Rede von
Ignaz
Kiechle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Kollege Schneider, ich bedanke mich für diese Zwischenfrage. Ich möchte sie von der Antwort her mit einem Zitat ergänzen, das aus der „Kölnischen Rundschau" stammt. Hier heißt es:
Während linke Sozialisten das Eigentum an Grund und Boden abschaffen wollen, bleibt bei den kirchlichen Vorschlägen die grundsätzlich gewährleistete Eigentumsordnung verbindlich, aber in ihrer jetzigen Struktur auch änderungsbedürftig.
Dagegen hat ja niemand etwas.
744 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Kiechle
Jedenfalls, Herr Bundesminister, liefern Ihre beiden Regierungsparteien fortwährend und nicht nur verbal, sondern auch durch Beschlüsse und Aktivitäten den Beweis dafür, daß unsere Befürchtungen berechtigt sind. Im Gegensatz zu solchen Absichten und Verlautbarungen hat die CDU/CSU stets das Eigentum geschützt, Eigentumsbildung gefördert und damit ein bedeutendes Stück persönlicher Freiheit garantiert und verwirklicht. Daran hält sie auch fest.
Meine Damen und Herren, wir alle sehen seit langem einen Eckpfeiler der Agrarpolitik in der Agrarsozialpolitik. Mit der Einführung von Altershilfe und Landabgaberente hat die CDU/CSU dieses Werk begonnen.
Wir haben mit unseren eigenen Vorschlägen und
unserer Mithilfe zur Weiterentwicklung beigetragen.
— Dies wird, Herr Kollege Wehner, auch in dieser Legislaturperiode geschehen. Dynamisierung der Altershilfe, Zusatzversicherung für Landarbeiter, die dringende Erhöhung der Unfallrente, die Fortentwicklung der Altershilfe zu einer bäuerlichen Vollversicherung finden grundsätzlich unsere Unterstützung.
— Sie bewegt sich mehr, als Ihnen gelegentlich noch lieb sein wird.
Weil Sie gerade von Bewegung sprechen— die kann gelegentlich auch in eine falsche Richtung gehen, Herr Kollege Wehner —, darf ich noch ein Wort zur Krankenversicherung der Landwirte sagen. Wie ich es schon vor einem Jahr von dieser Stelle aus gesagt habe, bedauern wir noch heute die Entscheidung von SPD und FDP, den Bauern den Anschluß an die AOK zu verweigern. Viele Schwierigkeiten, die jetzt auftreten und Übergangsschwierigkeiten genannt werden, hätten vermieden werden können. Jetzt — das möchte ich ausdrücklich betonen — muß allerdings die Krankenversicherung der Landwirte voll funktionsfähig gemacht werden. In dem Zusammenhang fordern wir die Bundesregierung auf, in der Frage der Beitragspflicht für kriegsbeschädigte Landwirte unverzüglich den alten sozialen Besitzstand wiederherzustellen
oder eine vergleichbare Ersatzlösung zu schaffen. Kriegsbeschädigte Bauern haben es in ihrem Beruf schwer genug.
Die Vorteile des Schwerbeschädigtengesetzes können sie kaum in Anspruch nehmen. Jetzt hat ihnen das neue Gesetz die beitragsfreie Heilbehandlung genommen. Sie fühlen sich deswegen mit Recht ungerecht behandelt. Selbst wenn aus Gleichheitsgründen die Beitragspflicht aufrechterhalten bleiben müßte, müßte doch wenigstens eine Beitragserstattung in Höhe des Rentnerbeitrags möglich gemacht werden. Denn der jetzt geschaffene Zustand, meine Damen und Herren, ist mit Verlaub gesagt, skandalös, ungerecht und unseres Sozialstaates unwürdig.
Es gibt noch einen Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte; ich mache dabei gar keinen Vorwurf, er ist einfach so entstanden. Nebenerwerbslandwirte, die aus der Versicherungspflicht der AOK wegen Erreichung der Beitragsbemessungsgrenze ausscheiden müssen, können sich nicht freiwillig weiterversichern, sondern werden wieder bei der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig. Dort sind sie dann ohne Krankengeld versichert. Sie brauchen aber keinen Betriebshelfer, sondern eben ihren Monatsverdienst als Krankengeld. Man sollte sie daher in der AOK belassen.
Keineswegs, Herr Bundesminister, ist Ihr einzelbetriebliches Förderungsprogramm so erfreulich, wie Sie behaupten, insbesondere in seiner Auswirkung für die Struktur unserer Landwirtschaft. Die bisherigen Regionalisierungsmöglichkeiten sind unzureichend. Wir könnten uns heute beinahe schon darüber verständigen, daß eigentlich nur durch verstärkte Regionalisierung die Praktikabilität der Förderung verbessert werden könnte. Hier hat die Zustimmung der Bundesregierung zur gemeinsamen Strukturpolitik der EWG einen diesem Ziel völlig entgegenstehenden Zustand geschaffen, hier haben Sie, Herr Bundesminister, eine teure, unzweckmäßige und voreilige Unterschrift geleistet. Mein Kollege Bewerunge hat heute schon darüber gesprochen. Ich nenne noch ein Beispiel. In der berühmten Richtlinie 159 steht folgender Satz:
Die Mitgliedstaaten können in bestimmten Gebieten, in denen die Erhaltung eines Minimums an Bevölkerungsdichte nicht gewährleistet und die Aufrechterhaltung der Landbewirtschaftung für die Erhaltung der Landschaft unbedingt erforderlich ist, eine besondere Beihilferegelung einführen.
Es sind beide Kriterien gefordert, sowohl das Vorliegen der Gefahr einer zu geringen Besiedlung als auch die Notwendigkeit der Landbewirtschaftung für die Erhaltung der Landschaft. Wo gibt es in der Bundesrepublik Gebiete, auf die beide Kriterien gleichzeitig zutreffen? Wir haben doch kaum Gebiete, wo die Bevölkerungsdichte so gering ist, daß man das Gebiet unter die EWG-Richtlinie bringen könnte. Wir haben aber sehr wohl Gebiete, wo wir aus öffentlichen Bedürfnissen die Landschaft erhalten müßten. Diese Unterschrift wird Ihnen, aber leider Gottes uns allen zusammen, noch viel Ärger bringen.
Die Förderung für Investitionen der Landwirtschaft ist so zu differenzieren — ich nenne das in diesem Zusammenhang —, daß Viehhaltungsbetriebe ihre hohen Investitionskosten tätigen können. Besondere Unterstützung braucht das absolute Grünland in den strukturschwachen Gebieten und in
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 745
Kiechle
klimatisch benachteiligten Zonen. Denn auch in diesen Gebieten, Herr Bundesminister, werden wir ohne intensive Landwirtschaft langfristig nicht auskommen, da sonst in diesen Regionen eben keine Vollerwerbsbetriebe lebensfähig bleiben. Sie sind aber ihrerseits die Voraussetzung dafür, daß es dort funktionsfähige Nebenerwerbsbetriebe geben kann, die dort genauso erforderlich, in manchen Bereichen sogar am ehesten existenzfähig sind. Ich füge hinzu, daß wir insbesondere in diesem Produktionszweig und diesen Gebieten Investitionsbeihilfen im unteren Finanzierungsbereich als Hilfe zur Selbsthilfe brauchen.
Beides zusammen, also Voll- und Nebenerwerbsbetriebe einschließlich des Zuerwerbs zusammen, sind die innerlandwirtschaftliche Struktur, die sich organisch herausbildet. Diese Struktur sollten wir als Ganzes sehen und voll im Förderungsprogramm berücksichtigen.
Ein Wort zu den Bergbauern! Herr Bundesminister, ich bin enttäuscht, daß Ihre Regierung oder Ihr Haus lediglich auf die Vorschläge der Kommission in Brüssel in bezug auf „Grundzüge für die besondere Förderung von Bergbauerngebicten" hingewiesen hat. Ich hatte erwartet, daß die Bundesregierung nicht nur solche Vorschläge prüfen will, sondern selber Vorschläge machen würde. Es gab doch viele Ankündigungen von Ihnen, es gab sogar Behauptungen eines Ihrer Kollegen, daß ein solches Konzept fertig vorliege. Ich frage: Wo ist es nun? Wo sind die Ideen? Prüfung von Kommissionsvorschlägen ist bestenfalls eine Maus, die von einem Berg geboren worden ist.
Meine Damen und Herren! Neben der Produktion entscheidet auch eine moderne Vermarktung über die Einkommensentwicklung der Bauern. Die Stellung der Landwirtschaft am Markt gilt es daher fortlaufend zu verbessern. Hier treffen sich die Grundüberlegungen mit Sicherheit mit den von Herrn Dr. Schmidt hier vorgetragenen. Aber es gilt dabei der Satz, daß wir in diesem Prozeß keine Marktanteile verlieren dürfen. In dieser Hinsicht hat die Währungspolitik der Bundesregierung der letzten Monate der Landwirtschaft einen schlechten Dienst erwiesen. Es sind Marktanteile dadurch verschenkt worden.
Bei der Hilfe, die die Landwirtschaft hinsichtlich ihrer Marktstellung braucht, sollte auch auf die großen Markterfahrungen bestehender privater und genossenschaftlicher Einrichtungen zurückgegriffen werden. Sie sollten in ein Gesamtkonzept eingebunden werden, das neben Chancengleichheit ein Miteinander ermöglicht und ein Aufsplittern landwirtschaftlicher Marktkräfte vermeidet.
Immer mehr Bedeutung gewinnen die Nebenerwerbslandwirte in der Agrarpolitik, hier besonders bezogen auf Funktionen wie gesunde Umwelt, Landschaftspflege und die Besiedlung strukturschwacher Gebiete. Diese Entwicklung steht im Gegensatz zu früheren Prognosen, besonders zu solchen sozialdemokratischer Agrarpolitiker. Sie ist jetzt mit Recht Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des Agrarberichts. Bei den Nebenerwerbslandwirten kommen rund zwei Drittel ihres Einkommens aus außerlandwirtschaftlichem Verdienst. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch sie die Landwirtschaft rentabel betreiben müssen. Es wäre nämlich nicht haltbar, wenn das außerlandwirtschaftliche Einkommen zur internen Subvention des Betriebes benutzt werden müßte, und das sollte künftig im Agrarbericht noch besser ausgewiesen und untersucht werden.
Dann ergeben sich nämlich auch ein klares Bild und zuverlässige Beurteilungskriterien. Bis heute jedenfalls besteht die Gefahr der Fehlinterpretation hinsichtlich des Einkommens der Nebenerwerbslandwirte aus ihrem Nebenerwerbsbetrieb. Klar hat sich herausgestellt, daß rund 65% aller Betriebe Deutschlands Zu- und Nebenerwerb haben. Damit ist auch ausgesprochen, daß jede sinnvolle Agrarpolitik diese Betriebskategorie anerkennen und berücksichtigen muß. Das Konzept von der Partnerschaft der Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe hat damit eine eindrucksvolle Bestätigung gefunden. Gegen die Mansholt-Jünger und reinen Betriebsökonomisten hat sich in diesem Zusammenhang Bayerns Landwirtschaftsminister Eisemann durchgesetzt und zunehmende Anerkennung gefunden.
Der bayerische Weg war die Gegenkonzeption, die jetzt — zwar ungenannt — im Agrarbericht der Bundesregierung in Ansätzen wiederzufinden ist. Diese Konzeption erkennt auch der Ministerrat in Brüssel prinzipiell als Möglichkeit in der Agrarpolitik an. Sie sollte also konsequent und regional abgestuft weiterentwickelt werden.
Noch ein Wort zur Qualifikation der Betriebsleiter im Zusammenhang mit dem Betriebseinkommen. Innerhalb der gleichen Kleinregion sind derart große Unterschiede — ich komme aus einer solchen Region — hinsichtlich Bodenqualität, Geländebeschaffenheit, Kleinklima, durchschnittlicher Jahrestemperatur und anderer gegebener Faktoren möglich, daß eine so pauschale Wertung, wie sie hier im Agrarbericht vorgenommen ist, einfach nicht zutrifft. Sie trifft auch keine objektiv gerechte Qualifizierung. Zwar ist jede Mark, die wir in die Aus- und Weiterbildung unserer Bauern stecken, sicher gut angelegt, aber daraus kann nicht abgeleitet werden, daß mehr Betriebsleiterqualität automatisch mehr Einkommen bedeutet.
Meine Damen und Herren, jene Prediger, die immer wieder verkünden, daß Erzeugerpreiserhöhungen für die Landwirtschaft keinen Sinn hätten es gibt eine ganze Menge davon — hat dieser Agrarbericht widerlegt. Statt 80 000 sind rund 20 000 Bauernhöfe in einem Jahr aufgelöst worden, statt 120 000 sind 90 000 Arbeitskräfte abgewandert. Der Strukturwandel hat sich also erträglicher gestaltet. Dies ist ein Beweis dafür, daß er im Berichtsjahr vorher, also 1970/71 entgegen den Behauptungen, die hier aufgestellt worden sind, unter Preisdruck gestanden hat.
Unsere junge Bauerngeneration wird wieder Mut fassen, wenn die Industriegesellschaft sie nicht im
746 Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Kiechle
Stich läßt. Wenigstens ein geringes Mehr als die Inflationsraten muß durch Erzeugerpreise aufgefangen werden.
Dabei wird sich eben, wie wir längst immer wieder gesagt haben, erweisen, daß, je geringer diese Inflationsraten sind, desto leichter diese für die Landwirtschaft lebensnotwendige These zu verwirklichen ist.
Die Industriegesellschaft braucht die Landwirtschaft nicht nur wegen der Sicherung des Minimums der täglichen Ernährung, sondern vor allem auch wegen der sozialen Nebenleistungen wie Umwelt, Erholungslandschaft, ganz besonders aber auch wegen der Garantie, im eigenen Lande gesunde Lebensmittel produzieren zu können.
Diese Industriegesellschaft sollte deswegen der Landwirtschaft und insbesondere den jungen Bauern das auch gelegentlich sagen, daraus die Konsequenzen ziehen und mit langfristigen Zusicherungen und Taten wieder mehr Mut in die junge Generation tragen. Niemand ist dazu mehr berufen als die Vertreter des Volkes, nämlich dieses Parlament. Wenn wir das gemeinsam tun — und ein solcher Weg sollte möglich sein —, erbringt die bäuerliche Landwirtschaft auch alle die Eigen- und Gegenleistungen, die unsere Gesellschaft von ihr erwarten darf und kann.