Rede von
Dr.
Heidi
Knake-Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Vorstoß des Landes Berlin zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist ein Vorstoß gegen die Menschenwürde, ein Vorstoß gegen den Grundsatz, daß die Menschenwürde unteilbar ist.
Hier im Hause waren sich bisher die Oppositionsparteien einig, daß eine weitere Verschlechterung des Asylbewerberleistungsgesetzes dringend verhindert werden muß. Aber in den Ländern sind die Minister und die Ministerpräsidenten, auch die der SPD, wieder einmal mit dabei, wenn es darum geht, der Kanther-Koalition zu Mehrheiten zu verhelfen und damit Flüchtlingen die Leistungen noch weiter zusammenzustreichen oder ganz zu verweigern.
Die Initiative Berlins wurde von den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen noch weiter verschärft.
- Ja, auch von Niedersachsen; leider, leider.
Aber alle, die sich an die letzte Sparrunde zum Asylbewerberleistungsgesetz hier im Hause erinnern, wird das überhaupt nicht wundern. Auch dabei spielte Herr Glogowski, der Innenminister von Niedersachsen, bereits eine höchst unrühmliche Rolle, so wie er es auch heute im Bundesrat getan hat, wie man den Tickermeldungen entnehmen kann.
Während in der letzten Woche noch 14 Länder im Fachausschuß des Bundesrates dem verschärften Gesetzentwurf zugestimmt haben, wurde ja - ich sage: zum Glück - zumindest von allen rotgrünen Länderregierungen die Notbremse gezogen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was im Bundesrat beschlossen wird, macht deutlich, daß Asyl- und Flüchtlingsfragen zunehmend unter die Räder finanzpolitischen Kalküls geraten. Berlins Innensenator Schönbohm, der ja bekanntermaßen aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, hat der Öffentlichkeit bereits mitgeteilt, daß nach einer Neuregelung in Berlin 42 000 Personen die Leistungen gestrichen werden können. Die eingesparten 550 Millionen seien dringend nötig, um Haushaltslöcher zu stopfen. Bei der desolaten Haushaltslage der Stadt Berlin ist offensichtlich keine Geldquelle mehr schäbig genug. Eine solche Position ist sittenwidrig. Sie bestreiten den Menschen das lebensnotwendige Existenzminimum, um diese Gelder in den schwarzen Löchern des Haushalts verschwinden zu lassen.
Nun ist ja gestern abend im Abgeordnetenhaus in Berlin mit der Mehrheit der Fraktionen von SPD, Grünen und PDS die Sozialministerin Hübner zurückgepfiffen worden, und sie ist aufgefordert worden, jetzt wenigstens nicht der verschärften Lösung zuzustimmen. Schönbohm jedoch geht weiter davon aus, daß nicht alle ausreisepflichtigen Ausländer bis zum Ende ihres Verfahrens gegen die Bundesrepublik finanziell unterstützt werden könnten. Was heißt denn das im Klartext? - Wer jetzt gegen die Ausreiseaufforderung Rechtsmittel einlegt, wer Gründe geltend macht, derentwegen er nicht abgeschoben werden sollte, der wird das nicht mehr tun können, wenn ihm oder ihr in dieser Zeit die Grundlage entzogen wird. Es soll also den geduldeten Flüchtlingen in Deutschland künftig keinerlei Leistung mehr gewährt werden, weder Geld noch Sachmittel. So will man diejenigen, die nicht abgeschoben werden können, zur „freiwilligen Ausreise" zwingen. „Aushungern" ist doch hier wohl das richtige Wort.
Peinlich ist in diesem Zusammenhang - auch das sage ich mit aller Deutlichkeit -, daß ein SPD-regiertes Land wie Brandenburg nun auch noch bei Flüchtlingen zwischen solchen und anderen unterscheiden will. Flüchtlingen aus Bosnien wird noch ein bißchen Hilfe gewährt, aber Kosovo-Albaner, Flüchtlinge aus Afghanistan und Algerien stürzen endgültig ins Nichts.
- Ich wüßte das nicht.
Die Frage, ob jemand Sozialleistungen erhält oder nicht, wird nicht mehr danach entschieden, ob derjenige für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen kann oder nicht, sondern danach, ob es ins ausländerpolitische Konzept paßt. Das stellt das Sozialstaatsprinzip endgültig auf den Kopf.
Das Ergebnis der Bundesratsinitiative wäre - so die unabhängige Expertenmeinung -, daß bis zu 240 000 Menschen die Asylbewerberleistungen ganz entzogen werden können. Die geplante Streichung fast sämtlicher Leistungen für geduldete und ausreisepflichtige Flüchtlinge empfinde ich als infam und rassistisch. Sie ist Ausdruck einer Sichtweise, die Flüchtlinge nicht als Menschen in Not, sondern als Schmarotzer, Bittsteller und Betrüger betrachtet, deren man sich schnellstens entledigen will.
Ausreise- und Abschiebehindernisse wischen diese Innen- und Sozialminister und -ministerinnen mit einem Federstrich beiseite. Wer essen will, wer ärztliche Behandlung will, wer wohnen will, muß ausreisen. Hier gibt es für diese Menschen - Frauen, Männer und viele Kinder - nur noch ein Butterbrot und eine Fahrkarte. Zurückgejagt werden Menschen in die Serbische Republik in Bosnien, nach Algerien,
Dr. Heidi Knake-Werner
nach Afghanistan, in den Kosovo - alles Gebiete, in denen ihnen nachweislich Gefahr für Leib und Leben droht.
Diese Bundesratsinitiative ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Asyl- und Flüchtlingsrecht ausgehöhlt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Sie ist gleichzeitig ein Vorgeschmack auf den künftigen Umgang der Regierenden mit dem Sozialstaatsprinzip.
Sie drücken Flüchtlinge mit dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur unter das Existenzminimum, sondern betrachten sie sogar ausschließlich als Kostenstelle im Haushaltsgerangel.
Wenn Sie sich einmal Gedanken über die Kosten machen würden, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden Sie feststellen: Wir geben pro Jahr 5 Milliarden DM im Zusammenhang mit dem Asylbewerberleistungsgesetz aus. Dieser Betrag ist geringer als die Steuereinnahmen, auf die Sie durch die Absenkung des Solidaritätszuschlages in diesem Jahr verzichten. Wenn man diese Größenordnungen betrachtet, muß man sagen: Das ist ein Skandal.
Ich sage Ihnen: Pax Christi hat absolut recht mit dem Vorschlag, das Gesetz ehrlicherweise gleich „finales Leistungsverweigerungsgesetz" zu nennen. Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.