Rede von
Dr.
Manfred
Vohrer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir Liberalen sind auch in der 7. Legislaturperiode mit der Zielsetzung angetreten, das gegebene Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu verbessern, nicht zu überwinden. Unter diesem Blickwinkel müssen wir die von uns vorangetriebenen großen Reformwerke sehen, die auf dem Programm der sozialliberalen Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen stehen. Das Kartellgesetz, die Fortentwicklung der Mitbestimmung, das Vermögensbildungsgesetz, die Strafrechtsreform und die Novellierung des Bundesbaugesetzes, um nur einige zu nennen, gehören hierzu in gleichem Maße wie das heute zur Debatte stehende Zweite Steuerreformgesetz.
Wenn gerade die Steuerreform in der Öffentlichkeit so heiß diskutiert wird, so ist das vorrangig darauf zurückzuführen, daß nahezu jeder die Auswirkung dieses Gesetzes am eigenen Geldbeutel verspürt: Die einen in einer Erhöhung der verfügbaren Einkommen — dies werden die_ Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen sein —, die anderen in einer gewissen Reduzierung; dies sind insbesondere die Gruppen, die bisher wegen der geringen Einheitswerte beim Grundbesitz geschont worden sind.
Wir Liberalen sind uns dabei aber bewußt, daß es für die Fiskalpolitik psychologische Schwellenwerte gibt, die eine solche Verschiebung zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und Einkommenskategorien in relativ engen Grenzen halten müssen. Konfiskatorische Steuersätze, die den Leistungsanreiz des Individuums oder den Willen zur Vermögensbildung abtöten, werden deshalb von uns entschieden abgelehnt.
Das System der sozialen Marktwirtschaft beruht auf der Initiative des einzelnen. Unternehmerische Leistungen müssen deshalb in gleicher Weise Belohnung finden wie überdurchschnittliche Leistungen in allen anderen Arbeitsbereichen. Ein Steuersystem, das solche leistungsstimulierenden Impulse verkümmern läßt, ist deshalb dazu geeignet, das gesamte System zu gefährden. Diese Zusammenhänge und Grundprinzipien unseres Wirtschaftssystems wurden in den von uns mitgetragenen Eckwertbeschlüssen erkannt und beachtet.
Deutscher Bundestag—7 Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 805
Dr. Vohrer
Die im Juni und Oktober des Jahres 1971 von der Bundesregierung beschlossenen Eckwerte und Grundsätze zur Steuerreform stellen ein in sich ausgewogenes System von Steuerentlastungen und Steuerbelastungen mit dem Ziel dar, ein gerechteres, durchschaubares und modernes .Steuerrecht zu schaffen. Diese Eckwerte und Grundsätze zur Steuerreform sind auch Grundlage der Koalitionsvereinbarung der beiden Koalitionsfraktionen, und zwar nicht nur in bezug auf die Höhe der einzelnen Steuerarten, sondern auch was den Zeitraum der Verwirklichung der Steuerreform anbetrifft.
Die Fraktion der FDP tritt in dieser Koalition mit der glasklaren Zielsetzung an, die Steuerreform in dieser Legislaturperiode über die Bühne zu bringen.
Wir sind uns dabei bewußt, was dies für einen Arbeitsaufwand im Finanzausschuß mit sich bringt, zumal in diesem Gremium nunmehr auch noch konjunkturelle und währungspolitische Entscheidungen zur Beratung anstehen. Niemand wird uns jedoch den Peter des Bremsers zuspielen können, wenn es daran geht, die Steuerreform gemäß den Eckwertbeschlüssen zu verwirklichen.
Lassen Sie mich noch kurz auf drei Versprechungen meiner Partei eingehen, zu denen wir nach wie vor stehen:
1. Wir sehen die Steuerreform nicht mit einer generellen Steuererhöhung verbunden an, durch die sich der Bund so ganz nebenbei die Taschen füllt. Wir verlangen deshalb die Aufkommensneutralität der Steuerreform, wie sie auch bei den geschätzten Mehr- und Mindereinnahmen der einzelnen Steuerarten in den quantitativen Berechnungen zu den Eckwertbeschlüssen ihren Niederschlag gefunden haben.
Benötigt der Staat zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben mehr Einnahmen, so bedarf es hierzu keineswegs einer Steuerreform. Die Erhöhung einzelner Steuerarten zur Beschaffung der notwendigen Haushaltsmittel, wie sie erst in jüngster Zeit im Betrieb der Mineralölsteuer praktiziert wurde, hat mit der Steuerreform als solcher nichts zu tun. Auch konjunkturell bedingte Steuererhöhungen, wie sie im Sachverständigengutachten als Maßnahme zur Geldwertstabilität vorgeschlagen und im Kabinett am vergangenen Samstag teilweise und in veränderter Form beschlossen wurden, sind unabhängig von der Steuerreform zu sehen.
In diesem Zusammenhang darf ich an die Adresse von Herrn Barzel eine Bemerkung richten. Wenn er einerseits von dieser Bundesregierung mehr Maßnahmen zur Geldwertstabilität fordert und den ersten Schritt auf diesem Weg als finanzpolitischen Offenbarungseid bezeichnet, darf ich ihm den guten schwäbischen Rat geben: Bei aller Liebe zur Aktualität empfiehlt es sich doch manchmal, erst einmal darüber zu schlafen, bevor man sich mit unüberlegten Äußerungen in der Öffentlichkeit hervortut. Und dann sollte die Opposition auch ein-
mal darüber nachdenken, was man nun tatsächlich möchte, mehr Geldwertstabilität oder Kritik um der Kritik willen.
Doch zurück zu den Versprechungen der FDP:
2. Vor einer Erhöhung der Steuerlastquote und auch vor der Erhöhung einzelner Steuerarten sehen wir die Möglichkeit der Einsparung bei einigen Ausgabetiteln des öffentlichen Haushalts. Zumindest müssen, was den Bund betrifft, bei einem Wachstum des Bundeshaushalts 1973 um 9,7% nicht alle Positionen mit dieser Steigerungsrate anwachsen. Den Politikern kommt dabei die Aufgabe zu, konsequentere Prioritätenlisten aufzustellen. Vor Steuererhöhungen steht für uns das Durchforsten des Subventionswaldes, denn noch immer gibt es genügend Subventionen, die nicht mehr in die politische Landschaft passen. Dabei ist es mir ein persönliches Anliegen, einmal auf den Gegensatz aufmerksam zu machen, der zwischen der gezielten Begünstigung des Individualverkehrs durch die Kilometerpauschale und der zum politischen Ziel ernannten Förderung des öffentlichen Verkehrs besteht.
3. Im Zusammenhang mit der Steuerreform steht die FDP zu ihrer Aussage, in dem Reformwerk eine sachliche Einheit zu sehen. Neben der vorrangigen Abgabenordnung stellen die einheitswertabhängigen und einkommens- und gewinnabhängigen Steuern einen großen Komplex dar. Ein Herauspicken einzelner Maßnahmen in Vorschaltgesetzen wird von uns abgelehnt, Herr Häfele. Wenn wir das Inkrafttreten der einzelnen Steuerarten in drei Reformpaketen nicht an einem einzigen Termin verwirklichen können, so ist das zunächst die Folge der vorzeitigen Auflösung des Bundestages, meine Damen und Herren von der CDU, und hängt zugleich mit der verfassungsrechtlichen Situation zusammen, derzufolge wir ab 1. Januar 1974 verpflichtet sind, die steuerliche Ungleichbehandlung verschiedener Vermögensarten durch die zeitgemäße Anpassung der Einheitswerte von Grundstücken und Gebäuden abzubauen. Zu diesem Zeitpunkt kann jedoch das dritte Reformpaket noch nicht vom Ausschuß beraten und vom Parlament beschlossen sein. Bei einem klaren Bekenntnis zur sachlichen Einheit der Steuerreform müssen wir diese gesetzestechnischen Argumente gegen uns gelten lassen und prüfen, ob ohne Schaden für den Gesamtzusammenhang einzelne abgrenzbare Steuergesetze vorgezogen werden können.
Ich möchte nunmehr auf einige konkrete Aspekte des Zweiten Steuerreformgesetzes eingehen.
Mit der Reform der Vermögensteuer sollen die persönlichen Freibeträge von 20 000 auf 60 000 DM angehoben werden, was sowohl für breite Kreise der Bevölkerung eine finanzielle Entlastung mit sich bringt wie auch für die Finanzämter eine verwaltungsmäßige Entlastung nach sich zieht. Ein Verheirateter mit zwei Kindern kann unter Ausschöpfung der Freibeträge für Geldkonten und Versicherungen fast 300 000 DM steuerfrei haben und dabei aus dem Veranlagungsverfahren herausfallen. Der Steuersatz wird für die natürlichen Personen von 1 % auf 0,7% ermäßigt, allerdings unter der Voraussetzung neuer Einheitswerte und der Nichtabzugs-
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Dr. Vohrer
fähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer.
Bei der Rechenkunst der Opposition lassen sich sicherlich auch Beispiele konstruieren, die in Einzelfällen steuerliche Mehrbelastungen beweisen. Generalisierend kann jedoch gesagt werden, daß diese Bundesregierung mit der Erhöhung der Freibeträge und dem Absenken des Steuersatzes der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung Steuererleichterungen präsentiert und somit den Unkenrufen der Vermögensfeindlichkeit seitens der Opposition zum Trotz mit Taten widerspricht.
Die gleiche Feststellung läßt sich auch auf die Erbschaftsteuer übertragen und widerlegt die oftmals polemischen Wahlkampfparolen der CDU/CSU in aller Deutlichkeit, mit denen sie verängstigte Wähler zu konservativem Wahlverhalten veranlassen wollte. Es ließen sich auch zur Erbschaftsteuer unzählige wirklichkeitsnahe Beispiele errechnen, die geeignet sind, diese Aussagen zu untermauern.
Einer Behauptung der Opposition muß jedoch in aller Deutlichkeit entgegengetreten werden. Die Tarifgestaltung bringt nicht nur Verwaltungsvereinfachungen und Entlastungen durch höhere Freibeträge, sondern ist auch in ihren Spitzensätzen so gestaltet, daß es sich lohnt, Vermögen zu bilden. Selbst bei der Erbabgabe von Vermögen über 100 Millionen DM an den Ehegatten oder Kinder kommt ein Steuersatz von 30% zum Tragen, der keineswegs als konfiskatorisch gekennzeichnet werden kann.
Was nun die Grundsteuer betrifft, deren Ertrag bekanntlich den Gemeinden zufließt, so gehen die Eckwertbeschlüsse davon aus, daß Mehreinnahmen von zirka 840 Millionen DM entstehen. Wer die knappe finanzielle Ausstattung der Gemeinden kennt, kann sich ruhigen Gewissens nicht gegen diese 25% ige Erhöhung einer so wichtigen kommunalen Steuerquelle wenden. Das Mehraufkommen, das aus dem Bereich der Grundsteuer B stammt, wird jedoch nicht mietererhöhend wirken, wie es die Opposition oftmals behauptet, weil der Anteil der Grundsteuer an der Miete von früher 12 bis 15% bereits im Januar 1964 auf 5 bis 7 °/o abgesunken ist und derzeit nur noch 3 bis 5 % beträgt. Sind also z. B. in 100 DM Miete rund 4 DM Grundsteuer enthalten, so würde sich die Miete bei einer 25% igen Erhöhung der Grundsteuer um lediglich 1 DM erhöhen. Eine entsprechende Anhebung der Grundsteuer A, wie sie die Steuerreform-Kommission vorschlägt, erscheint wegen der derzeitigen Ertragslage in der Land- und Forstwirtschaft nicht vertretbar. Darum soll in diesem Bereich auch keine Anhebung auf Grund der neuen Einheitswerte erfolgen. Auf die Details der Berechnung brauche ich hier nicht einzugehen.
Bei der Neugestaltung der Gewerbesteuer entspricht der Gesetzentwurf u. a. einem seit langem geäußerten Wunsch kleiner und mittlerer Gewerbetreibender. Es ist eine Erhöhung des Freibetrags beim Gewerbeertrag von 7200 auf 12 000 DM vorgesehen, der zusammen mit den folgenden, degressiv gestalteten Stufen einem Gesamtfreibetrag von annähernd 19 000 DM entspricht.
Wir sind uns bewußt, daß wir mit den Eckwerten nicht den Stein der Weisen gefunden haben, zumal in der Fiskalpolitik der Satz gilt, daß alte Steuern gute Steuern sind. Darin steckt die politische Erkenntnis, wonach die Betroffenen von Steuererhöhungen immer lauthals lamentieren, die Begünstigten den finanziellen Vorteil der Steuersenkungen jedoch als selbstverständlich und der Gerechtigkeit wegen längst überfällig betrachten.
Auch das magische Fiskalviereck von Steuerergiebigkeit, Steuergerechtigkeit, Einfachheit der Erhebung und europäischer Steuerharmonisierung kann durch die Eckwertbeschlüsse nicht in jeder Hinsicht erfüllt werden. Wir sehen diese Konflikte und halten die vorgeschlagenen Maßnahmen dennoch für einen pragmatischen Beitrag, der geeignet ist, das System der sozialen Marktwirtschaft zu stabilisieren und durch mehr Gerechtigkeit und größere materielle Freiheit die Polarisierung der gesellschaftlichen Gruppen zu vermindern.
Es bleibt zu überlegen, inwieweit im dritten Reformpaket noch fiskalpolitische Ansätze eingebaut werden können, die darauf hinwirken, umweltfreundlichere Produktionen und technologische Neuerungen zu fördern.