Rede von
Dr. h.c.
Edelgard
Bulmahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Wenn sich der Bundesforschungsminister schriftlich an die Mitglieder dieses Hauses wendet, hat er uns - so sollte man zumindest meinen - etwas Wichtiges mitzuteilen. Deutschland - will uns der Minister mit einem Schreiben vom 12. Januar dieses Jahres glauben machen - sei auf Erfolgskurs, auf dem Weg, ein HighTech-Land zu werden.
Wie dieser Erfolgskurs aussieht, läßt sich dem als Anlage beigefügten Bericht „Zur technologischen Leistungsfähigkeit" entnehmen. Ich zitiere jetzt aus diesem Bericht.
1990 hatte Deutschland bei den forschungs- und entwicklungsintensiven Waren einen Welthandelsanteil von 19,1 Prozent. 1995 lag der Anteil des inzwischen um ein Viertel größeren Deutschlands bei 17,1 Prozent, also minus 2. In demselben Zeitraum stieg der Anteil Japans von 18,6 Prozent auf 19,5 Prozent und derjenige der Vereinigten Staaten von 17,5 auf 17,8 Prozent. Während also unsere Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt ihre Position bei forschungs- und entwicklungsintensiven Gütern ausbauen konnten, hat sich die Position der Bundesrepublik deutlich verschlechtert. So sieht der Erfolgskurs des Bundesforschungsministers aus!
Der Bundesforschungsminister kommentiert dann diese aus unserer Sicht alles andere als erfreuliche Entwicklung mit den Worten - Zitat -:
Erfolgskurs bei High-Tech-Produkten ... Auf dem Weltmarkt für technologische Güter hat sich Deutschland dicht an die Spitzenreiter Japan und USA herangearbeitet.
Ein zweites Beispiel: Herr Minister Rüttgers hat vorhin darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland bei den Patenten auf Platz 1 liege. Das war 1982 unter der sozialdemokratischen Regierung auch schon der Fall. Damals entfielen in Deutschland auf 1 Million Beschäftigte 200 weltmarktrelevante Patente. 1995 entfielen auf 1 Million Beschäftigte in Deutschland noch 190 Patente. So sieht der Erfolgskurs des Bundesforschungsministers aus!
Im gleichen Zeitraum stieg in den USA die Zahl der Patente pro 1 Million Beschäftigte von 100 auf 140, in Japan von 80 auf 180.
Herr Minister Rüttgers, wenn Sie eine derartige Definition von Erfolgskurs haben, kann ich nur sagen: Gnade Gott, Deutschland. Dann ist es wirklich überfällig, dann ist es wirklich an der Zeit, daß diese Bundesregierung abgelöst wird und wir endlich eine SPD-Regierung bekommen.
Ein drittes Beispiel: Herr Minister Rüttgers, Sie haben darauf hingewiesen - ich habe das vorhin schon zitiert -, daß sich die Bundesrepublik auf dem Weltmarkt an die Spitzenreiter Japan und USA herangearbeitet habe. Ich habe vorhin dargestellt, wie dieses Heranarbeiten aussieht. Sie haben aber verschwiegen - deshalb ist es das dritte Beispiel, das deutlich macht, daß Sie wirklich nach dem Prinzip „Schein statt Sein" Politik machen -, daß in dem Bericht ausdrücklich davor gewarnt wird, den Umfang der Exporte im Jahre 1995 zu hoch zu bewerten, weil dieser Umfang zu einem beträchtlichen Teil auf die Höherbewertung der D-Mark, also nicht auf die technologische Leistungsfähigkeit, zurückzuführen ist. Der Bericht warnt ausdrücklich vor dem Prinzip „Schein statt Sein", das Sie angewandt haben.
Sehr geehrte Damen und Herren, deshalb kann ich nur sagen: Alle Schönrederei kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir in der Bundesrepublik zunehmend von der Substanz leben und versäumen, die Zukunft durch Investitionen zu sichern. Es kann doch keine erfolgreiche Regierungspolitik sein, wie Sie das hier machen, die Fakten einfach zu ignorieren und Politik nach dem Prinzip durchzuführen: nicht sehen, nicht hören, aber trotzdem reden! - Das kann doch wirklich keine erfolgversprechende Regierungspolitik sein!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fehlentwicklung der letzten Jahre ist einfach unübersehbar, und die Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker mußten sie leider jedes Jahr wieder zur Kenntnis nehmen. Die Bundesrepublik hatte im Jahr 1987 noch einen Gesamtanteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 2,88 Prozent. Damit lagen wir gemeinsam mit den USA weltweit an der Spitze. Inzwischen sind wir auf Platz neun abgesackt. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wir liegen inzwischen hinter Ländern wie Schweden, Japan, der Schweiz, Korea, den USA, Frankreich, Finnland und Israel. Ist das etwa eine erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungspolitik?
So definieren Sie Erfolg!
Seit 1991 sind die Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung real nicht mehr gestiegen. Seit 1982 sind die Ausgaben dieser Bundesregierung für Forschung und Entwicklung real nicht mehr gestiegen. Das führt dazu, daß wir jetzt - in den Preisen von 1991- real weniger zur Verfügung haben 1982.
Wissenschaft und Forschung - daran gibt es leider keinen Zweifel - sind in der Bundesrepublik unterfinanziert - von öffentlicher und von privater Seite. In keinem anderen Land - so die Gutachter in dem Bericht - sind in den vergangenen Jahren die realen FuE-Anstrengungen so stark zurückgefahren worden wie in Deutschland. Der Bundesregierung schreiben sie ins Stammbuch, daß ein weiterer Abbau der öffentlichen Forschung in Deutschland mittel- und langfristig mit Gefahren verbunden sei, die um so gravierender seien, je mehr die Unternehmen selbst den Trend verstärkten. Genau das geschieht.
Edelgard Bulmahn
Es sei schwer vorstellbar - so die Gutachter -, daß Deutschland im Alleingang - denn in den USA und in Japan werden die Forschungs- und Entwicklungsbudgets der Wirtschaft wieder kontinuierlich und mit beachtlicher Geschwindigkeit ausgebaut - über einen längeren Zeitraum hinweg einen grundsätzlich anderen Weg gehen könnte, ohne im Wettbewerb um Einkommen und Beschäftigung an Boden zu verlieren.
Haben wir in der Bundesrepublik mit knapp 5 Millionen nicht bereits wirklich viel zu viele Arbeitslose? Können wir es uns denn tatsächlich leisten, noch weiter an Boden zu verlieren? - Wir meinen: nein. Die Bundesregierung ficht jedoch dieses alles überhaupt nicht an; sie setzt unverdrossen weiter den Rotstift bei den Zukunftsausgaben an. Die mittelfristige Finanzplanung zeigt, daß die Ausgaben auch noch weiter gekürzt werden sollen. Wenn es nach der Bundesregierung geht, werden im Jahr 2001 nominal 670 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen als in dem ersten Jahr mit einem gesamtdeutschen Haushalt, 1991.
Wer so handelt, setzt die Zukunft unseres Landes aufs Spiel. Wer so handelt, der unterstreicht zugleich, daß er von Innovationen so viel versteht wie ein Elefant vom Fliegen.
Ohne höhere Ausgaben für Bildung und Forschung läßt sich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft mittelfristig nicht sichern. Ohne verstärkte Ausgaben für Bildung und Forschung wird sich in der Bundesrepublik das erreichte Einkommensniveau weder halten lassen, noch wird man es ausbauen können. Ohne eine deutliche Erhöhung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben lassen sich dauerhaft keine neuen Arbeitsplätze schaffen, die wir so dringend benötigen. Vielmehr wird die Massenarbeitslosigkeit noch weiter zunehmen. Ohne zusätzliche Mittel wird die ökologische Erneuerung unseres Wirtschaftssystems nicht gelingen. Deshalb sind nicht Sonntagsreden über eine Erhöhung der Bildungs- und Forschungsausgaben gefragt, sondern es sind Zukunftsinvestitionen gefragt - und zwar jetzt.
Höhere Ausgaben für Bildung und Forschung sind nicht nur ein Gebot der ökonomischen Vernunft, sie sind auch eine Verpflichtung gegenüber der jungen Generation. Wenn wir von dieser Generation erwarten, daß sie später unsere Renten und Pensionen aufbringt, wenn wir von ihr erwarten, daß sie mit unseren Hinterlassenschaften, den ökologischen Altlasten und der immensen Staatsverschuldung, fertig wird, dann kann diese Generation von uns erwarten, daß wir ihr die bestmögliche Ausbildung zukommen lassen.
Zukunftssicherung erfordert mehr als nur Geldausgeben. Sie erfordert Gestaltungswillen und Gestaltungskraft; das vermisse ich bei dieser Bundesregierung. Dieses ist gerade von der Politik zu fordern. Sie muß im Dialog mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Zukunftsvisionen formulieren, Kräfte bündeln und die Rahmenbedingungen für die Entfaltung wissenschaftlicher und unternehmerischer Kreativität und Initiative schaffen. Dem Bundesforschungsminister ist in diesem Zusammenhang aber nicht nur das Geld, sondern es sind auch die Ideen ausgegangen. Mit nichtssagenden Sprüchen wie „Multimedia - möglich machen" lassen sich Zukunftsentwürfe jedoch nicht anstoßen.
Sie belegen allenfalls die Einfalt desjenigen, der sie gebetsmühlenartig wiederholt.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland endlich einen Politikwechsel, eine Offensive für Arbeitsplätze, eine Offensive für die Versöhnung von Umwelt und Ökonomie. Weil diese Bundesrepublik trotz aller Probleme über gute Voraussetzungen verfügt, kann dieser Aufbruch in die Zukunft gelingen. Wir verfügen wie kaum ein anderes Land über motivierte, hochqualifizierte Arbeitskräfte. Wir verfügen über eine gute Ausbildung in Schulen, Unternehmen und Hochschulen. Die technologische Leistungsfähigkeit unserer Wissenschaftler und Ingenieure ist unbestritten.
Nicht der Standort ist schlecht, sehr geehrte Damen und Herren, sondern die Politik der Bundesregierung.
Sie ist dafür verantwortlich, daß die Potentiale unseres Landes nicht ausreichend genutzt und ausgebaut werden. Sie redet den Standort schlecht und erweckt Zweifel an dem Ausbildungsstand der jungen Menschen in unserem Lande, statt eine innovative Aufbruchstimmung zu vermitteln und die Weichen auf Innovation zu stellen. Deshalb brauchen wir endlich eine innovative Bundesregierung.
Vielen Dank, meine sehr geehrten Herren und Damen.