Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Bei der Mineralölsteuer war ich noch gar nicht. Aber im übrigen wird die Landwirtschaft darunter nicht zu leiden haben; das wissen Sie doch heute schon.
Worauf haben wir uns einzustellen? Nach Angaben der Betriebswirtschaftler und der Landtechniker auf Betriebe mit Großmaschinen, mit Trennstücken von 10 ha und größer, mit Viehbeständen von 60 und mehr Stück, bei Spezialbetrieben von 200 Stück, mit Sauenhaltungen von mindestens 100 Stück usw. usw. Ich könnte das fortführen, will es mir aber ersparen. Bei dieser vorausgesagten Entwicklung handelt es sich in der Tat nicht um Utopien, sondern um Aussagen, die wir ernst zu nehmen haben. Das kann man nämlich schon an Hand von Beispielsbetrieben sehen, und was die Technik angeht, so können Sie es auch auf jeder Ausstellung finden.
Ich glaube, es ist keine Phantasterei, wenn wir auch in unseren politischen Betrachtungen einmal diese Entwicklung in Rechnung stellen. Ich führe das hier ja nicht an, um eine besonders harte Note in diese Diskussion zu bringen, sondern um uns allen klarzumachen, in welchen Denkkategorien man sich heute, wenn es um die optimale Nutzung von Boden, Kapital und Arbeit geht, schon bewegt. Dabei handelt es sich nicht einmal um politische Zielvorstellungen, sondern um nüchterne Überlegungen, die aus der Technik und dem wissenschaftlichen Fortschritt geboren sind, und ich meine, niemand, keine politische Kraft wird diese Entwicklung verhindern können. Wir können die landwirtschaftlichen Unternehmer nicht hindern, sich dieser Fortschritte zu bedienen. Nicht einmal mit Gesetzen und auch nicht mit Geld können wir das zu verhindern suchen.
Wir werden also in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine Entwicklung erleben, die alles, was wir in den letzten 15 Jahren gehabt haben, in den Schatten stellt. Ich schätze, daß sich die Zahl der Erwerbstätigen noch einmal um die Hälfte reduzieren wird. Wir werden in Zukunft möglicherweise nur mit 150 000 marktleistungsfähigen Betrieben rechnen können. Daneben wird es natürlich eine drei- bis vierfache Zahl von Teilzeitbetrieben geben, und dann müssen alle möglichen Kombinationen in Form der Kooperation zwischen den einzelnen Betriebsgrößen dazugerechnet werden. Um diese Kooperation werden wir uns in den nächsten vier Jahren mehr kümmern müssen als bisher. Wir haben das auch bereits im Ernährungsausschuß angesprochen.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung sollte uns nicht erschrecken. Gerade wir im politischen Raum sollten ihr auch nicht mit Resignation begegnen. Wie ich meine, wäre selbst eine dramatische Entwicklung zu ertragen; sie darf nur nicht tragisch für die einzelnen Familien enden. Hier beginnt unsere Aufgabe.
Ein weiteres Problem, das sich damit verbindet, ist das der Bodenmobilität. Von Sachverständigen wird geschätzt, daß sich die Brachflächen verzehnfachen, also die 3-Millionen-ha-Grenze erreichen werden. All das — Brachflächen, strukturelle Entwicklung auf dem Lande — wird den ländlichen Raum in der Gesamtheit in einer Weise verändern, die man sich heute im allgemeinen nicht vorstellen kann. Es wäre nur dafür zu sorgen, daß erstens keine sozialen Krisenherde auf dem Land entstehen und zweitens das Land dabei nicht entvölkert wird. Die Gefahren sind in jedem Fall groß.
Ich möchte einige Bemerkungen zu Problemen machen, die uns unmittelbar auf den Nägeln brennen. Im Hinblick auf diese kommende Entwicklung halte ich die Fortschreibung und die Überprüfung des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms für notwendig, und zwar in der Richtung, daß — erstens — ein entwicklungsfähiger Betrieb auch in Zukunft Entwicklungschancen haben muß. Daran knüpft sich die Frage — zweitens —: Müssen bestimmte Bestandsgrößen von vornherein endgültig festgesetzt werden oder ist die Bautechnik heute schon so weit entwickelt, daß eine Erweiterung nach einigen Jahren mit vertretbarem Aufwand möglich bleibt?
In diesem Zusammenhang gibt es eine ganze Reihe von Fragen um den Nebenerwerb. Um ihn wird oft ein törichter Streit geführt. Ich will es mir im Augenblick ersparen, darauf einzugehen.
Aber ich will weiterhin fragen: Wie sieht es mit der praktischen Durchführung der Förderungsrichtlinien in den einzelnen Bundesländern und in den Regionen aus? Wird nicht auf der einen Seite bei längst entwickelten Betrieben zu großzügig verfahren? Und werden nicht auf der anderen Seite mancherorts Idylle konserviert?
Noch etwas: Wie sind denn eigentlich zwischen Brüssel, Bonn usw. die Kompetenzen verteilt? Welcher Bewegungsspielraum bleibt im Rahmen der EWG-Richtlinie?
Deutscher Bundestag-7. Wahlperiode— 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973 735
Dr. Schmidt
Führt nicht die ganze Konstruktion einschließlich der Anwendung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben zu einem undurchschaubaren Verwaltungsdschungel, der mehr innere Reibung verursacht, als er Ergebnisse zustande bringt? Die weitere Frage ist: Führt das Ganze nicht schließlich zu einer totalen Regionalisierung der Agrarpolitik überhaupt?
Nicht unwichtig ist schließlich die Frage — wenn ich an die Gemeinschaftsaufgaben denke —: Wo bleibt dabei eigentlich die parlamentarische Kontrolle?
Ist hier nicht das Haushaltsrecht des Parlaments tangiert?
Der Minister hat in seinen Ausführungen bei der ersten Besprechung im Ausschuß darüber von sich aus schon gesprochen. Er hat uns zugesagt, mit uns die ganze Problematik um die EWG-Agrarstruktur, das Förderungsprogramm und die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in unserem Ausschuß zu erörtern. Ich danke ihm dafür. Diese Aussprache ist schon deswegen wichtig, weil sich allmählich auf breiter Basis ein gewisses Unbehagen breitmacht.
Ein zweites Problem wird uns bald sehr nahe kommen. Ich meine das Bodenproblem. Der Strukturwandel dürfte in einigen Gebieten landwirtschaftliche Grundstücke in großem Umfange bald frei machen. Es wäre gefährlich, wenn diese Grundstücke den Spekulanten in die Hände fielen. Das darf auf keinen Fall geschehen.
Wenn man sich damit trösten sollte, daß man dann ein verstärktes Pachtrecht schaffen könnte, möchte ich dieser Argumentation entgegenhalten, daß die Rechte der Bewirtschafter selbst unter einem strengen Pachtrecht kaum gesichert werden können. Ich erinnere an die Vorgänge in unserem Nachbarland Dänemark. In Dänemark sind im Jahre 1972 die Hälfte aller verkauften Bauernhöfe in die Hände von Konzernen und kapitalkräftigen Leuten gelangt. Dort ist heute schon die Rede von der kapitalistischen Enteignung der Landwirtschaft. In England haben wir ähnliches zu verzeichnen.
Ich warne dringend vor einer Entwicklung, daß ein neuer Feudaladel den Bauern das Land wegnimmt, Versicherungskonzerne zu Großgrundbesitzern werden und eine Schicht von vagabundierenden Pächtern entsteht, wie das in den dreißiger Jahren in den Vereinigten Staaten zustande kam.
Das muß verhindert werden.
Aus diesem Grunde stellen wir uns vor, daß wir einen Bodenfonds entwickeln, auch um die Effizienz der Agrarstruktur-, der Infrastruktur- und anderer Raumordnungsmaßnahmen zu erhöhen, einen Bodenfonds, dem man natürlich ein besseres Vorkaufsrecht zubilligen muß. Das Vorkaufsrecht sollte bei den Siedlungsgesellschaften liegen, die heute in jedem Land vorhanden sind. Diese Gesellschaften sind ausreichend mit Eigenkapital und Kreditmitteln zu versorgen, um den Landauffang entsprechend
betreiben zu können. Die zentrale Betreuung eines solchen Fonds auf Bundesebene könnte zweckmäßigerweise bei der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank liegen. Die Apparatur ist vorhanden, die große Erfahrung dieser Institutionen sollten wir nützen. Wir haben Finanzierungsvorschläge zu machen, die dem Finanzminister nicht wehe tun.
Selbstverständlich dürfte dieser Bodenfonds nur eine Zwischenstelle für Land sein; das Land müßte an die entsprechenden Bedarfsträger weitergegeben werden. Wir müssen verhindern, daß das Land denjenigen in die Hand fällt, die die entsprechend dicken Brieftaschen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein letztes Thema kurz berühren, das uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird: die Frage der Marktposition der deutschen Landwirtschaft. Wir stellen fest, daß in unseren Nachbarländern enorme Produktionssteigerungen vonstatten gehen. Ich habe den Eindruck, daß nicht nur in Frankreich, sondern gerade in den drei neuen Ländern der Gemeinschaft „Erzeugungsschlachten", von amtlicher Seite propagiert, geschlagen werden.
Ohne auf die Probleme der Standortfragen, der Wettbewerbsunterschiede hier noch einmal einzugehen, weise ich darauf hin, daß alle Bundesregierungen bis heute den Standpunkt vertreten haben, daß man bei dieser Lage nicht anderthalb Schelme auf den einen setzen soll. Ich glaube, dieser Standpunkt ist im Grunde genommen richtig. Es ist aber ebenso richtig und wichtig zu wissen, daß unsere Partnerländer nicht freiwillig auf diese ihre Politik verzichten werden. Deshalb betone ich noch einmal das ernsthafte Bemühen dieser Regierung, ausgedrückt in der Regierungserklärung, um die Schaffung gleicher Wettbewerbsverhältnisse in der Gemeinschaft.
In der Sache Marktposition haben wir selber eine ganze Reihe von Unterlassungssünden hinter uns. Wenn ich mir das Marktstrukturgesetz und die Entwicklung der Marktstruktur vor Augen halte und wenn ich von den 600 heute gebildeten Erzeugergemeinschaften diejenigen abziehe, die ursprünglich einmal Genossenschaften waren und nur ihre Satzungen ein bißchen verändert haben, bleibt gar nicht viel übrig. Daraus ergibt sich für uns die Aufgabe, diese Fragen noch einmal gründlich zu durchdenken, und wir sind uns mit der Regierung einig, die Durchführung dieses Gesetzes noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Jedenfalls halten wir das Marktstrukturgesetz nach wie vor für ein entscheidendes Gesetz, das zur Verbesserung der Marktposition der deutschen Landwirtschaft auch wirklich beitragen kann.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Für uns ist der Agrarbericht 1971/72 kein Ruhekissen. Wir werden daran weiter hart arbeiten, und wir werden die Regierung unterstützen, die gesteckten Ziele zu verwirklichen. Die Opposition kann sicher sein, daß wir das mit der gleichen Energie tun wie in den Jahren 1969 bis 1972.
736 Deutscher Bundestag— 7. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1973
Dr. Schmidt
Ich habe einige Punkte genannt, die meiner Fraktion besonders wichtig erscheinen. Ich möchte sagen, daß die nächsten vier Jahre Jahre der inneren Konsolidierung der Lage unserer Landwirtschaft sein müssen und sein sollen.