Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen:
1. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Enquete-Kommission Verfassungsreform
— Drucksache 7/214
2. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik
— Drucksache 7/215
3. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
-Drucksache 7'173 —
ad) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß 1 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/219 — Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft,
— Drucksache 7 217 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu der von der Bundesregierung erlassenen 24. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts-Verordnung
zu der von der Bundesregierung erlassenen 25. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts-Verordnung
— Drucksachen 7/39, 7/151, 7/218 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
Das Haus ist einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Es liegt Ihnen weiter eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorschläge der Interparlamentarischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki
— Drucksache 7/142 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Technologie und Forschung und für das Post- und Fernmeldewesen
Betr.: Personelle Beteiligung der Bundesrepublik Deutsch-
land an Internationalen Organisationen
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 2. Dezember 1971
— Drucksache 7/158 —
zuständig : Innenausschuß
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Ich danke.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vermittlungsausschuß hat am 21. Februar 1973 das vom Deutschen Bundestag in seiner Sitzung am 20. Dezember 1972 beschlossene
Gesetz zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherungen
bestätigt. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/224 verteilt.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses
— Drucksache 7/193 —
Dieser Punkt wird nach einer interfraktionellen Vereinbarung jetzt aufgerufen. Wer dem Antrag auf Drucksache 7/193 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Damit sind die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses gewählt.
Ich rufe nunmehr Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Aussprache über den Agrarbericht 1973 der Bundesregierung
— Drucksachen 7/146, 7/147, 7/148 —
Das Wort hat der Abgeordnete Bewerunge.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Grüne Bericht ist der 18., der erstellt wurde. Er zeugt wieder von einem hohen Leistungsniveau der an der Erstellung beteiligten Mitarbeiter des Bundesernährungsministeriums. Er ist statistisch und methodisch in der Anlage verbessert worden. Ich glaube, den beteiligten Damen und Herren gebührt für die Erstattung dieses Grünen Berichts unser herzlicher Dank.
Wir können feststellen, daß sich in der Kontinuität, von der Sie, Herr Bundesminister, gesprochen haben, eine direkte Linie finden läßt von 1968 an, als seinerzeit Herr Minister Höcherl den Grünen Bericht einbrachte mit der Zielsetzung, nicht nur die Landwirtschaft anzusprechen, sondern den gesamten ländlichen Bereich. Deshalb darf man wohl feststellen, daß die Agrarpolitik der damaligen Zeit,
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Bewerunge
mit der heutigen verglichen, mindestens eine gute, wenn nicht sogar eine zielsetzende gewesen ist.
Aber die heutigen agrarpolitischen Zielvorstellungen und die weithin unverbindlichen Absichtserklärungen beinhalten in weiten Bereichen keine Antworten auf die brennendsten Fragen der Landwirtschaft. Natürlich ist auch für uns die Agrarpolitik in einer modernen Industriegesellschaft kein leichtes Spiel. Auch ein Landwirtschaftsminister muß sich den Gegebenheiten der von Industrie und Gewerbe geprägten Umwelt anpassen. Er kann immer mit unserer Hilfe rechnen, wenn er in der agrarpolitischen Aussage Vorstellungen entwickelt, die den unsrigen entsprechen.
Wir müssen aber in der öffentlichen Diskussion auch darlegen, ob und wieweit der Landwirtschaftsminister etwas gewollt hat bzw. nicht durchgesetzt hat. Ich war etwas erstaunt, Herr Minister Ertl, als Sie bier besonders geharnischt über das Thema „Eigentum" gesprochen haben. Im weiteren Verlauf dieser Debatte wird mein Kollege Kiechle dieses Thema noch ansprechen. Auch die Landwirte lesen Zeitungen, Herr Minister, auch die Menschen im ländlichen Bereich und in anderen Bereichen, die Eigentum besitzen, lesen Zeitungen: Ich kann mir vorstellen, daß manche Aussage gerade in der letzten Woche — auf Bezirksparteitagen usw. -- Ihnen auch zu denken gegeben hat. Uns kommt es nur darauf an, darauf hinzuweisen, daß das Thema „Eigentum" aus der Sicht der Landwirtschaft — Boden, Arbeit und Kapital bilden hier die Grundlage — einer sehr kritischen Erörterung bedarf. Ich hoffe, daß Sie, Herr Minister, dieses Thema „Eigentum" weiter in Ihrem Sinne verfolgen werden und nicht etwa von Ihrem Ministerkollegen Vogel überfahren werden, von dem man ja einiges andere in dieser Hinsicht hören kann. Dieses Thema „Eigentum" ist für die Landwirtschaft von besonderer Bedeutung, weil wir gerade zu Beginn des vorigen Jahrhunderts um die Ablösung der Grundherrschaft gekämpft, um die Beseitigung des Obereigentums an Grund und Boden gekämpft haben. Es darf nicht dazu kommen, daß ein neues Obereigentum auf kommunaler Ebene entsteht. Dagegen muß sich die Landwirtschaft in allen Phasen wehren.
Die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Unternehmen hat sich 1971/72 verbessert. Das ist begrüßenswert. Ein weiteres so schlechtes Jahr wie 1970/71 wäre für die deutsche Landwirtschaft eine Katastrophe gewesen. Bei aller Genugtuung über die relativ günstige Einkommensentwicklung im Wirtschaftsjahr 1971/72 darf nicht übersehen werden, daß die Landwirtschaft im vorigen Wirtschaftsjahr einen Einkommensverlust von über 10 % hinnehmen mußte.
Trotz der von einem Jahr zum anderen verbesserten Lage besteht eindeutig kein Anlaß zum Jubel, denn das Ziel der Bundesregierung, die Landwirtschaft an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung
teilnehmen zu lassen, ist keineswegs erreicht. Das läßt sich aus dem Agrarbericht ablesen.
Ich erinnere hier an das zunächst vom wissenschaftlichen Beirat und auch von Ihnen, Herr Minister, gebrauchte Wort von der Überreaktion im Strukturwandel. Es ist ein alter Vorwurf, die CDU/ CSU habe es nicht verstanden, den Strukturwandel schneller zu forcieren. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Politik ist Hilfe für Menschen. Wir haben in der Landwirtschaft und im ländlichen Bereich eine stille Revolution erlebt. Die sich jetzt abzeichnenden Zahlen lassen deutlich erkennen, daß der Strukturwandel geradezu rasante Formen angenommen hat. Ich möchte Ihnen hier eine Zahl aus meinem Bereich Westfalen-Lippe nennen, in dem eine relativ gut strukturierte Landwirtschaft zu Hause ist: Dort ist in einem Jahr ein Rückgang an Fachschülern der Landwirtschaftsschule um 30 "/o festzustellen. Das ist ein alarmierendes Zeichen. Die Unsicherheitsfaktoren der Landwirtschaft werden hier deutlich.
Die Einkommensmerkmale der Landwirtschaft hängen aber natürlich im wesentlichen vom Marktgeschehen ab. Wenn ich auf die letzten zehn Jahre zurückblicke, so muß ich feststellen, daß niemals zuvor die Preise für Rinder, Kälber, Schweine und Milch gleichzeitig in diesem Maße gestiegen sind. Sehr verehrter Herr Minister, dies würde ich nun ja gern Ihnen zuschreiben und sagen, das sei Ihr Werk gewesen. Sie wissen aber ganz genau, daß das nicht so ist. Herr Staatssekretär Logemann hat erklärt, daß die Brüsseler Beschlüsse über die Preissteigerungen real nur 2 0/0 ausgemacht haben.
Hier möchte ich auch ein Wort an die Verbraucher sagen, weil ja trotz der totalen Senkung der Zölle die Kälberpreise und die Rinderpreise hoch sind. Diese Zölle haben Sie, Herr Minister, ja senken lassen. Diese Preise sind ein Ausfluß der Weltmarktlage in diesem Bereich. Das zeigt sich auch in der Anpassung der Schweinepreise in diesem Jahr
das wird auch noch ein Jahr so bleiben —, das zeigt sich auch an einem relativ hohen Getreidepreis. Ich möchte darauf hinweisen, daß man sich in der FAO-Studie — und nicht nur dort — schon Gedanken macht, ob die Gesamtweltvorratslage an Getreide in der Zukunft gesichert sein wird. Der kanadische Landwirtschaftsminister hat die gesamte Produktion von Getreide wieder freigegeben, auch in Amerika hat man sich Mühe gegeben, die Produktion wieder anzukurbeln. Wir wissen, daß im europäischen und außereuropäischen Bereich auch in diesem Jahr wieder eine größere Nachfrage nach Getreide bestehen wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich zu den Verbrauchern und Verbraucherverbänden sagen: Hieran wird deutlich, was geschehen könnte, wenn keine genügende einheimische Produktion vorhanden sein wird. Das bedeutet Preissteigerungen auf der ganzen Linie. Deshalb ist auch in der Agrarpolitik eine ausreichende Ausstattung der Landwirtschaft, um die Produktion in diesem Bereich zu sichern, die beste und auch für die Verbraucher wirkungsvollste
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Bewerunge
Hilfe gewesen und wird es auch für die Zukunft sein.
Die langfristige Beobachtung der Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft erfordert auch, daß man die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise mit der Entwicklung der Betriebsmittelpreise vergleicht. Hier klafft die Preis-KostenSchere sehr zuungunsten der Landwirtschaft. Auch hieran trägt die Bundesregierung ein gerütteltes Maß an Schuld. Kostensteigerungen außerhalb der Londwirtschaft mit teilweise inflationärem Charakter treffen hier einen Wirtschaftszweig, dessen Expansionschancen auf dem Markt relativ gering sind.
Ich darf also folgendes aus dem Gesagten zusammenfassen:
Erstens. Daß sich die Einkommensverhältnisse im Wirtschaftsjahr 1970/71 nach oben entwickelt haben, wird von uns bestätigt. Diese Entwicklung kann jedoch nicht überbewertet werden. Sie wird sich im laufenden Wirtschaftsjahr wohl kaum fortsetzen. Die Prognosen für 1972 73 — auch im Agrarbericht - sind durch die jüngste Entwicklung über-holt.
Zweitens. Die Bemühungen der Bundesregierung um eine langfristige Sicherung der Existenzchancen unternehmerischer Landwirte in entwicklungsfähigen Betrieben müssen intensiviert werden. Vorrangig ist wie immer — ganz besonders in der Landwirtschaft — die Bekämpfung der inflationären Tendenzen, die wir immer noch vorfinden.
Da die Einflüsse der Erzeugerpreise von ausschlaggebender Bedeutung für die Betriebseinkommen aller landwirtschaftlichen Betriebe sind, muß die Bundesregierung in einer inflationären Umwelt weiter aktive Preispolitik betreiben, damit die Landwirtschaft absolut und relativ keine Einkommenseinbußen erleidet.
Drittens. Die Landwirtschaft hat auf ihren Märkten nur begrenzte Wachstumschancen. Für ihre Weiterentwicklung ist deshalb eine primär auf Stabilität ausgerichtete Wirtschaftspolitik lebensnotwendig.
Das relativ gute Ergebnis für 1971/72 wurde auch dadurch positiv beeinflußt, daß sich die Voraussetzungen hinsichtlich Inanspruchnahme der sogenannten Vorleistungen für die Produktion kaum verändert haben. Das ist — das wird im Agrarbericht für interessierte Leser deutlich — die Folge einer erheblichen Liquiditätsenge in der Landwirtschaft.
Geradezu bedrohlich ist, daß die Nettoinvestitionen für das Berichtsjahr nur noch 10 °/o der Nettoinvestitionen für 1969/70 ausmachen. Es hat also praktisch keine bzw. nur geringe Wachstumsinvestitionen gegeben. Beispielsweise ist das Bauvolumen an Betriebsgebäuden — so sagt es die Statistik — um 12 °/o zurückgegangen. Im Bereich der Investitionen bedeutet Stillstand aber Rückschritt. Das kann auch der Unternehmer Landwirt nicht lange vertragen.
Eine zweite Zahl, die mich selbst schockiert hat, macht etwas deutlich, was wir noch ernster nehmen sollten. In einem Jahr, dessen Verlauf von der Bundesregierung als günstig bezeichnet wird, übertraf die Kreditaufnahme die Nettoinvestitionen in der Landwirtschaft um 600 Millionen D-Mark. Das ist sicher ein alarmierender Tatbestand. Insgesamt wurden in den Jahren 1969/70 bis 1972 rund 1,5 Milliarden D-Mark mehr Kredite aufgenommen, als Nettoinvestitionen getätigt wurden.
— Das bedeutet, lieber Herr Kollege Saxowski, daß die Landwirtschaft aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht in der Lage war — so muß man das sehen -, die Abschreibungen herauszuwirtschaften. Hier zeigt sich, wie bedrohlich die Lage der Landwirtschaft in dieser Zeit geworden ist.
In diesem Zusammenhang besteht auch — immer fußend auf den Statistiken des Grünen Berichts — folgendes Problem. Die Abschreibungen werden vom Anschaffungswert der Investitionen vorgenommen. Wegen der hohen Inflationsrate ist der Wiederbeschaffungswert jedoch wesentlich höher als der Anschaffungswert. Ein ,nicht unwesentlicher Teil der Investitionen muß daher aus bereits versteuerten Gewinnen getätigt werden. Es ist ein einfaches Rechenexempel, wie lange die Bauern das durchhalten können.
Auch in der Wissenschaft hat man sich mit diesen Fragen eingehend beschäftigt. So ist z. B. Herr Professor Henrichsmeyer aus Bonn der Auffassung, daß erhöhte Investitionszuschüsse notwendig sind, um in der Landwirtschaft bei dieser Umwelt Wachstumsinvestitionen zu ermöglichen. Professor Köhne aus Göttingen hat am Beispiel der Milchviehhaltung nachgewiesen, daß Wachstumsinvestitionen nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich sinnvoll sind. Ich glaube, hier wird deutlich, daß uns mittlerweile die Grenzen für eine modernere, in der Entwicklung befindliche Landwirtschaft aufgezeigt sind.
Es ist auch für den Anpassungsprozeß in der Landwirtschaft nicht hilfreich, sondern sogar schädlich gewesen, das Investitionsförderungsprogramm radikal zu ändern. Es ist sicher der falsche Weg gewesen, die Landwirtschaft dauernd darauf hinzuweisen, sie solle sich anpassen, wenn man zur gleichen Zeit ungünstige ökonomische Gesamtdaten geschaffen und dann auch noch die betrieblichen Investitionsförderungen beschnitten hat.
Jetzt kommt ein Thema, Herr Minister Ertl, bei dem ich mich gewundert habe: Noch schlimmer ist es nämlich, daß Sie, Herr Minister, einem EWG-Förderungsprogramm rechtsverbindlich zugestimmt haben, das in seinen Grundzügen für die Landwirtschaft nachteilig ist, und daß Sie sich dessen sogar noch rühmen. Ich darf hier auf einen Beschluß des Deutschen Bundestages hinweisen. Ich war seinerzeit, als wir uns mit den Gemeinschaftsaufgaben der EWG befaßten, selbst Vorsitzender des kleinen Fachausschusses. Das haben am 8. Mai 1968 alle Parteien einstimmig beschlossen, und dazu heißt es in Drucksache V/2800:
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Die künftigen Gemeinschaftsprogramme sollen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf den von ihnen erfaßten Teilgebieten der AgrarProduktions- und Marktstrukturpolitik koordinieren.
Und das Wesentlichste heißt dann:
Den Regierungen der Mitgliedstaaten soll die Wahl der Form und Mittel, hier insbesondere die Auswahl der Vorhaben und die Festlegung der Schwerpunktgebiete, weitgehend überlassen bleiben.
Das haben wir dann am 8. Mai 1968 bei den Besprechungen über die Gemeinschaftsaufgaben einstimmig beschlossen. Diese Linie haben Sie mit der Unterzeichnung der EWG-Strukturrichtlinien einfach verlassen — mit der geringen Gegenleistung von 2 °/o realer Preiserhöhung. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß Strukturpolitik immer Regionalpolitik gewesen ist und auch immer bleiben wird. Wir haben jetzt die seltsame Situation, daß wir von Sizilien bis zum Nordkap einheitliche Richtlinien haben und so tun, als ob man in diesem Raum die Probleme der Landwirtschaft einheitlich behandeln könnte.
Der zweite, noch schwierigere Punkt ist, daß sich die Förderschwellen nach dem Bruttoeinkommen im außerlandwirtschaftlichen Bereich richten. Hier treten die kuriosesten Zustände auf. Ich will Ihnen das an einem Beispiel aus Westfalen deutlich machen. Im Kreise Wittgenstein mit seinen geringeren außerlandwirtschaftlichen Einkommen wird die Förderschwelle niedrig sein; im benachbarten Kreis Siegen mit höheren außerlandwirtschaftlichen Bruttoeinkommen wird die Förderschwelle hoch sein. Aber die Landwirte dort wirtschaften in gleicher geographischer Lage und mit gleichen Bodenqualitäten.
Wie soll draußen ein Berater bei diesen von Ihnen geforderten starren Richtlinien noch zurechtkommen? Sie haben diese Richtlinien zwar variabel gemacht, aber uns ist bekannt, daß die EWG Ihre Variabilität nicht anerkennen will.
Es gab in der gesamten Agrarstrukturpolitik immer schon einen Grundsatz, und das ist der Grundsatz der Tüchtigkeit des Betriebsleiters. Und die ist meßbar!
Jener andere Maßstab ist ein Ausfluß eines akademisch erdachten Förderungssystems, das in der Praxis nicht anwendbar ist. Es lohnt sich oft, auch Betriebe mit weniger als 20 ha noch zukunftsorientiert zu fördern, und ich kenne andererseits Betriebe, die auch mit 100 ha nicht förderungswürdig sind. Hier sind Schemata und Tatbestände angesprochen worden, die mit der Praxis nichts mehr zu tun haben. Und ich fürchte, Herr Minister, daß Ihr von Ihnen so gerühmtes einzelbetriebliches Förderungsprogramm in diesem Bereich zum Schiffbruch verurteilt ist und daß ein gut begonnenes Strukturwandlungswerk in der deutschen Landwirtschaft sein Ende finden wird.
Nun darf ich Sie herzlich bitten, die Verantwortung für diese Entscheidungen nicht den Beratern
draußen zu überlassen, sondern selbst zu erklären, wie Sie diese Richtlinien auszulegen wünschen. Die Frage ergibt sich vor Ort jeden Tag, und vor Ort kommen jeden Tag neue Schwierigkeiten. Die Frage, die ich dabei stellen muß, heißt: Ist es den Bundesländern überhaupt noch möglich, selbst zu fördern? Sie kennen den hervorragenden, in Bayern gewählten Weg, nämlich den einer differenzierten Förderung in den verschiedenen Regionen. In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt es unterschiedliche Förderungsrichtlinien. Wir sollten uns bemühen, den Schwerpunkt der Aufgabenstellung der Strukturpolitik in die Region, in die Länder zu verlegen, weil diese doch sinnvollere Vorstellungen haben als wir oder gar ein Zentralist in Brüssel, der von dort aus bestimmte Aussagen machen will.
Ich darf noch ein Wort zur Disparität der Einkommen sagen. Die außerlandwirtschaftliche Disparität ist immer noch weitaus größer, als sie in den 60er Jahren war. Also kann die Agrarpolitik der damaligen Regierung nur als sehr gut bezeichnet werden. Um es noch einmal zu betonen: das Ziel, die Landwirte an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen zu lassen, ist nicht erreicht worden. Aber auch die innerlandwirtschaftliche Disparität ist gewachsen. Viele Betriebe liegen weit unter dem Durchschnitt, teilweise um 25 %. Über diese Fragen sollten wir uns fachkundig unterhalten, denn auch dazu muß etwas gesagt werden.
Meine Damen und Herren, seit drei Wochen ist das Währungssystem erneut großen Spannungen unterworfen. Die Vorstellung, daß man auf dem agrarischen Sektor die Integration Europas mit der Rechnungseinheit fördern könnte, ist leider nicht Wirklichkeit geworden. Wir haben hier die Frage an Sie zu richten: Was wird geschehen, wenn wir die Paritäten endgültig wieder festschreiben, und was können wir tun, um die deutsche Landwirtschaft vor größeren Schäden zu bewahren? Wir haben Sie damals schon gebeten, das Grenzausgleichssystem beizubehalten. Dies scheint jetzt in Europa üblich zu werden. Wir bitten Sie dringend, ja, leidenschaftlich, das bisherige System zu verteidigen. Wir lesen von neuen, systemändernden Wirkungen unseres Marktordnungssystems mit Rechnungseinheiten. Sorgen Sie dafür, daß nicht noch einmal ein Verteilungsprozeß mit Geld an die Landwirte stattfinden muß, denn hierbei ist der tüchtigste Betriebsleiter immer benachteiligt! Behalten Sie das Grenzausgleichssystem bei! Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch dazu etwas sagten, wenn es sein muß, im Fachausschuß, falls Sie nämlich glauben, daß eine Information über Interna hier nicht sinnvoll ist.
Wir sind auch sicher, daß die künftigen Handelsgespräche mit den USA auf der Grundlage des europäischen Agrarmarktes nach einer exakten Bestandsaufnahme erfolgen müssen. Wir sind selbstverständlich bereit, den USA in ihrer schwierigen Lage zu helfen. Wir haben das bisher getan, wie die Agrarstatistik und die Handelsbilanz zeigen. Im Interesse einer arbeitsteiligen Wirtschaft in der Welt können wir auf einigen Sektoren und bei einigen Waren bestimmt zu vernünftigen Über-
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Bewerunge
einkünften kommen. Ich denke z. B. an Sojaschrot, an andere Futtermittel usw.
Nun ein Wort, Herr Minister, zu zwei sehr wichtigen, die Umwelt betreffenden Gesetzen, zum Bundeswaldgesetz und zum Landschaftspflegegesetz. Sie haben im Ernährungsausschuß in schöner Offenheit gesagt, Ideologen könnten in zwei Jahren mehr zerstören, als gescheite Leute in 20 Jahren wiederaufbauen können. Für dieses Wort bedanke ich mich.
Hier wird aber aus der Sicht der Länder deutlich, daß die Auffassungen darüber, ob es Vollgesetze oder Rahmengesetze werden sollen, unterschiedlich sind, unabhängig von der politischen Konstellation. Ich möchte Sie im Interesse einer zügigen Beratung dieser Gesetze, die wir draußen dringend erwarten, die auch die Bevölkerung von uns erwartet, darum bitten, entsprechendes Recht einfach einmal in der Praxis zu testen, damit wir endlich damit arbeiten können und uns nicht länger im Vorfeld der Auseinandersetzungen über Voll- oder Rahmengesetz unterhalten. Seien Sie auch hier Pragmatiker, damit wir diese Gesetze recht bald im Interesse der Bevölkerung verabschieden können.
Ich darf zusammenfassen. Die Lage der Landwirtschaft hat sich gegenüber 1970/71 verbessert. Das Regierungsziel der vollen Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Wohlstandssteigerung wurde nicht erreicht. Die inflationäre Entwicklung macht der Landwirtschaft besonders zu schaffen. Die Voraussagen der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft im laufenden Wirtschaftsjahr sind zu optimistisch. Der Einkommenszuwachs ist in manchen Teilen der Bundesrepublik Deutschland schon wieder rückläufig. Der strukturelle Anpassungsprozeß wird nicht ausreichend gefördert. Die währungspolitischen Probleme sind noch ungelöst. Der Landwirtschaft drohen neue Kostenerhöhungen durch die Maßnahmen der Bundesregierung, besonders auf dem Gebiet der Mineralölsteuer. Diese gilt es abzuwehren, da sie das ohnehin geringe Einkommen der Landwirtschaft schmälern und Wettbewerbsverzerrungen in der EWG herbeiführen.
Meine Damen und Herren, der Kürze der Zeit wegen erlaube ich mir, den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion sofort mitzubegründen, damit, Frau Präsidentin, dieser Antrag gleich an die entsprechenden Fachausschüsse, nämlich an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. überwiesen werden kann.
Bitte, Herr Kollege! Bewerunge : Es heißt darin:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. darauf hinzuwirken, daß im Rahmen der von ihr beschlossenen Mineralölsteuererhöhung keine Erhöhung für Gasöl zur Verwendung in landwirtschaftlichen Betrieben eintritt, da eine derartige Erhöhung die Produktion landwirtschaftlicher Produkte verteuert, zu einer Einkommensminderung der in der Landwirtschaft Tätigen führt und Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EWG herbeiführt.
Meine Damen und Herren, schon durch die Mineralölsteuererhöhung ist der gesamte ländliche Bereich, sind die Flächenstaaten ganz besonders belastet, aber wir können hier nur speziell für den Bereich der Landwirtschaft etwas tun.
Wir sind nach einer intensiven Umfrage über die Auswirkungen der Krankenversicherung für Landwirte der Auffassung, daß die Bundesregierung darauf hinwirken soll, daß
2. die Beiträge in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung für mithelfende Familienangehörige auf 50 v. H. der Beiträge für landwirtschaftliche Unternehmer gesenkt werden;
denn das Mehr erscheint einfach ungerecht und zu hoch. Weiter soll die Bundesregierung ersucht werden,
3. darauf hinzuwirken, daß kriegsbeschädigte landwirtschaftliche Unternehmer im Rahmen der Krankenversicherung wieder ihren früheren Besitzstand erlangen.
Ich hoffe, Sie haben auch Briefe dazu in ausreichendem Maße vorliegen. — Außerdem gilt es, das Problem der „überwiegenden Tätigkeit in der Landwirtschaft" oder im gewerblichen, industriellen Bereich — ich weiß, daß das im Gesetz steht — anzupacken, und so haben wir bewußt formuliert:
4. darauf hinzuwirken, daß Landwirte, die ständig zwischen landwirtschaftlicher und außerlandwirtschaftlicher Tätigkeit wechseln, für ständig von der Versicherungspflicht in der
Krankenkasse befreit sind;
Hier ergeben sich Grenzen und Möglichkeiten, die wir durchsprechen müssen.
Ferner wollen wir die Bundesregierung ersuchen,
5. darauf hinzuwirken, daß durch die ausreichende Bereitstellung gesetzlich abgesicherter Bundeszuschüsse für die landwirtschaftliche Unfallversicherung sichergestellt wird, daß die Jahresarbeitsverdienste als Grundlage der Leistungen aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung angemessen erhöht werden können.
Auch hier sind wir in einer ganz prekären Situation.
Und hinsichtlich des Problems des Grenzausgleichs haben wir formuliert:
6. darauf hinzuwirken, daß ein verbessertes Grenzausgleichssystem so lange beibehalten wird, bis Währungsparitätsänderungen einzelner Mitgliedstaaten der EWG ausgeschlossen sind, ohne die Grundsätze der EWG-Marktordnungen auszuhöhlen.
Meine Damen und Herren! Herr Minister! Wir versprechen Ihnen in all diesen Fragen volle
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Bewerunge
Kooperation. Wir werden aber immer dann Kritik anmelden, wenn wir glauben, daß Sie in einigen Bereichen nicht das erfüllt haben, was Sie in Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, und Sie, Herr Bundesminister Ertl, uns versprochen haben.
Erlauben Sie mir bitte, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen. Nach § 39 unserer Geschäftsordnung soll die Redezeit des einzelnen Redners 15 Minuten möglichst nicht überschreiten. Ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß alle Redner hier eine weitaus längere Redezeit beantragt haben. Vielleicht können wir uns doch ein bißchen an diesen Paragraphen der Geschäftsordnung halten.
— Sie sind doch sicher damit einverstanden, daß man sich möglichst kurz faßt.
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die dicken „schwarz-grünen" Tränen der Opposition sind diesmal ausgeblieben. Das war auch nicht anders zu erwarten, nachdem ja die Opposition Bundesminister Ertl bei seiner Einbringungsrede sehr viel Beifall gespendet hat.
Meine Damen und Herren, unsere Einschätzungen des vergangenen Jahres über das hier zu behandelnde Wirtschaftsjahr sind bestätigt worden, und Ihre im vorigen Jahr vorgetragene Katastrophentheorie hat sich nicht bestätigt.
Auch hat sich Ihr Versuch nicht gelohnt, die Menschen auf dem Lande krank zu beten. Das haben Sie ja auch in der Wahlnacht vom 19. November zu spüren bekommen.
— Herr Kollege Bewerunge, dies ist an Ihre ganze Fraktion, nicht an Sie persönlich gerichtet. Sie haben im vergangenen Jahre zu sehr überdreht, und wir wußten: überdrehen lohnt sich nicht. Man muß schon von Tatbeständen ausgehen und dann die Lage beurteilen.
Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis dafür, für Sie in der Opposition, daß Sie dieses Ergebnis, das sich doch immerhin sehen lassen kann, dem Wettergott zugute schreiben. Auch wir wollen nicht abstreiten, daß dafür auch Umstände in Betracht kommen, auf die wir keinen Einfluß hatten. Wir sind mit Ihnen auch der Meinung — und wer könnte etwas dagegen sagen? —, daß der Fleiß der Bauern dazu beigetragen hat. Wer
wollte hier je behaupten, daß die Bauern keine fleißigen Leute gewesen seien?
Aber ich glaube, zwei Faktoren sind bei der Beurteilung dieses Ergebnisses zu kurz gekommen, und zwar erstens, daß die Politik der Bundesregierung für eine hohe Verbraucherkaufkraft gesorgt hat, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, bessere Erlöse zu erzielen — aus der Rezessionszeit der Jahre 1966 und 1967 wissen wir, was Kaufkraft bedeutet —,
und zweitens, daß sich die Bundesregierung in Brüssel selbst bei Überschußprodukten erfolgreich um Preiskorrekturen bemüht und Verluste auf Grund der Ereignisse im währungspolitischen Bereich verhindert hat.
Meine Damen und Herren, wir sind über das Ergebnis des Agrarberichtes sehr befriedigt. Wir sind auch mit der Einbringungsrede des Ernährungsministers einverstanden, und wir begrüßen insbesondere auch den Teil Agrarpolitik in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Dieses Ergebnis wird uns nicht zu einer Euphorie verleiten. Denn wir wissen ganz genau, daß es in einigen Jahren wieder einmal ganz anders sein kann. Das haben Sie am Anfang der sechziger Jahre selber gespürt. Deswegen sollten Sie nicht so reden, als ob es ein mieses Jahr wie 1970/71 nicht auch schon früher gegeben hätte.
Und draußen im Land? Die Bauern sind im allgemeinen zufrieden. In den Dörfern ist kein Rumoren mehr. Wir haben das mit Befriedigung festgestellt. Selbst der Bauernverband konnte nicht umhin, dies ein wenig anzuerkennen, obwohl er in der Art des Zensierens teilweise danebengegriffen hat.
In dem Agrarbericht werden auch eine Fülle von Problemen angesprochen, die nach wie vor bestehen und um die wir uns kümmern müssen. Vieles ist dabei richtig dargestellt. Aber wenn wir die ganzen Probleme mal ein bißchen sortieren, wird es schon schwierig, weil wir nämlich feststellen müssen, daß ein Teil dieser Probleme auf unserer Ebene hier im Bundestag gar nicht zu lösen ist. Vielmehr liegt einiges auch in der EWG.
Ich darf daran erinnern, daß Bundesminister Ertl in seiner Rede am vergangenen Freitag auch die Problematik in der EWG richtig angesprochen hat. Man kann mit der gegenwärtigen Politik in der EWG nicht zufrieden sein. Sie befriedigt nicht. Immer, wenn es schwierig wird, wird der Schrei nach Konzeptionen laut. Da gibt es Gutachten und Denkmodelle. Auch Herr Ertl hat sie angesprochen.
Ich meine, wir können diese Gutachten und Denkmodelle nicht einfach beiseite schieben. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, und wenn sie noch so grausam sind, sie hier in unserem Hause zu diskutieren. Ich werde mir erlauben, dem Ausschuß vorzuschlagen, darüber zu verhandeln, damit man einmal sieht, was alles in den Köpfen dabei herumspukt, was vernünftig ist und was nicht ver-
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Dr. Schmidt
nünftig ist. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es eine Heilslehre für die Probleme der Landwirtschaft und des flachen Landes nicht gibt. Ich bin dafür, daß man mit großem Realismus an die Dinge herangeht.
Meine Damen und Herren, ich bin mir selbstverständlich bewußt, daß es im Augenblick — ich unterstreiche das — in der EWG-Agrarpolitik eine Fülle aktueller und schwieriger Einzelprobleme gibt, die uns in diesen Wochen noch beschäftigen müssen: erstens die Entwicklung im Währungsbereich, zweitens die sich immer deutlicher abzeichnende, nicht von ungefähr kommende Katastrophe auf dem Milchmarkt und drittens die GATT-Verhandlungen, die vor der Tür stehen und deren Bedeutung von Tag zu Tag wächst, auch für die Agrarpolitik. Ich hielte es nicht für richtig, daß wir das im Augenblick erörtern, auch nicht, daß wir die Regierung animieren, darüber Aussagen zu machen. Das ist hier nicht der Platz; wir sollten uns vielmehr im Ernährungsausschuß die Dinge einmal vortragen lassen, damit wir in der politischen Wertung nicht ganz danebenliegen.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Hinweis geben. Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung davon gesprochen, daß sich die Bundesregierung in der EWG um bessere Wettbewerbsbedingungen für unsere Landwirte bemühen wird. Damit erkennt diese Bundesregierung zum erstenmal von allen Regierungen überhaupt an, daß die deutsche Landwirtschaft im Wettbewerb schlechter gestellt ist.
Das EWG-System, das wir heute haben, kann schon deswegen nicht funktionieren, weil nur die Marktordnungsinstrumente, die Preisgrenzen für den Außenhandel und die Interventionsbedingungen harmonisiert worden sind. Alles übrige ist den Einzelstaaten überlassen. Mir scheint es auf die Dauer zu unerträglichen Verhältnissen zu führen, wenn es beispielsweise den nationalen Stellen weiter überlassen bleibt, Einkommenspolitik mit Sozialsubventionen und Steuerpolitik zu betreiben — denken Sie nur an die Differenzierung der Mehrwertsteuer von 0 bis 8 °/o in der Bundesrepublik —, unter dem Vorwand von Strukturverbesserungen neue Produktionskapazitäten an falschen Standorten zu errichten, den Export dieser Erzeugnisse durch subventionierte Eisenbahntarife zu fördern und die im innergemeinschaftlichen Warenverkehr beseitigten Zölle und Kontingente durch Steuern, parafiskalische Abgaben, neue Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken zu ersetzen.
Nachdem sich die EWG-Kommission trotz eindeutiger Vorschriften im Vertrag von Rom als unfähig erwiesen hat, mit diesen Praktiken aufzuräumen, muß und wird sich die Bundesregierung verstärkt darum kümmern. Das hat sie in ihrer Regierungserklärung zugesagt. Wir werden die Regierung bei diesem Bemühen natürlich auf das Beste unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es war verständlich, daß Bundesminister Ertl am letzten Freitag die Frage der europäischen Preisprobleme ausgeklammert hat. Die Grundformulierung im Agrarbericht, sich „im Hinblick auf die allgemeine Einkommens- und Kostenentwicklung und im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse für eine Verbesserung des Agrarpreisniveaus durch gezielte Preisanhebungen" einzusetzen, ist, so meine ich, ausgewogen und richtig. Die Bauernverbände haben uns gestern ihre Preisforderungen in die Fächer gelegt. Von der EWG-Kommission ist durchgesickert, welche Absichten sie auf dem Gebiet der Preisentwicklung verfolgt. Ich möchte der Bundesregierung und allen anderen empfehlen, angesichts der Bemühungen um Stabilität und auch im Hinblick auf die schweren GATT-Verhandlungen Verstand und Vernunft dabei walten zu lassen und, wenn es möglich ist, über den Kirchturm des Jahres 1973/74 zu schauen. Damit werden wir dem Ganzen am besten dienen.
Bevor ich das EWG-Thema verlasse, gestatte ich mir noch ein paar Bemerkungen ganz allgemeiner Art. Wenn man diese Entwicklung in der EWG verfolgt, kommt man nicht umhin, erhebliche Kritik daran zu üben, daß im Laufe der letzten zehn Jahre mehr als 15 000 Verordnungen allein auf dem Agrargebiet erlassen worden sind — ohne die vielen Richtlinien Bekanntmachungen und Entscheidungen —, und das bei nur zehn Artikeln eines Vertrages, der 248 Artikel umfaßt.
Wir haben gerade gestern im Ernährungsausschuß wieder einmal ein Beispiel gehabt. Da stand eine Verordnung des Rates über die Koordinierung der Agrarforschung zur Beratung. Meine Damen und Herren, es ist uns in 20 Jahren in der Bundesrepublik nicht gelungen, die Agrarforschung zu koordinieren. Was soll nun erst in der EWG werden, wo wir es nicht nur mit sechs, sondern mit neun Ländern zu tun haben? Bitte entschuldigen Sie von vornherein meine letzte Bemerkung hierzu: In dem ganzen Konzert dieser Verordnungen und Marktordnungen fehlt nur noch eine für kleine Tierchen, die den Menschen ab und zu einmal an gewissen Körperteilen Juckreiz verursachen. Dann wäre das Ganze komplett.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Herr Kollege, wäre dann nicht zu überlegen, ob Sie eine Koordinierungsstelle für Koordinationen vorschlagen und darüber beraten lassen sollten?
Herr Kollege Wehner, das wäre allerdings der Punkt obendrauf. Das werden wir demnächst auch vorschlagen.
Ich möchte der Regierung also nur die Empfehlung geben, dafür zu sorgen, daß die Fülle der Verordnungen unterbleibt. Ein Weniger wäre in jedem Falle ein Mehr.
Meine Damen und Herren, der Agrarbericht hat ein anderes Gesicht bekommen. Wenn Sie sich die
734 Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Dr. Schmidt
Gliederungen ansehen, werden Sie feststellen, daß dabei viele Bereiche angesprochen sind, die mit der Ertragslage der Landwirtschaft unmittelbar nichts mehr zu tun haben.
Mit Recht ist in dem Bericht auch vom ländlichen Raum die Rede, von seiner Funktionsfähigkeit und von den Menschen, die dort leben und die sich dort erholen müssen. Wenn wir von einer Politik für den ländlichen Raum sprechen, darf das natürlich keine leere Fassade bleiben.
Darum werden wir uns mehr zu kümmern haben als bisher.
In diesen großen Zusammenhang der ländlichen Räume sind auch die zukünftigen Strukturprobleme zu stellen, die sich meines Erachtens — ich habe das hier schon in früheren Jahren einmal gesagt — aus dem technischen Fortschritt ergeben. — Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Schmidt, sind Sie der Meinung, daß Frachtverteuerungen durch Mineralölsteuererhöhungen der Wirtschaft im ländlichen Raum dienlich sind? Taten brauchen wir, nicht große Worte!
Bei der Mineralölsteuer war ich noch gar nicht. Aber im übrigen wird die Landwirtschaft darunter nicht zu leiden haben; das wissen Sie doch heute schon.
Worauf haben wir uns einzustellen? Nach Angaben der Betriebswirtschaftler und der Landtechniker auf Betriebe mit Großmaschinen, mit Trennstücken von 10 ha und größer, mit Viehbeständen von 60 und mehr Stück, bei Spezialbetrieben von 200 Stück, mit Sauenhaltungen von mindestens 100 Stück usw. usw. Ich könnte das fortführen, will es mir aber ersparen. Bei dieser vorausgesagten Entwicklung handelt es sich in der Tat nicht um Utopien, sondern um Aussagen, die wir ernst zu nehmen haben. Das kann man nämlich schon an Hand von Beispielsbetrieben sehen, und was die Technik angeht, so können Sie es auch auf jeder Ausstellung finden.
Ich glaube, es ist keine Phantasterei, wenn wir auch in unseren politischen Betrachtungen einmal diese Entwicklung in Rechnung stellen. Ich führe das hier ja nicht an, um eine besonders harte Note in diese Diskussion zu bringen, sondern um uns allen klarzumachen, in welchen Denkkategorien man sich heute, wenn es um die optimale Nutzung von Boden, Kapital und Arbeit geht, schon bewegt. Dabei handelt es sich nicht einmal um politische Zielvorstellungen, sondern um nüchterne Überlegungen, die aus der Technik und dem wissenschaftlichen Fortschritt geboren sind, und ich meine, niemand, keine politische Kraft wird diese Entwicklung verhindern können. Wir können die landwirtschaftlichen Unternehmer nicht hindern, sich dieser Fortschritte zu bedienen. Nicht einmal mit Gesetzen und auch nicht mit Geld können wir das zu verhindern suchen.
Wir werden also in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine Entwicklung erleben, die alles, was wir in den letzten 15 Jahren gehabt haben, in den Schatten stellt. Ich schätze, daß sich die Zahl der Erwerbstätigen noch einmal um die Hälfte reduzieren wird. Wir werden in Zukunft möglicherweise nur mit 150 000 marktleistungsfähigen Betrieben rechnen können. Daneben wird es natürlich eine drei- bis vierfache Zahl von Teilzeitbetrieben geben, und dann müssen alle möglichen Kombinationen in Form der Kooperation zwischen den einzelnen Betriebsgrößen dazugerechnet werden. Um diese Kooperation werden wir uns in den nächsten vier Jahren mehr kümmern müssen als bisher. Wir haben das auch bereits im Ernährungsausschuß angesprochen.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung sollte uns nicht erschrecken. Gerade wir im politischen Raum sollten ihr auch nicht mit Resignation begegnen. Wie ich meine, wäre selbst eine dramatische Entwicklung zu ertragen; sie darf nur nicht tragisch für die einzelnen Familien enden. Hier beginnt unsere Aufgabe.
Ein weiteres Problem, das sich damit verbindet, ist das der Bodenmobilität. Von Sachverständigen wird geschätzt, daß sich die Brachflächen verzehnfachen, also die 3-Millionen-ha-Grenze erreichen werden. All das — Brachflächen, strukturelle Entwicklung auf dem Lande — wird den ländlichen Raum in der Gesamtheit in einer Weise verändern, die man sich heute im allgemeinen nicht vorstellen kann. Es wäre nur dafür zu sorgen, daß erstens keine sozialen Krisenherde auf dem Land entstehen und zweitens das Land dabei nicht entvölkert wird. Die Gefahren sind in jedem Fall groß.
Ich möchte einige Bemerkungen zu Problemen machen, die uns unmittelbar auf den Nägeln brennen. Im Hinblick auf diese kommende Entwicklung halte ich die Fortschreibung und die Überprüfung des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms für notwendig, und zwar in der Richtung, daß — erstens — ein entwicklungsfähiger Betrieb auch in Zukunft Entwicklungschancen haben muß. Daran knüpft sich die Frage — zweitens —: Müssen bestimmte Bestandsgrößen von vornherein endgültig festgesetzt werden oder ist die Bautechnik heute schon so weit entwickelt, daß eine Erweiterung nach einigen Jahren mit vertretbarem Aufwand möglich bleibt?
In diesem Zusammenhang gibt es eine ganze Reihe von Fragen um den Nebenerwerb. Um ihn wird oft ein törichter Streit geführt. Ich will es mir im Augenblick ersparen, darauf einzugehen.
Aber ich will weiterhin fragen: Wie sieht es mit der praktischen Durchführung der Förderungsrichtlinien in den einzelnen Bundesländern und in den Regionen aus? Wird nicht auf der einen Seite bei längst entwickelten Betrieben zu großzügig verfahren? Und werden nicht auf der anderen Seite mancherorts Idylle konserviert?
Noch etwas: Wie sind denn eigentlich zwischen Brüssel, Bonn usw. die Kompetenzen verteilt? Welcher Bewegungsspielraum bleibt im Rahmen der EWG-Richtlinie?
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 735
Dr. Schmidt
Führt nicht die ganze Konstruktion einschließlich der Anwendung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben zu einem undurchschaubaren Verwaltungsdschungel, der mehr innere Reibung verursacht, als er Ergebnisse zustande bringt? Die weitere Frage ist: Führt das Ganze nicht schließlich zu einer totalen Regionalisierung der Agrarpolitik überhaupt?
Nicht unwichtig ist schließlich die Frage — wenn ich an die Gemeinschaftsaufgaben denke —: Wo bleibt dabei eigentlich die parlamentarische Kontrolle?
Ist hier nicht das Haushaltsrecht des Parlaments tangiert?
Der Minister hat in seinen Ausführungen bei der ersten Besprechung im Ausschuß darüber von sich aus schon gesprochen. Er hat uns zugesagt, mit uns die ganze Problematik um die EWG-Agrarstruktur, das Förderungsprogramm und die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in unserem Ausschuß zu erörtern. Ich danke ihm dafür. Diese Aussprache ist schon deswegen wichtig, weil sich allmählich auf breiter Basis ein gewisses Unbehagen breitmacht.
Ein zweites Problem wird uns bald sehr nahe kommen. Ich meine das Bodenproblem. Der Strukturwandel dürfte in einigen Gebieten landwirtschaftliche Grundstücke in großem Umfange bald frei machen. Es wäre gefährlich, wenn diese Grundstücke den Spekulanten in die Hände fielen. Das darf auf keinen Fall geschehen.
Wenn man sich damit trösten sollte, daß man dann ein verstärktes Pachtrecht schaffen könnte, möchte ich dieser Argumentation entgegenhalten, daß die Rechte der Bewirtschafter selbst unter einem strengen Pachtrecht kaum gesichert werden können. Ich erinnere an die Vorgänge in unserem Nachbarland Dänemark. In Dänemark sind im Jahre 1972 die Hälfte aller verkauften Bauernhöfe in die Hände von Konzernen und kapitalkräftigen Leuten gelangt. Dort ist heute schon die Rede von der kapitalistischen Enteignung der Landwirtschaft. In England haben wir ähnliches zu verzeichnen.
Ich warne dringend vor einer Entwicklung, daß ein neuer Feudaladel den Bauern das Land wegnimmt, Versicherungskonzerne zu Großgrundbesitzern werden und eine Schicht von vagabundierenden Pächtern entsteht, wie das in den dreißiger Jahren in den Vereinigten Staaten zustande kam.
Das muß verhindert werden.
Aus diesem Grunde stellen wir uns vor, daß wir einen Bodenfonds entwickeln, auch um die Effizienz der Agrarstruktur-, der Infrastruktur- und anderer Raumordnungsmaßnahmen zu erhöhen, einen Bodenfonds, dem man natürlich ein besseres Vorkaufsrecht zubilligen muß. Das Vorkaufsrecht sollte bei den Siedlungsgesellschaften liegen, die heute in jedem Land vorhanden sind. Diese Gesellschaften sind ausreichend mit Eigenkapital und Kreditmitteln zu versorgen, um den Landauffang entsprechend
betreiben zu können. Die zentrale Betreuung eines solchen Fonds auf Bundesebene könnte zweckmäßigerweise bei der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank liegen. Die Apparatur ist vorhanden, die große Erfahrung dieser Institutionen sollten wir nützen. Wir haben Finanzierungsvorschläge zu machen, die dem Finanzminister nicht wehe tun.
Selbstverständlich dürfte dieser Bodenfonds nur eine Zwischenstelle für Land sein; das Land müßte an die entsprechenden Bedarfsträger weitergegeben werden. Wir müssen verhindern, daß das Land denjenigen in die Hand fällt, die die entsprechend dicken Brieftaschen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein letztes Thema kurz berühren, das uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird: die Frage der Marktposition der deutschen Landwirtschaft. Wir stellen fest, daß in unseren Nachbarländern enorme Produktionssteigerungen vonstatten gehen. Ich habe den Eindruck, daß nicht nur in Frankreich, sondern gerade in den drei neuen Ländern der Gemeinschaft „Erzeugungsschlachten", von amtlicher Seite propagiert, geschlagen werden.
Ohne auf die Probleme der Standortfragen, der Wettbewerbsunterschiede hier noch einmal einzugehen, weise ich darauf hin, daß alle Bundesregierungen bis heute den Standpunkt vertreten haben, daß man bei dieser Lage nicht anderthalb Schelme auf den einen setzen soll. Ich glaube, dieser Standpunkt ist im Grunde genommen richtig. Es ist aber ebenso richtig und wichtig zu wissen, daß unsere Partnerländer nicht freiwillig auf diese ihre Politik verzichten werden. Deshalb betone ich noch einmal das ernsthafte Bemühen dieser Regierung, ausgedrückt in der Regierungserklärung, um die Schaffung gleicher Wettbewerbsverhältnisse in der Gemeinschaft.
In der Sache Marktposition haben wir selber eine ganze Reihe von Unterlassungssünden hinter uns. Wenn ich mir das Marktstrukturgesetz und die Entwicklung der Marktstruktur vor Augen halte und wenn ich von den 600 heute gebildeten Erzeugergemeinschaften diejenigen abziehe, die ursprünglich einmal Genossenschaften waren und nur ihre Satzungen ein bißchen verändert haben, bleibt gar nicht viel übrig. Daraus ergibt sich für uns die Aufgabe, diese Fragen noch einmal gründlich zu durchdenken, und wir sind uns mit der Regierung einig, die Durchführung dieses Gesetzes noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Jedenfalls halten wir das Marktstrukturgesetz nach wie vor für ein entscheidendes Gesetz, das zur Verbesserung der Marktposition der deutschen Landwirtschaft auch wirklich beitragen kann.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Für uns ist der Agrarbericht 1971/72 kein Ruhekissen. Wir werden daran weiter hart arbeiten, und wir werden die Regierung unterstützen, die gesteckten Ziele zu verwirklichen. Die Opposition kann sicher sein, daß wir das mit der gleichen Energie tun wie in den Jahren 1969 bis 1972.
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Dr. Schmidt
Ich habe einige Punkte genannt, die meiner Fraktion besonders wichtig erscheinen. Ich möchte sagen, daß die nächsten vier Jahre Jahre der inneren Konsolidierung der Lage unserer Landwirtschaft sein müssen und sein sollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich eine kurze Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Bewerunge mache. Herr Bewerunge, das, was Sie hier gesagt haben, entspricht durchaus dem, was Sie im Bundestagswahlkampf vertreten haben. Dort war nämlich Ihr Leitmotiv, daß Sie erklärt haben: Es geht gar nicht um Agrarpolitik, es geht um Eigentumspolitik und Ostpolitik. Denn wenn Sie in der Zwischenzeit eine andere Auffassung bekommen hätten, hätten Sie von seiten der Opposition hier heute eine Alternative zu der Agrarpolitik entwickelt, die Josef Ertl hier für diese Regierung konzipiert hat.
Der Agrarbericht des Jahres 1972, also der vorletzte, wurde wenige Tage nach dem Zeitpunkt diskutiert, zu dem unser Bundesminister Ertl einen ent- scheidenden Durchbruch in der Festsetzung der Richt- und Orientierungspreise für Agrarprodukte beim Ministerrat in Brüssel erreichte. Vor einem Jahr wollte die Opposition angesichts der bevorstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg das damals erzielte positive Ergebnis in Brüssel nicht zur Kenntnis nehmen. Ja, man kann sagen, diese Leistung wurde in einer unerhörten Art und Weise herabgewürdigt.
Ich habe auf die damalige Kritik des Deutschen Bauernverbandes angemerkt, daß es gut gewesen wäre, dabei kritisch hinzuzufügen, daß die volle Beteiligung der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung bis jetzt nicht erreicht worden sei. Auch die Bundesregierung, an der Spitze Herr Bundeskanzler Brandt, war mit den Daten des Grünen Berichts vom Wirtschaftsjahr 1970/71 keinesfalls zufrieden. Der Kanzler selbst war es, der in seiner Rede am 17. März 1972 vor dem Deutschen Bundestag erklärte:
Die Bundesregierung setzt sich — unbeschadet der Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten — wie im vergangenen Jahr für eine gezielte Anhebung der Agrarpreise ein.
In der Zwischenzeit liegt nun der Grüne Bericht 1973 für das Wirtschaftsjahr 1971/72 vor.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Gallus, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, was gestern in einer auch Ihnen zugegangenen Information stand, daß nämlich die Ministerratsbeschlüsse bezüglich über die Anhebung der Agrarpreise nur zu einer Einkommensverbesserung um 1 bis 2 °/o geführt haben und alles andere auf Grund der veränderten Marktverhältnisse eingetreten ist?
Herr Kollege Susset, ich bin bereit, alles zur Kentnis zu nehmen, muß Ihnen aber sagen, daß in Brüssel noch nichts verabschiedet ist.
— Wir unterhalten uns hier zunächst einmal über den Grünen Bericht 1973. Davon habe ich gesprochen. Und jetzt gerade habe ich von dem gesprochen, was der Bundeskanzler im letzten Jahr bei dieser Debatte gesagt hat.Genauso wie wir uns in den vergangenen Jahren zu den nicht gerade erfreulichen Grünen Berichten bekannt haben, nehmen wir Freien Demokraten das Recht für uns in Anspruch, zu sagen: Die Entwicklung im Berichtszeitraum des hier vorliegenden Grünen Berichts ist für die deutsche Landwirtschaft günstig verlaufen. Über diese Tatsache brechen wir allerdings nicht in Jubel aus. Vielmehr prüfen wir diesen Bericht und ziehen aus ihm die Konsequenzen für die Gestaltung der Agrarpolitik in der Zukunft.Der Weg der weiteren Integration unserer Landwirtschaft in den Rahmen der EWG und unserer Volkswirtschaft wird schwierig bleiben. Doch eines können wir heute sagen: Der eingeschlagene Weg und das Konzept der Agrarpolitik, das unser Bundeslandwirtschaftsminister entwickelt hat, sind richtig. Angesichts des vorliegenden Berichts darf ich im Namen unserer Fraktion dem Herrn Bundeskanzler für sein großes Verständnis, welches er der erfolgreichen Tätigkeit von Bundeslandwirtschaftsminister Ertl entgegengebracht hat und entgegenbringt, recht herzlich danken. Wir danken aber auch unserem Bundeslandwirtschaftsminister.
Dieser Grüne Bericht, meine Damen und Herren, ist die Leistungsbilanz der deutschen Landwirtschaft. Wir wissen, daß er ermöglicht wurde durch eine 64-Stunden-Arbeitswoche in diesem Bereich mit wenig Freizeit und fast keinem Urlaub für die Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind. Ich würde sagen: Hut ab vor der Leistungsbereitschaft der Menschen — jung und alt —, die es dort heute noch gibt! Ich sage das in dem Bewußtsein, daß die Form der Landwirtschaft, der bäuerliche Familienbetrieb in allen seinen Variationen, nur dann zukunftsträchtig sein wird, wenn es gelingt, neben gleichem Einkommen auch die Lebensqualität auf dem Bauernhof in bezug auf Freizeit, Urlaub und dergleichen mehr zu steigern. Es ist nicht abwegig, sich die Frage vorzulegen: Wo wären wir mit der Handels- bzw. Leistungsbilanz unserer Volkswirtschaft ohne die Leistung unserer Landwirtschaft?Lassen Sie mich, bevor ich zu einer Analyse des Grünen Berichts komme, zu zwei, wie ich glaube, für
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 737
Gallusdie zukünftige Agrarpolitik entscheidenden Vorgängen Stellung nehmen.Zunächst zur Tatsache der Erweiterung der EWG auf neun Mitgliedstaaten im Januar dieses Jahres. Sosehr wir den Beitritt von weiteren drei Staaten zu unserer Gemeinschaft begrüßen, müssen wir doch erkennen, daß damit die Agrarpolitik in der EWG nicht einfacher geworden ist. Es wird eines großen Standvermögens in Brüssel bedürfen, um auch unseren Belangen hier von der Bundesrepublik aus gerecht zu werden.Eines allerdings scheint mir in diesem Zusammenhang von Bedeutung zu sein: Mit dem Beitritt von England, Dänemark und Irland hat sich der Selbstversorgungsgrad in bezug auf Nahrungsgüter in der EWG von 95 % auf 90 % gesenkt. Dies scheint mir im Zusammenhang mit der Tatsache, daß wir in der Bundesrepublik einen Selbstversorgungsgrad aus eigener Bodenproduktion von lediglich 60 bis 62 °/o haben, eine entscheidende Tatsache zu sein, eine Tatsache, die wirtschaftspolitisch meines Erachtens im Zusammenhang mit der Verflechtung Europas mit der übrigen Welt gesehen werden muß. Die Agrarpolitik der EWG sollte nun keineswegs so angelegt werden, daß möglichst rasch ein höherer Selbstversorgungsgrad in dieser größeren Gemeinschaft erreicht wird; es sollte vielmehr danach gestrebt werden, die freie Kapazität vernünftig in den Warenaustausch mit den USA und den Drittländern einzubauen.
Extensive Betriebsformen im Bereich der Nebenerwerbslandwirtschaft, insbesondere für die Produktion von Rindfleisch, würden dies zulassen.Damit komme ich zu der zweiten Tatsache, dem zweiten wichtigen Ereignis der letzten Tage, nämlich der Abwertung des Dollars, in deren Gefolge wir in den letzten Tagen in der Presse lesen konnten, wie stark die Amerikaner bei zukünftigen GATT-Verhandlungen darauf drängen werden, insbesondere die Agrarimporte von den USA in die EWG weiter auszubauen. Der Theaterdonner, welcher im Zusammenhang mit diesen Fragen erzeugt worden ist, scheint mir weitgehend übertrieben zu sein, wenn man sich die Tatsache vor Augen hält, daß gerade der Import von US-Produkten in die EWG auch im letzten Jahr wieder stark gestiegen ist. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß wir erkennen müssen, wie sehr auch die Agrarpolitik im Zusammenhang mit der Handelspolitik, der Außenpolitik und der Militärpolitik in unserem westlichen Verteidigungsbündnis zu sehen ist. Wir sind deshalb der Auffassung, daß wir bestrebt sein müssen und auch die Amerikaner davon zu überzeugen haben, daß es hier im Agrarsektor in der Zukunft nicht um eine handelspolitische Konfrontation gehen kann. Es geht vielmehr darum, die Probleme im gegenseitigen Einverständnis zu lösen. Dabei muß klar sein, daß die negative Handelsbilanz der USA nicht allein durch Agrarexporte ausgeglichen werden kann. Die Konsequenz, die wir aus der Währungssituation der letzten drei Jahre ziehen, kann jedenfalls nur sein, alles zu unternehmen, um recht bald zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion in Eu-ropa zu kommen. Wenn uns dies nicht gelingen sollte, müssen wir in aller Offenheit bekennen, daß der gemeinsame Agrarmarkt auf lange Sicht nicht zu halten sein wird.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun einige Anmerkungen zum Agrarbericht. Die langfristig konzipierte Agrarpolitik von Josef Ertl trägt in diesem Bericht ihre ersten Früchte. Wir begrüßen die strategische Konzipierung der Agrarpolitik auf breiter Grundlage, nämlich Gesellschaftspolitik im ländlichen Raum zu gestalten. Auf lange Sicht werden sich die Menschen im ländlichen Raum nur dann halten lassen, wenn es gelingt, sie einkommensmäßig mit der übrigen Bevölkerung gleichzustellen.
In dieser Hinsicht ist der vorgelegte Bericht ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft. Der Bericht weist aus, daß die Einkommen gegenüber dem vorhergehenden Wirtschaftsjahr stark gestiegen sind. Allerdings muß man dabei bedenken, daß der Grüne Bericht des Jahres 1970/71 eine starke Einkommensminderung für die Landwirtschaft auswies. Das Ergebnis des letzten Wirtschaftsjahres muß also im Zusammenhang mit den vorangegangenen drei Jahren gesehen werden. Trotzdem können wir sagen, daß die Landwirtschaft mit diesem Ergebnis den Anschluß an die allgemeine Entwicklung wiedergefunden hat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch in den übrigen Bereichen unserer Volkswirtschaft die Entwicklung nicht stillgestanden hat, sondern im Gegenteil stärker vorangeschritten ist, als das im agrarpolitischen Bereich der Fall ist. Obwohl die Disparität wiederum verringert werden konnte, ist sie durch das Ergebnis dieses Berichtes noch nicht aufgehoben. Erfreulich ist allerdings in diesem Bericht, daß insbesondere die Grünlandbetriebe, welche bisher im Vergleich zur übrigen Landwirtschaft sehr stark nachgehinkt haben, aufholen konnten — erfreulich vor allem deshalb, weil gerade in diesem Bereich von den bäuerlichen Familien sehr viel an Leistung erbracht werden muß, um den Anschluß an das Einkommensniveau der Getreidebaubetriebe zu erreichen.Wie in den vergangenen Jahren so war auch im Berichtszeitraum eine weitere Abwanderung von Vollarbeitskräften aus der Landwirtschaft und eine Verringerung der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe zu verzeichnen. Darüber aber in Tränen auszubrechen, halte ich angesichts der allgemeinen strukturellen Entwicklung in der Landwirtschaft für völlig falsch. Tatsache ist, daß wir eine stärkere Mechanisierung und Rationalisierung in der Landwirtschaft einfach nicht leugnen können und gerade die Abwanderung aus der Landwirtschaft eine Konsequenz aus der Gesamtentwicklung darstellt. Allerdings wäre es für die deutsche Landwirtschaft, auf lange Sicht gesehen, tödlich, wenn — wie bisher geschehen — uns in der Zukunft durch dauernde Schwarzmalerei in verstärktem Maße die jungen Menschen fortliefen, wobei zu berücksichtigen ist, daß wir gerade die Fähigsten brauchen, um Landwirtschaft zu betreiben. Der Grüne Bericht zeigt in bezug auf die innere Disparität recht deutlich, daß der Tüchtige in der Landwirtschaft eine Chance hat.738 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973GallusLassen Sie mich noch einige Worte zu der inneren Disparität der Landwirtschaft sagen. Leider müssen wir feststellen, daß diese größer ist als die Disparität zwischen der Landwirtschaft und den übrigen Bereichen. Wohl würde ich dem Grünen Bericht beipflichten in seiner Feststellung, daß der Mensch als Betriebsleiter für das betriebswirtschaftliche Ergebnis entscheidend ist. Gleichzeitig weiß ich aber, welch große Unterschiede wir in klimatischer und bodenmäßiger Hinsicht in der Bundesrepublik haben. Ohne ein Untersuchungsergebnis darüber zu kennen, bin ich der Meinung, daß gerade die Betriebe, die an der unteren Einkommensskala des Grünen Berichts liegen — hier in erster Linie Vollerwerbsbetriebe mit geringerem Einkommen —, in den klimatisch und bodenmäßig schlechteren Gebieten zu finden sein werden.Für die Zukunft ist daher die Frage zu stellen, ob in diesen von Natur aus benachteiligten Gebieten allein die Einkommenserlöse über den Markt ausreichen, um zu einem entsprechenden Einkommen für diese Familien zu gelangen. Es ist erfreulich, wie gerade auch diese Frage eine zunehmende Bedeutung in der EWG und bei ihrer Konzeption für die Zukunft aufweist.Zum ersten Mal sagt dieser Bericht etwas aus über die Einkommenskombinationen auch bei Vollerwerbsbetrieben. Es scheint mir eine erfreuliche Tatsache zu sein, feststellen zu können, daß unsere Bauern, wenn sie frei verfügbare Kapazitäten an Arbeitszeit zur Verfügung haben, die Hände nicht in den Schoß legen, sondern versuchen, diese Zeit einkommensmäßig für sich und ihre Betriebe auszunutzen. Das scheint mir allerdings in der Tat für die Landwirtschaft — allgemein gesehen — keine neuere Entwicklung darzustellen. Sie wurde von der Landwirtschaft im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung stets praktiziert und kann heute allerdings laufend ausgebaut werden.Neben den Einkommenskombinationen spielt die Nebenerwerbslandwirtschaft in der Bundesrepublik eine immer größere Rolle. Über 50 °/o der Betriebe werden im Nebenerwerb bewirtschaftet, eine Betriebsform, die meines Erachtens größere Beachtung verdient, als das in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist. Die Zeiten sind endgültig vorüber, wo irgend jemand glauben könnte, in der Agrarpolitik könne man Vollerwerbslandwirte gegen Nebenerwerbslandwirte oder umgekehrt ausspielen.
Wir werden nicht umhinkönnen, das Beratungsangebot für die Nebenerwerbslandwirtschaft in der Zunkunft zu verstärken, damit gerade in dieser Art von Betrieben eine sinnvoll gestaltete Betriebsorganisation Platz greift, die den Menschen in diesen Betrieben in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt, und damit nicht der Fall eintritt, daß diese Art der Landwirtschaft zu sogenannten Quälbetrieben absinkt. Verfehlt wäre es nach meiner Auffassung allerdings, wollte man die Tatsache der Nebenerwerbslandwirtschaft zur Ideologie erheben. Damit wäre diesem Teil der Landwirtschaft am wenigsten gedient. In bezug auf den Markt der EWG sollten wir die große Chance nutzen, bei dem steigendenTrend zur Nebenerwerbslandwirtschaft extensive Betriebsnormen, insbesondere in der Rindviehhaltung, zu entwickeln.Was die Vorausschau für das laufende Wirtschaftsjahr betrifft, so ist es erfreulich festzustellen, daß auch im laufenden Jahr die Landwirtschaft mit ihrem Einkommen weiterhin an der allgemeinen Entwicklung teilnehmen wird. Allerdings ist noch kaum abzusehen, inwieweit sich die stark gestiegenen Kosten für Eiweißfuttermittel ertragsmindernd auswirken werden.In diesem Zusammenhang ein Wort zur Frage der Stabilität in bezug auf die Landwirtschaft. Nachdem der Grüne Bericht bekanntwurde, waren nicht wenige Journalisten dabei, die Landwirtschaft allein zum Sündenbock der Preissteigerungen zu stempeln. Tatsache ist, daß bis vor wenigen Monaten die Agrarpreise weniger gestiegen sind als die allgemeinen Lebenshaltungskosten, wie das gerade auch im Berichtszeitraum der Fall war, in dem die Steigerung der Lebensmittelpreise bei 5,1 % lag und die der allgemeinen Lebenshaltungskosten bei 5,6 %. Unbestritten ist jedoch, daß seit einigen Monaten auf Grund bestimmter Situationen am Markt die Preise für Nahrungsmittel über die allgemeinen Lebenshaltungskosten hinaus gewachsen sind. Es wäre unfair, das hier von dieser Stelle aus nicht ebenfalls offen zu bekennen. Wir wissen, wie diese Situation gerade durch die Verknappung von Rindfleisch, Kartoffeln, Obst und Gemüse eingetreten ist. Ich vertrete die Auffassung, daß die Bundesregierung am wenigsten für diese Erscheinungen Verantwortung zu tragen hat. Gerade die Verknappung von bestimmten Produkten in Europa oder auf dem Weltmarkt beweist, wie dringend notwendig es ist, eine entsprechende eigene Produktion zum Ausgleich am Markt zu haben, um den Verbraucher mit gesunden und preiswerten Nahrungsmitteln zu versorgen.Für unseren Bundeslandwirtschaftsminister allerdings dürfte es in der Zukunft nicht einfach werden, sein von ihm selbst gestecktes Ziel zu erreichen, nämlich einerseits die Landwirtschaft an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilhaben zu lassen und gleichzeitig mit der Agrarpolitik zur Stabilität beizutragen, wenn in den übrigen Bereichen unserer Wirtschaft die Kosten weiter steigen.Als praktischer Landwirt möchte ich in diesem Zusammenhang die Verbraucher von Nahrungsmitteln in der Bundesrepublik ansprechen. Ich glaube, wir müssen uns über eines im klaren sein: Wenn wir die Versorgung der Bevölkerung mit guten und gesunden Nahrungsmitteln erreichen wollen, kann das nur auf der Basis von preiswerten Nahrungsmitteln geschehen. Es ist ein Unding, zu glauben, daß noch irgendwo in der Welt gesunde und gute Nahrungsmittel billig produziert werden könnten.In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, wie in den letzten zehn Jahren der Anteil der Nahrungsmittel an der Lebenshaltung der Verbraucher laufend zurückgegangen ist. Es ist interessant, sich einmal vor Augen zu führen, welchen Anteil am Preis eines Nahrungsmittels der Landwirt heute prozentual überhaupt noch erreichen kann. Z. B. sind dasGallusbei Brotgetreide und Brotgetreideerzeugnissen sage und schreibe noch ganze 12,2 %. Das geht allein schon daraus hervor, daß der Preis für Brotgetreide in den letzten 20 Jahren kaum gestiegen ist, das verarbeitende Gewerbe aber der allgemeinen Kostenentwicklung, insbesondere auf dem Lohnsektor, natürlich wie alle anderen Zweige unserer Volkswirtschaft unterworfen war. Es wäre aber doch vermessen und würde zu weit führen, wenn man in dieser Hinsicht noch beim Rohprodukt Getreide Abstriche in bezug auf das Endprodukt Brötchen machen wollte.Bei den Zuckerrüben liegt der Anteil — in bezug auf den Zucker — bei 33,6 °/o, beim Obst sind es 39 °/o; bei den pflanzlichen Erzeugnissen insgesamt sind es nur noch 25 °/o, während dieser Prozentsatz bei den tierischen Erzeugnissen ungefähr bei 50 °/o liegt, aber in den letzten Jahren ebenfalls stark nach unten tendiert hat. Das zu wissen ist, glaube ich, gerade für unsere Verbraucher einmal wichtig.Darüber hinaus steigen die Qualitätsanforderungen an die Lebensmittel ständig, die genauso wie die Verpackung und die Verarbeitung bezahlt werden müssen. Die Bundesregierung mißt erfreu licherweise der Verbesserung unserer Nahrungsmittel durch die Änderung des Lebensmittel-, Arzneimittel- und Futtermittelrechts einen hohen Stellenwert bei. Obwohl wir auf diesem Gebiet schon erheblich weiter sind als viele andere Staaten, ist es richtig, auf diesem Wege weiterzuschreiten. In diesem Zusammenhang freue ich mich, daß unsere einheimische Produktion immer mehr unter das Motto „Aus deutschen Landen gesund auf den Tisch" gestellt wird.Allerdings wird dadurch gleichzeitig die Gefahr heraufbeschworen, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein scharfes Lebensmittelrecht Gültigkeit hat, während in den anderen europäischen Staaten und der übrigen Welt dies im gleichen Maße nicht der Fall ist.
Deshalb kommt der Kontrolle von importierten Nahrungsmitteln in der Zukunft eine erhöhte Bedeutung zu.
Es wird von meiner Fraktion begrüßt, wenn der Verbraucherpolitik allgemein eine größere Aufmerksamkeit geschenkt wird, damit der Verbraucher durch objektive Information in die Lage versetzt wird, ein kritisches und preisbewußtes Käuferverhalten an den Tag zu legen. In diesem Zusammenhang wäre es zu begrüßen, wenn sich die Landesagrarminister dazu durchringen könnten, die hauswirtschaftichen Beratungsstellen bei den Landwirtschaftsämtern für alle Schichten unseres Volkes auszubauen.Unsere Agrarpolitik ist richtigerweise darauf aufgebaut, daß die Einkommen für die Landwirte am Markt erzielt werden müssen. Das entspricht unserer freien und sozialen Marktwirtschaft. Aber es dürfte keine kleine Aufgabe sein, den Agrarmarkt in der EWG auf allen Ebenen transparent zu halten. Die Frage der Mengensteuerung ist aber in ersterLinie eine Aufgabe der Landwirtschaft und der Ernährungswirtschaft und erst in zweiter Linie eine Aufgabe des Staates. Besonders auf dem Gebiet der Milch- und Rindfleischproduktion haben wir einerseits eine Überproduktion an Milch und andererseits einen Mangel an Rindfleisch.Die Stagnation beim Verbrauch von Trinkmilch und der Rückgang im Butterverzehr haben eine unerfreuliche Situation heraufbeschworen. Immerhin liegen heute über 320 000 t Butter in der EWG auf Halde, wenn man so sagen kann, wobei wir uns von seiten der Bundesrepublik als Mitbeteiligte an dieser Produktion keineswegs ausnehmen können. Denn wir wissen selbst, daß wir mit einer Produktion von über 100 000 t Überschuß zu diesem Butterberg beigetragen haben. Ich gehöre nicht zu jenen Agrarpolitikern, die glauben, man könne ohne gewisse Reserven überhaupt eine vernünftige Agrarpolitik betreiben. Das Beispiel Getreide und die Notwendigkeit, daß Rußland in diesem Jahr große Einkäufe in Amerika und Kanada tätigen mußte, zeigen, wie notwendig die Nahrungsmittelreserven in der Welt sind. Auch gewisse Überschüsse bei der Butter sind für den Ausgleich nötig.Auf lange Sicht gesehen können wir aber diesem auf uns zukommenden schwerwiegenden Problem nicht tatenlos zusehen. Bei der neuen Preisrunde in Brüssel, die zur Zeit läuft, ist es unumgänglich, die Weichen für eine Differenzierung von Milch-und Rindfleischproduktion zu stellen, indem für die Produktion von einseitigen Mastrassen bzw. Kälbern entsprechende Prämien auch bei der Färsenvornutzung gezahlt werden, damit wir in der Zukunft zu mehr Rindfleisch und weniger Milch kommen.Darüber hinaus scheint mir der Zeitpunkt gekommen zu sein, sich Gedanken darüber zu machen, ob es noch richtig ist, daß der Landwirt seinen Milcherlös weiterhin nur nach Fettgehalt bekommt, oder ob es nicht besser ist, eine Umbewertung im Verhältnis zwischen Fett und Eiweiß vorzunehmen, zumal Eiweiß, insbesondere tierisches Eiweiß, auf lange Sicht gesehen in der Welt knapp werden wird, während man mit Butterfett weiterhin sicherlich größte Probleme zu bewältigen haben wird. Milcheiweiß ist das billigste tierische Eiweiß überhaupt und läßt sich über bestimmte Zeiträume wesentlich billiger lagern, als es bei Butterfett der Fall ist.Wer sich im EWG-Agrarmarkt behaupten will, muß dem Agrarexport sein verstärktes Augenmerk schenken. Dies hat die Bundesregierung getan, so daß wir erfreulicherweise auf ein Exportvolumen von annähernd 6 Milliarden DM im vergangenen Wirtschaftsjahr zurückblicken können. Da diese Regierung eine aktive Ostpolitik betreibt, ist immer wieder der Vorwurf erhoben worden, die Agrarmärkte der EWG würden von seiten Osteuropas überschwemmt werden.
Doch glaube ich, daß der Grüne Bericht den Anteilder Ostimporte an den Drittländerimporten eindeutig ausweist. Die Einfuhren aus dem Osten
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740 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Gallusmachen etwa 8 % der Drittländerimporte aus; der Ausfuhranteil liegt allerdings bei 18% o der Drittlandexporte. Wir importieren — auch das soll nicht verschwiegen werden — ein Volumen von insgesamt 960 Millionen DM, exportieren aber andererseits Nahrungsmittel in die Ostblockstaaten im Wert von 416 Millionen DM, so daß hier weitgehend der Gefahr vorgebeugt ist, daß wir der EWG mit einer aktiven Ostpolitik in den Rücken fallen.Eine Transparenz der Märkte ohne eine entsprechende Werbung - Agrarwerbung in diesem Fall —ist heute undenkbar. Wir haben mit der CMA das entsprechende Instrument in der Hand. Jedoch müßte man meines Erachtens, nachdem man große Erfolge beim Agrarexport erzielt hat, für die Agrarwerbung in der Bundesrepublik, insbesondere bei Milch und Molkereiprodukten, vor allem bei Butter, etwas mehr tun, als bisher geschehen ist. Ob jedoch die CMA weiterhin mit einer produktneutralen Werbung auskommen kann, möchte ich von dieser Stelle aus ernsthaft in Zweifel ziehen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Werbefachwelt über die Art der Werbung lächelt, wie sie von der CMA betrieben wird. Es muß die Frage geprüft werden, ob nicht denen ein Teil des Geldes zur Werbung belassen werden sollte, die das Geld aufbringen.Die Frage, ob man nicht konsequent in den Schulen die Trinkmilch wieder einführen sollte, muß ernsthaft geprüft werden. Ich glaube, Trinkmilch würde angesichts des steigenden Zigarettenkonsums, insbesondere in den weiterführenden Schulen, zur Gesunderhaltung unserer Jugend beitragen.
Wenn Agrarpolitik, so, wie sie die Bundesregierung versteht, Politik für die Menschen im ländlichen Raum wie auch gleichzeitig für die Erholungssuchenden in den Städten sein soll, darf die Umweltpolitik in bezug auf Landschaftsschutz und Landschaftspflege nicht ausgeklammert werden. Ich möchte hier die Auffassung vertreten, daß Umweltpolitik in dieser Hinsicht nicht nur eine Angelegenheit nationalen Ausmaßes darstellt, sondern auch ein Problem der gesamten EWG ist.Es ist daher angesichts der großen Aufgaben, die in diesem Bereich auf uns zukommen, unverständlich, warum darüber gestritten wird, ob man dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung in diesem Bereich übertragen will oder nicht. Wer sich dazu nicht durchringen kann, versündigt sich an der zukünftigen Entwicklung auf diesem gesamten Sektor überhaupt.
— Ich weiß, daß in Bayern die Uhren anders gehen.— Niemand will den Ländern in diesem Bereich etwas wegnehmen. Die Maßnahmen, die nach den entsprechenden Gesetzen notwendig sind, bleiben so oder so den Ländern überlassen. Aber angesichts der großen Aufgaben, die nur im Rahmen der EWG zu bewältigen sind, ist es unverständlich, daß wir uns hier in der Bundesrepublik über eine mögliche Bundeskompetenz — ja oder nein — streiten sollen.Ich möchte meine Ausführungen im Zusammen- hang mit der Agrardebatte nicht beenden, ohne ein Wort zur Bodenpolitik gesagt zu haben.
— Ich weiß, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mir jetzt erhöhte Aufmerksamkeit schenken.
Meine Damen und Herren, mit keinem Wort ist wohl in der jüngsten Vergangenheit mehr Schindluder getrieben worden, als mit dem Begriff Eigentum in bezug auf Grund und Boden. Man hat hier insbesondere die Landeigentümer in einer Art und Weise angeheizt, wie es nach Lage der Dinge auf gar keinen Fall gerechtfertigt war und ist.Wir Freien Demokraten haben uns, wie ich glaube, für eine vernünftige Gestaltung des Städtebauförderungsgesetzes eingesetzt und sind der Meinung, daß auf dieser Basis und der Basis der Freiburger Beschlüsse unserer Partei das künftige Bodenrecht neu gestaltet werden sollte. Alle Beteiligten müssen sich in diesem Zusammenhang überlegen, was in der praktischen Anwendung draußen tragbar ist, um hier der Sozialpflichtigkeit des Bodens gerecht zu werden, jedoch andererseits auch dem Eigentümer von Grund und Boden einen gerechten Anteil am zukünftigen Wert zuzugestehen. Wir müssen uns, so glaube ich, in diesem Zusammenhang von der Vorstellung lösen, daß jeder Grundstücksbesitzer ein Spekulant sei.In diesem Zusammenhang hätte ich an den Herrn Minister Vogel eine Bitte,
nämlich die Einstellung zum Haus- und Bodeneigentum des schwäbischen Häuslebauers etwas mehr in seine Überlegungen einzubeziehen.
Auch die Opposition wird nicht umhinkönnen, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was sie nun eigentlich in der Bodenpolitik für Vorstellungen vertreten will, anstatt draußen im Lande nur die Stimmung anzuheizen, ohne selbst entsprechende Alternativvorschläge vorzulegen. Allerdings, meine Damen und Herren, befinden wir uns jetzt insofern in einer sehr günstigen Situation, als die Opposition nun genügend Zeit für Überlegungen hat.Im Blick auf die Steuerreform hat die Bundesregierung der besonderen Situation der Landwirtschaft Rechnung getragen. Dies gilt insbesondere auch für die Anwendung der neuen Einheitswerte des Jahres 1964.
Was den Agrarhaushalt 1973 betrifft, so glaube ich, daß wir uns heute darüber nicht zu unterhalten brauchen. Das können wir bei der Einbringung des Haushaltes zur Genüge tun.Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 741GallusMeine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und darf kurz zusammenfassen:1. Der Bundesregierung kann bestätigt werden, daß sie agrarpolitisch auf dem richtigen Wege ist.2. Der Agrarbericht beweist, daß der Tüchtige in der Landwirtschaft auch in Zukunft eine Chance hat.3. Produzenten und Verbraucher von Nahrungsmitteln müssen zukünftig mehr Verständnis füreinander aufbringen.4. Der ländliche Raum muß aktiviert werden, auch in bezug auf Landschaftsschutz und Landschaftspflege, weil hier das natürliche Reservat für die Erholung der Stadtbevölkerung liegt.5. Zum Abschluß meiner Ausführungen darf ich der Bundesregierung bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Wiedererringung von mehr Stabilität viel Erfolg wünschen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiechle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Agrarbericht 1973 zeigt für das Berichtsjahr 1971/72 ein Ergebnis, das uns urn der deutschen Bauern willen freut. Vor dem Hintergrund des davor liegenden Katastrophenjahres mit 10 % Einkommenssenkung ergeben sich allerdings von einem Jahr zum anderen relativ hohe Steigerungsraten, insbesondere bei den Einkommensstatistiken. Sie sind auch Anlaß für manche Regierungspolitiker zu selbstgefälliger Betrachtung und verleiten die Öffentlichkeit vielleicht zu falschen Rückschlüssen hinsichtlich der realen Entwicklung. Die Bundesregierung selbst hat bei dem Bericht für 1970/71 darauf hingewiesen, daß man nicht vom Ergebnis eines Jahres Rückschlüsse auf die Agrarpolitik der Bundesregierung ziehen sollte. Man darf es sicherlich nicht, auch nicht aus dem Ergebnis von 1971/72. Insofern möchte ich meinen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Wir stellen erfreut fest, daß die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung die verbesserte Einkommensentwicklung überwiegend begrüßt hat und auch Presse und Rundfunk meist objektiv und zustimmend kommentieren. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, als Nur-Kritiker bekannt, liegt daher mit ihrer Stellungnahme zu diesem Agrarbericht weit ab von der Meinung der Verbraucher. Man merkt, ihr fehlt der Kontakt zum Mitbürger. Wir danken jedenfalls für das wachsende öffentliche Verständnis gegenüber den Belangen der Landwirtschaft.
Der von der Regierung besonders betonte Teil des Agrarberichts ist derjenige, der die Zunahme des Betriebs- und Arbeitseinkommens der Landwirtschaft behandelt. Hier sind durchaus Einschränkungen bei der Betrachtungsweise am Platz. Es ist hier schon gesagt worden, daß z. B. eine weitere Abwanderung von Arbeitskräften, eine gute Ernte, Zurückhaltung bei Investitionen und bessere Fleischpreise, herrührend aus einer Weltmangellage, mit ein Hauptgrund dieser Einkommensverbesserung waren. Korrekt betrachtet, sieht es aber so aus, daß bei einem Anstieg der Preise um im Durchschnitt 81/2% von Berichtsjahr zu Berichtsjahr aus den Brüsseler Beschlüssen bei sehr wohlwollender Betrachtungsweise höchstens 3 % kommen. Das übrige sind Verbesserungen aus dem Marktgeschehen. Insofern kann von Regierungswohltaten einfach keine Rede sein.
Man sprach hier heute schon einmal von Nettoinvestitionen. Das sind jene Investitionen, die sozusagen für die Zukunft getätigt werden und über die Abschreibungen hinausgehen. Ich will hier drei Zahlen nennen, um bildhaft zu erläutern, was damit gemeint ist. Im Jahre 1969/70 hat die deutsche Landwirtschaft 1,29 Milliarden DM Zukunftsinvestitionen getätigt. 1970/71 waren es noch 890 Millionen DM und in diesem Berichtsjahr, 1971/72, ganze 131 Millionen DM, die über die Abschreibungen hinaus in die Zukunft der Betriebe gesteckt worden sind. Hier ist auch ein Stück verlorengegangenes Vertrauen der Bauern in ihre eigene Zukunft sichtbar.
Es gibt noch cine Zahl, die im Zusammenhang mit der Betrachtungsweise dieser Einkommensstatistiken bei Betriebs- und Reineinkommen genannt werden muß, und das sind die Reinerträge je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. Sie betrugen im Jahre 1969/70 273 DM je Hektar, sie betrugen im Berichtsjahr 1971/72 289 DM je Hektar. Das sind in zwei Jahren ganze 16 DM Reinertrag mehr je Hektar. Nimmt man diesen Zweijahresdurchschnitt, sieht ohnehin das Bild, das sich auf Grund der meistens veröffentlichten Zahlen ergibt, etwas anders aus. Von 1969'70 bis 1971/72 hat sich beispielsweise das Agrarpreisniveau um knapp 2 t o verbessert. Im gleichen Zeitraum stiegen die Betriebsmittelpreise um rund 10%. Obwohl sich in diesen zwei Jahren die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft um 186 000 vermindert hat, ist die Wertschöpfung je Erwerbstätigen um nur 25 °/o gegenüber 36 °/o in den übrigen Bereichen gestiegen.
Meine Damen und Herren, das sind eigentlich die maßgebenderen Zahlen, nicht sosehr jene, die etwa im Zusammenhang mit Betriebseinkommen oder Reineinkommen bekannt wurden, denn diese Begriffe stammen aus der betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Wer weiß denn schon, daß das Betriebseinkommen auf der Vorstellung des schulden- und pachtfrei gedachten Betriebes beruht? Wer weiß denn schon. daß aus einem Reineinkommen von diesmal rund 15 500 DM je Arbeitskraft Nettoinvestitionen, Altenteilslasten und Erbabfindungen neben dem privaten Verbrauch zu bestreiten sind?
Leider muß in dem Zusammenhang auch gesagt werden, daß wieder eine Art von Count-down für eine Verschlechterung der landwirtschaftlichen Einkommenssituation läuft. Außergewöhnliche Preissteigerungen bei Futtermitteln — zum Teil über 100 °/o —, hohe, laufend höhere Kreditkosten, allgemeine Preiserhöhungen und die Sorgen im Zusammenhang mit dem Milchmarkt zeichnen für die
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Kiechle
kommende Zeit ein weniger, zumindest ein nicht ganz so erfreuliches Bild.
Meine Damen und Herren, der Agrarbericht 1973 ist der erste Agrarbericht in einer neuen Legislaturperiode. Insofern muß er auch im Zusammenhang mit der Regierungserklärung gesehen werden. Er ist also im Vergleich zu einem Zwischenbericht ein Agrarbericht von höherer politischer Bedeutung. Das war auch aus der Rede von Herrn Bundesminister Ertl zu entnehmen.
Im Bereich der Bodenpolitik haben Sie, Herr Bundesminister, erklärt, ein zeitgemäßes Bodenrecht sei notwendig, und dazu müßten die vorhandenen gesetzlichen Regelungen fortentwickelt werden. So weit, so gut, solange das Recht auf Eigentum an Grund und Boden unangetastet bleibt und nur Auswüchse korrigiert und Spekulanten bekämpft werden sollen. Ganz entschieden weise ich allerdings Ihre Behauptung in Ihrer Rede vom Freitag zurück, wir, die CDU/CSU, seien Panikmacher und wollten unter dem Stichwort „Bodenpolitik" ein parteipolitisches Süppchen kochen. Im Gegenteil!
Sie stellen sich hier als Mitglied der Bundesregierung hin und machen sozusagen tröstliche Aussagen bezüglich der Eigentumsgarantie, ohne sich im geringsten mit den Äußerungen aus Ihrer Regierung oder den Regierungsparteien zu beschäftigen. Ihre Regierung ist doch keine Einrichtung im luftleeren Raum, sie basiert doch schließlich auf den sie tragenden Parteien. Aus eben diesen Parteien tönt es folgendermaßen, fortlaufend, fortwährend und immer verstärkt: Kommunalisierung von Grund und Boden, Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum, Spaltung des Eigentumsbegriffs in Nutzungs-und Verfügungseigentum, ganz zu schweigen von der Absicht, über die Besteuerung der nicht realisierten Gewinne eine Möglichkeit zur kalten Enteignung zu schaffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Kiechle, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man sowohl dem Landwirtschaftsminister als auch dem Herrn Kollegen Gallus empfehlen sollte, dem Wohnungsbauminister Vogel anzuempfehlen, statt Erläuterungen über die schwäbischen Häusle zu geben, der deutschen Öffentlichkeit zu sagen, was er damit meinte, als er in Hamburg sagte, dem Grundstückseigentümer könne kein ewiges Eigentum zugesichert werden?
Herr Kollege, nach den Äußerungen, die beide laufend tun,
sollte man annehmen dürfen, die beiden würden selbst auf die Idee kommen, diesen Minister entsprechend zu fragen. Aber Ihnen, Herr Bundesminister Ertl, möchte ich, da Sie sich offensichtlich — das schließe ich aus Ihren Formulierungen, aus Ihren Aussagen zum Eigentum — nicht immer so mit dem befassen, was aus Ihren Parteien kommt, noch ein paar Beispiele dazugeben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Sobald ich diese Beispiele genannt habe, Frau Präsidentin. — Diese Beispiele sollen sozusagen Ihrer Information dienen.
Da tönt es von den Jungsozialisten:
Der Boden in Gemeindegebiet muß daher langfristig in den Besitz der Gemeinde übergehen.
Oder:
Es muß eine grundsätzliche Kommunalisierung des Grund und Bodens einer Gemeinde herbeigeführt werden.
Oder von den Jungdemokraten:
Mittelfristig muß ein Verbot des privaten Erwerbs von Grund und Boden erwirkt und ein Baustopp des privaten Mietwohnungsbaus eingeführt werden.
Oder:
Voraussetzung ist eine neue Bodenordnung, die als Fernziel eine grundsätzliche Aufhebung des privaten Eigentums an Grund und Boden beinhaltet.
Oder SDP-Gliederungen — um nicht nur die Jugend zu nennen —:
Grund und Boden müssen in öffentliches Eigentum übergeführt werden.
Oder:
Das private Eigentum an Grund und Boden ist zügig in öffentliches Eigentum zu überführen.
Herr Abgeordneter, sind Sie jetzt bereit, eine Zwischenfrage zu gestatten?
Ja, bitte!
Herr Kiechle, wären Sie aus Fairneßgründen bereit, hierzu ergänzend zu sagen, daß bei allen diesen Betrachtungen und Erwägungen, die Sie eben angeführt haben, die landwirtschaftlich genutzten Bodenflächen ausdrücklich ausgenommen sind?
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Herr Kollege Löffler, bei dem, was ich hier zitiert habe, ist von Ausnahmen für landwirtschaftlichen Grund und Boden nicht die Rede.
Aber ich bin gern bereit, noch einen Satz dazuzusagen, ich gestehe, einen harten Satz. Nehmen Sie es mir nicht übel. Seit hier an dieser Stelle von einem Bundesminister erklärt wurde, daß es Wahrheiten mit und ohne Mehrheiten oder Minderheiten gibt, bin ich höchst skeptisch, wenn Aussagen vorher positiv gemacht werden, um sie nachher negativ zu deuten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön!
Da Sie, verehrter Herr Kollege, die Aussagen eines Bundesministers über Wahrheiten so wesentlich nehmen: Wissen Sie — oder ist Ihnen das entgangen —, welche Äußerungen ein früherer Bundeskanzler über Wahrheiten gemacht hat und wieviel Kategorien es da gab?
Sie sind auf jeden Fall in solchem Zusammenhang nicht vor dem deutschen Parlament gefallen.
Herr Bundesminister Ertl, ich habe diese Zitate für Sie gebracht, um Sie ein wenig zu ermuntern, sich eindeutig gegen solche Äußerungen aus Ihren eigenen Reihen zu wenden, statt hier unverbindlich Ihre persönliche Auffassung kundzutun, daß Eigentum Freiheit schaffe, und daneben die CDU/CSU als Panikmacher zu beschimpfen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Frau Präsidentin, wenn Sie mir die Zeit dann gutschreiben, gern.
Ja.
Herr Kollege Kiechle, da Sie das Wort Eigentum hier so stark strapazieren, darf ich Sie fragen, ob Sie die Stellungnahme der deutschen Bischöfe aus den letzten Tagen gelesen haben. Vielleicht darf ich Ihnen dazu eine kleine Hilfe geben.
Das Kommissariat der deutschen Bischöfe sagt heute:
Eigentum ist kein letzter Wert, sondern höchstens der vorletzte.
Schon Christus hat vor der knechtlichen Bindung an das Eigentum gewarnt.
Schon Christus hat davor gewarnt! Denken Sie darüber nach!
Herr Kollege Löffler, ich habe diese Äußerungen gelesen. Ich bzw. wir haben auch nie behauptet, daß das Eigentum den letzten Wert darstelle. Ich möchte Ihnen aber trotzdem empfehlen, nicht nur eine einzige Passage aus den Veröffentlichungen zu zitieren und nicht nur in diesem einen Fall, sondern Äußerungen der Bischöfe in anderen Fällen genauso ernst zu nehmen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Unter dem gemachten Zeitvorbehalt gern.
Herr Kollege Kiechle, sind Sie so freundlich, dem Kollegen zu erklären, daß in dem Memorandum der beiden Kirchen davon ausgegangen wird, daß unsere derzeitige Eigentumsordnung, die sich verfassungsrechtlich auf Art. 14 GG gründet, nicht angetastet zu werden braucht, daß also alle Überlegungen einer Aufspaltung der Eigentumsordnung in ein öffentliches Verfügungseigentum und ein privatrechtliches Nutzungseigentum mit unserer derzeitigen Verfassungsordnung in Widerspruch stehen und es nur darum geht, den Rahmen des Art. 14 GG voll auszuschöpfen?
Herr Kollege Schneider, ich bedanke mich für diese Zwischenfrage. Ich möchte sie von der Antwort her mit einem Zitat ergänzen, das aus der „Kölnischen Rundschau" stammt. Hier heißt es:
Während linke Sozialisten das Eigentum an Grund und Boden abschaffen wollen, bleibt bei den kirchlichen Vorschlägen die grundsätzlich gewährleistete Eigentumsordnung verbindlich, aber in ihrer jetzigen Struktur auch änderungsbedürftig.
Dagegen hat ja niemand etwas.
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Kiechle
Jedenfalls, Herr Bundesminister, liefern Ihre beiden Regierungsparteien fortwährend und nicht nur verbal, sondern auch durch Beschlüsse und Aktivitäten den Beweis dafür, daß unsere Befürchtungen berechtigt sind. Im Gegensatz zu solchen Absichten und Verlautbarungen hat die CDU/CSU stets das Eigentum geschützt, Eigentumsbildung gefördert und damit ein bedeutendes Stück persönlicher Freiheit garantiert und verwirklicht. Daran hält sie auch fest.
Meine Damen und Herren, wir alle sehen seit langem einen Eckpfeiler der Agrarpolitik in der Agrarsozialpolitik. Mit der Einführung von Altershilfe und Landabgaberente hat die CDU/CSU dieses Werk begonnen.
Wir haben mit unseren eigenen Vorschlägen und
unserer Mithilfe zur Weiterentwicklung beigetragen.
— Dies wird, Herr Kollege Wehner, auch in dieser Legislaturperiode geschehen. Dynamisierung der Altershilfe, Zusatzversicherung für Landarbeiter, die dringende Erhöhung der Unfallrente, die Fortentwicklung der Altershilfe zu einer bäuerlichen Vollversicherung finden grundsätzlich unsere Unterstützung.
— Sie bewegt sich mehr, als Ihnen gelegentlich noch lieb sein wird.
Weil Sie gerade von Bewegung sprechen— die kann gelegentlich auch in eine falsche Richtung gehen, Herr Kollege Wehner —, darf ich noch ein Wort zur Krankenversicherung der Landwirte sagen. Wie ich es schon vor einem Jahr von dieser Stelle aus gesagt habe, bedauern wir noch heute die Entscheidung von SPD und FDP, den Bauern den Anschluß an die AOK zu verweigern. Viele Schwierigkeiten, die jetzt auftreten und Übergangsschwierigkeiten genannt werden, hätten vermieden werden können. Jetzt — das möchte ich ausdrücklich betonen — muß allerdings die Krankenversicherung der Landwirte voll funktionsfähig gemacht werden. In dem Zusammenhang fordern wir die Bundesregierung auf, in der Frage der Beitragspflicht für kriegsbeschädigte Landwirte unverzüglich den alten sozialen Besitzstand wiederherzustellen
oder eine vergleichbare Ersatzlösung zu schaffen. Kriegsbeschädigte Bauern haben es in ihrem Beruf schwer genug.
Die Vorteile des Schwerbeschädigtengesetzes können sie kaum in Anspruch nehmen. Jetzt hat ihnen das neue Gesetz die beitragsfreie Heilbehandlung genommen. Sie fühlen sich deswegen mit Recht ungerecht behandelt. Selbst wenn aus Gleichheitsgründen die Beitragspflicht aufrechterhalten bleiben müßte, müßte doch wenigstens eine Beitragserstattung in Höhe des Rentnerbeitrags möglich gemacht werden. Denn der jetzt geschaffene Zustand, meine Damen und Herren, ist mit Verlaub gesagt, skandalös, ungerecht und unseres Sozialstaates unwürdig.
Es gibt noch einen Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte; ich mache dabei gar keinen Vorwurf, er ist einfach so entstanden. Nebenerwerbslandwirte, die aus der Versicherungspflicht der AOK wegen Erreichung der Beitragsbemessungsgrenze ausscheiden müssen, können sich nicht freiwillig weiterversichern, sondern werden wieder bei der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig. Dort sind sie dann ohne Krankengeld versichert. Sie brauchen aber keinen Betriebshelfer, sondern eben ihren Monatsverdienst als Krankengeld. Man sollte sie daher in der AOK belassen.
Keineswegs, Herr Bundesminister, ist Ihr einzelbetriebliches Förderungsprogramm so erfreulich, wie Sie behaupten, insbesondere in seiner Auswirkung für die Struktur unserer Landwirtschaft. Die bisherigen Regionalisierungsmöglichkeiten sind unzureichend. Wir könnten uns heute beinahe schon darüber verständigen, daß eigentlich nur durch verstärkte Regionalisierung die Praktikabilität der Förderung verbessert werden könnte. Hier hat die Zustimmung der Bundesregierung zur gemeinsamen Strukturpolitik der EWG einen diesem Ziel völlig entgegenstehenden Zustand geschaffen, hier haben Sie, Herr Bundesminister, eine teure, unzweckmäßige und voreilige Unterschrift geleistet. Mein Kollege Bewerunge hat heute schon darüber gesprochen. Ich nenne noch ein Beispiel. In der berühmten Richtlinie 159 steht folgender Satz:
Die Mitgliedstaaten können in bestimmten Gebieten, in denen die Erhaltung eines Minimums an Bevölkerungsdichte nicht gewährleistet und die Aufrechterhaltung der Landbewirtschaftung für die Erhaltung der Landschaft unbedingt erforderlich ist, eine besondere Beihilferegelung einführen.
Es sind beide Kriterien gefordert, sowohl das Vorliegen der Gefahr einer zu geringen Besiedlung als auch die Notwendigkeit der Landbewirtschaftung für die Erhaltung der Landschaft. Wo gibt es in der Bundesrepublik Gebiete, auf die beide Kriterien gleichzeitig zutreffen? Wir haben doch kaum Gebiete, wo die Bevölkerungsdichte so gering ist, daß man das Gebiet unter die EWG-Richtlinie bringen könnte. Wir haben aber sehr wohl Gebiete, wo wir aus öffentlichen Bedürfnissen die Landschaft erhalten müßten. Diese Unterschrift wird Ihnen, aber leider Gottes uns allen zusammen, noch viel Ärger bringen.
Die Förderung für Investitionen der Landwirtschaft ist so zu differenzieren — ich nenne das in diesem Zusammenhang —, daß Viehhaltungsbetriebe ihre hohen Investitionskosten tätigen können. Besondere Unterstützung braucht das absolute Grünland in den strukturschwachen Gebieten und in
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klimatisch benachteiligten Zonen. Denn auch in diesen Gebieten, Herr Bundesminister, werden wir ohne intensive Landwirtschaft langfristig nicht auskommen, da sonst in diesen Regionen eben keine Vollerwerbsbetriebe lebensfähig bleiben. Sie sind aber ihrerseits die Voraussetzung dafür, daß es dort funktionsfähige Nebenerwerbsbetriebe geben kann, die dort genauso erforderlich, in manchen Bereichen sogar am ehesten existenzfähig sind. Ich füge hinzu, daß wir insbesondere in diesem Produktionszweig und diesen Gebieten Investitionsbeihilfen im unteren Finanzierungsbereich als Hilfe zur Selbsthilfe brauchen.
Beides zusammen, also Voll- und Nebenerwerbsbetriebe einschließlich des Zuerwerbs zusammen, sind die innerlandwirtschaftliche Struktur, die sich organisch herausbildet. Diese Struktur sollten wir als Ganzes sehen und voll im Förderungsprogramm berücksichtigen.
Ein Wort zu den Bergbauern! Herr Bundesminister, ich bin enttäuscht, daß Ihre Regierung oder Ihr Haus lediglich auf die Vorschläge der Kommission in Brüssel in bezug auf „Grundzüge für die besondere Förderung von Bergbauerngebicten" hingewiesen hat. Ich hatte erwartet, daß die Bundesregierung nicht nur solche Vorschläge prüfen will, sondern selber Vorschläge machen würde. Es gab doch viele Ankündigungen von Ihnen, es gab sogar Behauptungen eines Ihrer Kollegen, daß ein solches Konzept fertig vorliege. Ich frage: Wo ist es nun? Wo sind die Ideen? Prüfung von Kommissionsvorschlägen ist bestenfalls eine Maus, die von einem Berg geboren worden ist.
Meine Damen und Herren! Neben der Produktion entscheidet auch eine moderne Vermarktung über die Einkommensentwicklung der Bauern. Die Stellung der Landwirtschaft am Markt gilt es daher fortlaufend zu verbessern. Hier treffen sich die Grundüberlegungen mit Sicherheit mit den von Herrn Dr. Schmidt hier vorgetragenen. Aber es gilt dabei der Satz, daß wir in diesem Prozeß keine Marktanteile verlieren dürfen. In dieser Hinsicht hat die Währungspolitik der Bundesregierung der letzten Monate der Landwirtschaft einen schlechten Dienst erwiesen. Es sind Marktanteile dadurch verschenkt worden.
Bei der Hilfe, die die Landwirtschaft hinsichtlich ihrer Marktstellung braucht, sollte auch auf die großen Markterfahrungen bestehender privater und genossenschaftlicher Einrichtungen zurückgegriffen werden. Sie sollten in ein Gesamtkonzept eingebunden werden, das neben Chancengleichheit ein Miteinander ermöglicht und ein Aufsplittern landwirtschaftlicher Marktkräfte vermeidet.
Immer mehr Bedeutung gewinnen die Nebenerwerbslandwirte in der Agrarpolitik, hier besonders bezogen auf Funktionen wie gesunde Umwelt, Landschaftspflege und die Besiedlung strukturschwacher Gebiete. Diese Entwicklung steht im Gegensatz zu früheren Prognosen, besonders zu solchen sozialdemokratischer Agrarpolitiker. Sie ist jetzt mit Recht Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des Agrarberichts. Bei den Nebenerwerbslandwirten kommen rund zwei Drittel ihres Einkommens aus außerlandwirtschaftlichem Verdienst. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch sie die Landwirtschaft rentabel betreiben müssen. Es wäre nämlich nicht haltbar, wenn das außerlandwirtschaftliche Einkommen zur internen Subvention des Betriebes benutzt werden müßte, und das sollte künftig im Agrarbericht noch besser ausgewiesen und untersucht werden.
Dann ergeben sich nämlich auch ein klares Bild und zuverlässige Beurteilungskriterien. Bis heute jedenfalls besteht die Gefahr der Fehlinterpretation hinsichtlich des Einkommens der Nebenerwerbslandwirte aus ihrem Nebenerwerbsbetrieb. Klar hat sich herausgestellt, daß rund 65% aller Betriebe Deutschlands Zu- und Nebenerwerb haben. Damit ist auch ausgesprochen, daß jede sinnvolle Agrarpolitik diese Betriebskategorie anerkennen und berücksichtigen muß. Das Konzept von der Partnerschaft der Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe hat damit eine eindrucksvolle Bestätigung gefunden. Gegen die Mansholt-Jünger und reinen Betriebsökonomisten hat sich in diesem Zusammenhang Bayerns Landwirtschaftsminister Eisemann durchgesetzt und zunehmende Anerkennung gefunden.
Der bayerische Weg war die Gegenkonzeption, die jetzt — zwar ungenannt — im Agrarbericht der Bundesregierung in Ansätzen wiederzufinden ist. Diese Konzeption erkennt auch der Ministerrat in Brüssel prinzipiell als Möglichkeit in der Agrarpolitik an. Sie sollte also konsequent und regional abgestuft weiterentwickelt werden.
Noch ein Wort zur Qualifikation der Betriebsleiter im Zusammenhang mit dem Betriebseinkommen. Innerhalb der gleichen Kleinregion sind derart große Unterschiede — ich komme aus einer solchen Region — hinsichtlich Bodenqualität, Geländebeschaffenheit, Kleinklima, durchschnittlicher Jahrestemperatur und anderer gegebener Faktoren möglich, daß eine so pauschale Wertung, wie sie hier im Agrarbericht vorgenommen ist, einfach nicht zutrifft. Sie trifft auch keine objektiv gerechte Qualifizierung. Zwar ist jede Mark, die wir in die Aus- und Weiterbildung unserer Bauern stecken, sicher gut angelegt, aber daraus kann nicht abgeleitet werden, daß mehr Betriebsleiterqualität automatisch mehr Einkommen bedeutet.
Meine Damen und Herren, jene Prediger, die immer wieder verkünden, daß Erzeugerpreiserhöhungen für die Landwirtschaft keinen Sinn hätten es gibt eine ganze Menge davon — hat dieser Agrarbericht widerlegt. Statt 80 000 sind rund 20 000 Bauernhöfe in einem Jahr aufgelöst worden, statt 120 000 sind 90 000 Arbeitskräfte abgewandert. Der Strukturwandel hat sich also erträglicher gestaltet. Dies ist ein Beweis dafür, daß er im Berichtsjahr vorher, also 1970/71 entgegen den Behauptungen, die hier aufgestellt worden sind, unter Preisdruck gestanden hat.
Unsere junge Bauerngeneration wird wieder Mut fassen, wenn die Industriegesellschaft sie nicht im
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Kiechle
Stich läßt. Wenigstens ein geringes Mehr als die Inflationsraten muß durch Erzeugerpreise aufgefangen werden.
Dabei wird sich eben, wie wir längst immer wieder gesagt haben, erweisen, daß, je geringer diese Inflationsraten sind, desto leichter diese für die Landwirtschaft lebensnotwendige These zu verwirklichen ist.
Die Industriegesellschaft braucht die Landwirtschaft nicht nur wegen der Sicherung des Minimums der täglichen Ernährung, sondern vor allem auch wegen der sozialen Nebenleistungen wie Umwelt, Erholungslandschaft, ganz besonders aber auch wegen der Garantie, im eigenen Lande gesunde Lebensmittel produzieren zu können.
Diese Industriegesellschaft sollte deswegen der Landwirtschaft und insbesondere den jungen Bauern das auch gelegentlich sagen, daraus die Konsequenzen ziehen und mit langfristigen Zusicherungen und Taten wieder mehr Mut in die junge Generation tragen. Niemand ist dazu mehr berufen als die Vertreter des Volkes, nämlich dieses Parlament. Wenn wir das gemeinsam tun — und ein solcher Weg sollte möglich sein —, erbringt die bäuerliche Landwirtschaft auch alle die Eigen- und Gegenleistungen, die unsere Gesellschaft von ihr erwarten darf und kann.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
für
Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bevor ich ein paar Bemerkungen zur Strukturpolitik, insbesondere im ländlichen Raum, mache, muß ich, entgegen meiner ursprünglichen Absicht, etwas zu den vorangegangenen Worten des Abgeordneten Kiechle sagen. Herr Kiechle, Sie haben geglaubt, sagen zu sollen — warum, weiß ich nicht —, daß die Währungspolitik der Bundesregierung
die Bauern in eine schwierigere Lage gebracht habe. Ich weiß beim besten Willen nicht, was Sie darunter verstehen.
— Ich bedanke mich für die kleine Hilfestellung, Herr Abgeordneter. Ich wollte dazu nur folgendes bemerken. Der Wechselkurs der Deutschen Mark ist im Jahre 1969 durch den damaligen Bundeskanzler Kiesinger freigegeben worden.
— Das ist doch wohl unbestritten. Er ist durch den damaligen Bundeskanzler Kiesinger freigegeben worden.
— Herr Abgeordneter Wagner, auch Sie werden zugeben müssen, daß es noch dieser Bundeskanzler war. Wenn Sie das bestreiten wollen, bin ich bereit, mich belehren zu lassen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber selbstverständlich.
Herr Bundeswirtschaftsminister, da ich nicht bestreite, daß am Montag nach der Bundestagswahl 1969 die Freigabe des Wechselkurses durch Herrn Bundeskanzler Kiesinger erfolgte, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß Herr Schiller vor der Bundestagswahl 1969 verkündet hatte, es werde im Falle eines Wahlsieges der SPD und der mit ihr verbündeten FDP in jedem Fall aufgewertet werden, und ist Ihnen bekannt, daß es unter diesen Umständen für die noch amtierende Bundesregierung überhaupt keine andere Möglichkeit gab — im Hinblick auf die zu erwartenden Spekulationsströme nach der Bundestagswahl —, als den Wechselkurs freizugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies alles ist mir bekannt. Ich muß dazu nur bemerken, daß am Montag nach der Wahl die CDU/CSU behauptet hat, sie habe die Wahl gewonnen. Es stimmt also nur das mit dem Wahlsieg nicht. Alles andere war korrekt.
Danach wurde die Mark gefloatet, dann wurde sie aufgewertet. Und dann, Herr Abgeordneter Kiechle
— wir wollen doch einmal ehrlich miteinander umgehen —, ist ja in einem nicht unbeachtlichen Ausmaß dieser Währungsverlust für die Landwirtschaft erstattet worden. Man kann mir auch auf Grund
meines vorangegangenen Tuns — nicht allzuviel vormachen. Aber — und darauf wollte ich hinweisen — Sie hätten wenigstens anerkennen können, daß die Bundesregierung, die jetzt amtiert, in einer sehr schwierigen währungspolitischen Lage in den letzten Wochen eine Lösung herbeigeführt hat, die nicht erneut zu einer derartigen Schwierigkeit beigetragen hat,
und dies gegen erbitterten Widerstand von draußen und gegen manche Ratgeber im Innern, um das einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle?
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß ich in meiner Rede erklärt habe, die Währungspolitik der Bundesregierung habe
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Kiechle
Marktanteile gekostet? Ich habe mich nicht auf Aufwertung, Preise und Ähnliches bezogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hier vermag ich Ihnen nicht zuzustimmen, denn Sie müßten mir schon sagen, wann welche Marktanteile verlorengegangen sind.
— Dann müßten Sie nachher noch einmal darauf replizieren.
Eine zweite Bemerkung zu der Rede des Abgeordneten Kiechle muß ich mir hier auch herausnehmen, und zwar deswegen, weil er beklagt hat, daß im agrarsozialen Bereich nicht genug geschehen sei.
— Ich komme auf die Zahlen zurück. Ich möchte den Herrn Abgeordneten mit seiner Frage nicht länger warten lassen.
Bitte, Herr Kollege!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Obst- und Gemüsekonservenindustrie wesentliche Anteile vor allen Dingen an die Franzosen abgeben mußte?
-- Das hat sehr wohl etwas mit der Wechselkursänderung zu tun! Ist Ihnen bekannt — es müßte Ihnen eigentlich bekannt sein —, daß beispielsweise die Erbsenkonservenproduktion der Bundesrepublik von 45 Millionen auf 18 Millionen zurückgegangen ist und daß der Marktanteil der EWG- Länder inzwischen über 70 % erreicht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies alles ist mir bekannt. Mir ist auch bekannt, daß in einem Gemeinsamen Markt keine Garantie für früher gehabte Marktanteile besteht.
Das ergibt sich aus dem Sinn des Gemeinsamen Marktes. Daß das strukturelle Anpassungsprobleme mit sich bringt — auch in dem Land, aus dem ich komme —, ist überhaupt keine Frage.
Aber zurück zur Frage der Sozialpolitik. Sie haben kritisiert, hier sei nicht genug getan worden.
-- Ich wollte Ihnen nur eine Zahl nennen.
Im Bundeshaushalt 1972 sind für die ländliche Sozialpolitik 1,084 Milliarden DM ausgewiesen. Im Entwurf des Bundeshaushaltes 1973 sind 1,893 Milliarden DM ausgebracht.
Das ist eine Steigerung um mehr als 800 Millionen DM.
In diesem Zusammenhang habe ich zwei Fragen an Sie.
Erstens. Können Sie mir einen anderen engen Bereich des Bundeshaushalts nennen, in dem eine ähnliche Steigerungsrate zu verzeichnen ist?
Zweitens. Heute morgen habe ich im ,,Handelsblatt" gelesen, daß der Vorsitzende der CSU dem „Handelsblatt" gegenüber erklärt hat, der Bundeshaushalt sei zu hoch und müsse gekürzt werden.
Ich warte mit großer Spannung darauf, ob diese Ansätze dann auch den Streichungsanträgen der Opposition zum Opfer fallen. Wir sollten in diesen Dingen doch sehr sachlich miteinander umgehen.
Ich glaube eines sagen zu können. Dieser Bundeshaushalt weist auf dem Sektor der ländlichen Sozialpolitik weiß Gott keine Lücken auf. Ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit.
Lassen Sie mich folgendes hinzufügen. Es mag sein, daß im Rahmen des Übergangs zu einer Krankenversicherungsreform, die über Jahre hinweg versprochen und nun endlich durchgeführt worden ist, Kleinigkeiten nicht optimal geregelt sind. Ich denke hier z. B. an den zahlenmäßig kleinen Kreis der kriegsbeschädigten Landwirte. Wir sind die letzten, die nicht bereit sind, in allen Punkten befriedigende Regelungen zu finden. Sie können doch aber nicht bestreiten, daß es sich hier um ein ungeheures Reformwerk handelt, das auch strukturpolitisch seine Auswirkungen gehabt hat.
Nun noch ein paar Worte zur Strukturpolitik, dem Gegenstand, für den der Wirtschaftsminister zuständig ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die guten Einkommensergebnisse, die im Agrarbericht aufgezeigt sind, beruhen auch auf der Veränderung der Wirtschaftsstruktur in den ländlichen Bereichen. Im Agrarbericht steht der Satz: Die Verdoppelung der Wertschöpfung je Arbeitskraft von 1962/63 bis 1971/72 wurde durch den großen Produktivitätsfortschritt, insbesondere durch die beträchtliche Verminderung des Arbeitskräftebestandes in der Landwirtschaft bewirkt. — Dazu muß gesagt werden: Hier siehl man, daß Strukturwandel für den einzelnen schwierig, volkswirtschaftlich aber richtig sein kann, denn die verbleibenden Betriebe haben zweifellos nur dadurch zu einem derartigen Aufstieg in der Produktivität geführt werden können.
Ich erkläre Ihnen hiermit für die Bundesregierung, daß die Maßnahmen der regionalen Strukturpolitik in den landwirtschaftlichen Anpassungsprozeß auch weiterhin eingreifen werden und daß diese Bundesregierung sich daher darum bemüht, durch weitere Ansiedlungen, durch Zurverfügungstellung
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Bundesminister Dr. Friderichs
von Arbeitsplätzen außerlandwirtschaftlicher Art in ländlichen Regionen aktiv mit dazu beizutragen, diesen Prozeß sozial abzusichern und erträglich zu machen.
Aber diese Bundesregierung erklärt Ihnen auch: Nirgendwo gibt es einen Anspruch auf den Arbeitsplatz, auf dem man nun einmal gerade sitzt, weder in der gewerblichen Wirtschaft noch in der Landwirtschaft. Wir tragen dazu bei, ihn in erreichbarer Nähe erträglich zu gestalten.
Wir wissen — und das wissen Sie genausogut wie wir —, daß auch in den nächsten zehn Jahren noch ein Ausscheidungsprozeß in der Landwirtschaft stattfindet. Für die Ausscheidenden wollen wir ein breit gefächertes Angebot beruflicher Alternativen in den ländlichen Räumen anbieten.
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen. Eine große Bedeutung haben — damit zeigt sich die Richtigkeit dieser Strukturpolitik — die Einkommenskombinationen erhalten, und zwar auch in den hauptberuflich bewirtschafteten Betrieben. 51 % der landwirtschaftlich tätigen Familien beziehen außerlandwirtschaftliche Einkommen. In Betrieben mit Zuerwerb des Betriebleiterehepaares und weiterer Familienangehöriger lag das Gesamteinkommen der Familie mit rund 30 000 D-Mark — auch diese Zahl darf man vielleicht einmal nennen — um 50% über dem Einkommen der Betriebe ohne Einkommenskombination. Man muß also hier die Agrarpolitik nicht nur alleine sehen.
— Ich weiß, was Sie dazu sagen: Das ist zu niedrig. Sehen Sie, darum bemühen sich ja diese Bundesregierung und dieser Landwirtschaftsminister, das nur-landwirtschaftliche Einkommen zu steigern, und in gemeinsamer Arbeit mit dem Nachbarressort bemühen wir uns, die Einkommenskombinationen zu ermöglichen,
um eben ein stabiles und steigendes Einkommen im Vergleich mit dem außerlandwirtschaftlichen auf Dauer sicherzustellen. Das wollte ich doch einmal deutlich gemacht haben.
— Daß damit arbeitsphysiologische Probleme verbunden sind, ist auch mir hinreichend bekannt.
Ich begrüße es daher, daß gestern der Planungsausschuß für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur in Bonn den Rahmenplan für 1973 und damit auch die Ziele bis 1976 festgelegt hat. Wir beabsichtigen nach diesem gestern beschlossenen Rahmenplan, in den Förderungsgebieten — und das sind in erster Linie landwirtschaftliche Problemgebiete — jährlich 115 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen sowie jährlich 60 000 bestehende Arbeitsplätze durch Rationalisierung und Umstellung zu sichern.
Wir waren uns gestern im Kreise des Planungsausschusses, d. h. also mit den Wirtschaftsministern der Länder, egal welcher politischer Couleur, auch
darüber einig, daß die Phase von 1969 bis 1972 die bisher erfolgreichste Phase im Gebiete der auf räumliche Schwerpunkte konzentrierten regionalen Wirtschaftsförderung gewesen ist. Ich wollte mir erlauben, das zu sagen, weil das einen engen Bezug zur Agrarpolitik hat.
Herr Abgeordneter Kiechle, eine letzte Bemerkung zu Ihren Ausführungen. Es ist nicht ganz ungefährlich — auch in Anwesenheit von Nichtexperten —, die Frage der sogenannten Nettoinvestitionen in den landwirtschaftlichen Betrieben aus der Statistik herauszugreifen.
Man kann mit der Statistik, wenn man Einzelzahlen herausgreift nahezu alles vordergründig schlüssig beweisen.
Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Erstens. Interessant ist die Frage der Nettoinvestitionen natürlich für die Zukunft der betreffenden Landwirtschaftsbereiche. Das gilt auch in der Wirtschaft. Insoweit stimme ich Ihnen zu. Zweitens. Interessant ist es daher aber nicht, die Nettoinvestitionen in der Gesamtlandwirtschaft pauschal heranzuziehen, sondern dann müßten Sie konsequenterweise die Nettoinvestitionen in den hauptberuflich bewirtschafteten Betrieben herausnehmen, die auch in Zukunft hauptberuflich bewirtschaftet werden sollen,
und von den Betrieben absetzen, die sich bereits darauf einrichten, in kurzer oder absehbarer Zeit aus dem Erwerbsprozeß auszuscheiden.
Dann bekommen Sie eine korrekte, wirtschaftspolitisch saubere Zahl. So einfach kann man sich das nicht machen, die Investitionen derjenigen zu saldieren, die gar nicht mehr investieren wollen und nach der Meinung der Regierung nicht mehr investieren sollen — übrigens auch nach der Meinung Ihrer Agrarpolitiker, die ich ja auf Grund meiner früheren Tätigkeit sehr gut kenne. Daher weiß ich auch, daß sie dazu sehr vernünftige Ideen haben. Nur hätten wir dem Parlament solche Geschichten mit den Nettoinvestitionen nicht so gerne serviert, weil wir wissen, daß da Menschen sitzen, die mit den Dingen umzugehen wissen.
Gestatten Sie mir eine zweite Bemerkung.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, auch das!
Herr Bundesminister, darüber brauchen wir uns gar nicht zu streiten. Ich stimme Ihnen zu. Nur: Wenn der Abfall in den Zahlen — —
Herr Kollege, ich bitte Sie, zu fragen.
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 749
Ja. Herr Minister, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß ich das dann, wenn die Zahlen in diesen beiden Jahren von 1,29 Milliarden auf 121 Millionen sinken, nicht mehr spezifizieren kann, sondern sagen muß, daß am System und an der gesamten Ertragslage etwas fehlt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Genau dies war der zweite Punkt, den ich erwähnen wollte, weil ich der Meinung bin, man sollte, soweit das irgend möglich ist, intellektuell ehrlich miteinander umgehen. Ich wollte also erstens sagen: bitte keine pauschalen Angaben. Und ich wollte zweitens sagen: In schwierigen Ertragszeiten — und daß diese Jahre eine schwierige Ertragslage für die Landwirtschaft gebracht haben, ist unbestritten haben Sie immer ein schlechtes Verhältnis bei den Nettoinvestitionen. Das ist ganz selbstverständlich, weil nämlich die Abschreibungen aus in günstigen Zeiten getätigten Investitionen in den ertragsschwachen Jahren in voller Höhe weiterlaufen und dem eine relativ geringe Investitionsneigung gegenübersteht. Dies ist in der gewerblichen Wirtschaft ganz genauso. Wenn wir eine schwierige Ertragslage haben — nehmen Sie die Stahlindustrie in den letzten beiden Jahren — und noch hohe Investitionen aus der vorhergehenden Zeit für Abschreibungen zur Verfügung stehen, dann haben Sie eben dieses Ergebnis. Das ist doch aber kein Beweis für schlechte Agrarpolitik!
Nein, das ist ein Beweis für — aus der Sicht der Agrarier — ein volkswirtschaftlich richtiges Verhalten gewesen. So müssen wir doch die Dinge werten.
Ich will Sie hier nicht mit den Zahlen behelligen. Der Herr Kollege Ertl als zuständiger Ressortminister wird zu den Einzelheiten sicher noch etwas sagen. Und ich sehe gerade, ich habe exakt 15 Minuten gesprochen. Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte zunächst die Absicht, in meinem Diskussionsbeitrag ein wenig näher auf den Diskussionsbeitrag von Herrn Kiechle einzugehen. Das hat sich jetzt erübrigt; der Bundeswirtschaftsminister hat in einer überzeugenden Weise dazu Stellung genommen, und ich bin insoweit dieser Aufgabe enthoben.
Wenn ich trotzdem noch ein Wort zu der Polemik von Herrn Kiechle über die Eigentumsfrage sagen darf,
dann dieses, daß sich eine Auseinandersetzung über das Thema „Eigentum" in diesem Hause über Tage führen ließe und daß es möglich wäre, genauso lange Äußerungen der verschiedenen Gruppen und Einrichtungen unserer Gesellschaft zu dieser Frage zu zitieren.
Ich darf Herrn Kiechle empfehlen, sich mit dem Memorandum, das hier mehrfach zitiert worden ist, einmal näher zu beschäftigen, insbesondere auch mit dem Vorwort, in dem es u. a. heißt:
Ein weiteres Treibenlassen der Entwicklung würde zu Verhältnissen führen, die radikale Maßnahmen rechtfertigen würden.
Ich meine, das sagt alles, und dem ist sicherlich nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, diese Debatte dient der Aussprache über den Agrarbericht der Bundesregierung. Es steht also zur Diskussion, was die Bundesregierung im vergangenen Jahr auf dem Gebiete der Agrarpolitik geleistet hat. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einige kurze Bemerkungen zur Agrarstrukturpolitik.
Es gehört zur Binsenwahrheit jeder Agrardebatte, daß eine positive Entwicklung für die Landwirtschaft auf Dauer nur möglich ist, wenn zuvor u. a. die Agrarstruktur dieser Landwirtschaft durchgreifend verbessert wird Dieser Zusammenhang ist immer gesehen worden. Die Verbesserung der Agrarstruktur war, ist und bleibt damit ein Schwerpunkt jeder Agrarpolitik.
Den heutigen Stellenwert dieses Schwerpunktes können Sie an den für die Landwirtschaft bedeutsamen Gesetzen über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" und über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" mit den dazu bereits erlassenen Rahmenplänen erkennen. Der Rahmenplan „Agrarstruktur und Küstenschutz" sieht eine Ausgabe in Höhe von 1,2 Milliarden DM für das Jahr 1973 vor. Daran mögen Sie erkennen, daß die Agrarstrukturpolitik nicht stehengeblieben, sondern weiterentwickelt worden ist, und daß auch für die Zukunft die Absicht besteht, eine ganze Menge dafür zu tun. Trotzdem — lassen Sie mich das hinzufügen — bedarf sie auch in der Zukunft noch einer konsequenten Fortsetzung. Darauf komme ich ein wenig kritisch — ich will es gleich vorweg sagen — noch zurück.
Lassen Sie mich ganz kurz auf die Vergangenheit eingehen. Der Strukturwandel, der sich in der Landwirtschaft vollzogen hat und immer noch vollzieht, ist einer der größten in unserer Volkswirtschaft. Seit 1949 sind rund 800 000 landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben worden; das sind über 40 %.
Seit 1960, in etwas mehr als zehn Jahren, sind 477 600 Betriebe aufgelöst worden, — eine beachtliche Zahl. Der Rückgang an Erwerbstätigen in der Landwirtschaft betrug seit 1949 über 3 Millionen. Die Zahl der Vollarbeitskräfte ist, um eine andere Zahl zu nennen, seit 1960 jährlich um etwa 80 000 — das sind 4,5 % — zurückgegangen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Für das Jahr 1980 wird die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe insgesamt auf 800 000 geschätzt. Heute haben wir nach dem Agrar-
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Sander
bericht noch 1,14 Millionen Betriebe, wovon 39 % oder 445 000 Vollerwerbsbetriebe, 16 °/o oder 185 000 Zuerwerbsbetriebe und 45 % o oder 510 000 Nebenerwerbsbetriebe sind. Die Beschäftigtenstruktur — heute zählen wir noch rund 1,34 Millionen Vollarbeitskräfte — wird sich entsprechend dieser Entwicklung zwangsläufig mit nach unten entwickeln.
Wir können heute feststellen, daß sich dieser enorme Wandel ohne wesentliche Erschütterungen unseres Wirtschafts- und Sozialgefüges vollzogen hat. Daran haben die Vollbeschäftigungspolitik und die Agrarsozialpolitik ihren besonderen Anteil. Weiter können wir feststellen, daß das Volumen der bewirtschafteten Fläche nur in einem ganz geringen Umfang zurückgegangen ist. Gleichzeitig hat dieser Vorgang zu einer Verbesserung der Agrarstruktur geführt. Wir stellen nämlich fest, daß die Durchschnittsgröße je Betrieb, die 1949 noch 6,95 ha betrug, heute 11,16 ha beträgt. Das ist eine Steigerung um rund 60 °/o, die sicherlich auch zu den Einkommensverbesserungen des letzten Jahres beigetragen hat.
Eine andere Frage ist, ob diese Steigerung der Durchschnittsgrößen unserer Betriebe im großen und ganzen ausreicht, um alle Anforderungen, die sich aus der Notwendigkeit einer kostengünstigen Produktion ergeben, zu erfüllen. Diese Frage, meine Damen und Herren, möchte ich persönlich offen verneinen. Auch in Zukunft müssen wir bestrebt sein, die Flächengrößen der Mehrzahl unserer Betriebe zu erweitern, und dabei sollten wir auch prüfen, welche zusätzlichen Möglichkeiten der Agrarstrukturverbesserung sich für uns aus den Strukturrichtlinien des Ministerrats der EWG ergeben, die dieser am 17. April 1972 erlassen hat und die ja noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Meine Vorredner haben diese Richtlinien negativ beurteilt. Wir sollten versuchen, aus ihnen das Beste für uns zu machen.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß es auf Grund der Initiativen des Bundes und der Länder einen breiten Fächer agrarstruktureller Maßnahmen gibt. Sie alle aufführen zu wollen, würde zu weit führen. Aussiedlung, Ansiedlung, Flurbereinigung und Einzelbetriebliches Förderungsprogramm mögen als Stichworte genügen. Aber ungeachtet all dieser Möglichkeiten werden wir meines Erachtens schon sehr bald gezwungen sein, ein noch geschlosseneres Konzept unserer agrarpolitischen und agrarstrukturpolitischen Zielsetzungen und Maßnahmen zu entwickeln. Es werden sich Fragen stellen, auf die wir eine Antwort finden müssen, wenn wir auf Dauer zu guten und haltbaren Lösungen kommen wollen.
Wir werden z. B. nicht an der Frage vorbeikommen, ob unsere Landwirtschaft auch im Rahmen einer erweiterten EWG noch ihre bisherige Erzeugungsstruktur beibehalten kann und soll und ob sie den Nahrungsmittelbedarf unserer Bevölkerung noch in derselben Weise und in dem bisherigen Um-
fang sicherstellen soll. Damit stellt sich zugleich auch die Frage des Agrarexports.
Wir werden auch die Beantwortung folgender Frage nicht ausklammern können: Wie werden sich voraussichtlich, auf längere Sicht gesehen, Art und Menge des Nahrungsmittelverbrauchs in der Bundesrepublik verändern? Mit anderen Worten: Wie kann eine Veränderung der Verbrauchergewohnheiten mit den Möglichkeiten der heimischen Produktion in Übereinstimmung gebracht werden? Sie wissen — um nur ein kleines Beispiel anzuführen -: immer mehr Menschen essen Margarine statt Butter.
Ich meine, daß, wenn wir auf diese Fragen Antworten haben, auch die Konturen einer langfristigen Agrarstrukturpolitik sichtbar werden.
Eine andere Frage wäre dann die: Wieviel Menschen, wieviel Flächen und dergleichen werden eines Tages endgültig nötig sein, um die zuvor als notwendig erkannte Agrarproduktion zu erstellen? Dazu gehört dann automatisch die Frage nach der optimalen Produktions- und Betriebsstruktur. Oder — um konkreter zu werden —: Können und sollen hauptsächlich Nebenerwerbsbetriebe oder können und sollen vorwiegend Vollerwerbsbetriebe die Aufgabe der Ernährungssicherung übernehmen? Denn, meine Damen und Herren, daß es beide Betriebsformen auf Dauer in genügender Zahl nebeneinander geben wird, wage ich zu bezweifeln.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kritische Bemerkung zur Zukunft der Nebenerwerbslandwirtschaft, die im Gegensatz zu dem steht, was einige meiner Vorredner hier ausgeführt haben. Hier und da wird die Nebenerwerbslandwirtschaft als die Betriebsform der Zukunft gepriesen. Schätzungen im Agrarbericht gehen davon aus, daß es im Jahre 1980 nur noch 250 000 Vollerwerbsbetriebe, daneben aber 420 000 Nebenerwerbsbetriebe geben wird. Ich persönlich teile die Meinung von der Richtigkeit dieser Schätzung nicht.
Selbst in einer im Agrarbericht angesprochenen Studie geht ein großer Teil von befragten Nebenerwerbslandwirten davon aus, daß ihre Kinder eines Tages nicht Nebenerwerbslandwirte sein werden.
Die Gründe für diese Mutmaßung sind vielfältig. Es kann und muß also damit gerechnet werden, daß die Zahl der Nebenerwerbsbetriebe schon in wenigen Jahren beträchtlich zurückgeht und damit zugleich ein großer Teil der heute noch bewirtschafteten Flächen aus der Produktion genommen wird.
Damit kann ich dann zu der Feststellung überleiten, daß zur Verbesserung der Agrarstruktur Flächen benötigt werden. Diese Flächen werden uns meines Erachtens schon in wenigen Jahren ausreichend zur Verfügung stehen. Es wird dann aber, so, wie das heute schon der Fall ist, große rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten geben, aufnahmewillige Betriebe mit diesen Flächen aufzustocken. Auf keinen Fall darf dann bei uns eine Entwicklung wie die eintreten, die unser Kollege Martin Schmidt
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hier mit den Vorgängen in Dänemark geschildert hat. Wir müssen bereits jetzt beginnen, ein Instrumentarium zu entwickeln, mit dessen Hilfe wir diese Aufgabe lösen können. Sie wissen, wir haben bereits Einrichtungen dieser Art. Aber sie reichen nicht aus. Ich meine — um auch das noch einmal aufzugreifen —, wir sollten uns sehr ernsthaft mit der Frage der Einrichtung regionaler Bodenfonds befassen. Auch andere Modellvorstellungen können hier in die Erwägung einbezogen werden.
Wenn wir die Frage der Bodenfonds behandeln, dann darf das Problem der Sozialbrache nicht ausgeklammert werden. Mein Kollege Martin Schmidt hat dazu schon einiges gesagt. Die Frage der Sozialbrache hängt sehr eng mit den Fragen des Umwelt- und Naturschutzes zusammen. Nach dem Agrarbericht wird die Sozialbrache bis 1980 um 245 000 auf rund 500 000 ha zunehmen. Ich meine, auch die Sozialbrachen müssen sinnvoll genutzt werden. Ihre Umwandlung in Erholungsflächen, soweit wie möglich, halte ich für eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Das vergrößerte Angebot an Freizeit muß sinnvoll genutzt werden. Die Schaffung größerer Erholungsflächen durch die Abrundung der Sozialbrachen, notfalls sogar mit bewirtschafteten Flachen, ist zugleich ein besonderer Beitrag zur Pflege und Verschönerung unserer Landschaft. Sie dient andererseits der Verbesserung der Struktur des ländlichen Raumes.
Zum Schluß einen Satz: Vorausschauende und damit steuernde Agrarpolitik ist nur möglich, wenn Regierung und Parlament bei den täglich zu treffenden Entscheidungen die künftige Entwicklung einigermaßen zuverlässig mit einbeziehen können. Nur so können Fehlplanungen vermieden werden. Ich meine, wer eine bessere Agrarstruktur will — und wir wollen sie —, der muß wissen, wie sie aussehen soll und mit welchen Mitteln sie erreichbar ist.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war nicht ohne weiteres voraussehbar, daß auch die Bodenrechtsproblematik heute bei dieser Debatte zur Sprache kommen würde.
-- Ich weiß nicht, meine Herren; wir sollten dieses wichtige und ernsthafte Problem doch mit großer Sachlichkeit behandeln. Wir sollten uns dabei nicht zuletzt an das erinnern, was gestern von den beiden Kirchen mit sehr großem Ernst über die Bedeutung und die Tragweite dieses Problems gesagt worden ist.
Ich darf also einschränken und sagen: Für mich war es nicht voraussehbar, daß die Bodenrechtsproblematik heute zur Sprache kommt. Ich benutze aber gerne die Gelegenheit, auf die beiden aufgeworfenen Fragen kurz einzugehen.Es ist die Sorge geäußert worden, daß der zuständige Minister bei den Vorbereitungen für bodenrechtliche Maßnahmen nicht in ausreichendem Maße an die Häusle-Bauer denke. Ich darf dazu erklären, daß in allen Planungen, in allen Überlegungen stets klargemacht wurde, daß das eigengenutzte Eigentum besondere Berücksichtigung finden muß und daß zwischen dem eigengenutzten Eigentum und anderen Formen des Bodeneigentums ein deutlicher Unterschied zu machen ist. Das betrifft die Häusle-Bauer, das betrifft alle Eigentümer von Einfamilienhäusern, das betrifft die Eigentümer von Eigentumswohnungen, und das bezieht sich -- und das darf ich gerade in dieser Debatte sagen — selbstverständlich auch auf die Landwirtschaft. Es ist uns völlig klar, daß Landwirtschaft, die noch betrieben wird, unter die Rubrik des eigengenutzten Eigentums fällt.
Ich glaube also, Herr Kollege Gallus, daß wir uns hier in voller Übereinstimmung befinden, und ich bin für die Gelegenheit dankbar, das hier ausdrücken zu können.Eine zweite Sorge ist aus den Reihen der Opposition geäußert worden, die Sorge, die, wie ich glaube, auch auf eine Zeitungsmeldung gestützt wurde, daß der zuständige Minister etwa der Abschaffung des Eigentums das Wort rede. Meine Damen und Herren, davon kann gar keine Rede sein. Richtig ist, daß wir im Vollzug eines Auftrages, den das Städtebauförderungsgesetz ganz generell gegeben hat, darüber nachdenken, ob nicht noch weitere dinglich-rechtliche Eigentumsformen zur Verfügung gestellt werden sollten. Dabei wird an das Nutzungseigentum gedacht, das mehr wäre als ein Erbbaurecht und weniger als das Volleigentum. Dieses Nutzungseigentum sollte alternativ neben den vorhandenen Formen insbesondere den Städten zur Verfügung gestellt werden, weil sich die Fälle häufen, in denen Städte Grund und Boden an Private veräußern, zum Teil unter dem Gesichtspunkt des Ersatzlandanspruches sogar veräußern müssen, und wenige Jahre später die gleichen Grundstücke mit hohen Gewinnen weiterveräußert werden. Das Nutzungseigentum wäre eine geeignete Form, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Mißstände und diese Fehlentwicklung zu verhindern. Nur darum ging es.Meine Erläuterung, daß das Nutzungseigentum kein Eigentum auf Ewigkeit sei, sondern wie das Erbbaurecht ein Eigentum, das sich an der Lebensdauer des Gebäudes orientiert, bezog sich nur auf eben dieses Eigentum.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob mir diese Anregung zusteht, aber ich glaube, es ist hoch an der Zeit, daß wir nicht nur im Ausschuß, sondern auch hier im Hause die bodenrechtliche
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Bundesminister Dr. VogelProblematik sine ira et studio in ihrer ganzen Vielfältigkeit zum Gegenstand einer breiten Aussprache machen.
Es ist viel wesentlicher, daß wir die große gesellschaftspolitische Bedeutung dieses Problems erkennen und daß wir uns darüber verständigen, als daß wir in jeder Nuance der konkreten Regelung schon am Ausgangspunkt übereinstimmen.
Ich möchte mit der Feststellung schließen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Problematik des Bodenrechts ist viel zu ernst für uns alle geworden, als daß wir diese Reform ein paar Spezialisten überlassen könnten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst ein Wort zu den Ausführungen von Herrn Bundesminister Vogel sagen. Ich halte es für gut, daß wir in diesem Hause und in den Ausschüssen einmal die gesamte Problematik des Bodenrechts sehr gründlich diskutieren, damit auch die vielen sehr widersprüchlichen Aussagen aus dem Lager der Regierungsparteien auf einen Nenner gebracht werden können. Wir wollen hier keinen Zweifel daran lassen, daß auch wir an Lösungen interessiert sind, die künftig die Bildung neuen Bodeneigentums auch für die Bürger offen läßt, die ein Eigenheim bauen wollen. Daran kann für uns kein Zweifel bestehen, und wir werden mit Sicherheit an konstruktiven Lösungen mitarbeiten.
Aus den Zwischenfragen des Kollegen Schneider ist bereits deutlich geworden, wie wir die Stellungnahme der beiden Kirchen bewerten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, ehe ich zu den Problemen komme, die ich eigentlich ansprechen wollte, ein Wort sagen, von dem ich meine, daß diese Debatte ohne dieses Wort nicht zu Ende gehen sollte. Wir haben in weiten Teilen der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor sehr unter den Folgen der Sturmkatastrophe vom 13. November in den Forsten zu leiden. Wir sollten wenigstens mit einem Satz in dieser Agrardebatte deutlich machen, daß der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zusammen — das muß man sagen — mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erkannt hat, daß zusätzliche Hilfestellungen des Bundes notwendig sind. Es wäre eigentlich gut, wenn heute auch von Regierungsseite eine Aussage darüber käme, wieweit man sich zwischen dem Landwirtschaftsministerium und dem Finanzministerium über die notwendigen ergänzenden Hilfen des Bundes verständigt hat. Daß es hier nicht nur um Hilfestellung für Bürger, für Landwirte,
sondern letztlich darum geht, eine verwüstete Landschaft wiederherzustellen,
sei in diesem Zusammenhang nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Meine Damen und Herren, wir haben durch meine Kollegen deutlich gemacht, daß wir den wesentlichen Inhalten der Einbringungsrede des Bundesministers Ertl zustimmen. Wir haben allerdings auch keinen Zweifel daran lassen können — und ich muß dies auch sagen —, daß eben doch einige wichtige Fragen der deutschen und der europäischen Agrarentwicklung entweder zu optimistisch, zu allgemein oder auch gar nicht angesprochen worden sind. Hier ist, meine ich, auch auf einen Widerspruch zwischen einem hohen politischen Anspruch und der Wirklichkeit hinzuweisen, der vor allem dort klafft, wo die Agrarpolitik als eine „Politik für alle Menschen im ländlichen Raum" bezeichnet worden ist.
Herr Minister Ertl hat den Modellen der künftigen Agrarentwicklung, die darauf hinauslaufen, die Agrarpreispolitik durch eine generelle Politik der Eigentumsübertragung zu ersetzen, eine Absage erteilt, und ich meine, daß dies gut und notwendig war. Wenn Herr Kollege Schmidt sagt: „Wir müssen aber über die Dinge nachdenken", so ist das zwar auch richtig, aber, meine Damen und Herren, diese Modelle wie etwa der Spinelli-Plan — tragen dazu bei, daß die unternehmerische Freiheit der Landwirte eingeengt würde, daß die Einkommen nach unten nivelliert und daß auch wahrscheinlich die Finanzminister der EWG-Staaten in wenigen Jahren auf den Plan gerufen würden. Aber nur darüber und dagegen zu lamentieren, nützt nichts. Wir müssen z. B. sehr konkret an die Frage heran, wie wir die Landbewirtschaftung in den von der Natur besonders benachteiligten Gebieten langfristig sichern können. Denn wenn es uns mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dieser Räume ernst ist, wenn es uns damit ernst ist, daß die Landbewirtschaftung den besonderen Auftrag hat, zur Erhaltung der Erholungs- und Kulturlandschaft beizutragen, müssen wir uns darüber klar sein, daß dies mit den herkömmlichen Instrumentarien der Agrarpolitik in Zukunft nicht zu lösen ist.
Darum hätten wir ganz gerne etwas über einen konkreten Beitrag zur Lösung dieser Frage gehört.
Ich weiß, in Brüssel wird über die Dinge diskutiert. Aber nach den Erfahrungen, die wir dort mit Plänen, Resolutionen und Vorschlägen gemacht haben, fürchte ich, daß wir noch sehr lange werden warten müssen.
Warum eigentlich ist nicht schon viel eher ein erster Einstieg in eine Politik der Bewirtschaftungszuschüsse auf einem Gebiet erfolgt, wo wir gleichzeitig auch ein wichtiges Marktproblem hätten anpacken können? Meine Damen und Herren, Herr Minister Ertl hat nichts über die Probleme auf dem Milchmarkt gesagt. Dies hat der Kollege Gallus
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Dr. Ritz
heute getan. Nicht zuletzt wegen der Vollerwerbsbetriebe, die zu einem überwiegenden Teil von der Milchviehhaltung leben, müssen wir diese Frage der Überschüsse sehr, sehr ernst nehmen. Warum hat man eigentlich vor allem in diesen von der Natur benachteiligten Regionen nicht den kleineren Kuhhaltern einen langfristig abgesicherten Bewirtschaftungszuschuß unter der Voraussetzung angeboten, daß sie ihre Milchproduktion auf Fleischproduktion umstellen? Damit würden wir in der Tat sowohl dem Anliegen Rechnung tragen, die Kulturlandschaft zu erhalten, als auch einem dringenden Marktproblem gerecht werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch über das hier heute Gesagte hinaus noch einige Bemerkungen zum Agrarstrukturwandel und seinen Konsequenzen machen. Auch wenn sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft in den nächsten Jahren merklich verlangsamen muß — die Abwanderungsrate hat bei den Vollarbeitskräften im Jahre 1972 mit 6,8 °/o einen Höhepunkt erreicht —, so gehen wir alle davon aus, daß sich die Zahl der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe auch in Zukunft weiter verringern wird. Technischer Fortschritt und die Freizeiterwartung werden auch in Zukunft eine ständige Anpassung in der Betriebsstruktur erfordern. Aber — auch das ist wichtig — schon heute ist der Beweis erbracht, daß auch mittelbäuerliche Betriebe durch Rationalisierung und Ausnutzung der Möglichkeiten überbetrieblicher Zusammenarbeit — hier hat der Maschinenring eine besondere Bedeutung — eine echte Zukunftschance als Vollerwerbsbetriebe haben. Ich meine, dies sollte man in aller Deutlichkeit vor allem im Hinblick auf die jungen Menschen in der Landwirtschaft sagen: daß eben auch mittelstrukturierte Betriebe eine echte Chance haben. Es war nicht zuletzt die Strukturdebatte der Jahre 1968 bis 1971, die viele junge Landwirte — es waren die tüchtigsten — verunsichert hat. Es wurde geraten, lieber heute aus der Landwirtschaft herauszugehen, als sich in wenigen Jahren etwa sagen lassen zu müssen: Jetzt sind 30, 35 ha zu klein; du mußt 80 oder 90 ha haben. Insofern muß, so meine ich, deutlich sein, daß auch der mittelbäuerliche Betrieb in der Zukunft eine echte Chance hat.
Wir registrieren mit Befriedigung, daß der Agrarbericht und auch die Einbringungsrede die wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und raumordnerische Bedeutung der landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebe genauso einordnen, wie wir es seit Jahren getan haben. Damit hoffe ich auch, daß die Kontroversdebatten über dieses Thema, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, der Vergangenheit angehören. Allerdings waren in den Aussagen des Kollegen Sander einige Hinweise, die mich doch nachdenklich gestimmt haben. Er sagte als seine persönliche Meinung, die Zukunft der Nebenerwerbsbetriebe sei keineswegs so gut.
Nun, meine Damen und Herren, es wäre in der Tat töricht, im Zeichen wachsender Freizeit die Nebenerwerbsbetriebe als antiquiert und überholt abschreiben zu wollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter, könnten Sie mir sagen, wie viele weiterführende Schulen in den ländlichen Räumen in Bayern allein in den letzten zehn Jahren errichtet worden sind?
Herr Stücklen, es geht doch ganz schlicht darum, daß auch moderne Schulformen geschaffen, daß Modellversuche der Ganztagsschule und vor allen Dingen der Gesamtschule im ländlichen Raum durchgeführt werden. Und daß da Bayern am Ende der Skala liegt, wissen Sie doch ganz genau.
Der Hinweis von Minister Ertl in seiner Einbringungsrede, daß die günstigere Einkommenssituation in der Landwirtschaft zu einem Gutteil auf die Tüchtigkeit der Betriebsleiter zurückzuführen ist, wirft auch ein Schlaglicht auf die Bedeutung einer qualifizierten Berufsausbildung in der Landwirtschaft. Es ist deshalb zu begrüßen, daß diese Bundesregierung mit Modellversuchen auch im allgemeinbildenden Schulsektor, Herr Stücklen, einen Beitrag dazu leistet, das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land abzubauen. Neue Schulformen, Ganztagesunterricht, aber auch verbesserte Transportbedingungen für die Schüler im ländlichen Raum sind hierfür geeignete Maßnahmen, die jedoch in der Regel in die Länderzuständigkeit fallen.
Erste Erfolge des größeren Engagements von Herrn Minister Ertl und seinem Hause auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Berufsausbildung sind im Agrarbericht sichtbar. Zwar spiegeln die sinkenden Zahlen der Auszubildenden, die nämlich im vergangenen Jahr um 38 000 zurückgingen, die Gesamtsituation in der Landwirtschaft wider, dafür wird jedoch alles getan, um die Qualität der Ausbildung zu verbessern. Trotz der sinkenden Zahl von Auszubildenden stieg nämlich die Zahl derer an, die einen berufsqualifizierten Abschluß ablegten.
Im vergangenen Jahr traten Ausbildungsordnungen in Kraft, die die Berufsausbildung der Landwirte, Gärtner, Winzer, Fischwirte, des Molkereifachmannes und der Hauswirtschafterin regeln. Damit sind 90 % aller Auszubildenden im agrarischen Bereich mit einer bundeseinheitlich geregelten Berufsausbildung innerhalb des dualen Bildungssystems versehen. Meine Damen und Herren, wer hier den Eindruck erwecken möchte, daß wir das duale Bildungssystem aufgeben wollen, der liegt falsch. Trotzdem sind wir uns bewußt, daß wir einige überbetriebliche Kurse durchführen und vielleicht auch Ausbildungskooperationen künftig eingehen müssen.
— Ach, Herr Stücklen, woher wissen Sie denn, daß ich bei den Jungdemokraten Mitglied bin?
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Dr. Vohrer
Darüber hinaus bemüht man sich im Landwirtschaftsministerium, Vorstellungen über die Eignung der Ausbildungsstätten, den Einsatz von Ausbildungsberatern und das Berufsgrundbildungsjahr zu entwickeln. Die Gesamtheit dieser Maßnahmen führt dazu, daß die agrarischen Berufe verglichen mit den außerlandwirtschaftlichen Berufen kein Mauerblümchendasein mehr fristen müssen. Indikator einer qualitativ verbesserten Berufsausbildung ist auch die steigende Zahl der Absolventen der Meisterprüfung. Dagegen geht die Gesamtzahl der Fachschulabsolventen zurück.
Das Fehlen von Bedarfsanlaysen für die Absolventen aus dem Bereich der Technikerschulen, der Fachhochschulen und der Universitäten führt zu einer Verunsicherung der dort Studierenden. Im übrigen ist die Annahme sicherlich nicht aus der Luft gegriffen, daß die Numerus-clausus-Regelung in anderen Studienbereichen zu einem Anwachsen der Studentenzahl im landwirtschaftlichen Bereich führt. Lediglich eine Ausweitung des Tätigkeitsbereichs dieser Gruppe auf das ökologische Gebiet kann dazu führen, daß diesen Studierenden ein ihrer Ausbildung gemäßer Arbeitsplatz gesichert werden kann.
Die sehr vielseitigen landwirtschaftlichen Weiterbildungsmöglichkeiten sollten meiner Ansicht nach vor allen Dingen in einem Bereich eine Vertiefung erfahren: Die Gruppe der Nebenerwerbslandwirte sollte ein vielseitiges Kursangebot erhalten, das sie in die Lage versetzt, ihren Betrieb arbeitsextensiv führen zu lernen. Herr Ritz, hier stimme ich Ihnen zu. Sie sollten innerhalb der Opposition eine Meinungsbildung herbeiführen, denn Herr Kiechle hat in seinen Ausführungen bis zu einem gewissen Grade Nebenerwerbslandwirten, die ihre Betriebe arbeitsintensiv führen, das Wort geredet.
Es muß endlich auch mit der Empfehlung an die Hofnachfolger relativ kleiner Betriebe Schluß gemacht werden, zwei Berufe zu erlernen.
Sind die betriebsstrukturellen Voraussetzungen für einen im Sinne des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms existenzfähigen landwirtschaftlichen Betrieb vorhanden, so sollte diesen Jugendlichen eine qualifizierte landwirtschaftliche Berufsausbildung empfohlen werden. Fehlen diese Voraussetzungen aber, so ist es ehrlicher, diesen Jugendlichen sofort zu einer qualifizierten außerlandwirtschaftlichen Berufsausbildung zu raten und ihnen dann die Möglichkeit zu bieten, die Fähigkeit, einen Nebenerwerbsbetrieb zu führen, eventuell in Kursen zu lernen.
Neben den bildungspolitischen Bemühungen sind auch die Aktivitäten auf dem Gebiet der agrarischen Forschung für eine modern konzipierte, langfristige Agrarpolitik von Bedeutung. Zu der herkömmlichen Forschung, deren primäre Zielsetzung die Ertragssteigerung ist und zu der die Untersuchungen im Bereich des Pflanzenbaus, der Tierzucht, der Mechanisierung und Rationalisierung sowie die strukturpolitischen Untersuchungen zu rechnen sind, kommt das weite Gebiet des Umweltschutzes. Neben der bisherigen Forderung — hier stimme ich meinem Kollegen Gallus zu — nach frischen Erzeugnissen sollte zukünftig mehr Wert auf eine gesunde Ernährung gelegt werden. Damit wird es aber notwendig, neue Forschungsschwerpunkte zu setzen. Es müssen Analysenmethoden zur Prüfung von Lebensmitteln auf ihre Rückstände entwickelt werden, und diese Methoden müssen dann, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, auf dem gesamten europäischen Agrarmarkt Anwendung finden. Auch Fragen der Verpackung und der Lagerung sind im Zusammenhang mit der Forschung hier zu erwähnen.
lm übrigen brachte der Zwang zur stetigen Produktivitätssteigerung teilweise umweltschutzfeind-liche Produktionsmethoden in die Landwirtschaft. Unsachgemäßer und überhöhter Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, Monokulturen und flächenunabhängige Massentierhaltung bringen Probleme mit sich, zu deren Bewältigung ein umfangreiches Forschungsprogramm unumgänglich ist. Eine weitsichtige Agrarpolitik muß von Forschungen begleitet sein, die mögliche negative Auswirkungen einer immer mehr auf Produktivitätssteigerung getrimmten Landwirtschaft so früh wie möglich erkennbar machen oder erst gar nicht entstehen lassen. Es muß jedoch auch eine Forschung betrieben werden, die die positiven gesellschaftlichen Wirkungen der Landwirtschaft zu entfalten hilft. Eine nicht zu intensiv betriebene Landbewirtschaftung vermag nämlich einen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht zu liefern, die Luftreinhaltung zu fördern, als Wasserspeicher zu dienen und die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten.
Die äußeren Rahmenbedingungen für eine mehr gesellschaftspolitisch orientierte Agrarpolitik sind dabei günstig. Die Agrarmarktsituation der Europäischen Gemeinschaft ist durch strukturelle Überschüsse gekennzeichnet und ermöglicht somit eine extensivere Agrarproduktion vor allem in Mittelgebirgslagen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Bitte schön!
Herr Kollege, können Sie an Hand einiger Beispiele belegen, daß die deutsche Landwirtschaft umweltgefährdend produziert?
Sie wissen alle, daß wir im Bodenseegebiet jetzt schon Nitrat-Ausschwemmungen haben und daß wir in den alluvialen Kiesböden der Rheinebene im Grundwasser auch schon Spuren der zu intensiven Düngung finden. Sie wissen ebenso, daß sich Spuren von giftigen Spritzmitteln in der Atmosphäre wiederfinden.
Doch zurück zu meinen Ausführungen: Die Agrarmarktsituation der Europäischen Gemeinschaft ist
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 757
Dr. Vohrer
durch strukturelle Überschüsse gekennzeichnet. Andererseits bringt die Konzentration der Bevölkerung in den Ballungsräumen zusammen mit dem größeren Angebot an Freizeit und der einseitigen Beschäftigung ein wachsendes Bedürfnis nach Betätigung der Menschen in der Natur mit sich.
Insofern kommt auf die Landwirtschaft mit der Pflege großräumiger Freizeit- und Erholungslandschaften eine neue Dienstleistungsaufgabe zu. Insbesondere in den von der Natur für die Agrarproduktion benachteiligten, für den Tourismus aber interessanten Mittelgebirgslagen, die heutzutage ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachen, ist zu prüfen, welche betriebsstrukturellen und finanziellen Auswirkungen aus einer solchen mehr auf gesellschaftliche Kriterien umzustellenden Agrarproduktion zu erwarten sind. Ein erstes Forschungsvorhaben beschäftigt sich deshalb mit den Auswirkungen und den Chancen der Aktion „Ferien auf dem Bauernhof" für den landwirtschaftlichen Betrieb.
In diesem Zusammenhang möchte ich folgende grundsätzliche Überlegung zur Agrarpolitik einfließen lassen: In den römischen Verträgen der Europäischen Gemeinschaften wurde ein System von Marktordnungen konzipiert, das nicht geeignet ist, weder die durch Umweltbelastungen von den Landwirten verursachten sozialen Kosten noch den durch den Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht und die Pflege der Landschaft erbrachten sozialen Nutzen richtig zu bewerten. An solchen Überlegungen kann eine zeitgemäße Agrarpolitik jedoch nicht vorbeigehen. Insofern ist es erfreulich, daß man sich im Bundesernährungsministerium Gedanken macht und entsprechende Grundlagenforschung betreibt, um letztlich eine Agrarpolitik einzuläuten, die nicht nur leere Ränge und das Gähnen dieses Hohen Hauses sowie die Kritik breiter Kreise der Bevölkerung an den europäischen Butterbergen mit sich bringt, sondern eine Agrarpolitik, die den Landwirt vom Subventionsempfänger zum gesellschaftlich hoch geschätzten Produzenten frischer und gesunder Nahrungsmittel und zum Pfleger einer lebenswerten Landschaft macht.
Daraus leite ich die Aussage ab, die mein Fraktionskollege Moersch schon in der Debatte zum Grundvertrag machte, indem er feststellte, daß sich der Grundvertrag nahtlos in das große Konzept dieser Bundesregierung einfüge. Ich komme nämlich zu dem Ergebnis, daß sich eine Agrarpolitik, die sich zukünftig mehr um die von ihr verursachten sozialen Kosten und Nutzen kümmert, nahtlos in das große Konzept dieser Bundesregierung einfügt, die sich nämlich zum Ziel setzt, die Qualität des Lebens zu verbessern.
Eine solche Agrarpolitik wird dann auch breite Zustimmung und Unterstützung der städtischen Bevölkerungskreise erzielen. Wenn diese vom Staat den Landwirten entlohnte gesellschaftliche Dienstleistung der Landschaftspflege dem Bürger auch gewisse Kosten verursacht, so wird diese Agrarpolitik dennoch das Verständnis breiter Kreise der Bevölkerung finden.
Wer die Agrarpolitik dieser Bundesregierung in der eben aufgezeigten Richtung wünscht, muß die entsprechenden gesetzgeberischen Initiativen jedoch auch unterstützen, die dem Bund das Recht zubilligen, Rahmenvorschriften für den Naturschutz und die Landschaftspflege zu erlassen. Das gleiche gilt für den vorliegenden Entwurf eines Bundeswaldgesetzes.
Im übrigen wurde die positive Sozialfunktion des Waldes schon seit langem erkannt und bei der Diskussion um die Rentabilitätsfragen der Forstwirtschaft ins Feld geführt. Insofern erscheint es gerechtfertigt, daß seitens der öffentlichen Hände auch für die Privatwaldbesitzer Anreize gegeben werden, um von den anfälligen Fichtenmonokulturen zu Mischwäldern überzugehen. Das gleiche gilt auch für Flächen, die als Grenzertragsböden oder aus sonstigen Gründen langfristig brachliegen oder zukünftig noch brachfallen werden.
Untersuchungen über den Erholungswert des Waldes und vor allem des Waldrandes liegen derzeit noch in unzureichendem Maße vor. Wird der Wald aber bewußt in die Freizeit- und Erholungslandschaft einbezogen, so sind es sicherlich die großräumigen Parks, die den Erwartungen der Erholungssuchenden am ehesten entsprechen. Deshalb ist die Forschung auf diesem Gebiet intensiv zu betreiben.
Ich komme zum Schluß und möchte noch ganz kurz einige Worte zu den Sonderkulturen sagen. Der Gemüsebau hat trotz der angeführten negativen Entwicklungen im Feldgemüsebau mit 18 200 D-Mark Einkommen je Arbeitskraft eine erfreuliche Aufwärtsentwicklung genommen. Auch im Obstbau ist mit 25 % Einkommenssteigerung heute eine relativ erfreulichere Entwicklung festzustellen, die uns jedoch nicht davon entbindet, zukünftig der Organisation der Obstmärkte mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Ich glaube, wir sollten als letztes Produkt hier noch den Wein ansprechen. Dort zeigt sich mit 20 000 DM Einkommen je Arbeitskraft die erfreulichste Entwicklung, und hier können bei hohen Einkommenselastizitäten auch weiterhin Einkommenssteigerungen erreicht werden. Mit einem Verbrauch von 19,4 Liter je Einwohner und Jahr sind wir im Vergleich zu den Franzosen sowieso ausgesprochene Abstinenzler.
Wenn ich die Ehre habe, am Ende der trockenen Agrardebatte über Wein zu sprechen, so erlaube ich mir auch die Anregung, zukünftig am Ende einer solchen Agrardebatte im Foyer eine kleine Weinprobe zu kredenzen. Wir hätten dann Gelegenheit, mit der Opposition darauf anzustoßen, daß auch sie die Agrarpolitik in der Vielfältigkeit sieht, in der sie von uns im derzeitigen Agrarbericht gezeigt wird.
Zukünftig werden wir sowieso nicht umhin können, der gesunden Ernährung, dem Umweltschutz-Aspekt der Landwirtschaft, der agrarischen Forschung, Bildung und Ausbildung sowie dem raumordnerischen Beitrag der Landwirtschaft neben den
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Dr. Vohrer
klassischen Säulen der Agrarpolitik — Markt-, Preis-, Struktur- und Sozialpolitik — mehr Beachtung zu schenken. Der Agrarbericht, der diese Verzahnung in aller Deutlichkeit aufzeigt, kann in dieser Hinsicht nur als Pionierarbeit gesehen werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Riedel-Martiny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das fortsetzen, was Herr Dr. Vohrer hier eben begonnen hat, und einige Aspekte verfolgen, die in der Debatte bisher noch keine Rolle gespielt haben. Ich möchte mich vor allen Dingen mit dem Sektor der Verbraucherpolitik und mit dem Weltagrarhandel befassen, was auf den ersten Blick nicht sehr viel miteinander zu tun hat, und zu einem zweiten Blick werden wir wohl heute nicht die Zeit haben; aber sei's drum.
Mit Genugtuung kann man dem Agrarbericht entnehmen, daß bei den Nahrungsmitteln im vergangenen Jahr im EWG-Bereich zugunsten der Verbraucher Maßnahmen gegen Preissteigerungen ergriffen worden sind. Es steht zu lesen, daß Lagerbestände von Fleisch aufgelöst wurden, Einfuhrerleichterungen für Schafe und für Lammfleisch in Kraft traten und Zollsenkungen für Kälber und Rinder beschlossen wurden. Auch ist die Rede von der Ausgabe verbilligter Butter an Sozialhilfeempfänger und außerdem von der Erlaubnis, Butterschmalz herzustellen oder Lagerbutter verbilligt abzugeben. Das alles haben Sie sicherlich gelesen. Ich meine trotzdem, daß man im Interesse der Verbraucher fragen sollte, ob die Verbilligung der Butter den Verbraucher, selbst wenn sie ihm kurzfristig nützt, langfristig nicht doch etwas teuer zu stehen kommt angesichts des Milchüberschusses im EWG-Bereich, der ja doch eine ganze Menge Geld kostet.
Ein wenig kritisch kann den Beobachter unter dem Aspekt der Preisstabilität in diesem Zusammenhang auch die Tatsache stimmen, daß er im Bericht über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 4. Quartal 1972 lesen muß, die Versorgung mit Tomatenkonzentraten werde zunehmend schwieriger, weil infolge der Schutzmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft keine ausreichenden Einfuhrlizenzen erteilt werden konnten, obwohl Italien und sogenannte Garantieländer wie Griechenland nicht mehr lieferfähig waren. Die Preise bei Tomatenkonzentraten — „Tomatenmark" für den Laien — sind demzufolge um bis zu 60'0/o gestiegen. Hieraus kann man wohl als Verbrauchervertreter den Anspruch ableiten, daß die Schutzmaßnahmen in Einzelfällen insbesondere unter dem Aspekt der Preisstabilität noch kritischer überprüft werden.
Der Agrarbericht betont das Wachsen des Gesundheitsbewußtseins der Bevölkerung. Dem ist zuzustimmen — auch dann, wenn sich dieses gewachsene Gesundheitsbewußtsein meistens an Punkten äußert, wo in der Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln Mängel sichtbar sind.
In diesem Zusammenhang kommt der anstehenden Reform des Lebensmittelrechts große Bedeutung zu. Hier wird insbesondere darauf zu achten sein, daß Chemikalien, selbst wenn sie nur den Verdacht auf Gesundheitsschädlichkeit zulassen, zur Haltbarmachung von Lebensmitteln nicht verwendet werden dürfen.
Auch muß eine wirkungsvolle Kontrolle der Lebensmittel gesichert werden. Die Öffentlichkeit sollte sich ausdrücklich ermuntert fühlen, ihr elementares Recht auf gesunde Ernährung zum Ausdruck zu bringen, ganz gleich, ob sich dieses Recht nun im Anspruch auf weniger fettreiche Milch oder in der Ablehnung von Marktplätzen am Rande bleiverseuchter Hauptstraßen Bahn bricht.
Was die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen und preisgünstigen Lebensmitteln angeht, so muß, meine ich, verstärkte Aufmerksamkeit dem ländlichen Raum gewidmet werden. Hier könnte man einige Zwischenrufe aufgreifen, mit denen Herr Stücklen versucht hat, die Aussprache zu beeinflussen.
Ich meine nämlich, daß es völlig verkehrt ist, die Versorgung im ländlichen Raum hier auszuklammern; denn hier fehlt, was in verdichteten Gebieten die Regel ist: ein vielfältiges Angebot durch mehrere konkurrierende Geschäfte. Allzu leicht geht man bei der Betrachtung des ländlichen Raums hinsichtlich seiner Versorgung mit Lebensmitteln von der irrigen Annahme aus, hier habe jeder noch sein Gärtchen mit Frischgemüse und Obstbäumen, seine Kuh für die Milch sowie einige Hühner und mäste alljährlich aus den Küchenabfällen das im Winter zu schlachtende deutsche weiße Edelschwein.
Dies ist aber längst nicht in dem angenommenen Maße der Fall, so daß weite Bevölkerungsteile auf dem Lande nachweislich nicht hinreichend mit frischem Obst und frischem Gemüse versorgt sind.
Auch die Versorgung mit Tiefkühlkost und vorbereiteter Nahrung läßt hier vielfach zu wünschen übrig. Ein einziges Geschäft am Ort verkauft häufig zwischen Schuhbändern, Glühbirnen und Schulturnhosen auch Nahrungsmittel,
darunter am Montag sehr häufig die von Freitag verbliebenen Restbestände an Salat und Weintrauben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Bedeutung von Wochenmärkten und ambulanten Händlern für Obst, Gemüse und Molkereiprodukte unterstreichen.
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Frau Dr. Riedel-Martiny
Der Agrarbericht weist ferner auf mangelnde Aufgeschlossenheit der sozial schwachen Schichten für die haus- und ernährungswirtschaftliche Beratung hin. Hier muß bedacht werden, daß zwischen sozialer Schicht und Bildungsniveau ja wohl unbestreitbare Zusammenhänge bestehen. Wer eine nur wenig qualifizierte Ausbildung hat, verdient nicht nur wenig, sondern erweist sich auch in seinem Verhalten als Verbraucher weder als besonders kritisch noch als ausgesprochen findig, d. h. er pflegt durch ungünstigen Einkauf die geringe Menge seiner Einkünfte weit stärker anzuzapfen, als dies der sogenannte Gebildete mit seinem Mehr an Geld zu tun pflegt. Darauf sollten auch die Versorgung im ländlichen Raum und außerdem die Aufklärungsarbeit in diesen Regionen und für sozial schwache Schichten eingestellt sein.
Ich vermisse im Agrarbericht Angaben über eine Erfolgskontrolle bei Maßnahmen der Verbraucheraufklärung. Die Aktion „Vorrat ist ein kluger Rat" wird ohne Zweifel öffentlichkeitswirksam durchgeführt. Dennoch wüßte man gern, wie viele Frauen und Männer aus welcher Altersgruppe und aus welcher sozialen Schicht sich an dieser Aktion beteiligen.
Eine ähnliche Erfolgskontrolle wäre hinsichtlich der gezielten ernährungskundlichen Arbeit angebracht, die vom Bund erheblich unterstützt wird. Z. B. weist der Agrarbericht eindeutig aus, daß immer mehr Menschen mittags in Kantinen essen. Angaben über eine ernährungskundliche Kontrolle des Kantinenessens im gesamten Bundesgebiet fehlen aber, desgleichen Hinweise darauf, inwieweit sich in der Bevölkerung die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß man den häufigen Mängeln des Kantinenessens durch überlegte Ausgleichsernährung zu Hause begegnen muß.
Diese ernährungskundlichen Schwerpunktprogramme — zum einen Verpflegung in Ganztagsschulen, zum anderen der Großversuch zur Ernährungsaufklärung im Medienverbund — verdienen anerkannt zu werden. Diese Anerkennung soll aber gleichzeitig, meine ich, dazu herausfordern, das Untersuchungsprogramm auf diesem Gebiet zu erweitern.
Ein anerkennendes Wort in diesem Zusammenhang auch zu den wöchentlichen Preiserhebungen bei Nahrungsmitteln. Hier sollten künftig allerdings auch die ländlichen Gebiete miterfaßt werden, und nicht nur die Mittel- und Großstädte, um die Angaben nicht einseitig werden zu lassen.
Ich halte es für begrüßenswert, daß die Verbraucher bei der Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben gehört werden sollen, wenn diese ihre Interessen berühren. Allerdings macht mich ein wenig stutzig, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft in der Fragestunde der vergangenen Woche auf meine diesbezügliche Frage eine sehr allgemein gehaltene Antwort gab.
Die Verbraucherverbände verfolgen ein legitimes Interesse, wenn sie bei der Bundesregierung auch künftig darauf drängen, zu Gesetzesvorhaben gehört zu werden, in denen Verbraucherinteressen angesprochen werden.
Insgesamt muß man dem Agrarbericht bescheinigen, daß er ein redliches Bemühen um Ausgleich zwischen den Interessen der Erzeuger und der Verbraucher zeigt. Da dieser Konflikt aber niemals ganz zu lösen sein wird und die Erzeugerseite außerdem über eine sehr aktive Interessenvertretung verfügt, wird mancher kritische Einwand der Verbraucherorganisationen gegenüber dem hier vorliegenden Bericht verständlicher. Es herrscht ganz ohne Zweifel ein Nachholbedarf an öffentlicher Aufmerksamkeit auf seiten der Verbraucher.
Ein ähnlich latenter Interessenkonflikt liegt im Agrarhandel zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern vor; davon war heute noch gar nicht die Rede. Es ist zu begrüßen, daß der Bericht zu diesem Problem klar Stellung bezieht. Die Verantwortung der Europäischen Gemeinschaft besteht nämlich in der Tat zunehmend in der Aufgabe — ich zitiere hier mit der gütigen Erlaubnis des Präsidiums —, „zu einer tragfähigen, internationalen Lösung der Weltagrarprobleme sowie zur Lösung der sich aus ihrer Erweiterung ergebenden speziellen Probleme beizutragen."
Daß die Bundesregierung sich definitiv dazu bekennt, durch den Abbau von Handelshemmnissen ihren Beitrag zur Vergrößerung des Weltagrarhandels zu leisten — dies auch bei sogenannten konkurrierenden Produkten —, kann ihr nicht hoch genug angerechnet werden.
Es ist zu hoffen, daß der Wille, sich bei Agrarexporten in Entwicklungsländer stärker als bisher auf die Bedürfnisse der Importländer einzustellen und auf der anderen Seite den Entwicklungsländern einen verstärkten Zugang zu den Märkten der entwickelten Länder, also auch der EWG, zu öffnen, bei den Partnerländern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft stärker als bisher durchdringt.
Die Bemerkung unter Ziffer 187 des Berichtes, daß das nicht erreichte Wachstum des Bruttosozialprodukts der Entwicklungsländer auf dem Agrarsektor durch ein stärkeres Wachstum auf dem gewerblichen Sektor um noch mehr als 8 % ausgeglichen werden könnte, erscheint allerdings nicht besonders realistisch.
Die geschilderten Ziele der internationalen, nationalen und gemeinschaftlichen Agrar- und Handelspolitik, die der Bericht im einzelnen nennt, verdienen Zustimmung und Anerkennung. Insbesondere ist ein Hinweis darauf angebracht, wie positiv sich die Bundesregierung gegenüber der von der FAO eingeleiteten sogenannten Anpassungsstudie einstellt.
Ich darf hierzu eine frühere Äußerung von Minister
Ertl heranziehen: „Die Gemeinschaft muß bereit
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Frau Dr. Riedel-Martiny
sein, agrarpolitische Entscheidungen auch unter weltpolitischen Gesichtspunkten zu treffen."
Ich meine, auch in Anerkennung der großen Hilfen, die über die Agrarhilfe und die Nahrungsmittelhilfe der Bundesrepublik und die durch die Europäische Gemeinschaft insgesamt gegeben werden, darf es damit nicht sein Bewenden haben, wenn man die Zielprojektion ernst nimmt, derzufolge die Entwicklungsländer befähigt werden sollen, ihren Nahrungsmittelbedarf aus eigener Kraft — sei es aus gesteigerter Erzeugung, sei es durch kommerzielle Einfuhren — selbst zu decken.
Eines jedoch ist bei der notwendigen Anpassung der Agrarstruktur entwickelter Staaten an die Bedürfnisse der Entwicklungsländer unabdingbar: daß nämlich diese Anpassung nicht ausschließlich von den in der deutschen oder europäischen Landwirtschaft beschäftigten Landwirten geleistet werden darf, sondern von der Wirtschaft in ihrer Gesamtheit, und hier bleibt noch viel Raum für die parlamentarische Diskussion der kommenden Jahre.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, nun nach der Kollegin Riedel-Martiny gleich auf einige Fragen einzugehen, die wir sicherlich, Frau Kollegin Riedel-Martiny, im Ernährungsausschuß noch vertiefen können. Auch die Freude möchte ich zum Ausdruck bringen, daß wir beide diesem Ausschuß angehören.
Was Sie nun zu Fragen des Lebensmittelrechts sagten, möchte ich um folgendes ergänzen. Wir sind der Meinung, daß die deutsche Ernährungswirtschaft und die deutsche Landwirtschaft größtes Interesse daran haben müssen, die qualitativ einwandfreiesten Nahrungsmittel auf den Markt zu bringen. Hier haben Sie immer unsere Zustimmung im Interesse der Verbraucher.
Aber wir dürfen angesichts der Frage nach der Lösung der Weltmarktprobleme auf dem Agrarsektor, die Sie zum Abschluß Ihrer Ausführungen angesprochen haben, nicht vergessen, daß es kaum eine Möglichkeit gibt, gleiche Qualitätskriterien auch in den Ländern, die unsere Lebensmittelmärkte in der Bundesrepublik beschicken, herzustellen.
Deshalb möchte ich auf folgenden Gesichtspunkt hinweisen. Solange Verbote, Beschränkungen und Auflagen bei der Erzeugung von Lebensmitteln in den einzelnen Staaten unterschiedlich sind und ihre Einhaltung weder in den Produktionsstaaten noch hier bei uns als dem Empfängerstaat geprüft werden kann, so lange müssen wir angesichts der internationalen Verflechtung des Handels mit Lebensmitteln darauf drängen, daß auch in anderen Ländern nach gleichen Grundsätzen vorgegangen wird, um die Wettbewerbsgleichheit für unsere Ernährungnswirtschaft und für die Landwirtschaft herzustellen.
— Im Interesse des Verrbauchers, selbstverständlich. — Ich bin meinem Kollegen Schmidt, unserem Ausschußvorsitzenden, dankbar, daß er sowohl gestern im Ausschuß als auch heute hier im Plenum darauf hinwies, was alles noch auf EWG-Ebene — um nur einmal den Bereich zu nennen, von dem wir am ehesten die Harmonisierung erwarten durften, weil hier schon ein gemeinsames Stück Wegs zurückgelegt wurde — zu erledigen sei. Wir haben gestern über das Geflügelfleischhygienegesetz und über das Fleischbeschaugesetz gesprochen und von der Regierung erfahren, daß eventuell noch fünf Jahre notwendig sind, um auch hier in etwa Angleichungen zu erreichen. Wir sollten — und hier haben Sie wiederum unsere Unterstützung, Frau Kollegin Riedel-Martiny — den Hauptakzent darauf legen, zumindest in der EWG das zu erreichen, was bei uns selbstverständlich ist.
Kollege Schmidt vermißte die schwarzgrünen Tränen der Opposition angesichts dieses günstigen Berichts. Sie stellten als Erfolg hin, daß die Bundesregierung dafür sorgte, daß die notwendige Kaufkraft der Verbraucher vorhanden war. Gut, da sind wir einig. Aber dann dürfen Sie es uns nicht verübeln, wenn wir heute sagen, daß die Lage der Landwirtschaft wesentlich besser wäre, wenn die Regierung den damit verbundenen Kaufkraftschwund und Kostentrend nicht zugelassen hätte.
Herr Kollege Schmidt, von Ihnen wurde heute auf Einzelprobleme in der EWG hingewiesen. Was im Zusammenhang mit den GATT-Verhandlungen auf uns zukommt, sind in erster Linie Fragen im Währungsbereich. Hierzu hat ein Vertreter der Bundesregierung, Herr Minister Friderichs, zum Ausdruck gebracht, daß durch die Abwertung des Dollars für die Landwirtschaft eigentlich überhaupt kein Nachteil entstanden sei. Hier muß ich nun auch das „Handelsblatt" heranziehen, das Herr Minister Friderichs heute schon zitiert hat. Dort wird erklärt, daß dem Währungswirrwarr in der EWG niemand mehr gewachsen sei. Ich möchte Sie deshalb, Herr Minister Ertl, bitten — es ist jetzt zu wenig Zeit, um hier auf die Detailfragen einzugehen —, dafür einzutreten, daß Währungsfragen nicht mehr die Rolle spielen, wie es in den vergangenen Jahren der Fall war. Wir müssen bei allen unseren Mühen um die Klärung von Einzelfragen in erster Linie darauf abzielen, die Währungs- und die Wirtschaftsunion herzustellen.
Ich muß noch kurz auf das eingehen, was vorhin vom Kollegen Vohrer gesagt wurde. Er kommt aus Baden-Württemberg und dürfte die Bildungsprobleme in diesem Land in etwa kennen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 761
Susset
Wenn ich mich nicht täusche, Herr Kollege Vohrer, waren Sie beim Bauernverband in Südbaden mit Fragen der Bildung beschäftigt. Sie sagen, daß Sie bei den Rednern der Opposition ein Wort zu Bildungsproblemen vermißt hätten. Da muß ich aber doch antworten: Mir hat einer unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, der Kollege Ritz, vorhin migeteilt, daß er im Jahre 1965 mit einer Rede über Bildungspolitik im Rahmen der Agrarpolitik begonnen habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier muß gesagt werden, daß sich die Frage der Gesamtschule für den ländlichen Raum anders stellt als für den Ballungsraum.
Es ist einfach schwierig, Strukturveränderungen, die man bei stärkerer Besiedlungsdichte rasch durchsetzen kann, auch im ländlichen Raum zu verwirklichen, so notwendig es im Hinblick auf Bildungseinrichtungen wäre. Die Sorge darüber kam bei Rednern aller drei Fraktionen zum Ausdruck. Ich möchte
Ihnen sagen die Gesamtschule hat im Dienste der Bildung und der Ausbildung unserer Menschen zu stehen und nicht umgekehrt. Wenn wir uns in einer Agrardebatte über Fragen der Bildung unterhalten, sollten wir dies sagen.
— Nicht für Ideologen, Herr Kollege Franke! Sie haben ein Stichwort gegeben.
Dieser Grüne Bericht freut uns alle. Er weist eine Verbesserung der Einkommenssituation in den Voll-, Zu- oder Nebenerwerbsbetrieben aus, die den dort arbeitenden fleißigen Menschen zu gönnen ist. Wir müssen davor warnen, daß hier immer wieder so getan wird, als sei das im wesentlichen ein Erfolg der Bundesregierung. Herr Minister Ertl hat in Brüssel getan, was möglich war. Das sage ich hier ganz deutlich. Warum sollten wir das hier nicht sagen.
— So sind wir zueinander, jawohl.
Wir müssen aber feststellen: Die Verbesserungen auf den Märkten und die Verbesserung der Preisverhältnisse wären nicht möglich gewesen, wenn die Menschen auf dem Lande nicht bereit gewesn wären, sehr viele Stunden mehr zu arbeiten, um Nahrungsmittel zu produzieren und um unsere Erholungslandschaft in Ordnung zu halten.
Meine Damen und Herren, wenn die folgenden Redner sich so streng an die vorgesehene Zeit halten wie der Kollege Susset, werden wir die Debatte
pünktlich abschließen können. — Das Wort hat der Kollege Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Anzahl der Vorredner hat schon zu einzelnen Aspekten der landwirtschaftlichen Sozialpolitik Stellung genommen. Erlauben Sie mir, daß ich noch einmal ein wenig zusammenhängend zu diesem wichtigen Bereich der Agrarpolitik spreche, dessen Bedeutung durch eine Bemerkung des Bundeswirtschaftsministers deutlich geworden ist, der darauf hingewiesen hat, daß der Haushalt des Landwirtschaftsministers im Jahre 1973 allein für die landwirtschaftliche Sozialpolitik 1,9 Milliarden DM enthalten werde. Lassen Sie mich hinzufügen, daß das 34 °/o des Gesamthaushalts des Landwirtschaftsministers sein werden. Bis zum Jahre 1975 wird dieser Betrag auf 2,4 Milliarden DM oder 47 °/o des Gesamtetats ansteigen.
Wir stehen damit gar nicht allein. Ein ähnliches Bild bietet sich beim Blick über unsere nationalen Grenzen. Nicht nur im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch im übrigen benachbarten Ausland steigen die staatlichen Ausgaben, die der sozialen Sicherung der Landwirte dienen, ständig an. Der Grund dafür ergibt sich aus einem Satz des Herrn Bundesministers vom vergangenen Freitag: Mit solchen sozialen Mitteln soll dieser gewaltige Strukturwandel, von dem Herr Sander gesagt hat, er sei der gewaltigste in der deutschen Volkswirtschaft seit 1945, auch weiterhin sozial erträglich gestaltet werden.
Mit der Sozialpolitik soll der Strukturwandel sozial erträglich gestaltet werden!
Die Gründe für diese in den 50er Jahren für weite Teile dieses Hauses nicht vorstellbare Entwicklung liegen darin, daß sich die Landwirtschaft den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft stellt, daß sie sich den ökonomischen Verhaltensweisen anpaßt und ihre Wertvorstellungen überprüft und ändert, auch die politischen. Während noch bei der Schaffung der Altershilfe für Landwirte im Jahre 1957 die Auffassung vorherrschend war, daß eigentlich der landwirtschaftliche Betrieb die Sicherung der bäuerlichen Familie gewährleiste, hat sich jetzt die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch die Existenz der Betriebsinhaberfamilie wie die der Landarbeiterfamilie nicht durch soziale Risiken gefährdet werden darf, sondern daß diese Risiken im Rahmen gesetzlicher Versicherungssysteme umfassend abgesichert werden müssen.
Die sozialliberale Koalition hat dieser Erkenntnis entsprochen, als sie das umfassende System der sozialen Sicherung geschaffen hat, von der der Agrarbericht spricht und dessen Schlußstein das Gesetz über Krankenversicherung der Landwirte war, das am vergangenen 1. Oktober in Kraft getreten ist.
Obwohl zu Recht von dem Schlußstein gesprochen wird, stimmen wir mit dem Agrarbericht, mit den Ausführungen des Herrn Bundesministers und auch mit den Bemerkungen des Herrn Kollegen Kiechle überein, daß noch eine Abrundung vorgenommen
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Frehsee
werden muß, um die soziale Parität für die landwirtschaftliche Bevölkerung herzustellen, soziale Parität nicht nur im Sinne einer Gleichstellung mit anderen Berufsgruppen, sondern auch im Sinne einer Harmonisierung der staatlichen agrarsozialen Maßnahmen in der europäischen Gemeinschaft.
Wie der Agrarbericht ankündigt, werden die Unfallrenten für Landwirte zum 1. März 1973 verbessert werden. Die Vollrente wird dann von jetzt 340 DM auf 400 DM im Monat steigen. Im gleichen Verhältnis werden sich die Schwerverletzten-Zulagen erhöhen. Diese sehr zu begrüßenden Leistungsverbesserungen werden nur möglich, weil wieder ein Bundeszuschuß, und zwar in Höhe von 300 Millionen DM, zur Verfügung gestellt worden ist. Beitragserhöhungen werden sich in engen Grenzen halten können.
Erfreulich und von großer Bedeutung ist auch die Neuregelung, die von der Bundesregierung in dem gestern als Bundesratsdrucksache in die Fächer gelegten Entwurf eines Sechzehnten Rentenanpassungsgesetzes vorgeschlagen worden ist. Danach soll die Bemessungsgrundlage für die Unfallrenten ab 1. Januar 1975 — dem Punkt 5 Ihres Entschließungsantrages, zumindest im zweiten Teil, ist damit entsprochen — auf 50% der Bruttolohn- und -gehaltssumme des vorvergangenen Jahres festgesetzt werden. Die Unfallrenten selbst sollen in die allgemeine jährliche Anpassung einbezogen werden. Sie sollen dynamisiert werden. Dies ist ein entscheidender Schritt in Richtung Gleichstellung der Unfallverletzten Landwirte mit allen Unfallrentnern, mit dem die Nachteile des geltenden Bemessungssystems endlich ausgeräumt werden.
Auf diesem Gebiet scheint mir noch erforderlich zu sein, bei Arbeitsunfällen von Nebenerwerbslandwirten im landwirtschaftlichen Betrieb endlich zu einer Unfallrente zu kommen, die sich nach dem tatsächlichen Arbeitsverdienst aus dem Hauptberuf errechnet. Ich fasse mich sehr kurz und führe es daher nicht weiter aus.
Auch die Ankündigung des Agrarberichts, daß die Bundesregierung eine Novelle zum Gesetz über die Altershilfe für Landwirte vorlegen werde, die möglichst, so steht es dort, zum 1. Januar 1974 in Kraft treten soll, entspricht unseren Vorstellungen. Die Altersgeldhöhe soll nach der Dauer der Beitragsleistung gestaffelt und das Altersgeld dynamisiert werden. Dynamisierung der Unfallrente und des Altersgeldes werden in diesem Agrarbericht als Vorhaben der Bundesregierung genannt. Das verdient besonders unterstrichen und hervorgehoben zu werden. Damit wird die Frage der Altersgelderhöhung aus der politischen Diskussion herausgenommen. Den Altersgeldempfängern wird das Gefühl der Gleichbehandlung gegeben werden.
In diesem Zusammenhang scheint mir ein kurzes Wort der Anerkennung gegenüber den Trägern der landwirtschaftlichen Altershilfe angebracht zu sein. Die Aufwendungen der 19 Alterskassen werden in diesem Jahr die Milliardengrenze überschreiten. Für das Altersgeld werden 946, für die Heilkuren 60 Millionen DM aufgewandt. Mit der Gestellung von Ersatzkräften — das haben wir dort eingeführt
funktioniert es ganz ausgezeichnet. Daneben haben diese Alterskassen 1972 den Aufwertungsausgleich durchgeführt und die Liquiditätshilfe von 1971 abgewickelt. Hierfür und für die Zuschüsse zur Beitragsnachentrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung wurden 800 Millionen DM Bundesmittel ausgegeben.
Die Verwaltungskosten das muß hier einmal
erwähnt werden — sind nach wie vor bemerkenswert niedrig. Bezogen auf die gesamten Aufwendungen, liegen sie bei knapp 2 %.
Gleiche Anerkennung gebührt auch den bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gebildeten landwirtschaftlichen Krankenkassen. Sie haben die ihnen relativ kurzfristig übertragene Aufgabe der Einführung der landwirtschaftlichen Pflichtkrankenversicherung trotz großer Anlaufschwierigkeiten glänzend gelöst. Das spreche ich im vollen Bewußtsein der Bedeutung dieses Superlativs aus. Die Konzeption dieses landwirtschaftlichen Sozialwerks, der Zusammenfassung der verschiedenen Träger der sozialen Sicherung, hat sich allen negativen Voraussagen und allen auch hier geäußerten Befürchtungen zum Trotz glänzend bewährt.
— Die Beiträge liegen zwischen 39 und 135 DM im Monat, Herr Kollege Stücklen, und bewegen sich durchaus im Rahmen der Ortskrankenkassenbeiträge.
— Um allen Unkenrufen zu begegnen, lieber Herr Kollege Stücklen, fordern wir doch mit unserer Entschließung Drucksache 7/220 die Bundesregierung auf — ich bitte Sie, Herr Präsident, die Beschlußfassung über diesen Entschließungsantrag sofort herbeizuführen und ihn nicht erst dem Ausschuß zu überweisen —, bis zum 1. Oktober 1973 uns über das Funktionieren der Krankenversicherung der Landwirte zu berichten. Wir werden dann feststellen, was geändert werden muß.
Ich will hier noch zwei Dinge ansprechen, nachdem auch Herr Kollege Kiechle davon gesprochen hat.
Zunächst geht es um die Beitragspflicht der bisher auf Bundesbehandlungsschein beitragsfrei versicherten Kriegsopfer. Sie haben gesagt, das sei eine skandalöse Sache. Herr Kiechle, das ist ein großes, ein etwas böses Wort. Die vielen Kriegsopfer, die Arbeitnehmer sind, müssen auch Krankenversicherungsbeiträge zahlen.
Es ist doch sehr schwierig, hier eine Sonderregelung herbeizuführen. Trotzdem sind wir mit Ihnen einig, daß Erleichterungen herbeigeführt werden müssen.
Zweitens möchte ich etwas zu dem Beitrag der mitarbeitenden Familienangehörigen sagen, der mit zwei Dritteln des Unternehmerbeitrags zu hoch erscheint. Aber seien wir uns darüber klar, daß eine
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Senkung dieses Beitrags, die nach den ersten Erfahrungen der landwirtschaftlichen Krankenversicherung im Grunde auch wir für erforderlich halten, zu einer Erhöhung des allgemeinen Niveaus der Unternehmerbeiträge führen wird.
Ein letztes Kapitel. In seiner Einbringungsrede hat der Herr Bundesminister auch einige Bemerkungen zur sozialen Sicherung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer bzw. der ehemaligen landwirtschaftlichen Arbeitnehmer gemacht. Er erklärte, daß die Bundesregierung die Bemühungen der Tarifvertragsparteien in der Landwirtschaft, noch bestehende Nachteile durch eine zusätzliche Altersversorgung abzubauen, mit Interesse verfolge. Die Tarifvertragsparteien, die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft und die Arbeitgeberverbände, haben bereits vor Jahresfrist einen Tarifvertrag abgeschlossen, demzufolge die landwirtschaftlichen Arbeitgeber einen Monatsbetrag von 10 DM für jeden beschäftigten landwirtschaftlichen Arbeitnehmer abführen, der mit Hilfe eines Zuschusses des Bundes zu einer Aufstockung der Altersrente um 2 50 DM Monat für jedes der Landwirtschaft
verbrachte Jahr — das ist die Konzeption — führen soll. Es ist doch bekannt, daß die Landarbeiterlöhne immer sehr niedrig waren und heute noch niedrig sind. Der Agrarbericht weist einen Abstand von 32 O/o aus. Dementsprechend niedrig sind die Altersrenten. Zusätzlich sinkt der Lebensstandard der ehemaligen Landarbeiter im Alter immer noch dadurch ab, daß die zum Lohn gewährten Naturalleistungen dann entfallen. Diese Zusatzversorgungskasse für Landarbeiter würde den Rentenabstand um einiges verringern. Das wäre eine Maßnahme, die ein Pendant zur landwirtschaftlichen Altershilfe und zu der Nachversicherung in der Rentenversicherung wäre. Und was den Bauern recht ist, sollte den Landarbeitern billig sein.
Jenen gewähren wir 1,1 Milliarden DM, und für diese Regelung brauchen wir 21 Millionen DM.
Herr Kollege Franke, ich muß Sie auf den Zeitablauf aufmerksam machen.
Ich schließe meine Betrachtungen, Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit der Feststellung, daß das Bündel der im Agrarbericht aufgeführten sozialen Maßnahmen — das ein wenig unzureichend angesprochen ist — und besonders der Ausbau des Systems der sozialen Sicherung der in der Landwirtschaft tätigen Selbständigen und Mithelfenden durch die sozialliberale Koalition einen bedeutenden Anteil daran haben, im Sinne des Wortes des Kanzlers die Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilhaben zu lassen.
Herr Kollege, wollen Sie noch die Zwischenfrage des Kollegen Franke beantworten? — Bitte!
Herr Kollege Frehsee, glauben Sie nicht auch, daß wir z. B. die Frage der Alterssicherung der in der Landarbeit Beschäftigten unter anderem durch die Mindestgeldregelung im letzten Deutschen Bundestag zu einem Teil mitgeregelt haben?
Natürlich, das ist der Fall.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst bei allen Rednerinnen und Rednern sehr herzlich bedanken. Es ist begrüßenswert, daß — ich glaube, zum erstenmal — bei einer solchen Debatte auch eine Frau gesprochen hat. Wir haben das alles mit Freuden zur Kenntnis genommen.
— Entschuldigung; es tut mir leid. Wir haben auch die Frau Griesinger immer sehr gern gehört. Ich gebe zu, ich hatte zunächst vergessen, daß auch sie in solchen Debatten gesprochen hat.
Zunächst darf ich feststellen und mich auch im Namen meiner Mitarbeiter dafür bedanken, daß die Ausfertigung und die Methoden des Agrarberichts allgemein große Zustimmung gefunden haben. Aber darüber hinaus darf ich auch feststellen, daß im großen und ganzen die Agrarpolitik dieser Bundesregierung Zustimmung gefunden hat. Ich darf in aller Bescheidenheit sagen: es gibt offensichtlich keine großen Alternativen. Um so mehr müssen wir uns gemeinsam bemühen, dieses Instrument zu verbessern und fortzuentwickeln.
Die heutige Debatte hat auf jeden Fall die Agrarpolitik dieser Bundesregierung im Bereich der EWG, aber auch im nationalen Bereich, sei es nun in Fragen der Struktur oder des Sozialen oder der Marktpolitik, sehr eindeutig bestätigt. Das freut mich sehr. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, meine verehrten Kollegen von der Opposition, daß Sie ein klein wenig versucht haben, auf Nebenkriegsschauplätze auszuweichen.
— Jawohl; ich will es sehr kurz machen. — Sie haben sich also andere Plätze gesucht; und kein Thema ist verlockender als das Thema Boden. Das ist die große neue Parole, das habe ich auch schon bei der letzten unfreiwilligen Wahltournee oder Deutschlandreise, wie man das auch immer bezeichnen will, gehört. Nur muß ich Ihnen sagen: es glaubt Ihnen niemand mehr; das ist der Unterschied. Und nun ein wenig eine historische Betrachtungsweise,
764 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Bundesminister Ertl
Kollege Bewerunge. Ich fand es sehr gut, daß Sie darauf hingewiesen haben, daß die Feudalherrschaft einmal abgeschafft wurde. Ich möchte nur ergänzend sagen, daß das nicht die Konservativen, sondern die Liberalen waren; denn die haben die Privilegien abgeschafft.
Zu jener Jahrhundertwende wurden die Bauern durch diese Taten erst freie Bauern. Kollege Kiechle, das hat sich dann sogar regional unterschiedlich verhalten. Ich muß sagen, die Allgäuer waren sehr liberal; insofern sind Sie ein klein wenig ausgeartet.
— Das muß ich zugeben, aber diese erfreuliche Form der Entwicklung der Abhängigen zu Selbständigen, die die Voraussetzung der Entwicklung des Bürgertums und dann zum Arbeiter geschaffen hat, ist eine der großen historischen Verdienste der Liberalen.
--- Ich sehe schon, mit den Geschichtskenntnissen hapert's.
Aber ich kann nicht umhin, Tatsachen festzustellen.
Insoweit ist es ganz klar, verehrte Freunde von der Opposition, in dieser Frage der Freimachung der Bauern zu selbständigen, selbstverantwortlichen Bürgern spielte die freie Gewalt über den Boden eine entscheidende Rolle. Insoweit haben die Liberalen schon von der Historie her einen besonderen Auftrag.
Herr Kollege Kiechle, ich könnte Ihnen auch Zitate verlesen. Aber ich will das gar nicht tun; ich will Ihnen nur sagen: es gibt einen „Münchner Merkur", und diese Zeitung steht nicht unbedingt in dem Geruch, daß sie der Regierung besonders nahe stehe. Das möchte ich in aller Bescheidenheit feststellen. Obwohl ich persönliche Freunde in der Redaktion habe, ist auch mir die Entwicklung eines besseren Verhältnisses nicht gelungen. Da lese ich z. B.: „Planungsgewinne würden dann nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit privatisiert, mit der Planungsschäden heute bereits sozialisiert werden." Das stammt von Herrn Merck. Ich unterstreiche das vollkommen und will nur sagen: wenn man ein Zitat bringt, muß man auch entsprechende Gegenstimmen zitieren.
Ich will gar nicht auf die Geschichte der Union in Hamburg eingehen, Kollege Kiechle. Nur sollten Sie sich es nicht so einfach machen, uns etwas zu unterstellen, was da oder dort ein Juso sagt. Wegen der Kürze der Zeit will ich mir ersparen, das anzuführen, was diese Regierung zum Eigentum gesagt hat, aber ich will es für das Protokoll festhalten, damit in der Öffentlichkeit nicht wieder Irrtümer durch Panikmache entstehen. Herr Kollege Kiechle, wenn Sie schon so fragen, muß ich sagen: in der Regierungserklärung steht das klar drin.
Dort können Sie das alles nachlesen. Da gibt es für Sie eine Nachhilfestunde.
— Herr Kollege Lemmrich, Sie sind eben nie da, wenn so etwas verkündet wird. Sie reden dann hinterher; Sie müssen da sein, — —
— Das hätten wir dann nur vom früheren Bundeskanzler der CDU gelernt.
Der Schutz des Eigentums, aber auch die Beachtung seiner Sozialbindung sind bei dieser Regierung in guten Händen.
An und für sich müßte man bei der CDU/CSU ein gutes Verhältnis zum Glauben haben, aber das ist ja der Grund, warum das Volk Ihnen heute nichts mehr glaubt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Ich möchte erst noch etwas zitieren, damit er richtig fragen kann. Es tut mir leid; ich stelle hier überall Bildungslücken fest, und da muß ich nachhelfen.
Hier heißt es z. B.: „Die Steigerung im Kaufwert, die Grundstücken durch Planungen und Investitionen der öffentlichen Hand zufällt, soll zur Finanzierung herangezogen werden." Genau das hat der Kollege Merck gemeint.
Wir werden eine Bodenwertzuwachssteuer vorbereiten, die zur Bekämpfung des Preisanstiegs auf dem Bodenmarkt beiträgt und das Angebot an Bauland in städtischen Regionen größer werden läßt. Das ist eine ganz präzise Äußerung.
— Wissen Sie, Herr Kollege Kiechle, ich weiß, Sie verfahren nach dem Grundsatz: Was ich nicht gern zur Kenntnis nehmen will, das gibt es nicht, auch wenn es anders gesagt worden ist! Daran kann ich nichts ändern.
Nein, das steht in der Regierungserklärung. Da braucht man gar nicht zu fragen, sondern das hat man mitzuhören und kann man mithören, und wenn man nicht hören will, kann man es sogar nachlesen.
Das allerdings kann die Regierung nicht verordnen.
Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 765
Herr Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Jawohl.
Herr Bundesminister, Sie werfen uns vor, wir brächten die Eigentums- und Bodenrechtsfrage vor den Bundestag und in die Öffentlichkeit. Darf ich Sie daran erinnern, daß gerade Sie in Ihrer Einbringungsrede ganz besonders auf dieses Problem hingewiesen haben. Jetzt aber sprechen Sie von Popanz usw. Kann man von einem Popanz sprechen, wenn ich zitiere, was Herr Bundesminister Vogel laut Deutscher Presseagentur am Dienstag in Hamburg verkündet hat: neben der angekündigten Novelle zum Bundesbaugesetz und neben der Bodenwertzuwachssteuer schlage er ein Nutzungseigentum vor? Kernpunkt dieser Neuerung wird nach Vogel sein, daß der Grundstückseigentümer in Zukunft nicht mehr das Recht haben soll, sein Grundstück ohne weiteres zu verkaufen; außer- dem könne ihm kein ewiges Eigentum an seinem Besitz zugesichert werden, vielmehr solle das Eigentum auf die Lebensdauer des Gebäudes befristet werden.
Sehen Sie, Herr Kollege Niegel, so geht es einem, wenn man etwas fragt, dann eine Auskunft gegeben wird und man selber nicht anwesend ist. Sie waren nicht hier, als Herr Kollege Vogel das lang und breit auseinandergesetzt hat.
— Dann muß ich Ihnen sagen: Wenn Sie jetzt hier versuchen, Herrn Kollegen Vogel noch einmal falsch zu interpretieren, so ist das Absicht.
Das ist dann keine faire Frage. Herr Kollege Vogel hat die Frage des Nutzungsrechts sehr präzise erläutert. Wenn dennoch in einer unterstellenden Form eine solche Frage gestellt wird, so ist das — das behaupte ich in meiner Antwort — Absicht. Die Absicht merkt man und ist darüber verstimmt.
Herr Minister, würden Sie eine weitere Zwischenfrage zulassen?
Herr Bundesminister, darf ich die Frage stellen, ob Sie nicht festgestellt haben, daß ich von Anfang an, von 9 Uhr bis jetzt, ständig auf diesem Platz gesessen und den Saal nicht verlassen habe? Zweitens möchte ich fragen — —
Einen Moment! Sie hatten nach der Geschäftsordnung noch eine Zwischenfrage. Sie haben jetzt zwei Fragen gehabt. Der Herr Minister hat das Wort.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Niegel: Ich finde es bedauerlich, wenn Sie die ganze Zeit hier waren — ich habe Sie nicht die ganze Zeit gesehen, aber ich nehme das zur Kenntnis — und dann nach der sehr präzisen Erläuterung von Herrn Vogel diese Frage in dieser sehr unterstellenden Form stellen. Ich muß Ihnen sagen: Dann haben Sie damit eine Absicht verbunden. Sie dürfen nicht glauben, daß Sie mich für so dumm halten können, daß ich mich in dieser Frage so ausspielen lasse.
So geht es nicht. Es gibt in diesem Hause für diejenigen, die ein bißchen länger da sind, gewisse Gepflogenheiten, so z. B., daß man einem Mann zumindest das Wort glaubt, das er noch vor einer Stunde hier gesprochen hat. Sie aber haben genau das nicht getan.
— Wie Sie den Stil der Debatten pflegen, überlasse ich gerne Ihnen. Herr Kollege Lemmrich, das gilt von Ihnen ganz besonders. Sie haben dafür eine besondere Eigenart; das ist nicht mein Stil. Nur eines muß ich sagen: Da handle ich wie ein Bayer; darauf kommt ein ganz grober Klotz und ein ganz scharfes Beil auf diesen groben Klotz.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich?
Herr Kollege Ertl, würden Sie es mir verübeln, wenn ich Ihre früheren Reden — als Sie noch nicht als Minister hier oben standen — noch im Gedächtnis habe?
Herr Kollege, Sie müssen fragen.
Ich habe gefragt, ob der Herr Minister es mir verübeln würde.
Ich hoffe sogar. daß Sie ein gutes Gedächtnis haben — das würde mich noch mehr freuen —, und zwar in allen Fragen. Das wäre für die Opposition sehr nützlich.
Verehrter Herr Präsident, ich sehe, die Zeit schreitet sehr fort. Aber Sie sehen, wir sind schon wieder beim Lieblingsthema Boden gelandet. Ich konnte nichts dafür. Ich will nur noch einige Fragen ansprechen, die ich jetzt leider nur noch fragmentartig beantworten kann.
Das erste Problem und es scheint mir sehr
wichtig zu sein - betrifft die Einkommenssituation.
766 Deutscher Bundestag- 7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Bundesminister Ertl
Ich habe in meiner Rede, glaube ich, sehr deutlich erklärt, daß kein Anlaß zur Euphorie ist. Aber ich möchte rückschauend jetzt auch feststellen: Es bestand kein Anlaß zur Panikmache, wie sie die Opposition im letzten Jahr betrieben hat,
einschließlich verbündeter Truppen im Lande.
— Kollege Kiechle, ersparen Sie mir das! Halten Sie sich da an einen Ausspruch Ihrer früheren Fraktionskollegen! Ich habe meinem Kollegen Bewerunge im Bayerischen Rundfunk schon gesagt — und ich glaube, da können wir zu einer normalen Geschäftsbasis kommen —: Ich unterstelle, der liebe Gott hat es mit mir besonders gut gemeint; dazu hat er vielleicht auch Anlaß, möglicherweise im Gegensatz zu Amtsvorgängern aus der CDU/CSU. Aber das ist nicht meine Sache.
Ich unterstelle also, er hat es mit mir besonders gut gemeint. Dafür bin ich ihm gläubig, wie ich nun einmal bin — von ganzem Herzen dankbar. Eines muß ich Ihnen aber ganz offen sagen. Ich möchte Sie, wenn Sie das nun alles auf den lieben Gott abwälzen, darum bitten, den lieben Gott auch dann herhalten zu lassen, wenn es einmal schlecht gegangen ist. Voriges Jahr habe ich von Ihnen im Zusammenhang mit Mißernten und schlechten Erträgen nämlich nichts in dieser Hinsicht gehört.
Da war die Regierung voll verantwortlich. Das heißt, wenn es gut geht, können wir nichts dafür; wenn es schlecht geht, sind wir voll verantwortlich. Das ist eine sehr einfache Darstellung.
— Ich weiß das, Kollege Stücklen. Das hat uns der Wähler deshalb honoriert. Deshalb haben Sie jetzt ein paar Jahre Denkpause.
Das ist genau der Punkt. Denkpausen sind nützlich; wir waren auch in der Opposition. Sie sind inzwischen auch schon ein bißchen ruhiger geworden. Ihre Unruhe wird sich noch ganz legen.
Aber nun wollen wir die Analyse doch einmal fortsetzen. Ich will auf das Thema der Nebenerwerbslandwirte jetzt nicht näher eingehen, nicht etwa deshalb, weil ich darüber nicht gerne spreche, sondern weil die Zeit zu weit fortgeschritten ist. Ich will jetzt nur noch einmal auf den Teil des Agrarberichts eingehen, in dem wir den Versuch gemacht haben, zu analysieren, wie es mit dem durchschnittlichen Reineinkommen in den Betrieben, die zu den oberen 25 % gehören, und in den Betrieben, die zu den unteren 25 % gehören, ausschaut. Ich nenne Ihnen noch einmal die Zahlen für Betriebe mit weniger as 20 ha, die zur Gruppe der oberen 25 % gehören. In Hackfruchtbaubetrieben beträgt das Reineinkommen je Familienarbeitskraft — ich glaube, das ist der richtige Bezugspunkt, von dem man ausgehen muß; man könnte auch vom Reinertrag ausgehen — 26 506 DM. In Getreidebaubetrieben beträgt es 25 697 DM, in Futterbaubetrieben 23 720 DM. In der Gruppe der Betriebe, die zu den unteren 25 °/o gehören, stellen sich die Zahlen wie folgt dar: Hackfruchtbaubetriebe: 4 841 DM, Getreidebaubetriebe: 5 086 DM, Futterbaubetriebe: 6 348 DM. Die Zahlen für Betriebe der oberen 25 % mit 20 bis 50 ha hat lauten: Hackfruchtbaubetriebe: 36 218 DM, Getriedebaubetriebe: 32 947 DM, Futterbaubetriebe: 30 000 DM.
— Ich weiß schon, das paßt Ihnen alles nicht.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich lasse Sie sogar ohne Zwischenfragen reden. Bei mir kann jeder reden, solange er will. Aber bitte!
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es in allen Berufssparten innere Disparitäten des Einkommens gibt und daß Sie diese Disparitäten nicht dazu benutzen sollten, hier die Zeit mit langen Ausführungen darüber zu vergeuden? Wir hätten von Ihnen gern noch vieles andere über die aktuelle Politik gehört.
Herr Kollege Eigen, Sie müssen einem Minister gestatten, über das zu reden, von dem er meint, daß es die deutsche Öffentlichkeit erfahren soll, und dafür habe ich mir keine Lizenz erteilen zu lassen.
— Passen Sie doch auf! Sie reden doch selber. Höflich wie ich bin, rede ich nicht, wenn Sie reden. Sie reden allerdings immer, wenn ich rede. Das ist der Unterschied.
Das Reineinkommen in Hackfruchtbaubetrieben der oberen 25% mit über 50 ha beträgt 74 524 DM; in Getreidebaubetrieben beträgt es 63 226 DM, in Futterbaubetrieben 35 401 DM. Herr Eigen, jetzt sage ich Ihnen, warum man darüber reden muß. Ich weiß, daß diese Aufschlüsselung dem Bauernverband noch nie in den Kram gepaßt hat. Diese Zahlen haben manche Leute nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Man muß hier über dieses Thema reden, weil
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Bundesminister Ertl
es unser Ziel sein muß, den Großteil der Landwirte auf diesen Level hinzuführen. Das gilt insbesondere für die Betriebe, die zu den unteren 25 % gehören. Man kann aber auch von der sicheren Annahme ausgehen, daß ein Teil der Betriebe, die zu der Gruppe der unteren 25 % gehören, das Ziel eines Vollerwerbsbetriebes nie erreichen werden. Für diese Betriebe und die dort beschäftigten Menschen brauchen wir soziale Ergänzungsmaßnahmen. Das wollte ich nur noch einmal sagen.
Daher ist die Konzeption unseres Agrarförderungsprogramms richtig: die investive Förderung von Vollerwerbslandwirten, von Betrieben, die langfristig ein befriedigendes Einkommen erwirtschaften können, wenn sie entsprechend organisiert werden.
Dieser Vergleich, meine sehr verehrten Freunde, beweist nämlich — das ist auch das Wesentliche des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms —, daß es sich um ein Problem handelt, das sich unabhängig von der Betriebsgröße und sogar unabhängig von dem Betriebstyp stellt. Ich rede darüber noch einmal, verehrter Herr Kollege Eigen, weil ich hoffe, daß damit endlich einmal letzte Unklarheiten beseitigt werden. Es stellt sich nämlich heraus, daß der Futterbaubetrieb unter 20 ha fast dieselbe Möglichkeit hat wie der Hackfruchtbaubetrieb. Das ist doch der entscheidende Faktor; die Förderung in der Agrarpolitik muß auf diese zweifache Weise ausgerichtet werden.
Dann gibt es noch den dritten Teil, der in der Überbrückungsphase ist. Diesem Teil in der Überbrückungsphase muß man durch Überbrückungskredite gezielt helfen.
Herr Bundesminister, --
Der Agrarbericht — entschuldigen Sie, Herr Präsident — bestätigt gerade durch diese Statistik die Richtigkeit unserer Konzeption im einzelbetrieblichen Förderungsprogramm. Das ist ja auch kein Wunder; denn wenn sie nicht richtig gewesen wäre, hätte die EWG sie nicht zur Richtschnur der europäischen Strukturpolitik gemacht.
Herr Bundesminister, ich wollte zunächst noch die neuen Kollege aufklären, daß die Meinung, durch Zwischenfragen den Wunsch nach Abkürzung der Debatte erfüllen zu können, sicherlich falsch ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bremm?
Bitte schön.
Herr Minister, bestätigen die in Ihrem Bericht vorgetragenen Einkommenszahlen nicht unsere Auffassung, daß es mehr auf das Geschick und die Qualität des Betriebsinhabers ankommt als auf Ihre starren Richtzahlen, die Sie in Ihrem Programm angeben?
Ich glaube, Ihre Frage geht von der Annahme aus, daß sich in meinem Programm starre Richtzahlen befinden. Ich bitte Sie wirklich einmal, verehrter Herr Kollege, zu mir oder zu einem meiner Mitarbeiter zu kommen und sich genau aufklären zu lassen. Dann werden Sie nämlich eines besseren belehrt. Ich kann das jetzt in Einzelheiten nicht sagen. Aber es sind keine starren Richtzahlen darin enthalten. Sie können sogar Nebenerwerb anrechnen. Aber ich will nicht in alle Einzelheiten gehen, weil dann doch andere Kollegen mit Recht zu mir sagen: warum das Thema noch einmal? Das wollte ich zu dieser Frage sagen.
In dem Zusammenhang ein weiterer letzter Satz zu Brüssel. Es gibt ja keine so großen Differenzen in Brüssel. Es gibt zunächst zwei Differenzen, die gröber sind. Die eine ist die Frage der Anrechnung aus der Waldwirtschaft. Da gab es Leute, die glaubten, die Holzwirtschaft könne man nicht als Teil der Landwirtschaft betrachten, weil sie nicht anteilig im anzurechnenden Einkommensbetrag verankert ist. Da wird sich eine Lösung finden lassen.
Die zweite Differenz betrifft die kombinierten Einkommensformen. Die Kommission hat in ihrem Brief ausdrücklich betont, daß kombinierte Einkommensformen berücksichtigt werden müßten und daß sie der Meinung sei, daß das nicht nur für Deutschland ein sehr wichtiges Problem sei. Ich sage sogar, das ist ein sehr wichtiges Problem für Europa. Wenn es nicht gelingt, in der gesamten Europäischen Gemeinschaft für gewisse strukturschwache Gebiete in befriedigendem Ausmaß außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze zu finden, werden Sie weder die Wirtschaftspolitik noch die Währungspolitik in den Griff bekommen noch in der Agrarpolitik auf lange Sicht Fortschritte erzielen.
Das ist ein großes Problem, das uns insgesamt bewegt. Ich möchte doch noch einmal feststellen: Ich glaube, wir können sehr glücklich sein, daß die Landwirte in Deutschland — ich meine, das ist ein Weg gewesen, den die Landwirte auch von sich aus sehr gern beschritten haben selbst es als besser erkannt haben, den Erwerb möglicherweise in einer anderen Tätigkeit zu finden und den Betrieb nebenher zu bewirtschaften, als den Betrieb einfach zu verlassen und die Probleme in den Städten, in den Ballungsgebieten mit zu starkem Zuzug möglicherweise zu vergrößern. Hier haben wir in den letzten Jahren wesentlich größere Fortschritte erzielt als alle übrigen Länder innerhalb der Gemeinschaft.
Ich glaube, daß dabei der Maßnahmenkatalog auf dem sozialen Sektor auch eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dazu gehört die weitere Verbesserung der Altershilfe, wie sie vorgenommen wurde, die beabsichtigte Dynamisierung der Altershilfe sowie die Verbesserung und die Dynamisierung der Landabgaberente. Dazu gehört auch — das muß noch einmal gesagt werden — die Krankenversicherung für die Landwirte. Ich will mich in den alten Streit nicht
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Bundesminister Ertl
einlassen, ob die AOK-Lösung die bessere gewesen ist. Der Streit ist entschieden. Ich kann nur sagen, es gibt zumindest einen großen Teil der Landwirte, der dem sehr zustimmt.
Ich würde sagen, eine Minderheit lehnt die Lösung ab. Und ich habe auch festgestellt, daß z. B. die AOKs in der Zwischenzeit ihre Beiträge erheblich angehoben haben. Das muß hier doch einmal nachträglich gesagt werden,
weil das zu einer gewissen Zeit ein wichtiger Diskussionsbestandteil war.
Summa summarum: Ich glaube, der Weg, den wir beschritten haben, ist zu verantworten und ist richtig. Er bietet vor allem eine großartige Entlastung für die Alten und somit natürlich auch für die aktiven Betriebsleiter, weil die in Zukunft keine Krankenhaus- und Zahnarztlasten mehr für die Altenteiler zu tragen haben.
Insoweit war es, meine ich, auch richtig, daß wir in Brüssel den Weg weg von den starren Betriebsgrößen gefunden haben. Denn diesen Maßstab habe ich immer für falsch gehalten, weil ich in der Betriebsgröße nur ein wichtiges Kriterium sehe, nicht das ausschließliche. Wer die Differenziertheit der Agrarwirtschaft in Mitteleuropa sieht, wird immer mehr zu der Auffassung kommen, daß wir heute ein System haben, bei dem wir sagen: Unser Ziel ist es doch letzten Endes, den Landwirt dahin zu führen, daß er nach seinem Einkommen und seinem Sozialstatus ein gleichberechtigter Bürger in unserer Gesellschaft ist.
Es nützt gar nichts, wenn ich ihm staatliche Mittel gebe und er dieses Ziel langfristig doch nicht erreicht. Dann ist das nämlich eine echte Fehlinvestition. Es ist am Anfang vielleicht schmerzlicher, aber auf lange Sicht ist es für ihn menschlich erträglicher, zu sagen: Ich verzichte auf den Neubau eines Stalles, modernisiere lieber nur das Haus und übernehme eine andere Tätigkeit; der Staat schult mich um, besorgt mir einen Arbeitsplatz und gibt mir Geld für die Nachversicherung; und ich versuche möglicherweise, aus dem Milchviehstall einen Schafstall zu machen und den Betrieb extensiv weiterzubewirtschaften. Das halte ich für viel richtiger. Im übrigen ist das heute kein Streitpunkt mehr.
Die Betroffenen haben sich für uns entschieden. Das befriedigt mich. Mich interessiert nicht, wer was daran kritisiert. Mich interessiert, daß die Mehrheit der Bauern — insbesondere die jungen Menschen auf dem Lande — dieses Prinzip akzeptiert hat und es als vernünftig empfindet.
Nun, meine Damen und Herren, es wurde dann noch sehr viel über den Vermögensstatus gesagt. Ich betone noch einmal: Auch ich bin der Meinung, wir haben keinen Grund zur Euphorie. Auch dieser Agrarbericht gibt keinen Anlaß dazu. Und ich will auch hier in dieser Stunde sagen, unser Interesse
hat derzeit nicht dem nächsten Agrarbericht zu gelten, denn der ist fast schon vorprogrammiert, weil wir 7 Monate des betreffenden Wirtschaftsjahres bereits hinter uns haben. Unser Interesse muß sich auf das nächste Wirtschaftsjahr 1973/74 richten.
Und ich verhehle nicht, daß ich da einige Sorgen habe, speziell Kostensorgen. Die teile ich, wie sie hier vorgetragen worden sind. Möglicherweise wird es auch Marktprobleme und ähnliches mehr geben. Und aus dieser Sicht wird man natürlich auch unter dem Gesichtspunkt, wie sich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Europa vollziehen wird, in Brüssel die kommende Preisdebatte führen müssen, nicht um ein Ergebnis für das nächste Jahr zu produzieren, denn das ist fast gelaufen.
Ich darf dazu sagen: wir werden ja nächstes Jahr sehen, ob meine Mitarbeiter falsch gerechnet haben. Bis jetzt haben sie in der Regel recht gut gerechnet; das muß ich einmal zur Ehrenrettung meiner Mitarbeiter sagen. Ich lese immer, wenn z. B. die Ernteschätzungen kommen: das stimmt alles nicht, das ist alles falsch. Wenn dann die Ernteergebnisse vorliegen, haben meine Mitarbeiter, muß ich sagen, so gerechnet, daß es fast aufs Kilogramm stimmt. Ich verlasse mich hier also wirklich auf meine qualifizierten Mitarbeiter, und ich glaube, sie machen's auch richtig.
Aber ich darf doch noch einige Zahlen nennen. Wenn Sie die Buchführungsergebnisse ansehen, werden Sie feststellen, daß sich das Aktivvermögen um 213 DM je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche erhöht hat. Das Fremdkapital stieg dagegen nur um 37 DM je Hektar; das Eigenkapital nahm um 176 DM je Hektar zu. Wer von der Betriebswirtschaft etwas versteht, wird wissen, daß das sehr handfeste Zahlen sind. Und lassen Sie mich ein ganz klares Wort auch anläßlich dieser Debatte sagen: Ich freue mich, daß die Landwirtschaft erkannt hat, daß man mit Investitionen äußerst vorsichtig sein muß.
Ich begrüße das. Ein Großteil unserer Agrarprobleme wäre nicht eingetreten, wenn wir nicht eine so große Investitionsneigung gehabt hätten. Ich begrüße auch, daß die Landwirtschaft erkennt, daß man durch gemeinsame Maschinennutzung sei es durch einen Maschinenring, sei es durch Lohnunternehmen oder wie immer es heißt, für mich sind alle Mittel recht — erheblich Kosten sparen kann. Ich bin der Meinung, daß wir das sogar mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen müssen. Denn sicherlich haben wir in der Vergangenheit manchmal viel zuviel investiert, möglicherweise auch deshalb, weil vorhandene Chancen nicht genutzt werden konnten oder auch weil die technische Entwicklung noch nicht reif war. Insoweit können wir, glaube ich, nur glücklich sein, wenn die Landwirtschaft in einem Zustand ist, bei dem sie nicht mehr so viel investiert.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur regionalen Wirtschaftspolitik machen. Soweit ich
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Bundesminister Ertl
erfahren konnte, Herr Kollege Ritz, soll es bei Orten von 20 000 Einwohnern bleiben. Sie haben möglicherweise mit Recht die Investitionszuschüsse kritisiert. Ich kann als Agrarminister nur feststellen, daß auch ich sehr viel Verdruß mit den Investitionszuschüssen im Bereich der Landwirtschaft hatte, weil manche die Frage stellten: Haben diese Betriebe sie überhaupt nötig? Ich glaube, diese Frage muß man sehr nüchtern prüfen.
Lassen Sie mich aber auch noch etwas zu dem Kapitel Verbraucher sagen. Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen. Jedermann sollte sich aber einmal die Mühe machen und an Hand der richtigen Zahlen sowie der vom Bundesamt veröffentlichten Statistiken Vergleiche ziehen. Zugegebenermaßen hatten wir in den letzten Monaten einen erheblichen Anstieg der Nahrungsmittelpreise zu verzeichnen. Selbstverständlich müssen wir bei der künftigen Politik und auch bei der kommenden Preisrunde darauf achten, daß nicht vom Ernährungssektor her ein zusätzlicher Anstieg der Lebenshaltungskosten erfolgt. Zur Zeit treiben auch die Nahrungsmittelpreise den Lebenshaltungskostenindex hoch. Insoweit werden wir wohl eine mittlere Position einnehmen. Aber ich muß langfristig gesehen sagen, daß, abgesehen von den letzten drei Monaten, der Index bei Lebensmitteln insgesamt unter dem Index der übrigen Gruppen des Warenkorbs lag. Ich möchte hier einmal in aller Öffentlichkeit folgendes feststellen. Ich halte es für einen mißlichen Zustand, daß der Warenkorb bei der Ermittlung des Lebenshaltungskostenindex, soweit es Lebensmittel betrifft, nur alle zehn Jahre neu ermittelt wird. Denn wir haben natürlich heute einen ganz anderen Warenkorb.
Das hat möglicherweise auch negative Folgen, weil die zur Zeit sehr hohen Rinderpreise durchschlagen. Das darf man nicht vergessen. Aber daß wir heute noch nach einem veralteten Warenkorb rechnen müssen, ist nicht gut. Das ist für uns alle ein bedauerlicher Tatbestand. Ich kann nur hoffen, daß wir hier alle gemeinsam Lösungen entwickeln werden. Eines steht fest: der Anteil. der Ausgaben für Lebensmittel ist erfreulicherweise von Jahr zu Jahr gesunken. Ich glaube, auch das muß man in der richtigen Relation sehen.
Ein letztes Wort zum Drittlandhandel. Ein Industriestaat muß eine weltoffene Handelspolitik treiben; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, zu glauben, das soziale und ökonomische Problem der Entwicklungsstaaten könnte man dadurch lösen, daß man ausschließlich Rohstoffe oder Rohprodukte abnimmt,
sondern hier müssen wir bei der Entwicklungshilfe dann auch eine Politik einschlagen, die es jenen Volkswirtschaften erlaubt, einen Teil der industriellen Fertigung zu übernehmen. Sonst werden wir das Problem weder in den Entwicklungsgebieten in den Griff bekommen noch es zusammen mit den Drittländern weltweit lösen.
Ich freue mich sehr darüber, daß die Aktivitäten in meinem Hause hinsichtlich der Verbraucherpolitik so viel Beifall gefunden haben. Ich glaube, die beste Verbraucherpolitik ist die einer guten Information. Nur hätte ich dann auch den Wunsch, daß man von dieser Information mehr Gebrauch macht. Ein noch wichtigerer Punkt auf diesem Sektor scheint mir für die Zukunft zu sein, daß man in der gesamten Grundschulausbildung das Problem „kaufen und verkaufen" bis hin zur Haushaltsführung stärker beachtet, als es im Augenblick der Fall zu sein scheint.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich jetzt bewußt auf einige Punkte beschränkt. Lassen Sie mich noch kurz das Kapitel ländlicher Raum und Bergbauern anschneiden. Es ist nicht meine Art, immer große Ankündigungen zu machen. Ich könnte natürlich sagen, daß sich in meinem Hause Expertengruppen mit der Frage Bergbauernförderung und ähnlichem mehr befaßt haben. Auch das, was in internationalen Gesprächen erarbeitet worden ist, war nützliches Material für die Vorschläge der Kommission. Wir haben nun einmal eine europäische Politik, und im Rahmen dieser europäischen Politik ist es nützlich, den Willensbildungsprozeß innerhalb der Gemeinschaft zu fördern, dann eine gewisse Zeit abzuwarten, um zu sehen, was daraus geworden ist, um dann wieder neu Stellung zu nehmen. Das halte ich für die richtige taktische Verhaltensweise, weil sie, wie ich glaube, am effektivsten ist.
Noch ein letztes Wort zum Markt und zum Marktanteil. Es wurde hier behauptet, daß alles, was im Zusammenhang mit der Währung geschehen sei, zum Verlust von Marktanteilen geführt habe. Das ist produktspezifisch sehr unterschiedlich.
Sie brauchen sich nur die Statistik anzuschauen — ich habe sie hier — und können dann feststellen, daß der Anteil an der Selbstversorgung kaum zurückgegangen ist.
Ein Zweites. Wenn wir so große Marktanteile verloren hätten, frage ich Sie, wie wir dann im Agrarexport auf 6 Milliarden DM gekommen sind. Wir haben keine Marktanteile verloren, sondern, im , Gegenteil, noch welche gewonnen! Das ist das Faktum, und darum geht es in der Zukunft.
— Natürlich! 6 Milliarden DM im Agrarexport stellen doch einen Gewinn hinsichtlich des Marktanteils dar. Der Agrarexport isl enorm und sprunghaft angestiegen.
Das widerspricht doch der Behauptung, wir hätten dauernd Marktanteile verloren. Wir haben in der Gemeinschaft Marktanteile gewonnen, und wir fördern diesen Prozeß sogar.
Wir sehen uns folgenden Aufgaben gegenüber:
1. Wir müssen in Zukunft noch mehr Sorge dafür tragen, daß die gesamtwirtschaftliche Entwick-
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Bundesminister Ertl
lung in Europa eine harmonische und chancengleiche wird.
2. Die Wettbewerbs- und Marktposition der Landwirtschaft muß durch Produktion hoher Qualität und durch leistungsfähige Konkurrenz gestärkt werden.
3. Die Sozialpolitik wie auch die Bildungspolitik müssen fortentwickelt und verbessert werden, damit der Anpassungsprozeß sozial erträglich wird.
4. Die Landwirtschaft muß in ihrer Gesamtfunktion im ländlichen Raum zu einem wichtigen Faktor werden. Einer Vielzahl von Menschen muß die Chance gegeben werden, in dieser Landschaft nicht nur Ruhe und Erholung zu finden, sondern echte Gesprächspartner der Bauern zu werden.
Ich habe am Schluß dieser Debatte — ich darf das auch für meine Person sagen — all jenen zu danken, die in einer nicht immer leichten Situation das schwere Tageswerk auf den Höfen vollbringen. Hier sind insbesondere die Bäuerinnen zu nennen, die möglicherweise diejenigen sind, die die schwerste Last zu tragen haben.
Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang aber auch der Jugend auf dem Lande. Mich freut nichts mehr, als in diesen Tagen immer wieder zur Kenntnis nehmen zu müssen, daß diese Jugend hoffnungsvoller ist, als man es manchmal glauben möchte. Unsere Aufgabe liegt darin, nicht nur der Landwirtschaft die Zukunft zu sichern, sondern der Jugend auf dem Lande zu helfen, den richtigen Weg zu finden.
Meine Damen und Herren; damit ist die Aussprache über den Agrarbericht 1973 der Bundesregierung geschlossen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Bericht an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Haushaltsausschuß - mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/220 der Fraktionen der SPD und FDP und über den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/221 der Fraktion der CDU/CSU. Die beiden Entschließungsanträge sollen dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Fragestunde um 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, auf Grund interfraktioneller Vereinbarungen sollen die Punkte 2 —
Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses. — und 3 — Wahl der Wahlmänner — von der Tagesordnung abgesetzt werden. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache 7/188 —
Es liegen Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen vor. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold anwesend.
Frau Präsidentin, da die Dringlichkeitsfragen in engstem Zusammenhang stehen, möchte ich fragen, ob die Fragesteller einverstanden sind, wenn ich sie insgesamt beantworte.
Sie meinen, alle sechs Fragen? Darf ich die Fragesteller fragen. Herr Reddemann?
Ich kann mich damit leider nicht einverstanden erklären.
Sie behalten Ihr Fragerecht für vier Zusatzfragen.
Dessenungeachtet. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Wohlrabe?
Die beiden bitte zusammen.
Ihre beiden Fragen, aber nicht im Zusammenhang mit den anderen?
Nicht im Zusammenhang mit den anderen.
Es tut mir leid, Herr Staatssekretär. — Aber Ihre beiden Fragen, Herr Reddemann, lassen sich zusammenfassen?
Das können wir tun.
Ich rufe die zwei Dringlichkeitsfragen des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Was hat die Bundesregierung zu ihrem Beschluß veranlaßt, die von ihr selbst angeordnete Erstattung der Visagebühren für DDR-Reisen ab 1. Juli 1973 aufzugeben?
Wurde die Bundesregierung von dritter Seite ersucht, die Erstattung der Visagebühren einzustellen?
Herr Kollege Reddemann, ich darf Ihre Fragen wie folgt beantworten. Zunächst erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, daß in der gestrigen Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses die Herren Bundesminister Bahr
Deutscher Bundestag -7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 771
Parl. Staatssekretär Herold
und Franke in Ihrem Beisein eingehend zu den heute in Rede stehenden Fragen Stellung genommen haben.
Zu Ihrer Frage: Der Beschluß der Bundesregierung, die Einreisegenehmigungsgebühren für Reisen in die DDR ab 1. Juli 1973 nicht mehr zu erstatten, geht auf kein Ersuchen von dritter Seite zurück. Die Bundesregierung hat sich vielmehr von der Erwägung leiten lassen, daß durch die Verkehrsvereinbarungen mit der DDR und die in Kraft zu setzenden Grundlagenvertrag die Bedingungen des innerdeutschen Reiseverkehrs so verbessert werden, daß die Gründe, die ursprünglich zur Erstattung der Einreisegenehmigungsgebühren geführt haben, nicht mehr die bisherige Bedeutung haben.
Bei Einführung des Paß- und Visumzwanges durch die Regierung der DDR am 11. Juni 1968 ging die damalige Bundesregierung von der Überlegung aus, daß zu den seinerzeit ohnehin bestehenden zahlreichen Erschwernissen des Reiseverkehrs nicht auch noch finanzielle Belastungen treten sollten, die in der damaligen Situation zu einem Rückgang der Reisen geführt hätten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, soll ich aus Ihrer jetzigen Behauptung schließen, daß die Belastung für den einzelnen gesunken ist, oder müssen wir nicht vielmehr feststellen, daß die finanzielle Belastung weiter in vollem Umfange besteht?
Die finanziellen Belastungen werden weiter bestehen. Auf der anderen Seite möchte ich Ihnen aber offen sagen, Herr Kollege Reddemann: Kann man den Bundesbürgern nicht, da sie doch den Zusammenhalt der Nation wünschen, auch gewisse kleinere materielle Opfer zumuten?
Eine weitere Zufrage.
Herr Staatssekretär, wenn Ihre Worte in eine gewisse Logik zu bringen sind, warum hat dann die Bundesregierung nicht gleich zu Beginn dieser Aktion aus den nationalen Gründen, die Sie eben nannten, darauf verzichtet, die Gebühren zu erstatten?
Wir wollten seinerzeit von unserer Seite aus Erschwernisse nach Möglichkeit vermeiden. Sie kennen die Zahlen seit Inkrafttreten dieser Verträge und wissen, daß uns das gelungen ist. Der innerdeutsche Reiseverkehr und die menschlichen Begegnungen haben ein gewichtiges Ausmaß angenommen; die Vorstellungen
der Bundesregierung sind nicht enttäuscht worden. Sie können die Ergebnisse selbstverständlich als zu gering betrachten; denken Sie aber daran, daß wir erst am Anfang der Bemühungen stehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie meinten, Sie wollten damals keine Erschwernisse für die menschlichen Erleichterungen einführen, muß ich, nachdem Sie die Mittel jetzt streichen wollen, daraus schließen, daß Sie die Absicht haben, nun diese Erschwerung in den Reiseverkehr zu bringen?
Herr Kollege Reddemann, ich komme im Laufe der nächsten Fragen noch darauf zurück; aber lassen Sie mich schon jetzt sagen, daß die Bundesregierung in dieser Frage keine entsprechende Absicht hat. Dd Sie nicht einverstanden waren, daß die vorliegenden Fragen im Zusammenhang beantwortet werden, darf ich Ihnen folgendes abschließend mitteilen:
1. Die Kommunikation mit dem Berliner Senat war und ist hergestellt. 2. Es wird eine Erklärung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vor dem im Augenblick tagenden Abgeordnetenhaus geben, über die Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung und dem Senat besteht. Der Herr Regierende Bürgermeister wird erklären: Erstens. Die Einreisegenehmigungsgebühren im Rahmen der Reise- und Besuchsregelung für Westberliner werden nach dem bisherigen Verfahren weiterhin von der öffentlichen Hand erstattet.
Zweitens. Wie die erforderlichen Mittel aufgebracht werden, wird der Senat in den nächsten Tagen mit der Bundesregierung klären.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ohne auf die Frage der Glaubwürdigkeit einer Regierung einzugehen, die sich offensichtlich von Tag zu Tag in völlig neuer Weise dreht, möchte ich die zusätzliche Frage an Sie richten: Heißt das, daß die Bundesregierung die Absicht hat, dem Senat von Berlin in Zukunft die Ausgaben, die ihm bei der pauschalen Abgeltung entstehen, zu ersetzen, und heißt das, daß die Bundesregierung auch weiterhin allen anderen Bundesbürgern, die bisher die Visagebühren zurückerstattet bekamen, das Geld geben will?
Ich bin hier nicht für die Aussagen anderer Kollegen verantwortlich, Ich habe hier die Auffasung der Bundes-
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Parl. Staatssekretär Herold
regierung vertreten, die Sie zu erfahren gewünscht haben, und habe in diesem Sinne deutlich gemacht, daß die Bundesregierung bereit ist, den Senat von Berlin auch weiterhin von den Einreisegenehmigungsgebühren zu entlasten. In welcher Form das geschieht, wird den Verhandlungen zwischen dem Senat und der Bundesregierung vorbehalten bleiben.
Den zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich so beantworten, daß darüber in den nächsten Wochen gesprochen werden muß. Schauen Sie, Herr Reddemann, hier ist immer die gleiche Schwierigkeit: wir erfahren von Ihnen und Ihren Herren Kollegen, daß wir den Haushalt nicht ausweiten dürfen.
Sie verlangen von uns, daß wir überall einsparen. Wir haben die Beratungen im Haushaltsausschuß abzuwarten und haben dann einen gemeinsamen Weg zu finden, daß alle Möglichkeiten entweder eröffnet werden oder erhalten bleiben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder.
Herr Staatssekretär, treffen Pressemeldungen zu, denen zufolge der Bundesminister Bahr den ursprünglichen Beschluß der Bundesregierung dahin gehend begründet hat, daß durch die Übernahme der Visagebühren durch den einzelnen ein internationales Bewußtsein geweckt werden solle, und darf ich fragen, was die Bundesregierung darunter versteht?
Ich habe vorhin einige Bemerkungen im Zusammenhang mit dem Begriff der Nation gemacht, und offen dargelegt, daß auch kleinere materielle Opfer gebracht werden müssen, will man dem Begriff der Nation echten Gehalt geben.
— Ich bitte um Entschuldigung, Sie haben von mir eine Äußerung verlangt, und ich habe sie Ihnen gegeben. Wenn Sie in der Sache anderer Meinung sind, können Sie das nachher vortragen. Was Herr Kollege Bahr in diesem Zusammenhang sagte, ist mir im Moment nicht bekannt. Es wird sich aber nicht von dem unterscheiden, was ich hier vorzutragen habe.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Marx.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie eben angekündigt haben, daß auch künftig die öffentliche Hand für diese Kosten aufkommen wird, möchte ich Sie fragen, wie dieser Begriff „öffentliche Hand" in diesem Falle zu interpretieren ist, ob das etwa heißt, daß die Bundesregierung das Geld künftig dem Berliner Senat gibt, der es dann im eigenen Namen weiterleitet, und ob Sie glauben, daß eine solche Veränderung des bisherigen Status die Bindungen zwischen Berlin und dem Bund sichtbarer machen wird.
Diese Bundesregierung hat in den letzten Jahren mehrmals bewiesen, daß sie zu ihren Verpflichtungen gegenüber Berlin steht. Sie wird auch in dieser Frage den Berliner Senat und die Berliner Bevölkerung weiterhin unterstützen. Ich glaube, hier wird ein Modus ausgehandelt werden, der die Berliner in jedem Falle befriedigt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Fircks.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß jetzt umgekehrt wie bei den Wahlen zum Bundestag jeder Bundesbürger in Berlin einen zweiten Wohnsitz begründe muß, damit er dann auch in den Genuß der Erstattungen kommen kann?
Sehr geehrter Herr Kollege von Fircks, ich hätte diese Frage wirklich nicht gestellt. Ich kann sie auch aus politischen Gründen nicht beantworten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, Sie stellten eben dankenswerterweise fest,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 773
Dr. Schulze-Vorberg) daß es sich nicht um eine Finanzfrage handelt. Was ist es dann?
Ich glaube, auch wir hier in der Bundesrepublik müssen zum Ausdruck bringen, daß es nicht an 5 oder 15 Mark scheitern soll, wenn wir Verwandte, Bekannte oder Freunde in der DDR besuchen wollen.
. Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, halten Sie Ihre letzte Aussage auch für Rentner und Sozialhilfeempfänger für zutreffend, die Verwandte in Ost-Berlin haben?
Herr Kollege Müller, ich habe in dieser Richtung hier schon einige Fragen beantwortet, und zwar ganz eindeutig: Die bisherige Behandlung bei den Gebühren wird beibehalten. Auch für die Rentner tritt keine Änderung ein.
Wir wissen, daß die Rentner im Hinblick auf die Umtauschpflicht glücklicherweise eine bevorzugte Behandlung erfahren. Das sollte man hier auch sagen. Da die Bundesregierung bereit ist, diese Regelung auch in Zukunft gemeinsam mit dem Senat durchzuführen, sehe ich nicht ein, wieso in dieser Frage noch eine Diskussion erforderlich ist.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich rufe die Fragen 3 und 4 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
War die vor allem die Berliner Bevölkerung belastende Maßnahme abgestimmt?
Verfügte der Regierende Bürgermeister von Berlin über eine Garantie der Bundesregierung, als er vor dem Abgeordnetenhaus das Versprechen abgab, die Bundeskasse werde der Berliner Bevölkerung die Visagebühren erstatten, oder handelte er ohne eine entsprechende Zusage der Bundesregierung?
Ich kann dazu nur sagen, daß Gespräche geführt worden sind und daß der Senat von Berlin nach Vorliegen des Beschlusses des Kabinetts am 31. Januar unterrichtet worden ist. Es kann sein, daß Mißverständnisse im Hinblick auf die Erklärung aufgetreten sind, man wolle die zukünftigen Maßnahmen überprüfen. Es könnte sein, daß es hier zu Mißverständnissen gekommen ist. Ich stelle das nicht außer Frage.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Aussage stimmen Sie doch sicher mit mir darin überein, daß die Maßnahme der Bundesregierung, die Visagebühren nicht mehr zu erstatten, vorher nicht mit dem Berliner Senat abgestimmt worden ist und daß die Aussage des Regierenden Bürgermeisters Schütz in Nürnberg, in Ihrer fränkischen Heimat, er sei davon „unangenehm überrascht", richtig ist.
Ich habe diese Ausführungen des Kollegen Schütz selbst gehört.
Daß er überrascht war, war eindeutig. An welcher Stelle es gelegen hat,
daß die Gespräche, die geführt worden sind, sozusagen nicht an den Mann kamen, kann ich nicht feststeilen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie dieses Verfahren für eine gute Kommunikation zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin, die sonst immer so sehr gerühmt wird, von Ihrer Seite auch unter dem Gesichtspunkt, daß nun so viele Berliner auf der Bonner Regierungsbank sitzen?
H
Herr Kollege Wohlrabe, ich weiß nicht, was in dieser ernsten Frage die Polemik soll. Wir werden uns bemühen, nach wie vor mit den Verantwortlichen der Stadt Berlin engstens zusammenzuarbeiten. Das ist bisher geschehen und wird auch in Zukunft so sein. Irgendwelche Pannen, wie Sie sie hier so herausstellen, gibt es nicht nur im Verhältnis zwischen Berlin und Bonn, sondern auch anderswo.
Eine weitere Zusatzfrage.
Durfte ich davon ausgehen, daß meine zweite Frage schon beantwortet war? Ich hatte den Staatssekretär so verstanden, daß es nur eine Antwort auf die erste Frage war. Ich habe zur zweiten Frage bisher nichts gehört.
Nach meiner Meinung ist die zweite Frage durch meinen Hinweis erledigt, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin heute vor dem Abgeordnetenhaus eine ge-
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meinsam zwischen dem Senat und der Bundesregierung abgestimmte Erklärung abgegeben hat.
Weitere Zusatzfrage.
Dann darf ich mich, Herr Staatssekretär, auf diese Erklärung beziehen. Sie haben sie hier bisher nicht bekanntgegebn. Aber Sie sprachen von Mitteln der „öffentlichen Hand". Sie sagten, die „öffentliche Hand" werde diese Mittel übernehmen. Würden Sie bitte so freundlich sein, dem Hause zu konkretisieren, was hier „öffentliche Hand" bedeutet? Bundesregierung? Senat von Berlin? Sagen Sie uns auch, wer genau in diese Mittel einbezogen ist, ob nicht nur die Berliner einbezogen sind, sondern auch der kleine Grenzverkehr, der beabsichtigt ist, und die bisherige Bezahlung für die Westdeutschen.
Der kleine Grenzverkehr steht im Augenblick überhaupt nicht zur Debatte, Herr Kollege Wohlrabe. Das möchte ich feststellen. Es wird darauf ankommen, zu welchen Ergebnissen wir in den nächsten Wochen und Monaten in dieser Frage kommen werden.
Es ist behauptet worden, ich hätte die Erklärung noch nicht vorgetragen, die heute im Abgeordnetenhaus durch den Herrn Regierenden Bürgermeister zur Kenntnis gebracht wird. Ich darf sie noch einmal verlesen. Der erste Teil lautet:
1. Die Einreisegenehmigungsgebühren im Rahmen der Reise- und Besuchsregelung für Westberliner werden nach dem bisherigen Verfahren weiterhin von der öffentlichen Hand erstattet.
Hier sind doch alles gestandene Leute. Wenn ich „öffentliche Hand" sage, weiß man doch genau: Es gibt in dieser Frage nur den Bund und das Land Berlin. Daß man sich auf einen Modus einigen muß, ist klar. Auch habe ich hier zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung gewillt ist, das zu tun. Ich weiß also nicht, was die zusätzlichen Fragen in diesem Zusammenhang bedeuten sollen.
Was den zweiten Teil der Erklärung betrifft, so wird der Senat in den nächsten Tagen mit der Bundesregierung klären, wie die erforderlichen Mittel aufgebracht werden. Das habe ich jetzt das zweite Mal hier erklärt, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Da die Frage der Aufbringung der Mittel nicht erklärt ist, stelle ich hier die Zusatzfrage: Bleibt es dabei, daß wie bisher die
I Mittel für die Visagebühren aus dem Einzelplan 60 des Bundeshaushalts für die Berliner an den Senat von Berlin erstattet werden? Ich frage darüber hinaus — und ich bitte, den zweiten Teil meiner Frage zu beantworten —, ob dies auch für diejenigen Mitbürger so bleibt, die aus Westdeutschland in die DDR fahren. Weiter frage ich, ob beabsichtigt ist — ich nehme bewußt noch einmal Bezug auf Ihre Antwort von eben —, den kleinen Grenzverkehr in Zukunft in diese nunmehrige Regelung, die ja einen Abgang von Ihrem Kabinettsbeschluß bedeutet, einzubeziehen?
Sie wissen, daß diese Frage erst nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrags aktuell wird. Gestatten Sie mir folgende Bemerkung. Man wundert sich: Sie versuchen, von dieser Bundesregierung laufend Erklärungen und Festlegungen zu bekommen, obwohl Sie selbst nicht bereit sind, dem Grundlagenvertrag, der u. a. den kleinen Grenzverkehr in Gang bringen soll, ihre Zustimmung zu geben.
Da Sie ja ein alter Haushaltshase sind, Herr Kollege Wohlrabe, wissen Sie im übrigen genau, daß gar keine andere Art der Begleichung als über den Einzelplan 60 möglich ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Kollege Herold, darf ich den Versuch machen, in eine Problematik, die ich nicht recht verstanden habe, Klarheit zu bekommen. Ich frage: Umfaßt der Kabinettsbeschluß der letzten Woche diejenigen, die aus West-Berlin in die DDR und nach Ost-Berlin wollen, oder umfaßt er nicht auch diejenigen, die aus Westdeutschland in die DDR wollen?
Ich darf Ihnen dazu sagen, daß man in diesem Hause bisher über Kabinettsbeschlüsse und ihren Inhalt nicht öffentlich gesprochen hat.
— Herr Kollege Marx, ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ich war noch nicht fertig. Ich kann das doch ohne weiteres sagen. Sie müssen schon ein bißchen Geduld haben!
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- Ich verstehe Sie nicht. Aber ich darf doch bitte ausreden, Herr Kollege Marx. Dieser Kabinettsbeschluß, so wie er gefaßt worden ist, umfaßt auch die Bürger der Bundesrepublik.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Amrehn.
Hat die Bundesregierung Herr Staatssekretär, bei ihrer Stellungnahme eigentlich die Tatsache berücksichtigt, daß der Regierende Bürgermeister gestern abend öffentlich im Fernsehen erklärt hat, er habe seine Zustimmung zu der Berlin-Vereinbarung und zu den anschließenden Regelungen überhaupt nur unter der Bedingung und erst dann erteilt, als ihm die Zusicherung gegeben worden war, daß alle daraus entstehenden Einreisegebühren in der Zukunft vom Bund getragen würden?
Ich darf Ihnen sagen, daß mir die gestrige Rede des Herrn Regierenden Bürgermeister im Fernsehen nicht bekannt ist.
Ich möchte nur sagen, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit den Erleichterungen
ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Bürgern der DDR in keiner Weise einschränken, sondern im Gegenteil noch weiterausbauen wird, weil sie damit rechnet, daß durch die Erleichterungen in Zukunft ein größerer Personenkreis nach Westdeutschland kommen wird. Sie wissen, daß die Rentner nicht nur einmal, sondern mehrmals jährlich herüberkommen können, und wir haben uns bereit erklärt, deshalb mehr zu tun — neben all den anderen Leistungen —, so daß man also sagen kann, daß die Bundesregierung zu ihren Worten steht.
Was Berlin betrifft, so habe ich bereits ausgeführt, das die Bundesregierung auch nach dem 1. 6. ihre Verpflichtungen gegenüber Berlin weiter erfüllen wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Heyen.
Herr Staatssekretär, würden Sie der deutschen Öffentlichkeit — und damit selbstverständlich dem Parlament — mitteilen, daß es ausgerechnet der Kollege Wohlrabe war, der noch am
14. Februar dieses Jahres pauschalierte Zahlungen an die DDR abgelehnt hat und sie in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost" kritisiert hat, indem er sagte, die Bundesregierung sei bereit, der DDR direkte Zahlungen zukommen zu lassen?
Das ist eben dieser Widerspruch, den ich bereits vorhin mit Bedauern festgestellt habe.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen entgangen, daß hier nur die Frage gestellt ist, wie die Besucher aus Westdeutschland und West-Berlin, die nach Ost-Berlin oder der DDR reisen, behandelt werden, und nicht, wie die Rentner, die hierher kommen? Denn diese brauchen hier keine Visagebühr zu zahlen.
Herr Kollege Müller, ich bitte um Entschuldigung, daß das akustisch wahrscheinlich schlecht zu verstehen war; aber ich bin nach den Leistungen der Bundesregierung und nach den Einlassungen dieser Bundesregierung
im Zusammenhang mit der Hilfe für Bürger in West-Berlin und auch in der DDR gefragt worden. Darauf habe ich Antwort gegeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie die Frage beantworten, warum die eine öffentliche Hand durch die andere öffentliche Hand ersetzt werden muß, nachdem der Regierende Bürgermeister mit diesem Verschiebebahnhof der öffentlichen Hände offenbar nicht einverstanden ist?
Sie sollten mit dem Verschiebebahnhof
Ich weiß genau, warum ich „Verschiebebahnhof" noch einmal betont habe, Herr Kollege Hupka. Ich möchte Ihnen sagen: am Ende ist das doch einerlei; die Hauptsache ist, daß der Bürger zu seinem Recht kommt; und das hat die Bundesregierung zugesagt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
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Herr Staatssekretär, würden Sie den Herrn Kollegen Heyen wegen seiner soeben gestellten Frage bitte sachkundig machen, indem Sie ihm erklären, daß es unterschiedliche Pauschalen geben kann und daß der Herr Kollege Wohlrabe in seinem Artikel — das geht daraus eindeutig hervor — in keinem Falle Pauschalen für menschliche Erleichterungen gemeint hat?
Es steht mir als einem Vertreter der Bundesregierung nicht zu, einen Kollegen des Hauses zu belehren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, ob Sie meinen Eindruck teilen, daß Ihre Erklärung, die Einreisegenehmigungsgebühren würden im Rahmen der Reise- und Besuchsregelung für Westberliner nach dem bisherigen Verfahren weiterhin bezahlt, für die CDU/CSU eine große Enttäuschung ihres heutigen Vorhabens darstellt und daß die CDU/CSU daher dabei ist in großem Umfang nationales Porzellan zu zerschlagen?
Herr Kollege Mattick, ich kann mich dieses Eindrucks nicht erwehren.
Keine weitere Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, durch ihren Staatssekretär im Presse- und Informationsamt, Rüdiger von Wechmar, entgegen ihrer bisherigen Auffassung verkünden zu lassen, daß die Visagebühren der DDR-Regierung Teil von Reisekosten sei, für die die Bundesregierung nicht aufzukommen habe?
Die von Ihnen zitierten Äußerungen sind mir in dieser Form nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß die Äußerung, die Herr Staatssekretär von Wechmar in der Pressekonferenz gemacht hat, in der er zugleich das Transit-Abkommen erwähnte und von der generellen Beseitigung der Finanzierung solcher Begegnungsmöglichkeiten sprach, die Schlußfolgerung nahelegt, darin kündige sich eine generelle Umkehr der Bundesregierung in der Frage des Ersatzes solcher Gebühren an?
Ich habe erklärt, daß dies nicht der Fall ist. Übrigens hat Herr von Wechmar gestern seine Ausführungen verdeutlicht und eventuelle Mißverständnisse in der gestrigen Pressekonferenz aus der Welt geschafft.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ich darf fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß damit klargestellt ist, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, etwas an der weiteren Pauschalierung der Gebühren für den Transit-Vertrag zu ändern.
Das ist nicht vorgesehen, Herr Kollege Jäger.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Dringlichkeitsanfrage des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Ist die Bundesregierung bereit, gemeinsam mit den Bundestagsfraktionen Wege zu suchen, um an Stelle einer Streichung von Mitteln für die Begegnung der Menschen in Deutschland höhere Haushaltsplanansätze zu ermöglichen?
Ich glaube, Herr Kollege Böhm, ich habe Ihre Frage im Zusammenhang mit der Frage des Vorredners bereits beantwortet und darf also auf das hinweisen, was ich eben gesagt habe.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, in diesem Zusammenhang die Frage zu beantworten, die vorhin der Kollege Wohlrabe schon einmal gestellt hat, ob nämlich die Bundesregierung beabsichtigt, eine Ausdehnung der Erstattungen auch auf die entstehenden Visagebühren im Zusammenhang mit den Tagesaufenthalten vorzunehmen?
Ich habe vorhin bereits im Zusammenhang mit der Beantwortung anderer Fragen gesagt, daß auf Grund der Ausweitung des Besucherverkehrs, den wir ja alle gemeinsam wünschen, wahrscheinlich finanzielle Größenordnungen auf uns zukommen, die es erforderlich machen, die Möglichkeiten der Finanzierung noch einmal gemeinsam zu diskutieren. Ich bin der Meinung, daß hier ein Engagement des einzelnen Bürgers, aber auch des Bundes erfolgen muß.
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Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich also davon ausgehen, daß die Bundesregierung die finanziellen Barrieren, die die DDR gegen den Besucherstrom künftig errichten wird, von unserer Seite nicht noch weiter erhöhen will, sondern dazu beitragen wird, diese Barrieren abzubauen?
Wir haben das in der Vergangenheit getan, und wir werden auch in der Zukunft das Möglichste tun, damit nicht durch finanzielle Belastungen Erschwernisse eintreten. Aber ich bitte Sie auch zu berücksichtigen, was ich jetzt schon einige Male gesagt habe: daß von uns auch das persönliche Engagement des Bürgers gefordert werden muß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Amrehn.
Herr Staatseskretär, würden Sie mir in dem Grundsatz zustimmen, daß Menschen, die nun schon jahrelang voneinander getrennt waren und schwere Belastungen haben tragen müssen, nicht noch idividuell die Zusatzkosten zu tragen haben sollten, die bei der Wiederbegegnung durch fremde Zwangseinwirkung entstehen, und würden Sie mir auch darin zustimmen, daß das dann eine Last ist, die die Allgemeinheit für diese Menschengruppen zu tragen hat?
Herr Kollege Amrehn, ich glaube, meine Ausführungen in den letzten 30 Minuten haben deutlich gemacht,
daß diese Bundesregierung immer bereit sein wird, zu helfen und bei gewissen Notständen, die Sie hier angesprochen haben und die einen bestimmten Personenkreis betreffen, mit einzustehen. Mir ist es leider nicht möglich, Fragen an Sie zu stellen, Herr Kollege Amrehn. Aber schauen Sie, ich freue mich, daß die Politik der Bundesregierung in dieser Fragestunde eine so hervorragende Anerkennung findet.
— Ja natürlich! Wenn wir durch unsere Politik nicht Reiseerleichterungen geschaffen hätten, brauchten wir uns über diese Dinge gar nicht zu unterhalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, warum hat, wenn Sie dem vom Kollegen Amrehn vorgetragenen Grundsatz zustimmen, die Bundesregierung dann erst diese Zweifel aufkommen lassen?
Ich muß jetzt sehr vorsichtig sein.
— Wissen Sie, wenn ich dort unten säße in einer Debatte, würde ich Ihnen etwas ganz anderes antworten. Herr Kollege Müller, wie oft soll ich denn die Erklärung der Bundesregierung über ihre Verpflichtungen und die Einhaltung dieser Verpflichtungen hier noch abgeben? Anscheinend wollen Sie sie nicht zur Kenntnis nehmen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Bundesregierung in Sachen Visagebühren vorgeprellt ist und nun unter dem Druck der öffentlichen Meinung klein beigibt?
Diesen Eindruck habe ich nicht. Aber schauen Sie: Wie viele Entscheidungen sind von Ihren Verantwortlichen gefällt worden oder werden im Augenblick gefällt, wobei man dann später zugeben mußte oder zugibt, daß man doch immer wieder klüger ist, wenn man aus den verschiedensten Gründen seine Meinung auch einmal zu ändern hatte oder hat. Das ist zwar hier nicht erfolgt, aber wäre das etwas Schlechtes, Herr Kollege? Ich kann nichts Schlechtes darin sehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig dahin verstanden, daß Sie mit Ihrer Berner-kung vorhin einen gewisen Stolz ausdrücken wollten
über die Leistung der Bundesregierung, aus Rinnsalen und Brotkrummen eine solche nationale Angelegenheit zu entwickeln?
Sie haben mich völlig richtig verstanden. Herr Kollege Mattick, ich habe darauf verzichtet, hier den ganzen Katalog
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Parl. Staatssekretär Herold
dessen vorzulegen, was sich in den letzten Monaten an Positivem ergeben hat. ich würde Sie mit einer solchen Aufzählung vielleicht langweilen. Wenn man diese Frage hier jetzt aber hört, müßte man all das eigentlich noch einmal verlesen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Kollege Herold, ist Ihnen bekannt, daß sich der Herr Regierende Bürgermeister, nachdem er in Franken auf dem Parteitag der Sozialdemokraten eine Rede gehalten hat, auch per Rundfunk und Fernsehen hat vernehmen lassen und seiner Freude darüber Ausdruck verlieh, daß man dort einen Beschluß gefaßt hat, der die dringende Bitte an die Bundesregierung enthält, die Pauschalierungen nicht nur für die Westberliner, sondern auch für die — wenn ich mich so salopp ausdrücken darf — Bundesbürger weiter zu zahlen? Offensichtlich handelt es sich dort um Delegierte aus einem Grenzraum, die wisen, was sie im Zusammenhang mit dem vor uns stehenden kleinen Grenzverkehr meinen.
Herr Kollege Schütz hat auf dem Parteitag seine Meinung dargelegt. Herr Kollege Marx, ich glaube, er war froh darüber, eine gewisse Solidarität mit Berlin auch dort erkennen zu können. Außerdem stellt sich die Frage doch nicht mehr. Es ist doch entschieden, daß diese Dinge — ich meine die Visagebühren für Westberliner weiterhin gezahlt werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Überzeugung, daß wir heute und auch in Jahren und Jahrzehnten keine Veranlassung und Gelegenheit gehabt hätten, uns über einen Gegenstand von dieser im Vergleich zur Gesamtproblematik so geringen Bedeutung wie die Visagebühren zu unterhalten, wenn die Bundesregierung in den letzten Jahren dem Drängen der Opposition und insbesondere derjenigen Herren gefolgt wäre, die sich jetzt so lautstark für die Weiterzahlung der Visagebühren einsetzen?
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kollege.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Frau Präsidentin, ich möchte vom Thema nicht ablenken und den Staatssekretär deshalb fragen: Was sind „diese Dinge"? Können Sie uns das bitte konkret erläutern. Ich habe
Sie vorhin konkret danach gefragt. Sie haben nicht konkret geantwortet. Bitte tun Sie es jetzt am Ende dieser Fragestunde.
Ich habe zum Zeitpunkt der Erklärung, die der Herr Regierende Bürgermeister heute vor dem Abgeordnetenhaus in Berlin abgegeben hat — diese Erklärung ist mit der Bundesregierung abgestimmt , ganz eindeutig erklärt, daß die Rückzahlung nach wie vor so erfolgt, wie es im bisherigen Verfahren festgelegt ist. Das habe ich gesagt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Dringlichkeitsfragen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Grabert anwesend.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß nach Artikel 80 Abs. 1 des Grundgesetzes und nach § 6 Abs. 1 Satz 2 des Waffengesetzes vom 19. September 1972 nur Bundesminister eine Rechtsverordnung erlassen können, wie beurteilt sie demzufolge die Verordnung des Chefs des Bundeskanzleramts, der nicht Bundesminister ist, zum Waffengebrauch vom 22. Januar 1973 (Bundesgesetzbl. I S. 25), und was gedenkt die Bundesregierung in diesem Fall zu tun, damit den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen Rechnung getragen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Gerster, nach Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes können durch Gesetz die Bundesregierung, die Bundesminister oder die Landesregierungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden. Im Waffengesetz vom 19. September 1972 hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 die Bundesminister ermächtigt, für Stellen ihres Geschäftsbereiches Rechtsverordnungen zum Waffengesetz zu erlassen.
Als das Waffengesetz verkündet wurde, war ein Bundesminister Chef des Bundeskanzleramtes. Damals konnte sich das in der Mündlichen Anfrage genannte Problem also nicht stellen.
Bei Erlaß der Verordnung zum Waffengesetz vom 22. Januar 1973 wurde von folgenden Überlegungen ausgegangen: Nach Art. 80 des Grundgesetzes können die Bundesminister zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden, weil sie ihren Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung leiten. Der Verfassungsgeber hatte bei dieser Bestimmung die Bundesminister in ihrer Eigenschaft als Ressortchefs im Auge. Der Chef des Bundeskanzleramtes führt, wie Sie wissen, die Dienstaufsicht über den dem Bundeskanzleramt nachgeordneten Bundesnachrichtendienst. Insoweit ist er also Leiter eines Geschäftsbereiches. Im Hinblick darauf waren das Bundeskanzleramt, der Bundesminister des Innern, in dessen Einvernehmen die
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Staatssekretär Grabert
Verordnung erlassen wurde, und der Bundesminister der Justiz, der die Rechtsförmlichkeit geprüft hat, der Auffassung, daß der Chef des Bundeskanzleramtes, auch wenn er nicht Bundesminister ist, nach der Ratio des Art. 80 des Grundgesetzes durch § 6 Abs. 1 Satz 2 des Waffengesetzes zum Erlaß der Rechtsverordnung für diese seinen Geschäftsbereich betreffende BND-Frage befugt ist.
Gleichwohl verkennt die Bundesregierung nicht und das ist auf dem Gebiet des Rechts ja nicht ungewöhnlich —, daß eine engere Auslegung der genannten Vorschriften für die in der Anfrage vertretene Deutung sprechen könnte. Sie hat daher ins Auge gefaßt, eine unzweideutige Auslegung bei einer Änderung des Waffengesetzes sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch mit Rücksicht auf den Fragesteller und den, der die Antwort zu geben hat, um ein bißchen mehr Ruhe.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie ausführen, daß das Waffengesetz in diesem Punkt insofern geändert werden soll, als auch ein Staatssekretär die Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung erhalten soll, frage ich Sie: Sind Sie dann mit mir der Auffassung, daß die Rechtsverordnung vorn 22. Januar 1973 nicht rechtmäßig erlassen worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin nicht Ihrer Auffassung. Ich habe dargetan, daß nach unserer Rechtsauffassung diese Rechtsverordnung zu Recht vom Chef des Bundeskanzleramtes unterzeichnet. wurde. Ich habe darauf hingewiesen, daß, um Zweifel auszuräumen, die möglicherweise entstehen könnten die bei uns nicht bestehen —, bei einer Novellierung des Waffengesetzes diese Frage berücksichtigt werden würde. Es gibt bei uns keinen Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klein.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Begrenzung der Zahl der Ermächtigungsadressaten in Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes deshalb so gefaßt ist, weil es sich bei den hier genannten Adressaten um parlamentarisch verantwortliche Instanzen handelt,
und sind Sie nicht deshalb mit mir auch der Meinung, daß ein Staatssekretär, auch wenn er Chef des Bundeskanzleramtes ist, nicht eine unmittelbar parlamentarisch verantwortliche Instanz ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, hinsichtlich Ihrer zwei-
ten Frage kann es keine Differenzen geben. Ich weiß sehr wohl, daß der Chef des Bundeskanzleramtes, wenn er Staatssekretär ist, parlamentarisch nicht verantwortlich ist. Gleichwohl ist er nach dem Sinn der Bestimmung des Grundgesetzes Ressortchef mit der Verantwortlichkeit der Leitung des Bundeskanzleramtes und der Führung der Aufsicht dieser nachgeordneten Behörde. Da, wie ich dargetan habe, das Grundgesetz dies unserer Auffassung nach als Ausgangspunkt genommen hat, besteht die Rechtsverordnung zu Recht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie erklärt sich der Widerspruch, daß Sie von einer Novellierung des Waffengesetzes sprechen, während Herr Innenminister Genscher gestern vor dem Innenausschuß im Zusammenhang mit den Gesetzgebungsvorhaben in dieser Legislaturperiode von einer Novellierung des Waffengesetzes trotz Befragens nichts sagte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe gesagt, bei einer Novellierung des Waffengesetzes würde diese Frage, die mögliche Zweifel auslösen könnte, mit geregelt werden. Sie kennen die Federführung. Ich werde natürlich Gelegenheit nehmen, diese Frage mit dem Bundesminister des Innern zu besprechen.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage aus Ihrem Geschäftsbereich ist beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf zur Verfügung. Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Slotta auf:
Steht die Bundesregierung wie der Bundesfinanzhof auf dem Standpunkt, daß Zwillinge (Mehrlinge) finanziell „keine außergewöhnliche Belastung" für die Familie darstellen, oder ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß die finanziellen Aufwendungen zum Teil sehr groß sind, und durch welche besonderen Maßnahmen will die Bundesregierung diesem Elternkreis helfen (auf 80 Geburten eine Zwillings-, auf 80² 6400 eine Drillings-, auf 80³ = 512 000 eine Vierlings-, auf 804 = 40 960 000 Geburten eine Fünflingsschwangerschaft: dies die in der einschlägigen Literatur ein meisten genannten Zahlen)?
Bitte schön!
Herr Kollege Slotta, der Bundesfinanzhof vertritt die Auffassung, daß Aufwendungen für eine Erstlingsausstattung von Zwillingen für sich allein nicht zur Anerkennung als „außergewöhnliche Belastungen" führen, weil es sich um Unterhaltskosten handelt, die durch die Kinderfreibeträge abgegolten werden. Das entspricht dem Sinn und Zweck der Kinderfreibeträge.
Der Bundesfinanzhof schließt allerdings nicht aus, daß durch eine Mehrlingsgeburt unter ganz besonderen Umständen Kosten entstehen können, die eine außergewöhnliche Belastung darstellen. Die Bundes-
780 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Parl. Staatssekretär Hermsdorf
regierung teilt diese Auffassung. Sie hat deshalb in den von ihr beschlossenen Einkommensteuerergänzungsrichtlinien 1972 auf diese Möglichkeit besonders hingewiesen.
Keine Zusatzfrage.
Frage 39 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, wie auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts durch das Zweite Steueränderungsgesetz 1971 geschehen, auch auf Grund der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 1972 — 1 BvL 38'69, 25/70, 20/71 — dem Gesetzgeber einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher für die durch diese Beschlüsse des Bundesverfasungsgerichts betroffenen, noch nicht rechtskräftigen Fälle eine auf die Zeit vor 1970 zurückreichende gesetzliche Neuregelung trifft, und bis wann ist mit einer solchen Vorlage zu rechnen?
Herr Kollege, die obersten Finanzbehörden der Länder haben im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen bereits eine Regelung der in Ihrer Frage genannten Fälle getroffen. Die Regelung stützt sich auf § 131 der Reichsabgabenordnung über den Erlaß aus Billigkeitsgründen. Sie sieht vor, daß die Einkommensteuerpflichtigen in den in Rede stehenden Fällen genauso behandelt werden wie die Lohnsteuerpflichtigen. Von den beiden Möglichkeiten, die das Bundesverfassungsgericht zur Wahl gestellt hatte, ist also die für die Steuerpflichtigen günstigere gewählt worden. Die Bundesregierung hält es unter diesen Umständen nicht für erforderlich, eine Regelung durch Gesetz zu treffen.
Eine Zusatzfrage.
Warum hat die Bundesregierung bei dem Stichtag für diejenigen, die 18 Jahre alt werden, eine gesetzliche Regelung getroffen und bei denen, die innerhalb des Viermonatszeitraums geboren werden, nicht?
Dies kann ich im Augenblick nicht übersehen; ich müßte es nachprüfen. Den Tatbestand als solchen kann ich jetzt nicht beurteilen. Ich würde darum bitten, daß ich Ihnen die Antwort schriftlich nachreichen darf.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß eine durch eine Revision zurückverwiesene Sache beim Finanzgericht Münster noch unentschieden liegt, weil das Finanzgericht Münster auf eine gesetzliche Regelung wartet?
Dies ist mir nicht bekannt.
Keine Zusatz, frage.
Dann rufe ich Frage 41 des Herrn Abgeordneten Heyen auf:
Sieht die Bundesregierung nach dem heutigen Stand der Umrüstung von Transportfahrzeugen im Berlin-Verkehr das Ziel im Verplombungsgesetz gefährdet, wonach bis zum 1. Juli 1973 alle umrüstungsfähigen Fahrzeuge verplombt sein müssen, und erwägt sie eine Initiative zur Verlängerung der gesetzlich vorgeschriebenen Frist?
Herr Kollege Heyen, die Bundesregierung geht davon aus, daß die Frist zur Umrüstung der Fahrzeuge, die nach dem 1. Juli 1973 verplombt werden müssen, ausreichend ist. Diese Frist ist nach ausgiebigen Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages festgelegt worden und war dem davon betroffenen Gewerbe spätestens seit der Verkündung des Verplombungsgesetzes am 28. Juni 1972 bekannt.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind bereits etwa 45 % aller nach dem 1. Juli 1973 verplombungspflichtigen Straßengütertransportmittel auf Verschlußsicherheit umgerüstet. Nach den der Bundesregierung bisher vorliegenden Informationen reicht die Kapazität der Umrüstungsbetriebe aus, über das zur Zeit bestehende Auftragsvolumen hinaus weitere Umrüstungen beschleunigt durchzuführen.
Die Bundesregierung wird den Fortgang der bis zum 1. Juli 1973 vorzunehmenden Umrüstungen weiterhin sorgfältig verfolgen. Sie sieht aber keine Veranlassung, darauf hinzuwirken, daß der Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Verplombungspflicht hinausgeschoben wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, das von Ihnen Gesagte auch noch einmal dem Berliner Güterverkehr deutlich zu machen, damit das Mißverständnis ausgeräumt wird, daß die Umrüstungskapazitäten nicht ausreichten?
Herr Abgeordneter, wir haben bereits bisher versucht, das deutlich zu machen, und wir haben bis zur Stunde eigentlich keinen Anlaß gesehen, nochmals darauf hinzuweisen. Sollten wir aber feststellen, daß das erforderlich ist, werden wir dies selbstverständlich tun und ganz klar sagen, daß wir an dem Termin festhalten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 42 des Abgeordneten Graf Lambsdorff auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 43 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die in ihren Besdilüssen über Eckwerte und Grundsätze zur Steuerreform vom 11. Juni und 28./29. Oktober 1971 vorgesehene Erhöhung des Pensionsfreibetrages von 25 v. H. auf 30 v. H. aus Grün-
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 781
Vizepräsident Frau Funcke
den der sozialen Gerechtigkeit mit Vorrang behandelt werden sollte?
Die Eckwerte der Grundsätze zur Steuerreform enthalten eine ganze Reihe von einkommensteuerlichen Maßnahmen, deren Verwirklichung die Bundesregierung aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit für dringlich hält. Die Anhebung des sogenannten Pensionsfreibetrages auf 30 v. H. der Bezüge, höchstens 3600 DM jährlich, gehört zu diesen Maßnahmen. Die Bundesregierung hält es jedoch nicht für vertretbar, diese Maßnahme jetzt isoliert vorzuziehen, da dadurch die zügige Verwirklichung der Steuerreform als Ganzes beeinträchtigt würde.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß der immer größer werdende Rückstand der Beamtenpensionen hinter der aus Sozial- und Zusatzrente bestehenden Gesamtversorgung der Behördenangestellten vornehmlich auf diese unterschiedliche Besteuerung der Pensionen und der Renten zurückzuführen ist?
Ich teile diese Auffassung nur zum Teil. Aber gerade deshalb haben wir dies in der Steuerreform berücksichtigt.
Die zweite Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die unterschiedliche Besteuerung der Pensionen und Renten nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern auch zur Erhaltung der Anziehungskraft des Beamtenberufs möglichst bald beseitigt werden sollte?
Ich habe vorhin bereits auf Ihre zweite Zusatzfrage geantwortet, daß ich Ihre Auffassung nur zum Teil teile. Wenn Sie sie jetzt dahin gehend ergänzen, daß Sie die Anziehungskraft des Beamtenberufs in Frage stellen, so teile ich Ihre Auffassung nicht. Ich glaube, daß der Beamtenberuf heute — gerade auch wegen der verbesserten Besoldung — so ausgestattet ist, daß er mehr Anziehungskraft hat als früher.
Ich hatte die Frage 44 noch nicht aufgerufen. Haben Sie sich damit befaßt?
Nein, die Frage 44 ist noch nicht aufgerufen worden.
Dann tut es mir leid. — Bitte, Herr Kollege Höcherl!
Herr Staatssekretär, glauben Sie tatsächlich, daß eine große Steuerreform noch in dieser Legislaturperiode kommen wird, nachdem Sie am letzten Samstag kräftig abgeschöpft haben?
Herr Kollege, diese Frage kann ich nicht zulassen, denn sie steht nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der gestellten Frage.
Aber ich bin gern bereit, sie zu beantworten. Wir sind der Auffassung, daß die Große Steuerreform kommen wird. Sie brauchen keine Sorge zu haben. Die entsprechenden Gesetz werden diesem Hohen Hause bald vorliegen.
Keine Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den vorgesehenen Höchstfreibetrag von 3600 DM jährlich in Anbetracht der inzwischen weiter angestiegenen steuerfreien Renten und sonstigen steuerfreien Altersversorgungen zu überprüfen?
Herr Kollege Berger, die vorgesehene Anhebung der Obergrenze des Pensionsfreibetrages von bisher 2 400 auf 3 600 DM jährlich bedeutet immerhin eine Erhöhung um 50 %. Die Erhöhung des Pensionsfreibetrages muß als Bestandteil des Gesamtkonzepts der Steuerreform verstanden werden. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Personenkreis, der diesen erhöhten Freibetrag bekommt, auch durch die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags begünstigt und, wie alle Steuerpflichtigen, durch die Erhöhung des tariflichen Grundfreibetrags entlastet wird, die in der Steuerreform vorgesehen ist.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, haben Sie dabei auch bedacht, daß seit den Beschlüssen von Juni und Oktober 1971 — damals wurde ja ein Pensionsfreibetrag von 3 600 DM beschlossen — weitere Preiserhöhungen eingetreten sind?
Dies habe ich bedacht. Ich habe aber auch bedacht, daß eine Reihe von Beschlüssen hinsichtlich der Besoldungserhöhungen durchgeführt worden sind, die auch berücksichtigt werden müssen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, teilen Sie dann wenigstens meine Auffassung, daß eine steuerliche Entlastung der Beamtenpensionen in diesem bescheidenen Rahmen, in dem sie vorgesehen ist, allein schon im Hinblick auf das Lebensalter der Betroffenen vordringlich ist?
Ich teile diese Auffassung, und deshalb haben wir dies bereits in die Steuerreform eingeplant.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Staatssekretär, da die Betroffenen von der Entscheidung der Bundesregierung, diese Verbesserungen in die Eckwerte aufzunehmen, noch keinen direkten Vorteil haben, möchte ich Sie anknüpfend an Ihre Antwort auf die letzte Frage gern fragen: Hält die Bundesregierung es wirklich für vertretbar, überholte Freibeträge wie den von 2400 DM bei dem derzeitigen Entwicklungstempo der Preise und Löhne nach oben bis zum Vorliegen der Steuerreform, unter optimistisch beurteilten Voraussetzungen also bis zum 1. Januar 1976, beizubehalten?
Die Bundesregierung hat eine Steuerreform beschlossen, die aufkommensneutral sein soll. Ich hielte es nicht für tragbar, wenn man aus dieser Steuerreform nur die Rosinen herauspickte und dann das letzte Paket nicht verabschiedete.
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die Empfehlungen der EWG-Kommission einer Dämpfung des Preisanstieges über enge Begrenzung der Finanzierungssalden in den Haushaltsplänen und gegen die Ausweitung von Kreditvolumen und Liquidität zu realisieren?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter Jahn, die haushaltspolitischen Empfehlungen der EG-Kommission vom 8. September 1972 gehen von den seinerzeit voraussehbaren Haushaltsbeschlüssen 1972 aus und beziehen sich auf die Nettokreditaufnahme von Bund und Ländern. Die Gemeinden sind dabei nicht angesprochen. Auf Grund der am Wochenende getroffenen Entscheidung des Bundeskabinetts zum Bundeshaushalt wird die Nettokreditaufnahme des Bundes 1973 4 Milliarden DM betragen. Sie entspricht damit den Empfehlungen der EG-Kommission.
Die geplanten Nettokreditaufnahmen der Länder für 1973 liegen mit rund 5,8 Milliarden DM in der gleichen Größenordnung wie nach den Planansätzen des Vorjahres. Es kann davon ausgegangen werden, daß der veranschlagte Betrag nicht ganz erreicht wird. Zumindest einige Länder haben Steuermehreinnahmen, die seit Aufstellung ihrer Haushaltsentwürfe erkennbar geworden sind, in ihren Haushaltsplänen jedoch noch nicht berücksichtigt. Die Bundesregierung wird, wie im Jahreswirtschaftsbericht dargelegt, eine Rechtsverordnung nach § 19 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vorlegen, nach der die Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte beschränkt wird, sofern sich dies im Verlauf des Jahres 1973 als notwendig erweisen sollte.
Was die Eingrenzung von Kreditvolumen und Liquidität angeht, so darf ich Ihre Frage wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, die gegenwärtig überhöhte Zuwachsrate des Geldvolumens im Jahre 1973 deutlich zurückzuführen. Sie unterstützt deshalb die Absicht der Deutschen Bundesbank, ihre darauf gerichtete restriktive Geld-und Kreditpolitik unter Beachtung der außenwirtschaftlichen Gegebenheiten auch in Zukunft weiter zu verfolgen.
Zur Begrenzung des Anstiegs des Geldvolumens hält die Bundesregierung Maßnahmen auf außen-und binnenwirtschaftlichem Gebiet für notwendig. Die jüngsten währungspolitischen Beschlüsse, insbesondere die Dollarabwertung, sind hierbei ein wichtiger Schritt, um den Spielraum für eine stabilitätsorientierte Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank zu erweitern.
Zur Abwehr zinsinduzierter Zuflüsse ist eine unverzügliche Erweiterung des gesetzlichen Ermächtigungsrahmens, der Bardepotregelung, erforderlich, weil Bemühungen um eine internationale Normalisierung der Zinspolitik sehr bald auf Grenzen stoßen.
Außerdem wird die Bundesregierung durch Auflegung einer Stabilitätsanleihe und durch eine Stabilitätsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftssteuer dem Wirtschaftskreislauf bis zu 6,4 Milliarden DM entziehen.
Auch wird von der Bundesregierung noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des notenbankpolitischen Instrumentariums vorgelegt. Damit soll der „Bremsweg der Geldpolitik" verkürzt und ein den stabilitätspolitischen Erfordernissen besser angepaßter Einsatz der Instrumentarien ermöglicht werden.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 46 und 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner sowie die Fragen 48 und 49 des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) (FDP) können hier heute nicht behandelt werden, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tagesordnungspunkt 14 stehen.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel auf:
Wie hoch ist der Anteil der Mehreinnahmen bei der Lohnsteuer und bei der veranlagten Einkommensteuer in den Jahren 1971 und 1972, der aus demjenigen Teil der Mehreinkommen resultiert, der über den realen Einkommenszuwachs hinausgeht?
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 783
Frau Präsidentin, ich möchte gern, wenn die Fragesteller damit einverstanden sind, die Fragen 50, 51 und 56 wegen ihres engen Sachzusammenhanges zusammen beantworten.
Ich nehme an, daß die Kollegen damit einverstanden sind.
Ich rufe also auch die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel auf:
\\Vie beurteilt die Bundesregierung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit diese Entwicklung, und wann beabsichtigt sie hieraus steuerrechtliche Folgerungen 7U ziehen?
Ebenfalls rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der durch inflationäre Preissteigerungen ausgelösten überproportionalen Steuererhöhungen bereit, einen Korrekturmechanismus bei der Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer einzuführen und, etwa nach dem Beispiel von Dänemark, Frankreich und den Niederlanden, eine Indizierung des Steuertarifs nach den Lebenshaltungskosten vorzunehmen?
Ich möchte darum bitten, zuerst die Frage 50 zu beantworten.
Ja. — Es ist richtig, daß bei einigen Steuern Mehreinnahmen dadurch entstehen, daß die nominellen Einkommen über die realen Zuwächse hinaus steigen. Dies gilt allerdings auch für die meisten Ausgaben der öffentlichen Hände.
Die Bundesregierung sieht sich jedoch nicht in der Lage, den Anteil der Mehreinnahmen zu ermitteln, der auf den nur nominellen Einkommenszuwachs zurückzuführen ist. Zweifellos ist die Besteuerung auch der nur nominellen Einkommenszuwächse in mancher Hinsicht unbefriedigend. Die Bundesregierung hat mit ihren Beschlüssen vom 17. Februar 1973 jedoch konjunkturpolitisch notwendige Maßnahmen ergriffen, um das Übel an der Wurzel zu packen und nicht nur die von den Fragestellern angesprochenen Symptome zu bekämpfen.
Eine Differenzierung der Besteuerung nur nach den realen oder nur nach den nominellen Einkommenszuwächsen würde das Nominalprinzip, auf dem unser gesamtes Steuersystem beruht, außer Kraft setzen.
Auch die in einigen europäischen Staaten eingeführte Indizierung des Steuertarifs nach den Lebenshaltungskosten dient nicht dazu, die Besteuerung auf die realen Einkommenszuwächse zu beschränken, sondern soll lediglich die überproportionale Besteuerung des Einkommenszuwachses verhindern.
Die europäischen Staaten, die automatisch die Anpassung der Einkommen- bzw. Lohnsteuer an die Preisentwicklung vornehmen, verschaffen sich durch Erhöhung anderer Steuern einen Ausgleich für die entstandenen Steuerausfälle. Zum Teil wird auch die Einkommensteuer erhöht, und zwar durch Erhöhung des Tarifs oder durch Zuschläge. Zum Teil werden dabei auch Erhöhungen der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern zur Deckung des Staatsbedarfs vorgenommen.
Die Steuerentlastungen durch die automatische I Anpassung werden im Ergebnis also häufig durch Erhöhung des Einkommensteuertarifs oder der Verbrauchsteuern bei den Steuerzahlern kompensiert. Es ist somit nicht einmal gewährleistet, daß die unteren Einkommensschichten durch eine solche Anpassung entlastet werden. Angesichts dieser Erfahrungen beabsichtigt die Bundesregierung nicht, dem ausländischen Beispiel zu folgen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß beim internationalen Vergleich der Einkommensteuern die unteren und mittleren Einkommen in der Bundesrepublik relativ niedrig belastet sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Zeitel.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus folgern, daß die Grundsatzabteilung Ihres Hauses nicht mehr in der Lage ist, zwischen realen und nominalen Einkommensentwicklungen und deren Konsequenzen zu unterscheiden, und daß es nicht einmal Schätzversuche gibt, die, wenn ich recht informiert bin, schon in der Presse kursieren?
Dies dürfen Sie nicht daraus schließen. Ich habe ausdrücklich hinzugefügt, daß es keine genauen Unterlagen gibt. Daß es Schätzversuche gibt, ist richtig. Aber bloße Schätzversuche helfen uns nicht weiter.
Herr Staatssekretär, darf ich darum bitten, daß mir diese Schätzziffern schriftlich mitgeteilt werden, damit wir endlich einmal Klarheit über die Mehrbelastungen bekommen, die sich für Millionen einfacher Bürger in unserem Lande aus der Inflation ergeben.
Ich will Ihrem Wunsch gern nachkommen. Nur bin ich nicht sicher, ob man auf Grund von Schätzungen Klarheit bekommt. Wenn man keine genauen Zahlen hat, wird man das natürlich nicht genau ermitteln können.
Noch eine weitere Zusatzfrage?
Dr. Zeitel CDU/CSU Ich hätte eine zweite Zusatzfrage. Kann die Bundesregierung das, was früher bei allen Steuerreformüberlegungen auch bei den Eckwerten die Grundannahme bildete, daß nämlich bei der Besteuerung das Nominalwertprinzip zugrunde zu legen ist, bei der Entwicklung, die wir gegenwärtig haben, aufrechterhalten? Und ist die Bundesregierung geneigt, cien sozial ungerechten Folgen der Besteuerung, die daraus resultieren, in der Steuerreform vorrangig Rechnung zu tragen?
784 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Auf diese Frage möchte ich zwei Antworten geben. Erstens. Daß sich daraus Ungerechtigkeiten ergeben, weiß die Bundesregierung, und das weiß dieses Hohe Haus. Deshalb haben wir versucht und versuchen es auch im Rahmen der Steuerreform, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Die zweite Antwort: Zu der Schlußfolgerung, das Nominalprinzip abzuschaffen, kommt die Bundesregierung nicht. Ich habe in meinen Ausführungen dargelegt, daß andere Länder, die davon abgegangen sind, damit keinen Erfolg haben und sich auf andere Weise zu helfen versuchen, wodurch dann gerade wieder die unteren Schichten mehr belastet werden.
Eine letzte Frage.
Folgt daraus, daß die bisherigen Eckwertbeschlüsse, die diesem Tatbestand kaum Rechnung tragen, unter dem Gesichtspunkt, den Sie eben nannten, revidiert werden?
Herr Kollege, ich würde die bisherigen Eckwertbeschlüsse nicht revidieren wollen. Jede neue Überholung der Eckwertbeschlüsse würde eine Verzögerung bedeuten. Das Parlament hat ja, wenn die Bundesregierung diese Steuerreformgesetze vorlegt, die Möglichkeit, entsprechende Vorschläge zu machen und Änderungen dieser Gesetzentwürfe vorzunehmen.
Eine Frage des Abgeordneten Höcherl.
Herr Staatssekretär, halten Sie es unter dem Gesichtspunkt von mehr sozialer Gerechtigkeit für richtig, daß die Steuerzahler doppelt bestraft werden, einmal durch Geldentwertung und zum zweiten durch höhere Progressionssätze?
Herr Höcherl, Ich halte dies für eine nicht glückliche Sache. Das habe ich hier auch dargelegt. Ich habe auch dargelegt, daß wir hier Änderungen vorgesehen haben. Nur können Sie mich nicht verpflichten, diese Änderungen jetzt vorzunehmen, weil es nicht möglich ist, auf Grund der Eckwerte — das sage ich noch einmal — nur diese Sachen herauszubrechen, die im Augenblick angenehm sind, und dann das etwas schwierigere Paket nicht zu verabschieden. Das kann nicht der Sinn einer Steuerreform sein.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, können wir die bescheidene Hoffnung hegen, daß in absehbarer Zeit ein Ausgleich erfolgen wird?
Herr Kollege Höcherl, Sie
kennen mich so gut, daß Sie genau wissen, daß Sie immer Hoffnungen hegen können.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, sind Sie also eher bereit, eine eklatante soziale Ungerechtigkeit, die sich auf diesem Feld durch die inflationäre Entwicklung zeigt, hinzunehmen als vielleicht eine gewisse Verzögerung und es richtig zu machen?
Nein, dazu bin ich nicht bereit. Aber bis zu dem Zeitpunkt, wo wir das ändern werden, können wir das noch durchhalten.
Keine Zusatzfrage mehr. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Parlamentarische Staatssekretär Herold hat die Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen nach unserer Meinung völlig unbefriedigend beantwortet. Er hat zu den Fragen der Erstattung der Visagebühren für DDR-Reisen in den wesentlichen Teilen widersprüchliche Äußerungen gemacht. Die Bürger der Bundesrepublik und insbesondere die Bevölkerung von Berlin haben ein lebhaftes Interesse daran, volle Klarheit in diesen Fragen zu haben. Die Diskussion muß deshalb fortgeführt werden.
Namens der Fraktion der CDU/CSU beantrage ich deshalb gemäß Anlage 4 Nr. 2 der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Er ist ausreichend unterstützt. Wir treten also in die
Aktuelle Stunde
ein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reddemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Die augenblickliche Bundesregierung ist mit dem Spruch angetreten, sie sei eine Regierung der inneren Reformen. Nach dem Verlauf der letzten Woche habe ich den Eindruck, sie ist eher eine Regierung der äußersten Konfusion.
Diese Regierung hat beschlossen, die Pauschalabgeltung für die Visagebühren für West-Berliner nicht mehr zu erstatten. Dieses Kabinett hat weiter beschlossen, denjenigen, die in die DDR reisen, die
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 785
Reddemann
Visagebühren nicht zurückzuerstatten. Heute bekommen wir eine Erklärung des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Herold, aus der niemand wirklich etwas herauslesen kann, weil niemand weiß, ob die Berliner jetzt plötzlich wieder anders behandelt werden sollen als die Westdeutschen, die in die DDR reisen, oder was tatsächlich dahintersteckt.
Ich bedaure, daß der Herr Kollege Mattick so getan hat, als ob das Behandeln dieser bedeutsamen Frage in diesem Hause nichts weiter sei als das Zerschlagen von nationalem Porzellan. Meine Damen und meine Herren, ich habe eher den Eindruck, hier wird deutsch-nationales Pathos zerschlagen, das die Bundesregierung im Augenblick produziert.
Wir wollen Schaden von den Betroffenen nehmen, und deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt. Wir wollen aber gleichzeitig deutlich machen, daß offensichtlich nur unser Bohren dazu geführt hat, daß diese Bundesregierung nun endlich darangeht, ihren Beschluß zu reduzieren.
Leider — und das ist das Bedauerliche dabei — scheint man jetzt eine merkwürdige Spaltung vornehmen zu wollen. Weil nämlich die Berliner Bevölkerung, weil das Berliner Abgeordnetenhaus und der Berliner Senat sich in geballter Form ebenfalls gegen diese Maßnahme der Regierung wenden, deswegen will man jetzt den Berlinern etwas geben, was man den übrigen Bundesbürgern verweigert. Das ist keine sehr korrekte Angelegenheit. Ich wäre dankbar, wenn die Bundesregierung, die ihre Maßnahme mit der Gleichbehandlung aller begründet hat, diese Gleichbehandlung auch tatsächlich vornähme.
Wir haben in diesem Hause immer versucht, den von der deutschen Spaltung Betroffenen entsprechende Hilfe zu geben. Das war, wie ich glaube, die Auffassung aller Parteien, gleichgültig wer gerade in der Regierung war, gleichgültig wer im Augenblick die Opposition stellte. Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung im Augenblick jedenfalls dazu übergeht, diejenigen noch zu bestrafen — und zwar finanziell zu bestrafen —, deren Familien bereits durch die Grenzen getrennt sind. Ich habe des weiteren den Eindruck, daß diese Regierung denjenigen die finanzielle Last aufladen will, die die menschlichen Erleichterungen, die wir alle begrüßen, auch wirklich praktizieren wollen.
Meine Damen und meine Herren, vergessen wir doch eines nicht: Es sind ja nicht nur die Visagebühren, die zu zahlen sind, sondern es kommt auch der Zwangsumtausch auf der anderen Seite der Grenze hinzu. Das bedeutet, daß eine vierköpfige Familie, die hinüber will, zunächst einmal 140 Mark auf den Tisch blättern muß, bevor sie überhaupt zu ihren Verwandten kommen kann. Das hat dann nichts mit nationaler Auffassung zu tun oder was immer hier gesagt wurde, sondern dann stellt sich doch die Frage, ob der eine oder andere nicht meint,
er werde lieber in den Harz fahren, statt meinetwegen in Treffurt seine Tante zu besuchen.
Außerdem — das muß man in diesem Zusammenhang sehen — hat die Bundesregierung die Kritik finanzschwacher Länder und die Sorgen finanzschwacher Gemeinden zum Anlaß genommen, das Begrüßungsgeld für Mitteldeutsche nur noch zweimal im Jahr zu geben, statt zu überlegen, wie man mit Hilfe des Bundes dieses Begrüßungsgeld für jeden Besucher zu jeder Zeit ausgeben kann.
Sie hat außerdem — auch das finde ich sehr bedauerlich — im Augenblick gemeinsam mit der Bundesbahn Überlegungen angestellt, wie denn in absehbarer Zeit im Zonengrenzraum weitere Strecken eingespart werden können.
Meine Damen und Herren, sicher findet sich für jede dieser Einzelmaßnahmen eine plausibel klingende Begründung. Wenn man aber alle diese Maßnahmen zusammennimmt, hat man doch den Eindruck, als ob die Stabilisierungsmaßnahmen dieser Regierung zum Nachteil der menschlichen Erleichterungen durchgeführt werden. Das sollte eindeutig von der Regierung geklärt werden. Wir sollten in diesem Hohen Hause eine entsprechend deutliche Erklärung bekommen und nicht das, was der Herr Kollege Herold mit aller Mißverständlichkeit vorgetragen hat.
Zum Schluß: Die Opposition ist bereit, mit der Regierung und mit der Koalition zusammen Titel im Haushalt so zu kürzen, daß genügend Geld für die Reiseerleichterungen zur Verfügung steht. Ich darf Ihnen auch dazu sagen, daß wir dann z. B. sehr gerne den aufgeblähten Propagandaapparat dieser Regierung auf ein entsprechendes Maß reduzieren,
nicht zuletzt deswegen, weil ich die Ansicht vertrete, daß wirkliche menschliche Erleichterungen für diese Bundesrepublik Deutschland sehr viel werbewirksamer sind als die größten Sprüche aus dem Apparat des Herrn von Wechmar.
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat volle Klarheit für die Berliner Bevölkerung gefordert.
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege Reddemann, Ihr Kollege hat volle Klarheit für die Berliner Bevölkerung gefordert.
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786 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Bundesminister BahrEs war nicht nötig, dies zu fordern, denn Herr Staatssekretär Herold hat die volle Klarheit für die Berliner Bevölkerung gegeben.
Meine Damen und Herren, es mag Sie enttäuschen, aber Tatsache ist, daß die Bundesregierung im Zusammenwirken mit dem Berliner Senat im Laufe des heutigen Vormittags den Regierenden Bürgermeister in die Lage versetzt hat, diese Erklärung abzugeben, die für die Berliner Bevölkerung jede erforderliche Klarheit schafft.
Zum zweiten. Sie haben eine Reihe von Fragen gestellt, die zusammenhängen mit dem Thema, ob für diejenigen Bewohner der Bundesrepublik Deutschland, die im Augenblick die Möglichkeit zu Tagesaufenthalten von West-Berlin aus nach Ost-Berlin ausnutzen, diese Möglichkeit bezahlt werden soll, was bisher nicht der Fall ist.
Entschuldigung, Herr Reddemann, Sie müssen mir gestatten, daß ich den Gleichheitsgrundsatz anwende, wenn Sie ihn schon ins Gespräch bringen.
Es ging darum, ob dies der Fall sein soll oder nicht.Zum anderen ging es darum, wie es sich mit den künftigen Besuchen von Westdeutschen im Rahmen des grenznahen Verkehrs verhält.Zu beiden Punkten kann ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung dazu noch keine Entscheidung getroffen hat. Sie werden auch nicht erreichen können, daß ich die Entscheidung der Bundesregierung durch die Aktuelle Stunde vorwegnehme.
Zum dritten. Wenn Sie der Auffassung sind, Herr Reddemann, daß man für Westdeutsche nichts ändern darf, entsteht die Frage, ob der grenznahe Verkehr genauso wie der Verkehr von West-Berlin nach Ost-Berlin behandelt werden soll. Ich habe gestern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt -ohne daß ich dies im übrigen jetzt anziehen wollte —, daß auch die Vertreter der Opposition zu einer sachlichen Erörterung dieser komplizierten Frage in dem zuständigen Ausschuß bereit sind. Sie werden nicht erleben, daß ich die notwendige Vertraulichkeit dieser vertraulich zu führenden Erörterungen in der Aktuellen Stunde des Bundestages verletze.
Augenblick! Sie können sich ja gleich dazuäußern.Jetzt der vierte Punkt. Sie haben eine Reihe von Äußerungen gemacht, die mich doch zu der Bemerkung veranlassen, daß ich mich nicht darüber wundere — ich habe damit gerechnet —, daß uns die Ergebnisse unserer Verhandlungen mit der DDR Ärger verursachen würden, und zwar Arger hauptsächlich mit den Partnern im Osten, nämlich mit der DDR. Ich sehe unausweichlich natürlich auch hier Arger. Aber ich hoffe, wir sind uns einig, daß dies ein Arger ist, über den wir uns freuen, weil es endlich einen Anlaß gibt, sich über solche Punkte zu ärgern.
Meine Damen und Herren, der letzte Punkt, den ich hier in der kurzen Redezeit von fünf Minuten behandeln will, ist folgender.Herr Kollege Reddemann hatte gefragt, ob die Bundesregierung bereit sei, Hindernisse für die Besuche in der DDR zu beseitigen. Meine Damen und Herren, Sie gestatten den Ausdruck meiner Verwunderung, weil wir in der Tat schon in den vergangenen drei Jahren mit einigem Erfolg einiges erreicht haben, um Hindernisse für die Besuche in die DDR zu beseitigen.Ich füge aber folgendes hinzu. Wir stimmen sicher alle darin überein, daß es für uns unnatürlich ist, daß es für Besuche aus der Bundesrepublik in die DDR überhaupt eine Visapflicht gibt.
Dies führt zu der Frage, ob es möglich ist, die DDR zu beseitigen.
Dies können wir nicht. Wir haben es möglich gemacht, Hindernisse für den Besuch zu beseitigen. Wir haben es bisher nicht geschafft, eine Reihe von Kriterien zu beseitigen, die für diesen Staat offenbar immanent sind und die wir alle miteinander bedauern und von denen wir alle miteinander, wie ich hoffe, wünschen, daß sie im Interesse zunehmender Besuche weiter reduziert werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndt.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Einigung von Bundesregierung und Berliner Senat, die der Parlamentarische Staatssekretär Herold vorhin hier vorgetragen hat. Visagebühren werden weiter aus öffentlichen Mitteln gezahlt. Sie werden nicht vom Einreisenden und zu seinen Lasten allein gezahlt, sondern zu Lasten des Steuerzahlers. Sie gehen auch zu Lasten des Einreisenden, aber nicht nur zu seinen Lasten.
Zweitens akzeptieren wir, -daß es über die Frage: zahlt der einzelne Bürger, der einreist, oder zahlt die Gesamtkeit der Bürger als Steuerzahler für die
Dr. Arndt
Einreisenden?, zu Erörterungen kommen konnte und auch zur Unterbrechung von Erörterungen zwischen beiden Gebietskörperschaften, dem Bund und Berlin. Denn das ist eine grundsätzliche Frage, das ist schon eine Grundsatzfrage. Für die Berliner ist sie entschieden, und die SPD-Fraktion meint, sie ist richtig entschieden: zu Lasten des Steuerzahlers, nicht des einzelnen Einreisenden.
Drittens. Es scheint sich, und auch das erscheint mir bemerkenswert, auf Grund der Fragestunde — weniger vielleicht auf Grund dessen, was Herr Reddemann vorhin sagte, aber auf Grund der Fragestunde — wieder eine Übereinstimmung in diesem Hause herauszustellen, daß menschliche Erleichterungen in beiden Staaten, in beiden Teilen Deutschlands auch öffentliches Geld kosten dürfen. Das ist eigentlich eine sehr alte Übereinstimmung.
Ich denke z. B. an Ihren früheren Kollegen Dichgans, der sich sehr engagiert hat für westdeutsche Finanzierung von DDR-Aufbauprojekten, Dresdner Oper und dergleichen mehr. Er hat sich sehr dafür engagiert, wissend, daß das zwar auch dem Regime, aber eben auch der Bevölkerung an Ort und Stelle zugute kommt, wie das bei jeder Transaktion dieser Art über jede Grenze hinweg der Fall ist. Es gab diese Übereinstimmung auch in der früheren Bundesregierung unter Bundeskanzler Kiesinger mit dem Außenminister Brandt und dem gesamtdeutschen Minister
) Wehner. Auch damals sind allerhand Dinge gemacht worden. Es wäre gut, wenn diese Übereinstimmung, die sich heute früh ja zeigte, anhielte.
Sie ist leider bei Ihrer Fraktion verlorengegangen.
Gerade der Kollege Wohlrabe ist ein unermüdlicher Trommler in der Berliner Presse gegen das, was er Zahlungen an die DDR nennt;
und das schließt die Visagebühren ein.
— Nein, nein, ich habe sie nicht versäumt.
ich versäume vielleicht manches, aber ich habe nicht diese Fragestunde versäumt. — Herr Wohlrabe kann nichts für die Überschrift in der angesehenen und viel gelesenen Berliner Morgenseitung, die heißt: „312 Millionen D-Mark für die SED". Da sind die Visagebühren dabei, da sind die Pauschalierungen dabei, da sind die Postzahlungen dabei, die wir für die neuen Telefonleitungen natürlich machen mußten. Das ist alles in diesen 312 Millionen drin. Aber von ihm stammt, daß das an die DDR gegangen ist, die ja auch hier ein findiger Redakteur in Anführungsstriche gesetzt hat.
In diesem Klima, laufend angeheizt. vom Kollegen Wohlrabe in Berlin, gedeihen eben auch Mißverständnisse über die Privatisierung von 20 Millionen DM Visagebühren.
Denn das war doch die Differenz.
Ihr Problem wird es sein — auch Ihres, Herr Kollege Barzel —, in der Zukunft diese Übereinstimmung, für menschliche Erleichterungen auch öffentliches Geld, auch Geld des Steuerzahlers herzugeben, durchzuhalten.
Da kommt allerhand in Frage: gemeinsame Projekte auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Energiepolitik; da sind im Rahmen der europäischen Sicherheitskonferenz eine Menge Dinge im Anlaufen. Sie kommen Regime, immer auch dem Regime
aber auch der Bevölkerung zugute. Wir werden sehen, wie sich unser Berliner Kollege Wohlrabe in Zukunft in der Berliner Presse in dieser Hinsicht tummelt: gegen Visagebühren, wie bisher, oder für Visagebühren, wie hoffentlich ab jetzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt drei Bemerkungen machen.
Erstens. Herr Kollege Arndt, es hat zwischen den Koalitionsfraktionen und unseren beiden Parteien, in der CDU/CSU-Fraktion, nie unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben, daß menschliche Erleichterungen Geld kosten sollen. Daß menschliche Erleichterungen Geld kosten sollen ist einzig und allein von der Bundesregierung aufgeworfen worden — nicht von uns --, und Sie haben diese Forderung weder sofort noch nachhaltig genug zurückgewiesen. Das ist der Tatbestand und kein anderer.
Zweitens. Es ist somit in dieser Frage auch keine Gemeinsamkeit verlorengegangen; denn diese Gemeinsamkeit hat immer bestanden.
Es bestand auch eine Einigkeit darüber, daß die Gemeinsamkeit in der Zahlung der Visagebühren für Westberliner, für Deutsche aus der Bundesrepublik und für uns zumindest heute schon — darüber hören wir vielleicht nachher noch ein Wort — auch im grenznahen Verkehr übernommen werden sollen, um die menschlichen Erleichterungen durchzuführen. Die Bundesregierung war es, die den Kabinettsbeschluß auf Streichung der Visagebühren ge-
788 Deutscher Bundestag—7. Wahlperiode— 13. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Wohlrabe
faßt hat. Sie hat also das Thema negativ entschieden, nicht wir; sie hat die Gemeinsamkeit der öffentlichen Meinung und der Sache verlassen. Auch dies muß sie sich ins Stammbuch schreiben lassen.
Der dritte Punkt. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie die Zahlung der 312 Millionen DM anschneiden. Ich bin Ihnen deshalb dankbar, weil dies nämlich eine parlamentarische Anfrage von mir an das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen war. Diese Aussagen — Sie können das nachlesen, ich habe mir das mitgebracht, da ich annahm, daß Sie das verwerten werden — sind von Herrn Herold, nachzulesen im Sitzungsprotokoll der 12. Sitzung in der 7. Wahlperiode, gemacht worden. Er hat uns allen mitgeteilt, daß die Bundesregierung 312 Millionen DM an die DDR gezahlt hat. Dies wird man wohl noch der Presse mitteilen dürfen!
Nun zur Sache selbst. Der Streit, lieber Herr Kollege Arndt , geht nicht um die Zahlungen, sondern darum, wie sie geleistet werden. Hier bleibe ich bei meiner Auffassung: richtig ist es so, wie wir es in der Großen Koalition und früher auch mit Nachdruck Ihrer Fraktion gehandhabt haben, nämlich Verrechnung über die Schuldenlast der DDR im Interzonenhandel; falsch ist eine direkte Zahlung an die DDR. Das werden wir auch weiter kritisieren; denn wir meinen, der deutsche Steuerzahler muß nicht dazu da sein, die Botschaften der DDR im Ausland zu bezahlen.
Wir meinen, daß es bei mehr Verhandlungssorgfalt auch möglich gewesen wäre, so wie es der Berliner Senat für seine Zahlungen erreicht hat, diese Zahlungen über das Interzonenhandelskonto und nicht durch Direktleistungen abzuwickeln. Einzig und allein das ist die Kritik. Die Zahlungen als solche, wie Sie es dargestellt haben, sind nie abgelehnt worden.
Zu den Visagebühren möchte ich noch folgendes sagen. Herr Kollege Bahr hat hier ein Kommuniqué mitgeteilt, das heute morgen zwischen dein Senat von Berlin und der Bundesregierung vereinbart worden ist. Wir nehmen das mit Interesse zur Kenntnis. Wir müssen dabei aber feststellen, daß dieses Kommuniqué nur unter dem Druck der Argumente der Opposition und unter dem Druck der öffentlichen Meinung in Berlin und anderswo zustande gekommen ist.
Von allein ist die Bundesregierung nicht zu dieser Auffassung gelangt. Nur so bleibt den Berlinern die Regelung auf Zahlung der Visagebühren erhalten.
Dann sind vom Kollegen Bahr eine ganze Reihe von Punkten zu den Verbindungen Bundesrepublik/ DDR und zum grenznahen Verkehr gesagt worden. Wir stimmen in einem Punkt voll überein, Herr
Minister Bahr, nämlich in dem, daß menschliche Erleichterungen geschaffen und weiter ausgebaut werden sollen. Wir stimmen aber in einem anderen Punkt nicht überein. Wir sind dagegen, daß die Kosten von dem einzelnen Mitbürger erbracht werden sollen. Zur Zeit der Verhandlungen haben Sie die Pauschalierung als ein großes Ergebnis dargestellt. Heute hört es sich anders an. Diese Verfahrensweise mißbilligt die Opposition.
Deshalb, meine verehrten Damen und Herren, treten wir dafür ein, daß im Haushalt 1973 — und als Berichterstatter für die Visagebühren werde ich für unsere Fraktion diesen Antrag stellen — nicht nur die Berliner Visagebühren, sondern auch die Gebühren für die westdeutschen Mitbürger weiterhin gezahlt werden und auch die Gebühren für den grenznahen Verkehr übernommen werden; denn Herr Staatssekretär Herold hat uns ja heute wissen lassen, daß dies keine finanzielle Frage ist. Wenn es keine ist, dann wollen wir auch so verfahren. Wir hoffen auf Ihre Unterstützung, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Heyen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort zum Kollegen Wohlrabe. Mein Kollege Arndt hat hier schon einen Artikel der „Berliner Morgenpost" zitiert. Ich möchte ein weiteres Zitat von Herrn Wohlrabe bringen, weil es in diesen Zusammenhang gehört.
— Ich möchte zuerst einmal die Opposition zitieren; ich komme auch noch auf die Regierung, Herr Marx
— obwohl es mir schwerfällt, Ihren Namen auszusprechen.
Herr Wohlrabe schreibt in dem Artikel mit der Überschrift „Zahlungen an die SED" :
Eine weitere nicht unerhebliche Einnahmequelle ergab sich 1972 für Ostberlin durch Häftlingsfreikauf und Familienzusammenführung.
Eine solche Äußerung mag im Interesse der eigenen Publizität möglich sein, sie ist aber schädlich im Zusammenhang mit dem nationalen Interesse. Das möchte ich hier ganz klar feststellen.
Lassen Sie mich nun noch einige kleine Bernerkungen machen zum Verhältnis zwischen Berliner
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 789
Heyen
Senat, Bundesregierung und SPD-Fraktion. Machen Sie sich, meine Herren von der Opposition, keine Illusionen:
Wir sind grundsätzlich und in den meisten Einzelfragen übereinstimmender Meinung. Aber es wird nicht so sein, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin ein Vollzugsbeamter dieser Bundesregierung ist; ebenso ist diese Bundesregierung nicht eine Stelle zur ungeprüften Entgegennahme von Wunschzetteln aus Berlin. Dabei bleibt es. Da kann es dann einmal knirschen.
- Herr Wohlrabe, da kann es auch einmal knirschen; das ist völlig klar. Und es hat in den letzten Tagen geknirscht. Aber nicht durch Ihre Haltung ist dies wieder in Ordnung gebracht worden, sondern durch ruhige, sachliche Gespräche zwischen der Bundesregierung, dem Berliner Senat und der SPD-Fraktion. Und darüber sind wir froh.
Lassen Sie mich, da ich hier auch noch einige
Herren aus der Vergangenheit vor mir sehe,
auch noch eines zur Zusammenarbeit zwischen Berliner Senat und Bundesregierung in der Vergangenheit sagen und mich dann auf die Zukunft umschalten! Es hat noch niemals eine so gute Zusammenarbeit zwischen Senat von Berlin und Bundesregierung gegeben wie heute und in den letzten drei Jahren.
— Es hat noch niemals eine so breite Übereinstimmung zwischen der Politik dieser Bundesregierung und der Berliner Bevölkerung in Ost und West gegeben wie in den letzten drei Jahren und wie heute.
Das hat dazu geführt, daß wir heute in Berlin davon sprechen können, daß seit dem 4. Juni 1,3 Millionen Tagesbesuche für Personen über 16 Jahre beantragt worden sind. Das war durch diese Übereinstimmung in der Politik möglich. Wären wir Ihrer Politik gefolgt, wäre ein Nichts gewesen und wäre auch eine solche Debatte und ein solches Knirschen zwischen
der Regierung und dem Berliner Senat nicht möglich gewesen.
Heute unterhalten wir uns doch gar nicht mehr über diese Fragen, sondern denken an die Zukunft dieser Stadt, denken an Zukunftsperspektiven. Auch hier gibt es dann einmal einen, der manchmal zu laut denkt oder der manchmal zu früh etwas sagt.
Das räumen wir freimütig ein. Aber spekulieren Sie bitte nicht — das war der Grund meines Heraufkommens hier — auf Uneinigkeit zwischen denen, die diese Politik in den Grundsätzen durchgesetzt haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Bahr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal mit großer Freude zur Kenntnis nehmen, daß die Opposition zwar den Grundvertrag ablehnt, aber das Geld für seine Folgerungen bereits bewilligen möchte.
Im übrigen möchte ich folgendes sagen: Eine Frage ist hier angeschnitten, die weit über das hinausgeht, über welches Konto welche Ausgaben verbucht werden.
— Ich sage das ja gerade. Es ist eine Frage aufgeworfen, die weit über das hinausgeht, über welches Konto welche Ausgaben verbucht werden. Das braucht man nicht durch einen Zwischenruf zu unterstreichen.
Ich erinnere mich an das, was wir seinerzeit in Berlin als „Zitterprämie" betrachtet haben, nämlich die 500 Millionen DM, die der Bund Berlin zur Verfügung gestellt hat, um die Auswirkungen der Mauer auszugleichen, aufzufangen. Die Mauer blieb. Sie war, wie wir wissen, durch 500 Millionen DM nicht zu beseitigen, und sie wäre auch durch 5 Milliarden DM nicht zu beseitigen gewesen. Damals haben die Berliner von der „Zitterprämie" gesprochen. Wie das nun einmal so ist, haben viele dieses Geld, nachdem es gegeben wurde, natürlich genommen. Einige haben es der öffentlichen Hand zurückgegeben.
Ich wünschte mir, daß wir hier in der erforderlichen Ruhe und Sachlichkeit auch darüber sprechen, daß es ein Punkt des Stolzes sein kann, nicht die
790 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Bundesminister Bahr
öffentliche Hand in Anspruch nehmen zu müssen oder zu wollen.
— Herr Dr. Barzel, Sie irren. Ich komme gleich darauf. Ich greife Herrn Arndt überhaupt nicht an.
— Ich sage nur: Es muß auch möglich sein, die Frage in Ruhe aufzuwerfen, ob es nicht eine Sache des Stolzes ist, eine Möglichket, die die öffentliche Hand zur Erstattung schafft, nicht in Anspruch zu nehmen.
Sie haben, Herr Reddemann, netterweise von der Tante in Treffurt gesprochen. Ich habe leider keine Tante in Treffurt. Aber ich werde hoffentlich auf Grund des Ergebnisses unserer Verhandlungen zum erstenmal in der Lage sein, meine Geburtsstadt wiederzusehen. Ich versichere Ihnen: Gleichgültig, was Sie hier im Bundestag in der Frage der Ausgaben beschließen, ich werde dafür nichts in Anspruch nehmen.
— Diese meine Haltung unterscheidet sich nicht von der Haltung, die ich gehabt habe, als ich sehr viel weniger Geld verdient habe. Das ist der Unterschied.
Im übrigen darf ich Ihnen folgendes sagen. Herr Kollege Arndt hat erklärt — hier stimme ich ihm zu
genauso wie dem, was Sie, meine Herren von der Opposition, gesagt haben —, wenn es um menschliche Erleichterungen geht, sollte man nicht nach dem Geld sehen. Das ist sicher richtig.
Doch, das ist hier gesagt worden. — Aber man sollte nicht der Auffassung sein, daß alles das mit Geld bezahlt werden muß, was die Politik an menschlichen Erleichterungen und Möglichkeiten freischaufelt.
Im übrigen bin ich nach den Auslassungen von Herrn Kollegen Wohlrabe sehr überrascht. Ich bin überrascht nachdem, was gestern in dem schon erwähnten Ausschuß besprochen worden ist. Da ich mich an das halten will, was dort gestern besprochen worden ist zu dem zum zweiten Mal von Ihnen angeschnittenen Thema,
darf ich die Frage stellen, ob es dabei bleibt, was wir gestern besprochen haben, daß man nämlich in Ruhe über diese Frage weiter sprechen soll.
Wenn nicht, müssen wir darüber auch hier sprechen.
Ich bin der Auffassung, daß man sich daran halten soll, d. h. daß die damit zusammenhängenden Fragen, wie es sich gehört, in den dafür zuständigen Ausschüssen weiter besprochen werden sollen, damit nicht der Eindruch entsteht, daß im Plenum anders gesprochen wird als in den Ausschüssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kunz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist im besonderen wert, sich den Stil der Bundesregierung im 7. Deutschen Bundestag einmal genau anzusehen.
und zwar nicht um des Stils allein willen, sondern weil Stilfragen in bestimmten Momenten zu Inhaltsfragen werden. Wir haben vor kurzem, es ist noch nicht lange her — erlebt, daß der Bundeskanzler Regierungserklärungen schlechthin als weitaus beachtlicher als Entschließungen dieses Hauses bezeichnet hat. Wir haben heute durch Herrn Staatssekretär Herold erfahren, daß Kabinettsbeschlüsse hier nicht erörtert werden dürfen.
Ich muß fragen, ob hier nur noch Devotionen Gegenstand einer Erklärung sein dürfen.
Zu den Eigentümlichkeiten des Stils gehört aber
das ist der Punkt, der mich im besonderen bewegt —, daß uns, der Opposition, heute von verschiedenster Seite vorgeworfen wurde, wir seien doch gegen Friedenspolitik und menschliche Erleichterungen gewesen, wieso würden wir dann, da wir so gewesen seien, dieses Problem aufwerfen. Ich kann nur sagen, daß gerade in diesem Zusammenhang ein solcher Vorwurf, der ja nicht neu ist, erneut gebracht wurde, zeigt das schlechte Gewissen der Bundesregierung und ,der sie tragenden Parteien in dieser Frage.
Es bestätigt sich der alte Erfahrungssatz, daß dort, wo keine Argumente sind, Diffamierungen herhalten müssen.
Ja, wir sind gegen den Grundvertrag — aber doch
nicht deshalb, weil wir keine menschlichen Erleichterungen wollten. Das Gegenteil ist der Fall! Hier -
Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 791
Kunz
Herr Minister Bahr, und vielleicht darf ich auch noch Herrn Minister Franke ansprechen —
ist doch die grundlegende Sache die, daß es umfassende und vor allem gesicherte menschliche Erleichterungen in der Realität leider nicht gibt. Aber es muß gerade das, was an vorhandenen Möglichkeiten da ist, durchgesetzt werden, und wenn es noch so wenig ist. Wir werden dafür kämpfen, daß gerade das durchgesetzt wird, und deshalb
werden wir Sie nicht nur heute in diesen Fragen, sondern ständig zwingen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wie Sie dieses Problem bisher gehandhabt haben, läßt das den Eindruck aufkommen — ich kann nur hoffen, den falschen —, als würden Sie die drohende Folge einer weiteren Kanalisierung des Besuchsverkehrs hinnehmen. Aber gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem der Besuchsverkehr sich stärker entwickeln soll und zu dem die DDR bereits neue Formen permanenter Reglementierung erfindet, muß alles unterlassen werden, und sei es noch so entfernt, was den Eindruck entstehen läßt, daß es keine standhafte Überzeugung gibt, Freizügigkeit umfassend durchzusetzen.
So, wie Sie verfahren sind, muß es die DDR ermuntern, auch wenn Sie des nicht wollten, gerade in bezug auf den Besuchsverkehr von Berlin-West nach Berlin-Ost weitere Einschränkungen und Überraschungen vorzubereiten. Und es ist, meine Damen und Herren, im besonderen sehr bedenklich, daß ausgerechnet Sie, Herr Minister Bahr, Sie als Unterhändler des Grundvertrages, sich zum Anwalt der Streichung
der Finanzierung menschlicher Erleichterungen emporgeschwungen haben.
Meine Damen und Herren, die Absicht der Regierungskoalition, am bisherigen Verfahren der Erstattung zu rütteln — und der Eindruck ist nicht beseitigt, im Gegenteil, durch die heutigen Äußerungen von Herrn Staatssekretär Herold ist noch größere Verwirrung entstanden —,
muß als diametraler Gegensatz zu den Grundüberzeugungen Ihrer eigenen Politik verstanden werden. Mit dieser Entscheidung setzen Sie kein Signal für einen vitalen Besuchsverkehr. Im Gegenteil, Sie zeigen Unsicherheit, Zweideutigkeit und Entgegenkommen. Dies nehmen wir nicht hin.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kunz hat eben noch einmal den, wie wir meinten, schon beseitigten Pappkameraden aufgebaut, gegen den sich die CDU/CSU-Fraktion immer wieder verteidigt, nämlich den Pappkameraden, es werde ihr vorgeworfen, sie sei gegen den Frieden oder sie sei gegen menschliche Erleichterungen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, unbestritten ist doch wohl, daß Sie gegen eine Politik waren und gegen eine Politik sind, die bereits zu menschlichen Erleichterungen geführt hat.
— Die menschlichen Erleichterungen sind doch wohl unbestreitbar völlig unabhängig von dieser akuten Entscheidung, Herr Stücklen, über die wir uns im Augenblick unterhalten.
Insofern, Herr Kollege Kunz, kann von einem schlechten Gewissen auch absolut keine Rede sein. Und es kann auch keine Rede davon sein, daß, wie Sie sagen, der Besuchsverkehr in einem Stadium sei, in dem er verstärkt werden solle, sondern wir haben zu registrieren, daß er bereits wesentlich verstärkt ist und daß das eine Bewegung ist, die offenbar anhält.Wenn Sie sagen, die Opposition werde daran gehindert, über Entscheidungen der Regierung zu debattieren, dann frage ich Sie allerdings: Debattieren wir denn hier im Moment über eine Entscheidung der Regierung? Haben Sie also die Gelegenheit, darüber zu sprechen, oder nicht? Und ich meine, auch diese Frage kann eindeutig beantwortet werden.
Meine Damen und Herren, der FDP-Fraktion wird es wie in der Vergangenheit auch in Zukunft darum gehen, jede Möglichkeit zu nutzen oder neu zu schaffen, die dazu beiträgt, daß die Kontakte zwischen den beiden Teilen des deutschen Volkes so intensiv und so häufig wie irgend denkbar vor sich gehen können. Das gilt für uns um so mehr, als es uns, der FDP-Fraktion, darum geht und gehen muß, daß die Ergebnisse der von uns mitgetragenen und — ich betone das ausdrücklich — entscheidend gestalteten Deutschland- und Ostpolitik zu Erfolgen in dem Sinne werden, wie er in der Aussprache über den Grundvertrag von uns ausführlich dargelegt worden ist. Ich kann mich deswegen auf zwei kurze Folgerungen beschränken.Erstens. Die FDP-Fraktion trägt die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat mit.
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792 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
RonneburgerZweitens. Einzelheiten dieser Fragen sind in der Haushaltsberatung zu klären.Drittens ließe sich abschließend sagen: Die Folgerungen aus dem Grundvertrag, die sich in diesem Zusammenhang ergeben können, sind nach dessen Ratifizierung zu klären.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höhmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich anfangs gefragt, warum diese Debatte überhaupt vom Zaune gebrochen wurde, nachdem die Dringlichkeitsfragen beantwortet worden waren,
und zwar in einer Weise, die der Sache durchaus gerecht wurde. Nur, eines haben Sie damit nicht erreicht. Sie wollten — das ging ja aus manchen Ausführungen hervor — wieder ein bißchen Ihr Mütchen an der Regierung kühlen.
— Wenn Sie „nicht ein bißchen" sagen, lieber Herr Wahlrabe, dann haben wir genau den Punkt getroffen.
Die Bundesregierung und der Berliner Senat haben erklärt, man werde den Berlinern, die von der Besuchsregelung Gebrauch machen, entgegenkommen und die bisherige Regelung für die Menschen beibehalten.
— Damit ist doch, lieber Herr Kollege Reddemann, das Ziel durchaus erreicht.Wenn dann jemand kommt und sagt, es sei ein schlechter Stil bei der Bundesregierung festgestellt worden — Herr Kollege Reddemann, Sie haben das schöne Wort „Konfusion" gebraucht , dann frage ich mich, wozu Parlament und Regierung, Regierung und Senat eigentlich miteinander reden, wenn nämlich eine Diskussion, auch eine konträre Diskussion, in jedem Fall schon gleich Konfusion sein muß.
— Sie haben das so gesagt, Herr Kollege Reddemann; lassen Sie mich ruhig einmal ausreden. Ich frage mich: was geht eigentlich in den Ganglien eines Oppositionsparlamentariers vor, wenn er eineDiskussion schon für Konfusion hält? Wir leben hier von der Diskussion, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Besonders betroffen war ich darüber, daß hier Worte gefallen sind wie: die Bundesregierung habe die Familien bestrafen wollen.
Dazu muß ich sagen: das ist mir völlig unbegreiflich. — Lieber Herr Wohlrabe, was sollen denn solche Sprüche?
Die Leute waren in der Vergangenheit durch Nichts-tun und durch das Nicht-Zusammenkommen bestraft.
Das ist der Unterschied, der hier festzustellen ist.
— Das sind keine Ablenkungsmanöver. Ich verstehe, daß Ihnen das nicht paßt. Wir werden im Ausschuß noch sehr viel Freude haben, wenn wir die Diskussion darüber fortsetzen. Nur ist vieles von dem, worüber im Ausschuß geredet wird, nicht Gegenstand der Diskussion hier. Hier stehen Sie auf und wollen sich an der Regierung reiben, während im Ausschuß auch von Ihnen durchaus vernünftige Vorschläge kommen.Ich habe es z. B. für einen vernünftigen Vorschlag gehalten, daß Sie mit den Abgeordneten der Koalition sehr eng zusammenarbeiten wollen, wenn es um Einsparungen geht. Sie, Herr Reddemann, haben vorgeschlagen, Propagandafonds zu streichen.
Ich könnte Ihnen einige andere gute Fonds nennen, bei denen Sie aufschreien würden.
— Zum Thema!
— Herr Kollege Barzel, erkundigen Sie sich doch einmal bei Ihrem neben Ihnen sitzenden Herrn Kollegn Wohlrabe, der dem Achter-Ausschuß beim innerdeutschen Ministerium angehört, was damit gemeint sein könnte.
Sie wissen, was ich gemeint habe, und ich denke, wir verstehen uns. Ich glaube, daß es für Einsparungen eine Menge von Möglichkeiten gibt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 793
HöhmannEs ist hier die Behauptung aufgestellt worden, die Opposition habe die Bundesregierung jetzt in eine bestimmte Ecke gedrängt
und dazu gebracht, zu revozieren, sich verhandlungsbereiter zu zeigen oder wie auch immer Sie es sonst auszudrücken belieben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen Verlautbarungen, die allen, Ihnen persönlich wie Ihren Pressestellen zugänglich sind — vorausgesetzt, Sie wollen sie haben —, wie Informationen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, entgangen sein könnten.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in einer Mitteilung vom 20. Februar, die hier veröffentlicht worden ist, können Sie lesen, daß am 20. Februar auf Grund der Diskussion in der Fraktion über dieses Thema vereinbart wurde, daß die beteiligten Mitglieder der Bundesregierung, Vertreter des Senats, sachkundige Mitglieder der Fraktionen in Kürze zu einer gemeinsamen Besprechung zusammentreten sollen, daß in der Frage erneut verhandelt werden soll und daß diese Dinge überprüft werden sollen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß Sie die breite Schulter gehabt hätten, das durchzusetzen, was in Wirklichkeit geschehen ist. Stecken Sie sich nicht den Orden an, der Ihnen nicht gebührt!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Abelein.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind keineswegs gegen eine Politik, die zu menschlichen Erleichterungen führt. Der Grundsatz unserer Politik ist, diese menschlichen Erleichterungen in möglichst hohem Umfang zu realisieren.
Wenn wir uns heute über dieses Thema unterhalten, dann sicherlich nicht primär deswegen, weil Sie uns durch Ihre Politik dazu die Gelegenheit gegeben hätten, sondern weil diese Politik immer Unklarheiten über die menschlichen Erleichterungen zurückläßt; dagegen wenden wir uns.
Ich unterhalte mich immer sehr gern über erzielte menschliche Erleichterungen. Ich fürchte jedoch, daß wir uns angesichts der unklaren Vertragspolitik, die diese Bundesregierung betrieben hat, in diesem Hause über das Problem der menschlichen Erleichterungen noch sehr oft unterhalten müssen.
Wir haben Ihnen schon bei den Ostverträgen und bei der Debatte über den Grundvertrag gesagt, daß unsere Einwände gerade darauf abzielen, daß Sie vertragliche, rechtsverbindliche Klarheit über dieses Thema nicht geschaffen haben. Deshalb wird es unser Los sein, uns mit Ihnen darüber sehr oft zu unterhalten, aber nicht, Herr Kollege, um ein Mütchen an der Regierung zu kühlen. Im Gegenteil! Wir wollen der Regierung helfen, in diesen Fragen auf den rechten Weg zurückzukommen.
Diese aktuelle Stunde und die Wachsamkeit der Opposition waren, so meine ich, ein glänzendes Beispiel dafür, daß das gelungen ist. Denn es ist doch so: die Bundesregierung — das läßt sich doch nicht bestreiten — hatte im Hinblick auf die Visagebühren andere Absichten.
Die Situation war doch die, daß die Bundesregierung die bisherige pauschale Abgeltung der Visagebühren bei Besuchen in Ost-Berlin und in der DDR abschaffe wollte. Jetzt rückt sie von diesen
ursprünglichen Absichten ab; das begrüßen wir. Aber Sie werden doch nicht bestreiten, daß wir einen maßgeblichen Anteil daran gehabt haben, daß sich die Bundesregierung zu dieser Rückgängigmachung entschlossen hat
und zu einer richtigen Entscheidung gekommen ist; das sollten Sie anerkennen.
In dieser Weise werden wir der Bundesregierung noch oft helfen, hoffe ich, und zwar im Interesse des gemeinsamen Zieles möglichst umfangreicher Erleichterungen.
Ich glaube, es war eine mehr die Stimmung anheiternde Bemerkung, wenn hier gesagt wurde, daß die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Senat nie so gut gewesen sei wie gegenwärtig. Sie hatten in dieser Frage die allergrößten Gegensätze. Lesen Sie doch die Erklärungen des Regierenden Bürgermeisters Schütz und des Ministers Bahr nach. Sie waren nicht einmal gegenseitig informiert. Aber diese Aktuelle Stunde hat auch dazu einen Beitrag geleistet.
Leider hat diese Aktuelle Stunde und auch die Fragestunde nicht ganz das Ergebnis gebracht, das wir uns gewünscht hätten, denn die volle Klarheit haben wir nicht bekommen.
Lieber Herr Minister Bahr, ich glaube nun allmählich doch, daß Sie große diplomatische Fähigkeiten in einem Punkt haben, nämlich hier mit vielen Worten zu den entscheidenden Fragen eben doch nichts zu sagen.
Unsere Frage lautete noch: Wer bezahlt diese Gebühren? Das ist eine höchst wichtige Frage. Es geht
794 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Dr. Abelein
nicht nur darum, daß die Betroffenen ihr Geld zurückerhalten. Die öffentliche Hand, sagen Sie, bezahlt. Wer bezahlt es denn im Rahmen der öffentchen Hand? Bezahlt denn nur West-Berlin? Sie haben auf diese Frage bisher keine Antwort gegeben.
Ich sage Ihnen, wo für uns das Problem liegt. Wir wollen nicht, daß hier West-Berlin eine besondere Stellung erhält in der Richtung auf eine selbständige politische Einheit. Dort liegen unsere Sorgen.
Sie müssen das als Sorge verstehen. Wenn Sie dies hier klarstellen, dann wären wir Ihnen ebenfalls dankbar.
Die Antwort auf eine weitere Frage steht ebenfalls noch aus. Was geschieht denn mit den Bürgern der Bundesrepublik, die in die DDR reisen wollen, die nicht Bürger Berlins sind? Auch darauf haben wir noch keine Antwort.
Zum Schluß möchte ich dazu sagen: Der Bundestag, und zwar hauptsächlich das Plenum, ist das Gremium, das Beschlüsse der Bundesregierung zu diskutieren hat.
Dieses Recht, ja diese Pflicht der Diskussion im Plenum, damit die Öffentlichkeit diese Dinge ebenfalls verstehen kann, damit wir ihr die Motive der politischen Willensbildung nahebringen, werden wir uns nicht nehmen lassen und wir werden wichtige Fragen nicht nur hinter verschlossenen Türen behandeln.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von den Vertretern der Opposition wurde in dieser Debatte heute wiederholt von Stilfragen gesprochen. Ich glaube, es ist auch eine Stilfrage, auf welche Weise, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Zielrichtung solche Diskussionen, wie wir sie hier eben führen, vom Zaun gebrochen werden.
Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren von der Opposition — Ihre bisherigen Beiträge haben das auch deutlich gemacht , daß es Ihnen hier weniger um eine sachliche Erörterung dieser Fragen geht,
daß es Ihnen auch weniger um das Problem der menschlichen Erleichterungen geht, daß es Ihnen
hier auch nicht um die Frage der Hilfe für die Berliner Bevölkerung geht,
sondern daß es Ihnen in erster Linie — ich bedauere, das sagen zu müssen , darum geht, parteipolitischen Geländegewinn zu erzielen, weil Sie in der bisherigen Diskussion um den Deutschland-Vertrag und um die Ostpolitik nur Minuspunkte aufzuweisen haben.
— Ich habe Zeit, bis Sie sich wieder abgeregt haben. Aber Ihre Reaktion zeigt mir doch, daß ich genau den richtigen Punkt bei Ihnen getroffen habe.
Herr Kollege Reddemann hat vorhin davon gesprochen, daß es nur dem Bohren der Opposition zu verdanken sei, daß die Bundesregierung zu einer vernünftigen Regelung dieser Frage gekommen sei. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn wir in der Deutschlandfrage, in der Deutschlandpolitik in den letzten Jahren Ihrem Bohren immer nachgegeben hätten, dann hätten wir heute noch keine menschlichen Erleichterungen, dann hätten wir nach wie vor die Politik der Konfrontation, die Politik der Stärke.
Daß wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute diese menschlichen Erleichterungen haben, daß die Westberliner im vergangenen Jahr zu ihren Verwandten und zu ihren Freunden und Bekannten nach Ost-Berlin fahren konnten, daß die Westberliner in die DDR fahren konnten, ist doch ein Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung.
Herr Kollege Abelein hat davon gesprochen, daß es noch Unklarheiten über diese menschlichen Erleichterungen gibt. Ich bin durchaus bereit, einzuräumen, daß es hier noch Mängel gibt, daß es hier noch Unzulänglichkeiten gibt. Aber wenn er davon spricht, daß es noch Unklarheiten über diese menschlichen Erleichterungen gibt, räumt er doch ein, daß diese menschlichen Erleichterungen bestehen. Das ist doch ein qualifiziertes Geständnis, das er hier abgegeben hat.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen — und das sollte auch die Opposition , daß diese Visagebühren, um die es heute geht, nach wie vor erstattet werden, und das ist doch das Entscheidende.
Deutscher Bundestag —7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 795
Metzger
Die Frage, von wem diese Visagebühren erstattet werden
— einen Augenblick, lassen Sie mich doch bitte ausreden — ist ebensowenig primär wie die Frage der Visagebühren selbst
oder auch die Frage der Begrüßungsgelder. Für uns, für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, und für die Menschen im Lande draußen, hier in der Bundesrepublik und in der DDR, ist es entscheidend, daß diese menschlichen Erleichterungen und die Besuchsregelungen erzielt werden konnten.
Ich will Ihnen noch etwas anderes sagen: Die Menschen hier in der Bundesrepublik und auch die Menschen in West-Berlin und in Ost-Berlin und in der DDR wissen genau, wem sie diese Erleichterungen zu verdanken haben. Sie wissen auch genau, wer ihnen in den beiden letzten Jahren geholfen hat. Sie können sicher sein, daß auch in Zukunft die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition ihre Politik der menschlichen Erleichterungen fortsetzen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Metzger hat sich eben hier frank und frei hingestellt und erklärt, auch künftig würden die Visagebühren voll erstattet, so wie bisher. Damit ist er in einem offensichtlichen Gegensatz zu den Angaben, die wir heute von der Bundesregierung gehört haben.
Von der Bundesregierung haben wir nur gehört, daß die Visagebühren für die Westberliner erstattet werden. Unsere Frage aber, wie denn das mit den individuellen Erstattungen für die Besuche der Westdeutschen in der DDR steht, ist bis jetzt noch nicht beantwortet worden.
Ich hatte gehofft, daß der Kollege IIöhmann, der einen Wahlkreis an der Zonengrenze vertritt, hier die Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei zu eben dieser Frage verraten würde. Ich kann ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, daß die Bundesregierung das nicht getan hat, solange sie in dieser Frage keinen Kabinettsbeschluß gefaßt hat. Fest steht aber, daß bis zu dieser Stunde auch die Sozialdemokratische Fraktion noch nicht zu erkennen gegeben hat, ob sie bereit ist, künftig und auch bei Tagesaufenthalten Visagebühren auf diesem individuellen Wege zu erstatten. Ich bedauere das außerordentlich, denn damit bleibt auch in dieser Debatte eine Unklarheit. Wir hatten diese Aktuelle Stunde beantragt, um gerade in dieser Frage den Menschen draußen im Lande Klarheit zu verschaffen, ob sie in Zukunft mit dieser Gebührenerstattung rechnen können.
Hinsichtlich Berlins hat sich ein erfreulicher Lernprozeß bei der Bundesregierung und bei der SPD-Fraktion gezeigt. Die Opposition ist bereit, Ihnen auch in der anderen Frage, die noch offen ist und auf die wir keine Antwort erhalten haben, eine Nachhilfe bei diesem Lernprozeß zu gewähren.
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte, wie sie bisher gelaufen ist, erlaubt mir die Frage an die Opposition: Ist das die Vorbereitung das auf die Zustimmung zum Grundvertrag, oder führen Sie hier immer noch ein Schattenboxen mit der Absicht auf, zum Grundvertrag nein zu sagen, sich aber zu allen seinen Leistungen aufzuspielen, als hätten Sie mehr dazu zu sagen als wir?
Das ist ja wohl die konkrete Frage, die hier gestellt werden muß.
Ihr Nein zum Grundvertrag nach dem Nein zu den Ostverträgen bedeutet doch, daß Sie nach wie vor nicht bereit sind, Schritte der Regierung und der Mehrheit des Hauses zu unterstützen, die tatsächlich die menschlichen Erleichterungen bringen. Folglich führen Sie hier im Grunde genommen ein Schattenboxen auf, nachdem die Regierung Ihnen erklärt hat, daß die Frage der Finanzierung der Visakosten geregelt ist.
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Herr Wohlrabe hat gesagt, wir hätten uns in diesem Hause doch immer für menschliche Erleichterungen eingesetzt. Meine Damen und Herren von der Opposition: Sie haben nur keine Ideen gehabt, denn solange Sie regiert haben, hat es keine menschlichen Erleichterungen gegeben.
Ich will dazu eine weitere Bemerkung machen: Wenn Sie sich darüber beschweren, daß es zwischen Senat und Bundesregierung schon einmal kleine Schwierigkeiten gibt, darf ich Sie wohl daran erinnern, daß der Herr Bundeskanzler Adenauer an dem Tage, an dem die Mauer gezogen wurde, weiter in den Wahlkampf gezogen ist, obwohl er längst vorher über diesen Vorgang unterrichtet
796 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Mattick
war, ohne daß der Berliner Senat darüber unterrichtet worden ist. Sehen Sie, seitdem sind elf Jahre vergangen, und Sie hatten keine Idee, wie man zu menschlichen Erleichterungen kommt, wie man die Mauer durchsichtig und durchgängig macht,
sondern Sie haben immer darauf verzichtet, weil Sie den Durchbruch nicht zuwege gebracht haben. Sie bringen heute den Durchbruch noch nicht zuwege, wenn Sie dabei bleiben, den Grundvertrag abzulehnen.
— Meinungsverschiedenheiten, Herr Reddemann, zwischen dem Senat und der Bundesregierung sind ein Pappenstiel im Vergleich zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen Herrn Barzel und Herrn Dr. Strauß
und werden bei uns schnell ausgestanden.
Nun lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Ihre Vorstellung, die Sie gern entwickeln möchten, daß die Opposition die Regierung unter Druck gesetzt habe, ihren Beschluß zu ändern, ist ein großer Irrtum.
Dies ist eine Vereinbarung zwischen Regierung, Senat und der sozialdemokratischen und der FDP-Bundestagsfraktion. Dazu haben wir Ihre Hilfe nicht gebraucht. Es bestand sogar die Gefahr, daß Ihr Krach den Vorgang stört, aber nicht bessert.
Jetzt eine Schlußbemerkung dazu. Diese Aktuelle Stunde, meine Damen und Herren, in einer Phase, in der wir den Grundvertrag ratifizieren wollen,
in der wir noch dabei sind, die Folgerungen aus den Verträgen in bezug auf menschliche Erleichterungen weiterzuentwickeln, hat uns wieder nicht genutzt, sondern wiederum geschadet. Und Sie haben damit nichts retten, sondern nur Ihr Image wieder etwas aufbessern wollen. Das ist nicht gelungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.
Dr. Marx : Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mattick, wir diskutieren heute nicht über den Grundvertrag;
das haben wir in der letzten Woche getan. Wir diskutieren über einen dubiosen Vorgang,
und zwar über die Tatsache, daß die Regierung in der letzten Woche Kabinettsentscheidungen der Öffentlichkeit mitgeteilt und damit bis in Ihre eigene Partei und, wenn ich die „Süddeutsche Zeitung", Herr Kollege Mattick, von heute richtig lese, bis zu Ihnen selbst einen ganz erheblichen Widerspruch, einen starken Widerstand ausgelöst hat. Sie werden doch nicht glauben, daß die Opposition die Möglichkeit, die ihr die Diskussion in diesem Hause gibt, nicht benutzt, um die Frage zu stellen: Wo sind eigentlich Ihre und Ihrer Freunde ich habe vorhin in der Fragestunde auch die Franken zitiertProteste gegen diese Haltung der Regierung geblieben?
Was wir wissen wollen, Herr Kollege Bahr, ist: Was ist hier eigentlich los?
Wir möchten gern wissen: Was sind eigentlich die Hintergründe dieser Kabinettsentscheidung?
Man hat uns ja viele Antworten gegeben. Wir haben in den Zeitungen einiges gefunden. Ich habe heute hier behauptet und wiederhole es, daß die Regierung mit vielen Mündern verschiedene Antworten auf die gleichen Fragen gegeben hat. Der eine sagt: Das ist eine Frage der Einsparung. Wenn es eine Frage der Einsparung ist, dann frage ich mich, warum Sie nicht die viel höheren Gebühren für die Transitreisenden mit hineingenommen haben; denn dies hätte den Vorteil der Logik gehabt. Der andere sagt: Nein, es geht nicht um Einsparungen, sondern es ist eine Frage des Prinzips. Wir hatten gefragt: Worin besteht das Prinzip? Aber, meine Damen und Herren, Antworten darauf haben wir nicht bekommen. Das muß man festhalten.
Herr Kollege Bahr, Sie haben gesagt, es könnte und sollte auch eine Frage des Stolzes sein, ob man die Leistungen, die der Staat bietet — ich denke etwa an die Rückzahlungen, die Bundesbürger dann bei den Postdienststellen beantragen können —, in Anspruch nimmt. Soweit gibt es hier wahrscheinlich gar keine Diskussion. Denn der einzelne bekommt ja die Leistung des Staates nicht aufgedrängt, sondern er kann, wenn er seinen Besuch hinter sich hat, nach Hause gehen und bei seiner Postdienststelle die Erstattung des Geldes beantragen. Er kann; er muß nicht und braucht nicht.
Vergessen Sie nicht, Herr Kollege Bahr, daß die Öffentlichkeit das, was Sie von sich aus sagen, hört. Gerade wenn Sie sprechen, hört die deutsche Öffentlichkeit zu, obwohl es mitunter nicht ganz eindeutig ist, was in den Ohren der Leute ankommt. Wenn Sie sagen, daß Sie Ihrerseits darauf verzichten würden, dann bringt mich das zu der Gegenbemerkung: Herr Kollege Bahr, es gibt Leute, die anders als Sie und anders als wir alle in viel schlimmeren finanziellen Verhältnissen sind und für die, wie vorhin einer unserer Kollegen, Herr Redde-
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 797
Dr. Marx
mann, gesagt hat, 150 Mark auf den Tisch zu legen, eine sehr schwierige Sache ist;
darum ist es gegangen.
Herr Kollege Heyen hat gesagt, wir sollten doch sehen, daß heute alles in sehr ruhiger Weise in Ordnung gebracht worden sei. Ich habe fast den Eindruck, daß die Regierung alles in sehr ruhiger Weise durcheinandergebracht hat.
Herr Bahr — auf ihn muß ich noch einmal eingehen — sagt, bei menschlichen Erleichterungen solle man nicht so sehr auf das Geld sehen. Das ist ein sehr allgemeiner Satz. Auch dem stimmen wir zu. Aber das ist kein Freibrief. Dieses Haus und der Haushaltsausschuß und die Fraktionen behalten sich ganz ausdrücklich vor, über alle Fragen, die auch in Zukunft vor uns stehen mögen und die die Regierung hier einbringt, ihr eigenes Votum abzugeben.
Wir möchten auch nicht, daß die drüben glauben — daß diese Befürchtung nicht unbegründet ist, sollten Sie, Herr Kollege Bahr, aus der Kenntnis der Mentalität Ihrer Verhandlungs- und Gesprächspartner wissen —, sie könnten die Schraube noch ein bißchen anziehen und ihre Gebührenforderungen entsprechend anheben, denn sie hätten ja aus Ihrem Munde gehört, man wolle über Geld nicht kleinlich sprechen.
Meine Damen und Herren, ich wollte mich — das ist ja die Gelegenheit, die eine Aktuelle Stunde gibt — noch mit einem anderen Argument des Kollegen Bahr kurz auseinandersetzen. Er sagte, es habe noch keine Entscheidung der Bundesregierung in der Frage gegeben, wie westdeutsche Besucher behandelt werden. Ich würde gern noch einmal nachhaken und möchte wissen: Wem eigentlich hat der Beschluß des Bundeskabinetts gegolten? Was bedeutet „ab 1. Juli"? Herr Kollege Herold hat vorhin den 1. 6. genannt. Was bedeutet, daß ab 1. Juli dies alles eintreten soll? Ich reklamiere nach wie vor, daß wir auch wissen wollen, wie es mit den Besuchern aus der Bundesrepublik ist. Denn ich muß auf die Folgen aufmerksam machen. Wenn nämlich die aus der Bundesrepublik anders behandelt werden als jene aus West-Berlin, kann auch in diesem absurden Vorgang eine merkwürdige und von der anderen Seite, wie wir wissen, gewünschte und sichtbar gemachte Dreiteilung vorhanden sein.
Dies, meine Damen und Herren, kann nicht Sinn der Sache sein.
Einen Schlußsatz erlauben Sie mir bitte noch. Herr Kollege Höhmann hat gesagt: Diskussion und Konfusion. Er hat gesagt, wir alle leben von der Diskussion. Das ist völlig richtig. Was wäre dieses Haus, wenn wir nicht unsere Auseinandersetzungen hier miteinander austrügen. Aber, Herr Kollege Höhmann, ich bitte Sie doch zur Kenntnis zu nehmen: das, was Herr Reddemann „Konfusion" nannte, ist nicht ein Ausdruck demokratischer Diskussion hier, sondern der Ausdruck einer widersprüchlichen Haltung der Bundesregierung, ein Ausdruck dessen, daß man heute etwas anderes sagt als gestern. Wir
möchten Sie bitten, Ihren Einfluß, der doch offenbar etwas größer ist Herr Mattick hat soeben die Sozialdemokraten genannt, die dabei mitgeholfen hätten, die Sache wieder in Ordnung zu bringen —, bei der Bundesregierung geltend zu machen — wir werden den unseren, verlassen Sie sich darauf, ebenfalls geltend machen , daß sie nicht durch solche Art von Konfusionen diejenigen, die besonders betroffen sind, verwirrt und daß sie ihre Politik ein Stückchen glaubwürdiger macht, als dies in den letzten Tagen der Fall war.
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich begrüße, daß im Einvernehmen zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat das, was an sachlichen Bewertungsunterschieden entstanden war, geklärt wurde.Zur heutigen Aktuellen Stunde erlauben Sie mir eine Anmerkung. Ich fand mich da bestätigt, oder, wenn Sie so wollen, ich fand auch bestätigt, was vor Jahren einmal ein Minister, der die Verantwortung zu tragen hatte, wie ich sie heute zu tragen habe, zu seinen Freunden sagte: „In der Deutschlandpolitik gibt es auch Situationen, in denen man schweigen muß und schweigen sollte."
— Das war nicht hier; es liegt weit zurück. Der, um den es geht, weiß, wie diffizil gerade dieses Thema ist, über das wir uns heute unterhalten.Meine Damen und Herren von der Opposition, von Ihnen steht noch die Antwort auf die Frage aus, die zu Beginn an Sie gestellt wurde, ob Sie dieses Thema weiter in den Ausschüssen sachlich mit uns beraten wollen oder nicht. Denn das ist von großer Bedeutung, und Ihre Antwort steht eben noch aus.Aber lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal einiges wiederholen. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, daß die Bundesregierung bereit bleibt, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in den sich jeweils ergebenden Situationen das Ihre zu tun, um die Verbindung zwischen den Menschen in den beiden deutschen Staaten zu stärken und den Zusammenhalt der Nation, das Zusammengehörigkeitsgefühl der sie lebendig erhaltenden Menschen, zu stärken. Eines müssen wir ganz klar sehen und deutlich aussprechen: das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit kann nicht durch finanzielle Maßnahmen ersetzt werden. Ich glaube, wir müssen uns zusammen darüber Gedanken machen, wie wir das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit verstärken können.Dennoch bleibt festzustellen, daß die Bundesregierung für die Begegnung der Menschen in Deutschland auch weiterhin erhebliche Mittel aufwendet
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798 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Bundesminister Frankeund aufwenden wird. Die Gebühren für die Einreiseerlaubnis in die DDR sind dabei nur ein Bruchteil der bisher aufgewendeten und der auch in Zukunft erforderlichen Mittel. Wir rechnen mit der Notwendigkeit, bestimmte Ansätze für die Reise- und Krankenhilfe für Besucher aus der DDR zu erhöhen; denn die Ergebniszahlen der bisherigen Veränderungen in der Deutschlandpolitik im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander, d. h. die Verbesserungen für die Menschen, sprechen für sich. Ich muß das hier noch einmal in Erinnerung rufen, damit wir nicht durch dieses Geräusch, das hier auch aus dem Arger darüber, daß die Deutschlandpolitik endlich konkrete Ergebnisse für die Menschen aufzuweisen hat, veranstaltet wurde, davon abgelenkt werden. Ich will die Zahlen noch einmal nennen, damit auch das im Bewußtsein der Öffentlichkeit nicht untergeht. Die Zahl, auf die ich mich berufen möchte, ist die Zahl der Westberliner, die seit dem 3. Juli 1972, 24 Uhr, erstmals wieder nach vielen, vielen Jahren bis zum 12. Januar 1973 ist die Zahl exakt gemessen — in die DDR und in den Ostteil der Stadt reisen konnten. Sie beträgt rund 3 Millionen. Das ist ein Ergebnis dieser mühsamen Politik, die wir zum großen Teil gegen Ihren permanent Widerstand haben durchsetzen müssen.
Es wird immer versucht, das, was von uns an Verpflichtungen übernommen wurde, zu diskreditieren. Ich möchte Herrn Wohlrabe hier noch einmal bemühen. Eigentlich ist es deplaciert, ihn so hoch zu heben, aber es muß eben doch noch einmal sein.
— Jawohl, es ist notwendig. Er hat heute wiederum den Versuch gemacht, noch einmal eine Bestätigung für das zu bringen, was er in Berlin vom Zaun gebrochen hat. Hier hat er gesagt: Diese Regierung zahlt die Botschaften der DDR im Ausland mit ihrem Geld. Was soll denn das anderes sein als der Versuch, diese Politik der Bundesregierung zu diskreditieren? Wenn Sie diesen Stil weiter entwickeln wollen, sehe ich allerdings eine beachtliche Diskrepanz zwischen Ihren dauernden Beteuerungen der Solidarität der Demokraten und der Gemeinsamkeiten. Das ist doch alles nur Geräusch, um Ihre bösen Pläne, die Sie dahinter haben, zu verdecken.
— Wenn Sie wollen auch das, aber Sie haben sich soeben so eingestuft. Wenn Sie wollen, kann das auch so gehen. Ich bitte noch einmal darum, zu sehen, daß es hierbei in der Tat um Fragen geht,
die uns eigentlich zusammenführen sollten. Ich appelliere noch einmal an Sie, die sachlichen Beratungen in den Ausschüssen vorzuziehen, anstatt sich hier in Polemik zu verlieren; denn Sie können doch wohl nicht erwarten, daß wir stillhalten und Ihnennicht mit gleicher Münze zurückzahlen, wenn Sie meinen, uns angiften zu sollen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der aktuellen Stunde.
Wir fahren in der Behandlung der Tagesordnung fort. Ich rufe die Punkte 4 und 6 bis 10 der Tagesordnung auf:
Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarats
— Drucksache 7/194 —
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung
— Drucksache 7/196 —
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost
— Drucksache 7/197 —
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt
— Drucksache 7/198 —
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt
— Drucksache 7/199 —
Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses
— Drucksache 7/200 —
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann bitte ich diejenigen, die den vorliegenden Anträgen auf den Drucksachen 7/194, 7/196, 7/197, 7/198, 7/199 und 7/200 zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enhaltungen? — Es ist so beschlossen.
Damit sind die in den Anträgen bezeichneten Mitglieder dieser Gremien gewählt und ist die Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß für die 7. Wahlperiode des Bundestages bestätigt.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte 11 und 12 der Tagesordnung und im Zusammenhang damit die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
11. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP
betr. Einsetzung eines Ausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung
— Drucksache 7/201 —
Vizepräsident Frau Funcke
12. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP
betr. Beirat für handelspolitische Vereinbarungen
— Drucksache 7/222
1. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP
betr. Enquete-Kommission Verfassungsreform
— Drucksache 7,214
2. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP
betr. Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik
— Drucksache 7/215 —
Es handelt sich jeweils um die Einsetzung der Ausschüsse bzw. der Enquetekommissionen. Sind Sie damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber wieder gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich komme zur Abstimmung über die Anträge auf den Drucksachen 7/201, 7/222, 7/214 und 7/215 (neu). Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. --- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Steuerreformgesetzes
— Drucksache 7/78 —
Die antragstellenden Fraktionen haben auf die Begründung verzichtet. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Schmidt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Zweite Steuerreformgesetz liegt dem Bundestag heute als Initiativgesetzentwurf vor. Es ist dem Bundestag schon einmal am 4. Mai vorigen Jahres zugeleitet worden; seinerzeit ist die Beratung nicht mehr möglich gewesen.
Die Bundesregierung legt bei dieser Gelegenheit Wert darauf, zu sagen, daß sie davon ausgeht, daß die Steuerreform eines der wichtigsten Gesetzgebungswerke dieses 7. Bundestages ist. Daß die jetzt geltenden Steuergesetze sozial nicht gerecht sind, ist heute allgemeine Einsicht. Die steuerlichen Lasten sind auf die einzelnen Bürger und auf die gesellschaftlichen Gruppen nicht ausgewogen verteilt.
Es könnte verlocken, in diesem Zusammenhang heute auch einzugehen auf die konjunkturpolitisch indizierten steuerpolitischen Beschlüsse, die die Bundesregierung am letzten Sonnabend gefaßt hat. Aber dazu wird ja Gelegenheit in einer gesonderten ersten Lesung sein, so daß ich das von mir aus heute aussparen möchte. Ich will aber hinzufügen, daß diese Entschlüsse der Bundesregierung die Steuerreform und ihren materiellen Inhalt nicht präjudizieren und nicht beeinträchtigen.
Die sozialliberale Koalition hat sich eine Steuerreform zum Ziel gesetzt, die die Steuerbelastung nach der Leistungsfähigkeit des einzelnen bemißt. Steuerprivilegien soll es in unserem demokratischen Staatswesen ebensowenig geben wie etwa ein Übermaß an steuerlicher Belastung. Nur eine Steuergesetzgebung, die an der Leistungsfähigkeit orientiert ist, wird von den Bürgern als gerecht empfunden werden können. Begründetes Vertrauen in die Steuergerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen aller derjenigen Reformvorhaben, die halt mit Steuermitteln finanziert werden müssen.
Es geht neben der Steuergerechtigkeit bei der Steuerreform auch darum, entbehrliche Komplikationen im Steuerrecht zu beseitigen. Wer aber dergestalt nach Vereinfachungen ruft, muß auch die Ursachen der Kompliziertheiten erkennen, und zwar erstens die wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Zielsetzungen, zweitens die Schließung der vielen Schlupflöcher, die durch geschickte Gestaltung privater Rechtsverhältnisse immer wieder neu geschaffen werden, und drittens das Streben nach Gerechtigkeit im Einzelfall, das hier in diesem Parlament allzuhäufig neue Regelungen, neue Ausnahmen und neue Befreiungen zur Folge gehabt hat und wohl auch weiterhin haben wird.
Zwischen diesen Geboten der Einfachheit und der Gerechtigkeit wird es immer wieder zu Konflikten kommen. Einfachheit zieht oft Ungerechtigkeit oder Härte nach sich. Gerechtigkeit ist umgekehrt oft nur um den Preis der Kompliziertheit möglich. Meine Auffassung ist, daß eine gewisse Entfeinerung des I Steuerrechts im Endergebnis mehr Gerechtigkeit bringen kann als ausgetüftelte Kompliziertheit. Gesetze, die vor lauter Kompliziertheit durch die Finanzämter in der Praxis nicht mehr angewandt werden können, sind nicht nur ungerecht, sondern darüber hinaus gefährlich.
Die Einzelberatung der Reformentwürfe wird deshalb stets berücksichtigen müssen, wie sich die Vorschriften in der Alltagspraxis der Steuerpflichtigen, der Berater und vor allem auch in der Alltagspraxis der heute völlig überlasteten Finanzämter auswirken. Bei den Finanzämtern sind im Laufe der Jahre schwere Engpässe, hervorgerufen durch immer kompliziertere Gesetze, durch die steigende Zahl der Fälle bei anhaltendem Personalmangel, aufgetreten. Es wird großer Anstrengungen bedürfen, um diese Engpässe zu beseitigen. Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, in einer Bestandsaufnahme die gegenwärtige Lage der Finanzverwaltung objektiv und ungeschminkt darzustellen, um auch hieaus für den Gesetzgeber, für den Bundestag und für seinen Finanzausschuß, neue Aspekte für seine Arbeit an der Steuerreform zu gewinnen.
Mit dem Zweiten Steuerreformgesetz, das heute in erster Lesung behandelt wird, liegt dem Parlament ein Kernstück der Reform vor. Es enthält die Reform der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer, der Grundsteuer und Erleichterungen für den gewerblichen Mittelstand bei der Gewerbesteuer. Auch das Erste Steuerreformgesetz, die neue Abgabenordnung, ist ja bereits initiativ wieder eingebracht. Die
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Bundesminister Schmidt
Beratungen dieses Ersten Steuerreformgesetzes waren am Ende der vergangenen Legislaturperiode weitgehend abgeschlossen. Ich nehme an, daß sie nicht erneut große Arbeit verursachen werden. Die Arbeiten am Dritten Steuerreformgesetz, das die Einkommen- und Lohnsteuer, die Körperschaftsteuer, die Sparförderung und den Familienlastenausgleich reformieren soll, wird die Bundesregierung möglichst bald abschließen. Sie wird dann auch diesen Entwurf dem Parlament vorlegen.
Ich weiß, daß die nun beginnende Gesetzgebungsarbeit eine große Belastung für das Parlament und seinen Finanzausschuß sowie die damit beschäftigten Beamten der Bundesregierung darstellen wird. Ich möchte deshalb in dem Zusammenhang deutlich sagen, daß die sozialliberale Koalition die ganze Steuerreform will und daß sie sie in dieser Legislaturperiode will.
Aus den Reihen der Unionsparteien waren bisher sehr widersprüchliche Äußerungen zur Steuerreform zu vernehmen. In der vergangenen Woche haben nun Steuerexperten der CDU/CSU-Bundestgasfraktion und die der CDU/CSU angehörenden Länderfinanzminister nach einer Klausurtagung am Tegernsee Empfehlungen ausgesprochen, in denen die Beschlüsse der Bundesregierung weitgehend übernommen werden. Ich finde das nach vielerlei anderen Meinungen, die wir in den letzten Jahren auch gehört haben, durchaus interessant.
Was den Inhalt des heute zur Debatte stehenden Gesetzes angeht, so möchte ich einige wenige Schwerpunkte herausgreifen. Bei der Reform der Vermögensteuer wird durch hohe Freibeträge für eine Entlastung der kleineren Vermögen gesorgt. Zum Beispiel werden die Freibeträge bei einem Ehepaar mit zwei Kindern von rund 100 000 DM auf rund 280 000 DM erhöht. Dadurch wird erreicht, daß sich auch die höheren Einheitswerte des Grundbesitzes bei kleineren Vermögen steuerlich nicht belastend auswirken.
Außerdem wird der Steuersatz bei natürlichen Personen von 1 '0/o auf 0,7 °/o herabgesetzt. Es wird dabei berücksichtigt, daß die Vermögensteuer künftig nicht mehr bei der Ermittlung der Einkommensteuer abgezogen werden kann. Von dieser Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer haben ja bisher die Bezieher von Großeinkommen extrem profitiert.
Zweites Beispiel: Auch bei der Erbschaftsteuer werden zur Schonung von kleineren und mittleren Vermögen die Freibeträge erheblich angehoben. Wenn eine Witwe beispielsweise heute einen Freibetrag von 30 000 oder 250 000 DM hat — je nachdem, ob gemeinsame Kinder vorhanden sind —, so wird in Zukunft für die Witwe auf jeden Fall ein Freibetrag von insgesamt 500 000 DM zur Verfügung stehen. Bei der Gestaltung des Tarifs wird darauf geachtet, daß kleinere und mittlere Erbschaften geringer besteuert werden als große. Bei Erbschaften im engeren Familienkreis wird sich die Steuerbelastung in der Regel erst bei Millionenvermögen erhöhen.
Ein drittes Beispiel: Die Reform der Gewerbesteuer befreit künftig alle Gewerbeerträge bis 12 000 DM ganz von der Steuer. Die darüber liegende Zone mit einer ermäßigten Steuer wird erweitert. Alles in allem wird rund die Hälfte aller Betriebe künftig keine Gewerbeertragsteuer mehr zu zahlen haben, eine, wie ich meine, ins Gewicht fallende Erleichterung für den Mittelstand.
Das Zweite Reformgesetz schafft vor allem auch die Grundlage für die Anwendung der neuen Einheitswerte für den Grundbesitz. Wenn ich mich soeben nicht gescheut habe, diese Einheitswerte nach den Verhältnissen des Jahres 1964 „neu" zu nennen, obgleich seither auch schon bald wieder ein ganzes Jahrzehnt vergangen sein wird, dann nur deshalb, weil ja gegenwärtig immer noch die Wertverhältnisse des Jahres 1935 zugrunde gelegt werden. Man muß sich einmal klarmachen, was es bedeutet, daß bei der Vermögensteuer, bei der Erbschaftsteuer und bei der Grundsteuer der Grundbesitz mit fast 40 Jahre alten Werten angesetzt ist. Im Klartext heißt das: Grundbesitz wird nur mit 10 bis 15 %o seines wirklichen Wertes herangezogen, die übrigen Bestandteile des Vermögens aber unterliegen mit ihren tatsächlichen Werten der Vermögen-und Erbschaftsteuer.
Daraus ergibt sich eine unerträgliche Ungleichmäßigkeit der Besteuerung, die unser höchstes Steuergericht veranlaßt hat, die Vollziehung von Erbschaftsteuerbescheiden auszusetzen. Möglicherweise läßt auch ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr allzulange auf sich warten. Es würde schwere Verantwortung auf den Bundestag laden, wenn der Gesetzgeber dem nicht zuvorkommen und wenn er nicht die Voraussetzung für die Anwendung der neuen Einheitswerte schnell schaffen würde.
Man muß sich vor Augen halten, daß es dabei auch noch um ein anderes Problem geht. Die einseitige steuerliche Bevorzugung des Grundbesitzes hat seit langem eine „Flucht in die Sachwerte" genannte Bewegung begünstigt, hat die Bodenspekulation gefördert und hat damit die Steigerung der Bodenpreise beschleunigt. Den Städten und den Gemeinden sind dadurch hohe, zu hohe Lasten entstanden.
Aus all diesen Gründen möchte ich die Bitte aus sprechen, durch eine zügige Beratung des Zweiten Steuerreformgesetzes die baldige Anwendung zeitgemäßerer Einheitswerte möglich zu machen. Dabei ist die Reform des Grundsteuergesetzes besonders dringlich. Wenn die auch von den Gemeinden dringend gewünschte Neuregelung zum 1. Januar 1974 wirksam werden soll, so müssen dafür noch im Jahre 1973 die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Daraus wieder ergibt sich die Notwendigkeit, das neue Grundsteuergesetz noch in diesem Frühjahr zu verabschieden. Die Gemeinden hoffen, daß dies auch tatsächlich durch gemeinsame Anstrengungen möglich gemacht werden kann.
Anschließend sollte wegen des verfassungsrechtlichen Drucks, der hier besonders stark ist, die Reform der Erbschaftsteuer durchgeführt werden.
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 801
Bundesminister Schmidt
Hier würde für ein Wirksamwerden der Neuregelung zum 1. Januar 1974 eine Verabschiedung des Gesetzes im Herbst des Jahres 1973 ausreichen.
Lassen Sie mich am Schluß eine Bemerkung machen zur Kraftfahrzeugsteuer. Die Bundesregierung bereitet zur Zeit auf diesem Felde einen aufkommensneutralen Reformentwurf vor. Die Reform wird also das Aufkommen an Kraftfahrzeugsteuer insgesamt nicht verringern, auch nicht vermehren. Sie wird deshalb keine Auswirkung auf die Mineralölsteuer haben.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der CDU/CSU ein paar Bemerkungen machen. Anschließend werden mein Fraktionskollege von Bockelberg noch ein paar kurze Bemerkungen speziell zur Frage der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer und mein Kollege Dr. Wagner ein paar kurze Bemerkungen zur Frage der Grundsteuer machen.Bei diesem Entwurf des Zweiten Steuerreformgesetzes handelt es sich um einen Initiativgesetzentwurf der beiden Koalitionsfraktionen, nicht um eine Vorlage der Bundesregierung. Das ist sicher ein ungewöhnlicher Vorgang, wenngleich der Herr Minister selbst diesem Gesetz jetzt die Autorität verliehen hat, indem er es wenigstens hier im Hause begründet hat. Dieses Vorgehen hat zur Folge, daß der Bundesrat zunächst nicht eingeschaltet worden ist, obwohl es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt, und daß auch die Änderungsvorschläge des Bundesrates, der ja in der letzten Legislaturperiode schon einmal mit dem Entwurf befaßt war, von der Regierung in diesem Entwurf jetzt nicht akzeptiert worden sind; der Entwurf ist unverändert eingebracht worden.Dieses ungewöhnliche Vorgehen, meine Damen und Herren, kann ausnahmsweise deshalb hingenommen werden, weil hier in der Tat Beschleunigung am Platze ist, weil wir die neuen Einheitswerte schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zum 1. Januar 1974 dringend nötig haben. Wegen der Notwendigkeit einer raschen Beseitigung der steuerlichen Begünstigung des Grundbesitzes kann man ein solches Verfahren vielleicht ausnahmsweise hinnehmen.Ein paar kurze Bemerkungen zur Gewerbesteuer. Hier unterstützen wir die Vorlage der Regierungsfraktionen. Es handelt sich dabei um ein altes Anliegen aus den Reihen der CDU/CSU. Schon in der vorletzten Legislaturperiode — mit der Drucksache V/4486 — und in der letzten Legislaturperiode — mit der Drucksache VI/280 — haben wir das gleiche beantragt, was jetzt in diesem Entwurf steht. Wirbegrüßen die Erhöhung der Freibeträge beim Gewerbeertrag und auch die Erhöhung der nachfolgenden Ertragstufen mit ermäßigter Steuermeßzahl. Hier tritt in der Tat eine echte Entlastung bei kleineren und mittleren Unternehmen ein, was ein erster Schritt auf dem Wege zur eigentlichen Gewerbesteuerreform ist.Was das Gesetz insgesamt anlangt, macht die Fraktion der CDU/CSU den Vorschlag, daß wir im Ausschuß gleichsam ein Vorschaltgesetz herausdestillieren, damit wirklich gewährleistet ist, daß diese neuen Einheitswerte zum 1. Januar 1974 in Kraft treten können. Im Gegensatz zum Herrn Minister bin ich nicht der Meinung, daß das nur bei der Grundsteuer pressiert, sondern wir sind durchaus der Meinung, daß das für alle einheitswertabhängigen Steuern der Fall ist. Wir schlagen also ein Vorschaltgesetz vor, das wir durch gemeinsames Bemühen im Finanzausschuß herauskristallisieren sollten und nach dem diese Einheitswerte, von der Verwaltung vorbereitet, in allen Bereichen rechtzeitig am 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft treten können.Allerdings muß dieses Vorschaltgesetz — mit Ausnahme der Grundsteuer — aufkommensneutral sein. Wir sind alle der Meinung, daß die rund 700 bis 800 Millionen DM, die die Gemeinden bekommen sollen, natürlich in diesem Jahr beschlossen werden sollen. Das ist gleichsam ein Schlußakt aus der Finanzverfassungsreform der Großen Koalition unter Finanzminister Strauß. Bei diesem Akt pressiert es, aber im übrigen muß die Aufkommensneutralität gewährleistet sein.Zum anderen wollen wir durchaus den Zusammenhang zwischen dein Zweiten und dem Dritten Steuerreformgesetz, das ja nicht mehr rechtzeitig kommen kann, das frühestens am 1. Januar 1976 in Kraft treten kann, gewahrt wissen. Das Mehraufkommen von rund 1 Milliarde DM, das sonst das Zweite Steuerreformgesetz mit sich brächte, darf nicht sozusagen vorweg „verfrühstückt" werden, ehe die Hauptmahlzeit — und das ist das Dritte Steuerreformgesetz — hier überhaupt nur begonnen worden wäre.
Es muß der Zusammenhang zwischen Belastungen und Entlastungen bei der Steuerreform insgesamt gewährleistet werden. Und wir wissen alle, jede Steuerreform bedarf einer Verfügungsmasse, und je echter die Reform ist, desto größer sollte die Verfügungsmasse sein. Wenn wir aber diese eine Milliarde vorwegnehmen, dann ist diese Verfügungsmasse nicht mehr da. Wir teilen also die Auffassung, die etwa der Vorsitzende der Fraktion der FDP bei der Aussprache über die Regierungserklärung am 18. Januar 1973 so formuliert hat: Es muß sich bei der Steuerreform um eine Strukturreform handeln und nicht um eine Einnahmeverbesserung. Der innere Zusammenhang zwischen dem zweiten und dritten Paket muß auch sonst gewährleistet sein. An der Frage etwa der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer von der Einkommensteuer sieht man schon, daß man bei einer Reform beide Steuern nicht voneinander trennen kann.
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802 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Dr. HäfeleDiese unsere Meinung, daß das Zweite Steuerreformgesetz mit Ausnahme der Grundsteuer aufkommensneutral verabschiedet werden muß, und zwar dringlich, ist durch die Kabinettsbeschlüsse vom letzten Wochenende noch erhärtet worden. Es besteht die große Gefahr, daß die Steuerreform in eine versteckte Steuererhöhung ausartet. Jede Steuererhöhung gefährdet aber eine echte Steuerreform. Das Beispiel der Kraftfahrzeugsteuerreform beweist dies. Herr Minister, ich teile nicht die Auffassung, die Sie hier vorgetragen haben, daß der Beschluß des Bundeskabinetts — Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pf — keine negative Auswirkung auf die Steuerreform habe.Gerade die Kraftfahrzeugsteuerreform ist eine der dringlichsten Reformen überhaupt, und zwar aus Gründen der Verkehrssicherheit, der Konstruktionsneutralität, aus Gründen der Umweltfreundlichkeit — auch das ist ein Gesichtspunkt —, vor allem aber aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung. Wir alle wissen, daß die Finanzämter gerade wegen der Kraftfahrzeugsteuer teilweise kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Tausende von Beamten sind draußen mit der Kraftfahrzeugsteuer beschäftigt, 80 % der Vollziehungsbeamten laufen der Kraftfahrzeugsteuer nach. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, daß sogar ein innerer Zusammenhang zwischen Verwaltungsvereinfachung und Gerechtigkeit besteht. Wenn nur noch die Dummen korrekt bezahlen und die Schlauen sich der Entrichtung der Kraftfahrzeugsteuer entziehen können, wie es leider immer mehr geschieht, weil die Finanzämter nicht mehr nachkommen, wird der Zusammenhang zwischen Verwaltungsvereinfachung und Gerechtigkeit sehr deutlich. Das ist nicht etwa ein Gegensatz, sondern es ist das gleiche. Wir brauchen eine Verfügungsmasse, wenn wir eine wirkliche Kraftfahrzeugsteuerreform durchführen wollen. Durch die Steuererhöhungsbeschlüsse der Bundesregierung — Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pf je Liter — ist eben eine echte Kraftfahrzeugsteuerreform gefährdet. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein weiteres Steuerreformvorschaltgesetz für eine echte Kraftfahrzeugsteuerreform vorzulegen. Wir fragen die Bundesregierung, was sie zu tun gedenkt, um dieses besonders dringliche Problem vorweg zu lösen, weil wir nicht bis zum Jahre 1976/77 warten können.Wir fragen sie darüber hinaus, wie sie die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen ausgleichen will — wir können hier nicht drei bis vier .Jahre warten --, etwa durch Anhebung der Freibeträge bei der Lohnsteuer, bei den Werbungskosten und Sonderausgaben, oder durch Anhebung der Veranlagungsgrenzen.Meine Damen und Herren, wir haben den Eindruck, da seit dem Rücktritt von Finanzminister Möller im Frühjahr 1971 ein echter Motor für eine wirkliche Steuerreform fehlt und daß auch durch die inflationäre Entwicklung immer weniger Chancen für eine wirkliche Steuerreform bestehen. Am 10. Mai 1971, kurz vor seinem Rücktritt — das waren noch herrliche Zeiten --, erklärte Finanzminister Möller, er werde noch im Jahre 1971 dem Parlament das Zweite Steuerreformgesetz vorlegen. Unter Zweitem Steuerreformgesetz verstand man damals aber in erster Linie die Reform der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer, der Sparförderung und des Lohnsteuerverfahrens. Das, was wir jetzt als Zweites Steuerreformgesetz bezeichnen, war sozusagen am Rande in jenem Zweiten Steuerreformgesetz mit enthalten, weil es in der Tat im Zusammenhang mit diesem zu sehen ist.Herr Minister, es besteht die Gefahr, daß durch jährliche Steuererhöhungen eine echte Steuerreform immer weniger möglich wird.
Wir könnten Gefahr laufen, daß wir — in der Preis-Lohn-Preis-Spirale sind wir mitten drin -- nunmehr immer mehr in eine neue Preis-Steuer-Preis-Spirale hineinkommen. Jedermann weiß, daß Steuererhöhungen, die dem Fiskus zufließen, die Inflation fördern, so lange nicht der Inflationstrend gebrochen ist. Passen Sie auf, Herr Minister, daß Sie nicht statt eines Steuerreformministers ein Steuererhöhungsminister werden.Die Fraktion der CDU/CSU wird an einer wirklichen Steuerreform konstruktiv mitarbeiten. Wir werden aber nicht mitmachen, wenn unter dem Deckmantel einer Steuerreform Steuererhöhungen beschlossen werden, zumal dann nicht, wenn durch diese Steuererhöhungen „die Grenzen der Belastbarkeit ausprobiert" werden sollen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer noch die schrillen Töne der Opposition aus der Vergangenheit zu den Steuerreformplänen der Bundesregierung, insbesondere der Sozialdemokraten, in den Ohren hat, ist etwas erstaunt über die neue Tonart, die man in den letzten Wochen in der Öffentlichkeit und heute auch erstmals hier im Parlament gehört hat.
— Nein, ich freue mich darüber; vielleicht kommen wir zu einer sachlichen Zusammenarbeit. Was früher zur Abtötung des Leistungswillens unserer Wirtschaft und zur kalten Sozialisierung führte, sieht man heute verwundert wieder im Steuerreformprogramm von CDU-Experten vom Tegernsee auftauchen. Daß sich die Herren vom Tegernsee mit ihren eigenen Plänen — was z. B. den durchgehend progressiven Einkommensteuertarif oder die Vermögensteuersätze betrifft — in Widerspruch zu ihren früheren Forderungen setzen, könnte man ja noch als Schönheitsfehler hinnehmen. Daß aber diese Herren — kaum haben sie Pläne und einen Katalog ausgearbeitet — das ganze wieder als unverbindlich bezeichnen, gibt für mich schon mehr Anlaß zu Bedenken.Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 803OffergeldDie Opposition, die in der Vergangenheit kein Mittel scheute, die Steuerreformpläne der sozialliberalen Koalition, insbesondere aber der Sozialdemokraten, zu verketzern, hat bis zum heutigen Tage kein verbindliches Steuerreformprogramm vorzuweisen. Eine Steuerreform nach dem Rezept der CDU bedeutet, daß es eine Fraktions-Kommission, eine Kommission des Parteivorstandes, ein Steuerreformprogramm der Sozialausschüsse gibt, daß das Ganze mit Vorschlägen des Solisten Strauß garniert wird und daß sich jetzt auch noch Experten vom Tegernsee dazu äußern; aber verbindlich ist dies alles nicht. Für jeden wird etwas geboten. Die Union hat nach wie vor ihren Steuerreform-Bauchladen. Jeder kann sich aussuchen, was ihm paßt. Die einzelnen Pläne, die hier angeboten werden, verhalten sich zum Teil wie Feuer und Wasser zueinander.Daraus muß ich die Folgerung ableiten, daß es großen Teilen der Opposition weniger darum geht, eine echte Steuerreform durchzuführen, als vielmehr nur um verbale Pflichtübungen. Würde sich die Opposition an unseren Beratungen im Finanzausschuß konstruktiv beteiligen, so wäre das eine angenehme Überraschung. Wir werden die Bereitschaft der Opposition zuid Mitarbeit ja bald im Finanzausschuß testen können.Daß für uns Sozialdemokraten die wachsende Qualität des Lebens in Zukunft weniger vom Zuwachs des Privatkonsums als vielmehr von der Steigerung der öffentlichen Dienstleistungen und von der Steigerung der öffentlichen Investitionen abhängt, ist eine Tatsache, die wir nie verschwiegen haben. Ich habe den Eindruck, daß sich auch die Konservativen dieser Erkenntnis nicht mehr ganz verschließen können. Anders kann ich mir z. B. die Forderungen vieler CDU-Landesminister, CDU-Ministerpräsidenten nach mehr Steuereinnahmen kaum erklären.Aber im Gegensatz zur Union haben wir Sozialdemokraten auch immer die Konsequenz unserer Forderungen nach mehr öffentlichen Dienstleistungen gesehen. Wir haben z. B. im Wahlkampf ganz offen gesagt, daß wir maßvolle Steuererhöhungen für notwendig halten, wenn Bund, Länder und Gegemeinden die berechtigten Forderungen der Bürger in Zukunft sollen erfüllen können.Ebenso haben wir allerdings auch deutlich gemacht, daß dem „kleinen Mann" nur dann weitere Opfer zugemutet werden können, wenn auch die Leistungsfähigeren in unserer Gesellschaft ihren Anteil tragen. Dies bedeutet, daß unser Steuersystem eben gerechter werden muß, daß dem Leistungsfähigeren wirklich mehr abverlangt werden muß.Deshalb sehen wir auch zwischen den jüngsten Steuererhöhungsbeschlüssen des Bundeskabinetts, die in einem gewissen Umfang auch den „kleinen Mann" treffen — das hat ja niemand bestritten —, und der Steuerreform einen inneren Zusammenhang. Aber das eine schließt das andere durchaus nicht aus, wie Herr Häfele meinte, sondern ich glaube, daß gerade diese Steuererhöhungen eine Steuerreform um so notwendiger machen.Wir haben auch niemals verschwiegen, daß wir Steuerpolitik als Gesellschaftspolitik ansehen. Diegesellschaftspolitischen Auswirkungen, meine Damen und Herren, der Steuerpolitik der Vergangenheit liegen auf der Hand. Jeder kann sie erkennen; sie sind nicht zu übersehen. Nicht zuletzt das Steuerrecht in der Vergangenheit hat z. B. zur einseitigen Vermögenskonzentration beigetragen. Zahlreiche Steuervergünstigungen bis hin zu den Sonderabschreibungen, die wir in der letzten Legislaturperiode erstmals entscheidend eingeschränkt haben, zahlreiche Steuererleichterungen konnten praktisch nur von den Beziehern großer Einkommen wahrgenommen werden und führten zu starken Steuerersparnissen und damit zur Vermögenskonzentration. Mit der Steuerpolitik der Vergangenheit wurde bewußt oder unbewußt das will ich dahingestelltsein lassen Vermögenspolitik zugunsten wenigerPrivilegierter betrieben.Die von der sozialliberalen Koalition beschlossene Steuerreform wird demgegenüber dazu beitragen, die steuerlichen Lasten gerechter als bisher zu verteilen. Das neue Kindergeld, die Beseitigung zahlreicher Steuervergünstigungen, die Anhebung der Vermögen- und Erbschaftsteuer-Freibeträge, höhere Besteuerungen großer Vermögen, die Streichung der Abzugstahigkeit der Vermögensteuer von der Einkommensteuer, die Beseitigung von Umgehungsmöglichkeiten bei der Erbschaftsteuer, die Entlastung der unteren Einkommensschichten bei der Einkommen- und Lohnsteuer, ein höherer Spitzensteuersatz und die Einschränkung der Abzugsfähigkeit von Bewirtungsspesen und Geschenken sind unseres Erachtens neben vielen anderen Punkten entscheidende Fortschritte.Für die Sozialdemokraten, für die sozialliberale Koalition ist das Zweite Steuerreformgesetz Teil eines ausgewogenen Gesamkonzepts, das in den Eckwerten der Bundesregierung von Juni und Oktober 1971 niedergelegt ist. Wir gehen davon aus und hoffen, daß die Bundesregierung noch in diesem Jahr das dritte und letzte Gesetzespaket zur Steuerreform vorlegen wird, dessen Beratung wir dann sofort aufnehmen wollen.Da die Anwendung der längst überholten Einheitswerte von 1935, wie hier schon dargelegt, ernste verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, sollte allerdings das Parlament — ich glaube, Herr Kollege Häfele, dazu brauchen wir gar kein Vorschaltgesetz —, die einheitswertunabhängigen Steuern des Zweiten Reformgesetzes so schnell wie möglich beraten und in Kraft setzen, damit die Einheitswerte von 1964 — die kann man kaum als neue Einheitswerte bezeichnen —in naher Zukunft steuerlich wirksam werden können.Nachdem der Bundesfinanzhof seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftsteuer in einem Beschluß vom letzten Jahr schon deutlich ausgesprochen hat, meinen wir, daß man gerade bei der Erbschaftsteuer keine Zeit etwa mit einem Vorschaltgesetz verlieren kann. Wir sollten die neue Erbschaftsteuer und auch bald die neue Vermögensteuer verabschieden und in Kraft treten lassen.Die Wirksamkeit der neuen Einheitswerte — auch dies muß gesehen werden — wird im Zusammenhang mit den übrigen Maßnahmen dazu beitragen,
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Offergeldbedrohliche Fehlentwicklungen auf dem Bodenmarkt einzuschränken. Der große steuerliche Anreiz, Vermögen gerade in Grundbesitz anzulegen, wird durch die Anwendung der Einheitswerte 1964 abgebaut; nicht ganz beseitigt, wie wir sehen müssen, aber immerhin abgebaut. Damit wird im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen sicher zur Minderung der Preissteigerungen auf dem Bodenmarkt beigetragen werden.Eine abschließende Bemerkung, meine Damen und Herren. Das Parlament muß bei der Steuerreform die Situation und die Möglichkeiten der Steuerverwaltung immer im Auge behalten. Der Dschungel des Steuerrechts ist in den letzten Jahren immer undurchdringlicher geworden. Immer kompliziertere und ständig geänderte Vorschriften machen heutzutage auch dem Fachmann eine Übersicht über das Steuerrecht unmöglich.Die Finanzämter sind in vielen Bereichen an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Wo Betriebsprüfer beispielsweise zur fristgemäßen Bearbeitung des Lohnsteuerjahresausgleichs eingesetzt werden müssen, da ist auch die Grenze des Erträglichen überschritten. Schwierige Steuerfälle müssen heutzutage oft unter großem Zeitdruck bearbeitet werden. Betriebsprüfungen finden in manchen Bereichen nur noch im Abstand von vielen Jahrzehnten statt. Dadurch entstehen hohe Steuerausfälle.Das alles ist, da unsere Steuerquellen gleichwohl noch immer kräftig sprudeln, vor allem dem Einsatz und der hohen Qualifikation unserer Finanzbeamten zuzuschreiben. An die Situation der Finanzbeamten mit ihrer nicht immer sehr populären Arbeit müssen wir bei der Beratung dieser Gesetze auch denken.Aus all dem wird deutlich, daß das Streben nach letzter Gerechtigkeit durch komplizierteste Vorschriften nur zu neuen Ungerechtigkeiten führt, weil dann niemand mehr die Einhaltung dieser Steuergesetze gewährleisten kann. Der Dumme bleibt in diesem Falle letzten Endes immer der Lohnsteuerzahler mit seinem gläsernen Portemonnaie. Daher werden wir bei der Beratung der Steuerreformgesetze auf die Vereinfachung ganz entscheidendes Gewicht legen. Dabei muß uns allerdings klar sein, daß ein gerechtes Steuersystem in einer komplizierten, international verflochtenen Wirtschaft nicht mit simplen Steuervorschriften geschaffen werden kann.Auch beim Inkrafttreten der neuen Steuergesetze müssen wir, so meine ich, an die Leistungsfähigkeit der Steuerverwaltung, der steuerberatenden Berufe und nicht zuletzt unserer Bürger denken, die sich auf grundlegende Änderungen zahlreicher Steuergesetze vorbereiten müssen. Wir haben daher ernsthaft zu prüfen, ob die Steuerreform nicht stufenweise in Kraft gesetzt werden muß, wie es die Landesfinanzminister und die Steuerbeamten gefordert haben.
— Und ein schrittweises Inkraftsetzen, Herr Dr.Wagner. Dieses schrittweise Inkraftsetzen — dar-auf legen wir Wert — könnte selbstverständlich unter Berücksichtigung der Einheitlichkeit des Gesamtkonzepts der gesamten Reform und auch unter Berücksichtigung des Prinzips der Aufkommensneutralität bei jedem Schritt erreicht werden.
Mit diesen Fragen werden wir uns, wie gesagt, im Finanzausschuß zu beschäftigen haben. Wir bitten, den Gesetzentwurf zu überweisen. Wir werden uns für eine rasche und zügige Beratung einsetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer. Für ihn hat die Fraktion der FDP eine Redezeit von 20 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir Liberalen sind auch in der 7. Legislaturperiode mit der Zielsetzung angetreten, das gegebene Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu verbessern, nicht zu überwinden. Unter diesem Blickwinkel müssen wir die von uns vorangetriebenen großen Reformwerke sehen, die auf dem Programm der sozialliberalen Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen stehen. Das Kartellgesetz, die Fortentwicklung der Mitbestimmung, das Vermögensbildungsgesetz, die Strafrechtsreform und die Novellierung des Bundesbaugesetzes, um nur einige zu nennen, gehören hierzu in gleichem Maße wie das heute zur Debatte stehende Zweite Steuerreformgesetz.
Wenn gerade die Steuerreform in der Öffentlichkeit so heiß diskutiert wird, so ist das vorrangig darauf zurückzuführen, daß nahezu jeder die Auswirkung dieses Gesetzes am eigenen Geldbeutel verspürt: Die einen in einer Erhöhung der verfügbaren Einkommen — dies werden die_ Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen sein —, die anderen in einer gewissen Reduzierung; dies sind insbesondere die Gruppen, die bisher wegen der geringen Einheitswerte beim Grundbesitz geschont worden sind.
Wir Liberalen sind uns dabei aber bewußt, daß es für die Fiskalpolitik psychologische Schwellenwerte gibt, die eine solche Verschiebung zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und Einkommenskategorien in relativ engen Grenzen halten müssen. Konfiskatorische Steuersätze, die den Leistungsanreiz des Individuums oder den Willen zur Vermögensbildung abtöten, werden deshalb von uns entschieden abgelehnt.
Das System der sozialen Marktwirtschaft beruht auf der Initiative des einzelnen. Unternehmerische Leistungen müssen deshalb in gleicher Weise Belohnung finden wie überdurchschnittliche Leistungen in allen anderen Arbeitsbereichen. Ein Steuersystem, das solche leistungsstimulierenden Impulse verkümmern läßt, ist deshalb dazu geeignet, das gesamte System zu gefährden. Diese Zusammenhänge und Grundprinzipien unseres Wirtschaftssystems wurden in den von uns mitgetragenen Eckwertbeschlüssen erkannt und beachtet.
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Dr. Vohrer
Die im Juni und Oktober des Jahres 1971 von der Bundesregierung beschlossenen Eckwerte und Grundsätze zur Steuerreform stellen ein in sich ausgewogenes System von Steuerentlastungen und Steuerbelastungen mit dem Ziel dar, ein gerechteres, durchschaubares und modernes .Steuerrecht zu schaffen. Diese Eckwerte und Grundsätze zur Steuerreform sind auch Grundlage der Koalitionsvereinbarung der beiden Koalitionsfraktionen, und zwar nicht nur in bezug auf die Höhe der einzelnen Steuerarten, sondern auch was den Zeitraum der Verwirklichung der Steuerreform anbetrifft.
Die Fraktion der FDP tritt in dieser Koalition mit der glasklaren Zielsetzung an, die Steuerreform in dieser Legislaturperiode über die Bühne zu bringen.
Wir sind uns dabei bewußt, was dies für einen Arbeitsaufwand im Finanzausschuß mit sich bringt, zumal in diesem Gremium nunmehr auch noch konjunkturelle und währungspolitische Entscheidungen zur Beratung anstehen. Niemand wird uns jedoch den Peter des Bremsers zuspielen können, wenn es daran geht, die Steuerreform gemäß den Eckwertbeschlüssen zu verwirklichen.
Lassen Sie mich noch kurz auf drei Versprechungen meiner Partei eingehen, zu denen wir nach wie vor stehen:
1. Wir sehen die Steuerreform nicht mit einer generellen Steuererhöhung verbunden an, durch die sich der Bund so ganz nebenbei die Taschen füllt. Wir verlangen deshalb die Aufkommensneutralität der Steuerreform, wie sie auch bei den geschätzten Mehr- und Mindereinnahmen der einzelnen Steuerarten in den quantitativen Berechnungen zu den Eckwertbeschlüssen ihren Niederschlag gefunden haben.
Benötigt der Staat zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben mehr Einnahmen, so bedarf es hierzu keineswegs einer Steuerreform. Die Erhöhung einzelner Steuerarten zur Beschaffung der notwendigen Haushaltsmittel, wie sie erst in jüngster Zeit im Betrieb der Mineralölsteuer praktiziert wurde, hat mit der Steuerreform als solcher nichts zu tun. Auch konjunkturell bedingte Steuererhöhungen, wie sie im Sachverständigengutachten als Maßnahme zur Geldwertstabilität vorgeschlagen und im Kabinett am vergangenen Samstag teilweise und in veränderter Form beschlossen wurden, sind unabhängig von der Steuerreform zu sehen.
In diesem Zusammenhang darf ich an die Adresse von Herrn Barzel eine Bemerkung richten. Wenn er einerseits von dieser Bundesregierung mehr Maßnahmen zur Geldwertstabilität fordert und den ersten Schritt auf diesem Weg als finanzpolitischen Offenbarungseid bezeichnet, darf ich ihm den guten schwäbischen Rat geben: Bei aller Liebe zur Aktualität empfiehlt es sich doch manchmal, erst einmal darüber zu schlafen, bevor man sich mit unüberlegten Äußerungen in der Öffentlichkeit hervortut. Und dann sollte die Opposition auch ein-
mal darüber nachdenken, was man nun tatsächlich möchte, mehr Geldwertstabilität oder Kritik um der Kritik willen.
Doch zurück zu den Versprechungen der FDP:
2. Vor einer Erhöhung der Steuerlastquote und auch vor der Erhöhung einzelner Steuerarten sehen wir die Möglichkeit der Einsparung bei einigen Ausgabetiteln des öffentlichen Haushalts. Zumindest müssen, was den Bund betrifft, bei einem Wachstum des Bundeshaushalts 1973 um 9,7% nicht alle Positionen mit dieser Steigerungsrate anwachsen. Den Politikern kommt dabei die Aufgabe zu, konsequentere Prioritätenlisten aufzustellen. Vor Steuererhöhungen steht für uns das Durchforsten des Subventionswaldes, denn noch immer gibt es genügend Subventionen, die nicht mehr in die politische Landschaft passen. Dabei ist es mir ein persönliches Anliegen, einmal auf den Gegensatz aufmerksam zu machen, der zwischen der gezielten Begünstigung des Individualverkehrs durch die Kilometerpauschale und der zum politischen Ziel ernannten Förderung des öffentlichen Verkehrs besteht.
3. Im Zusammenhang mit der Steuerreform steht die FDP zu ihrer Aussage, in dem Reformwerk eine sachliche Einheit zu sehen. Neben der vorrangigen Abgabenordnung stellen die einheitswertabhängigen und einkommens- und gewinnabhängigen Steuern einen großen Komplex dar. Ein Herauspicken einzelner Maßnahmen in Vorschaltgesetzen wird von uns abgelehnt, Herr Häfele. Wenn wir das Inkrafttreten der einzelnen Steuerarten in drei Reformpaketen nicht an einem einzigen Termin verwirklichen können, so ist das zunächst die Folge der vorzeitigen Auflösung des Bundestages, meine Damen und Herren von der CDU, und hängt zugleich mit der verfassungsrechtlichen Situation zusammen, derzufolge wir ab 1. Januar 1974 verpflichtet sind, die steuerliche Ungleichbehandlung verschiedener Vermögensarten durch die zeitgemäße Anpassung der Einheitswerte von Grundstücken und Gebäuden abzubauen. Zu diesem Zeitpunkt kann jedoch das dritte Reformpaket noch nicht vom Ausschuß beraten und vom Parlament beschlossen sein. Bei einem klaren Bekenntnis zur sachlichen Einheit der Steuerreform müssen wir diese gesetzestechnischen Argumente gegen uns gelten lassen und prüfen, ob ohne Schaden für den Gesamtzusammenhang einzelne abgrenzbare Steuergesetze vorgezogen werden können.
Ich möchte nunmehr auf einige konkrete Aspekte des Zweiten Steuerreformgesetzes eingehen.
Mit der Reform der Vermögensteuer sollen die persönlichen Freibeträge von 20 000 auf 60 000 DM angehoben werden, was sowohl für breite Kreise der Bevölkerung eine finanzielle Entlastung mit sich bringt wie auch für die Finanzämter eine verwaltungsmäßige Entlastung nach sich zieht. Ein Verheirateter mit zwei Kindern kann unter Ausschöpfung der Freibeträge für Geldkonten und Versicherungen fast 300 000 DM steuerfrei haben und dabei aus dem Veranlagungsverfahren herausfallen. Der Steuersatz wird für die natürlichen Personen von 1 % auf 0,7% ermäßigt, allerdings unter der Voraussetzung neuer Einheitswerte und der Nichtabzugs-
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Dr. Vohrer
fähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer.
Bei der Rechenkunst der Opposition lassen sich sicherlich auch Beispiele konstruieren, die in Einzelfällen steuerliche Mehrbelastungen beweisen. Generalisierend kann jedoch gesagt werden, daß diese Bundesregierung mit der Erhöhung der Freibeträge und dem Absenken des Steuersatzes der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung Steuererleichterungen präsentiert und somit den Unkenrufen der Vermögensfeindlichkeit seitens der Opposition zum Trotz mit Taten widerspricht.
Die gleiche Feststellung läßt sich auch auf die Erbschaftsteuer übertragen und widerlegt die oftmals polemischen Wahlkampfparolen der CDU/CSU in aller Deutlichkeit, mit denen sie verängstigte Wähler zu konservativem Wahlverhalten veranlassen wollte. Es ließen sich auch zur Erbschaftsteuer unzählige wirklichkeitsnahe Beispiele errechnen, die geeignet sind, diese Aussagen zu untermauern.
Einer Behauptung der Opposition muß jedoch in aller Deutlichkeit entgegengetreten werden. Die Tarifgestaltung bringt nicht nur Verwaltungsvereinfachungen und Entlastungen durch höhere Freibeträge, sondern ist auch in ihren Spitzensätzen so gestaltet, daß es sich lohnt, Vermögen zu bilden. Selbst bei der Erbabgabe von Vermögen über 100 Millionen DM an den Ehegatten oder Kinder kommt ein Steuersatz von 30% zum Tragen, der keineswegs als konfiskatorisch gekennzeichnet werden kann.
Was nun die Grundsteuer betrifft, deren Ertrag bekanntlich den Gemeinden zufließt, so gehen die Eckwertbeschlüsse davon aus, daß Mehreinnahmen von zirka 840 Millionen DM entstehen. Wer die knappe finanzielle Ausstattung der Gemeinden kennt, kann sich ruhigen Gewissens nicht gegen diese 25% ige Erhöhung einer so wichtigen kommunalen Steuerquelle wenden. Das Mehraufkommen, das aus dem Bereich der Grundsteuer B stammt, wird jedoch nicht mietererhöhend wirken, wie es die Opposition oftmals behauptet, weil der Anteil der Grundsteuer an der Miete von früher 12 bis 15% bereits im Januar 1964 auf 5 bis 7 °/o abgesunken ist und derzeit nur noch 3 bis 5 % beträgt. Sind also z. B. in 100 DM Miete rund 4 DM Grundsteuer enthalten, so würde sich die Miete bei einer 25% igen Erhöhung der Grundsteuer um lediglich 1 DM erhöhen. Eine entsprechende Anhebung der Grundsteuer A, wie sie die Steuerreform-Kommission vorschlägt, erscheint wegen der derzeitigen Ertragslage in der Land- und Forstwirtschaft nicht vertretbar. Darum soll in diesem Bereich auch keine Anhebung auf Grund der neuen Einheitswerte erfolgen. Auf die Details der Berechnung brauche ich hier nicht einzugehen.
Bei der Neugestaltung der Gewerbesteuer entspricht der Gesetzentwurf u. a. einem seit langem geäußerten Wunsch kleiner und mittlerer Gewerbetreibender. Es ist eine Erhöhung des Freibetrags beim Gewerbeertrag von 7200 auf 12 000 DM vorgesehen, der zusammen mit den folgenden, degressiv gestalteten Stufen einem Gesamtfreibetrag von annähernd 19 000 DM entspricht.
Wir sind uns bewußt, daß wir mit den Eckwerten nicht den Stein der Weisen gefunden haben, zumal in der Fiskalpolitik der Satz gilt, daß alte Steuern gute Steuern sind. Darin steckt die politische Erkenntnis, wonach die Betroffenen von Steuererhöhungen immer lauthals lamentieren, die Begünstigten den finanziellen Vorteil der Steuersenkungen jedoch als selbstverständlich und der Gerechtigkeit wegen längst überfällig betrachten.
Auch das magische Fiskalviereck von Steuerergiebigkeit, Steuergerechtigkeit, Einfachheit der Erhebung und europäischer Steuerharmonisierung kann durch die Eckwertbeschlüsse nicht in jeder Hinsicht erfüllt werden. Wir sehen diese Konflikte und halten die vorgeschlagenen Maßnahmen dennoch für einen pragmatischen Beitrag, der geeignet ist, das System der sozialen Marktwirtschaft zu stabilisieren und durch mehr Gerechtigkeit und größere materielle Freiheit die Polarisierung der gesellschaftlichen Gruppen zu vermindern.
Es bleibt zu überlegen, inwieweit im dritten Reformpaket noch fiskalpolitische Ansätze eingebaut werden können, die darauf hinwirken, umweltfreundlichere Produktionen und technologische Neuerungen zu fördern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Bockelberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst beim Herrn Kollegen Offergeld recht herzlich dafür bedanken, daß er hier der weitgehenden Diskussion über die Steuerreform innerhalb der CDU/CSU Ausdruck gegeben hat. Wo diskutiert wird, ist die Sache nicht steril, und wir sind eben noch nicht durch Beschlüsse eines Steuerreformparteitages festgelegt.
Es handelt sich hier nicht um verbale Pflichtübungen, sondern es handelt sich um Leben in einer lebenden Partei.
Ich darf des weiteren sagen, daß unsere CDU/ CSU-Fraktion im Finanzausschuß an dieser Steuerreform lebhaft mitarbeiten wird, bei dieser Mitarbeit aber auch auf die Verhinderung irgendwelcher Auswüchse in der Richtung achten wird, wie sie im Wahlkampf — der hier soeben wieder angesprochen wurde — vielleicht zum Ausdruck kam.
Der vorliegende Gesamtentwurf und die Gesamtkonzeption, die mein Kollege Dr. Häfele bereits gewürdigt hat, enthält die Reform der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer, über die ich hier zu referieren habe.
Ich gehe von der Prämisse aus, daß an der Zweiteilung der deutschen Vermögensteuern in Vermögensteuer und Erbschaftsteuer trotz erheblicher Bedenken der Finanzwissenschaft festgehalten werden soll. Zunächst möchte ich daher zu den für beide Steuerarten gemeinsamen Grundlagen, den Einheitswerten, und hierbei insbesondere zu den
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von Bockelberg
Einheitswerten des Grundvermögens, einige Bemerkungen machen.
Die Finanzverwaltung hat inzwischen das Neu-bewertungsverfahren, das noch auf ein Gesetz zurückgeht, welches unter der Führung des CSU-Finanzministers Franz Josef Strauß verabschiedet war, im wesentlichen auf den 1. Januar 1964 abgeschlossen. Zwischen dem Bewertungsstichtag und dem vorgesehenen und hoffentlich dann akut werdenden Inkrafttreten am 1. Januar 1974 werden aber wiederum zehn Jahre verstrichen sein. Es ist daher einleuchtend, daß bei der derzeitigen Preis-und Geldwertentwicklung die Einheitswerte schon wieder hinter dieser Entwicklung herhinken.
Der Gesetzentwurf versucht, die Bewertungsunterschiede zwischen Grundbesitz und den übrigen Vermögensarten dadurch zu beseitigen, daß die Einheitswerte bei der Vermögensteuer und bei der Erbschaftsteuer mit dem Vervielfältiger, mit dem Multiplikator 1,4 als Bemessungsgrundlage angesetzt werden.
Trotz erheblicher Bedenken gegen jegliche Form der pauschalierten Indizierung halte ich dieses Verfahren als einmalige Übergangsregelung gerade noch für vertretbar, allerdings nur in Verbindung mit der Forderung nach einer künftigen turnusmäßigen und zeitnahen Neubewertung zumindest alle sechs Jahre, wie es das alte Bewertungsgesetz vorsieht. Hierzu dürfte die Finanzverwaltung unter Einsatz der EDV-Anlagen in Kürze auch in der Lage sein. Eine kontinuierliche Indizierung würde sonst wieder zu Ungerechtigkeiten wie in der Vergangenheit führen und eventuell bestehende Ungerechtigkeiten mit dem gleichen Vervielfältiger auch noch vervielfältigen. Wir alle hier im Hohen Hause plädieren doch für ein gerechteres Steuerrecht. Eine ständige Indizierung der Steuerbemessungsgrundlagen würde zwangsläufig auch zu einer Indizierung der Freibeträge führen. Dieses wäre der Beginn einer höchst bedenklichen Entwicklung.
Zu den Steuern im einzelnen: Der Zielsetzung des Gesetzentwurfes, kleinere und mittlere Vermögen fühlbar zu entlasten, kann nur durch eine Erhöhung der persönlichen Freibeträge entsprochen werden. Andernfalls würde durch das Steuerrecht die geförderte Vermögensbildung breiter Schichten wieder zum Teil aufgehoben. Ich befürworte daher eine Erhöhung des derzeitigen Grundfreibetrages von 20 000 DM auf mindestens 60 000 DM und empfehle eine weitere Prüfung hinsichtlich der künftigen Geldwertentwicklung.
In diesem Zusammenhang muß bereits hier und heute darauf hingewiesen werden, daß der Freibetrag für Sparguthaben in Höhe von 10 000 DM nach den vorgenannten Zielvorstellungen des Gesetzentwurfes für die Schonung kleiner Sparguthaben künftig nicht mehr ausreicht. Er müßte in etwa parallel zu den anderen Freibeträgen auf 20 000 DM angehoben werden. Hier bei den Freibeträgen sehen wir die ganze Problematik der Verquickung einer Steuerreform, die feste Freibeträge
enthalten muß, mit der Weiterentwicklung der Geldentwertung, der daraus resultierenden Lohnerhöhung, des daraus resultierenden Einstiegs z. B. bei der Einkommensteuer in höhere Progressionsstufen. Wir haben bei den letzten Lohnverhandlungen ein Wort darüber gehört.
Ein kurzes Wort zu den vorgesehenen Steuersätzen. Die Anhebung der Bemessungsgrundlagen durch die höheren Einheitswerte, die Tatsache, daß das Geldvermögen bei minderem Wert auch angeschwollen ist und der geplante Fortfall der Abzugsfähigkeit bei der Vermögen- und Einkommensteuer — die gesetzestechnische Regelung ist dem dritten Steuerreformgesetz vorbehalten, auch hier melde ich einen Vorbehalt an; denn solange wie wir das eine nicht kennen, können wir über das andere im Finanzausschuß schlecht entscheiden — zwingen bei Bejahung der angestrebten Aufkommensneutralität zu einer Senkung der Steuersätze. Die vorgesehene Senkung des Steuersatzes auf 0,7 % dürfte zur Verwirklichung dieses Zieles nicht ausreichen. Zumindest bis zur Verabschiedung des Einkommensteuergesetzes, welches Kompensationen bringen soll müßte dieser Satz his auf n,543/0 abgesenkt werden. Ein ähnliches gilt bei den Körperschaften, wobei zu bedauern ist, daß die Doppelbelastung der Kapitalgesellschaften und der Anteilseigner bestehengeblieben ist und dies im Gesetzentwurf nicht irgendeine Berücksichtigung gefunden hat. Hierbei sollte auch an die Volksaktiensparer gedacht werden.
Einige Worte zur Erbschaftsteuer. Zunächst möchte ich betonen, daß wir das Anliegen des Gesetzentwurfes, die dem Sinn einer Erbschaftsbesteuerung widersprechenden legalen Steuereinsparungsmöglichkeiten abzubauen, begrüßen. Die bisherigen Schlupflöcher müssen verstopft werden. Eine wertgerechte Grundstücksbesteuerung ist bei der Erbschaftsteuer ebenso dringlich wie bei der Vermögensteuer, nicht zuletzt auch zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit, die durch die Aussetzung von Verfahren vor dem Bundesfinanzhof hervorgerufen wurde.
Zu den vorgesehenen Erhöhungen der Freibeträge und der Neubildung der Steuerklassen ist noch folgendes zu bemerken. Der Gesetzentwurf verfolgt doch wohl das Ziel, bei der Erbschaftsteuer sowie bei der Vermögensteuer die kleinen und mittleren Vermögen zu entlasten. Auch sollten die Geldwertänderungen in der Zeit zwischen der Konzipierung der Eckwerte im Jahre 1971 und dem voraussichtlichen Inkrafttreten des Änderungsgesetzes nicht übersehen werden.
Unter diesem Aspekt erscheint mir eine weitere Anhebung der persönlichen Freibeträge für die Kinder und Enkel erforderlich, und zwar auf 90 000 DM für Kinder und. auf 50 000 DM für Enkel.
Herr Bundesfinanzminister Schmidt hat hier ein Beispiel für die erheblichen Entlastungen bei der Erbschaftsteuer gebracht; aber ich darf wohl voraussetzen, daß das Normale nicht der Übergang eines Vermögens auf die Witwe, d. h. in der gleichen Generation, ist, sondern daß wir darauf ach-
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ten müssen, daß die Erbschaftsteuer richtig und tragbar ist beim Wechsel auf die nächste Generation. Und dazu hatte ich gesprochen.
Eine Schlußbemerkung! Leider ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf die Gelegenheit zu einer echten Reform, wie sie beispielsweise die Zusammenfassung der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer zu einer Steuerart gewesen wäre, nicht genutzt worden. Eine solche Zusammenfassung, die auch einen erheblichen Vereinfachungseffekt ausgelöst hätte, wäre ein echter Schritt zur Reform unseres Steuersytsems gewesen.
So müssen wir jetzt hoffen, daß wenigstens die kommenden Vorlagen ein Mehr an Reformfreudigkeit bringen mit dem Ziel der Vereinfachung und der Entlastung der überlasteten Steuerverwaltung, der von dieser Stelle ein Dank für ihre Pflichttreue gebührt.
Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst eine kurz Berner-kung machen zu den einleitenden Bemerkungen von Herrn Bockelberg, als er unter dem Beifall seiner Fraktionskollegen erklärte, die CDU/CSU sei nicht an ein Programm eines Steuerparteitages gebunden. Ich kann nur sagen: Ihr Beifall ist mir unverständlich. Bundeskanzler Adenauer hat bereits 1967 in der Regierungserklärung festgestellt, es müsse jetzt
— und damals hatten Sie die absolute Mehrheit — endlich eine umfassende Steuerreform kommen.
Im Düsseldorfer Programm 1971 haben Sie ebenfalls beschlossen, es müsse eine umfassende Steuerreform kommen.
— Ich bin überhaupt nicht im Wahlkampf. An Ihre Adresse: Mich hat es, Herr Kollege Häfele, etwas überrascht, daß Sie sich nun so stark dafür machen, daß diese Steuerreform als einheitliches Paket gesehen und verabschiedet werden
— ich rede doch an Ihre Adresse -- und ihr Aufkommen steuerneutral sein müsse. Ich verstehe, daß Sie nervös werden.
Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie in das
Düsseldorfer Programm hineingeschaut hätten, hätten Sie festgestellt, daß die CDU ausdrücklich be-
schlossen hat, die Steuerreform solle zwar umfassend sein, aber stufenweise durchgeführt werden.
— Nein, ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich gelegentlich einmal die Mühe machen, Ihr Programm zu lesen und sich vielleicht in gewissen seltenen Ausnahmefällen, wie z. B. hier, auch daran zu halten.
Ich möchte eine Bemerkung zur Reform des Vermögensteuerrechts und der Erschaftsteuer machen. Schwerpunkt der Reform des Vermögensteuerrechts ist neben der gerechteren Besteuerung des Grundbesitzes — dazu hat ja der Herr Bundesminister der Finanzen schon einiges gesagt — die massive Erhöhung der Freibeträge und die Änderung der Steuersätze. Diese Freibeträge sollen dazu dienen, daß breitere Schichten unserer Bevölkerung in der Lage sind, Eigentum, Vermögen zu bilden. Eines steht fest: Trotz der neuen Bewertung des Grundvermögens und der neuen Steuersätze müssen in Zukunft weniger Menschen in unserem Lande Vermögensteuer zahlen als heute. Dies halte ich für einen entscheidenden Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Steuerrecht auf dem Gebiet der Vermögensteuer.
Ich möchte die Erhöhungen der einzelnen Freibeträge jetzt nicht aufzählen. Sie wurden von einigen Kollegen bereits erwähnt. Ich will dies nur an einem Beispiel verdeutlichen. Trotz der Neubewertung des Grundbesitzes ist es so, daß in Zukunft, wenn dieser Entwurf geltendes Recht wird, ein Ehepaar mit zwei Kindern in der Lage ist, zwei schöne Eigenheime zu besitzen, ohne auch nur einen einzigen Pfennig Vermögensteuer zahlen zu müssen. Deshalb wäre es eine Leistung, wenn wir dieses Gesetz durchbringen.
An diesem Beispiel werden im Grunde — wenn wir berücksichtigen, daß wir die großen Vermögen natürlich etwas stärker belasten wollen — die Grundgedanken des Entwurfes klar.
Erstens: Der Grundbesitz soll vernünftiger bewertet werden.
Zweitens: Kleinere und mittlere Vermögen sollen stärker als bisher entlastet werden.
Drittens: Größere Vermögen sollen stärker als bisher belastet werden.
Deswegen ist dieses Gesetz ein Beitrag zu etwas mehr Gerechtigkeit im Steuerrecht. Da in Zukunft weniger Menschen Vermögensteuer zahlen müssen, trägt das Gesetz auch zur Entlastung der Finanzverwaltung bei.
Noch eine Bemerkung zum Steuersatz. Ich verhehle meine persönliche Meinung nicht, daß die Sätze von 0,7 0/0 und 1,0 % für mich das Minimum dessen sind, was vertretbar ist, und zwar trotz der Neubewertung des Grundvermögens und trotz der Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Vermögen-
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Huonkers
steuer —, und zwar einfach deswegen, weil ich das Prinzip der Leistungsfähigkeit ernst nehme.
Noch eine Anmerkung zu den Ausführungen von Herrn von Bockelberg. Seine Ausführungen haben mich ein bißchen an die Zahlen erinnert, die die CDU/CSU-Länderfinanzminister vorgelegt haben. Sie haben die Vorschläge der Bundesregierung und der Koalition zur Vermögensbildung zwar weithin übernommen, aber Steuersätze von 0,5 ° o und 0,7 % vorgeschlagen. Dazu kann ich Ihnen nur eines sagen. Das klingt zunächst populär. Allerdings bedeutet es gegenüber dem, was die Koalition will, Steuermindereinnahmen von einer guten Milliarde DM. Nun frage ich Sie: Wie wollen Sie solche Vorschläge, die zu Steuermindereinnahmen von 1 Milliarde DM gegenüber dem, was die Koalition will, in Übereinstimmung mit dem bringen, was Ihre Länderfinanzminister, allen voran aber auch der Ministerpräsident Filbinger in Baden-Württemberg, ständig fordern, nämlich mehr Geld für die Länder? Ich bitte Sie, diesen Widerspruch zu klären.
— Die Vermögensteuer ist eine Ländersteuer. Vielleicht trägt das für Sie zur Aufklärung bei.
— Diese Frage beantwortet sich, wenn ich das richtig sehe, von selbst.
Die CDU/CSU-Finanzminister — das steht im Widerspruch zu den früheren heftigen Angriffen gegen diesen Teil der Steuerreformvorstellungen der Koalition — haben sich nun doch in wichtigen Punkten den Vorstellungen der Koalition genähert und die CDU-Sozialausschüsse des neuen CDU-Chefplaners Katzer fordern eine weit schärfere Besteuerung der großen Vermögen, als dies im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen ist. Deshalb hoffe ich, meine Damen und Herren das meine
ich nicht zynisch , daß man sich jedenfalls über die tragenden Grundsätze des Gesetzentwurfs — über Einzelheiten wird man sich wahrscheinlich noch länger streiten — im Ausschuß rasch einigen wird.
Noch einige ganz kurze Bemerkungen zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts. Auch hier steht — ich brauche das nicht weiter auszuführen — im Mittelpunkt der Reform eindeutig die Entlastung der kleinen und mittleren Erbschaften und Schenkungen durch eine massive Erhöhung der Freibeträge, die ich jetzt im einzelnen nicht aufzählen möchte.
Trotz der, wie mir persönlich scheint, recht mäßigen Erhöhung der Tarife für große Erbschaften wird es insgesamt so sein wie bei der Vermögensteuer, daß in unserem Land künftig ebenso wie dort weniger
Menschen als bisher Erbschaftsteuer zahlen müssen. Da in einigen Bundesländern von der CDU und der CSU bis zur Stunde noch so getan wird, als hätten es die Hausbesitzer schwer, wenn dieser Koalitionsentwurf zur Erbschaftsteuer realisiert wird, will ich hier — das ist nachrechenbar — folgendes feststellen: eine Familie mit zwei Kindern kann, wenn dieser Gesetzentwurf geltendes Recht wird, künftig nicht nur ein Haus, sondern zwei schöne Eigenheime erben, wenn der Vater stirbt, und noch einiges dazu, ohne auch nur einen einzigen Pfennig Erbschaftsteuer zu zahlen. Ich betone das in aller Eindeutigkeit, weil wir zwar nicht hier, aber draußen bis zur Stunde von Ihrer Partei das Gegenteil hören.
Herr von Bockelberg fragt noch, wie es im Hinblick auf die Geldentwertung mit einer weiteren Erhöhung der Freibeträge sei. Da kann ich nur sagen: Darüber kann man reden, wenn man zugleich Dekkungsvorschläge bringt. Freibeträge zu fordern, ist billig und populär. Aber dann muß man den Mut haben, Deckungsvorschläge vorzulegen.
— Wir haben einen Entwurf vorgelegt und damit gesagt, Herr Häfele, wie hoch wir mit den Freibeträgen gehen wollen.
Erst bei den Erbschaften über eine Million D-Mark steigt die Belastung, und zwar sehr allmählich. Was man auch immer dagegen sagt: Wer das Prinzip der Leistungsfähigkeit im Steuerrecht ernst nimmt — das nehmen Sie ja wenigstens verbal mindestens so ernst wie wir —, muß einfach sagen, die höhere Besteuerung von großen Erbschaften, von Millionenerbschaften, ist nichts anderes als der Ausdruck eben dieses Prinzips der Leistungsfähigkeit.
Wichtiger das weiß jeder, der sich schon einmal
die Mühe gemacht hat, eine Erbschaftsteuerstatistik anzuschauen — wichtiger als die Tariferhöhungen für Großerbschaften ist die Beseitigung der Umgehungsmöglichkeiten bei der Erbschaftsteuer. Deshalb begrüße ich es ganz besonders, daß ein weiterer Schwerpunkt dessen, was die Koalition zur Reform der Erbschaftsteuer vorgelegt hat, die Beseitigung zahlreicher Umgehungsmöglichkeiten ist.
Ich möchte nur zwei in aller Kürze erwähnen. Erstens sieht § 2 Abs. 1 Nr. 1 b des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vor, daß künftig deutsche Staatsangehörige, die ihren inländischen Wohnsitz aufgeben, noch fünf Jahre lang der unbeschränkten Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerpflicht der Bundesrepublik unterworfen werden. Damit soll nämlich denen, die, heute wieder vermehrt, allein aus steuerrechtlichen Gründen vorübergehend ihren Wohnsitz in sogenannte Steueroasenländer verlegen
— ja, wir könnten Namen nennen — ein weiterer
Riegel vorgeschoben werden. Dem müßte, wenn ich
810 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Huonker
das richtig sehe, auch die Opposition zustimmen können.
— Im Ausschuß geht das dann etwas schneller. Wir wollen die Gesetze doch aus den Gründen, die erwähnt worden sind, schnell durchberaten.
Ein Punkt — ich komme gleich zum Schluß, nur keine Angst — ist ebenso wichtig bei der Frage der Abschaffung von Umgehungsmöglichkeiten: In Zukunft soll verhindert werden, daß durch Schenkungen einer in bestimmter Weise ausgestatteten Beteiligung einer Personengesellschaft die Erbschaftsteuer legal umgangen werden kann.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Angesichts des Diskussionsstands in der CDU/CSU — ich erinnere an die Tagung Ihrer Landesfinanzminister in Rottach-Egern, ich erinnere an die Beschlüsse der CDU-Sozialausschüsse, die jetzt natürlich, das unterstellen wir, ein besonderes Gewicht im Rahmen der Willensbildung Ihrer Partei haben werden, nachdem Herr Katzer Chefplaner geworden ist, und die ja z. B. eine schärfere Besteuerung der großen Erbschaften als der Koalitionsentwurf vorgeschlagen haben — hoffe ich, daß wir im Ausschuß zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Opposition und auch zu einer raschen Verabschiedung der Gesetzentwürfe kommen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde auf die Bemerkungen des Herrn Kollegen Offergeld und meines Vorredners, soweit sie nicht sachlicher Natur waren, zum Schluß vielleicht noch ein paar Worte sagen; vorweg jedoch einige Bemerkungen zur Grundsteuer, die ich sehr kurz zu halten versuchen will.
Es besteht Einigkeit darüber, daß die neuen Einheitswerte zum 1. Januar 1974 in Kraft treten müssen, und es besteht Einigkeit darüber, daß das Gesetz, das dies bewirkt, wenn irgend möglich, noch in diesem Frühjahr, zu verabschieden ist, damit das rechtzeitig geschehen kann.
Die neuen Einheitswerte liegen beträchtlich höher als die von 1935. Dies ist selbstverständlich. Wir müssen allerdings sehen, daß sich bei den verschiedenen Grundstücksarten und im Verhältnis von Grundstücken zu land- und forstwirtschaftlichen Betrieben Erhöhungen in einem sehr unterschiedlichen Umfange ergeben. Bei der Land- und Forstwirtschaft wird es nur eine Erhöhung um etwa 30 v. H., bei den Grundstücken eine um durchschnittlich 250 v. H. geben, und auch die wieder je nach Nutzungsart, Alter der Gebäude usw. in einem sehr unterschiedlichen Umfange.
Die Steuermeßzahlen müssen also angepaßt wer- den. Hierzu enthält der Entwurf Vorschläge, die wir im einzelnen prüfen werden. Diese neuen Steuermeßzahlen sollen — und dies ist auch unsere Auffassung — den Gemeinden ein Mehraufkommen in der Größenordnung von etwa 25 v. H. sichern. Über diese Durchschnittsbelastung werden wir also sicherlich einig werden. Fraglich ist noch, ob nicht die Relation der verschiedenen Meßzahlen zueinander noch etwas verändert werden muß, ob hier also die Annahmen der Bundesregierung, die Anwendung dieser neuen Meßzahlen werde in keinem Falle zu stark durchschlagen, und daraus werde sich also auch in keinem Falle die Notwendigkeit von nennenswerten Mieterhöhungen ergeben, zutreffen. Das werden wir im Ausschuß durchsprechen.
Es muß noch gesehen werden, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Steuermindereinnahmen für die Gemeinden, die durch die Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer entstehen, die nicht unbeträchtlichen Steuermehreinnahmen, die den Gemeinden durch die Erhöhung der Grundsteuer zuwachsen, zum Teil wieder zu kompensieren, zum Teil wieder aufzufressen drohen, und zwar zu einem erheblichen Teil.
Hierzu kann ich nur sagen: So war das ja nicht gemeint, weder von uns noch auch von der Regierung, wenn ich mir deren frühere Vorschläge anschaue. Gemeint war doch ursprünglich, daß die Mehreinnahmen aus der Grundsteuer den Gemeinden in voller Höhe zusätzlich zukommen sollten und daß den Gemeinden für den Einnahmeverlust, der durch die Änderung der Gewerbesteuer entsteht, im Gesamtzusammenhang der Steuerreform an anderer Stelle ein Ausgleich zu bieten sei. Hieran hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme bereits in der letzten Legislaturperiode erinnert.
Dies entspricht auch der Auffassung der Bundesregierung, die in den Eckwerten zum Ausdruck gebracht ist. Aber heute weiß ja wohl niemand mehr so genau, inwieweit diese Eckwerte noch in allen Einzelheiten verbindlich sind. Wir hoffen, von der Regierung hierzu noch einiges zu hören.
Ein paar abschließende Bemerkungen zu den allgemeinen Fragen, die insbesondere von Herrn Kollegen Offergeld angesprochen worden sind. Ich muß mich immer wundern, Herr Kollege Offergeld, wie Sie Ihre Persönlichkeitsstruktur verwandeln, wenn Sie hier nach oben gehen. Der Vergleich zwischen Ihrem Erscheinungsbild und Ihrer Ausdrucksweise im Ausschuß und derjenigen hier oben ist verblüffend, frappierend und erstaunlich. Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich das, was Sie in den ersten 5 bis 10 Minuten Ihrer Rede hier geboten haben, für einen doch sehr albernen Exkurs halte. Was soll dieses Polemisieren zu dieser Stunde und in dieser Form? Was soll ein Sammelsurium von Schlagworten wie etwa dem, die CDU gehe mit einem Bauchladen herum? Wenn in Gliederungen einer Partei, solange die Diskussion über einen bestimmten Gegenstand nicht abgeschlossen ist — und sie ist bei uns nicht endgültig abgeschlossen —, verschiedene Meinungen bestehen, hat das ja wohl nichts mit einem Bauchladen zu tun. Ich könnte
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 811
Dr. Wagner
dann viel eher Ihnen, lieber Herr Offergeld, entgegnen, daß Sie in der Gefahr stehen, ständig von Ihrem Finanzminister oder was weiß ich von wem sonst mit neuen Zauberkunststücken aus seinem Hut, mit neuen Steuererhöhungen aus seiner Trickkiste überrascht zu werden, von denen Sie selbst, wie man nachher hört, tags zuvor oder zwei Tage zuvor nichts gewußt haben.
Was nun die Steuerpolitik angeht, die bis vor wenigen Jahren angeblich zugunsten weniger Privilegierter gemacht worden ist und die Sie nun besser machen werden, möchte ich Ihnen, Herr Offergeld, folgendes sagen. Bisher haben Sie, bisher hat Ihre Partei über Steuerreform, über Steuerpolitik für den kleinen Mann nur geredet. Es liegen ausschließlich verbale Kraftakte von Ihnen vor. Geschehen ist nichts, nicht das Schwarze unter dem Nagel. Wer hat z. B. den Steuerfreibetrag, den Arbeitnehmerfreibetrag, eingeführt? Es war nicht Ihre Koalition. Wer hat die Verdoppelung versprochen, aber nicht eingeführt? Es war Ihre Koalition,
— Ja, bitte schön!
Darf ich Sie fragen, ob es richtig ist, daß Ihre Partei, die CDU, Monate vor der Wahl immer wieder versichert hat, sie würde noch vor der Wahl ein Steuerreformprogramm vorlegen, in dem klipp und klar gesagt werde, was die Unionsparteien in Sachen Steuerreform vorhätten. Und können Sie mir bestätigen, daß dieses Steuerreformprogramm weder im Zeitpunkt der Wahl vorgelegen hat noch heute auch nur in Konturen sichtbar ist?
Hieran können Sie mich nicht erinnern, weil meine Partei das gar nicht erklärt hat. Wir haben nicht erklärt, daß wir bis zur Wahl ein ausgearbeitetes Steuerreformgesetz vorlegen würden. Wir haben sehr wohl Grundvorstellungen entwickelt; aber die Zusage, von der Sie sprachen, ist nie gegeben worden.
Im übrigen sprechen wir hier doch wohl über Vorlagen der Regierung.
Herr Offergeld, bitte!
Herr Dr. Wagner, können Sie uns dann verraten, bis wann die sehr lebendige Diskussion in der CDU abgeschlossen sein wird?
Ich meine, ein solcher Abschluß wäre angesichts der Tatsache, daß Sie die erste Steuerreform schon im Jahre 1949 und dann alle vier Jahre wieder angekündigt haben, notwendig.
Herr Offergeld, es ist Ihnen offenbar bisher entgangen, und auch in Ihrer Amtszeit als Parlamentarischer Staatssekretär haben Sie offensichtlich nicht gelernt, daß es in erster Linie Aufgabe der Bundesregierung ist, Vorschläge zu machen.
Das Beklagenswerte an dieser Steuerreform, ihr bisheriger Leidensweg besteht doch nicht darin, Herr Offergeld, daß es an Vorschlägen der CDU/CSU gefehlt hätte, sondern darin, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen nicht in der Lage gewesen sind, rechtzeitig kohärente und brauchbare Vorschläge zu machen.
Sie haben vielmehr erste und zweite Eckwerte vorgelegt. Zu den letzteren kam dann noch die Äußerung Ihres Regierungssprechers mit den „Absurditäten", die es in der Tat auch gab. Das ist der Punkt, um den es geht. Es geht nicht um die Frage, mit der Sie immer nur von Ihrem bisherigen Versagen in der Steuerpolitik ablenken wollen, nämlich welche Vorstellungen wir hätten
Herr Abgeordneter Huonker, wenn ich mich nicht täusche, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte!
Können Sie mir bestätigen, daß der Vorsitzende der CDU zumindest in der Endphase des Wahlkampfes
— ich bleibe beim Thema — erklärt hat, ein klares Konzept der CDU zur Steuerreform werde vor der Wahl vorliegen?
Würden Sie mir weiter bestätigen, daß man, als aus der sogenannten Höcherl-Kommission einige Ergebnisse nach draußen gelangt waren und beim Nachrechnen die finanziellen Fehlkalkulationen offenbar wurden, das Vorhaben, ein Steuerkonzept vor der Wahl vorzulegen, rasch in der Versenkung verschwinden ließ?
Den ersten Teil Ihrer Frage verneine ich; dazu habe ich vorhin schon etwas gesagt. Zum zweiten Teil möchte ich sagen: Es ist richtig, daß aus der sogenannten HöcherlKommission bestimmte Ergebnisse herausgedrungen sind, deren Publizierung nicht beabsichtigt war. Hierzu muß ich allerdings die Anmerkung machen: Im Laufe der letzten drei Jahre sind aus Ministerien dieser Regierung weit wichtigere Dinge als
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812 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Dr. Wagner
diese paar Zahlen aus der Höcherl-Kommission herausgedrungen.
Wenn wir damit anfangen wollten, das gegeneinander aufzurechnen, wären wir nicht so schnell fertig.
Ich sprach aber von der Steuerpolitik zugunsten der wenigen Privilegierten und hatte festgestellt, daß bisher von SPD und FDP zugunsten des kleinen Mannes statt einer Steuerpolitik nur Worte geboten worden sind. Wäre doch in der vergangenen Legislaturperiode nur ein Gesetz zugunsten der kleineren und mittleren Einkommensgruppen verabschiedet worden, das in seiner Auswirkung etwa dem Steueränderungsgesetz von 1964 mit der starken Anhebung der Freibeträge entsprochen hätte!
Etwas, was auch nur annähernd in diese Richtung zielte, war nicht festzustellen. Statt dessen ist etwas ganz anderes passiert.Meine sehr geehrten Herren von der SPD, Sie sprechen soviel von den Privilegierten. In den letzten Jahren haben Sie eifrig daran gearbeitet, möglichst viele und nach und nach alle Bürger in den Genuß bestimmter Privilegien kommen zu lassen, in diesem Fall steuerpolitischer Art: nämlich in cien „Genuß" immer höherer Progressionsstufen bei der Einkommensteuer. Das Ergebnis Ihrer bisherigen Steuerpolitik ist die ständig steigende Einkommen- und Lohnsteuerbelastung für breite Volksschichten.
Daran sollten Sie denken, bevor Sie sich in dieser Frage mit der Opposition anlegen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Häfele, Sie haben soeben beklagt, daß das Verfahren bei der Einbringung dieses Gesetzes etwas ungewöhnlich sei. Ungewöhnlich ist das gar nicht, wenn zwei Fraktionen einen Gesetzentwurf einbringen. Wir haben zwar dem Bundesrat durch dieses Verfahren nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, aber ich frage Sie, was denn dadurch verpaßt worden ist. Der Bundesrat hat ja zu der Vorlage bereits sein Votum abgegeben. Er hätte bloß abschreiben können, was er bereits in der 6. Legislaturperiode gesagt hat. Aber nun sagen Sie: Das stimmt, aber die Bundesregierung hat auch diese Vorschläge des Bundesrates nicht in einem eventuellen neuen Entwurf eingearbeitet.
Aber wo geschieht denn so etwas?! Der normale
Ablauf ist doch der, daß die Bundesregierung auf
Grund der Stellungnahme des Bundesrates nicht den eigenen Entwurf ändert, sondern daß sie zu den Vorschlägen des Bundesrates Stellung nimmt. Formal ist also nichts versäumt worden. Man kann ja die Vorschläge des Bundesrates und die Stellungnahme der Bundesregierung von damals nachlesen.
Aber auch in der Sache ist nichts versäumt worden, — wir können das mit Befriedigung feststellen —, denn der Bundesrat hat ja sozusagen voll die Regierungsvorschläge bestätigt. Denn was der Bundesrat zu diesem offensichtlich guten Gesetzentwurf der Bundesregierung kritisch zu sagen hatte, war so minimal, daß man es in kurzer Zeit durcharbeiten kann; es sind Ornamente. Das zeigt doch, daß dieser Teil der Reform - die Herren haben ja offensichtlich auch hier nichts anzumerken; sonst wären sie vielleicht da — im wesentlichen vom Bundesrat akzeptiert wurde. Und auch das ExpertenGremium vom Tegernsee, zu dem ja ein Teil dieser Herren gehörten, hält das alles im Grunde wohl für gut. Deshalb haben wir nicht das Bedürfnis gehabt, die Herren noch einmal damit zu belästigen. Wir können gern die alten Stellungnahmen bei der Beratung wieder verwenden.
Herr von Bockelberg, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß es sehr problematisch ist, Indexzahlen in Steuergesetze einzuführen. Ich stimme Ihnen darin völlig zu. Doch so wie die Dinge liegen — das Bewertungsgesetz stammt ja noch aus der Zeit einer anderen Koalition; wir wollen uns da gegenseitig keine Vorwürfe über den Zeitdruck machen —, müssen wir dieses Verfahren hinsichtlich der 140 % bei der Höherbewertung der Einheitswerte von 1964 notgedrungen einmal anwenden. Wir stimmen da überein.
Ich möchte Sie jetzt auch nicht so verstehen, daß Sie das, was Sie hinsichtlich der anderen Freibeträge und Freigrenzen sagten, als Vorschlag für eine Art Dynamik oder Indexanpassung meinten.
— Eben! Das möchte ich nur richtigstellen.
Wir sind uns sicher darin einig, daß auch nach einer Steuerreform noch nicht das Ende aller Steueränderungen erreicht ist, sondern daß wir gleich im Anschluß daran die Gesetze und ihre festen Wertbeträge sicherlich einmal wieder überprüfen müssen, so wie wir es mit der Steuerreform 1965 gemacht haben. Daß sich Preise, Freigrenzen und Werte im Laufe der Zeit ändern, ist ja nicht eine „Erfindung" der letzten zwei Jahre, sondern hat es schon zu allen Zeiten, auch schon zur Zeit des Alten Testaments, gegeben; das ist also nicht so neu.
Ich glaube, daß die Hoffnung auf Steuervereinfachung — ich sage das hier mit allem Freimut —, sich nicht in so starkem Maße wird verwirklichen lassen, wie wir das alle wohl möchten. Das mögen wir alle miteinander beklagen. Aber wir alle miteinander werden auch wieder Anträge stellen, die eine oder andere Gruppe oder Aufgabe innerhalb
Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 813
Frau Funcke
der Steuergesetze zu begünstigen. Und jede solche neue Sonderförderung bringt der Finanzverwaltung neue Arbeit. Wir sind da alle im selben Boot.
Gerechtigkeit auf der einen Seite und Vereinfachung auf der anderen Seite widersprechen sich nicht immer, aber sie widersprechen sich überall dort, wo man besondere Wünsche nach Berücksichtigung bestimmter Tatbestände in ein Steuergesetz einbaut. Das ist ja der Grund, warum man mit der Reduzierung von Steuersubventionen so schlecht fertig wird: weil eben immer jemand daran festhalten möchte. Dennoch sollte es unser gemeinsamer Wunsch sein, so weit wie eben möglich. Sonderbestimmungen zu vermeiden.
Interessant, finde ich, Herr von Bockelberg, das, was Sie mit der Zusammenfassung der Vermögen-und Erbschaftsteuer vorschlugen. Da stoßen Sie bei uns offene Türen auf. Nur, davon habe ich bisher aus Ihrer Fraktion noch nichts gehört. Und da Sie in diesem Teil der Rede auch per „ich" und nicht per „wir" gesprochen haben, bin ich mir noch nicht so sicher, ob das etwa eine gemeinsame Auffassung Ihrer Fraktion ist. Man könnte sicher später einmal darüber sprechen. Das muß ja keineswegs zu einer Entlastung der großen Vermögen führen, wie manche meinen. Man könnte sicherstellen, daß man vom ähnlichen Personenkreis das gleiche Steuervolumen erhält.
Das gilt für die Steuerreform allgemein. Nach unserer Vorstellung soll bei dieser Steuerreform eine
Aufkommensverschiebung zwischen verschiedenen Steuerarten stattfinden; die Reform darf nicht zu Mindereinnahmen des Staates führen. Wir haben ebenso ausdrücklich gesagt, daß sie auch nicht zu Steuermehreinnahmen führen darf, weil wir meinen, eine Reform läßt sich besser und glaubwürdiger durchführen, wenn man nicht den geheimen Gedanken der Steuererhöhungen dahinter vermuten muß.
Über das Wort „Reform" kann man lange diskutieren. Ich meine jetzt nicht die Kollegen hier im Hause; aber draußen hat man hierzu sehr Widersprüchliches gehört. Die einen sagten, das geht alles zu weit, und die anderen, das ist gar keine Reform, das ist viel zu wenig.
Ich meine, das Wesentliche an dieser Steuerreform --- und daran müssen wir festhalten — ist, daß man hier die entscheidenden Steuern, die in sich verwoben oder mindestens durch die Aufbringungshöhe miteinander verbunden sind, gleichzeitig ändert. Fine solche sich über viele Steuerarten erstreckende Änderung kann nun allerdings nicht so fundamental sein, wie es der eine oder andere möchte, weil nämlich Steuern, wenn sie 25 % des Sozialprodukts ausmachen, ein wichtiger Kalkulationsfaktor und ein erheblicher Preisfaktor sind. Zu grobschlächtige Änderungen würden eine erhebliche Verschiebung der Belastung bringen bis zur Existenzgefährdung ganzer Berufszweige oder zur Gefährdung von Arbeitsplätzen in bestimmten Regionen. Darum sind manchen, sagen wir mal, fundamentalen Reformen, wie sie manche Puristen wünschen, praktische Grenzen gesetzt, ganz abgesehen von den Vorstellungen der europäischen Harmonisierung.
Nach unserer Auffassung ist die Verschiebung der Steuerarten untereinander als Ganzes zu sehen. Wenn wir die Eckwerte dazu nehmen — so unbekannt sind sie gar nicht, denn sie standen ja alle im Bulletin —, dann müssen Sie doch zugehen, daß hier eine Symmetrie, der Versuch eines Ausgleichs der unterschiedlichen Be- und Entlastungen nicht nur im Volumen, sondern auch bei den Belasteten und Betroffenen vorgesehen ist, der im Grunde, so meinen wir jedenfalls, als tragbar und fortschrittlich angesehen werden kann, wenn man von Verschönerungen, die wir im Ausschuß noch anbringen können, absieht.
Allerdings setzt das nach unserer Auffassung voraus, daß wir an diesem Gesamtkonzept festhalten, auch möglichst bezüglich des Termins. Wir hätten gern für alle Teile an einem gemeinsamen Zeitpunkt des Beginns festgehalten. Aber wie schon mein Kollege Vohrer eben sagte, hat die vorzeitige Auflösung des Bundestages uns zeitlich in der Beratung zurückgeworfen, und die erheblichen Widerstände aus Karlsruhe werden uns in einzelnen Punkten zu einer gewissen Eile antreiben. Auch drängen uns die Gemeinden bezüglich der Grundsteuer.
Darum sind wir der Auffassung, daß man, ohne den Gesamtzusammenhang der Reform zu zerstören, die Grund- und die Erbschaftsteuer vorziehen könnte und müßte, wie es ja auch der Herr Bundesminister soeben andeutete. Doch sollten wir davon absehen, Herr Kollege Häfele, für alle einheitswertabhängigen Steuern ein Vorschaltgesetz zu beschließen. Denn es geht hier eben nicht nur um die Frage, wie wir um der Aufbringungsneutralität willen die Mehreinnahmen aus den höheren Einheitswerten durch einen niedrigen Steuersatz wieder herunterbekommen, sondern auch darum, wie sich dann die Belastung bei den einzelnen Steuerpflichtigen verschiebt. Es bleibt alles besser ausgewogen, wenn wir die Vermögensteuer im Gesamtkonzept lassen, zumal die Aufhebung der Steuerabzugsfähigkeit — die übrigens auch nach Meinung der Steuerreformkommission vorgesehen ist —, diesen Zusammenhang besonders unterstreicht. Wir glauben daher, daß wir uns ohne Schaden auf die Vorziehung lediglich der Grundsteuer und der Erbschaftsteuer konzentrieren können, die beide mehr oder weniger etwas außerhalb der Forderung nach Aufkommensneutralität und des systematischen Zusammenhangs liegen. Die Grundsteuer, weil tatsächlich ein Mehraufkommen vorgesehen war, weil sie auch verwaltungsmäßig völlig anders zu sehen ist und weil sie allein die Gemeinden betrifft, die Erbschaftsteuer, weil die mögliche Verschiebung im Aufkommen sowieso nicht exakt berechnet werden kann und auch bei der Größenordnung im Gesamtvolumen wohl übersehen werden könnte.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter von Rockelherg
814 Deutscher Bundestag -7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Frau Kollegin Funcke, habe ich Sie richtig verstanden, daß dann in einer Übergangszeit bei der Vermögensteuer andere Einheitswerte des Grundvermögens gelten als bei der Erbschaftsteuer?
Ja, das halte ich nicht für schwierig. Wir haben auch bei der Einkommensteuer andere Werte als bei der Vermögensteuer. Das ist kein Problem. Jede Steuer hat ihre eigenen Gesetze und Maßstäbe. Es steht nirgendwo geschrieben, daß ein Einheitswert ein göttliches Gesetz ist, das man nur ganz oder gar nicht haben kann. Selbstverständlich kann man die neuen Einheitswerte in dem einen Gesetz gültig machen und in dem anderen erst ein oder zwei Jahre später, genausogut wie Sie die Einheitswerte 1964 bei der Grundsteuer mit 100% ansetzen und bei der Erbschaftsteuer mit 140 °/o. Es steht nirgends geschrieben, daß das verboten ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg.
Frau Kollegin, empfinden Sie es nicht als unbefriedigend, daß bei zwei Vermögensteuern verschiedene Einheitswerte gelten?
Ja, Sie können zwar die Erbschaftsteuer als eine Vermögensteuer bezeichnen, aber sie ist dennoch eine eigenständige Steuer mit einem eigenen Gesetz. Auch die Grundvermögensteuer ist eine Vermögensteuer. Aber da wollen Sie doch offensichtlich ebenso wie auch die Regierung und wir an den 100% festhalten, während Sie bei der Erbschaftsteuer auf 140'°/o gehen wollen, obwohl beide Werte für Vermögensteuer gelten sollen.
— Verschlägt ja nichts; das Verfassungsgericht hat ja auch nicht verlangt, daß wir die Grundsteuer auf 140 °/o anheben. Wir sind völlig frei, die einzelnen Steuerarten nach verschiedenen Maßstäben zu erheben, und wir sind nicht gezwungen, einen bestimmten Maßstab für alle Steuern zum gleichen Zeitpunkt gültig zu machen. Deswegen sehe ich einen solchen Weg — abgesehen vom Hauptveranlagungstermin, wie Sie ebenfalls wissen, Herr von Bockelberg — durchaus als gangbar an.
Ich wollte noch ein Wort zu dem Vorwurf des Herrn Kollegen Wagner sagen, daß die Bundesregierung so spät mit diesem Gesetz herausgekommen sei. Sie wissen sehr wohl, daß die Eckwerte bereits im Mai 1971 vorlagen, und das war zwei Monate, nachdem die Steuerreformkommission, die ja neutral und von uns nicht steuerbar war, ihr Gutachten sehr verspätet abgeliefert hatte. Da dann allerdings die Länder und die Verbände sehr großen Wert darauf gelegt haben, sich sehr langfristig mit den Referentenentwürfen zu beschäftigen, und da wir etwas von Demokratie halten und damit
auch von einer rechtzeitigen Beteiligung der Länder
und das hat sich ja offensichtlich ausgezahlt — und auch der Verbände, soweit sie praktisch und sachlich mitarbeiten, hat es eben eine ziemlich lange Zeit gedauert. Manche Länder haben gesagt, die Zeit sei immer noch zu kurz gewesen. Ich glaube, wenn die Regierung bei einer so weitreichenden Materie auf unsere demokratischen verfassungsmäßigen Gremien Rücksicht genommen hat, darf man ihr das nicht im nachhinein als Zeitvergeudung vorwerfen. Insoweit sollten wir uns einig sein.
Nun haben wir die Vorlagen zu Beginn der vier Jahre vor uns liegen, und wir haben sicherlich die Zeit, sie in Ruhe, aber, wie ich von allen Seiten als Wunsch und Absicht herausgehört zu haben meine, auch zügig zu beraten.
Das Wort hat der Abgeordnete Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Worte zur Grundsteuerreform sagen, davor aber drei Bemerkungen machen:
Erste Vorbemerkung: Herr Häfele hat geklagt, daß dieses Steuerreformgesetz 1971 hätte beraten werden sollen, und jetzt sei 1973. 1971 haben wir auf das Gutachten der Steuerreformkommission gewartet — das wissen Sie —, und diese Kommission war von einem Manne eingesetzt, in dessen Kielwasser Sie ja so gerne fahren.
— Natürlich hätten wir dieses Gesetz, statt erst im Jahre 1973, viel lieber 1972 beraten, wenn nicht die vorzeitige, für Sie allerdings mit so bitteren Folgen verbundene Parlamentsauflösung gekommen wäre.
Zweite Vorbemerkung: Sie beschweren sich darüber, daß wir Ihnen nicht glauben, daß Sie an der Steuerreform ernst mitarbeiten wollen. Ich könnte fast zu der Auffassung kommen, daß bei Ihnen eine Besserung eingetreten ist, wenn ich das Interview Ihres Herrn Generalsekretärs a. D. Heck und die Äußerungen von Herrn Evers dazu lese, wo es heißt:
Niemand, der sich mit der Problematik des Steuerrechts befaßt hat, kann daran zweifeln, daß es volkswirtschaftlich richtig und gesellschaftspolitisch notwendig ist, die Erbschaftsteuer und die Vermögensteuer zu erhöhen und auch den Spitzensatz im Einkommensteuertarif maßvoll anzuheben. Was eigentlich hindert die CDU daran, dies klar und deutlich auszusprechen?
Und dann kommt der Nachsatz:
Weil sie sich nicht dazu entschließen konnte,
Entscheidungen zu Lasten von Bevölkerungs-
Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 815
Dr. Weber
gruppen zu treffen, auf deren Stimmen die CDU traditionell zu hoffen vermag.
— Natürlich!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wagner ? — Bitte sehr!
Herr Kollege Weber, können Sie bestätigen, daß Bundesfinanzminister Möller, also der Vorvorgänger des jetzt amtierenden Bundesfinanzministers, im Jahre 1971 angekündigt hat, die Steuerreformgesetzentwürfe würden noch 1971 eingebracht? Können Sie weiter bestätigen, daß die Abkürzung der Legislaturperiode um ein Jahr mit der Nichtverabschiedung der Steuerreform objektiv nichts zu tun hat, weil es in keinem Falle möglich gewesen wäre,
— von mir aus, lassen wir die AO durchgehen- etwa die Einkommensteuerreform, für die ja im Sommer 1972 noch nicht einmal ein Entwurf vorlag, bis 1973 zu verabschieden?
Herr Wagner, ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß wir im Jahre 1970 zusammen im Finanzausschuß gesessen haben, nichts zu tun hatten und auf das Gutachten der Steuerreformkommission warteten, damit die Grundlage für unsere Arbeit geschaffen werden konnte.
Die dritte Bemerkung. Sie fragen, was diese Regierung für die Arbeitnehmer getan habe.
Nun, ich stelle zwei Dinge gegenüber, die wir auch im Finanzausschuß beraten haben. Sie haben mit der Stimme eines Abgeordneten, der mittlerweile Ihrer Partei angehört, die Gewerbesteuerfreiheit für Privatschulen durchgesetzt, und wir haben mit den wenigen Stimmen, die wir zur Verfügung hatten, das 624-Mark-Gesetz durchgesetzt, eine Leistung für Arbeitnehmer, die immerhin heute von 17 Millionen Arbeitnehmern in Anspruch genommen wird.
— Es ist von uns mitberaten worden, aber sicher!
— Jawohl, Herr Kollege Mick.
Einige Bemerkungen zur Reform der Grundsteuer.
1. Wir begrüßen diesen Entwurf, weil damit eine Ankündigung aus der Vorlage des 5. Deutschen Bundestages realisiert wird: den Gemeinden weitere Einnahmen aus der Grundsteuer von dem Zeitpunkt an zu erschließen, ab dem die neuen Einheitswerte gelten. Daraus ergeben sich Mehreinnahmen für die Gemeinden von rund 750 Millionen DM. Vorhin hat schon der Herr Kollege von der FDP ausgeführt, daß dies nicht auf dem Rücken der Mieter ausgetragen wird, weil der Unkostenfaktor Grundsteuer bei Beibehaltung der alten Bemessungsgrundlage für den größten Teil der Mietwohnungen nicht mit Mehrbelastungen bzw. maximal mit einer Erhöhung von 1% verbunden ist.
2. Wir müssen von den Einheitswerten von 1935 wegkommen. Darin besteht Einigkeit. Denn eine Steuer, deren Bemessungsgrundlage das Vermögen bildet, setzt voraus, daß das Vermögen auch zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach zuverlässigen und allgemein anerkannten Grundsätzen ermittelt wird. Hieran fehlt es in unserem Lande seit vielen Jahren, vor allem deshalb, weil der gesamte Grundbesitz und damit ein sehr wichtiger Teil des Volksvermögens überhaupt mit Werten herangezogen wird, die auf der Basis der Wertverhältnisse von 1935 ermittelt worden sind.
3. Damit wird gleichzeitig verhindert, daß wegen dieses Bewertungsgefälles zwischen dem Vermögen, das mit seinem Nominalwert herangezogen wird, und dem Grundvermögen, das mit seinem Einheitswert herangezogen wird, immer mehr Steuerpflichtige in Immobilien einsteigen, also ihr Vermögen in Grundvermögen umschichten und durch diese Nachfrage Preisauftrieb erzeugen. Eine solche Umschichtung ist nicht nur volkswirtschaftlich unerwünscht, sondern sie führt auch zu einer nicht berechtigten Verminderung der Vermögensteuer. Wir brauchen nur die Vergleichszahl zu nehmen, die in dem Bericht der Regierung steht: Die bebauten Grundstücke sind von 1935 bis 1964 allein um über 200 % im Wert gestiegen, und seit dieser Zeit sind sie natürlich noch weiter gestiegen. Dieses Mißverhältnis wollte ich hiermit klarstellen.
4. Einen gesellschaftspolitisch wünschenswerten Effekt erzielt der Entwurf bei den unbebauten Grundstücken. Die Einheitswerte von 1964 für unbebaute Grundstücke liegen gegenüber denen für bebaute Grundstücke relativ hoch. Dies führt zu einer empfindlichen Grundsteuermehrbelastung, und zwar durchschnittlich zu dem Achtfachen gegenüber 1935. Diese spürbare Erhöhung entspricht einer dringlichen Forderung. Damit wird, meine ich, ein erster Pflock gesetzt, um auf dem Gebiet des Steuerrechts auch Grundlagen für bodenordnungspolitische Maßnahmen zu schaffen.
816 Deutscher Bundestag -7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Dr. Weber
5. Der Gesetzentwurf berücksichtigt maßvoll auch strukturelle Unterschiede im Grundbesitz. Ich denke hier an die Bewertung der Einfamilienhäuser, soweit sie den Einheitswert von 75 000 DM nicht überschreiten, und an land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke.
Meine Damen und Herren, abschließend sei folgendes gesagt. Die Opposition hat in der heutigen Fragestunde die Sorge der Gemeinden angeschnitten, daß das Gesetz nicht so rechtzeitig vor dem 31. Dezember fertig werde, daß es von dem Zeitpunkt an angewendet werden könne. Wir halten ein Vorschaltgesetz nicht für notwendig. Wir meinen auch, daß wir umgekehrt die Gemeinden nicht der Gefahr aussetzen dürfen, warten zu müssen, bis ein Gericht entscheidet. Dies ist eine politische Entscheidung, und wir erwarten die Mitarbeit der Opposition daran, daß dieses Gesetz im Frühjahr dieses Jahres verabschiedet werden kann.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend — sowie an den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 a) der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und der Verordnung über das Erbbaurecht
— Drucksache 7/62 —
Wird eine Begründung gegeben? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich den Punkt 15 b) auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht
— Drucksache 7/118 —
Wird dieser Gesetzentwurf begründet? — Das ist nicht der Fall.
Dann verbinde ich die Aussprache über beide Gesetzentwürfe und erteile das Wort dem Abgeordneten Orgaß.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Da der Ältestenrat im Hinblick auf die heutige Tagesordnung beschlossen hat, daß zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht — Drucksache 7/118 — in der ersten Lesung keine Debatte geführt werden soll, habe ich namens der Fraktion der CDU/CSU folgende Erklärung abzugeben:
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, daß die Bundesregierung zu Beginn der Arbeit des Par-
laments eine Vorlage zum Erbbaurecht eingebracht hat.
Wir sind jedoch aufs äußerste enttäuscht und befremdet darüber, daß diese Regierung sich nicht scheute, ihren in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegten Gesetzentwurf, der seinerzeit vom Bundesrat und von der Fachwelt als völlig unzulänglich und das Problem nicht lösend angesehen wurde, unverändert erneut einzubringen, denn er bedeutet für die Betroffenen, die zu Recht auf den Gesetzgeber hoffen, nur eine Vergrößerung der Rechtsunsicherheit. Dieser Gesetzentwurf genügt nicht zur Regelung des Problems, sondern ist allenfalls geeignet, als Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Justiz zu dienen.
Eine gesetzliche Lösung des immer drängender werdenden Problems des Erbbaurechtes ist dringend erforderlich, da sich im Verlauf der letzten zehn Jahre herausgestellt hat, daß das im Jahre 1919 geschaffene Rechtsinstitut Erbbaurecht — ursprünglich als ein Mittel zur Vermögensbildung für breite Schichten der Bevölkerung gedacht — sich im Laufe des letzten Jahrzehnts durch die Entwicklung der Bodenwertverhältnisse geradezu ins Gegenteil verkehrt hat.
Während es in der Erbbaurechtsverordnung heißt: „Der Erbbauzins muß nach Zeit und Höhe für die ganze Erbbauzeit im voraus bestimmt sein", sind im Laufe der Zeit in zunehmendem Maße die Erbbaugeber dazu übergegangen, sogenannte Zinsgleitklauseln in die Verträge einzubauen, die sich nicht darauf beschränken, den Geldwertverfall oder die gestiegenen Lebenshaltungskosten aufzufangen, sondern sich an — oft fiktiven — Bodenwertsteigerungen orientieren. In zunehmendem Maße haben die Gerichte in dieser Richtung entschieden, und es liegen Urteile vor — so ein Urteil des Landgerichts Hamburg —, die selbst dort, wo ursprünglich keine Gleitklausel vereinbart war, Verträge aufhoben mit der Begründung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
Ergebnis: Vielfache, an den Bodenwertsteigerungen orientierte, gerichtlich sanktionierte Erhöhungen des Erbbauzinses, die die Betroffenen in unerträgliche Situationen bringen, da sie die exorbitant gestiegenen Zinsforderungen bei gleichbleibender Nutzung ihres Grundstücks nicht aufbringen können und deshalb Gefahr laufen, ihr Eigentum aufgeben zu müssen. Hier ist der Gesetzgeber dringend aufgerufen, ordnend einzugreifen.
Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion bereits in der 5. Legislaturperiode, im Januar 1967, durch die Bundestagsdrucksache V/1337 einen Gesetzesantrag gestellt, der jedoch unter den damaligen Ministern Heinemann und Jahn schließlich im Justizministerium hängengeblieben ist. In der Folgezeit, nämlich in der 6. Periode, wiesen CDU-Abgeordnete in der Fragestunde des Parlaments immer wieder auf die Dringlichkeit der Änderung des Erbbaurechtes hin und wurden zunächst von der Regierung abschlägig beschieden, da die Regierung im Parlament die Meinung vertrat, gesetzgeberische Maßnahmen seien noch nicht nötig. Erst auf eine wiederholte Anfrage
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Orgaß
im Juni 1971 erklärte sich die Regierung zum Handeln bereit.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion legte schließlich einen Fraktionsantrag zur Änderung des Erbbaurechtes, Drucksache V1/3091 vom Februar 1972, vor, worauf dann die Bundesregierung mit einer Gesetzesvorlage, Drucksache VI/3386 vom April 1972, nachzog. Dieser Regierungsentwurf wurde vom Bundesrat wie wir meinen durchaus berechtigt auf das Heftigste kritisiert. Der Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen des 6. Deutschen Bundestages beschäftigte sich eingehend mit der Problematik und veranstaltete ein öffentliches Anhörungsverfahren.
Auch hier hat der Regierungsentwurf vernichtende Kritik erfahren, weil er nach Aussage vieler Fachkreise statt konkreter Maßstäbe für die Betroffenen und die Gerichte eine Flucht in eine Generalklausel mit einer Reihe völlig unbestimmter Rechtsbegriffe beinhalte. Ich möchte alle Interessierten bitten, sich einmal das Stenographische Protokoll des Anhörverfahrens anzusehen. Dann werden sie dieses alles bestätigt finden.
Deshalb wurde zu Recht kritisiert, daß durch eine solche Klausel die Rechtsunsicherheit entscheidend erhöht würde und daß es für die Praxis einfach unmöglich sei, mit einer solchen Verordnung zu arbeiten, ja daß es gerade dazu führen würde, daß jeder einzelne strittige Fall nur durch gerichtliche Verfahren jeweils erneut entschieden werden könne.
Auf der Basis dieser Erkenntnis wurde im Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen des 6. Deutschen Bundestages und einer daraus gebildeten sogenannten Kleinen Kommission ein neuer Gesetzestext durch die CDU/CSU eingebracht,
der konkrete Rechtsbegriffe beinhaltete, weil er den Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses nur soweit zuließ, als er sich an der Erhöhung der allgemeinen Lebenshaltungskosten, der erhöhten Nutzung eines Erbbaurechtes und schließlich an der Änderung des Grundstückswertes infolge von eigenen Aufwendungen des Erbbaugebers orientierte. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der dort gestellt wurde, schließt auch die Vorstellung der Regierung aus, daß die Beweislast im Falle einer Erhöhung beim Erbbaunehmer zu liegen habe, weil wir der Meinung sind, daß derjenige, der den Vorteil nutzen will, ihn auch begründen muß. Es geht nicht an, vom Erbbaunehmer den Nachweis zu verlangen, daß die vom Erbbaugeber geforderte Erhöhung unberechtigt ist.
Die Mitglieder dieser „Kleinen Kommission" aller Parteien hatten sich über diese von uns vorgelegte Gesetzesformulierung bereits weitestgehend geeinigt. Auch die Mitglieder der SPD hatten ja den Regierungsentwurf nach dem Hearing wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. — Nur durch die vorzeitige Auflösung des 6. Deutschen Bundestages konnte diese Gesetzesformulierung nicht mehr zum
Tragen kommen, was wir sicherlich alle gemeinsam bedauern.
Die CDU/CSU-Fraktion hat nur wegen der Eilbedürftigkeit des Problems jetzt auf einen erneuten Gesetzentwurf verzichtet, wird jedoch auf der Basis der damaligen Beratungen im Ausschuß erneut einen Antrag der Gestalt, wie ich ihn hier fixiert habe, einbringen. Sie geht davon aus, daß dieser weitgehend auch als Beratungsgrundlage für die zuständigen Ausschüsse dienen wird. Denn nach der Qualität des vorgelegten Regierungsentwurfs kann dieser bestenfalls als eine parlamentarische Krücke angesehen werden, die es dem Parlament ermöglicht, nach den parlamentarischen Spielregeln die Behandlung der Materie in den zuständigen fachlichen Ausschüssen überhaupt erst durchzuführen.
Die Opposition wird durch ihre konstruktive Mitarbeit in den Ausschüssen dafür Sorge tragen, daß die Änderung der Erbbaurechtsverordnung in einer Weise erfolgt, die allen Betroffenen eine rechtliche Klarstellung und sozial gerechte Lösung garantiert.
Das Wort hat der Abgeordneter Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl vereinbart ist, daß heute zu diesem Tagesordnungspunkt nur Erklärungen abgegeben werden sollen, scheint es doch notwendig zu sein, in ganz kurzen Worten auf das einzugehen, was Herr Orgaß hier gesagt hat.
[ch meine, wir sollten der Bundesregierung dafür dankbar sein, daß sie durch die zügige Einbringung dieses Gesetzentwurfs eine Beratung im Parlament ermöglicht. Ich meine auch, Herr Orgaß, es wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn wir es so gemacht hätten, wie wir es ursprünglich vereinbart hatten: daß zunächst ich gesprochen hätte, damit ich Sie über den Beratungsstand innerhalb der Koalitionsfraktionen hätte aufklären können. Dann wäre Ihre ganze Aufregung, die Sie hier vorgespielt haben, nicht notwendig gewesen.
Eine zweite Bemerkung dazu: Es trifft nicht zu, daß der Antrag von CDU-Abgeordneten, der in der 5. Legislaturperiode hier gestellt worden ist, im Justizministerium hängengeblieben sei. Lesen Sie einmal die Protokolle des Rechtsausschusses aus dem 5. Deutschen Bundestag nach, dann werden Sie finden, daß die CDU-Mehrheit in dem dortigen Rechtsausschuß diejenige war, die diesen CDU-Gruppenantrag zu Fall gebracht hat. Das ist ganz klar und eindeutig.
Ich darf vielleicht Herrn Kollegen Orgaß noch etwas sagen, der davon gesprochen hat, der Entwurf der Regierung sei im Bundesrat nicht glimpflich behandelt worden. Ich weiß nicht, Herr Orgaß, was im Bundesrat gesagt worden wäre, wenn der Antrag der Opposition in der letzten Legislaturperiode dort zur Beratung angestanden hätte. Darüber können
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Gnädinger
wir uns vielleicht im Ausschuß noch einmal unterhalten.
— Herr Orgaß, ich muß hier eine Erklärung für die beiden Koalitionsfraktionen abgeben und möchte deshalb zügig vorankommen.
Wir jedenfalls halten das Institut des Erbbaurechts für eine bedeutende Sache im sozialen Rechtsstaat, und wir meinen, daß sich durch die Neubelebung des Erbbaurechtsgedankens diese Bedeutung noch gesteigert hat und weiter steigern wird. Wir sehen allerdings im Erbbaurecht nicht nur ein Mittel zur Eigentumsbildung für breite Schichten unserer Bevölkerung, sondern wir sehen darin zugleich und vor allem ein wichtiges Element für eine neue Bodenordnung.
In den Erbbaurechtsverträgen wird oft vereinbart, daß auf der Grundlage von Gleitklauseln der Erbbaugeber eine Erhöhung des ursprünglich vereinbarten jährlichen Erbbauzinses verlangen kann. Dieser Umstand wäre sicher dann kein Anlaß zu einer Gesetzesinitiative, wenn die Anhebung dieser Zinsen sich in vertretbaren Grenzen gehalten hätte. Aber gerade die Praxis auf diesem Gebiet zeigt, daß dies leider nicht der Fall ist. Viele Zeitschriften, die z. B. meine Fraktion erhalten hat, zeigen eben, daß viele Erbbaunehmer sich Zinsanhebungen in der Größenordnung von oftmals mehreren hundert Prozent gefallen lassen müssen. Wir haben sogar einen Einzelfall, wo die Anhebung 1800 % betragen hat. Derartige Anhebungen, deren Ausmaß oft nicht vorhersehbar ist, können die Erbbauberechtigten in eine ernste wirtschaftliche Situation bringen. Daß es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, hat eine Anhörung von Sachverständigen und Betroffenen im 6. Deutschen Bundestag gezeigt. Ich meine, es ist die Pflicht des Gesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen.
Aus diesem Grunde wird von den Koalitionsfraktionen ausdrücklich anerkannt, daß die Bundesregierung durch die sofortige Wiedereinbringung des Gesetzesvorschlags der vergangenen Legislaturperiode die Möglichkeit geschaffen hat, in diesem Bundestag zu einer baldigen Neuregelung zu kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich stellvertretend für den Herrn Bundesminister der Justiz seinem Staatssekretär, der hier heute ausharrt, für die Vorarbeiten noch einmal recht herzlich danken.
Inhaltlich wird es darum gehen, durch eine gesetzliche Regelung zu einer Verlangsamung des Zinsanstiegs zu kommen und dadurch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Erbbauberechtigten und der Erbbaugeber zu schaffen. Das Erbbaurecht muß seinen ursprünglichen sozialen Charakter wiedererlangen.
Bitte lassen Sie mich im Rahmen dieser ersten Lesung aus der Sicht der Koalitionsfraktionen noch kurz zu drei wesentlichen Punkten Stellung nehmen.
Erstens. Wir sind der Auffassung, daß das Ziel einer Begrenzung des Zinsanstieges durch eine all-
gemeingehaltene Generalklausel allein nicht erreicht werden kann. Eine Vorschrift, die lediglich besagt, daß ein Anspruch auf Erhöhung nur zulässig ist, wenn dies im Einzelfall der Billigkeit entspricht, scheint nicht ausreichend zu sein. Eine solche Billigkeitsklausel würde sowohl bei den Vertragspartnern als auch bei den Gerichten zu neuen Unsicherheiten führen. Sie wäre sicherlich — hier stimmen wir überein — ein Anlaß zu einer steigenden Zahl von gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Was wir wollen, ist ein klarer und handlicher Maßstab für die Begrenzung des Anstiegs der Erbbauzinsen. In der Auseinandersetzung um eine Lösung wurde von seiten des Bundesrates der Vorschlag gemacht, die Steigerung der Lebenshaltungskosten zur Grundlage der Begrenzung zu machen. Ich meine aber, daß die Einführung des Lebenshaltungskostenanstiegs als starre Obergrenze auf entscheidende wirtschaftspolitische Bedenken stößt. Die beiden Koalitionsfraktionen gehen davon aus, daß bei den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages eine Lösung gefunden wird, die zwar vom Grundsatz der Billigkeit ausgeht, dem Richter bei der Entscheidung in der Frage, was im Regelfall billig ist, jedoch die Heranziehung des Lebenshaltungskostenindexes ermöglicht.
Zu dem zweiten wesentlichen Punkt noch eine kurze Bemerkung. Wir sind der Auffassung, daß bei den gerichtlichen Auseinandersetzungen derjenige, der den Erhöhungsanspruch stellt, also der Erbbaugeber, auch die Beweislast dafür zu tragen hat, ob sein Anspruch gerechtfertigt ist oder nicht.
Drittens muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß es in den Erbbaurechtsverträgen unterschiedliche Gleitklauseln gibt. Als Maßstab für die Erhöhung der Zinsen können z. B. die Steigerung der Bodenpreise, aber auch die der Beamtengehälter oder der Weizenpreise vereinbart sein. Eine gesetzliche Regelung zur Begrenzung des Zinsanstieges sollte sich daher nicht auf eine Art solcher möglicher Klauseln beschränken, sondern sich auf alle Anknüpfungspunkte beziehen.
Eine letzte Bemerkung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes. Die beiden Koalitionsfraktionen begrüßen die Tendenz dieses Gesetzentwurfs. Das gilt insbesondere für die Vorschläge zur Verwalterbestellung. Es ist nach unserer Auffassung kein Zustand, wenn Wohnungsbaugesellschaften die Rechte der Wohnungseigentümer durch das unbefristete Installieren von Verwaltern beschneiden. Allerdings wird man über Einzelheiten — das gilt für beide Gesetze — in den Ausschüssen noch eingehend beraten müssen.
Die Koalitionsfraktionen sind entschlossen, die Beratungen dieser Gesetze in den Ausschüssen zügig voranzutreiben. Namens der SPD- und FDP-Fraktion beantrage ich, den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates zuzustimmen.
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Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich schlage Ihnen in beiden Fällen vor: Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — mitberatend —. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
— Drucksache 7/86 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 7/186 —
Berichterstatter: Abgeordneter Amling
Ich danke dem Abgeordneten Amling für seinen schriftlichen Bericht.
Wir kommen zur zweiten Lesung. Ich rufe auf die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 a der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
— Drucksache 7/173 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/219 — Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/217 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
Ich danke den Berichterstattern für ihre schriftlichen Berichte.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt.
Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 b der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu der von der Bundesregierung erlassenen
24. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts-Verordnung
zu der von der Bundesregierung erlassenen
25. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts-Verordnung
— Drucksachen 7/39, 7/151, 7/218
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
Meine Damen und Herren, ich danke dem Abgeordneten Dr. Luda für seinen schriftlichen Bericht.
Das Haus braucht in diesem Fall nur Kenntnis zu nehmen. — Anträge werden nicht gestellt. — Das Haus hat damit Kenntnis genommen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die deutsche Gerichtsbarkeit für die Verfolgung bestimmter Verbrechen
— Drucksache 7/130 —
Nach dem Vorschlag des Altestenrates soll der Gesetzentwurf dem Auswärtigen Ausschuß — federführend — und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
— Drucksache 7/97 —
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß — federführend —, dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — zu überweisen. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
820 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22, Februar 1973
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
Drucksache 7/111
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes
— Drucksache 7/181
Nach dem Vorschlag des Ältestenrats soll der Gesetzentwurf dem Innenausschuß — federführend — und dem Finanzausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes
— Drucksache 7/178
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Innenausschuß — federführend — und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren und des Gutachtens des Sozialbeirats
— Drucksache 7/88 —
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Bericht dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend zu überweisen. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters
--- Drucksache 7/117 —
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rollmann, Dr. Abelein, Frau Stommel, Sauer , Kunz (Berlin), Picard, Schröder (Lüneburg) und Genossen der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters
— Drucksache 7/206 —
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates sollen beide Gesetzentwürfe dem Rechtsausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend — überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge
Drucksache 7/179 Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Innenausschuß — federführend —sowie dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit stehen wir am Ende unserer heutigen Arbeit.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 23. Februar 1973, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.