Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Zweite Steuerreformgesetz liegt dem Bundestag heute als Initiativgesetzentwurf vor. Es ist dem Bundestag schon einmal am 4. Mai vorigen Jahres zugeleitet worden; seinerzeit ist die Beratung nicht mehr möglich gewesen.
Die Bundesregierung legt bei dieser Gelegenheit Wert darauf, zu sagen, daß sie davon ausgeht, daß die Steuerreform eines der wichtigsten Gesetzgebungswerke dieses 7. Bundestages ist. Daß die jetzt geltenden Steuergesetze sozial nicht gerecht sind, ist heute allgemeine Einsicht. Die steuerlichen Lasten sind auf die einzelnen Bürger und auf die gesellschaftlichen Gruppen nicht ausgewogen verteilt.
Es könnte verlocken, in diesem Zusammenhang heute auch einzugehen auf die konjunkturpolitisch indizierten steuerpolitischen Beschlüsse, die die Bundesregierung am letzten Sonnabend gefaßt hat. Aber dazu wird ja Gelegenheit in einer gesonderten ersten Lesung sein, so daß ich das von mir aus heute aussparen möchte. Ich will aber hinzufügen, daß diese Entschlüsse der Bundesregierung die Steuerreform und ihren materiellen Inhalt nicht präjudizieren und nicht beeinträchtigen.
Die sozialliberale Koalition hat sich eine Steuerreform zum Ziel gesetzt, die die Steuerbelastung nach der Leistungsfähigkeit des einzelnen bemißt. Steuerprivilegien soll es in unserem demokratischen Staatswesen ebensowenig geben wie etwa ein Übermaß an steuerlicher Belastung. Nur eine Steuergesetzgebung, die an der Leistungsfähigkeit orientiert ist, wird von den Bürgern als gerecht empfunden werden können. Begründetes Vertrauen in die Steuergerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen aller derjenigen Reformvorhaben, die halt mit Steuermitteln finanziert werden müssen.
Es geht neben der Steuergerechtigkeit bei der Steuerreform auch darum, entbehrliche Komplikationen im Steuerrecht zu beseitigen. Wer aber dergestalt nach Vereinfachungen ruft, muß auch die Ursachen der Kompliziertheiten erkennen, und zwar erstens die wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Zielsetzungen, zweitens die Schließung der vielen Schlupflöcher, die durch geschickte Gestaltung privater Rechtsverhältnisse immer wieder neu geschaffen werden, und drittens das Streben nach Gerechtigkeit im Einzelfall, das hier in diesem Parlament allzuhäufig neue Regelungen, neue Ausnahmen und neue Befreiungen zur Folge gehabt hat und wohl auch weiterhin haben wird.
Zwischen diesen Geboten der Einfachheit und der Gerechtigkeit wird es immer wieder zu Konflikten kommen. Einfachheit zieht oft Ungerechtigkeit oder Härte nach sich. Gerechtigkeit ist umgekehrt oft nur um den Preis der Kompliziertheit möglich. Meine Auffassung ist, daß eine gewisse Entfeinerung des I Steuerrechts im Endergebnis mehr Gerechtigkeit bringen kann als ausgetüftelte Kompliziertheit. Gesetze, die vor lauter Kompliziertheit durch die Finanzämter in der Praxis nicht mehr angewandt werden können, sind nicht nur ungerecht, sondern darüber hinaus gefährlich.
Die Einzelberatung der Reformentwürfe wird deshalb stets berücksichtigen müssen, wie sich die Vorschriften in der Alltagspraxis der Steuerpflichtigen, der Berater und vor allem auch in der Alltagspraxis der heute völlig überlasteten Finanzämter auswirken. Bei den Finanzämtern sind im Laufe der Jahre schwere Engpässe, hervorgerufen durch immer kompliziertere Gesetze, durch die steigende Zahl der Fälle bei anhaltendem Personalmangel, aufgetreten. Es wird großer Anstrengungen bedürfen, um diese Engpässe zu beseitigen. Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, in einer Bestandsaufnahme die gegenwärtige Lage der Finanzverwaltung objektiv und ungeschminkt darzustellen, um auch hieaus für den Gesetzgeber, für den Bundestag und für seinen Finanzausschuß, neue Aspekte für seine Arbeit an der Steuerreform zu gewinnen.
Mit dem Zweiten Steuerreformgesetz, das heute in erster Lesung behandelt wird, liegt dem Parlament ein Kernstück der Reform vor. Es enthält die Reform der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer, der Grundsteuer und Erleichterungen für den gewerblichen Mittelstand bei der Gewerbesteuer. Auch das Erste Steuerreformgesetz, die neue Abgabenordnung, ist ja bereits initiativ wieder eingebracht. Die
800 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Bundesminister Schmidt
Beratungen dieses Ersten Steuerreformgesetzes waren am Ende der vergangenen Legislaturperiode weitgehend abgeschlossen. Ich nehme an, daß sie nicht erneut große Arbeit verursachen werden. Die Arbeiten am Dritten Steuerreformgesetz, das die Einkommen- und Lohnsteuer, die Körperschaftsteuer, die Sparförderung und den Familienlastenausgleich reformieren soll, wird die Bundesregierung möglichst bald abschließen. Sie wird dann auch diesen Entwurf dem Parlament vorlegen.
Ich weiß, daß die nun beginnende Gesetzgebungsarbeit eine große Belastung für das Parlament und seinen Finanzausschuß sowie die damit beschäftigten Beamten der Bundesregierung darstellen wird. Ich möchte deshalb in dem Zusammenhang deutlich sagen, daß die sozialliberale Koalition die ganze Steuerreform will und daß sie sie in dieser Legislaturperiode will.
Aus den Reihen der Unionsparteien waren bisher sehr widersprüchliche Äußerungen zur Steuerreform zu vernehmen. In der vergangenen Woche haben nun Steuerexperten der CDU/CSU-Bundestgasfraktion und die der CDU/CSU angehörenden Länderfinanzminister nach einer Klausurtagung am Tegernsee Empfehlungen ausgesprochen, in denen die Beschlüsse der Bundesregierung weitgehend übernommen werden. Ich finde das nach vielerlei anderen Meinungen, die wir in den letzten Jahren auch gehört haben, durchaus interessant.
Was den Inhalt des heute zur Debatte stehenden Gesetzes angeht, so möchte ich einige wenige Schwerpunkte herausgreifen. Bei der Reform der Vermögensteuer wird durch hohe Freibeträge für eine Entlastung der kleineren Vermögen gesorgt. Zum Beispiel werden die Freibeträge bei einem Ehepaar mit zwei Kindern von rund 100 000 DM auf rund 280 000 DM erhöht. Dadurch wird erreicht, daß sich auch die höheren Einheitswerte des Grundbesitzes bei kleineren Vermögen steuerlich nicht belastend auswirken.
Außerdem wird der Steuersatz bei natürlichen Personen von 1 '0/o auf 0,7 °/o herabgesetzt. Es wird dabei berücksichtigt, daß die Vermögensteuer künftig nicht mehr bei der Ermittlung der Einkommensteuer abgezogen werden kann. Von dieser Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer haben ja bisher die Bezieher von Großeinkommen extrem profitiert.
Zweites Beispiel: Auch bei der Erbschaftsteuer werden zur Schonung von kleineren und mittleren Vermögen die Freibeträge erheblich angehoben. Wenn eine Witwe beispielsweise heute einen Freibetrag von 30 000 oder 250 000 DM hat — je nachdem, ob gemeinsame Kinder vorhanden sind —, so wird in Zukunft für die Witwe auf jeden Fall ein Freibetrag von insgesamt 500 000 DM zur Verfügung stehen. Bei der Gestaltung des Tarifs wird darauf geachtet, daß kleinere und mittlere Erbschaften geringer besteuert werden als große. Bei Erbschaften im engeren Familienkreis wird sich die Steuerbelastung in der Regel erst bei Millionenvermögen erhöhen.
Ein drittes Beispiel: Die Reform der Gewerbesteuer befreit künftig alle Gewerbeerträge bis 12 000 DM ganz von der Steuer. Die darüber liegende Zone mit einer ermäßigten Steuer wird erweitert. Alles in allem wird rund die Hälfte aller Betriebe künftig keine Gewerbeertragsteuer mehr zu zahlen haben, eine, wie ich meine, ins Gewicht fallende Erleichterung für den Mittelstand.
Das Zweite Reformgesetz schafft vor allem auch die Grundlage für die Anwendung der neuen Einheitswerte für den Grundbesitz. Wenn ich mich soeben nicht gescheut habe, diese Einheitswerte nach den Verhältnissen des Jahres 1964 „neu" zu nennen, obgleich seither auch schon bald wieder ein ganzes Jahrzehnt vergangen sein wird, dann nur deshalb, weil ja gegenwärtig immer noch die Wertverhältnisse des Jahres 1935 zugrunde gelegt werden. Man muß sich einmal klarmachen, was es bedeutet, daß bei der Vermögensteuer, bei der Erbschaftsteuer und bei der Grundsteuer der Grundbesitz mit fast 40 Jahre alten Werten angesetzt ist. Im Klartext heißt das: Grundbesitz wird nur mit 10 bis 15 %o seines wirklichen Wertes herangezogen, die übrigen Bestandteile des Vermögens aber unterliegen mit ihren tatsächlichen Werten der Vermögen-und Erbschaftsteuer.
Daraus ergibt sich eine unerträgliche Ungleichmäßigkeit der Besteuerung, die unser höchstes Steuergericht veranlaßt hat, die Vollziehung von Erbschaftsteuerbescheiden auszusetzen. Möglicherweise läßt auch ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr allzulange auf sich warten. Es würde schwere Verantwortung auf den Bundestag laden, wenn der Gesetzgeber dem nicht zuvorkommen und wenn er nicht die Voraussetzung für die Anwendung der neuen Einheitswerte schnell schaffen würde.
Man muß sich vor Augen halten, daß es dabei auch noch um ein anderes Problem geht. Die einseitige steuerliche Bevorzugung des Grundbesitzes hat seit langem eine „Flucht in die Sachwerte" genannte Bewegung begünstigt, hat die Bodenspekulation gefördert und hat damit die Steigerung der Bodenpreise beschleunigt. Den Städten und den Gemeinden sind dadurch hohe, zu hohe Lasten entstanden.
Aus all diesen Gründen möchte ich die Bitte aus sprechen, durch eine zügige Beratung des Zweiten Steuerreformgesetzes die baldige Anwendung zeitgemäßerer Einheitswerte möglich zu machen. Dabei ist die Reform des Grundsteuergesetzes besonders dringlich. Wenn die auch von den Gemeinden dringend gewünschte Neuregelung zum 1. Januar 1974 wirksam werden soll, so müssen dafür noch im Jahre 1973 die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Daraus wieder ergibt sich die Notwendigkeit, das neue Grundsteuergesetz noch in diesem Frühjahr zu verabschieden. Die Gemeinden hoffen, daß dies auch tatsächlich durch gemeinsame Anstrengungen möglich gemacht werden kann.
Anschließend sollte wegen des verfassungsrechtlichen Drucks, der hier besonders stark ist, die Reform der Erbschaftsteuer durchgeführt werden.
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 801
Bundesminister Schmidt
Hier würde für ein Wirksamwerden der Neuregelung zum 1. Januar 1974 eine Verabschiedung des Gesetzes im Herbst des Jahres 1973 ausreichen.
Lassen Sie mich am Schluß eine Bemerkung machen zur Kraftfahrzeugsteuer. Die Bundesregierung bereitet zur Zeit auf diesem Felde einen aufkommensneutralen Reformentwurf vor. Die Reform wird also das Aufkommen an Kraftfahrzeugsteuer insgesamt nicht verringern, auch nicht vermehren. Sie wird deshalb keine Auswirkung auf die Mineralölsteuer haben.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.