Rede von
Heinz
Frehsee
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Anzahl der Vorredner hat schon zu einzelnen Aspekten der landwirtschaftlichen Sozialpolitik Stellung genommen. Erlauben Sie mir, daß ich noch einmal ein wenig zusammenhängend zu diesem wichtigen Bereich der Agrarpolitik spreche, dessen Bedeutung durch eine Bemerkung des Bundeswirtschaftsministers deutlich geworden ist, der darauf hingewiesen hat, daß der Haushalt des Landwirtschaftsministers im Jahre 1973 allein für die landwirtschaftliche Sozialpolitik 1,9 Milliarden DM enthalten werde. Lassen Sie mich hinzufügen, daß das 34 °/o des Gesamthaushalts des Landwirtschaftsministers sein werden. Bis zum Jahre 1975 wird dieser Betrag auf 2,4 Milliarden DM oder 47 °/o des Gesamtetats ansteigen.
Wir stehen damit gar nicht allein. Ein ähnliches Bild bietet sich beim Blick über unsere nationalen Grenzen. Nicht nur im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch im übrigen benachbarten Ausland steigen die staatlichen Ausgaben, die der sozialen Sicherung der Landwirte dienen, ständig an. Der Grund dafür ergibt sich aus einem Satz des Herrn Bundesministers vom vergangenen Freitag: Mit solchen sozialen Mitteln soll dieser gewaltige Strukturwandel, von dem Herr Sander gesagt hat, er sei der gewaltigste in der deutschen Volkswirtschaft seit 1945, auch weiterhin sozial erträglich gestaltet werden.
Mit der Sozialpolitik soll der Strukturwandel sozial erträglich gestaltet werden!
Die Gründe für diese in den 50er Jahren für weite Teile dieses Hauses nicht vorstellbare Entwicklung liegen darin, daß sich die Landwirtschaft den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft stellt, daß sie sich den ökonomischen Verhaltensweisen anpaßt und ihre Wertvorstellungen überprüft und ändert, auch die politischen. Während noch bei der Schaffung der Altershilfe für Landwirte im Jahre 1957 die Auffassung vorherrschend war, daß eigentlich der landwirtschaftliche Betrieb die Sicherung der bäuerlichen Familie gewährleiste, hat sich jetzt die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch die Existenz der Betriebsinhaberfamilie wie die der Landarbeiterfamilie nicht durch soziale Risiken gefährdet werden darf, sondern daß diese Risiken im Rahmen gesetzlicher Versicherungssysteme umfassend abgesichert werden müssen.
Die sozialliberale Koalition hat dieser Erkenntnis entsprochen, als sie das umfassende System der sozialen Sicherung geschaffen hat, von der der Agrarbericht spricht und dessen Schlußstein das Gesetz über Krankenversicherung der Landwirte war, das am vergangenen 1. Oktober in Kraft getreten ist.
Obwohl zu Recht von dem Schlußstein gesprochen wird, stimmen wir mit dem Agrarbericht, mit den Ausführungen des Herrn Bundesministers und auch mit den Bemerkungen des Herrn Kollegen Kiechle überein, daß noch eine Abrundung vorgenommen
762 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Frehsee
werden muß, um die soziale Parität für die landwirtschaftliche Bevölkerung herzustellen, soziale Parität nicht nur im Sinne einer Gleichstellung mit anderen Berufsgruppen, sondern auch im Sinne einer Harmonisierung der staatlichen agrarsozialen Maßnahmen in der europäischen Gemeinschaft.
Wie der Agrarbericht ankündigt, werden die Unfallrenten für Landwirte zum 1. März 1973 verbessert werden. Die Vollrente wird dann von jetzt 340 DM auf 400 DM im Monat steigen. Im gleichen Verhältnis werden sich die Schwerverletzten-Zulagen erhöhen. Diese sehr zu begrüßenden Leistungsverbesserungen werden nur möglich, weil wieder ein Bundeszuschuß, und zwar in Höhe von 300 Millionen DM, zur Verfügung gestellt worden ist. Beitragserhöhungen werden sich in engen Grenzen halten können.
Erfreulich und von großer Bedeutung ist auch die Neuregelung, die von der Bundesregierung in dem gestern als Bundesratsdrucksache in die Fächer gelegten Entwurf eines Sechzehnten Rentenanpassungsgesetzes vorgeschlagen worden ist. Danach soll die Bemessungsgrundlage für die Unfallrenten ab 1. Januar 1975 — dem Punkt 5 Ihres Entschließungsantrages, zumindest im zweiten Teil, ist damit entsprochen — auf 50% der Bruttolohn- und -gehaltssumme des vorvergangenen Jahres festgesetzt werden. Die Unfallrenten selbst sollen in die allgemeine jährliche Anpassung einbezogen werden. Sie sollen dynamisiert werden. Dies ist ein entscheidender Schritt in Richtung Gleichstellung der Unfallverletzten Landwirte mit allen Unfallrentnern, mit dem die Nachteile des geltenden Bemessungssystems endlich ausgeräumt werden.
Auf diesem Gebiet scheint mir noch erforderlich zu sein, bei Arbeitsunfällen von Nebenerwerbslandwirten im landwirtschaftlichen Betrieb endlich zu einer Unfallrente zu kommen, die sich nach dem tatsächlichen Arbeitsverdienst aus dem Hauptberuf errechnet. Ich fasse mich sehr kurz und führe es daher nicht weiter aus.
Auch die Ankündigung des Agrarberichts, daß die Bundesregierung eine Novelle zum Gesetz über die Altershilfe für Landwirte vorlegen werde, die möglichst, so steht es dort, zum 1. Januar 1974 in Kraft treten soll, entspricht unseren Vorstellungen. Die Altersgeldhöhe soll nach der Dauer der Beitragsleistung gestaffelt und das Altersgeld dynamisiert werden. Dynamisierung der Unfallrente und des Altersgeldes werden in diesem Agrarbericht als Vorhaben der Bundesregierung genannt. Das verdient besonders unterstrichen und hervorgehoben zu werden. Damit wird die Frage der Altersgelderhöhung aus der politischen Diskussion herausgenommen. Den Altersgeldempfängern wird das Gefühl der Gleichbehandlung gegeben werden.
In diesem Zusammenhang scheint mir ein kurzes Wort der Anerkennung gegenüber den Trägern der landwirtschaftlichen Altershilfe angebracht zu sein. Die Aufwendungen der 19 Alterskassen werden in diesem Jahr die Milliardengrenze überschreiten. Für das Altersgeld werden 946, für die Heilkuren 60 Millionen DM aufgewandt. Mit der Gestellung von Ersatzkräften — das haben wir dort eingeführt
funktioniert es ganz ausgezeichnet. Daneben haben diese Alterskassen 1972 den Aufwertungsausgleich durchgeführt und die Liquiditätshilfe von 1971 abgewickelt. Hierfür und für die Zuschüsse zur Beitragsnachentrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung wurden 800 Millionen DM Bundesmittel ausgegeben.
Die Verwaltungskosten das muß hier einmal
erwähnt werden — sind nach wie vor bemerkenswert niedrig. Bezogen auf die gesamten Aufwendungen, liegen sie bei knapp 2 %.
Gleiche Anerkennung gebührt auch den bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gebildeten landwirtschaftlichen Krankenkassen. Sie haben die ihnen relativ kurzfristig übertragene Aufgabe der Einführung der landwirtschaftlichen Pflichtkrankenversicherung trotz großer Anlaufschwierigkeiten glänzend gelöst. Das spreche ich im vollen Bewußtsein der Bedeutung dieses Superlativs aus. Die Konzeption dieses landwirtschaftlichen Sozialwerks, der Zusammenfassung der verschiedenen Träger der sozialen Sicherung, hat sich allen negativen Voraussagen und allen auch hier geäußerten Befürchtungen zum Trotz glänzend bewährt.
— Die Beiträge liegen zwischen 39 und 135 DM im Monat, Herr Kollege Stücklen, und bewegen sich durchaus im Rahmen der Ortskrankenkassenbeiträge.
— Um allen Unkenrufen zu begegnen, lieber Herr Kollege Stücklen, fordern wir doch mit unserer Entschließung Drucksache 7/220 die Bundesregierung auf — ich bitte Sie, Herr Präsident, die Beschlußfassung über diesen Entschließungsantrag sofort herbeizuführen und ihn nicht erst dem Ausschuß zu überweisen —, bis zum 1. Oktober 1973 uns über das Funktionieren der Krankenversicherung der Landwirte zu berichten. Wir werden dann feststellen, was geändert werden muß.
Ich will hier noch zwei Dinge ansprechen, nachdem auch Herr Kollege Kiechle davon gesprochen hat.
Zunächst geht es um die Beitragspflicht der bisher auf Bundesbehandlungsschein beitragsfrei versicherten Kriegsopfer. Sie haben gesagt, das sei eine skandalöse Sache. Herr Kiechle, das ist ein großes, ein etwas böses Wort. Die vielen Kriegsopfer, die Arbeitnehmer sind, müssen auch Krankenversicherungsbeiträge zahlen.
Es ist doch sehr schwierig, hier eine Sonderregelung herbeizuführen. Trotzdem sind wir mit Ihnen einig, daß Erleichterungen herbeigeführt werden müssen.
Zweitens möchte ich etwas zu dem Beitrag der mitarbeitenden Familienangehörigen sagen, der mit zwei Dritteln des Unternehmerbeitrags zu hoch erscheint. Aber seien wir uns darüber klar, daß eine
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Senkung dieses Beitrags, die nach den ersten Erfahrungen der landwirtschaftlichen Krankenversicherung im Grunde auch wir für erforderlich halten, zu einer Erhöhung des allgemeinen Niveaus der Unternehmerbeiträge führen wird.
Ein letztes Kapitel. In seiner Einbringungsrede hat der Herr Bundesminister auch einige Bemerkungen zur sozialen Sicherung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer bzw. der ehemaligen landwirtschaftlichen Arbeitnehmer gemacht. Er erklärte, daß die Bundesregierung die Bemühungen der Tarifvertragsparteien in der Landwirtschaft, noch bestehende Nachteile durch eine zusätzliche Altersversorgung abzubauen, mit Interesse verfolge. Die Tarifvertragsparteien, die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft und die Arbeitgeberverbände, haben bereits vor Jahresfrist einen Tarifvertrag abgeschlossen, demzufolge die landwirtschaftlichen Arbeitgeber einen Monatsbetrag von 10 DM für jeden beschäftigten landwirtschaftlichen Arbeitnehmer abführen, der mit Hilfe eines Zuschusses des Bundes zu einer Aufstockung der Altersrente um 2 50 DM Monat für jedes der Landwirtschaft
verbrachte Jahr — das ist die Konzeption — führen soll. Es ist doch bekannt, daß die Landarbeiterlöhne immer sehr niedrig waren und heute noch niedrig sind. Der Agrarbericht weist einen Abstand von 32 O/o aus. Dementsprechend niedrig sind die Altersrenten. Zusätzlich sinkt der Lebensstandard der ehemaligen Landarbeiter im Alter immer noch dadurch ab, daß die zum Lohn gewährten Naturalleistungen dann entfallen. Diese Zusatzversorgungskasse für Landarbeiter würde den Rentenabstand um einiges verringern. Das wäre eine Maßnahme, die ein Pendant zur landwirtschaftlichen Altershilfe und zu der Nachversicherung in der Rentenversicherung wäre. Und was den Bauern recht ist, sollte den Landarbeitern billig sein.
Jenen gewähren wir 1,1 Milliarden DM, und für diese Regelung brauchen wir 21 Millionen DM.