Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit, daß der Kollege Ernst Hinsken als Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank ausscheidet. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Nachfolger den Kollegen Gerhard Schulz vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist der Kollege Gerhard Schulz zum Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank bestimmt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 g auf: Forschungspolitische Debatte
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Simone Probst, Elisabeth Altmann , Marina Steindor und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesbericht Forschung 1996
- Drucksachen 13/4554, 13/6388, 13/7128 -Berichterstattung:
Abgeordnete Erich Maaß Edelgard Bulmahn
Dr. Manuel Kiper
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Wolfgang Bierstedt
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Wolfgang Thierse, HansWerner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neue Prioritäten zugunsten einer sozialverträglichen Forschungs- und Technologiepolitik
- Drucksache 13/7866 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Thierse, Michael Müller (Düsseldorf), Arne Börnsen (Ritterhude), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Innovative Forschungs- und Technologiepolitik - Bündnis für Arbeit und Umwelt
- Drucksachen 13/3979, 13/6181 - Berichterstattung:
Abgeordnete Erich Maaß Edelgard Bulmahn
Dr. Manuel Kiper
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Wolfgang Bierstedt
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edelbert Richter, Ernst Schwanhold, Dr. Peter Glotz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Risikokapital für junge Technologieunternehmen
- Drucksachen 13/3302, 13/6182 -Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Hollerith Edelgard Bulmahn
Simone Probst
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Wolfgang Bierstedt
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Margareta Wolf (Frankfurt), Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abge-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine neue Innovationskultur - Stärkung des Risikokapitalmarktes
- Drucksachen 13/5962, 13/7010 -Berichterstattung:
Abgeordneter Hans Martin Bury
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Tilo Braune, Dr. Edelbert Richter, Wolfgang Thierse, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neue Akzente bei der Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern
- Drucksachen 13/4967, 13/7768 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Dr. Edelbert Richter
Dr. Manuel Kiper
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Wolfgang Bierstedt
g) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P.
Gründung innovativer Unternehmen aus Hochschulen, Großforschungseinrichtungen und Einrichtungen der Blauen Liste
- Drucksachen 13/7771, 13/8813 -
Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Christian Lenzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie zunächst alle sehr herzlich. Wir sind heute morgen wieder unter uns. Das kann der Sache nur dienlich sein.
Ich möchte mit einem Zitat beginnen:
„Zukunft möglich machen" lautet der kategorische Imperativ des ausklingenden Jahrhunderts. Er ist kein philosophisches Konstrukt, sondern politisches Programm, Antwort auf die dreifache Herausforderung, vor der Deutschland an der Jahrtausendschwelle steht.
Mit diesem Aufmacher beginnt der Bundesforschungsbericht 1996, der ja ein wichtiges Dokument auch für die heutige Debatte ist, bevor er sich dann mit den Fragen der inneren Einheit, des weltwirtschaftlichen Wandels und der weltpolitischen Veränderungen beschäftigt.
In der Tat kann es nicht oft genug gesagt werden: Wissen ist der Rohstoff der Zukunft. Daraus entsteht Arbeit. Revolutionierten an der Schwelle zum 20. Jahrhundert Elektrizität und Maschinenbau die Gesellschaft, so sind es heute die Informationstechnik und Mikroelektronik, also Technologien, die mit der Erfindung des Transistors vor 50 Jahren begonnen haben.
Die zweite revolutionierende Entwicklung, über die im Moment heftig diskutiert wird, ist die Biooder Gentechnik. Konzentrierte sich die Forschung am Anfang dieses Jahrhunderts schwerpunktmäßig auf das Verstehen der unbelebten Materie und war geprägt durch die großen Fortschritte der Physik, so stehen heute die Biowissenschaften auf Platz eins der Hitliste. Die Geheimnisse des Lebens werden in zunehmendem Maße entschlüsselt, was für die Besiegung bis jetzt unheilbarer Krankheiten, um nur ein klassisches Beispiel zu nennen, unzweifelhaft ein herausragender Fortschritt ist. Auf der anderen Seite aber - mit diesen Diskussionen haben wir uns immer stärker zu beschäftigen - stoßen die Forscher immer öfter an die Grenzen von Ethik und Moral, so daß sich die Frage stellt, ob der Mensch all das darf, was er kann.
Der technische Fortschritt ist so rasant, daß es häufig schwerfällt mitzuhalten. Es gibt aber keine Alternative. Stillstand hieße Rückschritt und Verlust von Wohlstand und Arbeitsplätzen. Damit wäre eine Fülle weiterer Probleme verbunden, wie wir alle wissen. Uns bleibt nur eine Wahl: Wir müssen an der Spitze des Fortschritts mithalten. Nur dann können wir Zukunft zum Wohle der Menschen gestalten.
Die nötigen Voraussetzungen dazu haben wir. Das ist nicht selbstverständlich. Alles Wissen ist in unserem Land; wir müssen es nur gezielt und punktuell besser nutzen. Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre des Bundesforschungsberichtes 1996. 1996 klingt zwar in einer so schnellebigen Zeit - heute sind wir bereits im Jahre 1998 - schon etwas antiquiert. Aber der Bericht enthält eine Fülle von statistischem Material und von grundsätzlichen Aussagen, die sicherlich von großer Bedeutung sind.
Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann feststellen: Die deutsche Forschungslandschaft ist gut. Sie muß sich nur immer wieder - wie wäre es auch anders möglich - den wechselnden Herausforderungen anpassen. Neue wissenschaftliche Ziele müssen aufgegriffen und alte aufgegeben werden, wenn ein Thema ausgeforscht ist. Das ist nicht immer einfach. Die Strukturen müssen sich dem anpassen, auch wenn schmerzhafte Einschnitte erforderlich sind. Als Folge des Ergebnisses einer Evaluation zum Beispiel haben wir das mehrfach erfahren.
Christian Lenzer
Natürlich braucht eine gute Forschungslandschaft auch einen entsprechenden finanziellen Rahmen. Ich möchte nichts beschönigen: Hier besteht ein wunder Punkt. Wir brauchen mehr Mittel für die Forschung.
Wirtschaft und Staat müssen noch mehr tun, wenn wir ein wirkliches High-Tech-Land werden bzw. - das ist noch wichtiger - bleiben und wenn wir unsere technologische Wettbewerbsfähigkeit international sichern wollen.
Natürlich können wir uns der allgemeinen politischen Forderung nach Sparsamkeit nicht verschließen. Aber wir müssen sehr genau aufpassen, daß wir nicht an der falschen Ecke, nämlich gerade bei Bildung und Forschung - in diesen wichtigen, zukunftsträchtigen Bereichen -, irgend etwas kaputtsparen.
- Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, so einfach ist das nicht. Auch Sie müssen da mitwirken. Man kann nicht nur auf die Regierenden mit dem Finger zeigen.
Ich komme in diesem Zusammenhang auf meinen Vorschlag, den prozentualen Zuwachs beim Bildungs- und Forschungsetat an der Steigerung des Bruttosozialproduktes zu orientieren, zurück, den ich einmal bei der Diskussion über den Haushalt 1998 gemacht hatte. Dies muß ja kein Automatismus sein. Aber man sollte sich schon bemühen, Forschung und Bildung mit den entsprechenden Mitteln auszustatten.
Ein besonderes Augenmerk muß auf die Industrieforschung in den neuen Bundesländern gelegt werden. Hierzu wird noch ein spezieller Beitrag geleistet werden. Die Wiederansiedlung von Forschung und Entwicklung in den produzierenden Betrieben muß weiterhin mit Nachdruck gefördert werden. Substantielle Kürzungen der Fördermittel der öffentlichen Hände im Bereich der ostdeutschen Industrieforschung sind noch für längere Zeiträume nicht akzeptabel. Die Kooperationsmöglichkeiten zwischen KMU und Forschungseinrichtungen müssen verbessert werden, und die Ergebnisse der wirtschaftsnahen Forschungen müssen der eigenen Wertschöpfung in den neuen Bundesländern noch besser zugute kommen.
Ich nenne als Beispiel nur einmal die „Personalförderung Ost" des BMWi, die „Marktvorbereitende Industrieforschung" ebenfalls des BMWi und die „Förderung und Unterstützung von technologieorientierten Unternehmensgründungen" unseres eigenen Hauses, des BMBF. Sie müssen konsequent weitergeführt werden.
Es wäre unvollständig, wenn ich an dieser Stelle nicht voller Stolz auf einen großen Erfolg verweisen würde, nämlich auf das - ich will es einmal so nennen - sächsische Silicon Valley, jedenfalls im Ansatz. Deutschland ist auf dem besten Weg zur Weltspitze in einem Teilbereich der Mikroelektronik. Das Rezept dazu ist innovatives Know-how, gut ausgebildetes Personal, eine gute Infrastruktur und das Prinzip „Klotzen und nicht Kleckern". Daß sich jetzt Siemens, Motorola und Wacker zusammengetan haben, um in Dresden mit dem Projekt „300 plus" eine Mikrochip-Produktion auf der Basis von 300 Millimeter Wafern aufzubauen, ist wirklich ein exzellentes Signal für den Standort Deutschland. Mehr als 8 000 Arbeitsplätze werden durch diesen Innovationssprung bei der Mikroelektronikfertigung gesichert. HighTech-Ausgaben in Höhe von 5,5 Milliarden DM, davon Investitionen in Höhe von 4,3 Milliarden DM werden angestoßen. Zirka 50 Firmen und Institute sind an den Forschungsarbeiten beteiligt - dies bedeutet also eine gewaltige Breitenwirkung -, die das BMBF mit rund 250 Millionen DM fördert. Hier ist in einem großen Synergieeffekt zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Staat ein Center of Excellence, wie das so schön heißt, geschaffen worden, das weltweite Bedeutung hat.
- Ich bin der sächsischen Sprache nicht ganz so mächtig. Ich kann sie ein bißchen nachahmen, aber mehr nicht.
An diesem Beispiel - Sie haben mir gerade das Stichwort gegeben - für gut angelegte Investitionen in die Zukunft könnte sich vielleicht ein gewisser Ministerpräsident Schröder einmal ein Beispiel nehmen. Ich denke noch voller Schrecken daran, welche Wortwahl er in dieser Woche in den Auseinandersetzungen der Aktuellen Stunde gefunden hat.
Überhaupt ist das Verständnis der Opposition von Innovation immer noch sehr innovationsbedürftig. Es kann ja schon als Fortschritt gewertet werden, daß der Parteivorsitzende im letzten Jahr in Düsseldorf die Genossen darum gebeten hat, zunächst die Chancen neuer Technologien zu sehen und nicht von vornherein immer nur die Risiken in den Vordergrund zu stellen. Dem ist nichts hinzuzufügen, dem kann man eigentlich nur zustimmen. Wir wollen hoffen, daß das noch weiter um sich greift.
Schöne Reden auf Kongressen sind eine Sache; es muß aber auch auf allen Ebenen entsprechend gehandelt werden. Jede Verzögerungstaktik verspielt Chancen und damit Arbeitsplätze für den Standort Deutschland.
Lassen Sie mich einige wenige Beispiele nennen: Die Blockadehaltung der SPD hat - das muß man ganz deutlich sehen - dem Bereich der Bio- und Gentechnik lange Jahre sehr geschadet. Ich begrüße es, daß offensichtlich auch in Ihren Reihen ein gewisser Umdenkungsprozeß stattgefunden hat. Wir können heute voller Stolz feststellen, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen etwa 300 Unternehmen dieses Bereichs angesiedelt haben. Der Bioregio-Wettbewerb des Bundesministers für For-
Christian Lenzer
schung und Technologie war ein sehr großer Erfolg. Mit München, dem Rhein-Neckar-Gebiet, dem Rheinland und Jena - das ist besonders wichtig: eine Stadt aus den neuen Bundesländern - konnten wir Regionen auswählen, die sich durch besondere Kompetenz auf diesem Gebiet auszeichnen.
Zum Bereich der Energietechnik will ich nur soviel sagen: Ich bedauere es außerordentlich, daß die Energiepolitik der SPD und ihr halbherziges Bekenntnis zur Forschung im Kernenergiebereich dazu führen, daß Milliardenbeträge vergeudet werden. Statt dessen wird immer von Markteinführungshilfen bei der Solarenergie gesprochen. Niemand will das geringschätzen: Als Beispiel nenne ich die beiden neuen Firmen, die sich mit der Solarzellenfabrikation beschäftigen: Shell/Pilkington in Gelsenkirchen und ASE in Alzenau. Aber ich meine, man muß die Dinge zurechtrücken; man darf sie nicht verzerrt sehen.
Als persönliche Bemerkung darf ich einmal einfügen: Nach fast 30 Jahren Abgeordnetendasein hier in Bonn kommt man manchmal in Verlegenheit, eine gewisse Rückschau zu halten. Ich greife deshalb gern ein Beispiel aus der Vergangenheit heraus: Was wäre wohl passiert, wenn sich Franz Josef Strauß vor Jahrzehnten nicht vehement - gegen das Heer aller Bedenkenträger - für den Airbus eingesetzt hätte?
In diesen Tagen haben wir gerade Rückzahlungen in Höhe von 1,4 Milliarden DM bekommen, die in die Bundeskasse geflossen sind. Das ist zwar nur ein Anfang. Aber ich glaube, es ist aller Ehren wert und verdient eine lobende Erwähnung.
Wo wären wir gelandet, wenn wir - angesichts der enormen Wirtschaftskonzentration, insbesondere in den USA, in diesem Bereich - praktisch anstehen müßten? Ich nenne nur einmal Boeing, McDonnel Douglas und Rockwell auf der einen Seite, Lockheed Martin und Northrop Grumman sowie Raytheon und Hughes auf der anderen Seite. Ich glaube, wir müssen in diesem Bereich erhebliche Anstrengungen unternehmen. Forderung für die Zukunft ist daher, einen breiten Marktzugang zu sichern, ein großes Know-how zu garantieren und letztlich auch die dafür notwendige starke Finanzkraft zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang sollten wir die Airbus Single Corporate Entity, das einheitliche Management mit klaren ökonomischen Prinzipien, lobend erwähnen.
Nationale Unternehmen sind hier chancenlos. Ich freue mich, daß sich die Luft- und Raumfahrtindustrie im Aufwind befindet, daß die Krise der Branche nach vielen, vielen Diskussionen und großem Hin- und Hergezerre überwunden zu sein scheint. Nur am Rande will ich erwähnen, daß am 30. Oktober 1997 durch den erfolgreichen Start der Ariane-5-Trägerrakete praktisch ein neues Zeitalter in der Satellitenträgerschaft eingeläutet wurde.
Das war ein sehr großer Erfolg, auf den wir alle miteinander - das gilt für jeden, der daran mitgewirkt hat - stolz sein können.
Der Bundesforschungsbericht 1996 gibt einen exzellenten Überblick über den Stand der Forschung in Deutschland. Ich möchte dabei besonders auch auf die einleitenden Kapitel verweisen. Leider ist es hier aus zeitlichen Gründen nicht möglich, weiter in die Details zu gehen. Aber lassen Sie mich, um über das Allgemeine etwas hinauszugehen, nochmals feststellen: Die deutsche Forschungslandschaft ist gut; sie braucht weltweit keine Konkurrenz zu scheuen. Aber sie kann und muß in Richtung Innovation noch besser, noch leistungsfähiger werden.
Zum Abschluß einige Wünsche für die Zukunft.
- Das wollen wir erst einmal sehen. Es wird sicherlich eine neue Regierung geben. Aber ich glaube, jeder bleibt dort sitzen, wo er jetzt sitzt und wo er sich eingerichtet hat.
- Wir wollen es mit der Erneuerung nicht übertreiben.
Das Forschungspotential an den Hochschulen muß mit Blick auf Innovationen noch intensiver ausgeschöpft werden. Frau Kollegin Bulmahn, Herr Kollege Laermann und ich waren bei der Verleihung des Leibniz-Preises Anfang dieser Woche zugegen. Es war wirklich ein schönes und befriedigendes Erlebnis daß junge Forscher für außergewöhnliche Leistungen ausgezeichnet wurden und daß dort nicht gekleckert wurde, sondern echt Geld hineingesteckt wurde. Auf diesem Wege sollten wir weitergehen.
Dienstleistungen mittels neuer Technik sind noch extrem unterentwickelt. Hier ist ein großes brachliegendes Feld für neue Arbeitsplätze, das es zu beakkern gilt.
Lassen Sie mich die Existenzgründungen, HighTech, Low-Tech erwähnen. Das muß weiter forciert werden. Voller Stolz kann ich auch an den Existenzgründerkongreß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 28. Januar dieses Jahres in Hannover erinnern.
Innovationsstrategien müssen systematisch verfolgt werden. So braucht auch Innovation - wie die Wachstumsprozesse - in vielen Fällen ihre Zeit und einen langen Atem. Unsere Forschungslandschaft muß deshalb höchst flexibel sein, um auf die Heraus-
Christian Lenzer
forderungen der Zukunft angemessen und schnell reagieren zu können. Administrative Hemmnisse müssen deshalb auf das absolut Notwendige beschränkt werden. Die Verantwortlichkeiten im Forschungsbereich sollten künftig noch klarer definiert werden. Das gilt insbesondere für die manchmal etwas leidigen Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern.
Meine Damen und Herren, ich stelle abschließend fest: An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend oder zum nächsten Jahrhundert, wenn wir es etwas kleiner machen wollen, ist Deutschland im Bereich von Forschung und Technologie gut gerüstet. Wir haben das Potential an Wissen, an gut ausgebildeten Menschen, Ideenreichtum und Initiative. Wenn wir es verstehen, in allen Bereichen den nötigen Freiraum zur Entfaltung zu geben, dann brauchen wir uns um die Zukunft keine Sorgen zu machen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Internet finden Sie auf der Homepage der CDU einen wunderbaren Satz. Dort steht:
Wir werden durch ein überproportionales Wachstum des Bundeshaushalts für Forschung und Technologie Spielräume für neue Initiativen insbesondere in den Spitzentechnologien eröffnen und eine kontinuierliche Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern ermöglichen.
Die Aussage ist so richtig und so gut, daß sich in die erste Freude über soviel Konsens sofort ein Verdacht einschleicht. Nachdem Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, seit über 15 Jahren regieren, fragt sich der Besucher dieser Homepage: Von welcher Zukunft sprechen die, und was macht, bitte schön, das Bundesministerium für Forschung und Technologie?
Diese gute Botschaft kann also so neu nicht sein. Tatsächlich stammt sie aus der Koalitionsvereinbarung von 1994.
So lernen wir nur eines daraus: Die CDU versendet in einem schnellen Medium ein höchst veraltetes Versprechen, das die Koalition nicht einhält.
Wahrscheinlich ist es keine Übertreibung, wenn ich feststelle: Ginge es allein nach Ihren Worten und Ihren Ankündigungen, Herr Minister und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, gäbe es eine Menge forschungspolitischer Gemeinsamkeiten in diesem Hause. Aber wirkliche Gemeinsamkeit scheitert leider daran, daß die Koalition ihre eigenen Ankündigungen nicht ernst nimmt. Aus der angekündigten überproportionalen Steigerung der Ausgaben ist ein bemerkenswerter Abbau von Mitteln geworden. Das Lob, das Ihnen Professor Hubert Markl öffentlich erteilt, klingt vor diesem Hintergrund ziemlich schal. Es besagt in meinen Worten, die Verwaltung des Mangels sei diesem Minister ganz passabel gelungen.
Der Gedanke erinnert mich an eine andere Botschaft; sie enthält die „wirkliche Wahrheit" über die Politik dieser Bundesregierung und dementiert alle früheren Ankündigungen einschließlich des geltenden Koalitionsvertrages. Der Kollege Rüttgers hat diese Wahrheit hier im Bundestag ganz gelassen ausgesprochen. Wenn überall gespart werden müsse, so teilten Sie uns mit, könne und wolle - wolle! - Ihr Ressort sich dem nicht entziehen. Dies ist der einzige Satz des Zukunftsministers, von dem ich guten Gewissens sagen kann: Worte und Taten stimmen überein.
Wir haben einen jahrelangen Rückgang des Forschungsetats zu beklagen - von 1993 bis 1998 um 760 Millionen DM. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht bis zum Jahre 2001 eine weitere kontinuierliche Absenkung des Einzelplans 30 auf dann nur noch 14,3 Milliarden DM vor - also schon nominal weniger Ausgaben als 1991. Der Stifterverband hat jüngst vorgerechnet, daß wir heute insgesamt - also Staat und Wirtschaft - weniger für die Forschung ausgeben als noch 1992. Er hat ebenfalls darauf aufmerksam gemacht - dies allen Deregulierern und Marktideologen ins Stammbuch -, daß die Wirtschaft den Rückzug des Staates aus der Forschungsfinanzierung nicht kompensiert, im Gegenteil.
Der Koalitionsvertrag verspricht auch - ich erinnere daran - eine überproportionale Steigerung der FuE-Aufwendungen für Ostdeutschland. 1996 gaben Sie dafür 368 Millionen DM aus; 1998 geben Sie nur noch 280 Millionen DM aus. Dies ist die überproportionale Steigerung Ihrer Machart. Papier ist geduldig, hat man früher gesagt, das Internet auch. Man kann dort hineinschreiben, was man will; stimmen muß es ja nicht.
Auch die Struktur des Forschungsetats ist zweifelhaft. Der Anteil der institutionellen Förderung beträgt fast 45 Prozent. Dafür gibt es sicher Gründe. Aber ein flexibler Mitteleinsatz ist das nicht.
Wolfgang Thierse
Es ist bemerkenswert, daß aus Regierungskreisen immer wieder die Klage zu hören ist, unser Land sei technikfeindlich und nicht innovationsfreudig; es gebe einen Reformstau. Das klingt so, als würden Sie gar nicht regieren. Vor allem aber stimmt es so überhaupt nicht. Was die Leistungen der Forschung, was die Entwicklung neuer Produkte betrifft, muß man die mittelständischen Betriebe, zum Teil auch die Großindustrie, die Forschungsinstitute und die Universitäten geradezu in Schutz nehmen vor diesen Vorwürfen.
Nicht in der Gesellschaft, nicht in den Betrieben und Forschungseinrichtungen gibt es einen Stau; da wird ständig und mit respektablem Erfolg an Innovationen gearbeitet. Stau gibt es nur in der Politik.
Er hemmt den Rest.
Herr Minister Rüttgers, Sie haben selbst vor 14 Tagen ein von Ihnen bestelltes Gutachten „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 1997 " der Öffentlichkeit präsentiert. Man muß sich das genau anschauen, und man wird bestätigt finden - dankbar bestätigt finden, Herr Lenzer -, daß wir uns der technologischen Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Wissenschaft nicht zu schämen brauchen. Wahrlich nicht!
Offensichtlich aber kommen diese Leistungen nicht wegen, sondern trotz Ihrer Politik zustande. Das zeigen die Daten, die ich eben vorgetragen habe.
Als Sie das Gutachten der Öffentlichkeit vorstellten, haben Sie der Presse mitgeteilt, Deutschland befinde sich „auf dem Weg zum High-Tech-Land". Daß wir uns nur auf dem Weg befinden,
heißt: Es wurden Chancen verpaßt. Eine Regierung, die 15 Jahre lang ihre Modernität betont und sich selbst aufforderte, weiter so zu machen, müßte nach dieser langen Zeit doch erklären können: Deutschland ist ein High-Tech-Land.
Nun gut, wir wollen festhalten, daß wir im internationalen Handel und bei Patentanmeldungen den Anschluß an die Weltspitze nicht verloren haben.
Wir wollen das dankend anerkennen. Aber wir müssen auch festhalten, daß wir Anfang der 80er Jahre, zu Beginn Ihrer Regierungszeit, im internationalen Vergleich bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit den USA gemeinsam weltweit Spitzenreiter waren. Der Bericht der Institute hält fest, daß die Bundesrepublik in dieser Hinsicht auf Platz neun - hinter Japan, den USA, Schweden, Frankreich, der Schweiz, Korea, Finnland und Israel - zurückgefallen ist - eine stolze Bilanz.
Der Anteil der Bildungsausgaben am Inlandsprodukt - so steht es auch im Gutachten - nimmt weiter ab. Schlimm genug, daß es so ist, aber es entspricht auch Ihren Plänen. Jedenfalls rechnet die Bundesregierung mit einem weiteren Einsparvolumen allein beim BAföG von 300 Millionen DM in diesem Jahr. Dem Protest der Studierenden haben Sie rasch Verständnis und ein Trostpflaster von 40 Millionen DM für Bibliotheken entgegengebracht. Die 40 Millionen DM stehen inzwischen wieder in Frage, höre ich. Worte und Taten sind bei Ihnen eben nicht dasselbe.
Ich bleibe bei dem Gutachten, um es ein letztes Mal zu zitieren. Zu den Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland stellen die Institute fest:
Kein Land muß auf einen derart steilen und einschneidenden Rückgang von FuE verweisen wie Deutschland.
Kein Land! Deutlicher kann man es nicht mehr sagen. Das ist die Bilanz Ihrer Forschungspolitik.
Ein Wort zu den Leitprojekten. Sie wissen, auch wir wollen die Forschungsförderung an Leitprojekten ausrichten. Wir wollen neue Produkte entwickeln, die am internationalen Markt wettbewerbsfähig sind. Wir sehen mit Ihnen durchaus gemeinsam das Problem, daß der Weg vom Forscher und Entwickler insbesondere zu den innovationsfreudigen mittelständischen Betrieben viel zu weit ist. Vor allem hierin liegt die Gefahr für die zukünftige internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Die Ideen sind da; aber an der Umsetzung hapert es.
Anders verhält es sich bei unseren Großunternehmen, die glücklicherweise auch über eigene große Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verfügen. Forschungspolitik müßte sich vor diesem Hintergrund also darauf konzentrieren, das Bindeglied zwischen Forschung und mittelständischer Produktion herzustellen.
Dazu gibt es ein ministerielles Leitprojekt; es heißt „Innovative Produkte". Es enthält 271 Vorschläge, erarbeitet von über 1800 Partnern aus Industrie, Verbänden und Forschungseinrichtungen. In der ersten Phase gab es 15 Wettbewerbssieger. Sie erhalten zur weiteren Ausarbeitung ihrer Vorschläge eine Zuwendung von bis zu 100 000 DM.
Ich habe erwartet, dort eher weniger berühmte Namen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, von selbständigen ostdeutschen Forschungseinrichtungen zu finden. Aber tatsächlich bekommen Daimler Benz, Siemens, Bosch, Thyssen, Volkswagen, Porsche, Philipp Holzmann und die Fraunhofer Gesellschaft Fördermittel, um sich sozusagen selbst vorzuschlagen, wie sie ihre eigenen Forschungsergebnisse schneller in neue Produkte umsetzen kön-
Wolfgang Thierse
nen. Mit Verlaub: Ich halte das für einigermaßen unsinnig.
Meine Damen und Herren, Forschungspolitik muß Teil eines gesamtpolitischen Konzepts sein. Sie muß selbstverständlich nach der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Produkte und unserer Dienstleistungen fragen. Denn nur mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen - nicht zum erstenmal schließe ich die Biotechnik ausdrücklich ein - wird die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb das erreichte Einkommensniveau verteidigen, neue Arbeitsplätze schaffen und vorhandene Arbeitsplätze, so hoffe ich, sichern können. Das allein reicht als Leitbild für die Forschungspolitik aber nicht aus. Es ist viel, aber es reicht nicht aus.
Wir sind uns einig - wir haben in diesem Hause schon öfter darüber debattiert - über die Bedeutung der modernen Kommunikationstechniken. Es stimmt aber auch, daß sie zunächst einmal Rationalisierungstechniken sind. Bei Banken und Versicherungen kann sich jedermann ein Bild davon machen, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Sichtbarkeit menschliche Arbeit durch digitale Medien ersetzt wird.
Dieser Umbruch wirft viele Fragen auf, die wir längst noch nicht alle beantworten können. Deshalb brauchen wir - das ist aber nur einer der Gründe - wieder verstärkt sozialwissenschaftliche Forschung. Wir bewegen uns auf eine sehr konfliktreiche soziale Situation zu. Wir müssen dem vorbeugen. Wir müssen gesellschaftlichen Zusammenhalt neu stiften - auch mit der Hilfe und mit den Mitteln der Wissenschaft.
Wir müssen - ebenfalls mit der Unterstützung der Wissenschaft - Perspektiven entwickeln, damit junge Menschen begreifen können, daß Politik kein Unternehmen zum Abbruch von Arbeitsplätzen sein muß. Wir müssen uns daranmachen, möglichst schnell möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir können uns nicht hinsetzen und erklären: Der Gesellschaft geht die Arbeit aus; jeder muß selbst sehen, wie er klarkommt. Das ist keine Politik; das ist Zynismus.
Meine Damen und Herren, wir können auch nicht so tun, als seien die Umweltprobleme gelöst. Wir müssen deswegen nicht nur nach innovativen Produkten fragen, sondern wir müssen auch ein Interesse an den ökologischen Eigenschaften dieser Produkte haben. Ökologisch vernünftige Produkte und Technologien hätten einen großen Vorteil: Sie werden weltweit nachgefragt.
Unser Verständnis von Nachhaltigkeit ist nicht wirtschaftsfeindlich. Rohstoffe und Energie sparen, möglichst viel wiederverwerten - auch etwa beim
Bauen -, das ist innovativ und hat auch Auswirkungen auf die Beschäftigung.
Friedrich Dürrenmatt hätte sich über die riesige Kluft zwischen Worten und Taten Ihrer Politik vielleicht nicht so sehr gewundert. Er hat in der ihm eigenen nachsichtig ironischen Art mitgeteilt:
Das Gute am Menschen ist, daß er über Einsichten verfügt. Das Schlechte an ihm ist, daß er nicht danach handelt.
Ich meine, wir können uns, was die Forschungspolitik und die Bildungspolitik betrifft, diese Art von Nachsicht nicht mehr leisten. Es wird Zeit, daß wir Worte und Taten wieder in Übereinstimmung bringen. Dazu reichen Umschichtungen innerhalb des Forschungsetats nicht mehr aus. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß wir bei den öffentlichen wie privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung wieder internationales Niveau erreichen und die Zeit vom Forschungsergebnis bis zum Produkt erheblich verkürzen. Dazu braucht das Forschungsressort auch wieder finanziellen Handlungsspielraum, und zwar mehr als bisher. Den werden wir ihm verschaffen.
Das ist ebenso versprochen wie die inhaltliche Ausrichtung an den genannten Leitbildern: ökologische Verantwortung und Nachhaltigkeit, neue Technologien, die sich Lösungen in der Natur zum Vorbild nehmen, Kreislaufwirtschaft, Sparen und Wiederverwerten von Energie und Rohstoffen, schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen und internationale Wettbewerbsfähigkeit innovativer Produkte und Dienstleistungen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Manuel Kiper.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Anläßlich der Aufsetzung des Forschungsberichtes und drei Jahre nach der Amtsübernahme durch den „Zukunftsminister" Rüttgers ist es Zeit, über das Bilanz zu ziehen, was Herr Rüttgers in Gang gesetzt hat. Angetreten war der sogenannte Zukunftsminister mit Vorschußlorbeeren: Endlich hätte die Zukunft einen Lobbyisten in der Regierung.
Der vorliegende Forschungsbericht macht allerdings deutlich, daß der mit Rüttgers eingeläutete Zukunfts- und Innovationsjargon verlogene PR ist.
Statt die Tür für das nächste Jahrtausend aufzumachen, hinterläßt Dr. Rüttgers eine ausgedünnte For-
Dr. Manuel Kiper
schungslandschaft. Die angekündigte Zukunftspolitik ist ausgeblieben. Die eher dürftigen Aussagen in der Koalitionsvereinbarung von 1994 zeigten, wie wenig Priorität diese Regierung dem Bereich Forschung und Wissenschaft beimißt. Das Bildungs- und das Forschungsministerium sind zusammengelegt worden. Synergieeffekte sind allerdings nicht erkennbar. Die Forschung wurde neu ausgerichtet, aber nicht auf Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit, sondern vorrangig auf kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit. Die nach der Agenda 21 von Rio notwendige umfassende Umorientierung von Forschung und Bildung auf Nachhaltigkeit blieb aus. In Ihrer Forschungs- und Technologiepolitik, Herr Minister, wurde statt Problem- und Bedürfnisorientierung reine Technologieentfaltung zur Duftmarke.
In der Koalitionsvereinbarung waren zwei Pläne und Vorhaben im Bereich Forschung und Wissenschaft konkretisiert, die es nunmehr zu bewerten gilt: Erstens. Die angekündigte hochgestochene Akademie der Wissenschaften wurde nicht errichtet. Dafür wurde der Bundesforschungsminister zum Geschäftsführer eines Innovations- und Technologierats beim Bundeskanzler gemacht. Dieses exklusive Spitzenkränzchen ist Ausdruck eines elitären Wissenschaftsverständnisses.
Nötig wären allerdings dialogorientierte Innovationsallianzen.
Zweitens. Die Bundesausgaben für Bildung und Forschung - der Kollege Thierse hat bereits darauf hingewiesen - sollten laut Koalitionsvereinbarung überproportional gesteigert werden. Statt dessen wurden sie systematisch überproportional heruntergefahren. Ich erinnere an den Kollegen Lenzer - er hat es während der Haushaltsplanberatungen noch prononcierter ausgedrückt als heute -, der seinerzeit ein Signal gefordert hat, um keine Steilvorlage für den Wahlkampf der Opposition zu liefern. Der CDU drohe dann eine Glaubwürdigkeitslücke. Deshalb dürfe nicht weiter an Bildungs- und Forschungsausgaben gespart werden. - Diese Glaubwürdigkeitslücke, Herr Lenzer, ist eine reale Lücke; sie ist auch mit Haushaltskosmetik nicht mehr zu schließen.
Es geht aber nicht nur um eine Glaubwürdigkeitslücke, es geht auch um eine Verläßlichkeitslücke. Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz haben Ende letzten Jahres hinsichtlich der Kürzungen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft die mangelnde Verläßlichkeit der Bundesregierung beklagt. Mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft waren angesichts der enorm angestiegenen Aufgaben in den neuen Bundesländern bei der Sicherung der Hochschulforschung 5 Prozent Aufwuchs vereinbart worden. Von den Haushältern ist dies unrühmlich gekürzt worden. Wir stemmten uns als einzige Partei gegen die Kürzung. Hubert Markl, der langjährige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hat bitter beklagt, daß diese Kürzungen wieder zehn Sonderforschungsbereiche und ein ganzes Max-Planck-Institut in diesem Lande vernichten.
Auch den Helmholtz-Zentren wurden seit 1993 2000 Stellen genommen. Nicht die Forschung in diesem Lande -ist verrottet. Verrottet, um das Wort von Professor Simon zu benutzen, ist Ihre Forschungspolitik, Herr Minister. Ihre Forschungspolitik schwächt dieses Land nachhaltig bei seinem Zukunftskapital Forschung und Wissenschaft.
Meine Damen und Herren, die Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft auf mehr Wettbewerb, die Sie, Herr Rüttgers, betrieben haben, ist überfällig gewesen. Um die Leistungen des BMBF würdigen zu können, empfiehlt es sich, zunächst die Forderungen des BDI zur Umgestaltung von Forschung und Wissenschaft in Erinnerung zu rufen. Der BDI forderte die Verbindung des deutschen Wissenschaftssystems mit dem industriellen Innovations-und Produktionssystem; der BDI forderte die Neuorientierung der direkten Forschungsförderung auf Leitbilder und Leitprojekte. Der BDI zielte auf mehr Wettbewerb der Forschungseinrichtungen untereinander und die Herausbildung der Centers of excellence. Dieses Programm hat der Herr Bundesminister abgearbeitet.
Richtig daran war die Orientierung auf Wettbewerb. Ich kann hier nur die Worte von Professor Frühwald zitieren, dem langjährigen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft - er ist gerade abgetreten -, es habe sich Speck bei der auskömmlichen Planfinanzierung angesetzt. Insofern ist die Orientierung auf Wettbewerb auch aus unserer Sicht richtig. Richtig am Konzept der Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft ist auch die Herausbildung von Kompetenzzentren.
Falsch allerdings ist die Infragestellung der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung. Falsch ist der einseitig auf Konsens in der Wirtschaft orientierte Planungsprozeß bei Leitprojekten an Stelle eines breiten Dialogs von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, wie er beispielhaft in den Niederlanden mit dem „sustainable technology program" angefangen worden ist. Hier, Herr Minister, hätten Sie sich eigentlich einmal ein Vorbild nehmen können. Das haben Sie nicht gemacht.
Falsch ist es, den Forderungen des BDI nachzugeben, zu 50 Prozent über den Strategiefonds bei der HGF verfügen zu können und ihn personell quasi zu majorisieren. Falsch ist die von Ihnen betriebene kurzatmige Anwendungsnähe, statt die Wirtschaft zu verstärkten Forschungs- und Entwicklungsausgaben zu ermuntern. Falsch ist auch dieses strangulierende Windhundrennen der Forschungsinstitute. Wenn große Töpfe angekündigt werden, viel Arbeit der Antragsteller wie der Gutachter in die Anträge fließt,
Dr. Manuel Kiper
die Töpfe sich dann aber bereits am ersten Tag oder nach einer Woche als leer erweisen, weil die Töpfe nicht einmal halb gefüllt worden sind, verschafft sich der Ankündigungsminister nur auf Kosten der Wissenschaft einen PR-Auftritt. Wettbewerb mit solchen leeren Töpfen, Herr Minister, führt zu einem bürokratischen Leerlauf und legt unsere Forschungslandschaft und unsere Wissenschaft eher lahm. Wettbewerb braucht die Unterfütterung durch längerfristig angelegte Personalstrukturen und ausreichende Grundfinanzierung.
Herr Rüttgers, Ihre Forschungspolitik hat diesem Lande einen zweifachen Bärendienst erwiesen. Ihre Eröffnungsbilanz 1995 war durch eine katastrophale Miesmache des Standortes gekennzeichnet. Ihre kürzliche Abschlußbilanz war Beschönigung hoch drei. Ihre Eröffnungsbilanz erklärte den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland schlichtweg zur Ruine; Sie sprachen davon, daß das technologische Erbe verspielt worden sei. Herrn Riesenhuber klingelten seinerzeit die Ohren. Dies konnte zwar der internationalen Investitionsfreudigkeit hierzulande, nicht aber der glänzenden High-Tech-Exportbilanz aus diesem Standort Abbruch tun - zum Glück nicht. Die rote Karte für Schwarzmaler mußte Ihnen aus der Wissenschaft entgegengehalten werden.
Der zweite Bärendienst: Die jüngste Expertise der Wirtschaftsforschungsinstitute weist entgegen Ihrer Lobhudelei, die Sie jetzt im Wahlkampf hinsichtlich der Forschungs- und Technologiesituation dieses Landes betreiben - wo Sie immer davon reden, daß Deutschland inzwischen wieder Nummer eins in der Welt ist oder zumindest auf dem besten Wege, die Nummer eins in der Welt zu werden -, auf den Umstand hin - Kollege Thierse hat gerade darauf hingewiesen -, daß in keinem anderen Industrieland die Ausgaben für Forschung und Entwicklung real „so zügig" zurückgenommen wurden wie in Deutschland und daß damit die Grundlagen für Langfristprosperität aufs Spiel gesetzt würden. Ihre Versäumnisse, Herr Minister, werden sich später leider rächen.
Herr Rüttgers, Sie setzen auf Prestige und Spitzentechnologien. Zukunftsfähigkeit muß sich aber auf eine breite Innovationskultur stützen. Hierzu möchte ich ein paar Stichworte geben. Stichwort Weltraumfahrt: Sie setzen auf die bemannte Weltraumstation Alpha statt auf Erkundungs- und Kommunikationssatelliten.
- Das Geld dazu fehlt nicht, Kollege Rachel; Sie wissen das genau. Der BDI hat es Ihnen ins Stammbuch geschrieben. Lesen Sie das nach!
Stichwort Fusionsreaktor Wendelstein und Festhalten an ITER statt an Solarenergie. Stichwort KMU- Förderung: Nach wie vor sind nur 637 Millionen DM vorhanden, dazu zahlreiche bürokratische Hürden. Selbst der BDI beklagt: „Die Bundesregierung vernachlässigt die kleinen und mittleren Unternehmen." Stichwort Existenzgründer: Die Selbständigenrate ist in den letzten 20 Jahren von 18 auf 9 Prozent abgesackt; eine neue Kultur der Selbständigkeit wäre nötig. Das 3. Finanzmarktförderungsgesetz ist diesbezüglich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Auch das von Ihnen immer wieder bemühte Beispiel der Gentechnik, mit der sich mittlerweile international 300 Firmen befassen, hat nicht ändern können, daß über die Unterkapitalisierung dieser Firmen gelacht wird, weil die meisten dieser Firmen nicht einmal 1 Million DM an Risikokapital zur Verfügung haben.
International wird davon ausgegangen, daß mit weniger als 10 Millionen Dollar Risikokapital in der Hinterhand keine Firma im Bereich der Gen- und Biotechnologie zukünftig irgendein Produkt auf dem Markt mit Gewinn absetzen kann. Stichwort Dienstleistungsforschung: In diesem für Arbeitsplätze entscheidenden Feld wird Forschung auf Sparflamme gefördert. Das gleiche gilt für das Unterprogramm „Beschäftigung durch Innovation".
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Technologiefeindlichkeit sagen. Der Vorwurf der Technologiefeindlichkeit wird uns von Ihnen immer wieder gemacht. Eduard Oswald hat erst kürzlich in schriftlicher Form geäußert:
„Bündnis 90/Die Grünen sind und bleiben eine fortschritts- und technologiefeindliche Partei."
Ich möchte dieses dumme Geschwätz zurückweisen. Die Grünen sind eine technikkritische Partei.
Wir sind die Vorreiter von IuK-Technologien; wir sind die Vorreiter einer sanften Chemie und auch einer sanften Biotechnologie.
- Herr Mayer, das muß insbesondere Ihnen einmal gesagt werden, weil Sie immer meinen, die Grünen seien gegen Biotechnologie.
Richtig ist, daß wir in der Atomtechnik 15 000 Arbeitsplätze in Frage stellen. Dafür schaffen wir allein im Energiebereich 200 000 technologiebasierte Arbeitsplätze
durch das Paket „Ökosteuer, Energieeinsparung, regenerative Energien. "
Dr. Manuel Kiper
Lassen Sie mich zusammenfassen:
Dieses Land braucht eine offensive Forschungspolitik.
- Was Sie zurufen, ist sehr richtig; das Land braucht auch eine neue Regierung.
Herr Rüttgers redet zwar davon, mit der Forschung die Zukunft zu gewinnen; doch diese marode Bundesregierung betreibt die Demontage der Zukunft. Diese Regierung hat den Rückfall der Forschungsausgaben von 2,9 Prozent auf 2,3 Prozent des Bruttosozialprodukts zu verantworten. Während die USA die Mittel für Bildung um 20 Prozent auf 51 Milliarden Dollar erhöhen, während in Japan die Verdoppelung der öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahre 2000 beschlossen ist, organisiert diese Bundesregierung den Rückzug des Landes aus der Zukunftsfähigkeit.
Dieses Land braucht nicht nur wieder mehr Investitionen in Forschung und Bildung. Dieses Land bedarf statt einer Langfrustorientierung endlich einer Langfristorientierung auf nachhaltige FuT-Politik. Nicht Prestige- und reine Spitzentechnikorientierung braucht dieses Land, sondern breite Innovationsallianzen. Statt schwammiger Slogans von Innovationen für Deutschland brauchen wir eine Innovationskultur. Technische, soziale und kulturelle Innovation muß endlich als integrierter und als integrativer Prozeß organisiert werden.
Meine Damen und Herren, Herr Treusch, der langjährige Vorsitzende der HGF, sprach bei seinem Abschied von dem Forschungsminister als BMBF: Bundesminister mit beschränkten Finanzen. Man müßte eigentlich ergänzen: Bundesminister mit beschränkten Forschungsinteressen.
Herr Rüttgers, Sie sind der nächsten Generation aber etwas anderes schuldig. Das BMBF muß wieder ein Synonym für Boom in Bildung und Forschung werden.
Ich danke Ihnen.
In der Debatte nimmt jetzt unser Kollege Professor Dr. Karl-Hans Laermann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Natürlich zieht ein Forschungsbericht eine Bilanz. Insofern müssen wir uns auch mit einem Rückblick auseinandersetzen. Ich möchte aber weitgehend auf Perspektiven - Stichwort: Zukunft - eingehen und einige Überlegungen, die aus unserer Arbeitsgruppe in der F.D.P. kommen, im Zusammenhang mit zukünftigen Entwicklungen vortragen.
Der Bundesforschungsbericht stellt eine, wie ich meine, umfassende Bestandsaufnahme dar. Er liefert einen guten Überblick über die Struktur der Forschungslandschaft in der Bundesrepublik. Dabei möchte ich besonders die positive Bilanz im Aufbau der Forschungsstruktur in den neuen Bundesländern herausstellen, den Auf- und Ausbau der Hochschulen und der außeruniversitären Forschungsinstitutionen.
Dabei will ich die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten in der industriellen oder industrienahen Forschung nicht verschweigen. Hier besteht weiterhin Handlungsbedarf. Dazu liegt ja zur Beschlußfassung eine Beschlußempfehlung unseres Ausschusses vor. Ich will darauf inhaltlich nicht näher eingehen, sondern nur die Erwartung ausdrükken, daß die Bundesregierung ihre Bemühungen um Verbesserungen weiter intensiviert und die in der Beschlußempfehlung geforderten Maßnahmen und Vorschläge in vollem Umfang umsetzt.
Der Bundesforschungsbericht belegt darüber hinaus die umfangreichen internationalen Kooperationen, die internationalen Verflechtungen in Wissenschaft und Forschung, insbesondere innerhalb der EU und mit den mittel- und osteuropäischen Staaten. Hinsichtlich der EU-Erweiterung werden die Kontakte zu den Beitrittsländern gewiß weiter intensiviert werden müssen. Dies ist eine auf der Hand liegende Aufgabe.
Unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände möchte ich den vorliegenden Bericht als eine gute Bilanz bezeichnen. Er zeigt aber auch - das darf und soll der Ehrlichkeit halber nicht verschwiegen werden, wenn wir uns nicht selbst belügen wollen -, daß es Defizite gibt und daß die Situation von Wissenschaft und Forschung nicht optimal und nicht befriedigend ist. Vor allem im Hinblick auf die Finanzlage ist es dringend geboten, in den öffentlichen Haushalten Prioritäten zugunsten von Bildung, Wissenschaft und Forschung neu festzusetzen.
Aber um auch dies deutlich zu sagen: Es geht nicht nur um das Geld. Eine Vielzahl von Gesetzen, Vorschriften und Reglementierungen, die allenfalls noch ihre Berechtigung und ihren Sinn in der Wirtschaftswelt haben, wirken sich außerordentlich hemmend und hinderlich - ja verhindernd - in Wissenschaft und Forschung aus. Ich halte es für eine der dringendsten Aufgaben der Forschungspolitik, das Regelungsgestrüpp zu durchforsten und endlich solche rechtlichen, administrativen und finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen, die wissenschafts-
und forschungsadäquat sind,
und das gleichermaßen für Hochschulen, Forschungsinstitutionen und die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie.
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
In diesem Zusammenhang sei eine Feststellung erlaubt. Die Festlegung im öffentlichen Bereich, die Personalstellen jährlich um 2 Prozent abzubauen, ist richtig und nachdrücklich zu unterstützen. Für öffentliche Einrichtungen jedoch, die wissenschafts-
und forschungsorientiert sind, führt ein solcher jährlicher Stellenabbau zu einer Überalterung des Forschungspersonals und verbaut jungen Nachwuchskräften die gebotenen Entwicklungsmöglichkeiten. Ich mahne hier Revision an.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eines mit Nachdruck feststellen - und ich bin Herrn Thierse dankbar dafür, daß er Gleiches getan hat -: Der Leistungsstand der Forschung in Deutschland ist entgegen manchen Unkenrufen und trotz vielfältiger Restriktionen und Schwierigkeiten noch immer und Gott sei Dank sehr hoch, dank der ungebrochenen Begeisterung, ja, lassen Sie mich sagen: dank der ungebrochenen Besessenheit der Forscher und Wissenschaftler, dank ihrer Kreativität und ihres Engagements, Schwierigkeiten und Engpässe zu überwinden. Dafür gebührt unseren Wissenschaftlern und Forschern auch einmal unser Dank. Wir sollten ihnen unsere Anerkennung dafür aussprechen.
Ihre Leistungen genießen in hohem Maße Ansehen in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft.
Das ist natürlich nicht in allen Forschungs- und Entwicklungsfeldern gleichermaßen der Fall. Das kann es auch gar nicht sein, denn auch in der Wissenschaft ist internationale Arbeitsteilung, ist Konzentration auf Felder der Exzellenz gefordert und damit auch eine Intensivierung der Wechselbeziehungen unerläßlich. Verlangen wir also nicht, auf allen Feldern exzellent sein zu müssen, aber reden wir auch den Leistungsstand und die Leistungsfähigkeit der Forschung in Deutschland nicht herunter. Reden wir die deutsche Forschung doch nicht schlecht! Das würde letztlich nur zu Entmutigung, zu Demotivation und zum Nachlassen des begrüßenswerten Engagements der Forscher und Wissenschaftler führen.
Es ist das gegenwärtige zentrale Thema der Politik, die hohe Arbeitslosigkeit zu überwinden. Deshalb muß sich auch die Forschungspolitik auf dieses Ziel hin orientieren. Das ist unbestritten. Sie muß Methoden entwickeln, um Wachstum und Beschäftigung durch Innovation zu stimulieren. Es kommt darauf an, dem Innovationsprozeß eine stärkere Dynamik zu geben. Dabei gilt es einerseits, zur schnelleren Umsetzung von Grundlagenwissen in anwendungsorientierte Entwicklung und Innovation das Zusammenspiel zwischen Forschungsinstitutionen und Unternehmen zu verbessern, insbesondere die Kooperation mit den innovationsbereiten kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern, und andererseits auch die Gründung neuer, meist high-tech-intensiver Unternehmen zu unterstützen.
Innovative Technologiepolitik ist das gemeinsame Leitthema der Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wie auch der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage hat die Bundesregierung sehr ausführlich die Maßnahmen und Instrumente zur Förderung und Motivation von Existenzgründungen dargelegt, insbesondere auch die Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung. Aber auch hier gilt, daß nicht in erster Linie oder ausschließlich die Verfügbarkeit von Wagnis- oder Risikokapital der ausschlaggebende Faktor für die Entscheidung zur Selbständigkeit ist - darauf wird Herr Kolb wohl noch eingehen -, sondern zum einen das persönliche Risiko und die individuelle Bereitschaft, ein solches Risiko einzugehen, und zum anderen - eher hinderlich - die Vorschriftenflut auch hier, die manchen Gründer zur Verzweiflung bringt.
Ich habe mit einer Reihe von Existenzgründern, die inzwischen mehr oder weniger erfolgreich sind, Kontakt und habe erst vor einem Jahr zwei meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Bergischen Universität zur Existenzgründung ermutigt, mit sanftem Übergang aus dem öffentlichen Dienst. Ich habe hautnah und unmittelbar erfahren, was da an bürokratischen, administrativen Anforderungen auf junge Gründer zukommt. Manch ein Unsinn kommt da auf die Leute zu. Auch hier muß Innovationspolitik ansetzen. Damit müssen wir uns dringend einmal beschäftigen. Das halte ich für wichtiger als Geld.
Ich möchte mich schließlich einem Thema zuwenden, das mir besonders am Herzen liegt. Nach meiner Meinung sind wir in der Forschungs- und Technologiepolitik zu sehr auf Technik, auf neue Produkte und materielle Güter, fixiert. Es gibt aber viele Gründe, unsere Aufmerksamkeit auf die Rolle und Bedeutung der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften im Innovationsprozeß zu richten.
Denn schließlich wissen wir, daß infolge weiter fortschreitender Automatisierung und damit steigender Produktivität neue Arbeitsplätze überwiegend im Dienstleistungssektor entstehen müssen - unter dem erweiterten Begriff Dienstleistung; das ist nicht nur der Dienst im Krankenhaus und die Pflege am Menschen. Hier liegen doch - unbestritten, meine ich - Defizite vor.
Machen wir uns die Definition von Technologie eines Wissenschaftsphilosophen zu eigen, der zwischen einer Maschinentechnologie - der Technologie der Hardware also -, einer sozialen Technologie, wie zum Beispiel der Organisation einer Klinik oder eines Versicherungssystems, und einer intellektuellen Technologie unterscheidet, welche die Bereiche von Service und Wartung - kurz: den weitgefaßten Bereich von Software - umfaßt. So mag deutlich wer-
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
den, daß der Begriff Technologie gerade im Hinblick auf den Dienstleistungssektor eine notwendige Erweiterung unter Einbeziehung der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften erfahren muß.
Abschließend möchte ich feststellen, daß Innovation und damit Innovationspolitik am Ende einer Kette ansetzt. Voraussetzung ist zunächst, daß jungen Menschen eine ausgezeichnete Ausbildung zuteil wird und daß sich daraus der wissenschaftliche Nachwuchs, eine hochmotivierte, leistungsfähige und leistungsbereite Elite herausbildet. Damit erst werden die Voraussetzungen für neue wissenschaftliche Grunderkenntnisse geschaffen.
Auf diese wiederum bauen zweck- und zielorientierte Entwicklungen auf, die zu Innovationen führen, zu Innovationen führen müssen. Bei aller unbestritten aktuellen Bedeutung und Notwendigkeit von Innovationen zur Sicherung bestehender und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze - an dieser Notwendigkeit läßt auch die F.D.P. keinen Zweifel - vernachlässigen wir Bildung und Ausbildung nicht und räumen wir der Suche nach neuen Erkenntnissen in allen Wissenschaftsdisziplinen den ihr zukommenden, in die Zukunft gerichteten Stellenwert in der Forschungspolitik ein.
Ich möchte mit einem Satz von Popper schließen: Wir können die Zukunft nicht vorhersehen, aber wir müssen sie möglich machen.
Schönen Dank.
Das Wort erhält jetzt der Kollege Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kollege Lenzer, wenn ich einmal ganz kurz auf eine Bemerkung von vorhin aus Ihrer Rede zurückkommen darf: Sie haben Franz Josef Strauß dafür gelobt, daß er weitaus mehr als 1 Milliarde DM im Zusammenhang mit der Airbusgeschichte einfahren wird. Haben Sie schon einmal ausgerechnet, was der Kredit von Franz Josef Strauß an die DDR in Höhe von 1 Milliarde DM für die Bundesrepublik eingebracht hat? Es wäre vielleicht ganz interessant, auch das einmal auszurechnen.
Wenn in öffentlicher Diskussion um Stand und Stellenwert staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik gestritten wird, kann man im wesentlichen zwei gegensätzliche Herangehensweisen konstatieren. Einerseits wird, getragen von einer alles überdeckenden Standort-Deutschland-Psychose, einer schier zügellosen Wachstumsphilosophie und einer an Götzenverehrung grenzenden Technikgläubigkeit, dennoch nur ungehemmten Kapitalverwertungsinteressen das Wort geredet.
Darüber hinaus wird im Vergleich mit den anderen OECD-Staaten mit sich verschlechternden Platzziffern für die Bundesrepublik bei den originären Forschungsausgaben, jeweils anteilig am Bruttosozialprodukt, argumentiert. Die absolute oder relative Menge des bereitgestellten oder ausgegebenen Geldes oder auch die Platzziffer bei den Exporterlösen oder allein die Anzahl der Patente sagt jedoch noch nichts über die Inhalte von staatlicher FuE-Förderung aus, womit ich bei der anderen Herangehensweise im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion wäre.
Vor dem Hintergrund eines gegenwärtig unter dem Stichwort Sustainable Development diskutierten und allgemein als unumgänglich betrachteten sozialökologischen Umbaus des vorherrschenden ressourcen- und energieintensiven Produktions- und Konsummodells ergeben sich eben auch andere inhaltliche Anforderungen. Die Zunahme der globalen Umweltprobleme, des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen zu Lasten kommender Generationen und die anhaltende bzw. sich mehr und mehr verschärfende Krise auf dem Arbeitsmarkt stellen Herausforderungen einer völlig neuen Qualität dar, denen nicht mit herkömmlichen Denk- und Verhaltensweisen beizukommen ist.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Auch ich wünschte mir deutlich mehr Geld für die Bereiche der Forschung, der Wissenschaft und der Bildung, nur eben nach anderen Schwerpunkten verteilt. Auch ich hege für eine Vielzahl von Techniken und Technologien eine nicht unerhebliche Begeisterung, allerdings vorbehaltlich einer fundierten präventiven Technologiebewertung bzw. einer objektiven Technikfolgenabschätzung.
Ohne ein maßvolles Wachstum, ohne die Stärkung der Binnennachfrage werden wir der Arbeitslosigkeit nicht Herr werden, obwohl dazu andere Arbeitszeitmodelle - Verkürzung der Lebensarbeitszeit und der Wochenarbeitszeit, der Abbau der Überstunden und die Schaffung von Arbeitsplätzen im soziokulturellen, im medizinischen und im Bildungsbereich, sprich: Auswertung des öffentlichen Beschäftigungssektors - den Hauptanteil leisten müssen.
Auch wir sprechen vom Standort Deutschland, allerdings vom Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsstandort. Die Besinnung der Gesellschaft auf ihre sozialen Verpflichtungen und der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft beginnen mit dem Wandel in der Forschungs- und Technologiepolitik.
In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, ob die aktuelle Forschungs- und Technologiepolitik nach dem Bundesforschungsbericht 1996 einen Beitrag dazu leistet. Der 96er Bericht nahm zumindest die Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus des Industriesystems zur Kenntnis und widmete - zum erstenmal in einem Bundesforschungsbericht überhaupt - umweltrelevanten Themen ein eigenständiges und abgeschlossenes Kapitel.
Positiv war in diesem Zusammenhang auch das damals neu entwickelte Konzept der Leitprojekte zu bewerten, nahm es doch die in der Debatte um eine
Wolfgang Bierstedt
nachhaltige Umorientierung der FuE-Förderungen geforderte Problemorientierung zum Teil auf und bot auch für sozialökologische Ansätze einen potentiellen Rahmen. Die Ausführungen im Bundesforschungsbericht ließen allerdings nicht erkennen, ob dieses Instrument prioritär auf die Stimulierung sozialökologischer oder ausschließlich ökonomisch verwertbarer Innovation zielte. Die aktuelle Entwicklung des Haushaltes des Forschungsministeriums hat diese Frage mittlerweile beantwortet.
Forschungs- und Technologieförderung versteht sich mehr denn je als Unternehmen Forschung und zielt mit ihren Maßnahmen primär auf die Stärkung des wirtschaftlich verwertbaren FuE-Potentials im internationalen Konkurrenzkampf. Darüber hinaus kann von einer Ausrichtung der Forschungs- und Technologieförderung auf Beschäftigungswirksamkeit überhaupt nicht gesprochen werden. Im Gegenteil: Mehr und mehr ergeben sich gerade im Bereich der menschlichen Arbeit erhebliche Synergieeffekte, die unmittelbar zur Kostensenkung, sprich: zu massivem Abbau von Arbeitsplätzen, genutzt werden.
Innovationen werden überwiegend als technologische Innovationen begriffen; sozialtechnologische Innovationen, die etwa im Bereich des motorisierten Individualverkehrs unumgänglich wären, werden marginalisiert.
Der technikoptimistische Grundtenor des BFB '96 führt insbesondere im Bereich der Energieforschung zu einer positiven Bewertung der Atomenergie und Kernfusion. Zudem wird die Technikfolgenabschätzung zu einem Instrument der Akzeptanzerzeugung und zur Identifizierung sogenannter innovationshemmender Rahmenbedingungen, sprich: Gesetzesfolgenabschätzung, degradiert. Daß sich das TAB des Deutschen Bundestages dieser Tendenz bisher erfolgreich erwehren konnte, ist einer der wenigen Lichtblicke.
Aus den im BFB '96 festgestellten Trends und Defiziten, die sich, wie wir meinen, auch in der bundesdeutschen Forschungs- und Technologieförderung der Folgejahre fortsetzten bzw. gar verschärften, lassen sich folgende Ansatzpunkte für ihre Veränderungen ausmachen: Generell müssen die Mittelansätze für sozialökologisch bedenkliche Bereiche wie Rüstungsforschung gestrichen bzw. bei der bemannten Weltraumforschung sowie der nuklearen Energieforschung auf ein für die Grundlagenforschung notwendiges Maß reduziert oder begrenzt werden.
Ich habe mir eine Vielzahl von Vorschlägen aufgeschrieben; da ich sie aber bereits im Ausschuß zu Protokoll gegeben habe, verzichte ich in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der Tatsache, daß wir ohnehin unter uns sind, darauf, sie noch einmal auszuführen. Sie können sie nachlesen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Forschungs- und Technologiepolitik als „Zukunftswerkstatt" kann generell nur als offenes und diskursiv angelegtes Politikmodell einen angemessenen Beitrag zum Aufbau einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Produktions- und Konsumweise leisten.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige Bemerkungen zur speziellen Situation in den neuen Bundesländern machen. Im sogenannten Jahr 8 der deutschen Einheit befinden sich nicht nur Wirtschaft und mit ihr der Arbeitsmarkt, sondern auch Forschung und Bildung am Boden. Brachliegendes Innovations- und Qualifikationspotential, fehlende Ausbildungs- und Bildungschancen für Jugendliche und die flächendeckende Vernichtung des Kapitalstocks haben die neuen Länder zu einer wirtschaftlich rückständigen Region in der Europäischen Union gemacht.
Bei einer offiziellen Arbeitslosenquote in Höhe von mehr als 21 Prozent ist es jedem fünften Menschen in Ostdeutschland nicht mehr möglich, die eigene Existenz durch Erwerbsarbeit zu sichern. 1998 wird eine reale Arbeitslosigkeit in Höhe von mehr als 30 Prozent erwartet. Bei einem Bevölkerungsanteil von 19 Prozent, einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 10 Prozent und einer Industrieproduktion in Höhe von 5 bis 6 Prozent liegen die Ausfuhr- und Forschungspotentiale der neuen Länder bei 5 bzw. 3 Prozent der gesamtdeutschen Werte.
Produktinnovationen mit hohem Wertschöpfungsanteil und die für Marktreife und überregionalen Absatz erforderlichen Forschungs- und Entwicklungspotentiale sind im Zuge der Treuhandprivatisierungen vernachlässigt bzw. zerstört worden. Nur 17 400 der insgesamt rund 284 000 in wirtschaftsnaher Forschung und Entwicklung in der Bundesrepublik Tätigen arbeiten in Ostdeutschland. 1989 gab es dort noch über 86 000 Beschäftigte. - Über den Sinn und Zweck des einen oder anderen Beschäftigten kann man sicherlich nachdenken. Aber die Zahl von 17 400 möchte ich doch bitte relativiert sehen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf den Antrag der PDS-Bundestagsgruppe „Konsequente Ausrichtung der staatlichen Instrumente zur Förderung wirtschaftlicher Tätigkeit auf Beschäftigungswirksamkeit" verweisen, in dem wir ein vorerst auf zehn Jahre begrenztes Zukunftsinvestitionsprogramm vorschlagen. Dieser programmatische Vorschlag berücksichtigt natürlich die Belange der Bundesrepublik im allgemeinen, allerdings die Ostdeutschlands im besonderen.
Die in diesem Antrag von uns entwickelten Vorstellungen korrespondieren, zumindest aus unserer Sicht, mit den Vorstellungen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Aus diesem Grunde stimmen wir einer Vielzahl von Anträgen, die Sie hier eingereicht haben, auch zu.
Eine weitere Bemerkung: Im Interesse der Sache haben wir uns sogar entschlossen, dem Kompromißantrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD „Neue Akzente bei der Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern" beizupflichten - all dies, weil jeder noch so kleine Schritt angesichts der Situation in den neuen Bundesländern ein notwendiger Schritt ist.
Dem vorliegenden Entschließungsantrag der SPD zum Bundesforschungsbericht 1996 können wir den-
Wolfgang Bierstedt
noch nur mit Enthaltung begegnen. Einer Vielzahl von dort aufgeführten Argumentationen und Vorschlägen stimmen wir vorbehaltlos zu - vorbehaltlos!
Allerdings, Kollege Catenhusen, entspricht die völlig unkommentierte Präferierung der Gentechnologie doch nicht so ganz unseren Vorstellungen. Diese eine kleine Differenz muß man doch ausmachen können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin heute morgen hier hingekommen, um über Zukunft zu diskutieren. Ich habe gehört, was Herr Doktor Thierse hier gesagt hat.
Es war eine Reflexion über die Vergangenheit, ohne Perspektive in die Zukunft, mit dem Tenor: Alles, was schlecht ist, verantwortet der Bundesminister; alles, was gut ist, kommt trotz des Bundesministers. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es doch so einfach wäre! Aber lassen Sie sich eines zu Beginn sagen: So einfach gewinnt man die Bundestagswahl nun doch nicht.
Ich will mich mit den Einzelheiten nicht auseinandersetzen. Der Vorwurf, Worte und Taten stünden nicht in Übereinstimmung, geht ins Leere; er trifft mich nicht.
Ich will mich heute in dieser großen forschungspolitischen Debatte den Ergebnissen von dreieinhalb Jahren Innovationspolitik in Deutschland stellen. Der jüngste Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit spricht dazu eine klare Sprache: Deutschland hat im vergangenen Jahr mit Platz drei auf dem Weltmarkt für forschungsintensive Güter wieder zu Japan und den USA aufgeschlossen. Deutschland ist der größte Technologielieferant Europas. Bei den Patenten liegt Deutschland mit 190 Triadenpatenten auf 1 Million Beschäftigte weltweit auf Platz eins. In der Umwelttechnik haben wir mit einem Anteil von 19 Prozent am Weltmarkt den Platz eins von den USA zurückgewonnen.
Die Zahl innovativer Unternehmensausgründungen wächst. Während 1990 nur 30 innovative Unternehmen aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen ausgegründet wurden, hat sich die Zahl bis
1996 auf 90 pro Jahr verdreifacht. Im Jahr 1997 - so die ersten Schätzungen - werden es wohl mehr als 160 Ausgründungen sein. Das heißt, im vergangenen Jahr war der Zuwachs größer als in den sechs Vorjahren zusammengenommen.
Wir haben mit dem Meister-BAföG - das einzige neue Leistungsgesetz in dieser Legislaturperiode - für 70 000 angehende Meister die Möglichkeit zur Selbständigkeit eröffnet.
Wir haben beim Wagniskapital - eines der großen Probleme bei der Gründung neuer Unternehmen - den Absprung inzwischen geschafft. Deutschland hat - übrigens fast unbemerkt in der Öffentlichkeit - inzwischen einen Spitzenplatz in Europa errungen. 64 Prozent aller Seed-Capital-Finanzierungen in Europa entfielen 1996 auf Deutschland.
Alleine 1997 sind über unser BTU-Programm 460 Millionen DM an Kapitalbeteiligungen für kleine High-Tech-Unternehmen mobilisiert worden.
Im Bereich der Biotechnologie hat sich die Zahl der Unternehmensgründungen von 1995 auf 1996 verdoppelt und von 1996 auf 1997 noch einmal verdoppelt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil der Kollege Catenhusen nur diese Erfolgsbilanz unterbrechen will.
Im Bereich der Mikroelektronik holen wir weiter auf. Wir werden jetzt in Dresden ein Kompetenzzentrum von Weltformat bekommen. 300-Millimeter-Siliciumscheiben, die Wafer-Technologie - das sind tolle Sachen. Im Bereich der Solartechnologie werden wir durch den Bau zweier Fabriken mit einer Kapazität von 40 Megawatt - das entspricht übrigens 200 000 Solardächern in zehn Jahren - die USA überholen. Damit machen wir mehr, als Sie hier mit all Ihren Subventionsprogrammen je gefordert haben.
In Ostdeutschland fördern wir Wissenschaft und Innovation mit 3 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, dies ließe sich noch fortsetzen. All das ist gegen die SPD und gegen die Grünen durchgesetzt worden. Wir haben in Deutschland Multimedia möglich gemacht, als SPD und Grüne noch über die Gefahren der Informationstechnologie räsoniert haben.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Wir haben auch die Biotechnologie in Deutschland möglich gemacht, als Rotgrün noch Kongresse von Gentechnikgegnern in Hessen mit Steuermitteln finanziert hat. Wir haben den Transrapid vorangetrieben, als Rotgrün noch dagegen gekämpft hat. Wir haben die Beteiligung Deutschlands an der internationalen Raumstation durchgesetzt, als Rotgrün noch gegen die bemannte Raumfahrt polemisiert hat.
Wir haben die Dienstleistungsmärkte geöffnet. Jede einzelne Liberalisierung bei Bahn, Post und Telekom ist letztlich gegen die SPD und gegen die Grünen nach vielen langen Diskussionen durchgesetzt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eben gehört hat, was hier wieder in Doktor Thierses Vorlesung vorgetragen worden ist,
der muß doch eines ganz deutlich sehen: Die SPD hat noch immer nicht verstanden, daß die Zeiten von Big government endgültig vorbei sind. Es kann nicht mehr vom Ministerschreibtisch nach unten gehen.
Selbst in Sachen Finanzen lasse ich mir von Ihnen überhaupt nichts sagen.
Es ist wahr: Es wäre schöner - jeder von uns hier im Saal würde dies begrüßen -, wenn die Mittel für Forschungsinvestitionen stärker erhöht worden wären. Sie haben aber die ganze Zeit, in all Ihren Reden, wohlweislich verschwiegen, daß im Jahre 1998 100 Millionen DM mehr eingestellt worden sind. Dies
ist einer der wenigen Haushalte, die gestiegen sind. Wir haben auch da den Versuch gemacht, dies in Zeiten knapper Kassen zu tun.
Meine Damen und Herren, gestern haben wir in diesem Hohen Hause über Arbeitslosigkeit geredet. Heute reden wir von den Arbeitsplätzen der Zukunft. 4,8 Millionen Arbeitslose - das stellt uns vor die größte Herausforderung bis zum Ende dieses Jahrhunderts.
Ich habe mir gestern nachmittag, gestern abend und heute morgen einmal überlegt, wie auf die Menschen, die arbeitslos sind, die wirtschaftspolitisch interessiert sind, Debatten wirken, wie sie gestern hier etwa vom saarländischen Ministerpräsidenten geführt worden sind.
- Herr Tauss, hören Sie doch mit diesem Blöken auf. Ohne Substanz den Mund aufzumachen ist nun wirklich etwas, was wehtut.
Ich versuche mich mit dem auseinanderzusetzen, was hier gestern an ökonomischer Debatte geführt worden ist. Ich bin von einem fest überzeugt, nämlich davon, daß der Kampf um die Arbeitsplätze der Zukunft nicht im Grabenkrieg zwischen Angebots- und Nachfragetheoretikern und auch nicht mit üppigen Konjunkturprogrammen entschieden wird.
Neue Arbeitsplätze, liebe Kolleginnen und Kollegen, entstehen nicht da, wo die alten verlorengehen. Sich hier hinzustellen und den Eindruck zu verbreiten, als müsse man nur die Binnennachfrage ankurbeln, als müsse man durch höhere Lohnabschlüsse dafür sorgen, daß Menschen mehr ausgeben, und dann gäbe es automatisch eine Bewegung auf dem Arbeitsmarkt, zeigt - -
- Verehrter Herr Kollege Schily, das geht auch nicht durch eine Kombination von Angebots- und Nachfrageorientierung. Kollege Schily, wir haben gegenwärtig die Besonderheit, daß es Wachstum bei einer sehr geringen Inflationsrate gibt und daß der Export boomt,
zugleich aber die Arbeitslosigkeit hoch ist. Das heißt, alle Ziele, die Karl Schiller seinerzeit im Stabilitätsgesetz niedergelegt hat, sind mit Ausnahme der Arbeitslosigkeit erreicht. Das Problem dieser Zeit ist, daß wir eine Entkoppelung von Wachstum und Arbeitsmarkt haben, daß also trotz höheren Wachstums
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
keine Arbeitsplätze entstehen. Es ist keine Konjunkturfrage, sondern eine Strukturfrage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Ja, natürlich.
Herr Schily.
Herr Minister, können Sie nicht einsehen, daß es ein schwieriges Problem darstellt, wenn sich die Lohnentwicklung von der Produktivitätsentwicklung abkoppelt, und zwar sowohl dann, wenn die Lohnentwicklung über den Produktivitätszuwachs hinausgeht - das ist dann für die Wirtschaft ein Problem -, als auch dann, wenn die Lohnentwicklung hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleibt, was ein Problem für die Binnenwirtschaft darstellt? Es gibt dann nämlich ein sektorales Auseinanderdriften: Man hat einen Exportboom, und zugleich lahmt die Binnenwirtschaft. Ist das für Sie nicht einsehbar?
Aber selbstverständlich.
- Herr Catenhusen, halten Sie doch schlichtweg einmal den Rand.
Natürlich ist es richtig, was Sie sagen, Herr Schily. Dies kritisiere ich überhaupt nicht. Ich kritisiere aber die Konsequenz, die daraus gezogen wird und die heißt, wir müßten jetzt zu höheren Lohnabschlüssen kommen, um die Nachfrage zu stabilisieren. Notwendig sind vielmehr strukturelle Reformen, die dafür sorgen, daß bei den Lohnzusatzkosten - Sie wissen genau, die Arbeitskosten bestehen zu 50 Prozent aus Lohnkosten und zu 50 Prozent aus Lohnzusatzkosten
- gespart wird, damit mehr in den Portemonnaies der Arbeitnehmer verbleibt. Das ist die richtige Strategie. Ohne strukturelle Veränderungen ist das nicht zu machen.
Man darf nicht immer nur versuchen, mehr Geld in den Kreislauf zu pumpen. Das halte ich für den ökonomischen Irrtum bei dem, was hier gestern vorgetragen wurde. Es sind strukturelle Reformen notwendig.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily, Herr Minister?
Ja.
Herr Minister, wir sind doch darin einig. Möglicherweise hätten sich die beiden großen Volksparteien darüber einigen können, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Da gibt es in der Tat ein strukturelles Problem, das auch ein Angebotsproblem ist. Die Frage ist nur, ob die Lohnentwicklung - auch im europäischen Vergleich - so weit hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleiben darf, wie es im Moment geschieht. Es muß im Kreislauf der Wirtschaft auch Konsum vorhanden sein, damit das, was produziert wird, abgenommen wird. Sie müssen also beides tun: auf der einen Seite die Angebotsbedingungen verbessern, indem Sie die Lohnnebenkosten senken, und auf der anderen Seite einen im Rahmen der Produktivitätsentwicklung angemessenen Anteil für die Lohnabhängigen erreichen, um die Binnenwirtschaft zu stabilisieren. Wenn Sie das nicht tun, kommen Sie eben zu der gegenwärtigen sektoralen Spaltung.
- Ja, das ist meine Frage: Sehen Sie das auch so, Herr Minister?
Nein. Sie haben in Ihrer langen, thesenhaften Frage mehrere Behauptungen aufgestellt, und ich möchte jetzt deutlich machen, wo ich anderer Meinung bin. Die Angebotsorientierung, verehrter Herr Kollege Schily, werden Sie auch im Zusammenhang mit strukturellen Reformen, die Sie gerade bejaht haben, nicht dadurch stärken, daß Sie etwa in die sozialen Sicherungssysteme mehr Geld hineinpumpen. Zum anderen bestreite ich angesichts der Globalisierung die These, daß einfach dadurch, daß den Menschen in unserem Land via Lohn mehr Geld gegeben wird, die Binnennachfrage steigt. Wenn Sie heute irgend jemandem Geld in die Hand geben und derjenige ein Auto kauft, dann wissen Sie eben nicht, ob das Auto in Köln, in Gent oder in Granada produziert worden ist. Deshalb ist es ein Irrtum, zu glauben, man könne mit diesen Methoden der Wachstumsförderung - egal, ob angebots- oder nachfrageorientiert
- mit dem Problem der Arbeitslosigkeit fertig werden.
Wir brauchen vielmehr strukturelle Reformen. Das ist genau der Punkt, den ich hier ansprechen wollte. Daß wir dies von seiten der Bundesregierung und der Koalition versuchen und tun, ist bekannt. Daß wir dafür länger brauchen, als wir uns dies wünschen, ist auch wahr.
Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, der gestern in der Diskussion überhaupt nicht angesprochen worden ist. Es werden - das ist sehr erfreulich -
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
wieder zunehmend junge Ingenieurinnen und Ingenieure auf dem Arbeitsmarkt gesucht.
Das ist ein Punkt, über den wir noch vor drei Jahren mit großer Sorge gesprochen haben. Wir wissen heute, daß der Beruf des Ingenieurs in den nächsten Jahren eine ausgesprochen nachgefragte Tätigkeit sein wird.
Wir haben im vergangenen Jahr das erstemal seit 1984 eine Trendwende, einen realen Zuwachs, bei den Lehrstellen gehabt. Die Zahl der Arbeitslosen, die unter 25 Jahre alt sind, liegt im Januar dieses Jahres um 4476 unter der des Vorjahres. Wir haben bei den jungen Leuten eine Entwicklung gegen den Trend, die zusammen mit den beiden anderen Entwicklungen zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Ich möchte diesen Weg fortsetzen und will ihn noch zuspitzen und verstärken.
Kollege Schily, das ist einer der Punkte, bei dem ich ein Stück weit mit vielen hadere. Das ist übrigens jetzt nicht nur parteipolitisch einzusortieren. Das richtet sich vielmehr auch an die Eliten in diesem Lande. Wir alle gehören dazu. Wir alle miteinander haben die strukturellen Veränderungen noch nicht so beherzt angepackt, wie es notwendig ist.
Ich will dies mit einem Dreipunkteprogramm für Arbeit durch Innovationen versuchen:
Punkt eins: Initiative für mehr Selbständigkeit. Wir wissen, daß junge High-Tech-Unternehmen in den ersten fünf Jahren durchschnittlich zwölf neue Arbeitsplätze schaffen. Deshalb habe ich den Wettbewerb für Ausgründungen aus Hochschulen ausgeschrieben. Die Bewilligungen werden noch in diesem Jahr erteilt. Deshalb gibt es den Wettbewerb für Neugründungen im Multimediasektor, um die inzwischen bei 150 pro Jahr liegende Zahl der Gründungen noch weiter zu erhöhen.
Was wir allerdings zusätzlich brauchen, ist ein privates Netzwerk von Menschen und Finanzen, die potentielle Gründer unterstützen. Jeder von uns weiß, daß in den Vereinigten Staaten eine Viertelmillion privater Investoren Jahr für Jahr rund 15 Milliarden US-Dollar in jährlich etwa 30000 Neugründungen von innovativen Unternehmen investiert. Die Amerikaner nennen diese Leute „business angels". Ich bin fest davon überzeugt, daß es solche Menschen auch in Deutschland gibt. Das sind Unternehmer, Seniormanager, in Wirtschaftsdingen erfahrene Hochschullehrer, Finanzexperten und Anwälte. Das sind Menschen mit Erfahrung und Kapital, die bereit sind, Geld und Wissen zur Verfügung zu stellen, um Existenzgründern den Weg zum Erfolg zu ebnen, die dann allerdings später auch an ihrem Erfolg teilhaben möchten.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Kollege Schily, Sie können das gleich tun. Ich möchte jetzt erst diesen Punkt zu Ende bringen.
Dahinter steckt viel mehr Idealismus und viel mehr privates Engagement als bei einem einfachen Investor oder Geldanleger, der heute hier und morgen da spekuliert und dem es nur um die Rendite geht. Diesen Idealismus, diese „business angels" gibt es auch in Deutschland. Solche Gründungsmentoren gibt es mehr, als man meint.
Ich möchte dieses Potential nutzen und deshalb die Gründung einer Stiftung für private Förderung von Existenzgründern initiieren.
Diese Stiftung soll Gründern derartige Mentoren vermitteln und auf regionaler Ebene fördern. Die Gründer sollen für diese Unterstützung zunächst nichts bezahlen. Ist das Unternehmen erfolgreich, werden Mentoren und Stiftung an den Gewinnen beteiligt. Ich bin fest davon überzeugt, daß eine solche Stiftung für das Gründungsgeschehen in Deutschland nicht nur von großem materiellem Wert ist. Ich glaube auch, daß diese Stiftung der Kristallisationskern einer neuen Kultur der Selbständigkeit in Deutschland sein wird.
Herr Minister, wir sind sicherlich einverstanden, daß für uns mehr Selbständige und Existenzgründungen gerade in bezug auf mittlere und kleine Unternehmen angesichts der Bedeutung des Mittelstandes für unser Bruttosozialprodukt wichtig sind. Das ist gar keine Frage. Aber worauf führen Sie es zurück, daß in Ihrer Regierungszeit, gerade in dieser Legislaturperiode, die Selbständigenquote ganz erheblich zurückgegangen ist?
Nach meinen Erkenntnissen - allerdings habe ich die Zahlen im Moment nicht hier - ist dies so nicht richtig, Herr Kollege Schily. Die Zahl ist gestiegen, genauso wie die Anzahl der Beschäftigten gestiegen ist.
Wenn Sie sich auf die Quote beziehen, müssen wir genauer hinschauen. Vermutlich meinen Sie die Quote von abhängig Beschäftigten zu Selbständigen. Man muß sehen, daß in dieser Zeit 4,6 Millionen Menschen in unser Land gekommen sind. Diese machen sich natürlich nicht als erstes selbständig, sondern sind abhängig beschäftigt. Insofern hat sich der Sockel erhöht. Es mag also sein, daß Ihre Aussage auf den prozentualen Anteil zutrifft. Nur, die Anzahl der Firmengründungen steigt von Jahr zu Jahr, und zwar gerade und besonders in den neuen Bundesländern.
- Doch, Herr Schily, das ist immer eine Frage der Ausgangsbasis.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Das ändert aber nichts daran - darauf werden wir uns einigen können -: Wir brauchen mehr Selbständige in Deutschland.
Wenn wir das Mittel der OECD-Länder erreichen wollen, heißt das: 500 000 neue Existenzgründungen. Und damit lägen wir nur im Mittel aller OECD-Länder.
Ich bin sicher, daß wir über diesen Weg auch mit dem Problem der Arbeitslosigkeit fertig werden können.
Punkt zwei: Initiative für mehr Dienstleistungen. Es sollte gelingen, in diesem Sektor zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen. Von 1982 bis 1991 gab es 2,6 Millionen neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich. Das entspricht dem Neunfachen der Anzahl in der Industrie.
Ich glaube, daß es in Deutschland zu wenig konkrete Initiativen im Bereich der Dienstleistungen gibt. Noch viele Punkte müssen da angepackt werden.
Dazu kann jeder etwas beitragen. Ich will drei konkrete Vorschläge machen:
Erstens. Im Patentrecht können Dienstleistungsinnovationen - die gegenwärtig vom Patentschutz ausgeschlossen sind - mit Produktinnovationen gleichgestellt werden. Das hat übrigens auch etwas mit der Frage zu tun, wieviel Kapital für Existenzgründer zur Verfügung steht und ob man Dienstleistungsinnovationen in handelbare Produkte umwandelt.
Zweitens. Die Bilanzierungsvorschriften können so geändert werden, daß die Aktivierung von immateriellen Vermögensgegenständen, wie Patenten und Software, zulässig wird. Dies würde innovativen Dienstleistungsunternehmen die Beschaffung von Fremdkapital erleichtern.
Drittens. Tarifrechtliche Regelungen müssen den neuen Arbeitsbedingungen in virtualisierten Unternehmensstrukturen, zum Beispiel im Bereich der Teleheimarbeit, angepaßt werden.
Ich bin dankbar dafür, daß diese Debatte in den Gewerkschaften geführt wird.
Punkt drei: Initiative für die Infrastruktur der Zukunft. Wir haben - auch darüber ist gesprochen worden - mit der strategischen Neuorientierung den Startschuß für mehr Wettbewerb und weniger Bürokratie zwischen den Forschungseinrichtungen gegeben. Die HRG-Novelle ist ein Reformwerk mit demselben Ziel. Stichworte sind hier: Installation eines Strategiefonds, Schaffung von Innovationszentren, Zusammenführung von DLR und DARA, haushaltsrechtliche Flexibilität und Eigenständigkeit, Budgetierung bei der Max-Planck-Gesellschaft und der DFG.
Infrastruktur in der Wissensgesellschaft ist für mich genauso wichtig wie in der Industriegesellschaft der Bau von Straßen, Wegen, Kanälen und Eisenbahnen. Deshalb ist es wichtig, daß wir in Deutschland eine Teleservice-Infrastruktur aufbauen und daß wir in Deutschland die modernste Wissensdatenbahn der Welt bekommen, damit vom Schüler bis zum Ingenieur alle über alles Wissen dieser Welt verfügen können.
Mit dem DFN-Netz steht ein modernes Intranet zur Verfügung, die modernste Einrichtung der Welt in diesem Bereich. Wir liegen da weit vor den Amerikanern, weit vor den Japanern, weit vor allen anderen europäischen Ländern.
Aber dieses Netz muß natürlich weiter ausgebaut werden. Die erste Testleitung für die Übertragung von einer Milliarde Signalen pro Sekunde wurde Ende vergangenen Jahres geschaltet; die zweite folgt in wenigen Wochen. Eine solche Gigabit-Leitung ist 16000mal schneller als ISDN. Mein Ziel ist es, das gesamte Wissenschaftsnetz auf diese Gigabit-Geschwindigkeit auszubauen. Damit wären wir die ersten weltweit. Ich finde, auch dies ist eine große Aufgabe, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiper? - Nein.
Meine Damen und Herren, diese forschungspolitische Debatte ist für mich die eigentliche Debatte über die Zukunft der Arbeit in Deutschland.
Wir gestalten nichts Geringeres als den Übergang unserer Gesellschaft von einer Industriegesellschaft zu einer Wissensgesellschaft. Wir sind in den letzten dreieinhalb Jahren ein großes Stück weitergekommen.
Ich bin mir wie bei allen Innovationen ganz sicher: Die Opposition wird irgendwann hinterherkommen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Wenn sich der Bundesforschungsminister schriftlich an die Mitglieder dieses Hauses wendet, hat er uns - so sollte man zumindest meinen - etwas Wichtiges mitzuteilen. Deutschland - will uns der Minister mit einem Schreiben vom 12. Januar dieses Jahres glauben machen - sei auf Erfolgskurs, auf dem Weg, ein HighTech-Land zu werden.
Wie dieser Erfolgskurs aussieht, läßt sich dem als Anlage beigefügten Bericht „Zur technologischen Leistungsfähigkeit" entnehmen. Ich zitiere jetzt aus diesem Bericht.
1990 hatte Deutschland bei den forschungs- und entwicklungsintensiven Waren einen Welthandelsanteil von 19,1 Prozent. 1995 lag der Anteil des inzwischen um ein Viertel größeren Deutschlands bei 17,1 Prozent, also minus 2. In demselben Zeitraum stieg der Anteil Japans von 18,6 Prozent auf 19,5 Prozent und derjenige der Vereinigten Staaten von 17,5 auf 17,8 Prozent. Während also unsere Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt ihre Position bei forschungs- und entwicklungsintensiven Gütern ausbauen konnten, hat sich die Position der Bundesrepublik deutlich verschlechtert. So sieht der Erfolgskurs des Bundesforschungsministers aus!
Der Bundesforschungsminister kommentiert dann diese aus unserer Sicht alles andere als erfreuliche Entwicklung mit den Worten - Zitat -:
Erfolgskurs bei High-Tech-Produkten ... Auf dem Weltmarkt für technologische Güter hat sich Deutschland dicht an die Spitzenreiter Japan und USA herangearbeitet.
Ein zweites Beispiel: Herr Minister Rüttgers hat vorhin darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland bei den Patenten auf Platz 1 liege. Das war 1982 unter der sozialdemokratischen Regierung auch schon der Fall. Damals entfielen in Deutschland auf 1 Million Beschäftigte 200 weltmarktrelevante Patente. 1995 entfielen auf 1 Million Beschäftigte in Deutschland noch 190 Patente. So sieht der Erfolgskurs des Bundesforschungsministers aus!
Im gleichen Zeitraum stieg in den USA die Zahl der Patente pro 1 Million Beschäftigte von 100 auf 140, in Japan von 80 auf 180.
Herr Minister Rüttgers, wenn Sie eine derartige Definition von Erfolgskurs haben, kann ich nur sagen: Gnade Gott, Deutschland. Dann ist es wirklich überfällig, dann ist es wirklich an der Zeit, daß diese Bundesregierung abgelöst wird und wir endlich eine SPD-Regierung bekommen.
Ein drittes Beispiel: Herr Minister Rüttgers, Sie haben darauf hingewiesen - ich habe das vorhin schon zitiert -, daß sich die Bundesrepublik auf dem Weltmarkt an die Spitzenreiter Japan und USA herangearbeitet habe. Ich habe vorhin dargestellt, wie dieses Heranarbeiten aussieht. Sie haben aber verschwiegen - deshalb ist es das dritte Beispiel, das deutlich macht, daß Sie wirklich nach dem Prinzip „Schein statt Sein" Politik machen -, daß in dem Bericht ausdrücklich davor gewarnt wird, den Umfang der Exporte im Jahre 1995 zu hoch zu bewerten, weil dieser Umfang zu einem beträchtlichen Teil auf die Höherbewertung der D-Mark, also nicht auf die technologische Leistungsfähigkeit, zurückzuführen ist. Der Bericht warnt ausdrücklich vor dem Prinzip „Schein statt Sein", das Sie angewandt haben.
Sehr geehrte Damen und Herren, deshalb kann ich nur sagen: Alle Schönrederei kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir in der Bundesrepublik zunehmend von der Substanz leben und versäumen, die Zukunft durch Investitionen zu sichern. Es kann doch keine erfolgreiche Regierungspolitik sein, wie Sie das hier machen, die Fakten einfach zu ignorieren und Politik nach dem Prinzip durchzuführen: nicht sehen, nicht hören, aber trotzdem reden! - Das kann doch wirklich keine erfolgversprechende Regierungspolitik sein!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fehlentwicklung der letzten Jahre ist einfach unübersehbar, und die Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker mußten sie leider jedes Jahr wieder zur Kenntnis nehmen. Die Bundesrepublik hatte im Jahr 1987 noch einen Gesamtanteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 2,88 Prozent. Damit lagen wir gemeinsam mit den USA weltweit an der Spitze. Inzwischen sind wir auf Platz neun abgesackt. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wir liegen inzwischen hinter Ländern wie Schweden, Japan, der Schweiz, Korea, den USA, Frankreich, Finnland und Israel. Ist das etwa eine erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungspolitik?
So definieren Sie Erfolg!
Seit 1991 sind die Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung real nicht mehr gestiegen. Seit 1982 sind die Ausgaben dieser Bundesregierung für Forschung und Entwicklung real nicht mehr gestiegen. Das führt dazu, daß wir jetzt - in den Preisen von 1991- real weniger zur Verfügung haben 1982.
Wissenschaft und Forschung - daran gibt es leider keinen Zweifel - sind in der Bundesrepublik unterfinanziert - von öffentlicher und von privater Seite. In keinem anderen Land - so die Gutachter in dem Bericht - sind in den vergangenen Jahren die realen FuE-Anstrengungen so stark zurückgefahren worden wie in Deutschland. Der Bundesregierung schreiben sie ins Stammbuch, daß ein weiterer Abbau der öffentlichen Forschung in Deutschland mittel- und langfristig mit Gefahren verbunden sei, die um so gravierender seien, je mehr die Unternehmen selbst den Trend verstärkten. Genau das geschieht.
Edelgard Bulmahn
Es sei schwer vorstellbar - so die Gutachter -, daß Deutschland im Alleingang - denn in den USA und in Japan werden die Forschungs- und Entwicklungsbudgets der Wirtschaft wieder kontinuierlich und mit beachtlicher Geschwindigkeit ausgebaut - über einen längeren Zeitraum hinweg einen grundsätzlich anderen Weg gehen könnte, ohne im Wettbewerb um Einkommen und Beschäftigung an Boden zu verlieren.
Haben wir in der Bundesrepublik mit knapp 5 Millionen nicht bereits wirklich viel zu viele Arbeitslose? Können wir es uns denn tatsächlich leisten, noch weiter an Boden zu verlieren? - Wir meinen: nein. Die Bundesregierung ficht jedoch dieses alles überhaupt nicht an; sie setzt unverdrossen weiter den Rotstift bei den Zukunftsausgaben an. Die mittelfristige Finanzplanung zeigt, daß die Ausgaben auch noch weiter gekürzt werden sollen. Wenn es nach der Bundesregierung geht, werden im Jahr 2001 nominal 670 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen als in dem ersten Jahr mit einem gesamtdeutschen Haushalt, 1991.
Wer so handelt, setzt die Zukunft unseres Landes aufs Spiel. Wer so handelt, der unterstreicht zugleich, daß er von Innovationen so viel versteht wie ein Elefant vom Fliegen.
Ohne höhere Ausgaben für Bildung und Forschung läßt sich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft mittelfristig nicht sichern. Ohne verstärkte Ausgaben für Bildung und Forschung wird sich in der Bundesrepublik das erreichte Einkommensniveau weder halten lassen, noch wird man es ausbauen können. Ohne eine deutliche Erhöhung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben lassen sich dauerhaft keine neuen Arbeitsplätze schaffen, die wir so dringend benötigen. Vielmehr wird die Massenarbeitslosigkeit noch weiter zunehmen. Ohne zusätzliche Mittel wird die ökologische Erneuerung unseres Wirtschaftssystems nicht gelingen. Deshalb sind nicht Sonntagsreden über eine Erhöhung der Bildungs- und Forschungsausgaben gefragt, sondern es sind Zukunftsinvestitionen gefragt - und zwar jetzt.
Höhere Ausgaben für Bildung und Forschung sind nicht nur ein Gebot der ökonomischen Vernunft, sie sind auch eine Verpflichtung gegenüber der jungen Generation. Wenn wir von dieser Generation erwarten, daß sie später unsere Renten und Pensionen aufbringt, wenn wir von ihr erwarten, daß sie mit unseren Hinterlassenschaften, den ökologischen Altlasten und der immensen Staatsverschuldung, fertig wird, dann kann diese Generation von uns erwarten, daß wir ihr die bestmögliche Ausbildung zukommen lassen.
Zukunftssicherung erfordert mehr als nur Geldausgeben. Sie erfordert Gestaltungswillen und Gestaltungskraft; das vermisse ich bei dieser Bundesregierung. Dieses ist gerade von der Politik zu fordern. Sie muß im Dialog mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Zukunftsvisionen formulieren, Kräfte bündeln und die Rahmenbedingungen für die Entfaltung wissenschaftlicher und unternehmerischer Kreativität und Initiative schaffen. Dem Bundesforschungsminister ist in diesem Zusammenhang aber nicht nur das Geld, sondern es sind auch die Ideen ausgegangen. Mit nichtssagenden Sprüchen wie „Multimedia - möglich machen" lassen sich Zukunftsentwürfe jedoch nicht anstoßen.
Sie belegen allenfalls die Einfalt desjenigen, der sie gebetsmühlenartig wiederholt.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland endlich einen Politikwechsel, eine Offensive für Arbeitsplätze, eine Offensive für die Versöhnung von Umwelt und Ökonomie. Weil diese Bundesrepublik trotz aller Probleme über gute Voraussetzungen verfügt, kann dieser Aufbruch in die Zukunft gelingen. Wir verfügen wie kaum ein anderes Land über motivierte, hochqualifizierte Arbeitskräfte. Wir verfügen über eine gute Ausbildung in Schulen, Unternehmen und Hochschulen. Die technologische Leistungsfähigkeit unserer Wissenschaftler und Ingenieure ist unbestritten.
Nicht der Standort ist schlecht, sehr geehrte Damen und Herren, sondern die Politik der Bundesregierung.
Sie ist dafür verantwortlich, daß die Potentiale unseres Landes nicht ausreichend genutzt und ausgebaut werden. Sie redet den Standort schlecht und erweckt Zweifel an dem Ausbildungsstand der jungen Menschen in unserem Lande, statt eine innovative Aufbruchstimmung zu vermitteln und die Weichen auf Innovation zu stellen. Deshalb brauchen wir endlich eine innovative Bundesregierung.
Vielen Dank, meine sehr geehrten Herren und Damen.
Das Wort erhält jetzt der Kollege Dr. Martin Mayer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte Ihnen, Frau Bulmahn, etwas mehr Phantasie zugetraut. Außer einer gebetsmühlenartigen Wiederholung der Forderung nach mehr Geld ist von Ihnen eigentlich nichts gekommen. Sie haben hier - wie die übrigen Redner der Opposition - den untauglichen und mißlungenen Versuch unternommen, die gute Politik der Bundesregierung schlechtzureden.
Wir haben heute die Debatte zum Forschungsbericht der Bundesregierung und zu den ergänzenden
Dr. Martin Mayer
Anträgen, die sich im Grunde mit der Umsetzung von Forschungsergebnissen in wirtschaftlichen Erfolg befassen.
Forschung ist zwar in erster Linie eine kulturelle Aufgabe; aber angesichts der 4,8 Millionen Arbeitslosen, meine ich, muß im Zentrum der heutigen Debatte die Frage stehen: Wie können wir in Deutschland die Ergebnisse einer hervorragenden Wissenschaft und Forschung zahlreicher und schneller in neue Produkte und Dienste und damit in neue Arbeitsplätze umsetzen? In der Tat können viele neue Arbeitsplätze in unserem Land entstehen, wenn wissenschaftliche und technische Erkenntnisse und Erfindungen vermehrt und beschleunigt zu marktgängigen Innovationen werden.
Herr Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kiper?
Ja, wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Nein. Ich habe die Uhr schon gestoppt.
Herr Kollege Mayer, uns liegt der jüngste Bericht über die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Interessant ist - ich hoffe, auch Ihnen ist
I das aufgefallen -, daß gerade in den forschungs- und entwicklungsintensiven Branchen die Rationalisierungseffekte besonders hoch sind und der Arbeitsplatzabbau ganz besonders schnell vorangeht. Das heißt: Je mehr Forschung, je mehr Innovation wir in diesen Branchen betreiben, desto mehr Arbeitslosigkeit produzieren wir. Wie wollen Sie mit noch mehr Innovation aus diesem Kreislauf herauskommen? Haben Sie da vielleicht ein Patentrezept? Ich habe von Ihnen eben verlauten hören, Sie wollen weiter auf diesen Mechanismus setzen.
Herr Kollege Kiper, Ihre Fragestellung ist falsch. Natürlich ist es so, daß Innovation, Forschung und Entwicklung im Bereich der Güterproduktion zu immer mehr Rationalisierung führen. Im Wettbewerb wird sich derjenige durchsetzen, der am billigsten produziert. Sie übersehen dabei aber völlig, daß es beispielsweise bei der Informationstechnik eine Fülle von neuen möglichen Dienstleistungen gibt. Da müssen die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung möglichst schnell umgesetzt werden. Das Land, das in dieser Entwicklung führend ist, Amerika, hat die meisten neuen Arbeitsplätze.
Auf dem Weg von den Ergebnissen der Forschung zum Kunden am Markt ist es wie bei einer steinernen Bogenbrücke: Wenn ein Stein fehlt, stürzt alles zusammen; dann war die Sache erfolglos. Viele Bausteine sind notwendig: Forscher, Entwickler, Kapitalgeber, Projektleiter, Kaufleute und Unternehmer, die die Arbeit koordinieren und Wagnisse eingehen. Deutschland braucht viele neue Brücken von der Forschung zum Markt. Denn die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Innovationen, die am Weltmarkt Erfolg haben, ist zukunftsgerichtet und außerdem weniger begrenzt als die durch Kostensenkung. Auch dieses Thema muß angesprochen werden.
Herr Thierse, daß Sie in diesem Zusammenhang große und kleine Unternehmen auseinanderdividieren wollen, halte ich für absolut falsch. Ich meine, daß es uns nur durch eine Symbiose von großen, weltumfassenden Konzernen und vielen kleinen Unternehmen gelingen kann, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Innovationen umzusetzen.
Die Frage ist, wo in Deutschland die Schwachstelle liegt. Ich sage gleich: sie liegt nicht in der Forschung.
Auch in Zeiten, als öffentliche und private Mittel für die Forschung in Fülle flossen, war diese Schwachstelle in Deutschland schon vorhanden. Ich nenne das immer wieder zitierte Beispiel des Faxgerätes. Das Problem waren nicht mangelnde Forschung oder mangelnde technische Entwicklung, sondern mangelnde Umsetzung und mangelndes Marketing. Hier müssen wir in Deutschland in besonderer Weise ansetzen.
Wenn die Schwachstelle also nicht in der Forschung liegt, wäre es falsch - ich möchte hier meine persönliche Meinung sagen -, eine Forschungsförderung durch Steuervorteile einzuführen, weil das letztlich dazu führt, daß neue legale Steuerschlupflöcher entstehen und weil wir den Bereich fördern würden, der bei uns nicht die Schwachstelle ist, und den vernachlässigen würden, der die Umsetzung und das Marketing betrifft. Deshalb halte ich es für notwendig, daß wir die Entwicklung zur Marktreife und das Marketing dadurch fördern, daß wir die Rahmenbedingungen insgesamt fördern. Deshalb müssen die Steuern insgesamt bei uns gesenkt werden. Ich halte es für unverantwortlich, daß Sie die Steuerreform, die der Deutsche Bundestag verabschiedet hat, blokkiert haben.
- Herr Kubatschka, Sie begreifen eben manche Dinge nicht. Das ist wirklich wahr.
Zwischen den Fraktionen gibt es eine weitgehende Übereinstimmung über die Notwendigkeit der Förderung folgender Bereiche: besserer Wissens- und Technologietransfer, Nutzung von Geräten in öffentlichen Forschungslabors durch Unternehmen, Anpassung des Insolvenzrechts, mehr Wagniskapital für Unternehmensgründungen. Aber auch hier sind wir
Dr. Martin Mayer
I auf einem guten Weg. Beispiele sind die neuen Börsen Neuer Markt und EASDAQ, die kleinen europäischen Geschwister der großen amerikanischen NASDAQ, der Börse für innovative Unternehmen, die anfangen und wachsen. Es sollte uns mit Hoffnung erfüllen, daß wir in den Bereichen, in denen Europa traditionell schwach ist, aufholen.
Ich möchte noch anfügen: Diese positiven Entwicklungen werden durch die Änderungen des Insolvenzrechts und das Finanzmarktförderungsgesetz unterstützt. Der Unterschied zwischen Koalition und Opposition liegt in diesem Bereich eher in Nuancen: Die Opposition setzt mehr auf staatliche Eingriffe, wir mehr auf die Kräfte des Marktes sowie auf die Antriebskräfte und die Verantwortung der Beteiligten.
Weniger Übereinstimmung - Herr Kollege Kiper, ich kann dies in einer solchen Debatte nicht auslassen - gibt es bei der Einstellung zur Technik und dem Umgang mit erfolgreichen Unternehmen. Beispiel Bio- und Gentechnik: In Martinsried bei München gibt es seit kurzem ein neues Gründerzentrum mit Unternehmen der Pharmaforschung, die zur europäischen Spitze gehören. Das war möglich, weil die Koalition in Bonn das Gentechnikgesetz entrümpelt und damit ein Zeichen gesetzt hat, weil Bund und Freistaat Bayern bei der Bereitstellung von Wagniskapital viel erreicht haben, weil sich der Freistaat mit dem betroffenen Landkreis und der Gemeinde bemüht hat, das Genehmigungsverfahren schnell abzuwickeln, und nicht darüber nachgedacht hat, wie er denen Knüppel zwischen die Beine werfen kann - in Hessen haben wir dafür entsprechende Beispiele -, und weil das gesellschaftliche Umfeld überwiegend durch ein positives Meinungsbild über die Bio- und Gentechnik in diesem Bereich geprägt ist. Nur die Grünen als Ewiggestrige sind noch auf der Blockadeseite. Sie kämpfen weiter gegen die Gentechnik.
Ich kann Ihnen eine Pressemitteilung der grünen Kreisvorsitzenden und Landtagskandidatin aus dem Landkreis München zeigen, in der sie sich gegen die Zusammenarbeit von Schulen und Unternehmen ausspricht. Darin diffamiert sie die Wirtschaft mit solchen klassenkämpferischen Begriffen wie Profitgeier. Mit solchen Parolen machen Sie die Stimmung kaputt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiper?
Nein. - Nicht weit weg von Martinsried polemisieren zum Beispiel Grüne und SPD gemeinsam gegen eine wichtige und leistungsfähige Forschungseinrichtung, den Forschungsreaktor München II - Gott sei Dank erfolglos, denn es handelt sich um eine wichtige Einrichtung.
Der 30 mm Wafer von Wacker stellt einen Quantensprung in der Materialforschung dar. Dazu sind Neutronenquellen notwendig; sie sind eine wichtige Voraussetzung, daß sich Deutschland auch bei der Produktion von Mikrochips weiter weltweit eine Spitzenstellung sichern kann.
In Deutschland bekämpft die kleine Oppositionsfraktion mit Militanz viele Anwendungen von neuen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen, angefangen bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen
über Mobilfunkstationen - dagegen kämpfen Sie ja auch immer an vorderster Front - bis hin zum Transrapid. Die große Oppositionspartei schwimmt in diesem Fahrwasser mit oder hält allenfalls lau dagegen. Heute haben wir ja gehört, daß sich die SPD ausdrücklich zur Anwendung der Bio- und Gentechnik in der Pharmazie bekennt.
- Herr Thierse hat es ja gesagt. - Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, daß dann, wenn Mitte oder Ende des nächsten Jahrzehnts der Transrapid fährt, die SPD sagt:
Wir haben immer schon an vorderster Front um den Transrapid gekämpft! - So sieht Ihre Politik aus.
In diesem Klima ist es nicht leicht, junge Leute für die Forschung und für die Anwendung der Ergebnisse zu begeistern. Forschung und Unternehmen brauchen aber Begeisterung für das Neue, Neugierde und Einsatz.
Meine Damen und Herren, das Beispiel des Faxgerätes darf sich nicht wiederholen. Von dem, was wir in der Forschung säen, müssen wir auch die Ernte in Form marktfähiger Innovationen einfahren, die neue Arbeitsplätze nach Deutschland bringen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Manuel Kiper.
Lieber Kollege Mayer, Sie meinten wieder einmal demonstrieren zu müssen, daß Sie von einer differen-
Dr. Manuel Kiper
zierten Technologiekritik überhaupt nichts verstehen. Deshalb meinen Sie, auf den Grünen herumhacken zu können, wir seien technologiefeindlich. Sie haben jetzt auch noch so schön das Argument eingeführt, daß die Grünen etwas gegen die Gentechnik hätten, weil es dabei Profitgeier gebe.
- Genau. Herr Mayer, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Gentechnikbranche keine Profitbranche ist, sondern eine extreme Zuschußbranche, die ausgesprochen viel Risikokapital - Hunderte von Millionen DM - braucht, um ein einziges Produkt am Markt plazieren zu können? Dies als erstes.
Zweitens mögen Sie zur Kenntnis nehmen, daß unsere Partei nicht gegen Biotechnologie ist, sondern sehr selektiv einzelne, evolutiv bedenkliche Technologien aus dem Bereich der Biotechnologie, insbesondere die rekombinanten DNS, auf den Prüfstein stellt und etwas dagegen hat, weil hier evolutive Grenzen übersprungen werden. Unsere Partei hat auch allen Grund dazu, kritisch gegenüber diesen biologischen Grenzüberschreitungen zu sein. Ich möchte nur an das Klonen von Menschen - ich nenne den Namen Seed in den USA - und an das Herstellen von kopflosen Fröschen durch Professor Slack in England erinnern.
Es gibt viel Fragwürdiges bei diesen biologischen Grenzüberschreitungen, so daß ein technikkritisches Herangehen an die Gentechnik und auch an die Biotechnologie uns und auch Ihnen gut zu Gesicht steht. Gerade von Ihrem christlichen Ansatz her wäre es eigentlich angemessen.
Herr Dr. Mayer.
Herr Kollege Kiper, über einen christlichen Ansatz brauche ich von Ihnen keine Belehrungen. Ich erteile Ihnen in dem Punkt auch keine Belehrungen. Darüber müssen wir hier nicht diskutieren.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß nach wie vor seitens der Grünen zu konkreten Vorhaben, zum Beispiel denen der Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen, massive örtliche Kampagnen durchgeführt werden, die im einzelnen sogar so weit gehen, daß es zur Gewaltanwendung kommt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß das Wort Profitgeier im Zusammenhang mit Gentechnikunternehmen nicht von mir stammt, sondern von einer Ihrer Parteikolleginnen oder Genossinnen, wie Sie selbst vielleicht sagen.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß dieser Ausdruck aus Ihren Reihen stammt. Deshalb sollten Sie alles, was Sie hier vorwurfsvoll an mich gerichtet haben, an Ihre eigenen Genossen und Parteimitglieder richten.
Ich setze die Debatte fort und erteile das Wort dem Kollegen Edelbert Richter.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zu den zwei Anträgen „Risikokapital für junge Technologieunternehmen " sowie zur Fortsetzung der gezielten Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern sagen, die Ihnen schon länger vorliegen. Auf Grund der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, kann ich den Inhalt der Anträge zwar nicht im Detail erläutern; vielleicht kann ich aber ihren existentiellen Hintergrund ein Stück weit deutlich machen.
Deshalb möchte ich Sie bitten, sich mit mir einmal in die Situation eines innovativen Unternehmers aus den neuen Bundesländern zu versetzen. Wer solche Unternehmer besucht, der wird feststellen, daß es an hervorragenden technischen Ideen nicht fehlt. Denken Sie an den ersten FCKW-freien Kühlschrank von Foron aus Sachsen oder an das erste quecksilberfreie Thermometer aus Geraberg in Thüringen oder an das erste Gerät für drahtlose weltweite ISDN-Kommunikation aus Berlin. Die Frage, der wir uns stellen müssen - nach meinem Eindruck haben wir uns dieser Frage bisher zuwenig gestellt -, ist, warum Unternehmen mit solchen Ideen nicht expandieren, warum die Umsetzung der Ideen meistens so schwierig ist und warum Unternehmen oft sogar scheitern.
Eine sehr verbreitete Auffassung ist die, daß die ostdeutschen Unternehmen einfach zu träge, zu unerfahren und zuwenig selbstbewußt im Marketing sind. Das liege daran, daß in den 40 Jahren der Befehlswirtschaft die unternehmerische Tradition verlorengegangen sei. Ein anderer angeblicher Grund ist, daß es sich um Forscher- und Tüftlercharaktere handele, also um Leute, die ihren Spaß am Entdecken und Erfinden haben, verständlicherweise aber nicht so recht den Sinn dafür haben, ihre Produkte auch an den Mann zu bringen.
Ich bin zu einem anderen Schluß gekommen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß das alles im einzelnen zwar zutreffende Gründe sein mögen, daß es sich darüber hinaus aber um tiefer liegende innere Gründe handelt, an denen wir in absehbarer Zeit wahrscheinlich nichts ändern können. Oder es handelt sich sogar um vorgeschobene Gründe, mit denen sich politisches Nichtstun wunderbar rechtfertigen läßt.
Wir sollten von der Maxime ausgehen, daß an der beklemmenden Situation etwas zu ändern ist. Methodisch sollten wir uns in dieser Frage daher pragmatisch verhalten, indem wir uns auf das konzentrieren, was tatsächlich verändert werden kann. Das ist immer noch genug. Es sind offensichtlich die ein-
Dr. Edelbert Richter
engenden äußeren Bedingungen, also weniger die inneren Beschränkungen, unter denen der ostdeutsche Unternehmer tätig sein muß. An den äußeren Bedingungen muß sich etwas ändern.
Der wichtigste Punkt ist der chronische Eigenkapitalmangel der ostdeutschen Unternehmen. Hierauf muß man beharren, auch wenn das bekannt ist. Ich will das folgendermaßen belegen: Der Anteil von Unternehmen mit Eigenkapitalquoten von unter 10 Prozent beträgt nach einer Studie der Deutschen Ausgleichsbank 45 Prozent, nach einem Bericht der Deutschen Bundesbank sogar 60 Prozent. Das sind katastrophale Zahlen. Wer sich auf diesem Gebiet auskennt, der weiß das.
Gewiß, ich weiß, daß dieses Problem auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen in den alten Bundesländern besteht; doch hier beträgt die Eigenkapitalquote im verarbeitenden Gewerbe durchschnittlich immerhin 23 Prozent. Das ist auch niedrig. Aber in den neuen Bundesländern beträgt die Quote nur 10,4 Prozent.
Nun wird immer noch die These vertreten, wegen Eigenkapitalmangels werde keine Existenzgründung verhindert; Hauptsache, der Unternehmer sei kompetent und das Konzept stimme. Aber diese These ist grundfalsch - das muß man hier einmal ausdrücklich sagen -, denn alle jungen - zumal die technologieorientierten - Unternehmen müssen sogenannte Sprunginvestitionen tätigen, und fast alle machen zunächst Anlaufverluste - es wurde vorhin die Biotechnologie erwähnt -, ganz unabhängig davon, ob das Unternehmen gut oder schlecht geführt ist.
Ich will noch auf die schon erwähnten inneren, also mentalen, Ursachen für die Schwierigkeiten der ostdeutschen Selbständigen zurückkommen. Da beobachtet man zum Beispiel ihre geringere Initiative und Risikobereitschaft und sagt dann: Sie sind eben selbst schuld. - Es ist aber eine der am besten fundierten Erkenntnisse der Risikotheorie, daß die Aversion gegen Risiken erst mit steigendem Vermögen abnimmt. Ausnahmen gibt es vielleicht im Bereich der Kriminalität. Es ist also gar nicht verwunderlich, daß der ostdeutsche Unternehmer eher auf Nummer Sicher geht. Diese Haltung hat offenbar sehr viel mit der schwachen Eigenkapitalbasis zu tun, auf der er steht.
Was der Neugründer mitbringt, ist meistens nur eine Idee oder eine Konzeption, er hat aber weder genügend Geld noch genügend Sachkapital, um sie auch wirklich umzusetzen; denn in der Zeit des „realen Sozialismus" hatte er bekanntlich nicht die Möglichkeit, ausreichend privates Vermögen zu bilden. Man muß sich daran erinnern - solche Zahlen sind immer noch eindrücklich -, daß das durchschnittliche Geldvermögen pro Haushalt 1991 in den neuen Bundesländern 19,5 Prozent von dem in den alten Bundesländern betrug.
Zur Zeit der Wende, also 1989/1990, hatte der potentielle Selbständige kurze Zeit zwar einmal die Hoffnung, vom erarbeiteten Volksvermögen über Anteilscheine endlich etwas abzubekommen und dann wirtschaftlich mitentscheiden zu können - oder er hatte die Hoffnung, etwa durch ein Vorkaufsrecht beim Erwerb von Grundeigentum vor der übermächtigen westlichen Konkurrenz geschützt zu werden -, aber diese Hoffnung wurde ja, wie wir wissen, bald enttäuscht. Sie wurde nicht erfüllt wegen der skeptischen Beurteilung in bezug auf den Wert des Volksvermögens, aber auch wegen des Fernbleibens großer Investoren aus dem Westen.
Diese Investoren wollten natürlich ohne die Möglichkeit des freien Erwerbs von Grund und Boden nicht kommen. Als sie dann - freilich zögerlich - kamen, führte das prompt zu einem Eigentumstransfer von Ost nach West, so daß vom Firmenvermögen der alten DDR für die Ostdeutschen - ich erwähne wieder eine eindrucksvolle Zahl - nur ganze 6 Prozent übrigblieben. Da die Anlage in Immobilien für die Westdeutschen offenbar interessanter war als die Anlage in Produktivkapital, kam es zu einem Anstieg der Bodenpreise. Dieser war für die ostdeutschen Selbständigen eine zusätzliche Belastung.
Wenn man das alles bedenkt - ich habe nur wenige dieser an sich bemerkenswerten Zahlen genannt -, dann ist man geneigt, ein Hoheslied auf den innovativen Unternehmer in den neuen Bundesländern zu singen, denn er ist ein wahrer Heros der Marktwirtschaft, sozusagen ein neuer David, der es mit Goliath sogar aufnimmt, ohne eine Steinschleuder zu haben. Zugespitzt gesagt, vollbringt er das Wunder, Kapitalismus ohne Kapital zu spielen.
Ich habe an die Zeit der Wiedervereinigung erinnert, weil .angesichts der Förderbemühungen der Bundesregierung heute oft vergessen wird, daß es auch ihre damaligen Fehlentscheidungen waren, die uns in diese prekäre Situation gebracht haben. Die Bundesregierung muß mit ihrer Förderpolitik heute oft das zusammenflicken, was sie damals selber an Löchern gerissen hat.
Bevor ich nun auf die Förderinstrumente des Bundes zu sprechen komme, möchte ich noch ein Wort zu den Banken sagen. Die Meinung ist immer noch verbreitet, sie müßten in der Eigenkapitalfrage doch helfen können. Sie können das aber hauptsächlich deshalb nicht, weil das Vorhandensein von Eigenkapital schon eine Bedingung dafür ist, von ihnen Kredit zu bekommen. Sie können aber auch deshalb nicht helfen, weil ihnen oft der technische Sachverstand fehlt, um Ideen beurteilen zu können.
Auch die allgemeine öffentliche Förderung kann das Eigenkapitalproblem nicht lösen - höchstens indirekt -, weil sie bekanntlich einen Investor voraussetzt, der über mindestens 50 Prozent der jeweiligen Investitionssumme verfügt. Die allgemeine öffentliche Förderung setzt also im Grunde voraus, daß das Eigenkapitalproblem gelöst ist.
Nun noch etwas zu den besonderen Eigenkapitalhilfeprogrammen des Bundes und der Länder. Wenn ich es recht sehe, werden nur zwei von ihnen erfolgreich angewandt: Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen, BTU, und das noch junge
Dr. Edelbert Richter
Programm FUTOUR. Hier ist demnach das BMBF ausdrücklich zu loben, denn das sind zwei Programme, die aus diesem Hause kommen. Beim Beteiligungsfonds Ost entspricht das Antragsvolumen bei weitem nicht den Erwartungen. Das liegt aber nicht etwa am mangelnden Bedarf der Unternehmen - das habe ich deutlich gemacht -, sondern höchstwahrscheinlich am mangelnden Engagement der Hausbanken. Darüber müßte man einmal diskutieren. Ich habe eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, um zu erfahren, wie sie das einschätzt.
Das Eigenkapitalhilfeprogramm der Deutschen Ausgleichsbank liefert bekanntlich kein echtes Eigenkapital. Auch das Eigenkapitalhilfe-Partnerschaftsprogramm hat die Erwartungen nicht erfüllt, wahrscheinlich deshalb - auch ich möchte das gerne einmal wissen -, weil der Unternehmer bzw. sein Partner für das Darlehen der Deutschen Ausgleichsbank voll haften muß. Man müßte einmal darüber nachdenken, ob das zu ändern ist. Die Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften der Länder wiederum spielen zwar in Ostdeutschland eine bedeutende Rolle, sind aber im innovativen Bereich zu wenig aktiv, weil sie keine risikoreichen Beteiligungen übernehmen dürfen.
Zum Schluß noch etwas zu den privaten Wagniskapitalgesellschaften; das Thema wurde vorhin schon gestreift. Sie engagieren sich in Ostdeutschland nur unterproportional und scheinen sogar auf dem Rückzug zu sein. Es gibt da rückläufige Raten. Der Grund ist wieder nicht, daß es hier keine interessanten Projekte gäbe, sondern der Grund ist, daß der Betreuungsaufwand höher ist und man zur Betreuung am besten vor Ort präsent sein muß. Diese Venture-capital-Gesellschaften sind jedoch in den neuen Ländern kaum präsent, eigentlich kenne ich nur in Leipzig eine, die wirklich eine bedeutende Funktion hat. Hauptsächlich sind sie in München.
Die Paradoxie - um das noch einmal auf den Punkt zu bringen -, in der wir uns gesamtdeutsch befinden, besteht darin, daß wir zwar einerseits eine Fülle von guten technischen Ideen und andererseits wahrlich auch eine Fülle von Geldkapital haben. Dennoch können die Ideen oft nicht - jedenfalls nicht schnell genug - umgesetzt werden, weil das Kapital nicht zu den Unternehmern findet. In diesem Schlüsselbereich müssen wir zu Lösungen kommen, wenn der Aufschwung Ost - um den ging es mir zunächst, aber es ist auch ein gesamtdeutsches Problem - nicht zur Phrase werden soll.
Ich habe in den Anträgen einige Vorschläge gemacht. Ein Teil davon - die Vorschläge sind immerhin schon zweieinhalb Jahre alt - ist inzwischen auf den Weg gebracht, ein anderer Teil noch nicht. Ich will das jetzt nicht noch einmal im einzelnen darlegen, das liegt Ihnen schon lange vor. Ich habe heute zu dem Antrag „Industrieforschung Ost" explizit nichts gesagt.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon weit überschritten. Sie müssen jetzt wirklich zum Schluß kommen.
Gut. Dann will ich nur noch sagen: Das liegt einfach daran, daß ich tiefer in das Eigenkapitalproblem einsteigen wollte.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Erich Maaß.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Verlauf der Debatte heute an mir vorbeifließen sehe, bemerke ich als einer, der doch schon relativ lange in diesem Parlament ist: Früher hatten wir in vielen Punkten Grundkonsens, heute wird vieles durch Wahlkampfplatitüden überschattet und überbetont.
Ich werde mich nicht an mein Konzept halten, sondern versuchen, einmal einige Punkte aufzuarbeiten. Vor fünf, sechs, sieben Jahren glaubte ich, daß wir alle den Wunsch hatten, zu versuchen, Konsens in der Forschungs- und Technologiepolitik hinzubekommen und zusammenzuführen. Deshalb ist der Technologierat beim Bundeskanzler gegründet worden. Ich glaube, das war eine gute Einrichtung. Sich heute davon zu distanzieren und zu sagen, das sei ein elitärer Club, ist ein Nachtarocken, das uns nicht weiterhilft.
Ich will einen weiteren Punkt aufgreifen: Wir haben vor Jahren das Problem gehabt, daß wir zwar unerhörtes Wissenspotential in den Forschungseinrichtungen ansammelten, aber nicht in der Lage waren, dieses Potential in marktreife Produkte und Gerätschaften umzusetzen. Jetzt haben wir das gemacht - dank der Unterstützung von Jürgen Rüttgers -, mit Marktausgründungen etc. Jetzt läuft das; die ersten Früchte sind da. Und nun wird das hier wieder heruntergeredet.
- Nein, ich versuche nicht, hier Wahlkampf zu machen.
Ich will auch auf folgendes hinweisen: Wir haben beispielsweise die gesamten einschlägigen Vorschriften entrümpelt und mehr Flexibilität in die Großforschungseinrichtungen hineingebracht und dadurch die Basis dafür geschaffen, daß wir Ausgründungen vornehmen können. Jetzt müssen wir bitte versuchen, auch an den Universitäten und Hochschulen das Weitere zu tun.
Aber was höre ich? Ich höre immer wieder Klagen von Hochschulprofessoren, die sagen: Wir müssen An-Institute gründen, damit wir aus der überschwappenden Bürokratie der Hochschulen herauskommen, damit wir schneller werden, flexibler werden. - Das sind Ansatzpunkte, auf die wir gemeinsam hinarbeiten können.
Wenn Sie mir jetzt vorwerfen „Wahlkampf macht der", wenn Sie Jürgen Rüttgers kritisieren - natürlich kann man hier Statistiken heranziehen -, dann will
Erich Maaß
ich das einmal auf den Punkt bringen: Wenn ich sehe, was in dieser Woche hier im Bundeshaus gelaufen ist, dann sehe ich doch deutliche Unterschiede zu dem Bundesland, in dem die SPD zunächst allein regiert hat und in dem jetzt Rot-Grün regiert. Das ist das Land Niedersachsen.
- Herr Penner, ich spreche es einfach einmal an. - Was machen wir in Baden-Württemberg oder in Bayern? Dort privatisieren wir, dort verkaufen wir Staatsvermögen - im Freistaat Bayern im Wert von 5,4 Milliarden DM -, verkonsumieren dieses aber nicht, sondern stecken es in innovative Zukunftsprojekte in Forschung und Entwicklung.
In Niedersachsen - dort hatte die SPD zunächst ja die Alleinverantwortung - geschieht genau das Gegenteil: Dort verstaatlichen Sie ein Unternehmen, dessen Arbeitsplätze nicht gefährdet sind, und binden damit für die nächsten Jahre 1 Milliarde DM. Selbst der niedersächsische Ministerpräsident, Gerhard Schröder, sagt dazu: Wir werden in den nächsten Jahren kaum Geld haben, um Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung machen zu können. Das sind die Unterschiede. Das muß man doch bitte sehen.
- Ich habe Gerhard Schröder ganz genau zugehört. Ich kann diesen Sündenkatalog noch weiter fortführen. In Niedersachsen hat die SPD mal Alleinverantwortung gehabt.
Ich greife einen anderen Punkt auf: Wir haben in Niedersachsen, in Braunschweig, die einzige Großforschungseinrichtung der Bundesrepublik zur Biotechnologie. Wir alle glaubten, daß das südliche Niedersachsen mit dabeisein würde, als Jürgen Rüttgers die große, flächendeckende Initiative der BioRegio in Gang setzte. Was passiert? Die Initiative geht an Niedersachsen vorbei. Das muß uns doch nachdenklich machen, liebe Freunde. So geht es doch bitte nicht! Bei Ihnen sind so viele, die die Bedenkenfahne vor sich hertragen, weil sie sich nach wie vor in Risiken verstricken und damit die Chancen verpassen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?
Lassen Sie mich bitte im Zusammenhang fortfahren; danach, Edelgard, jederzeit gern.
Es gibt manchmal auch Situationen in Niedersachsen, in denen wir am gleichen Strang in die gleiche Richtung ziehen. Aber das ist seltener geworden; das muß ich einfach zu bedenken geben.
Wenn Sie hier statistisch aufgreifen, was Sie Jürgen Rüttgers vorhalten wollen, erinnere ich daran: Gerhard Schröder trat in Niedersachsen in dieser Legislaturperiode mit einem riesigen Technologieprogramm von 400 Millionen DM an. Was ist davon übriggeblieben? 23 Millionen DM. Wer im Glashaus sitzt, darf nicht mit Steinen werfen. Hier haben Sie Verantwortung; aber Sie nutzen sie nicht.
- Mein lieber Herr Tauss, das sind ja wieder - ei der Tauss - Sprechblasen, die Sie da von sich geben. Mein lieber Freund, Niedersachsen hat die schlechteste Technologieförderung in Deutschland. - Der niedersächsische Wirtschafts- und Technologieminister lobt sogar den Bundesminister. - Ich erinnere zum Beispiel an die Förderung der Existenzgründer: Niedersachsen stellt sein Existenz- und Eigenkapitalhilfeprogramm ein, weil der Bund so exzellente Konditionen bietet und so exzellent fördert. Das ist doch die Realität! Wort und Tat stimmen bei Ihnen nicht mehr überein.
Meine Freunde, ich nehme wieder Niedersachsen, Risikokapital in Niedersachsen: Unter allen Bundesländern liegt Niedersachsen mit 19 Beteiligungen an letzter Stelle. Ich wünsche mir, daß wir, wenn wir solche großen Reden in diesem Parlament halten, wieder zu etwas mehr Wahrhaftigkeit kommen.
Liebe Freunde, man kann das nicht isoliert sehen und sagen: Hier ist allein der Bund zuständig. Nein, es ist unsere Aufgabe als Parlament, eine große gesellschaftliche Initiative voranzutreiben. Wir müssen auch in unseren Köpfen endlich wieder frei werden.
Hier sehe ich nach wie vor Defizite. Warum kann sich in den USA ein junger Unternehmer im Technologiebereich einen Flop leisten, warum kann er einmal auf die Nase fallen, warum kann er Pleite machen? Er kann etwas riskieren und neu anfangen.
- Das hat doch nichts mit dem Recht zu tun. Das hat mit dem Denken in unseren Köpfen zu tun. Das fängt in unseren Köpfen an! - Wenn bei uns einer pleite geht, ist er für sein ganzes Leben stigmatisiert.
Das ist doch der Punkt, an dem wir ansetzen müssen, meine Freunde.
Auch an den Hochschulen bekommt man immer wieder zu hören, daß junge Akademiker sagen: Wir werden in Deutschland erdrückt, wir gehen raus.
Wir haben es doch auch - ich spreche mich nicht frei von Schuld - im Bereich der Gentechnologie erlebt: Wir sahen es als das größte Werk an, eines der besten Gentechnikgesetze der Welt geschaffen zu haben. Pustekuchen! Wir haben damit den Industriestandort Deutschland kaputtgemacht und alle Wissenschaft aus dem Lande getrieben. Wir mußten ganz schnell eine Novellierung machen, um die Leute zurückzuholen. Da helfen keine Lippenbekenntnisse, sondern wir müssen zur Kenntnis nehmen, liebe Freunde, daß hier gesündigt worden ist.
Erich Maaß
Ich wünschte mir, daß alle gesellschaftlich relevanten Gruppen - Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften - überlegen - nicht miesmachen -, welche unerhörten Chancen wir bei dem Potential, über das wir in Deutschland verfügen, haben und wie wir die Zukunft gemeinsam gestalten können. Dazu können auch Sie Ihren Beitrag leisten.
Herzlichen Dank.
Frau Bulmahn, möchten Sie jetzt eine Kurzintervention machen?
- Bitte.
Lieber Kollege Erich Maaß, Sie haben an den Anfang Ihrer Rede gestellt, daß Sie keinen Wahlkampf machen wollen, aber genau das haben Sie getan. Sie haben zwar keinen Bundestagswahlkampf gemacht, dafür aber einen niedersächsischen Wahlkampf. Deshalb werde ich einige Punkte richtigstellen.
Erstens. Das Land Niedersachsen hat seine Forschungs- und Entwicklungsausgaben und seine Ausgaben für die Hochschulen im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland stärker erhöht, obwohl die Bundesrepublik um ein Viertel gewachsen ist.
Zweitens. Das Land Niedersachsen hat sein Forschungs- und Entwicklungspotential in den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die öffentlich finanziert werden, also Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, im Gegensatz zur Bundesregierung nicht verringert, sondern es gibt Personalzuwächse.
Drittens. Niedersachsen hat die höchste Zahl von Existenzgründungen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden das feststellen, wenn Sie die Pressemitteilungen des gestrigen Tages nachlesen.
Dies alles einfach ins Gegenteil umzukehren oder unter den Tisch fallen zu lassen ist nicht nur nicht korrekt, sondern auch in einer Wahlkampfauseinandersetzung nicht zulässig.
Sie möchten antworten? - Bitte.
Liebe Freunde, ich will nicht in den Niedersachsen-Dialog eingreifen, aber eines stimmt doch: Der Kahlschlag, der an den Hochschulen vorgenommen wurde, hat auch den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz veranlaßt, zu sagen: Um Gottes Willen, wir versündigen uns an der Zukunft. Einige sozialdemokratische Hochschuldozenten haben gesagt: Natürlich ist das ein Beitrag, damit wir mehr Aktivitäten und mehr Energien an unseren Hochschulen umsetzen können.
Ich stelle leider fest, daß in den letzten Wochen gerade aus Niedersachsen fatale, falsche Signale gegeben wurden. Ich muß sagen: Wenn wir im Rahmen der Preussag-Debatte - diese gab es in dieser Woche - Signale senden, daß wir ausländische Investoren lieber aus dem Feld schlagen und statt dessen verstaatlichen, dann senden wir die falschen Signale für Europa. Damit schaden wir unserem Standort, auch dem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort; denn dann hat keiner mehr Interesse daran, nach Niedersachsen zu kommen. Das ist doch die Realität!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Kubatschka.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Forschungsfamilie mit Gästen! Ich habe in meinem Redemanuskript des öfteren zwei Wörter aufgeschrieben und immer wieder durchgestrichen, und zwar die Wörter: „nachdenkliche Debatte". Ich muß sagen, teilweise haben wir eine nachdenkliche Debatte geführt, und ich glaube, daran werden wir gemessen.
Aber Sie, Herr Minister Rüttgers, haben hier für das Bierzelt geübt. Die bayerischen Standards haben Sie aber nicht erreicht. Ich bitte doch, hier nicht weiter zu trainieren. Das schadet der Sache.
Herr Mayer, zu Ihnen: Sie kultivieren fleißig Ihre Vorurteile.
Ich würde Ihnen raten, neue Ideen einzuführen; denn für Ihre bisherigen Reden, die ich kenne, bekommen Sie keinen Innovationspreis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Enkel werden uns in 50 Jahren verfluchen, werden den Stab über uns brechen, wenn wir jetzt nicht handeln. Die Bundesregierung handelt für mich nicht entschieden genug. Wir müssen eine nachhaltige, zukunftsverträgliche Entwicklung einleiten.
Der Bundesregierung fehlt ein Gesamtkonzept für eine Politik der nachhaltigen Entwicklung, in das die Forschungs- und Technologiepolitik eingebunden ist. Es fehlen langfristig verläßliche Rahmenbedingungen, die eine ökologische Orientierung der Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in Wissenschaft und Wirtschaft fördern und Planungssicherheit für Investitionen von Unternehmen und Verbrauchern schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Enkel werden uns daran messen, ob wir damit anfangen, unsere Produktionsweisen und Dienstleistungen auf Nachhaltigkeit, auf Zukunftsfähigkeit umzustellen. Wir müssen damit beginnen, in Kreisläufen zu denken und zu handeln. Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft für Produktion und Dienstleistung wird viele Jahrzehnte dauern; das ist ein langwieriger Prozeß.
Horst Kubatschka
Dies bedeutet in der Praxis: Wir müssen Ressourcen schonen und abfallarm wirtschaften, eine stetige Erhöhung der Stoff- und Materialproduktivität erreichen, eine massive Effizienzsteigerung in der Energieversorgung einleiten, der Solarwirtschaft zum Durchbruch verhelfen und die Verkehrssysteme umweltgerecht und energiesparend umgestalten.
Diese zukünftige Entwicklung erfordert ein neues Leitbild von Forschung und Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Forschungs- und Innovationspolitik, die die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, aber auch - das ist genauso wichtig - die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen als gleichrangige Ziele verfolgt.
Entgegen allen Bekundungen verfolgt die Bundesregierung diese Ziele nicht. Nach wie vor ist eine erkennbare Umorientierung der Forschungspolitik auf das Kriterium „Nachhaltigkeit" nicht eingeleitet worden. Im Gegenteil: Der um 52 Millionen DM gekürzte Mittelansatz bei der nichtnuklearen Energieforschung - von 290 Millionen DM auf 238 Millionen DM im Jahre 1997 - hat dazu geführt, daß es neue Bewilligungen im Jahre 1997 praktisch nicht gegeben hat. Noch immer liegen die Ausgaben für erneuerbare Energien deutlich unter denen für Kernenergieforschung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bauwirtschaft und das Bauhandwerk brauchen dringendst Impulse. Die IG Bau hat ermittelt, daß die Verdreifachung des heutigen Anteils der erneuerbaren Energien in der Europäischen Union zu 2 Millionen neuen Arbeitsplätzen führt. Im Baubereich würde das 800 000 neue Stellen bedeuten. Damit würden wir Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanzieren - und ein Schritt zur Nachhaltigkeit wäre getan.
Eine konsequente Effizienz- und Solarstrategie löst Innovationen auf breiter Front aus. Energiespar- und Solartechnologien sind echte Problemlösungstechnologien und nicht - wie die End-of-pipe-Technologien - Problemverlagerungstechnologien, Solartechnologien und Energiespartechniken sind eine gute Vorbereitung auf die Weltmärkte der Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Forschen und Entwickeln ist die eine Seite der Medaille, den neuen Erkenntnissen zum Durchbruch auf dem Markt zu verhelfen ist die andere. Dafür muß eine gezielte Markteinführungspolitik betrieben werden.
Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie muß aufgewertet werden. Die neuen Erkenntnisse, das neue Wissen muß in Innovationen umgesetzt werden. Dazu ist ein Innovationsministerium erforderlich. Dieses muß die notwendigen Marktstrategien entwickeln und den Innovationen eine Chance geben. Wir dürfen nicht Wissen, sondern müssen Produkte exportieren.
Dazu ein Negativbeispiel - nicht das berühmte Beispiel Telefax -, damit Sie, Herr Mayer, etwas Neues zu begreifen haben: Das Ministerium förderte mit 30 Millionen DM die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung im Werkzeugmaschinenbau. Diese Erkenntnisse wurden jedoch nicht in Deutschland in Arbeitsplätze umgesetzt, sondern in Japan. Japan ist heute in dieser Technologie führend. Man schätzt, daß wegen des Technologiesprunges der Japaner in Deutschland 30 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind. Bei uns wurden die Erkenntnisse erarbeitet, und die Japaner haben diese umgesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Zeit werden die Forschungseinrichtungen „auf schlank" getrimmt. Stellenkürzungen müssen her, so nach dem Modell Rasenmäher. So soll zum Beispiel die MaxPlanck-Gesellschaft bis zum Jahre 2000 740 Planstellen abbauen, ohne Rücksicht auf die Inhalte und Forschungsschwerpunkte. Das Ergebnis: Der Nachwuchs steht draußen vor der Tür. Wir bilden die jungen Wissenschaftler aus; im Zuge des Generationenvertrages werden erhebliche Mittel dafür aufgewendet. Aber: Bei uns haben sie dann auf dem Arbeitsmarkt nur eine geringe Chance. Die Industrie hält sich zurück, die Forschungseinrichtungen des Bundes können sie nicht brauchen. Der Wissenstransfer ist gefährdet. Bekanntlich findet dieser vor allem über die Köpfe der Nachwuchswissenschaftler statt. Herr Kollege Laermann, da stimmen wir überein: Hier müssen wir etwas machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschlands technologische Leistungsfähigkeit muß angezweifelt werden. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung stagnieren; sie liegen gerade einmal bei 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen führen bei uns nicht zu mehr Arbeitsplätzen. Deutschland hat bei den wissensintensiven Dienstleistungen einen großen Nachholbedarf.
Bei den Zukunftsbranchen ist nicht alles Gold, was glänzt. In der Biotechnologie liegt der Patentspitzenreiter Deutschland weit hinter den USA zurück. In der Mikroelektronik und der Multimediabranche „schwimmt Deutschland im weltweiten Trend mit", ohne nennenswert aufzuholen.
Die Forschungs- und Technologiepolitik dieser Regierung ist zu stark technikzentriert und auf konventionelle Themen ausgerichtet. Aus diesen Gründen werden wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen den Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums nach der gewonnenen Bundestagswahl deutlich aufstocken und die richtigen Schwerpunkte für eine auf Nachhaltigkeit orientierte Innovations- und Forschungspolitik setzen,
die mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen neue Arbeitsplätze schafft und die vorhandenen Arbeitsplätze sichert.
Weil ich sozusagen der Libero meiner Fraktion bin, möchte ich zum Schluß den Wissenschaftlern und Forschern für ihre Leistungen danken und sie auffor-
Horst Kubatschka
dem, so weiterzumachen. Zudem möchte ich den Nachwuchs bitten, nicht zu resignieren.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die größte und beste Innovation für Deutschland wäre der Regierungswechsel.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Otto Schmiedeberg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Kubatschka, gerne ginge ich auf Ihren energiepolitischen Beitrag ein; aber ich möchte mich in meinem Beitrag auf die Industrieforschung in den neuen Ländern konzentrieren. Das ist meines Erachtens eine ganz wichtige Sache, die wir in den nächsten Jahren intensiv verfolgen werden. Aber eines lassen Sie mich Ihnen sagen: Wenn Sie in Kreisläufen denken, dann müssen Sie berücksichtigen, daß Sie immer wieder an Ihren Ausgangspunkt zurückkommen. Das haben Sie mit Ihrem Redebeitrag gerade bewiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Umfang und Leistung von Forschung und Entwicklung bei kleinen und mittelständischen Betrieben sind entscheidend für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen ostdeutschen Industrie. Die Wirtschaftsstruktur in den neuen Bundesländern ist fast ausschließlich durch kleine und mittelständische Betriebe gekennzeichnet. Dieser Struktur hat sich die ostdeutsche Industrieforschung in den vergangenen Jahren angepaßt. So arbeiten fast 90 Prozent des FuE-Personals in Betrieben mit weniger als 500 Beschäftigten. Die Hälfte des FuE-Personals der kleinen und mittelständischen Betriebe arbeitet in der externen Industrieforschung, den sogenannten Forschungs-GmbHs. Die Forschungslandschaft im Bereich der Industrie unterscheidet sich also gravierend von der in den alten Bundesländern, so daß für deren Entwicklung spezielle Programme in den letzten Jahren auf den Weg gebracht werden mußten.
Auch im achten Jahr der deutschen Einheit befinden sich die forschungsintensiven Bereiche der Industrie in den neuen Ländern in einer noch unbefriedigenden Situation. Die Eigenkapitaldecke der meisten ostdeutschen Unternehmen ist nach wie vor so schwach, daß sie nicht in der Lage sind, Forschung und Entwicklung im notwendigen Umfang mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Dies führte in den ersten Jahren zu einem gefährlichen Abbau der Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung.
- Kollege Tauss, Sie haben vielleicht gar nicht bemerkt, daß wir heute einen gemeinsamen Antrag vorgelegt haben.
Ein Vergleich dieser Ausgaben mit denen in den alten Bundesländern macht deutlich, daß gerade auf diesem Gebiet bei den Betrieben in den neuen Ländern noch ein enormer Nachholbedarf besteht. Während in den alten Bundesländern annähernd 5 Prozent des gesamten Personals Forschung und Entwicklung betreiben, liegen die neuen Länder mit nur 2,5 Prozent auf halbem Niveau. Deshalb ist die Unterstützung der ostdeutschen Industrieforschung auch in den nächsten Jahren aus unserer Sicht durch direkte und gezielte Zuschüsse erforderlich.
Die staatliche Förderung muß sich ganz besonders daran orientieren, daß die Unternehmen Produkte mit einer überlegenen Qualität zu kostendeckenden Preisen auf den Märkten anbieten können. Langfristig geht es auf keinen Fall um die Unterstützung solcher Unternehmen, deren Wettbewerbsvorteil auf den deutschen und internationalen Märkten ausschließlich auf Kostenvorteilen der staatlichen Förderung basiert.
Die jungen Unternehmer in den neuen Ländern müssen in bereits verteilte Märkte eindringen. Sie müssen den Kunden mit besseren Leistungen dazu bewegen, sich aus langfristigen Lieferbeziehungen zu verabschieden. Es bleibt deshalb unsere Aufgabe, diese Unternehmen bei der Innovation zu unterstützen, so daß sie neue Märkte erschließen können. Für die Entwicklung eines innovativen Mittelstandes ist die verstärkte Wiederansiedlung von FuE in den kleinen und mittelständischen Betrieben eine unabdingbare Voraussetzung.
Dabei werden folgende Absichten verfolgt: Die kleinen und mittelständischen Betriebe müssen selbstverständlich einen eigenen Beitrag zu ihren Innovationen leisten. Vor allem müssen sie mehr als bisher eine intensive Kooperation mit der übrigen Forschungslandschaft in ganz Deutschland - also nicht nur in den neuen Bundesländern - anstreben und betreiben.
Die Ansiedlung von Forschung und Entwicklung in den Betrieben wurde bisher durch zwei spezielle Förderprogramme unterstützt. Das eine ist das Programm „Personalförderung Ost" des BMWi, das andere das Programm „Personalzuwachsförderung in der Wirtschaft" des BMBF. Das BMBF-Programm läuft aus, während das BMWi-Programm eine Laufzeit bis zum Jahre 2001 hat.
Der gemeinsame Antrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD - die SPD hat sich uns angeschlossen, was ich gut finde; ich wünschte, sie würde es in vielen anderen Politikbereichen auch machen, weil es uns dann besser ginge -
Hans-Otto Schmiedeberg
zielt deshalb in die Richtung, durch ein Bündel von Maßnahmen die Unterstützung der ostdeutschen Industrieforschung zu verstetigen. Es ist deshalb erforderlich, die BMWi-Programme „Personalförderung Ost" und „Marktvorbereitende Industrieforschung" fortzuführen und finanziell angemessen auszustatten. Das gleiche gilt für die BMBF-Programme „FUEGO" und „FUTOUR", welche die Beschleunigung des Transfers von Forschungsergebnissen und die Förderung besonders innovativer und risikoreicher Existenzgründungen beinhalten.
Herr Kollege Richter, Sie kritisierten hier insbesondere die ganz schwierige Situation der Existenzgründer in den neuen Bundesländern. Ich verweise hier noch einmal deutlich auf das Programm „FUTOUR" Jemand, der in den neuen Bundesländern eine Idee hat, braucht kein Kapital, da dieses Programm eine Förderung in Höhe von bis zu 80 Prozent von der Idee bis hin zur Markteinführung ermöglicht. Es ist ein hervorragendes Programm. Wichtig ist natürlich, dieses Programm in den neuen Ländern weiterhin bekannt zu machen, damit noch mehr Unternehmensgründer es in Anspruch nehmen.
In der Anhörung vor dem Bund-Länder-Arbeitskreis „Innovationszulage" im Januar dieses Jahres haben sich die Sachverständigen überwiegend gegen die Ablösung des bisherigen PFO-Programms durch eine Innovationszulage ausgesprochen. Trotzdem sollten wir nach Möglichkeiten einer personellen Innovationszulage suchen, zumal eine solche Innovationszulage die Vorteile des Rechtsanspruchs wie auch der Planungssicherheit beinhaltet. Da bin ich mir der Problematik der Abgrenzung und auch der Verhinderung von Mitnahmeeffekten bewußt.
Daß es sich lohnt, Technologieunternehmen zu unterstützen, belegt auch die neueste Studie der Technologiebeteiligungsgesellschaft der Deutschen Ausgleichsbank. Wenn ich sie in einen Satz zusammenfassen muß, dann kann man sagen: Technologieunternehmen schaffen Arbeitsplätze. Dazu einige Zahlen: Mit einem Durchschnittsalter von nur knapp vier Jahren beschäftigte jedes Unternehmen 1997 durchschnittlich 23 Personen. Gegenüber 1996 gab es hier einen Zuwachs von fünf Arbeitskräften pro Betrieb. Auch 1998 sollen laut Umfrage neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Es ist mit einem Zuwachs von ungefähr 30 Prozent auf somit 30 Beschäftigte zu rechnen.
Verglichen mit 1997 erwarten annähernd 40 Prozent der befragten Unternehmen für 1998 eine Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage. Besonders optimistisch sehen die Unternehmen der Biotechnologie und der Softwarebranche die wirtschaftliche Zukunft. Hier rechnen ungefähr 80 Prozent mit einer weiteren Verbesserung ihrer Lage. Ebenfalls positiv schätzen die Unternehmen aus den Bereichen Kommunikation und Lasertechnologie ihre Zukunftsaussichten ein.
Meine Damen und Herren, die Ergebnisse dieser Umfrage bestätigen, daß die Art und Weise der Förderung richtig ist. Sicherlich wäre es wünschenswert,
die finanzielle Ausstattung dieser Programme zu erweitern. In Anbetracht der aktuellen Haushaltslage bin ich jedoch der festen Überzeugung, daß die Forschungsförderungsprogramme sowohl des BMBF als auch des BMWi ein Maximum an Förderung unter den gegebenen Bedingungen bewirken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kubatschka hat seine Rede mit der Begrüßung „Liebe Forschungsfamilie mit Gästen!" begonnen. Gestatten Sie deswegen, daß ich zu dieser forschungs- und innovationspolitischen Debatte auch einige Beiträge aus wirtschaftspolitischer Sicht leiste, wobei ich der Meinung bin, daß die Wirtschaftspolitik, gemessen an ihren Beiträgen, insbesondere auch Finanzbeiträgen, mehr als nur Gaststatus in dieser Debatte haben sollte.
Innovationen sind die Basis unserer Zukunft. Das hat, wenn ich das hier richtig verfolgt habe, inzwischen auch die Opposition erkannt. Ihre Vorwürfe, wir seien auf diesem Gebiet nicht aktiv genug, gehen allerdings ins Leere. Das zeigt - Frau Kollegin Bulmahn, ich bleibe dabei - auch die jüngste erfreuliche Entwicklung in diesem Bereich. Im Welthandel mit forschungsintensiven Gütern hat Deutschland auf geholt. Wenn ich mir dies im Bundesbericht Forschung 1996 im Tabellenanhang auf Seite 624 ansehe, so ist festzustellen, daß im Zeitraum zwischen 1989 und 1993 ein Rückgang stattgefunden hat. Aber Sie finden auch eine Fußnote, in der steht, daß ab 1991 gesamtdeutsche Zahlen zugrunde gelegt werden und diese deswegen mit den Vorjahreswerten nicht unbedingt vergleichbar sind. Unabhängig davon ist wichtig, daß wir seit 1993, also seit der Zeit, seit der wir die Standortdebatte führen, eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung haben.
Auch was den Anteil forschungsintensiver Branchen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung anbelangt, ist festzustellen, daß er höher als in den USA ist. Wir haben in Deutschland einen Anteil von 12,1, in Japan von 11,7 und in den USA von 7,9 Prozent. Bei den Weltmarktpatenten liegt Deutschland wieder an der Spitze. Auch hierauf haben Sie über einen längeren Zeitraum Ihre Argumentation aufgebaut. Aber nehmen Sie einmal die Abbildung 4.3. Sie sehen deutlich, daß wir nur 1989 - dies eben auch einigungsbedingt - einen Bruch hatten. Seitdem zeigt die Entwicklung aber wieder deutlich aufwärts. In der Graphik sind die Triate, Patente, je Million Beschäftigte dargestellt. Es ist klar, daß auf Grund der gestiegenen Zahl von Beschäftigten in Deutschland in 1989 ein Bruch erfolgen mußte.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?
Ja, selbstverständlich.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Haus bestätigen, daß die Leistungsbilanz bei Hochtechnologieprodukten noch immer defizitär ist und daß die Defizite in diesem Bereich sogar steigen, weil zwischen Patenten und Umsetzung natürlich noch etwas liegt?
Kollege Mosdorf, nach den Erfahrungen und den Argumentationen der Kollegin Bulmahn bin ich vorsichtig geworden, was Unterstellungen von seiten der SPD anbelangt. Ich will das gerne prüfen. Ich habe die Zahlen hier nicht präsent. Ich will Ihnen, wenn Sie das wollen, darauf schriftlich antworten.
- Alle Leistungsbilanzzahlen, insbesondere wenn Sie es dann noch ein bißchen spezialisieren, hat man natürlich nicht im Kopf. Ich bitte um Nachsicht.
Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?
Ich gestatte auch eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn. Das muß ich ja, nachdem ich Sie direkt angesprochen habe.
Ist Ihnen die Leistungsbilanz - ich habe sie dabei - bekannt?
- Herr Kolb kennt sie offensichtlich nicht.
Ich nenne noch einmal die Zahlenreihe. Sie haben gerade auf die Welthandelsanteile der OECD-Länder in bezug auf FuE-intensive Bereiche hingewiesen. In diesem Zusammenhang haben Sie einen Vergleich angeführt, der die Tatsache, daß es sich ab 1990 um Gesamtdeutschland handelte, nicht berücksichtigte. Ich frage Sie also, ob Sie folgende Zahlen vorliegen haben: 1989 betrug der Anteil Deutschlands 19,0 Prozent, 1990 - das gilt bereits für Gesamtdeutschland -19,1 Prozent, 1991 18,2 Prozent, 1992 18,6 Prozent, 1993 16,2 Prozent - das war das absolute Tief -, 1994 16,7 Prozent und 1995 17,1 Prozent. Das heißt, meine Aussage „minus 2 Prozent" trifft zu.
Es ist nicht zulässig, einen absoluten Tiefpunkt zum Maßstab zu nehmen. Vielmehr muß man die Reihe betrachten. Wenn man das tut, stellt man fest, daß wir uns eben nicht auf dem Stand unmittelbar nach der Einigung Deutschlands befinden, sondern noch eine Menge nachzuholen haben. Diese Tatsache kann man einfach nicht ignorieren. Von daher: Betrachten sie doch bitte die Reihe!
Was war jetzt Ihre Frage, Frau Kollegin Bulmahn?
Ob Ihnen die Reihe bekannt ist, Herr Kolb. - Offensichtlich nicht.
- Genau: ob Sie bereit sind, sich die Zahlen für die Zukunft zu merken.
Frau Kollegin Bulmahn, ich habe mich auf die Debatte natürlich gut vorbereitet. Ich habe den Bericht dabei, ich habe auch die Seite 76 aufgeschlagen. Ich kann Ihnen bestätigen: Sie haben die Zahlen richtig vorgelesen. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe: Ab 1993 - dem Zeitpunkt, ab dem wir die Standortdebatte so intensiv führen - gibt es einen deutlichen Aufwärtstrend. Wir brauchen gar nicht darüber zu streiten, daß es in 1991/92 einen starken Bruch gab. Ab 1993 zeigt die Entwicklung deutlich nach oben. Das zeigt: Wir sind mit unserer Forschungs- und Innovationspolitik auf einem guten Weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung unterstützt die Forschungs- und Innovationsentwicklung mit einer Doppelstrategie für mehr Innovationsdynamik. Zum einen verbessern wir die Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen, zum anderen haben wir konkrete Maßnahmen entwickelt, die die Gründung technologieorientierter Unternehmen fördern, die die Innovationsfähigkeit mittelständischer Unternehmen stärken und die neue Technologiefelder erschließen.
Wir haben damit innovationspolitische Akzente gesetzt, von denen ich als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung nur einige wenige aufgreifen möchte: Erstens - ergänzend zu dem, was Minister Rüttgers hier gesagt hat -: Die Kultur der Selbständigkeit wird weiter ausgebaut. Der Kollege Schily ist nicht mehr hier, aber vielleicht kann er es im Protokoll nachlesen: Die Selbständigenquote ist in den letzten Jahren, seit 1982, in der Tat wieder angestiegen. Heute haben wir eine Selbständigenquote von 8,9 Prozent. Das ist zugegebenermaßen etwas weniger als Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre - damals betrug sie 14 Prozent -, aber das unterstreicht nur, wie wichtig es ist, daß wir auf dem Feld der Existenzgründungen voranschreiten, auch und gerade aus Gründen der Beschäftigung.
Übrigens haben 1997 rund 500 000 Mitbürger den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. Das Problem, wenn man es denn so nennen darf, ist, daß im gleichen Zeitraum 430 000 Existenzen liquidiert - nur ein
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Teil von ihnen ist in Konkurs gegangen - worden sind. Wenn wir uns hier über Selbständigkeit unterhalten, müssen wir auch fragen, wie der Saldo - die Nettogröße: Unternehmensgründungen pro Jahr - deutlich stabilisiert und gesteigert werden kann.
Wir fördern die Selbständigkeit durch eine Reihe von Maßnahmen: Wir unterstützen mit gut 2 Milliarden DM mittelständische Unternehmen im Rahmen des EigenkapitalhilfeProgramms. Im Rahmen des ERP-Innovationsprogramms haben wir 1,5 Milliarden DM zur Verfügung, um Unternehmen bei der Lösung ihrer Innovationsfinanzierung zu helfen. Mit dem von uns gestarteten Beteiligungsfonds Ost leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Eigenkapitalsituation. Und: Die verbesserten Rahmenbedingungen werden ergänzt durch spezifische Fördermaßnahmen wie das Beteiligungsprogramm für technologieorientierte Unternehmen, dessen Volumen allein im letzten Jahr um rund 50 Prozent gestiegen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muß also ganz deutlich sehen: Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausstattung mit Eigenkapital und der Innovationsfähigkeit eines Unternehmens. Deswegen ist es so wichtig und richtig, daß wir hier einen Schwerpunkt setzen.
All diese finanziellen Fördermöglichkeiten werden aber allein nicht ausreichen, weil der Schritt zur Selbständigkeit in den Köpfen anfangen muß. Deutschlands Hochschulen - um es so drastisch zu sagen - produzieren zuwenig Unternehmer. Fast jeder zweite Hochschulabsolvent - über 40 Prozent - versucht beim Staat unterzukommen. Nur jeder zehnte wagt den Schritt in die Selbständigkeit.
Deswegen brauchen wir auch eine neue Wissenschaftskultur der Selbständigkeit.
Die Bundesregierung hat hier gehandelt. Ich habe eine Initiative zur Errichtung von Existenzgründungslehrstühlen und Lehrstühlen für Betriebsführung in mittelständischen Unternehmen an deutschen Hochschulen ins Leben gerufen und - das kann man aus heutiger Sicht sagen - voll ins Schwarze getroffen. An verschiedenen Hochschulen in den alten und den neuen Bundesländern laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Es gibt mittlerweile an der privaten European Business School einen ersten Lehrstuhl. Der Vorlesungsbetrieb wird im nächsten Semester aufgenommen. Wir sind dabei, in Witten-Herdecke, in Berlin, in Dresden, in Karlsruhe, in Köln, in Magdeburg und in Mannheim entsprechende Lehrstühle vorzubereiten.
Unser Ziel, flächendeckende Aktivitäten für Existengzründungslehrstühle anzustoßen, haben wir damit schon fast erreicht. Es vergeht kaum ein Monat, in dem wir nicht neue Anfragen seitens der Hochschulen, aber auch seitens potentieller Sponsoren erhalten. Das zeigt: Wir sind auf gutem Wege, die Kultur der Selbständigkeit auch in den Köpfen zu verankern.
Ich fasse mich jetzt etwas kürzer.
Zweitens. Die Brücke zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung wird weiter gestärkt. Die industrielle Gemeinschaftsforschung mit ihren über 100 Forschungsvereinigungen hilft Meinen und mittleren Unternehmen, gemeinsam anwendungsorientierte Grundlagenforschung durchzuführen. In diesem Jahr werden neben den 1400 laufenden Projekten zirka 350 Projekte neu gestartet.
Drittens. Der Aufbau und die Sicherung der Forschungskapazitäten in Ostdeutschland wird fortgesetzt und weiter beschleunigt. Der Prozeß der Umstrukturierung und des Neuaufbaus ist gut vorangekommen. Die Bundesregierung und die neuen Länder haben seit 1991 rund 6,6 Milliarden DM für die ostdeutsche Industrieforschung bereitgestellt, davon das Bundeswirtschaftsministerium 2,2 Milliarden DM.
Mit 20 Agenturen für Technologietransfer und Innovationsberatung sowie mit 13 technologiespezifischen Transferzentren in den neuen Bundesländern beschleunigen wir die Umsetzung neuer Ideen. Mit dem technologieorientierten Besuchsprogramm TOP fördern wir den Technologieaustausch auf Unternehmensebene.
Aber trotz dieser unbestreitbaren Erfolge sieht die Bundesregierung weiteren Handlungsbedarf. Deswegen sind die FuE-Maßnahmen integraler Bestandteil des im Mai letzten Jahres beschlossenen mittelfristigen Förderkonzepts für die neuen Länder. Damit sind die forschungs- und innovationspolitischen Weichen für den Aufbau Ost bis zum Jahr 2004 gestellt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung setzt auf einen breiten Ansatz der Innovationspolitik, der ganz entscheidend auf die Schaffung und Nutzung unternehmerischer Handlungsspielräume zielt. Es ist zuallererst Aufgabe der Unternehmen, die Märkte von morgen zu suchen. Der Staat kann hierbei nur Hilfestellung leisten. Genau dies haben wir getan, und genau dies werden wir auch künftig konsequent weiter tun.
Vielen Dank.
Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen.
Zunächst zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Bundesbericht Forschung 1996. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Bundesbericht Forschung 1996. Das ist Drucksache 13/7128 Nr. I Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7128 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Es ist beantragt worden, die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf Drucksachen 13/9744 und 13/9746 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zu neuen Prioritäten zugunsten einer sozialverträglichen Forschungs- und Technologiepolitik; das ist Drucksache 13/7866. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die gesamte Opposition abgelehnt worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer innovativen Forschungs- und Technologiepolitik; das ist Drucksache 13/6181. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3979 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Risikokapital für junge Technologieunternehmen. Das finden Sie auf Drucksache 13/6182. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3302 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die gesamte Opposition angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer neuen Innovationskultur; Drucksache 13/7010. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5962 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei etlichen Enthaltungen der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu neuen Akzenten bei der Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe a, seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7768 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Unter Buchstabe b) seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7768 empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der SPD auf Drucksache 13/4967 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Damit sind wir am Schluß der Abstimmungen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15a und 15 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Schönberger, Elisabeth Altmann , Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaften für den Weiterbau des AKW Mochovce
- Drucksache 13/5142 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt , Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratische, ökologische und entwicklungspolitische Gestaltung der Vergabe von Hermes-Bürgschaften
- Drucksache 13/8724 - Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
bei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sechs Minuten erhalten soll. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Schmitt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die politische Ausgestaltung des Hermes-Instrumentariums.
Die Hermes-Kreditversicherung ist das wichtigste Instrument bundesdeutscher Außenhandelsförderung. Als Politikinstrument muß sich auch die Exportförderung darauf überprüfen lassen, ob sie anderen Politikzielen zuwiderläuft. Daß das zweite zutrifft, zeigt die Gewährung von Hermes-Bürgschaften für den Drei-Schluchten-Staudamm in der Volksrepublik China.
Bislang ist allerdings nicht abschließend geklärt, inwieweit bei der Gewährung von Exportbürgschaften außer rein ökonomischen auch andere Kriterien berücksichtigt werden. Der Bundeswirtschaftsminister erweckt den Eindruck, als gehe es in erster Linie um Rentabilitätsfragen und finanzielle Risiken.
Die Existenz des interministeriellen Ausschusses, der letztlich über die Gewährung von Ausfuhrbürgschaften entscheidet, deutet allerdings darauf hin, daß ganz allgemein die Frage eine Rolle spielt, ob die Gewährung einer Bürgschaft den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Dies sind sicherlich nicht nur rein ökonomische Interessen; sondern da spielt Politik ganz allgemein eine Rolle.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage des Kollegen Ingomar Hauchler, SPD, selbst eingeräumt, daß umweltpolitische und menschenrechtliche Kriterien bei der Beurteilung einer Exportgewährleistung sehr wohl eine Rolle spielen können. Man kann also festhalten: Die Bundesregierung läßt sich in ihrer Entscheidungsfindung prinzipiell auch von politischen Kriterien leiten. Das behauptet sie zumindest. Ich verweise unter anderem auf die restriktive Handhabung von Rüstungsexporten, wenn das auch bei weitem nicht ausreichend ist.
Worüber streiten wir uns also? Reicht das Instrumentarium aus, reichen die Regeln aus, um bei der Bürgschaftsgewährung entsprechende Politikziele verfolgen zu können? Wir glauben, daß die bestehende Situation erhebliche Defizite aufweist: Erstens ein Transparenzdefizit. Obwohl es sich bei Hermes-Krediten um ein Politikinstrument handelt und ein öffentliches Interesse an der Handhabung eines solchen Instrumentes besteht, ist die Beteiligung der Öffentlichkeit und des Parlamentes unzureichend. In Zukunft soll Transparenz sichergestellt werden, indem die Öffentlichkeit und das Parlament erfahren, wer für welches Projekt welche Deckungssumme beantragt hat.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang wird eingewandt, derartige Publizität stelle einen Wettbewerbsnachteil dar; es handele sich bei diesen Informationen um schützenswerte Betriebs- und Geschäftsdaten.
Blicken wir über den Tellerrand: Die US-amerikanische Eximbank - das Pendant zu Hermes - kommt unseren Vorstellungen von Transparenz und Beteiligung der Öffentlichkeit sehr viel näher. Allerdings wird niemand behaupten, daß US-amerikanischen Firmen daraus gravierende Wettbewerbsnachteile entstehen.
Zweites Defizit. Entgegen den Bekundungen der Bundesregierung gegenüber dem Kollegen Hauchler deutet die Praxis der Bürgschaftsgewährung darauf hin, daß bei der Entscheidungsfindung letztlich allein kommerzielle Kriterien Berücksichtigung finden. Beispiele: Drei-Schluchten-Projekt in China - wie erwähnt -, die Gewährung von Bürgschaften für den Weiterbau des Atomkraftwerkes Mochovce in der Slowakei, der Export von Rüstungsgütern in die Türkei, nach Indonesien oder Korea.
Damit es zu einem ausgewogeneren Verfahren kommt, schlagen wir vor, daß in Zukunft das Bundesumweltministerium und - neben den Vertretern der Wirtschaftsverbände - unabhängige Entwicklungs-
und Umweltexperten an den Beratungen beteiligt werden. Dabei ist natürlich Vertraulichkeit zu wahren; das versteht sich von selbst.
Meine Damen und Herren, daß es so etwas wie einen kalten Krieg an der Außenhandelsfront gibt, habe ich an anderer Stelle schon einmal erwähnt. Die G-8-Staaten haben das auf ihrem Gipfel in Denver im Grunde genommen anerkannt, indem im Abschlußkommuniqué festgestellt wurde, daß die Exportförderungspolitiken der größten Industriestaaten einer Harmonisierung bedürfen. Wir denken, daß dies als Akt einer ökonomischen Rüstungsbegrenzung durchaus Sinn macht und daß die Bundesregierung dieses Anliegen tatkräftig unterstützen sollte.
Ein international abgestimmtes Vorgehen hätte im übrigen auch die internationale Kontroverse zum Drei-Schluchten-Projekt, die letztlich für die amerikanische Initiative in Denver verantwortlich war - ich erwähnte das Abschlußkommunique -, zu einem besseren Ergebnis geführt. Man muß hier noch einmal sagen: Letztlich hat es die Bundesregierung zu verantworten, daß diese Chance versäumt wurde.
Ich möchte noch kurz die Korruptionsbekämpfung ansprechen. Welche Folgen eine endemisch um sich greifende Korruptionskultur haben kann, erleben wir derzeit in Südostasien und speziell in Indonesien. Insider geben freimütig zu, daß bis zu 20 Prozent der Auftragssumme als Schmiergelder zu zahlen sind. Das Hermesinstrumentarium muß so ausgerichtet werden, daß dies in Zukunft unterbleibt.
Zwei Bemerkungen zum Schluß: Erstens. Die Kompetenz und Qualität der Risikobewertung der Hermes-Versicherungs-AG selbst ist zumindest in Zweifel zu ziehen, wenn man in „Die Zeit" vom 17. Oktober letzten Jahres blickt. Darin hat der Chef der Her-
Wolfgang Schmitt
I mes-Versicherungs-AG, Herr Dr. Janus, die Zahlungsunfähigkeit Indonesiens - obwohl die Zeichen in eine andere Richtung deuteten - schlicht und einfach damit bestritten, daß er behauptete, Indonesien verfüge über Währungsreserven in Höhe von 28 Milliarden US-Dollar. Wir wissen, daß sie längst wie der Schnee in der Sonne dahingeschmolzen sind.
Zweitens. Wir rufen mit unserem Antrag nicht zum Sturm auf ein Instrument der deutschen Exportförderung auf, sondern zu dessen Reform im Sinne der Politikziele, die auch der Bundeskanzler nicht müde wird auf internationalen Konferenzen als handlungsleitend für die Politik der Bundesregierung und für die Bundesrepublik Deutschland zu reklamieren. In diesem Sinne dürfte Ihnen, meine Damen und Herren, eine wohlwollende Behandlung unseres Antrages wohl nicht allzu schwer fallen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Fritz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schmitt, es ist gut, daß Sie zu dem ersten der beiden Anträge, über die heute debattiert wird, nichts gesagt haben, denn dazu ist eigentlich alles gesagt worden. Es gibt seit 1995 keine neuen Argumente. Es ist alles durch Antworten auf Anfragen und in Ausschußberatungen gesagt worden. Die Nachrüstung des Kernkraftwerks in Mochovce ist sinnvoll. Sie ist ohnehin beschlossen. Sie bringt einen Gewinn an nuklearer Sicherheit. Dies ist sowohl in unserem Interesse als auch im Interesse der Nachbarländer und Europas. Es wird deshalb von der Europäischen Union unterstützt.
Der Antrag mit dem schönen Titel „Demokratische, ökologische und entwicklungspolitische Gestaltung der Vergabe von Hermes-Bürgschaften", zu dem Sie jetzt hauptsächlich gesprochen haben, hat einen langen Vorlauf. Die Diskussion ist nicht neu. Wir kennen das Anliegen aus vielen Gesprächen und Diskussionen mit Nicht-Regierungsorganisationen. Ich diskutiere mit diesen Gruppen gern auch über dieses Anliegen, weil ich weiß, daß die entwicklungspolitischen Anliegen und die Sorge um Umweltschäden von ihnen sehr ernst genommen werden.
Ich weiß allerdings nicht, ob es richtig ist, daß die Grünen dies nun 1 : 1 als Antrag vorlegen. Es könnte bedeuten, daß dieser Antrag nur eine Facette der außerparlamentarischen Diskussion ist. Sie müßten schon noch das eine oder das andere dazutun.
- Nein, die Transportfunktion ist in Ordnung. Aber das kann nicht alles sein.
Ich halte es für völlig in Ordnung, daß die Diskussion über Hermes zum Anlaß genommen wird, auf Projekte hinzuweisen, die Eine-Welt-Gruppen, kirchliche Organisationen, Friedensgruppen oder Umweltgruppen für falsch halten. Es ist aber sicher auch keine Überinterpretation, wenn man sagt, daß das Instrument der Außenwirtschaftsförderung durch Ausfuhrgewährleistungen natürlich nur deshalb von diesen Gruppen genutzt wird, um daran die Kritik am Staat festmachen zu können. Wenn man sich anders verhalten würde, müßte man mit vielen Adressaten umgehen. Das muß man wissen, wenn man sich damit auseinandersetzt.
Ich glaube, daß auch in diesem Antrag die Bedeutung von Hermes überschätzt wird. Es ist zum Teil eine symbolische Diskussion, auch wenn ich anerkenne, daß es den Beteiligten darum geht, daß in einer globalisierten Welt eine politische, soziale, ökologische und wirtschaftliche Verantwortung auch von den handelnden Unternehmen eingefordert werden muß. Denn in einer Welt, in der in allen Bereichen Zusammenhänge und Abhängigkeiten bestehen, kann nicht in bestimmten Teilen der Welt ohne Schaden für alle verantwortungslos gehandelt werden. Darin sind wir uns hoffentlich einig.
Diese Position unterstützen auch wir. Deshalb gibt es eine Fülle von Initiativen im Bereich des internationalen Umweltschutzes, der Politik für Menschenrechte und in anderen eingeforderten Politikbereichen.
Die Maßstäbe auf der Welt sind allerdings ziemlich unterschiedlich. Wir können nicht davon ausgehen, daß sich alle nur auf Grund der Diskussion hier schon nach unseren Maßstäben richten. Wir alle wissen, daß im Zuge einer Marktöffnung auch Standards transportiert werden. Das ist auch gut so. Das heißt aber natürlich nicht, daß jeder Standard, den wir für richtig halten, auch schon vom Rest der Welt anerkannt wird.
Konkret auf Ihren Antrag bezogen heißt das: Das Hermes-Instrument wird überschätzt, weil es nur bei 5 Prozent der deutschen Exporte angewandt wird. Es geht also um einen Umfang von 35 Milliarden DM. Der weitaus größte Teil kommt ohne staatliche Absicherung zustande und wird über Banken finanziert. Wichtig ist auch: Die meisten der Investitionen, deren Risiko auf diese Weise abgesichert wird, würden auch ohne solche Absicherung zustande kommen; dann wären allerdings deutsche Unternehmen eventuell nicht beteiligt. Die kurzfristigen Risiken sind übrigens seit einiger Zeit nur noch Angelegenheit der privaten Versicherungswirtschaft. Auch das ist gut so.
Die Richtlinien, nach denen entschieden wird, sind veröffentlicht und damit öffentlich zugänglich. Auch das ist richtig so. Die Entscheidungen im interministeriellen Ausschuß werden unter Beteiligung der von Herrn Schmitt schon genannten Ministerien getroffen. Für die Praxisnähe sorgen Vertreter der Wirtschaft, die allerdings kein Stimmrecht haben. Die Ministerien müssen im Einvernehmen entscheiden; nur der Finanzminister hat ein Vetorecht. Umgesetzt werden die Entscheidungen von dem Mandatarkonsortium aus Hermes Kreditversicherungs-AG und C&L Deutsche Revision AG. Auch das ist richtig so. Im Jahr sind es etwa 30 000 Anträge, die anders gar nicht abzuwickeln wären.
Erich G. Fritz
Die Zusammensetzung des IMA zeigt, daß der Wille besteht, neben den wirtschaftlichen Aspekten wie Arbeitsplatzwirksamkeit, Markterschließung sowie branchenmäßigen und strukturellen Überlegungen auch Gesichtspunkte in die Prüfung der Anträge eingehen zu lassen, die sich mit entwicklungs-, außen- und umweltpolitischen Fragestellungen befassen. Allerdings sagt die Bundesregierung auch ganz offen: Hermes ist kein umwelt- oder entwicklungspolitisches Instrumentarium, sondern ein Außenwirtschaftsförderungsinstrument, das Wettbewerbsgleichheit und Beweglichkeit insbesondere auf schwierigen Märkten sichern soll. Natürlich ist da von Bedeutung, daß man sich bemüht, dieses zu harmonisieren.
Die Zielsetzung dieses Instruments ist nicht verwerflich, aber natürlich will auch niemand, daß durch Ausfuhren aus Deutschland Umweltschäden und politische Schäden entstehen. Deshalb müssen die Aspekte abgewogen werden. Der Besteller ist natürlich nicht die Bundesregierung, sondern ein Kunde im Ausland. Dem zu erklären, daß er eigentlich etwas ganz anderes haben sollte, als er bestellt hat, dürfte schwerfallen. Übrigens würden Sie von den Grünen wahrscheinlich die Anwendung einer solchen Verkaufspraxis gegenüber den privaten Verbrauchern im Inland sehr in Frage stellen.
Daß das Hermes-Instrumentarium trotz gelegentlich vorgetragener Kritik ein hohes Ansehen genießt, liegt nicht zuletzt darin begründet, daß es nahe an der wirtschaftlichen Praxis ist, . daß schnell entschieden werden kann - das ist ganz entscheidend - und daß man sich sehr flexibel auf neue Situationen einstellen kann. Immer wenn sich irgend etwas geändert hat, sowohl in der Lage der Länder als auch hinsichtlich der Frage, auf welche Risiken man bei der Gewährung Rücksicht nehmen muß, ist das schnell gegangen. Es wurde also immer sehr flexibel gehandhabt. Die heutige Form ist ein Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Viele Aufträge kämen sonst nicht zustande; somit entstünden dann auch keine Arbeitsplätze.
Sieht man die Forderungen der Grünen zur Neugestaltung von Hermes an, so lassen sie doch vermuten, daß Mißtrauen angebracht ist. Viele Vorschläge lassen nämlich den Eindruck entstehen, daß ein sehr formalisiertes Verfahren entstehen könnte, das das Instrument in kurzer Zeit obsolet werden ließe. Mehr Bürokratie in der Außenwirtschaft brauchen wir nicht. Auch längere Verfahren können wir nicht gebrauchen.
Sie, Herr Schmitt, haben das Drei-Schluchten-Projekt angesprochen. Das ist ein Musterbeispiel dafür, daß solche Fragestellungen natürlich nicht ohne weiteres streitfrei zu stellen sind. Das ist ja auch gar nicht sinnvoll. Aber das zeigt, wie unterschiedlich die Betrachtungsweise ist. Es wird in diesem Zusammenhang als großes menschenrechtliches Problem angesehen, daß dort 1,2 Millionen Leute umgesiedelt werden. Das ist ein Promille der chinesischen Bevölkerung. Umsiedlungen dieser Art hat es auch schon häufig in Deutschland in einer vegleichsweisen Größenordnung gegeben. Im Braunkohlebergbau oder
bei Staudammprojekten war das gar nichts Außergewöhnliches.
Daß das nicht unter den gleichen Bedingungen geschieht, das wissen wir auch. Doch die Bewertung, die daraus zu treffen ist, ist eben nicht so einfach, genauso wie die Bewertung der Folgen für die Umwelt nicht so einfach ist. Vermutlich können Sie daher das, was in Ihrem Antrag steht, nicht realisieren. Um dort ein umfangreiches Ökobilanzierungsverfahren in Gang zu setzen, bräuchten Sie allein schon für eine Beurteilung die Ergebnisse des Zeitraums einer Vegetationsperiode. Bis dahin ist das Projekt schon gebaut bzw. von anderen geliefert. Das geht nicht. Ich kann mir schon gar nicht vorstellen, daß man diejenigen Verifikationsverfahren, die Sie vorgeschlagen haben, im nachhinein mit riesigen Verwaltungsverfahren durchführt. Darüber muß man intensiv sprechen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmitt?
Aber gerne.
Herr Kollege Fritz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die US-amerikanische Eximbank, die sicherlich nicht im Rufe steht, ein vollkommen wirkungsloses, ineffektives und schwerfälliges Instrument zu sein, sehr wohl - natürlich auf politische Weisung hin - eine umfangreiche Überprüfung der umweltpolitischen Implikationen des DreiSchluchten-Projekts in der Volksrepublik China vorgenommen hat? Würden Sie darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, daß die amerikanische Eximbank nach Überprüfung des Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als die bundesdeutsche Hermes-Versicherung gekommen ist und daß dieses Überprüfungsverfahren nicht grundsätzlich die Wirksamkeit auch der US-amerikanischen Exportförderung in Frage stellt?
Ich nehme das zur Kenntnis; ich muß gestehen, daß ich es sogar schon wußte.
Doch es gibt einen kleinen Unterschied: Diese Bewertung der umweltpolitischen Zusammenhänge des Drei-Schluchten-Projekts ist in Amerika im Endeffekt nicht nur eine ökologische Entscheidung gewesen, sondern auch eine politische. Sie wissen sehr wohl - Sie haben das ja genau nachvollzogen und viel darüber diskutiert -, daß es eine sehr differenzierte umweltpolitische Betrachtungsweise gibt und daß es nicht nur eine Meinung zu diesem Problem gibt. Sie wissen, daß es auch Aussagen gibt, die abwägen: umweltpolitische Auswirkungen, Ersatz von CO2- Emissionen, Schutz von 30 Millionen Bürgern am Unterlauf des Jangtse vor Überschwemmungen usw. Dies sind Dinge, die man zwar nicht mathematisch
Erich G. Fritz
bilanzieren kann, deren Abwägung man einem Land aber schon selbst überlassen muß.
Dies darf nicht ohne Prüfung geschehen; gleichwohl muß man respektieren, daß solche Abwägungen in einem anderen Land geschehen und daß dann, wenn das Land sich entschieden hat, zu bauen, auch tatsächlich gebaut wird. Natürlich bauen auch die Amerikaner mit. Die amerikanische Regierung hat nichts getan, um amerikanische Unternehmen davon abzuhalten, sich auf Ausschreibungen dieses Projektes zu bewerben.
Rigorismus in der Beurteilung ersetzt eben noch nicht den Willen des Landes, ein Projekt zu bauen. Das müssen wir so akzeptieren.
Ich möchte noch eine Anmerkung zu einem weiteren Anliegen des Antrages machen. Es interessiert schon viele im Parlament und in meiner Fraktion, wie und nach welchen Kriterien denn die von der Bundesregierung immer wieder zugesicherte Abwägung der Beurteilungsfaktoren vonstatten geht. Wir möchten als Parlamentarier schon gerne wissen, wie die Regierung diese Arbeit macht.
Was wir von der CDU/CSU allerdings nicht machen wollen, ist die Arbeit der Exekutive. Das soll die Exekutive schon selbst machen. Wir wollen aber in der Lage sein, das Regierungshandeln zu überprüfen. Ob die praktizierte Berichtsweise dazu ausreicht, das werden wir in der Diskussion einmal ausloten. Die pausenlose und dann öffentliche Behandlung der Anträge ist sicherlich auch nicht der richtige Weg; mit dieser Forderung schießen die Grünen über das Ziel hinaus.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist es, wenn die Grünen immer wieder den Eindruck zu vermitteln versuchen, Hermes sei ein Instrument des Rüstungsexports. Es handelt sich um wenige Schiffe und Motoren für Küstenschutzboote und ähnliche Dinge, die insgesamt 1 Prozent der Gesamtausgaben ausmachen. Das können Sie nun wirklich nicht zum Hauptpunkt der Diskussion stilisieren.
Mir erscheint die Harmonisierung in der EU und in der OECD sehr wichtig. Ich glaube, daß die Bundesregierung in diesem Bereich eine sehr konstruktive Rolle spielt. Wir werden das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Aber wir werden sicher auch nicht ein bewährtes Instrument heiligsprechen, nur weil man sich daran gewöhnt hat.
Wenn heute in diesem Zusammenhang über weitere Privatisierungen gesprochen wird, finde ich das gut. Wenn es Private gibt, die noch einen größeren Teil dieser Absicherung übernehmen können, dann sollen sie das tun. Sie können das allemal besser als der Staat.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit einem wichtigen Instrumentarium der Außenwirtschaftsförderung. Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen zunächst einmal sagen, daß sich das Hermes-Instrumentarium, das wir seit vielen Jahrzehnten kennen, gut bewährt hat. Man muß dafür dankbar sein, daß man mit diesem Instrumentarium eine gute Absicherung vieler außenwirtschaftlicher Projekte erreicht hat. Man muß auch denjenigen, die sich hier besonders engagieren - das Stichwort 30 000 Anträge ist eben schon gefallen - danken.
Solche Instrumentarien wie die Hermes-Versicherung sind im Bereich der OECD-Volkswirtschaften nicht so oft vertreten. Zu dieser Erkenntnis kommt man, wenn man die Eximbank in den USA betrachtet. Es gibt bei uns also durchaus gewachsene Strukturen, die beizubehalten sich lohnen.
Was wir wollen, ist eine Reform der Hermes-Strukturen und eine Reform der Instrumente, die es in diesem Bereich gibt, weil wir glauben, daß sich die Weltwirtschaft ganz grundlegend verändert hat. Diese Veränderung führt dazu, daß in zunehmendem Maße gar nicht mehr so sehr die Produkte an sich, sondern die Finanzierung der Produkte entscheidend sind. Wir haben bei vielen Gelegenheiten immer wieder gesehen, daß manche Auftragserteilungen an der Finanzierung gescheitert sind. Wir merken zunehmend, daß die Finanzierungsfrage zur kardinalen Wettbewerbsfrage wird.
Wenn man sich anschaut, wie manche OECD- Volkswirtschaften mit soft loans operieren und uns damit sozusagen wegkonkurrieren, obwohl unsere Produkte gleichwertig sind und nur Unterschiede in der Finanzierungsfrage bestehen, dann muß man feststellen, daß die Frage, wie man mit diesem Problem im Zuge der Globalisierung umgeht, sehr wichtig ist.
Ich möchte gern zehn Punkte nennen, die wir für reformbedürftig halten und von denen wir glauben, daß es für sie einen dringenden Handlungsbedarf gibt und daß man sie nicht unverändert lassen kann.
Der erste Punkt betrifft die Frage der Harmonisierung. Wir haben innerhalb der europäischen Volkswirtschaften, aber auch in den anderen OECD-Volkswirtschaften völlig unterschiedliche Deckungspolitiken und unterschiedliche Deckungskonditionen, die natürlich - das gilt immer, wenn staatliche Dekkungsinstrumente vorgesehen sind - die Wettbewerbssituation verzerren. Wir können nicht auf ein gemeinsames Europa zusteuern, wenn wir in diesem Punkt nicht zu einer Harmonisierung kommen. Das führt nämlich ansonsten zu einer Verzerrung von Wettbewerbsstrukturen. Deswegen brauchen wir möglichst rasch - und nicht erst 1999, wenn OECD- Vereinbarungen vorgesehen sind - harmonisierte Handlungsweisen. Wir brauchen sie schneller, weil jetzt über die Aufteilung des Weltmarktes entschieden wird.
Siegmar Mosdorf
Der zweite Punkt. Wir wollen eine stärkere Ausrichtung des Hermes-Instrumentariums in Richtung Versicherungsstrukturen und Versicherungsgebühren in bezug auf den Mittelstand. Es ist wahr: Von den 30 000 Anträgen sind 73 Prozent vom Mittelstand gestellte Anträge. Wenn man sich aber die Volumina ansieht, dann stellt man fest, daß hier das Verhältnis genau umgekehrt ist. Der Mittelstand hat dann nur einen relativ kleinen Anteil. Wir wollen deshalb einen stärkeren Akzent auf die Förderung des Mittelstandes legen. Wir wollen, daß der Mittelstand das Instrumentarium, das er teilweise gar nicht kennt und das er teilweise wegen der Komplexität zuwenig nutzt, stärker nutzen kann. Man sollte dem Mittelstand möglicherweise mit speziellen Prämienrabatten besonders helfen.
Es gibt einen dritten Punkt, der uns besonders wichtig ist. In der Veränderung der weltwirtschaftlichen Strukturen nach der Auflösung des Ost-WestSystemgegensatzes gibt es eine ganze Reihe von neuen aufstrebenden Volkswirtschaften, die teilweise noch nicht so bekannt sind. Diese entwickeln sich vor allen Dingen in den Ländern stetig, in denen zum Beispiel, wie im Falle von Georgien oder Aserbaidschan, Rohstoffe eine große Rolle spielen. Wir wollen, daß die Prämienstruktur angepaßt wird und daß zum Beispiel der Rußland-Plafond von 1,5 Milliarden DM auf 2 Milliarden DM erhöht wird. Wir wollen weiterhin, daß für Georgien und Aserbaidschan Sonderplafonds vorgesehen werden, damit wir auf dem Sektor der Exportaktivitäten rascher vorankommen.
Vierter Punkt. Für den Export in die lateinamerikanischen Staaten müssen die Gebühren gesenkt werden - für sie muß es andere Kategorien geben -, weil wir dort unmittelbar mit Wettbewerbern wie Spanien und Italien, aber auch Nordamerika konfrontiert sind, die uns dort mit anderen Gebührenstrukturen den Wettbewerb sehr schwer machen. Wir haben noch immer Gebührenstrukturen in einer bestimmten Wettbewerbskategorie in lateinamerikanischen Ländern, die eine Benachteiligung für die deutsche Wirtschaft bedeuten.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der besonders wichtig ist. In demselben Maße, wie die Globalisierung der Weltwirtschaft voranschreitet, exportiert man nicht von einem zentralen Punkt aus Güter in die ganze Welt, sondern produziert teilweise dezentral, von zentral gesteuerten Unternehmen aus in quasi transnationalen Strukturen. Das führt auch dazu, daß man große Infrastrukturprojekte nicht mehr in Teilen anliefert, sondern in Projekten direkt vor Ort erstellt und teilweise sogar die Beteiligung übernimmt. Für diese Hermes-Beteiligung gibt es bisher keine Versicherungsstrukturen. Das ist ein wichtiger Punkt. Insbesondere bei großen Infrastrukturprojekten wird es zunehmend zu direkten Beteiligungen derer, die diese Infrastrukturen erstellen, kommen. Dazu braucht man eine spezielle Form der Versicherung. Das wäre ein neuer Ansatz, den wir bisher nicht haben.
Fünfter Punkt. Die Wertschöpfungs- und Produktionstiefe muß bei den Hermes-Bürgschaften berücksichtigt werden. Wir wollen das nicht protektionistisch anlegen, aber wir wollen schon, daß bei Exportgeschäften vor allem diejenigen Güter abgesichert werden können, deren Wertschöpfungskette in Deutschland ist, das heißt, bei denen man nicht 80 oder 90 Prozent zukauft und wo hier nur die Holding ist, die die Güter dann exportiert oder die entsprechenden Verträge macht. Die Frage, wo die Wertschöpfungskette ist, ist für uns wichtig. Auch das muß bei Hermes bedacht werden.
Sechster Punkt. Exporte sollten nach unserer Auffassung auf Umwelt- und Entwicklungsverträglichkeit geprüft werden, auch strenger geprüft werden. Dazu haben wir eben schon ein Beispiel gehört. Ich glaube, daß das zunehmend eine Rolle spielen wird, wenn man das partnerschaftlich und nicht oberlehrerhaft gegenüber den Schwellenländern macht. Wenn man das gemeinsam macht, kann das möglicherweise sogar ein Wettbewerbsvorteil sein. Es gibt Beispiele, daß Schwellenländer, die an bestimmten Produkten und Infrastrukturen interessiert sind, mit den Exportländern gemeinsame Umweltverträglichkeitsprüfungen und ähnliche Dinge mehr machen. Ich meine, wir sollten hier unser Instrumentarium verbessern.
Siebter Punkt. Wir glauben, daß wir bei der Förderung der Umwelttechnik, wo wir heute einen Weltmarktanteil von 18, 19 Prozent haben, bei der Hermes-Absicherung eine besondere Prämierung vorsehen sollten. Damit könnten wir diese wichtige Weltmarktposition festigen und stabilisieren und gleichzeitig einen Beitrag zur Entwicklung in den Ländern leisten. Wenn man so will, ist das eine spezielle Rabattierung bei den Prämien für bestimmte Umwelttechnikprojekte. Damit könnte man uns und gleichzeitig diesen Ländern helfen.
Achter Punkt. Die Vergaberichtlinien müssen um eine Antikorruptionsklausel ergänzt werden. Die Exporteure müssen versichern, keine Schmiergelder anzunehmen. Der Versicherungsschutz soll bei nachgewiesener Korruption automatisch erlöschen.
Das ist eine wichtige Sache, die man in die Spielregeln aufnehmen muß. Ich glaube, daß das eine präventive Wirkung hat. Wenn man das in die Vergaberichtlinien aufnimmt, wird sich mancher überlegen, wie er bei solchen Dingen verfährt. Ich weiß, daß das ein schwieriger Punkt ist, weil viele Länder in der Tat mit solchen Instrumentarien arbeiten. Aber das darf uns nicht davon abhalten, hier mit einem guten Beispiel voranzugehen.
Neunter Punkt. Wir sollten noch präziser darüber reden - das wird teilweise schon getan, aber wir sollten das auch in den entsprechenden Gremien tun - und exakt darauf achten, daß da, wo es um die Frage geht, in welche Länder wir Güter exportieren, auch die Frage der Antiterrorismusklausel stärker berücksichtigt wird. Wenn Länder zum Beispiel ganz offensichtlich terroristische Aktivitäten unterstützen, sollten wir versuchen, mit einer Antiterrorismusklausel darauf zu achten, daß dort nicht nur keine Rüstungsgüter hinkommen, sondern daß auch andere
Siegmar Mosdorf
Fragen bedacht werden. Auch das ist ein qualitatives Kriterium, das wir nicht vernachlässigen wollen.
Zehnter und letzter Punkt. Das, was vorhin schon gesagt worden ist und was auch im Antrag der Grünen steht, nämlich daß man eine größere Transparenz herstellen sollte, ist ein richtiges Anliegen. Wir selber haben in unseren Anträgen vorgeschlagen, eine Form von Controlling im Parlament zu organisieren - durch den Wirtschafts- oder Haushaltsausschuß oder wie immer man das strukturiert -, damit die Exekutive ihren Job machen kann und damit die Hermes-Versicherung autonom arbeiten kann. Das ist ja eine private Versicherung. Es geht nur um die Frage, wie die Projekte, die wir für wichtig halten, bei denen wir auch ein „backing" von seiten des Staates geben wollen, letztlich beurteilt werden.
Deshalb scheint mir ein Transparenzreport angebracht zu sein, in dem man klar sagt, wohin die entsprechenden Absicherungen gehen. Zweitens halten wir auch ein schlankes, schlichtes Kontrollgremium auf parlamentarischer Ebene für notwendig, um diese wichtigen finanziellen Abdeckungen im internationalen Verkehr von seiten des Parlaments zu kontrollieren.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren: Ich glaube, wir sollten dieses wichtige Instrumentarium im Grundsatz positiv beurteilen. Die zehn Punkte, die ich genannt habe, sind Reformpunkte, über die wir nachdenken sollten. Ich glaube, daß es gemeinsame Ansätze dazu gibt, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, damit wir in einer globalen Weltwirtschaft stärker präsent sein können und damit wir das gleichzeitig auch dort, wo sich der Staat selbst engagiert - und das tut er hier -, nach inhaltlichen Kriterien tun können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Mosdorf, ich möchte ausdrücklich dafür danken, daß Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen ein paar lobende Worte über ein funktionierendes Instrument gesagt haben. Wir stimmen sicher darin überein, daß die Finanzierung ein Wettbewerbselement ist. Auch die Absicherung dieser Finanzierung - denn Hermes finanziert ja nicht direkt - spielt eine Rolle.
Ihren kritischen Äußerungen, daß das weniger mit dem Mittelstand zu tun habe, kann man nicht so ganz zustimmen; denn über 40 Prozent sind direkt dem Mittelstand zugeordnet. Wie Sie wissen, sind sehr viele Aufträge, die über Große abgewickelt werden, von Zulieferungen aus dem Mittelstand abhängig. Wenn man sich einmal eine Statistik daraufhin ansieht, kann man auch zu anderen Ergebnissen kommen. Es sollte uns jedoch immer möglich sein, darüber nachzudenken.
Die Anträge, die die Grünen heute zur Beratung vorgelegt haben, sind allerdings weit von dem entfernt. Sie sind, wie ich meine, ein typisches Beispiel für die Neigung der Grünen, in Politik die Gesinnung vor Verantwortung zu setzen
und das Ganze mit einem großen Schuß Bürokratie zu verbinden.
Denn das kann man, glaube ich, unschwer aus dem, was Sie aufgeschrieben haben, erkennen. Aber das kennen wir ja.
Ich will deswegen auch nicht viel zu den Rahmendaten dieses Projektes sagen; sie sind allgemein bekannt. Wir wissen aber, daß die Entwicklung der Weltwirtschaft in den kommenden Jahren durch eine erhebliche Steigerung des Energieverbrauchs geprägt sein wird. Einigen Staaten, wie zum Beispiel Deutschland, ist es gelungen, ihren Energieverbrauch durch effizienten und sparsamen Einsatz der zur Verfügung stehenden Energieträger zu stabilisieren. Bei der Mehrzahl der anderen Länder - vor allen Dingen bei denen der Dritten Welt - wird das nicht möglich sein. Dort wird es ein Energiewachstum geben. Dieses Wachstum wird natürlich im wesentlichen durch Energieträger wie Kohle, Öl und in geringem Maße auch Gas gespeist werden. Das bedeutet selbstverständlich einen unweigerlichen Anstieg der CO2-Emissionen.
Wenn wir mit der Reduktion von CO2 Ernst machen wollen, dann muß die Kernenergie eine Option bleiben. Deshalb befürwortet die Bundesregierung die friedliche Nutzung der Kernenergie als Element ihrer vielfältigen Anstrengungen im Bereich klimaschutzfördernder Maßnahmen. Darin wird sie von der F.D.P.-Fraktion nachhaltig unterstützt.
Klar ist für uns auch, daß bei der Nutzung der Kernenergie die Sicherheit oberste Priorität hat. Gerade weil wir in der Sicherheit von Kernkraftwerken führend sind, müssen wir denjenigen, die es brauchen, unser Know-how zur Verfügung stellen. Gerade wegen dieser Verantwortung müssen wir uns daran beteiligen, Sicherheit zu exportieren. Genau das wird in diesem Fall mit den Hermes-Bürgschaften für den Weiterbau des slowakischen Atomkraftwerkes Mochovce auch getan; denn hier handelt es sich um eine sicherheitstechnisch notwendige Nachrüstung. Die Bundesregierung handelt verantwortungsbewußt, wenn sie an der Unterstützung dieses Projektes festhält.
An die Adresse der Grünen sage ich: Schlagen Sie sich nicht im Bewußtsein vermeintlich moralischer Überlegenheit auf die Brust! Helfen Sie lieber mit, daß es in dieser Welt ein bißchen sicherer wird! Dazu dienen die Hermes-Bürgschaften.
Die Überlegungen zum zweiten Gegenstand der Debatte lassen sich nahtlos anschließen. Die Vergabe von Hermes-Bürgschaften soll von der Einhaltung
Paul K. Friedhoff
demokratischer, ökologischer und entwickungspolitischer Kriterien abhängig gemacht werden.
Meine Damen und Herren, die Hermes-Bürgschaften sind ein ökonomisches Instrument. Die Bundesrepublik Deutschland übernimmt dabei eine Gewährleistung für Exportgeschäfte; dafür zahlt der Exporteur eine Versicherungsprämie, die sich am Risiko des Geschäftes bemißt. Die Hermes-Bürgschaften sind - sie sollten es auch bleiben - ein bewährtes Instrument der Wirtschaftsförderung, und wir sollten sie nicht überladen. Sie haben geholfen, viele neue Märkte zu erschließen und Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen und zu sichern.
Weil das so ist und diese Anträge dem zuwiderlaufen, wird die F.D.P.-Fraktion den Anträgen nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Hermes-Bürgschaften sind im Prinzip eine indirekte Subvention. Daher ist es recht und billig, daß sie nur vergeben werden, wenn die Projekte, die damit abgesichert werden sollen, im Interesse der Allgemeinheit liegen.
Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu einer nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung. Dazu hat der Deutsche Bundestag eigens eine Enquete-Kommission eingerichtet.
Aus diesen beiden Tatsachen ergibt sich konsequenterweise, daß Hermes-Bürgschaften nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien vergeben werden sollten. Von daher ist grundsätzlich zu fordern, daß die geförderten Vorhaben ökologischen und entwicklungspolitischen Grundsätzen, zumindest im Sinne der Agenda 21, entsprechen und Menschenrechte nicht verletzt werden. Rüstungsexporte sollten ohnehin generell verboten werden.
Zwei Drittel der Exporte, die durch Hermes-Bürgschaften abgesichert werden, gehen in Entwicklungsländer. Sie sind dennoch kein geeignetes Instrument der Entwicklungshilfe; denn zum einen geht es nur um privatwirtschaftliche Projekte, und zum anderen wird das Verschuldungsproblem der Entwicklungsländer durch sie eher verschärft als gelöst.
Dennoch werden wir dem Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen zustimmen. Ergänzend halten wir es für sinnvoll, daß Nichtregierungsorganisationen und Betroffenen aus den Zielländern vor einer Vergabe die Möglichkeit eingeräumt wird, gehört zu werden.
Ein eklatantes Beispiel für eine Hermes-Bürgschaft, die den Interessen der Allgemeinheit widerspricht, ist die Bürgschaft für die Vollendung des Atomkraftwerkes Mochovce in der Slowakei. Hier möchte ich den Vorrednern von der Regierungsseite ausdrücklich widersprechen. Herr Fritz und Herr Friedhoff, hören Sie mir bitte zu.
In Greifswald wurde nach der Wiedervereinigung ein baugleiches Atomkraftwerk nicht vollendet, weil es wirtschaftlich nicht auf den bundesdeutschen Sicherheitsstandard hochzurüsten war.
- Es wurde nicht hochgerüstet. Aber jetzt muten Sie der Slowakei zu, daß ein baugleiches Atomkraftwerk in Mochovce vollendet wird. Angeblich soll es wirtschaftlich genug arbeiten, so daß sich ein Hochrüsten auf den Sicherheitsstandard der Bundesrepublik lohnt.
- Nein, das ist es eben nicht. Es ist unwirtschaftlich, und die Slowakei hat nicht unsere Sicherheitsbestimmungen. Dabei wird nichts Gutes herauskommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fritz?
Ja.
Herr Kollege, Sie haben gerade ein häufig benutzes Argument vorgetragen. Sind Sie nicht dennoch der Meinung, daß es, richtig bewertet, eigentlich nicht zutrifft? Für das von Ihnen genannte deutsche Kernkraftwerk mit schlechtem russischen Sicherheitsstandard gab es keinen Investor, der bereit gewesen wäre, die Nachrüstung zu übernehmen und das Kraftwerk zu betreiben.
Die Slowakische Republik hat aber beschlossen, das Kraftwerk in Mochovce fertigzustellen. Das heißt, die Entscheidung, daß das Kraftwerk ans Netz gehen wird, war gefallen. Ist es dann nicht besser, wenn - auch mit Hilfe der Europäischen Union - dafür gesorgt wird, daß dieses Kraftwerk, das Strom aus Kernkraft produzieren wird, so sicher und auf so hohem Standard wie eben möglich arbeitet?
Das ist in diesem Fall nicht richtig, Herr Fritz. Wenn diese Hermes-Bürgschaft nicht gewährt worden wäre, hätte es für die Slowakei nicht ohne weiteres die Möglichkeit gegeben, den Bau von Mochovce fortzusetzen. Es wäre dann alternativ ein Gaskraftwerk mit Kraft-Wärme-Koppelung gebaut worden, für das viele Nichtregierungsorganisationen, die Opposition in der Slowakei und vor allen Dingen die Österreicher eingetreten sind. Die Österreicher hatten auch angeboten, dazu entsprechende Kredite zu geben. In diesem Fall wäre es also ganz klar von
Rolf Köhne
Vorteil gewesen, wenn dieses Kraftwerk nicht gebaut worden wäre. - Soweit zu Ihrer Frage.
- Es war noch gar nicht in Betrieb, Herr Fritz.
Ich höre, meine Redezeit ist zu Ende. Ich möchte noch einmal alle auffordern: Stimmen Sie den beiden vorliegenden Anträgen zu!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst an den Kollegen Schmitt wenden und zum Vorbild US-Eximbank nur soviel sagen: Die US-Eximbank hat bei einer Präsentation in der OECD eingeräumt, daß das Drei-Schluchten-Projekt das einzige Projekt ist, das sie aus umweltpolitischen Gründen abgelehnt hat. Sie sollten, wenn Sie an eine Gesamtbetrachtung dieses Komplexes herangehen, auch bedenken, daß die Vereinigten Staaten mit China die Lieferung von Kernkraftwerken vereinbart haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, die Bundesregierung aufzufordern, keine HermesBürgschaften für den Weiterbau des slowakischen Atomkraftwerks Mochovce zu gewähren. Ich will gleich zu Beginn sagen: Die Bundesregierung hält an ihrer Unterstützung für dieses Projekt fest.
Das Projekt ist allen bekannt. Die Bundesregierung hat mehrfach Stellung genommen: im Zusammenhang mit der vorgesehenen Kreditvergabe durch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, aber auch im Hinblick auf die Gewährung von Hermes-Bürgschaften.
Geprüft werden vor Zusage insbesondere die Förderungswürdigkeit und die risikomäßige Vertretbarkeit.
Zum ersten: Die sicherheitstechnische Nachrüstung dieses Kernkraftwerks ist förderungswürdig und steht im Einklang mit den staatlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt - dies auch in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der G-7-Wirtschaftsgipfel - die Politik der Europäischen Union, im Rahmen des PHARE-Programms die nukleare Sicherheit in der Slowakischen Republik zu erhöhen. Daran ist auch
Österreich als Mitgliedsland der Europäischen Union beteiligt; es bringt dort seine Interessen ein.
Alle Aspekte, insbesondere der Aspekt der Erhöhung der nuklearen Sicherheit, wurden gewissenhaft geprüft. Die Sicherheit von Mochovce wird ganz erheblich erhöht. Darüber hinaus wird erreicht, daß im Rahmen eines Junktims die sicherheitstechnisch bedenklichen Blöcke Bohunice I und II stillgelegt werden, sobald Mochovce in Betrieb genommen wird. Derzeit werden vom deutschen Exporteur darüber hinaus kurzfristig angelegte Sicherheitsverbesserungen in Bohunice vorgenommen, bis sich Mochovce am Netz befindet.
Die Erhöhung der Sicherheit wird auch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit begleitet. Treternational zusammengesetzte Missionen, koordiniert von der IAEA, haben sich von der Konzeptentwicklung überzeugt. Die slowakische Aufsichts- und Genehmigungsbehörde arbeitet im Rahmen des PHARE-/TACIS-Programms eng mit den Genehmigungsbehörden der EU-Staaten zusammen.
Zweitens. Die Übernahme der Hermes-Bürgschaft ist auch kein gewagtes Geschäft im Hinblick auf die risikomäßige Vertretbarkeit. Alle unter Risikoaspekten wichtigen Fragen wurden genau geprüft und im Ergebnis positiv beurteilt. Das geschah auch im Hinblick auf eine Garantie der Slowakischen Republik für alle Zahlungsverpflichtungen aus dem Darlehensvertrag.
Dieses Vorgehen, das heißt umfassende Prüfung, Klären von Zweifelsfragen, Fordern von Erklärungen und Festlegen von Planvoraussetzungen, zeigt, daß der Interministerielle Ausschuß für Ausfuhrgewährleistung in der Lage ist, auch komplexe Projekte effizient zu unterstützen.
Die Tatsache, daß Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind, bedeutet aber nicht, daß die im IMA vertretenen Ressorts nicht alles gewissenhaft bedacht hätten. Eine solch verantwortungsvolle Prüfung entspricht auch den bereits jetzt geltenden Richtlinien. Es gibt deshalb keinen Grund, die 1996 nach Unterrichtung des Parlaments endgültig erteilte Deckung wieder in Frage zu stellen.
Der zweite Komplex, zu dem ich sprechen möchte: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen weiteren Antrag gestellt, der zur Debatte steht. Danach soll Hermes in ein primär umwelt- und entwicklungspolitisches Instrument umfunktioniert werden.
Hermes ist aber gerade kein Instrument der Entwicklungshilfe, Herr Kollege Schmitt, weil die Ausfuhrgewährleistungen des Bundes für kommerzielle Finanzierungen, das heißt: Finanzierungen ohne Schenkungselement, gegen Zahlung einer Versicherungsprämie, die am Risiko bemessen wird, gewährt werden.
Herr Kollege Köhne, die Hermes-Bürgschaften sind auch keine Subventionen. Das Instrument trägt sich längerfristig selbst. Hermes war 30 Jahre lang,
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
bis zum Beginn der internationalen Verschuldungskrise Anfang der 80er Jahre, in den schwarzen Zahlen. Seit einigen Jahren verbessert sich das finanzielle Jahresergebnis wieder ganz deutlich.
Der Entschließungsantrag erweckt den Eindruck, Hermes fördere in erster Linie sensitive Güter. Auch dieser Eindruck, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist falsch. Der Anteil der Rüstungsgüter am insgesamt gedeckten Auftragswert lag in den letzten Jahren bei nur 1 Prozent und entfiel zudem auch noch auf NATO-Länder bzw. diesen gleichgestellte Partner.
Auch bei den Kernkraftwerken entspricht die Intensität der öffentlichen Diskussion in keiner Weise dem Umfang dieses Geschäfts. Über etwa 20 Jahre wurden keine neuen Kernkraftwerke mehr in Dekkung genommen. In den letzten Jahren wurden einige Anträge zur Modernisierung und Rehabilitierung bestehender Kernkraftwerke genehmigt; über einen haben wir eben gesprochen.
Primärer Zweck des Hermes-Instruments ist und bleibt also, die deutsche Exportwirtschaft im internationalen Wettbewerb zu unterstützen. Mit Hermes werden gerade die interessanten, aber schwierigen Absatzmärkte erschlossen. Dies kommt insbesondere dem Mittelstand zugute.
Wenn der Kollege Mosdorf noch hiergewesen wäre, hätte ich ihm gerne noch etwas gesagt. Aber meine Redezeit ist sowieso abgelaufen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu der vom Bundesrat geplanten Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Gesetzentwurfes, der soeben vom Bundesrat verabschiedet wurde, liegt in der Unterbindung des Mißbrauchs von Sozialleistungen. Als Sozialpolitikerin kann man im Ernst nicht dagegen sein, weil Sozialmißbrauch die Legitimität von Sozialleistungsgesetzen untergräbt. Aber hier stellt sich die Frage: Haben wir es überhaupt mit Mißbrauch zu tun?
Nach dem Gesetzentwurf sollen Ausländer mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus von Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes ausgeschlossen werden. Man kann sich ganz schnell im Dickicht des unübersichtlichen Ausländerrechts verlieren. Lassen Sie uns aber lieber von den Menschen reden, um die es hier geht.
Es geht zum Beispiel um rund 5000 ausreisepflichtige algerische Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz suchen vor dem Terror in ihrem Heimatland. Wegen des in vielen Fällen nichtstaatlichen Charakters des Terrors in Algerien erhalten diese Flüchtlinge nach unseren sehr strengen Asylgesetzen in Deutschland kein Asyl. Weil die Lage in Algerien aber unabweisbar dramatisch ist, ist es in den letzten Tagen zu einer Debatte darüber gekommen, ob man für sie nicht ein Abschiebestopp verhängen sollte.
Die Innenministerkonferenz hat eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall zugesagt, wenn es denn bei der Rückführung um Gefahr für Leib und Leben geht. Dieses Versprechen ist das Papier nicht wert, auf dem es abgegeben wurde.
Wenn der Gesetzentwurf durchkommt, dann wird diesen algerischen Flüchtlingen jede materielle Unterstützung entzogen. Sie haben dann gar keine Alternativen, außer sich entweder in die Kriminalität zu flüchten - arbeiten dürfen sie ja nicht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen - oder in ihr Heimatland zurückzukehren. Das halte ich für eine besonders niederträchtige Form, um Abschiebebegehren durchzusetzen.
Deutsche Behörden haben die Abschiebung mit Verweis auf die gefährliche Lage in Algerien ausgesetzt. Dann wird die Abschiebung durch den Entzug der materiellen Lebensgrundlagen hinterrücks erzwungen, ohne daß sich ein einziger Polizist die Finger schmutzig machen muß. Der Rechtsstaat wird damit ad absurdum geführt, das Sozialrecht in sein Gegenteil verkehrt. Es soll nicht länger sozialen Schutz gewähren, sondern durch den Entzug des sozialen Schutzes soll massiver Druck zum Verlassen des Landes ausgeübt werden. Diese Perversion des Sozialrechts trifft auf unseren erbitterten Widerstand.
Reden wir noch von einer anderen Gruppe, von den rund 200 000 bosnischen Flüchtlingen und von den Kosovo-Albanern. Der neugewählte Präsident der Republika Srpska, Dodik, hat angekündigt, sein Land wolle die Flüchtlinge wieder aufnehmen. Diese Ankündigung kann er aber nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen, ohne dem Wiederaufbauprozeß in seinem Lande schweren Schaden zuzufügen.
Andrea Fischer
Wovon aber sollen die bosnischen Flüchtlinge in den nächsten Monaten, die bis zu ihrer Rückkehr in ihr Land vergehen mögen, leben, wenn dieser Gesetzentwurf durchkommt und ihnen die materielle Unterstützung unterzogen wird? Mir drängt sich der Verdacht auf, daß der großen Koalition der Law-and-order-Politiker eine erhöhte Kriminalität von Flüchtlingen in den nächsten Wahlkampfmonaten nicht ungelegen käme: Man hätte ein Thema, mit dem man von den ungelösten innenpolitischen Problemen ablenken könnte.
Mich macht es richtig fassungslos, zu welchen Gemeinheiten man rechtsstaatliche Mittel nutzen kann.
Nehmen wir die Kosovo-Albaner. Trotz schwerster Verfolgung erhalten sie wegen des restriktiven Asylrechts hier kein Asyl. Mit Jugoslawien wurde ein Rückübernahmeabkommen vereinbart, das in der Praxis nur zu einer sehr langsamen Rückkehr führt, weil Jugoslawien nur wenige Menschen aufnimmt. Obwohl wegen dieses Abkommens die Rückkehr nicht möglich ist, wollen Sie die Menschen aus Deutschland vertreiben, indem Sie sie dem Hunger aussetzen. Es macht mich unglaublich zornig, mit welchem Zynismus Menschen hier in eine rechtliche Falle gejagt werden, aus der sie sich nur durch neuerliche Flucht befreien können: durch eine Flucht genau in das Land, aus dem sie zuvor vor der Verfolgung geflohen sind.
Das Asylbewerberleistungsgesetz selbst war bereits der Sündenfall. Damals haben Sie ein geteiltes Existenzminimum eingeführt. Seitdem haben wir zwei Klassen von Armen. Im nächsten Schritt haben Sie die Zahl der Menschen, die nur die schlechten Leistungen erhalten, dramatisch ausgeweitet. Jetzt muten Sie ihnen zu, drei Jahre von Eßpaketen und mit eingeschränkter medizinischer Versorgung zu leben.
Nun geht man noch einen Schritt weiter und entzieht den Betroffenen jedwede Unterstützung. Falls es überhaupt noch Leistungen gibt, dann in Form von Almosen und nach freiem Ermessen der Sozialbehörde. Ich hätte es mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht vorgestellt, daß mein Land mit fein säuberlichen rechtsstaatlichen Vorschriften Menschen in die Not treibt, anstatt ihre Menschenrechte zu schützen.
Mit der drastischen Einschränkung des Asylrechts und mit der Abschottung der Grenzen haben Sie die Zahl derjenigen, die in unserem Land Zuflucht finden können, ohnehin schon stark dezimiert. Dann sollten Sie wenigstens diejenigen, die es überhaupt noch hierher schaffen, anständig behandeln.
Heute behaupten Sie, Sie würden unseren Sozialstaat vor Mißbrauch schützen.
Morgen werden wir alle merken, daß wir unserer Selbstachtung und Würde großen Schaden zugefügt haben, indem wir solche ungeheuerlichen Vorgänge zugelassen haben. Werfen Sie nicht alle Ansprüche an Rechtsstaat und Menschenwürde über Bord!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Lohmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt sind von denjenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben, wenigstens zehn im Saal.
Das Schaulaufen für die Wahlen hat begonnen, und die rotgrüne Opposition kreist hilflos auf dem Eis.
- Wenn Sie nicht soviel dazwischenschreien würden, hätten Sie das verstanden. Ich kann es aber gern wiederholen.
- Sie sind doch gar nicht zu beleidigen.
Diese Feststellung ist angesichts der - überflüssigen - Aktuellen Stunde auf Antrag Ihrer Fraktion mehr als angebracht. Denn noch bevor überhaupt klar war, daß der Bundesrat seinen Gesetzentwurf für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes beschließen würde, beantragten Sie - interessanterweise - schon am Dienstag eine Aktuelle Stunde über die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage.
Was hat nun eigentlich dieser Gesetzentwurf des Bundesrates so Spektakuläres zu bieten? Soll das Asylbewerberleistungsgesetz ersatzlos abgeschafft oder der Bedarf weiter eingeschränkt werden? Beides ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist unspektakulär. Bereits kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des ersten Asylbewerberleistungsgesetzes zum 1. Juli des vergangenen Jahres, das die Mehrheit der Bundesländer über ein Jahr verzögert hatte, hat das Land Berlin im September einen ergänzenden Gesetzesantrag im Bundesrat vorlegt.
- Sie können ruhig meinen Namen nachlesen. Sie
können auch versuchen, mich zu Hause mit diesen
Wolfgang Lohmann
Fragen zu belästigen. Ich stehe zu dem, was ich hier heute sage.
Ich nenne einmal ein Beispiel: Der Ausländer X wird von einer Schlepperbande in die Bundesrepublik Deutschland gebracht. Er reist in unser Land ausschließlich ein, um in den Genuß der - jedenfalls in seinen Augen üppigen Sozialleistungen zu kommen. Er stellt nach entsprechender Beratung keinen Asylantrag und ist heute trotzdem leistungsberechtigt. Das heißt, die Solidargemeinschaft muß ihn finanzieren. So ist der Stand.
Ich frage: Ist es spektakulär, Schlepperbanden die Geschäftsgrundlage zu entziehen und Personen von Sozialleistungen auszuschließen oder ihre Sozialleistungen einzuschränken, die sie nach unserer gemeinsamen Meinung nie bekommen sollten? Ich meine, nein.
Diese Einzelregelung führte bei den Bundesländern dann zu einer breiteren Diskussion, die auch von den SPD-geführten Bundesländern mitgetragen wurde, welche das erste Asylbewerberleistungsgesetz, wie ich soeben sagte, lange blockiert hatten. Im Ergebnis verständigte sich der Bundesrat nun darauf, daß die Leistungsberechtigung auch bei Ausländern entfallen soll, deren Aufenthalt aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht beendet werden kann. Dies sind beispielsweise die Fälle, in denen die Beteiligten mit Hilfe der Paßvernichtung oder auch der Weigerung, sich einen Paß zu beschaffen, erreichen wollen, unser Land nicht verlassen zu müssen. Ist es spektakulär, so frage ich, Mißbrauch zu sanktionieren?
Auch Personen, die nicht freiwillig ausreisen, obwohl sie dies könnten, und bei denen eine Abschiebung nicht möglich ist, können zukünftig vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden. So lautet der Antrag. Dabei ist ausdrücklich festzustellen - das haben wir erst in den letzten Minuten erfahren -, daß der Bundesrat die Ziffer 3 des ursprünglichen Antrages korrigiert bzw. herausgenommen hat, so daß Bosnien bzw. die Kriegsflüchtlinge gar kein Thema mehr sind.
Ist es spektakulär, daß zukünftig bei unbegründeter Ablehnung einer Tätigkeit, nämlich der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, Leistungen entfallen sollen? Warum eigentlich haben wir im Sozialhilferecht verankert, daß nach einem Angebot zumutbarer Arbeit und entsprechender Verweigerung bestimmte Abzüge erfolgen? Warum soll es nicht in diesem Bereich genauso sein? Warum soll das nicht auf diejenigen übertragen werden, die sich in Abschiebehaft usw. befinden?
Nun fordern Gruppen, zu denen auch Sie zählen - Sie regen sich ja maßlos auf; ich denke auch an an-
dere Gruppen; es wird ja auf kirchliche Einrichtungen usw. verwiesen -, alles beim alten zu belassen.
- Wenn man in Ihr Gesicht sieht, dann kennt man die politische Grundeinstellung. Das ist ja offensichtlich.
- Solche Gröltypen wie Sie haben sich noch nie geändert.
Wenn diese Gruppen jetzt fordern, alles beim alten zu belassen, dann sollten sie den Menschen in unseren Kommunen erklären, warum Zuschüsse für Jugendarbeit in Sportvereinen, kulturelle Veranstaltungen und die soziale Betreuung allgemein immer mehr heruntergefahren werden müssen. Jeder Kommunalpolitiker, egal, ob Sozial- oder Christdemokrat, weiß: Ein Hauptproblem der Kommunen sind die Sozialkosten.
Verstehen Sie mich richtig: Niemand will asylbegehrenden Menschen oder Flüchtlingen, die auf Grund von Kriegshandlungen derzeit nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, die Lebensgrundlage entziehen. Doch dem Geschäft von Schlepperbanden, dem Leistungsmißbrauch und der Überinanspruchnahme des Gastrechtes durch Flüchtlinge sollte zukünftig ein Ende gesetzt werden. Das ist unsere Auffassung. Deswegen begrüßen wir diesen Vorschlag.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast.
Meine Damen und Herren! Die kühle Lässigkeit, mit der Sie, Herr Kollege Lohmann, eben versuchten, das Thema abzuhaken, halte ich für gänzlich unangebracht.
Ich muß durchaus gestehen, daß die geplanten Änderungen in mir ein tiefes Unbehagen erzeugen. Das sage ich in vollem Bewußtsein des schillernden Meinungsbildes, das im Bundesrat herrscht, auch unter sozialdemokratisch geführten Ländern.
Ich will mein Unbehagen erklären: Es richtet sich auf die gesamte Tendenz, den Zeitpunkt und den Zungenschlag. Mir ist dabei sehr wohl klar, daß es um die ungeliebteste Gruppe von Zuwanderern
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
geht: um Ausreisepflichtige, abgelehnte Asylbewerber, illegal Eingereiste. Es ist sicherlich überlegenswert, diesen Gesetzentwurf in einigen Punkten zu billigen, zum Beispiel in dem Bestreben, Sozialhilfeempfänger und sogenannte Leistungsberechtigte gleichzustellen.
Ich könnte auch noch akzeptieren, wenn illegal Eingereiste, die keinen Asylantrag gestellt haben, dann auch nur eingeschränkt Anspruch auf finanzielle Leistungen haben.
Aber, meine Damen und Herren: Wenn die radikalen Kürzungen auch Bürgerkriegsflüchtlinge treffen sollen - Geduldete, Menschen, die nach abgelehntem Asylantrag eben noch nicht das Land verlassen haben -, dann kann das meine Billigung nicht finden. Insofern habe ich schon Verständnis dafür, daß die Arbeiterwohlfahrt von „kalter Abschiebung durch Aushungern" spricht. Und was ist eigentlich mit solchen, die nicht freiwillig ausreisen, obwohl es, wie es im Text heißt, „tatsächlich oder rechtlich möglich" wäre? Ich frage mich: Fallen darunter etwa auch die afghanische Frau, die davor zurückschreckt, sich den fast sklavischen Unterdrückungsmethoden der Taliban auszuliefern, und die abgelehnten algerischen Asylbewerber?
- Ich verstehe Ihre Zwischenrufe nicht. Es tut mir leid, daß ich mich damit jetzt nicht auseinandersetzen kann.
Ich vermag nicht zu sehen, wie eine Behörde einem Flüchtling hieb- und stichfest nachweisen will, daß er ausschließlich deshalb nach Deutschland gekommen ist, um hier soziale und finanzielle Leistungen in Anspruch nehmen zu können.
Schlimmer ist noch: Vorgestern hat der Bundesinnenminister das politische Vorhaben auf die Spitze getrieben. Nach einer Pressemeldung sagte er schlankweg, ausreisepflichtigen Ausländern sollte nur noch die Unterbringung in einer Sammelunterkunft, ohne jede Geldleistung, gewährt werden, also nicht einmal ein Minimum für den alltäglichen Bedarf und offenbar auch keine medizinische Hilfe mehr.
Das fiele dann wirklich unter die Rubrik: Wegekeln, Austrocknen der Existenz. Und leider, so fürchte ich, Herr Fink, findet das auch noch postwendend den Applaus der Stammtische.
- Ich führe einfach aus, wie diese Pressemitteilung aufzufassen ist. Wenn Sie sie noch nicht gelesen haben, dann tun Sie es bitte einmal!
- In diesem Moment war gar nicht von dem Gesetz die Rede, sondern von dem, was der Bundesinnenminister sagt. Die Aktuelle Stunde beschäftigt sich doch wohl mit der Haltung der Bundesregierung zu den geplanten Maßnahmen im Asylbereich. Da wird man sich doch wohl mit dem, was der Innenminister sagt, auseinandersetzen dürfen. Darum geht es hier.
Darüber hinaus dürften sich die Betroffenen in Schwarzarbeit flüchten oder gar in Kriminalität. Das kann doch wohl niemand hier wünschen.
Ich will überhaupt nicht leugnen, daß es Flüchtlinge gibt, denen man sehr hart und eindeutig sagen muß, daß sie hier nicht bleiben können. Manch andere aber trifft der allgemein erhobene Vorwurf des Mißbrauchs zu Unrecht. Vor allem aber - das empfinde ich eigentlich als das Schlimmste -: Wir erleben in diesen Monaten eine Kette von Maßnahmen, die ganz unterschiedliche Gruppen von Zuwanderern treffen. Aber immer sind sie restriktiv.
Erst war es die Visapflicht für Kinder aus ehemaligen Gastarbeiterfamilien; dann, im vergangenen Sommer, waren es die abgesenkten Sozialhilfebeiträge im Asylbewerberleistungsgesetz; dann Schikanen für ausländische Studenten; vor wenigen Wochen war es die realitätsferne Debatte über die Verringerung der Zahl ausländischer Erntehelfer, die hier zu Minilöhnen beschäftigt werden; zu Beginn dieses Jahres war es die Panikmache des Bundesinnenministers angesichts der kurdischen Flüchtlinge in Italien - lauter Zeichen, die die Bürger der Bundesrepublik in dem Gefühl bestärken müssen, alle Zuwanderer, ohne Ausnahme, egal um welche Gruppe es geht, seien eine Bedrohung und eine Belastung.
Auf der anderen Seite unternimmt die Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts, um für friedliche Partnerschaft zwischen Deutschen und Nichtdeutschen zu werben und Vorurteile zu entkräften. Vor einer solchen Talfahrt in die Niederungen des Populismus kann ich uns alle nur dringend warnen.
Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es heute mit einem absoluten verfahrensmäßigen Novum zu tun: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt eine Aktuelle Stunde, weil der Bundesrat - vielleicht - eine Verschärfung des Asylbewerberleistungsgeset-
Uwe Lühr
zes plane. Eine Entscheidung des Bundesrates darüber, ob die Empfehlungen der Ausschüsse für Inneres und Gesundheit tatsächlich im Plenum des Bundesrates verabschiedet und als Gesetzentwurf des Bundesrates eingebracht werden würden, war aber noch gar nicht sicher, als der Antrag für eine Aktuelle Stunde gestellt wurde. Das hat sich in der Tat erst heute früh entschieden - interessanterweise mit der Zustimmung des Landes Niedersachsen!
Wir haben aber mittlerweile eine eingehende Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, der eine Reihe Vorbehalte äußert.
Wir sind also sozusagen in der nullten Lesung eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Kritik an Entscheidungen des Ältestenrates sind ja nicht opportun. Das weiß ich sehr wohl. Dennoch denke ich, daß dieses Verfahren keine Schule machen sollte.
Meine Damen und Herren, der Gesetzesantrag des Landes Berlin ist durch die Empfehlungen der Bundesratsausschüsse zwar erheblich erweitert worden, aber ohne genauere Prüfung ist aus meiner Sicht noch fraglich, ob er damit auch wirklich verbessert wurde.
Der ursprüngliche Antrag des Landes Berlin bestand nur darin, entsprechend einer Regelung, die es im Bundessozialhilfegesetz bereits gibt, solchen Menschen die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu gewähren, die offensichtlich deswegen ins Land kommen, um diese Leistungen zu erhalten, bei denen also die Geldleistung das Motiv für die Einreise ist. Eine solche Regelung wäre in der Tat sinnvoll gewesen.
Ausländer mit einem gefestigten Aufenthaltsstatus, die die höheren Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten, müssen sich unter Umständen entgegenhalten lassen, daß die Leistungsgewährung der Grund für ihre Einreise war.
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das Menschen mit nicht so gefestigtem Aufenthaltsstatus erfaßt, fehlt allerdings bisher eine solche Regelung. Zwar darf man schon darüber nachdenken, ob es richtig sein kann, daß Ausländern, die sich illegal einschleusen lassen, um die im Verhältnis zum Heimatland üppigen Geldleistungen, von denen die Schleuserkosten abgezweigt werden, in Anspruch zu nehmen - nach geltender Rechtslage auch dann, wenn sie keinen Asylantrag stellen -, ein Anspruch auf diese Leistungen zusteht, der nicht einmal eingeschränkt werden kann. Allerdings durfte es schon sehr verwundern, wenn ausgerechnet aus dem SPD- dominierten Bundesrat, der sonst immer als Besitzstandswahrer auftritt, einige Einschnitte in soziale Leistungen vorgeschlagen werden, die eher als ein Versuch anzusehen sind, die Regelungen des Ausländerrechts zu umgehen.
Menschen, die sich, wie etwa die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, nur noch auf Grund einer Duldung im Bundesgebiet aufhalten, obwohl sie prinzipiell ausreisen könnten, würden, ginge es nach dem Beschluß des Bundesrates, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur noch gewährt, „soweit" - ich zitiere - „dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist".
Da muß ich mich schon fragen, wann das denn der Fall sein soll. Eine derart unbestimmte Formulierung ließe eine Absenkung der Leistungen bis auf null zu. Der Status der Duldung wird doch nicht ohne Grund erteilt, sondern deswegen, weil die Ausreise in das Heimatland mit Gefahr für Leib oder Leben verbunden oder sonst rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Wir erteilen diesen Menschen ausländerrechtliche Duldungen, weil es eben nicht sinnvoll ist, diese Menschen in ein von vornherein aussichtsloses Asylverfahren zu drängen.
Für Bürgerkriegsflüchtlinge haben wir im Ausländergesetz einen Sonderstatus geschaffen, auf dessen Umsetzung sich Bund und Länder noch immer nicht einigen konnten.
Wenn man solchen Menschen vorübergehend über eine Duldung den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht, dann hat der Staat auch eine Pflicht, diesen Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen und ihnen zumindest das Existenzminimum zu sichern.
Dazu gehört mehr als nur Butterbrot und Rückfahrkarte. Hier kann man an die Adresse des Innenministeriums nur sagen: Wer sich geduldet im Bundesgebiet aufhält, ist gerade nicht illegal, sondern legal hier im Lande.
Es darf nicht sein, daß man diesen Flüchtlingen, die sicherlich nicht freiwillig gekommen sind, sondern wegen der schlimmen Zustände in ihrem Land, die Mittel für eine menschenwürdige Existenz in unserem Land verweigert und dadurch versucht, sie zur Ausreise zu zwingen. Geduldete Bürgerkriegsflüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber haben bei uns im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nicht die befriedigende Alternative, bis zu ihrer Ausreise ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten, weil sie gleichzeitig ein Arbeitsverbot trifft.
Nach dem Beschluß des Bundesrates von heute vormittag, diese Änderungswünsche zum Asylbewerberleistungsgesetz als Gesetzentwurf einzubringen, werden wir noch genügend Gelegenheit haben, uns im einzelnen mit diesen Regelungen im üblichen parlamentarischen Verfahren auseinanderzusetzen. Ich gehe davon aus, daß die Hinweise des Hohen
Uwe Lühr
Flüchtlingskommissars dabei eine nicht untergeordnete Rolle zu spielen haben.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Vorstoß des Landes Berlin zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist ein Vorstoß gegen die Menschenwürde, ein Vorstoß gegen den Grundsatz, daß die Menschenwürde unteilbar ist.
Hier im Hause waren sich bisher die Oppositionsparteien einig, daß eine weitere Verschlechterung des Asylbewerberleistungsgesetzes dringend verhindert werden muß. Aber in den Ländern sind die Minister und die Ministerpräsidenten, auch die der SPD, wieder einmal mit dabei, wenn es darum geht, der Kanther-Koalition zu Mehrheiten zu verhelfen und damit Flüchtlingen die Leistungen noch weiter zusammenzustreichen oder ganz zu verweigern.
Die Initiative Berlins wurde von den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen noch weiter verschärft.
- Ja, auch von Niedersachsen; leider, leider.
Aber alle, die sich an die letzte Sparrunde zum Asylbewerberleistungsgesetz hier im Hause erinnern, wird das überhaupt nicht wundern. Auch dabei spielte Herr Glogowski, der Innenminister von Niedersachsen, bereits eine höchst unrühmliche Rolle, so wie er es auch heute im Bundesrat getan hat, wie man den Tickermeldungen entnehmen kann.
Während in der letzten Woche noch 14 Länder im Fachausschuß des Bundesrates dem verschärften Gesetzentwurf zugestimmt haben, wurde ja - ich sage: zum Glück - zumindest von allen rotgrünen Länderregierungen die Notbremse gezogen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was im Bundesrat beschlossen wird, macht deutlich, daß Asyl- und Flüchtlingsfragen zunehmend unter die Räder finanzpolitischen Kalküls geraten. Berlins Innensenator Schönbohm, der ja bekanntermaßen aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, hat der Öffentlichkeit bereits mitgeteilt, daß nach einer Neuregelung in Berlin 42 000 Personen die Leistungen gestrichen werden können. Die eingesparten 550 Millionen seien dringend nötig, um Haushaltslöcher zu stopfen. Bei der desolaten Haushaltslage der Stadt Berlin ist offensichtlich keine Geldquelle mehr schäbig genug. Eine solche Position ist sittenwidrig. Sie bestreiten den Menschen das lebensnotwendige Existenzminimum, um diese Gelder in den schwarzen Löchern des Haushalts verschwinden zu lassen.
Nun ist ja gestern abend im Abgeordnetenhaus in Berlin mit der Mehrheit der Fraktionen von SPD, Grünen und PDS die Sozialministerin Hübner zurückgepfiffen worden, und sie ist aufgefordert worden, jetzt wenigstens nicht der verschärften Lösung zuzustimmen. Schönbohm jedoch geht weiter davon aus, daß nicht alle ausreisepflichtigen Ausländer bis zum Ende ihres Verfahrens gegen die Bundesrepublik finanziell unterstützt werden könnten. Was heißt denn das im Klartext? - Wer jetzt gegen die Ausreiseaufforderung Rechtsmittel einlegt, wer Gründe geltend macht, derentwegen er nicht abgeschoben werden sollte, der wird das nicht mehr tun können, wenn ihm oder ihr in dieser Zeit die Grundlage entzogen wird. Es soll also den geduldeten Flüchtlingen in Deutschland künftig keinerlei Leistung mehr gewährt werden, weder Geld noch Sachmittel. So will man diejenigen, die nicht abgeschoben werden können, zur „freiwilligen Ausreise" zwingen. „Aushungern" ist doch hier wohl das richtige Wort.
Peinlich ist in diesem Zusammenhang - auch das sage ich mit aller Deutlichkeit -, daß ein SPD-regiertes Land wie Brandenburg nun auch noch bei Flüchtlingen zwischen solchen und anderen unterscheiden will. Flüchtlingen aus Bosnien wird noch ein bißchen Hilfe gewährt, aber Kosovo-Albaner, Flüchtlinge aus Afghanistan und Algerien stürzen endgültig ins Nichts.
- Ich wüßte das nicht.
Die Frage, ob jemand Sozialleistungen erhält oder nicht, wird nicht mehr danach entschieden, ob derjenige für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen kann oder nicht, sondern danach, ob es ins ausländerpolitische Konzept paßt. Das stellt das Sozialstaatsprinzip endgültig auf den Kopf.
Das Ergebnis der Bundesratsinitiative wäre - so die unabhängige Expertenmeinung -, daß bis zu 240 000 Menschen die Asylbewerberleistungen ganz entzogen werden können. Die geplante Streichung fast sämtlicher Leistungen für geduldete und ausreisepflichtige Flüchtlinge empfinde ich als infam und rassistisch. Sie ist Ausdruck einer Sichtweise, die Flüchtlinge nicht als Menschen in Not, sondern als Schmarotzer, Bittsteller und Betrüger betrachtet, deren man sich schnellstens entledigen will.
Ausreise- und Abschiebehindernisse wischen diese Innen- und Sozialminister und -ministerinnen mit einem Federstrich beiseite. Wer essen will, wer ärztliche Behandlung will, wer wohnen will, muß ausreisen. Hier gibt es für diese Menschen - Frauen, Männer und viele Kinder - nur noch ein Butterbrot und eine Fahrkarte. Zurückgejagt werden Menschen in die Serbische Republik in Bosnien, nach Algerien,
Dr. Heidi Knake-Werner
nach Afghanistan, in den Kosovo - alles Gebiete, in denen ihnen nachweislich Gefahr für Leib und Leben droht.
Diese Bundesratsinitiative ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Asyl- und Flüchtlingsrecht ausgehöhlt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Sie ist gleichzeitig ein Vorgeschmack auf den künftigen Umgang der Regierenden mit dem Sozialstaatsprinzip.
Sie drücken Flüchtlinge mit dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur unter das Existenzminimum, sondern betrachten sie sogar ausschließlich als Kostenstelle im Haushaltsgerangel.
Wenn Sie sich einmal Gedanken über die Kosten machen würden, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden Sie feststellen: Wir geben pro Jahr 5 Milliarden DM im Zusammenhang mit dem Asylbewerberleistungsgesetz aus. Dieser Betrag ist geringer als die Steuereinnahmen, auf die Sie durch die Absenkung des Solidaritätszuschlages in diesem Jahr verzichten. Wenn man diese Größenordnungen betrachtet, muß man sagen: Das ist ein Skandal.
Ich sage Ihnen: Pax Christi hat absolut recht mit dem Vorschlag, das Gesetz ehrlicherweise gleich „finales Leistungsverweigerungsgesetz" zu nennen. Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Fischer, ich möchte ganz kurz etwas zum Verfahren sagen. Der Bundesrat hat vor einer halben Stunde den Beschluß gefaßt, und wir sollen jetzt darüber diskutieren, ohne genaue Kenntnis zu haben, wie der Beschluß überhaupt aussieht.
- Ich bitte Sie! Sie wissen, daß es in Bundesratssitzungen auch noch Änderungen geben kann.
Das Verfahren ist schon sehr eigenartig. Wir kennen den genauen Wortlaut des Beschlusses nicht.
Ich rate Ihnen, Art. 76 Abs. 3 des Grundgesetzes nachzulesen. Dort werden der Bundesregierung sechs Wochen und nicht sechs Stunden oder sechs
Minuten zugestanden, um eine Stellungnahme zu erarbeiten.
Ich denke, die Botschaft dieser Regelung ist klar: Die Arbeit an Gesetzen hat zügig zu erfolgen; sie verlangt aber Besonnenheit und Gründlichkeit.
- Ich komme dazu; bleiben Sie ganz ruhig.
Die Bundesregierung wird ihre Stellungnahme deshalb auch besonnen und gründlich erarbeiten. Sie wird das zügig tun. Zumindest die Koalitionsfraktionen werden ebenso besonnen und gründlich zu einer Beschlußfassung im Deutschen Bundestag beitragen. Wir halten nichts von unüberlegten Schnellschüssen, wie sie hier abgegeben werden sollen.
Das Anliegen des Bundesrates, das hinter dieser Gesetzesinitiative zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes steht, teilen wir voll und ganz. Es geht im wesentlichen um finanzielle Leistungen an Ausländer, die nach unserer Rechtsordnung vollziehbar, Frau Fischer, zur Ausreise verpflichtet sind, aber eben nicht ausreisen. Es handelt sich dabei um Personen, die einer eindeutigen Rechtspflicht nicht nachkommen.
Es können natürlich unterschiedliche Gründe für eine nicht beabsichtigte Ausreise vorliegen. Es können zum Beispiel Krankheit, die Nichtaufnahme im Herkunftsland, das Drohen von Gefahren für Leib und Leben sein, die dafür ursächlich sind. Das sind in der Tat beachtliche Gründe, die nicht einfach auf die Seite geschoben werden können.
Letztlich geht es aber gar nicht um diese Asylbewerber.
- Das sage ich Ihnen gleich.
Es ist auch das nicht richtig, was hier mehrfach von der PDS und auch von Frau Fischer eben gesagt wurde, daß nämlich pauschal abgeschoben wird. Natürlich wird jeder Einzelfall geprüft. Das ist völlig klar.
Es können aber auch andere Gründe vorliegen, die wir im Gegensatz zu den vorgenannten nicht akzeptieren können. Nur solche nicht hinnehmbaren Gründe werden in der Gesetzesinitiative aufgezählt und mit der Folge verbunden, daß solche Personen nicht mehr so finanziell unterstützt werden wie die anderen Ausreisepflichtigen, deren Hierbleiben für eine bestimmte Zeit zu tolerieren ist.
Wer ist betroffen? - Betroffen sind vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, wenn sie nur deswegen hergekommen sind, weil sie finanzielle Leistungen in
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Anspruch nehmen wollen. Betroffen sind auch vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, wenn sie selbst dafür verantwortlich sind, daß sie nicht ausreisen können,
insbesondere in Fällen, in denen die eigene Identität oder Nationalität verschleiert wird oder Ausweispapiere einfach zum Verschwinden gebracht werden.
Betroffen sind ferner vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, wenn sie zwar aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können, aber ohne weiteres freiwillig in ihr Herkunftsland oder einen anderen aufnahmebereiten Staat ausreisen können. Sie könnten ihrer Rechtspflicht also nachkommen, wenn sie nur wollten. Das in diesen Fällen gezeigte Verhalten dürfen wir doch nicht noch durch eine ungerechtfertigte Gewährung von Leistungen unterstützen.
Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, haben offenbar genau das im Sinn.
Das haben Sie auch durch Ihre Reden dokumentiert. Genau das lehnen wir wie auch der Bundesrat ab.
Meine Damen und Herren, etwas muß uns natürlich zusätzlich aufhorchen lassen: Da unterstützen die meisten SPD-geführten Länder - soweit ich weiß, haben alle SPD-geführten Länder im Bundesrat zugestimmt - diese Initiative im Bundesrat, weil sie offenbar die Probleme kennen, die in der Praxis - ich sage bewußt: leider - auftreten. Und was macht der ersehnte Koalitionspartner der SPD, Bündnis 90/Die Grünen? - Er gräbt im Deutschen Bundestag, vor aller Öffentlichkeit, Wort für Wort protokolliert, demonstrativ das Kriegsbeil gegen diese SPD-regierten Länder aus.
- Das sind auch unsere Sorgen, Frau Fischer. Wir haben schon ein Interesse daran, was zwischen Ihnen abgeht.
Ich hoffe nicht, daß sich die Kollegen von der SPD- Fraktion, Frau Sonntag-Wolgast, gegen eine Initiative auch von SPD-geführten Ländern stellen oder hier zunächst herumlavieren wollen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Senatorin Hübner, Berlin, Bundesrat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist auch für mich ungewöhnlich, direkt nach einer Entscheidung des Bundesrates hier vor Ihnen zu einem Thema Stellung zu beziehen, das wir selbst als Initiative in den Bundesrat eingebracht haben, die jetzt im übrigen - wenn Sie den Text vorliegen haben - ohne Ziffer 3 beschlossen worden ist.
Vielleicht ist es hilfreich, an dieser Stelle noch einmal auf die Grundsatzinitiative Berlins zurückzugreifen. Uns ging es primär darum, eine Angleichung zwischen dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem BSHG zu schaffen. Das sind unsere beiden größten Leistungsgesetze. Es gab bisher eine unterschiedliche Behandlung von Ausländern nach dem BSHG und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Es wäre schon längst, eigentlich schon bei der letzten Novelle zum Asylbewerberleistungsgesetz, fällig gewesen, hier eine Rechtsangleichung vorzunehmen. Es geht um die sogenannte „Um-zu-Regelung" . Wer eindeutig nach Deutschland kommt, um Leistungen zu beziehen, hat keinen Rechtsanspruch auf diese Leistungen.
Es gab darüber eine sachliche Diskussion auch in den Ausschüssen des Bundesrates, die insgesamt der Situation der Länder sehr angemessen war. Ich war von der Atmosphäre während der Diskussion, die immerhin ein Vierteljahr angedauert hat, angenehm überrascht und angetan. Ich habe mich letzten Endes auch darüber gefreut, daß andere Bundesländer - und das unabhängig von den Regierungen - Erweiterungen eingebracht haben, die für meine Begriffe auch hilfreich sind, um dem sozialen Mißbrauch entgegenzuwirken.
Wenn Sie, Frau Fischer, sagen: Es gibt keinen Mißbrauch, kann ich Ihnen dazu eine Zahl aus Berlin nennen. Immerhin sind im letzten Jahr 800 Bürger aus Ex-Jugoslawien illegal eingereist, meist mit Hilfe von Schlepperbanden, die allein in Berlin Kosten von 10 Millionen DM, hochgerechnet auf das Jahr, verursachen. Bei der derzeitigen Haushaltslage kann man solche Summen nicht außer acht lassen, obwohl der finanzielle Aspekt nicht der primäre Grund für die Initiative Berlins war.
Die Stellungnahme des UNHCR bezieht sich im wesentlichen auf die Einbeziehung der Asylbewerber bzw. Ausländer in den § 55 des Ausländergesetzes. Es bestehen da Bedenken, daß unter diese Regelung auch die Personen fallen, die nach § 53 oder § 54 des Ausländergesetzes eindeutig einen Anspruch auf Leistungen und auf Bleiberecht in Deutschland haben. Das sind diejenigen, denen Gefahr an Leib und Leben oder Folter droht, oder solche, denen auf Grund von Beschlüssen des Innenministeriums ein besonderes Bleiberecht gewährt wurde. Diese Perso-
Senatorin Beate Hübner
nenkreise fallen eindeutig nicht unter die Regelung. Es ist lediglich gesagt worden, daß dem Personenkreis, der zwar geduldet wird, aber dessen Rückkehr kein Hindernis entgegensteht, keine Leistungen mehr zusteht. Das heißt nicht, daß er keine Leistungen mehr bekommt oder daß er Deutschland sofort verlassen muß. Ich bitte an dieser Stelle darum, die Probleme auseinanderzuhalten. Wir sprechen hier nämlich nicht über die Novelle zum Ausländergesetz, also über das Statusrecht, sondern ausschließlich über die Novelle zum Asylbewerberleistungsgesetz. Wenn man diese beiden Dinge auseinanderhält, dann dürften eigentlich die Probleme, die Sie in die Diskussion eingebracht haben, an dieser Stelle nicht auftauchen.
Frau Sonntag-Wolgast, vielleicht kann ich auch auf Ihre Frage eine direkte Antwort geben: Selbstverständlich sind die Sondertatbestände nach dem Asylverfahrensrecht durch diese Novelle zum Asylbewerberleistungsgesetz nicht tangiert.
Ich würde mich eigentlich freuen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die sachliche Diskussion ohne die Polemik, die heute gerade von seiten der Oppositionsparteien betrieben wurde, weiter fortgeführt werden könnte und wenn man gerade auch in diesem Gremium bei dieser hochsensiblen Thematik, die natürlich Gelegenheit dazu bietet, daß man sie politisch und polemisch überfrachtet, eine sachgerechte Diskussion führte, die diesem Personenkreis gegenüber angemessen ist. Es ist nämlich wichtig, immer deutlich zu machen, daß jeder, der unserer Hilfe bedarf, diese Hilfe auch in Deutschland bekommt. Allein durch Verhinderung von Mißbrauch können wir diese Personenkreise endgültig auch aus der Mißbrauchsdiskussion heraushalten.
Deswegen bitte ich Sie an dieser Stelle inständig, sachgerecht und nicht polemisch zu diskutieren.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Kollegin Amke Dietert-Scheuer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der jetzt leider vom Bundesrat verabschiedet wurde, wird von allen, die etwas von der Thematik verstehen, einhellig abgelehnt: von Kirchen, von Flüchtlingsorganisationen -
- ja, von Ihnen natürlich nicht; Sie verstehen ja auch nichts davon -,
von Wohlfahrtsverbänden und vom UNHCR. Die Caritas bezeichnet den Entwurf als ein „Gesetz, das dazu dient, Menschen auszuhungern". Der Münsteraner Weihbischof Voß befürchtet die Abstempelung von Flüchtlingen als unerwünschte Personen.
Die Wohlfahrtsverbände kritisieren das Vorhaben als menschlich untragbar und für Deutschland unwürdig. Diesen Bewertungen kann ich mich nur voll und ganz anschließen.
Der UNHCR befürchtet insbesondere - darauf hat Frau Hübner eben schon aufmerksam gemacht -, daß den Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention schutzbedürftig sind, die soziale Sicherung entzogen wird. Gerade der soziale Status und die Leistungen an Menschen, die geduldet sind, sind nach der Vorlage eben nicht eindeutig geregelt. Es mag sein, daß da noch Nachbesserungen möglich sind. Bisher ist aber nicht ausgeschlossen, daß solchen Menschen, die nach § 53 Ausländergesetz, zum Beispiel weil ihnen Folter oder Todesstrafe drohen oder die auf Grund eines Abschiebestopps oder deswegen geduldet werden, weil sie von' ihren Herkunftsländern nicht übernommen werden,
die Existenzgrundlage genommen wird. Das sind Menschen, denen deutsche Behörden aus guten Gründen Duldungen erteilt haben und denen man auf der anderen Seite die Sozialhilfe verweigern will. Man kann daran sehen, daß dieser Gesetzentwurf in einem Hopplahopp-Verfahren eingebracht worden ist; er ist mit heißer Nadel gestrickt, undurchdacht und insbesondere unmenschlich. Er verstößt gegen die Genfer Konvention, die festlegt, daß für Flüchtlinge, die hier leben, auch das soziale Existenzminimum gesichert sein muß.
Eine andere Frage ist, wie Sie den Bereich der Ausnahmeregelungen überhaupt umsetzen wollen. Es heißt, es handele sich um eine Kürzung. Tatsächlich ist es aber keine Kürzung, sondern ein Angriff auf die Menschenwürde. Außerdem heißt es, Leistungen würden auf unabweisbare Ausnahmefälle beschränkt. Es fragt sich, wer das ist und wer das entscheidet.
Amke Dietert-Scheuer
Müssen jetzt die Sozialamtssachbearbeiterinnen und Sozialamtssachbearbeiter in jedem Einzelfall entscheiden, ob und wieviel sie einem einzelnen Flüchtling gewähren? Müssen sie prüfen, ob jemand tatsächlich ausreisepflichtig ist und ob die Ausreise möglich ist? Das Ganze wird eine Flut von Anträgen und Gerichtsverfahren zur Folge haben, die ja wohl kaum im Sinne des Erfinders sein können.
Eine weitere Folge wird sein, daß die Anzahl von Asylantragsstellungen wiederum in die Höhe getrieben wird, da Menschen, die zum Beispiel auf Grund von Kriegs- und Bürgerkriegssituationen nach Deutschland kommen, nach unserer restriktiven und ebenfalls im Widerspruch zur Genfer Konvention stehenden Auslegung in diesem Lande keine Anerkennungschancen haben und zunächst oft keine Asylanträge stellen. Diesen Menschen wird auf dem Wege des Entzugs der Leistungsberechtigung kein anderer Ausweg gelassen, als ins Asylverfahren zu gehen. Ich sehe schon die Tiraden von Herrn Innenminister Kanther voraus, der sich dann wieder hinstellen kann, um zu sagen: Die Asylbewerberzahlen steigen wieder, also müssen wir wieder die Gesetze verschärfen. - Dasselbe ist schon einmal mit den bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen gemacht worden, die genau zu diesem Zweck unsinnig in die Asylverfahren hineingetrieben wurden.
Meiner Meinung nach ist es besonders empörend - bei den sogenannten christlichen Parteien wundert man sich in dieser Hinsicht ja schon über nichts mehr -,
daß auch die SPD immer wieder sämtliche Verschärfungen und Schikanen gegen Flüchtlinge mitträgt und ihnen im Bundesrat und meist ja auch im Bundestag zustimmt. Es reicht nicht aus, im Bundestag die menschenrechtswidrige Ausländer- und Flüchtlingspolitik zu kritisieren, die von den SPD-Innenministern selbst betrieben und in aller Schärfe exekutiert wird.
Nach dem Bundesrat werden auch wir im Bundestag das Gesetz zu behandeln haben. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die aus der sozialdemokratischen Fraktion, dringend auffordern, diesem unsinnigen und menschenverachtenden Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.
Das Wort hat der Kollege Ulf Fink, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte hat sehr deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, daß man den genauen Gesetzestext kennt, daß man sich genau mit ihm beschäftigt, weil erst dann wirklich beurteilt werden kann, wer betroffen ist und um wie viele Menschen es sich handelt.
Deshalb hätten Sie, meine Damen und Herren von der Grün-Alternativen Liste - -
- Gut, Frau Nickels. Ihre Bemerkungen haben bei mir einfach den naheliegenden Gedanken hervorgerufen, daß bei Ihnen offenbar eine entsprechende Entwicklung da ist. Wenn Sie wirklich das Wohl der Menschen meinen würden, dann hätten Sie diese Debatte nicht heute führen dürfen, sondern erst nach einer gründlichen Lektüre des Gesetzestextes.
Es ist doch so, daß wir seit Jahr und Tag - und zwar von niemandem kritisiert; vielmehr ist es allgemeiner Konsens - sagen, daß wir den Menschen dann Sozialhilfeleistungen zukommen lassen wollen - das Asylbewerberleistungsgesetz ist aus dem Sozialhilferecht entstanden -,
wenn der Betreffende nicht selbst mutwillig die Sozialhilfebedürftigkeit herbeiführt.
Dieser Grundsatz gilt. Er gilt nicht nur gegenüber Ausländern, sondern er gilt gegenüber jedermann, der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, also auch gegenüber Deutschen - und das seit langem. Wenn ich es recht verstanden habe, ist es das Ziel dieses Gesetzentwurfes, diesen allgemein geltenden Grundsatz auch auf die Berechtigten im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes auszudehnen.
Wenn das der Fall ist, dann allerdings, liebe Frau Fischer, muß ich Ihnen sagen: Sie wissen, daß ich Ihre Diskussionsbeiträge ansonsten schätze. Aber die Presseerklärung, die Sie herausgeben haben und in der vom Rückfall in völkische Betrachtungsweisen und dergleichen mehr gesprochen wird - vielleicht wollen Sie damit in Berlin Wählerstimmen sammeln -, hat mit der Sache wirklich nichts zu tun.
Ich möchte noch einen weiteren Gesichtspunkt nennen. Es ist so, daß die Bundesrepublik Deutschland - das ist international anerkannt; aber offenbar spricht es sich nicht bis zu Ihrer Fraktion herum - dasjenige europäische Land ist, das unter den vergleichbaren Ländern die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat.
Ulf Fink
- Das ist so: Unter vergleichbaren Ländern. Immer die Größenordnung betrachten! Wir sind ferner unter vergleichbaren Ländern dasjenige Land, das den Flüchtlingen einen sehr beachtlichen sozialen Standard bietet.
Ich bitte Sie einfach, diesen Grundkonsens, den wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, nicht dadurch in Frage zu stellen, daß Sie immer dann, wenn es nur darum geht, Mißbrauch zu vermeiden, Schlagwörter wie allgemeine Humanität und soziale Gerechtigkeit bemühen.
Die letzte Bemerkung meinerseits. Es scheint nun klargestellt zu sein - das begrüße ich sehr -, daß die Bosnier von dieser Regelung nicht betroffen sind. In diesem Zusammenhang gab es Irritationen. Der dritte Absatz ist offenbar entfallen. Das finde ich gut.
Deshalb laßt uns jetzt diesen Gesetzentwurf im einzelnen genauer anschauen und dann zu einem vernünftigen Urteil kommen!
Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Februar 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.