Rede von
Horst
Kubatschka
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Forschungsfamilie mit Gästen! Ich habe in meinem Redemanuskript des öfteren zwei Wörter aufgeschrieben und immer wieder durchgestrichen, und zwar die Wörter: „nachdenkliche Debatte". Ich muß sagen, teilweise haben wir eine nachdenkliche Debatte geführt, und ich glaube, daran werden wir gemessen.
Aber Sie, Herr Minister Rüttgers, haben hier für das Bierzelt geübt. Die bayerischen Standards haben Sie aber nicht erreicht. Ich bitte doch, hier nicht weiter zu trainieren. Das schadet der Sache.
Herr Mayer, zu Ihnen: Sie kultivieren fleißig Ihre Vorurteile.
Ich würde Ihnen raten, neue Ideen einzuführen; denn für Ihre bisherigen Reden, die ich kenne, bekommen Sie keinen Innovationspreis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Enkel werden uns in 50 Jahren verfluchen, werden den Stab über uns brechen, wenn wir jetzt nicht handeln. Die Bundesregierung handelt für mich nicht entschieden genug. Wir müssen eine nachhaltige, zukunftsverträgliche Entwicklung einleiten.
Der Bundesregierung fehlt ein Gesamtkonzept für eine Politik der nachhaltigen Entwicklung, in das die Forschungs- und Technologiepolitik eingebunden ist. Es fehlen langfristig verläßliche Rahmenbedingungen, die eine ökologische Orientierung der Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in Wissenschaft und Wirtschaft fördern und Planungssicherheit für Investitionen von Unternehmen und Verbrauchern schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Enkel werden uns daran messen, ob wir damit anfangen, unsere Produktionsweisen und Dienstleistungen auf Nachhaltigkeit, auf Zukunftsfähigkeit umzustellen. Wir müssen damit beginnen, in Kreisläufen zu denken und zu handeln. Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft für Produktion und Dienstleistung wird viele Jahrzehnte dauern; das ist ein langwieriger Prozeß.
Horst Kubatschka
Dies bedeutet in der Praxis: Wir müssen Ressourcen schonen und abfallarm wirtschaften, eine stetige Erhöhung der Stoff- und Materialproduktivität erreichen, eine massive Effizienzsteigerung in der Energieversorgung einleiten, der Solarwirtschaft zum Durchbruch verhelfen und die Verkehrssysteme umweltgerecht und energiesparend umgestalten.
Diese zukünftige Entwicklung erfordert ein neues Leitbild von Forschung und Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Forschungs- und Innovationspolitik, die die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, aber auch - das ist genauso wichtig - die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen als gleichrangige Ziele verfolgt.
Entgegen allen Bekundungen verfolgt die Bundesregierung diese Ziele nicht. Nach wie vor ist eine erkennbare Umorientierung der Forschungspolitik auf das Kriterium „Nachhaltigkeit" nicht eingeleitet worden. Im Gegenteil: Der um 52 Millionen DM gekürzte Mittelansatz bei der nichtnuklearen Energieforschung - von 290 Millionen DM auf 238 Millionen DM im Jahre 1997 - hat dazu geführt, daß es neue Bewilligungen im Jahre 1997 praktisch nicht gegeben hat. Noch immer liegen die Ausgaben für erneuerbare Energien deutlich unter denen für Kernenergieforschung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bauwirtschaft und das Bauhandwerk brauchen dringendst Impulse. Die IG Bau hat ermittelt, daß die Verdreifachung des heutigen Anteils der erneuerbaren Energien in der Europäischen Union zu 2 Millionen neuen Arbeitsplätzen führt. Im Baubereich würde das 800 000 neue Stellen bedeuten. Damit würden wir Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanzieren - und ein Schritt zur Nachhaltigkeit wäre getan.
Eine konsequente Effizienz- und Solarstrategie löst Innovationen auf breiter Front aus. Energiespar- und Solartechnologien sind echte Problemlösungstechnologien und nicht - wie die End-of-pipe-Technologien - Problemverlagerungstechnologien, Solartechnologien und Energiespartechniken sind eine gute Vorbereitung auf die Weltmärkte der Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Forschen und Entwickeln ist die eine Seite der Medaille, den neuen Erkenntnissen zum Durchbruch auf dem Markt zu verhelfen ist die andere. Dafür muß eine gezielte Markteinführungspolitik betrieben werden.
Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie muß aufgewertet werden. Die neuen Erkenntnisse, das neue Wissen muß in Innovationen umgesetzt werden. Dazu ist ein Innovationsministerium erforderlich. Dieses muß die notwendigen Marktstrategien entwickeln und den Innovationen eine Chance geben. Wir dürfen nicht Wissen, sondern müssen Produkte exportieren.
Dazu ein Negativbeispiel - nicht das berühmte Beispiel Telefax -, damit Sie, Herr Mayer, etwas Neues zu begreifen haben: Das Ministerium förderte mit 30 Millionen DM die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung im Werkzeugmaschinenbau. Diese Erkenntnisse wurden jedoch nicht in Deutschland in Arbeitsplätze umgesetzt, sondern in Japan. Japan ist heute in dieser Technologie führend. Man schätzt, daß wegen des Technologiesprunges der Japaner in Deutschland 30 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind. Bei uns wurden die Erkenntnisse erarbeitet, und die Japaner haben diese umgesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Zeit werden die Forschungseinrichtungen „auf schlank" getrimmt. Stellenkürzungen müssen her, so nach dem Modell Rasenmäher. So soll zum Beispiel die MaxPlanck-Gesellschaft bis zum Jahre 2000 740 Planstellen abbauen, ohne Rücksicht auf die Inhalte und Forschungsschwerpunkte. Das Ergebnis: Der Nachwuchs steht draußen vor der Tür. Wir bilden die jungen Wissenschaftler aus; im Zuge des Generationenvertrages werden erhebliche Mittel dafür aufgewendet. Aber: Bei uns haben sie dann auf dem Arbeitsmarkt nur eine geringe Chance. Die Industrie hält sich zurück, die Forschungseinrichtungen des Bundes können sie nicht brauchen. Der Wissenstransfer ist gefährdet. Bekanntlich findet dieser vor allem über die Köpfe der Nachwuchswissenschaftler statt. Herr Kollege Laermann, da stimmen wir überein: Hier müssen wir etwas machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschlands technologische Leistungsfähigkeit muß angezweifelt werden. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung stagnieren; sie liegen gerade einmal bei 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen führen bei uns nicht zu mehr Arbeitsplätzen. Deutschland hat bei den wissensintensiven Dienstleistungen einen großen Nachholbedarf.
Bei den Zukunftsbranchen ist nicht alles Gold, was glänzt. In der Biotechnologie liegt der Patentspitzenreiter Deutschland weit hinter den USA zurück. In der Mikroelektronik und der Multimediabranche „schwimmt Deutschland im weltweiten Trend mit", ohne nennenswert aufzuholen.
Die Forschungs- und Technologiepolitik dieser Regierung ist zu stark technikzentriert und auf konventionelle Themen ausgerichtet. Aus diesen Gründen werden wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen den Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums nach der gewonnenen Bundestagswahl deutlich aufstocken und die richtigen Schwerpunkte für eine auf Nachhaltigkeit orientierte Innovations- und Forschungspolitik setzen,
die mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen neue Arbeitsplätze schafft und die vorhandenen Arbeitsplätze sichert.
Weil ich sozusagen der Libero meiner Fraktion bin, möchte ich zum Schluß den Wissenschaftlern und Forschern für ihre Leistungen danken und sie auffor-
Horst Kubatschka
dem, so weiterzumachen. Zudem möchte ich den Nachwuchs bitten, nicht zu resignieren.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die größte und beste Innovation für Deutschland wäre der Regierungswechsel.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.