Rede von
Dr.
Edelbert
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zu den zwei Anträgen „Risikokapital für junge Technologieunternehmen " sowie zur Fortsetzung der gezielten Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern sagen, die Ihnen schon länger vorliegen. Auf Grund der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, kann ich den Inhalt der Anträge zwar nicht im Detail erläutern; vielleicht kann ich aber ihren existentiellen Hintergrund ein Stück weit deutlich machen.
Deshalb möchte ich Sie bitten, sich mit mir einmal in die Situation eines innovativen Unternehmers aus den neuen Bundesländern zu versetzen. Wer solche Unternehmer besucht, der wird feststellen, daß es an hervorragenden technischen Ideen nicht fehlt. Denken Sie an den ersten FCKW-freien Kühlschrank von Foron aus Sachsen oder an das erste quecksilberfreie Thermometer aus Geraberg in Thüringen oder an das erste Gerät für drahtlose weltweite ISDN-Kommunikation aus Berlin. Die Frage, der wir uns stellen müssen - nach meinem Eindruck haben wir uns dieser Frage bisher zuwenig gestellt -, ist, warum Unternehmen mit solchen Ideen nicht expandieren, warum die Umsetzung der Ideen meistens so schwierig ist und warum Unternehmen oft sogar scheitern.
Eine sehr verbreitete Auffassung ist die, daß die ostdeutschen Unternehmen einfach zu träge, zu unerfahren und zuwenig selbstbewußt im Marketing sind. Das liege daran, daß in den 40 Jahren der Befehlswirtschaft die unternehmerische Tradition verlorengegangen sei. Ein anderer angeblicher Grund ist, daß es sich um Forscher- und Tüftlercharaktere handele, also um Leute, die ihren Spaß am Entdecken und Erfinden haben, verständlicherweise aber nicht so recht den Sinn dafür haben, ihre Produkte auch an den Mann zu bringen.
Ich bin zu einem anderen Schluß gekommen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß das alles im einzelnen zwar zutreffende Gründe sein mögen, daß es sich darüber hinaus aber um tiefer liegende innere Gründe handelt, an denen wir in absehbarer Zeit wahrscheinlich nichts ändern können. Oder es handelt sich sogar um vorgeschobene Gründe, mit denen sich politisches Nichtstun wunderbar rechtfertigen läßt.
Wir sollten von der Maxime ausgehen, daß an der beklemmenden Situation etwas zu ändern ist. Methodisch sollten wir uns in dieser Frage daher pragmatisch verhalten, indem wir uns auf das konzentrieren, was tatsächlich verändert werden kann. Das ist immer noch genug. Es sind offensichtlich die ein-
Dr. Edelbert Richter
engenden äußeren Bedingungen, also weniger die inneren Beschränkungen, unter denen der ostdeutsche Unternehmer tätig sein muß. An den äußeren Bedingungen muß sich etwas ändern.
Der wichtigste Punkt ist der chronische Eigenkapitalmangel der ostdeutschen Unternehmen. Hierauf muß man beharren, auch wenn das bekannt ist. Ich will das folgendermaßen belegen: Der Anteil von Unternehmen mit Eigenkapitalquoten von unter 10 Prozent beträgt nach einer Studie der Deutschen Ausgleichsbank 45 Prozent, nach einem Bericht der Deutschen Bundesbank sogar 60 Prozent. Das sind katastrophale Zahlen. Wer sich auf diesem Gebiet auskennt, der weiß das.
Gewiß, ich weiß, daß dieses Problem auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen in den alten Bundesländern besteht; doch hier beträgt die Eigenkapitalquote im verarbeitenden Gewerbe durchschnittlich immerhin 23 Prozent. Das ist auch niedrig. Aber in den neuen Bundesländern beträgt die Quote nur 10,4 Prozent.
Nun wird immer noch die These vertreten, wegen Eigenkapitalmangels werde keine Existenzgründung verhindert; Hauptsache, der Unternehmer sei kompetent und das Konzept stimme. Aber diese These ist grundfalsch - das muß man hier einmal ausdrücklich sagen -, denn alle jungen - zumal die technologieorientierten - Unternehmen müssen sogenannte Sprunginvestitionen tätigen, und fast alle machen zunächst Anlaufverluste - es wurde vorhin die Biotechnologie erwähnt -, ganz unabhängig davon, ob das Unternehmen gut oder schlecht geführt ist.
Ich will noch auf die schon erwähnten inneren, also mentalen, Ursachen für die Schwierigkeiten der ostdeutschen Selbständigen zurückkommen. Da beobachtet man zum Beispiel ihre geringere Initiative und Risikobereitschaft und sagt dann: Sie sind eben selbst schuld. - Es ist aber eine der am besten fundierten Erkenntnisse der Risikotheorie, daß die Aversion gegen Risiken erst mit steigendem Vermögen abnimmt. Ausnahmen gibt es vielleicht im Bereich der Kriminalität. Es ist also gar nicht verwunderlich, daß der ostdeutsche Unternehmer eher auf Nummer Sicher geht. Diese Haltung hat offenbar sehr viel mit der schwachen Eigenkapitalbasis zu tun, auf der er steht.
Was der Neugründer mitbringt, ist meistens nur eine Idee oder eine Konzeption, er hat aber weder genügend Geld noch genügend Sachkapital, um sie auch wirklich umzusetzen; denn in der Zeit des „realen Sozialismus" hatte er bekanntlich nicht die Möglichkeit, ausreichend privates Vermögen zu bilden. Man muß sich daran erinnern - solche Zahlen sind immer noch eindrücklich -, daß das durchschnittliche Geldvermögen pro Haushalt 1991 in den neuen Bundesländern 19,5 Prozent von dem in den alten Bundesländern betrug.
Zur Zeit der Wende, also 1989/1990, hatte der potentielle Selbständige kurze Zeit zwar einmal die Hoffnung, vom erarbeiteten Volksvermögen über Anteilscheine endlich etwas abzubekommen und dann wirtschaftlich mitentscheiden zu können - oder er hatte die Hoffnung, etwa durch ein Vorkaufsrecht beim Erwerb von Grundeigentum vor der übermächtigen westlichen Konkurrenz geschützt zu werden -, aber diese Hoffnung wurde ja, wie wir wissen, bald enttäuscht. Sie wurde nicht erfüllt wegen der skeptischen Beurteilung in bezug auf den Wert des Volksvermögens, aber auch wegen des Fernbleibens großer Investoren aus dem Westen.
Diese Investoren wollten natürlich ohne die Möglichkeit des freien Erwerbs von Grund und Boden nicht kommen. Als sie dann - freilich zögerlich - kamen, führte das prompt zu einem Eigentumstransfer von Ost nach West, so daß vom Firmenvermögen der alten DDR für die Ostdeutschen - ich erwähne wieder eine eindrucksvolle Zahl - nur ganze 6 Prozent übrigblieben. Da die Anlage in Immobilien für die Westdeutschen offenbar interessanter war als die Anlage in Produktivkapital, kam es zu einem Anstieg der Bodenpreise. Dieser war für die ostdeutschen Selbständigen eine zusätzliche Belastung.
Wenn man das alles bedenkt - ich habe nur wenige dieser an sich bemerkenswerten Zahlen genannt -, dann ist man geneigt, ein Hoheslied auf den innovativen Unternehmer in den neuen Bundesländern zu singen, denn er ist ein wahrer Heros der Marktwirtschaft, sozusagen ein neuer David, der es mit Goliath sogar aufnimmt, ohne eine Steinschleuder zu haben. Zugespitzt gesagt, vollbringt er das Wunder, Kapitalismus ohne Kapital zu spielen.
Ich habe an die Zeit der Wiedervereinigung erinnert, weil .angesichts der Förderbemühungen der Bundesregierung heute oft vergessen wird, daß es auch ihre damaligen Fehlentscheidungen waren, die uns in diese prekäre Situation gebracht haben. Die Bundesregierung muß mit ihrer Förderpolitik heute oft das zusammenflicken, was sie damals selber an Löchern gerissen hat.
Bevor ich nun auf die Förderinstrumente des Bundes zu sprechen komme, möchte ich noch ein Wort zu den Banken sagen. Die Meinung ist immer noch verbreitet, sie müßten in der Eigenkapitalfrage doch helfen können. Sie können das aber hauptsächlich deshalb nicht, weil das Vorhandensein von Eigenkapital schon eine Bedingung dafür ist, von ihnen Kredit zu bekommen. Sie können aber auch deshalb nicht helfen, weil ihnen oft der technische Sachverstand fehlt, um Ideen beurteilen zu können.
Auch die allgemeine öffentliche Förderung kann das Eigenkapitalproblem nicht lösen - höchstens indirekt -, weil sie bekanntlich einen Investor voraussetzt, der über mindestens 50 Prozent der jeweiligen Investitionssumme verfügt. Die allgemeine öffentliche Förderung setzt also im Grunde voraus, daß das Eigenkapitalproblem gelöst ist.
Nun noch etwas zu den besonderen Eigenkapitalhilfeprogrammen des Bundes und der Länder. Wenn ich es recht sehe, werden nur zwei von ihnen erfolgreich angewandt: Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen, BTU, und das noch junge
Dr. Edelbert Richter
Programm FUTOUR. Hier ist demnach das BMBF ausdrücklich zu loben, denn das sind zwei Programme, die aus diesem Hause kommen. Beim Beteiligungsfonds Ost entspricht das Antragsvolumen bei weitem nicht den Erwartungen. Das liegt aber nicht etwa am mangelnden Bedarf der Unternehmen - das habe ich deutlich gemacht -, sondern höchstwahrscheinlich am mangelnden Engagement der Hausbanken. Darüber müßte man einmal diskutieren. Ich habe eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, um zu erfahren, wie sie das einschätzt.
Das Eigenkapitalhilfeprogramm der Deutschen Ausgleichsbank liefert bekanntlich kein echtes Eigenkapital. Auch das Eigenkapitalhilfe-Partnerschaftsprogramm hat die Erwartungen nicht erfüllt, wahrscheinlich deshalb - auch ich möchte das gerne einmal wissen -, weil der Unternehmer bzw. sein Partner für das Darlehen der Deutschen Ausgleichsbank voll haften muß. Man müßte einmal darüber nachdenken, ob das zu ändern ist. Die Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften der Länder wiederum spielen zwar in Ostdeutschland eine bedeutende Rolle, sind aber im innovativen Bereich zu wenig aktiv, weil sie keine risikoreichen Beteiligungen übernehmen dürfen.
Zum Schluß noch etwas zu den privaten Wagniskapitalgesellschaften; das Thema wurde vorhin schon gestreift. Sie engagieren sich in Ostdeutschland nur unterproportional und scheinen sogar auf dem Rückzug zu sein. Es gibt da rückläufige Raten. Der Grund ist wieder nicht, daß es hier keine interessanten Projekte gäbe, sondern der Grund ist, daß der Betreuungsaufwand höher ist und man zur Betreuung am besten vor Ort präsent sein muß. Diese Venture-capital-Gesellschaften sind jedoch in den neuen Ländern kaum präsent, eigentlich kenne ich nur in Leipzig eine, die wirklich eine bedeutende Funktion hat. Hauptsächlich sind sie in München.
Die Paradoxie - um das noch einmal auf den Punkt zu bringen -, in der wir uns gesamtdeutsch befinden, besteht darin, daß wir zwar einerseits eine Fülle von guten technischen Ideen und andererseits wahrlich auch eine Fülle von Geldkapital haben. Dennoch können die Ideen oft nicht - jedenfalls nicht schnell genug - umgesetzt werden, weil das Kapital nicht zu den Unternehmern findet. In diesem Schlüsselbereich müssen wir zu Lösungen kommen, wenn der Aufschwung Ost - um den ging es mir zunächst, aber es ist auch ein gesamtdeutsches Problem - nicht zur Phrase werden soll.
Ich habe in den Anträgen einige Vorschläge gemacht. Ein Teil davon - die Vorschläge sind immerhin schon zweieinhalb Jahre alt - ist inzwischen auf den Weg gebracht, ein anderer Teil noch nicht. Ich will das jetzt nicht noch einmal im einzelnen darlegen, das liegt Ihnen schon lange vor. Ich habe heute zu dem Antrag „Industrieforschung Ost" explizit nichts gesagt.