Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBerufsbildungsbericht 2011– Drucksache 17/5400 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
SportausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für TourismusHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten PriskaHinz , Brigitte Pothmer, Krista Sager,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENdMdLwjuJdmFbcwdAsatrteRedetAus- und Weiterbildung stärken, Abbrücheverringern, Erfolgsquoten erhöhen– Drucksache 17/5489 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Damit eröffne ich die Aussprache und erteiministerin Annette Schavan das Wort.
Das zeigt, dassWirtschaftskrisezurückgefahren
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Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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Der dritte wichtige Punkt betrifft die Zahl der Altbe-werber, die uns in diesem Hohen Hause schon vielfachbeschäftigt hat. Diese Zahl ist von 262 000 im Jahre2008 auf 185 000 im Jahre 2010 zurückgegangen; das istein Rückgang um knapp 30 Prozent. Auch das ist eineüberaus positive Entwicklung. Wir wollen, dass derÜbergang von der Schule in die Ausbildung direkt er-folgt und dass nicht viele junge Leute als Altbewerberjahrelang in einem Übergangssystem warten müssen.
Der vierte wichtige Punkt bezieht sich auf das Über-gangssystem selbst. Auch hier ist in den vergangenenfünf Jahren, seit wir uns gezielt darum kümmern, indemwir Veränderungen vornehmen, Kompetenzen zurück-bringen und Maßnahmen bündeln, ein deutlicher Rück-gang zu verzeichnen, nämlich um 22,5 Prozent. Dasheißt, junge Leute kommen schneller in Ausbildung alsnoch vor einigen Jahren.Das Resümee der Bundesagentur für Arbeit bezogenauf das letzte Jahr ist – wir werden ein solches Resümee inden kommenden Jahren noch häufiger erleben –: Es wur-den mehr unbesetzte Ausbildungsplätze gemeldet, als esunversorgte Bewerber gibt. In Zahlen bedeutet dies: Rund20 000 Ausbildungsplätze – exakt sind es 19 605 – blie-ben unbesetzt. Es verblieben rund 12 000 unversorgte Be-werber.Das macht deutlich, wie sich die Bevölkerungsent-wicklung auswirkt. In Ostdeutschland konnte man dieseAuswirkung in den letzten Jahren schon sehr gut be-obachten. Im übrigen Bundesgebiet wird es in dennächsten Jahren eine ähnliche Entwicklung geben. DieSchülerzahlen werden in den nächsten zehn Jahrendeutschlandweit deutlich zurückgehen. Die Frage istalso nicht mehr: „Bekommt jeder Jugendliche einenAusbildungsplatz?“, sondern die Frage wird lauten:„Was müssen wir tun, damit angebotene Ausbildungs-stellen tatsächlich besetzt werden?“Ich will Ihnen noch weitere Vergleichszahlen nennen:Im Jahr 2005 gab es über 40 000 unversorgte Bewerberauf ungefähr 12 000 unbesetzte Stellen. Das Verhältnishat sich also ins Gegenteil verkehrt.Ausblick auf das Jahr 2011. Die Bundesagentur fürArbeit verzeichnet in ihrer Halbjahresbilanz einen deut-lichen Anstieg der Zahl der gemeldeten Ausbildungs-plätze. Wir können davon ausgehen, dass es für denZeitraum September 2010 bis Ende März 2011 einenAnstieg der gemeldeten Ausbildungsplätze um 14,3 Pro-zent gegeben hat. In absoluten Zahlen ausgedrückt:48 000 Ausbildungsplätze mehr als im Vorjahr wurdenbis Ende März gemeldet. Das ist eine gute Perspektivefür dieses Jahr 2011.
Damit stellt sich die Frage: Was sind die zentralenAufgaben in der Berufsbildungspolitik, vor denen wirstehen, damit wir diese neue Situation sinnvoll gestaltenkönnen?plivDtivkdfimgsg–msdÜzloredLgDDawgwddm3IcnMJdEnaz–bicdscwtem
So ist es. – Das ist aber keine Lösung. Man mussanchmal auch über den Tellerrand schauen und darfich nicht nur auf Deutschland beziehen. Wer sich beien europäischen Nachbarn umschaut, der weiß: Derbergang von Bildung in Beschäftigung ist ein ganzentrales bildungspolitisches Thema. Die Jugendarbeits-sigkeit würde in Spanien nicht 40 Prozent, in Frank-ich nicht 25 Prozent und in den skandinavischen Län-ern nicht um die 20 Prozent betragen, wenn es in diesenändern an der Stelle funktionieren würde. Der Über-ang ist die sensible Stelle überhaupt. Wir haben ineutschland eine Jugendarbeitslosigkeit von 7 Prozent.arum werden wir beneidet. Bei uns ist die Jugend-rbeitslosigkeit so viel niedriger als in anderen Ländern,eil es die berufliche Bildung und die duale Ausbildungibt.Jetzt müssen aber die nächsten Schritte gegangenerden. Für mich beginnt das Übergangssystem nichta, wo die Schule endet. Daher sind für mich die Bil-ungsketten die wichtigste Maßnahme, die ab Klasse 7it der Potenzialanalyse beginnen. Begleitet werden0 000 Schülerinnen und Schüler bis zur Ausbildung.h bin davon überzeugt, dass es das Ziel der Neuord-ung des Übergangssystems – es ist die entscheidendeaßnahme, beginnend ab Klasse 7 – sein muss, mehrugendlichen den Schulabschluss zu ermöglichen. Umieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns sowohl auf derbene der Länder wie auch auf der Ebene des Bundes ei-igen. Mein Ziel ist nicht, einfach Geld von A nach B,lso zur BA, zu schieben. Wir brauchen vielmehr eineentrale Maßnahme der Länder und des Bundes.
Lieber Herr Schulz, genau das machen wir. Sie glau-en das nicht? Das glaube ich Ihnen sofort. – Was willh sagen? Wir haben jetzt auf der Bundesebene genauiesen Schritt getan: Wir haben diverse Maßnahmen zu-ammengefasst, solche im Kontext der Schule und sol-he im Kontext der beruflichen Bildung. Nach allem,as ich aus den Schulen höre – es ist eine wichtige un-rstützende Maßnahme für die Arbeit in den Schulen;an kann das nicht einfach den Lehrerinnen und Leh-
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Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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rern überlassen –, bin ich davon überzeugt, dass dieseMaßnahme von allen Maßnahmen, die wir vor allen Din-gen auf der Ebene der Länder ausprobiert haben, diewirksamste ist; sie gibt uns die Möglichkeit, tatsächlicheine bessere Qualifikation der Jugendlichen zu errei-chen, die sich schwertun.Dritter Punkt. Die Gruppe, die uns in diesem Kontextam meisten interessieren muss – auch was die Bildungs-ketten angeht –, bilden die Jugendlichen mit Migrations-hintergrund; man braucht dafür keine eigenen, neuenMaßnahmen. Wir wissen, dass die Ausbildungsquote indieser Gruppe geringer ist; die Quote derer, die ohneSchulabschluss bleiben, ist höher. Deshalb ist die Maß-nahme für diese Jugendlichen besonders wichtig.Wichtig ist aber auch, dass es uns in den nächstenJahren gelingt, bei unserem Bemühen, Unternehmer mitMigrationshintergrund in die Ausbildung einzubeziehen,weiter voranzukommen. Die Unternehmer mit Migra-tionshintergrund kommen aus unterschiedlichen Kultu-ren und wissen um kulturelle Vorbehalte und klassischesBildungsverhalten in dieser oder jener Kultur; sie kön-nen uns auf dem Ausbildungsmarkt helfen. Auch da sindwir einen guten Schritt vorangekommen; aber die Zahlderer, die mitmachen, kann noch erhöht werden.Letzter wichtiger Punkt. Im Laufe der nächsten Mo-nate wird die Umsetzung des Europäischen Qualifika-tionsrahmens im Deutschen Qualifikationsrahmen voll-endet; wir sind in der Endphase. Das ist ein zentralerSchritt; denn damit kommt es bei der Frage, ob wir beider Umsetzung des Qualifikationsrahmens die Gleich-wertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung ak-zeptieren, zur Stunde der Wahrheit. Ich bin der festenÜberzeugung: Jetzt ist der Moment, in dem wir europa-politisch einen wichtigen Impuls setzen können. Vielebeneiden uns um die duale Ausbildung. Mit der Umset-zung des Europäischen Qualifikationsrahmens im Deut-schen Qualifikationsrahmen haben wir die große Chance– wir werden sie nutzen –, die Gleichwertigkeit von all-gemeiner und beruflicher Ausbildung mit der Anerken-nung von Ausbildungen und Abschlüssen zu belegen.Insofern finde ich, dass das eine gute Situation für dieberufliche Bildung ist. Das ist mit Blick auf die Zukunfts-chancen der jungen Generation eine gute Botschaft.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Dagmar Ziegler für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie sagen, es gebeeine positive Entwicklung. Darin stimmen wir überein.Diese positive Entwicklung kann uns dennoch nicht zu-friedenstellen; darüber sind wir uns hoffentlich einig.DMdsddcsBBDehWlugleDstemaWnngMdnBsAHZgdLSwaAre
azu will ich Ihnen drei Zahlen nennen: 85 000 jungeenschen haben im vergangenen Jahr keinen Ausbil-ungsplatz erhalten. Weitere 320 000 junge Menschentecken in einer der vielen Maßnahmen im Übergangs-schungel; auch die Frau Ministerin hat bemerkt, dassort unbedingt eine Lichtung erforderlich ist. Die bedrü-kendste Zahl ist für mich: 1,5 Millionen junge Erwach-ene im Alter zwischen 20 und 29 Jahren haben keinenerufsabschluss und können deshalb die Schwelle zumerufsleben gar nicht überwinden.
iese jungen Erwachsenen befinden sich nicht einmal ininer Qualifizierungsmaßnahme. Diese erschreckendohe Zahl sinkt auch nicht, trotz des demografischenandels, trotz des Fachkräftebedarfs und trotz der Erho-ng der Wirtschaft; das ist für mich das schlimmste Si-nal, das von dieser Zahl ausgeht.Wenn ich auf die Website Ihres Hauses gehe, dannse ich über diese jungen Menschen:Hierbei handelt es sich um ein weitere „Reserve“,die für eine Steigerung der künftigen Zahl jungerFachkräfte genutzt werden kann.as ist, freundlich gesagt, eine sehr unglückliche Be-chreibung dieser jungen Menschen.
Das ist eben keine Reserve, die man für schlechte Zei-n anlegt. Diese Menschen haben einfach keine Start-öglichkeiten in das Berufsleben, weil ihnen die Berufs-usbildung fehlt. Es ist zynisch, wenn man eine solcheortwahl trifft. Es handelt sich um Einzelschicksale, de-en wir helfen müssen. Vielleicht haben Sie in denächsten drei Wochen der sitzungsfreien Zeit die Gele-enheit, diesen Terminus auf der Website zu entfernen.Wir sind uns einig: Wir dürfen keinen der jungenenschen aufgeben und verloren geben. Wir müssen je-en jungen Menschen mit einem Schulabschluss und ei-em Berufsabschluss in das Leben entlassen. Als SPD-undestagsfraktion haben wir dazu drei konkrete Vor-chläge gemacht.Wir wollen erstens eine Berufsausbildungsgarantie.uch wenn Sie auf die Jugendarbeitslosigkeit bei uns inöhe von 7 Prozent verweisen und sagen, dass dieseahl im Vergleich zu den anderen europäischen Ländernut aussieht, sind wir der Meinung, dass eine Ausbil-ungsgarantie ein Signal an die Jugendlichen in unseremand ist, dass es für sie eine sichere Perspektive beimtart in das Berufsleben geben wird. Das ist etwas, wasir unbedingt erreichen wollen. Das lehnen Sie leiderb.
Zweitens halten wir an dem Ausbildungsbonus fest.uch wenn Sie sagen: „Die Wirtschaft hat bei der Be-itstellung von Ausbildungsplätzen zugelegt“, ist es im)
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Dagmar Ziegler
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Moment das falsche Signal, auf dieses Instrument zuverzichten. Durch diesen Bonus sind bisher rund 50 000junge Menschen zu einer Ausbildungsstelle gekommen.
Davon abgehen zu wollen, ist das falsche Signal zumfalschen Zeitpunkt.Drittens wollen wir das Programm „Zweite Chance“erhalten, das Sie jetzt streichen wollen. Das ist kontra-produktiv.
– Sie wollen zumindest kürzen. – Sie sagten eben, dieZahl der Ausbildungen im dualen Bereich sei gestiegen.Wenn die Zahl der Ausbildungen insgesamt gesunkenist, muss ja die Zahl der Ausbildungen in den staatlichenAusbildungseinrichtungen gesunken sein. Das ist derBeleg dafür, dass man dort nicht kürzen darf, wenn wirgemeinsam an dem Ziel festhalten, dass jede Schülerinund jeder Schüler eine Berufsausbildung erhält. Genaudeshalb brauchen wir das Programm „Zweite Chance“ involler Höhe.
Aber das reicht auch nicht. Zweite und dritte Chancenfür Jugendliche in unserem Land einzuräumen, ist daseine. Das alles sind Reparaturmaßnahmen. Das alles sindLösungen, wenn wir Jugendlichen aus einer Situationheraushelfen, in die sie durch vielerlei Gründe hineinge-raten sind. Wir haben – das ist das andere – einen ganz-heitlichen Ansatz. Damit komme ich zu meinem letztenPunkt. Wir brauchen eine sogenannte – ich nehme diesesWort, weil Sie es so gern benutzen – Exzellenzinitiativefür Kitas und für Ganztagsschulen. Das ist Bildung vonAnfang an. Hier müssen wir investieren, und zwar inganz Deutschland. Es ist der richtige Ansatz, dort vielGeld hineinzugeben, damit Kinder von Anfang an, unab-hängig von ihrer sozialen Herkunft, individuell gefördertwerden können und einen guten Start bekommen.Beim Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen wissenwir Sie eben leider nicht an unserer Seite. Genauso wieIhre Kollegin Familienministerin Schröder und dieganze Regierung Merkel legen Sie dort eben keinenSchwerpunkt Ihrer Politik.
Das ist der grundsätzliche Fehler in Ihrer Bildungspoli-tik. Wir fordern immer wieder und erneut einen Krippen-gipfel,
bei dem man sich mit den Ländern zusammensetzt,
um dafür zu sorgen,
dsSdSabWbhIcwdIcssssnMkwRjeridM
ir teilen das in diesem Haus, glaube ich, unisono. Woleibt Ihre Initiative, dieses Kooperationsverbot aufzu-eben?
h kenne keine Initiative,
eder von der Regierung noch vom Parlament noch vonieser Koalition.
h würde weniger Zeitung lesen wollen,
ondern hier in diesem Haus gern eine Gesetzesinitiativeehen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich im Kabinett zu-
ammen und suchen Sie nach einem ganzheitlichen An-
atz für Bildung in unserem Lande, und machen Sie
icht nur Stückwerk!
Danke.
Das Wort hat nun Heiner Kamp für die FPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Liebe Frau Ziegler, manann Zahlen schlechtreden – die unter Ihrer Regierungaren noch schlechter – und den Jugendlichen auf denängen oder an den Bildschirmen jeglichen Mut undgliche Zuversicht nehmen, oder man liest den Berichtchtig und versucht, die guten Zahlen zu deuten undem Publikum näherzubringen, um bei den Menschenut und Zuversicht zu verbreiten.
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Heiner Kamp
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Der Mensch, vor allem der junge Mensch, brauchtdie Hoffnung auf Fortschritt. Älteren Menschen ge-nügt es, wenn sie hoffen können, dass es nichtschlechter wird.Dieser Satz ist nicht von mir, sondern er wird dem lang-jährigen Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rom-mel zugeschrieben. Ich glaube, in diesem Hause zählenwir uns alle nicht nur nach dieser Definition zu den jün-geren Menschen, und das sollten wir auch.Was den von der Bundesregierung vorgelegten Be-rufsbildungsbericht 2011 angeht, dürfen wir uns zu denjungen Menschen zählen und zuversichtlich in die Zu-kunft blicken. Der Bericht zeigt, dass sich die Situationauf dem Ausbildungsmarkt weiter verbessert. Die Aus-bildungsbilanz kann sich wirklich sehen lassen. Die An-fang der Woche veröffentlichte Ausbildungsumfrage derIndustrie- und Handelskammern bestätigt diese erfreuli-che Entwicklung. Die Chancen der Jugendlichen auf ei-nen Ausbildungsplatz werden als glänzend angesehen.Für ihren Bereich rechnen die Kammern mit einem Zu-wachs an Ausbildungsverträgen von 5 Prozent. 40 000zusätzliche Ausbildungsplätze wollen die Unternehmenallein in diesem Bereich im Jahr 2011 anbieten. Das sindausgezeichnete Nachrichten für die jungen Leute, überdie wir uns freuen dürfen.
Auch der Berufsbildungsbericht rechnet angesichtsder erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung mit einerZunahme der angebotenen Ausbildungsstellen. Die aktu-ellen Zahlen der Kammern sind ein erster empirischerBeleg. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die Bundesre-gierung die richtigen wirtschaftspolitischen Akzentesetzt. 2,6 Prozent prognostiziertes Wachstum in diesemJahr und ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf2,9 Millionen sind hierfür ein Nachweis.
Die Unternehmen werden ihrer gesellschaftlichenVerantwortung gerecht und zeigen mit ihrer voraus-schauenden Personalpolitik, dass sie mit Optimismus indie Zukunft blicken. Diesen Optimismus können auchdie jungen Leute teilen. Sie profitieren von dem steigen-den Angebot an Ausbildungsplätzen. Aufgrund der sin-kenden Bewerberzahlen verbessern sich auch für leis-tungsschwächere Schülerinnen und Schüler die Chancenauf einen Ausbildungsplatz. Diese Entwicklung wird vorallem in den neuen Bundesländern besonders deutlich.Dort ist die Zahl der Schulabgänger um 13,5 Prozent zu-rückgegangen. Darauf ist auch im Wesentlichen der ge-ringfügige Rückgang an abgeschlossenen Ausbildungs-verträgen im Bundesschnitt zurückzuführen; denn in denalten Bundesländern wurden sogar mehr Verträge abge-schlossen als im Vorjahr.Der erfreuliche Umstand, dass die Wehrpflicht end-lich aufgehoben wird, schmälert die Chancen auf einenAusbildungsplatz keineswegs. Auch der große Abitur-jahrgang wird kein Problem darstellen, ganz im Gegen-teil: Der enorme Bewerbermangel wird dadurch kurzzei-tig ein wenig abgemildert. Während in rot-grünen ZeitenAusbildungsplätze Mangelware waren, suchen Hand-wwfivvUnWcbnLzsleengDjauduleMruGinDzddSssDliavBefösremzimis
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Doch wenn es darauf ankommt, in der eigenen Verwal-tung – sozusagen vor der eigenen Haustür – Ausbil-dungsplätze zu schaffen, versagen SPD und Linke kläg-lich.
Man muss sich das einmal vorstellen: In der Haupt-stadt lässt der rot-rote Senat über 10 Millionen Euro anMitteln für Ausbildung verfallen.
Von eingeplanten 2 Millionen Euro im Haushalt der lin-ken Sozial- und Arbeitssenatorin sind hierfür gerade ein-mal 350 000 Euro ausgegeben worden. Peinlich hochzehn, kann ich da nur sagen.
Wir arbeiten mit den jungen Leuten daran, dass esweiter vorangeht. Rot-Rot-Grün begnügt sich damit, zuhoffen, dass es nicht schlechter wird. Sie sind eben ei-nes: von gestern.
FDP und Union werden weiter zukunfts- und fort-schrittsorientierte Politik für die jungen Menschen undunser Land gestalten.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Verehrte Frau Ministerin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich kann denOptimismus, den Sie hier verbreiten, nicht teilen.
– Ja, das ist schade. Ich würde es gern, aber es gibt kei-nen Grund dazu. – In der vergangenen Woche haben Sie– auch Ihr Staatssekretär – von einer insgesamt ausgegli-chenen Bilanz gesprochen. Die Zahl der Altbewerber,das haben Sie auch zitiert, sei um 30 Prozent zurückge-gangen. Fakt ist aber:Erstens. Von einer Entspannung kann eigentlich nichtdie Rede sein. Vielmehr wurden insgesamt etwas weni-ger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vor-jahr. Dabei geht die Schere zwischen Ost und West wie-der auseinander. Während in den westlichenBundesländern ein leichter Zuwachs zu verzeichnen war,ging die Zahl der Ausbildungsplätze im Osten um über4 000, also um 7,4 Prozent, zurück. Hinzu kommt, dassder Anteil der überbetrieblichen, also ausschließlich öf-fentlich finanzierten, Ausbildungsplätze mit 20 ProzentimdDgteimAvpSwpAuAdessWWwliasgdleSbjensfanwapAiswhDntunArulaerum
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Das haben wir in einem Antrag, den wir vor einigen Mo-naten in diesem Haus vorgelegt haben, bereits gefordert.Ein weiteres Problem bleibt das Übergangssystem.Unternehmen benennen heute die mangelnde Ausbil-dungsfähigkeit als Grund, weshalb nicht alle Ausbil-dungsplätze besetzt werden können. Aber woran bemisstsich eigentlich die Ausbildungsfähigkeit? Im Berichtkann man dazu keinerlei Aussagen finden. Auch derStaatssekretär ist mir in der vergangenen Woche eineAntwort auf meine Frage schuldig geblieben. Ich habeerfahren, dass es ein entsprechendes Kästchen in denFormularen der Bundesagentur für Arbeit gibt. Ich er-fuhr, dass man da ein Kreuz mache oder eben nicht –nach welchen Maßstäben bleibt sehr undurchsichtig.Wer an dieser Stelle ein Kreuzchen hat, landet mit ziem-licher Sicherheit im Übergangssystem. Im Jahr 2010 ha-ben sich 324 000 Jugendliche in irgendeiner Weise imÜbergangssystem wiedergefunden. Nicht alle von ihnengalten als nichtausbildungsfähig. Sie haben trotzdemkeinen Ausbildungsplatz bekommen. Bekannt ist aber,dass das ein- oder oftmals auch mehrmalige Durchlaufendes Übergangssystems längst nicht das bringt, was dasSystem verspricht. Dadurch wird der Übergang in eineAusbildung in der Regel nicht erleichtert, sondern er-schwert.
Mit der Zahl der Jahre, in denen man sich erfolglosauf dem Ausbildungsmarkt beworben hat, sinkt zudemdie Chance auf eine erfolgreiche Vermittlung drastisch.Darum ist der vorhin schon erwähnte Befund, dass1,5 Millionen junge Erwachsene im Alter zwischen20 und 29 Jahren überhaupt keine Berufsausbildung ha-ben, eines der schlimmsten Ergebnisse bundesdeutscherBerufsbildungspolitik der letzten Jahre. Da kann sichauch keine Vorgängerregierung ausnehmen. Für die Lö-sung dieses Problems gibt es bis heute überhaupt keinüberzeugendes Konzept.
Nun scheint ein neues Problem herangewachsen zusein: der vermeintliche oder tatsächliche Fachkräfteman-gel. Zunächst einmal ist festzuhalten: Wenn man in denvergangenen Jahren ausreichend Ausbildungsplätze ge-schaffen hätte, gäbe es diesen Mangel heute nicht.
Heute stellt man fest, man könne auf keinen jungenMenschen mehr verzichten. Konnte man das denn je?Offensichtlich konnten sich Unternehmen in Zeiten star-ker Jahrgänge einfach die Besten aussuchen. Der Restwurde abgeschoben. Man konnte ja wählen.
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edenkt man dann noch die Arbeitsbedingungen in die-en Berufsgruppen, dann ist verständlich, warum dieseerufe zu diesen Konditionen heute von jungen Leutenicht mehr gewählt werden. Da funktioniert der Marktben einmal anders herum. Ich finde, das ist auch in Ord-ung.
in anständiger gesetzlicher Mindestlohn könnte da hel-n. Er würde die Attraktivität dieser Berufe erhöhen.Es gibt im vorliegenden Berufsbildungsbericht sehriele beunruhigende Befunde. Ich frage mich: Was kannan dagegen tun? Das Bundesministerium hat eine Ab-ilung „Programmerfindung“ – ich habe das hier schonor einigen Monaten erwähnt –, der es immer noch nichtn Ideen mangelt. Die Programme, die ich jetzt nenne,abe ich alle im Berufsbildungsbericht gefunden: Es gibten Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräf-nachwuchs; er wurde bis 2014 verlängert. Es gibt dieitiative „Abschluss und Anschluss – Bildungskettenis zum Ausbildungsabschluss“, die unter anderem dieerufseinstiegsbegleiter beinhaltet; die Ministerin haties angesprochen.
eitere Programme heißen: EQ Plus, APO, BOP, ÜBS,RENA, VerA und Jobstarter Connect. Ich befürchte,h habe ein paar übersehen. Das alles hört sich lustig an,ber es ist nicht lustig. Es wird immer unübersichtlicher.elches Programm läuft wie lange und richtet sich anen? Hinzu kommen noch die landeseigenen Modell-rojekte und Programme. Wenn die Ministerin heuteagt, man wolle das alles vereinheitlichen, dann warteh gespannt auf den Entwurf, der zeigt, wie diese Ver-inheitlichung aussehen soll. Ich bin skeptisch. Das hierecht nach Vielfalt, klingt nach Vielfalt, aber ich glaube,s ist nur Wirrwarr.
So wird das nichts werden. Auch die Programme, dieun frühzeitig in den Schulen ansetzen sollen, um ab-chlussgefährdeten Jugendlichen zu helfen, sind nichts
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Dr. Rosemarie Hein
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weiter als Reparaturprogramme für ein verfehltes Bil-dungssystem. Wenn in Zukunft immer weniger Arbeits-plätze für Geringqualifizierte vorhanden sein werden,dann muss man für bessere Bildung sorgen. Wir brau-chen das Geld dort, wo die Bildung von Anfang an bes-ser gemacht werden kann,
und das Kooperationsverbot muss fallen, damit die ge-meinsame Verantwortung von Bund und Ländern auchgemeinsam wahrgenommen werden kann.Als Erstes muss sich die Schule ändern, damit mehrbessere Abschlüsse erworben werden können. EinHauptschulabschluss reicht oft nicht mehr. Auch dasÜbergangssystem hilft an dieser Stelle überhaupt nichtweiter. Wir brauchen mindestens solide Realschulab-schlüsse für die Mehrzahl der jungen Menschen und na-türlich mehr Abiturienten.Zweitens brauchen wir endlich einen Rechtsanspruchauf eine qualitativ hochwertige berufliche Erstausbil-dung.Drittens muss es in der Wirtschaft ein solidarischesSystem der Ausbildungsfinanzierung nach dem Vorbildder Bauindustrie geben. Es muss durchgesetzt werden,dass sich alle Unternehmen daran beteiligen.Viertens muss der Unsinn aufhören, dass die eineneine Ausbildungsvergütung bekommen – nicht immereine besonders hohe, aber immerhin eine –, während dieanderen Schulgeld zahlen müssen, um überhaupt eineAusbildung zu erhalten. Darüber schweigt der Berichtübrigens.
Das ist vor allem in den Gesundheitsberufen der Fall,obwohl der Bedarf an Arbeitskräften in diesen Berufenin den nächsten Jahren enorm zunehmen wird.Fünftens muss das Berufsübergangssystem weitge-hend überflüssig gemacht werden; ganz wird man esnicht abschaffen können. Stattdessen brauchen wir aus-bildungsbegleitende Hilfen in den Ausbildungsberufen,beim Gang in die Berufsausbildung. Es ist sinnvoll, dortanzusetzen; denn dort kann es tatsächlich helfen undstellt nicht nur eine Warteschleife dar.Sechstens bedarf es einer schnellen Lösung für die20- bis 29-Jährigen ohne abgeschlossene Berufsausbil-dung; denn hier geht es nicht nur um die individuellenLebensperspektiven – um die geht es natürlich auch –,sondern auch um hohe Folgekosten bis ins Alter.Das sind ganz sicher nur einige der wichtigstenSchritte, die unbedingt gegangen werden müssen. Esgibt sicher noch mehr. Man muss sie umsetzen. Wirmöchten eigentlich nicht bis zum nächsten Bericht war-ten, um dann festzustellen, dass sich wieder nichts getanhat.Ich danke.
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ie wollen eine Perspektive, sie wollen eine Chance, undie wollen nicht nur demografische Daten hören, dieielleicht irgendwann wirksam werden.Die Zahlen sprechen für sich. Einige wurden genannt:85 000 Altbewerberinnen und Altbewerber, 320 000 Ju-endliche im Übergangssystem. Das ist noch nicht alles.ie eigentlichen Zukunftsherausforderungen stehen un-ittelbar bevor. Dazu gehört die Tatsache, dass in die-em Jahr die doppelten Jahrgänge – Stichwort: G 8 – aufen Ausbildungsmarkt strömen. Die Aussetzung vonehrpflicht und Zivildienst führt dazu, dass es ineutschland bald 60 000 junge Männer geben wird, dieusgebildet werden wollen.
uf diese Personengruppen gehen Sie gar nicht ein. Aufie Frage, was die Politik tut, damit diese jungen Män-er nicht auf der Straße und nicht in einer Sackgasse lan-en, sondern eine qualifizierte Ausbildung bekommen,aben Sie noch keine Antwort.
as ist eine Herausforderung, der Sie sich annehmenollten.
Frau Schavan, Sie sagen, dass es günstige Rahmenbe-ingungen gibt. Aber günstige Rahmenbedingungen al-ine helfen bei der Bewältigung dieser Herausforderun-en nur bedingt. All die Zahlen, die ich genannt habees fehlen geschätzt 670 000 betriebliche Ausbildungs-lätze in Deutschland –, machen deutlich: Wir brauchentrukturelle Reformen, um in diesem Bereich voranzu-ommen. Darauf sind Sie leider gar nicht eingegangen.
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Ekin Deligöz
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Sie haben davon gesprochen, dass Sie den Ausbil-dungspakt verlängert haben. Ja, das haben Sie getan.Aber Sie haben keine überprüfbaren Ziele festgelegt.
Sie haben zum Beispiel nicht gesagt: Wir schaffen fürdiese Jugendlichen 60 000 zusätzliche Ausbildungs-plätze.
Das wäre messbar und überprüfbar. Das wäre eine Hand-lungsanweisung für alle Beteiligten gewesen. Davonnehmen Sie aber Abstand. Damit sind wir wieder beimSchönreden und bei leeren Versprechen.Ein anderes Beispiel: die Bildungsketten. Ja, dieseInitiative ist eine sinnvolle, gute Idee. Aber wenn es soist, wie Sie sagen, warum statten Sie sie dann nicht ver-nünftig aus? Warum investieren Sie in diese Initiativenicht so viel Geld, dass sie in ganz Deutschland flächen-deckend wirken kann und nicht bei einigen wenigenLeuchtturmprojekten steckenbleibt? Für Jugendlicheohne Perspektive reichen einige wenige Vorzeigepro-jekte nicht aus. Das ist eine Binsenweisheit.
Wenn 150 000 Jugendliche keinen Ausbildungsplatzhaben, verursacht dies Folgekosten. Das DIW spricht da-von, dass 150 000 nicht ausgebildete Jugendliche zujährlichen Folgekosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euroführen. Damit bin ich bei einem wichtigen Punkt: Es istnicht nur die Aufgabe des Staates – wir reden über einerfolgreiches duales System –, sondern auch die Auf-gabe der Wirtschaft, in diesem Bereich zu agieren. Auchhier muss ein Umdenken stattfinden. Aber dieses Um-denken fällt nicht vom Himmel. An dieser Stelle sindwir wieder bei der Verantwortung der Politik. Wir müs-sen die Menschen überzeugen. Wenn Sie fordern, dasssich gerade Unternehmen mit Migrationshintergrundstärker auf dem Ausbildungsmarkt engagieren – dieseAnsicht teile ich –, dann bedeutet dies auch, dass wir esihnen ermöglichen müssen. Wenn es darum geht, Men-schen zu einer Ausbildung zu befähigen und dafür dierichtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, sind auchdie IHKs gefragt. Hier stehen wir noch halbwegs am An-fang.Wir machen Ihnen einen Vorschlag. Unser Vorschlagheißt „Dual Plus“. Mit diesem Vorschlag gehen wir nichtnur die Umgestaltung des Übergangssystems an. Viel-mehr haben wir vor allem folgende Fragen im Blick:Wie schaffen wir es, dass sich auch kleine und mittlereBetriebe am Ausbildungspakt beteiligen und die Ausbil-dungsverpflichtung eingehen? Wie können wir Qualifi-zierung so organisieren, dass sie überbetrieblich undHand in Hand mit dem dualen System funktioniert? Diedritte wichtige Frage lautet: Wie können wir auch Ju-gendliche, die in einer Sackgasse stecken geblieben sind,kkgIhdsddtireSnklyddsdnzeb1BgssteebspnCnfiZdsEgv
Eine letzte Bemerkung zu Jugendlichen mit Migra-onshintergrund. Die Zahlen zeigen: Sie sind die Verlie-r unseres Ausbildungssystems; sie bleiben auf dertrecke. Was diese Jugendlichen betrifft, sind wir bishericht konkret genug. Auch Ihre Antworten sind nichtonkret genug. Schlimmer noch: Sie entdecken und ana-sieren Probleme, geben aber keine einzige Antwort aufie Frage, wie sie zu lösen sind. Die eine Seite der Me-aille ist, dass wir passgenaue Angebote machen müs-en. Die andere Seite der Medaille ist, dass sich auch iner Kultur dieses Landes etwas verändern muss.Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die ei-en ausländischen Namen haben, dauert es im Vergleichu deutschen Jugendlichen dreimal so lange, bis sie zuinem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, und sieekommen viermal so oft Absagen. Es dauert bis zu7 Monate, bis sie überhaupt eine Einladung zu einemewerbungsgespräch bekommen. Wenn man den Ju-endlichen die Tür vor der Nase schließt, braucht manich nicht zu wundern, wenn sie irgendwann frustriertind. Auch für diese Jugendlichen muss gelten: Sie soll-n sich mit Optimismus bewerben können. Bis wir dasrreicht haben, müssen Sie noch jede Menge Hausaufga-en machen. Es reicht nicht aus, nur auf die demografi-che Entwicklung zu setzen, sondern man muss aucholitisch entschlossen handeln. Dazu haben Sie bis jetztoch keine Konzepte vorgelegt.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-eten! Man kann immer nörgeln und Haare in der Suppenden, Frau Kollegin Ziegler. Wenn wir uns aber dieahlen bei den Altbewerbern und den jungen Menschen,ie im Übergangssystem sind, angucken, kann manchon von einer rot-grünen Erblast sprechen.
s ist eine echte rot-grüne Erblast, dass jeder zweite Mi-rant im Alter zwischen 25 und 34 Jahren in den Jahrenor 2005 keinen Ausbildungsplatz gefunden hat. Neh-
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Eckhardt Rehberg
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men Sie die Zahlen bei den Altbewerbern: Das warenrund 300 000 im Jahr 2005. Im Jahr 2010 waren es185 000. Die Zahl der jungen Menschen im Übergangs-system ist in den letzten fünf Jahren um fast 100 000 zu-rückgegangen. Allein im letzten Jahr ist sie um ein Vier-tel gesunken. Seitdem Frau Schavan für Bildung undForschung in Deutschland Verantwortung trägt, habenwir Erfolge auf diesem Gebiet vorzuweisen. Vorher wardas eher ein Desaster.
Wenn Sie eine objektive Wertung der Politik des Bun-desbildungsministeriums bzw. der Bundesregierung vor-nehmen wollen, dann müssen Sie sich gelegentlich ein-mal den OECD-Bericht aus dem Jahr 2010 vornehmen.Da steht auf Seite 19:Deutschland engagiert sich auf beeindruckendeWeise für die Bewältigung dieser Herausforderung.Das bezieht sich auf die Herausforderung im Rahmendes Übergangssystems. – Dann wird weiter auf folgendeThemen Bezug genommen: Initiative „Perspektive Be-rufsabschluss“, Koordinierung der Übergangsangeboteauf regionaler Ebene, Un- und Angelernte, voll berufs-orientierte Abschlüsse. Das heißt, die OECD konstatiert,dass die Bundesregierung bzw. die Bundesministerin ge-nau den richtigen Weg geht.
Warum müssen wir diesen Weg gehen? Was hat unsdenn in der Krise so stark gemacht? In der Krise hat unsdoch stark gemacht, dass wir ein Industriestandort sind.Wir sind nur deswegen ein erfolgreicher Industriestand-ort, weil die duale berufliche Ausbildung in der Welteinmalig ist. Frau Schavan hat darauf hingewiesen: Wirhaben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit der Industrie-länder, andere haben eine viel höhere. Die duale Ausbil-dung ist eine Basis dafür, dass wir eine so niedrige Ju-gendarbeitslosigkeit haben.
Sie haben auch auf die Wirtschaft Bezug genommen.Wenn uns die Wirtschaft mitteilt, dass sie für 60 000Stellen keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerberhat finden können, und darauf hinweist, dass Erzie-hungsdefizite zu Ausbildungsdefiziten werden, dann istdoch nicht nur an die Politik und die Schule, sondern andie gesamte Gesellschaft die Frage zu stellen: Wie ma-chen wir junge Menschen fit, damit sie den Herausforde-rungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind? Das istnicht nur eine Aufgabe von Schule und Politik, das isteine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Was macht die Politik? Wir haben bis zum Jahr 2014rund 620 Millionen Euro für diesen Bereich eingestellt.Allein für das Jahr 2011 haben wir die Mittel für die Mo-dernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung um30 Millionen Euro erhöht. Was steckt dahinter? Ich willdas an zwei ganz konkreten Beispielen deutlich machen.Erstens geht es um ein Projekt meines sehr geschätz-ten Kollegen Hagemann in der Stadt Worms. Dort wurdeareddtetemwkzgnn„uESVFgpudsLgsaÜsmhäwnsPhkginwe
Kollege Rehberg hat bereits über Erziehungsdefiziteesprochen. Wir wollen doch einmal festhalten, was uns Untersuchungen der unterschiedlichen Institute immerieder zum Besten gegeben wird: Junge Leute, die ininem Haushalt mit einem Einkommen von bis zu
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Willi Brase
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1 550 Euro leben, fallen hinsichtlich der Bildung sozusa-gen unter das wirtschaftliche Risiko. Wenn beide Eltern-teile nicht berufstätig sind, gibt es ein soziales Risiko,und wenn die Eltern weder einen Schul- oder Hoch-schulabschluss noch einen Berufsabschluss haben, danngibt es ein Bildungsrisiko. Man kann das auch andersformulieren: Die Chancen in der Bildung sind heute ex-trem davon abhängig, wie dick das Portemonnaie der El-tern ist. Das ist für eine Gesellschaft wie unsere eineSchande, auf Deutsch gesagt.
Das bedeutet doch nichts anderes, als dass wir – alleFraktionen in diesem Hause tragen in Landesregierun-gen Verantwortung – in den letzten zehn Jahren offen-sichtlich eine Politik gemacht haben, die zumindest ge-gen einen Teil der Menschen in unserem Lande gerichtetwar. Eigentlich müssten wir ein Stück weit in Demut ge-hen, weil wir es nicht geschafft haben, allen jungenMenschen eine vernünftige Bildung zu ermöglichen.Es gibt eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlinfür Sozialforschung, in der es heißt: Sparen bei der Be-rufsbildung kostet den Staat Milliarden. – Wenn wir esnicht schaffen, dass alle jungen Leute eine Berufsausbil-dung erhalten und einen Berufsabschluss machen, dannwerden wir in den nächsten zehn Jahren bis zu15 Milliarden Euro an gesellschaftlichen Folgekosten zutragen haben. Allein diese Zahl sollte uns ermuntern,endlich zu handeln und ein paar Dinge voranzubringen.Die wirtschaftliche Situation ist gut. Was macht dieRegierung? Sie kürzt die Mittel für den Eingliederungs-titel.
Das ist schlecht. Ich will Ihnen sagen, was aus unsererSicht notwendig ist:Erstens. Ich glaube, dass das „Recht auf Ausbildung –kein Abschluss ohne Anschluss“ absolut richtig ist. Al-len jungen Leuten muss eine Perspektive gegeben wer-den.
Zweitens. Wir wollen die Berufsorientierung ab dersiebten Klasse für alle Schulen und nicht nur für die so-genannten Risikoschulen zur Pflicht machen. Teilweisewird das schon auf den Weg gebracht. Bisher ist dabei an30 000 Schülerinnen und Schüler gedacht; aber es gibtnoch viel mehr. Hier wäre es gut, wenn die Bundesregie-rung gemeinsam mit den Bundesländern endlich Initiati-ven ergreifen würde, damit alle Schülerinnen und Schü-ler von dieser Maßnahme profitieren.
Drittens. Wir wollen ein regionales Bildungsmanage-ment; denn wir wissen: Ausbildungsmärkte sind regio-nale Märkte – das waren sie, das sind sie, und das wer-den sie immer bleiben. In den Kommunen weiß man ambgnsulitrv6ruHgSd2nbsadsPwMuriUvkte–HnssmwwDgsk
Jetzt wollen Sie die Steuern nicht mehr senken, sagterr Rösler. Gestern hat Herr Brüderle, der „Weinkö-ig“, wieder gequakt: Wir wollen die Steuern wiederenken. – Hören Sie auf! Werden Sie sich erst einmalelbst einig!73 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sieit einer leichten Steuererhöhung einverstanden wären,enn in der Bildung endlich etwas auf den Weg gebrachtürde.
ieselben Personen haben auf eine entsprechende Frageeantwortet: Wir halten es für absolut notwendig, dassozial Benachteiligte in unserer Gesellschaft aufsteigenönnen. – Es war einst ein Merkmal dieses Landes, dass
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auch Kinder aus Arbeiterfamilien wussten, dass sie mitetwas Anstrengung die Chance haben, nach oben zukommen. Diese Chance ist nicht mehr für alle gegeben.
70 Prozent der Befragten haben sehr deutlich zumAusdruck gebracht, dass es richtig ist, den jungen Leuteneine Berufsausbildungsgarantie zu geben. Lassen Sieuns diesen Weg gehen.Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Sylvia Canel für die FDP-Fraktion.
Mein lieber Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Bildung ist ein lebendiger Prozess. So lebendig, wiewir hier sitzen, so lebendig ist auch dieser Prozess.
Wir beginnen mit der frühkindlichen Bildung und brau-chen Übergänge in Aus-, Fort- und Weiterbildung.Wir haben es mit einer riesigen rot-grünen Erblast zutun. Ja, Herr Rehberg, Sie haben völlig recht. Das darfnicht bestritten werden; das muss hier einmal gesagtwerden.
Notwendig ist, dass die frühkindliche Bildung endlichvom Kopf auf die Füße gestellt wird. Das ist bisher inkeinem Bundesland wirklich gelungen. Selbstverständ-lich müssen wir zuallererst diejenigen fragen, die in denBundesländern in Regierungsverantwortung sind, wa-rum das nicht geschehen ist.
Die grundlegenden Weichen des gesamten Bildungs-systems bzw. der gesamten Bildungslaufbahn werdendeshalb ganz am Anfang gestellt, weil dadurch eine be-sonders gute Integration und frühkindliche Förderungsozial schwacher Kinder möglich wird. Wir können siebesonders gut erreichen und das ausgleichen, was die El-ternhäuser nicht leisten. Wir müssen deshalb darauf einbesonderes Augenmerk haben – und fördern, fördern,fördern. Denn den Reparaturbetrieb, von dem zu lesenist, dürfen wir uns nicht länger erlauben.
Kinder früh stärken heißt, Perspektiven zu eröffnen.Wenn wir Perspektiven eröffnen, gelingen auch dieÜbergänge. Übergänge sind besonders kritische Situatio-nedSswAdDuksdDzsKk2MKWcsdmwAInAhdQteShbfiindfazusruEDlebv
Der Berufsbildungsbericht erhebt die Herstellung vonurchlässigkeit zur zentralen Forderung. Das ist auchnsere zentrale Forderung. Gerade angesichts des zu-ünftigen Fachkräftemangels aufgrund des demografi-chen Wandels müssen wir in der frühkindlichen Bil-ung die Rahmenbedingungen schaffen, die nötig sind.as heißt, wir brauchen eine bessere Ausbildung für Er-ieherinnen und Erzieher, und wir müssen qualitativ bes-ere Rahmenbedingungen schaffen, damit Eltern ihreinder in den entsprechenden Einrichtungen abgebenönnen.Die Zahl der Schüler wird sich bis 2025 um knapp0 Prozent verringern. Das steht im Bildungsbericht.an könnte meinen, Deutschland habe heute zu vieleinder; denn in Zukunft wird jedes fünfte Kind fehlen.ir können die Qualität im Bildungswesen nur dann si-hern, wenn wir diese demografische Rendite dort belas-en. Das ist unsere Forderung. Wir dürfen aus dem Bil-ungsbereich keine Gelder abziehen. Wir müssenindestens die Summe, die wir heute investieren, aucheiterhin in die Bildung investieren.Dass dies dringend notwendig ist, zeigt die DIHK-usbildungsumfrage, die in dieser Woche erschienen ist. dieser Ausbildungsumfrage wurde die mangelndeusbildungsreife der Schulabgänger als Ausbildungs-emmnis Nummer eins benannt. Mehr als drei Vierteler Unternehmen beklagen die unzureichende schulischeualifikation und die mangelnden persönlichen Kompe-nzen der Bewerber. Das heißt: Zu der schlechtenchulausbildung kommt auch noch eine schlechte Erzie-ung hinzu. Das wiederum kennzeichnet den Reparatur-etrieb, den wir uns nicht länger leisten dürfen. Das De-zit beginnt bei der frühkindlichen Bildung, es setzt sich den Schulen fort und reicht bis hin in die weiterbil-enden Anstalten. Wir müssen dazu kommen, am An-ng mehr zu investieren und die frühkindliche Bildungu fördern.
Wenn nun die Zahl der Auszubildenden rückläufig istnd diese oftmals nicht ausbildungsreif sind, dann ergibtich eine doppelte Schieflage. Die individuelle Förde-ng in den Schulen muss gesteigert werden, damit jederinzelne die Chance hat, einen Abschluss zu erreichen.azu gehört die Erziehungsunterstützung in den Schu-n, und dazu gehören Rahmenbedingungen, die vielesser sein müssen als die, die wir heute in den Schulenorfinden.
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Sylvia Canel
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Die Potenziale aller Schüler müssen gehoben werden.Früh müssen Perspektiven entwickelt werden, und dieBerufsorientierung in den Schulen muss früher erfolgenund deutlich gestärkt werden. Dazu gehören eine engereVernetzung der Schulen mit ihrem Umfeld und eine stär-kere Kooperation mit den Unternehmen vor Ort. Dasmuss – auch das sagt die PISA-Studie der OECD, undauch wir haben das schon länger immer wieder erklärt –Hand in Hand mit der Eigenständigkeit der Schulen ge-hen. Die erfolgreichsten Länder sind diejenigen Länder,in denen die Schulen ein hohes Maß an Eigenständigkeithaben, Eigenständigkeit zur individuellen Förderung, Ei-genständigkeit, möglichst früh mit der Förderung zu be-ginnen, und Eigenständigkeit, um mit den Unternehmenzu kooperieren, damit die Berufsbildung früher beginnenkann.
Die Durchlässigkeit von der Lehre zur Hochschulemuss verbessert werden. Auch diejenigen, die aus nicht-akademischen Berufen kommen, müssen die Möglich-keit erhalten, in der Universität einen höheren Abschlusszu erlangen. Genau dieses Segment müssen wir stärken.Wir müssen für all diejenigen offen sein, die in ihre ei-gene Bildung investieren; deshalb müssen auch wir inBildung investieren.Die Wissensgesellschaft erfordert eine gute Bildungfür alle von Beginn an. Jedem einzelnen jungen Men-schen muss die beste Bildung zuteilwerden. Den positi-ven Trend, der von diesem Bildungsbericht ausgeht,müssen wir verstetigen. Es gibt viel zu tun. Ich denke,dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Das Wort hat nun Brigitte Pothmer für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauSchavan, Sie haben darauf hingewiesen, dass es einepositive Entwicklung gibt. Ich bin die Letzte, die daskleinreden will. Aber diese positive Entwicklung habenwir im Wesentlichen der demografischen Entwicklungund dem wirtschaftlichen Aufschwung zu verdanken. Esist mir sehr wichtig, Sie darauf hinzuweisen, dass alleExperten davon ausgehen, dass wir es bei denjenigen,die es in die Ausbildung geschafft haben, auch mit Crea-ming-Effekten zu tun haben.Wir steuern auf eine verfestigte Jugendarbeitslosig-keit zu, wenn wir nichts tun.
Frau Schavan, wenn 17 Prozent einer Alterskohortekeine Ausbildung haben, dann ist das ein riesiges volks-wirtschaftliches Problem, vor allem vor dem Hinter-gLmnkaliÜdDmdÜcgÜngtugsudztevggWdgBSdwsddSm
Jetzt will ich als Erstes ein ganz deutliches Bekennt-is zum dualen System abgeben. Das duale System istut, ja,
aber leider nicht für alle. Das duale System hat struk-relle Probleme. In einer Krise bilden Betriebe die Ju-endlichen nicht als Fachkräfte aus, die wir für den Auf-chwung brauchen.
Das ist ein strukturelles Problem.Zweitens. Viele der kleinen Dienstleistungsbetriebend viele der Neugründungen sind gar nicht in der Lage,as gesamte Spektrum einer Ausbildung zur Verfügungu stellen. Die fallen quasi als Beteiligte des dualen Sys-ms heraus. Das ist ein strukturelles Problem.Zu Recht beklagt die Wirtschaft immer wieder, dassiele der Jugendlichen keine Ausbildungsreife mitbrin-en. Deswegen müssen wir dem dualen System eine Er-änzung an die Seite stellen.
eil die Folgekosten extrem hoch sind – sie werden inen nächsten Jahren 15 Milliarden Euro betragen –, sa-en wir: Lassen Sie uns das Übergangssystem in eineerufsausbildung mit Kammerabschluss überführen.chieben Sie die Jugendlichen, die jetzt keinen Ausbil-ungsplatz im dualen System bekommen haben, nichteiter in dieses perspektivlose Übergangssystem ab,ondern legen Sie ein Sofortprogramm auf, mit demiese Jugendlichen in einer überbetrieblichen Ausbil-ungswerkstatt nach einem ganz veränderten und neuenystem eine Ausbildung mit Kammerabschluss bekom-en!
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Kamp [FDP]: Das wollen Sie doch gar nicht!Damit haben Sie immer was zu schimpfen!)Die Ausbildung muss modularisiert werden. Die Aus-bildung in den überbetrieblichen Ausbildungswerkstät-ten braucht sehr hohe Praxisanteile. Insgesamt muss je-der Jugendliche, der jetzt arbeitslos ist, vom Jobcentersofort ein Angebot für eine Ausbildung bekommen. Wirsteuern auf ein Problem zu, das lautet: extrem hoherFachkräftemangel bei gleichzeitig hoher Jugendarbeits-losigkeit. Frau Schavan, das ist nicht im Sinne der Volks-wirtschaft, und das können Sie im Hinblick auf die indi-viduellen Chancen, die die Jugendlichen verdient haben,nicht zulassen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Albert Rupprecht für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Frau Pothmer, Ihre Zustandsanalyse war nichts,was sich im Berufsbildungsbericht 2011 widerspiegelt.Die wesentlichen Ergebnisse dieses Berichts sind: Esgab 2010 deutlich mehr Ausbildungsplätze als erwartet.Die Zahl der Jugendlichen in Warteschleifen ist drama-tisch gesunken. Auch 2011 geht es aufwärts. Wir erwar-ten 14 Prozent mehr Ausbildungsplätze. Das sind sehrgute Nachrichten für unsere Jugendlichen.
Die demografische Entwicklung ist eine Ursache fürdie guten Ergebnisse, aber bei weitem nicht die einzige.Wir erleben, dass in fast allen europäischen Ländern dieZahl der Jugendlichen demografiebedingt sinkt. Wir er-leben auch, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Europasehr unterschiedlich ist: In Deutschland liegt sie bei7 Prozent; in Frankreich, Spanien, Griechenland, Italien,Belgien, Schweden und vielen anderen europäischenLändern beträgt sie dagegen 20 bis 40 Prozent. Manspricht in diesen Ländern von verlorenen Generationen.Während die Länder um uns herum in Schulden undin Arbeitslosigkeit versinken, ist Deutschland unter derKanzlerschaft von Angela Merkel gestärkt aus den gro-ßen Krisen – aus der Wirtschaftskrise, der Finanzkriseund der Euro-Krise – hervorgegangen.
Diese Stärke kommt am Ausbildungsmarkt an. UnsereJugendlichen werden gebraucht. Die Zukunftsaussichtenunserer Jugendlichen sind so gut wie selten zuvor.Die zweite Ursache für die sehr guten Jugendarbeits-losigkeitswerte in Deutschland im Vergleich zu anderenLändern ist das nach wie vor exzellente duale Ausbil-dungssystem. An dieser Stelle muss ein Dank all denje-nrüAGbmkdddruncEsZSDaWAhnBs2d1gSkrehinkdimgcDtiaBsu
ir konnten in den letzten beiden Jahren die Zahl derltbewerber zwar um 30 Prozent verringern – das ist einervorragender Wert –, aber es sind in der Tat immeroch zu viele. Beim Dresdner Bildungsgipfel haben dieundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten beschlos-en, dass die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss bis015 von 8 auf 4 Prozent halbiert wird und dass ebensoie Zahl der Jugendlichen ohne Berufsabschluss von7 auf 8,5 Prozent halbiert wird. Ich finde, das sind ehr-eizige Ziele.Das Herzstück unserer Maßnahmen ist – Ministerinchavan hat es dargestellt – das Konzept der Bildungs-etten. Wir nehmen die gefährdeten Kinder künftig be-its in der siebten Klasse an die Hand – wesentlich frü-er als bisher – und begleiten sie kontinuierlich unddividuell in die Ausbildungszeit hinein. Frühzeitig,ontinuierlich und individuell, das ist die neue Qualitäter Bildungsketten.
Richtig ist auch, dass wir die Vielzahl der Programme Übergangssystem überarbeiten müssen. Deswegenilt es, nicht alles zur Seite zu schieben und kaputtzuma-hen, sondern, herauszufinden, was erfolgreich war.
as muss ausgebaut werden. Darüber hinaus gilt, zu sor-eren, welche Programme erfolglos waren, und die Kraftufzubringen, diese zu streichen. Wir erwarten von derundesregierung zeitnahe, inhaltlich überzeugende Be-chlüsse. Darüber hinaus erwarten wir von den Ländernnd von den Kommunen, dass sie sich gemeinsam mit
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Albert Rupprecht
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der Bundesregierung an einen Tisch setzen und denWildwuchs, der zu Recht kritisiert wurde, beenden.Bei der Erreichung der Dresdner Ziele trägt der BundVerantwortung. Ganz klar ist: Die Länder haben dieHauptverantwortung.Wenn wir die Schulabbrecherquoten anschauen, dannzeigt sich wieder das klassische Bild: Die besten Wertehaben die unionsgeprägten Länder Baden-Württembergund Bayern und in Ostdeutschland die unionsgeprägtenLänder Thüringen und Sachsen. Wenn wir bis 2015 dieDresdner Ziele erreichen wollen, dann müssen auch dieschlechten Bundesländer massiv Gas geben.Frau Ziegler, Sie hatten in Brandenburg über Jahre alsMinisterin Verantwortung. Brandenburg ist eines derLänder, die absolut miserable Werte abgeliefert haben.
Die Kinder im SPD-geführten Brandenburg sind nichtdümmer als die Kinder aus dem CDU-geprägten Sach-sen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum letzten Satz. – Deswegen ist es Auf-
gabe der Länder, in die Pötte zu kommen. Ich sage es
noch einmal: Insbesondere die SPD-geführten Länder,
die bis dato miserable Werte abliefern, müssen ihre Ar-
beit in diesem Bereich verbessern.
Danke schön.
Das Wort hat nun Oliver Kaczmarek für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade istder Satz gefallen, dass die Zukunftsaussichten für jungeMenschen selten so gut waren, wie das im Moment derFall ist. Das mag für einige zutreffen; die Lebenswirk-lichkeit für viele Jugendliche sieht aber leider andersaus, und einige von denen wohnen auch in Bayern oderBaden-Württemberg.
Deswegen nützt es nichts, wenn wir hier die Zahlenschönreden und Erfolge betonen; wir müssen die Le-benswirklichkeit junger Menschen zur Kenntnis nehmenund die Probleme benennen. Das will ich bei zwei The-men auch tun.
SajeNintivBnmdZsegSihAgsdsBszteKwlafüwMIhsPssnmBswnmjudFW
ur jedem Vierten gelingt der Übergang von der Schule die Ausbildung problemlos. Es gehört zu den gern zi-erten Binsenwahrheiten, dass wir trotzdem auf keinenon ihnen verzichten können. Ich glaube schon, dass dererufsbildungsbericht einige richtige Maßnahmen be-ennt, aber die Herausforderung ist weiter gehend. Wirüssen noch entschlossener und vor allem rechtzeitigarauf reagieren.Ich will dazu ein Beispiel nennen. Frau Kolleginiegler und auch Frau Kollegin Canel haben hier geradechon darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, frühzeitiginzugreifen, etwa in der Schule spezifische Problemla-en anzupacken. Deshalb war und ist es richtig, mitchulsozialarbeitern die Schulen darin zu unterstützen,re Integrationsarbeit und auch die Vorbereitung auf dierbeitswelt zu verbessern, zu intensivieren.
Es gehört zur Wahrheit dazu, dass wir als SPD zu Be-inn dieses Jahres die 3 000 Stellen im Vermittlungsaus-chuss nur durchsetzen konnten gegen den Widerstander Koalition und auch gegen den anfänglichen Wider-tand der zuständigen Ministerin, die das noch auf demildungsgipfel 2008 abgetan hat. Wir müssen jetzt dafürorgen, dass die Kommunen nach 2013, wenn die Finan-ierungszusage des Bundes ausläuft, diese Stellen erhal-n können. Wir müssen die Zusage geben, dass dieommunen die Stellen weiter finanziert bekommen undir die Kommunen bei dieser Aufgabe nicht im Stichssen.
Ausbildung und Arbeit sind zentrale Voraussetzungenr gesellschaftliche Teilhabe. Gerade deshalb ist esichtig, politische Maßnahmen für junge Menschen mitigrationshintergrund zu ergreifen, um ihnen zu zeigen:r gehört zu uns. Ihr seid wichtig für unsere gemein-ame Zukunft. Deshalb helfen wir euch dabei, einenlatz in der Gesellschaft und eine Zukunft in dieser Ge-ellschaft zu finden. – Das muss unser politischer An-pruch sein, und das ist unser politischer Ansatz. Daützt es nichts, die Zahlen ansonsten schönzureden; wirüssen politisch handeln.
Ein zweites Thema. Viele Unternehmen haben denedarf an Fachkräften erkannt und geben jungen Men-chen nach der Ausbildung die Möglichkeit, in die Er-erbstätigkeit überzugehen. Aber wir dürfen die Augenicht davor verschließen, dass sich ein anderer Trend im-er weiter verstärkt. Wie ist es denn mittlerweile fürnge Menschen, die mit 20 Jahren ihre Berufsausbil-ung abgeschlossen haben, die vielleicht mit ihrerreundin oder ihrem Freund in die erste gemeinsameohnung ziehen und die Grundlagen für die spätere Fa-
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Oliver Kaczmarek
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milienplanung legen wollen? Wie ist das für sie im wirk-lichen Leben?
Für viele junge Menschen wird das Ende der Ausbil-dung zur Zitterpartie. Mehr als ein Drittel von ihnensteht danach auf der Straße. Das ist die Wirklichkeit.Viele bekommen nur einen befristeten Vertrag oder kön-nen lediglich als Leiharbeitnehmer zu schlechteren Kon-ditionen im gleichen Betrieb bleiben. Das ist ein Zu-stand, der – das ist hier gerade schon benannt worden –gesellschaftlich und volkswirtschaftlich nicht zulässigsein sollte und den wir politisch ernsthaft diskutierenmüssen.
Die sogenannte zweite Schwelle nach der Ausbildungist ein Thema für den Deutschen Bundestag; das müssenwir politisch konsequent in den Blick nehmen:Erstens. Das Ziel ist natürlich die unbefristete Über-nahme; denn nach einer mehrjährigen Ausbildung imBetrieb braucht es eigentlich keine Probezeit mehr. Dieunbefristete Übernahme wäre für die jungen Menscheneine vernünftige Perspektive.
Zweitens. Leih- und Zeitarbeit dürfen nicht zum Dau-erzustand für einen immer größer werdenden Teil derjungen Generation werden. Über dieses Thema habenwir oft genug gesprochen.Drittens. Es zeigt sich immer häufiger, dass insbeson-dere junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befris-tete Arbeitsverhältnisse angeboten bekommen – ohneBegründung. Das geschieht nicht, weil es unternehme-risch notwendig wäre, sondern deshalb, weil es rechtlichmöglich ist. Aus diesem Grunde ist es wichtig und rich-tig – auch darüber haben wir im Plenum schon gespro-chen –, dass die sogenannte sachgrundlose Befristungendlich gestrichen wird.
Junge Menschen, deren Wunsch es ist, nach Bildungund Ausbildung auf eigenen Füßen zu stehen, die eineFamilie gründen wollen – was sie auch sollen und waswir politisch unterstützen –, die sich zugleich weiterbil-den und für die Einhaltung des Generationenvertrageseinstehen sollen, die also am Beginn der sogenanntenRushhour des Lebens stehen, brauchen Perspektiven undSicherheit. Wenn dieses zentrale Versprechen der sozia-len Marktwirtschaft – wenn du Leistung bringst, dannbekommst du auch materielle Sicherheit – nicht einge-halten wird, dann wird die Akzeptanz sinken. Deswegenist politische Eile geboten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Uwe Schummer für die CDU/CSU-
Fraktion.
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Wir wissen: Gut fördert, wer früh fördert. Wir habeniele Themen, über die wir, auch mein geschätzter Kol-ge Willi Brase,
ier seit Jahren sprechen, in Angriff genommen. Wir ha-en ein Bildungspaket aufgelegt, um besonders die,5 Millionen Kinder und Jugendlichen zu fördern, dieus Familien kommen, die ihre Kinder nicht entspre-hend unterstützen können. Zu dem Paket gehören daschulstarterpaket, die Schulspeisung, unterstützendernterricht und weitere Maßnahmen. Mit dieser frühzei-gen Förderung über die Kommunen versuchen wir, zuerhindern, dass negative Sozialkarrieren von einer Ge-eration auf die nächste übergehen, und wir versuchen,en Ausstieg aus Hartz IV und den Aufstieg durch Bil-ung zu organisieren. Unsere christlich-liberale Koali-on hat dieses Thema verstärkt in Angriff genommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12187
Uwe Schummer
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Wir, die wir leidend vom Niederrhein bei Düsseldorfkommen, müssen feststellen: Nachdem der Bund dieSchulspeisung für Kinder und Jugendliche aus hilfebe-dürftigen Familien organisiert hat, streicht die rot-grüneLandesregierung diese.
51 Millionen Euro werden ersatzlos gestrichen. Das istIhre Doppelstrategie: In Berlin fordern Sie Geld, und inDüsseldorf, wo Sie regieren, streichen Sie die Mittel er-satzlos.
In der Opposition den Lautsprecher machen und sichdort, wo Sie regieren, als Leisetreter aus dem Staube ma-chen: Das ist Ihre Mentalität, Herr Schulz. Das erlebenwir nicht nur in Düsseldorf, sondern auch in Berlin.Gut fördert, wer systematisch fördert. Deshalb gibt esdie Bildungsketten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Oppermann?
Ich weiß, Herr Kollege Oppermann, dass Sie mir
mehr Redezeit gönnen. Aber ich komme mit meiner Re-
dezeit aus. Vielen Dank für Ihr Angebot.
Wir organisieren mit den Ausbildungsketten endlich
eine systematische Förderung beim Übergang von der
Schule in den Beruf. Das wirkt natürlich motivierend:
Der Jugendliche merkt, dass er durch eine berufsqualifi-
zierende Maßnahme eine Perspektive bekommt und dass
er kein Hartzer wird. Er wird deswegen in der Schule
stärkere Anstrengungen unternehmen, um den Ab-
schluss zu schaffen.
Wir müssen gemeinsam organisieren, dass die Abbre-
cherquote bei den Auszubildenden von derzeit 22 Pro-
zent abgesenkt wird. Die Hälfte derer, die ihre Ausbil-
dung abbrechen, tun dies deswegen, weil sie den
falschen Beruf gewählt oder weil sie den falschen Be-
trieb gefunden haben.
Die Ausbildungsketten bedeuten einen systemati-
schen Übergang zur beruflichen Qualifizierung und sind
daher bitter notwendig. Wir fördern frühzeitig mit dem
Bildungspaket, und wir fördern systematisch mit den
Bildungsketten. Das ist die Botschaft des Berufsbil-
dungsberichts, die wir gemeinsam unterstützen sollten.
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Bitte schön, Herr Kollege Schummer.
Die Kritik, die ich geäußert habe, bezog sich auf das
rsatzlose Streichen. Wir sind uns doch darin einig, dass
ir mit dem Bildungspaket die Bildungsausgaben von
und, Ländern und Kommunen insgesamt erhöhen wol-
n. Wenn also durch das Ausweiten von Bundesmitteln
uf Landesebene Gelder eingespart werden, dann ist un-
ere Erwartung als Bildungs- und Forschungspolitiker,
ass die so eingesparten Mittel – in Düsseldorf sind es
1 Millionen Euro – beispielsweise für den Förderunter-
cht oder für andere Maßnahmen zur Unterstützung von
indern und Jugendlichen eingesetzt werden
nd nicht ersatzlos gestrichen werden. Sie aber streichen
iese Mittel in Düsseldorf ersatzlos.
Das Wort hat nun Kollegin Katja Mast für die SPD-raktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir von der SPD führen die Diskussion über den Berufs-
bildungsbericht mit dem Ziel: Keiner darf verloren ge-
hen; kein Jugendlicher darf ohne Schulabschluss und
ohne Berufsabschluss ins Leben entlassen werden. Das
ist unser Ziel, und das unterscheidet uns von Ihnen.
1,5 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und
29 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Das wurde
heute schon mehrfach erwähnt. Aber ich habe keine Ant-
wort von der Bundesregierung auf die Frage gehört, wie
dieses Problem behoben werden soll. Wir fordern ein
Bundesprogramm, das diesen jungen Menschen eine
zweite Chance gibt, damit die Wirtschaft die Fachkräfte,
die sie braucht, um unseren Wohlstand zu erhalten, fin-
det und qualifiziert. Was aber machen Sie als Bundes-
politiker gegen den Fachkräftemangel?
Ich finde es wirklich sehr bedauerlich, dass aus-
schließlich Frau Ministerin Schavan hier ist; Frau von
der Leyen, die bei diesem Thema ebenfalls viel Verant-
wortung trägt, ist heute nicht anwesend.
Herr Fuchtel, ich sehe schon, dass Sie da sitzen; aber das
Thema ist mir so wichtig, dass ich gerne die „Führungs-
attention“ der Ministerin hätte und nicht nur die des
Staatssekretärs.
Warum sage ich das? Wir Bundestagsabgeordnete tragen
die Verantwortung für den Bundeshaushalt; sehr viel Bil-
dungs- und Weiterbildungspolitik wird nicht im Haus-
halt von Frau Schavan verantwortet, sondern im Haus-
halt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Schauen wir uns an, was in den nächsten Jahren pas-
sieren soll: Im Zeitraum von vier Jahren sollen 22,5 Mil-
liarden Euro in der aktiven Arbeitsmarktpolitik gespart
werden.
Das heißt, Sie wollen in der Arbeitsmarktpolitik das För-
dern abschaffen und es beim Fordern belassen: Sie wol-
len die Schaffung von Ausbildungsplätzen und die be-
rufliche Weiterbildung nicht mehr unterstützen;
Sie wollen kein Programm der zweiten Chance für die
angesprochenen 1,5 Millionen jungen Erwachsenen zwi-
schen 20 und 29 Jahren. Das ist die Konsequenz Ihrer
Sparpolitik im Bund.
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ie sagen, es solle hier eine Kofinanzierung der Kom-
unen geben; aber Sie haben die Kommunen vorher mit
ren ganzen Steuersenkungen geschröpft.
oher soll denn das Geld für die Unterstützung der Aus-
ildungsfähigkeit der jungen Leute kommen? Das ist
och die Frage; das ist ein Thema, über das wir diskutie-
n müssen, wenn es darum geht, Jugendlichen eine
hance zu geben. Keiner darf verlorengehen.
Wir müssen den Blick nach vorne richten und eine
llianz für Fachkräfte in der Bundesrepublik Deutsch-
nd schaffen. Da versagt Ihre Regierung. Es ist schön,
ich hinzustellen und zu sagen: Wir haben viele Einzel-
rojekte. Wir brauchen aber ein Programm zur Stärkung
er zweiten Chance. Wir brauchen ein System des Über-
angs. Diese Übergangszeit sollte auf die Ausbildung
ngerechnet werden; sie sollte nicht additiv vor die Aus-
ildung geschoben werden.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Wir müssen da-
r sorgen, dass kein Jugendlicher in Deutschland mehr
ie Schule ohne Schulabschluss verlässt. 2009 gab es bei
ns 60 000 Jugendliche, die die Schule ohne Haupt-
chulabschluss verlassen haben. Die Bertelsmann-Stif-
ng hat festgestellt: Davon finden nur 20 000 einen
usbildungsplatz. Das sind die Hilfeempfänger von
orgen; hier sind Ihre Investitionen notwendig. Wir
rauchen nicht nur schöne Worte und kalte Taten, wie
ir sie bei dieser Regierung leider viel zu oft erleben.
Das Wort hat nun Nadine Schön für die CDU/CSU-raktion.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum: Das haben
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12189
Nadine Schön
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die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für das lau-fende Jahr vorausgesagt. Das sollte uns alle freuen. Dennein robustes und gesundes Wachstum sichert die Zu-kunftsfähigkeit unseres Landes; darüber waren wir unsam Mittwoch im Wirtschaftsausschuss bei der Diskus-sion des Frühjahrsgutachtens fast alle einig.
Wir waren uns einig: Es gibt einige Risiken, die diesepositive Entwicklung abbremsen und gefährden können.Eines dieser Risiken ist der drohende Fachkräftemangel.Sehr geehrte Damen und Herren, der Fachkräfteman-gel wird in den nächsten Jahren eines der entscheidendenThemen für unsere gesamte deutsche Wirtschaft werden –vom kleinen Schlosserbetrieb bis zum großen Chemie-konzern. Wir alle wissen, es braucht ein Bündel vonMaßnahmen, um diesem Fachkräftemangel zu begeg-nen. Eine ganz entscheidende Maßnahme ist mit Sicher-heit die berufliche Bildung. Fachkräftesicherung durchberufliche Bildung, das heißt Ausbildung, und das heißtauch lebenslange Fort- und Weiterbildung.Zum Thema Ausbildung ist vieles gesagt worden. Esgibt viel Licht, und ja, es gibt auch Schatten. Das ist indieser Debatte deutlich geworden. Die positive Nach-richt ist aber doch, dass uns auch der demografischeWandel mit dem drohenden Fachkräftemangel dabeihilft, noch mehr Licht dahin zu bringen, wo vorherSchatten war. Der demografische Wandel gibt uns dieChance, auf die jungen Menschen zuzugehen und ihneneine Ausbildungsperspektive zu geben, die es vorherschwerer hatten. Liebe Kollegin Pothmer, ich weiß garnicht, was daran schlecht sein soll.
Das betrifft in erster Linie die Altbewerber, das be-trifft Jugendliche mit besonderen Problemen, und dasbetrifft Jugendliche mit Migrationshintergrund. Diesedrei Gruppen stehen noch stärker als zuvor im Fokus derBemühungen. Nicht nur die Politik, sondern auch dieWirtschaft sieht sich diesen jungen Menschen gegenüberin der Pflicht. Deshalb bilden sie einen Schwerpunktbeim nationalen Ausbildungspakt, der im letzten Jahrverlängert wurde. Das sind nicht nur Lippenbekennt-nisse. Das sieht man an den Zahlen.Die Zahl der Altbewerber ist in den vergangenen Jah-ren um ein Drittel reduziert worden. Ja, es gibt noch185 000 Altbewerber. Für jeden dieser 185 000 ist esschlimm, wiederholt keinen Ausbildungsplatz gefundenzu haben. Das will ich gar nicht kleinreden. Aber 2008waren es noch über 260 000. Jeder dieser jungen Men-schen, der nun eine Perspektive hat, ist eine Erfolgsge-schichte, und hinter jedem dieser jungen Menschen ste-hen ein engagierter Betrieb und ein Team vonPädagogen und engagierten Sozialarbeitern, die diesenWeg ermöglicht haben. All denjenigen sollten wir heuteMorgen ein großes Dankeschön senden.
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ass wir trotz Wirtschaftskrise eine so geringe Jugend-rbeitslosigkeit haben, niedriger als in allen anderen eu-päischen Ländern, und dass wir Jahr für Jahr mehr Ju-endliche in betriebliche Ausbildung vermitteln, ist einroßer Erfolg. Das dürfen Sie gern auch einmal anerken-en.
Wenn wir über Fachkräfte sprechen, dann geht esuch darum, leistungsstarke Jugendliche für eine Ausbil-ung zu begeistern. Das Handwerk hat mit einer sehr gu-n Kampagne vorgelegt, in der es darauf aufmerksamacht, dass es gerade in Handwerksbetrieben innovativend zukunftsträchtige Berufe und viele Chancen gibt.460 000 Innovationen. Und das Patentamt haben wiruch gebaut“ – das ist einer der Slogans, der für die In-ovationskraft des Handwerks mit seinen attraktiven Be-fen wirbt. Diese Attraktivität zu erhöhen, ist auch Auf-abe der Politik. Hier können wir unterstützen: zumrsten durch eine bessere Durchlässigkeit des Systems,um Zweiten durch bessere Berufsorientierung auch anymnasien und zum Dritten vor allem dadurch, dass wirusbildung im dualen System wertschätzen und alsichtigen Baustein unserer Wirtschaft auf Augenhöheit den Akademikern anerkennen. Die Ministerin hat esesagt: Dazu gibt der Nationale Qualifikationsrahmenelegenheit.
Abschließend will ich einen Teil der beruflichen Bil-ung erwähnen, der heute leider nicht angesprochenurde, aber sehr wichtig ist. Das ist das Thema der Fort-nd Weiterbildung. Der Berufsbildungsbericht widmetich diesem Bereich mit einem eigenen Kapitel. Wäh-nd der Kurzarbeit haben beispielsweise bei uns imaarland viele Arbeitnehmer Weiterbildungsangeboteenutzt. Das hat mit dazu geführt, dass wir stärker auser Krise herausgekommen sind, als wir hineingegangenind.
eiterbildung und lebenslanges Lernen sollen ineutschland selbstverständlich sein. Die Politik mussazu Rahmenbedingungen schaffen, Anreize setzen. Dererufsbildungsbericht stellt die Initiativen dar. Rein-chauen lohnt sich. Die Fort- und Weiterbildung istbenfalls ein wichtiger Faktor gegen Fachkräftemangel.as sollten wir noch stärker forcieren.
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12190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
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Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men.
Nadine Schön (CDU/CSU):
Liebe Kollegen, ich komme zum Schluss. – In einem
dynamischen Land mit einem hohen Bedarf an Fachkräf-
ten brauchen wir alle Menschen. Deshalb sollten wir uns
gemeinsam dafür einsetzen.
Vielen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Kollegen Michael Kretschmer für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Am Ende dieser Debatte ist es gut, die Sachennoch einmal zurechtzurücken
und auf die Realitäten und die wirklichen Fakten zurück-zukommen.Die Situation im Bereich der Ausbildung in Deutsch-land hat sich in den vergangenen Jahren grundlegendverändert. Vor fünf, sechs Jahren mussten wir noch häu-fig darüber sprechen, dass große Teile eines Jahrgangs– vor allen Dingen, wie die Bundesministerin richtiger-weise sagte, in den neuen Ländern – ohne Ausbildunggeblieben sind. Es gab belastende Gespräche in Schul-klassen. Ein Jugendlicher hat 30 bis 40 Bewerbungengeschrieben, und am Ende gab es nur Absagen. Das ge-hört Gott sei Dank der Vergangenheit an. Wir habenheute eine grundlegend andere Situation. Heute kann je-der, der die Leistung erbringt, einen Ausbildungsplatzbekommen. Das ist eine gute Nachricht.
Die Feindbilder, die die linke Opposition in der Ver-gangenheit aufgebaut hat, haben schon früher nicht ge-taugt, um die Probleme und die Situation richtig zu be-schreiben, geschweige denn, sie zu lösen. Heute sind sieabsurd. Deswegen muss man auf den Kern zurückkom-men: Ausbildung ist eine Investition in die Zukunft, so-wohl für den jungen Menschen als auch für den Unter-nehmer. Deswegen kann man Bildungspolitik, beruflicheBildung, nicht ohne Wirtschaftspolitik denken. Deswe-gen war das, was wir vor Jahren erlebt haben – auch inden alten Bundesländern –, das Ergebnis einer verfehltenrot-grünen Wirtschaftspolitik.
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Ich halte nichts – heute wurde es angesprochen – vonusbildungsgarantien und einer Zwangsübernahme. Wiraben heute vor einer Woche ein Gespräch mit dem Prä-idium des DGB geführt. Ich musste feststellen: Manuss wirklich häufiger mit diesen Menschen reden,enn man stellt fest, dass die Gewerkschaften viel ver-ünftiger sind als die linke Opposition hier in diesemaus.
Ich finde es bemerkenswert, dass eine frühere Ar-eitsministerin aus Brandenburg sich hier hinstellt undchimpft wie ein Rohrspatz, aber nicht über das, was Sie Brandenburg falsch gemacht haben, weswegen es dorto viele Schulabbrecher gibt und so viele schlechte Leis-ngen herauskommen.
as wäre das richtige Thema für Ihre Rede bzw. für Ihreritik gewesen, Frau Kollegin.
Was wir heute einfordern müssen, ist: Leistung. Wirrauchen Leistungsorientierung.
ie Zahlen belegen zwar, dass jeder Jugendliche einehance auf einen Ausbildungsplatz hat, aber wir brau-hen auch vernünftige Ergebnisse nach Abschluss derealschule oder der Hauptschule. Ich finde schon, dasson diesem Platz aus gesagt werden muss: In Deutsch-nd hat jeder eine Chance auf einen Aufstieg, wenn erie Leistung erbringt, und dies ist auch möglich.
Dass die linke Opposition sich hier als Anwalt derleinen Leute aufspielt,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12191
Michael Kretschmer
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gefällt mir per se nicht. Ich glaube, so wie Sie es betrei-ben, sind Sie keine Anwälte, sondern Sie wollen Vor-mund sein, Sie wollen selbst bestimmen.
Sie machen den Leuten keinen Mut, sondern Sie sagen:Es ist alles furchtbar. – Aber es ist nicht furchtbar. Jederhat eine Chance in unserem Land!
Ich sage ganz klar: Wir brauchen Eigenverantwor-tung. Ich bin froh, dass endlich einmal ein Gericht eineMutter zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilthat,
weil der eigene Sohn 477 Tage nicht in die Schule ge-gangen ist. Das Gericht hat gesagt: Das kann ja wohlnicht wahr sein. Die Eltern sind dafür verantwortlich.
Es sind nicht die Unternehmen oder die Wirtschaft oderdie Politik oder die Lehrer, die daran schuld sind, dassdieser junge Mensch keinen Ausbildungsplatz bekommt,sondern es sind die Eltern und der Jugendliche selbst,und das muss auch so benannt werden.
Nicht das geringe Einkommen ist das Problem. DasProblem entsteht, wenn sich jemand nicht kümmert. Esist eine Beleidigung für alle Menschen – auch für solchemit einem kleinen Einkommen –, die sich redlich um Ar-beit bemühen, wenn Sie sich hinstellen und sagen: Diehaben ja keine Chance. Aus denen wird sowieso nichts.
Nein, meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft isteine Aufstiegsgesellschaft, in der jeder eine Chance hat,wenn er sich Mühe gibt.
Unsere Arbeit der vergangenen Monate und Jahre mitdem Bildungsgipfel, den Bildungsketten und dem Bil-dungs- und Teilhabepaket führt zu einem Punkt, an demErnst damit gemacht wird, denjenigen zu helfen, diewirklich Schwierigkeiten haben. Ich bin froh darüber,dass wir hierfür in den vergangenen Monaten hohe Geld-summen bereitgestellt haben. Das muss man anerkennenund akzeptieren. Wir sind auf einem guten Weg, den wirweiter gemeinsam gehen sollten.Vielen Dank.
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, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
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12192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
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falsch liegen. Aber wer sich so katastrophal irrt wie Sie,wer sich absichtsvoll, verantwortungslos über alle Be-denken zur Kernkraft hinweggesetzt hat, wer sich nochvor einem halben Jahr öffentlich damit gebrüstet hat,dem Energiekonsens in diesem Land das Genick zu bre-chen und sich dafür feiern zu lassen, von dem erwarteich auch einen Moment der Demut.
Ich finde es unerträglich, dass Sie gerade einmal dreiWochen nach dem energiepolitischen Super-GAU IhrerParteien so tun, als hätten Sie immer an der Spitze derBewegung für eine neue Energiepolitik in diesem Landegestanden. Aber das passt am Ende auch zu der Kanzle-rin.Glauben Sie mir: Ich schätze Herrn Töpfer. Ich ver-mute sogar, ich schätze ihn mehr als einige aus den Rei-hen der Regierungsparteien.
Aber ich sage Ihnen auch: Was ist das für eine Dreistig-keit, wenn ausgerechnet diejenigen, die den bestehendenKonsens über die Zukunft der Energiepolitik – Ausstiegaus der Kernenergie, Einstieg in erneuerbare Energien –erst in die Tonne treten und dann, ein halbes Jahr später,nach den Ereignissen in Japan, eine Ethikkommissiongründen!Ich weiß gar nicht, meine Damen und Herren von denRegierungsparteien, ob Ihnen das bewusst ist: Aber wasist die Gründung der Ethikkommission denn anderes alsdie Behauptung, die Energiepolitik der Vorgängerregie-rungen sei nicht nur falsch oder unvollständig, zu vieloder zu wenig ambitioniert? Nein, sie ist der in eine In-stitution gegossene Vorwurf, die Energiepolitik der Vor-gängerregierungen habe ethische Anforderungen ver-letzt. Das lasse ich mir von keinem in diesem Landesagen, meine Damen und Herren.
– Da kommen schon andere drauf. Sie können es, glaubeich, in diesen Tagen auch nachlesen. –
Ich lasse mir das von keinem sagen, aber erst recht nichtvon denjenigen, die den politischen und ethischenGrundkonsens, den es gab, mutwillig, absichtsvoll, ohneRücksicht auf die Folgen gebrochen haben. Ich sage Ih-nen: Die ethischen Fragen des Atomausstiegs waren indiesem Lande beantwortet. Sie haben die Fragen wiederoffen gestellt. Das ist Ihre Bilanz.
Sie wollten nicht lernen, und Sie wollten nicht hören.Die Geschichte der Atomkraft in der Welt hat Namen:Harrisburg, Sellafield und Tschernobyl. Den JahrestagdTvBmsKdscrin2nTStevsIcarisvsradEmamdfürudALDDdd
Das ist die traurige Botschaft, die wir seit mindestens5 Jahren kennen. Aber Ihre Bundeskanzlerin hat sichoch 2009 vor das Deutsche Atomforum gestellt undschernobyl als den Betriebsunfall eines verlottertenowjetkommunismus bezeichnet. Ein paar Monate spä-r hat sie sogar vollmundig angekündigt, die Laufzeit-erlängerungen als energiepolitische Mitgift in diechwarz-gelbe Regierungsehe einzubringen.
h bin mir nicht sicher, ob Sie sich in dieser Ehe nochlle wohlfühlen. Ich bin mir nur sicher: Was Sie da ange-chtet haben, das ist das Komplettchaos in der deut-chen Energiewirtschaft.
Wer uns mit einer doppelten Kehrtwende innerhalbon sechs Monaten da hineingeführt hat, der kann fürich nicht beanspruchen, den Weg aus diesem Chaos he-us zu kennen. Dazu braucht man Glaubwürdigkeit, undie, meine Damen und Herren, haben Sie nicht.
s kommt eines hinzu: Fehlende Glaubwürdigkeit kannan sich am Ende auch nicht leihen, die kann man sichuch nicht bei großen Persönlichkeiten einer Ethikkom-ission leihen, im Übrigen auch deshalb nicht, weiliese Persönlichkeiten für unlautere Ziele nicht zur Ver-gung stehen. Was ich sehe: Das Vorgehen der Regie-ng ist unlauter.
Sie ahnen das doch miteinander: Dieses Parlament ister ungeliebte Ort der Kanzlerin. Ob Euro-Rettung, obussetzung der Wehrpflicht, ob Moratorium bei deraufzeitverlängerung: alles an diesem Parlament vorbei!amit, meine Damen und Herren, muss Schluss sein.
er einzige Ort, an dem verbindlich über die Zukunfter Energiepolitik in diesem Lande entschieden wird, ister Deutsche Bundestag und nirgendwo sonst.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12193
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Kaum eine Frage ist für die künftige Entwicklung die-ses Landes so entscheidend wie die nach der Zukunft derEnergiepolitik. Wenn ich das so sage, dann auch, weilich weiß, dass das in der Vergangenheit immer IhreWorte waren. Wenn Sie das ernst meinen, dann darfdoch gar nicht umstritten sein, dass diese wichtige Zu-kunftsfrage intensivster Diskussion und intensivster Be-gleitung durch das Parlament bedarf. Nur deshalb habenwir die Einrichtung eines parlamentarischen Sonderaus-schusses verlangt.Ich habe Ihnen das in einem Brief an alle Fraktionenvorgeschlagen. Ich nehme zur Kenntnis: Das muss Siebei den Regierungsfraktionen tief verschreckt haben.Die Antwort kam ja schon, fast noch bevor der Brief vonmir bei Ihnen eingegangen war. Die Antwort lautete, dieBotschaft war: auf keinen Fall so etwas. Ich zitiere:„Nach unserer Auffassung“, schreiben Herr Kauder,Frau Hasselfeldt und Frau Homburger, „ist die Einrich-tung eines solchen Sonderausschusses nicht erforder-lich.“Ich frage mich: Was ist das eigentlich? Ist das Angstoder Ignoranz? Ich weiß nicht, ob Sie Gelegenheit hat-ten, über meinen Brief und die Antwort darauf in denFraktionen zu diskutieren. Ich kann mir nicht vorstellen,dass Sie alle miteinander wirklich der Meinung sind,dass wir über diese existenzielle Frage, über die Zukunftder Energiepolitik, im Deutschen Bundestag und seinenAusschüssen und in einem Sonderausschuss nicht wirk-lich vertieft beraten müssen.
– Ja, das frage ich auch Sie. – Warum lassen Sie das ei-gentlich mit sich machen, meine Damen und Herren?Haben Sie gelesen, was Thomas Hanke im Handelsblattgeschrieben hat, und haben Sie nicht gemerkt: Das rich-tet sich an Sie, wenn er schreibt: „Steht auf, wenn ihrfreie Abgeordnete seid!“
Was zu entscheiden ist, das müssen wir jetzt entschei-den, nicht in einem Monat, nicht in einem Jahr. Sie sinddie Mehrheit hier in diesem Hause, und Sie können, wieim letzten Jahr, versuchen, energiepolitische Grundsatz-entscheidungen mit Ihrer Mehrheit hier im Bundestagdurchzudrücken. Ich sage Ihnen nur eines voraus: DieMethode „Friss oder stirb!“ wird Ihnen nicht bekommen.Ihnen muss einfach klar sein: So viel Chaos, so viel Un-sicherheit in der Energiepolitik war nie in Deutschland.Darauf lässt sich keine Zukunft bauen.Schauen Sie doch gelegentlich einfach einmal auf dieletzten Tage zurück. Schauen Sie, was Sie angerichtethaben. Ihre doppelte Kehrtwende in der Energiepolitikgefährdet doch alles, was in der Energiewende schon aufdbdgeloDndhDpuenbkDVaFgWWmwbPesremdRKVAlilapwMSs
In einer solchen Situation – auch das in aller Offen-eit – ist es für eine Opposition verführerisch, zu sagen:ann lasst doch diese Regierung in ihrem selbstge-flanzten Irrgarten weiter herumirren, im Zweifel nütztns das vielleicht sogar parteipolitisch. Aber hier geht esben um mehr, hier geht es um Zukunft, und das ist nichtur die Zukunft der Regierungsparteien. Es geht um Le-ensqualität, Umwelt, Wirtschaft und Arbeitsplätze. Dasönnen wir ganz offenbar Ihnen allein nicht überlassen.as ist der Grund, weshalb wir Ihnen einen konkretenorschlag auf den Tisch legen, wie wir aus unserer Sichtus der Sackgasse herauskommen.Ich danke ausdrücklich allen Mitgliedern meinerraktion, die in den letzten Tagen mit aller Kraft und mitroßem Ehrgeiz an diesem Vorschlag gearbeitet haben.as da auf dem Tisch liegt, das ist kein Traumschloss.ir wissen um die Folgen fortschreitender Erderwär-ung auf der einen Seite, und wir wissen um die Not-endigkeit, dass dieses Land ein Industriestandort blei-en muss, auf der anderen Seite. Deshalb sind unsererioritäten klar:Erstens. Energie muss so erzeugt werden, dass wirhrgeizige Klimaschutzziele weiter erreichen.Zweitens. Energie muss für Verbraucher bezahlbarein, für private Verbraucher ebenso wie für produzie-ndes Gewerbe.Drittens. Schlafende Riesen wie die Energieeffizienzüssen geweckt werden. Weniger Energieverbrauch istas Gebot der Stunde.Viertens. Wir brauchen einen weiteren Ausbau deregenerativen bei beschleunigtem Ausstieg aus derernenergie.Fünftens. Wir brauchen – auch das steht in unseremorschlag – eine ehrliche Diskussion darüber, welchennteil welche Energieerzeugung in welcher Zeit wirk-ch beitragen kann.Wer sich dazu nicht ehrlichmacht, der wird keinen be-stbaren Grundkonsens über die Zukunft der Energie-olitik in diesem Lande zustande bringen,
er die Glaubwürdigkeit verloren hat, erst recht nicht.eine Damen und Herren von den Regierungsparteien,ie können so weitermachen wie in den letzten Wochen,chwankend zwischen den wechselnden Zurufen von
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12194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Verbänden, Medien und Zeitgeist. Aber das ist nicht dieVerantwortung, wie ich sie verstehe. So werden Siescheitern. Wenn Sie das verhindern wollen, dann greifenSie unsere Vorschläge auf.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Peter Altmaier für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben soeben eine engagierte, etwas pole-mische Wahlkampfrede des Kollegen Steinmeier gehört.Nur, sehr geehrter Herr Kollege Steinmeier, zunächsteinmal ist festzuhalten: Die Landtagswahlen in Rhein-land-Pfalz und Baden-Württemberg sind vorbei.
Ihre Partei hat in Rheinland-Pfalz etwa 10 Prozentpunkteverloren, und in Baden-Württemberg sind Sie hinter dieGrünen auf den dritten Platz abgefallen.
Wenn Sie weiter so am Thema vorbeireden, wird sich andiesem Trend so schnell auch nichts ändern.
Der zweite Punkt. Ich glaube, dass Sie eigentlich garnicht vorhatten, so zu reden. Sie wollten wahrscheinlichdarüber reden, wie wir die Debatten der nächsten Wo-chen und Monate so strukturieren, dass wir die Chance,die in der schrecklichen Tragödie von Fukushima liegt,gemeinsam ergreifen
und einen der letzten großen gesellschaftlichen Kon-flikte der letzten Jahrzehnte beenden.Wir haben in der Nachkriegszeit öfter solche Debat-ten geführt. Ich erinnere an die Debatte über die Westin-tegration, über die soziale Marktwirtschaft, über dieNATO-Nachrüstung,
über Auslandseinsätze der Bundeswehr am Beispiel desKosovo-Krieges.EBAAdwtiteaHmdKzubuaKncGvDcpwIcupgdmS
s waren im Übrigen die Fraktionen von SPD undündnis 90/Die Grünen, die häufiger als unsere Fraktionnlass hatten, ihre Positionen zu korrigieren.
ber Tatsache ist doch, dass derjenige, der immer schoner Auffassung war, er habe von Anfang an alles ge-usst und alles richtig gemacht, an der praktischen Poli-k scheitert. Tatsache ist: Wir alle müssen unser Verhal-n und unser Handeln überprüfen und danachusrichten, was sich in der Realität abspielt.
Ich sage für meine Fraktion: Wir sind bereit, vor demintergrund dessen, was in Fukushima geschehen ist,utig und entschlossen
ie Diskussion über einen gesamtgesellschaftlichenonsens in der Frage der künftigen Energiepolitik auf-unehmen. Diese Koalition
nd die sie tragenden Fraktionen werden das Ihre dazueitragen, dass dieser Konsens in den nächsten Wochennter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen er-rbeitet wird und auch zustande kommt.
Wenn ich sage: „Wir wollen einen gesellschaftlichenonsens“, dann meine ich damit ausdrücklich auch ei-en parlamentarischen Konsens. Aber der gesellschaftli-he Konsens steht doch an erster Stelle. Das ist derrund, warum wir unmittelbar nach dem Unglücksfallon Fukushima die Ethikkommission einberufen haben.
ie Ethikkommission ist aus hervorragenden, maßgebli-hen Vertretern aller gesellschaftlich relevanten Grup-ierungen zusammengesetzt: der Wirtschaft, der Ge-erkschaften, der Wissenschaft, des Umweltbereichs.
h glaube, wenn Sie ein Interesse an der Sache habennd nicht nur den Versuch unternehmen wollen, partei-olitisches Kapital aus einer wichtigen Debatte zu schla-en, dann müssen Sie auch ein Interesse daran haben,ass die Arbeit der Ethikkommission gelingt, und dannüssen Sie anders über die Ethikkommission reden, alsie es in den letzten Wochen getan haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12195
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Kollege Altmaier, es gibt zwei Wünsche nach einer
Zwischenfrage, einmal von der Kollegin Bulling-
Schröter und einmal vom Kollegen Heil.
Sehr gerne.
Vielen Dank. – Sie haben gesagt, dass es einen gesell-
schaftlichen Konsens geben soll und dass in der Ethik-
kommission alle relevanten Verbände vertreten sind.
Meine Frage an Sie: Warum wurden dazu keine Umwelt-
verbände eingeladen? Warum dürfen deren Vertreter
nicht teilnehmen?
Doch. – Wir haben die Ethikkommission so zusam-
mengesetzt, dass sie überschaubar ist,
dass sie arbeitsfähig ist und dass sie imstande ist, eine
Debatte zu führen, die in weiten Teilen öffentlich geführt
werden wird,
auch unter Einbeziehung der Umweltverbände und der
Bürgerinnen und Bürger. Dass wir imstande sind, eine
solche Debatte zu organisieren, haben Sie im Rahmen
von Stuttgart 21 gesehen. Es hätte der Politik niemand
zugetraut, dass wir eine solche Debatte zustande brin-
gen. Und Sie haben ja auch gesehen, dass die Öffentlich-
keit honoriert hat, dass wir diese Debatte geführt haben.
Kollege Heil.
Sehr geehrter Kollege Altmaier, hätten Sie, wenn Sie
jetzt von Umdenken und Umlernen unter Hinweis auf
das, was Frank-Walter Steinmeier eben ausführte – dabei
ging es darum, wie glaubwürdig das ist –, sprechen, viel-
leicht einmal die Größe, einzuräumen, dass Sie im
Herbst letzten Jahres einen Energiekonsens zwischen der
Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag und der
Energiewirtschaft kaputtgemacht und damit einen ge-
sellschaftlichen Großkonflikt aufgerissen haben? Ich
frage Sie, Herr Altmaier: Ist Ihnen entgangen, was im
Herbst letzten Jahres in der Wirtschaft passiert ist? Da
gab es nämlich Investitionsstau und Attentismus, be-
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Herr Kollege Heil, ich kann verstehen, dass Sie versu-hen, das, was die rot-grüne Regierung damals gemachtat, als Großtat darzustellen. Sie haben damals übrigens Einvernehmen den Energieproduzenten Nachrüstun-en erlassen und keine zusätzlichen Sicherheitsauflagenurchgesetzt.
llerdings bestand damals nicht dieser Konsens wieeute. Damals haben Sie ein Gesetz beschlossen.Als wir im letzten Jahr vor der Frage standen, wie wirinen vernünftigen Übergang zu erneuerbaren Energienestalten, haben wir festgestellt, dass Sie im Zeitplan füren Ausbau der Netze und der Speicherkapazitäten, alsoit all dem, was notwendig ist, damit ein Land von0 Millionen Einwohnern in das Zeitalter der erneuerba-n Energien kommt, um Jahre zurück lagen.
ie haben zwar ein großes Schild vor sich her getragen.inter diesem Schild befanden sich aber lauter ungelösteragen und Probleme.
Deshalb frage ich Sie, Herr Heil: Sind Sie denn be-it, zuzugeben, dass Sie damals zwar eine große Über-chrift produziert haben, bei der Umsetzung aberchmählich und kläglich versagt haben?
Ich komme, lieber Kollege Hubertus Heil, darauf zu-ck, wie wir diesen Prozess parlamentarisch gestalten.ie Wirklichkeit ist nämlich viel weiter, als Sie in derundestagsfraktion offenbar sind. Heute um 13 Uhr tref-n sich die Ministerpräsidenten aller Bundesländer miter Bundeskanzlerin,
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12196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Peter Altmaier
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um darüber zu reden, welche Voraussetzungen wir imZuständigkeitsbereich der Länder schaffen müssen, da-mit der Übergang gelingt.
Es wird nicht das einzige Treffen dieser Art sein.Weil wir den Konsens wollen, werden wir selbstver-ständlich auch für eine angemessene parlamentarischeBeratung Sorge tragen.
Die Frage ist nur, ob der Vorschlag, den Sie mit heißerNadel gestrickt haben, der Weisheit letzter Schluss istund ob er wirklich dazu angetan ist, dieses Problem bzw.diese Herausforderung in angemessener Weise zu behan-deln. Ich will Ihnen dazu drei Überlegungen vortragen.
Kollege Altmaier, es gibt eine Frage des Kollegen
Kelber.
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben ja gerade er-
wähnt, dass Sie für eine angemessene Beteiligung des
Parlaments und damit der Öffentlichkeit an den Beratun-
gen sorgen wollen. Ich hoffe, das wird anders als damals
ablaufen, als Sie persönlich als Parlamentarischer Ge-
schäftsführer in die Sitzung des Umweltausschusses ge-
gangen sind, um dort für einen Abbruch der Beratungen
zu sorgen.
Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen der eineinhalb Seiten
umfassende Zeitplan der Bundesregierung für die Bera-
tung bekannt ist. Das Bundeskanzleramt schreibt vor
dem Hintergrund, dass am 15. Juni das Moratorium aus-
läuft – ich zitiere nur den letzten Satz –:
Ein Gesetz zur Stilllegung, das bis Ende des Mora-
toriums in Kraft tritt, setzt Kabinettsbefassung am
7. Juni voraus.
Da der Deutsche Bundestag das Gesetz am 9. Juni be-
schließen müsste, sähe nach Meinung der von Ihnen ge-
stellten Bundesregierung die Parlamentsbefassung so
aus: keine Befassung der Fachausschüsse, keine Anhö-
rung, kein Änderungsantrag, Verzicht auf die Fristen,
Abstimmung zwei Tage später.
Werden Sie diesen Zeitplan umsetzen, oder wird das
Gesetz im Mai oder gar noch im April in dieses Parla-
ment kommen?
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eil dieses Parlament ein Recht darauf hat, dass man diearlamentarischen Beratungen nicht durch Filibusternnd willkürlich gestellte Anträge verzögert und unmög-ch macht.
as ist Ihnen und den Grünen damals ja auch nicht ge-ngen, wie die Abläufe gezeigt haben.
Zweiter Punkt. Der Ausgangspunkt unserer Unterhal-ng über die Strukturierung der parlamentarischen Ar-eit in diesem Frühjahr ist doch ganz klar: Wir solltenie Arbeiten der Ethikkommission gemeinsam abwarten.
as gebietet der Respekt vor der Ethikkommission under gesellschaftlichen Debatte.
Ich möchte an dieser Stelle im Auftrag meiner Frak-on und auch der gesamten Koalition sagen, dass wir da-on überzeugt sind, dass durch die Person des Vorsitzen-en der Ethikkommission, Professor Klaus Töpfer, nichtur die Gewähr dafür geboten wird, dass in dieser Kom-ission seriös gearbeitet wird, sondern auch dafür, dassie großen Fragen und Weichenstellungen angemessenehandelt werden.
Die Ethikkommission wird ihren Bericht gegen Endeai 2011 vorlegen. Etwa zur gleichen Zeit wird die Re-ktor-Sicherheitskommission ihren Bericht vorlegen.ann müssen wir uns die Frage stellen, wie wir im Bun-estag den Prozess so strukturieren, dass wir die nötigennhörungen durchführen können, dass wir die nötigenusschussberatungen durchführen können und dass wirie nötigen Plenarberatungen durchführen können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12197
Peter Altmaier
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Lieber Kollege Heil, ich will hier die Frage stellen,um die es heute Morgen in der Debatte geht:
Glauben Sie angesichts der Fülle der Entscheidungen,um die es im Bereich der Netze, im Bereich der Spei-chermöglichkeiten, im Bereich des Planungsrechts undauch im Bereich der Laufzeiten am Ende dieser Debattegeht, wirklich, dass es sinnvoll ist, die Zuständigkeitenund Kompetenzen der Ausschüsse, die sich in den letz-ten Monaten auf hohem Niveau mit diesen Fragen be-schäftigt haben und weiterhin beschäftigen, durch einenSonderausschuss außer Kraft zu setzen, der naturgemäßaus einigen wenigen Kolleginnen und Kollegen besteht,
und all diese Aufgaben im Sonderausschuss zu lösen?
In einem Punkt sind wir uns doch einig: Wenn dieEthikkommission Ende Mai ihre Ergebnisse vorlegt,
dann wollen wir natürlich auch eine parlamentarischeEntscheidung zustande bringen, mit der dafür gesorgtwird, dass mit dem Ablauf des Moratoriums klar ist, wiedie Zukunft der Kernenergie und der Energiepolitik inDeutschland aussieht.
– Das sind keine drei Tage, sondern wir haben ein ange-messenes, aber anspruchsvolles zeitliches Konzept.Ich sage Ihnen: So wie Sie in der Vergangenheit inähnlichen Situationen aus guten Gründen keine Sonder-ausschüsse eingesetzt haben, so ist es die Auffassung un-serer Fraktion und Koalition, dass es sinnvoll ist, dieseDebatte im Umweltausschuss, im Wirtschaftsausschuss,im Verkehrsausschuss und in allen anderen zuständigenAusschüssen auf breiter Front zu führen, und wir werdendafür sorgen, dass sie unter angemessener Beteiligungder Öffentlichkeit stattfindet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaubenicht, dass irgendjemand Verständnis dafür hätte, wennwir uns über technische Detailfragen wie die Frage, obes einen Sonderausschuss gibt, oder die Frage, wie er zu-sammengesetzt ist, zerstreiten würden.
Wenn wir einen Konsens herbeiführen wollen, dann darfes doch nicht nur um einen Konsens darüber gehen, wielange Kernkraft in Deutschland noch unverzichtbar undhFggwgatituDskzZMnadhFWcdnunloEedmBkinIctr
as ist ein klarer Hinweis, dass niemand in diesem Hausagen kann: Wir haben keinen Grund, unsere Positionenritisch zu hinterfragen und zu überdenken.Meine Fraktion hat diese Woche in insgesamt drei Sit-ungen stundenlang über die Fragen diskutiert, die imusammenhang mit der Energiepolitik in den nächstenonaten zu beantworten sind. Wir werden das in denächsten Wochen fortsetzen. Ich weiß, dass es auch innderen Fraktionen, wie bei der FDP und anderswo iniesem Haus, ein ähnliches Ringen gibt.Von den Kolleginnen und Kollegen Sozialdemokratenabe ich als einzige substanzielle Äußerung bisher dieorderung nach einem Sonderausschuss vernommen.
enn Sie die Begründung für die Einsetzung eines sol-hen Ausschusses lesen, dann werden Sie feststellen,ass zu den inhaltlichen Herausforderungen wenig oderichts gesagt wird.Deshalb möchte ich Ihnen noch einmal das Angebotnterbreiten – das richtet sich an das gesamte Haus –, dieächsten Wochen und Monate für einen wirklichen Dia-g zu nutzen.
s geht nämlich nicht nur um die Glaubwürdigkeit einerinzelnen Fraktion; es geht vielmehr um die Glaubwür-igkeit des politischen Systems und des Parlamentaris-us.Ich bin davon überzeugt, dass die vor uns liegendeneratungen eine große Chance sind, die Glaubwürdig-eit und die Zustimmung zum politischen Handeln auch der Öffentlichkeit zu erhöhen.
h möchte uns alle aufrufen, dass wir dazu einen Bei-ag leisten.Vielen Dank.
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12198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
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Das Wort hat der Kollege Dr. Gysi für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrAltmaier, es nutzt nichts, wenn man versucht, eine zwin-gend notwendige Entscheidung durch Verzögerung hin-auszuschieben. Es bringt Ihnen nichts, es schadet Ihnennur. Sie kommen aus der Sache sowieso nicht heraus.Der Ausschluss der Öffentlichkeit wird nicht funktionie-ren.
Wir haben eine japanische Atomkatastrophe erlebt.Erst jetzt haben die Behörden eingeräumt, dass es dochder höchste Schadensfall ist und dass ein Super-GAUvorliegt. Auch das hat sehr lange gedauert. Aber jetzt istes eingestanden worden. Selbstverständlich werden wirder japanischen Bevölkerung jede uns mögliche Hilfezukommen lassen.Eines hat sich aber in Deutschland herumgesprochen:Ein Atomkraftwerk ist im Falle einer Katastrophe nichtbeherrschbar, durch niemanden, auch nicht in Deutsch-land. Deshalb sind nun plötzlich alle Parteien für denAtomausstieg – irgendwann und irgendwie. Aber dafürbrauchen wir keine Ethikkommission der Regierung,Herr Altmaier, die auch noch geschlossen tagen soll
und von einer Regierung eingesetzt wird, die diesbezüg-lich völlig unglaubwürdig und inzwischen auch unbere-chenbar ist.Welche Konsequenzen werden denn gezogen? DerFDP-Generalsekretär Lindner hat zum Beispiel gefor-dert: Alle alten Meiler müssen dauerhaft geschlossenwerden. – Jetzt nimmt er das wieder zurück. Dann äu-ßern sich Herr Röttgen und Herr Brüderle und legen ei-nen Sechs-Punkte-Ausstiegsplan vor, der alles Möglicheist, aber kein Plan. Darin geht es zum Beispiel um denrascheren Ausbau der regenerativen Energien, aber sogut wie ausschließlich auf der Basis von Offshorewinde-nergie. Doch diese großen Parks können nur von denvier Energieriesen gebaut und finanziert werden.
Zugleich wird aber so gut wie nichts zu Photovoltaikoder Erdwärme gesagt, in die auch kleine und mittlereUnternehmen investieren könnten. Das fällt auf.Aber selbst diese Absichtserklärung der beiden Bun-desminister trifft vor allem auf Ablehnung in der Union,und zwar vonseiten der Herren Schäuble und Kauder.Sie führen drei Argumente an: Das erste Argument ist,dass es dann keine Versorgungssicherheit mehr gäbe.Das zweite ist, dass die Schuldenbremse dagegensprä-che, und das dritte ist, dass die Strompreise in unzumut-bmKbdwafibimbDInklufaüwSsdnfahdgAüugnbb–WdmWli
Das zweite Argument ist die Schuldenbremse. Dasnde ich spannend. Union und SPD haben die Schulden-remse in das Grundgesetz geschrieben – wir hielten dasmer für falsch –, und jetzt wird gesagt, die Schulden-remse hindere uns daran, Fortschritte zu machen.
as ist genau das, worauf wir immer hingewiesen haben.direkt bestätigt uns Herr Schäuble; denn er sagt: Wirönnen leider nichts mehr machen. Die Politik ist hand-ngsunfähig. – Aber in diesem Fall ist das Argumentlsch, und zwar deshalb, weil die vier Energieriesenber solche Reserven verfügen, dass das Ganze sehrohl finanzierbar ist. Darauf komme ich noch zurück.Das dritte Argument ist das Argument der höherentrompreise. Die FDP spricht von einem Sparpaket. Sieagt, es müsse noch mehr Sozialabbau geben und geradeie ärmeren Schichten und die durchschnittlich Verdie-enden hätten das alles zu bezahlen. Das ist der ein-chste und unsozialste Weg; für uns kommt der über-aupt nicht infrage.
Aber dahinter steckt doch etwas ganz anderes: Sierohen mit Strompreiserhöhungen, um die Zustimmungerade der ärmeren Schichten der Bevölkerung zurtomenergie zurückzugewinnen. Ich sage Ihnen: Das istbel. Mit solchen Katastrophen darf man nicht spielen,nd man darf auch nicht eine solche Stimmung erzeu-en.
Die Grünen äußern sich zur sozialen Frage überhaupticht, und die SPD denkt in erster Linie an die Großver-raucher. Wir denken an alle Verbraucherinnen und Ver-raucher.
Ja. Sie können uns doch nicht verbieten, zu denken.
ir denken sowohl an die durchschnittlich Verdienen-en als auch an die Armen sowie an die kleinen undittleren Unternehmen, die alle davon betroffen sind.as wir brauchen, ist die Wiedereinführung einer staat-chen Preisregulierung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12199
Dr. Gregor Gysi
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– Ich wusste, dass die FDP von Planwirtschaft redet.Wissen Sie, auch in der Bundesrepublik Deutschlandherrschte in diesem Bereich Planwirtschaft; denn bis zurGroßen Koalition hatten wir eine staatliche Preisregulie-rung in der Bundesrepublik Deutschland.
Das haben Sie bloß nicht mitgekriegt. Waren Sie nichtim Bundestag, oder was?Erst die Große Koalition, bestehend aus Union undSPD, hat beschlossen, die staatliche Preisregulierung ab-zuschaffen, und zwar mit der Begründung, dass es einentopfunktionierenden Markt gebe, der ohnehin dafürsorge, dass die Preise sinken. Nun haben aber alle Bür-gerinnen und Bürger und alle Unternehmen mitbekom-men, dass die Preise in der ganzen Zeit nicht gesunken,sondern ständig gestiegen sind, weil die vier Riesen sichabgesprochen haben, wie sie die Bevölkerung abzocken.So einfach ist das.
Jetzt müsste doch auch die SPD einräumen, dass dasgerade genannte Argument für die Abschaffung derPreisregulierung falsch war. Es bleibt auch falsch. RWEhat übrigens durch falsche Preise sogar 2,3 MilliardenEuro abgezockt. Wo blieb da eigentlich Ihr Protest? Derwäre meines Erachtens wichtig gewesen.Also: Wir müssen zurück zur staatlichen Strompreis-regulierung. Es gibt jetzt eine große Chance für einegrundlegende Neuorientierung der ökonomischen, öko-logischen, demokratischen und sozialen Grundlagen un-serer Gesellschaft. Weder die Verlängerung der Laufzei-ten durch die jetzige Bundesregierung noch der rot-grüne Atomkompromiss aus dem Jahr 2002 sind heutenoch die Verhandlungsbasis. Wir brauchen jetzt fünfSchritte für eine sozialökologische Energiewende.Erstens. Wir brauchen eine breite gesellschaftlicheDebatte. Es kann nicht bei der Ethikkommission der Re-gierung bleiben. Wir brauchen, wie von der SPD bean-tragt, einen Sonderausschuss des Bundestages.
Entgegen dem Willen der SPD darf aber auch dieserAusschuss nicht geschlossen tagen. Es reicht auch nicht,alles im Internet zu veröffentlichen. Das ist wichtig, unddas können wir machen. Auch der Ausschuss muss je-doch die breiteste Öffentlichkeit zulassen, Fragen vonden Betroffenen aufnehmen und Gespräche mit ihnenführen. Das ist das Wichtige. Wir brauchen einen wirkli-chen gesellschaftlichen Konsens. Die Konzepte desBUND und von Greenpeace, die keinen Platz in IhrerEthikkommission haben, zeigen doch, welch fundiertesWissen und welches Ideenpotenzial in der Gesellschaftvorhanden sind. Lassen Sie es uns doch endlich nutzen,statt es ständig auszuschließen!
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Als Drittes haben wir beantragt, dass ein Verbot derutzung der Atomtechnologie für energetische Zweckend für Waffen ins Grundgesetz aufgenommen wird.as ist besonders wichtig, denn wenn wir das einmal imrundgesetz stehen haben – geben Sie sich doch wirk-ch einen Ruck –, garantiere ich Ihnen, dass es nie wie-er eine Zweidrittelmehrheit geben wird, die dieses Ver-ot abschaffen kann. Das ist das Entscheidende daran.
Zurück zu den fünf Schritten: Wir brauchen drittensine staatliche Preisregulierung und kein Sparpaket, wies die FDP will. Was wir wirklich brauchen, ist Steuer-erechtigkeit.Jetzt sage ich Ihnen etwas zu den Kosten für die Ener-iewende: In erster Linie müssen das meines Erachtensie vier Energieriesen bezahlen. Die von diesen gebilde-n Rückstellungen für den Abbau der AKW in Höheon 29 Milliarden Euro sind jetzt in einen öffentlich-chtlichen Fonds überzuleiten, damit das Geld auchirklich für den Abbau der AKW zur Verfügung steht.
ber das ist nur das eine. Außerdem müssen sie ihre Ex-aprofite abführen, um die Umstellung auf erneuerbarenergien zu gewährleisten.Jetzt sage ich einmal etwas zu den Profiten dieser viernergieriesen, damit die Bevölkerung es auch weiß:on, EnBW, RWE und Vattenfall haben seit 2002 einenrofit von über 100 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dortibt es also genügend Geld, denn die Bürgerinnen undürger und die Unternehmen wurden und werden vonen vier Energieriesen abgezockt.Kleine und mittlere Unternehmen haben dagegen imahre 2009 – vor der fälschlich durch Ihre Regierung be-chlossenen Verlängerung der Laufzeiten – 26,7 Milliar-en Euro in die erneuerbaren Energien investiert. Wennie Ihre Laufzeitverlängerung, die diese so schockiert
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12200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Dr. Gregor Gysi
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hat, wieder zurücknehmen, sind diese auch bereit, wie-der zu investieren und Mittel für die Erneuerbaren zurVerfügung zu stellen.
Übrigens noch zur Ergänzung: Ich habe gesagt, dassdie vier Konzerne über 100 Milliarden Euro Profit seit2002 erwirtschaftet haben. Allein in der Krise im Jahr2009 waren es 23 Milliarden Euro, und im Jahre 2010waren es 30 Milliarden Euro. Solche finanziellen Reser-ven haben die! Da müssen Sie einmal den Mumm habenund umgekehrt auch einmal ein bisschen abzocken, undzwar durch gerechte Steuern. Das ist das, was wir for-dern.
Selbstverständlich muss auch der Bund investieren.Erst ganz zuletzt darf man an die Verbraucherinnen undVerbraucher denken, und das muss angemessen gesche-hen: Das bedeutet, dass man finanziell schwachen Haus-halten einen Sozialtarif gewähren muss.Viertens. Die überkommenen Konzernstrukturen unddie marktbeherrschende Stellung der vier Stromkon-zerne stehen einer wirklichen Energiewende entgegen.Die Regierung hat bewiesen, dass sie erpressbar ist. Jetzterpressen die Konzerne erneut – mit einem Stopp derZahlungen in den Ökofonds. Ich sage: Wer so erpresst,darf kein Verhandlungspartner sein.
Die Energiewende gelingt dezentral oder gar nicht.Die Linke wird das Erbe von Hermann Scheer aufneh-men, das die SPD leider ausschlägt.
Der notwendige Netzausbau muss zum Einstieg in diedezentrale kommunale Energieversorgung genutzt wer-den. Die Stromnetze müssen endlich in öffentlicheHand, und zwar deshalb, weil ich möchte, dass die Poli-tik zuständig ist. In der Politik haben wir Demokratie,bei den vier Konzernen haben wir keine Demokratie. Siewollen die Zuständigkeit der Konzerne, wir wollen dieZuständigkeit der öffentlichen Hand.
Fünftens und Letztens. Wir brauchen höchste Ener-gieeffizienz. Das ist auch eine soziale Frage. Daraufmuss sich auch die Forschung konzentrieren. Wir habenschon vor Jahren 2,5 Milliarden Euro für einen Fondsbeantragt, um Bürgerinnen und Bürgern mit einer Effi-zienzprämie bei der Anschaffung energiesparender Ge-räte zu helfen. Das gilt übrigens auch für Unternehmen;denen soll damit ebenfalls geholfen werden. Über denFonds ist auch zusätzliche Hilfe für finanziell, das heißtsozial Schwache möglich. Wenn der Sonderausschussgebildet würde und dazu dienen würde, den schnellst-mumuktuLgtiGuDleflzisgPImWliihnDNFdnSMk
assen Sie uns die dringend notwendigen Entscheidun-en hier im Bundestag treffen.
Das Wort hat der Kollege Kauch für die FDP-Frak-
on.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrysi, wir wissen, dass Sie Experte für alle Themen sindnd dass Ihre Fachpolitiker hier fast nie reden dürfen.ass Sie sich hier jetzt aber erdreisten, einen toten Kol-gen, Hermann Scheer, für Ihre antikapitalistischen Re-exe, für etwas, was Hermann Scheer nie vertreten hat,u vereinnahmen, all das, was Sie hier abgeliefert haben,t so unterirdisch, so grottenschlecht und auch unfairegenüber den Sozialdemokraten, das kann man hier imarlament nicht akzeptieren.
Herr Gysi, Sie haben wieder einmal schwadroniert: Zweifel ist die Großindustrie schuld am Elend derelt; sie muss ihre Extraprofite abführen. – Offensicht-ch ist Ihnen nicht klar: Ab 2013 muss die Großindustriere Extraprofite aus dem Emissionshandel abführen,ämlich in den Energie- und Klimafonds.
iese Koalition hat beschlossen, dass diese Mittel in dieutzung erneuerbarer Energien investiert und nicht vominanzminister eingesackt werden. Das ist eine Leistungieser Koalition, die Sie an dieser Stelle einmal wahr-ehmen sollten, Herr Gysi.
Wir reden heute über das Thema Einsetzung einesonderausschusses „Atomausstieg und Energiewende“.an hat den Eindruck, es geht bei der SPD inzwischenaum noch um die Inhalte.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12201
Michael Kauch
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Man gewinnt nämlich den Eindruck, dass man von derKoalition in dem Bemühen überholt wird, in das Zeital-ter der erneuerbaren Energien zu kommen. Da Sie derKoalition offensichtlich inhaltlich nichts entgegenzuset-zen haben,
echauffieren Sie sich hier während der Kernzeitdebatteüber eine formale Frage.
Angeblich wird in diesem Parlament nicht diskutiert.Wenn ich zurückschaue, was ich in den letzten Wochengetan habe, dann stelle ich fest, dass ich an jedemPlenarfreitag hier im Parlament über das Thema Atom-ausstieg diskutiert habe.
Wir diskutieren permanent darüber. Es ist doch ein Mär-chen, dass diese Diskussion unter Ausschluss der Öf-fentlichkeit passiere.
Es ist völlig aberwitzig, zu glauben: Wenn man einenSonderausschuss einsetzt, dann kommen plötzlich bes-sere Ergebnisse zustande. Wir haben einen Wirtschafts-ausschuss, wir haben einen Umweltausschuss und einenAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dersich beispielsweise mit Fragen der Gebäudesanierungbeschäftigt. In all diesen Ausschüssen kümmert mansich um die Fragen, um die es hier geht, und zwar nichterst seit gestern. In diesen drei Ausschüssen sitzen dieje-nigen Experten in diesem Parlament, die zu diesen Fra-gen beraten sollen.
Wenn wir einen neuen Ausschuss einsetzen, dann ister in den ersten vier Wochen nur mit Formalia beschäf-tigt. In dieser Zeit können wir in diesem Parlament Ent-scheidungen treffen.
Das will diese Koalition: Entscheidungen treffen undnicht neue Gremien institutionalisieren.
as war beim Energiekonzept so, und es wird bei dereiterentwicklung des Energiekonzeptes so sein.
Kollege Kauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne. Von wem denn?
Von Herrn Schwabe. – Herr Schwabe, bitte.
Herr Kollege Kauch, Sie haben gerade gesagt, dass
ir keine zusätzlichen Ausschüsse und keine zusätzli-
hen Gremien brauchen. Wie bewerten Sie, dass die
undesregierung die Ethikkommission „Sichere Ener-
ieversorgung“ – das ist eine Art Ausschuss – einberu-
n hat? Ist das ebenfalls ein überflüssiges Gremium?
chließlich meinen Sie, dass wir solche Fragen hier im
arlament zu klären haben.
Diese Ethikkommission berät die Regierung. Wir alsarlament müssen am Schluss über die Vorlagen der Re-ierung, also über das, was die Regierung vorschlägt,ntscheiden.
m Schluss wird im Parlament und nirgendwo sonst ent-chieden.
Wie beim Energiekonzept sind die Koalitionsfraktio-en schon im Vorfeld in Regierungsentscheidungen ein-ebunden.
s ist nicht so, dass wir darauf warten, dass uns Frauerkel, Herr Brüderle oder Herr Röttgen Vorlagen ge-en, und dass wir uns hinstellen und abnicken. Das ha-en wir beim Energiekonzept im letzten Jahr nicht getan,nd das werden wir auch in diesem Jahr nicht tun, meineamen und Herren.
ir brauchen von Ihnen keine Nachhilfe in der Frage,as selbstbewusste Parlamentarier sind.
Wir brauchen von Ihnen auch keine Nachhilfe in derrage, wie Vorlagen im Parlament behandelt werden. Ichrinnere mich an meine Zeit in der Opposition. Da wur-en bei der Gesundheitsreform Hunderte von Seiten Ge-
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12202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Michael Kauch
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setzestext hier innerhalb von zwei Tagen durchge-peitscht. Da wurden zig Seiten Änderungsanträge maleben als Tischvorlage eingereicht. Das war die SPD!Deswegen brauchen wir von Ihnen hier überhaupt keineNachhilfe. Wir machen die Verfahren korrekt.
Wir brauchen auch keine Nachhilfe von HerrnSteinmeier. Herr Steinmeier sagt, wegen unserer Politikwürden – angeblich – Investitionen zurückgehen undkeine Arbeitsplätze geschaffen. Gestern haben wir dieZahlen bekommen. Seit der Wiedervereinigung waren inDeutschland noch nie so viele Menschen beschäftigt wiejetzt unter Schwarz-Gelb.
Das ist der Erfolg dieser Regierung. Da brauchen wirvon Ihnen keine Nachhilfe, meine Damen und Herren.Die SPD muss sich schon entscheiden, was sie will.Herr Steinmeier sagt: Wir müssen ein Industrieland blei-ben; wir brauchen Klimaschutz und Versorgungssicher-heit. – Alles richtig! Heute Morgen stellt sich FrauNahles ins Fernsehen, und auf die Frage, wie sie denn si-cherstellen wolle, dass das, was sie fordere, nämlich dassdie Armen nicht belastet würden, durchgeführt werde,kam als einzige Antwort: Das muss die Regierung vorle-gen. – So viel zu den sozialpolitischen Konzepten derSozialdemokratischen Partei! Das ist peinlich.
Die FDP will schneller aus der Kernkraft aussteigen,als das bisher vorgesehen ist. Deshalb werden wir abernicht alles über Bord werfen, was wir in den letzten Jah-ren für wichtig gehalten haben.
Deshalb werden wir nicht zulassen, dass das Problemeinfach verlagert wird, indem man dauerhaft Kernkraft-strom aus Frankreich und Tschechien importiert oder in-dem man die Klimaschutzziele oder die Versorgungs-sicherheit gefährdet.
Deshalb muss ein Ausstieg aus der Kernkraft so gestaltetsein, dass die Netzstabilität gewährleistet wird, dass wirunsere Klimaschutzziele erreichen und dass wir unsereImportabhängigkeit nicht vergrößern.
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eht einfach an der Sache vorbei.Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern in diesemand auch sagen, dass es weitere Kosten gibt, nämlichosten nichtmonetärer Art, dass insbesondere die ländli-hen Räume stärker als bisher ihren Beitrag zur Energie-ersorgung leisten müssen und dass sich auch dort vieleinge, viele Landschaftsbilder beispielsweise, verän-ern werden.
as ist unumgänglich, das ist notwendig in einem ver-etzten Industrieland. Wir sollten nicht so tun, als würdeas überhaupt nicht stattfinden.
Das Wort hat die Kollegin Höhn für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!estern hatten wir eine sehr ernsthafte Debatte zur PID.h hätte mir gewünscht, dass wir diese Debatte zurnergie genauso ernsthaft führen würden und nicht sorähenhaft und so lautstark, wie Sie, Herr Kauch, dasben getan haben.
Nach der Katastrophe von Fukushima gibt es in deresellschaft mittlerweile einen breiten Konsens. Herrysi, wir brauchen also nicht einen breiten Konsens,ondern wir haben einen breiten Konsens.
ber 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind einereinung. Die Kirchen, die Umweltschützer, die Ge-erkschaften, die Jungunternehmer, Greenpeace, dieatholische Landjugend und seit neuestem auch derundesverband der Energiewirtschaft sind dabei. Dieserreite Konsens lässt sich auf eine ganz einfache Formel
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12203
Bärbel Höhn
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bringen: Raus aus der Atomkraft, rein in die erneuerba-ren Energien! Es ist unsere Aufgabe, das umzusetzen.
Denn wir sind die Volksvertreter. Die Umsetzung musssachlich und fachlich und ohne Übertreibung undSchwarzmalerei erfolgen.
Bei der Umsetzung dieses gesellschaftlichen Konsen-ses in Politik sind drei wichtige Punkte zu bedenken:Erstens. Wir müssen raus aus den alten Atomanlagen.Das heißt, die sieben alten Reaktoren und Krümmelmüssen abgeschaltet werden, und zwar nicht nur vo-rübergehend, sondern endgültig, ein für alle Mal.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass die im letztenHerbst beschlossene Laufzeitverlängerung endlich voll-ständig zurückgenommen werden muss,
denn sie war ein großer Fehler. Dieser Fehler muss jetztkorrigiert werden.
Der dritte wichtige Punkt ist, dass wir eine konse-quente Politik des Energiesparens, der Energieeffizienzund der erneuerbaren Energien machen müssen, um auchdie verbleibenden Atomkraftwerke so schnell wie mög-lich überflüssig zu machen und abschalten zu können.Wir Grünen sagen: Das können wir in der nächsten Le-gislaturperiode schaffen.
Wir freuen uns, dass das Bundesumweltamt uns da rechtgibt.
Wenn wir diesen Konsens politisch umsetzen wollen,haben wir allerdings einige Fragen zu beantworten. DieBürger fragen: Wie teuer ist das? Über diese Frage kön-nen wir nicht einfach hinweggehen. Es wäre falsch, andiesem Punkt Angst zu machen. Aber das tun viele,selbst aus diesem Hause. Wir sollten uns einmal ganz ru-hig anschauen, was die Bundesregierung selber im letz-ten Herbst an Gutachten zu diesem Thema auf den Tischgelegt hat. Ich erinnere an das Gutachten vom EWI-In-stitut. EWI wird vor allen Dingen von Energiekonzernenbezahlt; das heißt, es steht nicht im Verdacht einer be-sazuredgSD0hdeshSmnImwwtufodEdvdwzogzdliihgbgbAKsSAkda
Die zweite Frage bezieht sich auf die Energiesicher-eit. Jede Sekunde muss Strom da sein. Ich finde es gut,ass auch Herr Röttgen heute sehr klar gesagt hat, dasss beim Atomausstieg nicht um die Frage der Energie-icherheit geht. Wir haben genügend Kapazitäten. Wiraben mit den acht Atomkraftwerken 10 Prozent unserestromanteils abgeschaltet, und der Stromimport liegtomentan bei 1 bis 2 Prozent. Das ist offensichtlichicht das Problem, zumal die Experten sagen, dass derport im Laufe des Jahres sogar wieder zurückgehenird.Die Situation könnte allerdings im Mai schwierigererden, wenn weitere fünf Atomkraftwerke zu War-ngszwecken vom Netz gehen. Das kommt einem so-rtigen Atomausstieg gleich. Für das Netz – nicht fürie Kapazität – stellt das ein Problem dar. Auch da gilt:s ist wichtig, dass die Bundesregierung gemeinsam miten Energieunternehmen – auch die müssen sich dazuerhalten – im Mai eine Lösung findet. Es ist machbar;as sagen alle Experten. Es liegt aber auch in der Verant-ortung der Energieunternehmen, dass es im Mai nichtu einem Blackout kommt.
Deshalb sagen wir: Die Energiewende ist möglich,hne zu hohe Kosten und ohne Gefährdung der Versor-ungssicherheit. Die Bürger brauchen davor keine Angstu haben. Die Einzigen, die Angst haben müssen, sindie Energiekonzerne; denn durch die Energiewende ver-eren sie das Monopol, das sie jetzt noch haben und dasnen den Freibrief gibt, die Energiepreise so hoch stei-en zu lassen, wie wir es in den letzten Jahren erlebt ha-en: Seit 2005 sind die Energiepreise um 40 Prozentestiegen. Das liegt am Monopol, nicht an den erneuer-aren Energien.Ich sage Ihnen von CDU und FDP: Pfeifen Sie dietomfreunde in Ihrer Fraktion zurück! Nehmen Sie denonsens in der Bevölkerung wahr, und setzen Sie ent-prechende Maßnahmen um! Dann sind wir an Ihrereite. Aber ich sage Ihnen auch: Wenn Sie am Ende dertomlobby wieder folgen, dann werden wir Sie heftigritisieren. Damit würden Sie eines machen, nämlichen Konsens, den wir jetzt in der Gesellschaft haben,ufkündigen.
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12204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
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Frau Kollegin Höhn, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Der Konsens besagt eindeutig und klar: Raus aus der
Atomkraft und rein in die erneuerbaren Energien.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Nüßlein für die Unions-
fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war
von der Rede der Frau Höhn nur bis zu der Stelle ange-
tan, an der Sie, Frau Kollegin, den Versorgern höchst
präventiv und einseitig die Schuld für einen Blackout
und für höhere Preise zugeschoben haben, was im Rah-
men einer Energiewende passieren kann.
So einfach können wir es uns politisch aber nicht ma-
chen. Wir haben letzten Herbst ein Energiekonzept be-
schlossen, das wohlüberlegt und aus unserer Sicht gut
austariert war.
Es ging darum, mithilfe von Laufzeitverlängerungen den
notwendigen und teuren Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien gegenzufinanzieren. Wir haben nicht geglaubt, dass
wir dafür viel Applaus und großen Zuspruch bekommen
würden.
Wir haben das Energiekonzept beschlossen, weil wir
gesehen haben, dass wir mit dem Ausbau der erneuerba-
ren Energien in Bezug auf Netze und Speicher bei wei-
tem noch nicht so weit sind, wie wir sein müssten, um
eine Energiewende nicht nur rhetorisch herbeizuführen.
Wir hatten es in der Vergangenheit versäumt – ich mache
da keine Schuldzuweisung; deshalb sage ich an dieser
Stelle bewusst „wir“ –, mit dem Aufbau und Ausbau von
Kapazitäten eine Versorgung mit erneuerbaren Energien
sicherzustellen. Wir sind da bei weitem nicht so weit
– manchmal wird dies suggeriert –, wie wir gerne wären.
Die Diskussion in den nächsten Wochen wird sich
noch mehr der Frage widmen müssen, wie wir die erneu-
erbaren Energien sinnvoll weiter ausbauen können.
Diese Diskussion muss man jenseits von Wahlkampfge-
töse und parteipolitischem Kalkül führen. Ich habe Ver-
ständnis dafür, dass wir von der Union Prügel beziehen.
Das muss man mit Demut hinnehmen. Nichtsdestotrotz
sind wir in unserer Auffassung bestärkt, dass wir auf
dem richtigen Weg sind.
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Wenn das so einfach wäre und wenn man nur sagen
üsste, man habe sich geirrt!
Was haben wir gemacht? Es gab einen gewissen Kon-
ens. Ich erwähne dies, weil er von der SPD angemahnt
urde und weil ich der Meinung bin, man sollte sich an
ieser Stelle auf einen Konsens beziehen. Es muss natür-
ch unser Ziel sein, einen ehrlichen Konsens zu erwir-
en. Tun wir doch nicht so, als ob wir alle unsere Hände
Unschuld waschen könnten. Es gab doch hier, was die
icherheitsthematik angeht, offenkundig einen Konsens.
Doch! Doch! Doch!
ie haben in Ihrer Ausstiegsvereinbarung aus dem Jahr
000 klar bestätigt, dass die Kernkraftwerke in Deutsch-
nd auf einem international hohen sicherheitstechni-
chen Niveau sind.
ufgrund einer Änderung in Ihrer Parteipolitik wurde
er Ausstieg auf das Jahr 2020 verschoben. Dabei sind
ie doch gemeinsam mit den Grünen davon ausgegan-
en, dass unsere Kernkraftwerke sicher sind.
Frau Kollegin, wir haben dieses Regelwerk nicht außer
raft gesetzt; das ist schlicht falsch. Ihre Minister haben
ich nicht getraut, dieses Regelwerk in Kraft zu setzen;
is heute ist es in der Erprobungsphase.
an kann jetzt nicht dem Kollegen Röttgen die Schuld
die Schuhe schieben, wenn Trittin und Gabriel es
tztendlich nicht umgesetzt haben. Ich bitte schon um
in bisschen Lauterkeit in dieser Debatte.
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Frage des Kolle-
en Kelber?
Ja, gern.
Zum kerntechnischen Regelwerk: Der Unterschiedt: Das neue Regelwerk wurde, bis Herr Röttgen kam,ereits parallel angewendet; Herr Röttgen hat dafür ge-orgt, dass jetzt nur noch das alte Regelwerk angewandtird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12205
Ulrich Kelber
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Jetzt zur Frage, die ich Ihnen stellen wollte: HabenSie die Atomausstiegsvereinbarung von 2000 und dasGesetz von 2002 bis zum Ende gelesen? Hinter dem vonKollegen aus Ihren Reihen oft zitierten Teil, demzufolgeman die Atomkraftwerke zu dem Zeitpunkt als sicher an-sah, wird erstmals die gesetzliche Normierung derPflicht zur periodischen Sicherheitsüberprüfung vonAtomkraftwerken geregelt. Diese Überprüfung dauertübrigens etwa anderthalb Jahre für ein Kraftwerk, nichtsechs Wochen für 17 Kraftwerke. Außerdem ist die ste-tige Anpassung der Anforderungen an den Stand vonWissenschaft und Technik in der Vereinbarung zumAtomausstieg geregelt worden. Haben Sie den Teil gele-sen? Würden Sie ihn in Zukunft bitte mit zitieren?
Erstens habe ich das gelesen. Zweitens haben Sie, lie-ber Kollege Kelber, doch gemerkt, dass ich momentankeine konfrontative Rede halten will, sondern vom Kon-sens reden möchte. Drittens zwingen Sie mich jetzt,noch einmal zu sagen, dass Sie da eine klare Vereinba-rung mit den Versorgern getroffen haben, in der steht:Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, umdiesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde lie-gende Sicherheitsphilosophie zu ändern.
Nun sagen Sie, dass der Satz, der vorne steht, gegen-standslos sei, weil das, was weiter hinten steht, gelte. Ichmöchte jetzt die Gegenfrage stellen – Sie können siejetzt schlicht nicht beantworten; aber vielleicht könnenwir einmal bilateral darüber reden –, was der Passus imVertrag eigentlich bedeutet.
Was wollten Sie denn damit sagen? Sie haben sich ver-pflichtet, nichts an den Sicherheitsstandards und derSicherheitsphilosophie zu ändern. Es wird doch wohl ir-gendeinen Grund haben, dass das in diesem Vertragsteht.
Man kann doch jetzt nicht kommen und sagen: „Wir ha-ben es einmal da vorne reingeschrieben und weiter hin-ten im Vertrag zurückgenommen!“ Es geht hier auch umEhrlichkeit.
Ich will darauf hinaus, dass Sie offenkundig unsereSicherheitseinschätzungen teilen, denn Sie haben aufBasis dieser Sicherheitseinschätzungen gesagt, dass wirdie Kernkraft in diesem Land 20 Jahre länger nutzenkönnen. Das ist doch Fakt; ich mache Ihnen da gar kei-nen Vorwurf, sondern stelle es nur fest.RgTawTuafalewtüWvgdmsKSndwgbewbimukfissnDscEhg–
Es ist auch für Sie etwas Neues, wenn wir nun dieestrisiken, die Sie damals in Kauf genommen haben,emeinsam neu bewerten. Ich unterstreiche, dass dashema Ausstieg für uns von der Union nichts Neues ist,uch wenn man jetzt so tut, als seien wir diejenigen ge-esen, die die Kernenergie bis zum Sankt-Nimmerleins-ag nutzen wollten. In unserem Energiekonzept und innserem Koalitionsvertrag steht ganz klar: Wir werdenussteigen und keine neuen Anlagen bauen. Es ist alsolsch, uns in Richtung der Atomlobby schieben zu wol-n,
enngleich ich das parteipolitische Kalkül dahinter na-rlich nachvollziehen kann.Nun räume ich ein, dass es einen Unterschied gibt:ir haben klipp und klar gesagt, dass wir die Laufzeitenerlängern, um den Ausbau der erneuerbaren Energienegenzufinanzieren. Darum bitte ich, uns abzunehmen,ass wir uns bei den Erwägungen, die wir jetzt machenüssen, ein bisschen schwertun, weil jetzt plötzlich die-es Geld – zumindest das, was aus der Nutzung derernenergie kommen sollte – wegbrechen wird und amchluss nur noch die heute schon angesprochenen Ein-ahmen aus dem Emmissionshandel übrig bleiben wer-en. Da ist es schon schwierig, eine Lösung zu finden,enn die Finanzierung teilweise wegbricht, man aberleichzeitig die erneuerbaren Energien schneller aus-auen will. Das ist keine leichte Übung; da braucht manine ganze Menge Gehirnschmalz.Ich möchte, ohne dass Sie es gleich wieder als Vor-urf verstehen sollen, deutlich unterstreichen: Wir ha-en uns damals bei der Erstellung des Energiekonzeptsmerhin Gedanken gemacht, wie man die Erforschungnd den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Geldosten werden, angesichts knapper Haushaltskassennanziert. Das haben andere versäumt oder vernachläs-igt.Es ist einigermaßen offensiv, Frau Kollegin Höhn,ich jetzt hier hinzustellen und zu sagen: Das kostet allesichts, das geht zum Nulltarif.
as ist nicht korrekt. Sie sagen, die Kosten je Kilowatt-tunde Strom steigen um 0,5 Cent. Ich bin mir nicht si-her, ob das das Ende der Fahnenstange ist, weil Sie denmissionshandel berücksichtigen müssen, weil Sie dieöheren Kosten für die Nutzung der erneuerbaren Ener-ien berücksichtigen müssen usw.
Ich will es nicht in Abrede stellen.
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12206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Dr. Georg Nüßlein
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Das Problem ist: Wenn man solche Themen kritischbeleuchtet, wird man sofort an den politischen Prangergestellt. Es heißt dann: Der will doch eigentlich gar nichtwirklich aussteigen. – Das stimmt so nicht. Ich will nursagen: Wir müssen uns natürlich mit folgenden Proble-men beschäftigen: Was heißt das für die Verbraucher?Hier sitzt der angebliche Vertreter der Verbraucher, dermorgen mit der Forderung nach Sozialtarifen kommtund dann uns und den Versorgern die Schuld für die Fol-gen der Ausstiegspolitik in die Schuhe schiebt. Washeißt das für die Wirtschaft? Was heißt das für die ener-gieintensiven Betriebe? Das sind die Themen, die uns andieser Stelle beschäftigen müssen.Über dem Ganzen steht ganz zentral das Thema „Be-wahrung der Schöpfung“. Uns als Union hat Fukushimain der Tat mehr bewegt als Tschernobyl – nicht wegender Kategorie oder der Zahl der Opfer; beides ist gleicherschütternd. Aber, lieber Kollege Gysi, das Reaktor-unglück in Tschernobyl beruhte in der Tat ganz eindeutigauf menschlichem Versagen und dem Versagen einesmenschenverachtenden Sowjetregimes.
Fukushima in Japan hat eine andere Dimension. Wirsehen ganz klar und deutlich die Probleme bei der Be-herrschbarkeit dieser Technologie. Seien Sie versichert:Wir werden uns dieser Thematik wohlüberlegt und ziel-orientiert annehmen.Vielen herzlichen Dank.
Der Kollege Hempelmann hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Nüßlein, wer Ihre, wie Sie selbst sagen, auf Kon-sens getrimmte Rede gerade gehört und in Erinnerunghat, was Ihr Kollege Altmaier zu Beginn der Debatte ge-sagt hat, wer außerdem weiß, wie Herr Kauder oder HerrBrüderle oder Herr Röttgen zur Energiepolitik stehen,weiß, wie breit das Meinungsspektrum zu diesen Fragenallein in Ihrer Fraktion ist. Vielleicht wäre es an der Zeit,dass Sie zunächst einmal in Ihren eigenen Reihen an ei-nem Energiekonsens arbeiten.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Einsetzung einesSonderausschusses beantragt. Warum haben wir das ge-tan?
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Das ist nicht das Ergebnis. Hören Sie einfach einmalu. Die vielen Einzelfragen, die es zu diskutieren gibt,erden unter unterschiedlichsten Federführungen in deninzelnen Ausschüssen diskutiert. Gerade bei Anträgenur Energiepolitik gibt es so lange Listen von federfüh-nden bzw. mitberatenden Ausschüssen, wie sonst sel-n. Vor diesem Hintergrund wollen wir zur Herstellungines Konsenses zu den zentralen energiepolitischenragen einen solchen Querschnittsausschuss bilden.ort kann man diese Themen bündeln und zu Ergebnis-en kommen. Detailfragen sind natürlich wieder in denachausschüssen zu behandeln.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat nicht nur diesenonderausschuss beantragt, sondern hat ein mehr als0 Seiten umfassendes Energieprogramm vorgelegt, dasine – ich betone: eine! – Grundlage für die Arbeit einesolchen Sonderausschusses sein kann. Es ist ein Vor-chlag, der aufzeigt, wie wir möglichst im Konsensinen Weg finden können, den Umbau des Energiesys-ms, der jetzt ansteht, gemeinsam zügig voranzubrin-en.Frau Höhn hat eben gesagt, dass es schon so etwasie einen gesellschaftlichen Konsens gibt. Die Men-chen wollen beschleunigt aus der Kernenergie ausstei-en und beschleunigt in das Zeitalter der erneuerbarennergien einsteigen; das ist unbestreitbar. Ich glaubeber, dass es bei dem, was wir hier machen und was dieffentlichkeit zu Recht von uns erwartet, um mehr geht.s geht auch darum, einen Konsens darüber zu finden,ie wir den zügigen Umbau des Energiesystems hin zuinem System, das von erneuerbaren Energien dominiertird, gestalten sollen. Hierbei geht es nicht um trivialeragen. Es geht beispielsweise darum, wie wir das mitinem Höchstmaß an Versorgungssicherheit – und das zuder Sekunde im Jahr – verbinden. Es geht natürlich umie Frage, wie wir das mit dem Ziel verbinden, zu ge-ährleisten, dass Energie bezahlbar bleibt, Herr Gysi,nd zwar nicht nur für die Industrie, sondern selbstver-tändlich auch für den privaten Endverbraucher, für deninzelnen Haushalt. Es geht auch um die Frage, wie wiras so klimaverträglich wie möglich hinbekommen.Diese Fragen erfordern eine Befassung im Detail undine Verständigung zum Beispiel darüber, wie wir es iner Übergangsphase im Erzeugungsbereich mit Kohle-nd Gaskraftwerken halten; das hat heute explizit nocheiner angesprochen. Darüber werden wir uns verständi-en müssen. Wie halten wir es mit der Industrie, undwar nicht nur mit der Industrie, die wir als Zukunftsin-ustrie titulieren, sondern mit all den anderen Unterneh-en in unserem Land? Wer sich mit den Unternehmen ineutschland auskennt, der weiß, dass wir eine hochver-etzte Industrie haben, dass die Unterscheidung zwi-chen Alt und Neu eher in die Irre führt und dass wir
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Rolf Hempelmann
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sehr stromintensive Unternehmen haben, für die Energiebezahlbar bleiben muss. Diese Unternehmen sind dieBasis für Wertschöpfungsketten in unserem Land, dienicht nur viele Arbeitsplätze sichern oder neue schaffen,sondern die auch dafür sorgen, dass wir bei den Techni-ken der erneuerbaren Energien weit vorne liegen.Das sind Fragen, über die man dezidiert und qualifi-ziert reden muss. Man muss das Ganze bündeln und ge-meinsam wenigstens Leitlinien festgelegen. Wir habeneine große Chance. Diese Chance sollten wir nicht unge-nutzt lassen.
Wer den Zeitplan bis zum Juni dieses Jahres betrachtet,der hat Bedenken, dass die Koalitionsfraktionen dieseChance mit uns gemeinsam hier im Parlament tatsäch-lich nutzen wollen. Die Zeit, die uns am Ende bleibt, istvergleichbar mit dem, was im letzten Jahr bei der Lauf-zeitverlängerung passiert ist. Diese Zeit reicht für eineKopfbewegung: Das kann man nur noch abnicken. Dasliegt weder im Interesse der Koalitionsfraktionen nochim Interesse des gesamten Parlaments.
Ich glaube, es ist falsch, zu sagen: Wir brauchen zu-erst den gesellschaftlichen Konsens, und dann vollzie-hen wir das im Parlament nach; dafür brauchen wir ersteinmal den Input einer Ethikkommission. – Ich will garnicht in Abrede stellen, dass dort vernünftige Leute zu-sammensitzen. Es ist sicherlich auch interessant, wasdort besprochen wird. Aber wichtig ist die ethischeFrage. Sie hat uns geleitet. Sie war Grundlage für dieEntscheidungen zum Energiekonsens, zum Atomkon-sens Anfang dieses Jahrtausends.
Jetzt müssen die parlamentarische Befassung und dieLösung der konkreten Fragen, die ich gerade angespro-chen habe, im Mittelpunkt stehen.Wir haben ein sehr seriöses Angebot unterbreitet, dasin anderthalb Jahren von meiner Fraktion erarbeitet wor-den ist. Es wurde übrigens in einer Querschnittsarbeits-gruppe „Energie“ vorbereitet, in der Vertreter von zehnunterschiedlichen Fachausschüssen sitzen. Ich glaube,dieses Querschnittsdenken hat sich bewährt. Lassen Sieuns angesichts der zu beantwortenden Querschnittsfra-gen auch im Parlament so verfahren und den vorgeschla-genen Sonderausschuss einsetzen. Ich glaube, er bietetdie große Chance, dass wir zügig zu einer Verständigungkommen. Alle Parteien, aber auch die Gesellschaft ins-gesamt, können dabei nur gewinnen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Horst Meierhofer für die
FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!h fand diese Debatte bislang in weiten Teilen wohltu-nd und relativ entspannend, abgesehen von einigenpitzen. Wir sollten versuchen, weitgehend Einigkeit da-ber zu erzielen, wie wir die Bürger einbeziehen undie wir einen Wechsel hinbekommen können; das halteh für eine vernünftige Sache. Hierüber müssen wir unsrnsthaft Gedanken machen. Mir war nicht ganz klar,arum Herr Steinmeier meinte, alle Fragen seien schoneantwortet. Ich nehme für uns in Anspruch, dass jetzticht alle Fragen so beantwortet werden wie in der Ver-angenheit. Man kann die Fragen mit gutem Gewisseneu beantworten. Frau Höhn hat selber darauf hingewie-en, dass sich seit Fukushima die Wahrnehmung derestrisiken bei der Mehrheit der Bevölkerung verändertat. Das nehme ich auch für mich in Anspruch.Bei Tschernobyl wurde damals noch darauf verwie-en, es handele sich ja um einen russischen Reaktortyp,nd die UdSSR befinde sich gerade in der Endphase.etzt sagen manche: Japan ist nicht vergleichbar, weil esort ein Erdbeben gab. – Das wussten wir aber vorher.ll das führt zum Umdenken. Man sagt nun: Ein Land,as technologisch ähnlich hoch entwickelt ist wie unse-s – wenn auch nach internationalen Standards die japa-ischen Kernkraftwerke nicht auf dem gleichen gutentand sind wie die unseren –, hat mit Sicherheitsreservenalkuliert. Diese haben aber nicht ausgereicht. Dieealität hat das Ganze überholt. In einem solchen Fall ists nicht nur legitim, sondern dringend nötig, neu nachzu-enken. Dazu dient das Moratorium.
Dieses Moratorium leistet für mich einen Beitrag zuehr Glaubwürdigkeit und stellt keinen Kursschwenkm 180 Grad dar; das bitte ich anzuerkennen. Es ist nichto, dass wir nicht wissen, was wir wollen. Wenn Sie dasanze nicht nur politisch ausnutzen wollen, sondernuch Interesse an der Sache haben, wie es Herrempelmann oder Frau Höhn gezeigt haben, dann wäreh sehr erfreut, wenn wir gemeinsam die Fragen beant-orten: Was hat sich jetzt verändert, und was sind un-ere Schlussfolgerungen? – Ich bin mir relativ sicher,ass wir zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kom-en werden, wenn es um die Fragen geht, wie viele Off-horewindenergieanlagen, wie viele neue Kohlekraft-erke und wie viele neue Gaskraftwerke wir benötigennd was das dann für den Gebäudebestand bedeutet.enn wir mehr Gas verstromen, müssen wir überlegen,b wir im Energiebereich im Hinblick auf Gebäude-anagement und -sanierung noch mehr investieren sol-n, damit dort weniger verbraucht wird.Wir werden auch unterschiedlicher Meinung sein, wieinnvoll es ist, kurzfristig Strom aus anderen Ländern zuportieren, weil wir das Leitungsnetz in Deutschlandicht so schnell ausbauen können. Bislang war unsernsatz: Es macht für uns wenig Sinn, aus Frankreich,
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12208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Horst Meierhofer
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Polen oder Tschechien Atom- oder Kohlestrom zu im-portieren. Wir wollen angesichts unserer höheren Sicher-heitsanforderungen dann lieber Strom selbst erzeugen.Dieser Meinung sind wir weiterhin. Wir müssen aber hö-here Sicherheitsstandards als Maßstab anlegen. HöhereSicherheitsstandards sind ebenfalls eine Folgerung ausFukushima. Für mich ist auch nicht klar, dass alle altenKraftwerke abgeschaltet bleiben. Möglicherweise ergibtsich aus der Untersuchung, die wir jetzt durchführen,dass die älteren Kraftwerke in einigen Punkten sicherersind als die neuen. So gibt es getrennte Stromkreisläufeoder Sicherheitsreserven, die bei älteren Kraftwerken sooft aktualisiert worden sind, dass sie besser sind als beiden neueren. Das bedarf der genauen Untersuchung.Herr Hempelmann, in der Diskussion über unserEnergiekonzept könnte man doch auch über das Energie-konzept der SPD, das genauso ausführlich ist wie unse-res, debattieren. Man muss nicht immer einen neuenAusschuss fordern und wieder von vorne anfangen. Beider Debatte über unser Energiekonzept haben wir erst-mals nicht nur den Atomausstieg als Ziel gesetzt – kostees, was es will –, sondern auch klar begründet, warumwir Milliardenbeträge von den großen, bösen Energie-versorgern, Herr Gysi, einkassieren. Wir haben aufge-zeigt, wie man schneller auf die Erneuerbaren umsteigenkann, und zwar auf einem Weg, der international durch-setzbar ist, der nicht zu Verlagerungen von Unternehmenund Arbeitsplätzen führt und der sicherstellt, dass wir inDeutschland auch technologisch an der Spitze bleiben.Ich bin überzeugt, dass diese Punkte vernünftig sind.Wenn wir jetzt allerdings schneller aus der Kernkraftaussteigen, dann fehlt etwas. Dann stellen wir fest, dassder Strom teurer wird und dass wir mehr importierenmüssen. Sie können sagen: Das ist uns völlig egal. – Mirist das aber nicht egal, weil das dazu führt, dass die Si-cherheit international nicht zunimmt, sondern abnimmt.Wir brauchen andere Antworten. Der Strompreis darfin Deutschland nicht so stark ansteigen. Anderenfallswerden die Unternehmen versuchen – ob man das nunwahrhaben will oder nicht –, auf dem internationalenMarkt den Strom vom günstigsten Anbieter zu bekom-men. Das werden wir nicht verhindern können. Der guteWille, im eigenen Häuschen und im eigenen Garten allesschön zu machen, ist das eine. Das andere ist, auf inter-nationaler Ebene eine Energiewende einzuleiten. Dabeimüssen wir die Wirtschaftlichkeit gerade der strominten-siven Industrie berücksichtigen. Eine Aluminiumhütte,die Gewässer mit irgendwelchen roten Flüssigkeiten ver-schmutzt, nutzt uns nichts. Wir müssen versuchen, dasProblem bei uns zu lösen.
Dazu habe ich zu wenige Antworten gehört. FrauHöhn, ich habe auch nicht gehört, wie es gelingen soll,dass die erneuerbaren Energien grundlastfähig werden,wenn wir nicht auch bereit sind, mehr Pumpspeicher-kraftwerke zu bauen, wenn wir nicht bereit sind, dieSpeichertechnologien hinsichtlich der Methanisierungweiterzuentwickeln, und wenn wir nicht bereit sind,bsnmkaETsakweReSddDuFolinDlisbumbsinWmgndwdgv
Wir brauchen technologische Antworten. Wir dürfenicht nur sagen, was wir alles nicht wollen, sondern wirüssen den Leuten auch offen sagen, welche Auswir-ungen das hat, und diese Auswirkungen sind nicht nurngenehm.
s ist eben nicht angenehm, eine 380-kV-Leitung vor derür zu haben. Auch ein Pumpspeicherkraftwerk imchönen Schwarzwald ist keine angenehme Sache. Es istuch nicht angenehm, zu überlegen, woher der Stromünftig kommen soll, nachdem jetzt acht Kernkraft-erke abgeschaltet wurden. Ich muss mir überlegen, wies weitergehen soll, wenn andere Kernkraftwerke in dieevision kommen. Diese Revision wollen ja alle, damits sicher ist. Vielleicht haben wir dann eine niedrigerepannung im Netz, die dazu führt, dass die Sicherheiter anderen Kernkraftwerke nicht mehr garantiert wer-en kann.
eshalb sage ich: Ein sofortiges Abschalten können wirns nicht leisten, es sei denn, wir holen den Strom ausessenheim, das 30 Kilometer von Freiburg entfernt ist,der aus Temelin, das direkt an der Grenze zu Bayernegt.Wir müssen versuchen, gemeinsam zu einem Ergeb-is zu kommen. Wir brauchen keinen neuen Ausschuss.adurch, dass Wirtschafts- und Umweltausschuss betei-gt sind, fließen die Meinungen der Umwelt- und Wirt-chaftspolitiker der verschiedenen Fraktionen ein. Auchei Ihnen gibt es einen Unterschied zwischen Umwelt-nd Wirtschaftspolitikern; das muss auch so sein. Wirüssen gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Wirrauchen keinen Ausschuss, der für mehr Öffentlichkeitorgt. Gleichzeitig wird die Arbeit der Ethikkommission der Öffentlichkeit ins Lächerliche gezogen.
ir müssen uns schon darauf verständigen, dass wir ge-einsam zu Ergebnissen kommen wollen. Das gilt übri-ens auch für die Endlagerfrage.Wenn Sie das Problem mit uns gemeinsam in Angriffehmen wollen, dann sorgen Sie bitte dafür, dass wir iner Öffentlichkeit auch dann eine Mehrheit bekommen,enn es um unangenehme Dinge wie die Kostenfrage,ie Endlagerung oder Stromtrassen geht. Wenn uns daselingt, machen wir wirklich einen großen Schritt nachorne.Vielen Dank.
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Der Kollege Oliver Krischer hat das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin froh, heute auch das eine oder andere nachdenk-liche Wort aus den Reihen der Regierungsfraktionen ge-hört zu haben.
Diese Debatte unterscheidet sich wohltuend von anderenDebatten, die wir sowohl vor als auch nach Fukushimageführt haben. Diese Debatte unterscheidet sich auchwohltuend von dem, was wir im November letzten Jah-res erlebt haben, als Sie hier die Laufzeitverlängerungbeschlossen haben. Das Energiekonzept, das Sie damalsbeschlossen haben, haben Sie als Jahrhundertwerk, alsepochales Machwerk, als leuchtenden Pfad bezeichnet.Was habe ich damals nicht alles gehört! Es ist gut, dassSie jetzt einsehen, dass Ihr Energiekonzept, dessen Kerndie Laufzeitverlängerung ist – die Atomkraft sollte an-geblich eine Brücke hin zu den erneuerbaren Energiendarstellen –, in sich zusammengefallen ist.
Wir haben – das ist völlig richtig – in der Gesellschafteinen breiten Konsens: Raus aus der Atomkraft, rein indie erneuerbaren Energien. Die Frage ist jetzt doch nur:Sind wir, sind Sie, die Koalition und die Regierung, inder Lage, diesen Konsens umzusetzen? Das ist die ent-scheidende Frage, die wir jetzt stellen müssen.
– Darauf komme ich jetzt zu sprechen. – Ich habe dagroße Zweifel. Wir haben die Bundesregierung einmalkonkret gefragt, welche Maßnahmen ihres Energiekon-zepts sie außer der Laufzeitverlängerung umgesetzt hat.Die Antwort war entwaffnend ehrlich: Nichts. Außer derLaufzeitverlängerung haben Sie in den letzten Monatenkeine andere Maßnahme ergriffen. Deshalb zweifelt dieGesellschaft daran, dass Sie den Konsens „Raus aus derAtomkraft, rein in die erneuerbaren Energien“ umsetzen.
Herr Röttgen und Herr Brüderle haben einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt. Er enthält viel Lyrisches, vieleAnkündigungen, viel Unkonkretes, aber auch manchesRichtige. Ich habe aber erhebliche Zweifel daran, dassdas ernst gemeint ist. Statt weitere Pläne vorzulegen undKonzepte zu entwickeln, sollten Sie endlich Maßnahmenergreifen. Es gibt viel Konkretes, was Sie machen könn-ten. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen.gAdRBriBteDmBeZlivdaUindH–eUdAsnvKSbDuausbsSMds
Ich nenne das Beispiel Onshorewindenergie. Derundesverband Wind-Energie hat vor einigen Tagenine Studie vorgelegt, die zeigt, dass wir, wenn wir dieiele von Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, näm-ch 2 Prozent der Landesfläche – das ist wirklich nichtiel – für Windenergie zu nutzen, zugrunde legen wür-en, die installierte Leistung in Deutschland fast ver-chtfachen könnten. Aber – ich schaue in Richtungnionsfraktion und FDP-Fraktion – wer blockiert denn den Ländern den Ausbau der Windenergie? Wer istas? Überall sind es Union und FDP, die blockieren.ier könnten Sie sofort aktiv werden.
Dann besuchen Sie einmal Nordrhein-Westfalen, Bay-rn und Baden-Württemberg; dort sehen Sie, dass dienion an vorderster Front bei den Blockierern steht.
Ein anderes Beispiel: die Kraft-Wärme-Kopplung. Iner Großen Koalition wurde beschlossen, dass sie einennteil von 25 Prozent an der Stromversorgung habenoll. In Ihrem alten Energiekonzept taucht das überhaupticht mehr auf. Wir haben gemeinsam mit den Kollegenon der SPD viele Vorschläge gemacht, wie wir dieraft-Wärme-Kopplung voranbringen können. Greifenie das auf! Das brauchen Sie nur umzusetzen. Dafürraucht man keine Kommissionen und keine Debatten.as können Sie, wenn Sie es politisch wollen, sofortmsetzen. Tun Sie es einfach! Das wäre richtig, um rausus der Atomkraft und rein in die erneuerbaren Energiennd Energieeffizienztechnologien zu kommen.
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Energie-parfonds, Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, CO2-Ge-äudesanierungsprogramm, Energieleitungsausbauge-etz. Es gibt etliche Projekte, die wir anpacken können.ie müssen es einfach nur tun, statt die Schuld – Herreierhofer, das habe ich eben bei Ihnen trotz aller Nach-enklichkeit wieder herausgehört – immer auf andere zuchieben. Sie müssen handeln.
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12210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Oliver Krischer
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Sie müssen den Menschen deutlich machen, dass Sie esmit der Energiewende ernst meinen. Sonst werden Siescheitern und den Konsens, den es in der Gesellschaftgibt, nicht umsetzen. Das wäre das falsche Signal. Sor-gen Sie für Konsens! Zeigen Sie, dass Sie ernsthaft han-deln und nicht nur die Schuld auf andere schieben wol-len!
– Auch wir handeln, Herr Meierhofer.
Zum Schluss noch einen kurzen Satz zum Energie-konzept der SPD. Ich habe darin viel Gutes und Richti-ges gelesen. Vieles deckt sich mit dem, was meine Frak-tion im Herbst letzten Jahres vorgeschlagen hat; da gibtes große Gemeinsamkeiten. Aber bei einem Punkt kannich Ihnen nicht folgen: Nach wie vor reiten Sie das alteGrubenpony vom nationalen Steinkohlensockel.
Sie sind nicht bereit, sich von dieser Technologie zu ver-abschieden. Meine Damen und Herren von der SPD, dasist einfach nicht zukunftsweisend. Darunter sollten Sieeinen Schlussstrich ziehen. Gestern haben wir hier imParlament beschlossen, dass mit dem Steinkohlenberg-bau in Deutschland, dass mit den Milliardensubventio-nen Schluss ist. Ein ehrlicher Schritt ins 21. Jahrhundertwäre bei Ihnen also angebracht.Danke schön.
Jens Koeppen hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich habe mich mein ganzes Berufsleben lang mit Ener-giefragen beschäftigt, insbesondere mit elektrotechni-scher Energie. Das ist natürlich nicht verwunderlich, daich Elektrotechniker bin. Ich möchte einmal auf die Fa-cetten dieser Energieform eingehen. Eine Facette ist na-türlich die Energieerzeugung. Eine andere Facette ist dieEnergieverteilung; dies ist sehr spannend. Eine weitereFacette ist die Energienutzung direkt beim Verbraucher.Seit Mitte bzw. Ende der 90er-Jahre sind die erneuerba-remstrpwdEtembdEIcZEtiNWmlemuksEshwesSlizufossJhd–pocAwicav
s bedeutet nicht, dass wir in Aktionismus verfallenollten. Es bedeutet auch nicht, dass wir populistischandeln sollten. Es darf erst recht nicht bedeuten, dassir das Leid der Japaner und die Katastrophe, die sichreignet hat, für unseren partikularen Egoismus aus-chlachten. Das darf nicht passieren.
Ich möchte darauf hinweisen – das sage ich an diesertelle immer wieder –: Dieses Nachdenken muss natür-ch ergebnisoffen sein – sonst braucht man nicht nach-udenken –, und es muss technikoffen sein. Wir dürfenns Techniken, die vielleicht noch nicht hinreichend er-rscht sind, nicht verschließen.Die Akzeptanz von Kernkraftwerken ist in der deut-chen Gesellschaft nicht mehr vorhanden; in Umfragenprechen sich 86 Prozent der Befragten dagegen aus.etzt müssen wir die Frage beantworten: Welche Folgenätte es, wenn wir 8 oder 17 Anlagen abschalten wür-en? Dabei geht es nicht um die Folgen in 50 Jahrennatürlich wird in unserer Gesellschaft bis dahin einigesassiert sein –, auch nicht um die Folgen in 20 Jahrender in 15 Jahren. Die Frage, die ich stelle, lautet: Wel-he Folgen hätte der Ausstieg hier und heute, impril 2011? Diese Frage müssen wir beantworten. Dassir bereit sind, aus der Kernenergie auszusteigen, habeh von allen Seiten gehört. Sind wir gleichzeitig aberuch bereit – lassen wir die Merit Order einmal außenor –, seit dem 17. März dieses Jahres jeden Tag 6 kW
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12211
Jens Koeppen
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andere Energie – möglicherweise Kernenergie ausFrankreich und Temelin in Tschechien – einzukaufen?
Wenn wir dazu bereit sind, Herr Kelber, dann sollten wirden Menschen dies sagen; das sollten auch Sie tun.
– Gigawatt! Der nächste Punkt. Wir legen ein Netzaus-baubeschleunigungsgesetz vor. Sind wir bereit, sind Siebereit, in den Wahlkreisen dafür zu sorgen, dass soschnell wie möglich 4 500 Kilometer neue Leitungen ge-baut werden?
– Ja.
Ich beziehe mich auf die dena-Netzstudie I und diedena-Netzstudie II, meine Damen und Herren; Sie müs-sen diese Studien auch einmal lesen. Diese Zahl gilt üb-rigens nur dann, wenn der Anteil erneuerbarer Energienlediglich 38 Prozent beträgt. Wenn wir einen höherenAnteil erneuerbarer Energien wollen, wird sich dieLänge der benötigten Leitungen sogar verdoppeln.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Sind wirletztendlich auch bereit, den Zubau erneuerbarer Ener-gien zuzulassen? Sie haben gerade gesagt, wir seien da-gegen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Frage von Herrn Ott
zulassen?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Koeppen, vielen Dank. – Das Grundge-
setz verlangt von uns Abgeordneten keine spezifische
und vertiefte Sach- oder gar Fachkenntnis; das ist auch
gut so.
Aber die Achtung vor dem Grundgesetz und der Respekt
vor unserer Stellung als Abgeordnete erfordern, dass
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Ist Ihnen bekannt, dass eine Untersuchung im Auftrag
es Wirtschaftsministeriums, also für Herrn Brüderle,
erade zu dem Schluss gekommen ist, dass vielleicht nur
50 Kilometer neue Hochspannungsleitungen gebraucht
erden?
nsonsten ist in seriösen Schätzungen von einer Länge
on 1 000 bis 1 500 Kilometern die Rede. Operieren Sie
itte nicht immer mit Horrorzahlen, die die Leute nur
erschrecken und Angst vor den hohen Kosten machen
ollen!
Sie haben sicherlich die dena-Netzstudie I gelesen.ir haben – Herr Hempelmann war aktiv dabei – in derergangenen Legislaturperiode um 850 Kilometer ge-tritten.
on diesen 850 Kilometern sind nicht einmal 100 Kilo-eter gebaut worden. Bei einem Anteil der erneuerbarennergien von 38 Prozent werden laut dena-Netzstudie II600 Kilometer Leitungen benötigt. Wir müssen aberie anderen Leitungen, die in der Netzstudie I genannterden, noch hinzunehmen. Dann kommen wir auf dieben genannten 4 500 Kilometer. Das ist keine Horror-ahl, sondern eine ganz realistische Zahl. Das hat dieena uns in den letzten Tagen erneut bestätigt.
o viel zum Netzausbau, den wir vornehmen müssen.Herr Krischer hat gesagt, dass wir nicht bereit sind,en Zubau von erneuerbaren Energien zuzulassen. Ineinem Wahlkreis geht es übrigens um 2,3 Prozent dergionalen Planungsfläche. Da stellt sich der NABU inie vorderste Reihe der Bewegung, die zum Ziel hat, denau von Windenergieanlagen zu verhindern. Als Bun-esvereinigung sagt der NABU Ja zum Wind, vor Ortber Nein. So kann es nicht gehen.Die Kosten – wir haben das immer wieder angespro-hen – sind bei 46 Cent Steuern und Abgaben ein großesroblem. Wir müssen bedenken: Können wir es den
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Jens Koeppen
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Menschen zumuten, letztendlich noch mehr auf denStrompreis draufzusatteln,
oder soll es der Staat machen? Soll es – ich erinnere anunsere Schuldenbremse – dann letztendlich der Steuer-zahler übernehmen, wie es heute Frau Nahles im Früh-stücksfernsehen gesagt hat? Wir müssen auf jeden Falldarauf achten, dass die Belastung der Privathaushaltenicht zu groß wird und dass auch die Industrie nicht zusehr belastet wird; denn wenn die Industrie wegbricht,bedeutet das gleichzeitig den Wegfall von Arbeitsplät-zen.Wir müssen bereit sein, neue Gaskraftwerke zubauen. Ich bin einmal gespannt, wie Sie das durchsetzenwollen. Wir müssen außerdem neue Pipelines bauen.Ferner müssen wir bereit sein, neue Kohlekraftwerke zubauen und CCS zuzulassen. Die Kraftwerke müssennach einer EU-Richtlinie CCS-ready sein. Ich bin ge-spannt, was da passieren wird.
Natürlich müssen wir auch sehen, ob wir letztendlich diehohen Klimaschutzziele einhalten können.Natürlich können wir über das alles in den Ausschüs-sen beraten. Aber, meine Damen und Herren von derSPD, ich weiß nicht, ob ein Sonderausschuss wirklichdas richtige Instrument ist. Es sollen Kompetenzen ausden Ausschüssen, die jetzt damit befasst sind – das sindder Umweltausschuss und der Wirtschaftsausschuss –,abgezogen werden, um einen neuen Ausschuss einzuset-zen, der noch nicht einmal bei einem Ministerium ange-siedelt ist. Dann müssen wir einen Schritt weitergehenund sagen: Wir brauchen auch auf administrativer Ebeneein Ministerium – das könnte vielleicht das Innenminis-terium sein –, bei dem alles gebündelt wird. Die Kompe-tenzen wären dann nicht im Umwelt-, Wirtschafts- oderVerbraucherschutzministerium, sondern woanders ge-bündelt, vielleicht in einem Energieministerium. EineAnsiedlung des von Ihnen geforderten Sonderausschus-ses dort wäre dann logisch und sinnvoll. Vielleicht soll-ten wir darüber nachdenken. Ich bin gerne dazu bereit.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Matthias Miersch hat das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte auf eine ganz elementare Frage zu sprechenkommen, die mir in vielen Wortbeiträgen ein bisschen zukurz gekommen ist: Welchen Stellenwert haben wir alsParlamentarier eigentlich nach der deutschen Verfas-sung? Ich war erschrocken, als ich die Rede von HerrnASmIcelerataessdmnspzcWTDtimtrfabFegzuWdRsRdswtr
Ich führe viele Gespräche und sehe in Ihre Gesichter.h glaube, dass viele – auch von Ihnen – über die aktu-lle Situation sehr unglücklich sind; denn sie haben imtzten Herbst erlebt, dass ein Gesetz eigentlich ohne Be-tung durchgepeitscht worden ist und dass der Bundes-gspräsident dies ausdrücklich kritisiert hat. Nun drohtine Wiederholung dieses Vorgangs. Das darf nicht pas-ieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie die Verfas-ung bei der elementaren Frage der Energieversorgunger Zukunft auf den Kopf stellen. Diese Regierung for-uliert neue Dinge, die es in der deutschen Verfassungicht gibt.Fangen wir mit dem sogenannten Moratorium an. Woteht in der Verfassung, dass der Deutsche Bundestaglötzlich ein Moratorium verhängen und aufhören kann,u denken? Das kann doch nicht die Wahrheit sein!
Sie verweisen darauf, dass Sie hier regelmäßig, wö-hentlich über das Thema diskutiert haben. Warum?eil die Oppositionsfraktionen Anträge zu diesemhema gestellt haben. Von Ihnen kommt aber nichts.as ist die Wahrheit.
Als Nächstes ist verfassungsrechtlich hochproblema-sch, dass diese Bundesregierung im Herbst einen Dealit vier Energiekonzernen gemacht und einen Kaufver-ag geschlossen hat, dessen Rechtsform bis heute ver-ssungsrechtlich überhaupt nicht klar ist; denn Sie ha-en ein Gesetz für eine Einzahlung in den Fonds zurörderung regenerativer Energien verkauft. Ich glaube,s ist in der deutschen Geschichte ein einmaliger Vor-ang, dass jetzt vier Konzerne sagen: Wir haben unswar vertraglich verpflichtet, aber das Gesetz „kippt“,nd deswegen stoppen wir die Zahlungen. Deswegen:iederholen Sie diesen Fehler nicht, sondern führen Sieiese Debatte im Deutschen Bundestag. Das darf dieseregierung nicht alleine überlassen bleiben.
Was haben wir in der letzten Sitzung des Umweltaus-chusses miteinander besprochen? Der Vorsitzende dereaktor-Sicherheitskommission war dort und hat überen Zwischenstand berichtet. Er hat gesagt, die Ent-cheidung darüber, welche Szenarien anzunehmen sind,erde nicht von der Reaktor-Sicherheitskommission ge-offen, sondern Sie würden der Ethikkommission eine
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Dr. Matthias Miersch
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entsprechende Empfehlung vorlegen. Was passiert da ei-gentlich im Kanzleramt?Es ist zu lesen, dass die Ethikkommission am28. April 2011 eine Anhörung durchführen will. Gehö-ren diese Anhörungen nicht in den Deutschen Bundes-tag? Dann könnten wir uns eine Meinung bilden.
– Sie sagen „beides“. Was haben wir in der letzten Sit-zung des Umweltausschusses besprochen? Auf derGrundlage unserer Gesetzentwürfe haben wir mit Ihnenbesprochen, dass wir jetzt die Sachverständigenanhö-rung über diese Gesetzentwürfe wollen. Was haben Sievorgeschlagen? Sie haben vorgeschlagen, am 27. Juni2011 eine Anhörung durchzuführen, obwohl Sie wissen,dass dieses Gesetz Ende Juni „stehen“ soll. Dadurch of-fenbaren Sie doch alles.
Weil Sie gemerkt haben, dass Sie nun wirklich völlig da-nebenliegen, haben Sie sich korrigiert, sodass wir dieseAnhörung, Herr Nüßlein, jetzt in der Tat am 6. Juni 2011durchführen.
Ich sage Ihnen: Was könnten wir in diesen Wochen al-les klären! Die Abschaltung, die Rücknahme der Lauf-zeitverlängerung, das Inkraftsetzen des Kerntechni-schen Regelwerks: All dies wäre problemlos möglich,weil die unterschiedlichen Sachverständigen in den An-hörungen im Herbst alle Fakten auf den Tisch gelegt ha-ben.
Weil Sie diesen Sonderausschuss abgelehnt haben,sollten Sie die Osterpause noch einmal dafür nutzen,sich das durch den Kopf gehen zu lassen; denn ichglaube, dass wir dieses große Problem tatsächlich nur lö-sen können, wenn wir interdisziplinär an dieses Themaherangehen.Herr Koeppen, das Beispiel von den Netzen war rich-tig, aber die Antwort auf die Frage, wie viele Netze wirwirklich brauchen, hängt zum Beispiel elementar vondem zukünftigen Energiemix ab. Deswegen müssen wirdiese Frage beantworten, und ich behaupte: Wir brau-chen viel, viel weniger Netze. Diese Debatte gehört inden Sonderausschuss.
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Der Kollege Andreas Lämmel hat jetzt das Wort für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
enn man die Debatte verfolgt hat, dann kann man fest-
tellen: Abgesehen von der Rede des Herrn Kollegen
ysi, der alles weiß, alles schon durchdacht und im Vo-
us bestimmt hat, war es eine sehr interessante Debatte,
eil alle Fraktionen deutlich gemacht haben, dass die
nergiepolitik kein ausschließliches Thema von
chwarz, Rot, Grün, Weiß oder Gelb, sondern ein hoch-
omplexes Thema ist, in das sehr viele Fachpolitiken hi-
einspielen.
Wir stehen vor komplizierten Herausforderungen.
as Problem ist, dass erst die Koalition im letzten
erbst überhaupt ein Energiekonzept vorgelegt hat. Rot-
rün hat jahrelang einen Energiedialog geführt. Es wur-
en Berge von Studien verfasst, aber das Ergebnis war
ull.
Wir haben als CDU/CSU-FDP-Koalition erstmalig
in Konzept vorgelegt.
aran kann man zwar Kritik üben – das mag schon sein;
s war schließlich das Konzept der Koalition –, aber wir
aben immerhin ein Konzept vorgelegt.
Jetzt kommen Fragen auf: Muss dieses Energiekon-
ept jetzt weg? Müssen wir völlig neu diskutieren?
eine Antwort darauf ist: Nein, das Konzept muss nicht
eg.
Ein Mitglied der Ethikkommission hat uns letzte Wo-
he mit auf den Weg gegeben, dass man in der Diskus-
ion bestehende Risiken nicht durch neue Risiken erset-
en soll.
Herr Kollege, möchten Sie das Risiko einer Zwi-chenfrage der Kollegin Bulling-Schröter eingehen?
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Im Moment nicht. – Wenn man in Zeiten des Aktio-nismus und der Hysterie Entscheidungen trifft, ist dieGefahr groß, dass sie sich letzten Endes als Risiko he-rausstellen.
Herr Kollege Dr. Miersch, Sie haben gesagt, dass wirein Moratorium verkünden und aufhören, zu denken. –Das ist ja wohl der größte Hohn. Das Moratorium ist ge-rade deswegen in Kraft gesetzt worden, um nachzuden-ken, den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen unduns zu fragen, wo die Stellschrauben sind und was wirtun müssen, um auch gesellschaftlich voranzukommen.
Ich denke, wir haben jetzt eine einmalige Chance.Auch das hat sich deutlich gezeigt. Sie waren früher ei-ner der strengen Kritiker der Koalition, Frau Höhn. Aberich habe aus Ihren Worten deutlich gehört, dass auch beiden Grünen das Nachdenken darüber angefangen hat,wie eine zukünftige Energiepolitik aussehen kann.
Denn Sie wissen selbst ganz genau, Frau Höhn: Es isteben nicht mit einem „Raus aus der Atomenergie, rein indie Regenerativen, und die Welt ist heil“ getan.
Denn die Probleme, die wir jetzt zu bearbeiten haben– dazu kommen wir noch –, sind viel schwerwiegender.Deutschland ist keine Insel der Glückseligen. Wirmüssen darauf achten, dass wir mit den Korrekturen amEnergiekonzept auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähigbleiben. Es nützt uns nichts, wenn wir die sauberste Luft,das grünste Gras und den teuersten Strom, aber keineArbeitsplätze mehr haben.
Das alles unter einen Hut zu kriegen, ist, wie Sie wissen,nicht eine Sache von einer Woche; es geht vielmehr umdie Frage, wie man jetzt in der Gesellschaft den Konsensüber den richtigen Weg herbeiführen kann.Es geht ganz entscheidend um die Kosten der künfti-gen Energieversorgung. Man kann darüber streiten. Ichbin gegen Zahlenspiele. Ob 0,5 Cent, 0,1 Cent, 0,8 Centoder 2 Cent: Keiner weiß genau, was die Stromversor-gung in Deutschland in drei, fünf oder zehn Jahren kos-ten wird. Eines steht fest: Es wird nicht billiger.Das Konzept der CDU/CSU- und der FDP-Fraktionsah den schnelleren und starken Einstieg in die Welt dererneuerbaren Energien vor.AObSBdtadkdbPüDdwInhWSAmknsDtilaogteDbaHtesiddDS1
ber was hat sich denn zum Beispiel im Bereich derffshorewinderzeugung gezeigt? Es gab technische Pro-leme, finanzielle Probleme und Akzeptanzprobleme.ie wissen genau, dass es nicht darum geht, heute eineneschluss zu fassen, den man morgen realisiert, und inrei Tagen ist die Welt wieder heil.Heute früh wurde im Deutschlandfunk eine Repor-ge über Windkraft gesendet. Es ging darum, dass sichie Bevölkerung im Raum Bremen massiv gegen Wind-raft ausgesprochen hat, weil sie ihre Lebensqualität be-roht. Sie wissen also ganz genau, dass es diese Pro-leme vor Ort gibt.Kommen wir zum Planungsrecht. Ja, wir müssen daslanungsrecht ändern. Ich erinnere an die Diskussionber das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz.as gab es in einer leicht lesbaren, dünnen Version füren Aufbau Ost. Dann wollten wir dieses Gesetz – dasar Konsens – auf Gesamtdeutschland anwenden, umfrastrukturinvestitionen zu beschleunigen. Was dabeierausgekommen ist, wissen Sie selbst. So sieht dieahrheit aus, und die Wahrheit ist immer konkret.Das betrifft auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz.ie wissen ganz genau: Wenn wir noch stärker in denusbau der regenerativen Energien einsteigen, dannüssen wir auch die Mechanismen des EEG überden-en. Nicht umsonst haben Italien, Frankreich und Spa-ien – Spanien schon vor einem Jahr – das EEG ge-toppt.
iese Dinge müssen diskutiert werden.
Der schnelle Ausbau der Stromnetze ist schon disku-ert worden. Es ist nicht so einfach, heute in Deutsch-nd Stromleitungen zu verlegen. Es geht nicht um 3 000der 3 500 Kilometer Stromleitungen, sondern es wäreut, wenn wir wenigstens 1 000 Kilometer verlegt hät-n.
ie Fragen, die sich uns stellen, sind wirklich schwer zueantworten.Ich will noch ein Thema anschneiden: Smart Grids,lso intelligente Stromnetze. Auch Sie wissen, dass inolland und Kalifornien die Einführung von intelligen-n Stromzählern am Widerstand der Bevölkerung ge-cheitert ist. Wir dürfen also auch in diesen Fragen nichteologisch handeln und das einfach durchziehen, son-ern wir müssen der Bevölkerung das Thema vermitteln.azu brauchen wir aber keinen Sonderausschuss. Deronderausschuss, den die SPD gerne möchte, soll7 Abgeordnete als Mitglieder haben. Darin würden von
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12215
Andreas G. Lämmel
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den Grünen wahrscheinlich zwei Abgeordnete sitzen, si-cher Frau Höhn und noch jemand.
Von den Linken würde wahrscheinlich Herr Gysi undnoch jemand darin sitzen. Herr Gysi als oberschlauerBesserwisser würde sicherlich große Beiträge zu einemEnergiekonzept beisteuern. Daran können Sie dochschon sehen, dass Sie mit diesem Antrag die Diskussionauf einen kleinen Kreis von Abgeordneten verengen.Wir wollen genau das Gegenteil.
Wir wollen die Diskussion auf einer breiten Grundlageführen. Es sollen nicht nur Wirtschaftspolitiker und Um-weltpolitiker die Energiepolitik gestalten; denn das istein Querschnittsthema. Deswegen ist aus unserer Sichtdieser Spezialausschuss nicht geeignet.
– Herr Hempelmann, ich kenne Ihre Überlegungen dazu. –Ich frage Sie: Wie kann man ins Gespräch kommen undzu einem Konsens gelangen? Wir sind da nicht so weitauseinander. Ich habe aber noch nie gehört, dass die SPDzu anderen Themen einen Sonderausschuss wollte.
Wir sind der Auffassung, dass wir keinen Sonderaus-schuss brauchen. Wir brauchen vielmehr eine breite Dis-kussion hier im Hause und in der Öffentlichkeit. Deswe-gen werden wir den SPD-Antrag in die Ausschüsseüberweisen. Dort können wir uns darüber unterhalten, obes vielleicht andere Ideen gibt, wie man eine konsens-orientierte Energiepolitik betreiben kann.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Es ist verabredet, die Vorlagen auf den Druck-
sachen 17/5473 und 17/5481 an die Ausschüsse zu über-
weisen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung mautrechtlicher Vorschriften
für Bundesfernstraßen
– Drucksache 17/4979 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 17/5519 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
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ßen war und ist gegenwärtig nicht beabsichtigt. Dazugibt es auch verschiedene Meinungen im Fachgremium,dem Verkehrsausschuss. Die Kolleginnen und Kollegender Linksfraktion und der Grünen gehen insofern nocheinen Schritt weiter – aber das werden wir in dieser De-batte noch hören –, als sie das ganze Bundesfernstraßen-system bemauten wollen.Gemäß dem Ziel des Gesetzes waren nach dem ur-sprünglichen Gesetzentwurf rund 2 000 Kilometer Bun-desstraße zusätzlich zur Bemautung vorgesehen. Sie wa-ren gesetzlich definiert als mindestens vierstreifigeBundesstraßen in der Baulast des Bundes mit unmittel-barer und mittelbarer Anbindung an die Autobahn. Ent-sprechend dem Wunsch der Bundesländer und aufAntrag der Koalitionsfraktionen werden zusätzliche Kri-terien aufgenommen, nämlich Bemautung erst bei einerMindestlänge von 4 Kilometern, Bemautung nur vonBundesstraßen mit einer durchgehenden baulichen Rich-tungstrennung und keine Bemautung innerorts. Auchsollen die mittelbar an die Autobahn angebundenen Stre-cken nicht mehr bemautet werden. Damit wird auch dasProblem des derzeit reduzierten Speicherplatzes der Ge-räte gelöst.Somit gehen wir im Bundesministerium für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung auch auf die Belange des mittel-ständischen Transportgewerbes ein. Mit diesen zusätzlichenKriterien und der Streichung des mittelbaren Streckenbe-zugs stehen nunmehr anstelle von rund 2 000 KilometernBundesstraße nur noch 1 000 Kilometer zur Bemautungan.Damit wären wir beim Thema, ob sich das rechnet.Kollege Hofreiter hat dazu mehrere Fragen an die Exper-ten gestellt. Zunächst einmal verbietet uns das Haus-haltsrecht, unwirtschaftliche Projekte zu realisieren. Un-sere Projekte sind wirtschaftlich gerechnet.
Das Projekt Maut auf Bundesstraßen und das Gesetz-gebungsverfahren beruhen auf einer pflichtgemäßen Ab-schätzung von Einnahmen und Ausgaben. Hierzu sinddie Erfahrungswerte aus der uns bekannten Kostenkal-kulation von Mautbetreibern und die Einschätzung dermautpflichtigen Fahrleistungen durch einen Gutachterherangezogen worden. Danach ergibt sich, dass das Pro-jekt auch nach aktuellem Stand wirtschaftlich ist. Wasich gesagt habe, lässt sich trotz des Lachens der Kolle-ginnen und Kollegen der SPD-Fraktion definitiv nichtentkräften. Wir haben wirtschaftlich gerechnet. Dies istauch dann richtig, wenn der Kollege Pronold über dieseAussage lächelt.
Gemäß ersten gutachterlichen Einschätzungen wirdmit 1,288 Milliarden mautpflichtigen Fahrzeugkilome-tern bei einer Streckenlänge von ursprünglich 2 187 Kilo-metern gerechnet. Auch bei Reduzierung des ursprüngli-chen Streckennetzes um 50 Prozent können somit beieinem derzeit kalkulierten durchschnittlichen Mautsatz von17 Cent pro Kilometer die in der mittelfristigen Finanzpla-nEdbtedbStishaKevgDtiapMgSindwtednDbhBHgdAnvrimw
ber Murks bleibt Murks. Das zu sagen, kann ich Ihnenicht ersparen.Der Gesetzentwurf der Merkel-Regierung stammtom 2. März 2011. Verantwortlich dafür ist das Ministe-um für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Er ist unsit einem Zuleitungsschreiben der Kanzlerin übersandtorden. Der Änderungsantrag der Koalition stammt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12217
Uwe Beckmeyer
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vom 22. März 2011; er wurde also knapp drei Wochenspäter eingebracht. Durch ihn ist einiges verändert wor-den. Die Frage ist: Warum musste eigentlich einiges ver-ändert werden? Haben Sie schlecht gearbeitet? Das, wasabgeliefert worden ist, war also nicht so gut.Wenn man sich anschaut, was uns die Sachverständi-gen in ihren Stellungnahmen vermittelt haben, wird manfeststellen: Überall ist deutliche Kritik geäußert worden.Wenn Sie schon der SPD-Fraktion nicht trauen, weil ihreMitglieder einer anderen Partei angehören, dann trauenSie doch bitte schön den Experten der Verbände undGremien, in denen auch Ihre Parteikollegen Verantwor-tung tragen.Der Deutsche Städtetag zum Beispiel sagt, das, wasvorgeschlagen wird, sei nicht zielführend. Er befürchteteine Verdrängung. Ich zitiere Ihnen das alles ausweislichder entsprechenden Vorlage. Der Deutsche Städte- undGemeindebund und der Deutsche Landkreistag rechnenmit Mautausweichverkehren und vielem mehr. Ich kannIhnen all die Kritik zu Ihrem Entwurf eines Mautgeset-zes vorlesen, die in diesen Stellungnahmen angeführtwird.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertagmahnt die VIFG an. Außerdem sagt er: Durch die Verab-schiedung dieses Gesetzentwurfs würde das Ziel, dieTransportbranche zu entlasten, konterkariert. Er sagtauch, dass innerhalb dieses Gesetzentwurfes eine offeneVergabefrage enthalten ist, und erstellt eine bemerkens-werte Berechnung hinsichtlich der Systemkosten. Mit-tels der alten Rechnung auf der Grundlage von 2 000 Ki-lometern kommt er zu entsprechenden Mauteinnahmenund führt aus, dass sie pro Kilometer deutlich geringerausfallen werden als auf Bundesautobahnen. Er ver-gleicht dann den entsprechenden Systemaufwand undkommt nicht nur auf 8,5 Millionen Euro an Vollzugskos-ten für das BAG, sondern auf weitere 24,3 MillionenEuro an Kosten, und das alles bei Einnahmen in Höhevon 100 Millionen Euro. Wollen Sie das wirklich verant-worten?Mein nächster Punkt betrifft den BGL. Der Bundes-verband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, dereine entsprechende Position hat, fragt im Hinblick aufdie Aufstellung, ob es ein angemessenes Verhältnis zwi-schen dem Aufwand für Betrieb und Kontrolle und demErtrag gebe. Er fragt ferner, ob der Gesetzentwurf in die-ser Weise gerechtfertigt sei.In der Stellungnahme des DSLV – die einzelnenPunkte kann man unter den Spiegelstrichen auf Seite 2nachlesen – kommt auffällig oft das Wort „begrüßt“ vor.Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier einigeMitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihre Änderungen bzw.einen zweiten Gesetzentwurf verfasst haben.
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er federführende Verkehrsausschuss sagt auch deut-ch, dass er sich gegen eine Zweckbindung der Mautein-ahmen nur für Bundesfernstraßen wendet.All das zeigt, dass von Ihnen aus unserer Sicht keineerlässliche und verantwortungsbewusste Politik ge-acht wird. Denn auf der einen Seite – das ist die Be-ründung – entsteht durch die entsprechende Aufhebunger Zweckbindungen in Bezug auf die Bundesfernstra-en eine sichere Grundlage. Auf der anderen Seiteommt es aber zur Zuweisung in die Haushaltszwängees Bundes. Das kann man zwar so fortsetzen. Ich sageber: Das, was Sie uns heute öffentlich vortragen, ist diempfehlung eines Gesetzentwurfes, der große Mängelufweist. Ich habe bereits im Ausschuss dazu gesagt,ass dieser Gesetzentwurf nicht ausgegoren und nichteschlussfähig ist.Ein Letztes: Wir haben am Mittwoch um 13.31 Uhrer Fax die Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-undestagsfraktion bekommen, und zwar nach der Aus-chusssitzung. Das wurde schön getimt, damit wir dieseorlage nicht auch schon während der Ausschusssitzungur Beratung heranziehen konnten. Unsere Frage lautete:uf welche rechtlichen Regelungen des deutschen unduropäischen Vergaberechts bezieht sich die in der Öf-ntlichkeit zitierte Aussage der Bundesregierung, dassei der Einführung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bun-esstraßen keine Ausschreibung erfolgen muss und eineirektvergabe der Erhebung der Lkw-Maut an ein Un-rnehmen möglich ist?Die Antwort lautet folgendermaßen:Die zitierte Aussage zur Zulässigkeit eines Ver-handlungsverfahrens ohne vorherigen Teilnahme-wettbewerb mit der Möglichkeit der Direktvergabeeines Auftrages zu Errichtung und Betrieb einesSystems zur Erhebung streckenbezogener Lkw-Maut auf vier- und mehrstreifigen Bundesstraßen be-
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12218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Uwe Beckmeyer
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zieht sich auf § 3 Abs. 4 Buchstabe c) EG VOL/A
der Richtlinie 2004/18/EG vom 31.03.2004 überdie Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öf-fentlicher Aufträge um.Wunderbar, denkt man, alles geregelt. Dann liest manaber in der Vorlage:Die Auftraggeber können Aufträge im Verhand-lungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb verge-ben: …Dann kommen a, b, c usw.; c trifft wahrscheinlich genauauf Ihren Fall zu:wenn der Auftrag wegen seiner technischen oderkünstlerischen Besonderheiten oder aufgrund des
ternehmen durchgeführt werden kann;Dazu gibt es entsprechende Rechtsprechungen in derBundesrepublik Deutschland und der EU. Wenn mansich diese anschaut, wird man feststellen, dass Sie sichauf sehr dünnem Eis bewegen, lieber Herr Staatssekretär.Voraussetzung für die Durchführung eines Verhand-lungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist nichtnur, dass ein Ausschließlichkeitsrecht besteht; die Normfordert zudem einen eng auszulegenden Ausnahmetatbe-stand und zusätzlich, dass aufgrund des Ausschließlich-keitsrechtes nur ein einziges Unternehmen in der gesam-ten EU den fraglichen Auftrag durchführen kann.Es geht weiter:Die bloße Behauptung, mit der fraglichen Liefe-rung habe nur ein bestimmter Lieferant beauftragtwerden können, weil der auf nationaler Ebene vor-handene Wettbewerber kein Erzeugnis angebotenhabe, das den notwendigen technischen Anforde-rungen entsprochen habe, kann nicht für den Nach-weis genügen, dass die außergewöhnlichen Um-stände … tatsächlich vorlagen.Was das angeht, kann ich nur sagen: Gute Nacht!Denn sobald irgendjemand in dieser Frage auch nur denHauch einer Chance wittert, ist er vor Gericht, und dannhaben Sie den Salat.
Ein letzter Punkt, Herr Präsident. Die Antwort auf un-sere Frage 3 ist ziemlich verräterisch. Wir fragen näm-lich, mit welcher rechtlichen Begründung die Bundesre-gierung die Bedenken des Bundesministeriums derJustiz und des Bundesministeriums für Wirtschaft undTechnologie hinsichtlich der Frage, ob eine Direktver-gabe möglich ist, fallengelassen hat. Darauf wird geant-wortet: Das federführende Bundesministerium für Ver-kehr, Bau und Stadtentwicklung ist nach Prüfung derrechtlichen Fragen zu dem Ergebnis gekommen, dassdas so ist. – Das heißt im Grunde, die anderen Ressortshaben heftigste Bedenken dagegen, aber das federfüh-rende Ressort ist anderer Meinung.DdtetiNwVEnCwDteruBreakleksDfrsnKmmAb
Das Wort hat nun Patrick Döring für die FDP-Frak-
on.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ach dieser wegweisenden Rede ist ja wenigstens klar,as die Sozialdemokraten wollen; das hat das deutscheolk jetzt verstanden, lieber Kollege Beckmeyer.
s ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten, wenn man,achdem die rot-grüne Regierung uns diesen Toll-ollect-Vertrag hinterlassen hat, jetzt den Eindruck er-eckt, wir wären in der rechtlichen Auslegung frei.
ieser Vertrag, über den du, lieber Uwe, dich hier minu-nlang ausgelassen hast, ist von einer rot-grünen Regie-ng geschlossen worden. Der Vertrag hat dem jetzigenetreiber mehrfache umfangreiche Ausschließlichkeits-chte eingeräumt. Der Bundesregierung und dieser Ko-lition jetzt vorzuwerfen, dass sie diese Ausschließlich-eitsrechte nicht wegverhandeln können, sondern damitben müssen, ist wirklich bemerkenswert.
An dem zu dieser Frage gefertigten Gutachten gibt eseinen Zweifel: Man kann wegen der vorhandenen Aus-chließlichkeitsrechte des Betreibers nicht ausschreiben.as ist in einem 31-seitigen Rechtsgutachten zweifels-ei geklärt. Das ist die Grundlage, auf der wir dieses Ge-etz machen.
Es ist auch ein bemerkenswertes Parlamentsverständ-is, lieber Kollege, wenn Sie darauf hinweisen, dass dieoalitionsfraktionen Änderungen hätten vornehmenüssen, um einen besseren Gesetzentwurf hinzubekom-en. Das ist die Aufgabe des Parlaments. Es ist unsereufgabe, die Gesetze, die von der Regierung kommen,esser zu machen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12219
Patrick Döring
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Deswegen braucht man hier nicht den Eindruck zu erwe-cken, das sei fehlerhaft.Wir haben mit der klaren Definition jedenfalls dafürgesorgt, dass die Einwände des Bundesrates ausgeräumtwerden konnten. Denn die Stellungnahme des Bundes-rats – auch das muss man den Zuhörern einmal sagen –ist ja zu dem noch nicht geänderten Gesetzentwurf er-folgt. Es war ein Webfehler, dass diesem Gesetz einelange Liste von zu bemautenden Bundesstraßenabschnit-ten angehängt werden sollte. Solche Gesetze will diechristlich-liberale Koalition dem Parlament nicht vorle-gen. Darum haben wir auf diese lange Liste verzichtet.Der Bundesrat hat keinen Grund, sich jetzt zu beschwe-ren; denn wir haben eine klare Norm gefunden, mit dergeregelt wird, welche Strecken bemautet werden undwelche nicht, ohne dass wir komplizierte und lange Lis-ten an das Gesetz anhängen müssen. Auch das ist dieAufgabe des Parlaments. Da haben wir richtig gehandelt.
Die Gemengelage hier im Haus – das darf man beidem Thema einmal sagen – ist relativ einfach. Die Lin-ken und die Grünen tendieren in der VerkehrspolitikRichtung Schwerverkehrsabgabe nach – ich sage es ein-mal so – Schweizer Modell. Das bedeutet eine Belastungvon Fuhrunternehmen und Gewerbe weit über die der-zeitige Lkw-Maut hinaus. Die Abgabe betrifft Fahrzeugeab 3,5 Tonnen Gewicht und soll für alle Bundesautobah-nen und alle Bundesstraßen gelten. Das kann man poli-tisch vertreten. Wir glauben aber, dass ein solches Mo-dell für eine polyzentrische Struktur wie die inDeutschland mit viel Wirtschaftsgeschehen auch in derFläche zu sehr viel größeren Schäden für die heimischeWirtschaft führt, als wir verantworten können. Deshalbist ein solches System von uns nicht angedacht.
Die Sozialdemokraten allerdings haben in der letztenAusschusssitzung gesagt, dass wir eine Infrastruktur-kommission einrichten und darüber sprechen müssen,wie es weitergeht.
An dieser Stelle muss ich sagen: Die damalige rot-grüneRegierung mit einem sozialdemokratischen Verkehrsmi-nister hat eine Kommission dieser Art schon einmal ein-berufen. Das war die Pällmann-Kommission.
Sie hat ein umfangreiches Werk veröffentlicht, das ge-rade anlässlich des zehnjährigen Jubiläums in zweiterAuflage erschienen ist und in unsere Büros verschicktwurde. Jeder kann also darin nachschauen. Von allenMhudBredmpeedfüsmEsdzdTWrismTddKkDwdwmseraw
Man muss keine neuen Kommissionen bilden, son-ern man muss einfach nur das beachten, was uns da-als die Experten gesagt haben, und das Punkt für Punktolitisch bewerten und abarbeiten. Das ist die Aufgabeines Parlaments. Wenn man so vorgeht, nimmt manine Kommission auch ernst.
Es geht aber nicht – darin liegt der Unterschied –,ass man in Deutschland benutzerfinanzierte Systemer Bundesautobahnen in Deutschland einführt, dieseinnvollerweise auf vierstreifige Bundesstraßen, die un-ittelbar an Autobahnen anschließen, erweitert, aber dieinnahmen nicht für Straßeninfrastrukturmaßnahmen,ondern für irgendetwas anderes verwendet. Deshalb hatie Koalition richtigerweise den geschlossenen Finan-ierungskreislauf Straße eingerichtet. Damit finanzierenie Nutzer das, was sie benutzen. So kommt Ehrlichkeit,ransparenz und Zuverlässigkeit in das System. Diesenebfehler von Rot-Grün zu beseitigen, war in der Tatchtig.
Wer sich hier und heute der Beteiligung an dieserinnvollen und moderaten Erweiterung verweigert, deruss eine Antwort darauf geben, wie zum Beispiel dashema Systemkosten – das ist der einzige Punkt, beiem ich dem Herrn Staatssekretär widersprechen will;
ie Kosten für dieses System sind im Vergleich zu denosten für alle anderen Systeme am höchsten – bei einerommenden Ausschreibung behandelt werden soll.iese politische Aufgabe werden wir dann wahrnehmen,enn es so weit ist. Am Ende dieser Wahlperiode wer-en wir darüber sprechen, wie wir ausschreiben. Wirollen die Belastung für das Gewerbe verringern undehr Geld zur Verfügung haben, das wir in die Infra-truktur investieren können.Vielen Dank.
Der Kollege Florian Pronold hat nun das Wort für
ine Kurzintervention.
Sehr geehrter Herr Kollege Döring, ich war über-scht, wie viel Redezeit Sie auf die Vergangenheit ver-endet haben, anstatt über Ihre eigenen Pläne zu reden.
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Florian Pronold
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Sie sprechen davon, dass zu wenig Geld für die Finan-zierung der Infrastruktur zur Verfügung steht.
Es war die schwarz-gelbe Koalition, die eine bereits be-schlossene Mauterhöhung ausgesetzt und damit der In-frastruktur Geld entzogen hat.Jetzt gehen Sie einen zweiten Schritt, indem Sie sa-gen: Die vierspurigen Bundesstraßen beziehen wir mitein. – Die Länge wurde zunächst mit 2 000 Kilometerveranschlagt. Jetzt kommen Sie zu dem Ergebnis, dassman eigentlich nur 1 000 Kilometer braucht. Sie wollenaber den gleichen Betrag einnehmen. Diese Milchmäd-chenrechnung wird nicht aufgehen.
– Gerne auch Milchbubenrechnung.Sie machen wieder einen Kniefall vor der Lkw-Lobbyund präsentieren uns heute wieder den alten Vorschlag.
Stattdessen wollen Sie die Autofahrer abzocken: Sie ha-ben heute wieder eine Pkw-Maut gefordert.
– Doch! Das kann man nachlesen.
– Ich beziehe mich auf die Agenturmeldungen; Sie kön-nen das ja richtigstellen. Sagen Sie doch, dass Sie diesesAnsinnen, das im schwarz-gelben Lager immer wiederzu hören ist, ablehnen. Auch Herr Scheuer hat das immergefordert; seit er in Regierungsverantwortung ist, tut erdas nicht mehr.Sagen Sie doch endlich, woher Sie das Geld nehmenwollen. Lügen Sie die Menschen nicht an, wie Sie eshier tun, indem Sie behaupten, dass Sie mit dem, was Siehier vorlegen, einen sinnvollen Beitrag zur Finanzierungder Infrastruktur leisten! Mit dieser halbherzigen Lösungmachen Sie nur eines: Sie generieren Mautausweichver-kehr.
Kollege Döring, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, man soll sagen,
was man denkt, wenn man denkt. Ich versuche wirklich
noch einmal, es zu erläutern:
Erstens. Unmittelbar an Bundesautobahnen ange-
schlossene vierstreifige Bundesstraßen können nicht zu
Mautausweichverkehr führen, weil es keine Alternativ-
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Zweitens. Ich habe heute darauf hingewiesen – Sie
üssen schon ein bisschen mehr lesen als zwei Zeilen
iner Agenturmeldung –, dass wir bei der Verkehrsinfra-
trukturfinanzierung eben kein Einnahmeproblem ha-
en, sondern der Verkehr mehr als 50 Milliarden Euro
r den Bundeshaushalt aufbringt. Deshalb müssen wir
ns im Verteilungskampf der Ressorts um mehr Geld für
ie Infrastruktur bemühen. Eine Mehrbelastung der
utofahrer ist jedenfalls mit dieser Koalition nicht zu
achen.
Drittens. Ja, wir haben in einer konjunkturell schwie-
gen Lage die falsche Ausweitung der Spreizung der
authöhe für Fahrzeuge nach den Abgasnormen Euro 3
zw. Euro 5 zurückgenommen, um dem mittelständi-
chen Gewerbe in einer der größten wirtschaftlichen Kri-
en dieses Landes keine zusätzlichen Steine in den Weg
u legen.
ir von der Koalition haben dieses Gesetz geändert.
Sie müssen einmal die Vorurteile, die Sie im Kopf ha-
en, beiseiteräumen. Ich habe gerade gesagt, dass wir
as nicht tun, um irgendjemandem irgendwie entgegen-
ukommen, sondern um ein klar anwendbares Gesetz
it klaren Definitionen und ohne seitenlange Aufzäh-
ngen von Straßenabschnitten zu schaffen, ein Gesetz,
as klar und deutlich definiert, was bemautet wird. Es
ing um ein gutes Gesetz, nicht darum, wer mehr oder
eniger zahlt; wir wollten die Erweiterung sachlogisch
ornehmen. Für uns war folgende Eingrenzung sachlo-
isch: vierstreifige Bundesstraßen, die unmittelbar an
utobahnen anschließen und länger als 4 Kilometer
ind. Das kann jeder definieren; dafür braucht man kei-
en Bundesrat und keine Verwaltung. Unser Ziel war
ine gute Gesetzgebung, so wie es die Aufgabe des Par-
ments ist.
Vielen Dank.
Nun hat Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die
inke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-en! Meine Damen und Herren! Hier wird viel Lärm ge-acht; aber wenn man auf den Gesetzestext schaut, danneiß man: Es ist viel Lärm um nichts. Vor vier Wochenurde hier angekündigt, dass möglicherweise 2 000 Ki-meter Bundesstraße bemautet werden sollen. Heuteaben wir festgestellt, dass 1 000 Kilometer übrig ge-
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Herbert Behrens
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blieben sind. Gut, dass wir heute und nicht erst in vierWochen darüber abstimmen; dann wären wohl nur noch500 Kilometer übrig geblieben und es hätte nichts ge-bracht.
Die Regierung hat uns wortreich erklärt, warum alldas nicht geht, was eigentlich notwendig wäre. Sie legenuns hier einen Gesetzentwurf vor, der finanziell kaum et-was bringt; er bringt schon gar nichts für die vielen Men-schen, die von Mautausweichverkehr geplagt sind.Während die Mauteinnahmen früher auf Straße,Schiene und Wasserwege verteilt worden sind, führenSie heute ein System zur reinen Straßenfinanzierung ein.Im Klartext: Sie verwenden die zusätzlichen Mautein-nahmen ausschließlich für das System Straße. Das istfalsch.
Die hier schon zitierten Experten aus der Anhörung,nämlich die Vertreter des Automobilclubs Europa, ACE,und des Verkehrsclubs Deutschland, haben darauf hinge-wiesen, dass diese Einschränkung nicht in Ordnung ist;dem schließen wir uns an.
Ich bleibe dabei: Die Maut für schwere Lkw mussnicht auf ein paar wenige Bundesstraßen, sondern aufalle Bundesstraßen ausgeweitet werden. Dies fordernauch der Deutsche Städtetag und der Deutsche Land-kreistag; Kollege Beckmeyer hat darauf hingewiesen.Die kommunalen Spitzenverbände – auch das haben wirschon gehört; ich betone es, weil es so bedeutsam ist undfür uns in der Anhörung überraschend war – fordern,dass das bemautete Straßennetz umfassend ausgeweitetwird. Schließlich nutzten die schweren Lkw auch dieStraßen ab, die nicht in der Nähe der Autobahnen liegen.Wenn Sie schon Experten zu einer Anhörung einladen,dann sollten Sie, bitte schön, die Ergebnisse heranziehenund die Gesetzesvorlagen entsprechend verändern.
So geht es nicht. Wieder einmal sehen wir: Das istKlientelpolitik, das ist keine Verkehrspolitik. Dabei isteine verantwortungsvolle Verkehrspolitik dringend er-forderlich. Lärm an den Straßen – wir haben gestern da-rüber diskutiert –, Staus auf den Autobahnen, aber auchKlimakiller aus den Auspuffrohren der Brummis – allesdas macht den Menschen schwer zu schaffen.Ich erinnere Sie daran: Die Lkw-Maut ist eingeführtworden, weil der Güterverkehr auf der Straße großeSchäden anrichtet und er daher zur Deckung der Kostenherangezogen werden sollte. Die Maut sollte außerdemhelfen, dass Dreckschleudern von den Straßen ver-schwinden und der Verkehr ökologischer wird. Das Aus-setzen der vereinbarten Mauterhöhung für umweltschäd-liche Lkw hat dazu geführt, dass der Verkehr eben nichtöSgsggdDdzadawugSddtewdsteLusddrassANKGa3msisnWb
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Der Gesetzentwurf ist, betrachtet man seineenese – darauf ist schon hingewiesen worden –, schonmüsant zu lesen. Wir haben ursprünglich einmal mit000 Kilometern angefangen; dann waren es 2 000 Kilo-eter. Jetzt sind wir bei 1 000 Kilometern. Und immerind es 100 Millionen Euro Einnahmen geblieben. Dannt noch gesagt worden, Sie hätten scharf und exaktachgerechnet.
enn man scharf und exakt nachrechnet und es immerei 100 Millionen Euro bleibt, stellt man sich schon die
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Dr. Anton Hofreiter
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Frage: Warum beziehen Sie nicht einfach nur500 Kilometer mit ein? Das würde vielleicht Systemkos-ten sparen, und wir blieben dennoch bei 100 MillionenEuro Einnahmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-rungsfraktionen, das kann so einfach nicht stimmen. Ent-weder waren es früher, als Sie mehr Kilometer Bundes-straßen einbeziehen wollten, mehr Einnahmen, oder jetztsind es keine 100 Millionen Euro. Es kann schlichtwegnicht stimmen.Letztlich ist der Grund auch bekannt, warum Sie sichmit 1 000 Kilometern begnügen. Der Grund ist ganz ein-fach der, dass die alten OBUs nicht mehr Speicherkapa-zität haben. Der Grund liegt nicht darin, dass Sie das Ge-setz sauberer oder schöner machen wollten. Vielmehrverfügen die alten OBUs nicht über ausreichend Spei-cherkapazität.Die Aussage, dass man ein anderes System nicht zurAnwendung hätte bringen können, ist auch falsch. Dennwir haben ja zwei Systeme in der Anwendung: einerseitsdas satellitengestützte OBU-System und auf der anderenSeite das manuelle Einwahlsystem. Man hätte selbstver-ständlich ein anderes System mit entsprechend niedrigenSystemkosten zur Anwendung bringen können.Eines zumindest war in der Rede von Patrick Döringrichtig, nämlich als er dem Staatssekretär bezüglich der12 Prozent Systemkosten widersprochen hat. Selbstver-ständlich sind die Systemkosten höher. Das wissen auchalle. In die Systemkosten müssen nämlich zum Beispieldie Kosten des BAG für die Kontrolle und eine ganzeReihe weiterer Kosten eingerechnet werden.Was sind unsere Forderungen? Unsere Forderungensind ganz einfach: In einer ersten Stufe ist die Maut aufalle Bundesstraßen auszuweiten. In einer weiteren Stufeist die Maut auf alle Lkw ab 3,5 Tonnen auszuweiten.Was sind die Vorteile? Erstens. Wir haben weitaus mehrGeld. Zweitens. Es ist ein gerechtes, sauberes System.Drittens. Mit einem guten System, zum Beispiel mit Mi-krowellentechnik, gelangt man bei extrem niedrigenSystemkosten zu wunderschönen Einnahmen.
Ein weiterer großer Fehler, den Sie begangen haben– allerdings nicht im vorliegenden Gesetzentwurf –, ist,dass Sie die Einnahmen ausschließlich für Straßenbauverwenden wollen. Für uns ist die Abgabe eine Logistik-abgabe. Für einen Logistiker ist es entscheidend, dass erseine Waren verlässlich mit dem Schiff zum Hafen, dannmit der Eisenbahn und die letzte Meile mit dem Lkwzum Kunden bringt. Für ihn ist es nicht entscheidend,dass die Güter ausschließlich auf der Straße oder aus-schließlich auf der Schiene transportiert werden. Viel-mehr ist es für unsere Wirtschaft, für unsere Logistikerund für unseren Wohlstand entscheidend, dass wir ver-nünftige Transportketten organisieren, dass wir die Rah-menbedingungen für vernünftige Transportketten abste-cken. Zu einer vernünftigen Transportkette gehört einvSDakhtrVvVßaJresraawGgses–smmhkwnruSimcs
Letzter Redner in dieser Debatte ist Thomas
arzombek für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir füh-n heute eine Debatte, in der zumindest einige Unter-chiede deutlich werden. Kollege Hofreiter hat uns ge-de erklärt – den Widerspruch müsste er einmaluflösen –, dass die On-Board-Units nicht in der Lageären, mehr als diese 1 000 Kilometer abzubilden.leichzeitig fordert er, dass wir die Lkw-Maut auf dasesamte Streckennetz ausdehnen müssen. Wie das zu-ammengehen soll, ist mir unklar. Entweder stimmt dieine Aussage nicht oder die andere.
Was wir heute als Regierung vorlegen müssen, unter-cheidet sich von dem, was Sie tun müssen.
Ja, wir sind die regierungstragende Koalition. Das istehr spitzfindig bemerkt. – Was wir tun müssen, dasuss auch funktionieren. Der Vorschlag, 1 000 Kilo-eter Bundesstraßen in die Mautpflicht mit einzubezie-en, der heute beraten wird, wird funktionieren. Wirönnen sie mit dem System und den vorhandenen Soft-are- und Speicherkapazitäten abbilden. Sie wissen ge-au, wie die Situation ist. Durch eine Umprogrammie-ng der Software kann man eine Erweiterung dertreckenkilometer aufnehmen. Das können wir vielleicht nächsten Jahr, aber nicht jetzt. Deshalb ist es ein Zei-hen von Klugheit, wenn man sich im Laufe eines Ge-etzgebungsverfahrens daran orientiert, was technisch
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Thomas Jarzombek
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überhaupt möglich ist. Deshalb hat sich die Zahl von2 000 auf 1 000 Kilometer reduziert.Sie fragen, wie es sein kann, dass wir trotzdem mit100 Millionen Euro Einnahmen rechnen; das war ver-schiedentlich die Frage. Es ist die Logik des ehrlichenKaufmanns: Man arbeitet nach dem Niederstwertprinzip– es ist im HGB festgelegt –, was bedeutet, dass man ersteinmal Vorsicht walten lässt,
solange man noch keine Verträge abgeschlossen hat. Andieser Stelle können Sie nachrechnen – –
– Bitte, fragen Sie, Herr Kollege Pronold!
– Wollen Sie etwas fragen, oder nicht? Dann stehen Sieauf und drücken auf den Knopf!
– Sie trauen sich nicht zu fragen. Das ist interessant.
Wir nehmen zur Kenntnis: Kollege Pronold traut sichnicht zu fragen.26 Milliarden Mautkilometer führten zuletzt zu knapp5 Milliarden Euro Mauteinnahmen in einem Jahr. WennSie die 1,3 Milliarden Mautkilometer aus dem ursprüng-lichen Gesetzentwurf halbieren, dann kommen Sie auf2,5 Prozent der Mautkilometer, die vorgesehen sind.Wenn Sie das auf die entsprechenden Einnahmen bezie-hen, kommen Sie auf Mehreinnahmen von 121 Mil-lionen Euro. Insofern ist die Rechnung, die hier ange-stellt wurde, nicht ganz verkehrt.
– Natürlich ist das brutto. Davon können Sie die System-kosten in Höhe von 12,5 Prozent abziehen und habenimmer noch einen Sicherheitspuffer.
Sie kommen so auf die entsprechenden Zahlen. Insofernist das, was wir hier vorgelegt haben, sehr seriös. HerrKollege Beckmeyer, Sie üben sich darin, auch in dieserPlenarsitzung Waldorf und Statler nachzueifern. Im Er-gebnis ist es aber so, dass Sie keinen Vorschlag gemachthaben, wie Sie mit der Sache umgehen wollen.SnlesGpSbJdV„nsweDngfünsIcMvlamfüEbntensLnmBIhsdbg
ie kritisieren die Vergabe an Toll Collect, sagen abericht, wie man das Ganze anders regeln kann. Der Kol-ge Döring hat eindrucksvoll dargestellt, dass alle Ge-etze, die wir hier beachten müssen, damals von Rot-rün verabschiedet worden sind. Sie können nicht euro-aweit ein neues Mautsystem für diese zusätzlichentraßen ausschreiben.Und ganz ehrlich: Wer drei Jahre gebraucht hat, dasestehende System zu etablieren – der Spiegel hat imahr 2003 vom „Maut-Propheten Stolpe“ gesprochen;ie Überschrift lautete „Chronologie der gebrochenenersprechen“; das manager magazin hat 2003 vor derStolper-Gefahr“ gewarnt –, der sollte, glaube ich, klei-ere Brötchen backen. Derjenige sollte ein bisschen be-cheidener sein und nicht so harsch über das urteilen,as wir hier tun.
Grüne und Linke sind in dem, was sie tun, wenigstenshrlich. Sie wollen die Maut ausweiten auf alle Strecken.as ist in Ordnung, wenngleich es derzeit technischicht möglich ist. Die Linkspartei – Herr Behrens, Sieehen noch einen Schritt weiter – will sogar eine Mautr den Linienfernbusverkehr einführen, obwohl dasoch gar nicht zugelassen ist. Das ist auf jeden Fall flott,o viel kann ich sagen.
h glaube aber, dass gerade die Linienfernbusse für dieenschen mit geringerem Einkommen ein sehr attrakti-er Mobilitätsfaktor sein werden. Ob Sie diese direkt be-sten mögen, müssen Sie Ihrer eigenen Klientel erst ein-al erklären.Weiterhin haben Sie darauf hingewiesen, dass Sie esr falsch halten, dass wir die von Ihnen vorgesehenenrhöhungen bei den Euro-3-Lkw zurückgenommen ha-en. Hier geht es um die kleinen Spediteure. Wir redenicht über die großen Speditionen mit den großen Flot-n, die permanent modernisieren, sondern über die klei-en Speditionen. Ich habe es bei der letzten Debattechon einmal gesagt: Ein Drittel der Lkw sind Euro-3-kw, die aber nur 16 Prozent der Streckenkilometer ge-erieren. Das sind die Wenigfahrer unter den Lkw. Zu-eist handelt es sich um kleinere Betriebe. Die kleinenetriebe und der Mittelstand sind uns als Union wichtig,nen offenbar nicht.
Am Ende der Debatte hat Herr Beckmeyer alles zu-ammengenommen. Es gab noch nie eine Anhörung, beier es nur Lob gab; das habe ich noch nie erlebt. Sie ha-en in einer Sisyphusarbeit sämtliche Kritik zusammen-etragen.
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Thomas Jarzombek
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Zum Abschluss lese ich Ihnen noch vor, was HerrStecker vom BGL gesagt hat – damit spricht er für vieleSpediteure –:Nichtsdestotrotz haben wir uns öffentlich mit derKritik an der Ausweitung der Maut auf die mehr-streifen Bundesstraßen zurückgehalten, weil wirzum einen die Zwänge angesichts der Sparbemü-hungen der Bundesregierung sahen, zum anderenaber auch den Finanzierungskreislauf Straße be-grüßt haben und das für einen Schritt in die richtigeRichtung halten und in diesem Zusammenhangauch jedem Transportunternehmen plausibler ist,Maut für diese Strecken zu bezahlen.Das ist Lob.
– Wenn Sie mittelständische Transportunternehmer alsLobby ansehen, dann können Sie sich gerne weiter mitden Großen unterhalten.Ich danke Ihnen vielmals.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neu-
regelung mautrechtlicher Vorschriften für Bundesfern-
straßen. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/5519, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 17/4979 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf
Drucksache 17/5531? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grü-
nen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
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neutral“. Sie meint damit, sie sei nicht diskriminierend.Das zeigt aber nur eine gravierende Gleichstellungs-inkompetenz; denn so werden ungleiche Verhältnissenicht gerechter, sondern so werden sie zementiert.
Man darf deswegen nicht geschlechtsneutral fördern,sondern man muss geschlechtergerecht fördern.
Die Linke fordert: Die 58 Milliarden Euro im EU-Agrarhaushalt für Agrarbetriebe und ländliche Räumemüssen geschlechtergerecht verteilt werden. Wie dasgeht, steht in den 19 Forderungen unseres Antrags. Da-bei geht es nicht einfach darum, jeden zweiten Euro anFrauen zu überweisen. Wir wollen einen grundlegendenWandel. Vor allen Dingen geht es uns um die Überwin-dung diskriminierend wirkender Strukturen. ZweiSchwerpunkte unserer Vorschläge möchte ich nennen:Erstens. Wir müssen mehr wissen über die Lebens-situation der Frauen auf dem Land. Die Gleichstellungs-politik muss im Agrarbericht einen größeren Raum ein-nehmen. Bis Ende 2011 soll dem Bundestag ein Berichtzum Stand der Gleichstellung in den ländlichen Räumenvorgelegt werden.Zweitens. Frauen brauchen mehr wirksame Mitspra-che bei den Entscheidungen. Zum Beispiel beim ELER-Fonds zur Förderung der ländlichen Räume müssenFrauen aktiv in die Entwicklung und Umsetzung derProgramme eingebunden werden. Die Leader-Arbeits-gruppen, die diese Arbeit vor Ort planen und koordinie-ren, brauchen Frauenbeiräte, die über ein Vorschlags-recht verfügen.
In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die die nationalenFörderprogramme plant, muss die Bundesfrauenministe-rin mit Stimmrecht vertreten sein, damit sie schon in derProgrammplanungsphase eingreifen kann.Die Gleichstellungsdefizite auf dem Land benennenübrigens nicht nur wir Linken, sondern auch der Berichtüber die Rolle der Frauen in der Landwirtschaft und imländlichen Raum des Europäischen Parlaments vom Ja-nuar. Auch der Weltagrarbericht weist ausdrücklich aufdie große Bedeutung von Frauen bei der Lösung der Pro-bleme auf dem Land hin.Die Diskriminierung von Frauen als Kleinbäuerinnenoder Händlerinnen oder Hauptverantwortliche der Fami-lien ist eine wesentliche Ursache der Armut. Die Agrar-exportförderung der EU ist an dieser Situation nicht un-schuldig. Deshalb sagen wir Linken: Auch damit mussSchluss sein.
Um zusammenzufassen: Nur eine geschlechterge-rechte Agrarpolitik wird die Probleme auf dem Land lö-sen. Das gilt für Deutschland, für Europa und für dieganze Welt.Vielen Dank.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Heiterkeit ist ohne Ernst nicht zu begreifen“, meinteoriot. Also versuche ich, bei der Debatte über diesenntrag, der mich sehr erheitert hat, ernst zu bleiben.
as Thema ruft und rief bei Frauen in der Landwirt-chaft, mit denen ich gesprochen habe – ich spreche täg-ch mit ihnen –, große Verwunderung und Heiterkeitervor. Aber ich verspreche den Damen und Herren voner Linken, dass wir das Thema ernst nehmen. Frauen-rderung findet bei uns in allen Politikbereichen ihreniederschlag.
Dieser Antrag, den Sie diese Woche mit heißer Nadelestrickt haben und uns nun im Plenum vor die Füßeerfen, ist eigentlich überflüssig. Ich sage Ihnen auch,arum:
ie haben von der Bundesregierung bereits eine Antwortuf eine Kleine Anfrage zu diesem Thema erhalten.
sofern gilt für Sie das, was Norbert Blüm einmal ge-agt hat:Der Vorteil der Opposition ist, dass sie Fragen stel-len kann, die sie nicht beantworten muss.
Ich kann Ihnen gerne noch einmal darlegen, was wirr die Frauen in ländlichen Gebieten tun. Zuallererstöchte ich Ihnen aber sagen, dass die CDU/CSU vonen Linken keine Nachhilfe in Sachen Frauenförderungraucht.
961 holte Konrad Adenauer die erste Frau als Ministe-n in das Bundeskabinett.
ie erinnern sich sicherlich an Elisabeth Schwarzhaupt.eute steht eine Frau an der Regierungsspitze.
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Christoph Poland
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– Verehrte Frau Tackmann, ich komme gleich dazu.Sie zitieren ja gerne die Kommunistin Clara Zetkin.
Ich wünsche mir allerdings inständig, dass Sie nicht dieMöglichkeit haben, Ihren Glauben an die überlegeneMacht des Kommunismus weiter als etwas Gutes zu de-klarieren.
Angesichts der Diskussion, ob Oskar Lafontaine in IhrerPartei wieder eine wichtige Rolle spielen soll, würde ichIhnen empfehlen,
eher das Frauenbild der Linken und ihrer Mitglieder zuklären, als sich über das Frauenbild anderer Parteien er-haben zu fühlen.
– Ich komme gleich dazu.Sie beklagen in Ihrem Antrag die Landflucht derFrauen. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis,dass die Landflucht der Frauen keine neue Erscheinungist. Schon seit Jahrzehnten, also auch in der früherenDDR und in der alten Bundesrepublik, gibt es eine Land-flucht von Frauen. Das hat etwas mit der Entwicklungund der Industrialisierung der Landwirtschaft zu tun.
Frauen streben in die Städte, in die Dienstleistungsbe-rufe und haben keine Lust mehr, auf dem Lande zu le-ben.Sie wollen die Agrarförderung auch in Europa ge-schlechtergerecht gestalten; so haben Sie es in IhremAntrag formuliert. Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis,dass wir auf europäischer Ebene bereits federführend ei-nen Bericht eingebracht haben mit dem Titel „Berichtüber die Rolle der Frauen in der Landwirtschaft und imländlichen Raum“.
Dieser Bericht ist, wie Sie wissen, ohne Änderungs-antrag vom Europäischen Parlament angenommen wor-den.
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Die multifunktionale Rolle der Frau im ländlichenaum
istet einen wesentlichen Beitrag dazu, in der Gesell-chaft ein modernes Frauenbild zu prägen. Meist sind esie Frauen, die in der Erschließung zusätzlicher Einkom-ensquellen Zukunftsperspektiven sehen und neueege gehen. Durch ihr unternehmerisches Engagementisten Frauen einen wesentlichen Beitrag zum Fami-eneinkommen, zur Existenz der landwirtschaftlichenetriebe und zur regionalen Wirtschaftskraft. Dies gilt inesonderem Maße für den ländlichen Tourismus, die Di-ktvermarktung, den Dienstleistungsbereich und anderenternehmerische Initiativen.
In meinem Wahlkreis gibt es starke Unternehmerin-en im landwirtschaftlichen Bereich.
Bereich der Rinderzucht hat Frau Dr. Sabine Krüger Woldegk zum Wohle der Landwirte und einer eigen-tändigen Zucht eine einheitliche, wirtschaftlich starkeucht- und Besamungsorganisation aufgebaut. Frauarola Lehmann gebietet als Vorstandsvorsitzende über000 Hektar.
s gibt dort auch Fischerinnen, die ihren eigenen Betriebröffnet haben, zum Beispiel Frau Sabine Reimer-eißner, und junge Frauen, die einen Agrarbetrieb mitourmetrestaurant, Hofladen und Ähnlichem aufgebautaben.
Ich weiß nicht, ob Sie glauben, dass dann, wenn0 Prozent einen Hofladen hätten, alle davon lebenönnten.
Den unterschiedlichsten Anforderungen begegnenrauen sehr kreativ,
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Christoph Poland
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vor allem im Rahmen familiärer Unterstützungsnetz-werke. Das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut hatfestgestellt, was Frauen Kreatives leisten.
Sie spielen für die ländliche Entwicklung eine wesentli-che Rolle, auch wenn dies von der Öffentlichkeit häufignicht wahrgenommen wird.Den EU-Bericht über die Rolle der Frauen in derLandwirtschaft und im ländlichen Raum, den Sie in Ih-rem Antrag erwähnen, verstehe ich ganz anders als Sie.
Sie schreiben:In vielen Regionen droht mittel- bis langfristig eineweitere Verschlechterung der sozialen Infrastruktur.
Das ist nicht richtig.
Vielmehr wird in dem Bericht hervorgehoben, dass dieRollenvielfalt, der sich Frauen im ländlichen Umfeldstellen, einen wesentlichen Beitrag zum Fortschritt undzu Innovationen auf allen gesellschaftlichen Ebenen undzu einem Anstieg der Lebensqualität insbesondere imländlichen Raum leistet.
Denken Sie nur an die Frauen in Verbänden, in Feuer-wehren, im Landfrauenverband. Es gibt bereits ersteFeuerwehrführerinnen,
weil Männermangel herrscht.
Außerdem schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass dasSeminar „Frauen in der nachhaltigen Entwicklung desländlichen Raums“ lediglich einen begrenzten Sensibili-sierungseffekt hatte. Diese Einschätzung kann ich sonicht teilen. Im Bericht wurde vielmehr festgehalten,dass es in der letzten Dekade im Hinblick auf die Ar-beitslosenzahlen von Frauen einen positiven Trend gege-ben hat. Nehmen Sie diese positiven Arbeitsmarktzahlendoch einmal zur Kenntnis! 2011 werden in Deutschlandmehr Menschen Arbeit haben als jemals zuvor seit demZweiten Weltkrieg.
Natürlich kommen Sie auch mit Ihrem Lieb-lingsthema um die Ecke, dem Mindestlohn.
Da machen wir nicht mit.WnMlädtedHnIcRfüKPicRInbreuRDgJb4
ier überdrehen Sie das Rad gewaltig.
Zusammenfassend will ich ganz klar sagen: Wir leh-en Ihren Antrag ab.
h schenke Ihnen allerdings ein paar Minuten meineredezeit. Frohe Ostern!
Danke schön. – Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier
r die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollegeoland, Ihre Bemerkung zu Heiterkeit und Ernst nehmeh als gegeben hin. Aber die Sachlichkeit war in Ihrerede nicht besonders stark ausgeprägt.
sofern hat es auch entsprechende Bemerkungen gege-en.Ich glaube, das Thema, um das es geht, hat gravie-nde Auswirkungen auf den gesamten ländlichen Raumnd die demografische Entwicklung im ländlichenaum.
ie Gleichstellungsstrategie ist ein Kernziel der Strate-ie „Europa 2020“. Insofern hat sich Ihre Kollegin Fraueggle im Europaparlament besondere Verdienste erwor-en. Sie hat nämlich den Bericht aufgegriffen und am. April dieses Jahres einen wirklich hervorragenden
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Dr. Wilhelm Priesmeier
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Entschließungsantrag – Sie haben ihn vielleicht nochnicht gelesen –, der 39 Forderungen enthält, durch dasEuropaparlament gebracht. In diesem Antrag wurdenviele Dinge, die im Antrag der Linken stehen, themati-siert und fast wortgleich eingefordert.
Insofern würde ich mir das – was moderne Politik fürFrauen im ländlichen Raum und auch was die Möglich-keiten betrifft, den Agrarhaushalt dort mit einzusetzen –zumindest einmal vor Augen führen und unter Umstän-den zum Konzept machen.
Wir Sozialdemokraten wollen natürlich die Rolle derFrauen in den ländlichen Räumen stärken, damit dieselebenswert bleiben. Deshalb unterstützen wir nachdrück-lich alle 39 Forderungen dieses Entschließungsantrags.Wir haben allerdings auch die Aufgabe, die Forderun-gen, die für Europa formuliert sind, an Deutschland undseine Strukturen anzupassen.Die Bundesregierung bekennt sich ebenfalls zurGleichstellungspolitik. An der Antwort auf die KleineAnfrage der Linken erkennt man aber, dass sie bislangkeine Vorschläge erarbeitet und offensichtlich auchkeine konkreten Vorstellungen im Hinblick auf die Um-setzung hat.Im Rahmen der Ausgestaltung der zweiten Säule nachELER gibt es einen relativ großen Spielraum an Mög-lichkeiten, dort spezifische Frauenförderung zu veran-kern. Schauen Sie sich doch einmal an, wie sich derländliche Raum darstellt. Schauen Sie vor allem in dieländlichen Räume der neuen Bundesländer: nach Nord-ostvorpommern, in die Prignitz oder nach Sachsen. Dannerkennen Sie, dass dort mittlerweile ein Missverhältniszwischen den Geschlechtern besteht – ein Verhältnis imExtremfall von 100 zu 75, im Regelfall von 100 zu 80.Das heißt, 20 Prozent der Frauen in den Altersgruppenzwischen 18 und 29 Jahren fehlen, und es werden weni-ger Kinder geboren. Auch das führt dazu, dass dieseRäume sozial instabil werden.Die Wanderungsbewegung – das haben Sie richtig be-merkt – ist sicherlich eine Erscheinung, die wir seit100 oder 200 Jahren haben. Das ist so, seitdem dieStädte wachsen. Bislang waren wir aber immer in derLage, dies durch einen entsprechenden Bevölkerungszu-wachs in den ländlichen Räumen auszugleichen. Daspassiert schon lange nicht mehr.Wenn ich meinen eigenen Wahlkreis bzw. meine ei-gene Kommune anschaue, sehe ich dort ein charakteris-tisches Beispiel. Wir hatten, als ich anfing, Kommunal-politik zu machen, etwa 11 500 Einwohner. Heute habenwir noch 9 800 Einwohner. Im letzten Jahr sind in dieserKommune – ich habe bei meinem Bürgermeister nach-gefragt – 48 Kinder geboren worden. Das ist die Per-spektive, die wir in ländlichen Räumen haben. AktiveFrauenpolitik, das Fördern von Frauen im ländlichenRszvnsdcaSBteNhkmsDadcnsSndsäredmdTpgdtesdatizewmhFRdd
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zwischen Männern und Frauen gesetzlich durchsetzen“in der letzten Woche abgelehnt haben.
Damit haben Sie den Frauen und auch den ländlichenRäumen weiß Gott keinen Dienst erwiesen.Die Lohndiskriminierung von Frauen auf dem Landesollte längst der Vergangenheit angehören.
Ich garantiere Ihnen: Hinsichtlich der Forderungen nachLohn- bzw. Entgeltgleichheit und Mindestlöhnen auch inder Landwirtschaft und in den ländlichen Räumen stehenwir an der Seite der Gewerkschaften; wir unterstützendies. Ich glaube, Gender Budgeting, also das Einfließendieser Grundüberlegungen in alle Politik- und Haus-haltsbereiche, sollte in Zukunft eine Selbstverständlich-keit sein. Wir als Sozialdemokraten werden uns dafüreinsetzen, dass diese Selbstverständlichkeit zur Realitätwird.Vielen Dank.
Die Kollegin Christel Happach-Kasan von der FDP-
Fraktion hat ihre Rede zu Protokoll gegeben,1) sodass
jetzt Kollegin Cornelia Behm von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen als letzte Rednerin in dieser Debatte
das Wort erhält.
Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident. – LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Poland, Ihre Rede warwahrlich sehr schwer zu ertragen. Dass Sie von den Ko-alitionsfraktionen so viel Beifall bekommen haben,spricht Bände hinsichtlich Ihrer Geisteshaltung in dieserFrage.
Es wird niemand leugnen wollen, dass die Chancen-gleichheit von Frauen in unserer Gesellschaft besondersin ländlichen Regionen eine besondere Herausforderungdarstellt.
Ich blicke hier insbesondere auf Ostdeutschland. DieForschung weist seit Jahren auf die prekäre Situation derFrauen dort hin, die eine massive Abwanderung zurFolge hat.
Die formalrechtliche Gleichstellung der Frauen ist zwarauf dem Papier vorhanden, die Wirklichkeit sieht aberleider häufig anders aus. Frauen werden schlechter be-zahlt, sie haben schlechtere Aufstiegschancen, und siehnnAHmliLhEtisvBnbuduadBwdkagIhZwdDwsSwreFleDsuNmRfr1) Anlage 2
Selbst wenn wir uns auf den Agrarbereich beschrän-en, sind die Vorstellungen der Linken nicht wirklichmbitioniert. „Mehr Frauen in die Führungsetagen derroßen Agrargenossenschaften und GmbHs“ lautet einerer Forderungen. Das wäre sicherlich ein wichtigeseichen. Vielen gestandenen Landwirten erschiene esahrlich als eine Art Kulturrevolution. Aber reicht unsas?
ie Stärkung der ökologischen und bäuerlichen Land-irtschaft würde uns viel weiter bringen; denn diesechafft Arbeitsplätze.
ie ist im Gegensatz zu den großen Betrieben innovativ,enn es um mehr Beschäftigung und neue, gleichbe-chtigte Einkommensmöglichkeiten gerade auch fürrauen geht. Aber dazu findet sich im Antrag der Linkenider nichts.Ich will das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.er Ansatz ist gut. Jetzt kommt es aber auf konkrete In-trumente an.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, liebe Kolleginnennd Kollegen von der Koalition: die Hofabgabeklausel.ach der geltenden Regelung gilt: Wenn ein Landwirtit 65 Jahren nicht seinen Hof abgibt, verliert er seinenentenanspruch. Will er ihn aber an seine jüngere Ehe-au abgeben, so darf diese nicht jünger als 55 Jahre sein.
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Cornelia Behm
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Ist sie beispielsweise 53 oder 48, hat sie Pech gehabt.Der Gesetzgeber verbietet ihr die Übernahme des Hofesund entzieht ihr damit die Lebensgrundlage als Bäuerin.Ein weiteres Beispiel: Ist die Bäuerin 65, ihr Ehe-mann aber nicht bereit, den Hof mit Eintritt ins Ren-tenalter abzugeben, verweigert ihr der Gesetzgeber dieRente. Es ist ihr somit gesetzlich verwehrt, eigenständigüber ihr Leben im Rentenalter zu entscheiden. Das müs-sen wir ändern, und zwar jetzt.Zusammengefasst heißt das: Um die Diskriminierungvon Frauen auf dem Lande zu beenden, reicht es nicht,sie stärker an Förderprogrammen zu beteiligen, undschon gar nicht, Aktionsprogramme zu machen und Bei-räte zu berufen. Das Feld, das es zu beackern gilt, istgroß und steinig. Die Regierungskoalition sollte endlichdie Kraft zusammennehmen, nicht nur vor Ort bei denBetroffenen schöne Worte zu machen, sondern wenigs-tens die schwersten Steine – damit meine ich beispiels-weise die Hofabgabeklausel – aus dem Weg zu räumen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/5477 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland,Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKeine Vorratsdatenspeicherung von Fluggast-daten –Richtlinienvorschlag über die Verwendung vonFluggastdatensätzen, KOM(2011) 32 endg.,Ratsdok. 6007/11hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 desGrundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4EUZBBG– Drucksache 17/5490 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höreich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenKonstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen das Wort.NKbwgunudn–gbnsÜVegkpwva–las–SwuDvDineFDv
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! 1 101 889 000 Passagiere wurden nach Anga-en von Eurostat im Jahr 2008 in der EU auf dem Luft-eg befördert. Von einem erheblichen Teil dieser Passa-iere sollen nun jeweils 19 Datenkategorien ohne Anlassnd auf Vorrat gespeichert werden: Anschrift, Telefon-ummer, E-Mail-Adresse, Kreditkartennummer, Zahlnd Name der Mitreisenden,
er Name des Sachbearbeiters im Reisebüro, der soge-annte Vielfliegervermerk, die Sitzplatznummern undein Meisterwerk der Unbestimmtheit – sogenannte all-emeine Hinweise.Um hier gar keinen großen Spannungsbogen aufzu-auen und den Tenor unseres Antrags gleich offen zu be-ennen: So geht es nicht, meine Damen und Herren.
Schon das allein ist eine riesige Menge äußerst aus-agekräftiger personenbezogener Daten. Aber zu allemberfluss ist in der jetzt vorliegenden Richtlinie eineerknüpfung dieser Daten, eine Abgleichung oder, ums konkreter zu sagen, eine Rasterung verpflichtend vor-esehen. Hier entsteht ein unüberschaubarer, staatlichontrollierter Datenpool, der nicht nur mit anderen euro-äischen und nationalen Datensammlungen abgeglichenerden kann und soll, sondern aus dem sich zusätzlicherschiedenste Polizei- und Strafverfolgungsbehördenller 27 Mitgliedstaaten bedienen sollen.
Das will ich Ihnen jetzt erklären, Herr Kollege. – Wienge diese Behörden wiederum die abgerufenen Datenpeichern
Herr Binninger, Sie haben eine Frage gestellt, hörenie jetzt auch zu! –,
ozu sie die Daten, die sie abrufen, genau verwendennd an welche weiteren Länder – ohne ausreichendesatenschutzniveau – sie sie weitergeben, ist nach derorliegenden Richtlinie völlig unklar.
iese Vorratsdatenspeicherung ist ein weiterer Baustein einem völlig unkontrollierbaren Gewirr von unter-inander verbundenen Datenpools in Europa. Meineraktion und ich sehen hier – das sage ich Ihnen in allereutlichkeit – ein massives datenschutzrechtliches underfassungsrechtliches Problem.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12231
Dr. Konstantin von Notz
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Weil das Bundesministerium des Innern vor Monatenschon selbst erhebliche Zweifel an der verfassungskon-formen Umsetzung dieser unausgegorenen Richtlinie an-gemeldet hat, ist es mir völlig unverständlich, warum dieBundesregierung in Kenntnis dieser Zweifel und inKenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts bei den Verhandlungen zum Kommissionsentwurfam Anfang dieser Woche nicht ausdrücklich darauf hin-gewiesen hat, dass eine solche Vorratsdatenspeicherung– um nichts anderes handelt es sich hier – mit dem deut-schen Grundgesetz überhaupt nicht vereinbar ist.Schon in seinem Urteil zur Umsetzung der Richtliniezur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-verbindungsdaten fiel es dem Bundesverfassungsgerichtauffallend schwer, die zugrunde liegende EU-Richtlinieunangetastet zu lassen und nur Teile des Umsetzungsge-setzes für verfassungswidrig zu erklären. Es wurdenengste Grenzen gesetzt, die den Gesetzgeber zu großerZurückhaltung zwingen. Der Richtlinienvorschlag aber,der uns heute vorliegt, übt gar keine Zurückhaltung;ganz im Gegenteil: Es wird gespeichert, so lange es geht,so umfassend es geht und von so vielen Menschen, wiees geht. Gleich eine ganze Reihe von Regelungen desRichtlinienvorschlags widersprechen diametral den kla-ren Vorgaben unseres Bundesverfassungsgerichts.
Ich sage Ihnen heute voraus: Müsste das Bundesver-fassungsgericht über ein Gesetz zur Umsetzung derFluggastdatenrichtlinie entscheiden, könnte das massivenegative Folgen für den rechtlichen Zusammenhalt derEuropäischen Union haben; denn eines der zentralen Ge-bote unserer Verfassung lautet: Die Freiheitswahrneh-mung der Bürger darf nicht total erfasst und registriertwerden. – Hierfür muss sich – ich zitiere das Bundesver-fassungsgericht – „die Bundesrepublik in europäischenund internationalen Zusammenhängen einsetzen“. Dashaben Sie bisher allenfalls kosmetisch, aber leider über-haupt nicht ernsthaft getan. Fangen Sie endlich damit an!
Denn sonst stellen Sie das Bundesverfassungsgericht vorfolgende Wahl, Herr Kollege Binninger –
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
– ich komme zum Ende –: entweder erstmals Europa-
recht direkt anzugreifen oder aber sich in direkten Wi-
derspruch zu der eigenen jüngsten Rechtsprechung und
damit dem deutschen Verfassungsrecht zu begeben. Ich
fordere Sie daher auf: Ersparen Sie uns diese Niederlage
für die Grundrechte des Grundgesetzes oder die europäi-
sche Integration! Wir Grüne bieten Ihnen an: Lassen Sie
uns das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
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Das Wort hat nun Clemens Binninger für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!orneweg eine klarstellende Bemerkung, Herr Kollegeon Notz: Die Richtlinie liegt im Entwurf vor. Über sieird etwa ein Jahr verhandelt werden. Sie ist noch nichteschlossen. Wir alle sind aufgefordert, gute Beiträgeur Formulierung der Richtlinie zu leisten. Ihre Redear leider kein guter Beitrag dazu.
Die Erwartungshaltung der Bevölkerung, der Mediennd der Politik, wenn es um die Notwendigkeit der Spei-herung von Passagierdaten und um die Luftsicherheiteht, lässt sich am besten mit einem Blick in die Realitäteantworten.25. September 2009: Es gelingt einem Terrorverdäch-gen, von Nigeria über Amsterdam nach Detroit zu flie-en.
s gibt Hinweise auf sein Verhalten: Er bezahlt bar; erucht nur ein One-Way-Ticket; er reist ohne Gepäck inie USA. All das bleibt unbemerkt. Er versucht, im Lan-eanflug auf Detroit eine Flüssigkeit zu entzünden, umas Flugzeug zum Absturz zu bringen.Als das passierte, kam aus allen Parteien – von derinken über die Grünen, bei uns sowieso – zu Recht dielare Aussage, dass es nicht sein kann, dass ein Terror-erdächtiger unerkannt ein Flugzeug besteigt. Da müsseoch irgendwo eine Warnlampe angehen. Wenn diearnlampe angehen soll, brauchen wir auch eine Passa-ierdatenspeicherung. Alles andere ist Unfug und Sand,er den Leuten in die Augen gestreut wird.
as wir unter Rot-Grün hatten, will ich lieber nicht nä-er erläutern.Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass inen Bereichen von Terrorismus und organisierterriminalität – um nichts anderes geht es hier – die Si-herheitsbehörden darauf angewiesen sind, Daten über
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Clemens Binninger
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Reisebewegungen, Kommunikationsbeziehungen undFinanzströme zu erhalten.Das PNR-Abkommen, das jetzt im Entwurf vorliegt,schafft einen einheitlichen Rahmen innerhalb der EU.
Es wird jetzt ein Jahr verhandelt werden. Die Richtlinienhaben drei Ziele. Erstens. Es soll – ich glaube, nochnicht einmal Sie sind da anderer Meinung – verhindertwerden, dass Terrorverdächtige, die einen Anschlag pla-nen, überhaupt erst ein Flugzeug besteigen. Wer dagegenetwas hat, soll es sagen. Es gibt gegen die Forderung,das zu verhindern, ernsthaft nichts einzuwenden.
Zweiter Punkt: Es soll gelingen, schwere Straftaten auf-zuklären. Dritter Punkt: Es soll gelingen, Verdächtige zuerkennen.Wenn wir die Richtlinie jetzt ansehen, stellen sich na-türlich einige – auch datenschutzrechtliche – Fragen.Das bestreite ich überhaupt nicht. Wir sind erst am Be-ginn der Debatte. Eine Frage, die sich auch für michstellt, ist, ob die Speicherdauer – 30 Tage offen, dannpseudonymisiert für fünf Jahre – notwendig oder zulange ist.
Ich bin durchaus der Auffassung, dass wir sehr genauüberlegen müssen, warum es fünf Jahre sein sollen. Eskönnten auch weniger sein. Ich will aber auch daraufhinweisen – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Diese Da-ten werden nicht gespeichert, weil der Staat es will.Diese Daten sind alle schon heute bei den Fluggesell-schaften vorhanden und werden auch dort heute schonmehrere Jahre gespeichert.
Es geht um die Frage, ob wir unter bestimmten Voraus-setzungen den Sicherheitsbehörden diese Daten zur Ver-fügung stellen, um Anschläge zu verhindern, schwereStraftaten aufzuklären oder Verdächtige zu identifizie-ren. Wem die Sicherheit der Bürger etwas wert ist, derkann diese Frage nicht mit Nein beantworten.
Trotzdem glaube ich, dass wir über das Thema Speicher-dauer reden müssen.Die zweite Frage, die sich stellt, ist, ob wir nur Flügevon außerhalb in die EU erfassen wollen oder auchFlüge innerhalb der EU. Da gibt es unterschiedlichePositionen. Das will ich nicht bestreiten. Wir müssen unsdarüber klar werden, dass die Gefährlichkeit von Perso-nen nicht geringer wird, weil sie von Barcelona nachBerlin fliegen statt von Nigeria nach Berlin. Wir müssenversuchen, diese Frage eher an der Gefährlichkeit derPersonen zu orientieren.–WFazkWAluisVRrilästehsazhkwZdasliSuRbremgrüdbvSPins
Nein, das ist eine Frage, die sich stellt.
ir debattieren darüber. Machen Sie einen Vorschlag!Für mich ganz persönlich stellt sich auch eine dritterage, da greife ich sogar Ihre Bedenken ein Stück weituf. Zu verhindern, dass ein Terrorverdächtiger ein Flug-eug besteigt, ist oberstes Ziel. Daran kann es für micheinen Zweifel geben.
er das ablehnt, macht keine seriöse Sicherheitspolitik.uch schwere Straftaten aufzuklären, halte ich für abso-t berechtigt. Die dritte Zielrichtung des Abkommenst, anhand der Daten Kriterien zu erkennen, mit denenerdächtige identifiziert werden können, also eine Artasterfahndung. Da hat uns das Bundesverfassungsge-cht ganz klar aufgegeben: Die Rasterfahndung ist zu-ssig, sie muss aber an eine konkrete Gefahr geknüpftein. Das heißt, eine pauschale Ermächtigung, diese Da-n quasi jede Woche auf irgendwelche Auffälligkeitenin zu durchleuchten, ist rechtlich nach unserem Ver-tändnis schwer abzubilden. Deshalb müssen wir daraufchten, dass wir hier, wenn es dabei bleibt, auch den Be-ug zur konkreten Gefahr haben.Insgesamt können wir aber nicht darüber hinwegge-en, dass wir an einem solchen Instrument nicht vorbei-ommen, wenn wir Sicherheit im Luftverkehr wollen,enn wir verhindern wollen, dass Passagiermaschineniele von Anschlägen werden, und wenn wir wollen,ass wir in der Lage sind, schwere Verbrechen – es gehtuch um organisierte Kriminalität, es geht um Men-chenhandel – aufzuklären und Strukturen zu erkennen.Durch die PNR-Richtlinie wird zumindest ein einheit-cher Rahmen geschaffen. Es gab zwischen einzelnentaaten lange einen bilateralen Wildwuchs. Es war völlignklar, wer wie viele Daten bekommt. Insofern ist eineichtlinie, durch die Einheitlichkeit hergestellt wird, zuegrüßen. Wir können über das Thema Speicherdauerden. Wir können auch über das Thema „Was alles sollan mit den Daten machen dürfen?“ sprechen. Ichlaube, an den zwei Grundzielen braucht man nicht zutteln.Herr Kollege von Notz, ich finde, das, was Sie vonen Grünen in Ihrem Antrag geschrieben haben, ist einisschen Wischiwaschi:
on allem ein wenig, aber keine klare Position.
ie müssten schon sagen, ob Sie grundsätzlich gegen dieassagierdatenspeicherung sind – auch wenn Sie damit Kauf nehmen, dass Terrorverdächtige Flugzeuge be-teigen – oder ob Sie unter bestimmten Bedingungen da-
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Clemens Binninger
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für sind. Dazu äußern Sie sich in Ihrem Antrag nicht.Die häufigste Formulierung in Ihrem Antrag lautet– viermal kommt das vor –:Falls ein Verzicht auf die Normierung einer Ver-pflichtung zur Speicherung von Fluggastdaten nichtdurchsetzbar sein sollte …Sagen Sie doch klipp und klar, ob Sie für diese Daten-speicherung sind – bringen Sie dann Ihre Kritikpunktevor – oder ob Sie dagegen sind. Dann wissen die Men-schen in Deutschland, was Ihnen die Sicherheit wert ist –offensichtlich sehr wenig. Beziehen Sie Position!
Es geht nicht an, dass Sie sich einmal so und einmal soäußern, nur weil Sie einer bestimmten Klientel gefallenwollen. Wir brauchen diese Richtlinie, um mehr Sicher-heit zu bekommen. Sie sind herzlich eingeladen, auf un-serem Weg mitzumachen. Beziehen Sie aber bitte eineklare Position.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Wolfgang Gunkel für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dis-kussion über die PNR-Daten ist nicht neu; wir haben sieschon in der vorigen Legislaturperiode geführt. Ich erin-nere daran, dass der damalige EU-Kommissar für Justiz,Frattini, einen Vorschlag eingebracht hat, der sich an denFluggastdatenvereinbarungen mit den USA orientierthat. Damals waren horrende Speicherfristen und ähnli-che Dinge vorgesehen. Bis auf die CDU/CSU haben wirdamals einheitlich festgestellt, dass Frattinis Vorschlagnicht akzeptabel ist. Die Unionsfraktion hat dann mitge-teilt, man versuche, zu verhandeln und entsprechendnachzubessern. Dazu ist es dann nicht mehr gekommen,weil Frattini gehen musste und die Sache auf Eis lag.Jetzt taucht dieser Vorschlag wieder auf. Wichtig istin diesem Zusammenhang, dass eine einheitliche Daten-erhebung in der Europäischen Union außerordentlichschwierig ist. Das wird klar, wenn man sich anschaut,welche Daten bisher schon erhoben werden. Da setze ichan: Wenn wir schon ein Schengener Informationssystem,ein Visa-Informationssystem und API-Dateien haben,warum brauchen wir dann noch zusätzlich etwas? Auchdie EU-Kommission hat nicht erklärt, warum die bishervorhandenen Dateien nicht ausreichen, um ein Systemzu installieren, durch das das ermöglicht wird, was Sie,Herr Binninger, hier vorhin vorgestellt haben. DieseFrage ist für mich nach wie vor unbeantwortet.
Ich kann nur sagen: Das, was Sie vorgetragen haben,ist in vollem Umfang zu unterstützen. Es kollidiert zumTUnhgbBAusxFsC–wWBTgnnuruchGbsKuKmhgks2su
Herr Wieland, ich nenne Ihnen ein Beispiel. Herrinninger hat nicht so unrecht. Sie schreiben in Ihremntrag viermal: Wenn das alles nicht geht, dann soll dasnd das gemacht werden. – Das ist außerordentlich ge-chickt gemacht – das gebe ich zu –: Man stellt eine Ma-imalforderung, räumt ein, dass die Erfüllung dieserorderung nicht sehr realistisch ist, und arbeitet sichchrittweise an den Punkten ab, die kritikwürdig sind.lever gemacht; das muss man Ihnen lassen.
Siehste, ein bisschen was drauf haben muss man.Es geht hier darum, zu sagen, was konkret geforderterden soll.
ir haben das im Innenausschuss schon diskutiert. Dieundesregierung hat dazu Stellung genommen: Sie willeile übernehmen. Ich zum Beispiel bin grundsätzlichegen die Vorratsdatenspeicherung. Sie ist meiner Mei-ung nach an dieser Stelle total verfehlt, weil bereits ge-ügend andere Daten vorhanden sind.
Das Verfassungsgerichtsurteil besagt, dass Deutschlandnter bestimmten Voraussetzungen Vorratsdatenspeiche-ngen vorzunehmen hat. Das Verfassungsgericht hat sol-he Speicherungen mit hohen Eingriffsschwellen verse-en. Es müssten zumindest konkrete erheblicheefahren bestehen oder Rechtsgüter von hohem Wertetroffen sein. Auch das ist in diesem Falle zu berück-ichtigen. Diesbezüglich fehlt in der Richtlinie der EU-ommission ein klarer Hinweis, was Kriterium sein sollnd wie die Umsetzung vonstatten gehen soll. Schwereriminalität: Ja. Terrorismusbekämpfung: auch Ja. Aberit welchen Mitteln und zu welchem Zweck soll das er-oben werden? Wir denken, dass darüber noch einmalesprochen werden muss. Nach unserer Auffassungann die Richtlinie so nicht bleiben.Es ist klar, dass für die Erfassung der Daten be-timmte Zentralstellen vorgesehen sind. Es würden dann7 Staaten nationale Zentralstellen haben. Die Flugge-ellschaften würden in diesen 27 Staaten Daten erhebennd sie an die jeweilige nationale Zentralstelle weiter-
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Wolfgang Gunkel
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geben. Schon allein deswegen wird man unter daten-rechtlichen Gesichtspunkten zu unterschiedlichen Be-handlungsweisen kommen. Was daran einheitlich seinsoll, verstehe ich nicht ganz. Es steht sogar noch ge-schrieben, dass die Daten an Drittstaaten weitergegebenwerden sollen. Es wird aber nicht auf die Verfahrens-weise eingegangen und dargelegt, nach welchen Krite-rien die Daten verwendet werden dürfen und wer über-haupt erfasst werden soll. All das bleibt völlig unklar.Insofern können wir diese Richtlinie nicht mittragen.Ein weiterer wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht dieFrage der Nutzung innerhalb der Europäischen Union.Da stellt sich mir die Frage, wozu wir dann überhaupt ei-nen Raum der Freiheit geschaffen haben,
in dem 470 Millionen Menschen in 27 Staaten zusam-mengefasst werden. Es handelt sich doch nur noch umeine Freiheit auf dem Landwege, wenn wir anfangen, je-den Einzelnen zu registrieren, der innerhalb der Europäi-schen Union auf dem Luftwege reist.
Das ist ein Punkt, über den man nachdenken sollte. HerrBinninger, der geschilderte Fall und das Beispiel mitBarcelona waren okay. Aber sehen Sie: Der Herr Minis-ter Friedrich – jetzt sitzt der Herr StaatssekretärDr. Schröder hier – war gerade erst, am 14. dieses Mo-nats, in Brüssel und hat diesen Sachverhalt im Justizratbesprochen. Was hat er getan? Er hat sich eindeutig ge-gen die innereuropäische Erfassung ausgesprochen.
Folgen Sie doch Ihrem Minister, Herr Binninger!
Sehen Sie doch ein, dass zumindest er erkannt hat, umwas es geht.
– Ja, gut. Manchmal orientiert man sich aber auch anMinistern und Staatssekretären. Das machen Sie auch.Richtig, Frau Piltz? Ich muss sagen: Das haben Sielocker drauf.Ich will sagen: Es ist deutlich zu erkennen, dass es imeuropäischen Rahmen sehr, sehr große Diskrepanzengibt. Es haben sich neuerdings weitere Länder ange-schlossen. Früher waren es fünf Länder plus Deutsch-land. Nach der letzten Sitzung sind zwei weitere Länderdazugekommen, die erhebliche Bedenken haben, diePNR-Richtlinie in europäisches Recht umzusetzen. Ichmeine, dass das auch inhaltlich begründet ist. Sie habenangeboten, ein Jahr darüber zu diskutieren. Dann disku-tiRßBnreSbredsIcddnJ–DbimgwaEüDmPres
Das Wort hat nun Gisela Piltz für die FDP-Fraktion.
Das ist auch richtig so, Herr Korte. – Herr Präsident!ehr geehrte Damen und Herren! Herr von Notz, Sie ha-en uns mit auf den Weg gegeben, wir sollen die Grund-chte nach Europa tragen. Ganz ehrlich: Ihren Hinweisazu hätten wir nicht gebraucht. Das tun wir nämlichchon selber.
h will Ihnen zugestehen – Sie sind um einiges jünger –,ass Sie sich nicht so daran erinnern können, dass 2004er damalige Außenminister – Sie wissen vielleichtoch, wie er hieß und welcher Partei er angehörte –,oschka Fischer von den Grünen
unvergessen deswegen, weil er einen Sündenfall imatenschutz begangen hat, an dem wir heute noch knab-ern; das liegt auch in Ihrer Verantwortung –,
Rat einem Abkommen zur Übermittlung von Flug-astdaten zugestimmt hat. Das war der Sündenfall. Dasar übrigens ein Abkommen, für das Datenschutz einbsolutes Fremdwort war. Erst dem massiven Druck desuropäischen Parlamentes war es zu verdanken, dassberhaupt nachgebessert worden ist.
er Sündenfall war die Zustimmung des grünen Außen-inisters und im Weiteren die Unterstützung für dasNR-Abkommen unter Missachtung aller datenschutz-chtlichen Erwägungen und ohne jegliche Rechts-chutzmöglichkeiten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12235
Gisela Piltz
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Herr Kollege Gunkel von der SPD, ich frage mich:Wo war da eigentlich die SPD?
Sie waren doch damals in der Regierung.
Deshalb hätte ich hier gerne eine entsprechende Aussagegehört.Wenn Sie schreiben, dass der Speicherzeitraum von30 Tagen unverhältnismäßig lang sei, möchte ich daranerinnern, dass die Grünen es damals als großen Erfolggefeiert haben, dass bei dem ersten PNR-Abkommen mitden USA eine Speicherfrist,
und zwar ohne Pseudonymisierung, von dreieinhalb Jah-ren verhandelt wurde. Das wurde damals als Erfolg ver-kauft.
Wenn man alte Plenarprotokolle liest, merkt man,dass der Inhalt der Reden manchmal wirklich von derRolle im Parlament abhängt.
– Ich lese sie nicht, weil ich zu viel Zeit habe, sondernweil ich mich ernsthaft auf die Debatten vorbereite; dasist vielleicht der Unterschied zwischen Ihnen und mir.
Die Grünen haben in der Debatte am 27. Mai 2004vorgetragen, dass sie den damals debattierten Antrag derFDP-Fraktion, in dem rechtsstaatliche Garantien undDatenschutz gefordert wurden, ablehnen.
Ich will jetzt gar nicht darüber spekulieren, was Ihnendie Bundesregierung, insbesondere Ihr damaliger Au-ßenminister, dafür versprechen musste.
Aber ich finde es vor diesem Hintergrund schon drollig,was Sie heute hier aufführen.
tebGFwwRwsvDIcVKnOk–RgtuGvdbbg–u
Frau Kollegin Piltz, während Sie so viel über Joschka
ischer reden, verrinnt Ihre kostbare Redezeit. Ehre,
em Ehre gebührt; aber es geht ja um die Zukunft. Des-
egen ist die entscheidende Frage, wie sich die FDP in
egierungsverantwortung konkret mit der Verfassungs-
idrigkeit der augenblicklichen Richtlinie auseinander-
etzt; entscheidend ist nicht, was Joschka Fischer vor
ielen Jahren gemacht hat.
a war ich ja noch ein Kind.
h bitte also um Aufklärung, was die Zukunft angeht;
ergangenheitsbewältigung ist nicht erforderlich.
Erstens, Herr von Notz: Wenn Sie damals noch einind waren, dann sind Sie heute – denn so lange ist esoch nicht her – bestenfalls ein Heranwachsender.
b Sie damit leben möchten, müssen Sie für sich selberlären.
Sie wissen: Die Antwort bestimmt derjenige, der amednerpult steht.Zweitens. Natürlich ist das, was Sie uns damals ein-ebrockt haben, im Hinblick auf das, was wir in Zukunftn, von Bedeutung. Das Problem ist: Wenn man in dereschichte einen Sündenfall herbeiführt – dafür gibt esielfältige, auch biblische, Beispiele –, begleitet einenas ein Leben lang. Deshalb müssen Sie sich den Rück-lick in die Vergangenheit gefallen lassen. Unser Pro-lem ist, dass es in der Vergangenheit ein Abkommenegeben hat.
Ich kann mich nicht erinnern, dass die USA einen vonns erpresst hätten.
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Gisela Piltz
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Zur Wahrheit gehört, dass von Ihrer Bundesregierung einklares Nein zum Irakkrieg erfolgt ist. Deshalb musstenSie damals den USA an anderer Stelle entgegenkom-men.
Das war die Konsequenz Ihrer verfehlten Politik.
– Warum setzen Sie sich jetzt einfach, Herr von Notz?
– Von mir oder von ihm?Auf jeden Fall unterstützen wir die Bundesregierungsehr darin, in Brüssel – damit hat sie ja schon begon-nen – klarzumachen, dass sie einer Ausweitung aufinnereuropäische Flüge nicht zustimmen wird. Daraufhaben wir frühzeitig hingewiesen, und darauf legen wirauch Wert. Wir brauchen von Ihnen keine Nachhilfe inSachen Datenschutz oder Vorratsdatenspeicherung.
Denn Sie wissen, dass es in unserer Fraktion Menschengegeben hat, die dieses Urteil, genau wie das bei Ihnender Fall ist, erst erkämpft haben.
– Nein, von der SPD habe ich dabei keinen gesehen,übrigens in dem ganzen Verfahren nicht, lieber KollegeGunkel. In dem ganzen Verfahren bezüglich der Vorrats-datenspeicherung war die SPD komplett abgetaucht. Dasmuss man hier sagen dürfen.
Wir als FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag hin-gegen haben uns immer für einen hohen Datenschutz-standard bei der Nutzung von Fluggastdaten eingesetzt,und das tun wir auch heute noch. Deshalb haben wir imKoalitionsvertrag durchgesetzt, dass, sollte die EU-Kommission, wie im Stockholm-Programm angekün-digt, einen Vorschlag vorlegen, das EU-US-Abkommengerade nicht der Maßstab sein darf, sondern dass wir da-rüber hinaus tätig werden müssen. Natürlich kann manimmer über das Datenschutzniveau streiten.
Aber – wenn ich mir noch einen Blick in die Geschichteerlauben darf – ich muss feststellen, dass es eigentlichnur besser werden kann, egal, was passiert. Daran arbei-ten wir.dicdßbNzSnFsDdBmimeduUNbLLzddruk
Für uns ist deshalb klar: Die anlasslose Erfassung derluggastdaten ist ein weiterer Fall einer Vorratsdaten-peicherung.
eshalb müssen wir sehr genau hinschauen, wie und obas überhaupt geht.
Die liberale Fraktion im Europaparlament hat bereitsedenken angemeldet. Deswegen werden wir hier ge-einsam mit den Ländern und mit der liberalen Fraktion Europäischen Parlament dafür eintreten, dass nochinmal grundsätzlich überprüft wird, ob dieser Vorschlager Kommission weiterverfolgt werden kann.
Wir brauchen keine Nachhilfe in Sachen Datenschutznd Grundrechte in Europa.
ns wäre es lieber gewesen, Sie hätten 2004 unsereachhilfe angenommen. Sie hätten sie nämlich ge-raucht.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Jan Korte für die Fraktion Die
inke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iebe Kollegin Piltz, Ihr jetzt geschasster Parteivorsit-ender hat vor ein paar Jahren gesagt, Ihre Partei wolleie Freiheitsstatue der Republik sein, und jetzt sind Siea angekommen, dass Sie sich die Vorratsdatenspeiche-ng einmal anschauen wollen. Von Ihrem Freiheitsden-en ist nichts übrig geblieben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12237
Jan Korte
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Es handelt sich nicht unbedingt um ein neues Pro-blem. Seit Jahren gibt es schon die Übermittlung vonsensibelsten Fluggastdaten an die USA, Australien undKanada. Jetzt soll das Ganze auf die nächsthöhere Stufegehoben werden.Bei den Verhandlungen werden auf schauspielerischmittelprächtige Weise Bedenken vorgetragen. Sie brau-chen bei den Verhandlungen aber einen klaren Stand-punkt, um etwas durchzusetzen. Das Problem ist, dassSie diesen Standpunkt nicht haben. Unser Standpunkthingegen ist klar: Wir lehnen eine Vorratsdatenspeiche-rung grundsätzlich ab. So muss man in die Verhandlun-gen hineingehen.
Trotz aller Datensammelorgien, über die wir hier im-mer wieder sprechen, ist bis heute nicht belegt – das giltauch für die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten –,dass ein solches Vorgehen substanziell mehr Sicherheitbringt. Diese Richtlinie bewirkt nicht nur eine anlassloseVorratsdatenspeicherung, sondern eine Kombination miteiner Rasterfahndung. Das ist mit Blick auf Bürgerrechteein doppelter Horror. Deswegen müssen Sie diesen Vor-schlag ablehnen und dürfen nicht so herumeiern.
Bei der jetzigen Fluggastdatensammlung ist es so – esist so weit richtig beschrieben worden –, dass die Datenbei den Fluggesellschaften dezentral gespeichert wer-den. Die neue Qualität ist, dass die Speicherung nunstaatlich zentral erfolgen soll. Die Vorstellung, was manmit diesen Datenmengen machen kann, ist der blankeHorror. Welche Begehrlichkeiten damit geweckt werden,kann man sich ausmalen. Das kennen wir von vielen an-deren Datensammlungen. Auch deswegen muss mandiesen Vorschlag ablehnen. Die Linke unterstützt daherden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen.
Es ist ganz interessant, dass sich die Bundesregierungjetzt kritisch gibt. Sie sagt, die Sache sei schwierig undman müsse darüber nachdenken. Sie haben sich im In-nenausschuss allerdings stets geweigert, Ihre Verhand-lungstaktik offenzulegen und darzulegen, wie Sie in dieVerhandlungen beispielsweise mit den USA hineinge-hen. Damals sind Sie reihenweise eingeknickt und sindbis heute nicht bereit, Ihre Verhandlungstaktik offenzule-gen. Es wäre eine gute Sache, Sie würden die Unterstüt-zung des Parlamentes und der Opposition einholen.Dann würden Sie nicht ganz so alleine dastehen. WennSie es ernst meinen würden, würden Sie es tun.
Kollege Binninger, Sie haben noch eine Schippedraufgelegt und gesagt – Sie haben es in Frageform ge-kleidet; es ist aber klar, was Sie wollen –, dass man alsnächsten Schritt eine innereuropäische Regelung an-strebt und das umsetzt, was Großbritannien will: Auchder Bahnverkehr und der Schiffsverkehr sollen mit auf-gliisinKbkfetiSPOlebndimdagemsngDFnhnIhIhmw
ollegin Piltz, Ihre Partei hat im Moment ein paar Pro-leme. Hier hätte die FDP wirklich die Chance, mit einerlaren und nachvollziehbaren Linie ihr Profil zu schär-n. Das bedeutet aber, dass Sie sich gegen Ihren Koali-onspartner stellen müssen. Das trauen Sie sich nicht.ie trauen sich sowieso überhaupt gar nichts. Das ist dasroblem, das wir jetzt haben.
Kollegin Piltz, einen aufmunternden Satz kurz vorstern: Sie haben in der Tat damit recht, dass die Libera-n im Europaparlament geschlossen – ich hoffe, dasleibt so – angekündigt haben, dass sie das Ganze ableh-en werden. Das ist erfreulich. Das gilt übrigens auch fürie Vereinte Europäische Linke und die grüne Fraktion Europaparlament. Die Sozialdemokraten müssten iniesem Punkt dazu beitragen – da haben Sie recht –, dassuch die Sozialdemokraten im Europaparlament dage-en stimmen. Dann könnte man eine Mehrheit dagegenrreichen; das wäre mehr als sinnvoll.
Peter Schaar hat recht: Er hat in dieser Woche sinnge-äß gesagt, dass diese Koalition im Bereich des Daten-chutzes – von anderen Bereichen ganz zu schweigen –ichts Substanzielles auf den Weg gebracht hat. Deswe-en ist es bald Zeit, diese Regierung abzulösen, auch ausatenschutzgründen.Schönen Dank.
Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-en! Sehr geehrte Kollegen! Der Antrag, den die Grüneneute vorlegen, dient nur einem Zweck und einem Ziel,ämlich dem der Effekthascherei und Skandalisierung.
nen geht es nicht um einen sachlichen Problemaufriss;nen geht es nur darum, bewusst den Eindruck zu ver-itteln, dass der Staat einer Sammelwut nachgehenürde
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12238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011
Stephan Mayer
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und einen riesigen „Datenpool“ – so haben Sie es wort-wörtlich genannt – anlegen würde, um im Bedarfsfalldarauf zurückgreifen zu können.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wo-rum geht es konkret? Wenn man potenziellen islamisti-schen Terroristen rechtzeitig auf die Schliche kommenwill, gibt es nur zwei Möglichkeiten:
Man muss entweder ihre Kommunikationswege oderihre Reisewege ausfindig machen. Das sind die beidenMöglichkeiten, denen man sich intensiv zuwenden muss.Es ist aus meiner Sicht nach wie vor unerlässlich, dassder Staat, insbesondere die Sicherheitsbehörden desStaates, sowohl auf Telekommunikationsverbindungsda-ten als auch auf Reiseverkehrsdaten zugreifen kann.
Es ist doch nicht so, dass Fluggastdaten noch nie ge-speichert wurden. Ganz im Gegenteil: Fluggastdatenwerden schon heute gespeichert; es gibt bilaterale Ab-kommen der Europäischen Union mit den USA, Kanadaund Australien.
Jetzt ist die Frage, ob man die Speicherung der Fluggast-daten entsprechend erweitert.
Es gibt auch nationale Lösungen: Zum Beispiel unter-hält Großbritannien ein eigenes System zur Fluggast-datenspeicherung. Ich glaube, man muss sich jetzt ohneSchaum vorm Mund mit sachlichen Argumenten aus-einandersetzen; darum geht es.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen, es ist verfehlt, wenn Sie hier den Eindruckerwecken, dass ein Vergleich mit den Telekommunika-tionsverbindungsdaten angemessen ist. Das trifft nichtzu; Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Man muss sichwirklich einmal vor Augen halten, worum es geht: JederDeutsche reist im Schnitt zweimal im Jahr mit demFlugzeug. Dagegen gibt es in Deutschland 147 Millio-nen Telefonanschlüsse; das heißt, jeder Deutsche verfügtim Schnitt über knapp zwei Telefonanschlüsse. InDteDekwDgesss3JgliinteInanacdVbSOaSansdgdte
as heißt, jeder Deutsche telefoniert im Schnitt sechs-inhalb Minuten pro Tag. Bei der Speicherung von Tele-ommunikationsverbindungsdaten geht es also um eineeitaus größere Menge als bei den Fluggastdaten.
ies sollte man bei der Abwägung berücksichtigen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, eseht nicht um die Frage, ob sich die Europäische Unionine Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten gibt,
ondern ausschließlich um die Frage, wie sie gestaltetein wird. Es liegt jetzt noch keine fertige Richtlinie vor,ondern ein Entwurf der Europäischen Kommission vom. Februar.
etzt wird man sich in aller Sachlichkeit und Ausgewo-enheit und mit der notwendigen Zeit mit diesem Richt-nienentwurf auseinandersetzen.
Ich möchte ganz offen sagen: Ich bin dem Bundes-nenminister Dr. Friedrich sehr dankbar, dass seine ers-n Einlassungen zu diesem Thema, insbesondere bei dernenministerkonferenz am vergangenen Montag, sehrusgewogen und sachlich waren. Bestimmte Fragen sindun in aller Offenheit zu diskutieren: Ist es notwendig,uch die Daten von innereuropäischen Flügen zu spei-hern? Es gibt Argumente dafür, und es gibt Argumenteagegen. Dabei ist sicherlich vor dem Hintergrund dererhältnismäßigkeit und der Angemessenheit auch zuerücksichtigen, um welche Menge von Daten es geht.ind dies überhaupt die entscheidenden Verkehrswege?der gibt es, wenn jemand Übles im Schilde führt, nichtlternative Verkehrswege oder Reisewege zum Fliegen,tichwort „Bahnverkehr“, Stichwort „Pkw“? Ich fragelso: Was bringt es überhaupt, die Fluggastdaten von in-ereuropäischen Flügen zu speichern?Natürlich muss man auch offen über die Kostenfrageprechen. Die Speicherung pro Passagier pro Flug kostetie Fluggesellschaft 10 Cent. Das sind, auf den Passa-ier bezogen, relativ geringe Kosten, aber in der Summeurchaus bemerkenswerte Kosten. Also auch die Kos-nfrage ist in diesem Zusammenhang zu eruieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. April 2011 12239
Stephan Mayer
(C)
(B)
Auch die Speicherfrist ist ins Kalkül zu ziehen; das istschon angesprochen worden. Die schon jetzt vorhande-nen bilateralen Abkommen sehen unter der Pseudonymi-sierung im Einzelfall sogar eine Speicherfrist von bis zu15 Jahren vor. Meines Erachtens – ich mache keinenHehl aus meiner Meinung – ist eine Speicherfrist von15 Jahren vollkommen überdimensioniert.
Abgesehen davon bringen auch die Daten, wenn sie ein-mal 10, 12, 13 Jahre alt sind, wenn es um die Präven-tionsarbeit oder die Ermittlungstätigkeit geht, aus meinerSicht ganz konkret relativ wenig.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, esbesteht überhaupt kein Grund, sich in irgendeiner Auf-geregtheit oder Skandalisierung über diesen Richtli-nienentwurf zu echauffieren.
Wir haben genügend Zeit, uns sowohl im Innenaus-schuss als auch mit der Bundesregierung mit dieser The-matik auseinanderzusetzen. Deswegen ist aus meinerSicht der Antrag der Grünen zum einen, was den Zeit-punkt anbelangt, vollkommen verfehlt, und zum ande-ren, was die inhaltliche Schärfe anbelangt, vollkommendeplatziert.In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk-samkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5490 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 11. Mai 2011, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen eine fröhliche, eine schöne Oster-
zeit.
Die Sitzung ist geschlossen.