Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Internet finden Sie auf der Homepage der CDU einen wunderbaren Satz. Dort steht:
Wir werden durch ein überproportionales Wachstum des Bundeshaushalts für Forschung und Technologie Spielräume für neue Initiativen insbesondere in den Spitzentechnologien eröffnen und eine kontinuierliche Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern ermöglichen.
Die Aussage ist so richtig und so gut, daß sich in die erste Freude über soviel Konsens sofort ein Verdacht einschleicht. Nachdem Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, seit über 15 Jahren regieren, fragt sich der Besucher dieser Homepage: Von welcher Zukunft sprechen die, und was macht, bitte schön, das Bundesministerium für Forschung und Technologie?
Diese gute Botschaft kann also so neu nicht sein. Tatsächlich stammt sie aus der Koalitionsvereinbarung von 1994.
So lernen wir nur eines daraus: Die CDU versendet in einem schnellen Medium ein höchst veraltetes Versprechen, das die Koalition nicht einhält.
Wahrscheinlich ist es keine Übertreibung, wenn ich feststelle: Ginge es allein nach Ihren Worten und Ihren Ankündigungen, Herr Minister und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, gäbe es eine Menge forschungspolitischer Gemeinsamkeiten in diesem Hause. Aber wirkliche Gemeinsamkeit scheitert leider daran, daß die Koalition ihre eigenen Ankündigungen nicht ernst nimmt. Aus der angekündigten überproportionalen Steigerung der Ausgaben ist ein bemerkenswerter Abbau von Mitteln geworden. Das Lob, das Ihnen Professor Hubert Markl öffentlich erteilt, klingt vor diesem Hintergrund ziemlich schal. Es besagt in meinen Worten, die Verwaltung des Mangels sei diesem Minister ganz passabel gelungen.
Der Gedanke erinnert mich an eine andere Botschaft; sie enthält die „wirkliche Wahrheit" über die Politik dieser Bundesregierung und dementiert alle früheren Ankündigungen einschließlich des geltenden Koalitionsvertrages. Der Kollege Rüttgers hat diese Wahrheit hier im Bundestag ganz gelassen ausgesprochen. Wenn überall gespart werden müsse, so teilten Sie uns mit, könne und wolle - wolle! - Ihr Ressort sich dem nicht entziehen. Dies ist der einzige Satz des Zukunftsministers, von dem ich guten Gewissens sagen kann: Worte und Taten stimmen überein.
Wir haben einen jahrelangen Rückgang des Forschungsetats zu beklagen - von 1993 bis 1998 um 760 Millionen DM. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht bis zum Jahre 2001 eine weitere kontinuierliche Absenkung des Einzelplans 30 auf dann nur noch 14,3 Milliarden DM vor - also schon nominal weniger Ausgaben als 1991. Der Stifterverband hat jüngst vorgerechnet, daß wir heute insgesamt - also Staat und Wirtschaft - weniger für die Forschung ausgeben als noch 1992. Er hat ebenfalls darauf aufmerksam gemacht - dies allen Deregulierern und Marktideologen ins Stammbuch -, daß die Wirtschaft den Rückzug des Staates aus der Forschungsfinanzierung nicht kompensiert, im Gegenteil.
Der Koalitionsvertrag verspricht auch - ich erinnere daran - eine überproportionale Steigerung der FuE-Aufwendungen für Ostdeutschland. 1996 gaben Sie dafür 368 Millionen DM aus; 1998 geben Sie nur noch 280 Millionen DM aus. Dies ist die überproportionale Steigerung Ihrer Machart. Papier ist geduldig, hat man früher gesagt, das Internet auch. Man kann dort hineinschreiben, was man will; stimmen muß es ja nicht.
Auch die Struktur des Forschungsetats ist zweifelhaft. Der Anteil der institutionellen Förderung beträgt fast 45 Prozent. Dafür gibt es sicher Gründe. Aber ein flexibler Mitteleinsatz ist das nicht.
Wolfgang Thierse
Es ist bemerkenswert, daß aus Regierungskreisen immer wieder die Klage zu hören ist, unser Land sei technikfeindlich und nicht innovationsfreudig; es gebe einen Reformstau. Das klingt so, als würden Sie gar nicht regieren. Vor allem aber stimmt es so überhaupt nicht. Was die Leistungen der Forschung, was die Entwicklung neuer Produkte betrifft, muß man die mittelständischen Betriebe, zum Teil auch die Großindustrie, die Forschungsinstitute und die Universitäten geradezu in Schutz nehmen vor diesen Vorwürfen.
Nicht in der Gesellschaft, nicht in den Betrieben und Forschungseinrichtungen gibt es einen Stau; da wird ständig und mit respektablem Erfolg an Innovationen gearbeitet. Stau gibt es nur in der Politik.
Er hemmt den Rest.
Herr Minister Rüttgers, Sie haben selbst vor 14 Tagen ein von Ihnen bestelltes Gutachten „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 1997 " der Öffentlichkeit präsentiert. Man muß sich das genau anschauen, und man wird bestätigt finden - dankbar bestätigt finden, Herr Lenzer -, daß wir uns der technologischen Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Wissenschaft nicht zu schämen brauchen. Wahrlich nicht!
Offensichtlich aber kommen diese Leistungen nicht wegen, sondern trotz Ihrer Politik zustande. Das zeigen die Daten, die ich eben vorgetragen habe.
Als Sie das Gutachten der Öffentlichkeit vorstellten, haben Sie der Presse mitgeteilt, Deutschland befinde sich „auf dem Weg zum High-Tech-Land". Daß wir uns nur auf dem Weg befinden,
heißt: Es wurden Chancen verpaßt. Eine Regierung, die 15 Jahre lang ihre Modernität betont und sich selbst aufforderte, weiter so zu machen, müßte nach dieser langen Zeit doch erklären können: Deutschland ist ein High-Tech-Land.
Nun gut, wir wollen festhalten, daß wir im internationalen Handel und bei Patentanmeldungen den Anschluß an die Weltspitze nicht verloren haben.
Wir wollen das dankend anerkennen. Aber wir müssen auch festhalten, daß wir Anfang der 80er Jahre, zu Beginn Ihrer Regierungszeit, im internationalen Vergleich bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit den USA gemeinsam weltweit Spitzenreiter waren. Der Bericht der Institute hält fest, daß die Bundesrepublik in dieser Hinsicht auf Platz neun - hinter Japan, den USA, Schweden, Frankreich, der Schweiz, Korea, Finnland und Israel - zurückgefallen ist - eine stolze Bilanz.
Der Anteil der Bildungsausgaben am Inlandsprodukt - so steht es auch im Gutachten - nimmt weiter ab. Schlimm genug, daß es so ist, aber es entspricht auch Ihren Plänen. Jedenfalls rechnet die Bundesregierung mit einem weiteren Einsparvolumen allein beim BAföG von 300 Millionen DM in diesem Jahr. Dem Protest der Studierenden haben Sie rasch Verständnis und ein Trostpflaster von 40 Millionen DM für Bibliotheken entgegengebracht. Die 40 Millionen DM stehen inzwischen wieder in Frage, höre ich. Worte und Taten sind bei Ihnen eben nicht dasselbe.
Ich bleibe bei dem Gutachten, um es ein letztes Mal zu zitieren. Zu den Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland stellen die Institute fest:
Kein Land muß auf einen derart steilen und einschneidenden Rückgang von FuE verweisen wie Deutschland.
Kein Land! Deutlicher kann man es nicht mehr sagen. Das ist die Bilanz Ihrer Forschungspolitik.
Ein Wort zu den Leitprojekten. Sie wissen, auch wir wollen die Forschungsförderung an Leitprojekten ausrichten. Wir wollen neue Produkte entwickeln, die am internationalen Markt wettbewerbsfähig sind. Wir sehen mit Ihnen durchaus gemeinsam das Problem, daß der Weg vom Forscher und Entwickler insbesondere zu den innovationsfreudigen mittelständischen Betrieben viel zu weit ist. Vor allem hierin liegt die Gefahr für die zukünftige internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Die Ideen sind da; aber an der Umsetzung hapert es.
Anders verhält es sich bei unseren Großunternehmen, die glücklicherweise auch über eigene große Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verfügen. Forschungspolitik müßte sich vor diesem Hintergrund also darauf konzentrieren, das Bindeglied zwischen Forschung und mittelständischer Produktion herzustellen.
Dazu gibt es ein ministerielles Leitprojekt; es heißt „Innovative Produkte". Es enthält 271 Vorschläge, erarbeitet von über 1800 Partnern aus Industrie, Verbänden und Forschungseinrichtungen. In der ersten Phase gab es 15 Wettbewerbssieger. Sie erhalten zur weiteren Ausarbeitung ihrer Vorschläge eine Zuwendung von bis zu 100 000 DM.
Ich habe erwartet, dort eher weniger berühmte Namen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, von selbständigen ostdeutschen Forschungseinrichtungen zu finden. Aber tatsächlich bekommen Daimler Benz, Siemens, Bosch, Thyssen, Volkswagen, Porsche, Philipp Holzmann und die Fraunhofer Gesellschaft Fördermittel, um sich sozusagen selbst vorzuschlagen, wie sie ihre eigenen Forschungsergebnisse schneller in neue Produkte umsetzen kön-
Wolfgang Thierse
nen. Mit Verlaub: Ich halte das für einigermaßen unsinnig.
Meine Damen und Herren, Forschungspolitik muß Teil eines gesamtpolitischen Konzepts sein. Sie muß selbstverständlich nach der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Produkte und unserer Dienstleistungen fragen. Denn nur mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen - nicht zum erstenmal schließe ich die Biotechnik ausdrücklich ein - wird die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb das erreichte Einkommensniveau verteidigen, neue Arbeitsplätze schaffen und vorhandene Arbeitsplätze, so hoffe ich, sichern können. Das allein reicht als Leitbild für die Forschungspolitik aber nicht aus. Es ist viel, aber es reicht nicht aus.
Wir sind uns einig - wir haben in diesem Hause schon öfter darüber debattiert - über die Bedeutung der modernen Kommunikationstechniken. Es stimmt aber auch, daß sie zunächst einmal Rationalisierungstechniken sind. Bei Banken und Versicherungen kann sich jedermann ein Bild davon machen, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Sichtbarkeit menschliche Arbeit durch digitale Medien ersetzt wird.
Dieser Umbruch wirft viele Fragen auf, die wir längst noch nicht alle beantworten können. Deshalb brauchen wir - das ist aber nur einer der Gründe - wieder verstärkt sozialwissenschaftliche Forschung. Wir bewegen uns auf eine sehr konfliktreiche soziale Situation zu. Wir müssen dem vorbeugen. Wir müssen gesellschaftlichen Zusammenhalt neu stiften - auch mit der Hilfe und mit den Mitteln der Wissenschaft.
Wir müssen - ebenfalls mit der Unterstützung der Wissenschaft - Perspektiven entwickeln, damit junge Menschen begreifen können, daß Politik kein Unternehmen zum Abbruch von Arbeitsplätzen sein muß. Wir müssen uns daranmachen, möglichst schnell möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir können uns nicht hinsetzen und erklären: Der Gesellschaft geht die Arbeit aus; jeder muß selbst sehen, wie er klarkommt. Das ist keine Politik; das ist Zynismus.
Meine Damen und Herren, wir können auch nicht so tun, als seien die Umweltprobleme gelöst. Wir müssen deswegen nicht nur nach innovativen Produkten fragen, sondern wir müssen auch ein Interesse an den ökologischen Eigenschaften dieser Produkte haben. Ökologisch vernünftige Produkte und Technologien hätten einen großen Vorteil: Sie werden weltweit nachgefragt.
Unser Verständnis von Nachhaltigkeit ist nicht wirtschaftsfeindlich. Rohstoffe und Energie sparen, möglichst viel wiederverwerten - auch etwa beim
Bauen -, das ist innovativ und hat auch Auswirkungen auf die Beschäftigung.
Friedrich Dürrenmatt hätte sich über die riesige Kluft zwischen Worten und Taten Ihrer Politik vielleicht nicht so sehr gewundert. Er hat in der ihm eigenen nachsichtig ironischen Art mitgeteilt:
Das Gute am Menschen ist, daß er über Einsichten verfügt. Das Schlechte an ihm ist, daß er nicht danach handelt.
Ich meine, wir können uns, was die Forschungspolitik und die Bildungspolitik betrifft, diese Art von Nachsicht nicht mehr leisten. Es wird Zeit, daß wir Worte und Taten wieder in Übereinstimmung bringen. Dazu reichen Umschichtungen innerhalb des Forschungsetats nicht mehr aus. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß wir bei den öffentlichen wie privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung wieder internationales Niveau erreichen und die Zeit vom Forschungsergebnis bis zum Produkt erheblich verkürzen. Dazu braucht das Forschungsressort auch wieder finanziellen Handlungsspielraum, und zwar mehr als bisher. Den werden wir ihm verschaffen.
Das ist ebenso versprochen wie die inhaltliche Ausrichtung an den genannten Leitbildern: ökologische Verantwortung und Nachhaltigkeit, neue Technologien, die sich Lösungen in der Natur zum Vorbild nehmen, Kreislaufwirtschaft, Sparen und Wiederverwerten von Energie und Rohstoffen, schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen und internationale Wettbewerbsfähigkeit innovativer Produkte und Dienstleistungen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.