Rede von
Dr.
Cornelie
Sonntag-Wolgast
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die kühle Lässigkeit, mit der Sie, Herr Kollege Lohmann, eben versuchten, das Thema abzuhaken, halte ich für gänzlich unangebracht.
Ich muß durchaus gestehen, daß die geplanten Änderungen in mir ein tiefes Unbehagen erzeugen. Das sage ich in vollem Bewußtsein des schillernden Meinungsbildes, das im Bundesrat herrscht, auch unter sozialdemokratisch geführten Ländern.
Ich will mein Unbehagen erklären: Es richtet sich auf die gesamte Tendenz, den Zeitpunkt und den Zungenschlag. Mir ist dabei sehr wohl klar, daß es um die ungeliebteste Gruppe von Zuwanderern
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
geht: um Ausreisepflichtige, abgelehnte Asylbewerber, illegal Eingereiste. Es ist sicherlich überlegenswert, diesen Gesetzentwurf in einigen Punkten zu billigen, zum Beispiel in dem Bestreben, Sozialhilfeempfänger und sogenannte Leistungsberechtigte gleichzustellen.
Ich könnte auch noch akzeptieren, wenn illegal Eingereiste, die keinen Asylantrag gestellt haben, dann auch nur eingeschränkt Anspruch auf finanzielle Leistungen haben.
Aber, meine Damen und Herren: Wenn die radikalen Kürzungen auch Bürgerkriegsflüchtlinge treffen sollen - Geduldete, Menschen, die nach abgelehntem Asylantrag eben noch nicht das Land verlassen haben -, dann kann das meine Billigung nicht finden. Insofern habe ich schon Verständnis dafür, daß die Arbeiterwohlfahrt von „kalter Abschiebung durch Aushungern" spricht. Und was ist eigentlich mit solchen, die nicht freiwillig ausreisen, obwohl es, wie es im Text heißt, „tatsächlich oder rechtlich möglich" wäre? Ich frage mich: Fallen darunter etwa auch die afghanische Frau, die davor zurückschreckt, sich den fast sklavischen Unterdrückungsmethoden der Taliban auszuliefern, und die abgelehnten algerischen Asylbewerber?
- Ich verstehe Ihre Zwischenrufe nicht. Es tut mir leid, daß ich mich damit jetzt nicht auseinandersetzen kann.
Ich vermag nicht zu sehen, wie eine Behörde einem Flüchtling hieb- und stichfest nachweisen will, daß er ausschließlich deshalb nach Deutschland gekommen ist, um hier soziale und finanzielle Leistungen in Anspruch nehmen zu können.
Schlimmer ist noch: Vorgestern hat der Bundesinnenminister das politische Vorhaben auf die Spitze getrieben. Nach einer Pressemeldung sagte er schlankweg, ausreisepflichtigen Ausländern sollte nur noch die Unterbringung in einer Sammelunterkunft, ohne jede Geldleistung, gewährt werden, also nicht einmal ein Minimum für den alltäglichen Bedarf und offenbar auch keine medizinische Hilfe mehr.
Das fiele dann wirklich unter die Rubrik: Wegekeln, Austrocknen der Existenz. Und leider, so fürchte ich, Herr Fink, findet das auch noch postwendend den Applaus der Stammtische.
- Ich führe einfach aus, wie diese Pressemitteilung aufzufassen ist. Wenn Sie sie noch nicht gelesen haben, dann tun Sie es bitte einmal!
- In diesem Moment war gar nicht von dem Gesetz die Rede, sondern von dem, was der Bundesinnenminister sagt. Die Aktuelle Stunde beschäftigt sich doch wohl mit der Haltung der Bundesregierung zu den geplanten Maßnahmen im Asylbereich. Da wird man sich doch wohl mit dem, was der Innenminister sagt, auseinandersetzen dürfen. Darum geht es hier.
Darüber hinaus dürften sich die Betroffenen in Schwarzarbeit flüchten oder gar in Kriminalität. Das kann doch wohl niemand hier wünschen.
Ich will überhaupt nicht leugnen, daß es Flüchtlinge gibt, denen man sehr hart und eindeutig sagen muß, daß sie hier nicht bleiben können. Manch andere aber trifft der allgemein erhobene Vorwurf des Mißbrauchs zu Unrecht. Vor allem aber - das empfinde ich eigentlich als das Schlimmste -: Wir erleben in diesen Monaten eine Kette von Maßnahmen, die ganz unterschiedliche Gruppen von Zuwanderern treffen. Aber immer sind sie restriktiv.
Erst war es die Visapflicht für Kinder aus ehemaligen Gastarbeiterfamilien; dann, im vergangenen Sommer, waren es die abgesenkten Sozialhilfebeiträge im Asylbewerberleistungsgesetz; dann Schikanen für ausländische Studenten; vor wenigen Wochen war es die realitätsferne Debatte über die Verringerung der Zahl ausländischer Erntehelfer, die hier zu Minilöhnen beschäftigt werden; zu Beginn dieses Jahres war es die Panikmache des Bundesinnenministers angesichts der kurdischen Flüchtlinge in Italien - lauter Zeichen, die die Bürger der Bundesrepublik in dem Gefühl bestärken müssen, alle Zuwanderer, ohne Ausnahme, egal um welche Gruppe es geht, seien eine Bedrohung und eine Belastung.
Auf der anderen Seite unternimmt die Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts, um für friedliche Partnerschaft zwischen Deutschen und Nichtdeutschen zu werben und Vorurteile zu entkräften. Vor einer solchen Talfahrt in die Niederungen des Populismus kann ich uns alle nur dringend warnen.