Protokoll:
18216

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 216

  • date_rangeDatum: 27. Januar 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:30 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:08 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/216 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 216. Sitzung Berlin, Freitag, den 27. Januar 2017 Inhalt: Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik Drucksache 18/10939 . . . . . . . . . . . . . . . . 21649 B b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesda- tenschutzgesetzes – Erhöhung der Si- cherheit in öffentlich zugänglichen groß- flächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elek- tronische Einrichtungen (Videoüberwa- chungsverbesserungsgesetz) Drucksache 18/10941 . . . . . . . . . . . . . . . . 21649 B Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21649 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21651 A Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21651 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21652 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 21653 C Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21655 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21655 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21656 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21657 B Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21658 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 21659 D Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21660 D Zusatztagesordnungspunkt 5: Eidesleistung der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Brigitte Zypries, Bundesministerin BMWi . . . 21661 D Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Euro- pa- und Verfassungsrecht wahren – Vorläu- fige Anwendung von CETA verhindern Drucksache 18/10970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21662 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 21662 B Brigitte Zypries, BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . 21663 C Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21664 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21665 D Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21666 C Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21667 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 21669 B Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21670 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21671 D Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21672 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 21674 C Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21675 A Claudia Tausend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21675 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 216 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 27 . Januar 2017II Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neu- en Zusammenlebens in der Stadt Drucksache 18/10942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21677 A Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21677 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21678 B Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21679 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21680 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21681 A Claudia Tausend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21682 C Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21683 C Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . . 21684 D Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissen- schaftskooperation mit Partnern in Sub- sahara-Afrika stärken Drucksachen 18/10632, 18/10973 . . . . . . . . . 21686 A Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 21686 B Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 21687 D Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21689 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21690 C Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21691 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21692 B Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21693 B Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsge- setz – OEG) Drucksache 18/10965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21694 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21694 A Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21695 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21696 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 21697 C Dr . h . c . Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . 21698 D Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 21699 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21700 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21700 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 21703 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21704 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 216 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 27 . Januar 2017 21649 216. Sitzung Berlin, Freitag, den 27. Januar 2017 Beginn: 10 .30 Uhr
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    Berichtigung 215 . Sitzung, Seite 21496 B, erster Absatz: Die Tages- ordnungspunkte 5 a und 5 b sind wie folgt zu lesen: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Karl-Heinz Brunner Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 216 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 27 . Januar 2017 21701 (A) (C) (B) (D) Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsverstößen von Unternehmen Drucksache 18/10038 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im deut- schen Recht verankern Drucksache 18/10255 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 216 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 27 . Januar 2017 21703 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barthle, Norbert CDU/CSU 27 .01 .2017 Bartke, Dr . Matthias SPD 27 .01 .2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 27 .01 .2017 Bülow, Marco SPD 27 .01 .2017 Burkert, Martin SPD 27 .01 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .01 .2017 Eberl, Iris CDU/CSU 27 .01 .2017 Feiler, Uwe CDU/CSU 27 .01 .2017 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E . CDU/CSU 27 .01 .2017 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 27 .01 .2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 27 .01 .2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 27 .01 .2017 Groth, Annette DIE LINKE 27 .01 .2017 Gunkel, Wolfgang SPD 27 .01 .2017 Hänsel, Heike DIE LINKE 27 .01 .2017 Henn, Heidtrud SPD 27 .01 .2017 Hochbaum, Robert CDU/CSU 27 .01 .2017 Hübinger, Anette CDU/CSU 27 .01 .2017 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .01 .2017 Korte, Jan DIE LINKE 27 .01 .2017 Krellmann, Jutta DIE LINKE 27 .01 .2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 27 .01 .2017 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 27 .01 .2017 Lenkert, Ralph DIE LINKE 27 .01 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 27 .01 .2017 Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 27 .01 .2017 Nord, Thomas DIE LINKE 27 .01 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 27 .01 .2017 Pronold, Florian SPD 27 .01 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 27 .01 .2017 Saathoff, Johann SPD 27 .01 .2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .01 .2017 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 27 .01 .2017 Scheer, Dr . Nina SPD 27 .01 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 27 .01 .2017 Schröder (Wiesbaden), Dr . Kristina CDU/CSU 27 .01 .2017 Schwartze, Stefan SPD 27 .01 .2017 Steffen, Sonja SPD 27 .01 .2017 Steineke, Sebastian CDU/CSU 27 .01 .2017 Storjohann, Gero CDU/CSU 27 .01 .2017 Strothmann, Lena CDU/CSU 27 .01 .2017 Terpe, Dr . Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .01 .2017 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 27 .01 .2017 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .01 .2017 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .01 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 27 .01 .2017 Weinberg, Harald DIE LINKE 27 .01 .2017 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 27 .01 .2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 27 .01 .2017 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 27 .01 .2017 Zollner, Gudrun CDU/CSU 27 .01 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 216 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 27 . Januar 201721704 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Verzichtbarkeit der Anordnungen der Schriftform und des persön- lichen Erscheinens im Verwaltungsrecht des Bun- des Drucksachen 18/9177, 18/9596 Nr. 1.3 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über Verkehrsverlagerungen auf das nach- geordnete Straßennetz in Folge der Einführung der Lkw-Maut Drucksachen 18/10567, 18/10696 Nr. 1.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Innenausschuss Drucksache 18/6855 Nr . A .2 Ratsdokument 13621/15 Drucksache 18/8470 Nr . A .5 Ratsdokument 7762/16 Drucksache 18/8470 Nr . A .6 Ratsdokument 7763/16 Drucksache 18/8470 Nr . A .7 Ratsdokument 7765/16 Drucksache 18/8470 Nr . A .8 Ratsdokument 7766/16 Drucksache 18/8470 Nr . A .9 Ratsdokument 7767/16 Drucksache 18/8470 Nr . A .10 Ratsdokument 7769/16 Drucksache 18/8936 Nr . A .3 EP P8_TA-PROV(2016)0233 Drucksache 18/9141 Nr . A .3 Ratsdokument 9366/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .13 Ratsdokument 10991/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .15 Ratsdokument 11155/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .20 Ratsdokument 11414/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .21 Ratsdokument 11427/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .22 Ratsdokument 11428/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .24 Ratsdokument 11610/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .25 Ratsdokument 11611/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .26 Ratsdokument 11612/16 Drucksache 18/9746 Nr . A .2 Ratsdokument 11799/16 Drucksache 18/10116 Nr . A .5 Ratsdokument 11780/16 Drucksache 18/10116 Nr . A .6 Ratsdokument 12063/16 Drucksache 18/10116 Nr . A .8 Ratsdokument 12370/16 Drucksache 18/10555 Nr . B .1 Ratsdokument 13699/16 Sportausschuss Drucksache 18/5982 Nr . A .11 EP P8_TA-PROV(2015)0233 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/9180 Nr . A .1 Ratsdokument 10819/16 Drucksache 18/9180 Nr . A .2 Ratsdokument 10821/16 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- cherheit Drucksache 18/10706 Nr . A .10 Ratsdokument 14299/16 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uni- on Drucksache 18/8140 Nr . A .26 Ratsdokument 6317/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .27 Ratsdokument 6318/16 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 216. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 28 Verbesserung der Videoüberwachung ZP 5 Eid der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie TOP 29 CETA-Abkommen TOP 30 Umsetzung einer EU-Richtlinie im Städtebaurecht TOP 31 Wissenschaftskooperation mit Subsahara-Afrika TOP 32 Opferentschädigungsgesetz Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821600000

Noch unter dem Eindruck der eben zu Ende gegange-

nen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus
eröffne ich die Sitzung. Bitte nehmen Sie Platz.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Fahndung bei besonderen Ge-
fahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen
und Beamten der Bundespolizei durch den
Einsatz von mobiler Videotechnik

Drucksache 18/10939
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhö-
hung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen
großflächigen Anlagen und im öffentlichen
Personenverkehr durch optisch-elektronische

(Videoüberwachungsverbesserungsgesetz)


Drucksache 18/10941
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich dagegen keiner . Dann ist dies so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Bundesminister Dr . Thomas de Maizière das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Minister, bitte sehr .

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
beginne mit der Darstellung von ein paar Szenen; sie
sind gleichermaßen schrecklich und skrupellos . 16 . Mai
2015, Berlin, S-Bahnhof Wuhletal: Eine Schülerin wird
auf dem Heimweg grausam erdrosselt . 27 . Oktober 2016,
Berlin, U-Bahnhof Hermannstraße: Einer jungen Frau
wird völlig unvermittelt brutal in den Rücken getreten,
sie stürzt die Treppe hinab . 24 . Dezember 2016, Heilig-
abend, Berlin, U-Bahnhof Schönleinstraße: Ein schla-
fender Obdachloser wird in Brand gesetzt . Die schockie-
renden Szenen sind tausendfach über die Bildschirme
geflackert und wurden in den sozialen Netzwerken ver-
breitet . Sie haben bundesweit für Erschütterung gesorgt,
für Wut und für Entsetzen .

Die Ermittlung der mutmaßlichen Täter gelang nur
deshalb, weil die Taten aufgezeichnet, dadurch Ermitt-
lungsansätze vorhanden und der Verfolgungsdruck auf
die Täter hoch waren . Die Szenen haben den Ruf nach
einer größeren und erweiterten Videoüberwachung öf-
fentlicher Räume weiter verstärkt .

Nun lösen Debatten um Videomaßnahmen in Deutsch-
land reflexhaft Gegenreaktionen aus. Kritiker zeichnen
regelmäßig düstere Bilder, Bilder einer total kontrollier-
ten, gleichgeschalteten und von Menschlichkeit befreiten
Gesellschaft, ganz nach George Orwells Buch 1984. Mit
dem Rechtsstaat, in dem wir leben, hat das überhaupt
nichts zu tun; uns geht es um eine vernünftige Auswei-
tung der Videoüberwachung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die immer gleiche Rhetorik wird auch durch stetes
Wiederholen nicht besser . Oft heißt es, Videoüberwa-
chung verhindere keine Verbrechen, sie helfe bestenfalls
bei der Aufklärung und sie erhöhe nur die gefühlte Si-
cherheit . Ich frage: Sind Aufklärung von Straftaten und
die Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls der
Bevölkerung keine verfolgenswerten Ziele? Genau diese
Ziele verfolgen wir mit diesem Gesetzentwurf .

Es käme niemand auf die Idee, auf DNA-Reihenun-
tersuchungen, auf den Abgleich von Autokennzeichen






(A) (C)



(B) (D)


oder Fingerabdrücken zu verzichten, weil dadurch keine
Straftaten verhindert werden . Mich überzeugt das jeden-
falls nicht . Ich sage klar: Straftaten mithilfe dieser Instru-
mente aufzuklären, ist besser, als auf diese Instrumente
zu verzichten und damit die Aufklärung zu erschweren
oder sogar erfolglos beenden zu müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dann gibt es das Argument – das werden wir vielleicht
wieder hören; ich habe es in der letzten Debatte schon
einmal erwähnt –: Macht doch lieber mehr Polizeiprä-
senz statt Videoüberwachung . Als ob das eine das andere
ausschlösse! Es ist schlicht lebensfremd, eine Polizei-
dichte zu fordern, die Kameras überflüssig macht. Ein
solches Versprechen abzugeben, ist einfach unlauter .

Richtig an diesem Argument ist: Das Personal der Si-
cherheitsbehörden muss wachsen . Im Bund haben wir
dafür auch gesorgt, und das massiv . Sie kennen die Zah-
len: rund 7 500 Stellen zusätzlich für die Bundespolizei
und 1 300 Stellen für das Bundeskriminalamt . Das sind
20 Prozent bzw . beim Bundeskriminalamt über 25 Pro-
zent mehr Personal innerhalb von fünf Jahren . Es wäre
schön, wenn die Länder dem folgen würden . Wer das hier
kritisiert, von dem erwarte ich das gleiche Engagement
in den Bundesländern, um dort für entsprechende Haus-
haltsaufwüchse zu sorgen .

Uns allen ist klar, dass Videotechnik kein Allheilmit-
tel ist . Sie ist aber auch kein Dämon . Kameras leisten
einen entscheidenden Beitrag zu mehr Sicherheit . Sie
helfen, Straftäter zu identifizieren, festzunehmen und zu
bestrafen . Sie verhindern auch Straftaten . Über die ge-
neralpräventive Wirkung von Videoüberwachung gibt es
zahlreiche Studien, auch widersprüchliche Studien . Man
muss kein Kriminologe sein, um zu wissen, dass Kame-
ras nicht global gegen jede Form von Kriminalität helfen,
vor allem dann nicht, wenn Täter im Affekt handeln oder
es ihnen gerade auf eine breite Öffentlichkeit ankommt.
Aber deliktsspezifisch differenziert verhindert Video-
überwachung auch Straftaten, und das wirksam .

Ich freue mich, dass wir uns in der Koalition darü-
ber einig sind und den Entwurf des Gesetzes zur Verbes-
serung der Videoüberwachung heute in erster Lesung
beraten. Die neuen Regelungen schaffen für diejenigen
Erleichterung, die Sportstätten, Einkaufszentren und an-
dere große öffentliche Einrichtungen oder Fahrzeuge des
öffentlichen Personennahverkehrs betreiben. Ein Anlass
für dieses Gesetz war der Amoklauf in München . Dort
gab es eine Videoüberwachung bei McDonald’s . Wäre
der Täter in ein Kaufhaus gegangen, hätte es auch dort
eine Videoüberwachung gegeben . Nur weil er in ein Ein-
kaufszentrum lief, gab es keine Videoüberwachung, und
die Sicherheitsbehörden wussten über lange Zeit nicht,
wo sich der Täter befand . Die Ungleichbehandlung von
Kaufhäusern und Einkaufszentren hat sich mir nie er-
schlossen; wir beenden sie jetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, Videomaßnahmen sind
nicht isoliert zu betrachten . Intelligent mit Systemen zur
Gesichtserkennung verknüpft, können sie in Zukunft
auch ein effektives Fahndungsmittel sein. Wir arbeiten

daran . Noch ist das Zukunftsmusik; aber es ist, glaube
ich, etwas, was wichtig ist und hilft .

Ich habe nach den Anschlägen von Würzburg und
Ansbach und dem Amoklauf in München im August ver-
gangenen Jahres eine Reihe von Maßnahmen vorgeschla-
gen, um die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen . Das,
was wir jetzt vorschlagen, ist ein Teil dieser Maßnahmen .
Dazu gehören auch neue Befugnisse für die Bundespo-
lizei in Bezug auf den Einsatz von Body-Cams und die
Nutzung von automatischen Kennzeichenlesesystemen,
die mit dem zweiten Gesetz beschlossen werden sollen .
Auch das ist eine große Hilfe bei der polizeilichen Arbeit .
In vielen Ländern gibt es das bereits . Das wird und kann
aber nicht flächendeckend erfolgen; darauf weist die
Bundesdatenschutzbeauftragte heute hin . Das ist auch
gar nicht beabsichtigt, sondern der Einsatz ist beabsich-
tigt, wenn er sinnvoll ist, wenn er nützlich ist, wenn er bei
der Fahndung hilft, wenn er bei Kriminalitätslagebildern
unterstützen kann, wie es bereits in sechs, sieben, acht
Bundesländern geschieht, die zum Teil rot-grün regiert
sind . Nicht mehr und nicht weniger als das, was die Lan-
despolizeien an Befugnissen haben, soll auch der Bun-
despolizei zugestanden werden . Und das ist sinnvoll .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Besonders am Herzen liegt mir, dass wir nach einer
Pilotphase jetzt auch den Bundespolizisten Body-Cams
geben, also Kameras, die ihre Arbeit aufzeichnen . Das
hat auch mit der zunehmenden Zahl von Angriffen auf
Bundespolizisten in der letzten Zeit zu tun . Da sage ich
noch einmal ganz klar: Wenn Repräsentanten unseres
Staates persönlich angegriffen werden, nur weil sie Po-
lizisten sind, dann werden auch wir als demokratische
Gesellschaft, als Abgeordnete, als Minister, als gesamte
Gesellschaft politisch angegriffen, und das verlangt eine
klare Antwort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Indem wir unsere Polizisten mit Body-Cams ausstat-
ten, schrecken wir Gewalttäter von Exzessen ab oder
dokumentieren diese wenigstens, um im Anschluss
die Täter schnell zur Verantwortung ziehen zu können .
Gleichzeitig kann auch die Rechtmäßigkeit des Han-
delns von Polizisten besser bewiesen, entkräftet oder
jedenfalls zum Gegenstand von Betrachtungen gemacht
werden . Wenn wir das machen, ist das sozusagen ein pas-
siver Schutz von Polizeibeamten . Wir werden sehr bald
in diesem Bundestag auch darüber diskutieren – darü-
ber besteht in der Koalition Einvernehmen –, dass wir
die Strafandrohung bei Angriffen gegen Polizisten und
Rettungskräfte verschärfen wollen, und zwar nicht nur
bei Vollstreckungshandlungen, sondern auch bei Dienst-
handlungen . Das ist ein doppelter Schutz für die Polizis-
ten. Angriffe gegen sie werden härter bestraft, und Bo-
dy-Cams schützen davor, dass es überhaupt zu solchen
Angriffen kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass Sie diese
Gesetzentwürfe schnell beraten. Ich hoffe auch, dass wir

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


möglichst gemeinsam zu einer Verabschiedung kommen,
und ich freue mich auf eine große Zustimmung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821600100

Der Kollege Frank Tempel spricht jetzt für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821600200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte
mich als ehemaliger Polizeibeamter mit dem Vorschlag
zur Ausrüstung von Bundespolizisten mit Body-Kameras
beschäftigen . Laut Gesetz sollen diese ja zum Schutz von
Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei, zur Verfol-
gung von Straftaten, zur Verfolgung von Ordnungswid-
rigkeiten mit erheblicher Bedeutung und auf Verlangen
von Betroffenen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit
polizeilicher Maßnahmen dienen . Sie machen da also zur
Abwechslung mal in der Innenpolitik einen Vorschlag,
der tatsächlich diskussionswürdig ist . Wir werden darü-
ber diskutieren, ob die Body-Cam das leisten kann, was
sie verspricht, und wir müssen sicherstellen, dass die Re-
gelungen zur Einschränkung von Datenschutz und Bür-
gerrechten in verfassungskonformer Verhältnismäßigkeit
stehen; das ist ja unsere Aufgabe .

Wenn ich an meinen früheren Alltag als Polizeibeam-
ter denke, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Bo-
dy-Cam, wenn sie läuft, zum Beispiel die Hemmschwelle
hebt, einen Polizeibeamten anzugreifen . Und das wäre
ein Erfolg . Ich habe in den letzten Tagen in digitalen Me-
dien viele Polizeibeamte gefragt, was sie selbst davon
halten . Zu meiner Überraschung waren die Meinungen
relativ kontrovers, Pro und Kontra waren gleichermaßen
dabei . Auch Studien helfen uns nicht weiter; denn sie be-
ziehen sich momentan auf sehr wenige Fälle und sagen
uns erst einmal noch nicht viel . Ich schlage vor, wenn wir
uns für eine Einführung entscheiden – und ich kann mir
das durchaus vorstellen –, eine begleitende wissenschaft-
liche Evaluierung gleich mit zu beschließen .

Vorher, meine Damen und Herren, müssen wir uns
aber über die Ausgestaltung des Gesetzes unterhalten .
Da fehlt einiges, worüber wir tatsächlich reden müssen .
Nach Ihrem Vorschlag funktioniert das ja so: Der Poli-
zeibeamte kündigt die Aufzeichnung, wenn er die Zeit
dafür hat, an, und dann zeichnet die Body-Cam auf . Sie
zeichnet also nicht permanent auf . Auf der einen Seite
ist das richtig: Sie wollen verdeckte Aufzeichnungen
vermeiden, an die das Bundesverfassungsgericht ja hohe
Hürden geknüpft hat . Auf der anderen Seite kann der Be-
amte so natürlich willkürlich entscheiden, welche Situa-
tion und vor allen Dingen welchen Teil einer Situation er
aufzeichnet und speichert .

Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen,
dass das natürlich auch Besorgnis hervorruft . Oft werden
wir nur einen Teil einer Situation auf Video haben, und
das kann zu einer einseitigen Wertung führen . Wie sieht
es mit der Hoffnung aus, polizeiliches Fehlverhalten

aufklären zu können? Sie haben ja eine 30-tägige Auf-
bewahrungspflicht, unter anderem zur Möglichkeit der
gerichtlichen Überprüfung rechtmäßigen polizeilichen
Handelns, in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben .
Kann es aber Aufzeichnungen über unrechtmäßiges Han-
deln überhaupt geben, wenn der Polizeibeamte individu-
ell und ohne Regeln entscheiden kann, was aufgezeich-
net wird und was nicht? Das ist eine schwierige Frage,
die wir gerne mit Ihnen diskutieren wollen . Denn wir
brauchen, denke ich, schon klare Regelungen, was und
wann aufgezeichnet werden darf und muss .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt aber noch weitere offene Fragen und damit
auch Hausaufgaben, Herr Minister, damit wir das be-
schließen können. Im Gesetzentwurf finden sich kei-
ne Regelungen zur Manipulationssicherheit relevanter
Aufzeichnungen für eine richterliche Nutzbarkeit – ich
erinnere nur an das Verfahren gegen den Pfarrer König
in Dresden, wo die Polizei manipuliertes Videomaterial
vorgelegt hat –: keine Datenschutzbestimmungen, keine
Regelungen zu den Zugriffsrechten, keine Regelungen
zu den Beschäftigtenrechten – auch das wird die Beam-
ten interessieren –, keine Regelungen zu einer Kontrol-
le durch Datenschutzbeauftragte oder das Parlament . Da
muss nachgearbeitet werden .

Ich möchte aber noch einmal betonen: Ideen für mehr
persönliche oder rechtliche Sicherheit steht die Linke
sehr aufgeschlossen gegenüber . Wenn uns Polizeibeam-
te sagen, dass die Body-Cam mehr Sicherheit bringen
könnte, nehmen wir das sehr ernst . Wenn uns aber Bür-
ger sagen, dass sie glauben, dass kritische Aspekte zu
wenig berücksichtigt wurden, dann nehmen wir auch das
sehr ernst . Deswegen schlage ich ernsthaft vor, dass wir
zu diesem Thema eine Expertenanhörung im Innenaus-
schuss durchführen, um uns mit diesen offenen Fragen,
die Sie in Ihrem Gesetzentwurf komplett vergessen ha-
ben, noch einmal zu beschäftigen, damit dieses Hilfsmit-
tel, das ein Nützliches sein kann, tatsächlich beschlossen
werden kann; denn ohne Regelungen geht es nicht .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821600300

Der Kollege Uli Grötsch spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1821600400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Gesetzentwurf, über den wir heute in erster Lesung de-
battieren, enthält im Wesentlichen drei Maßnahmen, die
die Arbeit der Beamtinnen und Beamten der Bundespo-
lizei effizienter machen sollen und auf die ich in meiner
Rede im Wesentlichen eingehe .

Erstens wollen wir, dass unsere Bundespolizisten mit
Body-Cams ausgestattet werden . Damit erfüllen wir auch
eine langjährige Forderung der GdP, der Gewerkschaft
der Polizei . Wir haben gute Erfahrungen mit Pilotpro-
jekten in den Ländern gemacht, die die deeskalierende

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


und präventive Wirkung von Body-Cams belegt haben .
Die offenen Aufzeichnungen mit mobiler Videotechnik,
die beispielsweise an der Schulter getragen wird, dienen
auch der Strafverfolgung, aber vor allem dem Schutz der-
jenigen, die etwa im bahnpolizeilichen Brennpunktbe-
reich jeden Tag ihre Gesundheit und ihr Leben für unsere
Sicherheit riskieren .

Dass Body-Cams inzwischen notwendig sind, ist
leider eine bittere und traurige Wahrheit . Die Kriminal-
statistik zeigt, dass die Zahl der Angriffe auf Polizisten
merklich zugenommen hat . Deshalb ist es sehr richtig
und wichtig, dass wir im aktuellen Haushalt 5 Millionen
Euro für eine breit angelegte Imagekampagne bereitge-
stellt haben . Wir haben nicht nur das Personal der Bun-
despolizei auf Rekordniveau aufgestockt, sondern auch
Mittel für die erforderliche Ausrüstung zur Verfügung
gestellt. Daher finde ich, dass wir, was den Schutz unse-
rer Beamtinnen und Beamten angeht, den richtigen Weg
eingeschlagen haben .

Wir werden aber auch ein schärferes Vorgehen gegen
Gewaltdelikte gegen Polizisten gesetzlich regeln . Die
neue Regelung wird dann auch für Kräfte der Feuerwehr
oder etwa der Rettungsdienste gelten, die tätlich ange-
griffen werden. All diese Maßnahmen senden ein klares
Signal aus: Wer Polizisten, Rettungsärzte oder Feuer-
wehrleute angreift, der greift den Staat an . Das dulden
wir nicht . Dagegen gehen wir mit der erforderlichen Här-
te vor .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Eine zweite wesentliche Maßnahme nach den Bo-
dy-Cams ist die anlassbezogene automatische Kfz-Kenn-
zeichenerfassung . Mit diesen mobilen Kameras darf die
Bundespolizei Autokennzeichen scannen und mit den
einschlägigen polizeilichen Datenbanken abgleichen .
Zum einen liegt hierbei die Betonung auf anlassbezo-
gen, also nicht flächendeckend, sondern bei bestimmten
Gefahrensituationen, wie Gefahr für Leib oder Leben,
Schutz der öffentlichen Sicherheit oder schwere Strafta-
ten, die gegen die Sicherheit der Grenze gerichtet sind .
Zum anderen werden die erhobenen Kennzeichen sofort
und spurlos wieder gelöscht, wenn es sich nicht um einen
Treffer handelt. Die Daten werden sogar gelöscht, wenn
der Treffer im Fahndungsbestand nicht im Zusammen-
hang mit den bestimmten Gefahrensituationen steht, die
wir in diesem Gesetz regeln .

Ich denke, das ist ein maßvolles Mittel, um der Bun-
despolizei eine bessere Fahndung, auch und speziell im
Grenzgebiet, und eine schnelle und effiziente Strafverfol-
gung zu ermöglichen . Eine solche Arbeitserleichterung
ist für unsere Bundespolizisten, die bereits Millionen
Überstunden durch die Migrationslage angehäuft haben,
dringend notwendig . Ich meine, wenn wir bei vielen
Gelegenheiten über die Stärkung der Schleierfahndung
diskutieren, müssen wir das auch in einem Gesetz umset-
zen, wenn wir Gelegenheit dazu haben . Das tun wir mit
diesem Gesetz .

Die dritte wesentliche Maßnahme eröffnet der Bundes-
polizei die Möglichkeit, wenn für die Aufgabenerfüllung
erforderlich, in Einsatzleitstellen eingehende Telefon-
anrufe aufzuzeichnen . Das klingt eigentlich selbstver-

ständlich . Nicht nur, wenn Bombendrohungen eingehen,
sondern auch, wenn jemand etwa mit Selbstmord droht,
muss die Bundespolizei in der Lage sein, noch mal rein-
zuhören, um alle Informationen aufzunehmen . Deshalb
ist das eine überfällige und ganz sicher vernünftige Re-
gelung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren, diese Maßnahmen
sind ein Teil eines umfassenderen Pakets an Gesetzen mit
Augenmaß, die wir in der Koalition beschlossen haben,
um die Sicherheit in diesem Land zu erhöhen . Weil das in
unser aller Sinne ist und es sich hierbei um angemessene,
milde Mittel handelt, bitte ich im folgenden Beratungs-
verfahren um konstruktive Mitarbeit aller Fraktionen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821600500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Irene Mihalic für

Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821600600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! In einem der beiden Gesetzentwürfe steht
ja sogar im Titel, dass es um besondere Gefahrenlagen
geht . Dabei denken wir natürlich alle an die furchtbaren
Anschläge vom Breitscheidplatz oder von Würzburg und
Ansbach und auch an den Amoklauf in München .

Um eines vorweg zu sagen: Wir sind natürlich vereint
in der Trauer um die Opfer, aber auch hinsichtlich der
drängenden Frage, was wir besser machen können, um
terroristische Anschläge oder andere schwere Verbrechen
in Zukunft zu verhindern . Wir Grüne diskutieren mit Ih-
nen dabei alle Vorschläge, die in der Sache zielführend
sind und die einen tatsächlichen Sicherheitsgewinn auf
rechtsstaatlichen Grundlagen bringen .

Und ja, da kann man auch über einen verbesserten po-
lizeilichen Videoeinsatz nachdenken . Denn es kann einen
ja auch nicht zufriedenstellen, dass die Videoaufnahmen
zum Beispiel von der Fussilet-Moschee, die Amri kurz
vor dem Anschlag zeigen, erst Wochen später ausgewer-
tet wurden . Doch das, was Sie jetzt vorschlagen, meine
Damen und Herren, ist Sicherheitspolitik ins Blaue hi-
nein . Privatleute sollen mehr Kameras aufhängen und
länger Bildmaterial speichern . Ist das Ihre Teilantwort –
wie Sie sagen – auf den Terrorismus? Wenn es so wäre,
dann würde mich ein Teil Ihrer Antwort zugegebenerma-
ßen sehr verunsichern . Denn private Stellen, die Video-
kameras betreiben, haben doch gar keine Möglichkeit,
im Falle eines Falles einzugreifen oder irgendetwas zu
verhindern . Das Einzige, was hier passiert, ist, dass Sie
gewaltige Datenberge schaffen, von Flensburg bis Ro-
senheim, um im Fall eines Attentates ein paar mehr Bil-
der vom Tatort zu bekommen . Und am Ende dauert die
Auswertung – wie im Fall Amri – womöglich wochen-

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


lang . Ja wen wollen Sie mit diesem Placebo eigentlich
beruhigen, meine Damen und Herren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Das Gleiche gilt für die automatische Kennzeichener-
fassung . Bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben
kann doch die Kennzeichenfahndung an der Grenze nicht
die Antwort auf die aktuelle Sicherheitslage sein . Kollege
Grötsch, es geht dabei eben nicht um die Strafverfolgung,
sondern es ist eine Maßnahme nach dem Bundespolizei-
gesetz . Also geht es um Gefahrenabwehr und eben nicht
um Strafverfolgung . Deswegen fragt man sich natürlich,
welches konkrete Szenario Sie da eigentlich im Kopf ha-
ben . Denn Anschläge wie der vom Breitscheidplatz kön-
nen es ja nicht gewesen sein, weil solche Anschläge mit
gestohlenen Fahrzeugen innerhalb von wenigen Stunden
begangen werden, noch bevor irgendein Kennzeichen
zur Fahndung ausgeschrieben werden kann, und nach ei-
nem solchen Anschlag fehlt es den Behörden sicher nicht
an Daten, die ausgewertet werden können, aber es fehlt
an Personal . Oder haben Sie auch nur eine Minute darü-
ber nachgedacht, wie personalintensiv schon allein die
Bearbeitung der vielen Fehltreffer ist?

Sie sagen es ja selber, Herr Minister, dass einige Län-
der bereits über ein solches Fahndungsinstrument ver-
fügen und dass die Bundespolizei jetzt im Grunde ge-
nommen nichts anderes tun soll . Wozu das führen wird,
ist mir schon klar: Es wird doppelte Abgleiche geben,
es wird dreifache Abgleiche geben . Da braucht man gar
nicht bei den vielen Fehltreffern anzufangen, um zu er-
ahnen, was es bedeutet, am Ende die doppelte und drei-
fache Arbeit zu bewältigen . Jedenfalls hat Ihr Vorschlag
mit Terrorabwehr nicht das Geringste zu tun . Auch hier
ist es wieder die pure Technikgläubigkeit ohne einen
Funken mehr Sicherheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da fällt Ihr Vorschlag zu den Body-Cams in diesem
Gesetzespaket ja fast schon positiv auf . Jedenfalls gibt
es gute Gründe für deren Einsatz, auch wenn man natür-
lich gespannt sein darf, ob die Body-Cams am Ende auch
die Erwartungen, die an sie gerichtet sind, erfüllen wer-
den . Aber Sie haben natürlich recht: Gewalt gegen Poli-
zeibeamte ist ein sehr ernstes Thema . Und wenn es der
Bundespolizei bei der Erfüllung ihrer rechtsstaatlichen
Aufgaben hilft, dann ist die Einführung von Body-Cams
sicher einen Versuch wert . Nur beim Datenschutz soll-
ten Sie auf jeden Fall noch nacharbeiten, zum Beispiel,
was die notwendige Verschlüsselung der Daten betrifft.
Das gilt für die dienstrechtliche Seite genauso wie für
die Rechte der Betroffenen. Es geht aber auch um die
Frage, wo die Aufnahmen aufbewahrt werden und wer
eigentlich darüber entscheidet, was weiterhin aufbewahrt
wird, was noch benötigt wird oder was gelöscht werden
kann . Das ist im Gesetzentwurf bisher leider noch nicht
geregelt. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir
wenigstens in diesem Bereich zu einer vernünftigen Lö-
sung kommen werden .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821600700

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan

Mayer .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1821600800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Beide Gesetzentwürfe,
die wir heute in erster Lesung beraten, sind sachlich not-
wendig, sie sind sachlich erforderlich, sie sind aber allem
voran maßvoll, sie sind verhältnismäßig, und sie erhalten
die nachdrückliche Unterstützung der CDU/CSU-Frakti-
on . Beide Gesetzentwürfe dienen aber nicht der Skanda-
lisierung und der Empörung .

Frau Kollegin Mihalic, wenn Sie davon sprechen,
durch beide Gesetzentwürfe würde kein Funken mehr Si-
cherheit generiert und dass wir nur der Technikgläubig-
keit nachhängen, dann trifft das einfach nicht den Kern.
Ich gehe ja gar nicht so weit, zu sagen: Allein durch diese
beiden Gesetze wird in Zukunft mit hundertprozentiger
Sicherheit ein Terroranschlag in Deutschland verhin-
dert . Ich bin aber der festen Überzeugung, dass beide
Gesetzentwürfe, sowohl die Novellierung des Bundes-
polizeigesetzes als auch die maßvolle Erweiterung der
Videoüberwachung, ein weiterer wesentlicher Schritt zur
Verbesserung der Sicherheit in Deutschland sind .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
zunächst zur maßvollen Erweiterung der Videoüberwa-
chung . Worum geht es denn ganz konkret? Es geht da-
rum, dass wir § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes dahin
gehend ändern, dass in Zukunft in privaten Einrichtun-
gen, beispielsweise in Einkaufszentren, aber auch in Ver-
sammlungs-, Vergnügungs- und Sportstätten, unter er-
leichterten Bedingungen Videoüberwachung stattfinden
kann, dass die Themen „Freiheit“, „Schutz des Lebens“
und „Schutz der Gesundheit“ von besonderem Interesse
sind, wenn es darum geht, abzuwägen, ob im konkreten
Einzelfall Videoüberwachung zulässig ist oder nicht . Das
ist aus meiner Sicht vollkommen maßvoll und verhältnis-
mäßig und entspricht überhaupt nicht dem, was teilweise
seitens der Opposition daraus gemacht wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt aus meiner Sicht gute Gründe für die Vi-
deoüberwachung . Herr Minister de Maizière hat den
Amoklauf in München angesprochen . Damals war über
Stunden hinweg unklar, wo sich der Attentäter, der
Amok läufer aufhält, es war damals auch die Rede davon,
dass der Anschlag möglicherweise von mehreren Perso-
nen verübt wurde . Vor dem Hintergrund ist es schon ein
Mehrwert an Sicherheit, wenn insbesondere in größe-
ren Einkaufszentren, in Sportstätten und in Sportstadien
Videoüberwachung stattfinden kann. Die Bevölkerung

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


goutiert dies übrigens . 81 Prozent der Bundesbürger sind
dafür, dass man die Videoüberwachung ausweitet .

Natürlich ist Videoüberwachung kein Allheilmittel,
und natürlich geht es auch darum, dass wir verstärkt auf
mehr Polizeipräsenz setzen . Gerade der Bund hat in der
laufenden Legislaturperiode so viel zur Stärkung der Si-
cherheitsbehörden getan wie noch nie zuvor . Allein im
Zeitraum zwischen 2016 und 2020 wird die Zahl der
Stellen bei der Bundespolizei um 7 500 erhöht, das ent-
spricht 20 Prozent der Belegschaft . Beim Bundeskrimi-
nalamt wurde die Zahl der Stellen im gleichen Zeitraum
sogar um 25 Prozent, also um ein Viertel, erhöht . Ich
glaube, das kann sich wirklich sehen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin der festen Überzeugung: Eine moderate, maß-
volle Ausweitung der Videoüberwachung, die bei wei-
tem nicht der eines Überwachungsstaates entspricht,
stärkt die Arbeit der Sicherheitsbehörden sowohl in der
präventiven Arbeit, weil sie abschreckende Wirkung hat,
als auch bei der Verfolgung von Straftaten, weil sie die-
se erleichtert . Ich glaube, uns allen sind die schreckli-
chen Bilder in guter Erinnerung – oder besser gesagt: in
schlechter Erinnerung –, als eine Gruppe von Jugendli-
chen vor wenigen Wochen in einem U-Bahnhof hier in
Berlin versucht hat, einen Obdachlosen anzuzünden . Die
Jugendlichen haben sich dann sehr schnell „freiwillig“ –
in Anführungszeichen – gestellt, weil die vorhandenen
Videoaufzeichnungen so gut waren, dass sie davon aus-
gehen mussten, dass sie sehr schnell überführt werden .
Daran sieht man ganz konkret, dass Videoüberwachung
auch zur Strafverfolgung einen sehr wertvollen Beitrag
leisten kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
novellieren aber auch das Bundespolizeigesetz . Es geht
insbesondere darum, Bundespolizisten besser zu schüt-
zen . Gestatten Sie mir auch hier ein klares Wort: Es läuft
derzeit in manchen Medien – auch in einer Boulevardzei-
tung – eine Kampagne gegen Polizisten in Ausbildung,
die sehr pauschal diskreditiert werden . Folgende Zahlen
seien einmal dagegengestellt: Im Jahr 2015 sind 64 371
Polizisten Opfer von Straftaten geworden . 64 371! Im
Jahr 2014 waren es 62 770 und im Jahr 2013 59 044
Polizisten . Das heißt, dass fast jeder dritte Polizist in
Deutschland einmal im Jahr entweder bespuckt, belei-
digt, diskriminiert, diskreditiert oder sogar körperlich
angegriffen wird. Vor dem Hintergrund sind wir es aus
meiner Sicht den Personen, die für uns den Kopf hin-
halten, schuldig, sie besser zu schützen, sowohl was die
persönliche Ausstattung als auch was Technik anbelangt .
Das hat, Kollegin Mihalic, überhaupt nichts mit Tech-
nikgläubigkeit zu tun . Es gibt aufgrund der Entwicklung
Gott sei Dank neue Möglichkeiten, und die mobile Vi-
deotechnik gehört dazu .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mir zugehört? Ich fand die Body-Cams sogar gut!)


Die wird ja jetzt auch nicht vom Bund erfunden .

Manche Länder haben die Body-Cams sehr erfolg-
reich eingesetzt, allen voran das Land Hessen . Ich bin
auch dem hessischen Innenminister Peter Beuth sehr
dankbar, dass er dieses Thema mit Nachdruck vorange-
bracht hat .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Sie mir nicht zugehört haben!)


Vor dem Hintergrund sind wir nachdrücklich der Auf-
fassung, dass auch die Ermöglichung des Tragens von
Body-Cams für Bundespolizisten ein sinnvolles Mittel
ist .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Da sind wir uns ja einig!)


Es geht bei dem Gesetzentwurf auch darum, dass
wir in Zukunft dahin gehend Klarheit schaffen, dass die
Daten von Personen, deren Zurückweisung an der deut-
schen Außengrenze ermöglicht werden soll, über INPOL
in das Schengener Informationssystem eingespeist wer-
den können .

Ebenso sind wir der Auffassung, dass die automati-
sche Kennzeichenerfassung ein wichtiges Hilfsinstru-
ment ist . Auch hier sei wieder klar gesagt: Das ist kein
Allheilmittel . Von vielen Bundesländern – allen voran
Bayern – ist dieses Mittel aber schon sehr erfolgreich
eingesetzt worden. Es geht nicht um eine flächende-
ckende Erfassung der Pkws oder Lkws, die die deutsche
Grenze überqueren, sondern um eine anlassbezogene Er-
fassung der Kfz-Kenneichen . Auch hier, weil das Stich-
wort „Datenschutz“ heute schon gefallen ist, sei gesagt:
Es kommt nicht zur Speicherung Unbeteiligter und von
Pkws, die keinen Treffer auslösen. Die werden nicht mal
eine Sekunde lang gespeichert . Vielmehr kommt es nur
dann zur Speicherung, wenn ein konkreter Treffer vor-
liegt . Ich glaube, dass das wirklich maßvoll und verhält-
nismäßig ist . Vor dem Hintergrund erfährt auch dies die
nachdrückliche Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letzten
Punkt zum Inhalt des Gesetzentwurfs möchte ich er-
wähnen, dass die Möglichkeit besteht, in Zukunft die in
Einsatzzentralen eingehenden Anrufe zu speichern . Aus
meiner Sicht ist das in der heutigen Zeit eine Selbstver-
ständlichkeit, sodass die Möglichkeit besteht, sich solche
Anrufe noch einmal anzuhören .

Wie gesagt: Diese beiden Gesetzentwürfe sind ein
Schritt nach vorn . Sie sind Bestandteil eines größeren
Sicherheitspakets, das wir in den nächsten Wochen und
Monaten – noch in der laufenden Legislaturperiode – im
Deutschen Bundestag voranbringen werden .

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, wir nehmen
Ihren Appell sehr ernst und werden das Gesetzgebungs-
verfahren in der gebotenen Qualität zügig und schnell
durchführen . Wir werden, Herr Kollege Tempel, selbst-
verständlich auch eine Anhörung dazu durchführen .
Auch das ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir auch
die Expertise von außen hinzuziehen .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Ich bitte gerade angesichts der derzeitigen brisanten
Sicherheitslage in unserem Land darum, dass wir uns alle
darauf konzentrieren und das Gesetzgebungsverfahren
diszipliniert, schnell und zügig vorantreiben .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821600900

Die Kollegin Martina Renner spricht jetzt für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821601000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Als Innenpolitikerin spreche ich nicht das erste Mal
zur Videoüberwachung . Wir sollten es sachlich tun . Es
geht hier nicht um den Einsatz der Technik zur Überwa-
chung von Kriminalitätsschwerpunkten . Es geht darum,
Videoüberwachung tatsächlich flächendeckend einzu-
führen und auch zu nutzen .

Der grauenhafte Terroranschlag auf dem Breitscheid-
platz hat der Frage nach öffentlicher Sicherheit traurige
Aktualität verliehen . Der vorgelegte Gesetzentwurf ist
jedoch die falsche Antwort auf diese Frage . Er bedeu-
tet ein Mehr an Überwachung, aber nicht ein Mehr an
Sicherheit . Die Fraktion Die Linke wird daher den Ge-
setzentwurf ablehnen, weil er nichts besser, aber einiges
schlechter machen wird .

Was wird er nicht besser machen? Die Ausweitung der
Überwachung öffentlicher Räume taugt nicht einmal als
Placebo; denn anders als ein Placebo hilft Überwachung
selbst dann nicht, wenn man daran glaubt . Schauen wir
auf die beiden zentralen Versprechen, mit denen dieser
Eingriff in Datenschutz und Bürgerrechte gerechtfertigt
werden soll .

Zum einen wird gesagt, Videoüberwachung erhöhe die
Sicherheit der Bevölkerung . Das ist nachweislich falsch .
Die flächendeckende Videoüberwachung in Großbritan-
nien, wo ein Passant etwa 300-mal am Tag von Kameras
erfasst wird, verhinderte nicht die Anschläge in London .
Ein Rückgang der Kriminalität, insbesondere der Ge-
waltkriminalität, ist im Land der 4,5 Millionen Kameras
nicht feststellbar, und die abschreckende Wirkung nimmt
ab . Dies räumen inzwischen auch die Behörden in Groß-
britannien ein . Der Leiter von Scotland Yards Videoüber-
wachungsabteilung bilanzierte 2010 zur Kameraüberwa-
chung, sie sei ein – Zitat – „völliges Fiasko“ . Dies gilt für
die Strafverfolgung wie für die Prävention . Das in dem
Gesetzentwurf formulierte Versprechen – Zitat –, „die
Sicherheit der Bevölkerung präventiv zu erhöhen“, wird
also nicht eingelöst .

Das andere Versprechen lautet, dass die Ermittlungen
effektiver werden. Ist die Linke eigentlich die Einzige,
die sich an Amris hämische Geste nach der Tat erinnert,
deren Erfassung durch eine Kamera am Bahnhof Zoo
exakt gar nichts zur Ergreifung beitrug? Sind wir die
Einzigen, die sich daran erinnern, dass die Aufnahmen
der NSU-Terroristen von Kameras in Köln vor dem Na-

gelbombenanschlag eben nichts zur Effizienz der Ermitt-
lungen beitrugen?


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen Sie darauf?)


Auch dieses Versprechen ist leer .

Das Gesetz wird also nichts besser machen . Doch was
macht das Gesetz schlimmer? Videoüberwachung ist ein
intensiver Eingriff. Sie beeinträchtigt alle, die den betrof-
fenen Raum betreten . Sie dient dazu, belastende hoheitli-
che Maßnahmen vorzubereiten und das Verhalten der den
Raum nutzenden Personen zu lenken .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821601100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wendt?


Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821601200

Herr Wendt, bitte .


Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1821601300

Frau Kollegin, vielen Dank für die Möglichkeit zur

Zwischenfrage . – Sie sagten, dass die Videoüberwa-
chung von Herrn Amri – er hat hämisch in die Kamera
gegrinst – zu keinem Erfolg geführt hat . Hätte sie Ihrer
Meinung nach aber zu einem Erfolg geführt, wenn wir
eine Videoüberwachung mit Gesichtserkennung gehabt
hätten und ein Foto von Herrn Amri in der Datenbank
hinterlegt worden wäre? Dann hätte in dem Moment, in
dem Herr Amri hämisch in die Kamera lachte, im La-
gezentrum der Polizei ein Alarm losgehen können: Herr
Amri hat eben in diese Kamera gelacht . – Das hätte doch
zu einem Erfolg geführt, oder?


Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821601400

Wir reden doch hier über die Nutzung von Aufnah-

men durch Private . Sie wollen doch jetzt nicht ernsthaft
der Überlegung das Wort reden, in Zukunft Kameras in
Supermärkten technisch so zu konfigurieren, dass dort
auch ein Gesichtserkennungsprogramm läuft . Haben Sie
eine Vorstellung davon, welchen Missbrauch Sie damit
ermöglichen würden? Wenn das möglich wäre, gäben wir
ein komplettes Bewegungsbild an Dritte .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihm fehlt jede Vorstellung davon!)


Herr Wendt, ich glaube, das ist ein vollkommen falscher
Vorschlag und ein verfehlter Einwand .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte zurückkommen auf das Zitat des Bundes-
verfassungsgerichts, das ich vorhin verlesen habe . Darin
wird ganz klar ausgedrückt, wie intensiv der Eingriff ist
und dass maßgebliche Verhaltungsänderungen mit einer
Videoüberwachung einhergehen .

Ich möchte darauf verweisen, dass in dem Gesetzent-
wurf eine einheitliche und klare Normierung von Lö-
schungsfristen nicht vorgesehen ist . Auch das muss man
meiner Meinung nach als Kritikpunkt erwähnen .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Um es noch einmal zusammenzufassen und im Klar-
text darzulegen: Wer beobachtet wird, ändert sein Ver-
halten . Jeder von uns kennt das: Wenn die Kamera hier
angeht, laufen, sitzen und reden wir anders, als wenn wir
unbeobachtet sind . Videoaufzeichnungen können in viel-
fältiger Weise missbraucht werden, nicht nur von Priva-
ten und Firmen . Auch der Staat hat kein Recht, immer zu
wissen, wo wir sind und was wir genau tun . Schon jetzt
ist klar, dass die Benachrichtigungspflichten, die sich aus
den Maßnahmen gegenüber den Betroffenen ergeben,
nicht erfüllt werden können .

Nein, das Gesetz wird nichts besser machen, und des-
halb können wir ihm nicht zustimmen . Wir sehen es als
eine Maßnahme, die gesellschaftlicher Verunsicherung
begegnen soll, die wesentlich auch Ergebnis unsozialer
Politik ist . Doch anders als in der Mathematik ergeben
Minus und Minus hier kein Plus . Wir werden deshalb
weiterhin für eine Politik streiten, die öffentliche und so-
ziale Sicherheit als Einheit begreift .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821601500

Der Kollege Sebastian Hartmann spricht jetzt für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1821601600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die wichtigste Nachricht vorab: Wir leben in
einem der sichersten Staaten der Welt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass das so bleibt und dass das Sicherheitsniveau jeden
Tag weiter verbessert wird, ist unsere gemeinsame Ver-
antwortung, und zwar aller Teile dieses Hauses, sowohl
der Opposition, die schon versucht, Brücken zu bauen,
um mit uns mitzugehen auf dem Weg der Verbesserung
der inneren Sicherheit, als auch der die Regierung tragen-
den Fraktionen, die gemeinsam einen Gesetzentwurf auf
den Weg gebracht haben, um die öffentliche Sicherheit
in Deutschland noch weiter zu verbessern . Genau darum
geht es . Das werden wir gemeinsam tun .

Wir haben verschiedene Vorschläge gemacht; Kollege
Grötsch ist schon darauf eingegangen . Was den Schwer-
punkt der Videoüberwachung angeht: Wenn man das
Gesetz daraufhin bewertet, sollte man sich den Text des
Gesetzes dazu genau ansehen: Wir reden über 3 100 Ka-
meras in bestimmten abgegrenzten Bereichen, und zwar
immer dort, wo es eine Lücke in den Bestimmungen gibt,
nämlich wo es um große, öffentlich zugängliche Räume
geht,


(Zuruf der Abg . Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


die durch private Akteure betrieben werden, zum Bei-
spiel ein Einkaufszentrum. Immer mehr Teile des öffent-

lichen Raums werden durch private Akteure betrieben,
und es kann doch nicht sein, dass wir genau dort keine
Videoüberwachung ermöglichen .

Wir machen es nicht einfach so, dass, wenn das Si-
cherheitsgefühl subjektiv infrage steht, jeder das irgend-
wie machen kann, wie er will . Nein, wir geben klare
Leitplanken vor, indem wir eine klare Vorgabe für eine
Abwägung hinsichtlich der Schutzgüter der körperlichen
Unversehrtheit und des Lebens ins Gesetz schreiben . Wir
regeln, dass es nur in den Fällen, wo es notwendig und
erforderlich ist, gemacht wird .

Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt;
ich sagte es . Die Statistiken, die genannt worden sind,
bezogen sich vor allem auf Probleme des Schutzes von
Polizistinnen und Polizisten; dieser muss verbessert wer-
den . Andere Zahlen zeigen, dass es in den vergangenen
zehn Jahren in Deutschland wesentlich sicherer gewor-
den ist . Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewalt-
verbrechens zu werden, ist um 17 Prozent niedriger als
vor zehn Jahren . Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bank-
überfall stattfindet, ist um drei Viertel zurückgegangen.
Gleichzeitig ist Deutschland in einer paradoxen Lage:
Denn wenn wir über das subjektive Sicherheitsgefühl
sprechen, so merken wir, dass die Angst zugenommen
hat, Angst, Opfer eines Verbrechens, von Gewalt oder
Terrorismus zu werden .

Verantwortungsvolle Politik muss darauf reagieren .
Auf der einen Seite sieht man, dass es sicherer gewor-
den ist, auf der anderen Seite muss man aber auch die-
sem subjektiven Sicherheitsgefühl begegnen und eine
entsprechende Regelung auf den Weg bringen, damit
die Menschen sich sicherer fühlen . Auch das subjektive
Sicherheitsgefühl ist entscheidend; diese Ängste müssen
wir ernst nehmen . Aber wir wollen dabei nicht, dass es
uferlos wird . Wir wollen nicht anlasslos handeln . Viel-
mehr wollen wir in ganz konkreten Fällen besser werden .

Durch die Technik haben wir verbesserte Möglichkei-
ten . Wenn jetzt seitens der Opposition gesagt wird: „Na
ja, dann schafft man Hundertausende von Fotos, die sich
niemand anschauen wird, und unklare Speicherfristen“,
dann entgegne ich Ihnen, liebe Frau Kollegin: Wenn ein
einziges Foto ausreicht, eine Tat aufzuklären, oder sogar
dazu führt, dass ein Täter seine Vorbereitungshandlung
im öffentlichen Raum, zum Beispiel in einem Einkaufs-
zentrum, nicht so durchführen kann, wie er sich das vor-
gestellt hat, und wir ihn auf dem Weg zur Tat stoppen
können, dann hat es sich gelohnt, das Gesetz an dieser
Stelle klarer zu fassen und privaten Akteuren eine klare
Vorgabe zu geben, was ihre Verantwortung ist, damit wir
gemeinsam für mehr Sicherheit sorgen . Da können Sie
uns begleiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es handelt sich immer um eine Kombination . Herr In-
nenminister, ich gebe Ihnen völlig recht: Die Videoüber-
wachung ist nicht die Kernfrage der inneren Sicherheit .
Es geht um eine Kombination von Maßnahmen . Wenn
wir, Länder und Bund gemeinsam, über mehr Polizei re-
den, wenn wir über mehr Personal reden, das wir zukünf-
tig mithilfe von Body-Cams besser schützen werden,

Martina Renner






(A) (C)



(B) (D)


wenn wir die Möglichkeiten der Digitalisierung und von
mehr Videoüberwachung an bestimmten Punkten nutzen,
dann führt diese Kombination zu einem handlungsfähi-
gen starken Staat, der dafür sorgt, dass Deutschland ein
sicheres Land bleibt .

Dass dies die Leitlinie der Sozialdemokratie ist, kann
man daran erkennen, dass wir eben nicht auf das Spiel
hereinfallen, Freiheit gegen Sicherheit auszuspielen;
denn Freiheit und Sicherheit gehören untrennbar zu-
sammen . Das eine geht nicht ohne das andere . „Freiheit
ist unmöglich, wenn sie nicht durch den Staat gesichert
wird“, hat Karl Popper einmal formuliert . Das ist doch
die Linie; man muss beides zusammen denken . Deswe-
gen: Schauen Sie in den Gesetzentwurf, und lesen Sie,
was da drinsteht .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der liegt ja auf dem Tisch!)


Ich möchte es der Opposition einfach machen . Ich lese
es Ihnen vor, damit Sie wissen, was in diesem Gesetzent-
wurf steht .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Beifall des Abg . Uli Grötsch [SPD])


Es geht um den Einsatz der Videoüberwachung „in Ein-
richtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Schienen-,
Schiffs- und Busverkehrs und öffentlich zugänglichen
großflächigen Anlagen, wie Sport- und Vergnügungs-
stätten, Einkaufszentren und Parkplätzen“ . Genau darum
geht es . Wenn man den Gesetzentwurf gelesen hat, weiß
man es . Es handelt sich – so ungefähr in der Abschät-
zung – um 3 100 Kameras .

Das Gute ist: Wenn man einen Eingriff in Grundrech-
te wie die informationelle Selbstbestimmung vornimmt,
dann ist dies mit einem Verfallsdatum doppelter Art ver-
sehen . Ein solches Verfallsdatum ist der 25 . Mai 2018;
denn dann wird durch europäisches Recht eine klare
Regelung für ganz Europa getroffen. Europa ist schließ-
lich der größte Raum von Freiheit, Recht und Rechts-
staatlichkeit, und Deutschland ist ein starker Teil davon .
Hinzu kommt, dass wir eine Abschätzung vorgenommen
haben, um wie viele Kameras es überhaupt geht; ich habe
die Zahl genannt . Wir werden das evaluieren, damit wir
auf unserem Weg, Deutschland zu einem der sichersten
Staaten der Welt zu machen und dafür zu sorgen, dass
dies so bleibt, beurteilen können, wie viel Erfolg wir bis-
lang damit hatten .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821601700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast,

Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821601800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir dis-

kutieren über dieses Thema heute auch im Lichte des
Terroranschlags am Breitscheidplatz am 19 . Dezember
letzten Jahres; zu beklagen waren 12 Tote, 50 Verletzte
und viele Schwerverletzte . Aber wir diskutieren darü-

ber nicht nur in diesem Lichte, sondern die Debatte über
die Sicherheitsstruktur bzw . -architektur und über die
Maßnahmen, die zulässig sind, hat bereits vorher statt-
gefunden . Sie wurde zum Beispiel geführt, als wir über
Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und den NSU ge-
redet haben . Außerdem haben wir uns mit verschiedenen
Verfassungsgerichtsurteilen und mit der Vorratsdaten-
speicherung beschäftigt .

Was mich betroffen macht, ist: Wir haben über so
viele Gesetze geredet, am Ende sind wir doch wieder
in Karlsruhe gelandet, und die Richter haben gesagt: Es
hat keine hinreichende Abwägung der Rechte stattge-
funden . – Oder wir enden in einer Situation, in der wir
feststellen: Schon existierende Regelungen werden in der
Praxis gar nicht angewandt . Es erschüttert mich, meine
Damen und Herren, dass wir mit Verve ein Sicherheits-
versprechen abgeben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber es gar nicht hinbekommen, im Alltag auf Bundes-
und Länderebene das zu tun, was wir tun könnten .

Gerade der Fall Amri, der hier schon angesprochen
wurde, zeigt ein Vollzugsdefizit. Maßnahmen, die mög-
lich gewesen wären, wurden nicht angewandt, Material
wurde nicht ausgewertet . Die Aufnahmen einer Kamera,
die sie 24 Stunden, 7 Tage in der Woche macht, wurden
nur wegen des Anschlags überhaupt ausgewertet . Wir
diskutieren hier über ein neues Verhältnis von Sicher-
heit, Freiheit und Grundrechten wie dem auf informati-
onelle Selbstbestimmung . Wir als Grüne wollen darüber
wirklich ernsthaft diskutieren. Wir wollen die öffentliche
Sicherheit verbessern . Aber wir werden genau hinse-
hen . Ich zitiere Herrn Lammert, der letzte Woche in der
Gedenkstunde ganz klar gesagt hat: Sicherheit braucht
Freiheit . – Gehen wir doch nicht los, geben ein Sicher-
heitsversprechen ab und blasen etwas auf! Denn nachher
entsteht Verdruss, weil wir nur geredet haben und unsere
Maßnahmen gar nicht für mehr Sicherheit gesorgt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Deutsche Anwaltverein, aber auch der Deutsche
Richterbund haben in ihren Stellungnahmen zu diesen
Gesetzen schon festgestellt: Es gibt verfassungsrechtli-
che Bedenken . – Der Deutsche Richterbund – auch seine
Mitglieder haben ja einen Eid auf die Verfassung geleis-
tet – hat gesagt, es würden überwiegend Personen über-
wacht, die selbst keinen Anlass zu einer Überwachung
böten, und die Ausweitung des Einsatzes von Kameras
im öffentlichen Raum führe zu einem diffusen Gefühl des
permanenten Überwachtwerdens . Das ist etwas, was man
beachten muss . Denken Sie daran: Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen sehr
deutlich ausgeführt: Es gibt sehr, sehr hohe Anforderun-
gen, wenn ereignislos und verdachtslos intensive und un-
gezielte Grundrechtseingriffe erfolgen. – Genau das ist
es, worum es hier geht . Wollen Sie hier Vorschläge ma-
chen, mit denen Sie demnächst in Karlsruhe landen und
scheitern? Das verbessert doch kein Sicherheitsgefühl!

Schauen wir einmal genau hin: Mir ist in dieser Debat-
te aufgefallen, dass die Redner der CDU/CSU das Wort

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


„Grundrechte“ kein einziges Mal genannt haben . Dort
besteht Ihre rechtliche Schieflage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Keine Belehrung!)


Sie fragen, ob die Aufklärung von Straftaten und die Er-
höhung des subjektiven Sicherheitsgefühls keine verfol-
genswerten Ziele sind . Natürlich! Das sind doch Dinge,
die uns auch beschäftigen . Aber schauen wir auf das,
was Sie vorschlagen: Herr de Maizière hat vor etwa ei-
ner Stunde hier gefragt: Fingerabdrücke nehmen – ist
das etwa falsch? – Nein, natürlich ist das nicht falsch .
Aber hier geht es zum Beispiel nicht darum, dass von
einer einzigen verdächtigen Person Fingerabdrücke ge-
nommen werden, sondern es geht um die anlasslose, ver-
dachtslose, ungezielte Speicherung, meine Damen und
Herren .


(Beifall des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Wir kritisieren auch die Body-Cam überhaupt nicht . Sie
kann situationsbezogen eingesetzt werden, und sie ist gut
für den Schutz von Polizeibeamten . Das haben sie ver-
dient . Sie ist auch gut für den Schutz des Bürgers gegen
Übergriffe. Diskutieren wir es! Aber geben Sie doch zu –
das haben Sie nicht getan –, dass die von Ihnen benannte
Bundesdatenschutzbeauftragte Frau Voßhoff bezüglich
der Erfassung von Autokennzeichen gesagt hat, dass sie
das so nicht will und sie nicht richtig ist . Das Bundes-
verfassungsgericht hat einzelne Regelungen der Länder
dazu längst, 2008, als nicht verfassungsgemäß bezeich-
net .

Wir haben Verantwortung, aber diese soll sich nicht
beziehen auf ein subjektives Gefühl, sondern auf wirk-
lich hergestellte Sicherheit: mehr Sicherheit, aber auch
mehr Schutz für die Grundrechte der Bürgerinnen und
Bürger, keine falschen Versprechungen, sondern viel-
mehr Maßnahmen, die wirklich helfen und die Grund-
rechte wahren . Wie Herr Lammert hier sagte: Sicherheit
braucht Freiheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821601900

Der Kollege Günter Baumann spricht jetzt für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1821602000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich
verändert . Wir haben eine Zunahme terroristischer Be-
drohung, und wir haben eine Zunahme an Kriminalität
generell . Wir haben eine Zunahme an Wohnungseinbrü-
chen, Autodiebstählen und Rauschgiftdelikten . Wir ken-
nen die Statistiken . Es beunruhigt uns alle .

Wir haben in den letzten Jahren eine Reihe von Ge-
setzen in Kraft gesetzt, um die Sicherheit zu erhöhen,
und merken: Es reicht nicht aus . Wenn wir vor Jahren in

Deutschland noch dachten, Sicherheit sei besser gewor-
den und wir könnten Polizei abbauen, so war das leider
ein Trugschluss . Wir müssen heute gegensteuern . Frau
Künast, „Sicherheit braucht Freiheit“, haben Sie hier
zitiert . Aber Freiheit ohne Sicherheit ist überhaupt nicht
möglich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])


Ich denke – es wurde von mehreren Rednern auch ge-
sagt –, wir als Staat haben die Pflicht, für unsere Bürger
alles uns Mögliche zur Sicherheit zu leisten . Das verlan-
gen und erwarten die Bürger von uns, und wir sind auch
dafür gewählt worden, dies zu leisten . Jeder von uns hat
auch im privaten Bereich umdenken müssen . Nachdem
wir vor Jahren noch relativ sorglos waren, so haben wir
auch zu Hause einiges verändert, seien es die Türen,
die Fenster oder anderes . Wir haben also mehr für un-
sere eigene Sicherheit getan . Das müssen wir auch vom
Staat verlangen . Wir stehen in der Verantwortung . Frau
Mihalic, wir wollen mit dem Gesetz heute nicht beruhi-
gen . Wir wollen einfach handeln; denn Nichtstun ist ga-
rantiert der falsche Weg .


(Zurufe der Abg . Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch wenn bei jedem Gesetz die Möglichkeit besteht,
dass etwas nicht hundertprozentig funktioniert: Nichts zu
tun, ist überhaupt keine Lösung .

Meine Damen und Herren, einzelne Punkte des Ge-
setzes sind bereits von mehreren Rednern erwähnt wor-
den, deshalb nur kurz: Beim Videoüberwachungsverbes-
serungsgesetz geht es um öffentlich zugängliche Plätze;
die Regelung für den privaten Raum ist bereits diskutiert
worden . Das müssen wir einfach leisten . Frau Renner,
die Abwägung zwischen Datenschutz und Sicherheit ist
immer in der Diskussion, gar keine Frage . Aber wir ha-
ben ja gerade an Beispielen aus der letzten Zeit gemerkt,
dass uns Videoaufnahmen geholfen haben . Wenn wir
die U-Bahn-Station Schönleinstraße in Berlin sehen, wo
Chaoten einen Obdachlosen angezündet haben,


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch etwas ganz anderes!)


so war es dort nur durch Videoüberwachung möglich,
dass die Täter erkannt worden sind .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir gar nicht in Abrede gestellt!)


Wir können dankbar sein, dass dort Kameras installiert
waren und schnell gehandelt werden konnte . Bei dem
schrecklichen Anschlag am 19 . Dezember 2016 in Berlin
hatten wir eben keine Aufnahme, weil die Berliner Poli-
zei das relativ restriktiv sieht .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Darüber streiten wir ja gar nicht, Herr Kollege!)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


Am Ende haben wir Bürger gefragt, ob jemand Handy-
aufnahmen hat, um uns zu helfen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorher an der Moschee hatten wir Aufnahmen!)


Bei den Videoaufnahmen geht es also sowohl um die
Identifizierung als auch um die Rekonstruktion einer Tat.
Wenn wir die Möglichkeit haben, dann müssen wir sie
einfach auch nutzen .

Daneben ist bei Videokameras auch die Prävention
entscheidend, da sich viele abschrecken lassen, wenn sie
Kameras sehen und wissen: Hier wird überwacht; hier
kann ich nicht das tun, was ich vielleicht vorhatte .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist ja nun wirklich widerlegt!)


Zum Thema „Mobile Videotechnik/Body-Cams“: In
Deutschland ist die Hemmschwelle von Chaoten total
gesunken; das ist etwas ganz Schlimmes . Zum Teil haben
sie überhaupt keine Hemmschwelle mehr . Steine auf Po-
lizisten zu werfen, ist bei manchen Veranstaltungen schon
fast normal . Wenn wir sehen, dass 2015 64 000 Strafta-
ten registriert wurden, bei denen es um Angriffe gegen
Polizisten ging – es gab alleine 7 Tötungsversuche gegen
Polizisten –, wird klar, Frau Mihalic: Es ist unverant-
wortlich, wenn wir als Staat hier nicht handeln . Deswe-
gen müssen wir die Möglichkeiten nutzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Freistaat Sachsen gab es vor kurzem das ganz
schlimme Beispiel, dass bei dem Brand eines Asylbe-
werberheimes Feuerwehrleute angegriffen worden sind.
Das muss man sich einmal vorstellen: Bürger sind eh-
renamtlich bei der Feuerwehr tätig, opfern ihre Freizeit,
sind für andere da und werden bei dem Einsatz an einem
Gebäude, in dem sich Menschen befinden, von Chaoten
angegriffen! Und wir als Staat sagen: Na ja, gut, okay;
das ist halt so . – Nein, wir müssen hier alle Möglichkei-
ten nutzen, um Polizisten und Rettungskräfte zu schützen
und ihnen zu helfen, weil das einfach nicht so sein kann .

Ich sage aber auch: Das ist nur ein Baustein, den wir
für Sicherheit brauchen . Das allein wird nicht alles re-
geln, aber alles zusammen, im Komplex, kann helfen .

Die Polizei in Hessen hat einen entsprechenden Ver-
such gemacht. Die Zahl der Angriffe auf Polizisten ist um
38 Prozent zurückgegangen . Wenn das nicht zum Nach-
denken Anlass gibt, dann kann man Ihnen einfach nicht
mehr helfen .

Kollege Tempel, bei den Body-Cams geht es um den
Schutz der Polizei . Dass es Fehler geben kann, indem
man die Kamera zu zeitig oder zu spät einschaltet oder
in die falsche Richtung hält, ist klar – das kann alles pas-
sieren –, aber nichts zu tun, ist zu hundert Prozent falsch .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich ja wohl auch nicht gesagt! Sie haben ein Problem mit dem Zuhören offensichtlich! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wohl ein Problem mit dem Zuhören! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den falschen Zettel herausgeholt! Lesen Sie einmal den richtigen Zettel vor! Dann verstehen wir uns!)


– Okay . Sie haben ja gesagt: Wir wollen darüber reden . –
Das ist schon mal ein Angebot . Ich denke, das ist schon
ein Ansatz .

Zum Thema Kennzeichenerfassung ist mir etwas Selt-
sames eingefallen .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir gemerkt!)


– Nein . – Das Seltsame ist, dass ich vor etwa 15 Jahren
auch an diesem Pult stand und dasselbe Thema schon
einmal diskutiert habe . Damals, vor 15 Jahren, hatten
wir eine rot-grüne Regierung . Ich bin damals beschimpft
worden, dass wir das nicht brauchen, weil die Sicher-
heitslage gar nicht so schlimm ist . Der Datenschutz ging
über alles . Dann haben wir das zu den Akten gelegt .

Seitdem hat sich die Lage wesentlich verschärft, ge-
rade in den Grenzregionen . Wer aus den Grenzregionen
kommt, weiß, was sich dort abspielt: Crystal Meth, Au-
todiebstähle, hohe Kriminalität, organisierte Kriminali-
tät . Dort müssen wir einfach die Möglichkeiten nutzen –
nicht generell, sondern anlassbezogen, bei bestimmten
Situationen und in bestimmten Regionen . Dort müssen
wir Videoaufnahmen anfertigen . Sie werden sofort ge-
löscht, wenn es keine Treffer gibt. Jedenfalls können sie
absolut helfen, etwas aufzuklären .

Die Aufzeichnung von Notrufen ist, denke ich, das
Selbstverständlichste der ganzen Welt . Ein Notruf bei der
Polizei muss aufgezeichnet werden . Man muss sich noch
einmal anhören können, was genau gesagt wurde, und
man muss nachrecherchieren können . Die Länder, in de-
nen das schon lange gang und gäbe ist, würden über uns
lachen, wenn wir das nicht erlauben würden . Deswegen
können wir diesen Punkt ganz schnell abschließen .

Meine Damen und Herren, die vorliegenden zwei Ge-
setzentwürfe helfen, die Sicherheit zu verbessern . Sie
können sie nicht komplett garantieren, aber verbessern .
Vor allen Dingen schützen diese Gesetzentwürfe unsere
Polizei noch mehr, und dazu sind wir verpflichtet.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821602100

Nächster Redner ist der Kollege Matthias Schmidt für

die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821602200

Vielen Dank . – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Prägnantes Merkmal unserer Arbeit ist
das Abwägen – das Abwägen verschiedener Individual-
interessen, um das Gemeinwohlinteresse herauszufiltern
und sie zu einem Kompromiss zu bündeln .

Günter Baumann






(A) (C)



(B) (D)


Sie, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf den
Tribünen, sehen heute hierfür ein sehr gutes Beispiel: die
verschiedenen Argumente für und gegen die Videoüber-
wachung und das Abwägen von uns Parlamentariern .
Auslöser der Debatte sind drei furchtbare Anschläge im
Juli letzten Jahres in Bayern: der Axtangriff in Würzburg,
der Sprengstoffanschlag in Ansbach und der Amoklauf
im Einkaufszentrum in München . Aber eine dramatische
Steigerung hat diese Debatte am 19 . Dezember 2016 hier
in Berlin mit dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt am
Breitscheidplatz erfahren . Zeitgleich mit dem Anschlag
auf den Breitscheidplatz gab es zwei weitere abscheuli-
che Verbrechen in Berlin, die mittels Videotechnik relativ
schnell aufgeklärt wurden . Der erste Vorfall: Ein Mann
hatte auf dem U-Bahnhof Hermannstraße eine Frau ge-
treten, die daraufhin die Treppe herunterstürzte und sich
schwer verletzte . Der andere Vorfall ereignete sich auf
dem U-Bahnhof Schönleinstraße, wo ein Obdachloser
angezündet wurde .

In diesem Zusammenhang hat mir ein Bürger, den
ich sehr schätze, eine E-Mail geschrieben . Der Kernsatz
lautete: Gegen Videoüberwachung kann doch wirklich
niemand etwas haben . – In diesem Kernsatz war der ver-
zweifelte Ruf nach einem Gegenargument enthalten . Er
wollte nicht, dass es eine flächendeckende Videoüberwa-
chung gibt, sondern wollte hören, dass wir dies sehr wohl
abwägen . Ja, Sie erleben es auch in dieser Debatte: Wir
Abgeordneten wägen die Argumente sehr intensiv ab .

Selbstverständlich birgt jede Überwachung auch die
Möglichkeit des Missbrauchs . Eine Lehrerin hat mir
kürzlich erzählt: Sie hatte einen schweren Fahrradunfall .
Der Klassiker, beim Rechtsabbiegen hat sie ein Lkw er-
wischt . Nach langem Krankenhausaufenthalt ist sie zum
Glück gesundet . Jetzt aber geht die juristische Debatte
los, ob sie an dem Unfall eine Teilschuld hat oder nicht .
Der Vater einer ihrer Schüler ist Polizist . Er hat sie eines
Morgens begrüßt mit der Aussage, er habe einmal in ihre
Akte geschaut, das sei ja wirklich ein furchtbarer Vor-
gang . – Daran sieht man: Es gibt immer Missbrauchs-
möglichkeiten . Wir müssen sehr gut aufpassen, dass sie
nicht genutzt werden .

Berlin – wir haben die Beispiele gehört – ist im Grun-
de gut aufgestellt . Die Vorfälle in der U-Bahn in Berlin
wurden aufgeklärt; das ist positiv . Die Gesetzeslage ist
nicht so schlecht, dass keine Aufklärung erfolgen konn-
te . Insgesamt gibt es in Berlin 15 000 Videokameras im
öffentlichen Raum, die meisten davon im öffentlichen
Personennahverkehr . Interessanterweise gibt es sie so gut
wie gar nicht bei der S-Bahn . Dort gibt es zwar auf den
Bahnsteigen ein paar Kameras; diese zielen aber eher auf
die Türen, um Abfertiger einzusparen . In den Zügen der
S-Bahn gibt es die Videoüberwachung noch gar nicht .
Sie wird es mit der neuen Baureihe geben, die in vier
Jahren eingeführt wird . Bei der U-Bahn hingegen gibt es
die Videoüberwachung schon flächendeckend.

Die Videokameras bei der U-Bahn führen mich zu
einem weiteren Gedanken . Videotechnik ist – auch im
übertragenen Sinne – nicht nur schwarz-weiß . Man kann
nicht sagen: Mit Videotechnik ist es gut, ohne Video-
technik ist es schlecht . Ganz wichtige Fragen, die hier
bisher kaum diskutiert wurden, sind: Wie gehen wir an-

schließend mit den Aufnahmen um? Wie ist es um die
Eingriffs tiefe in die Grundrechte tatsächlich bestellt? –
Es macht einen großen Unterschied, ob die Bilder live in
einem Kontrollzentrum von Polizisten oder elektronisch
ausgewertet werden oder ob sie, wie in der U-Bahn üb-
lich, 48 Stunden gespeichert werden, um sie nutzen zu
können, wenn eine Straftat begangen worden ist . Die Bil-
der in der U-Bahn, die nur gespeichert werden, werden
sofort in die Leitzentrale geschaltet, wenn ein Notruf-
knopf gedrückt wird . Sie sehen, es gibt sehr viele Schat-
tierungen . Wir müssen sehr intensiv miteinander um eine
Lösung ringen .

Die Gesetze, die wir hier im Bundestag formulieren,
müssen sich stets in der Realität bewähren . Trauriger An-
lass sind hier die verübten Attentate . Mit den jetzt vor-
gelegten Gesetzentwürfen der Bundesregierung haben
wir eine sehr gute Diskussionsgrundlage für unsere Aus-
schussberatungen . Ich wünsche uns allen eine saubere
Abwägung im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse .

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821602300

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Marian Wendt für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1821602400

Herr Präsident ! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

beiden vorliegenden Gesetzentwürfe gehen in die rich-
tige Richtung . Das Gesetz zur Verbesserung von Video-
aufzeichnungen konkretisiert und stellt klar, in welchen
öffentlichen und halböffentlichen Bereichen videoüber-
wacht werden darf, nicht mehr und nicht weniger . Eine
Rechtsklarstellung ist immer im Sinne eines Rechtsstaa-
tes . Das Gesetz zur Einführung von Body-Cams ist für
mich ein wesentlicher Schritt hin zum weiteren Schutz
unserer Polizistinnen und Polizisten . Neben der Zulas-
sung von Kennzeichenlesegeräten und der Aufzeichnung
in Dienststellen eingehender Anrufe komplettieren die-
se Gesetzentwürfe das Bündel der Maßnahmen, die die
Polizei ergreifen kann, um ihrer Arbeit so effizient wie
möglich nachzugehen . Wir, also Sie und ich, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, haben die Verantwortung und
die Pflicht, den Polizisten das Material, das Rechtsin-
strument und die Ausrüstung zur Verfügung zu stellen,
die sie brauchen, um ihre Arbeit bestmöglich zu erfüllen .

Dabei weiß ich um den Widerspruch in unserem Land
in Bezug auf unsere Polizei . Tägliches Brot der Polizei
ist der Schutz unseres Zusammenlebens, der Schutz der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung . Das ist eine
ehrenvolle und wichtige Aufgabe . Einerseits wird der Po-
lizei mit besonders hohen Vertrauenswerten in Umfragen
dafür gedankt. Andererseits sind Polizisten – das finde
ich schlecht – viel zu oft Objekt von Pöbeleien, Belei-
digungen, Gewalt und Hass, von Stein- und Flaschen-
würfen, bis hin zu Angriffen mit Molotowcocktails. Das
Lagebild „Gewalt gegen Polizisten“ des Bundeskrimi-

Matthias Schmidt (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


nalamtes weist für das Jahr 2015 über 33 000 Gewaltta-
ten gegenüber Polizisten aus. Das finde ich beschämend.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vor allem finde ich es beschämend, weil ich davon über-
zeugt bin, dass wir Menschen, die uns dienen – nicht nur
die Polizei, sondern beispielsweise auch die Feuerwehr
und das THW –, doch mit Respekt begegnen müssen .

Damit kommen wir zur Ausgangsfrage: Wieso brau-
chen wir eigentlich Body-Cams, wie im Gesetzentwurf
vorgesehen? Weil es leider in Deutschland eine Unkul-
tur des Hasses und der Gewalt gegen Sicherheitskräfte
gibt . Die Tatsache, dass es eine solche Unkultur gibt, ist
völlig inakzeptabel, unabhängig davon, ob die Gewalt
von links oder von rechts kommt oder von vorgeblich
unpolitischen Tätern . Es ist unsere Aufgabe, dieser Ge-
walt entgegenzuwirken . Dieses Problem lässt sich aber
nicht allein mit Body-Cams lösen; denn hinter den An-
griffen auf unsere Sicherheitskräfte stehen eine Unkultur
und ein Hass, der viel tiefer geht . Die Gewalt gegen Po-
lizisten beginnt nicht erst bei einem Steinwurf, sondern
bereits bei Beleidigungen . Wo „Bullenschweine“- oder
„All Cops Are Bastards“-Rufe gang und gäbe sind und
entsprechende Plakate gezeigt werden, ist auch die kör-
perliche Gewalt gegen Polizisten nicht fern . Aus Worten
werden Taten; denn sie erzeugen ein Klima, in dem to-
leriert, ja sogar akzeptiert wird, dass das Gegenüber als
Mensch weniger wert ist und Gewalt gegen ihn somit ge-
rechtfertigt ist. Deswegen sind nach meiner Auffassung –
um die Unversehrtheit von Polizistinnen und Polizisten
und allen anderen Einsatzkräften zu gewährleisten – auch
Beleidigungen unter Strafe zu stellen .

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im
vorigen Jahr zum Ruf „All Cops Are Bastards“ hat ge-
zeigt: Es mangelt uns an einer gesetzlichen Grundlage,
gegen solche auch gegen die freiheitlich-demokratische
Grundordnung gerichteten Beleidigungen vorzugehen .
Es ist grundsätzlich möglich, solche Beleidigungen unter
Strafe zu stellen . Darum müssen wir uns weiterhin küm-
mern . Die entsprechenden Straftatbestände werden ein
weiterer Baustein zum Schutz unserer Polizistinnen und
Polizisten sein . Dazu haben wir uns als sächsische Union
einstimmig verpflichtet. Wir haben auch eine mögliche
Änderung des Strafgesetzbuches mit einem neuen § 90c
mit Unterstützung der Gewerkschaft der Polizei erarbei-
tet .

Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist der Beginn
dieses von mir skizzierten Kulturwandels und eines bes-
seren Schutzes der Polizisten auf Bundesebene . Diejeni-
gen, die uns schützen – wir müssen das wahrscheinlich
auf die Feuerwehr, das THW und auch auf Politessen im
Alltag ausweiten –, haben einen hohen Schutz verdient .
Die hohen Vertrauenswerte für diese Sicherheitskräfte
zeigen das auch .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil es eine kleine Minderheit in diesem Land gibt,
die Gewalt gegen Sicherheitskräfte ausübt, ist dieses Ge-
setz nötig . Ich denke aber auch, dass Prävention in allen

Bereichen notwendig ist . Wir dürfen unsere Anstrengun-
gen nicht ruhen lassen .

Ich freue mich auf die Gesetzesberatungen und hoffe,
dass wir diese zügig und erfolgreich abschließen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821602500

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-
fe auf den Drucksachen 18/10939 und 18/10941 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Andere Vorschläge liegen mir nicht vor und sind
auch nicht erkennbar . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .

Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 5 auf:

Eidesleistung der Bundesministerin für Wirt-
schaft und Energie

Der Herr Bundespräsident hat mir soeben mitgeteilt,
dass er am 27 . Januar – das ist heute – gemäß Artikel 64
Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin
den Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Dr . Frank-
Walter Steinmeier, und den Bundesminister für Wirt-
schaft und Energie, Herrn Sigmar Gabriel, aus ihren
Ämtern als Bundesminister entlassen und Herrn Sigmar
Gabriel zum Bundesminister des Auswärtigen und Frau
Brigitte Zypries zur Bundesministerin für Wirtschaft und
Energie ernannt hat .

Nach Artikel 64 Absatz 2 des Grundgesetzes leistet
ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Arti-
kel 56 vorgesehenen Eid . Herr Gabriel hat diesen Eid als
Minister in dieser Wahlperiode bereits geleistet und wird
daher nicht erneut vereidigt .

Frau Zypries, ich darf Sie zu mir bitten, um den im
Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten .


(Die Anwesenden erheben sich)


Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft
und Energie:

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Scha-
den von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze
des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten ge-
wissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann
üben werde .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821602600

Frau Bundesministerin, Sie haben den im Grundgesetz

vorgesehenen Eid geleistet . Ich gratuliere Ihnen herzlich
zur Übernahme dieses Amtes und wünsche Ihnen für die
Wahrnehmung der damit verbundenen Aufgaben viel Er-
folg .

Marian Wendt






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft
und Energie:

Vielen Dank .


(Beifall – Bundesministerin Brigitte Zypries nimmt Gratulationen entgegen – Abg . Thomas Oppermann [SPD] und Christine Lambrecht [SPD] überreichen Blumensträuße)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821602700

Meine Damen und Herren, nach der in der Tages-

ordnung nicht vorgesehenen, aber absehbaren Gratula-
tionscour an die neue Bundesministerin will ich doch
die Gelegenheit nutzen, dem neuen Bundesminister des
Auswärtigen, Sigmar Gabriel, auch für diese neue Auf-
gabe alle guten Wünsche des Hauses mit auf den Weg
zu geben .


(Beifall)


Dem Kollegen Frank-Walter Steinmeier möchte ich
für seine Tätigkeit in der Bundesregierung herzlich
danken . Er bleibt uns ja, wenn vielleicht auch nicht bis
zum Ende der Legislaturperiode, so doch eine Weile als
Mitglied dieses Hauses erhalten . Dann sehen wir einmal
weiter .

In diesem Sinne können wir diesen Tagesordnungs-
punkt abschließen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Europa- und Verfassungsrecht wahren – Vor-
läufige Anwendung von CETA verhindern

Drucksache 18/10970
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Offenkundig können wir so verfah-
ren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus Ernst für die antragstellende Fraktion das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821602800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst

einmal die besten Wünsche an die neue Wirtschaftsmi-
nisterin, Frau Zypries . Alles Gute für Ihr neues Amt!

Wir haben heute CETA erneut auf der Tagesordnung,
weil dies die letzte Gelegenheit für eine Aussprache vor
der Abstimmung über CETA im Europaparlament ist .
Sie wollen, dass die Anwendung in Kraft tritt, bevor die
Nationalstaaten entschieden haben . Das wollen wir mit
unserem Antrag verhindern .

Unsere inhaltlichen Vorbehalte gegen CETA – übri-
gens auch die Vorbehalte vieler Sozialdemokraten, vie-
ler Kommunalpolitiker der Union, vieler Verbände, Ge-
werkschaften und weiter Teile der Öffentlichkeit – sind
bisher keinesfalls ausgeräumt worden . Im Gegenteil: Sie
kritisieren wie wir – ich sage es noch einmal: auch sehr
viele Sozialdemokraten –, dass mit CETA Konzernson-
derklagerechte zementiert werden, anstatt sie zwischen
entwickelten Rechtsstaaten abzuschaffen, dass die Be-
griffe „faire und gerechte Behandlung“ und „indirekte
Enteignung“ weiter im Vertrag stehen – obwohl den So-
zialdemokraten etwas anderes versprochen wurde –, dass
es eben keinen Sanktionsmechanismus bei Verstößen ge-
gen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards gibt und dass
die öffentliche Daseinsvorsorge nicht umfassend ausge-
nommen wurde . Sie kritisieren auch, wie es in einer Stu-
die von Nettesheim heißt, dass – ich zitiere jetzt – „das
‚right to regulate’ … nur innerhalb der Liberalisierungs-
strukturen von CETA wahrgenommen werden“ kann .
Deshalb kann der Staat nicht mehr frei Regeln im Sinne
des Allgemeinwohls setzen .

Die sozialdemokratische Regierung der Wallonie, die
tapfer Widerstand leistete, wurde – das wissen Sie alle –
massiv unter Druck gesetzt und von einem Mitglied der
EU-Kommission als „Kommunisten“ diffamiert. Nur mit
List und Tücke wurde der Widerstand auch der SPD-Mit-
glieder ausgebremst .


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Bernd Westphal [SPD]: Ach, Unsinn! Mal sachlich bleiben!)


Den Widerstand gegen CETA dadurch brechen zu wol-
len – jetzt wird es wirklich geschmacklos –, dass man
CETA-Gegner und damit auch Teile der eigenen Partei
mit Trump in einen Topf wirft, wie es gestern hier ge-
schehen ist, das ist eine ganz üble Entgleisung und bedarf
eigentlich einer Entschuldigung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie diffamieren Teile Ihrer eigenen Partei gleich mit,
wenn Sie das durchgehen lassen . Ich weiß nicht, wie Sie
das gegenüber denen rechtfertigen wollen, die im Eu-
ropaparlament und in dessen Ausschüssen gegen CETA
gestimmt haben . Sind die auch für Trump, oder wie? So
einen Unfug wie die Äußerungen vom Genossen Heil
gestern habe ich selten in diesem Parlament gehört .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Rhetorik vergiftet die politische Debatte . Ihr einzi-
ger Sinn besteht darin, den politischen Gegner zu diffa-
mieren und sich damit der inhaltlichen Argumentation zu
entziehen . Das ist nicht in Ordnung .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Positionierung der Zi-
vilgesellschaft, von Mitgliedern Ihrer Partei und vieler
politischen Akteure ist kein Protektionismus à la Trump .
Selbstverständlich sind wir für Handel, und selbstver-
ständlich sind wir für fairen Handel; aber der sogenann-
te Freihandel im Rahmen von CETA ist eben kein fairer






(A) (C)



(B) (D)


Handel . Wodurch zeichnet sich denn fairer Handel aus?
Fairer Handel zeichnet sich dadurch aus, dass Regeln ge-
schaffen werden, dass sich in der globalen Konkurrenz
eben nicht der Billigste durchsetzt, sondern der mit ho-
hen Sozial- und Umweltstandards .


(Claudia Tausend [SPD]: Genau!)


Fairer Handel zeichnet sich dadurch aus, dass regiona-
le Wirtschaftsstrukturen berücksichtigt werden, erhalten
bleiben und nicht dem Profitstreben international tätiger
Großunternehmen geopfert werden .


(Gabriele Katzmarek [SPD]: Deshalb muss es aber geregelt werden!)


Fairer Handel zeichnet sich dadurch aus, dass alle Regi-
onen der Welt eine reale Chance für ihre wirtschaftliche
Entwicklung haben und eben nicht dazu gezwungen wer-
den, ihre Märkte zu öffnen und ihre eigenen Wirtschafts-
strukturen damit zu zerstören .

Ich weiß, Sie wissen das alles, und Sie wissen auch,
dass CETA diesen Anforderungen nicht gerecht wird .
Auch die Grundwertekommission der SPD findet – ich
zitiere –, dass „eine Aussetzung des vorläufigen Inkraft-
tretens sachlich betrachtet erforderlich und ein Akt poli-
tischer Klugheit“ wäre . Es ist ganz und gar absurd, ein
Abkommen in Teilen in Kraft zu setzen, solange, erstens,
die Verfassungsmäßigkeit noch nicht endgültig geklärt
ist, solange, zweitens, erhebliche Zweifel an der Verein-
barkeit mit den Verträgen der EU bestehen und solange,
drittens, überhaupt nicht klar ist, wie man diese vorläufi-
ge Anwendung wieder beenden kann – und das ist nicht
klar .


(Beifall bei der LINKEN)


Nach Ansicht der EU-Kommission und des Juristi-
schen Dienstes des Europäischen Parlaments kann die
vorläufige Anwendung nur durch Ratsbeschluss beendet
werden . Der frühere Bundeswirtschaftsminister behaup-
tete, dass ein EU-Mitglied die vorläufige Anwendung
einseitig beenden kann . Wer hat nun recht?


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das Bundesverfassungsgericht!)


– Aha . Es entscheidet aber nicht über das, was in der EU
passiert .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Doch!)


Der frühere Bundeswirtschaftsminister hat etwas an-
deres behauptet, als die EU letztlich gesagt hat .

Ich weiß ja, wie es ausgeht: Sie werden den Antrag
ablehnen . Aber ich sage Ihnen: Der Widerstand gegen
CETA wird weitergehen. Keinesfalls ist die Ratifizie-
rung in allen Mitgliedstaaten sicher . Selbst im Bundesrat
ist eine Mehrheit für CETA offen. Deshalb sage ich Ih-
nen – das richtet sich an die Sozialdemokraten –: Hören
Sie einmal auf Ihre Grundwertekommission! Sie ist sehr
klug . Sie sagt: CETA so lange nicht endgültig in Kraft
setzen, solange die offenen Fragen nicht geklärt sind. –
Es wäre schön, wenn sich die sozialdemokratische Frak-
tion auf das beziehen würde, was auch in ihrer Partei
diskutiert wird .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821602900

Nun erhält für die Bundesregierung die neue Bun-

deswirtschaftsministerin das Wort . – Bitte schön, Frau
Zypries .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft
und Energie:

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Man muss sich ja fast bedanken für
die Chance, wenige Minuten nach der Ernennung schon
die erste Rede halten zu dürfen, und das an diesem Ort,
den Frank-Walter Steinmeier gestern sinngemäß als den
Ort der demokratischen Auseinandersetzung bezeichnet
hat, also als einen Ort, wo Themen diskutiert werden,
die die Gesellschaft beschäftigen, und wo wir vor allen
Dingen über die Lösungen diskutieren, über die Gesetze,
mit denen wir die Gesellschaft in unserem Sinne gerecht
gestalten wollen .

Natürlich machen wir das auch und gerne öfter zum
selben Thema, so zum Beispiel bei CETA . Ich weiß nicht
genau, der wievielte Antrag der Linken zu CETA das
heute ist; sehen Sie es mir nach .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das kann man nicht mehr zählen!)


Ich weiß aber, dass das Bundesverfassungsgericht schon
zweimal entschieden hat, dass alles, was wir mit CETA
machen, im Sinne der Verfassung ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zuletzt am 7 . Dezember letzten Jahres hat der Zweite
Senat festgestellt, dass die Bundesregierung die vom
Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßnahmen
über die Unterzeichnung und auch, Herr Ernst, über die
vorläufige Anwendung von CETA korrekt umgesetzt hat.
Das heißt: Was wir machen, ist von der Verfassung ab-
gesegnet .

Jetzt können Sie einwenden: Das ist ja alles nur ein
Eilverfahren; die Entscheidung in der Hauptsache steht
noch aus .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


Diesem Urteil sehen wir gelassen entgegen, meine Da-
men und Herren. Wir sind der Auffassung, dass mit CETA
die demokratischen Rechte nicht beschnitten werden .
Vielmehr haben wir mit dem Abkommen jetzt endlich die
Chance, einen modernen Investitionsschiedsgerichtshof
zu schaffen und damit auch Maßstäbe für künftige Han-
delsverträge zu setzen .

In Zeiten, in denen in Nordamerika Mauern gebaut
werden und mit protektionistischen Schutzzöllen gedroht
wird, ist es wichtiger denn je, dass wir Europäer uns einig

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


sind: Wir stehen zusammen, und wir stehen gemeinsam
für faire und für offene Handelsbeziehungen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In einer globalisierten Welt kann der Bau von Mauern
keine Antwort sein .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


CETA bedeutet Fortschritt auf dem Weg zu einer so-
zialen und nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung .
Deutschland steht für offene Märkte. Unsere Volkswirt-
schaft hängt fundamental von den internationalen Vernet-
zungen und von dem Marktzugang ab, den wir weltweit
brauchen . Wer, wenn nicht wir, muss deshalb für fairen
und freien Handel einstehen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist er denn fair?)


Sigmar Gabriel hat das getan, und ich denke, es gebührt
ihm aller Dank dafür, dass er CETA mit neuen Ideen und
auch mit großem Engagement zu dem fortschrittlichsten
Handelsabkommen fortentwickelt hat, das wir je hatten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich wäre es schön, Herr Ernst – das ist es ja, was
Sie kritisieren –, wenn wir es schaffen könnten, dieses
Handelsabkommen für die ganze Welt abzuschließen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dieses brauchen wir nicht!)


Leider aber ist die Welthandelsorganisation wenig bereit,
Verhandlungen mit allen zu führen und zu Beschlüssen
zu kommen . Das ist der Grund dafür, dass wir so viele
bilaterale und multilaterale Handelsabkommen schließen
müssen .

Ich denke, CETA ist ein Handelsabkommen, das
die richtigen Standards setzt, sowohl bei der Frage der
Schiedsgerichte als auch in der Frage der Beibehaltung
der Arbeitnehmerrechte und der Wahrung der kulturellen
Vielfalt . Wir stellen mit diesem Abkommen sicher, dass
wir Maßnahmen zur Gestaltung und zur Organisation der
Daseinsvorsorge aufrechterhalten . Es ist klar, dass das
„right to regulate“ nicht angetastet wird. Von daher fin-
de ich, dass wir mit CETA ein gutes Abkommen haben;
es ist ein wichtiges Signal gegen Protektionismus . Das
Abkommen wurde in einem fairen, offenen Prozess von
den Mitgliedstaaten unterzeichnet . Es wird jetzt in einem
demokratischen Verfahren weiterbehandelt . Es wird von
allen nationalen Parlamenten sowie vom Europäischen
Parlament legitimiert und ratifiziert.

Ein solches Abkommen gerade in diesen international
politisch problematischen Zeiten so zu diskreditieren,
halte ich nicht für richtig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bedanke mich deshalb bei all denen, die mit uns ge-
meinsam diesen Weg gehen und sagen: Jawohl, wir ste-
hen zu CETA . CETA ist ein gutes Abkommen und wird
den Handel zwischen Kanada und Europa verbessern .

Wir wollen es als Blaupause für künftige Abkommen
nehmen .

Besten Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821603000

Das Wort erhält nun die Kollegin Katharina Dröge für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Zypries, zunächst einmal
auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernen-
nung als Wirtschaftsministerin. Ich hoffe, dass wir wei-
terhin so intensive und kontroverse Debatten miteinander
führen können wie mit Ihrem Vorgänger .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt zum Antrag der Linken . Aus meiner Sicht ist es
sehr richtig und wichtig, dass wir heute noch einmal über
das Handelsabkommen CETA diskutieren . Denn wenn
das Europaparlament in der nächsten Sitzungswoche
über das CETA-Abkommen entscheidet und, so wie es
jetzt aussieht, dem Abkommen zustimmen wird, startet
hier in Deutschland der Ratifizierungsprozess.

Damit startet ein Prozess, in dem für uns als Parla-
ment weiterhin viele Fragen offen sind, Fragen, die wir
versucht haben in den letzten drei Jahren miteinander zu
diskutieren, Fragen, auf die wir aber gerade von Ihnen
als denjenigen, die CETA umsetzen wollen, keine Ant-
worten bekommen haben, Fragen, mit denen sich jetzt
das Bundesverfassungsgericht beschäftigen und die es
im Mai oder Juni entscheiden wird .

Dazu gehört zum Beispiel die Frage: Was passiert ei-
gentlich, wenn dieses Abkommen abgeschlossen wird?
Dann gibt es nämlich Gremien, die den Vertragstext fort-
entwickeln und verändern können, Gremien, von denen
wir nicht wissen, welche Kompetenzen sie haben, Gre-
mien, von denen wir nicht abschließend wissen, wie sie
zusammengesetzt sind, Gremien, die aber gegebenenfalls
über die Zukunft dieses Vertrages entscheiden können,
ohne dass sichergestellt ist, dass Sie, dass wir als Parla-
ment über dieses Abkommen noch mitentscheiden kön-
nen, weder im Europaparlament noch hier im Deutschen
Bundestag. Diese Frage ist offen. Diese Frage haben wir
der Bundesregierung zigfach gestellt . Auf diese Frage
haben wir bis heute keine Antwort bekommen . Genau
das ist sinnbildlich für Ihren Umgang mit diesem Ab-
kommen . Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir
hier im Parlament dieses Abkommen immer wieder zum
Thema machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, jetzt über die in-
ternationale Handelspolitik zu diskutieren, weil sich ja
in den letzten Monaten ungeheuer viel in der internati-
onalen Debatte verschoben hat . Auch damit müssen wir
als Parlament uns beschäftigen . Die Wahl von Donald
Trump hat zu einer Achsenverschiebung geführt . Seine

Bundesministerin Brigitte Zypries






(A) (C)



(B) (D)


Ankündigungen, auf Einfuhren ausländischer Unter-
nehmen Strafzölle zu verhängen, eine nationalistische
Wirtschaftspolitik durchzusetzen, nur noch auf bilaterale
Abkommen zu setzen, das Brechen der WTO-Regeln in
Kauf zu nehmen und gegebenenfalls auch gezielt eine
Schwächung der Europäischen Union zu provozieren,
sind Herausforderungen, die völlig neu sind . All das
sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen
und vor deren Hintergrund jetzt auch ein Innehalten und
Nachdenken notwendig wäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts dieses Erstarkens des Nationalismus und
angesichts dieser Herausforderungen, vor denen wir ge-
rade stehen, fand ich es umso bedenklicher, wie wir die
gestrige Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht hier im
Parlament geführt haben . Ich fand es ebenso bedenk-
lich, dass ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister und
künftiger Außenminister nichts anderes zu dieser Debat-
te zu sagen hatte außer: Wir machen einfach so weiter
wie bisher . Wir ziehen CETA durch . – Sie überlegen
noch nicht einmal mehr, ob es einen Moment gibt, wo
man analysieren und nachdenken muss . Die Antwort ist
einfach nur: Ich habe recht, weil ich es immer schon so
gemacht habe . – Und all diejenigen, die das nicht sehen,
sind entweder auf der Seite von Donald Trump oder –
noch schlimmer – verstehen einfach nicht, was Sigmar
Gabriel sich da Geniales gedacht hat .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Bernd Westphal [SPD]: Dann müssen Sie zuhören!)


Gerade diese Art ist jetzt nicht angemessen . Gerade
jetzt wäre es wichtig, innezuhalten und zu schauen: Was
ist da in den USA eigentlich passiert?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn wir die Debatte in den USA beobachten, dann
sehen wir, dass es da ein Zerrbild gibt zwischen einer
unregulierten Globalisierung auf der einen Seite und
Donald Trump auf der anderen Seite, der sagt: Wir ma-
chen die Grenzen dicht . Ich verspreche euch: Wenn ich
die Grenzen schließe, dann bleiben die Jobs hier im
Land, und dann werde ich diese Jobs sichern . – Genau
diese Verkürzung, dieses Schwarz-Weiß-Bild, dieses
Zerrbild ist es, was Probleme in der Gesellschaft provo-
ziert . Genau dieses Zerrbild ist es, das die Rechten und
Nationalisten erst stark macht . Deshalb ist es so wichtig,
eine Debatte zu führen, die Alternativen aufzeigt, eine
Debatte zu führen, die zeigt, wie eine faire Handelspoli-
tik aussieht . Dazu hätten Sie hier die Chance, wenn Sie
einmal nachdenken würden . Wenn Sie CETA zum An-
lass nehmen würden, jetzt mit den Kanadiern, mit einer
neuen kanadischen Regierung, die uns durchaus näher
ist als ihre Vorgängerregierung, neu zu verhandeln, dann
könnten Sie sagen: Wir Europäer zeigen der Welt jetzt,
wie ein gutes Abkommen aussieht . – Das wäre Ihre Auf-
gabe .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bernd Westphal [SPD]: Das machen wir doch seit Jahren, und Sie verweigern sich! Das ist der Punkt!)


Sie könnten als Antwort auf Donald Trump, der die
fortschrittliche Finanzmarktregulierung der letzten Jahre
zurückdrehen will, sagen: Wir setzen uns mit Kanada für
gute Regeln auf den Finanzmärkten ein . – Das steht im
Abkommen aber nicht drin .


(Gabriele Katzmarek [SPD]: Wie oft wollen Sie das noch machen?)


Sie könnten als Antwort auf May, als Antwort auf Trump,
die Steuerdumping wollen, sagen: Wir vereinbaren mit
Kanada gute Regelungen zur Bekämpfung von Steuer-
hinterziehung . – Das steht im Abkommen aber nicht drin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603200

Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung

von Herrn Ernst?


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603300

Ja . Das ist übrigens meine erste Zwischenfrage in die-

sem Parlament überhaupt . Voll cool .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603400

Es ist manchmal schwierig, bei Ihnen dazwischenzu-

kommen .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821603500

Kollegin Dröge, das liegt daran, dass sich die anderen

nicht trauen .

Ich habe folgende Frage: Sie haben von neuen As-
pekten gesprochen . Wir haben den Fakt: Donald Trump
schottet sein Land ab . Das heißt, der Handel der Europä-
er mit den Amerikanern wird eher schwieriger werden .
Gleichzeitig können die Amerikaner, die Dependancen in
Kanada haben, den Vorteil des CETA-Abkommens nut-
zen . Durch die Abschottung der Amerikaner können die
Europäer nicht gegenüber den Amerikanern die Vorteile,
die immer erwähnt werden, nutzen . Stimmen Sie aus Ih-
rer Sicht zu, dass auch das allein schon ein Grund wäre,
dass man die vorläufige Anwendung des Abkommens
nicht macht und abwartet, was passiert?


(Andreas G . Lämmel [CDU/CSU]: Dann warten wir noch drei Jahre!)



Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603600

Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, wir sind uns in der

Sache einig, dass wir die vorläufige Anwendung dieses
Abkommens stoppen wollen, und zwar aus vielen inhalt-
lichen Gründen, die wir hier im Parlament miteinander
diskutiert haben . Hinsichtlich der Frage des Verhältnisses
zwischen den USA und Kanada stehen auch die kanadi-
schen Kolleginnen und Kollegen vor vielen Fragen, vor
vielen Herausforderungen, weil Trump auch angekündigt
hat, dass er das Freihandelsabkommen NAFTA auf den
Prüfstand stellen wird . Was das für die Kanadier bedeu-

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


tet, werden sie erst in den nächsten Wochen und Mona-
ten sehen . Was das im Umkehrschluss für ein mögliches
Abkommen mit der Europäischen Union und Kanada
bedeutet, kann man jetzt nicht abschließend beurteilen .
Deswegen müssen wir abwarten, müssen wir schauen,
was passiert .

Weil auch die Kanadier vor der Herausforderung ste-
hen, dass NAFTA als Freihandelsabkommen – das hat-
te für sie durchaus Nachteile, aber natürlich auch wirt-
schaftliche Vorteile – gegebenenfalls zur Debatte steht,
ist gerade jetzt ein wichtiger Zeitpunkt, um mit den Ka-
nadiern noch einmal darüber zu sprechen, wie ein gutes
Abkommen aussehen könnte . Gerade jetzt ist die Gele-
genheit da, zu sagen: Wir machen einen Neustart bei den
Gesprächen mit den Kanadiern und reden noch einmal
darüber, ob wir es nicht schaffen, ein vorbildliches Ab-
kommen mit guten Regeln und ohne Schiedsgerichte,
die Sie implizit mit Ihrer Frage gemeint haben, zu veran-
kern . Das wäre jetzt die Chance . Dass die Bundesregie-
rung überhaupt nichts tut, dass sie einfach nur sagt: „Wir
machen die Augen zu, wir ziehen CETA durch“, ist das
Problem . Das müssen wir jetzt thematisieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich kann
nur an Sie appellieren. Wir haben jetzt eine Verpflich-
tung, nachzudenken, innezuhalten, alle miteinander in
eine vernünftige parlamentarische Debatte einzusteigen .
Schuldzuweisungen und „Augen zu“ werden nicht funk-
tionieren . Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an .
Trauen Sie sich einfach, haben Sie Mut, lassen Sie da-
von ab, es durchzuzwingen . Ich weiß, dass Sie von der
SPD Schwierigkeiten haben, dies mit der CDU/CSU
durchzusetzen . Nur ist dort leider weniger Erkenntnis
vorhanden als bei Ihnen . Deshalb appelliere ich an Sie,
weil Sie schon jetzt Teile in Ihrer Fraktion haben, die im
europäischen Handelsausschuss, aber auch hier im Par-
lament gesagt haben: Ihr erkennt wenigstens einen Teil
unserer Kritik an . – Das ist bei der CDU/CSU deutlich
schwieriger .

Lassen Sie uns gemeinsam handeln und sagen: Wir
wagen jetzt den Neustart . Leider hat Herr Gabriel – und
auch Herr Heil – gestern gesagt, dass sich alle, die CETA
kritisieren, auf die Seite von Trump stellen . Hören Sie
damit auf und sagen Sie: Wir nutzen gemeinsam die
Chance für eine faire Handelspolitik und beweisen den
Menschen, dass es geht, dass Globalisierung Gewinner
erzeugt, wenn sie fair ausgestaltet ist; gewinnen sollen
alle Menschen in diesem Land, gewinnen soll sowohl die
Umwelt als auch die Unternehmen . Das wäre eine Rie-
senchance und eine großartige Antwort auf den erstar-
kenden Nationalismus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603700

Vielen Dank, Katharina Dröge . – Schönen guten Tag,

liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem bewegenden

Tag! – Nächster Redner: Andreas Lämmel für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1821603800

Schönen guten Tag, Frau Präsidentin! Frau Ministerin

Zypries, herzlichen Glückwunsch zur Ernennung! Wir
sind uns nicht fremd . Wir arbeiten schon viele Jahre mit
Ihnen gut zusammen, als Sie noch als Staatssekretärin
im Amt waren. Ich hoffe, wir werden noch die restlichen
acht Monate eine fruchtbare Zeit für die deutsche Wirt-
schaftspolitik haben .

Frau Dröge, gestern hat Ihr Spitzenkandidat, Herr
Özdemir, sich als großer Kämpfer für Handelspolitik dar-
gestellt . Heute haben Sie die Wendung nach hinten voll-
zogen . Im Prinzip sind Sie genau in das Muster gefallen,
das Sie seit Monaten hier bieten . Sie müssen sich doch
mal Ihre eigenen Argumente auf der Zunge zergehen
lassen . Sie haben die Begründung dafür, dass wir CETA
jetzt schnellstmöglich abschließen sollten, eigentlich
selbst geliefert


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!)


Denn CETA, also das Abkommen zwischen der Europä-
ischen Union und Kanada, ist das modernste Handelsab-
kommen, das es weltweit gibt .

Sie haben NAFTA, also das Abkommen zwischen Ka-
nada, den USA und Mexiko, angesprochen . Es ist fast
30 Jahre alt . Inhaltlich liegt CETA meilenweit vor dem
NAFTA-Abkommen . Alle Themen, die hier im Hause
diskutiert worden sind, die draußen in der Zivilgesell-
schaft diskutiert worden sind, die auf den Großdemons-
trationen eine Rolle spielten, die Sie von den Linken und
den Grünen mit angeführt haben, sind im Prinzip verhan-
delt und im Abkommen berücksichtigt worden .

Unser Wirtschaftsminister hat – ich glaube, misstrau-
isch beäugt von den europäischen Partnern, denn es ist
ja kein deutsches, sondern ein europäisches Abkom-
men – noch viele Dinge durchsetzen können, was man
vielleicht vor einem Dreivierteljahr überhaupt nicht er-
ahnen konnte . Ich kann also Ihre Kritik überhaupt nicht
verstehen – im Gegenteil . Sie sagen, wir brauchen ein
modernes Abkommen . Wenn Sie das erreichen wollen,
heißt das: Wir müssen das Abkommen jetzt in Kraft set-
zen . Es ist wichtig – vor allem hat es einen enorm hohen
symbolischen Wert –, dass wir uns gerade in dieser Zeit,
die Sie ja auch beschrieben haben, mit einem US-Präsi-
denten, der Handelsabkommen sozusagen mit einem Fe-
derstrich beendet und seine ganzen Partner ohne Zögern
vor den Kopf stößt,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist antiamerikanisch! Wie können Sie so was sagen? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lämmel ist Antiamerikaner!)


zu einem Handel zu fairen Konditionen bekennen – ge-
nau so, wie Sie es gesagt haben . Dafür bietet CETA die
beste Basis .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


Vor allen Dingen würde dies zeigen, dass Europa hand-
lungsfähig ist, meine Damen und Herren .

Ich will es mal so sagen: Sie sagen nie, dass die Dis-
kussion in anderen europäischen Ländern ganz anders
verläuft,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: In der Wallonie zum Beispiel!)


dass Deutschland sozusagen als Bremser im Bremser-
häuschen sitzt, anstatt als Lokomotive vorneweg zu fah-
ren .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wallonie, Österreich!)


Das ist doch das Problem . Man kann nur sagen: Das,
was Sie jetzt hier machen, spielt all jenen Leuten in die
Hände, die sowieso europafeindlich eingestellt sind, die
gegen die Globalisierung sind .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Antiamerikanisch!)


– Genau . – Bei dem Spiel machen Sie mit . Frau Dröge,
damit werden Sie letztendlich keinen Beitrag zur Ent-
wicklung der Wirtschaftspolitik in Deutschland leisten .

Man muss einmal sagen: Natürlich wäre es schön,
wenn man das umsetzen könnte, was Herr Ernst immer
verkündet: Wir brauchen weltweite Abkommen . – Aber
jeder, der die Verhältnisse in der WTO kennt, weiß, dass
dort schon seit Jahren kaum ein Millimeter Fortschritt zu
erzielen ist, weil zum Beispiel Länder wie Indien immer
auf der Bremse stehen und Russland auf der Bremse ge-
standen hat . Wenn man eben kein weltweites Abkommen
in der Art und Weise, wie wir uns ein modernes Abkom-
men vorstellen, zustande bekommt, dann muss man eben
versuchen, erst einmal über bilaterale Abkommen einen
Schritt weiterzukommen .

Ich habe es schon gestern vor dem Plenum gesagt:
Es läuft im Moment der G-20-Prozess . Deutschland
hat die Präsidentschaft in der G 20 . Ein Kernpunkt der
G-20-Präsidentschaft ist die Diskussion über die Chan-
cen und die Risiken der Globalisierung . Dieser Punkt
passt genau ins Bild; denn man weiß ja überhaupt nicht,
was Herrn Trump eigentlich bewegt oder was er vorhat:
Will er sich sozusagen – wie er es im Moment macht –
völlig abschotten, Mauern bauen, Handelsabkommen be-
enden, will er sozusagen in seinem eigenen Saft weiter
schmoren, und gelten eigentlich überhaupt keine Abspra-
chen mehr, die in den letzten Jahrzehnten gemacht wor-
den sind? Insofern ist dieser G-20-Prozess im Moment
einer der wichtigsten Diskussionsprozesse, in dem sich
die amerikanische Politik letztendlich zu klaren Aussa-
gen bekennen muss:


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! „Klare Aussagen“?)


Wollen wir weiterhin freien Handel in der Welt haben?
Wollen wir Handelsschranken weiterhin abbauen? Wol-
len wir zu modernen Handelsabkommen kommen, damit
der Wohlstandszuwachs in der Welt, der in den letzten
Jahrzehnten mit der Globalisierung einherging, weiter

voranschreiten kann? Das sind doch die grundsätzlichen
Fragen .

Ich kann festhalten: Die Gerichte in Deutschland ha-
ben erst einmal entschieden . Sie haben die Anträge der
Linken, auch die Eilanträge, abgewiesen . Das heißt, der
Weg ist jetzt erst einmal frei. Dann muss das Ratifizie-
rungsgesetz eingebracht werden. Im Rahmen des Ratifi-
zierungsprozesses haben wir noch so viele Stunden Zeit,
über all diese Dinge zu diskutieren . Die Linken werden
den 150 . Antrag schreiben, in dem immer das Gleiche
steht .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie viele haben Sie denn gemacht, Herr Lämmel? Gar keinen!)


– Es kam von Ihnen kein einziges neues Argument, Herr
Ernst . Sie führen nur das weiter, was Sie hier schon seit
fünf Jahren erzählen . In Ihrem Antrag steht immer nur:
können, können, können, möglicherweise, können, kön-
nen, können . Das ist im Prinzip also nur ein Können-kön-
nen-können-Antrag, aber Sie können es eben nicht rich-
tig; das ist das Problem .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und Sie machen es nicht mal! Die Koalition macht parlamentarische Arbeitsverweigerung in dieser Frage!)


Ich kann nur sagen: Die substanziellen Punkte, die
wir in der politischen Diskussion über CETA besprochen
haben, sind aufgenommen worden . Vieles ist in dem Ab-
kommen untergebracht worden . Ich kann nur darauf ver-
weisen: Im Ratifizierungsprozess können wir uns lange
genug darüber unterhalten .

Ich finde, Ihr heute vorgelegter Antrag war überflüs-
sig .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihre Rede!)


Wir werden Ihrem Antrag natürlich nicht zustimmen
können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh, das überrascht mich!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821603900

Vielen Dank, Andreas Lämmel . – Nächster Red-

ner: Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion, Augs-
burg-Land .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1821604000

Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mei-

ne sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auch ich darf der Ministerin zunächst
ganz herzlich gratulieren . Ich freue mich auf die Zusam-
menarbeit .

Sie haben schon erwähnt, dass wir zum x-ten Mal über
einen Antrag zu CETA beraten . Heute versuchen die Lin-

Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


ken – diesmal mit juristischer Argumentation –, das Ab-
kommen in irgendeiner Weise zu bremsen, zu verhindern .
Die im vorliegenden Antrag infragegestellte Konformität
der vorläufigen Anwendung von CETA steht im Wider-
spruch zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts.

Es ist erwähnt worden: Der Zweite Senat hat vor kur-
zem eindeutig festgestellt, dass die Bundesregierung die
vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßgaben
vor der Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von
CETA umgesetzt hat . Weder hat die Bundesregierung
einer vorläufigen Anwendung von CETA in bestimmten
Sachgebieten wie Investitionsschutz, Portfolioinvestitio-
nen, Anerkennung von Berufsqualifikationen oder dem
Arbeitsschutz zugestimmt, noch hegt das Bundesverfas-
sungsgericht Zweifel an der Möglichkeit Deutschlands
gemäß Artikel 30 des Vertrages, die vorläufige Anwen-
dung von CETA einseitig zu beenden . Die Bundesregie-
rung habe diese Erklärung in völkerrechtlich erheblicher
Weise abgegeben und eindeutig notifiziert. – Dem ist im
Grunde nichts hinzuzufügen .

Das Freihandelsabkommen CETA hat in dieser Wo-
che eine weitere wichtige Hürde genommen . Der Han-
delsausschuss des Europäischen Parlaments stimmte mit
großer Mehrheit für den Vertrag und hat damit den Weg
zur Verabschiedung von CETA im Europäischen Parla-
ment im kommenden Monat freigemacht . Das sind gute
Nachrichten: gute Nachrichten für den freien Handel und
gute Nachrichten für die wirtschaftliche Entwicklung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und schlechte Nachrichten für die Arbeitnehmer und für die Umwelt!)


Mit CETA liegt ein exzellentes Freihandelsabkommen
auf dem Tisch . CETA wird bestehende Handelshemmnis-
se spürbar reduzieren, indem Zölle für Industriegüter um-
fassend abgebaut und der Marktzugang im Bereich der
öffentlichen Beschaffung verbessert wird. Es bekräftigt
soziale und ökologische Standards und schützt europäi-
sche und kanadische Eigenheiten und Errungenschaften .
Es stellt sicher, dass wir Maßnahmen zur Gestaltung und
Organisation der Daseinsvorsorge und zur Regulierung
in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Soziales, Was-
serversorgung, Kultur und Medien auch zukünftig in un-
verändertem Umfang ergreifen können . Und CETA wird
anstelle der traditionellen Schiedsgerichte mit Schieds-
richtern erstmals die Einrichtung eines Investitionsge-
richts vorsehen, dessen Richter von den CETA-Vertrags-
parteien ernannt werden . Das Verfahren ist transparent,
und es gibt eine Berufungsinstanz .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das hatten wir vorgeschlagen!)


All das zeigt: CETA setzt Maßstäbe dafür, wie interna-
tionaler Handel, wie Globalisierung nachhaltig und fair
gestaltet werden können . Wir brauchen CETA aber auch,
weil wir wissen, welch überragende Bedeutung offene
Märkte und freier Handel gerade für uns in Deutschland
haben .

Gestern haben wir hier im Parlament über den Jah-
reswirtschaftsbericht und die herausragende Lage auf
dem deutschen Arbeitsmarkt debattiert . Wir wissen: Je-

der vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt am Export .
Ohne den Zugang zu internationalen Märkten fiele das
Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland um gut 50 Prozent
niedriger aus . Unsere Exportquote lag 2015 bei 46,9 Pro-
zent des Bruttoinlandsprodukts .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Alles ohne CETA!)


Diese Zahlen zeigen: Der internationale Handel ist
Grundlage unseres Wohlstandes .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Angesichts dessen muss es in unserem ureigenen Inte-
resse liegen, erfolgreichen Außenhandel voranzutreiben .
Mit ausgewogenen Freihandelsabkommen verbessern
wir die Marktzugangsmöglichkeiten, schaffen Rechtssi-
cherheit in den internationalen Handelsbeziehungen und
ermöglichen es auch, die Gestaltung internationaler Han-
delsregeln zu prägen .

Die Entwicklungen in der Welt deuten aktuell aber in
eine andere, in eine besorgniserregende Richtung . Wir
beobachten einen zunehmenden Rückzug ins Nationale .
Freihandel gerät unter Druck . Was vor kurzem noch un-
denkbar schien: Sowohl in den USA als auch in Großbri-
tannien sind anstelle von grenzüberschreitendem Handel
und offenen Märkten Protektionismus und Abschottung
auf dem Vormarsch, und das – wie wir feststellen, wenn
wir die Berichterstattung in den letzten Tagen verfol-
gen – offensichtlich in atemberaubendem Tempo.

Der Ausstieg der USA aus dem transpazifischen Frei-
handelsabkommen hat zwei Dinge verdeutlicht:

Erstens . Der neue US-Präsident macht Ernst, all das
umzusetzen, was er im Wahlkampf angekündigt hat . Er
ist fest entschlossen, sich auf das Nationale zurückzu-
ziehen und den freihandelspolitischen Rückzug der USA
anzutreten .

Zweitens . China ist fest entschlossen, das dadurch ent-
stehende Vakuum zu seinen Gunsten zu nutzen .

Wie reagieren wir auf diese Situation? Wir müssen
verdeutlichen, dass Protektionismus die falsche Antwort
auf die Herausforderungen der Globalisierung ist . Er ist
die scheinbar einfache Antwort auf Sorgen und Ängste
derer, die fürchten, im weltweiten Wettbewerb nicht mehr
mithalten zu können . Protektionistische Maßnahmen –
etwa Strafzölle und die damit verbundene Verteuerung
von Importen –, das klingt für viele offensichtlich verfüh-
rerisch und mag kurzfristig vielleicht sogar Effekte erzie-
len . Mittel- bis langfristig wird die Wirtschaft, werden
die Arbeitnehmer bis ins Mark getroffen. Gleiches gilt
für die Aufkündigung von geplanten oder bestehenden
Handels- und Investitionsabkommen . Es ist geradezu ein
Paradoxon unserer Zeit, dass vor allem jene Menschen in
den traditionellen Industriestaaten der USA einen Präsi-
denten ins Amt gewählt haben, dessen erste Amtshand-
lung massive Auswirkungen auf ihre soziale Sicherheit
entfalten könnte und wahrscheinlich auch entfalten wird .

Und selbstverständlich hätten Zölle auf Autos in Höhe
von 35 Prozent auch beträchtliche Folgen für die hiesige

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


Automobilindustrie, für unsere Wirtschaft insgesamt . Es
ist der Weg in den Verlust von Arbeitsplätzen .

Protektionismus kennt nur Verlierer . Protektionismus
ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen der
Globalisierung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Stattdessen müssen wir deutlich machen, dass wir
Freihandel gestalten wollen und auch gestalten können .

Der chinesische Präsident hat in Davos angedeutet,
wie China auf den Rückzug der USA zu reagieren ge-
denkt . Die Ankündigung Australiens, sich nach dem
Ende des transpazifischen Abkommens künftig mögli-
cherweise China zuzuwenden, muss uns beschäftigen .

Ein Freihandel nach chinesischen Vorstellungen, ge-
prägt von Marktöffnung ohne Standards, ohne Regeln
und ohne Schutzmechanismen, darf uns nicht kalt lassen .
Deutlich wie nie zeigt sich: Wenn wir die Standards nicht
setzen, dann setzen sie andere . Wir können dann zwar
noch Handel treiben – aber zu den Bedingungen, die an-
dere setzen . Darum brauchen wir Abkommen wie CETA .

Mit kaum einem anderen Land haben wir solche
Schnittmengen wie mit Kanada – vor allem auch an Wer-
ten und freiheitlichen Grundvorstellungen . Gestern hat –
wir müssen jetzt sagen: Ex-Wirtschaftsminister – Sigmar
Gabriel im Parlament gesagt: Kanada ist europäischer als
so manches Land in Europa . – Dem kann man sicher zu-
stimmen .

Wenn dieses Abkommen nicht gelingt, dann wohl
keines mehr . Und ich bin der festen Überzeugung, dass
CETA ein sehr gutes Abkommen, ein faires Abkommen
ist, dass CETA als erfolgreiches Abkommen zukünftig
Vorbild für weitere Abkommen sein muss und sein wird .
Deutschland muss den freien und fairen Handel voran-
treiben . Wir tun dies .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821604100

Vielen Dank, Hansjörg Durz . – Nächster Redner:

Alexander Ulrich für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821604200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt Veränderungen in der Rhetorik . Wer wie wir bis
vor kurzem mit Hunderttausenden in Deutschland oder
mit Millionen in Europa gegen CETA und TTIP demons-
triert hat, wurde als antiamerikanisch hingestellt .


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


Jetzt sind wir auf der Seite des US-Präsidenten .


(Heiterkeit des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Ich bin mal gespannt, wann bei Ihnen, den regierungs-
tragenden Fraktionen, dieser Widerspruch ankommt,
dass es uns nicht um Personen geht, um Verträge mit
Ländern, sondern um die Inhalte . Deshalb lehnen wir
TTIP und CETA ab . Das hat mit fairem Handel überhaupt
nichts zu tun .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Wirtschaftsministerin, das war kein guter Start,
als Sie hier zum Ausdruck gebracht haben – das haben
auch Herr Lämmel und mein Vorredner gesagt –, wir
würden hier zu oft über CETA diskutieren . Ich möchte
festhalten: Über TTIP und CETA ist in diesem Parlament
fast nur aufgrund unserer Anträge und aufgrund von An-
trägen der Grünen geredet worden . Wenn es nach der Re-
gierung gegangen wäre, hätten wir über dieses Thema im
Parlament fast nie debattiert . Aber wir brauchen eine De-
batte hier im Parlament, insbesondere vor so wichtigen
Entscheidungen wie der über die vorläufige Anwendung.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bernd Westphal [SPD]: Das fängt ja nicht bei null an!)


Ich frage mich langsam: Was muss denn noch alles
passieren, damit man endlich einmal politisch reagiert
auf Ereignisse wie den Brexit oder die Trump-Wahl?
Immer nach solchen Ereignissen werden Analysen er-
stellt – es gibt Globalisierungsverlierer; wir müssen die
Menschen ernst nehmen; wir müssen die Menschen mit-
nehmen –, aber dann wird die Politik einfach so fortge-
setzt . Was muss denn noch passieren, damit endlich klar
wird: Dieser unfaire Handel ist mit ein Grund dafür, dass
die Rechten stärker werden, er ist mit ein Grund dafür,
dass sich Länder auf das Nationale zurückziehen? Wir
hätten jetzt die Chance für einen Neustart mit CETA, um
diesen rechten Rattenfängern endlich das Wasser abzu-
graben; aber dazu sind Sie nicht bereit .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Bernd Westphal [SPD]: Was muss noch alles herhalten?)


Schade ist auch, dass wir die Debatte hier nicht
mehr mit Sigmar Gabriel führen können . Es war immer
schön, hier im Bundestag darüber zu diskutieren, wie der
SPD-Parteivorsitzende mit seiner eigenen Partei Ach-
terbahn gefahren ist . Wenn es einen Grund gibt, warum
Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender gescheitert ist,
dann den, dass er hier immer im Geist der Agenda 2010
weitergemacht hat,


(Bernd Westphal [SPD]: Quatsch!)


auch bei solchen Freihandelsverträgen, während seine
eigene Partei auf diesem Weg kaum mehr mitzunehmen
war . Wenn er, wie er sagt, keine ausreichende Unterstüt-
zung durch seine Partei hatte, dann hing das auch damit
zusammen, dass die SPD im Prinzip anders tickte als ihr
Parteivorsitzender . Daran ist Sigmar Gabriel gescheitert .
Aber auch jetzt merkt man nicht, dass die SPD endlich

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


erkennt, dass sie ihre Politik verändern muss, um wieder
bessere Umfragewerte zu bekommen .


(Beifall bei der LINKEN – Bernd Westphal [SPD]: Völliger Unsinn!)


Schauen wir uns jetzt einmal an, was im Einzelnen
beschlossen worden ist .


(Bernd Westphal [SPD]: Beeindruckt keinen, das Argument!)


Wir sind anders als meine Vorredner nicht der Auffas-
sung, dass die Bundesregierung die Vorgaben des Bun-
desverfassungsgerichts in ausreichendem Maße einge-
halten hat .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat das Bundesverfassungsgericht anders gesehen!)


Schauen wir uns die einzelnen Punkte an, zuerst den In-
vestorenschutz . Beim Investorenschutz hat man zwar die
Klagerechte herausgenommen, aber alles andere bleibt
wie bisher . Auch die schwierigen Marktzugangsregeln
bleiben wie bisher . Was haben Sie damit erreicht? Die
Protokollerklärungen, die verabschiedet werden sollen,
haben rechtlich überhaupt keine Verbindlichkeit .


(Claudia Tausend [SPD]: Das ist nicht richtig!)


Alles, was gesagt worden ist, um deutlich zu machen,
man habe tatsächlich etwas erreicht im Sinne von Ver-
besserungen für die Arbeitnehmer oder im Sinne des
Verbraucherschutzes, ist nur heiße Luft . Sie versuchen,
mit Protokollerklärungen etwas rechtsverbindlich zu ma-
chen, was nicht rechtsverbindlich zu machen ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb bleibt der Druck gegen CETA und TTIP wei-
terhin aufrechterhalten . Wir werden diese Themen auch
in den Bundestagswahlkampf tragen . Ich glaube nicht,
dass Sie sich trauen, den Ratifizierungsprozess noch vor
der Bundestagswahl abzuschließen, weil auch Sie wis-
sen, dass es im Bundesrat keine Mehrheit dafür geben
wird . Also wird das ein Thema im Bundestagswahl-
kampf . Wir müssen deutlich machen: CDU, CSU und
SPD stehen für unfairen Handel, für eine Politik gegen
Verbraucherschutz, für eine Politik gegen Umweltschutz,
für eine Politik gegen Arbeitnehmerrechte; und wir Lin-
ke wollen fairen Handel, wollen diese Interessen berück-
sichtigt wissen .

In diesem Sinne: Vielen Dank . Die Debatte geht wei-
ter .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Seite an Seite mit Herrn Trump!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821604300

Vielen Dank, Alexander Ulrich . – Nächster Redner für

die SPD-Fraktion: Bernd Westphal .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1821604400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zunächst herzlichen Glückwunsch an die neue
Bundeswirtschaftsministerin . Viel Erfolg, viel Kraft und
viel Glück in Ihrem neuen Amt!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufforderung,
dass die Debatte hier weitergehen soll, ist völlig richtig;
aber es kann ruhig etwas niveauvoller sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das Niveau haben wir gestern gemerkt!)


Neue Argumente, die wirklich schlagkräftig sind, und
eine seriöse Auseinandersetzung habe ich vonseiten der
Linksfraktion hier noch nicht erlebt .

In dieser Woche haben wir hier in diesem Hause
und auch im Wirtschaftsausschuss über den Jahreswirt-
schaftsbericht 2017 diskutiert . Im Zentrum dieser De-
batte stand die Bedeutung, die Wichtigkeit des globalen
Handels, den wir brauchen . Unsere exportorientierte
Wirtschaft ist Voraussetzung dafür, dass wir Zugang zu
Märkten haben . Sie sichert nicht nur die Zukunft unserer
Wirtschaft, sondern auch den Wohlstand unseres Landes .

Wenn man verfolgt, was die Regierungschefin May
in Großbritannien zurzeit auf ihrer politischen Agenda
hat, fällt auf, dass sie in erster Linie Gespräche darüber
führt, wie sie den Zugang zu Märkten sichern kann; denn
sie muss Freihandelsabkommen aushandeln, um die Per-
spektiven der britischen Wirtschaft abzusichern .

Jetzt liegt hier dieser Antrag vor, um CETA zu verhin-
dern; es ist nicht der erste Antrag zu diesem Thema . Das
ist Ihr gutes Recht . Allerdings gehen Sie diesmal noch
einen Schritt weiter . Sie formulieren, dass Sie CETA als
europa- und verfassungsrechtlich problematisch einstu-
fen . Dabei sind die Linken bereits mit Eilanträgen vor
dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, mit denen sie
die vorläufige Anwendung von CETA verhindern woll-
ten . Ich war selbst bei den Verhandlungen vor dem Bun-
desverfassungsgericht in Karlsruhe dabei und habe die
Argumentation der Richter sehr genau verfolgt . Hören
Sie endlich auf, das zu bekämpfen, was unserem Land
nutzt!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Seit genau drei Jahren diskutieren wir hier an dieser
Stelle über immer mehr Anträge mit immer weniger Ar-
gumenten . Sie zaubern immer wieder neue Argumente
aus dem Hut, die von Gerichten widerlegt werden . Nun
fordern Sie in Ihrem Antrag ein ausführliches Gutachten
des Europäischen Gerichtshofs, bevor über die vorläufi-
ge Anwendung Fakten geschaffen werden. Warum wird
diese Forderung nicht an Ihre Kollegen im Europaparla-
ment gestellt? Warum muss sich der Deutsche Bundestag
überhaupt mit dieser Fragestellung befassen, wenn erst
einmal das Europaparlament zuständig ist?


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ratifizierung!)


– Die Ratifizierung kommt danach. Erst einmal muss
das Europaparlament beschließen . – Das wäre der Platz

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


für die Forderung nach solch einem Gutachten gewesen .
Dort gibt es diese Forderung allerdings nicht . Ich will Sie
fragen: Warum haben Sie sich nicht mit Ihren Kollegen
im Europaparlament in einem Dialog über diese Dinge
ausgetauscht?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben wir doch!)


Diese wurden bereits im November 2016 im Europapar-
lament mit satter Mehrheit abgelehnt . Jetzt beantragen
Sie das Gleiche hier im Deutschen Bundestag . Keine
wirklich originelle Idee!

Ihre politische Ablehnung von CETA soll juristisch
aufgewertet und mit angeblichen schwierigen europa-
und verfassungsrechtlichen Problemen in Verbindung
gebracht werden . Man mag zu CETA stehen, wie man
will, aber ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass
die Legitimität europäischer Abkommen und Institutio-
nen deshalb hinterfragt werden kann, weil gewisse Ent-
scheidungen, zum Beispiel im Handelsbereich, nicht ge-
fallen sind .

Sie fordern die Bundesregierung auf, die Notifizierung
an Kanada zur Inkraftsetzung der vorläufigen Anwen-
dung von CETA zu verhindern . Damit sollen die vorläu-
fige Anwendung und auch CETA insgesamt verhindert
werden . Sie bezweifeln in Ihrem Antrag die Möglichkeit
Deutschlands zur einseitigen Beendigung der vorläufi-
gen Anwendung; allerdings hat das Bundesverfassungs-
gericht genau das in seinem Beschluss am 7 . Dezember
2016 eindeutig festgestellt .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Europäer sagen was anderes!)


Ich denke, das sollten Sie berücksichtigen . Die Bundes-
regierung hat eine entsprechende Erklärung in völker-
rechtlich erheblicher Weise abgegeben . Die Juristischen
Dienste der Kommission und auch des Europäischen
Parlaments gehen davon aus, dass das Investitionsschutz-
system, wie in CETA vorgeschlagen, EU-rechtskonform
ist . Das ist also eine klare juristische Bewertung, die zu
einem anderen Ergebnis kommt als dem, das Sie in Ihrem
Antrag zum Ausdruck bringen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Europäer sehen das anders!)


Das Bundesverfassungsgericht hat schon am 13 . Ok-
tober 2016 CETA behandelt und klargestellt, dass die
Bundesregierung CETA im Rat zustimmen und sich auch
für die vorläufige Anwendung aussprechen kann. Es gilt
also auch weiterhin: Eilanträge, die vor dem Bundesver-
fassungsgericht – zuletzt vor zwei Wochen – verhandelt
wurden, blieben erfolglos . Die Antragsteller hatten er-
neut gegen die vorläufige Anwendung geklagt und hatten
damit keinen Erfolg .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun-
destag hat am 22 . September 2016 – es gab auch eine
namentliche Abstimmung dazu – über den CETA-Ver-
tragstext debattiert . In der Plenardebatte wurde die
Notwendigkeit von Handelsabkommen nochmals un-
terstrichen . Es wurde darauf hingewiesen, dass sie eine
Bereicherung für die Weltwirtschaft sind und welche
Bedeutung die Standards haben, die dort definiert wur-

den . Inzwischen haben sich vier Ausschüsse des Europa-
parlaments mit CETA befasst und darüber beraten . Die
Zustimmung des Europaparlaments steht kurz bevor und
ist Voraussetzung für die Ratifizierung. Am 15. Februar
wird sich das Parlament damit beschäftigen .

Wir als SPD haben uns immer für fortschrittliche und
faire Handelsabkommen ausgesprochen . Gerade Sigmar
Gabriel hat auf europäischer Ebene wie auch mit der
kanadischen Seite mit Politik auf wirklich höchstem Ni-
veau eine ganze Reihe von Verbesserungen in den aus-
gehandelten Text einbringen können . Wir haben immer
gesagt, dass wir mit globalem Handel nicht nur freien
Handel, sondern auch faire Bedingungen wollen . Genau
diese sind hier verankert . Helmut Schmidt hat einmal
gesagt: „Märkte sind wie Fallschirme: sie funktionieren
nur, wenn sie offen sind.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gerade
vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwick-
lungen – die USA sind hier einige Male genannt wor-
den – sind Sie mit Ihrem Antrag auf dem Holzweg . Des-
halb werden wir ihn ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821604500

Vielen Dank, Bernd Westphal . – Die nächste Redne-

rin: Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821604600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte gerne die Worte der neuen Wirtschaftsminis-
terin Zypries, dass hier der Ort der Auseinandersetzung
ist, aufgreifen . Wir sollten diese Diskussion in der Tat
hier führen . Gerade angesichts der Wahl in den USA und
weil Trump dort jetzt Protektionismus und Nationalis-
mus vorantreibt, können wir sie viel weiter fassen und
dürfen sie nicht auf CETA beschränken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insbesondere Sie von der SPD möchte ich bitten,
sich noch einmal genau zu überlegen, was Sie im letz-
ten Herbst auf Ihrem Parteikonvent beschlossen haben .
Einer Ihrer Beschlüsse war: Das Europaparlament soll
noch einmal ganz intensiv über diese Verträge diskutie-
ren . – Das ist nicht passiert . Im Handelsausschuss haben
die Grünen den Antrag gestellt, zu beschließen: Solange
wir noch nicht einmal wissen, wie bzw . ob das Europa-
parlament überhaupt eingebunden wird, ob es also einen
Platz im Joint Committee bekommt, in dem ganz wich-
tige Entscheidungen gefällt und die Annexe des Vertra-
ges verändert werden können, sollten wir diesem Vertrag
nicht zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es wäre richtig, jetzt innezuhalten und noch einmal über
die Wirkungen dieser Handelsverträge nachzudenken .

Es hat übrigens auch Sozialdemokraten gegeben, die
CETA im Handelsausschuss nicht zugestimmt haben . Es

Bernd Westphal






(A) (C)



(B) (D)


gab bei Ihnen also ein gespaltenes Abstimmungsverhal-
ten . Insofern möchte ich an Sie appellieren, innezuhalten
und noch einmal nachzudenken . Denn in der Tat haben
wir durch die Wahl von Trump auch die große Chance,
der Welt gemeinsam mit Kanada zu zeigen, dass es an-
ders geht als nationalistisch und mit Mauerbau und Pro-
tektionismus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Claudia Tausend [SPD]: Das machen wir doch!)


Trudeau hat den CETA-Vertrag doch gar nicht ausge-
handelt; das war Harper . Trudeau und auch Freeland ha-
ben CETA vor der Wahl sogar kritisiert . Selbst Harper hat
noch versucht, im Hinblick auf die Schiedsgerichte das
Schlimmste zu verhindern, weil Kanada im Rahmen von
NAFTA das Land ist, das am häufigsten verklagt wird. In
rund 60 Prozent der Schiedsverfahren geht es um Um-
welt- und Energiefragen . Kanada weiß, dass es negativ
betroffen ist, und wollte das eigentlich vermeiden.

Weil gerade die Grüne Woche stattfindet, sollten wir
uns auch die Frage stellen: Was haben Handelsverträge
überhaupt mit der Landwirtschaft, mit unserem Essen zu
tun? Wir alle wissen: CETA wird dazu führen, dass der
Druck auf die Schweinebauern hierzulande stark steigen
wird; gleichzeitig wird der Milchmarkt in Kanada zer-
stört . Wollen wir das? Wollen wir, dass noch mehr bäuer-
liche Familienbetriebe in beiden Ländern aufgeben? Das
wollen wir nicht . Deshalb müssen wir auch diese Wir-
kungen der Verträge im Blick haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich möchte sagen: Wir sollten nicht nur über CETA,
sondern zum Beispiel auch über die Handelsverträge mit
Afrika diskutieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das, was da passiert, ist wirklich unsinnig: Der Land-
wirtschaftsminister sorgt dafür, dass ganz viel Fleisch
und Milch billig nach Afrika exportiert werden, dort ge-
hen die Märkte kaputt, und dann kommen die Menschen,
weil sie in ihrem Land keine Perspektiven mehr haben,
als Flüchtlinge zu uns . Das alles hängt zusammen, meine
Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Claudia Tausend [SPD] – Zurufe von der CDU/CSU)


Es ist unsinnig, dass das Landwirtschaftsministerium
wahnsinnig viel Geld ausgibt und damit die Märkte in
Afrika zerstört und dann das Entwicklungsministerium
versucht, mit seinem Marshallplan ein wenig diese Feh-
ler zu beseitigen . Machen Sie endlich eine vernünftige,
ganzheitliche Politik, die all das berücksichtigt! Sie kön-
nen nicht auf der einen Seite in New York die Sustain-
able Development Goals und in Paris den Klimavertrag
unterzeichnen und auf der anderen Seite Handelsverträge
abschließen, die dazu führen, dass wir die eingegangenen

Verpflichtungen überhaupt nicht erfüllen können. Das
funktioniert nicht, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821604700

Vielen Dank, Bärbel Höhn . – Nächster Redner:

Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1821604800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer! Auch von mir – wenn sie noch da wäre,
würde ich es ihr persönlich sagen – herzliche Glückwün-
sche an die neue Bundeswirtschaftsministerin! Es freut
mich ganz besonders, dass wir mit ihr eine Juristin ha-
ben, die sich, wenn es um einen solch juristischen Text
und ein solch juristisches Thema geht, auskennt . Sie hat
ja eben schon die wesentlichen Punkte angesprochen .

Wir beraten hier über Ihren Antrag „Ein“ – ich sage
gleich: angeblich – „europa- und verfassungswidriges
CETA-Abkommen verhindern“ . Ehrlich gesagt, der An-
trag ist eine Dreistigkeit .


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Denn Sie sind mit dem Versuch gescheitert, mit einer
einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsge-
richt die Zustimmung der Bundesregierung zur einstwei-
ligen Inkraftsetzung dieses Abkommens zu verhindern .
Sie sind nicht nur einmal gescheitert, Sie sind zweimal
gescheitert; denn natürlich hat die Bundesregierung –
das war dann der zweite Antrag – die Maßgaben, die es
vor einer Zustimmung von Bundeswirtschaftsminister
Gabriel im Ministerrat für nötig gehalten hat, korrekt
umgesetzt .

Jetzt ziehen Sie einen der Punkte, mit denen Sie schon
in Karlsruhe gescheitert sind, erneut aus der Tasche, weil
der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments eine
von der Auffassung der deutschen Bundesregierung ab-
weichende Auffassung vertritt. Es geht um die Frage, ob
die Bundesregierung in dem – erst einmal völlig unwahr-
scheinlichen – Fall, dass das Bundesverfassungsgericht
das Abkommen endgültig als verfassungswidrig ansehen
sollte, einseitig kündigen kann . Das sei, so der Juristische
Dienst, nicht möglich .

Lieber Kollege, es tut wirklich not, sich einmal anzuse-
hen, was das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt hat .
Genau damit – wir haben es ansatzweise schon mehrfach
gehört – hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner
zweiten Entscheidung auseinandergesetzt und gesagt:

Die Bundesregierung hat diese Erklärung durch die
beiden Schreiben des Ständigen Vertreters … an
den Generalsekretär des Rates sowie den Ständigen
Vertreter Kanadas … in völkerrechtlich erheblicher
Weise abgegeben und notifiziert. Etwaige Zweifel
an der Bedeutung dieser Erklärung werden jeden-
falls dadurch ausgeräumt, dass die Schreiben des
Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutsch-

Bärbel Höhn






(A) (C)



(B) (D)


land bei der Europäischen Union zur Erläuterung
der darin erhaltenen Erklärung auf das Urteil des
Senats

– des Bundesverfassungsgerichts –

. . . verweisen, das hinsichtlich der Erforderlichkeit,
die vorläufige Anwendung ... beenden zu können,
eindeutig ist .

So steht es in Randnummer 32 .


(Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage .)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821604900

Herr Dr . Hirte, erlauben Sie eine Frage?


Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1821605000

Er redet die ganze Zeit . Jetzt möchte ich zu Ende re-

den .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Jetzt könnte man natürlich sagen: zwei Juristen, drei
Meinungen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Fünf!)


Das stimmt hier nicht . Denn wenn tatsächlich der Fall
eintreten sollte, dass das Abkommen vom Bundesver-
fassungsgericht als verfassungswidrig qualifiziert wür-
de, Deutschland einseitig kündigen würde, die EU das
nicht bestätigen würde und dann auch noch der Europä-
ische Gerichtshof die abweichende Auffassung der EU
bestätigen würde, wäre die Lage nach unserem Verfas-
sungsrecht völlig eindeutig; denn wir hätten es mit ei-
nem ausbrechenden Rechtsakt zu tun, der von uns nicht
zu beachten wäre . Sie bauen hier einen Popanz auf, den
es rechtlich nicht gibt, und das, finde ich, ist ein Unding.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich empfehle Ihnen – ich habe es Ihnen vorgelesen –:
Sie sollten die Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts lesen – wir tun das –, statt hier Zirkusvorführun-
gen zu machen .


(Lachen der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Vor allen Dingen: Führen Sie die Menschen nicht in die
Irre!

Eine Zwischenbemerkung an die Kollegin Dröge:
Sie fragen nach der Diskussion vor dem Bundesverfas-
sungsgericht und sagen, es fehle die Rückbindung der
Ausschüsse an unsere Parlamente . Das Bundesverfas-
sungsgericht hat sich in der mündlichen Verhandlung
ausführlich – wir waren gemeinsam da – mit dieser Frage
befasst und gesagt: Ja, Abkommen werden weiterentwi-
ckelt; denn Texte entwickeln sich weiter . Auch der Präsi-
dent des Bundesverfassungsgerichts hat genau zu diesem
Punkt gesagt: Auch wir als Richter sagen später etwas

anderes, als man sich irgendwann einmal in der Historie
dazu gedacht haben könnte . – Auch das ist Irreführung .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist absoluter Unsinn!)


Der zweite Punkt – EUZBBG: Wir werden in den Aus-
schüssen bei allen Fragen beteiligt . Das ist schon jetzt
so . Es besteht keinerlei Handlungsbedarf auf der Seite
des nationalen Verfassungsrechts . Auch das ist schlicht
falsch .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach die Unwahrheit!)


Dann kommen Sie mit der Frage: Warum wurde das
nicht alles vorab mit dem EuGH geklärt? Klar, man kann
viele Fragen mit den Gerichten klären . Der entscheiden-
de Punkt ist aber: Was sich darin eigentlich offenbart, ist
ein falsches Demokratieverständnis; denn die Gerichte
kommen doch erst zum Zuge, wenn wir hier entschieden
haben, und Sie haben eben schon gehört – Herr Westphal
war es, glaube ich, der es sagte –, Sie hätten doch einen
entsprechenden Antrag mit Ihren Freunden im Europäi-
schen Parlament einbringen können . Das haben Sie nicht
gemacht . Sie fördern mit solchen Anträgen das Demo-
kratiedefizit, das Sie angeblich beseitigen wollen. Denn
wir, die Deutschen, wollen mit Mehrheit Freihandel,
weil wir davon leben, und wir haben über diese Frage
x-mal – auch das haben wir mehrfach gehört – beraten
und entschieden . Diese Mehrheitsentscheidung wollen
Sie konterkarieren .

Im Übrigen wollen Sie, dass der Europäische Ge-
richtshof angerufen wird . Die Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts akzeptieren Sie nicht . Würden Sie
denn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
akzeptieren? Auch nicht! Ihnen geht es nicht um die Sa-
che .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann nur sagen: Die Mehrheit der Bürger unseres
Landes und die Mehrheit der Bürger der Europäischen
Union möchten eine starke Europäische Union, eine
starke, auf Wettbewerb und Freiheit gegründete Gemein-
schaft . Das ist das, was Sie zerstören .


(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Deshalb bin ich, ehrlich gesagt, erschrocken, als ich
gesehen habe – das muss man am Rande hier einfüh-
ren –, dass dem englischen Parlament gestern ein Gesetz-
entwurf vorgelegt wurde, mit dem der britischen Regie-
rung die Erlaubnis zur Stellung des EU-Austrittsantrages
eingeräumt werden soll, der gerade einmal zwei Sätze
umfasst. Wenn wir eine öffentliche Diskussion brauchen,
stellt sich die Frage, ob eine solche Basis für das engli-
sche Parlament reicht. Wenn wir eine inhaltliche öffentli-
che Diskussion brauchen, dann ist es nicht die öffentliche
Diskussion über Freihandel, sondern über die Kosten des
Protektionismus . Das können Sie Ihren englischen Kol-
legen gerne zurufen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Das Schlimme ist: Mit solchen Anträgen fördern Sie
die Enttäuschung über die Politik und das Misstrauen .
Wenn wir es nicht mit Kanada hinbekommen – Frau
Höhn hat gerade selber gesagt: Kanada ist ein guter Part-
ner für uns –: Mit wem sonst bekommen wir Freihandel
hin? Vielleicht mit Nordkorea? Ist das Ihre Vorstellung?
Lieber Herr Ernst, wir haben öfter über diese Frage dis-
kutiert .


(Lachen bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Jetzt wird das Niveau aber unterirdisch!)


– Wir kommen weiter nach oben . Bei Ihnen ist es unter-
irdisch .

Ich zitiere jetzt Sie vom 27 . Februar 2015 . Sie sagten:

Ich möchte das Thema, bei dem ich vorhin war,
noch einmal aufgreifen, weil das wirklich sehr
wichtig ist . Entstehen in Deutschland und in Euro-
pa wirklich Riesenprobleme, wenn wir bei diesem
Abkommen

– gemeint war TTIP –

nicht dabei sind? Ich glaube das nicht . Wir werden
weiter nach Amerika liefern, weil unsere Produkte
dort auch dann verkauft werden, wenn die Standards
bei uns höher sind, und wir werden weiterhin Pro-
dukte von anderen kaufen . . . Auf keinen Fall wird
ein Arbeitsplatz in Deutschland gefährdet, wenn wir
uns hier nicht beteiligen .

Heute wissen wir: Genau das ist mit Ihrer Blockade-
politik gegenüber dem Abkommen in Gefahr . Wir hätten
deshalb besser gestern als erst irgendwann in ferner Zu-
kunft die entsprechenden Abkommen geschlossen . Dann
hätten wir etwas für die freie Wirtschaft und die freie
Welt getan . Das versuchen Sie zu verhindern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist naiv, zu glauben, dass wir von unseren Standards
als gegeben ausgehen können und dass es nicht auch Re-
gierungen in der Welt gibt, die über Rückentwicklungen
nachdenken . Mit dieser Begründung Freihandel zu tor-
pedieren, bringt alle diese Grundwerte, die uns einigen,
in Gefahr .

Daher liegt Armin Laschet gar nicht so verkehrt, wenn
er sagt:

Zehntausende linke und rechte TTIP-Gegner haben
ihren Wunschpräsidenten .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Übel! Übel!)


Mit Ihrem Antrag machen Sie Werbung für den Pro-
tektionismus von Donald Trump . Wir machen das nicht
mit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821605100

Danke schön, Dr . Heribert Hirte . – Bevor Frau

Tausend das Wort hat, hat der Kollege Ernst das Wort zu
einer Kurzintervention .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821605200

Herr Kollege Dr . Hirte, Sie haben gesagt, wir hätten

ein Demokratiedefizit. Glauben Sie nicht, dass es des-
halb ein Demokratiedefizit gibt und die Zustimmung der
Bürgerinnen und Bürger fehlt, weil man von Anfang an
versucht hat, solche Abkommen hinter dem Rücken der
Menschen zu verabschieden?


(Beifall bei der LINKEN)


Glauben Sie nicht, dass das Demokratiedefizit auch mit
dem Eindruck zu tun hat, dass verhindert werden sollte,
dass nationale Parlamente und die Bürger Europas über-
haupt mitreden? Besteht das Demokratiedefizit darin,
dass die von den Bürgern Europas gestartete Bürgeriniti-
ative nicht angenommen wurde?

Das alles sind Demokratiedefizite!

Ist ein Demokratiedefizit vielleicht auch dadurch ent-
standen, dass es fast ausschließlich die Opposition war,
die dieses Thema hier im Bundestag angesprochen hat,
und dass man den Eindruck hatte, dass Sie sich jeweils
darüber aufregen, dass sie das tut, weil Sie die Debatte
gar nicht wollten? Könnte das vielleicht die Ursache ei-
nes Demokratiedefizits sein?


(Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU] erhebt sich vom Platz)


– Herr Dr . Hirte, ich bin noch nicht fertig .

Sie haben erzählt, dass wir vor dem Bundesverfas-
sungsgericht gescheitert sind . Herr Dr . Hirte, ja, wir ha-
ben das nicht so hingekriegt, wie wir es wollten, aber die
Bundesregierung hat Auflagen bekommen.

Die erste Auflage – ich war dabei –, die erteilt worden
ist, war, dass all die Bereiche von der vorläufigen An-
wendung ausgenommen werden müssen, die nicht „EU
only“ sind . Das haben Sie überhaupt nicht gemacht .

Die zweite Auflage, die erteilt wurde, war, dass ge-
klärt wird – jetzt sind wir bei dem Punkt, den Sie ange-
sprochen haben –, dass die Bundesrepublik durch eigene
Entscheidung aussteigen kann . Es ist gut und schön, dass
die Verfassungsrichter auf der Grundlage des nationalen
Rechts, also der Verfassung, urteilen; das ist ihr Job . Aber
die Europäer sehen dies ganz anders . Sie sagen: Es gibt
europäische Verträge, in denen der Ausstieg bei solchen
Fragen wie etwa die vorläufige Anwendung geklärt wird.

Da sagen Sie: Das interessiert uns alles nicht . – In die-
sem Fall brauchen wir solche Verträge nicht zu schlie-
ßen; denn Verträge müssen eingehalten werden . Sie wer-
den sehen: Da werden wir noch ein Problem bekommen .

Die dritte Auflage war, sicherzustellen – so die Verfas-
sungsrichter –, dass die Entscheidungen der Ausschüsse
auf EU-Ebene eine demokratische Rückkopplung an die
nationalen Parlamente und an die demokratische Ebene
haben. Offensichtlich sahen auch die Verfassungsrichter
die Konstruktion so, dass das nicht gegeben ist . Das muss
geklärt werden . Ich sage Ihnen: All das ist nicht geklärt .

Warten Sie einmal ab, was in der endgültigen Entschei-
dung der Verfassungsrichter als Ergebnis herauskommt .

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Warten Sie vor allen Dingen ab, was auf EU-Ebene he-
rauskommt. Warten Sie ab, ob alle Staaten ratifizieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821605300

Vielen Dank, Herr Ernst . – Jetzt hat Herr Dr . Hirte die

Möglichkeit einer Kurzinterventionsantwort .


Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1821605400

Herr Ernst, Sie wiederholen nur all die Punkte, die Sie

eben schon genannt haben . In der Frage der einseitigen
Kündigungsmöglichkeit habe ich genau erklärt, was das
Bundesverfassungsgericht dazu ausgeführt hat .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und ich, was die Europäer gesagt haben!)


Für uns ist die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichtes maßgeblich . Wenn Sie sich ein bisschen mit
dieser Rechtsfrage beschäftigen würden – die Bundes-
wirtschaftsministerin ist jetzt leider nicht mehr da, sonst
würde sie es Ihnen erklären –, dann wüssten Sie: Die Fra-
ge der Reichweite der Integration ist vom Bundesverfas-
sungsgericht entschieden, nicht vom Europäischen Ge-
richtshof . Insofern ist das maßgeblich, was in Karlsruhe
entschieden wird .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Schauen wir mal!)


Das, was Sie verbreiten, ist schlicht falsch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stichwort „Demokratiedefizit“. Es ist falsch, dass bei
diesen Verhandlungen irgendetwas verheimlicht wurde .
Gehen Sie einmal auf die Homepage der Europäischen
Kommission. Dort finden Sie alle Entwürfe und alle Ab-
kommen sowie alle Stellungnahmen . Genauso war es
auch bei CETA und bei TTIP .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nicht mal das Mandat war öffentlich! Jetzt erzählen Sie doch keinen Unfug!)


– Jetzt rede ich! – Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Nie-
mand hat sich dafür interessiert . Nicht einmal der Deut-
sche Gewerkschaftsbund oder der Europäische Gewerk-
schaftsbund haben sich dafür interessiert . Erst als sie
gemerkt haben, dass sie mit Amerika – das ist auch mit
Blick darauf zu sehen, dass CETA als Blaupause dient –
ein Feindbild haben, das ihnen in den Kram passt, haben
sie angefangen, herumzuwühlen und in dieser Richtung
weiter vorzugehen .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch ein Wort zum Stichwort „Demokratiedefizit“.
An all diesen Abkommen sind die Parlamente beteiligt .
Das ist auch nicht anders als bei Koalitionsvereinbarun-
gen . Ich kann nur sagen – da schaue ich die Kollegin
Dröge an –: Wir haben in Köln eine Koalitionsvereinba-
rung geschlossen; die Koalition läuft übrigens gut . Diese
Vereinbarung wurde zwischen den Führungen genauso
vereinbart, wie ein Abkommen zwischen Regierungen
vereinbart wird . Die einen Vereinbarungen werden nach-

her den Parteitagen und die anderen den Parlamenten
vorgelegt .

Suggerieren Sie den Bürgern nicht, es gäbe ein Demo-
kratiedefizit! Wir haben kein Demokratiedefizit. Alles,
was wir wollen – deshalb sitzen wir hier zusammen –,
geben wir nach oben an die Regierung weiter . Gerade
zum Thema Schiedsverfahren habe ich Vorschläge ge-
macht, und das Wirtschaftsministerium hat sie aufgegrif-
fen . Das ist die jetzige Entscheidungsgrundlage . Reden
Sie den Menschen nichts ein, was unwahr ist!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie sind klüger, als Sie meinen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821605500

Vielen herzlichen Dank . Das ist lebendiges Parla-

ment . – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Claudia
Tausend für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Tausend (SPD):
Rede ID: ID1821605600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen! Manchmal hilft es,
darauf zu schauen, woher man kommt, um zu wissen,
wohin man will . – Ich möchte Sie einladen, diesen Weg
für die nächsten fünf Minuten konzentriert mit mir zu
gehen .

Lassen Sie mich einen Blick zurück auf die Anfangs-
zeit dieser Diskussion werfen, nämlich auf den Winter
2013/2014 . Damals wurden die beiden transatlantischen
Handelsabkommen TTIP und CETA erstmals in der brei-
ten Öffentlichkeit diskutiert. Auch hier im Deutschen
Bundestag haben wir uns seitdem mit den Abkommen
intensiv und kritisch auseinandergesetzt .

Es ist richtig: Es gab auf jeden Fall ein beklagenswer-
tes Demokratie- und Transparenzdefizit. Verhandlungen
wurden in der europäischen Handelspolitik bisher hinter
verschlossenen Türen geführt . Auch wir als Abgeordnete
waren ungenügend eingebunden . Es gab private Schieds-
gerichte, bei denen internationale Anwälte, die sonst für
Großkonzerne arbeiten, über Milliardenentschädigungen
von Unternehmen entscheiden sollten . Es gab schwam-
mige Formulierungen, die nicht sicherstellten, dass So-
zial-, Umwelt- oder Arbeitnehmerstandards ausreichend
geschützt sind . Es gab Klauseln, die es hätten ermögli-
chen können, Bereiche der Daseinsvorsorge zu privati-
sieren . Es gab also sehr wohl Dinge, mit denen wir uns
intensiv auseinandersetzen mussten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der
Grünen, keine Partei hat sich so intensiv mit beiden Ab-
kommen – zunächst mit TTIP, das im Blickpunkt der
Öffentlichkeit stand, aber später auch mit CETA – ausei-
nandergesetzt wie die bundesdeutsche Sozialdemokratie .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt witzig!)


Ich glaube, wir waren die einzige Partei, die zwei The-
menparteitage – bei uns werden sie „Parteikonvente“

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


genannt – veranstaltet hat und sich gemeinsam mit der
Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften, aber auch mit
der neuen kanadischen sozialliberalen Regierung und
Cecilia Malmström intensiv mit dem Thema auseinan-
dergesetzt hat . Wir haben vieles durchgesetzt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frau Kollegin Höhn, ich hätte eine Synopse


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die habe ich auch! Das machen wir!)


unserer Parteikonventbeschlüsse und der Umsetzungen
vonseiten der Europapolitiker im Angebot . Gerne könnte
ich das eine oder andere zitieren, wenn Sie eine Nachfra-
ge haben .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal!)


Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Vergleichen
Sie ernsthaft die Situation 2013 mit der 2017! Wir ha-
ben jetzt ein CETA, das zum ersten Mal mit den priva-
ten Schiedsgerichten bricht . ISDS gibt es so nicht mehr .
Stattdessen werden wir einen multilateralen Handels-
gerichtshof schaffen – mit ordentlichen Richtern, Beru-
fungsinstanz und transparenten Verhandlungen .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht in CETA! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Der Handelsgerichtshof kommt doch gar nicht mit CETA!)


Das ist ein außerordentlicher Erfolg unseres mittlerweile
ehemaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel,


(Beifall bei der SPD)


der sich zusammen mit den sozialdemokratischen Amts-
kollegen und der Zivilgesellschaft gegen alle Widerstän-
de durchgesetzt hat .

Wir haben durchgesetzt, dass die Daseinsvorsorge
umfassend geschützt ist . Wir können Unternehmen der
öffentlichen Hand und Dienstleistungen ohne Einschrän-
kungen wieder rekommunalisieren . Kanada hat zugesagt,
die letzte der acht ILO-Kernarbeitsnormen – sieben sind
bereits ratifiziert – demnächst zu ratifizieren. Das sind
große Erfolge .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU])


Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das anzuerken-
nen . Es sind unsere Erfolge, die Erfolge der Zivilgesell-
schaft, der Nichtregierungsorganisationen, der Verbände
und der Gewerkschaften . Aber schlussendlich sind es
auch Ihre Erfolge . Sie haben oft den Finger in die Wunde
gelegt . Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt
und sehr viele Kritikpunkte aufgegriffen. Wir haben jetzt
ein sehr gutes Abkommen und übrigens ein Modell für
weitere Handelsabkommen . Cecilia Malmström hat zu-
gesagt, künftig alle Verhandlungsmandate für Handels-
abkommen sofort zu veröffentlichen, sofort in die natio-
nalen Parlamente einzubringen und alle Dokumente ins

Netz einzustellen . Das ist ein großer Erfolg . Ich bitte Sie,
das anzuerkennen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben daran gearbeitet, der Globalisierung faire
Regeln zu geben und die internationale Handelspolitik
weiterzuentwickeln . Die handelspolitische Weltordnung
war – ich blicke noch einmal auf den Winter 2013/14
zurück – stabil . Wir hätten das Endergebnis vielleicht
ablehnen müssen, wenn wir diesen guten Weg nicht
hätten gehen können . Aber heute – das ist mehrfach
angeklungen – hat sich die bisher als sicher erachtete
Grundordnung des Welthandels eklatant verändert . Wir
haben es mit einem amerikanischen Präsidenten zu tun,
der China einen Handelskrieg androht und der Unterneh-
mer mit Strafzöllen belegen will, wenn sie nicht in den
USA produzieren wollen . Selbst deutsche Unternehmen
wie BMW sind nicht ausgenommen . Donald Trump hat
angekündigt, aus der WTO auszutreten . Damit müssen
wir uns auseinandersetzen . Das wäre das Ende des freien
Welthandels . Das wäre die Rückkehr zum Protektionis-
mus und zum Recht des Stärkeren . Das kann doch nie-
mand von uns wirklich wollen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerade deshalb muss Europa jetzt in diesen Zeiten hand-
lungsfähig sein . CETA kann ein Impuls für das Welt-
handelssystem sein; es kann ein Vorbild sein . Es bietet
mittel- und langfristig die Möglichkeit für weitere faire
Handelsabkommen, die auch den Partnerstaaten nutzen .

Zum Antrag der Linken . Wir müssen uns jetzt ent-
scheiden, Herr Kollege Ernst: Wollen wir das protekti-
onistische Modell Trump zulassen? Wollen wir der Han-
delsmacht China die Führung überlassen, oder wollen wir
die Globalisierung mit europäischen Werten prägen? In
Ihrem Antrag geht es um pure Verzögerung . Wir wissen:
Ein Rechtsgutachten des Europäischen Gerichtshofs, wie
von Ihnen gefordert, würde zwei, drei Jahre in Anspruch
nehmen . So lange wären die parlamentarischen Verhand-
lungen gestoppt .

Der Juristische Dienst – das kam ja auch im Beitrag
von Ihnen vor – hat die Zusatzabkommen noch einmal
geprüft und hat festgestellt, dass sie sowohl integraler
Bestandteil von CETA als auch juristisch verbindlich
sind .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821605700

Frau Kollegin .


Claudia Tausend (SPD):
Rede ID: ID1821605800

Insofern ist es, glaube ich, in der Tat nicht nötig, ein

weiteres Rechtsgutachten einzufordern .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das gibt es aber! Wegen der Wallonen!)


Ich komme zum Schluss .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821605900

Ja, bitte .

Claudia Tausend






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Tausend (SPD):
Rede ID: ID1821606000

Lassen wir bitte die politische Verantwortung in den

Parlamenten! Schieben wir sie nicht auf den EuGH ab!
Schieben wir sie nicht auf Gutachten ab! Und lassen Sie
uns in diesen Zeiten für eine fortschrittliche Handelspo-
litik streiten!

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821606100

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10970 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Damit sind Sie
einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich bitte, bevor wir zum neuen Tagesordnungspunkt
kommen, die Plätze, falls nötig, zu wechseln, damit wir
schleunigst weiterkommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städte-
baurecht und zur Stärkung des neuen Zusam-
menlebens in der Stadt

Drucksache 18/10942
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Ich bitte, die Plätze einzunehmen .

Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten
vorgesehen . – Auch dazu gibt es keinen Widerspruch .
Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin in die-
ser Debatte ist die Ministerin Dr . Barbara Hendricks .

Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Städte erleben seit Jahren eine Renaissance, weil
das Leben in den Städten und Ballungsräumen für viele
und aus ganz unterschiedlichen Gründen immer attrak-
tiver geworden ist . Wie bei den meisten Veränderungen
haben wir es dabei mit Chancen, aber auch mit Heraus-
forderungen oder gar Problemen zu tun . Deshalb ist die
Politik aufgerufen, ein gutes Zusammenleben der Men-
schen zu ermöglichen und den sozialen Zusammenhalt in
den Kommunen und Quartieren zu stärken .

An erster Stelle steht eine so von uns vor einigen Jah-
ren nicht erwartete Binnenwanderung unserer Bürgerin-
nen und Bürger . Es folgt der Zuzug von Menschen aus
Europa, und hinzugekommen sind die zu uns Geflüch-

teten, die vor Ort integriert werden wollen und müssen .
Weil die Bundesregierung diese Herausforderungen ernst
nimmt, hat sie im November den entsprechenden Gesetz-
entwurf zum Maßnahmenpaket „Neues Zusammenleben
in der Stadt“ beschlossen . Ein wesentlicher Baustein ist
die Novelle des Bauplanungsrechts, die wir heute in ers-
ter Lesung beraten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der neuen
Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ wollen wir den
Kommunen ein Instrument an die Hand geben, mit dem
sie insbesondere in innerstädtischen Gebieten eine nut-
zungsgemischte Stadt mit kurzen Wegen verwirklichen
können . Mir geht es dabei ganz ausdrücklich darum, den
Kommunen neue Spielräume zu verschaffen, und nicht
etwa darum, ihnen etwas vorzuschreiben . Die Kommu-
nen sollen die neuen Instrumente nutzen können, nicht
nutzen müssen . Unsere Bürgermeisterinnen und Bürger-
meister, die Stadträte und die Magistrate können verant-
wortungsvolle Entscheidungen für ihre Kommunen sehr
wohl selbst treffen. Sie brauchen dafür aber natürlich
auch die geeigneten Instrumente, den passenden Rah-
men .

Urbane Gebiete sollen dem Wohnen dienen und
gleichzeitig Gewerbebetriebe ermöglichen sowie sozia-
le, kulturelle und andere Einrichtungen stärken . Damit
lehnen wir uns bewusst an die „Leipzig Charta zur nach-
haltigen europäischen Stadt“ an . Eine Stadt der kurzen
Wege verringert den Verkehr und kann gleichzeitig für
mehr Lebendigkeit und Vielfalt im öffentlichen Raum
sorgen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen eine flexiblere Nutzungsmischung. Sie
muss daher in Abgrenzung zum Mischgebiet ausdrück-
lich nicht gleichgewichtig sein . Notwendige Lärmschutz-
regeln sollen kleinere Gewerbebetriebe nicht verdrän-
gen . Deshalb wollen wir in einem parallelen Verfahren
auch die TA Lärm ändern . Die Immissionsrichtwerte für
urbane Gebiete sollen die Mischgebietswerte um 3 Dezi-
bel übersteigen dürfen . Über die konkrete Ausgestaltung
werden wir natürlich im Gespräch bleiben . Ich glaube,
dass dieser Wert für einen angemessenen Interessenaus-
gleich sorgt und vor allem auch die nötige Flexibilität für
das gewünschte Nebeneinander von Wohnen, Leben und
Arbeiten ermöglicht .

Begleitend wollen wir aber hinsichtlich dieser höheren
Lärmaußenwerte im Gesetz ausdrücklich festhalten, dass
die Kommunen die Möglichkeit haben, passive Schall-
schutzmaßnahmen festzusetzen und damit die Auswir-
kungen für die Bewohner zu reduzieren .


(Beifall bei der SPD)


Dann könnte zum Beispiel das „Hamburger Fenster“ zum
Einsatz kommen, oder es könnte Investoren vorgegeben
werden, einen begrünten Lärmschutzwall zu errichten .
An die Länder gerichtet betone ich hier nochmals, dass
es um Möglichkeiten für Kommunen geht, mit denen
diese verantwortlich umgehen können und werden . Bund
und Länder sollten den Kommunen diesen zusätzlichen
Spielraum nicht verweigern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Wir können unseren Kommunen schon etwas zutrauen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in urbanen Gebie-
ten soll auch von vornherein eine höhere Dichte mög-
lich sein . Auf gleicher Fläche kann somit mehr Raum für
Wohnungen entstehen . Denn bei allen Diskussionen über
Details sollten wir das große Ziel nicht aus den Augen
verlieren: Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum,


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


und es gibt viele Menschen, die dringend darauf ange-
wiesen sind, dass wir dafür eben auch die richtigen Rah-
menbedingungen setzen .


(Ulli Nissen [SPD]: Die Stadt Frankfurt ist dafür dankbar!)


Es geht aber bei weitem nicht nur um einen erhöhten
Immissionsrichtwert . So erfordert zum Beispiel die geän-
derte Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein
neues Verfahren, wenn Bauleitpläne aufgestellt werden .

Ein weiteres Thema dieses Gesetzentwurfs sind Fe-
rienwohnungen . Die Rechtsprechung des Oberverwal-
tungsgerichts Greifswald hat die Frage aufgeworfen, ob
Ferienwohnungen in klassischen Baugebieten überhaupt
zulässig sind . Dies hat vor allem in touristischen Regio-
nen die Kommunen und die privaten Ferienwohnungsbe-
treiber verunsichert . Hier wollen wir durch Klarstellung
die nötige Rechtssicherheit herstellen und zugleich den
Kommunen mehr planerische Möglichkeiten geben .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetzgebungs-
vorhaben ist in den vergangenen Monaten bereits sehr
intensiv diskutiert worden . Ich möchte Sie daher um Ihre
Unterstützung bitten. Die Kommunen und die Betroffe-
nen warten durchaus auf dieses Gesetz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821606200

Vielen Dank, Barbara Hendricks . – Nächste Rednerin:

Caren Lay für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821606300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ferienwohnungen an der Nord- und Ostseeküste
ermöglichen vielen Familien mit kleinem, mit mittlerem
Einkommen einen preiswerten Urlaub für die schönsten
Wochen im Jahr . Und für viele Einheimische ist der Tou-
rismus ein willkommener Zuverdienst, manchmal sogar
die Lebensgrundlage . Leider haben diverse Gerichtsur-
teile dafür gesorgt, dass nun quasi Tausende Ferienwoh-
nungen an der Küste in die Rechtsunsicherheit, zum Teil
in die Illegalität gedrängt wurden . Viele Menschen fürch-
ten um ihre Einkünfte . Deswegen sagen auch wir Linken:

Wir brauchen Rechtssicherheit für die betroffenen Feri-
enwohnungen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wissen aber zugleich, dass es auch Missbrauch
mit Ferienwohnungen gibt . An den Küsten haben wir
beispielsweise oft das Problem, dass Zweitwohnungen,
die nur wenige Wochen im Jahr genutzt werden, dafür
sorgen, dass die auch dort zum Teil angespannten Woh-
nungsmärkte weiter belastet werden . Viele Menschen,
die dort in der Gastronomie arbeiten, ein kleines Einkom-
men haben, finden in den Küstenorten gar keine Woh-
nungen mehr . Wir haben das Problem mit langweiligen
sogenannten Rollladensiedlungen, die Städte und Dörfer
veröden lassen, und wir erleben vor allen Dingen in den
Großstädten, dass es massive Probleme mit dem enor-
men Missbrauch von Wohnungen als Ferienwohnungen
gibt, was die Wohnungsmärkte weiter anspannt . Des-
wegen finden wir es richtig, dass die Kommunen eine
Handhabe haben, dies zu regulieren; denn sie können am
besten entscheiden, ob es sinnvoll ist, Ferienwohnungen
zuzulassen, oder ob einfach ein Missbrauch vorliegt .

Meine Damen und Herren, wir begrüßen auch einen
weiteren wichtigen Punkt, nämlich dass die Planungs-
verfahren beschleunigt werden und gleichzeitig die Um-
weltverträglichkeitsprüfungen gestärkt werden . Auch das
findet unsere Unterstützung.

Jetzt zum zentralen Punkt des Vorhabens, zu den so-
genannten urbanen Gebieten . Wir wollen – ich denke,
wir sind uns darin sicherlich einig – lebendige Städte mit
kurzen Wegen, in denen Wohnen, Arbeiten, Erholung,
Gastronomie und Kultur sowie kleine Handwerksbetrie-
be nebeneinander ihren Platz haben können . Das ent-
spricht heute für viele dem Idealbild . Wir wollen nicht
mehr Städte, wo das Wohnen an einem Ort stattfindet
und das Arbeiten, verbunden mit langen Wegen, an an-
derer Stätte, wo es nachts langweilig ist und wo man die
Bürgersteige hochklappen kann . Die beliebten Gründer-
zeitviertel in den Großstädten garantieren beispielsweise
genau dieses Leben . Sie sind deswegen so beliebt und für
viele das Idealbild . Heute könnten sie so gar nicht mehr
genehmigt werden, weil das Baurecht es gar nicht mehr
zulässt . Deswegen ist es richtig, für diese Art von leben-
digen Wohnvierteln eine Gesetzesgrundlage zu schaffen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Claudia Tausend [SPD])


Ich denke, angesichts der Mietenexplosion in den
Großstädten ist es unausweichlich, dass wir Brachflächen
bebauen, dass wir sie dichter als bisher bebauen, dass wir
Bahngelände bebauen . Von daher ist es richtig, entspre-
chende innerstädtische Flächen zu aktivieren und dichter
und auch höher bauen zu können .

Diskutiert werden urbane Gebiete aber vor allen Din-
gen im Zusammenhang mit dem Thema Lärm . Ich bin
froh, dass für bestehende Wohn- und Mischgebiete die
derzeitigen Regeln weitergelten werden . Es muss also
niemand, der jetzt in einem ruhigen Wohngebiet wohnt,
befürchten, dass es bei ihm lauter wird; das ist gut so .
Ich finde gleichzeitig: Wer in die Nähe von bestehendem
Kleingewerbe, von bestehenden Bars, Klubs und Dis-

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


kotheken zieht, der muss auch bereit sein, eine höhere
Lärmbelastung zu akzeptieren . Er wird andererseits ja
mit einem lebendigen Stadtteil belohnt . Deswegen sagen
auch wir: Ja, wir brauchen einen Bestandsschutz für be-
stehende Bars, für bestehendes Kleingewerbe, für beste-
hende Klubs und Diskotheken .

Die Frage ist aber aus meiner Sicht, wie wir die Lärm-
konflikte, die es hier geben wird, lösen. Da hat die Regie-
rung, finde ich, in ihrem Entwurf auf das falsche Pferd
gesetzt . Sie sagen zwar „man könnte“, „man müsste“ und
„alles toll“, aber im Gesetzentwurf steht bisher etwas an-
deres; dort steht, man wolle die Lärmschutzgrenzen pau-
schal nach oben setzen. Ich finde, da setzen Sie auf das
falsche Pferd . Es gibt viele technische Möglichkeiten . Es
gibt zum Beispiel das sogenannte Hamburger Fenster . Es
gibt die Möglichkeit, in den Bebauungsplänen entspre-
chende Vorschriften zu machen .


(Klaus Mindrup [SPD]: Das hat die Ministerin doch gerade gesagt!)


Das wäre im Interesse der Mieterinnen und Mieter und
letztlich auch im Interesse des bestehenden Gewerbes,
weil es die Lärmkonflikte minimieren würde. Ich glaube,
darüber werden wir im weiteren Verfahren noch sprechen
müssen. So, wie es jetzt im Gesetzentwurf steht, finde ich
es falsch .

Ebenso falsch und kontraproduktiv ist der letzte Punkt;
er wird dazu führen, dass wir als Linke dem so nicht zu-
stimmen können . Auf den letzten Metern hat nämlich
eine Regelung in den Gesetzentwurf Eingang gefunden,
die es ermöglichen würde, dass die Außenbereiche von
Städten und Dörfern im Eilverfahren bebaut werden .


(Christian Haase [CDU/CSU]: Richtig!)


Das hat die CSU ja nachträglich durchgesetzt . Das Ziel
dieser Novelle, nämlich die Innenstadtentwicklung zu
stärken, wird durch diesen Paragrafen völlig konterka-
riert . Wir müssen die weitere Zersiedlung und den weite-
ren Flächenfraß verhindern .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frau Hendricks, Sie haben sich selber mit den Worten
zitieren lassen, dass dies im Widerspruch zu allen um-
weltpolitischen Bemühungen steht . Sie haben gesagt, Sie
könnten es in keiner Weise akzeptieren . Sie haben dann
auch Ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass diese
Änderung, auf den letzten Metern von der CSU durchge-
setzt, keine Mehrheit finden wird. Das finden wir auch.
Diese Änderung lehnen wir ab . Wir werden dazu auch
einen Änderungsantrag einbringen . Dann, meine Damen
und Herren, wird es auch an Ihnen liegen, ob der Wunsch
von Frau Hendricks hier eine Mehrheit finden wird.

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821606400

Vielen Dank, Kollegin Lay . – Nächster Redner: Kai

Wegner für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1821606500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Städte
in Deutschland sind im Kommen . Sie sind Wachstums-
treiber, Zukunftslabore und für viele Menschen auch
echte Sehnsuchtsorte . Bei allen Herausforderungen, die
dadurch entstehen, freue ich mich als überzeugter Stadt-
mensch sehr über die neue Urbanität in unserem Land .

Klar ist aber zugleich, dass mit der Renaissance der
Städte neue Herausforderungen einhergehen . Das Wachs-
tum der Städte müssen wir gestalten . Deshalb ist es gut,
dass wir auch im Städtebaurecht neue Antworten suchen,
neue Antworten geben .

Eine zentrale Herausforderung ist in der Tat die Schaf-
fung von bezahlbarem Wohnraum . Es darf nicht sein,
dass die Menschen in Stadtvierteln nach Einkommen ge-
trennt leben . Das zerstört Vielfalt, das zerstört Kreativi-
tät, und es spaltet letztlich die Gesellschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen in unseren Städten keine Pariser Verhältnisse,
sondern wir wollen die gesunde Durchmischung in un-
seren Städten erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Mindrup [SPD]: Dafür braucht es ein Mietenpaket II! – Caren Lay [DIE LINKE]: Mietpreisbremse!)


Um zu verhindern, dass Menschen aus ihren angestamm-
ten Wohnvierteln verdrängt werden, müssen wir der stei-
genden Wohnraumnachfrage auch ein steigendes Ange-
bot an Wohnungen entgegensetzen .

Von der linken Seite war wieder das Schlagwort
„Mietpreisbremse“ zu hören . Ich sage Ihnen eines: Eine
Mietpreisbremse schafft keine einzige neue Wohnung im
bezahlbaren Bereich, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] – Claudia Tausend [SPD]: Aber sicher!)


Das müssen auch Sie endlich einmal verstehen . Wenn
wir mehr bezahlbaren Wohnraum sichern wollen, dann
gibt es nur eine Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kol-
legen: Bauen, Bauen und noch einmal Bauen!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist die einzige und richtige Maßnahme .

Ja, wir müssen bauen: für Familien, für ältere Men-
schen, für Singles, für Gutverdiener, aber eben auch für
Geringverdiener. Jeder soll die Wohnung finden, die sei-
nen Ansprüchen und seinen Bedürfnissen genügt, liebe
Kolleginnen und Kollegen .

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821606600

Herr Wegner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung?


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1821606700

Ja, gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821606800

Gut .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821606900

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . –

Sie haben als Rezept für bezahlbares Wohnen die Losung
„Bauen, Bauen, Bauen!“ ausgegeben . Deswegen möch-
te ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass nach aktuellen
Studien in den 20 größten Städten in Deutschland nur
circa 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen überhaupt
im bezahlbaren Bereich liegen? „Bezahlbar“ ist nach
dem Durchschnittsverdienst definiert; wir reden dabei
gar nicht über arme Menschen bzw . über Sozialwohnun-
gen . Also: Ist Ihnen bekannt, dass nur circa 10 Prozent
der neu gebauten Wohnungen für Durchschnittsverdiener
bezahlbar sind? Und können Sie angesichts dieser Tatsa-
che Ihre These, dass Bauen, Bauen, Bauen die einzige
Lösung für bezahlbares Wohnen ist, noch irgendwie auf-
rechterhalten?


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1821607000

Frau Lay, das ist ja genau der Punkt . Wenn es so ist,

wie Sie es beschreiben, dann hilft eine Mietpreisbremse
auch nicht;


(Caren Lay [DIE LINKE]: Doch! Selbstverständlich! Ohne die Ausnahmen!)


denn dann bleibt es ja bloß bei den 10 Prozent . Deswe-
gen sage ich noch einmal: Wir brauchen ein Bündel an
Maßnahmen, um auch bezahlbaren Wohnraum sicherzu-
stellen, und die beste Maßnahme ist in der Tat: Bauen,
Bauen, Bauen .

Wir brauchen ein Mehr an Angebot . Es muss über-
haupt erst einmal ein Angebot an bezahlbaren Wohnun-
gen für die Menschen geben . Deshalb muss der Staat al-
les daransetzen, dass Wohnungsbaugesellschaften, aber
auch private Firmen bauen können, um dieses Angebot
zu vergrößern . Das ist die Antwort, die wir geben müs-
sen, und zwar in einem Maßnahmenpaket . Es gibt keine
Antwort, die für sich allein stehen kann .

Wir setzen bei der Bauplanungsrechtsnovelle an, und
wir schaffen in der Tat den neuen Baugebietstypus „Ur-
banes Gebiet“ . So ermöglichen wir eine höhere Bebau-
ungsdichte und damit den Bau zusätzlicher Wohnungen
in den urbanen Zentren . Das „Urbane Gebiet“ wird zu-
dem die funktionale Durchmischung in unseren Städten
stärken . Wir fördern ganz bewusst das Nebeneinander
von Arbeiten, Wohnen und Wohlfühlen . Dabei lassen wir
uns von der Erkenntnis leiten, dass gemischte Quartiere
eine Stadt der kurzen Wege ermöglichen und letztlich der
Garant für Lebensqualität, für Wohnzufriedenheit, für
Standortbindung und für Identitätsbildung sind .

Meine Damen und Herren, es ist richtig und wich-
tig, über das „Urbane Gebiet“ die Innenentwicklung zu
stärken . Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir oftmals
auch an die Grenzen von Verdichtung stoßen und Wider-
stand angestammter Bewohner erleben .

Nach allen Schätzungen benötigen wir in Deutschland
jährlich mindestens 350 000 neue Wohnungen . Wir wer-
den diese große Zahl von neuen Wohnungen nicht allein
durch Geschossaufstockungen und das Schließen von
Baulücken im Innenbereich liefern können .

Wir dürfen unsere Städte allerdings nicht so verdich-
ten, dass man irgendwann den Himmel nicht mehr sieht .
Auch in zentralen Lagen brauchen wir Freiräume, Grün-
flächen und Parkanlagen. Unsere Städte müssen auch in
Zukunft mehr als nur Steine und Beton sein .

Uns als Union war es deshalb sehr wichtig, dass der
notwendige Wohnungsneubau auf zwei Säulen ruht .
Die erste Säule ist die Nachverdichtung in den Zentren .
Dazu kommt aber noch eine zweite Säule, nämlich das
beschleunigte Planungsverfahren im siedlungsnahen Au-
ßenbereich .

Der erleichterte Wohnungsbau am Ortsrand wird die
Innenstädte entlasten und vielen Bürgern die Chance
auf eine bezahlbare Wohnung eröffnen. Gerade weil ich
weiß, dass es im Ministerium hier zunächst Bedenken
gab, danke ich für die Bewegung in diesem Punkt . Die
Regelung, die wir gefunden haben, gilt für Gebiete klei-
ner als 10 000 Quadratmeter und ist bis 2019 befristet .
Ich denke, das ist eine sehr maßvolle Regelung, die wir
gefunden haben, und dazu ein fairer Kompromiss insbe-
sondere im Sinne der Menschen, die davon profitieren
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, auch für die Bauplanungs-
rechtsnovelle gilt: Kein Gesetzentwurf ist so gut, dass er
nicht im parlamentarischen Verfahren weiter verbessert
werden könnte . Dazu wird sicher auch die Anhörung bei-
tragen, die wir im Ausschuss durchführen werden . Wir
sollten bei der Städtebaurechtsnovelle an die gute Tra-
dition anknüpfen, Änderungen des Baurechts in einem
breiten Konsens aller Fraktionen zu beschließen . Hierzu
lade ich auch ausdrücklich die Opposition ein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Einen Punkt möchte ich zudem ansprechen, der mir
besonders wichtig ist und der im Regierungsentwurf
noch keine Berücksichtigung gefunden hat: das Dauer-
wohnen in Erholungsgebieten . Derzeit haben die Kom-
munen keine Möglichkeit, dort dauerhaftes Wohnen zu
genehmigen, obwohl die Lebensrealität vielerorts anders
aussieht . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik
beginnt mit dem Betrachten der Lebenswirklichkeit . Ich
kenne die prekäre Situation der Betroffenen aus eigener
Anschauung . In meinem Wahlkreis in Berlin-Spandau
befindet sich die Wohnsiedlung Hakenfelde. Die Bewoh-
ner dieser Wohnsiedlung leben in ständiger Furcht, aus
ihren Häusern vertrieben zu werden . Ähnliche Wochen-
endsiedlungen gibt es im ganzen Bundesgebiet . Viele
entstanden bereits in den 20er-Jahren, schon damals mit






(A) (C)



(B) (D)


eingestreuter Dauerwohnnutzung . Wir sollten die Bau-
planungsrechtsnovelle nutzen, um die rechtliche Situa-
tion der seit Jahrzehnten gelebten Praxis anzugleichen .
Es ist höchste Zeit, den Bewohnerinnen und Bewohnern
dieser Siedlungen endlich die Rechtssicherheit zu geben,
die sie verdienen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die deutschen Städte sind
attraktiv und ziehen viele Menschen an . Dieses Wachs-
tum wollen, dieses Wachstum werden wir gestalten . Die
Städtebaurechtsnovelle ist ein weiterer Baustein für eine
lebenswerte Zukunft in unseren Städten und Gemeinden .
Deshalb freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss,
hoffe, mich dann letztlich auch über ein gutes Ergebnis
für die Menschen in unseren Städten freuen zu können .

Ihnen allen wünsche ich ein schönes Wochenende .
Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821607100

Vielen Dank, Kai Wegner, auch für das schöne Wo-

chenende . – Nächster Redner: Chris Kühn für Bünd-
nis 90/Die Grünen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Im Jahr 1959 ist ein Buch des Autors
Hans Reichow erschienen . Es hatte den Titel Die auto-
gerechte Stadt. Dieses Buch hat in der Stadtentwicklung
große Wirkung entfaltet und hat dazu geführt, dass unse-
re Städte heute sind, wie sie sind: Sie sind nämlich fürs
Auto gebaut und nicht für die Menschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh, dass wir uns mit der heutigen BauGB-No-
velle von dieser Idee der autogerechten Stadt ein Stück
weit verabschieden und endlich Städte für Menschen
bauen, das menschliche Maß in den Mittelpunkt nehmen
und eben nicht das Maß des Autoverkehrs,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Städte, in denen Leben, Arbeiten, Freizeit auf engem
Raum möglich sind . Die Stadt der kurzen Wege ist eine
grüne Idee, die wir in vielfältigen Anträgen in den letzten
30 Jahren in Kommunalparlamenten, Landesparlamen-
ten und hier im Bundestag eingebracht haben . Insofern
ist es auch ein Erfolg der grünen Partei, dass wir diese
BauGB-Novelle heute im Deutschen Bundestag beraten
und auf den Weg bringen .

Für uns ist Urbanisierung ein wichtiges und zentrales
Thema. Es geht darum, Bauflächen im Innenbereich zu
erschließen . Innen- vor Außenentwicklung ist ganz zen-
tral . Ich glaube, die Zukunft der Stadt zu sichern, kann
nur dann gelingen, wenn wir uns wirklich in Urbanität
und Innenentwicklung diesem Idealbild von Stadt annä-
hern . Sie schreiben in der Einleitung zu diesem Gesetz
ja Dinge wie „soziale Gerechtigkeit und Teilhabe“, „le-

bendiges, tolerantes und kreatives Miteinander“, „Nach-
haltigkeit“, „saubere Umwelt“ und „intaktes Klima“ .
Das sind schöne Worte . Es handelt sich sicher um eine
gute Gesetzesvorlage . Wir unterstützen auch das urbane
Gebiet . Aber Ihre Gesetzesnovelle, Frau Hendricks, hat
einfach zwei Pferdefüße . Auf diese möchte und muss ich
hier bei der ersten Lesung eingehen .

Der erste Punkt ist: Sie versprechen eine flächenspa-
rende Siedlungsentwicklung . Das ermöglicht das urba-
ne Gebiet. Ich muss ja, um Grünflächen in der Stadt zu
halten, höher und dichter bauen, wenn ich Druck im In-
nenbereich habe. Ich finde, diesbezüglich ist dieses Ge-
setz ein gutes Gesetz . Aber dass Sie sich dann aus dem
Bauministerium in München einen Paragrafen ins Gesetz
diktieren lassen, sozusagen eine BauGB-Novelle mit
einer Ausnahme für Bayern – wieder einmal –, ist, fin-
de ich, umweltpolitisch und städtebaulich vollkommen
falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Der § 13b, den Sie in das Baugesetzbuch hineinschrei-
ben wollen, sorgt doch dafür, dass Bürgerbeteiligung
ausgehebelt wird – im Jahr 2017 –, Umweltprüfung aus-
gehebelt wird und Ausgleichsmaßnahmen beim Natur-
schutz ausgehebelt werden . Wir reden über Biodiversität,
wollen aber keine Ausgleichsmaßnahmen machen .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Wir reden von den Menschen!)


Ich glaube, das passt nicht zusammen . Wir Grüne werden
den § 13b nicht mitragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, § 13b gilt
nicht nur in Gebieten mit Wohnraummangel, sondern er
gilt in ganz Deutschland, also auch in Gebieten, in denen
die Bevölkerungsentwicklung rückläufig ist.


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Wir denken auch an die Menschen im ländlichen Raum!)


Das hat mit Flächensparen nichts zu tun . Ich glaube, die
CSU hat die Dorfkerne und die Kleinstädte längst aufge-
geben . Das ist nämlich das Signal des § 13b, das Sie von
der CSU senden .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Dann kennen Sie meine Heimatregion noch nicht!)


Frau Hendricks, ich kann nicht verstehen, dass Sie
solch einen Paragrafen in den Gesetzentwurf aufgenom-
men haben . Sie sind doch die Ministerin, die für Flä-
chensparen zuständig ist, und sind trotzdem beim Flä-
chensparen auf einem Auge blind . Ich glaube, Sie nähern
sich da vom Niveau her dem Verkehrsminister Dobrindt
mit seinem Bundesverkehrswegeplan an .

Der zweite Pferdefuß ist die Gesundheit und der
Lärmschutz in der Stadt . 3 dB(A) sind eben kein ange-
messener Interessenausgleich . Das kann ich überhaupt
nicht erkennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


3 Dezibel mehr bedeuten doppelten Schallschlag . Das ist
gesundheitsgefährdender Lärm . Ich kann nicht erkennen,
dass man so gesunde und lebenswerte Städte bauen kann .
Das hat nichts mit ungestörtem Schlaf zu tun und auch
nichts mit ungestörter Kommunikation in der eigenen
Wohnung . Vielmehr heißt das dann: Das Fenster muss
geschlossen bleiben . – Ich glaube, das ist heutzutage kei-
ne adäquate Lösung mehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Die Länder Hamburg und Bremen haben mehr techni-
schen Lärmschutz gefordert . Den werden auch wir Grü-
ne bei dieser Baugesetzbuchnovelle einfordern . Das ist
nämlich, wie ich glaube, eine adäquate Lösung, wie wir
Lärmschutz auf der einen Seite und gute Stadtentwick-
lung und Innenentwicklung auf der anderen Seite kombi-
nieren und voranbringen können .

Frau Hendricks, Sie selbst haben ja in Ihrer Rede vom
„Hamburger Fenster“ gesprochen . Bis jetzt hieß es im-
mer: Das geht alles nicht . Das ist umweltrechtlich gar
nicht möglich . – Wenn Sie selbst es hier ansprechen,
dann hätten Sie es mit dieser Gesetzesnovelle auf den
Weg bringen können und den technischen Lärmschutz
endlich rechtlich absichern können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Verfahren
sagen . Auch Sie, Frau Hendricks, haben ja gesagt: Die
Menschen haben schon sehr lange gewartet, bis diese Ge-
setzesnovelle kam . Jetzt solle sie doch sehr zügig durch
das Parlament gehen . Für mich stellt es sich so dar: In der
Abenddämmerung der Großen Koalition bringen Sie ein
Gesetz auf den Weg, was Sie selbst über Jahre blockiert
haben . Es liegt demnach nicht am Parlament oder der
Opposition, sondern daran, dass Sie als Große Koalition
die Gesetzesnovelle nicht zustande gebracht haben . Sie
hätte schon im Sommer letzten Jahres kommen sollen .
Sie liegt jetzt vor, und wir müssen sie jetzt in einem sehr
schnellen Verfahren beraten .

Wir wollen ein vernünftiges Verfahren, damit die
Standards des Baugesetzbuches so weiterentwickelt wer-
den, dass es am Ende zu einer guten Stadtentwicklung
kommt . Wir stehen zu der Gebietskategorie „Urbanes
Gebiet“ . Wir werden dazu Änderungsvorschläge, auch
für das Verfahren, einbringen . Wenn Sie bereit sind, un-
sere Änderungsvorschläge gemeinsam zu debattieren
und vielleicht den einen oder anderen zu übernehmen,
werden wir auch gemeinsam vorankommen .

Wir Grüne sind überzeugt: Die Stadt ist für die Men-
schen da und nicht für den Lärm oder den Verkehr .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821607200

Vielen Dank, Chris Kühn . – Nächste Rednerin:

Claudia Tausend für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Tausend (SPD):
Rede ID: ID1821607300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh,
Herr Kollege Kühn, dass wir heute in erster Lesung über
die Änderung wichtiger Bereiche des Baugesetzbuches
beraten können . Mitte letzten Jahres – hier gebe ich Ihnen
völlig recht – war durchaus nicht sicher, dass wir in die-
ser Legislaturperiode noch zu einem guten gemeinsamen
Ergebnis kommen würden . Dabei warten gerade unsere
Städte – Frau Ministerin hat darauf hingewiesen – hände-
ringend darauf, dass das Bauen auch im innerstädtischen
Bereich erleichtert wird, um den nötigen Wohnraum zü-
gig herstellen zu können .

Wir als Bundesgesetzgeber haben zwei Stellschrau-
ben, die wir bewegen können, um den Städten zu helfen .
Wir können einerseits finanzielle Mittel zur Verfügung
stellen, und wir können andererseits die Mobilisierung
von Bauland erleichtern . Wir haben vonseiten des Bun-
des den Kommunen bereits mit einer Verdreifachung der
Mittel für die Förderung des sozialen Wohnraums maß-
geblich geholfen . Wir haben gesehen: Erste Erfolge sind
greifbar . Die Anzahl der Baugenehmigungen ist in den
ersten zehn Monaten des letzten Jahres auf 340 000 an-
gestiegen . Das ist ein Plus von 23 Prozent . Ich glaube,
das ist ein erster schöner Erfolg . Heute geht es in einem
zweiten Schritt darum, die Rahmenbedingungen für den
Bau von Wohnungen zu verbessern und die Mobilisie-
rung des knappen Baulands zu erleichtern .

Es wurde mehrfach angesprochen: Eine maßgebliche
Rolle spielt dabei das „Urbane Gebiet“, eine neue Ge-
bietskategorie, die wir in der Baunutzungsverordnung
einführen wollen . Das „Urbane Gebiet“ soll die Gebiets-
kategorien „Mischgebiet“ und „Allgemeines Wohnge-
biet“, die ja noch auf der Idee einer möglichst weit ge-
henden Trennung der Nutzungen fußen und einer Stadt
der kurzen Wege oftmals entgegenstehen, ergänzen und
durch eine flexiblere Handhabung hinsichtlich Wohnen
und Gewerbe Nutzungsvielfalt und Durchmischung in
den Quartieren sicherstellen, um so die schon mehrfach
angesprochene Urbanität des Wohnens herzustellen .


(Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])


Um es jetzt ein bisschen verständlicher zu machen,
schließe ich an die Ausführungen der Kollegin Lay an .
Umfragen zeigen, dass mindestens jeder zweite Deutsche
gerne in München leben würde –


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was? Köln ist viel schöner!)


zumindest behaupten wir Münchener das, und die Zu-
zugsraten deuten auch darauf hin . Aber, Kolleginnen und
Kollegen, mit München gemeint sind Schwabing und
die Maxvorstadt, die Isarvorstadt, die Ludwigsvorstadt
und natürlich Haidhausen . Das sind die ganz dicht be-
bauten Gründerzeitquartiere mit einem vielfältigen und
bunten Angebot an Gaststätten, kulturellen Nutzungen
und Kleingewerbe direkt vor der Haustür . So kann man
natürlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr bauen; denn
dieser Städtebau ist noch der Charta von Athen gefolgt .

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Um nicht missverstanden zu werden: Wir wollen jetzt
weder zurück in die Gründerzeit – denn die damaligen
Ansprüche an Belichtung, Besonnung und Belüftung von
Wohnraum und an Grün- und Freiräume im Wohnumfeld
würden wahrscheinlich jedem Stadtplaner den Schweiß
auf die Stirn treiben –, noch wollen wir Neubaugebiete
künftig nur noch als urbane Gebiete bauen . Die Men-
schen haben unterschiedliche Ansprüche an ihr Wohn-
und Lebensumfeld, und um diesen Ansprüchen gerecht
zu werden, wollen wir Angebote schaffen.

Als Bundesgesetzgeber wollen wir nun den Kommu-
nen die Möglichkeit geben, dort höher und dichter zu
bauen, wo es Sinn macht, zum Beispiel – das wurde auch
schon angesprochen – auf gewerblichen Brachen oder
in Umstrukturierungsgebieten mit einer Gemengelage,
die dann stärker in Richtung Wohnen entwickelt werden
könnten –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und zwar, Kolleginnen und Kollegen, in Richtung bezahl-
bares Wohnen . Denn mit der Einführung der urbanen Ge-
biete schaffen wir neues Baurecht und können dann über
städtebauliche Verträge auch sicherstellen, dass nicht nur
teurer Wohnraum – wie oft bei Nachverdichtungsvorha-
ben nach § 34 Baugesetzbuch der Fall – entsteht, sondern
auch sozial orientierter Wohnraum .


(Beifall bei der SPD)


Kolleginnen und Kollegen, das ist für uns zentral; denn
für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist
Wohnen kein Luxusgut, sondern ein Grundrecht .

Das urbane Gebiet – auch darauf wurde hingewie-
sen – hat eine ökologische Komponente und leistet ei-
nen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz . Es ermöglicht
ressourcenschonendes und flächensparendes Bauen,
wirkt der Zersiedelung von Landschaften und dem um
sich greifenden Flächenverbrauch entgegen . Wir wollen
auch künftig, Kolleginnen und Kollegen, der Innenent-
wicklung der Städte gegenüber der Bebauung des Au-
ßenbereichs Priorität einräumen. In diesem Sinne hoffe
ich, dass vonseiten der Kommunen bei der Baulandmo-
bilisierung vorrangig die Chance des urbanen Gebiets
genutzt wird .

Wir gehen aber auch den Weg mit, einen neuen § 13b
Baugesetzbuch zu schaffen, der ein beschleunigtes Bau-
leitplanverfahren auch für den Außenbereich vorsieht,
aber nur dort, wo sich die Bauvorhaben an zusammen-
hängende Ortsteile anschließen, und auch das nur befris-
tet bis zum 31. Dezember 2019. Ich hoffe und erwarte,
dass die Kommunen dieses Instrument sorgfältig und be-
hutsam und nur zur Arrondierung von Siedlungsrändern
nutzen werden . Ich kenne den § 13a, der 2007 eingeführt
wurde, aus der Praxis . Zumindest in meiner Heimatstadt
München wurde von diesem Instrument in untergeordne-
tem Maße Gebrauch gemacht .

Ich glaube, zum Thema Lärmschutzmöglichkeiten ist
von den Kolleginnen und Kollegen alles gesagt worden .
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder gehen wir mit
den Lärmemissionswerten um 3 Dezibel hoch, oder wir
schaffen alternativ mit einer Neuinterpretation der Tech-
nischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm die Möglich-

keit, in Bebauungsplänen einen passiven Schallschutz
vorzusehen . Ich würde mir aber auch eine Regelung in
§ 34 Baugesetzbuch wünschen .

Ich komme zum Schluss, Kolleginnen und Kollegen .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir den
Kommunen wesentliche Instrumente zur Mobilisierung
von Bauland an die Hand und leisten damit einen weite-
ren Beitrag nicht nur zur Schaffung von mehr Wohnraum,
sondern vor allem auch zur Schaffung von bezahlbarem
Wohnraum .

Ich bedanke mich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821607400

Vielen Dank, Frau Kollegin Tausend . – Nächste Red-

nerin: Dr . Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1821607500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! „Billig Wohnen geht nur weit ab vom Schuss“,
„Die Mieten werden immer teurer“, „Wohnen müssen
alle“ – das sind nur einige Schlagzeilen aus den letzten
Wochen und Monaten zum Thema „Wohnen und Bauen“ .

Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Bal-
lungsgebieten ist eine der drängendsten Herausforde-
rungen, vor der wir stehen . Immer mehr Menschen zieht
es in die Städte, und dadurch wird der Wohnraum dort
immer knapper und auch immer teurer . Diese Wohnungs-
knappheit wird in den Städten zunehmend zum Problem .

Wir haben in dieser Wahlperiode schon vieles auf den
Weg gebracht, um genau dem entgegenzuwirken; denn es
muss doch auch der Krankenschwester oder dem Polizis-
ten möglich sein, bezahlbaren Wohnraum in den Stadt-
zentren zu finden. Mietpreisbremse, Wohngeldreform
und die deutliche Erhöhung der Mittel für die soziale
Wohnraumförderung von 500 Millionen auf 1,5 Milliar-
den Euro jährlich – das sind alles wichtige Instrumente .
Diese Gelder – das betone ich jedes Mal aufs Neue –
müssen von den Ländern zielgenau für die soziale Wohn-
raumförderung eingesetzt werden .


(Klaus Mindrup [SPD]: Hat Bayern das gemacht?)


– Bayern macht das sehr vorbildlich, ganz genau . Wir
gehen mit gutem Beispiel voran .

Das beste Instrument – das betone ich auch noch ein-
mal – für mehr bezahlbaren Wohnraum, Frau Lay, ist und
bleibt: Bauen, bauen, bauen . Es gibt bekanntlich auch
den Sickerungseffekt. Wer eine teure Wohnung mietet,
macht eine günstigere Wohnung frei .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Welche Studie belegt denn den Sickerungseffekt? Den gibt es nicht! Das ist ein Ammenmärchen! Es gibt keine Studie! Welche Studie denn?)


Claudia Tausend






(A) (C)



(B) (D)


– Dazu gibt es Studien . Wir haben darüber auch schon
auf vielen Podiumsdiskussionen gesprochen . Wer eine
teurere Wohnung mietet, macht eine andere Wohnung
frei . Das ist Fakt . – An genau dieser Stelle setzen wir mit
der Novelle an .

Der derzeitige rechtliche Rahmen ermöglicht das Ne-
beneinander von Wohnen und Gewerbe, aber den Bau
zusätzlicher Wohnungen in urbanen Zentren nur einge-
schränkt . Mit der neuen Baugebietskategorie „Urbanes
Gebiet“ wollen wir das ändern . Wir wollen das Baupla-
nungsrecht und das Immissionsschutzrecht flexibilisie-
ren, das heißt: mehr Innenverdichtung, es kann dichter
und höher gebaut werden . Und dadurch ermöglichen wir
eine Nutzungsmischung von Wohnen und Gewerbe, auch
von Kultur- und Sporteinrichtungen . Das, meine Damen
und Herren, ist genau der richtige Schritt .

Aber ich sage auch – Herr Kühn, hören Sie mir bit-
te zu –: Allein durch die Innenentwicklung werden wir
es nicht schaffen, den Bedarf an Wohnraum zu decken;
denn wir brauchen 350 000 bis 400 000 neue Wohnun-
gen pro Jahr . Einige Städte – München ist dafür ein gutes
Beispiel – platzen schon jetzt schier aus allen Nähten .
Auch in Berlin wird die Situation – ich habe mich gestern
erst mit einem Berliner darüber unterhalten – auf dem
Wohnungsmarkt immer schwieriger .

Für mehr neuen und vor allem bezahlbaren Wohnraum
benötigen wir mehr Bauland .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fehlendes Bauland ist ein wesentlicher Preistreiber beim
Wohnen und Bauen . Das hat übrigens auch – Sie haben
gerade nach Studien gefragt – die Baukostensenkungs-
kommission ganz deutlich herausgearbeitet: Fehlendes
Bauland ist ein Preistreiber . – Deshalb haben wir uns
als Union – als CDU und CSU – uns für ein Signal am
Ortsrand starkgemacht . Wir haben schließlich einen
Kompromiss gefunden . Kommunen sollen künftig im
beschleunigten Verfahren Bebauungspläne für den Orts-
rand aufstellen können, allerdings unter strengen Voraus-
setzungen: nur auf drei Jahre befristet, in engen Grenzen,
und der Vorrang der Innenentwicklung als Grundsatz der
Bauleitplanung bleibt selbstverständlich bestehen . Es ist
so, wie Frau Tausend gerade gesagt hat: Es liegt in der
Hand der Kommunen, verantwortungsvoll mit diesem In-
strument umzugehen . Sie bekommen dieses Instrument,
um auf die aktuelle Situation an den Wohnungsmärkten
zu reagieren, ohne dass wir strukturelle Veränderungen
im Baurecht vornehmen .

Das beschleunigte Verfahren kommt gerade den Ge-
meinden zugute, die mit der Nachverdichtung und der
Innenentwicklung an ihre Grenzen stoßen . Herr Kühn,
wir machen im Bereich der Ortskernrevitalisierung sehr
viel mit LEADER-Mitteln, auch in meinem Heimatland-
kreis – Besucher aus meiner Heimat sitzen oben auf der
Tribüne; die können das bezeugen –, aber es gibt den-
noch Gemeinden, die da an ihre Grenzen stoßen . Diesen

Gemeinden möchten wir dieses Instrument an die Hand
geben;


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann beschränken wir das Ganze doch einfach gemeinsam!)


denn neben dem freien Wohnungsbau kann auch der so-
ziale Wohnungsbau davon profitieren, wenn dieses Inst-
rument besteht .

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist eine
gute Grundlage, um die Herausforderungen, vor die uns
der Wohnraummangel stellt, an der Wurzel zu packen .
An einer Stelle wünschen wir eine Ergänzung . Denn
nach der aktuellen Rechtslage können Gemeinden keinen
Bebauungsplan aufstellen, der dauerhaftes Wohnen in
Erholungsgebieten ermöglicht; das wurde bereits ange-
sprochen . Hier möchten wir eine Verbesserung erreichen .
Gerade in stadtnahen Erholungsgebieten ist es nämlich
Realität, dass dort auch gewohnt wird . Im Zuge dieser
Baurechtsreform sollten wir versuchen, diese unklare Si-
tuation der gelebten Realität anzupassen .

Ich freue mich auf die weiteren – auch parteiüber-
greifenden, fraktionsübergreifenden – Diskussionen im
anstehenden Gesetzgebungsverfahren, die dazu führen
werden, dass wir am Ende ein gutes Gesetz bekommen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821607600

Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber . – Der letzte

Redner in dieser Debatte: Volkmar Vogel für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1821607700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte noch einmal daran erinnern: Wir bringen heu-
te das Gesetz zur Stärkung des neuen Zusammenlebens
in der Stadt ein . Die Diskussion, die eben stattgefunden
hat, zeigt mir, dass wir da auf einem guten Weg sind
und sicherlich eine gemeinsame Position finden werden.
Wir setzen damit eine EU-Richtlinie um, aber unter dem
Strich kann man sagen: Wir ändern in dieser Legislatur-
periode auch das Baugesetzbuch, insbesondere das Pla-
nungsrecht .

Frau Ministerin, unabgesprochen habe ich auf mei-
nem Spickzettel auch vermerkt, dass es wichtig ist, dass
wir schnell zu einem Ergebnis kommen . Deswegen vie-
len Dank auch an Ihr Haus, dass wir mit der Einbringung
nicht im Verzug sind . Es kommt jetzt darauf an, dass sich
der Bundesrat schnell – am 10 . Februar – damit beschäf-
tigt, dass wir unsere Anhörung konstruktiv durchführen
und noch im März hier zu einem Ergebnis kommen . Die
Menschen und die Kommunen warten aus mehreren
Gründen darauf . Die Kommunen warten darauf, damit
Rechtsklarheit bei der Anpassung im Bereich Ferien-
wohnungen herrscht . Klar ist, wir wollen nicht die so-
genannten Rollladensiedlungen, sondern wollen Wohnen

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


möglich machen . Aber wir brauchen auch Rechtsklarheit
für die Bestände . Das ist für diejenigen wichtig, die in
diesem Bereich tätig sind .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Woh-
nungssituation ist vor allem in den Ballungsräumen und
in den sogenannten Schwarmstädten schwierig . Wir
müssen hier zwei Strategien fahren, eine kurzfristige und
eine, die langfristig wirken kann . Was die kurzfristige
Strategie angeht, ist es richtig, dass wir unter bestimm-
ten Voraussetzungen auch ein vereinfachtes Planungs-
recht zulassen und dies – das möchte ich noch einmal
ausdrücklich betonen – zeitlich begrenzen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vereinfachte Handlungsfähigkeit ohne Bürgerbeteiligung, ohne Umweltprüfung!)


Wir sollten die Zeit aber auch nutzen, langfristig wir-
kende Instrumente auf den Weg zu bringen . Dazu gehört
meiner Meinung nach insbesondere – wir hatten Mitt-
woch ein Expertengespräch dazu –, dass es möglich ist,
in den Kommunen – auch mit Unterstützung des Bun-
des und der Länder – Brachflächen zu erschließen – ob
Brachflächen der Bahn oder Militärkonversionsflächen
sei dahingestellt –, um auf diese Art und Weise zusätzli-
ches Bauland zu schaffen. Denn wie sollen wir ansonsten
jungen Familien erklären, die aus ihrer Mietwohnung he-
rauswollen und sich Wohneigentum bilden wollen – sei es
durch ein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung –,
dass wir dem durch die ungenügende Bereitstellung von
Bauland – noch dazu zu überhöhten Preisen – einen Rie-
gel vorschieben? Deswegen ist es auch wichtig – das
ist zwar nicht unser Thema –, dass wir bei der Wohn-
immobilienkreditrichtlinie eine Änderung auf den Weg
gebracht haben . Auch das wird uns sehr dabei helfen .

Aber das Kernstück, wenn es um das bessere Leben in
der Stadt geht, ist das urbane Gebiet . Ich kann mich da-
ran erinnern, wie wir vor drei Jahren in unserer Fraktion
darangingen, die Baunutzungsverordnung zu ändern . Da
war die Diskussion noch eine ganz andere . Aber ich den-
ke, wir haben es gut auf den Weg gebracht, dass die urba-
nen Gebiete hier eingeführt werden . Dadurch können wir
zum einen Abstandsflächen verändern, um zusätzlichen
Wohnraum zu schaffen, und zum anderen auch dafür
sorgen, dass unsere Städte lebenswerter und attraktiver
werden .

Ich will hier ausdrücklich sagen: Es geht nicht darum –
denn auch die Diskussion hatte ich –, Wohnen in Gewer-
begebieten zuzulassen. Damit würde man neue Konflikte
verursachen . Es geht darum, Wohnen und Arbeiten zu
verbinden; denn die Arbeitswelt hat sich verändert . Sie
ist nicht mehr mit derjenigen von vor 50 Jahren zu ver-
gleichen – so alt ist die jetzige Baunutzungsverordnung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das nicht
unsere Aufgabe ist, bitte ich doch darum, dass wir sehr
sorgfältig vorgehen, wenn es um Veränderungen von
Verwaltungsvorschriften geht . Ich meine hier insbeson-
dere die TA Luft und die TA Lärm, die die Grundlage
für das Verwaltungshandeln bilden . Bei diesem Thema
dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten,
sondern müssen sehr sorgfältig vorgehen .

Lassen Sie mich noch ein Wort zum ländlichen Raum
sagen . Mir ist sehr daran gelegen, dass wir bei dem, was
wir jetzt für die Städte auf den Weg gebracht haben –
Stichwort „urbanes Gebiet“ –, auch an die kleinen Städte
und an die Dörfer denken . Die kleinen Städte und Dörfer
haben sich gewandelt . Die Industrieentwicklung der letz-
ten 70 Jahre hat dazu geführt, dass sie oftmals nur noch
Schlafdörfer sind . Aber Dörfer waren eigentlich etwas
anderes . Dörfer waren eigentlich, im übertragenen Sinne,
Gewerbegebiete, wo Landwirtschaft, wo Handwerk, wo
Mittelständler, wo kleine Betriebe auf engem Raum des
dörflichen Lebens zusammengearbeitet haben. Ich bin
der festen Überzeugung, dass so etwas in Zukunft wieder
besser möglich sein muss .

Ich glaube, das urbane Gebiet, das wir jetzt für Bal-
lungszentrum und große Städte auf den Weg gebracht
haben, ist ein gutes Beispiel . Das sollten wir auch in den
Dörfern anwenden, damit der Schmied wieder im Ort ar-
beiten kann . Die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsum-
feld für einen Schmied und einen Schlosser haben sich
enorm gewandelt, genauso wie für einen Tischler oder
einen Bäcker . Manch ein Bäcker möchte seine Bäckerei
vielleicht aus praktischen Erwägungen heraus erweitern,
weil zwei, drei Asylsuchende da sind, die gute Falafel
backen . Das würde zu einem größeren Angebot führen,
und die Asylsuchenden würden integriert und könnten
hier arbeiten .

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz sagen:
Wir wollen das Baugesetz erneut novellieren; das haben
wir in der vergangenen Legislatur auch getan . Ein we-
sentlicher Punkt, der damals eine Rolle gespielt hat, ist
die Privilegierung landwirtschaftlicher Betriebe im Au-
ßenbereich . Ich bitte darum, dass wir da sehr sorgfältig
vorgehen und, wenn es um den Bau neuer Ställe geht,
die landwirtschaftlichen Betriebe im Außenbereich von
rein gewerblichen Ansiedlungen unterscheiden, weil ein
Landwirt, dessen Familie den Hof vielleicht schon seit
Generationen betreibt und die vor Ort notwendige wirt-
schaftliche Tätigkeit ausübt, zu unterscheiden ist von je-
mandem, der als Fremder kommt, um eine gewerbliche
Tätigkeit auszuüben . Deswegen sollten wir zwischen de-
nen unterscheiden, die da sind, und denen, die dazukom-
men . Die, die da sind, sollten wir nicht verteufeln .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821607800


Herr Vogel .


Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1821607900


Wir sollten aber dafür sorgen, dass die schwarzen
Schafe, die die Regelungen in irgendeiner Art und Weise
ausnutzen, zur Rechenschaft gezogen werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Volkmar Vogel (Kleinsaara)







(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821608000

Vielen Dank, Herr Vogel . Manchmal ist ein Satz sehr

lang .


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Sie hätten mir stundenlang zuhören können, oder?)


– Ich kann Ihnen selbstverständlich stundenlang zuhören,
vor allem, wenn ein Satz eine Stunde dauert .

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/10942 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Wissenschaftskooperation mit Partnern in
Subsahara-Afrika stärken

Drucksachen 18/10632, 18/10973

Interfraktionell wurden 38 Minuten für die Ausspra-
che vorgesehen . – Alle sind einverstanden .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Claudia
Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1821608100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf der Tribüne! Alle sprechen gerade von
Afrika . Doch welches Bild haben Sie eigentlich vor Ih-
rem geistigen Auge, wenn der Name dieses Kontinents
fällt? Seien wir ehrlich: Nach wie vor tragen wir hier in
Deutschland nur allzu häufig ein sehr einseitiges Bild von
Afrika mit uns herum. Dabei täuscht schon der Begriff als
solcher eine Einheitlichkeit vor, die es so gar nicht gibt .
So viele Sprachen, Religionen, Kulturen und Nationen,
so viele verschiedene Wirklichkeiten werden hier zusam-
mengefasst . Eigentlich müsste man sagen, wir brauchten
nicht ein Bild, sondern eine ganze Bildergalerie vor unse-
rem geistigen Auge . Aber in unserer Wahrnehmung über-
wiegen die Krisenmeldungen aus Afrika im Vergleich zu
den guten Botschaften . Oft wird Henning Mankell zitiert:

Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientie-
ren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner
sterben, aber nichts darüber, wie sie leben .

Leider stimmt das allzu häufig – bisher jedenfalls.

Ich bin überzeugt, dass unsere Afrika-Politik in Zu-
kunft ganz andere Bilder liefern kann und wir einen an-
deren Ansatz verfolgen werden . Anfang dieser Woche
hat Entwicklungsminister Müller sein Konzept vorge-
stellt, das er „Marshallplan mit Afrika“ nennt . Das ist

wichtig: nicht „für Afrika“ . Sein Ziel ist es, Afrika als
Chancenkontinent zu begreifen und partnerschaftlich die
Entwicklung Afrikas zu Wohlstand und Frieden voran-
zutreiben .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein neuer Gedanke, aber ein guter!)


Dafür müssen wir eine andere Brille aufsetzen, und zwar
in allen Politikbereichen .

In unserem Antrag fangen wir heute damit an . Hier
schauen wir auf den Kontinent aus der Perspektive von
Wissenschaftskooperationen mit Partnern in Subsaha-
ra-Afrika . Zugegeben, manch einer reagiert dann er-
staunt und sagt: Wenn wir an Spitzenforschung oder erst-
klassige Hochschulausbildung denken, fällt uns nicht als
Erstes diese Weltregion ein .

Lassen Sie uns heute versuchen, an einem anderen
Bild von Afrika weiterzuzeichnen . Als Bildungspoliti-
kerin sehe ich Folgendes quasi als Grundierung unse-
res Bildes: Das größte Potenzial Afrikas ist seine junge
Generation . Schon heute ist die Hälfte der afrikanischen
Bevölkerung jünger als 18 Jahre . Bis zum Jahr 2050 wird
sich die Bevölkerung des Kontinents wahrscheinlich auf
über 2 Milliarden Menschen verdoppeln . Wenn eines klar
ist, dann das: Alle diese jungen Menschen brauchen gute
Bildung als Voraussetzung, um dieses Potenzial wirklich
entfalten zu können .

Das Hochschul- und Wissenschaftssystem spielt dabei
eine entscheidende Rolle – für eine gute Lehrerbildung
als Voraussetzung für gute Schulen, für den Hochschul-
lehrernachwuchs, für Studienangebote, die arbeitsmarkt-
orientiert ausbilden, für Forschung, die neue Lösungen
für die wirtschaftliche, aber auch die gesellschaftliche
Entwicklung ermöglicht . Außerdem könnten Hochschu-
len auch qualifizierte Beratung für Politik und Verwal-
tung anbieten . Wir schlagen deshalb eine ganze Serie von
Maßnahmen in unserem Antrag vor . Nur einige will ich
nennen .

Erstens . Künftig wollen wir zum Beispiel afrikanische
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die durch-
aus in großer Zahl überall in der Welt arbeiten, als so-
genannte Flying Faculties für kurzzeitige Lehraufträge
an Hochschulen in ihren Heimatländern gewinnen, um
damit die Qualität der Lehre dort langsam, aber stetig zu
verbessern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens . Bereits jetzt vergeben wir viele Stipendien .
Rund 1 000 Stipendien für die qualitätsvolle Ausbildung
von Hochschullehrern vor Ort sollen hinzukommen .

Wir fordern drittens noch mehr Mittel für Rückkehrsti-
pendien . Menschen mit all ihren Talenten und all ihrem
Wissen sind mobil . Sie ziehen durch die Welt, gerade die
Hochqualifizierten. Davon profitieren alle am Austausch
beteiligten Seiten . Das ist die Idee der Brain Circulation .

Viertens wollen wir gerade die Süd-Süd-Kooperation
stärken . Die afrikanischen Wissenschaftssysteme sollten
sich viel stärker untereinander vernetzen . Einen guten
Ausgangspunkt dafür sehen wir im African-German Net-






(A) (C)



(B) (D)


work of Excellence in Science, Kurzform AGNES . Es
bringt etablierte Nachwuchsforscherinnen und -forscher
aus Subsahara-Afrika bereits jetzt zusammen .

Als Forschungspolitikerin entdecke ich auf meinem
Bild von Afrika täglich viele spannende Einzelheiten .
Ich bin beeindruckt von Innovationen, die in Afrika er-
dacht wurden, zum Beispiel eine Erfindung aus Kenia:
M-Pesa . Dies bedeutet auf Suaheli mobiles Geld . Per
SMS können afrikanische Mobilfunkkunden – ein Han-
dy besitzen zum Glück die meisten – Geld überweisen,
auch wenn sie kein eigenes Bankkonto haben . Das war
die Ursprungsidee . Mittlerweile ist das Handy zum gän-
gigen Zahlungsmittel geworden . Man kann per Handy im
Supermarkt zahlen, seine Stromrechnung begleichen und
sogar günstige Kleinkredite bei Banken anfragen . Ein
anderes Beispiel, eine Idee, die zurzeit in Ruanda von
einem Start-up-Unternehmen erprobt wird: Um Medika-
mente und Blutkonserven trotz mangelnder Infrastruktur
dort hinzubringen, wo sie gebraucht werden, verschickt
man sie nicht per Transport auf der Straße, sondern gleich
mit Drohnen .

Auch über solche technologischen Sprünge sollten wir
reden, wenn wir von Afrika sprechen . Sie gehören zu ei-
nem vollständigen Bild von Afrika dazu . Unser Ziel ist
deshalb, mit unserem Antrag auch dafür zu sorgen, dass
die Bundesregierung die europäische Forschungspolitik
in Zukunft noch besser mit der afrikanischen verknüpft
und verzahnt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass wir
die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam und
nur als Partner bewältigen können, als Partner aus dem
globalen Norden und Süden mit unterschiedlichen He-
rangehensweisen . Denn wieder einmal gilt: Spitzenfor-
schung lebt vom Austausch der Ideen, von unterschied-
lichen Blickwinkeln, von Differenzerfahrung. Ob es um
die Ernährungssicherung oder die Behandlung global
bedrohlicher Krankheiten geht, wir benötigen Innovatio-
nen, die wir nur gemeinsam entwickeln können .

Es gibt zum Glück zu zentralen Forschungsthemen
schon eine Reihe von erfolgreichen Kooperationen zwi-
schen deutschen Institutionen und Partnern aus Sub-
sahara, zum Beispiel die sogenannten Klimakompetenz-
zentren im westlichen und südlichen Afrika . Dort wird
geforscht, damit es auch in Zeiten des Klimawandels
noch Ernten geben kann und die Artenvielfalt nicht wei-
ter reduziert wird . Aber das Besondere an diesen Kom-
petenzzentren ist – der Name sagt es schon –, dass die
Erkenntnisse der Wissenschaft gleich an die ansässigen
Bauern und die lokale Verwaltung weitergegeben wer-
den . Dort entsteht also Expertise bei afrikanischen For-
schern, die von der Gesellschaft vor Ort gleich in neue
Kompetenzen umgesetzt werden kann und konkret an-
gewandt wird .

Wir wollen die Klimaforschung – so ist es in unse-
rem Antrag formuliert – in Zukunft dringend um die
Forschung zum Katastrophen- und Risikomanagement
ergänzen . Auch hier sollen die gewonnenen Erkenntnisse
so aufbereitet werden, dass sie angewandt werden kön-
nen . Wir wollen darum auch die Hochschulkooperatio-

nen zwischen Deutschland und Subsahara-Afrika weiter
fördern, konkret das Projekt der deutsch-afrikanischen
Fachhochschulen . Auch hier kann man sagen, dass sich
solche Partnerschaften als ein erfolgreiches Instrument,
um gemeinsame Problemlösungen zu erarbeiten, be-
währt haben .

Zum Schluss ein kühner Blick in die Zukunft . Stellen
wir uns vor, der nächste Einstein kommt zum Beispiel
aus dem Senegal . Es gibt nämlich schon eine ganze Rei-
he von Initiativen, die die mathematische Forschung in
Subsahara-Afrika stärken wollen .


(René Röspel [SPD]: Karamba! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Gut ausgewählt, nicht? Genau . – Wir fördern den Auf-
bau neuer Lehrstühle für Mathematik .


(René Röspel [SPD]: Chemie!)


– Das wäre doch etwas für dich, Karamba . Wer weiß?

Karamba ist hier, aber vielleicht studiert oder forscht
der nächste Einstein ja schon an einer der neuen mathe-
matischen Fakultäten dort . Das wäre doch durchaus re-
alistisch . Ein afrikanischer Einstein – damit würde un-
seren Bildern von Afrika jedenfalls eine kräftige neue
Farbe hinzugefügt werden . Ich bitte Sie jedenfalls um die
Unterstützung unseres Antrags, damit wir die Bildergale-
rie Afrikas gemeinsam erweitern .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821608200

Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . – Nächste

Rednerin: Christine Buchholz für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821608300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Die Koalition möchte die Wissenschaftskoope-
ration zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
den Ländern in Subsahara-Afrika vertiefen . Dadurch sol-
len Chancen genutzt und „entscheidende Hebel“ in Be-
wegung gesetzt werden, um dort Wachstum, Wohlstand
und sozialen Frieden zu schaffen und damit den Flucht-
ursachen zu begegnen .


(René Röspel [SPD]: Ja, ist doch gut! – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist gut!)


So heißt es im vorliegenden Antrag von Union und SPD .

Keine Frage: Selbstverständlich unterstützt die Linke
internationale Wissenschaftskooperationen, insbesonde-
re mit den armen und ärmsten Ländern der Welt .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Bloß zustimmen will die Linke wieder nicht!)


Denn viele von ihnen sehen sich gegenwärtig kaum in
der Lage, gute Forschung und Lehre aus eigener Kraft
zu entwickeln und zu betreiben . Wir sollten uns schon
damit beschäftigen, welche Gründe das hat . Es sind die
Spätfolgen des Kolonialismus und eine jahrzehntelange

Dr. Claudia Lücking-Michel






(A) (C)



(B) (D)


Politik der Unterentwicklung, die auch von Europa und
Deutschland betrieben wurde . Es liegt daran, dass wirt-
schaftliche Interessen, auch die der deutschen Politik,
primär die Politik gegenüber Afrika bestimmen und dass
die Eliten in den verschiedenen Ländern – nicht nur in
denen Subsahara-Afrikas – vorrangig ihre eigenen In-
teressen und nicht die der breiten Bevölkerung im Sinn
haben .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Was?)


Zweifellos kann Wissenschaftskooperation dazu bei-
tragen, gesellschaftlichen Fortschritt in diesen Ländern
zu erreichen . Die Bundesregierung sieht jedoch darin
zentrale Hebel für gesellschaftlichen Fortschritt, und da-
von kann doch wirklich nicht die Rede sein .


(Beifall bei der LINKEN – René Röspel [SPD]: Also für die Sozialdemokratie war Bildung immer ein Punkt von Fortschritt!)


Es gibt viel zentralere Hebel, die Sie gar nicht erst
anfassen . Nehmen wir beispielsweise ein 17 Jahre altes
Versprechen der Bundesrepublik: 0,7 Prozent des Brut-
toinlandsproduktes soll für Entwicklungszusammenar-
beit zur Verfügung stehen . Das ist schon nicht besonders
viel. 2015 betrugen die deutschen öffentlichen Ausgaben
für die Entwicklungszusammenarbeit gerade einmal
0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes . Damit ist die
Bundesregierung – wie in jedem Jahr zuvor – ihren Ver-
pflichtungen nicht nachgekommen.

Um die jeweiligen Anstrengungen einmal ins Verhält-
nis zu setzen: Für den Bundeswehreinsatz in Mali wur-
den die Ausgaben von 35 Millionen Euro im letzten Jahr
auf 163 Millionen Euro in diesem Jahr angehoben, also
innerhalb eines Jahres um mehr als 100 Millionen Euro .
Das zeigt doch die falschen Prioritäten Ihrer Afrika-Po-
litik!


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg . René Röspel [SPD])


Schauen wir noch einmal in den Bildungsbereich . Ich
denke, ein zentrales Thema ist die Grundschulbildung,
und die höchste Rate von Analphabeten finden wir in die-
ser Region . Jetzt sollen die Mittel für den Fonds der Glo-
balen Bildungspartnerschaft 2018 von 7 auf 9 Millionen
Euro steigen .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Immerhin!)


Jedoch wären 100 Millionen Euro nötig, um zumindest
die selbstgesteckten Ziele zu erreichen . Angesichts des-
sen ist das doch mehr als erbärmlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie deuten in Ihrem Antrag an, dass Hochschulbildung
vor Armut schützen würde . Seien Sie doch ehrlich: Nach-
haltigen Schutz vor Armutslöhnen beispielsweise bieten
vor allem starke und durchsetzungsfähige Gewerkschaf-
ten und Bewegungen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach!)


Wie sonst könnten den inländischen und vor allem den
ausländischen Unternehmen höhere Löhne abgerungen
werden? Aber das kollidiert natürlich dann mit den In-

teressen von europäischen und deutschen Unternehmen,
die dort billig produzieren lassen wollen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Schwachsinn ist das! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Nun regen Sie sich nicht auf! Das ist die bittere Wahr-
heit .


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Das ist nur ein Teil der Wahrheit!)


In Kenia führen übrigens dieser Tage Tausende Ärzte
an öffentlichen Kliniken einen erbitterten Streik für die
Umsetzung ihres Tarifvertrages . Diesen hat die Regie-
rung in den letzten Jahren immer wieder gebrochen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Fahren Sie doch einmal hin!)


Dies zeigt deutlich: Die fehlende Hochschulbildung ist
eben nicht das zentrale Hemmnis im Gesundheitssystem
oder der Hauptgrund für schlechte Löhne, sondern dahin-
ter stehen ganz andere Interessen .

Ein weiteres Beispiel: Der guten Versorgung der
Bevölkerung mit Medikamenten steht nicht die unter-
entwickelte Wissenschaft im Wege . Nein, es sind die
Patentrechte der Pharmaindustrie, mit denen sich die
europäischen Unternehmen überteuerte Preise und satte
Gewinne sichern können . Dort könnten Sie doch auch
einmal aktiv werden!


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Ihr habt unseren Antrag dazu abgelehnt!)


Das Wichtigste, Frieden für die Menschen in Afrika,
wird nicht vorrangig durch Bildung und Wissenschaft
erreicht . Viele der blutigsten Diktatoren Afrikas haben
selbst studiert – übrigens viele von ihnen auch in Euro-
pa –, aber Afrika wurde allein dadurch nicht friedlicher
und freier; denn Frieden und Entwicklung kann es nur
geben, wenn die gesamte Bevölkerung endlich von dem
massiven Reichtum ihres Kontinents profitiert.


(Beifall bei der LINKEN – René Röspel [SPD]: Genau! – Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben Sie recht! – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Das sagen Sie immer! Darauf reiten Sie immer herum!)


Das setzt einen Bruch mit der bisherigen Afrika-Politik
der Bundesregierung voraus, die auf wirtschaftliche Inte-
ressen, eine Sicherheitsstrategie und Flüchtlingsabwehr
setzt .

Sie sprachen davon, dass der nächste Einstein aus
Afrika kommen könnte . – Ja, davon bin ich auch über-
zeugt .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Dann könnt ihr dem Antrag zustimmen!)


Aber wir müssen uns einem Problem stellen: Der nächste
Einstein, wenn er denn aus Afrika kommt und sich auf

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


den Weg nach Norden macht, hat eine sehr hohe Wahr-
scheinlichkeit, im Mittelmeer zu ertrinken .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Quatsch!)


Deshalb müssen wir hier über Heuchelei sprechen, Heu-
chelei Ihrer Politik . Wir wissen um die Bedeutung von
Hochschulen und Forschung für die Entwicklung und un-
terstützen dies auch, aber wir wollen hier nicht der Heu-
chelei das Wort reden, die Ihre Afrika-Politik dominiert .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Machen Sie mal einen konkreten eigenen Vorschlag!)


Sie sollten vorsichtig sein, sich hier als Vorkämpfer für
Wachstum, Wohlstand und sozialen Frieden in Afrika
darzustellen; denn das steht Ihnen wirklich nicht zu .

Vielen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821608400

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält nun

Dr . Daniela De Ridder das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1821608500

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Zuhö-
rerinnen und Zuhörer! Der Name Steinmeier, so sagte der
noch amtierende Bundespräsident Joachim Gauck heute,
steht für Unermüdlichkeit, dafür, weiter zu verhandeln,
zu vermitteln und zu überzeugen .

Dem neuen Außenminister Sigmar Gabriel wünschte
er für die schwierigen Zeiten und Herausforderungen
mit Blick auf die Europäische Union und die transatlan-
tischen Partnerschaften, die es zu verteidigen gilt, viel
Glück und gutes Gelingen . Die SPD-Fraktion und ich
schließen uns diesen guten Wünschen unumwunden an .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Gibt es da irgendeinen Dissens?)


– Sie dürfen gerne mit einstimmen .

Allen drei Herren und auch der neuen Wirtschaftsmi-
nisterin, Brigitte Zypries, wünsche ich für ihre Zukunft
viel Erfolg, und ich gratuliere herzlich .

Bevor Sie sich räuspern: Gleich heute Morgen habe
ich die Gelegenheit genutzt, dem neuen Außenminister
Sigmar Gabriel die Außenwissenschaftspolitik und da-
mit auch den unterschätzten afrikanischen Kontinent ans
Herz zu legen . Wir werden das in den kommenden Wo-
chen sicherlich noch deutlich vertiefen können .

Frank-Walter Steinmeier hat gestern in seiner Ab-
schiedsrede – viele von Ihnen waren ja dabei – noch
einmal sehr deutlich gesagt, wie wichtig die Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik ist und wie sehr die Wissen-
schaftspolitik unterschätzt wird . Ich bin ihm sehr dank-
bar dafür; denn genau in diesem Kontext bewegt sich ja
der heutige Antrag zu Wissenschaftskooperationen mit
Partnern in Subsahara-Afrika .

„Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngong-Ber-
ge .“


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jenseits von Afrika! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Oh, wie schön!)


So beginnt der Roman von Tania Blixen mit dem Titel
Jenseits von Afrika, den viele von Ihnen hoffentlich ge-
lesen haben .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich habe den Film gesehen!)


Tania Blixen beginnt mit einer Beschreibung der Land-
schaft, und der erste Absatz endet mit folgendem Satz:
„Alles in dieser Natur strebte nach Größe, Freiheit und
hohem Adel .“

Liebe Claudia Lücking-Michel, ich bin dir sehr dank-
bar für diesen Antrag, den wir gemeinsam entwickeln
konnten . Ich will gerne zugeben, dass genau dieser Ro-
man lange Zeit mein Afrika-Bild mitgeprägt hat .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Gibt es doch jetzt noch Geschenke?)


Möglicherweise habe ich dabei aber in der Tat übersehen,
wie scharf und hart das koloniale Erbe noch heute die
Strukturen in Afrika und damit auch in Subsahara beein-
flusst.

Wir haben heute die Gelegenheit, vieles von dem zu
korrigieren, Frau Buchholz, was Sie kritisiert haben –
vielleicht auch nicht immer ganz zu Unrecht .

Ja, es geht aus gutem Grund darum, Partnerschaften
zwischen Deutschland und Subsahara-Afrika zu verstär-
ken, und zwar auf Augenhöhe . Wir wollen nämlich einen
Brain-Drain vermeiden und Brain-Gain unterstützen und
fördern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wissenschaftsförderung ist eine eminente Aufgabe im
Rahmen der Zusammenarbeit zwischen uns und den afri-
kanischen Ländern im Subsahara-Raum; denn es gilt, die
großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu meis-
tern: den Klimawandel, die Bekämpfung von Hunger
und die Bekämpfung von Krankheiten, die es in Afrika –
René Röspel wird nie müde, dies zu sagen – ohne den
Kolonialismus möglicherweise nie gegeben hätte . Auch
hier haben wir eine deutsche Verantwortung .

Es gilt in der Tat, Zukunftsperspektiven für die afrika-
nische Bevölkerung aufzuzeigen und, ja, durch die Bil-
dungs- und Wissenschaftspolitik auch Fluchtursachen zu
bekämpfen;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn Bildung ist eine ganz wesentliche Voraussetzung,
um am Arbeitsmarkt partizipieren und den Fachkräftebe-
darf, den Subsahara-Afrika zweifellos hat, befriedigen zu
können . Bildung ist auch eine Voraussetzung für Autono-
mie und Perspektiven auf dem unterschätzten Kontinent
Afrika, und schließlich geht es darum, mit Bildung auch
Empowerment zu betreiben – eine ganz zentrale Aufga-

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


be, die wir heute hier mit diesem Vorhaben unterstützen
wollen .

Ja, mir ist es auch wichtig, dass wir die transnationa-
len Bildungskooperationen noch einmal deutlich verstär-
ken, und zwar durch Bildungsketten von Anfang an . Ein
ganz zentrales Element dabei – das haben wir in unserem
Antrag sehr deutlich gemacht – ist die Bildung von Leh-
rerinnen und Lehrern, die ja die Schülerinnen und Schü-
ler qualifizieren können müssen, damit sie überhaupt die
Chance haben, an Bildung zu partizipieren und um später
auch Karriere zu machen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es gilt, die Hochschullehrerinnen und Hochschulleh-
rer weiter zu qualifizieren und unser Know-how anzubie-
ten, nicht überzustülpen . Wir müssen bei der Stärkung
des Hochschulmanagements also möglicherweise auch
beratend tätig werden .

Weiterhin ist es mit Sicherheit förderlich und kon-
struktiv, die Politikfelder stärker interdisziplinär zu ver-
netzen . Es ist egal, ob das die Wissenschafts- und Bil-
dungspolitik ist, ob wir als Hochschulpolitikerinnen und
-politiker gefordert sind oder ob es – ich erwähnte des-
halb die neue Ministerin und den neuen Minister – gilt,
die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik und die Außen-
politik zusammenzudenken .

Der Antrag, den wir entwickelt haben, ist nicht ohne
das Zutun des Auswärtigen Amtes, des BMBF oder des
BMZ entstanden .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das merkt man!)


Deshalb bin ich an dieser Stelle dankbar, dass es uns in
der Großen Koalition gelungen ist, diesen Antrag kon-
struktiv und produktiv voranzutreiben . Deshalb vielen
Dank an die entsprechenden Ministerien .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist unbedingt notwendig, längerfristige Förder-
möglichkeiten voranzutreiben . Deshalb sind Stipendien-
programme wichtig, die wir weiterführen und ausbauen
wollen, aber nicht ohne unsere Partner . Hier nenne ich
den Deutschen Akademischen Austauschdienst oder die
Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die wir finanziell un-
terstützen und die wiederum das Geld, das wir ihnen zu-
kommen lassen, gut investieren werden . Ja, wir brauchen
Forschungsnetzwerke, um den Austausch, immer auch
mit Blick auf die regionalen und lokalen Arbeitsmärkte,
zu befördern .

Eine Idee, die wir mit Intensität verfolgen und von der
ich überzeugt bin, dass sie sich umsetzen lässt, ist die
Errichtung einer Hochschule für angewandte Wissen-
schaften in Kenia . Die Blaupause dafür ist die German
Jordanian University in Jordanien, die mit Sicherheit den

Wissenstransfer – auf gut Neudeutsch: Third Mission –
unterstützen wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es bedarf einer Stärkung der Studierenden und der Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler, damit in der Tat
so etwas wie Brain-Gain gelingt .

Meine beiden Söhne – damit will ich enden – haben
mir – einen lieben Gruß an Till und Jonas –, als ich die
Legislaturperiode begann, mit auf den Weg gegeben: Es
ist nicht deine Schuld – Sie kennen möglicherweise das
Zitat –, dass die Welt ist, wie sie ist . Es wär aber deine
Schuld, wenn sie so bleibt . – Heute, meine sehr verehr-
ten Kolleginnen und Kollegen, haben wir die Chance, ein
Versprechen einzulösen .

Vielen lieben Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821608600

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Kai Gehring .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821608700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beratungsge-
genstand dieser Debatte ist ein Wohlfühlantrag der Koa-
litionsfraktionen zur Wissenschaftskooperation mit Sub-
sahara-Afrika nach dem Strickmuster: Fördere Gutes und
rede darüber .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das kann man so sehen!)


In der Tat, der Antrag ist eine beeindruckende Leis-
tungsschau über die Aktivitäten deutscher Wissenschafts-
organisationen in Afrika . Ihnen gebührt unser Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Weniger beeindruckend ist, dass die Kolleginnen und
Kollegen von Union und SPD nur wenige eigene Ideen
eingeflochten haben, wie sie die Wissenschaftskooperati-
on in Zukunft stärken wollen .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Genau lesen!)


Gar enttäuschend sind die Lücken in Ihrem Antrag . Da-
bei stürzt sich das halbe Bundeskabinett auf das Thema
Afrika: Entwicklungsminister Müller hat seit wenigen
Tagen eine Skizze für einen Marshallplan für Afrika,
Forschungsministerin Wanka ihre eigene Afrika-Strate-
gie und Innenminister de Maizière seine Flüchtlingsab-
schreckungsagenda .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Ach was! So etwas gibt es auch? – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wahrheit tut weh!)


Dr. Daniela De Ridder






(A) (C)



(B) (D)


Anstelle dieses konfusen Durcheinanders erwarten
wir von der Ministerin und den Ministern und von den
einzelnen Bundesministerien den Willen und die Fähig-
keit zur Kooperation, zu echter und funktionierender
interministerieller Zusammenarbeit . Wir brauchen kei-
ne Egotrips einzelner Kabinettsmitglieder, sondern eine
wirklich konsistente Afrika-Strategie, die Partnerschaft
auf Augenhöhe und auf Herzenshöhe bringt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wissenschaft, Forschung und Innovation leisten wich-
tige Beiträge zur nachhaltigen gesellschaftlichen, öko-
logischen und ökonomischen Entwicklung der Länder
Afrikas . Ob Wohlstand, Chancen des Einzelnen, Frieden,
Stabilität, Good Governance: Bildung und Wissenschaft
sind Hebel und Schlüssel für die nachhaltigen Entwick-
lungsziele, die SDGs der Vereinten Nationen . Dafür muss
aber die Basis stimmen, also die Grundbildung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In vielen Ländern Afrikas gibt es hier Fortschritte .
Immerhin acht von zehn Kindern aus Ländern Subsaha-
ra-Afrikas besuchten 2015 eine Grundschule . Im Jahre
2000 waren es nur 60 Prozent . Das Entwicklungsziel
liegt aber weiterhin bei 100 Prozent: Alle Kinder sollen
zur Schule gehen und hinterher tatsächlich lesen, schrei-
ben und rechnen können . Das muss unser gemeinsames
Ziel sein .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Dieses Bekenntnis fehlt in Ihrem Antrag, und das ist
schlecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Dafür braucht es gute Lehrer!)


Was mich weiter stört, sind die blinden Flecken . Das
Bildungs- und Forschungsministerium ist in 39 von 54
Ländern Afrikas aktiv . Da geht noch etwas . Das gegen-
seitige Interesse an Kooperation ist hoch und wächst wei-
ter . Die Stärken zu stärken und sich gleichzeitig blinden
Flecken zuzuwenden, das schließt sich doch nicht aus .
Warum Sie ausgerechnet die Maghreb-Staaten komplett
ausklammern, bleibt Ihr Geheimnis .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Wieso?)


Gerade Bildung und Forschung könnten die Länder
Nordafrikas zu sicheren Staaten entwickeln und der jun-
gen Generation Perspektiven und damit Bleibegründe
verschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Aber jetzt zu Subsahara!)


– So lange ist die Legislaturperiode nicht mehr .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Wir kommen darauf zurück!)


– Schauen wir einmal . Wir sind gespannt .

Etwas mehr als die Hälfte der Afrikanerinnen und Af-
rikaner, die im Ausland leben, will wieder in ihre Hei-

matländer zurückkehren, wenn denn die Bedingungen
stimmen . Das sollten wir unterstützen; denn es muss
gehen um Nord-Süd- und Süd-Süd-Austausch, um zir-
kuläre Migration und Brain Circulation . Es darf nicht um
Braindrain und Abwerbung gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: D’accord!)


Aber wie sind die Bedingungen? Dazu eine kleine
Geschichte . Mouhamed Moustapha Fall forscht im Se-
negal an einem deutschen Forschungslehrstuhl, gefördert
von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung . Er sammelt
Daten zu Fischfang und Fischvorkommen und will ein
mathematisch präzises Modell entwickeln, das prognos-
tiziert, wie viele Fische die Fischer vor Ort fangen kön-
nen, ohne den Beständen zu schaden . Das ist ein durch-
aus tolles Projekt. Wenn allerdings die EU-Fangflotten
das Meer quasi leerfischen, beißt sich die Katze in den
Schwanz . Ich will sagen: Mit Wissenschaft alleine lösen
wir die Entwicklungsprobleme vor Ort nicht . Es braucht
eine ressort- und themenübergreifende Afrika-Strategie,
idealerweise noch mit den europäischen Partnern zusam-
men .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Claudia Lücking-Michel [CDU/CSU])


In der nächsten Woche findet der EU-Gipfel in Val-
letta statt . Es wäre das falsche Signal, dort einseitig die
Abwehr von Flüchtlingen zu verabreden . Fluchtursachen
in Afrika zu bekämpfen, das ist der richtige Ansatz . Das
muss aber heißen, gemeinsame strukturelle Reformen zu
verabreden in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft,
Fischerei, Klimaschutz, Abrüstung und nicht zuletzt in
Bildung und Wissenschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Afrika keimt immer mehr Hoffnung, bis hin zur
Aufbruchstimmung . Deutschland muss aus meiner Sicht
alles dafür tun, dass daraus eine wirklich robuste Ent-
wicklung zum Wohle aller Menschen auf dem afrikani-
schen Kontinent wird . Da könnte Deutschland Antreiber
sein, statt hinterherzuhecheln .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821608800

Vielen Dank . – Als Nächster hat der Kollege

Dr . Thomas Feist, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1821608900

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Es ist der Moment gekom-
men, wo man aufhören muss, die Menschen aus dem
Fluss zu ziehen. Man muss flussaufwärts gehen, um zu
schauen, warum sie hineingefallen sind .


(René Röspel [SPD]: Beides sollte man machen!)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


– Sie alle – außer dem Kollegen Mutlu, der schaut, als ob
er das noch nie gehört hätte – kennen dieses Zitat .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen Sie nur darauf? Ich will nur wissen, worauf du hinauswillst!)


Der Friedensnobelpreisträger Bischof Desmond Tutu
hat das im Jahr 1984 gesagt; damals war noch Heinz
Riesenhuber Forschungsminister . Das zeigt, dass die
Unterstützung und Hilfe für Afrika kein Thema ist, das
schnell hochkocht und zu dem man dann einen Antrag
einbringt . Vielmehr verfolgen wir dieses Thema kontinu-
ierlich seit vielen Jahren und Jahrzehnten .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzähl das mal deinem Minister!)


– Es ist schön, dass der Kollege Mutlu wieder aufge-
wacht ist und an der Debatte teilnehmen kann .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn dein Problem?)


Wenn wir etwas für Afrika tun, dann ist das gut und
wichtig . Aber es ist genauso wichtig, dass wir die guten
Initiativen aus den verschiedenen Ministerien noch stär-
ker als bisher zusammenführen . Denn es ist völlig klar:
Wenn sich das Forschungsministerium, das Auswärtige
Amt, das Entwicklungshilfeministerium, das Landwirt-
schaftsministerium, das Innenministerium und andere
Ministerien mit Afrika befassen, dann ist das gut . Aber es
macht die administrative Arbeit nicht leichter . Deswegen
ist es wichtig, dass wir als CDU/CSU gemeinsam mit der
SPD einen Antrag vorgelegt haben, aus dem hervorgeht,
wie wir die Hochschulkooperation speziell in diesem Teil
Afrikas, der für uns besonders wichtig ist, stärken wollen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821609000

Ich brauche das eigentlich gar nicht zu fragen: Gestat-

ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gehring? –
Bitte schön, Herr Gehring .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821609100

Sie haben sich gerade – wie es bereits in dem Antrag

steht – für eine stärkere interministerielle Zusammenar-
beit ausgesprochen . Diese Woche Mittwoch haben wir
im Ausschuss Ihren Antrag beraten . Zeitgleich hat der
Entwicklungsminister ohne Absprache mit irgendeinem
anderen Haus seinen Marshallplan für Afrika, den ich
eher als Skizze sehe, vorgestellt .

Wenn man sich diesen Plan einmal durchliest, stellt
man fest, dass Bildung und insbesondere Wissenschaft
und Forschung weitestgehend fehlen . Wie beurteilen Sie
ein solches Verhalten, während gleichzeitig der Koaliti-
onsantrag beraten wird? Wie wollen Sie das jetzt in den
verbliebenen Wochen dieser Legislatur noch ändern?
Wie wird der Marshallplan konkret durch die Wissen-
schaftspolitik angereichert?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie fühlen Sie sich dabei, völlig ignoriert zu werden von Ihrem eigenen Minister?)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1821609200

Ich fühle mich dabei hervorragend . Wenn auch Sie

eine Zwischenfrage haben, können Sie diese anmelden .
Ansonsten würde ich gerne vorwiegend auf den Kollegen
Gehring eingehen .

Ich war am Mittwoch bei der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates, deswegen konnte ich an der
Sitzung des Ausschusses nicht teilnehmen und kann die
Situation nicht beurteilen . Außerdem würde ich von hier
aus das Verhalten von Ministern, deren Geschäftsbereich
wir heute nur am Rande streifen, nicht beurteilen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben also keine Ahnung!)


Ich finde es wichtig, dass wir nicht auf Regierungs-
handeln warten, sondern als selbstbewusste Parlamen-
tarier sagen: Wir legen zu diesem Thema einen Antrag
vor und stellen Wissenschaftskooperation, Bildung, die
Vernetzung und die Forderung, dass das geschieht, in den
Mittelpunkt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem, wenn die Regierung Sie gleichzeitig widerlegt!)


Ich finde es nicht schlimm, dass wir das machen. Ich fin-
de es im Gegenteil gut . Wenn Sie auf das Handeln der
Regierung erst warten wollen, bevor Sie etwas tun, ist
das Ihr Problem .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sollte Ihr Handeln nicht konterkarieren!)


Ich finde es wichtig, dass wir in diesem Bereich vor
allen Dingen auch auf die Wissenschaftsorganisationen
eingehen, die die Arbeit vor Ort leisten – allen voran der
Deutsche Akademische Austauschdienst und die Alexan-
der-von-Humboldt-Stiftung . Es ist ja so, dass diese Orga-
nisationen von verschiedenen Ministerien gefördert wer-
den: vom Auswärtigen Amt, vom Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und natürlich auch von
unserem Bundesministerium für Bildung und Forschung .

Die Arbeit, die vor Ort geleistet wird, stellt sich aber
so dar, dass die Initiativen und die Projekte aus einem
Guss sind . Deswegen fordern wir in unserem Antrag,
dass dieses Prinzip der Kohärenz weiter und konsequent
durchgesetzt wird, weil wir nur dann nachhaltig – das
müsste uns allen ein wichtiges Anliegen sein – etwas mit
und für Afrika tun können .

Als Berufsbildungspolitiker ist es mir natürlich nicht
ganz unwichtig, dass dieses Thema im Antrag auch er-
wähnt wird, weil Forschung ohne eine gute Forschungs-
infrastruktur nur die halbe Miete ist . Natürlich müssen
wir jungen Leuten über die Wissenschaft hinaus eine
Chance geben . Wenn ich mir die ganzen Debatten ver-
gegenwärtige, die wir zu wissenschaftlichem und nicht-
wissenschaftlichem Personal an den Hochschulen in
Deutschland geführt haben, stelle ich fest, dass es wich-
tig ist, auch diese Personengruppe, die dafür sorgt, dass
Forschung in Afrika überhaupt gelingen kann, im Blick
zu haben .

Dr. Thomas Feist






(A) (C)



(B) (D)


Insofern finde ich es wichtig, dass wir nicht nur auf die
Wissenschaftskooperation in Afrika abzielen, sondern
uns auch in einer bilateralen Vereinbarung beispielswei-
se mit Südafrika dafür einsetzen, ein Kompetenzzentrum
für die berufliche Ausbildung dort zu errichten. Das muss
ineinandergreifen . Natürlich haben wir alle gemeinsam
die Aufgabe, zu schauen, was vor Ort konkret passiert .

Neben dem Antrag, den ich für wichtig und richtig
halte, ist es mir aber genauso ein persönliches Anliegen,
dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln . Ich un-
terstütze beispielsweise seit zehn Jahren eine Schule in
Accra in Ghana . Es handelt sich um eine Schule in den
Slums mit dem Namen „Hope for Life“ . Dort wird den
jungen Menschen eine Chance gegeben, die sonst keine
Chance hätten .

Ich habe für jemanden, der in dieser Schule groß ge-
worden ist, eine Patenschaft übernommen . Er kann dort
jetzt auch studieren . Das wäre mein Appell kurz vor die-
sem Wochenende an Sie, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen: Nicht nur reden, sondern auch handeln . Da
kann jeder von uns mithelfen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie mal an damit!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821609300

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt hat jetzt der Kollege Martin Rabanus,
SPD-Fraktion, das Wort .


Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1821609400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende die-
ser Debatte noch ein paar zusammenfassende Worte von
mir. Ich finde es erst einmal gut und einen Wert an sich,
dass wir heute diese Debatte über Afrika führen – am Be-
ginn des Afrika-Jahres der Bundesregierung .

Es steht im Laufe des Jahres vieles im Zeichen die-
ses Kontinents, unter anderem auch im Rahmen der
G-20-Präsidentschaft . Deswegen ist es gut, dass wir heu-
te diese Diskussion führen und dass wir sie heute auch
über die Wissenschaftskooperation mit Afrika führen, die
natürlich nur ein kleiner Teil ist . Ich will jetzt gar nicht
den Versuch unternehmen, die 24 Punkte, die wir in die-
sem Antrag sozusagen anerkennen, würdigen, zu rekapi-
tulieren . Wir haben ja gehört, dass selbst die Opposition
sagt, dieser Teil des Antrags sei ausgesprochen gelungen
und beeindruckend .

Ich will mich ausdrücklich dem Dank anschließen,
den der Kollege Gehring ausgesprochen hat, nämlich
dem Dank an unsere Mittlerorganisationen, auch an die
Stiftungen, die für uns in fast allen Staaten des afrikani-
schen Kontinents tätig sind . Nicht in allen, aber in fast
allen Staaten sind wir vertreten . Da sind viele Menschen,
die sich unter nicht immer einfachen Bedingungen ein-
setzen, die sich engagieren. Ich finde, im Rahmen einer

solchen Debatte kann man da den Dank nicht laut genug
sagen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Als Zweites möchte ich sagen, dass Europa und
Deutschland eine besondere Verantwortung für Afrika
haben, eine, die in der Vergangenheit auch aus meiner
Sicht nicht hinreichend wahrgenommen worden ist . Ich
finde es deswegen ausdrücklich gut, dass sich die unter-
schiedlichen Teile der Bundesregierung nun auch stärker
auf den Weg machen, sich damit auseinanderzusetzen .
Beide Kontinente, Europa und Afrika, sind Nachbarn .
Ich will einmal daran erinnern, dass uns an einigen Stel-
len nur wenige Kilometer geografisch trennen.

Wir sind aber nicht nur Nachbarn, sondern wir sind
historisch miteinander verbunden . Die Kolonialzeit ist
angesprochen worden, eine Zeit von Unterdrückung,
Bevormundung, Erniedrigung, von Ausbeutung . All das
prägt auch das Zusammenleben und die Geschichte, die
Europa und Afrika verbinden .

Daran jetzt anzuknüpfen und zu sagen, dieses Afrika,
das sich auf den Weg gemacht hat, dieses Afrika, das sich
erkennbar zusammenrauft, das Strukturen bildet – ich
nenne einmal das Stichwort „Afrikanische Union“, die
sozusagen immer stärker Fahrt aufnimmt –, dieses Afri-
ka, das sich gemeinsame Entwicklungsziele gesetzt hat –
unter anderem in der Agenda 2063 –, Entwicklungsziele
wie Demokratie, Frieden, Nachhaltigkeit, dieses Afrika,
das wächst – im Jahr 2050 wird Afrika 20 Prozent der
Weltbevölkerung stellen, wenn unsere Prognosen zutref-
fend sind –, dieses Afrika, das ein junger Kontinent ist –
das Durchschnittsalter der afrikanischen Bevölkerung
beträgt 18 Jahre –, dieses Afrika zu unterstützen, dieses
Afrika stark zu machen, das ist die Aufgabe, vor der wir
stehen . Die Koalition zeigt mit dem Antrag, dass bereits
vieles passiert ist, dass wir uns auch vieles vorgenommen
haben und dass wir konsequent weitergehen wollen – in
diesem Jahr, aber auch darüber hinaus –, um Bewusstsein
für den Kontinent zu schaffen.

Deswegen ist es gut, dass wir am Beginn des Afri-
ka-Jahres der Bundesregierung hier heute diese Debatte
führen . Denn es ist wichtig, dass wir mehr Bewusstsein
für diesen Kontinent schaffen und dass wir dafür sorgen,
dass er einen festen Platz in unserem Kopf, aber auch in
unserem Herzen hat .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821609500

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Wissenschafts-
kooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10973, den Antrag der Fraktionen der

Dr. Thomas Feist






(A) (C)



(B) (D)


CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10632 anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Opposition angenommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

(Opferentschädigungsgesetz – OEG)


Drucksache 18/10965
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katja Keul
für Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821609600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bevor ich über die Schließung von Gesetzes-
lücken spreche, möchte ich klarstellen, dass wir uns alle
einig sind in der Trauer und dem Entsetzen über das Ver-
brechen vom Breitscheidplatz . Neben der Aufarbeitung
der Fehlerketten, die zu diesem furchtbaren Ereignis ge-
führt haben, muss es vor allem darum gehen, den Opfern
nicht nur unser Mitgefühl, sondern auch jede erdenkli-
che Hilfe zukommen zu lassen . Ich begrüße es deswe-
gen ausdrücklich, dass die Bundesregierung einen Weg
gefunden hat, in diesem speziellen Fall über eine Här-
tefallregelung Opferentschädigung zu gewähren, obwohl
das Gesetz dies eigentlich nicht vorsieht . Dafür auch von
unserer Seite unseren ganz herzlichen Dank .


(Beifall im ganzen Hause)


Diese Härtefallregelung im Einzelfall hilft allerdings
nicht über die Gesetzeslücke hinweg, wenn es generell
um die Opfer von Straftaten geht, in denen der Täter ein
Kraftfahrzeug zum Schaden eines anderen einsetzt; denn
in § 1 Absatz 11 des Opferentschädigungsgesetzes steht:

Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Schäden
aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer
durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines
Anhängers verursacht worden sind .

Das heißt, alle Gewalttaten mittels eines Kfz sind damit
ausgenommen, egal ob Körperverletzung, Mord oder
Totschlag .

Denken Sie nur an die illegalen Autorennen . Da wol-
len Sie ja demnächst sogar einen neuen Straftatbestand
schaffen, um eine härtere Bestrafung zu ermöglichen.
Wie Sie wissen, halte ich selbst nicht allzu viel von sym-
bolhaften Strafverschärfungen . Für die Opfer könnten wir

allerdings tatsächlich eine wirksame und wichtige Geset-
zesänderung vornehmen . Dem Opfer hilft nämlich eine
härtere Bestrafung am Ende wenig . Im Gegenteil: Wird
der Täter nicht nur wegen grober Fahrlässigkeit, sondern
auch wegen Vorsatzes verurteilt, ist die Kfz-Haftpflicht-
versicherung in jedem Fall raus aus der Haftung . Das ist
für die Verletzten im Zweifelsfall eine Katastrophe, weil
die Haftpflichtversicherung den umfassendsten Scha-
densersatz bietet und nun komplett ausfällt .

An dem Haftungsausschluss an sich wollen und kön-
nen wir nichts ändern; denn der Versichertengemeinschaft
kann sicher nicht zugemutet werden, für die Folgen von
Verbrechen zu haften. Eine Haftpflichtversicherung soll
bei fehlerhaftem Gebrauch eines Pkw aufkommen, aber
sicher nicht bei vorsätzlichem Missbrauch . Verbrechen
sind eben nicht versicherbar .

Dann sollten die Geschädigten aber wenigstens so be-
handelt werden wie andere Verbrechensopfer auch,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


und die haben, gerade wenn sie schwer verletzt und dau-
erhaft geschädigt sind, Ansprüche nach dem Opferent-
schädigungsgesetz . Es ist doch nicht einzusehen, warum
ich, wenn ich mit einem Baseballschläger zusammenge-
schlagen worden bin, bessergestellt werden soll, als wenn
ich vorsätzlich von einem Auto überfahren worden bin .

Wenn es richtig ist, dass die Haftpflichtversicherer für
solche Schäden nicht aufkommen müssen, dann muss es
auf der anderen Seite richtig sein, dass es Entschädigun-
gen für die Opfer solcher Straftaten nach dem Opferent-
schädigungsgesetz gibt . Deshalb muss die Ausnahmevor-
schrift in § 1 Absatz 11 des Opferentschädigungsgesetzes,
wonach dieses Gesetz immer dann nicht zur Anwendung
kommt, wenn die Straftat mittels eines Pkw erfolgt ist,
gestrichen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Gesetzeslücke wird auch nicht durch den frei-
willigen Fonds des Vereins Verkehrsopferhilfe geschlos-
sen, den die Haftpflichtversicherer für die Fälle einge-
richtet haben, in denen sie aus Rechtsgründen nicht
einzustehen haben; denn aus diesem Fonds werden zum
einen keine Renten gezahlt, sondern es werden Mittel
zum Ausgleich anderer Schäden wie Sachschäden oder
Schmerzensgelder bereitgestellt, die wiederum nicht von
der Opferentschädigung erfasst sind, und zum anderen
ist der Schadensersatz aus dem Fonds auf 7,5 Millio-
nen Euro pro Ereignis gedeckelt . Das kann bei mehre-
ren Schwerverletzten schnell nicht mehr ausreichen . Die
Leistungen, die das Opferentschädigungsgesetz bietet,
können dagegen lebenslang gelten und sind in der Höhe
nicht gedeckelt .

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Ansprüche
muss der Verkehrsopferhilfefonds von der Streichung
der Ausnahmevorschrift im Opferentschädigungsgesetz
unberührt bleiben . Das heißt, wenn jemand künftig durch
eine Vorsatztat mittels eines Pkw schwer verletzt und
dauerhaft geschädigt wird, sollte er nach wie vor Sach-
schaden- und Schmerzensgeld von der Verkehrsopferhil-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


fe bekommen und trotzdem eine Versorgungsrente nach
dem Opferentschädigungsgesetz erhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wäre auch angemessen und ist noch längst nicht so
viel, wie die Kfz-Haftpflichtversicherung im Falle eines
fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls zahlen würde .

Weil gerade von Schmerzensgeld die Rede ist: Seit
Monaten kündigen Sie den Gesetzentwurf an, mit dem
endlich auch ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene ein-
geführt werden soll . Zwischenzeitlich hatte schon ein Re-
ferentenentwurf seine Runden gedreht, und was ich darin
gelesen habe, war doch eigentlich gar nicht schlecht . Ei-
nigen Sie sich doch endlich, damit auch dieses Vorhaben
auf den Weg gebracht werden kann!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich befürchte schon länger, dass Sie das trotz ständiger
Beteuerungen in dieser Legislaturperiode leider nicht
mehr hinbekommen .

Lassen Sie uns also wenigstens über die Opferent-
schädigung bei Straftaten reden . Vielleicht kriegen wir
da ja noch etwas hin .

Weil Sie bei unseren Anträgen – gerade wenn Ihnen
keine inhaltlichen Gegenargumente mehr einfallen – im-
mer bemängeln, dass es keine Gesetzentwürfe seien, ha-
ben wir Ihnen in diesem Fall sogar einen mundgerechten
Gesetzentwurf geliefert, dem Sie nur noch zustimmen
müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für Verbesserungsvorschläge sind wir immer offen.
Wichtig wäre am Ende, dass wir zu einem Ergebnis
zugunsten der Geschädigten kommen . In diesem Sinne
freue ich mich auf die Beratungen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821609700

Danke schön . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt die Kollegin Jutta Eckenbach .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1821609800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ge-

denktag für die Opfer des Nationalsozialismus in einer
Plenardebatte über die Opfer des Breitscheidplatzes zu
sprechen, ist zum Teil unfassbar; das fällt am heutigen
Tage nicht leicht .

Die vergangenen Wochen waren von den Eindrücken
des Terroranschlags geprägt . Wir trauern sehr, und unsere
Gedanken sind bei den Opfern, Verletzten und Hinter-
bliebenen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu zähle ich auch Freunde, Arbeitskollegen und Nach-
barn, die allesamt mit den Eindrücken und dem Verlust
umgehen müssen .

Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus
ist global, unberechenbar und trifft Bürgerinnen und Bür-
ger, Besucher und somit uns alle, egal ob es Anschläge in
Frankreich, Istanbul, Brüssel oder Berlin sind . Die Täter
meinen unsere Lebensweise, unsere Werte, unsere De-
mokratie und unseren Rechtsstaat, auf den wir wirklich
sehr stolz sein können .

Die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates ist gerade
jetzt gefordert, mehr als je zuvor . Wir müssen uns den-
jenigen entgegenstellen, die unseren Lebensstil mit Ter-
ror zerstören wollen und unsere von Werten getragene
Gemeinschaft spalten wollen . Wir müssen uns aber auch
denjenigen entgegenstellen, die aus Terror Profit schla-
gen wollen und in angeblicher Verteidigung des Abend-
landes ebenfalls eine Abkehr vom Rechtsstaat und von
unserer Demokratie in Kauf nehmen, wenn nicht sogar
beabsichtigen .

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen bei allen
Diskussionen über Folgen von Terrorakten, über die Tä-
ter und über die Wehrhaftigkeit jedoch nicht die konkre-
ten Opfer aus den Augen verlieren: unsere Mitbürger und
diejenigen, die als Gäste mit Neugier und Erwartungen
unser Land besucht haben und gestorben sind oder ver-
letzt wurden . Bundestagspräsident Norbert Lammert hat
dafür in der vergangenen Woche in diesem Hohen Hause
die richtigen Worte gefunden .

Selbstverständlich ist es unsere Pflicht, den Verletz-
ten, den Hinterbliebenen und auch den traumatisierten
Augenzeugen jegliche notwendige Hilfe zukommen zu
lassen . Wir als staatliche Gemeinschaft werden dieser
Verantwortung gerecht .

Meine Damen und Herren, der heute eingebrachte Ge-
setzentwurf macht die Entschädigungen der Opfer zum
Thema . Die Bundesregierung hat klargestellt, dass die
verletzten Opfer, die Hinterbliebenen, auch die Hinter-
bliebenen des Lkw-Fahrers Lukasz Urban, nun die erfor-
derlichen Leistungen je nach Fall erhalten . Sie erhalten
Leistungen, zum Beispiel Schmerzensgeld aus dem Ent-
schädigungsfonds über die Verkehrsopferhilfe . Hier wer-
den die Ansprüche gegen den Kfz-Halter oder -Eigentü-
mer nun dem Entschädigungsfonds gegenüber geltend
gemacht . Sie erhalten Leistungen als Härteleistungen für
Opfer terroristischer Straftaten aus den Haushaltsmitteln
des Bundestages, die vom Bundesamt für Justiz verwaltet
werden, und – darum geht es heute vor allen Dingen – sie
erhalten Leistungen nach dem Opferentschädigungsrecht
im Wege des Härteausgleichs .

Sie erhalten den gesamten Umfang des Leistungs-
spektrums, unter anderem einkommensunabhängige
monatliche Grundrenten, einkommensabhängige monat-
liche Rentenleistungen zum Ausgleich wirtschaftlicher
und beruflicher Nachteile und weitere Leistungen. Die
Opfer und die Hinterbliebenen erhalten Leistungen nach
dem Opferentschädigungsgesetz, obwohl im Opferent-
schädigungsgesetz in § 1 Schäden aufgrund tätlicher An-
griffe durch ein Kfz ausgeschlossen werden. Das OEG
greift trotz Kfz-Ausschluss, da die Tat in ihrer Gesamt-

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


heit betrachtet werden muss . Dazu gehören eben auch
die Beschaffung des Lkws und der Mord am Fahrer. Hier
beginnt ja bereits die Gewalttat, in deren weiterer Folge
die vielen Opfer zu beklagen sind . Den Kfz-Ausschluss
jetzt zurückzunehmen, macht in Kenntnis der Härtefall-
leistungen, die nach dem OEG möglich sind, momentan
keinen Sinn .

Wo etwas verbessert werden kann, werden wir es tun .
Wo zu wenig finanzielle Ressourcen bereitgestellt wer-
den, werden wir diese aufstocken . Sie gaukeln – Ent-
schuldigung – auch zu diesem ernsten Thema mit Ihrem
doch sehr mageren Gesetzentwurf vor, es gebe einfache
Lösungen . Darüber bin ich etwas enttäuscht; denn das
wird der Würde der Menschen an dieser Stelle nun wirk-
lich nicht gerecht .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das war jetzt nicht nötig!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Opferentschädi-
gung ist ein sehr komplexes Feld; das steht doch ganz
außer Frage .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch besser!)


Wer sich etwas ausführlicher mit Opferentschädigung
befasst hat, weiß, wie schwierig diese Thematik ist . Es
gibt sehr viele und sehr unterschiedliche Opfergruppen:
Opfer von Gewalttaten, von Stalking, psychischer Ge-
walt, staatlich angeordneter medizinischer Straftaten in
der DDR, aber auch traumatisierte Eltern von ermordeten
Kindern und viele andere mehr . Fest steht, dass sich vie-
le Menschen vom derzeitigen Opferentschädigungsrecht
nicht hinreichend beachtet sehen . Wir haben dazu oft
ausführliche Gespräche geführt, auch ich als Berichter-
statterin für die CDU/CSU-Fraktion . Wir werden uns das
soziale Entschädigungsrecht insgesamt ansehen müssen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie nur nicht zu lange! Entscheiden Sie mal!)


Dieser Prozess dauert länger als gedacht, aber es wird
uns gelingen . Ziel muss es sein, den Opfern zu helfen .
Diesen Anspruch lege ich auch an, wenn es um die Opfer
von Terror in unserem Land geht . Es geht um schnelle,
möglichst unbürokratische und ausreichende Hilfe .

Es ist mir außerordentlich wichtig, eines noch zu er-
wähnen: Die Hilfe sollte aus einer Hand oder wie aus
einer Hand sein . Wir können nur erahnen, in welchem
Ausnahmezustand sich diese Menschen befinden. Wenn
wir deren Situation etwas näher an uns heranlassen und
uns konkrete Behördengänge oder den Versicherungs-
schriftverkehr vorstellen, wird unser Auftrag in diesem
Hause sehr deutlich . Ich plädiere daher dafür, dass wir im
aktuellen Fall das Hilfesystem wirken lassen . Ich bin der
Überzeugung, dass die momentane Hilfe ausreichend ist
und dass sie auch wirklich vollumfänglich den Entschä-
digungsgedanken widerspiegelt . Aber wir sollten auch –
das ist ja geschehen – mit Überbrückungsmechanismen

und Aufstockungen Verbesserungen herbeiführen und
dann alles in Ruhe analysieren .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein paar Monate haben Sie ja noch Zeit!)


In einem weiteren Schritt muss es eine umfassende
Reform der Opferentschädigung geben . Ich sage ganz of-
fen: Wenn sich bei der Analyse der aktuellen Fälle Hand-
lungsbedarf herausstellen sollte, werden wir auch darü-
ber reden . Gegebenenfalls muss dann das OEG um diese
Sachverhalte erweitert werden oder an anderer Stelle
eine Klärung erfolgen . Ich glaube, dass wir neben den
Diskussionen über sicherheitspolitische Maßnahmen,
das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und die An-
wendung bestehender Gesetze – es ist mir wichtig, das
noch einmal zu erwähnen – auch darüber nachdenken
sollten, wie wir den Opfern sehr unbürokratisch und sehr
schnell die entsprechende Hilfe angedeihen lassen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821609900

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Ulla Jelpke,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821610000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

sehen, dass Terroristen sich immer perfidere Methoden
aneignen, um Terroranschläge zu begehen . Erst im letz-
ten Jahr sind 80 Menschen im französischen Nizza ums
Leben gekommen, weil ein Lkw in eine Menschenmenge
steuerte . Am 19 . Dezember 2016 riss Anis Amri mit ei-
nem entführten Lkw 11 Menschen auf dem Weihnachts-
markt am Berliner Breitscheidplatz in den Tod und ver-
letzte 50 Menschen zum Teil schwer . Übrigens hat es in
den letzten Tagen einen ähnlichen Anschlag in Jerusalem
gegeben . Dies zeigt – hier widerspreche ich der Kollegin
Eckenbach ganz klar –, dass wir eine neue Entwicklung
haben . Daher müssen unsere Gesetze auch entsprechend
angepasst werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir geben den Grünen mit ihrem vorliegenden Gesetz-
entwurf recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir reden über eine Än-
derung des Opferentschädigungsgesetzes, das Geschä-
digte von Gewalttaten und Verbrechen in Deutschland
finanziell entschädigen soll. Das Problem ist: Aufgrund
der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, nämlich aus
dem Kriegsopferentschädigungsgesetz der Weimarer
Republik, kommt dieses Gesetz ausdrücklich nicht zum
Tragen, wenn ein Schaden durch ein Kraftfahrzeug ver-
ursacht wurde . In diesem Fall – derzeit können Ersatzan-
sprüche für Schäden durch Kraftfahrzeuge gegenüber
einem Entschädigungsfonds geltend gemacht werden –

Jutta Eckenbach






(A) (C)



(B) (D)


werden nur 7,5 Millionen Euro pro Ereignis gezahlt, un-
abhängig von der Zahl der Opfer . Man kann sich einmal
durchrechnen, was das heißt .

Zudem muss es den Menschen als unsäglich zynisch
erscheinen, wenn sie Opfer von Anschlägen werden, die
Terroristen und Amokläufer absichtlich mit einem Fahr-
zeug herbeigeführt haben, und entschädigungstechnisch
zu Opfern von Verkehrsunfällen erklärt werden . Das geht
gar nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gesetzentwurf ist deswegen richtig . Er wird,
wenn wir ihn verabschieden würden, eine Schutzlücke
schließen . Deswegen stimmt die Linke diesem Gesetz-
entwurf zu .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, im Falle des Anschlages
auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz hat sich
die Bundesregierung auf eine Härtefallregelung ver-
ständigt, allerdings – das muss man hier auch einmal
sagen – erst, nachdem die Anwälte der Opfer mit einer
Entschädigungsklage in dreistelliger Millionenhöhe ge-
droht haben . Erst danach hat man sich bewegt . Ich will
aber hier, wie auch meine anderen Kollegen, deutlich sa-
gen: Wir begrüßen es ausdrücklich, dass es hier zu einer
Extra-Regelung gekommen ist .

Doch Opferentschädigung ist nur die eine Seite, die
materielle Seite . Wir wissen, dass der Schmerz für die
Angehörigen, aber auch für die Verletzten mit Geld allein
nicht aufgewogen werden kann . Deswegen muss auch an
dieser Stelle gesagt werden: Gerechtigkeit kann es nur
geben, wenn es eine wirkliche Aufklärung gibt . Hier
appelliere ich an das Haus . Zurzeit wird die Aufklärung
eher blockiert . Der Anschlag war vor einem Monat . Die
Aufklärungsarbeiten werden immer mehr in das geheime
Parlamentarische Kontrollgremium verlegt . Es werden
Sonderkommissionen und Sonderbeauftragte eingesetzt .
Es muss aber auch für die Opfer die Aufklärung statt-
finden. Es müssen Fragen beantwortet werden: Warum
wurde nie versucht, Amri aufgrund seiner zahlreichen
Straftaten zu inhaftieren? Ist die Hand über ihn gehalten
worden? Haben Geheimdienste ihn laufen lassen? Ist er
Lockvogel gewesen? Auch das wird zur Gerechtigkeit
beitragen und gehört zu diesem Thema .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind fest davon überzeugt: Eine rückhaltlose Of-
fenlegung von Fehlern macht es auch möglich, dass wir
daraus lernen und möglicherweise weitere Anschläge
verhindern .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821610100

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt

Waltraud Wolff das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1821610200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fas-
sungslos habe ich am 19 . Dezember auf die Bilder vom
Breitscheidplatz geschaut . Fassungslos und geschockt
bin ich eigentlich noch heute, wie wir alle .

Aus kalter Berechnung wurden wahllos Menschen
getötet, verletzt, mit dem alleinigen Ziel, tiefe Angst zu
schüren und zu schaffen. Meine Damen und Herren, ich
bin froh, dass das nicht gelungen ist . Das haben die Ber-
liner, das hat die Bevölkerung gezeigt . Das ist sehr, sehr
gut .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Schmerz der
Angehörigen und der Opfer kann ich nur erahnen . Eben-
so kann ich nur erahnen, welche Folgen die Verletzungen
und die traumatischen Erlebnisse für die Überlebenden
in der Zukunft haben werden . Umso wichtiger ist es, den
Opfern und Angehörigen unser Mitgefühl zu zeigen und
sie zu unterstützen, wo wir nur können . Sie müssen nach
dieser Tat weiterleben, und es ist unsere Aufgabe, ihnen
so zu helfen, wie wir es können .

Frau Jelpke, Sie haben hier vom gerichtlichen Einkla-
gen von Entschädigungen gesprochen . Mir ist so etwas
nicht bekannt . Das müssten Sie dann schon unterlegen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Anwälte drohten damit! Mal richtig hinhören!)


Es geht hier, meine Damen und Herren, natürlich um
körperliche und seelische Folgen, die die Menschen da-
vongetragen haben – aber nicht nur . Oft brechen bei Op-
fern oder Angehörigen Einkommen weg . Es ist für mich
überhaupt keine Frage, dass wir diese Menschen nicht
alleinlassen . Das hat Andrea Nahles sofort nach dem An-
schlag deutlich gemacht, und das war gut und richtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Direkt nach dem Anschlag hat das Land Berlin den Ver-
letzten und den Angehörigen der Opfer seine Traumaam-
bulanzen zur Verfügung gestellt . Das war ein ganz wich-
tiger Schritt .

Letzte Woche, meine Damen und Herren, wurde nun
die weitere Entschädigung vereinbart . Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Verletzten und Hinterbliebenen dieses
Anschlages erhalten das ganze Spektrum der Leistungen
nach dem Opferentschädigungsgesetz . Dafür wird der
Härteausgleich genutzt . Die Hinterbliebenen und Ver-
letzten erhalten Leistungen aus dem Entschädigungs-
fonds, der von der Verkehrsopferhilfe e . V . verwaltet
wird, und sie erhalten auch Härteleistungen für Opfer
terroristischer Straftaten . Ich persönlich bin sehr froh,

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


dass die Bundesministerien für Arbeit und Soziales so-
wie der Justiz und für Verbraucherschutz gemeinsam mit
dem Land Berlin zügig eine ganz umfassende Lösung
gefunden haben .

Im konkreten Fall diskutieren wir natürlich, ob und
wie so ein Anschlag hätte verhindert werden können .
Aber die traurige Gewissheit ist: Wir können nicht alle
Gewalttaten, wir können nicht alle Anschläge verhin-
dern . Wir können auch nicht den Schmerz und die kör-
perlichen und seelischen Folgen lindern . Aber wir kön-
nen mit unserem Opferentschädigungsrecht helfen, die
gesundheitlichen und auch die finanziellen Folgen einer
Gewalttat zumindest zu schmälern .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was sagen Sie jetzt zu unseren Vorschlägen?)


– Ich komme noch darauf .

Meine Damen und Herren, ich will keine Schelte ver-
teilen; aber wenige Tage nach dem Anschlag wurde in
den Medien die Frage, ob und welche Entschädigungen
möglich sind, breit diskutiert . Viele haben auch berichtet,
eine Entschädigung sei überhaupt nicht möglich . Was für
eine Verunsicherung für die Opfer und die Hinterbliebe-
nen! Meine Damen und Herren, richtig ist, dass zu die-
sem Zeitpunkt nicht klar war, dass der Härteausgleich ge-
nutzt werden kann . Aber: Dass der Entschädigungsfonds
der Verkehrsopferhilfe greift, war bereits am nächsten
Tag klar . Ich will einfach die Frage in den Raum stellen:
Wäre hier nicht mehr Sorgfalt angebracht gewesen? War
es wirklich notwendig, Opfer zu verunsichern?


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An wen richtet sich das denn, was Sie da sagen?)


Es ist unser gemeinsames Anliegen, dass die Betroffe-
nen alle notwendige Hilfe bekommen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu wem sprechen Sie denn?)


– Zu euch . –


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Wir verunsichern? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie führen Selbstgespräche!)


Sie bekommen – und das ist jetzt auch klar – alle Leistun-
gen, die zur Verfügung stehen . Der Härteausgleich ist da
ein richtig guter Weg .

Die Grünen schlagen heute in ihrem Gesetzentwurf
vor,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich!)


in der Zukunft einen anderen Weg zu gehen . Sie wol-
len die Ausnahme für Kraftfahrzeuge aus dem Opferent-
schädigungsgesetz streichen . Die Abgrenzung zwischen
der Entschädigung über den Fonds der Verkehrsopfer-
hilfe und der Entschädigung nach dem Opferentschädi-
gungsgesetz würde dadurch schwieriger . Darüber hinaus
befürchten Sie – so habe ich das interpretiert –, dass es

Streit zwischen den Trägern über die Zuständigkeit ge-
ben könnte .

Der Härteausgleich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dagegen bietet die Möglichkeit, unvorhergesehene Fälle
abzudecken, und die Verwaltung ist ermächtigt festzule-
gen, dass das Opferentschädigungsrecht greift . Das hat
nach dem Anschlag auch gut funktioniert .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Anschlägen
wird oft mehr über die Täter als über die Opfer geredet .
Oft nimmt man die Toten mehr wahr als die Überleben-
den . Umso wichtiger ist es, dass unser Opferentschädi-
gungsrecht gut funktioniert . Die Teile, die wir zusam-
mengefügt haben, funktionieren richtig gut .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . h . c . Albert Weiler [CDU/CSU])


Es ist ein wichtiges Zeichen unserer Gesellschaft an
die Überlebenden: Wir nehmen euch wahr . Wir können
euer Leid zwar nicht stillen, aber wir wollen helfen, wo
wir können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig schlecht! Meine Güte! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Thema vorbei!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821610300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Albert Weiler,

CDU/CSU-Fraktion .


Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1821610400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das
Jahr 2016 ging in Deutschland mit einem schrecklichen
Ereignis zu Ende . Es waren schwere Tage, in denen ich
wie Millionen Menschen in Deutschland entsetzt, er-
schüttert und tief traurig war aufgrund der grausamen
und letztlich unbegreiflichen Tat auf dem Breitscheid-
platz in Berlin .

Im Hinblick auf die Bedrohung durch Menschen,
die sich voller Hass gegen unsere Gemeinschaft stellen
und unser friedliches Zusammenleben gefährden oder
zerstören wollen, ist ein vereintes Vorgehen notwendig .
Gemeinsam haben wir die Kraft, uns für ein freies und
offenes Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen,
einzusetzen .

Auch gut einen Monat nach dem Anschlag sind mei-
ne Gedanken weiterhin bei den zwölf Toten, den vielen
Verletzten, ihren Familien, Angehörigen und Freunden .

Angesichts der Katastrophe auf dem Weihnachtsmarkt
an der Gedächtniskirche ist es unsere Pflicht, über eine
angemessene Entschädigung zu diskutieren . Dies nicht
zu tun, hieße, unserer politischen Verantwortung gegen-
über denjenigen, die Trauer und Leid erfahren haben,
nicht gerecht zu werden . Aus diesem Grund sage ich
ganz deutlich: Für die Opfer von Gewalttaten, auch wie
im Fall vom vergangenen Dezember, müssen wir unein-

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)







(A) (C)



(B) (D)


geschränkte Hilfe leisten und eine schnelle, direkte und
unbürokratische Entschädigung sicherstellen . Ich bin
erleichtert, dass dies im Anschluss an den Berliner An-
schlag auf der Grundlage des geltenden Gesetzes durch
die Anwendung des Härteausgleichs nach § 1 Absatz 12
Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit § 89 Bun-
desversorgungsgesetz aktuell schon geschieht .

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
sowie die Berliner Senatsverwaltung und das Landesamt
für Gesundheit und Soziales haben sich bereits auf eine
Lösung zur Entschädigung der Opfer verständigt . Die
Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags erhalten
nach dieser Lösung Leistungen nach dem Opferentschä-
digungsgesetz im Wege des Härteausgleichs, Leistungen
aus dem Entschädigungsfonds, der von der Verkehrsop-
ferhilfe verwaltet wird, und Leistungen als Härteleistun-
gen für Opfer terroristischer Straftaten, welche vom Bun-
desamt für Justiz verwaltet werden .

Mir ist besonders wichtig, zu erwähnen, dass die Ent-
schädigung aus dem Opferentschädigungsgesetz im Um-
fang des gesamten Leistungsspektrums erbracht werden
soll . Ergebnis dessen ist, dass alle Opfer des Berliner An-
schlags auf der Grundlage der heutigen Rechtslage wich-
tige Leistungen erhalten . Das sind wir den Menschen
auch schuldig .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] gewandt: Das ist genau der Sprechzettel, den Sie auch hatten! – Gegenruf der Abg . Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ich habe gar keinen Sprechzettel gehabt!)


– An der Stelle wäre es schön, wenn Sie zuhören würden,
anstatt dazwischenzureden; denn es ist wirklich ein ernst-
haftes Thema . Dass wir hier reden, ist kein Selbstzweck,
sondern wir debattieren hier, um Menschen helfen zu
können . – Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf soll die Ausnah-
me von der Anwendbarkeit des Opferentschädigungsge-
setzes bei Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von
einem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahr-
zeugs oder eines Anhängers verursacht werden, aufgeho-
ben werden . Die rechtssichere Versorgung und Entschä-
digung aller Opfer soll sichergestellt werden – sicherlich
ein hehrer Vorsatz . Aber wir müssen uns die Frage stel-
len, ob eine Änderung der gesetzlichen Regelungen tat-
sächlich angebracht ist, und dies mit äußerster Vorsicht
angehen; meine Vorrednerin hat das eingehend dargelegt .

Inhaltlich teile ich den Anspruch, der diesem Gesetz-
entwurf zugrunde liegt, aus tiefstem Herzen . Als Gesetz-
geber müssen wir allerdings auch sorgfältig prüfen, ob
die Sachlage tatsächlich nach einer Gesetzesänderung
ruft . Aktionistische Schnellschüsse sollten bei einer so
wichtigen Angelegenheit unbedingt vermieden werden .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Richtigen! Und was ist mit dem Zehn-Punkte-Plan?)


Ich möchte zudem anmerken, dass der von den Grünen
eingebrachte Gesetzentwurf aus meiner Sicht den Opfern
nicht ganz gerecht wird und einer Überarbeitung bedarf .
Insgesamt begrüße ich die Debatte aber und stelle zufrie-
den fest, dass auch die Grünen einer hilfreichen Lösung
aufgeschlossen gegenüberstehen .

Ich bin überzeugt, dass wir als staatliche Gemein-
schaft eine gesteigerte Verantwortung gegenüber denen
tragen, die Opfer eines Terroranschlags geworden sind .
Daher ermuntere ich alle Parteien, bei der weiteren Dis-
kussion nicht gegeneinander, sondern miteinander zu
agieren, um die bestmögliche Entschädigung aller Opfer
sicherzustellen .

Ich hoffe auf eine sachliche Debatte in der weiterfüh-
renden parlamentarischen Behandlung


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hoffen wir auch!)


mit dem Ziel einer optimalen Hilfe für alle Opfer, ihre
Angehörigen und Anverwandten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821610500

Vielen Dank . – Letzter Redner für die heutige Debatte

ist der Kollege Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1821610600

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen

und Kollegen! Eigentlich ist dieser Tagesordnungspunkt
heute, nach einer spannenden Sitzungswoche, als letzter
Tagesordnungspunkt fast an die falsche Stelle gesetzt;
denn die Entschädigung der Opfer des Anschlags vom
Breitscheidplatz, die Würdigung der Leistungen für die
Menschen, die dort schweres Leid erlitten haben, hätten
einen prominenteren Platz verdient .


(Zuruf der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, wür-
den uns – das sind vielleicht Vorurteile unserer Nach-
barn – gerne von Szenarien treiben lassen, so sagt man,
Ungewissheit in Bahnen zu lenken, fast so, als ob wir
dem Schicksal ein Schnippchen schlagen wollten . Wohl
gerade deshalb hat uns der Anschlag am Breitscheidplatz
ganz besonders – ich sage: ins Mark – getroffen. Nein,
nicht weil ein Teil der Opferentschädigung im Pflichtver-
sicherungsgesetz geregelt ist – vielmehr, weil uns allen
auf einmal bewusst wurde, dass Terror, dass Tod, Ent-
setzen, Hilflosigkeit eben nicht durch Gesetze und Vor-
schriften, sondern nur durch unsere Solidarität, unsere
Empathie, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuwen-
dung gemildert werden können .


(Beifall bei der SPD)


Ich jedenfalls glaube – ich habe dies in meinem Freun-
deskreis so erfahren –: An erster Stelle steht die Sorge

Dr. h. c. Albert Weiler






(A) (C)



(B) (D)


um die Unversehrtheit derjenigen, die wir lieben, die wir
kennen, die uns nahe sind . Dann ist es das Entsetzen über
den Tod, den Verlust, der Schmerz darüber, Kind, Frau,
Mann, Partnerin, Partner, Tante, Onkel, Nachbarn verlo-
ren zu haben – unwiederbringlich, endgültig, für immer .
Und in dieser Situation denkt niemand an Entschädigung,
Haftungssummen oder Abwicklung . In diesen Stunden
braucht man jemanden, der auffängt, Halt gibt, tröstet.
Dass die Berlinerinnen und Berliner, dass die Menschen
dieses Landes dies taten, war großartig, und dafür mein
persönlicher herzlicher Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Doch es folgt die Zeit danach . Ich bin den Grünen
ausdrücklich dankbar dafür, die Frage der Opferentschä-
digung auch hier im Hohen Hause des Deutschen Bun-
destages zu stellen, gerade weil in der Sensationspresse
sofort spekuliert wurde, Opfer und Angehörige gingen
leer aus, das Opferentschädigungsgesetz greife nicht,
weil das Attentat unter anderem mit einem Kraftfahrzeug
begangen wurde . Mittlerweile sind wir alle schlauer . Un-
sere Minister Heiko Maas und Andrea Nahles brachten
Licht ins Dunkel; denn bereits nach geltendem Recht er-
halten Verletzte und Hinterbliebene des Anschlags Ent-
schädigungsleistungen, und zwar auch ohne Gesetzesän-
derungen .

Es stimmt zwar, dass das Opferentschädigungsgesetz
laut § 1 Absatz 11 Taten mit einem Kfz ausschließt; da
das Attentat jedoch als Gesamtgeschehen zu betrachten
ist, das mit dem tödlichen Schuss auf den Lkw-Fahrer
beginnt, liegt ein weiterer Teilakt vor, den der Täter, der
sich das Fahrzeug mit dem Ziel beschafft hat, es als Tat-
waffe zu missbrauchen, begangen hat, sodass auch die
Opfer am Breitscheidplatz unter das Gesetz fallen . Dies
hört sich fürchterlich juristisch an, ist aber nun einmal
Realität .

Dazu kommen noch die Leistungen aus dem besag-
ten Kfz-Entschädigungsfonds der Versicherer sowie
Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten . Das
klingt vielleicht hölzern, das klingt vielleicht zu juris-
tisch, das gibt uns aber ganz konkrete Mittel an die Hand,
mit der Situation umzugehen und das zu tun, wofür wir
da sind: zu helfen – den Opfern, den Angehörigen, den
traumatisierten Menschen und sogar den auf den ersten
Blick unverletzten Besuchern des Weihnachtsmarkts am
19 . Dezember 2016 . Den allen ist es vermutlich egal,
welcher rechtliche Rahmen hilft; Hauptsache, er hilft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen, es ist
sogar zweitrangig, wie viel Geld fließt; Hauptsache, es
fließt schnell und unkompliziert. Ich sage das, weil ich
als Berichterstatter im Verteidigungsausschuss oft mit
traumatisierten Soldatinnen und Soldaten zu tun habe
und weiß, dass manche der von Posttraumatischen Be-
lastungsstörungen Betroffenen nicht die finanzielle Ent-
schädigung wollen, nicht die schnelle Hilfe, sondern
sofort das offene Ohr, Verständnis und Rechtssicherheit.

Wir brauchen unkomplizierte Verfahren, Behörden,
die mit dem richtigen Fingerspitzengefühl handeln, die
finanziellen Mittel, aber auch die Unterstützung aus der
Gesellschaft heraus . Ich nenne beispielsweise den Wei-
ßen Ring, in dem sich viele Bürgerinnen und Bürger
engagieren . Diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft
brauchen wir nach solchen Anschlägen in Deutschland,
den brauchen wir zur Abwicklung, zur Milderung der
Folgen und zur Opferentschädigung, und zwar über den
Tag hinaus; denn Solidarität wiegt mehr als jede abge-
schlossene Versicherung, mehr als jedes Opferentschä-
digungsgesetz . Sie kann nämlich die Gräben zuschütten,
die Ungewissheiten beseitigen und die Ängste besiegen .
Nur sie kann dem Terror mutig ins Angesicht blicken und
Bollwerk sein für unser Leben, so wie wir es leben, in
Freiheit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes Wochenende
und eine gute sitzungsfreie Woche .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821610700

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 18/10965 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen .
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist
nicht der Fall . Dann ist so beschlossen .

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 15 . Februar 2017, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein
schönes Wochenende .