Rede von
Amke
Dietert-Scheuer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der jetzt leider vom Bundesrat verabschiedet wurde, wird von allen, die etwas von der Thematik verstehen, einhellig abgelehnt: von Kirchen, von Flüchtlingsorganisationen -
- ja, von Ihnen natürlich nicht; Sie verstehen ja auch nichts davon -,
von Wohlfahrtsverbänden und vom UNHCR. Die Caritas bezeichnet den Entwurf als ein „Gesetz, das dazu dient, Menschen auszuhungern". Der Münsteraner Weihbischof Voß befürchtet die Abstempelung von Flüchtlingen als unerwünschte Personen.
Die Wohlfahrtsverbände kritisieren das Vorhaben als menschlich untragbar und für Deutschland unwürdig. Diesen Bewertungen kann ich mich nur voll und ganz anschließen.
Der UNHCR befürchtet insbesondere - darauf hat Frau Hübner eben schon aufmerksam gemacht -, daß den Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention schutzbedürftig sind, die soziale Sicherung entzogen wird. Gerade der soziale Status und die Leistungen an Menschen, die geduldet sind, sind nach der Vorlage eben nicht eindeutig geregelt. Es mag sein, daß da noch Nachbesserungen möglich sind. Bisher ist aber nicht ausgeschlossen, daß solchen Menschen, die nach § 53 Ausländergesetz, zum Beispiel weil ihnen Folter oder Todesstrafe drohen oder die auf Grund eines Abschiebestopps oder deswegen geduldet werden, weil sie von' ihren Herkunftsländern nicht übernommen werden,
die Existenzgrundlage genommen wird. Das sind Menschen, denen deutsche Behörden aus guten Gründen Duldungen erteilt haben und denen man auf der anderen Seite die Sozialhilfe verweigern will. Man kann daran sehen, daß dieser Gesetzentwurf in einem Hopplahopp-Verfahren eingebracht worden ist; er ist mit heißer Nadel gestrickt, undurchdacht und insbesondere unmenschlich. Er verstößt gegen die Genfer Konvention, die festlegt, daß für Flüchtlinge, die hier leben, auch das soziale Existenzminimum gesichert sein muß.
Eine andere Frage ist, wie Sie den Bereich der Ausnahmeregelungen überhaupt umsetzen wollen. Es heißt, es handele sich um eine Kürzung. Tatsächlich ist es aber keine Kürzung, sondern ein Angriff auf die Menschenwürde. Außerdem heißt es, Leistungen würden auf unabweisbare Ausnahmefälle beschränkt. Es fragt sich, wer das ist und wer das entscheidet.
Amke Dietert-Scheuer
Müssen jetzt die Sozialamtssachbearbeiterinnen und Sozialamtssachbearbeiter in jedem Einzelfall entscheiden, ob und wieviel sie einem einzelnen Flüchtling gewähren? Müssen sie prüfen, ob jemand tatsächlich ausreisepflichtig ist und ob die Ausreise möglich ist? Das Ganze wird eine Flut von Anträgen und Gerichtsverfahren zur Folge haben, die ja wohl kaum im Sinne des Erfinders sein können.
Eine weitere Folge wird sein, daß die Anzahl von Asylantragsstellungen wiederum in die Höhe getrieben wird, da Menschen, die zum Beispiel auf Grund von Kriegs- und Bürgerkriegssituationen nach Deutschland kommen, nach unserer restriktiven und ebenfalls im Widerspruch zur Genfer Konvention stehenden Auslegung in diesem Lande keine Anerkennungschancen haben und zunächst oft keine Asylanträge stellen. Diesen Menschen wird auf dem Wege des Entzugs der Leistungsberechtigung kein anderer Ausweg gelassen, als ins Asylverfahren zu gehen. Ich sehe schon die Tiraden von Herrn Innenminister Kanther voraus, der sich dann wieder hinstellen kann, um zu sagen: Die Asylbewerberzahlen steigen wieder, also müssen wir wieder die Gesetze verschärfen. - Dasselbe ist schon einmal mit den bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen gemacht worden, die genau zu diesem Zweck unsinnig in die Asylverfahren hineingetrieben wurden.
Meiner Meinung nach ist es besonders empörend - bei den sogenannten christlichen Parteien wundert man sich in dieser Hinsicht ja schon über nichts mehr -,
daß auch die SPD immer wieder sämtliche Verschärfungen und Schikanen gegen Flüchtlinge mitträgt und ihnen im Bundesrat und meist ja auch im Bundestag zustimmt. Es reicht nicht aus, im Bundestag die menschenrechtswidrige Ausländer- und Flüchtlingspolitik zu kritisieren, die von den SPD-Innenministern selbst betrieben und in aller Schärfe exekutiert wird.
Nach dem Bundesrat werden auch wir im Bundestag das Gesetz zu behandeln haben. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die aus der sozialdemokratischen Fraktion, dringend auffordern, diesem unsinnigen und menschenverachtenden Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.