates zur Billigung des Briefwechsels zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Norwegen betreffend die von Norwegen vollzogene Festlegung von Fischereizonen, die für Trawler während bestimmter Zeitabschnitte des Jahres gesperrt sindVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Waren der Tarifstelle 22.09 CI des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in den AKP-StaatenVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Aprikosenpülpe, der Tarifstelle 20.06 B II c) 1 aa) des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in IsraelVerordnung des Rates zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Israel— Drucksachen 7/3431, 7/3609, 7/3577, 7/3593, 7/3770 —Berichterstatter: Abgeordneter Christ27. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektromedizinische GeräteRichtlinie des Rates über die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für medizinische elektroradiologische Geräte für Röntgenstrahlen von 10 bis 400 kV— Drucksachen 7/3176, 7/3776 — Berichterstatter: Abgeordneter Sund28. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat betreffend die Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern (Zugang zu Arbeitsplätzen, zur Berufsausbildung und -förderung und Arbeitsbedingungen)— Drucksache 7/3316, 7/3782 —Berichterstatter: Abgeordneter Gansel29. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 17/74— Besondere Zollsätze gegenüber Marokko)— Drucksachen 7/3535, 7/3769 — Berichterstatter: Abgeordneter SchmidhuberBeratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission füreine Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über Beziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den assoziierten überseeischen Ländern und Gebieten
eine Empfehlung einer Verordnung des Rates über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschafteinen Entwurf eines Abkommens über den Handel mit den überseeischen Ländern und Gebieten mit Erzeugnissen, die unter die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallen— Drucksachen 7/3569, 7/3784 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. von DohnanyiBeratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Empfehlung einer Verordnung (EWG) des Rates über den Abschluß eines Abkommens über handelspolitische Zusam-
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Präsident Frau Rengermenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Sri Lanka— Drucksachen 7/3459, 7/3785 —Berichterstatter: Abgeordneter RusseBeratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Anpassung der in Artikel 13 Absatz 9 von Anhang VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften vorgesehenen Sätze der Tagegelder für Dienstreisen— Drucksachen 7/3615, 7/3787 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Das Wort in der Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen?
— Danke schön!Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/3743, 7/3748, 7/3750, 7/3753, 7/3761, 7/3770, 7/3776, 7/3782, 7/3784, 7/3785 und 7/3787. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Bei Punkt 29 handelt es sich um einen Bericht des Aussschusses für Wirtschaft, von dem das Haus nur Kenntnis zu nehmen braucht, wenn nicht Anträge aus der Mittel des Hauses vorliegen. Anträge liegen nicht vor. Das Haus hat von dem Bericht auf Drucksache 7/3769 Kenntnis genommen.Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Schröder (Lüneburg), Dr. Marx, Baron von Wrangel, Dr. Abelein, Dr. Gradl, Jäger (Wangen), Böhm (Melsungen), Dr. von Bismarck, Franke (Osnabrück), Seiters, Lagershausen und Genossenbetr. Verhandlungen mit der DDR über die Grenzmarkierungen an der Elbe— Drucksachen 7/3278, 7/3780 — Berichterstatter:Abgeordneter SpilleckeAbgeordneter Freiherr von Fircks Abgeordneter WendigDer Herr Berichterstatter wünscht das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter Spillecke!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier über eine vertrauliche Sitzung des Innenausschusses zu berichten und bittedaher um Verständnis, wenn ich im Interesse einer erfolgreichen Arbeit unserer Delegation in der Grenzkommission keine vertiefte Darstellung des Für und Wider in der durch den vorliegenden Antrag aufgeworfenen Grenzfrage gebe.Der Innenausschuß hat sich in Übereinstimmung mit den beratenden Ausschüssen, dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und dem Rechtsausschuß, mehrheitlich folgende Meinung gebildet:Dem Antrag des Abgeordneten Schröder und Genossen liegt die Befürchtung zugrunde, daß die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Grenzkommission nicht entschieden genug auf dem Rechtsstandpunkt beharren, die Elbe zwischen Schnackenburg und Lauenburg sei Hoheitsgebiet der Bundesrepublik. Die beteiligten Ausschüsse hatten nicht erst auf Grund der Behandlung des vorliegenden Antrages ausgiebig Gelegenheit, mit der Bundesregierung darüber zu sprechen, wie sie den Auftrag der Grenzkommission versteht und wie der Stand der Gespräche mit der Deutschen Demokratischen Republik ist. Es besteht volles Einvernehmen zwischen allen Abgeordneten dieses Hauses und der Bundesregierung, daß die Befugnis der Grenzkommission sich auf die Feststellung und Markierung der von den Besatzungsmächten festgelegten Grenze beschränkt und eine konstitutive Änderung der Grenze nicht mit umfaßt. Einzige Grundlagen der Grenzfeststellungen sind nach dem Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag die Festlegungen des Londoner Protokolls vom 24. September 1944 und später getroffene Vereinbarungen der Besatzungsmächte.Im Hinblick auf den Elbabschnitt zwischen Schnakkenburg und Lauenburg sind außer dem Londoner Protokoll das Übertragungsabkommen über den sogenannten Neuhauser Streifen und stillschweigende Vereinbarungen über kleinere Gebietsteile beiderseits der Elbe heranzuziehen.Meine Damen und Herren, die Auslegung dieser Unterlagen, die auch das spätere Verhalten der Beteiligten auf beiden Seiten mit einbeziehen muß, ist außerordentlich schwierig. Die Bundesregierung hat den Abgeordneten dieses Hauses, und zwar allen Abgeordneten, über die beteiligten Ausschüsse Gelegenheit gegeben, das sehr umfangreiche Material, das hier von Bedeutung sein kann, einzusehen.Die von der Bundesregierung vorgelegten Sammlungen enthalten keineswegs — wie dies in Presseveröffentlichungen zu lesen ist — nur Material, das eine bestimmte Auffassung zu stützen geeignet ist.
Soweit erkennbar, befindet sich die Bundesregierung sehr wohl im Besitz aller rechtlichen Argumente und aller Feststellungen über die tatsächlichen Verhältnisse.Die beteiligten Ausschüsse haben mehrheitlich keinen Zweifel daran, daß die Bundesregierung und die Vertreter der Bundesrepublik in der Grenzkommission im Sinne des Rechts und der Interessen der
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SpilleckeBundesrepublik Deutschland von diesen Unterlagen Gebrauch machen werden.Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, daß der augenblickliche Zustand an der Elbe im Gegensatz zu dem Eindruck, den der Antrag der Kollegen Schröder und Genossen vermittelt, alles andere als befriedigend ist. Es kann daher gar nicht um eine Verteidigung des Status quo gehen, sondern es muß um eine Verbesserung der Verhältnisse an der Elbe gehen. Die Beratungen in den beteiligten Ausschüssen haben ergeben, daß sich die Bundesregierung dieser Aufgabe sehr wohl bewußt ist.Die Feststellung der Grenze darf also nicht isoliert gesehen werden. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Regelung praktischer Fragen der Binnenschiffahrt, der Sportschiffahrt, des Fischfangs und nicht zuletzt der Hoheitsausübung. Die Klärung des sehr schwierigen Problemkreises Lübecker Bucht läßt erwarten, daß die Vertreter der Bundesrepublik in der Grenzkommission auch bei der Behandlung der Elbproblematik einzig und allein im Interesse der Bundesrepublik Deutschland handeln werden.Die in den Ausschüssen gegebenen Berichte der Bundesregierung über die Gespräche mit der DDR und deren Vorbereitungen geben die Gewißheit, daß die Sach- und Rechtslage an der Elbe gegenüber dem bisherigen Zustand nicht verändert worden ist. Weder ist die Grenzkommission durch irgendwelche Zusagen präjudiziert, noch hat sie sich selbst festgelegt.Die Mehrheit der beteiligten Ausschüsse war daher der Auffassung, daß die dem Antrag der Abgeordneten der CDU/CSU zugrunde liegende Befürchtung unbegründet ist. Sie möchte es jedoch nicht bei der Ablehnung des Antrages belassen, sondern schlägt ihrerseits vor, das in die Bundesregierung und die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Grenzkommission gesetzte Vertrauen zur Stärkung ihrer Position gezielt zum Ausdruck zu bringen.Der Ihnen vorliegende Antrag des Innenausschusses stimmt inhaltlich mit dem Antrag überein, den der mit der Sach- und Rechtslage seit langem vertraute Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtags am 18. April dieses Jahres einstimmig — mit den Stimmen der CDU — beschlossen hat.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schröder .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nimmt mit Bedauern und Verwunderung davon Kenntnis, daß die Koalitionsfraktionen in allen drei Ausschüssen unseren Antrag betreffend die Verhandlungen mit der DDR über die Grenzmarkierung an der Elbe, in dem wir noch einmal unseren bisherigen Rechtsstandpunkt und die sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen bekräftigen wollen, abgelehnt haben. Wir sind über diese Ablehnung um so erstaunter, als noch in diesen Wochen das Gutachten eines weltweit anerkannten Völkerrechtlers unter Beweis gestellt hat, daß die Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg eindeutig zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gehört und die Grenze demgemäß auf dem rechten, östlichen Elbufer verläuft.Die Koalitionsfraktionen haben deshalb mit ihrer Ablehnung unseren Interessen und unserer Verhandlungsposition einen schlechten Dienst erwiesen.
Wie merkwürdig und den Interessen der Bundesrepublik und insbesondere der anliegenden Bevölkerung abträglich diese Materie behandelt wurde und wird, zeigt die geradezu decouvrierende Beschlußvorlage der Mehrheit des Innerdeutschen Ausschusses, die dem Innenausschuß zugeleitet wurde. Nach dieser Mehrheitsempfehlung des Innerdeutschen Ausschusses hat die CDU/CSU-Fraktion Zweifel, ob die Bundesregierung überhaupt noch die Absicht und den guten Willen hat, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen, das den inhaltlichen Vorstellungen unseres Antrages entspricht.
.Lassen Sie mich das an einigen Beispielen belegen. Wenn von den Gegnern unseres Antrages behauptet wird, man vermöge nicht zu erkennen und demgemäß auch nicht noch einmal zu bekräftigen, daß alle früheren Bundesregierungen den von mir genannten Rechtsstandpunkt vertraten, so ist diese Behauptung schlicht falsch.
Sowohl im Jahre 1957 als auch im Jahre 1964 haben die damaligen Bundesregierungen sehr nachhaltig diese Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, wie wir sie heute noch einmal bekräftigt wissen möchten. Selbst die sogenannte sozialliberale Bundesregierung aus dem Jahre 1972 hat sich diese Rechtsauffassung noch zu eigen gemacht; denn sie hat ihren Niederschlag in Art. 23 des Verkehrsvertrages gefunden.
Wenn in diesem Zusammenhang argumentiert wird, der Gegenbeweis bestehe darin, daß seit Beginn der 50er Jahre bewaffnete DDR-Boote ungehindert Hoheitsakte ausübten, so kann ich namens der Opposition nur davor warnen, Rechtsverletzungen und Rechtsanmaßungen nachträglich als Recht zu sanktionieren.
Ich darf in diesem Zusammenhang aus dem Gutachten von Professor Rauschning zitieren, der zu diesem Argument folgendes ausgeführt hat:Auch die Praxis auf der Elbe stromab vonSchnackenburg entspricht einem Grenzverlaufam rechten Ufer. Die Behörden der Bundesrepu-
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Schröder
blik Deutschland nehmen auf der ganzen Elbbreite gegenüber allen Schiffen die Kontrolle wahr. Lediglich das Fahren der DDR-Streifenboote wird ohne Kontrolle geduldet. Die DDRStreifenboote üben auch in der Praxis keine Gebietshoheit auf der Elbe aus, sondern lediglich eine Personal- und Flaggenhoheit gegenüber Binnenschiffen ihrer Flagge und gegenüber Bürgern der DDR im Sinne ihrer Vorschriften. Diese Hoheitsausübung auf Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist in der Praxis hingenommen worden, um gewaltsame Zwischenfälle zu vermeiden. Sie bedeutet weder die Aufgabe der Gebietshoheit noch ein Entstehen von Gebietshoheit der DDR. Es handelt sich lediglich um eine Duldung.
Meine Damen und Herren, im übrigen halte ich ein solches Argument schon deshalb für gefährlich, weil damit beispielsweise auch den Bemühungen unserer westalliierten Verbündeten in den Rücken gefallen wird, trotz anderweitiger Praxis ihre rechtliche Position und Verantwortung für Gesamtberlin zu halten.
Wenn gegen Ziffer 3 unseres Antrages argumentiert wird, daß es nach Art. 23 des Verkehrsvertrages und nach der Erklärung zum Protokoll über die Aufgaben der Grenzkommission bereits seit Beginn aller Verhandlungen eine selbstverständliche Zielsetzung dieser Bundesregierung sei, die uneingeschränkte und ungehinderte Benutzung der Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg zu gewährleisten, so muß ich leider feststellen, daß die Koalitionsparteien und die Bundesregierung sich dieses Arguments selbst berauben, wenn sie uns in dem beabsichtigten Vertrag über die Regelung des Binnenschiffverkehrs auf der Elbe laut Pressemeldung unter anderem die Streichung der Protokollvermerke zu eben diesem Art. 23 des Verkehrsvertrages vorschlagen werden und damit die rechtliche Absicherung beseitigen, auf der die uneingeschränkte und ungehinderte Benutzung der Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg basiert.In diesem Zusammenhang muß ich auch der immer wieder aufgestellten Behauptung widersprechen, es gehe darum, die praktische Situation auf der Elbe angeblich sicherer zu machen. Ich stelle hierzu ganz klar fest, daß unsere Fischerboote, daß unsere Sportboote und daß unsere Verkehrsboote in der Vergangenheit auf der gesamten Elbe bis zu den Buhnenköpfen der östlichen Seite verkehrt haben. Es hat Störungen und Belästigungen durch die Grenzboote der Nationalen Volksarmee gegeben, so daß uns dieser Status quo niemals voll befriedigt hat. Dieser Status quo ist jedoch für uns wesentlich befriedigender und besser als das, was in Zukunft auf uns zukommt, wenn man wie laut Pressemeldung in dem Vertrag über den Binnenschiffverkehr vorgesehen, der DDR auf der gesamten Elbe erstmalig vertraglich legitimiert Hoheitsrechte einräumt und zuläßt, daß NVA-Boote auf der gesamten Breite der Elbe mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben können, verkehren. Für uns ist das ganz eindeutig eine Verschlechterung gegenüber der jetzigen Situation, ein Status quo minus.
Was nun die Gegenresolution des federführenden Innenausschusses anbelangt, so wird meine Fraktion dieser inhaltslosen Erklärung deshalb ihre Zustimmung nicht geben können, weil hier die beiden entscheidenden Kernfragen, um die es überhaupt geht, ausgeklammert werden, nämlich erstens die konkrete Frage, wo die Grenze verläuft und wo demgemäß die Grenze zu markieren ist, und zweitens, wer auf der Elbe legitimiert Hoheitsrechte ausübt. Außerdem wird in diesem Beschlußantrag der Zusammenhang mit dem bevorstehenden Vertrag über die Regelung des Binnenschiffverkehrs völlig ignoriert. Diese Mehrheitsempfehlung des Innenausschusses geht also an den Kernfragen vorbei und will offensichtlich der Regierung den Rücken freihalten für Regelungen, die vom bisherigen rechtlichen und politischen Standpunkt abweichen. Sie hat bei uns den Verdacht geweckt, daß man unter Umständen die parlamentarische Sommerpause nutzen möchte, um mit der Rückendeckung einer solchen nichtssagenden Resolution zwischenzeitlich vollendete Tatsachen zu schaffen. Im übrigen unterstreicht diese Gegenresolution nachhaltig, wie notwendig es war, daß die Opposition diese Frage zur öffentlichen und parlamentarischen Diskussion gestellt hat.
Richtig ist in den Feststellungen der beratenden Ausschüsse, daß die Grenzkommission für ihre Verhandlungen keinerlei Ermessensspielraum hat. Die entscheidende Frage ist allerdings nur, an welchen alliierten Dokumenten, Karten, Aufzeichnungen und Handlungen in der Zeit von 1945 bis 1950 sie sich orientieren muß, d. h. konkret, welches die Rechtsgrundlage für ihre Markierungsaufgabe ist. Professor Rauschning stellt dazu in seinem Gutachten eindeutig fest — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Die Grenzkommission ist nach dem Grundvertrag und dem Zusatzprotokoll zu Art. 3 beauftragt, die Grenzlinie rechtselbisch in der Verbindungslinie der Buhnenköpfe zu markieren und die erforderliche Grenzdokumentation herzustellen. Die Grenzkommission ist nach den Vertragsbestimmungen, die Beauftragten in der Grenzkommission sind zudem nach dem Grundgesetz nicht zuständig, eine andere als die bestehende Grenze im Sinne von Art. 3 Ziffer 2 des Grundvertrages zu bestimmen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusammenfassen.Erstens. Das Gutachten des Völkerrechtlers Professor Rauschning hat uns in unserer Rechtsauffassung und in den sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen bestätigt. Wir haben von daher noch weniger als vorher Verständnis dafür, daß sich die Bundesregierung und die Koalition angeblich nicht in der Lage sehen, in diesem Sinne eine eindeutige Erklärung abzugeben und damit die
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12714 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Schröder
Verhandlungsposition der Grenzkommission zu stärken.
Zweitens. Eine anderweitige Grenzmarkierung im Zusammenhang mit dem Vertrag über die Regelung des Binnenschiffsverkehrs und der darin beabsichtigten Ausweitung und Legitimierung von Hoheitsrechten der DDR auf der gesamten Elbe bedeutet eine rechtliche, eine politische und eine praktische Verschlechterung unserer gegenwärtigen Situation auf diesem Fluß; sie bringt gegenüber dem Status quo einen Status quo minus.
Drittens. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert das übermäßige Bemühen der Bundesregierung, den Forderungen der anderen Seite gegenüber Verständnis zu zeigen, und die Vorlage entsprechender schädlicher Ausarbeitungen. Meine Damen und Herren, es wäre Pflicht dieser Regierung und nicht der Opposition gewesen, renommierte Staats- und Völkerrechtler zur Abstützung unseres Rechtsstandpunktes und der sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen einzusetzen.
Viertens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion muß auf die rechtlichen Konsequenzen aufmerksam machen, die sich aus der jetzigen Politik der Bundesregierung in dieser Frage ergeben. Sie behält sich nach eigener eingehender rechtlicher Prüfung entsprechende Schritte vor.Fünftens. Nach den Beratungen in den Ausschüssen, nach der Vorlage der Ausarbeitung des Bundesinnenministeriums und nach dem bisher öffentlich bekanntgewordenen Inhalt des Vertrages über die Regelung des Binnenschiffsverkehrs ist die CDU/CSU-Fraktion von der Richtigkeit und vor allem von der Notwendigkeit ihres Antrages überzeugter denn je. Sie wird deshalb der inhaltslosen Beschlußvorlage der Mehrheit ihre Zustimmung nicht geben, sondern bittet das Haus, dem Antrag auf Drucksache 7/3278 zu folgen.
Das Wort hat der Abgeordnete Möhring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU wegen der Verhandlungen mit der DDR über die Grenzmarkierungen an der Elbe geht von der Behauptung aus, daß alle früheren Bundesregierungen nach außen den Rechtsstandpunkt vertreten haben, die Elbe sei zwischen Schnackenburg und Lauenburg Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.
Diese Behauptung, die jeder von uns vorbehaltslos begrüßen würde, wenn sie realisiert werden könnte, hat nur einen ganz kleinen Schönheitsfehler: Sie wird nämlich im und durch den Antrag und auchdurch die Antragsteller nicht bewiesen! Und nur auf den Beweis kommt es an, will man Hoheitsrechte begründen.Darum ging es offensichtlich auch allen, die sich seit 1945 um die Klärung der Grenzfrage an oder auf der Elbe bemühten, sowohl alliierten als auch deutschen Dienststellen und Behörden. Darum geht es den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, denn dies genau ist ihr Auftrag an die gemeinsame Grenzkommission; und darum allein geht es auch der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Ich hoffe, darum geht es auch der Opposition. Ich sage ausdrücklich: ich hoffe; denn mir sind seit Beginn dieser öffentlichen Debatte um die Elbgrenze ganz ernsthafte Zweifel gekommen, ob uns wirklich noch mit gleicher Ernsthaftigkeit die gleichen Absichten verbinden.
Gelingt es nämlich nicht, Behauptungen zu beweisen, so folgt auf eine solche öffentliche engagierte Diskussion oft unausweichlich eine öffentliche Blamage. Dies ist überall im Leben so, und gestandenen Politikern dieses Hauses, die diesen Effekt gerne mit jeweils umgekehrtem Vorzeichen ihrem politischen Gegner anhängen möchten, brauche ich solche Praktiken und Konsequenzen sicher nicht näher zu erläutern. Eines aber sei jedenfalls mit aller Entschiedenheit betont: Wir als Sozialdemokraten möchten uns nicht in Kenntnis oder Vermutung mancher Unzulänglichkeiten oppositioneller Beweisführung blamieren oder durch sie blamieren lassen.
Nun ist es nicht nur Ihr Recht, meine Damen und Herren von der Opposition, sondern auch Ihre Pflicht, alle Fakten auf den Tisch zu legen, die den von Ihnen behaupteten Rechtsstandpunkt erhärten. Es ist für uns und für die Regierung im Umgang mit Informationen und Belegen eine selbstverständliche Pflicht, daß diese Beweismittel dort ihre Berücksichtigung finden, wo sie wirksam gemacht werden können. Von daher sind uns Ihre Bemühungen im sachlichen Bereich wertvoll!Nur: Ich denke nicht daran, hier dergestalt in eine Sachdebatte einzutreten, daß offensichtlich wird, welche Schwachstellen wir bei Ihnen erkennen oder zu erkennen glauben, die befürchten lassen, daß der behauptete Rechtsstandpunkt angezweifelt werden kann. Würde ich dies tun, hätten Sie genau die Situation herbeigeführt, daß a) aus einer solchen offenen Debatte die DDR Vorteile für künftige Gespräche ableitet,
b) wir uns selber schwächen und c) Sie die Koalition auch noch in die Nähe unfreiwilliger Mittäterschaft rücken.
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MöhringDies wird hier nicht geschehen, und zwar aus wohlverstandener Sorge, Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ?
Frau Präsident, wegen der zeitlichen Begrenzung möchte ich Zwischenfragen nicht zulassen.
Sie werden also den Ausschußsitzungen nichts über die unterschiedliche Bewertung von Dokumenten, Kartenwerken und Verhaltensweisen der Alliierten seit 1945 hören
— ich habe vorhin Ihrem Redner auch zugehört; vielleicht können Sie sich nun auch überwinden, das, was wir an Argumenten bringen, einigermaßen zur Kenntnis zu nehmen —,
soweit sie aus Gründen einer erfolgversprechenden Verhandlungsführung vorerst im Zustand der Vertraulichkeit verbleiben müssen. Diese Informationen können nur in geheimzuhaltenden Sitzungen und Einzelgesprächen gegeben werden, und dies ist bisher — ich beurteile es aus meiner Sicht — mit großem Ernst, mit großer Sorgfalt und in ausreichendem Maße durch die Herren Bundesminister des Innern, für innerdeutsche Beziehungen und für Verkehr und durch die leitenden Herren der Grenz- und Verkehrskommission geschehen.
Was hier und heute aber trotz knapper Zeit zu später Abendstunde andiskutiert werden kann, sind unsere Befürchtungen, mit welcher Subjektivität Ihre Beweismittel zusammengeklaubt wurden und wie wenig diese für sich allein ausreichend erscheinen, den von uns allen gewünschten Rechtsstandpunkt abzusichern.
Vorab: Der Fleiß, mit dem die Opposition dieses Materialbeschaffungsgeschäft betreibt, nötigt Respekt ab. Nur: die Methode der Opposition, in Form eines Stufenplans fast ein Jahr hindurch immer neue Papiere zu „entdecken", sie erst einmal vorsorglich der schon darauf vorbereiteten Presse zuzuleiten und sie erst viel später — wenn überhaupt — auch noch denjenigen Parlamentariern und Beamten zuzustellen,
die auf Grund von Zuständigkeit und Auftrag damit
befaßt sind, alle erreichbaren Beweismittel zu beachten und rechtens zu würdigen, zeugt von wenig Absicht, dieser Regierung wirklich zu helfen.
Die Opposition wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß diese Methode überwiegend mehr dazu angetan ist, die Gemüter der Elbgrenzbevölkerung gegen Regierung und Grenzkommission aufzubringen, als dieses schwierige Problem einer Lösung zuzuführen.
Wir werden uns also mit aller Entschiedenheit gegen jeden Versuch wehren, die Elbe-Problematik demagogisch auszuschlachten.
Lassen Sie mich nun auf einige Widersprüchlichkeiten in den von der Opposition beigezogenen Unterlagen zu sprechen kommen.
Im „Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes" des Deutschen Bundestages vom Dezember 1974 wird der Versuch unternommen, die gesamte Rechtsposition, daß die Elbe auf ganzer Breite Hoheitsgebiet der Bundesrepublik sei, durch Beweise abzudecken. Beweismittel dazu sind u. a. Hinweise auf Kartenwerke und das Verhalten des Innenministeriums der DDR ebenso wie alle bekannten Vorgänge nach 1945 auf der Elbe einschließlich der Dokumente aus dem Londoner Protokoll, dem Übertragungsabkommen vom 29. Juni 1945. Der Beweiswert des gesamten Gutachtens wurde also anfänglich vom Auftraggeber sehr hoch eingestuft. Dies ist auch Zeitungsmeldungen zu entnehmen. Im Deutschen Bundestag sagte dann allerdings am 24. April 1975 der Oppositionssprecher sinngemäß — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
Auch das so umstrittene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Dezember vergangenen Jahres kommt zu der Feststellung
— nun bitte ich, einmal genau auf den nächsten Satz zu achten —— und ich selbst bin sogar geneigt, zu sagen:
zu der einzigen beachtenswerten Feststellung —, daß aus der Praxis der Engländer . . .
Hier wird doch offensichtlich der Rückzug angetreten, wie diese relativierende Bemerkung deutlich macht, die alle übrigen bisherigen sogenannten Beweise dieses Gutachtens abwertet oder vom Tisch fegt. Ich hoffe nicht, daß dem angeführten Rauschning-Gutachten ein ähnliches Schicksal beschieden sein soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ?
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Wenn mir die Zeit gutgeschrieben wird.
Ja, ja, sicher!
Bitte schön, Herr Kollege Schröder!
Herr Kollege Möhring, würden Sie zugestehen, daß sich die Äußerung von mir, die Sie soeben zitiert haben, lediglich auf den Tatbestand bezog, daß im übrigen in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes Sekundärmaterial verwandt wurde, daß dies der einzige originelle Beitrag des Wissenschaftlichen Dienstes war,
der nicht auf Sekundärmaterial basierte, und daß ich aus diesem Grunde diese Äußerung getan habe?
Wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hätten uns glücklich geschätzt, wenn Sie zu Beginn bei Erhalt dieses Gutachtens diese relativierende Einschränkung gemacht hätten!
Ich darf deshalb noch einmal betonen: man hat wohl bei der Opposition, nachdem die beabsichtigte Pressekampagne abgeebbt ist, erkannt, daß ein Gutachten, das sich überwiegend auf wenig beweiskräftige Zeitungsartikel stützt, auf die Dauer nicht zu halten ist.Oder sollen wir in „erster Lesung" — denn mehr ist heute wegen der Methode, das Beweismaterial zuerst der Presse zu geben, nicht möglich — das neueste Rauschning-Gutachten einmal einer punktuellen Kritik unterziehen? Hier handelt es sich doch angeblich um eine sehr ernst zu nehmende, streng wissenschaftliche Beweisführung, gemessen an Maßstäben des Völkerrechts.Einige Widersprüche aber auf den ersten Blick. Erstens: Das Gutachten schätzt die Tätigkeit der Sowjets nach 1945 auf der Elbe falsch ein und leitet demgemäß falsche Folgerungen ab. Nähere Einzelheiten können selbstverständlich aus bekannten Gründen nur in den Ausschüssen erörtert werden. Zweitens: Es beurteilt die Anlagen zum Übertragungsabkommen offenbar ebenfalls falsch. Auch hier muß es bei dieser Andeutung verbleiben. Drittens: Es hat keine logische Erklärung und damit keine rechtliche Würdigung für den Vorgang des Beginns der stillen Duldung bewaffneter DDR-Boote auf der Elbe, die keinerlei westlicher Kontrolle unterzogen wurden und werden. Viertens: Es berücksichtigt ganz bestimmte Dokumente von hohem Aussagewert überhaupt nicht
und setzt sich damit dem Verdacht einer Zusammenstellung und Wertung nach subjektiven Gesichtspunkten aus.Fünftens: Es enthält den eigenen Vorbehalt der Unvollständigkeit aus zeitlichen Gründen. Damit relativiert es sich selber.Diese vorgenannten Gründe sollten ausreichen, um anzudeuten, daß auch der Niedersächsische Landtag — und besonders die dortige CDU-Fraktion — als Auftraggeber gut beraten ist, wenn er dieses Gutachten mit aller gebotenen Nüchternheit einstuft, abwägt und wertet. Da es sich um ein Gutachten mit völkerrechtlichen Wertungen handelt, wird die Opposition sicher noch Gelegenheit nehmen, zur Vermeidung der jetzt von ihr provozierten Gefahr einer völkerrechtlichen Anerkennung dieses Abschnitts der Grenze zur DDR klärende Worte zu finden und die von uns allen angemeldete Option der Offenhaltung der Wiedervereinigungsfrage nicht zu verschütten!
Die Furcht der Opposition, daß durch die Grenzfeststellung Rechtspositionen der Bundesrepblik aufgegeben werden könnten, vermag die SPD-Bundestagsfraktion nicht zu teilen.Erstens. Es kann nur etwas aufgegeben werden, was man besitzt. Damit sind wir wieder bei der erforderlichen Beweisführung zum Oppositionsantrag.Zweitens gibt es in der Grenzfrage kein Aufgeben, weil es kein Verhandeln gibt; es gibt nur das Feststellen und Markieren von Tatsachen auf Grund alliierter nachweisbarer Willensäußerungen in Form von Dokumenten und Karten.Drittens gibt es für diese Bundesregierung in der Frage der Verhandlungen über die Nutzung der Elbe keinen Abschluß des Status quo oder gar, wie hier behauptet wurde, des Status quo minus; es gibt nur einen Status quo plus.Alle mitbefaßten Sachausschüsse haben daher mit Mehrheit diesen Oppositionsantrag abgelehnt; auch die SPD-Bundestagsfraktion sieht sich nicht in der Lage, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.Denn: a) Die Antragsteller gehen von gewollt falschen Voraussetzungen aus: als könne durch Verhandeln die Elbgrenze zu unseren Gunsten oder Ungunsten verändert werden. Daß dies gewollt unterstellt wird, kommt schon in der Überschrift des Antrags zum Ausdruck. Es heißt dort: „Verhandlungen mit der DDR über Markierungen an der Elbe". Ich hoffe, Kollege Schröder, es war ein Versprecher, daß Sie gesagt haben: „... über Markierungen in der Elbe". Sie werden das sicher im Protokoll berichtigen, sonst würden Sie unter Umständen vorprellen wollen. Auch Professor Rauschning betont, daß nur eine Feststellung der Grenze erlaubt ist.b) Die SPD-Fraktion muß den Antrag der Opposition auch deshalb ablehnen, weil durch diese willkürliche Vermischung der Begriffe „Verhandeln" und „Feststellen" die Bevölkerung an der Elbe verunsichert und gegen die Bundesregierung und ihre Deutschlandpolitik aufgebracht werden soll. Wir wollen dabei keine Schützenhilfe leisten, sondern es
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Möhringmit nüchtern-sachlicher Information halten, die auch Bestand hat!c) Wir lehnen den Antrag schließlich deshalb ab, weil uns demonstrative und plakative Subjektivaussagen der Opposition nicht helfen können, die Probleme an der Elbe so zu lösen, daß die dortige Bevölkerung davon Nutzen hat und künftig unbehelligt in Frieden leben kann. Die Unwirksamkeit von Demonstrationen, markigen Worten und Mahnfeuern ist in den vergangenen Jahren, besonders vor der Bildung der sozialliberalen Koalition, leider zur Genüge bekannt und bewiesen worden.
d) Wir lehnen den Antrag weiterhin deshalb ab, weil wir uns nicht durch das Oppositionsbegehren und durch ein von Ihnen provoziertes Scheitern der Bemühungen um die Grenzfeststellungen dem DDR-Vorwurf aussetzen wollen, die Bundesrepublik sei hinsichtlich der Erfüllung des Grundlagenvertrags vertragsbrüchig geworden. Denn wenn wir Grenzen als unverletzlich vereinbaren, haben wir auch pflichtgemäß festzustellen, wo diese Grenzen verlaufen.
Dagegen erklärt die SPD-Bundestagsfraktion, daß auch der von ihr gewünschte baldige Abschluß der Feststellung einer unproblematischen Elbgrenze und der ungehinderten Nutzung der ganzen Elbe durch alle für sie ein „Stück Friedenssicherung" ist.
Wir sollten daher von der Opposition erwarten dürfen, daß sie diese Bemühungen nicht behindert, sondern nach Kräften fördert und sich auch in der Frage der Elbgrenze den deutschlandpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung anschließt. In diesem Sinne bitte ich auch den von der Koalition gestellten Alternativantrag zu werten und ihm auch Ihrerseits zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So furchtbar viel an sachlichen Beiträgen ist zu diesem Thema nicht mehr zu bringen, nachdem wir heute zum drittenmal über diese Frage sprechen, wenn ich es recht sehe.
— Ich sage das ganz allgemein. Ich sage das auch zu Ihnen von der Opposition.
Eine Sache wird nicht dadurch besser, daß immer wieder Argumente wiederholt werden, die teils unbestritten, teils offenkundig und selbstverständlich sind und teils im dunkeln liegen. Man sollte vor
allen Dingen nicht Verhandlungen solcher Art, wie sie die Bundesregierung mit der DDR über Grenzmarkierungen an der Elbe führt, öffentlich in toto von vornherein mit dem Zweifel belegen, daß dies so weder rechtlich in Ordnung noch politisch vertretbar sei. Man kann dies zwar tun — Sie tun es ja auch —, muß sich dann aber auch die Frage gefallen lassen, ob man dem Interesse der Bundesrepublik und seiner Bürger wirklich Genüge tut.
Um es auch von mir aus noch einmal deutlich zu sagen — es ist schon gesagt worden; ich wiederhole es —: Erstens. Es steht außer jedem Zweifel, daß es nur um die Festlegung eines rechtlich Bestehenden geht und damit zweitens eine Veränderung rechtlich bestehender Grenzen nicht der Disposition der Bundesregierung unterläge. Wer aber hat dies je bestritten?
Nun folgt natürlich die Frage: Was ist rechtlich gesehen „Grenze"? Darüber kann man möglicherweise unterschiedlicher Meinung sein; unterschiedlicher Meinung aber nicht deshalb, wie ich meinen möchte — hören Sie doch bitte einmal zu! —, weil man sich im politisch Wünschbaren unterscheidet, sondern weil man möglicherweise — warum, sage ich Ihnen gleich — die vorhandenen Rechtsquellen mit unterschiedlichem Ergebnis wertet.
Unterstellen wir einmal, es sei so: Bundesregierung und Opposition oder Abgeordnete dieses Hauses hätten eine unterschiedliche Rechtsauffassung von dem, was von Rechts wegen an der Elbe Grenze ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ?
Ja, bitte !
Herr Kollege Wendig, wenn die Rechtsauffassungen so unterschiedlich sind, wie das ja wohl tatsächlich zutrifft: Wie erklären Sie es sich, daß die Bundesregierung dann nicht vor Beginn der Verhandlungen ausreichende Rechtsgutachten von international anerkannten Rechtswissenschaftlern eingeholt hat, sondern dieses Geschäft der Opposition überläßt?
Herr Kollege Jäger, ich habe überhaupt nicht gesagt, daß hier rechtlich unterschiedliche Auffassungen im Grunde bestehen, sondern nur, daß sie von verschiedenen Seiten des Hauses vertreten werden. Das ist doch ein Unterschied!
Ich habe gesagt — ich darf es wiederholen; ich wollte Ihnen sogar entgegenkommen, und an Sie habe ich gedacht, Herr Jäger, als ich das formuliert habe —: Unterstellen wir einmal, Bundesregierung und Opposition hätten in dieser Frage eine unterschiedliche Rechtsauffassung von dem, was von Rechts wegen Grenze an der Elbe ist. — Da haben Sie mich schon unterbrochen.
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12718 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Dr. WendigWer kann es aber dann, wenn das so ist — das war die Antwort auf die mir selbst gestellte Frage — verantworten, eine solche denkbare Situation nicht nur zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte während schwebender Verhandlungen zu machen, sondern dies zugleich mit dem Ziel zu tun, die Bundesregierung öffentlich auf eine bestimmte Rechtsauffassung von vornherein und in vollem Umfang festzulegen?Man könnte dies allenfalls — auch hier ein Entgegenkommen Ihnen gegenüber, Herr Jäger — verzeihlich finden, wenn man z. B. der Opposition notwendige Unterlagen zur Tatsachenaufklärung vorenthalten hätte oder vorenthielte. Kann davon aber die Rede sein? — Niemand wird dies ernstlich behaupten können. Der Innenminister und der innerdeutsche Minister haben stets zur Aufklärung zur Verfügung gestanden. Die Unterlagen waren allen, die damit zu tun hatten, zugänglich.Nun wäre natürlich weiter der Fall möglich und denkbar, daß auch bei Übereinstimmung in der Sache jemand einen rechtlich abgestützten Standpunkt nicht entschieden genug vertritt. Daraus folgt dann der Vorwurf, die bestehenden Rechte und Interessen der Bundesrepublik würden in den Verhandlungen nicht voll gewahrt. Die Opposition — ich würde bitten, zuzuhören — nimmt dies doch ganz offensichtlich an und geht dann hierbei so weit, zu behaupten, daß schon nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen, die jetzt laufen, die Bundesregierung die Rechtslage zuungunsten der Bundesrepublik geändert hätte, — offenbar nicht ahnend, daß sie, die Opposition, diese Folgewirkungen möglicherweise durch eine solche Anfrage und eine solche Debatte selbst bewirken könnte.
Das muß man einmal sagen.Mit der Mehrheit des Innenausschusses bin ich der Meinung, daß die Bundesregierung zu einer solchen Unterstellung nicht die Spur eines Ansatzes gegeben hat.
— Ich komme darauf.Ich will mich heute im Interesse der Sache auch nicht dazu verleiten lassen, die einzelnen Rechtsquellen in ihrem Gewicht nacheinander rechtlich an dieser Stelle zu bewerten, auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen, die Kollege Schröder zu dem letzten Rechtsgutachten von Herrn R a u s c h n i n g gemacht hat. Da steht nämlich auch geschrieben, auf der Seite 2 dieses Gutachtens — ich darf mit der Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Die CDU-Fraktion hat darum gebeten, das Gutachten bis zum 30. Mai 1975 zu erstatten. Sie ist darauf hingewiesen worden, daß in dieser Frist das Rechtsgutachten nur in Form eines Kurzgutachtens erstellt werden kann, dessen Erwägungen und Begründungen einer weiteren wissenschaftlichen Vertiefung bedürfen können.Auch das muß man zu diesem Gutachten wissen.Ich will mich aber auch heute aus Gründen, die ich schon in der letzten Debatte genannt hatte, auf eine Wertung im einzelnen, wie ich gesagt habe, nicht einlassen. Von der politischen Zweckmäßigkeit solcher Ausführungen abgesehen, scheint es im übrigen für einen solchen Rahmen insofern ein etwas schwieriges Unterfangen zu sein — bitte, das sage ich jetzt ohne jede Polemik —, als früheres Landesrecht vor 1945, Besatzungsrecht, langjährige praktische Übung ineinandergreifen, was beim letzten, bei der Übung, die Frage einschließt, ob und inwieweit diese Übung als Gewohnheitsrecht Gestalt angenommen hat. Mir scheint, und auch da würde ich sogar, Herr Schröder, Ihren Ausführungen ein wenig entgegenkommen, daß sogar — nur soviel will ich zu den Rechtsquellen sagen — die Abmachungen der ehemaligen Besatzungsmächte im Zusammenhang mit dem Überleitungsvertrag von 1950 und möglicherweise in Zusammenhang mit einem nachfolgenden Gewohnheitsrecht den Vorrang vor alten, d. h. vor 1945 bestehenden Rechtsquellen besitzen mögen. Das will ich hier gern einräumen.
— Bitte, ich bin hier ganz offen.
Es kann bei allen diesen Erwägungen schließlich aber auch — und ich will sie alle nacheinander aufzählen — ein non liquet herauskommen, d. h. eine Unmöglichkeit, den bestehenden Rechtszustand in Übereinstimmung aller festzustellen und damit in einem solchen Vertrag festzulegen. Bei einer solchen Situation, der Situation des non liquet, wird man sicher erwägen müssen, ob unabhängig von der nicht feststellbaren Rechtslage praktische Abwägungen getroffen werden können, müssen oder dürfen.
— Bitte, darauf komme ich gleich. Sie sind sehr viel schneller, aber bitte, lassen Sie mir den Weg, Herr Jäger. — Aber auch dies darf dann natürlich nur in einer Weise geschehen, daß diese Abmachungen den Interessen der Bundesrepublik nicht schaden.All dies kann man im gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen natürlich nur in dieser allgemeinen Form bezeichnen. Hieraus wird deutlich, daß eine Annahme des Antrags der CDU/CSU in Form der Bundestagsdrucksache 7/3278 nicht möglich ist. Dieser Feststellung gegenüber sollte man wirklich jede Polemik draußen vor der Tür lassen. Die Mehrzahl der Mitglieder des Innenausschusses — und dafür spreche ich jetzt — hat diese Auffassung vertreten und Ihnen statt dessen vorgeschlagen, einen Beschluß zu fassen, wie ihn schon der Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtages einstimmig, d. h. mit den Stimmen der CDU, gefaßt hat. Ich will ihn hier nicht wiederholen. Er liegt Ihnen als Empfehlung des Innerdeutschen und des Innenausschusses vor. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß die CDU-Mitglieder des niedersächsischen Landtages in diesem
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12719
Dr. WendigAusschuß so beschlossen hätten, wären sie nicht von der Richtigkeit des Inhalts voll überzeugt gewesen.Im übrigen, meine Damen und Herren — damit will ich zum Schluß kommen —, sollte man endlich daran denken, nicht durch Anfragen und Debatten wie die heutige die Verhandlungen der Bundesregierung ohne Not zu erschweren. Ich beantrage im Namen meiner Fraktion, dem Beschlußvorschlag des Innenausschusses — Drucksache 7/3780 — zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in diesem Hause schon mehrfach die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß sich die Parteien im Bund und im Lande Niedersachsen zu sachlicher, unsere nationalen Interessen förderlicher Behandlung der Grenzfragen an der Elbe zusammenfinden sollten. Das ist für das Land Niedersachsen nunmehr, wie ich meine, in den Beratungen und Entschließungen des Rechts- und Verfassungsausschusses des niedersächsischen Landtages geschehen, mit denen sich Regierung und Opposition zu einvernehmlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage zusammenfanden.
Die Bundesregierung begrüßt die hiermit erreichte Versachlichung der Erörterungen über die Elbproblematik. Sie hofft, daß sich, wie dort im Lande Niedersachsen, auch hier auf der Ebene des Bundes Regierung und Oppositionsparteien zu einer gleichlautenden Entschließung zusammenfinden, wie sie heute vorgelegt wurde; denn die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kann hier keine andere sein als dort, müßte der Bürger doch sonst den Eindruck gewinnen, daß die Opposition dort im Lande und hier im Bund mit verschiedenem Maß mißt oder unterschiedliche Absichten verfolgt.
Die Lage an der Elbe ist aus jeder der beiden Sichten, von fern oder nah dieselbe. Sie ist unbefriedigend, und das werden auch Sie nicht bestreiten können. Die Gebrauchsgrenze an der Elbe in Hinsicht auf Sportschiffahrt und Fischfang ist ungesichert, so daß das genaue Gegenteil der im CDU/CSU-Entschließungsantrag behaupteten „uneingeschränkten und unbehinderten" Nutzung für die Schiffer und Fischer an der Elbe besteht. Warum können Sie keinem Segler raten, über die Mitte der Elbe zu fahren, selbst im Neuhauser Streifen, warum keinem Fischer, seine Fischereirechte zu nutzen, selbst wenn sie über die ganze Strombreite gehen — -
— Aber nein. Wir haben Unterlagen darüber auf
den Tisch gelegt, das wissen Sie doch ganz genau.
Sie wissen ganz genau, daß es nicht so ist, und das
ist es, was ich Ihnen vorwerfe: daß Sie hier eine völlig ungesicherte Lage mit dem Schein der Sicherheit versehen. Das, was wir erreichen wollen, nämlich endlich hier Sicherheit an dieser Grenze zu schaffen, begreifen Sie im Grunde überhaupt nicht als eine Sache unseres nationalen Interesses.
Obwohl die DDR selbst, bei der hermetischen Abriegelung ihrer eigenen Bevölkerung am jenseitigen Elbufer, diesen Fluß nur in engen Grenzen für die Durchfahrt ihrer Berufsschiffahrt und ihrer Hoheitsfahrzeuge nutzt, sind wir nicht in der Lage diese Elbe zu unserem Fluß zu machen.
Schon heute ist die Elbe, was ihre Nutzung durch die Grenzbevölkerung anlangt, unser Fluß. Nur ist die Nutzung wegen des Fehlens von klaren Absprachen behindert und ungesichert, da jeder Benutzer von unserer Seite, der sich über die Strommitte hinausbegibt, damit rechnen muß, von den Hoheitsfahrzeugen der DDR aufgehalten und aufgebracht zu werden, die seit Jahr und Tag, durch keine Regierung — auch nicht durch die uns vorangehenden Regierungen —, jemals beanstandet oder gar gehindert worden ist, Hoheitsakte auf der jenseitigen Elbseite vornehmen, —
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
— Lassen Sie mich den Satz zu Ende bringen —,
— auch nicht in Abschnitten wie im Neuhauser Streifen, in dem wir selbst unsere eigenen Hoheitsrechte, wie Sie ja wissen, bis zum jenseitigen Elbufer ausüben. Auch und gerade da ist die tatsächliche Lage unklar, ist sie verworren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Bundesminister, können Sie mir und diesem Hause einmal klarmachen, wieso diese angebliche Unsicherheit des gegenwärtigen Zustandes, von der Sie soeben gesprochen haben, dadurch beseitigt wird, daß der DDR in Zukunft auf der vollen Breite der Elbe Hoheitsrechte eingeräumt werden und die NVA-Boote die Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg in voller Breite benutzen können?
Aber das ist ja gerade die öffentliche Irreführung, die ich Ihnen — auch Ihnen ganz persönlich — vorwerfe.
Das ist eben so nicht wahr! Was wir erreichen wollen, ist, daß sich die Hoheitsrechte, die diese Grenzboote ausüben, nicht auf unsere Grenzbewohner und unsere Flußbenutzer erstrecken. Das ist, was wir — ich wiederhole es — erreichen wollen, und das
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12720 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferist bisher eben nicht erreicht. Genauso ist nicht erreicht, daß, was den Schußwaffengebrauch auf dem Fluß und in den Fluß angeht, klare, verbindliche Regelungen bestehen. Auch das ist ungesichert, und auch das wissen Sie ganz genau.Diese verworrene und auch für jeden Benutzer verwirrende Lage an der Elbe gilt es durch verbindliche Vereinbarungen über die Nutzung der Elbe, vor allem auch durch die betroffene Grenzbevölkerung, zu klären, um die heute fehlende — —
— Entschuldigen Sie, lassen Sie mich meine Rede zu Ende bringen, wie die anderen dies hier auch getan haben.
Das führt doch, wie wir gesehen haben, zu gar nichts. Wir können Sie offenkundig nicht überzeugen und Sie uns nicht. Denn wir können Ihnen hundertmal dasselbe sagen, und Sie kommen immer wieder mit den gleichen schiefen Behauptungen.
Ich wiederhole: Diese verworrene und auch für jeden Benutzer verwirrende Lage an der Elbe — da gibt es nichts herumzureden —
gilt es durch verbindliche Vereinbarungen über die Nutzung der Elbe — —
— Entschuldigen Sie, aber der betrifft nicht das, wovon ich hier rede. Ich rede nicht von der Berufsschiffahrt, sondern ich rede von der Sportschiffahrt und von der Fischereiausübung,
— Nein, das wissen Sie ja doch ganz genau.
Ich darf nun fortfahren.
Herr Bundesminister, eine Sekunde! — Herr Abgeordneter Wehner, haben Sie
hier soeben mit Ihrer Bemerkung einen bestimmten Abgeordneten dieses Hauses gemeint?
Falls dies der Fall ist, muß ich Sie zur Ordnung rufen.
Herr Bundesminister, bitte fahren Sie in Ihrer Rede fort!
Ich darf nochmals feststellen: Diese verworrene Lage gilt es durch verbindliche Vereinbarungen über die Nutzung der Elbe, vor allem auch durch die betroffene Grenzbevölkerung, zu klären, um die heute fehlende uneingeschränkte und unbehinderte Nutzung, von der in der CDU/CSU-Entschließung die Rede ist, überhaupt erst sicherzustellen.Die Grenzkommission hat dabei den Auftrag, in diesem Zusammenhang die Grenze an der Elbe auf der Grundlage der hierüber von den damaligen Alliierten getroffenen Markierungen der Zonengrenzen einvernehmlich festzustellen. Dieser Auftrag schließt Verhandlungen über die Grenze ausdrücklich aus. Auch das wissen Sie sehr genau. Alle anderslautenden Unterstellungen, daß in der Grenzkommission mit der DDR Verhandlungen über eine Verlegung der Elbgrenze geführt würden, sind eine gezielte Irreführung der Offentlichkeit. Das kann man durch eindeutige Erklärungen immer und immer wieder richtigstellen — es ist allein durch die Regierung schon ein dutzendmal erfolgt —, ohne daß die polemischen Attacken zum Verstummen gebracht würden, die rundweg das Gegenteil behaupten.Neue Argumente leitet nun die Opposition aus einem Gutachten her, das die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag in Auftrag gegeben hat. Die Bundesregierung wird auch dieses ihr seit dem 14. Juni vorliegende Gutachten des Direktors des Instituts für Völkerrecht der Universität Göttingen sorgfältig prüfen. Sie ist dankbar für jedes Argument, das in den Gesprächen mit der DDR von Nutzen sein kann und das nicht bereits in den seit Jahrzehnten vorgenommenen, unter wohl allen denkbaren Gesichtspunkten angestellten Untersuchungen enthalten ist. Ich bin allerdings erstaunt — ich möchte mich sehr zurückhaltend ausdrücken —, daß der Gutachter noch nicht einmal den Versuch gemacht hat, vor Erstattung seines Gutachtens die umfangreichen Unterlagen in den Bonner oder den Hannoveraner Ministerien einzusehen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12721
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferDas war ihm in den — sage und schreibe — 14 Tagen, die ihm die Auftraggeber für ein wissenschaftliches Gutachten zugemessen haben, wohl auch schon zeitlich nicht möglich. Trotzdem muß es — das ist leider eine ernüchternde Feststellung — den Aussagewert des Gutachtens doch beeinträchtigen,
daß in entscheidenden Punkte keine konkreten Quellen genannt werden, sondern pauschal Bezug genommen wird — ich zitiere — auf das, was „einzeln publiziert" wurde oder sich „in Zeitungsberichten des letzten Jahres oder in den Protokollen der Plenarsitzungen des Bundestages oder des niedersächsischen Landtages findet". Ich biete gerne von meiner Seite dem Gutachter jede Einsicht in diese amtlichen Unterlagen an. Aber so ist dieses Gutachten als ein wissenschaftliches Gutachten vollständig unbrauchbar.
Es hat nicht eines der Dokumente wirklich verwertet und im einzelnen analysiert, auf die es hier bei einer solchen Begutachtung ankommt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klein?
Warum nicht!
Herr Bundesminister, ist Ihnen erinnerlich, daß Ihnen seit dem vergangenen Wochenende — ich nehme an, seit Freitag vergangener Woche — ein Schreiben des Herrn Abgeordneten Schröder vorliegt, in dem er Sie um Ihre Genehmigung für Herrn Professor Rauschning um Einsichtnahme in diese Dokumentation bittet, und würden Sie mir hier bestätigen, daß Sie diese Genehmigung — jedenfalls bisher — schriftlich nicht erteilt haben?
Ich 'habe Herrn Schröder schon mündlich bei unserer letzten Erörterung im Ausschuß gesagt, daß ich überhaupt keine Bedenken hätte, 'dem Herrn dieses Gutachten zur Verfügung zu stellen, und ich habe dies heute noch einmal wiederholt. Aber Tatsache ist doch, daß hier von der CDU der Versuch gewagt wird, ein wissenschaftliches Gutachten in die Welt zu setzen, ohne daß nur eines der umfangreichen Dokumente überhaupt analysiert und interpretiert worden ist. Das ist doch die Tatsache!
Die Bundesregierung wird sich durch keine noch so polemische Provokation zu einer öffentlichen Erörterung der verschiedenen Positionen und Praktiken verleiten lassen, welche die Besatzungsmächte seit 1944 in der Frage der Elbgrenze eingenommen und verfolgt haben. Eine solche öffentliche Verhandlung auf dem Markt wäre unseren nationalen Interessen nicht dienlich.
Das einzige, was Sie machen, ist, obwohl Sie es eigentlich durch eine sorgfältige Unterrichtung besser wissen, daß Sie ständig versuchen, diese Argumentationen und Interpretationen in die öffentliche Erörterung zu ziehen, obwohl es unserer eigenen Sache nur schädlich und nicht dienlich sein kann.
— Entschuldigen Sie, aber ich muß Ihnen dies sagen: Ich bin gelegentlich entsetzt, wo Sie doch immer die nationalen Interessen so hoch hängen,
wie Sie hier mit unseren nationalen Interessen Schindluder treiben!
Die Bundesregierung wird vielmehr bestrebt sein — und das meine ich so, wie ich es hier sage —,
eben diese nationalen Interessen, die im Elbabschnitt bisher leider nur unzureichend gewahrt sind, durch eine gesichertere und menschlichere Grenzregelung an der Elbe besser als heute zu wahren.
Die Elbe wird dann ein Beispiel dafür sein, daß die Grenzen in Deutschland endlich erträglicher werden, als sie es leider heute sind.
Wenn Sie dieses Ziel mit uns anstreben — und Sie müßten es mit uns anstreben —, dann unterstützen Sie die Bundesregierung ebenso wie der Ausschuß des Niedersächsischen Landtags für Rechts- und Verfassungsfragen, in dem Ihre eigenen Abgeordneten der dortigen Opposition mitgestimmt haben, durch die Annahme des Entschließungsantrags in der vorgelegten Ausschußfassung!
Meine Damen und Herren, während der Rede des Herrn Abgeordneten Möhring ist von Herrn Dr. Wittmann (CDU/CSU) folgender Zwischenruf gemacht worden: „Spre-
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12722 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Präsident Frau Rengerchen Sie für die SPD oder die SED?" Ich rufe Sie dafür zur Ordnung, Herr Abgeordneter.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Vorwurf einer polemischen Behandlung gegenüber der Opposition hat hier ein Minister des Bundes, zuständig für das Ressort des Innern, den absoluten Gipfel der Polemik in diesem Hause dadurch erreicht, daß er der Opposition vorgeworfen hat,
sie treibe Schindluder mit nationalen Interessen.
Ich weise diesen Vorwurf mit Entschiedenheit zurück.
Selbst auf die Gefahr hin, mir auch einen Ordnungsruf zuzuziehen, stelle ich erneut die Frage, welche Interessen Sie bei diesen Verhandlungen überhaupt vertreten.
Sie haben doch veranlaßt, daß wir diese Diskussion hier in diesem Hause über dieses Thema haben. Sie haben nämlich in dem Ihnen typischen Stil diese Aktion klammheimlich über die Bühne ziehen wollen;
denn Ihr Verhältnis zum Parlamentarismus und zur Demokratie ist doch gestört.
Sie bemühen sich ständig, diesem Parlament jede Möglichkeit, seine Kontrollfunktionen auszuüben, zu nehmen.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie sehr, sich in den Ausdrücken zu mäßigen.
— Moment! — Das Thema ist nicht dazu angetan, daß wir uns in dieser Weise gegeneinander aufbringen.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich, sich zur Sache zurückzubegeben und sich auf das Thema zu konzentrieren.
Bitte, Sie haben das Wort.
Ich fahre in der Sache fort; denn zu etwas anderem habe ich hier nie gesprochen.
Im übrigen meine ich, daß wir in diesem Hause immer noch das Recht der Meinungsfreiheit garantiert haben und wir uns nicht irgendeiner Zensur unterwerfen, zumal bei einem solchen Thema nicht.
Herr Abgeordneter Dr. Abelein, haben Sie mit dieser Bemerkung mich gemeint?
Ich habe eine generelle Feststellung von allgemeiner Gültigkeit für jede westliche Demokratie getroffen.
Ich fahre fort. Ihre Ausführungen, Herr Minister, über das Gutachten des Herrn Professor Rauschning finde ich weniger empörend als vielmehr komisch. Wie Sie, d. h. die Bundesregierung, als Initiator eines Gutachtens, das diesen Begriff überhaupt nicht verdient und auch nicht annähernd das Niveau einer wissenschaftlichen Behandlung erreicht, einem anderen Kollegen einen solchen Vorwurf machen, ist mir völlig unerfindlich.
Die Einsicht in dieses Gutachten der Bundesregierung kann sich jeder, der sich eine objektive Meinung zur rechtlichen Situation machen will, völlig ersparen. Daraus kann man überhaupt nichts lernen.
Ich habe diese Dinge gelesen und daraus nichts gelernt.
Wie von Ihnen weisungsabhängige Beamte auf Ihre Weisung hin ein Gutachten fabrizieren sollen, ist mir objektiv schon völlig unverständlich.
Die können doch gar nichts, als irgendwelche Argumente zusammenzusuchen für Ihre politischen Absichten, nicht für Ihre rechtlichen Absichten; denn auf dem Boden des Rechts stehen Sie nicht mehr in dieser Sache; das bestreite ich.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12723
Dr. AbeleinLassen Sie mich ganz kurz einiges zur rechtlichen Situation sagen, die zwar immer wieder einmal bestritten wurde. Dies ist bei rechtlichen Situationen, auch wenn sie klar sind, glaube ich, eben üblich. Ausgangspunkt für die Grenzregelung auf der Elbe ist die Erklärung zu Protokoll des Grundvertrages. Danach ist auszugehen von dem Londoner Abkommen und den entsprechenden Karten. In der sogenannten Map A läuft die Grenze nun einmal auf dem Ostufer der Elbe in einer völlig eindeutigen Weise.
Herr Abgeordneter Abelein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.
— Das ist die erste Zwischenfrage, die ich in diesem Hause nicht gestattet habe. Da aber eine Gruppe der Regierungskoalition überhaupt nicht in der Lage ist, teilweise allein schon intellektuell nicht, etwas schwierigeren rechtlichen Ausführungen zu folgen,
gestatte ich keine Zwischenfrage; denn ich sehe keine Chance, dieser Partei in diesem Hause die Dinge auch nur einigermaßen verständnismäßig noch klarzumachen.
Lassen Sie mich fortfahren. Die zweite Grundlage, von der man auszugehen hat, sind andere Vereinbarungen zwischen den Besatzungsmächten, die danach getroffen worden sein könnten. Solche Vereinbarungen gibt es nicht. Niemand hat das behauptet.Eine andere Rechtsgrundlage könnte das Gewohnheitsrecht sein. Zum Gewohnheitsrecht gehört einmal eine lang andauernde Rechtsübung und zum anderen die Überzeugung aller Beteiligten von der Tatsache, daß es sich hierbei um die Rechtsausübung handelt. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein, weil auf unserer Seite diese Rechtsüberzeugung nie bestanden hat, bis auf den heutigen Tag nicht.
Es gibt — das ist zuzugeben, das haben Sie ja auch in Ihrer Sammlung fein säuberlich zusammengetragen — eine Reihe von verschiedenen Rechtsansichten. Aber Rechtsansichten schaffen kein Recht. Wir gehen aus von den Rechtsquellen, und die Bundesregierung hat in einem bis in die 60er Jahre hinein gültigen Rechtsgutachten die hier von mir angeführte Rechtsansicht sehr eindeutig vorgetragen, auch wenn es innerhalb der Bundesregierung gelegentlich zu Diskussionen über die Rechtssituationgekommen ist. Das ist bei Rechtssituationen üblich.
Lassen Sie mich noch auf einen Einwand, der von Ihrer Seite immer kommt, der eigentlich ein glänzendes Argument der DDR darstellt, angehen. Sie vertreten den angeblichen völkerrechtlichen Rechtsgrundsatz, daß ständige Rechtsverletzungen letztlich zu Rechtsgrundsätzen werden könnten, wenn man dagegen keine Rechtsverwahrung einlegt. Einen solchen Rechtsgrundsatz gibt es im Völkerrecht überhaupt nicht, denn aus Rechtsverletzungen entsteht kein Recht.
Wenn vorangegangene Bundesregierungen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, Rechtsverletzungen gelegentlich toleriert haben,
indem verschiedentlich NVA-Boote auf der Elbe fahren durften, konnte daraus keine Rechtssituation derart entstehen, wie Sie sie behaupten.Nun komme ich noch zu dem, was Sie uns hier zumuten.
Im Grunde ist die Sache für Sie längst entschieden. Sie haben uns auch in Ihre Verhandlungen überhaupt nicht eingeweiht. Wir sind durch Protokollnotizen darauf aufmerksam geworden, die in der Presse veröffentlicht worden sind. Sie werden uns zugestehen, daß wir mit großer Vorsicht und Zurückhaltung diese Dinge hier im Parlament angesprochen haben.
Sie waren aber unbelehrbar. Jetzt haben Sie zwar große Anstrengungen unternommen; denn etwa 800 Seiten zusammenzustellen bedeutet fürwahr eine große Fleißarbeit. Aber ich habe bei dieser Bundesregierung noch nie eine Anstrengung in diesem Ausmaß zur Unterstützung der eigenen Rechtspositionen erlebt, wie sie sie für die Unterstützung der Rechtspositionen der DDR unternommen hat.
Sicherer machen Sie im Grunde gar nichts. Denn auch dieses neue Abkommen, dieser Vertrag über den Binnenschiffsverkehr auf der Elbe, zeigt, daß Sie auch in diesen Verhandlungen Fakten schaffen, die Ihnen überhaupt keine andere Möglichkeit mehr lassen, als auf die rechtlichen Forderungen der DDR einzugehen.Sie haben damit — lassen Sie mich das jetzt noch abschließend sagen —
zu irgendeiner Sicherung der Elbe oder der Rechtsposition Berlins überhaupt keinen Beitrag geleistet; im Gegenteil, Sie erreichen durch dieses Ab-
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12724 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Dr. Abeleinkommen nicht, daß etwa der Schießbefehl beseitigt oder auch nur eingeschränkt wird, sondern Sie schaffen jetzt die Möglichkeit, daß auch noch auf der Elbe geschossen wird. Und das machen wir Ihnen zum Vorwurf.
Es gibt überhaupt keine rechtlichen Garantien oder auch nur Ansätze in den Verhandlungen, daß Sie diesen Bedenken Rechnung getragen hätten. Das verstehen wir unter anderem unter nationalem Interesse,
ohne hier den ungeheuren Vorwurf zu machen, den Sie der Opposition gemacht haben.
Im Hinblick auf Berlin leistet dieses Abkommen über die Schiffahrt einen weiteren Beitrag für eine Schaffung einer sogenannten Grauzone. Sie haben weder eine Berlin-Klausel in dem Abkommen über den Binnenschiffsverkehr auf der Elbe, noch haben Sie irgendwelche ausdrücklichen Garantien vertraglicher, rechtlich verbindlicher Art dafür, daß der Schiffsverkehr für die Berliner Schiffe in einem Sinne geregelt wird, der unseren Rechtsauffassungen entspricht. Mit diesem Vertrag und den Verhandlungen leisten Sie einen Beitrag,
der die Tendenz der Sowjetunion, West-Berlin in die Richtung einer selbständigen dritten politischen Einheit zu drängen, unterstützt, aber nicht das Gegenteil, das Sie eigentlich anstreben müßten.
Lassen Sie mich abschließend von unserer Seite sagen: Dieses Abkommen wird ja in jedem Fall zur Ratifizierung vor den Bundestag kommen. Wir werden diesem Abkommen niemals zustimmen.Wenn Sie hier sagen — das soll nun mein letzter Satz werden —, die Grenzkommission habe ja gar nicht das Recht, die Grenze festzulegen, und deswegen tue sie es auch nicht, dann ist das gerade das, was Sie uns vorwerfen, nämlich eine Vernebelung der tatsächlichen Situation, ganz abgesehen davon, daß es ausgesprochen unlogisch ist; es ist der typische Fall einer Morgensternschen Logik. Die Grenzkommission handelt, wenn sie dieser Grenzlinie zustimmt, eindeutig rechtswidrig, und heute wird, wenn Sie diese Dinge machen, nicht die letzte Gelegenheit im Bundestag sein, daß wir darüber sprechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich nicht zu dem Stil und zu manchem Wort, das
hier in der letzten halben Stunde gefallen ist, versteigen,
denn, meine Damen und Herren, die Mitglieder dieses Hauses sind zuerst einmal den Deutschen in diesem Lande verpflichtet, sachlich zu den Problemen Stellung zu nehmen, die auf der Tagesordnung stehen.
Deswegen werde ich dies als den Beginn meiner Ausführungen nehmen.
Welches sind die Fakten? Faktum ist, daß die Grenzkommission durch den Vertrag mit der DDR mit der Aufgabe eingesetzt worden ist, die Grenze festzustellen, d. h. nicht über eine Grenze zu verhandeln, nicht eine Grenze auszuhandeln, sondern deklaratorisch festzustellen, was ist, nicht etwas neu zu schaffen. Dieses ist das Faktum.
Zweitens ist noch nichts fertig, die Grenzverhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Wir befinden uns mitten darin, daß sich die Angehörigen dieser Kommission bemühen, festzustellen: Was ist Grenze? Mitten in diesem Vorgang sind wir.
Ich will es mir an dieser Stelle versagen, darzulegen, was allein die Tatsache einer solchen Debatte, wie sie hier geführt worden ist und wie sie noch schlimmer — wenn das möglich ist — draußen im Lande, insbesondere in den Gemeinden an der Elbe, geführt worden ist, für die Wahrnehmung unserer Interessen, der Interessen dieses Landes, in dieser Kommission bedeutet.
Ich muß aber in diesem Zusammenhang weiter feststellen, daß es ein schlichtes Faktum ist, daß noch keine Opposition in diesem Hause in einem derartigen Umfang informiert und orientiert worden ist, wie es bei dieser Opposition in dieser Frage der Fall ist.
Alle Dokumente, die der Bundesregierung zur Verfügung standen, hat die Opposition gesehen. Sie hat sogar den jeweiligen Stand durch die Texte der Verträge in geheimen Sitzungen bekommen, sie hat also einen Einblick in den Wortlaut in den jeweiligen Phasen der Entwicklung gehabt.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion hätte sich glücklich geschätzt, wenn sie in den ersten 20 Jahren dieses Hauses nur einen Bruchteil der Informationen dieser Art über internationale Verträge bekommen hätte, die das Schicksal dieses Landes bestimmen.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12725
Herr Kollege Arndt, können Sie bestreiten, daß den Mitgliedern des Innerdeutschen Ausschusses bis zur Stunde über den tatsächlichen Verhandlungsstand innerhalb der Grenzkommission noch nicht die kleinste Zeile von einer Mitteilung gemacht worden ist?
Ja, das muß ich in der Tat mit großem Nachdruck bestreiten. Ich habe nämlich selbst — und zwar häufiger als Sie — an den Verhandlungen des Innerdeutschen Ausschusses teilgenommen
und habe dort erlebt, daß die Einzelheiten nach dem jeweiligen Stand der Verhandlungen in der Tat mitgeteilt worden sind. Niemand kann das ernsthaft bestreiten.
Meine Damen und Herren, ich hatte Ihnen zugesagt, daß ich hier zunächst einmal einige Fakten zurechtrücken wollte. Ich will damit fortfahren.
Es ist unzutreffend, wenn der Herr Abgeordnete Abelein behauptet, daß das Elbe-Verkehrsabkommen, das von dem bereits abgeschlossenen Verkehrsvertrag zu unterscheiden ist, das zur Zeit in der Arbeit ist, keine Berlin-Regelung vorsehe. Selbstverständlich werden wir auch dieses Abkommen, wie dies allgemeine Politik dieser Koalition und der Bundesregierung ist, nur mit einer entsprechenden Berlin-Klausel abschließen. Dies ist im Ausschuß mit aller Deutlichkeit gesagt worden.
Ich will es hier noch einmal wiederholen, damit diese falsche Behauptung nicht im Raum stehenbleibt.Herr Kollege Abelein, Sie wissen auch — dies ist der allgemeinen Öffentlichkeit durch die Behandlung in der Fragestunde bekanntgeworden —, daß der gegenwärtige Stand der Verhandlungen über diesen Vertrag so ist, daß zahlreiche Passagen und Artikel dieses Vertrages erst in der Form von Punkten dargestellt werden können. Sie aber wissen schon heute, daß Sie diesem Vertrag nie zustimmen werden!? Meine Damen und Herren, ist es mit Ihrer Veranttung für dieses Land in Einklang zu bringen, wenn Sie über einen Vertrag, dessen Text überhaupt noch nicht feststeht, sagen, Sie würden ihm nie zustimmen?
Im übrigen, meine Damen Herren, muß hier eines auch noch mit aller Deutlichkeit festgestellt werden. Der Elbe-Verkehrsvertrag ist nicht geeignet, Grenzfeststellungen zu präjudizieren, wie hier von Ihnenvielfach behauptet oder befürchtet worden ist. Die Bundesregierung hat auch hier eine ganz eindeutige Erklärung abgegeben, nämlich eine dahin gehende Erklärung, daß der Elbe-Verkehrsvertrag vor der Grenzfeststellung — nicht den Grenzverhandlungen — nicht abgeschlossen wird. Warum nehmen Sie all diese Erklärungen einfach nicht zur Kenntnis? Warum tun Sie so, als werde dies nicht gesagt? Vielleicht nur, damit Sie draußen in Versammlungen etwas zitieren können? Ich glaube, dies entspricht nicht der Verantwortung, die wir tragen.Meine Damen und Herren, als nächstes möchte ich nun auf das hier immer wieder zitierte Gutachten von Professor Dr. Dietrich Rauschning eingehen. Gestatten Sie mir dazu zunächst eine persönliche Zwischenbemerkung. Ich bin ein alter Studienkollege von Herrn Rauschning. Wir haben gemeinsam studiert. Ich bin Herrn Rauschning seit einigen Wochen zudem persönlich besonders verpflichtet, weil er in einer Massenversammlung der Göttinger Universität, als etwa 200 Kommunisten den Herrn Kollegen Klein, den niedersächsischen Innenminister Gross und mich zu verprügeln versuchten, mich zusammen mit seinen Söhnen körperlich geschützt hat.Aber dies alles — meine alte Kollegialität und jene persönlich sehr ehrenwerte Haltung von Herrn Rauschning — kann mich nicht daran hindern, mich jetzt hier mit diesem Gutachten auseinanderzusetzen. Ich muß mit großem Nachdruck darauf hinweisen, daß dieses Gutachten zahlreiche tatsächliche Irrtümer aufweist, bis hin zu solchen, nur aus der Schnelligkeit seiner Herstellung erklärbaren Irrtümern wie etwa dem Irrtum, daß — so wird dort gesagt — die Grenze der sowjetischen Besatzungszone an der Westgrenze der Provinz Hannover liege. Die DDR reichte dann heute etwa bis Bremen. Sie können das nachlesen, wenn Sie es nicht glauben, Herr Schröder. Dies ist nur ein Beispiel von vielen Beispielen von tatsächlichen Irrtümern, die sich in diesem Gutachten befinden. Außerdem wird auf Seite 13 des Gutachtens selbst darauf hingewiesen, auf welche Quellen es sich stützt. Es heißt dort — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Dieser Sachverhalt— also dieses Gutachten —ist auf Grund von Quellen zusammengestellt, die in der Öffentlichkeit bekanntgeworden sind. Sie sind im einzelnen publiziert in Zeitungsberichten des letzten Jahres oder in Protokollen der Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages.
Das sind also die „wissenschaftlichen Quellen" dieses Gutachtens, das hier vorhin so hochgelobt worden ist. Wir machen Herrn Rauschning sicherlich keinen Vorwurf daraus, daß er andere Quellen nicht zur Verfügung hatte. Bloß, Sie sollten sich überlegen, ob Sie in dieser Frage ein ausdrücklich und ausschließlich auf solche Quellen gestütztes Gutachten hier ernsthaft in die Debatte einführen können.
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12726 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ?
Ja, aber vorhin ist die Uhr auch weitergelaufen, Frau Präsidentin. Ich bitte, mir das abzuziehen.
Ja.
Bitte sehr!
Herr Arndt, warum haben Sie dann eine Beschlußempfehlung im Rechtsausschuß verhindert, wonach diesem Gutachter die Unterlagen hätten zur Verfügung gestellt werden sollen?
Das kann ich Ihnen sagen: Wir haben sie nicht verhindert,
sondern wir haben diesen überflüssigen Antrag deswegen abgelehnt,
weil der Herr Bundesminister des Innern dem Gutachter bereits zugesagt hatte, ihm dieses Gutachten zur Verfügung zu stellen.
— Jetzt möchte ich einmal zum Ende kommen. Ich habe zahlreiche Zwischenfragen zugelassen.
Ich habe außerdem die Pflicht, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß das Gutachten Teile enthält, die Sie sich doch wohl nicht zu eigen machen können. Denn, meine Damen und Herren, es gibt Teile in diesem Gutachten, die, wenn sie richtig wären, unsere Position in Berlin in erheblichem Maße gefährden würden. Das kann nicht der Sinn eines Gutachtens sein, das man aus politischen Gründen anfordert und sich dann zu eigen macht. Ich kann und will an dieser Stelle nur so unbestimmt davor warnen, bitte aber Ihre Verfassungsrechts- und Völkerrechtsexperten, das unter genau diesem Gesichtspunkt zu prüfen. Wir können nicht in einem solchen politischen Streit, mag er noch so heiß geführt werden, die rechtlichen Argumente so wählen, daß sie unsere Position an einem Nahtpunkt des deutschen Schicksals, nämlich in Berlin, unterminieren.
— Herr Kollege, ich bin gerne bereit, Ihnen die
Stelle zu zeigen. Aber ich bin nicht bereit, sie zum
Nutzen der DDR im Protokoll des Deutschen Bundestages erscheinen zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich muß noch, ehe ich zum Schluß komme, auf einen sehr eklatanten Widerspruch in der Argumentation des Herrn Kollegen Schröder hinweisen. Er hat hier gesagt, er habe der Zeitung Informationen entnommen — ich will hier nicht untersuchen, ob es wirklich eine Zeitung oder nicht etwas anderes war —, nach denen die Bundesregierung bereit sei, die DDR aus ihrer Pflicht aus Art. 23 des Verkehrsvertrages zu entlassen, und er hat hinzugefügt: Dies ist doch gerade die Grundlage, auf die wir uns stützen. — Wenn das die Grundlage ist, dann steht dies im Widerspruch zu Ihrer gesamten bisherigen Argumentation, die dahin ging, daß die Bundesrepublik nicht erst seit zwei Jahren existierende vertragliche Rechte, sondern ursprüngliche was nun die Rechtsgrundlage sein soll,
Sie müssen sich also in Zukunft genau überlegen, was nun die Rechtsgrundlage sein soll.
auf Grund derer wir hier argumentieren. Das muß man sich sehr genau überlegen.
Ich will, ehe ich zum Schluß komme, noch ein Wort zum Stil und zur Art dieser Debatte sagen. Ich meine, dieses Haus ist kein Pensionat für höhere Töchter. Dieses Haus bedarf der leidenschaftlichen Auseinandersetzung, wenn es um die Schicksalsfragen des Landes geht. Aber ich bin nicht in der Lage, mich mit mir zur Verfügung stehenden und parlamentarisch gebräuchlichen Worten mit dem auseinanderzusetzen, was Herr Abelein am heutigen Abend geäußert und geboten hat.
Ich will es mir deswegen versagen, darauf auch nur ein Wort zu verschwenden denn ich fürchte, mir dadurch den Mund schmutzig zu machen.
Meine Damen und Herren, leider ist dies kein Einzelfall gewesen. Herr Schröder hat hier wieder die Haltung der Sozialdemokraten als Verständnis für die andere Seite dargestellt. Herr Wittmann konnte es sich nicht verkneifen zu fragen, ob wir die Politik der SED und nicht der SPD betrieben.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975 12727
Dr. Arndt
Meine Damen und Herren, ich habe mich schon neulich in der Fragestunde gezwungen gesehen, mich mit Nachdruck dagegen zu wenden, daß wir, die wir hier nach bestem Wissen und Gewissen die Interessen dieses Landes wahrnehmen und uns darin von niemandem übertreffen lassen,
als intellektuelle Landesverräter hingestellt werden.
Wir werden uns das von Ihnen nicht bieten lassen. Wir wissen, daß wir auf Grund unserer Wahl in voller Verantwortung unsere Aufgaben hier wahrnehmen.
Ich darf es dennoch nicht versäumen, diese Anwürfe mit allem Nachdruck zurückzuweisen. Ich fürchte, daß die jeweils amtierenden Präsidenten, wenn sie das Protokoll durchsehen werden, leider Gottes noch manchen Ordnungsruf zusätzlich werden erteilen müssen.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Ich habe den mich sehr bestürzenden Eindruck, daß es gar nicht das Ziel dieser Debatte ist, die Rechtslage zu klären. Sie wissen ganz genau, daß wir in schwierigen Verhandlungen mit der DDR stehen und daß wir diese schwierige Lage hier nicht im einzelnen auf dem offenen Markt darlegen können. Das wissen Sie ganz genau. Dennoch machen Sie eine Veranstaltung dieser Art nach der anderen, von der Fragestunde über die Aktuelle Stunde bis zu dieser Debatte. Sie werden selber vor der Geschichte und vor unserem Volk entscheiden müssen,
ob dieses die Verantwortung ist, die Sie wahrnehmen müssen. Ihr Ziel — das ist mein Schluß aus dieser Beobachtung — ist es gar nicht, die Rechtslage zu klären, Ihr Ziel ist es, diese Bundesregierung madig zu machen.
Sie wollen Wundstellen offenhalten. Die ganze Richtung der Ostpolitik paßt Ihnen nicht, und da nehmen Sie ohne Verantwortung jede Möglichkeit wahr, hier ohne Rücksicht auf die Interessen dieses Landes,
ohne Rücksicht auf die Menschen eine solche Propagandaschau abzuziehen. Es geht nämlich um die
Menschen, die an der Elbe leben. Es geht um dieses Land. Es geht darum, dort eine Gebrauchsgrenze zu schaffen,
die wirklich für die Menschen die freie Betätigung auf diesem Fluß garantiert. Dieses Ziel aber, die wirklichen Interessen der Menschen, tritt bei Ihnen völlig in den Hintergrund. Das ist es, was mich so erschüttert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns daran arbeiten, daß wir den Interessen der Menschen dienen und nicht solche Veranstaltungen wie heute abend durchführen!
Das Wort hat der Abgeordnete von Wrangel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndt, Sie machten in den ersten Sätzen Ihrer Ausführungen den Eindruck, als wollten Sie hier sachlich noch etwas zur Diskussion beitragen.
In den letzten Sätzen haben Sie genau das Gegenteil dessen getan: Sie sind in einen miserablen Stil zurückgefallen.
Mehr noch: Ich glaube, Herr Bundesminister Maihofer, es wäre eine Selbstverständlichkeit gewesen, nachdem Sie hier den ungeheuerlichen Vorwurf des nationalen Schindluders geäußert haben, sich dafür bei der Opposition sofort zu entschuldigen. Das erwarten wir von Ihnen.
— Meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie hier noch Beifall klatschen, das wundert mich besonders. Und wenn der Kollege Arndt dann noch von Schaustellung spricht, kann ich nur sagen: In der Tat ist der größte Teil der Ostpolitik dieser Re-
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12728 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Baron von Wrangelgierung eine Schaustellung gewesen, um innenpolitische Erfolgsbilanzen zu erhalten;
wir haben es oft gesagt: in der Anlage eben falsch.Herr Kollege Arndt, wenn Sie sagen, unsere Interventionen in diesem Hohen Hause, die Fragestunden und alle unsere Einlassungen — auch unser Entschließungsantrag — seien den Verhandlungen der Bundesregierung abträglich, so frage ich mich: Was ist denn eigentlich in dieser Frage los? Ist es nicht gerade für den Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland dringend notwendig, daß dieses Parlament versucht, einen klaren Rechtsstandpunkt in einer solchen Frage zu finden?
Herr Kollege Arndt, Sie sind ja ein Jurist
— ja, gut — und wissen sehr gut: Wenn ich mehr als 50 % der Rechtsquellen — Herr Kollege Arndt, würden Sie netterweise zuhören —
auf meiner Seite habe, ist doch klar, daß ich dies einbringe. Das ist nicht eine Frage der Rechtsabwägung, sondern eine eminent politische Frage, und die muß ich mir doch zu eigen machen. Das ist doch das Problem, um das es geht.
Wie oft haben wir hier immer wieder gesagt: Nicht das eine oder andere Argument muß herangezogen werden, sondern wir wollen wissen, welche Argumente für die Arbeit der Grenzkommission relevant sind. Dies ist doch entscheidend.
Meine Damen und Herren, ich darf auch noch folgendes sagen. Bei allem Abwägen und durch noch so sorgfältige Diskussionen wird doch durch das, was Sie hier wollen, die rechtliche Wilderei der DDR an der Elbe nicht beseitigt, wird die Elbe nicht sicherer gemacht.Herr Arndt, Sie haben des weiteren vom ElbeSchiffahrtsabkommen gesprochen. Würden Sie mir nicht zustimmen, wenn ich, eingehend auf den Protokollvermerk zu Art. 23, sage, daß die Bundesregierung im Jahre 1972 durch den Verkehrsvertrag, dem wir zugestimmt haben, die ganze Elbe als Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat? Was hat sich denn eigentlich geändert?
Das ist hier nicht gesagt worden.
Meine Damen und Herren, man kann natürlich auch zu Recht die Frage stellen: Was soll denn, Herr Bundesminister Maihofer, gerade durch das, was Siehier gesagt haben, sicherer und besser werden, wenn die Grenze in die Mitte der Elbe gelegt wird?
Denn im Grunde genommen fahren ja die NVA-Boote auch weiterhin auf die westliche Seite. Was wird sicherer gemacht?Hier wird im Grunde genommen doch nichts anderes getan, als die eigene Verhandlungsposition demontiert,
und dies ist doch gerade, wenn ich den Gesamtaspekt der innerdeutschen Verhandlungen betrachte, eine höchst gefährliche Sache.Dann, meine Damen und Herren, wundern Sie sich darüber, daß wir hier sehr klar sagen müssen, daß die Anmaßungen der DDR, wie wir sie erleben, nun auf einmal mit dem Argument legalisiert werden, alles würde sicherer und besser! Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition.
Der Berichterstatter des Innenausschusses hat hier interessanterweise gesagt — wie wir dies ja auch alle wissen und behaupten —, die Grenzkommission habe nicht das Recht, die Grenze zu verlegen. Meine Damen und Herren, wenn dies so ist — und dem stimmen wir zu —, dann möchte ich nur sagen, Herr Bundesminister Maihofer: Dann tun Sie das bitte auch nicht, verlegen Sie auch nicht die Grenze in die Mitte der Elbe!
Ich will abschließend nur zwei Bemerkungen machen. Durch diese Art der Auseinandersetzung
und der Herabsetzung von engagierten Beiträgen von Kollegen meiner Fraktion
schwächen Sie doch im Grunde genommen nicht nur die Verhandlungsposition einer Regierung — das tun Sie sowieso, meine Damen und Herren —, sondern Sie tragen eben durch Ihr Verhalten auch dazu bei, daß dieses Parlament in seiner Kontrollfunktion absolut demontiert wird.
Da Sie bei der Überweisung dieses Antrags den Versuch machen, die deutschlandpolitische Diskussion von der Deutschlandpolitik wegzubringen und immer weiter zur Erörterung von Fachfragen zu degradieren
— und zur Innenpolitik zu machen —, möchte ichIhnen nur sagen: es wird allerhöchste Zeit, daß wir
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Baron von WrangelIhnen in diesem Hohen Hause sagen: wir werden bei jeder Gelegenheit den Stellenwert der Deutschlandpolitik anheben.
Mit solchen Dingen, wie Sie dies eben versuchen, degradieren Sie natürlich diesen Stellenwert immer mehr. Ich frage mich: ist dies möglicherweise sehr bewußt geschehen?Allerletzte Bemerkung! Einige von uns haben eine Zeitlang gedacht, die Bundesregierung würde in diesen Fragen nach so viel Rückschlägen einen Lernprozeß durchmachen. Ich habe den Eindruck — und möchte dies im Namen meiner Freunde sagen —: die Lernfähigkeit der Bundesregierung scheint doch wohl sehr begrenzt zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier keine Werturteile fällen. Aber die Beiträge der Sprecher der Opposition haben, wenn sie schon in der Sache nichts gefördert haben, vielleicht zu ihrer Selbstdemontage mehr beigetragen, als sie selber in diesem Augenblick wahrhaben möchten.
Ihnen hat noch niemand — und schon gar in diesem Hause — das Recht bestritten, sich zu jedem Thema — und nicht zuletzt zu einem so schwierigen und ernsten Problem wie dem des Elbe-Bereichs — zu äußern. Der Herr Oppositionsführer, Herr Carstens, wird aus seiner Intimkenntnis ganz besonders um die Schwierigkeit der Problematik der Grenzfestlegung wissen. Gerade deshalb mutet es wirklich merkwürdig und sehr überraschend an, wenn dann der Kollege Abelein hier den Satz einführt, die Opposition habe dieses Thema mit Vorsicht und Zurückhaltung behandelt und hier in die Debatten des Bundestages eingeführt.
Ich habe Sie, Herr Kollege Abelein, so humorvoll noch nie sprechen hören.
Aber es ist ein bitterer und bizarrer Humor.Welche Interessen werden hier vertreten? Die Frage von Ihnen, so polemisch, so unterstellend hier gefragt
und an die Adresse der Bundesregierung gerichtet, kann, wie wir alle wissen, nur mit der Antwort bedacht werden: es werden die Interessen der Bundesrepublik auf der Grundlage des Rechts vertreten.
Da klingt es dann schon wieder seltsam, wenn Herr Kollege Schröder in seinem Debattenbeitragsehr prononciert meint, auf der Basis welcher Dokumente die Kommission ihre Entscheidung über die Grenzfestsetzung zu suchen habe und suche. Ich hoffe, wir gehen alle davon aus, daß alle Dokumente und alle Quellen zur Grundlage zu machen sind,
daß die Erforschung des Rechts, daß die Erforschung dessen, was von den zuständigen alliierten Stellen tatsächlich an Grenze vereinbart wurde, an Hand und auf Grund aller zur Verfügung stehenden und aussagekräftigen Dokumente zu erfolgen hat. Einer Manipulation, so meine ich, wollen wir uns doch auch in dieser Frage gewiß nicht schuldig machen. Das wird auch die Opposition der Bundesregierung nicht zumuten wollen.
Meine Damen und Herren, die Aufgabe der Grenzkommission, die Grenze im Elbabschnitt festzulegen, läßt sich deshalb gewiß nicht durch Mehrheitsentscheidungen lösen, auch nicht durch Mehrheitsentscheidungen dieses Parlaments. Aber es darf in diesem Parlament sehr wohl das Bemühen unterstützt werden, in einem für uns optimalen Sinne und in einer die Interessen der Bevölkerung wahrenden Richtung die Lösung zu suchen und dazu jene Rechtsauffassungen zu vertreten und an jenen Rechtsauffassungen festzuhalten, die wir bislang kontinuierlich dazu miteinander vorgetragen haben.Aber die zu fällende und letztlich zu treffende Entscheidung muß doch losgelöst von diesen Auffassungen nach den hier vorliegenden Quellen und nach dem getroffen werden, was tatsächlich Recht ist und Recht bleibt.Meine Damen und Herren, die Opposition kann, so glaube ich, doch in der Tat unbesorgt sein und müßte unbesorgt sein können. Denn daß die Bundesregierung, wie Sie hier der Öffentlichkeit weismachen wollen, in der Lage wäre, durch die Grenzkommission rechtswidrig Land der Bundesrepublik an die DDR abzutreten, ist doch nicht richtig, denn das würde das Bundesverfassungsgericht verhindern, lieber Herr Kollege Schröder und meine Damen und Herren von der Opposition.
Diese Bundesregierung wird sich nicht außerhalb des Rechts stellen
und wird keine Entscheidung treffen, die rechtswidrig ist.
Aber weil Sie das ganz genau wissen und weil Sie fürchten,
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12730 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Juni 1975
Hoppedaß die von Ihnen behauptete Rechtsposition so sicher eben doch nicht ist, versuchen Sie im Augenblick hiermit noch Ihre parteipolitische, polemische Politik zu machen. Damit degradieren Sie diesen Antrag zur reinen politischen Agitation.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf Drucksache 7/3780. Wer dem Antrag des Ausschusses unter Ziffer 1 dieser Drucksache, den Antrag auf Drucksache 7/3278 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Wir kommen zu Ziffer 2 des Ausschußantrages. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/3780 unter Ziffer 2:
a) Der Deutsche Bundestag ist nach den Darlegungen der Bundesregierung zu der Auffassung gekommen, daß die Sach- und Rechtslage an der Elbe für und durch die
Gespräche in der Grenzkommission gegenüber dem bisherigen Zustand nicht verändert worden ist.
b) Die Bundesregierung wird ersucht, gemeinsam mit dem Vertreter des Landes Niedersachsen in der Grenzkommission weiterhin darauf hinzuwirken, daß bei der Markierung der Grenze und der Ordnung der Grenzverhältnisse im Bereich der Elbe zwischen Lauenburg und Schnakkenburg die Rechte der Bundesrepublik Deutschland auf der Elbe und die Interessen der Menschen in diesem Raum voll gewahrt werden.
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 20. Juni, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.