Rede von
Dr.
Manuel
Kiper
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Anläßlich der Aufsetzung des Forschungsberichtes und drei Jahre nach der Amtsübernahme durch den „Zukunftsminister" Rüttgers ist es Zeit, über das Bilanz zu ziehen, was Herr Rüttgers in Gang gesetzt hat. Angetreten war der sogenannte Zukunftsminister mit Vorschußlorbeeren: Endlich hätte die Zukunft einen Lobbyisten in der Regierung.
Der vorliegende Forschungsbericht macht allerdings deutlich, daß der mit Rüttgers eingeläutete Zukunfts- und Innovationsjargon verlogene PR ist.
Statt die Tür für das nächste Jahrtausend aufzumachen, hinterläßt Dr. Rüttgers eine ausgedünnte For-
Dr. Manuel Kiper
schungslandschaft. Die angekündigte Zukunftspolitik ist ausgeblieben. Die eher dürftigen Aussagen in der Koalitionsvereinbarung von 1994 zeigten, wie wenig Priorität diese Regierung dem Bereich Forschung und Wissenschaft beimißt. Das Bildungs- und das Forschungsministerium sind zusammengelegt worden. Synergieeffekte sind allerdings nicht erkennbar. Die Forschung wurde neu ausgerichtet, aber nicht auf Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit, sondern vorrangig auf kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit. Die nach der Agenda 21 von Rio notwendige umfassende Umorientierung von Forschung und Bildung auf Nachhaltigkeit blieb aus. In Ihrer Forschungs- und Technologiepolitik, Herr Minister, wurde statt Problem- und Bedürfnisorientierung reine Technologieentfaltung zur Duftmarke.
In der Koalitionsvereinbarung waren zwei Pläne und Vorhaben im Bereich Forschung und Wissenschaft konkretisiert, die es nunmehr zu bewerten gilt: Erstens. Die angekündigte hochgestochene Akademie der Wissenschaften wurde nicht errichtet. Dafür wurde der Bundesforschungsminister zum Geschäftsführer eines Innovations- und Technologierats beim Bundeskanzler gemacht. Dieses exklusive Spitzenkränzchen ist Ausdruck eines elitären Wissenschaftsverständnisses.
Nötig wären allerdings dialogorientierte Innovationsallianzen.
Zweitens. Die Bundesausgaben für Bildung und Forschung - der Kollege Thierse hat bereits darauf hingewiesen - sollten laut Koalitionsvereinbarung überproportional gesteigert werden. Statt dessen wurden sie systematisch überproportional heruntergefahren. Ich erinnere an den Kollegen Lenzer - er hat es während der Haushaltsplanberatungen noch prononcierter ausgedrückt als heute -, der seinerzeit ein Signal gefordert hat, um keine Steilvorlage für den Wahlkampf der Opposition zu liefern. Der CDU drohe dann eine Glaubwürdigkeitslücke. Deshalb dürfe nicht weiter an Bildungs- und Forschungsausgaben gespart werden. - Diese Glaubwürdigkeitslücke, Herr Lenzer, ist eine reale Lücke; sie ist auch mit Haushaltskosmetik nicht mehr zu schließen.
Es geht aber nicht nur um eine Glaubwürdigkeitslücke, es geht auch um eine Verläßlichkeitslücke. Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz haben Ende letzten Jahres hinsichtlich der Kürzungen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft die mangelnde Verläßlichkeit der Bundesregierung beklagt. Mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft waren angesichts der enorm angestiegenen Aufgaben in den neuen Bundesländern bei der Sicherung der Hochschulforschung 5 Prozent Aufwuchs vereinbart worden. Von den Haushältern ist dies unrühmlich gekürzt worden. Wir stemmten uns als einzige Partei gegen die Kürzung. Hubert Markl, der langjährige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hat bitter beklagt, daß diese Kürzungen wieder zehn Sonderforschungsbereiche und ein ganzes Max-Planck-Institut in diesem Lande vernichten.
Auch den Helmholtz-Zentren wurden seit 1993 2000 Stellen genommen. Nicht die Forschung in diesem Lande -ist verrottet. Verrottet, um das Wort von Professor Simon zu benutzen, ist Ihre Forschungspolitik, Herr Minister. Ihre Forschungspolitik schwächt dieses Land nachhaltig bei seinem Zukunftskapital Forschung und Wissenschaft.
Meine Damen und Herren, die Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft auf mehr Wettbewerb, die Sie, Herr Rüttgers, betrieben haben, ist überfällig gewesen. Um die Leistungen des BMBF würdigen zu können, empfiehlt es sich, zunächst die Forderungen des BDI zur Umgestaltung von Forschung und Wissenschaft in Erinnerung zu rufen. Der BDI forderte die Verbindung des deutschen Wissenschaftssystems mit dem industriellen Innovations-und Produktionssystem; der BDI forderte die Neuorientierung der direkten Forschungsförderung auf Leitbilder und Leitprojekte. Der BDI zielte auf mehr Wettbewerb der Forschungseinrichtungen untereinander und die Herausbildung der Centers of excellence. Dieses Programm hat der Herr Bundesminister abgearbeitet.
Richtig daran war die Orientierung auf Wettbewerb. Ich kann hier nur die Worte von Professor Frühwald zitieren, dem langjährigen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft - er ist gerade abgetreten -, es habe sich Speck bei der auskömmlichen Planfinanzierung angesetzt. Insofern ist die Orientierung auf Wettbewerb auch aus unserer Sicht richtig. Richtig am Konzept der Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft ist auch die Herausbildung von Kompetenzzentren.
Falsch allerdings ist die Infragestellung der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung. Falsch ist der einseitig auf Konsens in der Wirtschaft orientierte Planungsprozeß bei Leitprojekten an Stelle eines breiten Dialogs von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, wie er beispielhaft in den Niederlanden mit dem „sustainable technology program" angefangen worden ist. Hier, Herr Minister, hätten Sie sich eigentlich einmal ein Vorbild nehmen können. Das haben Sie nicht gemacht.
Falsch ist es, den Forderungen des BDI nachzugeben, zu 50 Prozent über den Strategiefonds bei der HGF verfügen zu können und ihn personell quasi zu majorisieren. Falsch ist die von Ihnen betriebene kurzatmige Anwendungsnähe, statt die Wirtschaft zu verstärkten Forschungs- und Entwicklungsausgaben zu ermuntern. Falsch ist auch dieses strangulierende Windhundrennen der Forschungsinstitute. Wenn große Töpfe angekündigt werden, viel Arbeit der Antragsteller wie der Gutachter in die Anträge fließt,
Dr. Manuel Kiper
die Töpfe sich dann aber bereits am ersten Tag oder nach einer Woche als leer erweisen, weil die Töpfe nicht einmal halb gefüllt worden sind, verschafft sich der Ankündigungsminister nur auf Kosten der Wissenschaft einen PR-Auftritt. Wettbewerb mit solchen leeren Töpfen, Herr Minister, führt zu einem bürokratischen Leerlauf und legt unsere Forschungslandschaft und unsere Wissenschaft eher lahm. Wettbewerb braucht die Unterfütterung durch längerfristig angelegte Personalstrukturen und ausreichende Grundfinanzierung.
Herr Rüttgers, Ihre Forschungspolitik hat diesem Lande einen zweifachen Bärendienst erwiesen. Ihre Eröffnungsbilanz 1995 war durch eine katastrophale Miesmache des Standortes gekennzeichnet. Ihre kürzliche Abschlußbilanz war Beschönigung hoch drei. Ihre Eröffnungsbilanz erklärte den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland schlichtweg zur Ruine; Sie sprachen davon, daß das technologische Erbe verspielt worden sei. Herrn Riesenhuber klingelten seinerzeit die Ohren. Dies konnte zwar der internationalen Investitionsfreudigkeit hierzulande, nicht aber der glänzenden High-Tech-Exportbilanz aus diesem Standort Abbruch tun - zum Glück nicht. Die rote Karte für Schwarzmaler mußte Ihnen aus der Wissenschaft entgegengehalten werden.
Der zweite Bärendienst: Die jüngste Expertise der Wirtschaftsforschungsinstitute weist entgegen Ihrer Lobhudelei, die Sie jetzt im Wahlkampf hinsichtlich der Forschungs- und Technologiesituation dieses Landes betreiben - wo Sie immer davon reden, daß Deutschland inzwischen wieder Nummer eins in der Welt ist oder zumindest auf dem besten Wege, die Nummer eins in der Welt zu werden -, auf den Umstand hin - Kollege Thierse hat gerade darauf hingewiesen -, daß in keinem anderen Industrieland die Ausgaben für Forschung und Entwicklung real „so zügig" zurückgenommen wurden wie in Deutschland und daß damit die Grundlagen für Langfristprosperität aufs Spiel gesetzt würden. Ihre Versäumnisse, Herr Minister, werden sich später leider rächen.
Herr Rüttgers, Sie setzen auf Prestige und Spitzentechnologien. Zukunftsfähigkeit muß sich aber auf eine breite Innovationskultur stützen. Hierzu möchte ich ein paar Stichworte geben. Stichwort Weltraumfahrt: Sie setzen auf die bemannte Weltraumstation Alpha statt auf Erkundungs- und Kommunikationssatelliten.
- Das Geld dazu fehlt nicht, Kollege Rachel; Sie wissen das genau. Der BDI hat es Ihnen ins Stammbuch geschrieben. Lesen Sie das nach!
Stichwort Fusionsreaktor Wendelstein und Festhalten an ITER statt an Solarenergie. Stichwort KMU- Förderung: Nach wie vor sind nur 637 Millionen DM vorhanden, dazu zahlreiche bürokratische Hürden. Selbst der BDI beklagt: „Die Bundesregierung vernachlässigt die kleinen und mittleren Unternehmen." Stichwort Existenzgründer: Die Selbständigenrate ist in den letzten 20 Jahren von 18 auf 9 Prozent abgesackt; eine neue Kultur der Selbständigkeit wäre nötig. Das 3. Finanzmarktförderungsgesetz ist diesbezüglich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Auch das von Ihnen immer wieder bemühte Beispiel der Gentechnik, mit der sich mittlerweile international 300 Firmen befassen, hat nicht ändern können, daß über die Unterkapitalisierung dieser Firmen gelacht wird, weil die meisten dieser Firmen nicht einmal 1 Million DM an Risikokapital zur Verfügung haben.
International wird davon ausgegangen, daß mit weniger als 10 Millionen Dollar Risikokapital in der Hinterhand keine Firma im Bereich der Gen- und Biotechnologie zukünftig irgendein Produkt auf dem Markt mit Gewinn absetzen kann. Stichwort Dienstleistungsforschung: In diesem für Arbeitsplätze entscheidenden Feld wird Forschung auf Sparflamme gefördert. Das gleiche gilt für das Unterprogramm „Beschäftigung durch Innovation".
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Technologiefeindlichkeit sagen. Der Vorwurf der Technologiefeindlichkeit wird uns von Ihnen immer wieder gemacht. Eduard Oswald hat erst kürzlich in schriftlicher Form geäußert:
„Bündnis 90/Die Grünen sind und bleiben eine fortschritts- und technologiefeindliche Partei."
Ich möchte dieses dumme Geschwätz zurückweisen. Die Grünen sind eine technikkritische Partei.
Wir sind die Vorreiter von IuK-Technologien; wir sind die Vorreiter einer sanften Chemie und auch einer sanften Biotechnologie.
- Herr Mayer, das muß insbesondere Ihnen einmal gesagt werden, weil Sie immer meinen, die Grünen seien gegen Biotechnologie.
Richtig ist, daß wir in der Atomtechnik 15 000 Arbeitsplätze in Frage stellen. Dafür schaffen wir allein im Energiebereich 200 000 technologiebasierte Arbeitsplätze
durch das Paket „Ökosteuer, Energieeinsparung, regenerative Energien. "
Dr. Manuel Kiper
Lassen Sie mich zusammenfassen:
Dieses Land braucht eine offensive Forschungspolitik.
- Was Sie zurufen, ist sehr richtig; das Land braucht auch eine neue Regierung.
Herr Rüttgers redet zwar davon, mit der Forschung die Zukunft zu gewinnen; doch diese marode Bundesregierung betreibt die Demontage der Zukunft. Diese Regierung hat den Rückfall der Forschungsausgaben von 2,9 Prozent auf 2,3 Prozent des Bruttosozialprodukts zu verantworten. Während die USA die Mittel für Bildung um 20 Prozent auf 51 Milliarden Dollar erhöhen, während in Japan die Verdoppelung der öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahre 2000 beschlossen ist, organisiert diese Bundesregierung den Rückzug des Landes aus der Zukunftsfähigkeit.
Dieses Land braucht nicht nur wieder mehr Investitionen in Forschung und Bildung. Dieses Land bedarf statt einer Langfrustorientierung endlich einer Langfristorientierung auf nachhaltige FuT-Politik. Nicht Prestige- und reine Spitzentechnikorientierung braucht dieses Land, sondern breite Innovationsallianzen. Statt schwammiger Slogans von Innovationen für Deutschland brauchen wir eine Innovationskultur. Technische, soziale und kulturelle Innovation muß endlich als integrierter und als integrativer Prozeß organisiert werden.
Meine Damen und Herren, Herr Treusch, der langjährige Vorsitzende der HGF, sprach bei seinem Abschied von dem Forschungsminister als BMBF: Bundesminister mit beschränkten Finanzen. Man müßte eigentlich ergänzen: Bundesminister mit beschränkten Forschungsinteressen.
Herr Rüttgers, Sie sind der nächsten Generation aber etwas anderes schuldig. Das BMBF muß wieder ein Synonym für Boom in Bildung und Forschung werden.
Ich danke Ihnen.