Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach kurzer Unterbrechung sind wir wieder beieinander.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes
- Drucksache 13/4950 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/5942 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Junghanns Dr. Gerald Thalheim
Dazu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen werden. Die Gruppe der PDS hat einen Entschließungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Junghanns.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Vor meiner Rede bin ich als Berichterstatter veranlaßt, Ihnen, meine Damen und Herren, und damit zu Protokoll einen technischen Hinweis zu geben. Ich bitte, das ohne Zeitanrechnung zu gestatten.
Dieser technische Hinweis betrifft die im Ausschußbericht, Drucksache 13/5942, dargestellte Synopse zum Gesetzestext. Auf der Seite 10 muß in der Spalte „Beschlüsse des 10. Ausschusses" § 64 i Abs. 2 wie folgt lauten:
Der Widerruf bedarf der Schriftform. Er muß spätestens drei Monate nach dem Eintritt der Rechtskraft der Feststellung erklärt werden. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung.
Da ist ein Satz, der aus der ersten Fassung erhalten werden soll, nicht mit in die Spalte der Beschlußfassung übernommen worden. Ich bitte dafür um Verständnis.
Ich möchte jetzt mit meinem Beitrag beginnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen bringen heute das Vierte Gesetz zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in zweiter und dritter Lesung ein. Es sieht drei Änderungen vor: Erstens. Zukünftig sollen schon 5 Prozent oder 5 Mitglieder der LPG in Liquidation die gerichtliche Abberufung des Liquidators aus wichtigem Grund beantragen können. Zweitens. Die Verjährungsfrist für Abfindungsansprüche soll um fünf Jahre verlängert werden. Drittens. Die Durchsetzung bestehender Abfindungsansprüche wird verfahrensmäßig durch die Bündelung von Einzelrechtsstreiten in einem sogenannten Sammelverfahren erleichtert.
Ich meine, zu Recht hat dieses Gesetz eine sehr intensive und naturgemäß kontroverse Diskussion unter allen Betroffenen erfahren. Zu Recht sind nach sehr gründlichen Beratungen im Parlament mit Sachverständigen und Praktikern gegenüber dem Entwurf gravierende Änderungen vorgenommen worden. Jedoch zu Unrecht und unangemessen hat diese Debatte Lautstärken, Konfrontationen, ja Drohungen zutage treten lassen, die dieser komplizierten Materie in keiner Weise entsprechen.
Wortführer beider Parteien, die an der Vermögensauseinandersetzung beteiligt sind, haben sich in den Worten vergriffen. Ich verzichte auf Beispiele. Es lohnt sich hinzuschauen, wer da fernab von jeder Sachlichkeit solche Feuer schürt. Das Sprichwort
Ulrich Junghanns
„Getroffene Hunde bellen" zwingt sich einem da regelrecht auf.
Vor diesem Hintergrund teils böswilliger Unterstellungen und Behauptungen möchte ich für unsere CDU/CSU-Fraktion festhalten: Nicht das Gesetz an sich, wie die Gegner der 4. Novelle es landauf, landab glaubhaft machen wollen, stört den dörflichen Frieden. Da verkehrt man, meine ich, vielleicht ganz bewußt Ursache und Wirkung.
Wir hegen - das möchte ich betonen - kein pauschales Mißtrauen gegenüber bisherigen Vermögensauseinandersetzungen; die Rahmenbedingungen waren und sind schwer genug. Aber jeder, der nur etwas mit dieser Materie konfrontiert ist, kann nicht verleugnen, daß genügend, eigentlich zu viele Vorwürfe und Belege für fragwürdige Praktiken in der Vermögensauseinandersetzung nie abgerissen sind. Vielleicht sind sie leiser geworden. Wer dieses als Indiz für Zufriedenheit wertet, der irrt. Es sind zu oft Indizien für Resignation.
Absicht ist deshalb, erstens die Position der Anspruchsberechtigten ausschließlich verfahrensrechtlich, insbesondere durch Fristverlängerung und Verfahrensbündelung, zu stärken. Logisch ist, daß allein mit einer Fristverlängerung die Stimmen lauter werden, die Unrecht sehen oder erleben. Wer dieses Verlangen nach Rechtsstaatlichkeit auf der Seite der gesetzlich Anspruchsberechtigten als Angriff auf den dörflichen Frieden wertet, der muß einmal sagen, was er eigentlich will.
Zweitens. Eine Seite redet vom Schüren unerfüllbarer Erwartungen durch dieses Gesetz, weil eher überbilanziert worden sei; die andere Seite spricht von dreistelligen Millionenbeträgen, deren Ausschüttung nun erzwungen werden könnte. Ich sage voraus, meine Damen und Herren, daß in dieser Generalität keiner recht haben und behalten wird. Mit der 4. Novelle wird keinem Anspruchsberechtigten eine Mark mehr als der ihm gesetzlich zustehende Anspruch am Eigenkapital versprochen.
Dieser ist nur betriebskonkret zu ermitteln und kann mehr oder weniger sein.
Kurz gesagt: An den materiellen Rechten nach dem LAG wird nichts geändert, Herr Sielaff. Wie bisher, so gilt auch weiterhin, daß nur so viel als Anspruch oder auf der Seite der Anteilseigner als Anteil bestimmt werden kann, wie das Eigenkapital hergibt. Diejenigen, die sich im gerichtlichen Streit gegenüberstehen, bedingen einander auch. Wenn überhaupt, dann können Ansprüche nur gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen durchgesetzt werden; bei Konkurs verlieren beide Parteien.
Damit verbunden - ich muß darauf eingehen - wurde schließlich im Stile eines herbeigeredeten Ost-West-Konfliktes intensiv gemutmaßt, die Koalitionsfraktionen unternähmen nun den letzten Versuch, die ohnehin ungeliebten ostdeutschen Agrarstrukturen zu zerstören.
Eigentlich ist das so absurd und so billig, daß man nur mit dem Kopf schütteln kann.
Wenn es stimmt, meine Damen und Herren, was wir fraktionsübergreifend in diesem Haus feststellen, daß die ostdeutsche Landwirtschaft, die sich noch im schweren Wandel von plan- zu marktwirtschaftlichen Strukturen befindet, eine vergleichbar erfolgreiche Entwicklung nimmt,
dann ist das in erster Linie dem Können und dem Engagement der Landwirte zu verdanken, die die Arbeit leisten
und die unternehmerischen Risiken schultern.
Wir wissen das zu würdigen. Gleichwohl ist das aber auch Bestätigung für die Agrarpolitik der Koalition und der Bundesregierung für unsere jungen Bundesländer.
Unsere Bundeslandwirtschaftsminister, vornehmlich Jochen Borchert, und die Koalition haben - erinnern Sie sich! - mit den Ländern und mit der Europäischen Union günstige Übergangskonditionen ausgehandelt. Dabei muß aber klar sein: Verantwortung und Hilfe für die Strukturen in den neuen Bundesländern, ob als juristische Personen oder als Familienbetriebe, und eine ordnungsgemäße Vermögensauseinandersetzung sind für uns zwei Seiten einer Medaille. Das muß klargestellt sein.
Die jüngst wiederum in Brüssel erreichte Verlängerung der Übergangsregelung bezüglich der Milchquoten und der Rinderprämien und hinsichtlich der Verschiebung der Flächenabsenkung aus früheren Überziehungen strafen alle diese Vernichtungsvorwürfe Lügen. Es ist verlogen, wenn das so geschildert wird.
Meine Damen und Herren, wir als Gesetzgeber sind und werden in einer Vermögensauseinandersetzung nicht Sachwalter einer Streitpartei sein können oder wollen. Entgegen allen konfrontationsgestylten öffentlichen Darstellungen gibt es Einvernehmen zwischen Koalition und Opposition, den neuen Bundesländern und den Bauernverbänden zur Absenkung des Quorums in der Liquidatorenfrage. Alle wollen eine Fristverlängerung. Vor Ort brauchen die Beteiligten Zeit. Hinzu kommt, daß die gerichtliche Klärung der Bemessungsgrundlage bis 1995 dauerte, was die Wahrnehmung der Rechte beeinträchtigt hat.
Ulrich Junghanns
Erst an diesem Punkt gehen die Unterschiede los. Die Opposition will eine Fristverlängerung von drei Jahren, wir wollen eine von fünf Jahren. Unsere Fraktionen folgen in diesem Punkt dem einvernehmlichen Votum zweier Sachverständiger, der Richter Wenzel und Sell. Des weiteren wird bezüglich des Sammelverfahrens ein Zwischentermin nach zwei Jahren eingezogen.
Damit bin ich beim Hauptknackpunkt, dem Sammelverfahren. Bis vorgestern glaubte ich, daran scheiden sich die Geister. SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten, wie im Ausschußbericht nachlesbar, dieses Verfahren kategorisch abgelehnt. Heute sehe ich in einem neuen Antrag, daß das gar nicht mehr so ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, dieses Taktieren, das nach der Devise abläuft, das zum eigenen Antragspunkt zu machen, was in der Koalition einmal streitig war, ist überhaupt nicht erfolgversprechend. Wir können das nur zurückweisen; denn diese Leimspur werden wir nicht betreten. Vielmehr bin ich zuversichtlich, daß Sie nach dieser ersten Lernphase auch zu der Überzeugung kommen, zu der wir gekommen sind und was auch in Ihren Kreisen diskutiert wird: Was auf dem Tisch liegt, ist akzeptabel.
Als Hilfestellung für alle möchte ich kurz skizzieren, was mit dem Sammelverfahren beabsichtigt wird. Was bislang Kann-Vorschrift war, soll nun SollVorschrift sein: die Bündelung des Verfahrens. Wenn Klageführer das Verfahren beantragt haben, können bis zum letzten Tag der mündlichen Verhandlung weitere Anspruchsberechtigte beitreten. Kostenrisiken, die bis dato das größte Hemmnis bei der Rechtswahrnehmung waren, werden so minimiert. Auch wird durch das Sammelverfahren erreicht, daß auf Grund der geringeren Zahl der Einzelverfahren die Unternehmen weniger belastet werden. Auf der Grundlage des festgestellten Kapitals wird die Durchsetzung des Einzelanspruchs erleichtert, und es sind keine weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen zwingend.
Meine Damen und Herren, alles in allem sind damit auch Widerrufsregelungen klar geregelt, die uns und allen Beteiligten die Gelegenheit geben, im Vorfeld den gerichtlichen Weg zu umgehen. Roß und Reiter müssen benannt werden. Eine unzufriedene Minderheit kann keine zufriedene Mehrheit in ein ungewolltes Verfahren hineinziehen. Damit ist die Sorge der Grünen ausgeräumt.
Kurzum, dieses Sammelverfahren ist ein Instrument, das, wenn man eine Fristverlängerung beabsichtigt, prozeßökonomisch nur sinnvoll erscheint. Es ist kein Instrument für böswillige oder querulatorische Prozeßanzetteleien, vor denen ich nur warnen kann. Es ist ein Instrument, das dann greift, wenn trotz offenkundiger Mängel der normale außergerichtliche Weg zu keiner Heilung einer falschen Vermögensauseinandersetzung führt.
Ich möchte auch noch einmal darauf eingehen, daß es aus verschiedenen Verbandskreisen andere Vorstellungen gab. Es wurde vorgeschlagen, Aufsichtsräte einzuziehen oder neue Schiedsgremien einzurichten. All diese Vorschläge wurden gründlich erörtert, aber auch verworfen; denn im Streitfall kann der Gerichtsweg nicht ausgeschlossen werden. Alle bisherigen Erfahrungen bestätigen, daß einzig die Gerichte die Autorität verkörpern, die letztendlich Akzeptanz findet.
Mir bleibt abschließend, namens der Koalitionsfraktionen hier noch einmal an die Verantwortlichen zu appellieren, die Mittel aus dem Hilfsfonds Ost einzig und noch wirksamer dafür einzusetzen, daß das grundlegende Problem der Vermögensauseinandersetzung Schritt um Schritt zum auftragsgemäßen Abschluß des LAG geführt wird.
Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
Das Wort hat jetzt der Kollege Gerald Thalheim.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der 4. Novelle des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes geht der Streit um das Vermögen der ehemaligen LPGs und dessen Verteilung in eine neue Runde. Kaum ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ist auf so massiven Widerstand in den neuen Ländern gestoßen.
In unzähligen Demonstrationen, Resolutionen und Briefen haben sich - das betone ich - parteiübergreifend die Betroffenen mit Recht gegen diese Novelle gewandt.
- Herr Ausschußvorsitzender, ich werde in meiner Rede darauf noch zurückkommen.
Kaum ein Gesetzesvorhaben der Koalition wies soviel Zündstoff auf, war so oberflächlich erarbeitet und löste soviel juristische, ja verfassungsrechtliche Bedenken aus. Die Novelle ist geeignet, Zündstoff im Ost-West-Konflikt zu liefern. Sie ist geeignet, neue Gräben aufzureißen.
Wenn man den Aussagen vieler Ost-Abgeordneter der CDU glaubt, war es ein Gesetz von Westpolitikern für die Ostlandwirtschaft für Westinteressenten.
- Aber es sind Ihre eigenen Kollegen gewesen, Herr Hornung, die das im Osten verkündet haben. Wir werden heute noch Gelegenheit haben, mehrere Zitate in dieser Richtung zu präsentieren. Ich möchte gleich damit anfangen.
Dr. Gerald Thalheim
Der Abgeordnete Kriedner ist so weit gegangen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der immerhin mit der Unterschrift Ihres Fraktionsvorsitzenden versehen ist, als eine Art Arbeitspapier zu bezeichnen, das versehentlich in die Öffentlichkeit gelangt ist.
- So, Herr von Stetten, wird Politik draußen gemacht. Im Osten wird etwas ganz anderes erzählt, als der gleiche Kollege in Ihrer Fraktion mitbeschlossen hat. So kann man Politik einfach nicht betreiben.
Im übrigen wirft das ein Licht darauf, wie dieses Gesetz zustande gekommen ist. Die Diskussion - so muß man einschätzen - wird täglich grotesker. Die Autoren des Gesetzes berufen sich zum Beispiel auf den sächsischen Landwirtschaftsminister. Der ließ vor wenigen Tagen wissen: Ich bin für eine Gesetzesnovelle, aber bitte schön nur zur Abberufung der Liquidatoren und zu einer Verlängerung der Verjährungsfristen, alles übrige sollte weg.
Herr Junghanns, Sie haben soeben genau das Gegenteil verkündet. Ich habe den Eindruck, bei dem Gesetz stimmt Ihr politisches Koordinatensystem nicht mehr.
- Ja, Herr von Stetten, es wird gegen die goldene Regel der CDU-Agrarpolitik verstoßen, die lautet, nichts zu beschließen, dem der Deutsche Bauernverband nicht seinen Segen gegeben hat. Wenn es nach dem Deutschen Bauernverband ginge, wäre dieses Gesetz längst verschwunden, zumindest wären der gesetzliche Vertreter und das Widerrufsrecht herausgenommen.
Herr Junghanns, Sie haben hier von Drohungen gesprochen. Ich denke, die schlimmste Drohung hat Landwirtschaftsminister Brick ausgesprochen. Er hat seinen Ost-Abgeordneten angedroht: Wenn sie dem Gesetz zustimmen - man höre und staune -, dann sollen sie sich in Mecklenburg-Vorpommern nicht wieder blicken lassen.
Herr Kriedner, Herr Krüger kommt heute in einen schweren Gewissenskonflikt, ob er nun in Niedersachsen Asyl beantragen soll oder nicht. Das ist für ihn heute das große Problem.
- Peter Harry Carstensen, du hast die Pointe begriffen. Wo sonst soll er Asyl beantragen, wenn nicht in Niedersachsen!
Die Empörung der Betroffenen ist um so verständlicher, wenn man sich einmal die Begleitmusik vergegenwärtigt, die um den Gesetzentwurf herum gemacht wird. Da hat zum Beispiel der Geschäftsführer des Deutschen Landbundes die Einschätzung gegeben, daß dieses Gesetz eine Kampfansage an die alten und neuen Seilschaften mit dem Ziel ist, den sicher geglaubten späteren Flächenerwerb den „Agrarindustriellen zu verhageln" . Es geht also in Wirklichkeit um das Land, und diese Botschaft ist in den neuen Ländern angekommen.
So etwas muß zwangsläufig Ängste schüren und das Vertrauen in die Politik erschüttern, zumal anläßlich der Verabschiedung der ersten Novelle ganz andere Aussagen getroffen worden sind. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Reden von damals nachzulesen. Da hat zum Beispiel der Kollege Heinrich von diesem Pult aus ausgeführt:
Es wäre geradezu unverantwortlich, wenn wir, aus welchen Gründen auch immer, eine Zerschlagung der vorhandenen Strukturen in Kleinbetriebe vornehmen würden.
Genau das ist die Gefahr, die gesehen wird.
Herr Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhler?
Aber bitte.
Herr Kollege Thalheim, können Sie zu Ihrer Aussage in der 23. Sitzung des Deutschen Bundestages, am 25. April 1991, als Sie von dem gleichen Rednerpult aus sprachen, Stellung nehmen? Ich zitiere:
Vor allem die wenigen Wiedereinrichter von Familienbetrieben wurden in den meisten Fällen behindert. Auch wurde die Vermögensherausgabe bewußt verzögert. Während viele Vorsitzende bei wirtschaftlichen Entscheidungen sehr großzügig mit dem Geld umgingen, wurde bei der Vermögensherausgabe äußerst restriktiv vorgegangen.
Würden Sie Ihre Aussage von damals bitte durch eine heutige Aussage korrigieren? Oder wie stehen Sie heute zu dem, was Sie damals gesagt haben?
Nein, das wird nicht schwierig sein.
Herr Köhler, Sie greifen einem Teil meiner Rede vor. Wir haben bei der Beratung der Gesetzesnovelle zum Beispiel den Antrag gestellt:
Die Grundstückseigentümer, die Mitglied der LPG sind, können sich zur gemeinsamen Wahrung ihrer Interessen zusammenschließen. Vertreter der Grundstückseigentümer haben das Recht, die Geschäftsführung des Vorstandes zu kontrollieren und Einsicht in die Bücher zu nehmen.
Das war unser Antrag aus dem Jahre 1991 zur Gesetzesnovellierung. Diesen haben Sie damals abgelehnt.
Was Sie heute in Ihrer Gesetzesnovelle vorsehen, ist nichts anderes als das, was wir damals vorgeschlagen haben. Herr Köhler, der große Unterschied ist - hier kommen wir zu dem entscheidenden Punkt der Gesetzesnovelle -: Wir haben nicht mehr das Jahr 1991. Wir sind im Jahre 1996 angekommen. Das Problem der Gesetzesnovelle ist, daß Sie heute das neu aufrollen wollen, was sich 1990/91 abgespielt hat.
Da Sie mir die Frage gestellt haben - -
Herr Thalheim, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Aber bitte.
Herr Kollege Thalheim, auch ich habe dieses Zitat in der Hand. Es ist schon erstaunlich, daß Sie heute aus den Reden zitieren, die damals gehalten wurden, aber zum Beispiel nicht auf das eingehen, was gerade der Kollege Köhler gesagt hat.
Darf ich Sie darauf hinweisen
- auf die Fragestellung „Darf ich Sie darauf hinweisen" kann der Kollege mit ja oder nein antworten -, daß Sie ebenfalls gesagt haben: „Der letzte Rest Vertrauen wurde so verspielt "? Sind Sie mit mir der Meinung, daß es seinerzeit offensichtlich notwendig war und heute genauso notwendig ist, eine gewisse Waffengleichheit bei der Auseinandersetzung zwischen denjenigen herzustellen, die nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sind, die zum Teil in den Dörfern leben und arbeitslos sind, und denjenigen, die ihr Vermögen im Moment, ich sage einmal: bearbeiten?
Herr Kollege Carstensen, auf Ihre Frage ist die gleiche Antwort zu geben wie auf die Frage von Herrn Köhler: 1991 wäre die Zeit gewesen, so zu reagieren. Leider haben Sie dies auch trotz unserer Hinweise nicht getan.
Wir haben im übrigen den Vorwurf der Waffenungleichheit in unserer Kleinen Anfrage aus dem Jahr 1992 erhoben. Auf diesen Vorwurf hat die Bundesregierung geantwortet,
Herr Kollege Carstensen:
Es ist nicht Aufgabe des Bundesgesetzgebers, eine Interessenvertretung für ausscheidende Mitglieder gesetzlich zu regeln. Eine solche Regelung würde eine Bevormundung dieses Personenkreises bedeuten, die sachlich nicht gerechtfertigt erscheint.
Ich diktiere noch einmal zum Mitschreiben: eine Bevormundung dieses Personenkreises, die sachlich nicht gerechtfertigt erscheint. - Das ist die offizielle Antwort der Bundesregierung vom Frühjahr 1992.
Herr Kollege, wenn Kleine Anfragen einen Sinn machen, dann ist es der, von seiten der Opposition, der Regierung und den Koalitionsparteien einmal einen Fingerzeig zu geben, wo Korrekturbedarf besteht. Ich wiederhole mich: Hätte man dies 1992 getan, hätten Sie in diesem Punkt sicher auch auf unserer Seite Zustimmung gefunden. Aber zwischenzeitlich, seit 1992, sind vier Jahre vergangen. Wir stehen am Ende des Prozesses und nicht am Anfang, wie Sie immer wieder glauben machen wollen.
Herr Thalheim, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Junghanns? - Bitte.
Herr Dr. Thalheim, es handelt sich um eine sehr komplizierte Materie. Aber wenn Sie die Zusammenhänge falsch verknüpfen, dann muß ich Sie fragen: Nehmen Sie zur Kenntnis, daß das von Ihnen damals vorgeschlagene Aufsichtsgremium - -
- Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die damals von Ihnen vorgeschlagenen Aufsichtsgremien den zivilrechtlichen Weg im Streitfall nicht ausgeschlossen hätten? Zweitens: Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen verfahrensrechtlichen Änderungen für die Anspruchsberechtigten keine zwingenden Vorschriften darstellen?
Herr Kollege Junghanns, es handelte sich 1991 um einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Als junger Abgeord-
Dr. Gerald Thalheim
neter aus den neuen Ländern - ich war ein halbes Jahr hier -
habe ich den damaligen Antrag mit der zitierten Passage gegen den Widerstand in der eigenen Fraktion vertreten und durchgesetzt. Es hätte in der Verantwortung der rechten Seite dieses Hauses und auch des Bundesministeriums gestanden, einmal zu überprüfen: Wie kann denn dieser Vorschlag etwas präziser in Recht umgesetzt werden? Ich erinnere mich noch gut an die Arroganz, mit der von seiten Ihrer Fraktion und auch von den Juristen dieser Vorschlag abgelehnt wurde. Das ist der Kern der Sache. Es mußte nicht mit Punkt und Komma das beschlossen werden, was vorgeschlagen wurde. Es ging darum, den Gedanken aufzugreifen. Er ist nicht aufgegriffen worden. Ihn wollen Sie jetzt, 1996 - ich wiederhole mich -, in die Tat umsetzen. Das ist kontraproduktiv, geht an der Sache vorbei und - wie haben Sie in der Kleinen Anfrage geantwortet? - ist „sachlich nicht gerechtfertigt".
Diese Umwandlung sehen die Betroffenen durch neue Prozesse vor Gericht gefährdet. Das mußte und muß auf massive Ablehnung der Betroffenen stoßen, vor allem, weil durch anhängige Gerichtsverfahren das Landerwerbsprogramm nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz gefährdet ist. Viele vermuten darin auch das eigentliche Ziel der Gesetzesnovelle.
- Kollege Bredehorn, solange Gerichtsverfahren anhängig sind, gibt es keine Begünstigung nach dem Landerwerbsprogramm.
Diese Gesetzesnovelle gibt den Startschuß für unzählige Gerichtsverfahren. Diese Befürchtung hat man in den neuen Ländern bis heute nicht ausgeräumt. Auch wenn der aktuelle Gesetzentwurf deutliche Korrekturen enthält:
Wir halten ihn dennoch nicht für akzeptabel. Da stehe ich nicht allem. Sie wissen, daß viele Agrarpolitiker in den neuen Ländern das nach wie vor nicht anders sehen. Viele sehen in Ihrem heutigen Eintreten für die ausgeschiedenen Mitglieder der LPG auch ein Stück Heuchelei. Sie hätten dieses Engagement viel besser auf andere Punkte verwenden können.
- Wir haben lange, Herr Kollege Hornung, über eine Entschädigung für ausgefallene Inventarbeiträge diskutiert. Da gab es sogar einmal einen entsprechenden Titel im Haushaltsplan. Er ist dann gestrichen worden. Bis heute haben die Inhaber von Kreispachtverträgen keine Entschädigung bekommen.
Das folgende ist für mich das Schlimmste: Die Grundstückseigentümer - meist handelt es sich in den neuen Ländern um Landwirte -, unter deren Akkerboden Kiese und Sande liegen, sind um den Ertrag aus der Nutzung dieser Rohstoffe gebracht worden, weil es versäumt wurde, in den neuen Ländern auch für diesen Bereich Art. 14 Grundgesetz umzusetzen. Da haben Sie sich geweigert; es ist elementar gegen die Interessen derer verstoßen worden, die Sie hier immer wieder zu vertreten meinen.
- Ich war nicht in der Volkskammer, wir sind hier im Deutschen Bundestag. -
Der Deutsche Bundestag hatte am 3. Oktober oder danach die Möglichkeit, hier Korrekturen vorzunehmen. Es ist bezeichnend, daß Sie erst im Frühjahr dieses Jahres, als das berühmte Fell des Bären längst verteilt war, bereit waren, diese Korrekturen vorzunehmen. Wir wollen an diesem Punkt einmal bei der Wahrheit bleiben.
Herr Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deichmann?
Ja, bitte.
Herr Kollege Thalheim, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß diese späte Regelung in bezug auf Kiese und Sande unter den Ackerflächen kein Versäumnis, sondern politischer Wille war?
Natürlich war das politischer Wille. Erst als die Lagerstätten an Heidelberger Zement, Bilfinger und Berger und wie sie alle heißen, verkauft waren, ist die Gesetzesänderung gekommen. Die Industrie hat grünes Licht gegeben: Wir haben, was wir brauchten; jetzt könnt ihr zuschlagen.
Herr Thalheim, das hat die nächste Zwischenfrage ausgelöst.
Ja, bitte.
Weil wir über die Flächen zum Kies kommen, möchte ich Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, daß im Land Brandenburg weit über 80 Prozent der Entscheidun-
Ulrich Junghanns
gen für den Verkauf bzw. für Zugeständnisse in dieser Richtung getätigt worden sind, währenddessen sie im Land Thüringen mit Blick auf die damals bevorstehende Gesetzesnovelle ausgesetzt worden sind.
Herr Kollege Junghanns, selbstverständlich gibt es an der Stelle einen Interessenkonflikt. Am Ende bin auch ich der Meinung, daß die Volkskammer aus diesen Gründen damals so entschieden hat. Nur, wenn wir entlang des Rechts argumentieren, was wir hier heute machen - Kollege Heinrich, ich erinnere mich an die Diskussion zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz -, und Art. 14 zur Kernfrage erheben, können wir, wenn es um die Abwägung von Privateigentum und wirtschaftlichen Interessen geht, nicht anders entscheiden. Auf nichts anderes wollte ich aufmerksam machen.
Ich habe darauf hingewiesen: Mit fragwürdigen Begründungen wollen Sie korrigierend in einen Prozeß eingreifen, dessen Auswirkungen zwar bis heute spürbar sind, der sich aber im Jahre 1990 und danach abgespielt hat. In dieser Zeit sind in unzähligen Gesprächen im Rahmen langwieriger Auseinandersetzungen in einem mühevollen Prozeß Vereinbarungen getroffen worden. Natürlich, Herr Kollege Hornung, waren das oft Kompromisse. Aber an diesen Kompromissen haben in vielen Fällen die Clearingstellen der Länder, Vermittlungsausschüsse, mitgewirkt.
Den Vereinbarungen, die getroffen wurden, lagen in vielen Fällen Gerichtsentscheidungen zugrunde. Man hat also im außergerichtlichen Rahmen gerichtliche Vergleiche nachgeholt. Insofern ist es sehr bedenklich, das alles heute in Frage zu stellen. Das Gegenteil wäre richtig: sich auf die offenen Fälle zu konzentrieren.
Ich darf auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Im Kern liegt der Gesetzesnovelle die These zugrunde, daß das Eigenkapital der ehemaligen LPG zu niedrig bewertet wurde und demzufolge nach § 44 ausgeschiedenen Mitgliedern in enormem Umfang Vermögenswerte vorenthalten wurden. Am weitesten ging dabei immer die FAZ, die von bis zu 60 Milliarden DM sprach. Einen Beweis für diese These sind bisher alle schuldig geblieben. Im Gegenteil: In der Ausschußberatung haben Sie sich geweigert, auch nur schätzungsweise eine Zahl zu nennen, was Sie damit begründet haben, daß das nicht mit der Fragestellung des Gesetzes im Zusammenhang steht.
Herr Junghanns, Sie haben das hier heute wiederholt. Ich möchte Sie noch mal fragen: Wenn am Ende ausgeschiedene Mitglieder nicht mehr erhalten sollen, warum machen wir das Ganze überhaupt? Sie wollen ein Gesetz mit erheblichen Folgewirkungen, Prozessen usw. Am Ende kommt heraus: Es gibt für die Betroffenen zwar das gleiche, aber der Rechenweg war richtig. Das wäre die Quintessenz des Gesetzes. Das kann man nicht machen, weil man damit mehr in Frage stellt. Vor allem: Das Ergebnis steht erst am Ende. Das Problem ist der Prozeß, zu diesem Ergebnis zu kommen.
Vor allem ist es eine gefährliche Illusion, die hiermit geweckt wird. Ich räume ein: Im Einzelfall mag das herauskommen. In vielen Fällen dürfte aber das Gegenteil eintreten: daß sich herausstellt, daß das Vermögen zu hoch bewertet wurde, was die Finanzämter bei den derzeitigen Betriebsprüfungen vielerorts feststellen. Sie verlangen, daß das Vermögen von damals abgewertet wird.
Rückforderungen an ausgeschiedene Mitglieder wären die Folge. Diese Ansprüche nach dem neuesten Gesetzestext auch wirklich einklagbar zu machen ist zwar logisch, aber, wie ich meine, völlig unrealistisch.
Im jetzigen Streit geht es im Kern um die Bewertung des aus DDR-Zeiten übernommenen Eigenkapitals, also den wahren Wert der vorhandenen Tiere, Maschinen und Gebäude abzüglich - darauf möchte ich mit Nachdruck hinweisen - der immer noch bei den Betrieben liegenden Altschulden in Höhe von 6 Milliarden DM.
- Selbstverständlich: Das vorhandene Vermögen minus die Altschulden ergibt das Eigenkapital, das zur Verteilung anstand.
Hinsichtlich der Höhe dieses LPG-Vermögens gibt es nach meiner Auffassung erhebliche Illusionen. Das wird bei einem Vergleich mit den volkseigenen Gütern deutlich, die der Treuhand unterstanden. Das ist mit einer der interessantesten Punkte: Nicht nur die Geschäftsführer und ehemaligen LPG-Vorsitzenden hatten die Ostlandwirtschaft zu verwalten, sondern auch der Bundesfinanzminister, der über die Treuhandanstalt die volkseigenen Güter geerbt hat.
Mit Datum von gestern ist uns in der Antwort auf eine Kleine Anfrage eine Bilanz der wirtschaftlichen Tätigkeit der volkseigenen Güter vorgelegt worden. In ihr wird eingeräumt, daß im Jahre 1990 pro Hektar ein, wie es im Text heißt, „negativer Rohüberschuß" - ich möchte es der betriebswirtschaftlichen Vereinfachung halber einfach „Verlust" nennen - von 2 000 DM pro Hektar entstanden ist. 1992 waren es immerhin noch 1 000 DM.
Dr. Gerald Thalheim
Das heißt, bei den volkseigenen Güten stand kein Vermögen zur Verteilung an; der Steuerzahler mußte für die Verluste haften.
Worauf gründen Sie eigentlich - bei allen Unterschieden, die es gegeben hat - die Auffassung, daß im Vergleich zu dem Teil volkseigene Güter im Bereich der LPGs so hohe Vermögenswerte versteckt sind? Natürlich wurden diese Verluste in erheblichem Umfang auf Grund der damaligen Überbeschäftigung und vieler anderer Faktoren verursacht. Sie sind aber trotz Anpassungshilfen genauso im Bereich der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eingetreten.
Aus diesen Gründen - das waren, so denke ich, eine ganze Reihe gewichtiger Argumente -
fordern wir Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen. Herr Kollege Junghanns, wenn wir Ihnen ein Stück weit entgegengekommen worden sind, indem wir das Sammelverfahren für einen eng begrenzten Personenkreis zulassen, dann im Interesse der ostdeutschen Landwirtschaft. Wir halten dies in wenigen Fällen für durchaus gerechtfertigt. Es ist besser, mit einem Kompromiß auseinanderzugehen, als eine unendliche Flut von Prozessen heraufzubeschwören.
Sie wissen, wir sind für eine Verlängerung der Verjährungsfrist, wenn auch nur um drei Jahre. Fünf Jahre halten wir für zu lang. Wir sind für eine erleichterte Abberufung der Liquidatoren. Ich denke, diesen Punkten können Sie zustimmen. Wir fordern Sie auf - auch im Interesse Ihrer mecklenburgischen Kollegen, die heute wieder nach Hause wollen -, unserem Antrag zuzustimmen.
Besten Dank.
Als nächste Rednerin die Kollegin Steffi Lemke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das noch von der Volkskammer der DDR verabschiedete Landwirtschaftsanpassungsgesetz verfolgte ursprünglich die Ziele der Wiederherstellung des Privateigentums an Grund und Boden und der Personifizierung des LPG-Vermögens sowie die Entwicklung einer vielfältig strukturierten Landwirtschaft verschiedener Eigentums- und Wirtschaftsformen.
Zitat aus dem Kommentar zum Gesetz 1990:
Bei der praktischen Umsetzung der Vorschriften des LAG vor Ort sollte stets ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der einzelnen betroffenen Gruppen herbeigeführt werden.
Seit dieser Zeit hat in der Landwirtschaft der neuen Länder ein gravierender Umstrukturierungsprozeß stattgefunden. In diese schwierige Phase, die unter anderem von einem völligen Verfall der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise und der Vermögenswerte in der Landwirtschaft gekennzeichnet war, fiel auch die Vermögensauseinandersetzung zwischen den LPGen und auscheidenden LPG-Mitgliedern. Bündnis 90/Die Grünen bestreiten nicht, daß es in diesem Prozeß zu Ungerechtigkeiten gekommen ist und daß es Gesetzesverstöße gegeben hat. Fraglich ist unserer Ansicht nach jedoch, in welchem Ausmaß diese stattgefunden haben, inwieweit sie inzwischen durch die Überprüfung seitens der Länder behoben werden konnten und mit welchem Instrumentarium noch bestehende Probleme gelöst werden können.
Im Juni dieses Jahres legten die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. in einer Eilaktion den Entwurf einer vierten Novelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz vor. Dieser Entwurf war offensichtlich weder mit den ostdeutschen Landesverbänden von CDU und F.D.P. noch mit den Juristen der Koalitionsfraktionen abgestimmt. Mit seiner Anhäufung von rechtsstaatlich bedenklichen Paragraphen und seiner einseitig gegen die LPG-Nachfolgebetriebe gerichteten Tendenz hat dieser Gesetzentwurf seit seiner Einbringung parteiübergreifend massive Proteste in den neuen Ländern ausgelöst.
Die Kritik an diesem Gesetzentwurf richtet sich in der Hauptsache gegen die Einführung eines Verfahrens zur rückwirkenden Neufeststellung des Eigenkapitals der LPG-Nachfolgebetriebe, da dies eine flächendeckende erneute Überprüfung der Vermögensauseinandersetzung provoziert, die völlig überzogene Erwartungen bei den ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern geweckt hat. Die Novelle ist in ihrer vorliegenden Form auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich seit 1990 bemüht haben und bemühen, den Umstrukturierungsprozeß in der Landwirtschaft konstruktiv zu begleiten, seien es Landwirtschaftsrichter, Wirtschaftsprüfer, die Landwirtschaftsministerien der neuen Länder oder die Betroffenen vor Ort.
Mit den inzwischen von der Regierungskoalition vorgenommenen Korrekturen wurde den aus den neuen Ländern vorgetragenen Bedenken nur teilweise Rechnung getragen. So wurden zwar einige der besonders bedenklichen Punkte zurückgezogen, das rückwirkende Feststellungsverfahren wird im Grundsatz jedoch aufrechterhalten.
Bündnis 90/Die Grünen haben in zwei gemeinsamen Änderungsanträgen zusammen mit der SPD Vorschläge unterbreitet, wie ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern die Durchsetzung ihrer Ansprüche dort erleichtert werden kann, wo dies nach sechs Jahren noch erforderlich ist. Unsere Anträge beinhalten die Verlängerung der Verjährungsfrist um drei Jahre, die erleichterte Abberufung von Liquidatoren und die bis zum 31. Dezember 1997 befristete Möglichkeit, das Eigenkapital eines LPG-Nachfolgebetriebs gerichtlich feststellen zu lassen. Um Rechtssicherheit für die Nachfolgebetriebe zu schaffen, wird dabei jedoch klargestellt, daß bei einer Eigenkapitalabweichung unter 25 Prozent die bisherige Festlegung des Eigenkapitals als ordnungsgemäß gilt. Auch das ist
Steffi Lemke
ein Punkt, dessen Regelung von den Regierungsfraktionen versäumt wurde.
Ein Widerrufsrecht wird von Bündnis 90/Die Grünen auch für außergerichtlich getroffene Vereinbarungen abgelehnt. Auch diese Vereinbarungen genießen Rechtsschutz, insbesondere wenn sie auf Hinwirken der Gerichte oder Landesregierungen zustandegekommen sind, wie dies häufig der Fall war. Auch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters wird von uns abgelehnt, da diese Regelung schlicht überflüssig ist und lediglich unnötige Kosten verursachen würde.
Wir haben uns in den Ausschußberatungen darüber hinaus für eine effektivere Rechtsberatung durch den Hilfsfonds Ost und nötigenfalls eine Aufstockung dieses Fonds aus Haushaltsmitteln eingesetzt. Hier kann die Bundesregierung tätig werden und ihren selbst postulierten Anspruch erfüllen, den ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern helfen zu wollen.
Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben damit Kompromißvorschläge unterbreitet, die auch weiterhin einen Interessenausgleich zwischen ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern und den Nachfolgebetrieben ermöglichen, ohne überzogene Hoffnungen auf einen finanziellen Nachschlag, die sich letztendlich nur als Seifenblase entpuppen können, zu schüren oder die LPG-Nachfolgebetriebe in ihrer Existenz zu gefährden.
Auch das von der CDU postulierte Ziel der Herstellung von Waffengleichheit wird damit von uns nicht verfolgt; denn bei der Neuausreichung von Waffen sind Verletzte oder Tote nicht auszuschließen. Dies kann nicht im Interesse der neuen Bundesländer sein und wird meines Erachtens auch keine friedenstiftende Wirkung in den Dörfern entfalten.
Wir sind Ihnen mit unserem Änderungsantrag insbesondere beim Feststellungsverfahren sehr, sehr weit entgegengekommen. Bündnis 90/Die Grünen verbinden damit die Hoffnung, daß Sie unserem Antrag zustimmen, der im übrigen mit den Forderungen der ostdeutschen CDU-Landwirtschaftsminister im wesentlichen übereinstimmt.
Nachdem Sie einen derart lausigen ersten Gesetzentwurf vorgelegt haben, stehen Sie meiner Ansicht nach in der Verpflichtung, nun einen Kompromiß mit den neuen Ländern zu erzielen.
Wir hatten bis zur Vorlage Ihres Gesetzentwurfs im Ausschuß eine fachliche und sachlich ausgewogene Debatte über die Vermögensauseinandersetzungen und die damit im Zusammenhang aufgetretenen Probleme. Sie haben dann in einer Nacht-und-NebelAktion in einem so komplizierten Prozeß einen Gesetzentwurf vorgelegt, der leichtfertig mit den Bedenken der ausgeschiedenen LPG-Mitglieder in den neuen Ländern spielt.
Auch die Bundesregierung ging bisher davon aus, daß gewisse Nachteile bei der praktischen Durchsetzung des Rechts in Kauf genommen werden mußten. So heißt es auch im Text des LAG: Mit den im LAG verfolgten Zielen der Umstrukturierung der LPGen zu wirtschaftsfähigen Unternehmen und der Abfindung der Vermögensansprüche ausscheidender LPG-Mitglieder ist schon ein Zielkonflikt angelegt worden, der völlige Gerechtigkeit in der Vermögensauseinandersetzung unmöglich macht.
Diese Problematik als einen Bestandteil des Einigungsprozesses zwischen DDR und BRD alt zu begreifen und endlich zu akzeptieren, haben verschiedene Interessengruppen offensichtlich noch immer vor sich.
Als nächster spricht der Kollege Jürgen Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Thalheim, wenn Sie den ersten Entwurf kritisiert hätten, dann hätten Sie mich im Boot gehabt. Sie haben jetzt aber einen zweiten Entwurf auf dem Tisch, und auf den sind Sie nicht eingegangen. Sie spielen leichtfertig mit den Ängsten der Menschen. Ich finde das wirklich unseriös.
Wir haben uns inzwischen bewegt, und Sie berücksichtigen das nicht.
Im Landwirtschaftsanpassungsgesetz ist festgeschrieben, daß allen Eigentumsformen eine reale Entwicklungschance gegeben wird. Das hat die F.D.P. so formuliert, darauf bin ich stolz, und dazu stehen wir auch heute noch.
Gleichzeitig wurde im Landwirtschaftsanpassungsgesetz davon ausgegangen, daß dazu eine faire Vermögensauseinandersetzung gehört. Das heißt, daß ehemalige Mitglieder unter Berücksichtigung der Agrarbetriebe ihren Anspruch befriedigt bekommen. Das gehört einfach dazu. Das ist in vielen Fällen gelungen. Man muß das so sagen, weil es so ist. In anderen Fällen wurden Vorwürfe laut, daß Anspruchsberechtigte benachteiligt wurden bzw. bis heute nicht zum Zuge gekommen sind.
Diesen Vorwürfen muß man nachgehen. Deswegen kamen insbesondere aus Sachsen Anregungen, das Gesetz ein viertes Mal zu novellieren. Aus diesem Grunde wurde der Entwurf der vierten Novelle am 18. Juni 1996 vorgelegt. Dieser Entwurf wurde im Bundestag leider kaum beraten - das bedaure ich - und insbesondere von den Nachfolgeeinrichtungen der LPGen mit Empörung aufgenommen.
Die Regierungen der neuen Länder lehnten mit einem Positionspapier vom 26. August 1996 diesen Entwurf und insbesondere folgendes ab - ich will das klar aufzeigen -: Daß die LPG-Nachfolger alle Kosten eines gerichtlichen Feststellungsverfahrens tra-
Jürgen Türk
gen sollten, ist gegen fundamentale Prozeßregeln. Das sehe ich genauso.
Die östlichen Bundesländer lehnten weiterhin ab, daß durch Verbandsklage Nichtbetroffene ohne jedes Kostenrisiko LPG-Nachfolger beliebig in Prozesse verwickeln können. Sie lehnten ebenso berechtigterweise ab, daß ein gemeinsamer Vertreter den Prozeß auch ohne Interesse der Betroffenen weiterführen kann.
Im Positionspapier der Ostländer gab es auch Widerspruch gegen die Einräumung eines Widerspruchsrechts für vertragliche Vereinbarungen, wenn das Eigenkapital nur um 5 Prozent zu niedrig angesetzt ist und damit noch in der Fehlertoleranz von plus/minus 15 Prozent liegt.
Es gab keinen Widerspruch der ostdeutschen Länder gegen die Verlängerung der Verjährungsfrist.
Eine weitere Empfehlung der ostdeutschen Länder war, daß die Novelle enthält, daß Rechtsfolgen erst bei Überschreitung von mindestens 25 Prozent hinnehmbar sind und daß die Prozeßkosten nach Billigkeit geteilt werden. Letztlich forderten die neuen Bundesländer, daß bei einer Neuregelung zur Abberufung von Liquidatoren ein Quorum von mindestens 5 Prozent der Mitglieder notwendig ist.
Ich glaube, das sind und waren alles berechtigte Forderungen, die bei der Änderung der Novelle zu berücksichtigen waren, um den landwirtschaftlichen Betrieben nicht die zugesicherten Entwicklungschancen zu nehmen, geschweige denn, sie zu zerschlagen, wie es viele Nachfolgeeinrichtungen befürchtet haben. Ich darf anmerken: Diesen Ärger hätten wir uns wirklich ersparen können, wenn der Entwurf mit den Betroffenen sofort abgestimmt worden wäre.
Über dieses Positionspapier der ostdeutschen Länder hinaus erfolgten - wenn auch spät - weitere Abstimmungen sowie eine Anhörung am 23. September 1996 im Bundestag. In einer internen Anhörung der F.D.P. am 14. Oktober 1996 in Potsdam, in der Vertreter der Nachfolgeeinrichtungen, Wiedereinrichter und ehemalige Mitglieder aus ganz Ostdeutschland mit der Brandenburger F.D.P. und mit der F.D.P.-Bundestagsfraktion in Dialog traten, kam folgendes heraus: Es gibt Übervorteilung, also Benachteiligung, von ehemaligen Mitgliedern. Hier muß eine Vermögensauseinandersetzung erfolgen und durchgestanden werden. Es darf aber keine pauschale Kriminalisierung und damit Existenzbedrohung der Nachfolgeeinrichtungen geben. Dort aber, wo es Betrug gab, darf es nicht unter den Teppich gekehrt werden. Das betone ich hier noch einmal ausdrücklich.
Herr Türk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Türk, Sie beklagen, daß Herr Thalheim nicht auf Ihren Vorschlag eingegangen wäre. Sie haben da wahrscheinlich nicht zugehört. Aber Sie stellen es hier so dar, als hätten Sie den ursprünglichen Fehler, den Gesetzentwurf auch innerhalb Ihrer Partei nicht entsprechend beraten zu haben, geheilt. Wenn ich hier aber höre, daß Ihr Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern heute noch beklagt, daß dieses Gesetz von der F.D.P. nicht mitgetragen wird, und sagt, mit diesem Gesetz könnten die Liberalen nicht leben, dann zeigt das doch, daß es immer noch Abstimmungsprobleme geben muß. Es ist schon verwunderlich, wenn Sie ignorieren, in welcher Weise die Proteste in Ostdeutschland von der parlamentarischen Mehrheit dieses Hauses überhört und sogar übergangen werden.
Wie bewerten Sie die Haltung der F.D.P. in Ostdeutschland zu diesem Gesetz?
Erstens ist der F.D.P.-Chef in Mecklenburg-Vorpommern nicht mein Chef, weil ich Brandenburger bin.
Zweitens habe ich gestern trotzdem mit dem Chef der Brandenburger F.D.P. gesprochen. Wir haben eindeutig klargemacht, daß der jetzt vorliegende Entwurf alle Forderungen berücksichtigt. Das gleiche hat auch der Chef der mecklenburg-vorpommerschen F.D.P. einer Zeitung gegenüber klargemacht. Das ist jedenfalls mein Informationsstand.
Zu Ihren Vorwürfen, daß wir auf die Proteste nicht eingegangen wären, komme ich gleich noch. Ich kann Ihnen ganz klar an Hand der Substanz beweisen, daß der zweite Entwurf ganz anders als der kritikwürdige erste aussieht.
Die F.D.P. war und ist für einen fairen Interessenausgleich. Dazu stehen wir. Mit dem jetzt geänderten Entwurf der vierten Novelle glauben wir dem Rechnung getragen zu haben. In ihm sind die Forderungen der ostdeutschen Landesregierungen und auch die der F.D.P. weitestgehend erfüllt, auch wenn es Herr Thalheim jetzt nicht mehr wahrhaben will. Mit diesem Kompromiß kann meines Erachtens auch der Deutsche Landbund, der die ursprüngliche vierte Novelle vom 26. August 1996 beibehalten wollte, leben.
Leben kann man meines Erachtens auch mit der Verlängerung der Verjährungsfrist von fünf auf zehn Jahre, mit der erleichterten Möglichkeit der Abberufung von Liquidatoren durch Absenkung des Quorums auf 5 Prozent der Mitglieder, mit der Bündelung von Einzelrechtsstreiten durch Sammelverfahren, mit dem Widerrufsrecht erst bei Abweichung von mindestens 25 Prozent zwischen Abfindung und Anspruch. Das waren alles Ihre Forderungen; das alles ist in diesem Entwurf berücksichtigt worden. Auch für die F.D.P. ist das von zentraler Bedeutung. Wir wollen, daß die ehemaligen Mitglieder zu ihrem Recht kommen, aber auch, daß die Betriebe nicht in ihrer Existenz gefährdet werden; denn sie sind heute in vielen Regionen - Sie haben ja gerade erst von Mecklenburg-Vorpommern gesprochen - der maßgebliche Arbeitgeber.
Jürgen Türk
In den Betrieben wird ordentlich gearbeitet. Diese Arbeit wollen wir nicht gefährden.
Es entspricht einem F.D.P.-Wunsch, daß berufsständische Verbände nicht antragsberechtigt sind. Eine Verbandsklage wird es deshalb auch nicht geben. Ich weiß also nicht, wo da Ihre Kritik liegt.
Kosten des Verfahrens werden nach dem Maßstab der Billigkeit auferlegt. Auch das war ein anstehendes Problem; das ist gelöst. Es wird also keine Kostenzuweisung nur zu Lasten der Nachfolgeeinrichtungen geben.
Herr Türk, kommen Sie bitte zum Ende.
Ja.
Ich sagte schon, wir wollen, daß hier Gerechtigkeit herrscht, daß die Anspruchsberechtigten zu ihrem Recht kommen, daß sich aber auch die Nachfolgeeinrichtungen weiterentwickeln können. Genau das wird mit diesem veränderten Entwurf der Novelle erreicht. Wir glauben, daß gerade der Friede in den Dörfern - von dem immer so viel gesprochen wird - erst erreicht werden kann, wenn diese Novelle durchgesetzt worden ist.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Günther Maleuda.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In allen Fraktionen und in der Abgeordnetengruppe des Hohen Hauses sind Abgeordnete anwesend, die am 29. Juni 1990 das Landwirtschaftsanpassungsgesetz in der Volkskammer der DDR mitbeschlossen haben. Es war eine Beschlußfassung, die ohne Gegenstimmen einen Weg eingeleitet hat, der zu einer privatrechtlichen Umgestaltung in der Landwirtschaft und zum Übergang der LPG in neue Betriebsformen geführt hat.
Diese fraktions- und parteiübergreifende Position gibt es hier heute bei der Beratung und Beschlußfassung der Vierten Novelle leider nicht, obwohl wir noch im Mai etwa im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Kompromißposition hatten, die zu einer übereinstimmenden Regelung geführt hätte.
Auf der Grundlage der Beschlüsse in der Volkskammer und der drei Novellierungen, die der Deutsche Bundestag 1991, 1992 und 1994 vorgenommen hat, haben die Bäuerinnen und Bauern, die Gesellschafter und Aktionäre, die Neu- und Wiedereinrichter in den zurückliegenden sechs Jahren eine große Arbeit in einem Demokratisierungsprozeß geleistet, sowohl im Hinblick auf die Umstrukturierung der Betriebe, der Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion und auch in der Vermögensauseinandersetzung auf der Grundlage rechtsverbindlicher Vereinbarungen und Verträge.
- Ach, wissen Sie, das sind doch Bemerkungen, die hier heute nicht zum Gegenstand der Bewertung gehören.
Unstrittig ist, daß sie in diesem Prozeß auch eine hinreichende Unterstützung durch Bauern-, Genossenschafts- und landwirtschaftliche Prüfverbände bekommen haben. Unstrittig ist auch, daß in diesem komplizierten Prozeß in Einzelfällen - das sei hier betont - nicht massenhaft Probleme in der Vermögensauseinandersetzung aufgetreten sind.
Wir sind dafür, daß auf der Grundlage bestehender rechtlicher Regelungen, also per dritte Novelle des LAG, die vorhandenen strittigen Probleme geklärt werden.
In den letzten Wochen und Monaten wurde aber eine Atmosphäre geschaffen, die letztlich auch zu dieser vierten Novelle geführt hat. Da wird von flächendeckenden Bilanzfälschungen gesprochen. Da wird den LPG-Vorständen und -Vorsitzenden nachgesagt, sie hätten 20, 30 bis 40 Milliarden DM als Betrugsmasse eingesetzt. Die Arbeit der Landesregierungen, die Arbeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten wird in Frage gestellt, und es wird von Seilschaften gesprochen.
In dieser Atmosphäre ist letzten Endes eine sehr breite Diskussion geführt worden, vor allem in den ostdeutschen Ländern.
Herr Dr. Maleuda, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
Ja bitte, Herr Carstensen.
Herr Kollege Maleuda, können Sie bestätigen, daß diese Aussagen in keiner der vielen Sitzungen des Ausschusses, weder in der Anhörung noch in der Debatte, gefallen sind und daß sie nie Grundlage für die Debatten im parlamentarischen Raum und für die Gesetzesinitiative gewesen sind?
Herr Carstensen, ich verweise beispielsweise auf eine Diskussion, die wir mit Rechtsanwalt Kuchs hatten. Nicht nur in diesem Gespräch sind vor allem die großen Zweifel in bezug auf die Arbeit der Landesregierungen, der Staats-
Dr. Günther Maleuda
anwaitschaften und der Gerichte angedeutet worden. Es gab sogar die konkrete Aussage in Richtung „Seilschaften". Meinungen und Auffassungen des Präsidenten und der Mitglieder des Deutschen Landvolk-Verbandes unterstreichen dies.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Maleuda, ich möchte etwas präziser fragen. Können Sie bestätigen, daß die Äußerungen über die Zahlen und über die Begründung von Aktivitäten, die Sie gerade gemacht haben, nie die Diskussionsgrundlage von Kolleginnen und Kollegen, von welcher Fraktion auch immer, in der Debatte um dieses Landwirtschaftsanpassungsgesetz gewesen war?
Diese Zahlen sind von den Mitgliedern des Ausschusses nie genannt worden.
Sie kursieren aber im Umfeld des Ausschusses und haben zu dieser Atmosphäre, ich möchte fast sagen, zu dieser Psychose geführt.
Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern diese Novelle einstimmig ablehnt, daß Ministerpräsidenten und Agrarminister der ostdeutschen Länder diese Novelle ablehnen, daß es massenweise Anträge von Landtagen, Landräten und Gemeinschaftseinrichtungen gibt, die darauf hinweisen, daß die vorhandenen Regelungen ausreichen, dann muß man sich doch fragen, warum diese mehrheitlichen Auffassungen nicht Bestandteil der Diskussion auch in den Koalitionsfraktionen sind, sondern warum vor allem den Problemen nachgegangen wird, die sich besonders aus der Interessenlage des Deutschen Landvolk-Verbandes ergeben. Dies ist eine Tatsache, ob man sie nun wahrhaben will oder nicht.
Als Problem wird vor allem angesehen, daß eine Welle von Verfahren Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit und an der Akzeptanz geschlossener privatrechtlicher Verträge und Vereinbarungen aufkommen läßt und daß der soziale Friede auf dem Dorf empfindlich gestört wird. Mit diesem Entwurf werden in der Tat viele Befürchtungen geweckt.
Der Präsident des Landvolk-Verbandes, Herr Dieter Tanneberger, ein Sprecher der Lobby der Alteigentümer, hat es auf den Punkt gebracht. Ich darf ihn einmal zitieren:
Jeder Genossenschaftskonkurs im Osten ist für uns nicht bedauerlich. Der Kollektivismus muß verschwinden. Das sind doch Proletarier.
Nachzulesen in der „Wochenpost" vom 2. Oktober dieses Jahres. Ich interpretiere diese Aussage so: Es geht um den Boden; es geht um seine Neuverteilung und um die Zusammenführung von Boden und Kapital.
Die Abgeordnetengruppe der PDS folgt der mehrheitlichen Auffassung in den ostdeutschen Ländern. Die vorhandenen gesetzlichen Regelungen der dritten Novelle reichen aus, um auch die strittigen Probleme einer Entscheidung zuzuführen. Unter diesem Gesichtspunkt lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Herr Kollege Maleuda, Sie müssen zum Schluß kommen.
Bedenken haben wir auch gegen die Formulierungen im Gesetzentwurf der SPD und der Grünen, daß neue Verfahren eingeleitet werden können. Wir wären sehr dafür, daß wir bei dem Stand der dritten Novelle bleiben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Michael Luther.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einigen Gedanken und Zitaten beginnen, die in einer Debatte vom Juni dieses Jahres über die von der Koalition vorgelegte vierte Novelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz zum Ausdruck gebracht wurden. Der Redner freute sich in dieser Debatte, daß das Drängen nach einer Novellierung des LAG nun endlich Früchte trägt. Drei Punkte waren ihm wichtig - ich zitiere -:
Zum einen geht es um die Verlängerung der Verjährungsfrist für alle Abfindungs- und Ausgleichsansprüche von fünf auf zehn Jahre. Zweitens geht es um die Einführung eines gerichtlichen Verfahrens zur Bündelung und gemeinsamen Entscheidung aller Streitfragen im Zusammenhang mit der Ermittlung des abfindungsrelevanten Eigenkapitals. Drittens geht es um die Erleichterung der gerichtlichen Abberufung von Liquidatoren.
Ich meine, treffender und kürzer kann man nicht beschreiben, was in dem heute zur Debatte stehenden Antrag steht.
Ich gebe zu, daß die anfängliche Vorlage etwas mißglückt war.
Dr. Michael Luther
Offensichtlich haben die Autoren dieser ersten Vorlage den soeben Zitierten falsch verstanden, als er die Notwendigkeit dieser vierten Novelle wie folgt begründete
- hören Sie bitte zu -:
Man ... wird weiterhin die Aufarbeitung und Überwindung der Vergangenheit, also unseres sogenannten sozialistischen Erbes, mit aller Energie und mit aller Kraft betreiben, ... natürlich auch in der Frage der Herstellung des Privateigentums in der Landwirtschaft. Ich
- so der Redner -
erinnere daran: Der ehemalige Sowjetbotschafter Falin hat auf eine entsprechende Frage gesagt: Sozialismus und Kollektivierung waren eine relativ einfache Sache. Es war etwa so, als würde man aus lauter einzelnen Eiern Omelett machen wollen. Wir haben jetzt die Aufgabe, ... diesen Prozeß umzukehren.
Ich denke, das ist das grundsätzliche Problem. Darum lohnt es sich zu streiten. Aber - das sehen wir - es war und ist schwierig.
Deshalb freue ich mich, daß wir nunmehr nach Diskussionen im Landwirtschafts- und im Rechtsausschuß genau den Wünschen jenes in der Praxis der Umsetzung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes erfahrenen Mannes, also des sächsischen Staatsministers für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, Herrn Dr. Jähnichen, entsprechen konnten.
Zur Historie will ich nur soviel sagen: Der erste Antrag führte zu Irritationen. Diese haben wir im parlamentarischen Verfahren beseitigt, was letztendlich nur beweist, daß das Parlament, also wir als Souverän, in der Lage sind, konstruktiv zu beraten, einen eigenen politischen Willen zu formulieren und diesen auch umzusetzen.
Herr Kollege Luther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thalheim?
Aber gerne.
Herr Dr. Luther, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es gerade der sächsische Landwirtschaftsminister Dr. Jähnichen ist, der sich von Ihrem Gesetzentwurf auch in der jetzigen Fassung distanziert hat? Er besteht lediglich noch auf einer Verlängerung der Verjährungsfrist und der Abberufung der Liquidatoren und will dieses Sammelverfahren, das Sie soeben verteidigt haben, und die Kündigung der Vereinbarung nicht mehr. Insofern ist es der Falsche, den Sie zitieren. Können Sie das bestätigen?
Herr Thalheim, ich habe den sächsischen Landwirtschaftsminister in einer Rede vom Juni dieses Jahres zitiert. Ich habe auch zitiert, was er gesagt und gefordert hat. Warum dieses Sammelverfahren nur in einer solchen Form, wie wir sie vorgesehen haben, durchzuführen ist, werde ich im Laufe meiner Rede noch begründen und möchte deswegen an dieser Stelle darauf verzichten.
Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Bahr?
Ja.
Herr Kollege Luther, Sie sprechen von einem mißglückten Antrag, den Sie eingebracht hatten. Fühlen Sie sich denn heute in der Lage, wirklich zu begründen, warum diese Novelle nun immer noch notwendig ist? Denn Sie sind ja bisher insgesamt schuldig geblieben, klarzustellen, daß eine Begründung notwendig ist.
Das ist bisher überhaupt noch nicht geschehen. Fühlen Sie sich auch in der Lage, nicht nur zu begründen, daß diese Novelle notwendig ist, sondern auch festzustellen, daß die Proteste, die bei den Betroffenen in Ostdeutschland quer durch alle Parteien noch vehement anhalten und weiter anhalten werden, damit als erledigt angesehen werden können?
Zum einen will ich die Notwendigkeit begründen; das werde ich gleich tun. Vorweg will ich Ihre Frage zu dem Thema der Proteste aufgreifen. Der erste Entwurf, der in das Parlament eingebracht wurde, enthielt eine Reihe von Elementen, die jetzt dort nicht mehr stehen, weil sie zu Irritationen geführt haben.
Deswegen nutze ich Ihre Frage als Gelegenheit, hier festzustellen, was im Gesetz geändert worden ist:
Erstens. Die Verbandsklage ist nicht mehr vorhanden; sie war auch in fachlicher Hinsicht Unsinn.
Zweitens. Die Kostentragung eines Verfahrens richtet sich nach dem billigen Ermessen, nach dem insbesondere zu berücksichtigen ist, inwieweit die Beteiligten Veranlassung zur Durchführung eines solchen Verfahrens gegeben haben. Das heißt, die Kosten tragen nicht - wie nach wie vor in der Öffentlichkeit behauptet wird - generell die heutigen Agrargenossenschaften.
Drittens. Auch die Agrargenossenschaften haben, wenn festgestellt wird, daß Abfindungsansprüche zu hoch berechnet waren, die Möglichkeit, Geld von denen zurückzuverlangen, die sie beklagt haben.
Dr. Michael Luther
Viertens. Außergerichtliche Vereinbarungen können nicht bei jeder Bagatellabweichung widerrufen werden, sondern nur dann, wenn der Anspruch um mehr als 25 Prozent vom gesetzlichen Anspruch abweicht.
Deshalb bin ich Ihnen dankbar für Ihre Frage. Es ist wichtig, daß wir das hier in der Öffentlichkeit noch einmal deutlich machen. Ich habe den Eindruck, daß auch manche Kollegen hier im Saal das noch immer nicht registriert haben.
Diese vier Punkte sind im Gesetz geändert worden. Demzufolge sind viele von den Aufregungen und von den Demonstrationen fehl am Platze. Das Gesetz hat heute eine sehr gute und qualifizierte Form, und die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern kann sehr gut damit leben.
Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Deichmann?
Ja.
Herr Kollege Luther, Sie sagen, die Knackpunkte seien in dem Gesetzentwurf jetzt geändert. Wie erklären Sie dann, daß die Vertreter der Bauernverbände der fünf neuen Bundesländer am Dienstag dieser Woche hier in Bonn waren und Ihrem Fraktionsvorsitzenden Herrn Dr. Schäuble eine Liste mit Unterschriften übergeben wollten, die sie dann Mitgliedern des Landwirtschaftsausschusses übergeben haben? Wie erklären Sie sich, daß es bei dem Berufsstand immer noch Protest gibt?
Ich verstehe den Protest auch als ein Stück Sorge. Das hat natürlich etwas mit der Debatte des letzten halben Jahres zu tun.
Aber vielleicht sollte ich jetzt zu meiner Rede zurückkommen, damit ich das Problem, das noch im Raum steht, nämlich das Sammelverfahren, erläutern kann. Dann werden viele von den Sorgen, die vorgetragen werden, nicht mehr ihre Berechtigung haben.
Der Herr Kollege Bahr wollte noch eine Nachfrage stellen. Wollen Sie diese nicht mehr zulassen?
Nein, ich möchte fortfahren.
Ich hatte die vier Punkte aufgezählt, die im Gesetz geändert worden sind. Ich glaube, das ist denjenigen unlieb, die eigentlich etwas anderes wollen. Sie wollen nämlich aus dieser Gesetzesnovellierung politisches Kapital schlagen. Sie wollen letztendlich Horrornachrichten verbreiten und die Menschen damit verunsichern.
In der letzten Zeit geht es noch immer um Kritiken an dem verbesserten qualifizierten Sammelverfahren. Wer darüber redet, sollte sich vorher folgendes klarmachen: Verjährungsfristen sind wichtig, damit allgemein Rechtssicherheit Einzug halten kann. Mitunter ist es aber notwendig, Verjährungsfristen zu verlängern. Das scheint mir auch hier der Fall zu sein, weil die Vermögensauseinandersetzung, also die qualifizierte Zerlegung des beschriebenen Omeletts, noch nicht abgeschlossen ist.
Dann sollte allerdings auch dafür gesorgt werden, daß - ich zitiere nochmals die richtige Forderung von Herrn Dr. Jähnichen - „Verfahren zur Bündelung und gemeinsamen Entscheidungen aller Streitfragen" geschaffen werden.
Das zuerst angedachte Feststellungsverfahren für und gegen alle birgt die Gefahr in sich, daß eine kleine Gruppe vorgeschickt wird, das Ganze einmal zu testen und zu prüfen, ob nicht doch für alle noch etwas herauszuholen wäre. Der Antragsgegner, also die Agrargenossenschaft, würde mit einer unbekannten anonymen Masse streiten müssen. Das halte ich für problematisch.
Auf der anderen Seite ist das Sammelverfahren nach ZPO wiederum von dem Zufall abhängig, wie viele Unzufriedene sich in einer bestimmten Zeiteinheit bei Gericht zu Wort melden. Der Gedanke der Bündelung kann damit kaum erfüllt werden.
Wählt man jedoch ein qualifizierteres Sammelverfahren, bei dem die anfängliche Klägergemeinschaft auch später noch nachfragen kann, ob es weitere Klagewillige gibt, wird dieser Bündelungseffekt sicher erreicht. Dafür benötigt man einen gemeinsamen Vertreter, der den Auftrag des Sammelns erhält und der sinnvollerweise - ich denke, daß wird die Regel sein - auch der gemeinsame Klagevertreter sein sollte.
Wer unzufrieden ist, soll dies durch einen Verfahrensbeitritt offen zeigen und auch bereit sein, die Konsequenzen dieses Verfahrens zu tragen. Diese Konsequenzen können die Kostentragung des Verfahrens und im Falle des Ausganges entgegen der Klageerwartung möglicherweise auch die teilweise Rückzahlung von zu hohen, aber bereits ausgezahlten Abfindungen sein.
Dies wird nach meiner Überzeugung dazu führen, daß eine Klage nur in wirklich schlimmen Fällen erhoben wird. Ich denke, dies wollen Sie alle in diesem Haus. Es gibt wohl niemanden, der eine unberechtigte Bereicherung von unseriösen LPG-Bossen sichern möchte. Eine Klageflut wird ausbleiben, weil querulatorische Prozesse vor dem Hintergrund der
Dr. Michael Luther
drohenden Kostenlast in der Regel unterbleiben werden. In diesem Punkt irren Sie, Herr Thalheim.
Wird auf ein Sammelverfahren gänzlich verzichtet, gibt man den Betroffenen Steine statt Brot und schafft für die Zeit der noch andauernden Verjährungsfrist eine fortwährende Rechtsunsicherheit für die Agrarunternehmen, die, obwohl ihre Umwandlung in der Regel ordnungsgemäß abgeschlossen ist, jederzeit mit Klagen rechnen müssen.
Wer also die Verlängerung der Verjährungsfristen erreichen möchte, muß mehr tun. Darum hat sich die Koalition bemüht. Die Koalition hat sich dieser Aufgabe gestellt. Die Kritiker des Sammelverfahrens mögen zuerst die von mir aufgeworfenen Fragen beantworten. Die Meckerer sollten lieber ruhig sein. Ich hoffe, daß dieses Gesetz ein Beitrag zur Findung von Gerechtigkeit sein wird und daß es auch die notwendige Ruhe in die ostdeutsche Landwirtschaft bringt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wieland Sorge.
Frau Präsidentin! Meine Damen Und Herren! Lieber Herr Junghanns, Sie haben gesagt, daß die SPD ungerechtfertigte Angriffe auf die vierte Novelle des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes erhoben hat. Deshalb möchte ich mich bei meinen Ausführungen ausschließlich auf Beurteilungen aus der CDU beschränken.
Ein geschätzter Kollege von der CDU hat die Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes seiner eigenen Partei als einen „Gesetzentwurf des Arbeitskreises Adel und Banken" bezeichnet.
Herr Kollege Kriedner, mit dieser Einschätzung haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
Besser hätten auch wir von der Opposition das nicht ausdrücken können.
Weiterhin bezeichnen Sie die Novelle als - ich zitiere wörtlich aus einem Interview vom 14. Oktober 1996 -
... eine Idee einer Gruppe westdeutscher Großagrarier, denen die LPG-Nachfolger im Osten ein Dorn im Auge sind.
Vor dem Hintergrund der Konkurrenz überlegen in den alten Bundesländern manche, wie sie den Erfolg im Osten etwas herunterspielen können.
In weiser Voraussicht warnen Sie vor neuen Verteilungskämpfen - -
Herr Kollege Sorge, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Türk? - Bitte.
Lieber Kollege Wieland Sorge, bist du bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der vorliegende Gesetzentwurf, über den wir heute eigentlich sprechen sollten und wollten, dem Positionspapier der ostdeutschen Länder vom 26. August 1996 voll entspricht? Bist du auch bereit, zur Kennntnis zu nehmen, daß er auch den Forderungen der SPD nach dem Wegfall der Verbandsklage - sie ist entfallen -, nach einer nicht einseitigen Kostenregelung zu Lasten der Nachfolgeeinrichtung - das ist jetzt anders und besser geregelt - und nach Veränderungen beim Widerrufsrecht entspricht? Auch hier sind Veränderungen erfolgt. Bist du bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen?
Natürlich bin ich bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Mein Kollege Dr. Thalheim hat aber bereits ausgeführt, daß wir der Meinung sind, daß denjenigen, die in irgendeiner Form durch Manipulationen, Fälschungen oder was auch immer benachteiligt worden sind, mit den bestehenden Gesetzen, die wir bisher haben, zu ihrem Recht verholfen werden kann.
In weiser Voraussicht warnen Sie vor neuen Verteilungskämpfen zwischen LPG-Nachfolgern und Wiedereinrichtern, die nur zu Lasten der ostdeutschen Landwirtschaft gehen können. Auch Sie befürchten, daß der Frieden in den ostdeutschen Gemeinden durch ein neues Aufrollen erheblich gestört wird. Völlig zu Recht weisen Sie darauf hin, daß es kaum möglich ist, heute mit einem veränderten Preisgefüge Bilanzen aus dem Jahre 1990 zu erstellen.
Allein in Thüringen hat es nach der Wende bei rund 200 000 Anspruchsberechtigten 120 Verfahren gegeben. Was es für die ostdeutsche Landwirtschaft bedeuten würde, wenn all diese Verfahren überprüft werden müßten, läßt sich leicht ausmalen. Kredite würden nicht gewährt, Investitionen könnten nicht getätigt werden, Existenzen wären gefährdet.
Das ist auch anderen CDU-Mitgliedern klar. Der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Martin Brick, hält die Novelle für überflüssig, Ministerpräsident Seite äußert Bedenken. Auch Sachsens Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen ist mit der Novelle nicht einverstanden und fordert Neuverhandlungen zur rückwirkenden Feststellung des Eigenkapitals der früheren LPG. Der Landwirtschaftsminister des Freistaates Thüringen, Herr Dr. Sklenar, gibt an, zu diesem Thema überhaupt nicht gefragt worden zu sein.
Auch der ostdeutsche CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Krüger erklärt, die Novelle sei höchst umstritten.
Wieland Sorge
Den ostdeutschen Abgeordneten, Ministern und Agrarexperten aller Parteien ist klar, daß die Novelle zu Lasten der ostdeutschen Betriebe geht. Nachdem in den Jahren ab 1990 in mühsamen, langwierigen Prozessen Vergleiche getroffen und Lösungen gefunden wurden, ist es einfach widersinnig, die Frage der Vermögensauseinandersetzung sieben Jahre später wieder aufzurollen,
zudem noch mit rechtlich fragwürdigen Regelungen.
Die Stabilität der landwirtschaftlichen Betriebe würde dadurch erheblich gestört.
Es ist unbestritten, daß es schwarze Schafe bei der Umstrukturierung gegeben hat. Keiner von uns will diese Leute schützen, im Gegenteil: Wir wollen, daß sie zur Verantwortung gezogen werden.
Aber dazu reicht die bestehende Rechtslage aus.
Daß die Zweifel an der Novelle durchaus berechtigt sind, zeigen die vielen kritischen Äußerungen aus den Reihen der CDU. Aber wie ist es denn nun zu verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn ich so markige Sprüche wie
mit mir wird kein Gesetz novelliert, welches die Interessen der hiesigen Landwirtschaft hinten runterfallen läßt
in der Presse lese? Stehen Sie zu Ihrem Wort, oder beugen Sie sich wieder einmal gegen Ihre eigene Überzeugung der Meinung Ihrer westdeutschen Fraktionskollegen?
Ich finde, wir ostdeutschen Abgeordneten müssen endlich lernen, noch selbstbewußter die Interessen unserer Bürger zu vertreten.
Wir dürfen uns gerade bei einem so offenkundigen Mißverhältnis nicht unterkriegen lassen.
Noch ein Gedanke zum Schluß: Wenn der finanzielle Schaden, der durch die angeblichen Bilanzfälschungen bei der Umwandlung in der Landwirtschaft entstanden ist, so groß ist, daß er eine Novellierung rechtfertigt, wie groß ist denn dann der Novellierungsbedarf des Treuhandgesetzes oder gar des Einigungsvertrages bei der Umwandlung in der Industrie?
Die Verluste, die durch Schlampereien, Veruntreuungen und Betrügereien bei der Vergabe von Fördermitteln und Subventionen entstanden sind, gehen in die Milliarden.
Damit werden sich die Gerichte noch Jahre befassen müssen. Aber deshalb kommt doch niemand auf die Idee, die entsprechenden Gesetze und Verträge dazu in Frage zu stellen.
Warum also ausgerechnet das Landwirtschaftsanpassungsgesetz novellieren, das doch sehr erfolgreich war? Das macht doch alles keinen Sinn, es sei denn, es ist wieder einmal eine starke Lobby am Werk.
Ich danke Ihnen.
Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Gröbl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Landwirte in den neuen Bundesländern haben in den zurückliegenden sechs Jahren einen beachtlichen Erfolg bei der Entwicklung ihrer Betriebe erzielt.
- Es wäre schön, wenn auch Sie von der SPD da jetzt zugestimmt hätten.
Sie können es nachholen.
- Also, Herr Thalheim!
Innerhalb kürzester Zeit haben sich neue Betriebe in den unterschiedlichsten Rechts- und Unternehmensformen entwickelt und alte Betriebe neu strukturiert.
Zwischenzeitlich gibt es über 30 000 landwirtschaftliche Betriebe. Davon sind 24 000 Einzelunternehmen, 2 600 Personengesellschaften und 3 000 juristische Personen.
Letztere bewirtschaften immerhin mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in den neuen Ländern.
Die Bundesregierung hat den Aufbau der Agrarwirtschaft dort nachhaltig und mit Sonderkonditionen gefördert.
Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl
Diese besondere Förderung war politisch gewollt, und sie war erfolgreich. Das ist für uns Anlaß zu Freude und Dankbarkeit.
Ab 1. Januar 1997 gestalten wir die einzelbetriebliche Investitionsförderung für ganz Deutschland nach einheitlichen Grundsätzen, die freilich viel Raum für die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten in Ost und West, in Nord und Süd lassen.
Vor dem Hintergrund dieser Fakten davon zu sprechen, bei der Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes gehe es um eine Zerschlagung der Landwirtschaft in den neuen Ländern, ist geradezu abwegig. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich meine auch, wir sollten diese ganze Begleitmusik schnellstens zu den Akten legen und vergessen. Die Zitate werden ja auch nicht besser, wenn sie immer wieder hervorgekramt werden.
Der Bundesregierung und der Koalition geht es um eine geordnete und kontinuierliche Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Ländern. Dazu gehört eben auch eine geordnete Vermögensauseinandersetzung. Diese ist aus gutem Grund ebenso wie die betriebliche Umstrukturierung der Verantwortung der Betroffenen selbst übergeben worden. So geht das Landwirtschaftsanpassungsgesetz davon aus, daß die LPG-Nachfolgeunternehmen mit den Mitgliedern gemeinsam und einvernehmlich das Eigenkapital und die daraus abgeleiteten Abfindungsansprüche ermitteln.
Viele Vermögensauseinandersetzungen sind so weitgehend einvernehmlich abgeschlossen worden. Pauschales Mißtrauen gegenüber allen LPG-Nachfolgeunternehmen ist daher nicht angebracht.
- Das werde ich Ihnen gleich erzählen, Herr Thalheim.
Aber daraus abzuleiten, es gebe keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, würde der Sachlage und vor allem den betroffenen Menschen nicht gerecht;
denn es gibt nach wie vor Unsicherheiten über die ordnungsgemäße Umsetzung de's Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in einer ganzen Reihe von Fällen. Nur um die Umsetzung geht es.'
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es geht bei der Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes darum, dem bereits seit Jahren geltenden Recht zur Durchsetzung zu verhelfen.
Die Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes hat durch zahlreiche Grundsatzentscheidungen dazu beigetragen, daß streitige Rechtsfragen zügig geklärt werden können. Die Umsetzung dieser Grundsatzentscheidungen in die Praxis der Vermögensauseinandersetzung braucht jedoch Zeit. Die Betroffenen müssen ausreichend Gelegenheit erhalten, begründeten Zweifeln an der ordnungsgemäßen Berechnung ihrer Abfindung nachzugehen und erneut in Verhandlungen mit den abfindungspflichtigen Unternehmen einzutreten oder aber streitige Fragen gerichtlich klären zu lassen.
Die derzeit gültige Verjährungsregelung würde viele Einzelfälle ungelöst lassen und bei vielen Menschen das Gefühl hervorrufen, als Schwächere den Mächtigeren oder Clevereren unterlegen zu sein, anstatt ihr Recht bekommen zu haben. Das - und nichts anderes - ist dann Ursache für die Störung des sozialen Friedens in den Dörfern.
Dem abzuhelfen ist das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs. Er verlängert die Verjährungsfrist aller Abfindungs- und Ausgleichsansprüche nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz um fünf Jahre. Gerichtliche Verfahren müssen folglich nicht unter Zeitdruck eingeleitet werden.
Die gerichtliche Abberufung von LPG-Liquidatoren soll erleichtert werden. Das ist ja eigentlich ein gemeinsames Anliegen. 5 Prozent der LPG-Mitglieder sollen berechtigt sein, einen Antrag auf Abberufung eines Liquidators zu stellen.
Diese beiden Punkte treffen im Grundsatz auf eine breite Zustimmung. Streitpunkt in der heftig geführten Auseinandersetzung der letzten Wochen und Monate ist das sogenannte Sammelverfahren. Ich möchte nicht auf die teilweise emotionalen Reaktionen eingehen. Wir können auf sachlicher Basis argumentieren.
Worum geht es bei diesem Verfahren? Die Betroffenen sollen gemeinschaftlich die Möglichkeit erhalten, die Bewertung des LPG-Vermögens gerichtlich klären zu lassen. Sie können sich zu Prozeßgemeinschaften zusammenschließen. Damit lassen sich auch die Verfahrenskosten für die Abfindungsberechtigten deutlich verringern. In einem Verfahren werden alle streitigen Bewertungsfragen geklärt.
Das Sammelverfahren schafft durch seinen Bündelungseffekt und die Verbindlichkeit der Eigenkapitalfeststellung für alle Verfahrensbeteiligten klare Verhältnisse. Es entlastet die Gerichte. Die Unternehmen bekommen schneller die notwendige Planungssicherheit für ihre künftige Entwicklung.
Und nochmals: Es geht nicht um irgendwelche neuen Ansprüche, es geht nicht um eine Änderung des materiellen Rechts. Es geht darum, den geltenden Regelungen in der Umsetzung zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen.
Einen Moment bitte.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich möchte um etwas mehr Ruhe bitten. Es ist immer das Problem vor namentlichen Abstimmungen, daß es sehr laut im Saal ist. Das ist für den Redner sehr schwer. Ich bitte Sie, noch einen Moment Geduld zu haben und zuzuhören.
Es werden weder neue Abfindungsansprüche geschaffen, noch wird der Inhalt berechtigter Ansprüche verändert. Die Rechtsprechung hat Maßstäbe gesetzt. Diese Bewertungsmaßstäbe bleiben unberührt. Den LPG-Nachfolgeunternehmen werden mit der Novelle keine neuen Lasten auferlegt.
Wer in der Vergangenheit die Vermögensauseinandersetzung nach Recht und Gesetz betrieben hat, Herr Dr. Thalheim, braucht weder Kläger noch Richter zu scheuen.
Uns geht es darum, mit diesem Gesetzentwurf die verbliebenen Streitigkeiten in ordentlicher und kostensparender Weise zu klären und damit das Vertrauen in den Rechtsstaat zu sichern. Dazu sollten Sie einen Beitrag leisten.
- Von Ihnen erwarte ich es nicht. Sie gehören eigentlich überhaupt nicht in dieses Haus. Damit Sie es wissen!
Danke.
Ich schließe damit die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen sagen, daß wir, anders als angekündigt, jetzt zwei namentliche Abstimmungen haben werden.
Zu der Abstimmung liegen nach § 31 unserer Geschäftsordnung schriftliche Erklärungen von folgenden Kolleginnen und Kollegen vor: Angelika Pfeiffer, Manfred Kolbe und Arnulf Kriedner *).
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes auf den Drucksachen 13/4950 und 13/5942. Dazu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5974 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Antragsteller verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
*) Anlage 2 und 3
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5974 bekannt. Abgegebene Stimmen - 641. Mit Ja haben gestimmt - 282. Mit Nein haben gestimmt - 329. Enthaltungen - 30. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 641; davon:
ja: 282
nein: 329
enthalten: 30
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Allred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Uwe Jens
Volker Jung
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape
Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann
Christa Lörcher Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer
Ursula Mogg
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau)
Volker Neumann Gerhard Neumann (Gotha)
Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps Hermann Rappe
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Waltraud Schoppe
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Joachim Hörster Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. kamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Antje Vollmer
F.D.P.
Dr. Karlheinz Guttmacher PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi
Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich muß Sie bitten, übersichtliche Blöcke zu bilden, weil wir jetzt zuerst mit Hand abstimmen müssen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Karte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben *).
Wir setzen die Beratung fort. Zunächst müssen wir noch eine Abstimmung durchführen. Ich bitte Sie daher, sich hinzusetzen, damit ich Übersicht gewinne.
Wir kommen also zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/5961. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Stasi-UnterlagenGesetzes
- Drucksache 13/4356 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
- Drucksache 13/4359 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/5816 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner Rolf Schwanitz
Gerald Häfner Dr. Rainer Ortleb Ulla Jelpke
*) Seite 12234 A b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
Zweiter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik -1995
- Drucksachen 13/1750, 13/5816 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner Rolf Schwanitz
Gerald Häfner
Dr. Rainer Ortleb
Ulla Jelpke
Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Abgeordneten Hartmut Büttner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung die Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Der Deutsche Bundestag hat dieses Gesetz 1991 mit großer Mehrheit, gegen die Stimmen der PDS, verabschiedet. Der Kernpunkt des Gesetzes war die Öffnung der Stasiakten für die ehemals Unterdrückten und ihre Nutzung für Forschung und Aufarbeitung. Die mögliche Alternative wäre eine Vernichtung der Akten gewesen. Nur, dann hätten die Opfer niemals erfahren, ob und wann sie das Ziel von Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes waren.
Es war vor allem Initiative und Auftrag der Bürgerbewegung, daß sowohl die frei gewählte Volkskammer als auch der Deutsche Bundestag diese Grundentscheidung akzeptierten. Dieses Gesetz war ohne Beispiel und ohne Vorbild. So war es völlig klar, daß im Laufe seiner praktischen Anwendung ein Änderungs- und Präzisierungsbedarf entstanden ist.
In Zeiten der Zunahme der politischen Auseinandersetzungen ist es noch wichtiger, daß einige sensible Bereiche der deutschen Politik im Konsens behandelt werden. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein solcher Bereich. Es war für die Akzeptanz dieses Gesetzes in unserer Bevölkerung sehr wichtig, daß wir uns über Parteigrenzen hinweg einigen konnten. Wir haben gezeigt, daß der demokratische Staat diese schwierigen Regelungen mit Augenmaß und Würde treffen konnte.
Die Fraktionen, die im Jahre 1991 das Gesetz einmütig auf den Weg gebracht hatten - CDU/CSU, F.D.P. und SPD -, haben sich in fast zweijährigen
Hartmut Büttner
Gesprächen bemüht, alle Änderungsvorschläge eingehend zu prüfen. Dabei stand für uns außer Frage, daß das Gesetz in seinem Grundbestand so wenig wie möglich angetastet werden sollte.
Auch der Zweite Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR belegt noch einmal nachdrücklich, daß sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz grundsätzlich bewährt hat. Deshalb erteilen wir auch all denjenigen eine ganz klare Absage, die nach einem Schlußstrich rufen.
Ein Straffreiheits- oder Amnestiegesetz lehnt die Mehrheit dieses Deutschen Bundestages eindeutig ab.
Die Novellierungsvorschläge gehen grundsätzlich in zwei Richtungen. Relativ unumstritten sind vorsichtige Ausweitungen der gesetzlichen Möglichkeiten. Unstrittig ist die zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit für Mitarbeiter von Fraktionen oder für Mitarbeiter von Abgeordneten usw.
Ebenso unstrittig ist die Begleitung bei Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, durch eine Person des Vertrauens. Das gilt ebenso für die Nutzung von NS-Akten, die vom MfS für Zwecke der Aufarbeitung gesammelt worden sind.
Auch die weitere Nutzung der Identifizierungsdaten aus dem ehemaligen zentralen Einwohnerregister der DDR durch die Gauck-Behörde bis zum Jahre 2005 trifft auf allgemeine Akzeptanz. Wir wissen: Ohne diese Daten wäre es in vielen Fällen, zum Beispiel bei Rentenfragen, unmöglich, Auskünfte zu erteilen. Allgemeine Zustimmung gibt es auch für die Verschiebung der Anonymisierung oder Löschung der eigenen Daten um zwei Jahre.
Kritik und Bedenken gab es gegen den Teil der Gesetzesvorschläge, der die bisherigen Möglichkeiten etwas einschränkt. Kritiker sehen vor allem in der Einführung der Stichtagsregelung „eine Amnestie durch die Hintertür" oder eine „vorzeitige Entlassung der Täter des SED-Unrechts aus der Verantwortung".
Tatsächlich geht es bei der Stichtagsregelung in der Sache um Personalüberprüfungen sechs Jahre nach der Einheit Deutschlands. In der Arbeitsgerichtsbarkeit kommt es bei einer lange zurückliegenden MfS-Zusammenarbeit kaum noch zu Kündigungen.
Es besteht außerdem zunehmend die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht wegen einer angeblichen Unverhältnismäßigkeit einer viele Jahre zurückliegenden Zusammenarbeit mit dem MfS einige Artikel des Stasi-Unterlagen-Gesetzes suspendiert. Damit geriete die Akzeptanz des ganzen Gesetzes in Gefahr. Mit unserer Neufassung dürften wir entsprechende Bedenken ausgeräumt haben.
Wir haben mit Argusaugen darauf zu achten, daß das Stasi-Unterlagen-Gesetz verfassungsfest bleibt. Deshalb geht es für die Einbringerfraktionen gerade nicht um eine Amnestie durch die Hintertür.
- Danke schön. - Wer sich 14 Jahre, bevor die SED-Diktatur durch die eigene Bevölkerung beseitigt wurde, bereits eindeutig vom Staatssicherheitsdienst gelöst hatte, dem sollte man diese Zusammenarbeit heute nicht mehr vorwerfen können, wenn er in den nachfolgenden eineinhalb Jahrzehnten keinerlei Kontakte zum MfS mehr hatte. Wer in der besonderen Situation einer Diktatur, deren Ende niemand vorhersehen konnte, so viel Kraft und Courage aufgeboten hatte, um sich eindeutig vom MfS zu trennen, ging wahrlich keinen einfachen Weg.
Die Stichtagsregelung gilt nicht bei Straftaten, die im Dienste des MfS verübt worden sind, und auch nicht bei Sicherheitsüberprüfungen. Zur Beurteilung, ob jemand sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben kann, können auch Erkenntnisse aus einem länger zurückliegenden Zeitraum von Bedeutung sein.
Von den Grünen wurde angeregt, die Gauck-Behörde solle weiterhin auch eine endgültig beendete Zusammenarbeit vor dem Jahre 1976 mitteilen, die personalführende Stelle solle dieses Wissen aber nicht gegen den Betroffenen verwerten dürfen.
Abgesehen davon, ob es rechtlich tatsächlich möglich ist, Kenntnisse über MfS-Verstrickungen zu erhalten, ohne dieses Wissen verwerten zu dürfen, ist diese Absicht doch etwas weltfremd. Gerade die unterschiedliche Weiterbeschäftigungspraxis bei Bund, Ländern und Gemeinden hat den Gauck-Beirat und auch die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages immer wieder beschäftigt. Die Bandbreite reicht vom völligen Negieren selbst stärkster Verstrickungen bis zu hysterischen Überreaktionen, wenn das Wort „Stasi" fiel.
Wir sind mit unseren Bemühungen - das sollte man in einer Debatte wie dieser freimütig sagen - um eine einheitliche Bewertung von Auskünften der GauckBehörde ziemlich kläglich gescheitert. Es gab zwar die Handreichung des Bundesinnenministeriums, aber noch nicht einmal sämtliche Bundesbedienstete wurden nach denselben Bewertungskriterien beurteilt. Dabei - auch das will ich sagen - beruhte die Handhabung in den Bundesbehörden noch am ehesten auf den gleichen Grundsätzen.
Ein zweiter Vorschlag wurde ebenfalls in die Diskussion eingeführt: Man möge die Bewertung der Überprüfungsergebnisse doch der Behörde von Joachim Gauck überlassen. Genau das wollen wir nicht.
Den Bundesbeauftragten in die Rolle des römischen Kaisers abzudrängen, der in der Arena des Lebens den Daumen über menschliche Schicksale heben oder senken kann, sähen einige interessierte Kreise sehr gern. Das belegen Äußerungen bis in die jüngsten Tage.
Hartmut Büttner
Wie viele Kübel schmutziger Vorwürfe hatten dabei die Mitarbeiter der Gauck-Behörde zu ertragen? Selbst vor größten Geschmacklosigkeiten wurde nicht zurückgeschreckt. Der mildeste solcher Vorwürfe war noch die Einführung eines neuen Verbes in die deutsche Sprache. Mit dem Wort „gaucken" sollte bewußt immer wieder eine Nähe zu Praktiken des verbrecherischen MfS suggeriert werden.
Herr Gauck, in diese Rolle wollen wir Sie und Ihre Mitarbeiter nicht abdrängen lassen. Sie und Ihre Behörde haben sich um das Schicksal der anständig gebliebenen Menschen in Deutschland verdient gemacht, und dafür danken wir Ihnen nachdrücklich.
Um Sie nicht in diese Negativrolle zu drängen, haben wir in das Gesetz klar und eindeutig geschrieben, in welchen Fällen die Behörde Mitteilungen über die Spitzeltätigkeit vornehmen muß und in welchen nicht.
Wir wollen zum Beispiel, daß nur diejenigen mögliche Konsequenzen zu ziehen haben, die dem MfS tatsächlich personenbezogene Informationen geliefert haben. Eine Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben, ohne tatsächlich als Spitzel aktiv geworden zu sein, ist künftig kein ausreichender Grund für eine Mitteilung der Behörde.
Vor Aufnahme der offziellen Ausschußberatungen haben CDU/CSU, F.D.P. und SPD den Versuch unternommen, die Phalanx der Einbringerfraktion zu erweitern. So kam es zu einem - ich will das deutlich betonen - sehr guten Gespräch mit dem zuständigen Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben erst im Laufe der Legislaturperiode bemerkt, daß der Wechsel von Personen in Ihrer Fraktion Chancen für eine neue Zusammenarbeit eröffnete. Allerdings kam dieses Gespräch etwas spät.
Daß Bündnis 90/Die Grünen nicht von Anfang an dabei war, lag schlichtweg daran, daß 1991 diese Fraktion bei der Erarbeitung des Stasi-UnterlagenGesetzes kurz vor der letzten Lesung offiziell die damals bestehende Zusammenarbeit aufgekündigt hat. In der Schlußabstimmung zerfiel sie bekanntlich in zwei Teile. Ich sage das nicht, um neues Salz in alte Wunden zu streuen, sondern um einer Legendenbildung vorzubeugen.
Heute hat man den Eindruck, die neue Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen verteidige das von ihr erkämpfte Stasi-Unterlagen-Gesetz gegen Verwässerungsbemühungen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD. Wie ich Ihnen an einigen Beispielen hoffentlich belegen konnte, ist die Gesamtproblematik differenzierter.
Noch haben Sie die Gelegenheit, die Mehrheit des Deutschen Bundestages für die Novellierung zu vergrößern. Zeigen wir gemeinsam unserer Bevölkerung, daß bei allen Meinungsverschiedenheiten im Detail Ihre Fraktion die Grundentscheidung einer weiteren Nutzung der Stasiakten eindeutig mitträgt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mekkel?
Ich bin eigentlich bei meinem vorletzten Satz, Herr Meckel.
Da haben Sie noch Zeit.
Gut, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Büttner, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen, daß es im Jahre 1991 nicht nur die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen war, sondern daß es ebenfalls die SPD und durchaus auch viele Vertreter der CDU-Fraktion waren, die dieses Gesetz gewollt und auch durchgesetzt haben, zum Teil gegen manchen Widerstand unserer Kollegen?
Genau das habe ich gesagt, Herr Meckel.
Ich lade jetzt die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein, heute die breite Zustimmung des Deutschen Bundestages auch gegenüber der Öffentlichkeit deutlich zu machen.
Ich möchte die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, um allen Beteiligten bei den interfraktionellen Gesprächen herzlich zu danken. Wir haben bewiesen, daß die Gemeinsamkeit der Demokraten bei der Bewältigung der zweiten Diktatur auf deutschem Boden höher steht als die parteipolitische Auseinandersetzung.
Lassen Sie uns die Akzeptanz der Menschen in Deutschland erhalten. Bitte stimmen Sie möglichst alle gemeinsam unseren Vorschlägen zu.
Herzlichen Dank.
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes" aus dem letzten Tagesordnungspunkt mitteilen.
Abgegebene Stimmen: 642. Mit Ja haben gestimmt: 323. Mit Nein haben gestimmt: 312. Enthaltungen: 7. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 642; davon:
ja: 323
nein: 312
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Roll Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Günther Friedrich Nolting Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Berth
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Allred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Vollmer Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen)
Volker Beck Angelika Beer
Matthias Berninger Annelle Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt)
Rita Grießhaber Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch
Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Waltraud Schoppe Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Rainer Ortleb
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Enthalten
CDU/CSU
Manfred Grund Manfred Kolbe Arnulf Kriedner Angelika Pfeiffer
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Antje Vollmer
F.D.P.
Joachim Günther Uwe Lühr
Jetzt rufe ich den Kollegen Rolf Schwanitz auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über die Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz. Ich will mich auf drei Bemerkungen konzentrieren:
Zum ersten. Wir bekommen mit dieser Gesetzesnovelle wichtige Erweiterungen gegenüber dem bisherigen Stasi-Unterlagen-Gesetz. Es ist zum erstenmal möglich, die beim Bundesbeauftragten vorhandenen Akten aus der NS-Zeit jetzt ebenso wie die anderen Aktenbestände einer Erforschung und der politisch-historischen Aufarbeitung zuzuführen.
Das ist ein großer Fortschritt gegenüber der früheren Situation.
Wir haben es geschafft - man erinnere sich, wie schwierig noch 1991 gerade die Frage der Personalüberprüfung war -, den Kreis der zu überprüfenden Personen zu erweitern. Die Mitarbeiter der Fraktionen und der Abgeordneten - Kollege Büttner hat es richtig gesagt - können nun überprüft werden. Wir haben es in diese Novelle hineingeschrieben; das ist ein wichtiger Fortschritt.
Ebenfalls hat sich bei den Beratungen des Innenausschusses eine Veränderung ergeben, die ich hier nicht unerwähnt lassen will: Der Bundesbeauftragte hat im Innenausschuß erklärt, daß vor dem Hintergrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichtes in Bautzen hauptamtliche Mitarbeiter des K I in der ehemaligen Volkspolizei der DDR hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS gleichgestellt werden. Die Behörde hat erklärt, daß sie von nun ab dies auch zur Kenntnis nimmt, ihre Rechtsauffassung verändert und die Beauskunftung zu hauptamtlichen K-I-Leuten gibt - ein wichtiger Punkt.
Wir mußten es deswegen nicht in die Novelle hineinschreiben; aber wir begrüßen selbstverständlich, daß damit die Ungleichheit zwischen der Überprüfungsmöglichkeit bei IMs und der in der Vergangenheit nicht vorhandenen Überprüfungsmöglichkeit bei den Hauptamtlichen beseitigt wird.
Zweite Bemerkung. Es gibt bei dieser Gesetzesnovelle auch Einschränkungen. Wir wollen, daß künftig keine Auskunft mehr erteilt wird, wenn die nachgefragte Person seit dem 31. Dezember 1975 nicht mehr als Inoffizieller Mitarbeiter tätig war. Kollege Büttner hat völlig zu Recht darauf hingewiesen: Wir haben seit vielen Monaten in den Rechtsprechungsbereichen eine veränderte Situation. Es gibt eine ganze Reihe von höchstrichterlichen Entscheidungen, die zu dem Schluß kommen, daß hier faktisch keine dienstrechtliche Konsequenz mehr möglich ist. Wir stehen deswegen als Gesetzgeber vor der Verpflichtung, nicht tatenlos zuzuschauen und den Bundesbeauftragten in einer zeitlich unbegrenzten Beauskunftungspflicht zu belassen, während statt dessen die anfragende Stelle, der Dienstherr, faktisch keine Umsetzungsmöglichkeit mehr hat. Hier bewegen wir uns auf dünnem Eis. Auch ich möchte keine entsprechende Entscheidung aus Karlsruhe haben. Das ist eine Frage der politischen Verantwortung auch einem unbequemen Thema gegenüber, das wir hier behandeln.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen, welche Ausnahmeregelungen wir hineingeschrieben haben. Seit vielen Monaten wird in den Zeitungen nämlich von Amnestie und ähnlichem Unsinn geredet. Ich will die Ausnahmeregelungen auflisten, die nicht von dieser Einschränkung erfaßt sind. Nicht erfaßt sind die Mitglieder von Bundesregierung und von Landesregierungen. Nicht erfaßt sind Abgeord-
Rolf Schwanitz
nete von Bundestag und Landtagen. Nicht erfaßt sind Kommunalabgeordnete. Nicht erfaßt sind Sicherheitsüberprüfungen. Nicht erfaßt - selbstverständlich nicht erfaßt - sind die Opfer, die selber dort anfragen und Auskunft erhalten wollen. Kein Mensch denkt daran hier, irgendeine zeitliche Begrenzung einzuführen. Nicht enthalten ist die Frage der Strafverfolgung. Selbstverständlich wollen wir, daß weiterhin Strafverfolgung betrieben werden kann. Die Zugangsmöglichkeit besteht dort. Auch Rehabilitierungsanfragen sind weiterhin zeitlich unbegrenzt.
Ich glaube, es tut einfach not, daß man einmal etwas zur Versachlichung der Debatte beiträgt. Deswegen sei das hier noch einmal klargestellt.
Meine Damen und Herren, insbesondere Thüringen hatte in der Zwischenzeit angeregt - ich will das ausdrücklich noch einmal sagen -, hier eine weitere Ausnahmeregelung aufzunehmen. Es bestand der Wunsch, einen bestimmten Bereich im öffentlichen Dienst ebenfalls zeitlich unbegrenzt weiter zu beauskunften. Wir haben das nicht weiter verfolgt, weil uns aus Thüringen nicht Konkreteres zum Hineinschreiben in die Novelle mitgeteilt worden ist. Ich denke, auch das verdient hier eine besondere Erwähnung.
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft den Änderungsantrag und auch jüngste Äußerungen von seiten des Bündnisses 90/Die Grünen. Wir haben einen Änderungsantrag vorliegen, dem wir heute unsere Zustimmung nicht geben werden, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen sagen wir: Das, was dort gefordert worden ist, ist mit der Novelle erledigt. Zum anderen geben wir unsere Zustimmung nicht, weil wir die Position, die in dem Änderungsantrag steht, inhaltlich nicht teilen.
Ich will aber auf einen Punkt schon noch einmal ganz genau eingehen. In dem Änderungsantrag fordert Bündnis 90/Die Grünen, daß wir eine Stichtagsregelung, die auf diese 15-Jahres-Frage zur zeitlichen Begrenzung der Auskunft abstellt, ausdrücklich nicht aufnehmen. Ich zitiere hier einfach einmal aus dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Da wird davon geredet, daß man die Ausschlußfrist strikt ablehnt, daß man weiter zeitlich unbegrenzt mitteilen möchte. Hier steht - ich zitiere wörtlich -:
Darüber hinaus ist die Festlegung des Stichtages gerade auch auf den 31. Dezember 1975 abzulehnen.
Meine Damen und Herren, ich will in Erinnerung rufen: Von Bündnis 90/Die Grünen liegt uns auf Drucksache 13/1619 unter dem Titel „Weiterer Umgang mit DDR-Unrecht" schon seit fast anderthalb Jahren ein Papier vor, aus dem ein anderer Duktus hervorgeht. Ich zitiere hier einmal einen Satz aus diesem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Dort wird formuliert:
Grundsätzlich nicht mehr zu Lasten der Bewerberin oder des Bewerbers berücksichtigt werden sollen Tätigkeiten für das MfS/AfNS, die vor dem Jahr 1975 lagen.
Meine Damen und Herren, ich akzeptiere es, Herr Häfner, daß Sie sagen: Das ist ein völlig anderer Ansatz. - Sie wollen nicht wie wir bei der Frage Beauskunftung einschneiden, sondern Sie wollen dem Dienstherrn im Prinzip die Möglichkeit nehmen. Aber stellen wir doch, bitte schön, einmal fest: Die Stichtagsfrage, die Frage 1975, ist von Ihnen vehement verfochten worden und liegt dem Hause in einer Drucksache vor.
Eine letzte Bemerkung will ich mir dann auch nicht ersparen. Heute morgen habe ich ganz fleißig Radio gehört. Im Deutschlandfunk, Herr Häfner - Herr Büttner hatte noch einmal geworben -, war von Ihnen leider bereits im Vorgriff eine doch harte, polemisierende Position zu hören. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, was 1991 Ihre damalige Vertreterin, Frau Köppe, hier im Parlament gesagt hat. Denn es ist für mich natürlich sehr, sehr schmerzlich, wenn Sie uns heute vorwerfen, wir hätten Sie links liegen lassen und nicht hinreichend beteiligt, und das vor dem Hintergrund Ihrer großen Verdienste, die Ihre Fraktion an diesem Gesetzentwurf hat.
Frau Köppe führte damals aus - das sind alles Zitate -: Der Gesetzentwurf „hat einen Januskopf". Der „Vorrang der Opferrechte" ist letztendlich nur ein „Lippenbekenntnis" geblieben, hat Frau Köppe damals gesagt. Die Unterlagen sollten in den „Giftschrank ... weggeschlossen werden", hat sie gesagt. Der „Gesetzentwurf bewertet die Geheimdienstinteressen ... höher als das Interesse der Opfer nach .. . Aufarbeitung." Die Presseregelung sei eine „Zensur", haben wir hier im Parlament gehört. Es seien „ordnungspolitische Anliegen" gewesen, die „Vorrang " hätten. Eine „Ausplünderung der Archive" durch die Geheimdienste würden wir regeln.
Ich belasse es einmal dabei; das Zitieren könnte beliebig fortgesetzt werden.
Also, Herr Häfner, wenn Sie heute inhaltlich zu einem anderen Ergebnis kommen und sagen: „Das ist ein ordentliches Gesetz, das hat uns vorangebracht", dann freut uns das alle, aber bitte keine Geschichtsklitterung im nachhinein. Ich finde, das wird dem Anspruch einfach nicht gerecht.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Gerald Häfner.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist meines Erachtens kein Gesetz wie jedes andere. Die friedliche Revolution von 1989 verdient diesen Namen vor allem auch wegen der Besetzung der Stasi-Zentralen in Berlin, Leipzig, Dresden, Schwerin und all den Städten, wo diese Krake ihre Zentralen hatte, und der damit verbundenen Sicherstellung der Akten und Aufdeckung
Gerald Häfner
der Instrumentarien der Staatssicherheit, das heißt die Aneignung der Werkzeuge und Dokumente des übelsten Unterdrückungsapparates, dieses unter dem Siegel von Demokratie und Sozialismus errichteten totalitären Systems, durch das Volk.
Damit haben die Bürgerinnen und Bürger eine unglaubliche Menge von Akten - Sie alle wissen, daß sie aneinandergereiht eine Länge von Hunderten von Kilometern ergeben - sichergestellt, die sonst vernichtet worden wären. Jedes einzelne Dokument ist Dokument eines schweren menschlichen Schicksals. Jedes Dokument ist zugleich Dokument eines kleinen oder großen Verrates. Jedes Dokument ist Dokument von Einschüchterung, Unterdrückung, Verfolgung, bis hin zur physischen und psychischen Vernichtung von Menschen.
Ohne die Bürgerbewegung des Herbstes 1989 gäbe es dieses Material nicht. Ohne die mutigen Menschen, die die Stasi-Zentralen besetzt und die Akten vor der Vernichtung gesichert haben, wären die Schicksale der betroffenen Menschen, die sich in dem Dunkel von Tarnung und Unterdrückung abgespielt haben, für immer jeder Aufarbeitung entzogen worden.
Ohne die Bürgerbewegung könnte sich die Legion der Täter endgültig in Sicherheit wiegen. Nichts von ihren Untaten wäre mehr ans Licht gekommen. Täter wie Opfer blieben anonym. Das würde auch bedeuten: Keine Regierung und kein Parlament im Westen Deutschlands könnte jetzt tätig werden, und das Nachdenken über Aufarbeitung und Unrechtsbereinigung hätte sich gänzlich erübrigt. Regierung, Parlament, Justiz und Verwaltung wären durchsetzt von Bütteln und Organisatoren des ehemaligen Unterdrückungsapparates.
Wenn wir über das Stasi-Unterlagen-Gesetz reden, dann sollten wir alle gemeinsam zuallererst den Bürgerbewegungen und den Menschen des Herbstes 1989 danken, die die Grundlagen für dieses Gesetz erst ermöglicht haben. Wenn wir das Stasi-Unterlagen-Gesetz verändern, dann sollten wir dies im Geist und im Sinne derer tun, die diese Akten damals gesichert, vor der Überstellung an die Geheimdienste bewahrt und uns übergeben haben. Aus meiner Sicht ist dies aber in der vorliegenden Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht geschehen.
Ich möchte kurz auf die Rede von Herrn Büttner eingehen, in der er - das gilt auch für mich - das Gespräch, das wir miteinander geführt haben, sehr positiv gewürdigt hat. Ich bedanke mich nach wie vor für dieses Gespräch; aber es ist - Herr Büttner, erlauben Sie mir diese Bemerkung - zu spät gekommen, um noch irgend etwas substantiell zu ändern. Wir hatten unsere Änderungsvorschläge auf den Tisch gelegt; aber es war nicht mehr möglich, etwas zu ändern. Ich bedaure das außerordentlich.
Ich will betonen: In dieser Novelle gibt es vieles, was wir mittragen und unterschreiben können; das haben wir auch in den Beratungen deutlich gemacht. Ich möchte aber aus Zeitgründen nur auf die Punkte eingehen, die meines Erachtens die gravierendsten Schwachstellen enthalten. Am Anfang will ich den schwersten Sündenfall - er wurde von Herrn Schwanitz ebenfalls angesprochen - nennen, der hier begangen worden ist: die Regelung, daß keine Auskunft mehr erteilt wird, wenn eine inoffizielle Tätigkeit vor dem Stichtag des 31. Dezember 1975 stattfand und keine Hinweise dafür bestehen, daß sie nach diesem Zeitpunkt fortgesetzt worden ist. Das bedeutet nicht in jedem Fall, daß danach nichts geschehen ist, sondern das bedeutet, daß danach nichts mehr gefunden wird.
Wir haben uns immer dagegen gewehrt, nach Rache zu schreien. Wir wollen aber Klarheit, Wahrheit und Aufarbeitung. Wir wollen, daß die Dinge auf den Tisch kommen. Kein Mensch kann behaupten, daß vor 1975 weniger gravierende Dinge passierten als nach 1975. Im Gegenteil: Nach 1975, Herr Schwanitz, hat die Zahl der IMs dramatisch zugenommen. Diese Zunahme stand im Zusammenhang mit dem Helsinki-Prozeß. Im Umkehrschluß folgt, daß die Zahl vor 1975 geringer war. Das heißt aber nicht, daß es sich um die milderen Vorgänge handelte; es handelte sich zum Teil um die wesentlich brutaleren Vorgänge. Es kann unseres Erachtens keinesfalls angehen, daß diese Vorgänge unter den Teppich gekehrt werden. Es geht nicht an, daß die Gauck-Behörde dazu keine Auskunft mehr geben darf.
Ein Punkt, den Sie in das Gesetz hineingeschrieben haben, weil Sie Angst vor der eigenen Regelung bekommen haben, kann schon gar nicht angehen: Eine Mitteilung soll nämlich dann erfolgen, wenn es sich um Verletzungen der Menschenrechte oder der tragenden Grundsätze des Rechtsstaats handelte. Dadurch wird die Behörde von Joachim Gauck zu dem, was Sie immer abgelehnt haben: Sie wird zum Staatsanwalt, zum Richter und zum Inquisitor. Sie wird plötzlich damit beauftragt, abzuwägen und Ermessensentscheidungen darüber zu fällen, was mitgeteilt werden soll und was nicht.
Das darf und kann nicht Aufgabe der Behörde sein.
Herr Schwanitz, Sie haben deshalb heute vollkommen zu Recht nicht nur unseren Antrag zitiert, sondern auch zitiert, was wir bereits vor eineinhalb Jahren gesagt haben. Beides ist deckungsgleich. Sie haben versucht, daraus einen Widerspruch zu konstruieren. Das zeigt, daß Sie das Ganze offenbar nicht verstanden haben.
Herr Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sonntag-Wolgast?
Wenn ich meinen Gedankengang zu Ende bringen darf, Frau Präsidentin, dann gerne.
Das rechtliche Problem muß und kann auf der Verwenderseite gelöst werden. Das heißt, diese Vorgänge dürfen, wenn sie weit in der Vergangsnheit liegen, den Leuten nicht mehr zum Nachteil gereichen. Sie dürfen nicht mehr zu Einstellungshindernissen führen. Sie müssen aber mitgeteilt werden;
Gerald Häfner
denn das Unter-den-Teppich-Kehren von solchen Vorgängen ist das letzte, was wir zulassen dürfen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Häfner, die Passage Ihrer Rede, auf die ich mich beziehen will, liegt schon etwas zurück. Sie betraf Ihre Ausdrucksweise „Inquisitionsbehörde" oder „-instanz". Haben Sie über diese These und in diesem Wortlaut einmal mit Menschen gesprochen, die ein dringendes Bedürfnis danach hatten, durch die Gauck-Behörde Auskunft über ihre Vergangenheit zu bekommen? Ich halte es - das muß ich hinzufügen - wirklich für undenkbar, in diesem Zusammenhang und angesichts der Interessen der Betroffenen und der Opfer einen solchen Begriff zu verwenden.
Liebe Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, etwas zu korrigieren, was zu einem Mißverständnis führen könnte.
Herr Gauck und seine Behörde haben sich massiv gegen diesen Vorwurf gewandt. Sie wissen, daß er in der Öffentlichkeit nicht von unserer, sondern von anderer Seite und fälschlich erhoben wird. Deshalb hat Joachim Gauck gesagt: Schreibt um Himmels willen bitte nichts in das Gesetz, das dazu führt, daß wir plötzlich entscheiden sollen, was gravierend ist oder nicht, was mitgeteilt wird oder nicht. Dies muß an Hand von Gesetzen und durch rechtsstaatliche Instanzen, die dafür zuständig sind, entschieden werden - aber bitte nicht durch die Behörde. - Deswegen hat sich Joachim Gauck gegen diesen Vorwurf gewehrt. Er und wir sehen die Gefahr, daß die Behörde auf Grund einer solchen Regelung in eine Rolle gedrängt wird, die sie nicht haben möchte und nicht haben soll.
- Die Behörde verwaltet die Akten und gibt Auskunft. Die Frage, was rechtlich daraus folgt, das heißt, ob zum Beispiel Einstellungsbeschränkungen vorzunehmen sind oder nicht, ist eine Frage des Gesetz- und Verordnungsgebers in Bund und in den Ländern. Das wissen Sie so gut wie ich.
Dies nicht bei der Verwenderseite, sondern bei der Beauskunftung zu regeln, ist ein großer Fehler. Der Bezug zum Bundeszentralregister, den Sie während der Beratung immer hergestellt haben, ist gänzlich daneben. Denn da geht es ja um Taten, die seinerzeit bekannt gewesen sind. Irgendwann werden sie - sozusagen nach dem Motto „Schwamm drüber" - nicht mehr mitgeteilt. Hier geht es um Vorgänge, die immer unterdrückt wurden, nie bekanntgeworden sind und erst jetzt ans Tageslicht kommen.
Deshalb ist eine solche Regelung ganz und gar kontraproduktiv. Sie ändert den Charakter der Behörde und schränkt das ein, was damals erreicht worden ist, nämlich das, was die Menschen wollten: nicht Rache, sondern Klarheit über Täter und Opfer und Klarheit darüber, was ihnen angetan wurde.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen zweiten Punkt kurz eingehen. Alle anderen Punkte werde ich aus Zeitgründen nicht mehr erwähnen können. Der zweite Punkt, den ich kurz nennen will, ist der Punkt K I. Sie alle wissen, daß in der Kriminalpolizei der DDR der Bereich K I unmittelbar der Stasi unterstellt war. Es gab niemanden in K I, der nicht gleichzeitig Mitarbeiter der Stasi war. Es ist ein großer Fehler gewesen, diesen Bereich im Gesetz auszuklammem. Wir haben diesmal bei den Beratungen dringlich gefordert, ihn mit hineinzunehmen, und haben uns auch hier nicht durchsetzen können, was ich außerordentlich bedaure.
Wir wissen, daß Mitarbeiter des Kommissariats I in vielen Bereichen des Staates und der Verwaltung tätig sind und daß hier gegenwärtig keine Möglichkeit besteht, sie zu enttarnen, während andere Menschen, die sich weit weniger haben zuschulden kommen lassen, mit dem Vorhalt ihrer früheren Tätigkeit leben und umgehen müssen.
Herr Häfner, Ihre Redezeit ist seit einer Minute beendet.
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin, und schließe damit meine Rede.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Rainer Ortleb.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Sachlichen haben meine Kollegen Büttner und Schwanitz schon genügend ausgeführt. - Proporzgemäß bleiben mir nur fünf Minuten Redezeit; ich bin also nicht besser dran als mein Kollege Häfner. - Deswegen möchte ich ein wenig in eine andere Richtung plädieren, nämlich das Emotionale des ganzen Problems aufzugreifen.
Vor 500 Jahren qualmten auch in Deutschland die Scheiterhaufen. Der Mechanismus der Inquisition war Denunziation. Das war auch der Mechanismus der Staatssicherheit. Die menschliche Dimension dieses Problems ist vielleicht aus der Sicht des sicheren Abstandes von 500 Jahren begreifbar. Wenn Sie wollen, können Sie 500 Jahre zurückgehen, indem Sie in das kleine Städtchen Penzlin im Kreis Müritz gehen. Dort gibt es in der Burg ein Hexenmuseum mit einem Folterkeller, den die Inquisition damals benutzt hat.
Das mag heute schaurig-schön sein. Aber was dahintersteckt, ist dieselbe Philosophie, die wir mit Hilfe dieses Gesetzes zu bekämpfen versuchen. Es ist nach 500 Jahren absolut unwichtig, wer den
Dr. Rainer Ortleb
Scheiterhaufen angezündet hat; aber es ist wichtig, daß der Scheiterhaufen angezündet worden ist. Das ist die Dimension, mit der wir uns derzeit befassen.
Ich will auch darauf hinweisen, daß die Rollenverteilung in dieser ehemaligen DDR nicht ohne das Detail zu verstehen ist. Mein Freund Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Enquete-Kommission zur SED-Diktatur, hatte es in der DDR deswegen schwerer, weil sein Glaubensbekenntnis die Religion war. Mein Glaubensbekenntnis als Mathematiker war, daß eins und eins zwei ist. Das war wesentlich einfacher zu verteidigen als das, was er verteidigen mußte.
Wollen wir nicht auch begreifen, daß manch einer erpreßbarer war als ein anderer? Das müssen wir alles berücksichtigen. Dem Dienstherrn - wir haben uns in zwei Jahren ziemlich zusammengerauft, lieber Herr Häfner; weit auseinander sind wir nicht mehr - aufzuerlegen, daß er entscheiden soll, ist ein Spielchen, das die Kinder spielen: Schrapps hat den Hut verloren. Ich kann darüber überhaupt nicht lachen. Denn das ist so, daß ich, wenn ich etwas nicht verantworten kann, einen anderen Verantwortlichen suche. Der Dienstherr ist manchmal schlicht überfordert. Ich könnte Ihnen aus der Praxis des Kultusministeriums von Mecklenburg-Vorpommern Beispiele aufzählen, bei denen mir wirklich die Schnürsenkel aufgehen.
Das ist das eigentliche Problem: daß wir Verantwortung nicht verschieben dürfen. Mir kommt es darauf an, daß wir einen Kompromiß der Zeit gefunden haben.
- Das muß er; aber ihm die Verantwortung voll zu überlassen, ist mir zuviel.
In 500 Jahren wird man - da sind wir alle nicht mehr dabei - in gesichertem geschichtlichem Abstand darauf zurückblicken. Es kommt darauf an, daß man das Protokoll dieser Bundestagssitzung lesen kann, ohne rot zu werden. Die Entscheidung kann nur sein: Das, was wir jetzt gefunden haben, ist richtig. Ein Besseres geht nicht.
Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das spezifische Problem unserer heutigen Diskussion und Entscheidung ist nicht nur im Gesetzentwurf der PDS-Bundestagsgruppe, sondern auch im Gesetzentwurf von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD zutreffend benannt worden. Es geht, wie es hier heißt, um die Eingliederung „weniger belasteter" ehemaliger Mitarbeiter des MfS und um „die Förderung des Rechtsfriedens".
Zu den Realitäten, die den Rechtsfrieden in diesem Zusammenhang gestört haben, gehört eine Reihe von Umständen und Versäumnissen. Dazu gehört auch, daß wirkliche Opfer nicht nur halbherzig, sondern angemessen entschädigt werden. Aber das ist nicht Aufgabe dieses Gesetzes. Dazu gehört, daß es zehntausende Entlassungen wegen Tätigkeit für das MfS ohne eine wirkliche Nachprüfung der geforderten Unzumutbarkeit gab. Dazu gehört auch, daß Auskünfte der Bundesbehörden in vielen Fällen a priori Schuld und Entlassung begründet haben und daß es weder handhabbare Kriterien noch Verjährungsfristen gibt.
Als eine Lösung wird im Entwurf von CDU/CSU, F.D.P. und SPD jetzt sinngemäß formuliert, daß dann, wenn die Tätigkeit für das MfS vor dem 1. Januar 1976 endgültig beendet war, im Rahmen der Personalüberprüfung keine Mitteilung mehr gemacht wird. Immerhin wurde Ähnliches schon im Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz gefordert. Dort wurde darauf hingewiesen, daß selbst eine Verurteilung wegen Totschlags nach 15 Jahren im Bundeszentralregister getilgt wird.
Herr Büttner und andere haben hier schon auf das Problem der Verfassungswidrigkeit der jetzigen Regelung hingewiesen. Ich bewerte auch die vorgeschlagene Ergänzung als positiv, daß in Fällen der Geringfügigkeit einer MfS-Mitarbeit keine Mitteilungen gemacht werden. Allerdings sieht der Entwurf auch Verschärfungen vor, so insbesondere die Überprüfung auch von Mitarbeitern der Fraktionen und der Abgeordneten.
Was in meinen Augen bedauerlicherweise noch immer fehlt, ist die in unserem Gesetzentwurf vorgesehene Fixierung eines Kriterienkatalogs - auch dazu hat der Kollege Büttner gesprochen -, der Verzicht auf Regelanfragen und die Installierung einer Beschwerdestelle.
Wir meinen, daß tatsächlich die Gefahr besteht, daß der Chef der Bundesbehörde eine Stellung bekommt, die heute als „Cäsarenstellung" bezeichnet wurde. Es ist richtig, daß wir dies mit der Regelung verhindern möchten.
Ich meine aber, daß sich Herr Gauck selbst immer wieder in diese Gefahr begibt. Er hat jetzt bei einem Interview mit dem „Tagesspiegel" am 20. Oktober 1996 vom Gerede „mancher" Politiker gesprochen, das eine „Gefahr für den inneren Frieden" darstelle. Er hat von einem „Gnadenfieber" gesprochen. Er hat die Ostpolitik der 70er und 80er Jahre attackiert und deren linksliberale Repräsentanten mit den von ihm ausgemachten angeblichen 20 000 bis 30 000 einstigen IMs im Westen in Verbindung gebracht. Ich sehe in diesem Auftreten des Chefs dieser Bundesbehörde ein Problem.
Er hat jetzt in einem „Spiegel" -Gespräch im Heft 45 dieses Jahres mit Herrn Castorf davon gesprochen - das wird das letzte sein, was ich hier sage -, daß uns die Bedrohtheit von uns Pastoren und Künstlern besser machte. Er sagte: „Diktatur macht krank. Sie macht einige luzide, und einige macht sie groß. Sie macht einige sogar zu Märtyrern und zum Heiligen." Ich meine, hier ist ein für
Dr. Uwe-Jens Heuer
die Demokratie gefährliches Sendungsbewußtsein zu diagnostizieren.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf den Drucksachen 13/4356 und 13/5816 in der Ausschußfassung.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5972 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. sowie von Teilen der PDS bei zwei Enthaltungen abgelehnt.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und der SPD gegen die Stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Änderung des StasiUnterlagen-Gesetzes auf Drucksache 13/4359. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5816 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/4359 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Zweiten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen dés Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik auf den Drucksachen 13/1750 und 13/5816. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 und Zusatzpunkt 7 auf:
12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stärkung des Kapitalmarktes Deutschland, Förderung des Aktiensparens und Verbesserung der Risikokapitalversorgung
- Drucksache 13/3784 —
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Margareta Wolf , Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine neue Innovationskultur - Stärkung des Risikokapitalmarktes
- Drucksache 13/5962 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir entsprechend.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Hans Martin Bury.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Countdown läuft. In zehn Tagen ist es soweit: Die Deutsche Telekom geht an die Börse. Beim größten internationalen Going Public aller Zeiten sollen Aktien im Marktwert von 12,5 bis 15 Milliarden DM plaziert werden. Ob dieser 18. November 1996 zugleich eine Sternstunde des deutschen Finanzmarktes wird, ist noch offen, auch wenn vieles für einen Erfolg der T-Aktie spricht.
Große Erwartungen wurden im Vorfeld mit der Telekom-Emission verknüpft; denn der Erfolg des Börsengangs hat auch entscheidenden Einfluß auf das Standing deutscher Kreditinstitute am und den Zugang deutscher Unternehmen zum internationalen Kapitalmarkt.
Die Deutsche Bank hat in diesem Zusammenhang völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß bei diesem Vorhaben „die internationalen Scheinwerfer auf Deutschland gerichtet" sind. Der designierte neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Rolf E. Breuer, bezeichnenderweise in Personalunion auch Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Börse, sprach sogar von der „letzten Chance für den deutschen Aktienmarkt".
Die Deutsche Telekom hat ihre Hausaufgaben gemacht. Das Angebot von Preisnachlässen und Halte-
Hans Martin Bury
boni sowie das Konzept zur Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Schritte in die richtige Richtung. Eine eindrucksvolle Werbekampagne hat die T-Aktie zudem zu einem Volksthema gemacht. Ob die T-Aktie auch zu einer Volksaktie wird, werden die nächsten Wochen zeigen.
Immerhin 3 Millionen Menschen haben sich beim Aktien-Informations-Forum der deutschen Telekom registrieren lassen. Dies ist eine erstaunliche Zahl in einem Land, das der oberste Börsianer, Herr Breuer, mit Recht als „Aktienentwicklungsland" bezeichnet.
Der Grad der Börsenkapitalisierung liegt in Deutschland mit nur 27 Prozent weit hinter den Werten anderer Industrieländer. In den USA beträgt die Börsenkapitalisierung 93 Prozent, in der Schweiz 116 Prozent und in Großbritannien sogar 128 Prozent. Das Mißverhältnis zwischen der Bedeutung und Leistungsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland und der des Finanzplatzes Deutschland nimmt immer weiter zu.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, der Zustand des Kapitalmarktes Deutschland, die strukturellen Defizite der deutschen Börse und der dramatische Mangel an Risikokapital sind Folge der verfehlten Politik dieser Bundesregierung.
Sie sind Ursachen für die Struktur- und Innovationskrise der deutschen Wirtschaft.
Politisch gilt es, vier große Defizite zu beseitigen. Zum einen muß die Aktienanlage gefördert und attraktiver gemacht werden. Wenn das Vertrauen sowohl inländischer Kleinanleger als auch institutioneller ausländischer Anleger in den deutschen Kapitalmarkt gestärkt werden soll, ist es jedoch vor allem erforderlich, die Transparenz der Märkte zu erhöhen. Der dominierende Einfluß der Großbanken auf die Börse und auf deutsche Industrieunternehmen muß beschränkt, und die Rechte der Aktionäre müssen gestärkt werden.
Mit dem von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes liegen dem Bundestag entsprechende Vorschläge vor. Der von der Bundesregierung angekündigte eigene Gesetzentwurf zum Thema Bankenmacht und Unternehmenskontrolle steht bekanntlich immer noch aus.
Die „Kleine Aktienrechtsreform", wie das Ganze jetzt heißen soll, entpuppt sich ohnehin immer mehr als Scheinreform mit lediglich kosmetischem Inhalt, getreu dem Motto: Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts passieren!
Ohnehin scheint die Koalition die Aktienrechtsänderung nicht dazu zu nutzen, um Maßnahmen zur Modernisierung des Finanzmarktes und zur Verbesserung des Anlegerschutzes für Aktionäre durchzusetzen. Denen will die CDU/CSU statt dessen jetzt auch noch die Kursgewinne besteuern, obwohl Kursgewinne angesichts der in Deutschland seit Jahren sehr zurückhaltenden Dividendenpolitik der Unternehmen den entscheidenden Anreiz darstellen, Aktien zu kaufen. Wer Kursgewinne besteuern will, kommt zumindest um eine umfassende Reform der Kapitalertragsbesteuerung nicht herum.
Durch ihre zögerliche Haltung, sowohl bei der unmittelbaren Aktienförderung als auch bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Finanzmarkt Deutschland, wird diese Bundesregierung immer mehr zum Malus bei Neuemissionen in Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nur über wachsende Investitionen, durch eine wachsende Wirtschaft wird es ein wachsendes Angebot an Arbeitsplätzen geben. Dabei ist die Kapitalbildung die Voraussetzung für die notwendige Modernisierung unserer Wirtschaft.
So lautet die Erkenntnis von Bundeskanzler Helmut Kohl. Das Zitat stammt aus seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983.
Heute, nach 14 Jahren Regierung Kohl, nach 14 Jahren Stillstand und Rückschritt, sind die Finanzierungsprobleme der mittelständischen Wirtschaft schlimmer denn je.
Die Eigenkapitalquoten deutscher Unternehmen sind auf durchschnittlich unter 18 Prozent abgerutscht, die Pleitenwelle steigt von Jahr zu Jahr. Seit 1982 hat sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland mehr als verdoppelt. 400 000 Arbeitsplätze werden allein in diesem Jahr durch Unternehmenspleiten verlorengehen.
Das ist die Bilanz der Wirtschaftspolitik der Regierung Kohl; eine Fortsetzung dieser Politik kann sich unser Land nicht länger leisten.
Wir wollen durch die Einführung einer Mittelstandsbörse ein neues, speziell auf kleine und mittlere Unternehmen zugeschnittenes Börsensegment schaffen. Merkmale der Mittelstandsbörse sind im besonderen ein erheblich erleichterter Zugang für kleine und mittlere Unternehmen sowie ein an internationalem Standard orientiertes Maß an Transparenz und Information. Die Antragstellung zur Zulassung soll neben der durch Kreditinstitute auch durch Wertpapierhandelshäuser erfolgen. Wertpapierhandelshäuser und Kreditinstitute sollen den Handel an der Mittelstandsbörse als Liquiditätshändler begleiten und sicherstellen, daß die Marktteilnehmer mit den notwendigen Unternehmensdaten und Informationen versorgt werden.
Unternehmer, die in Deutschland den Gang an die Börse wagen wollen, sind derzeit darauf angewiesen, eine Bank zu finden, die die Börseneinführung übernimmt. Die Praxis zeigt, daß viele Banken daran kaum Interesse haben. In diesem Jahr sind in Deutschland bislang neun Unternehmen an die Börse geführt worden. Zum Vergleich: In London wa-
Hans Martin Bury
ren es allein im letzten Jahr 285 Unternehmen, die an der Börse plaziert wurden, und die US-amerikanische Computerbörse NASDAQ vermeldet in diesem Jahr bereits mehr als 650 Neuemissionen - Deutschland hat neun Unternehmen dieses Jahr an die Börse geführt, die USA mehr als 650!
Die Unternehmen, die die Notierung an der NASDAQ suchen, sind überwiegend jung, dynamisch und innovativ, Unternehmen mit neuen Ideen und Produktionsverfahren, Unternehmen, die den Strukturwandel vorantreiben und neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Solche Unternehmen gibt es auch in Deutschland, aber hierzulande findet man innovative Unternehmen häufiger vor dem Konkursrichter als auf dem Kurszettel der Börse.
Bei uns sind Unternehmen, die von den Banken an die Börse geführt werden, durchschnittlich bereits 55 Jahre alt, in den USA dagegen nur 14 Jahre, und in Großbritannien sind sie acht Jahre jung.
Wie in der Politik sind es aber auch in der Wirtschaft die Youngsters, die den Wandel vorantreiben.
Immer mehr junge, dynamische Unternehmen suchen den direkten Weg an den amerikanischen Risikokapitalmarkt. Oftmals handelt es sich dabei um führende Unternehmen aus Deutschlands dünner High-Tech-Gründerszene. Hat ein innovatives und wachstumstarkes Unternehmen aber erst den Fuß in die Vereinigten Staaten oder nach Großbritannien gesetzt, ist die Gefahr groß, daß der Finanzierung auch ganze Unternehmensteile folgen. Der Verlust von Innovation und Arbeitsplätzen im Inland ist die schmerzliche Folge.
Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative der deutschen Börse zur Schaffung eines „Neuen Marktes" . Ein neues Börsensegment mit einem erleichterten Zugang ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der „Neue Markt" wird aber die in ihn gesetzten Erwartungen nur erfüllen können, wenn endlich Maßnahmen zur Förderung des Aktiensparens ergriffen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutschen sind risikofreudig. Egal, wie obskur die Gesellschaft oder die Anlageform ist - wenn die in Aussicht gestellte Rendite stimmt oder eine Steuervergünstigung winkt, kennen Deutschlands Sparer keine Hemmungen. Jahr für Jahr werden in Deutschland Milliardenbeträge in hochspekulative Anlagemodelle des grauen Kapitalmarkts einbezahlt. Die wachsende Zahl von Betrugsfällen hat an dieser Risikobereitschaft bislang nichts geändert.
Dennoch wird bei der Diskussion um die Zurückhaltung der Deutschen bei der Aktienanlage immer wieder ihre angebliche Risikoscheu als Begründung bemüht - ein wenig überzeugendes Argument. Die Gründe liegen eher in der mangelnden Information über die Kapitalanlage Aktie und in der Benachteiligung der Aktie gegenüber anderen Anlageformen. Die Aktie ist ein Risikopapier, kein Zweifel. Aber in der Diskussion um die Aktie wird gerne unterschlagen, daß die Kehrseite von Risiko Chance heißt. Hier sind natürlich die Emittenten gefordert. Das Beispiel Deutsche Telekom AG zeigt, wieviel Werbung, Information und Öffentlichkeitsarbeit ausrichten können.
Besonders erfreulich ist dabei auch der Ansatz, Kleinanleger bei der Emission bevorzugt zu bedienen; ein Beispiel, das nach unserer Überzeugung Schule machen sollte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Möglichkeiten der Altersvorsorge verbessern. Dazu muß vor allem die gesetzliche Altersvorsorge gestärkt und auf ein zukunftstaugliches Fundament gestellt werden. Ich persönlich denke hier auch an eine schrittweise Ergänzung der Umlagefinanzierung durch Kapitaldeckungsanteile. Außerdem müssen die Möglichkeiten der betrieblichen Altersvorsorge beispielsweise durch Pensionsfonds verbessert werden. Schließlich kann die Aktie in der individuellen Altersvorsorge eine wichtige Rolle einnehmen.
Nach geltendem Einkommensteuergesetz genießt einzig die Kapitallebensversicherung eine umfassende Förderung aus öffentlichen Haushaltsmitteln. Heute fließen mehr als 20 Prozent des privaten Geldvermögens in die Lebensversicherungen, obwohl deren Rendite vergleichsweise mager ist. Es kann kein Zweifel bestehen, daß der große Erfolg des Produktes Kapitallebensversicherung in Deutschland hauptsächlich auf die steuerliche Privilegierung zurückzuführen ist.
Der Kollege Lambsdorff - ich bedaure, daß er bei dieser Debatte nicht dabei ist, denn er ist zweifellos ein Kenner der Materie Lebensversicherung -
ging am 1. Oktober in einer Podiumsdiskussion bei der Friedrich-Ebert-Stiftung so weit, zu behaupten, die Kapitallebensversicherung werde es ohne ihr Steuerprivileg nicht mehr geben. Eine interessante Argumentation!
Klar ist: Die einseitige Privilegierung der Kapitallebensversicherung führt zu einer gigantischen Fehlallokation des Anlagekapitals.
So erreicht das private Geldvermögen zwar Jahr für Jahr neue Höchststände, der Anteil der in Produktivkapital angelegten Mittel nimmt dagegen kontinuierlich ab. Gerade mal jeder neunzehnte Spargroschen der Bundesbürger wird derzeit unmittelbar in Produktivkapital für deutsche Unternehmen investiert. Lediglich 4,5 Millionen Bundesbürger -5,5 Prozent der Bevölkerung - besitzen in Deutschland Aktien. Davon sind 1,3 Millionen Belegschaftsaktionäre, deren Zahl jedoch auf Grund der von der Bundesregierung verschlechterten Rahmenbedingungen rückläufig ist. In den USA ist dagegen jeder fünfte Aktienbesitzer, in Schweden sogar jeder dritte.
Nach Schätzungen von Experten belaufen sich die durch die Subventionierung der Kapitallebensversicherung verursachten Steuermindereinnahmen pro
Hans Martin Bury
Jahr auf rund 20 Milliarden DM - eine Verschwendung von Steuermitteln. Würde nur ein Bruchteil dieses Betrages für die Förderung des Aktiensparens aufgebracht, könnten Milliardenbeträge für den deutschen Aktienmarkt mobilisiert werden.
Nach unserem Vorschlag soll jeder Sparer künftig im Rahmen eines steuerlich begünstigten Vorsorgesparens - VS - bei freier Wahl der Anlageform - Aktien, Anleihen, Investmentfonds etc. - seine private Altersvorsorge ansparen können. Die Erträge auf diesem Vorsorgesparkonto sind bei Einhaltung einer zwölfjährigen Mindestanlagedauer und laufender Beitragszahlung bis zu einem Höchstbetrag steuerfrei. Diese Neuregelung bei der privaten Altersvorsorge wird zu einem Wettbewerb der Anlageformen führen. Ich bin davon überzeugt, daß dieser Wettbewerb dem Aktiensparen zugute kommen wird.
Wir wollen außerdem die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital verstärken; denn das rasante Wachstum des gesamten Geldvermögens der Deutschen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Verteilung dieses Vermögens immer ungerechter wird. Um die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten und hier vor allem der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital zu erhöhen, wollen wir den Freibetrag für die Überlassung von Vermögensbeteiligungen an Arbeitnehmer deutlich erhöhen. Außerdem sollen der förderungsfähige jährliche Höchstbetrag für vermögenswirksame Leistungen - VL - und die Einkommensgrenzen für den Anspruch auf Gewährung der Arbeitnehmersparzulage angehoben werden.
Darüber hinaus müssen auch institutionelle Anleger zur verstärkten Bereitstellung von Risikokapital motiviert werden. Hierzu sollen einerseits deren gesetzliche Anlagemöglichkeiten überprüft und erweitert werden. Auf der anderen Seite müssen aktuelle Fehlentwicklungen im Kapitalmarkt korrigiert werden.
Dazu zählt vor allem die bestehende Struktur des Anteilsbesitzes von Banken und Versicherungen an Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Dieser Anteilsbesitz nimmt zwar kontinuierlich zu, das Kapital wird jedoch überwiegend in den großen deutschen Unternehmen geparkt - in den Blue chips -, statt es als Risikokapital für mittelständische Technologieunternehmen, für Existenzgründer, für stark wachsende junge Unternehmen zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre Politik führt zum Wachstum - zum Wachstum von Pleiten, zum Wachstum von Schulden, zum Wachstum der Arbeitslosigkeit, zur Mehrung des Reichtums weniger und der Nöte vieler.
Wir verbinden Maßnahmen zur Mobilisierung von Risikokapital, verbesserte Rahmenbedingungen zur Finanzierung von Innovationen und Investitionen mit einem Konzept zur Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital und einer Förderung des Aktiensparens zu einem wirklichen Programm für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in Deutschland.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Hauser.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werter Herr Kollege Bury, wenn Sie Ihre Phrasen und Ihre absoluten Übertreibungen weggelassen hätten, wäre es eine ganz gute Rede gewesen; denn auf sachlicher Basis können wir uns über einige Punkte sehr wohl unterhalten.
Wissen Sie, man kann sich natürlich nicht immer nur die Bonbons heraussuchen, etwas einmal so und einmal so darstellen. Uns wird im Finanzausschuß immer wieder vorgehalten, wir sollten endlich einmal etwas für die Aktienbesteuerung tun. Da seien steuerfreie Gewinne zu erzielen, da könnten Millionenvermögen gemacht werden, ohne Steuern zu zahlen.
Plötzlich greifen Sie den Punkt auf und verlangen, daß wir in der Steuerreformkommission alle diese Punkte ohne Tabus besprechen. Wir sollten prüfen, ob in Fällen, in denen zur Zeit keine Besteuerung stattfindet, in der Zukunft Steuern anfallen sollten. Das Für und das Gegen muß sorgfältig abgewogen werden. Eine Entscheidung ist darüber noch nicht getroffen worden.
Man muß eines in aller Deutlichkeit sagen: Der Erfolg eines Unternehmens hängt nicht unbedingt davon ab, ob es an der Börse notiert ist oder nicht.
Wir haben sehr viele Familienunternehmen, die außerordentlich erfolgreich sind. Auch diese sollte man entsprechend steuerlich und wirtschaftlich fördern. Und das tun wir mit unseren Förderprogrammen und mit steuerlichen Entlastungen, die insbesondere im mittelständischen Bereich wirken.
Natürlich sind die Stärkung des deutschen Kapitalmarktes, die Förderung des Aktiensparens und die Verbesserung der Risikokapitalausstattung unserer Wirtschaft insbesondere bei Existenzgründern sowie bei kleineren und mittleren Unternehmen eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Herausforderungen.
Der internationale Wettbewerb um den besseren Standort und damit um mehr Arbeitsplätze ist in Europa und weltweit sehr hart. Für Deutschland sind dabei die Ausstattung der Unternehmen mit ausreichendem Eigenkapital und ein moderner und leistungsfähiger Finanzplatz zur Sicherung ihrer Finanzierungsbedürfnisse mitentscheidende Wettbewerbsfaktoren geworden.
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
Die Bundesregierung hat nicht erst in diesem Jahr, sondern bereits seit längerem auf diese Herausforderungen reagiert. Die Rahmenbedingungen für die Beschaffung von Risikokapital und für den deutschen Finanzplatz wurden verbessert. Ich erinnere unter anderem an das Erste und Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, an das Gesetz zur Kleinen Aktiengesellschaft, aber auch an die erste und zweite Stufe der Unternehmensteuerreform im Steueränderungsgesetz 1992 und im Standortsicherungsgesetz. Daran knüpft jetzt die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform an, die vom Finanzausschuß am Mittwoch, dem 6. November, beraten worden ist.
Ich kann Sie nur auffordern, daß Sie bei dieser Steuerreform, bei dieser Entlastung der Unternehmen mitwirken, daß Sie die Erkenntnis, Gewerbekapitalsteuer ist ein Investitionshemmnis erster Klasse, auch umsetzen. Denn Sie haben alle dieses Wissen! Herr Bury, Sie haben sich doch auch schon in dieser Richtung geäußert.
- Dann sollten Sie es nachholen. Lesen Sie es nach; vielleicht können Sie etwas dazulernen.
Das sollten Sie gemeinsam mit uns umsetzen und die Gewerbekapitalsteuer abschaffen.
Im Dritten Finanzmarktförderungsgesetz, das wir zur Zeit intensiv vorbereiten, sind in drei Bereichen Schwerpunkte gesetzt: im Börsen- und Wertpapierwesen, im Investmentbereich und bei den Beteiligungen an kleinen und mittleren Unternehmen. Ich brauche nicht auf die Einzelheiten einzugehen; wir werden das eingehend diskutieren.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem Antrag der SPD-Fraktion machen. Für eine sogenannte Mittelstandsbörse sehen wir keinen Bedarf an neuen gesetzlichen Regelungen. Bereits heute besitzen die Marktteilnehmer mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen ein Höchstmaß an Flexibilität, um an den Börsen den Handel mit Anteilen an mittelständischen Unternehmen einzuführen. Der „Mittelstandsmarkt Bremen", der „Neue Markt" in Frankfurt und der „Prädikatsmarkt München" zeigen dies deutlich.
Die im Antrag der SPD vorgeschlagene Förderung des Aktiensparens ist auch ein sehr großes Anliegen der Bundesregierung. Wir möchten hier aber keine neuen Subventionstatbestände einführen. Ob die im SPD-Antrag in diesem Zusammenhang angesprochenen steuerlichen Vergünstigungen für Lebensversicherungen Bestand haben können und ob in etwaigen Neuregelungen auch andere Formen der Altersversorgung einbezogen werden sollten, wird in der Steuerreformkommission geprüft.
Wir haben selbstverständlich über diese steuerliche Förderung diskutiert. Daß man hier angesichts entsprechender Ansparungen, entsprechender Ansammlung von Vermögen, von einer gigantischen Fehlleitung spricht, halte ich für absolut überzogen.
Die Bundesregierung mißt auch der im SPD-Antrag geforderten verstärkten Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital große Bedeutung zu.
Auch das ist übrigens ein Thema der Steuerreformkommission; darüber wird intensiv diskutiert.
Es stellt sich hier allerdings generell die Frage, inwieweit der Staat durch fiskalische Maßnahmen die Sparer in bestimmte Anlageformen drängen soll.
Die im „Aktionsprogramm der Bundesregierung für Investition und Beschäftigung" vorgeschlagenen Verbesserungen des Vermögensbildungsgesetzes und des § 19a EStG stehen unter dem Finanzierungsvorbehalt. Das ist angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte auch zwingend notwendig. Wir haben uns daher entschlossen, auch dieses Projekt in die Beratungen der Steuerreformkommission einzubeziehen, um sie in diesem Lichte zu überprüfen.
Man kann nämlich nicht auf der einen Seite Forderungen aufstellen, das Steuerrecht einfacher zu machen und Subventionstatbestände abzuschaffen, auf der anderen Seite aber permanent neue Forderungen aufstellen. Das paßt einfach nicht zusammen.
Zu der von Ihnen vorgeschlagenen Erweiterung des Anlagekatalogs des Gesetzes für Investmentfonds ist zu bemerken, daß für indirekte Beteiligungen an mittelständischen Unternehmen mit dem Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften bereits ein rechtlicher Rahmen existiert. Wie bereits erwähnt, wird das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz eine Novellierung des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften beinhalten.
Zu den im Antrag ebenfalls angesprochenen Beteiligungen von Arbeitnehmern an Kapitalgesellschaften und Unternehmensbeteiligungsgesellschaften über sogenannte Tariffonds gibt es nach unserer Auffassung bereits im Tarifvertraggesetz die gesetzlichen Grundlagen.
Sie kennen die Diskussion zu diesen Tariffonds. Wir sind nicht der Meinung, daß es einer solchen gelenkten Form des Aktiensparens bedarf, sondern daß die Entscheidung der Arbeitnehmer in den Vordergund gestellt werden sollte.
Dem von der SPD propagierten Gesetz zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft, dem sogenannten Transparenz- und Wettbewerbsgesetz, hat, wie Sie wissen, inzwischen eine aus Mitgliedern der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung bestehende Koalitionsarbeitsgruppe eigene Vorschläge entgegengesetzt, die wir Ihnen zu gegebener Zeit vorstellen werden.
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
Im Gegensatz zu den eher dirigistischen Vorschlägen im SPD-Entwurf
setzt die Koalition auf Transparenz, mehr Informationen und Entscheidungsfreiheit von Aktionären, potentiellen Investoren und Aufsichtsräten. Die SPD sieht hier bürokratische, verwaltungsintensive und der Eigenverantwortlichkeit der Aktiengesellschaften widersprechende Verfahren vor. So soll das Vollmachtstimmrecht statt von Kreditinstituten in aufwendigen Briefwahlverfahren von gewählten Aktionärsvertretern ausgeübt werden.
Fragen Sie einmal die Aktiengesellschaften, die solche Verfahren in der Zwischenzeit praktiziert haben, welchen Aufwand dies verursacht hat und welche zusätzlichen Kosten dadurch angefallen sind. Nach Auffassung der Koalition soll das effiziente Vollmachtstimmrecht der Kreditinstitute grundsätzlich erhalten bleiben. Zu diesen Fragen wird der Rechtsausschuß des Bundestages voraussichtlich im Januar 1997 Sachverständige anhören und intensiv beraten. Wir sollten dieser Diskussion hier nicht vorgreifen.
Das mit dem SPD-Antrag „Stärkung des Kapitalmarkts Deutschland, Förderung des Aktiensparens und Verbesserung der Risikokapitalversorgung" verfolgte Ziel ist seit langem ein wirtschaftspolitischer Schwerpunkt der Arbeit dieser Regierung. Wir halten die von mir skizzierten Gesetzgebungsarbeiten und -vorhaben für die angemessene Politik. Ich habe die entsprechenden drei Gesetze erwähnt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 3. Finanzmarktförderungsgesetz wird spätestens Anfang nächsten Jahres vorliegen. Das Gesetzgebungsverfahren kann dann bis zum Jahresende 1997 abgeschlossen werden.
Wir sind uns sehr bewußt, daß angesichts des scharfen internationalen Wettbewerbs und der rasanten Strukturveränderungen auf den Kapital- und Finanzmärkten die hier angesprochenen Probleme eine ständige Herausforderung sind. Wer die Entwicklung der Innovationen auf den Finanzmärkten aufmerksam verfolgt, wird erkennen, daß wir permanent gefordert sind und daß wir das in unseren Gesetzen immer wieder berücksichtigen müssen.
Danke schön.
Das Wort nimmt jetzt die Kollegin Margareta Wolf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hauser, Sie haben gerade gesagt, daß die Bundesregierung seit geraumer Zeit damit befaßt ist, die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Risikokapitalmarkt zu verbessern. Ich finde das löblich. Auch Herr Kolb sagt das ja in diesem Hause bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Aber ich habe nach wie vor den Eindruck, es handelt sich vor allem um Ankündigungsrhetorik.
Ich habe mir im Mai diesen Jahres eine Synopse zu Ihrer „Offensive für unternehmerische Selbständigkeit" und zu dem zweiten Paket, das Sie vorgelegt haben, nämlich „Zugang zu Wagniskapital verbessern", gemacht. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind alle schon im Jahreswirtschaftsbericht und in der Koalitionsvereinbarung angekündigt worden. Zu keiner der hier vorgeschlagenen Maßnahmen jedoch liegt diesem Hause bisher ein diskussionsfähiges Papier vor.
Wir können uns darüber nicht unterhalten. Ich denke, so eine Vorlage wäre dringend geboten.
Wir diskutieren, Herr Hauser, ja heute auch vor dem Hintergrund der Tatsache, daß davon ausgegangen wird, daß die Steuermindereinnahmen um 4 bis 5 Milliarden DM höher ausfallen, als Herr Waigel das projektiert hat; wir diskutieren vor dem Hintergrund der Tatsache, daß schon vorletzte Woche und auch gestern gesagt wurde, daß man nicht mehr davon ausgeht, daß mit dem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" eine Halbierung der Zahl der Beschäftigungslosen bis zum Jahre 2000 erreicht werden kann. Das Paket ist noch nicht in „trockenen Tüchern", und Sie sagen schon jetzt, daß damit maximal 500 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ferner diskutieren wir vor dem Hintergrund der Tatsache - das hörte ich heute morgen noch schlaftrunken in meinem Bett -, daß der Bundesarbeitsminister wiederum 1 Milliarde DM einsparen muß.
Ich glaube, diese Faktoren, zusammengenommen, zeigen eine dramatische Entwicklung auf und verdeutlichen einen erheblichen Entscheidungsdruck gerade im Hinblick auf die kleinen und mittleren Unternehmen. Denn wer hat denn die Arbeits- und Ausbildungsplätze in den letzten Jahren, auch über die Rezession hinweg, geschaffen? Das waren die kleinen und mittleren Unternehmen. Und wessen Eigenkapitalquote sinkt - Herr Bury hat das gesagt - auf inzwischen 18 Prozent? - Sie betrug einmal 30 Prozent; sie sinkt also dramatisch. - Die der mittelständischen Unternehmen. Seit dem Zweiten Weltkrieg war die Insolvenzrate noch nie so hoch wie heute.
Ich denke, daß diese Tatsachen darauf hindeuten, daß wir die ökonomischen Rahmenbedingungen für die KMUs endlich verbessern müssen. Die Anforderungen haben sich seit 1989 dramatisch verändert. Man kann wirklich nicht mehr mit alten Konzepten an diese Lage herangehen.
Ich glaube - das wurde auch schon von Herrn Hauser und von Herrn Bury gesagt -, es gibt an den Hochschulen eine Menge guter Leute, die eine Fülle guter Ideen haben. Das gleiche gilt für die Forschungseinrichtungen und für die kleinen und mittleren Unternehmen. In diesem Lande ist das Problem nicht, daß wir zuwenig Kapital hätten, sondern das Problem ist, daß der Einsatz von Risikokapital zu gering ist.
Margareta Wolf
Ich bin auch der Meinung, daß es tatsächlich an risikofreudigen Unternehmerpersönlichkeiten mangelt, die aus zündenden Ideen neue Geschäfte machen. Das hat etwas mit der fehlenden Interdisziplinarität in diesem Land zu tun. Dieser Prozeß wird, so glaube ich - das kann man in der neuesten Ausgabe von „Markt und Mittelstand" eindrucksvoll, wie ich finde, nachlesen -, durch zwei schwerwiegende Faktoren immer weiter verstärkt.
„Markt und Mittelstand" zeichnet in seiner diesmonatigen Ausgabe eine Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundesverbandes Junger Unternehmer auf. Ich möchte Ihnen an Hand von zwei Beispielen deutlich machen, worum es da geht.
Erstens. Auf die Frage „Wer oder was entscheidet eigentlich über den Erfolg eines jungen Unternehmens?" sagt ein Herr, 32, der Inhaber einer Gesellschaft für EDV-Management und Unternehmensberatung in Mannheim ist: „Die Bank." Weiter sagt er:
Was die Banken heute alles wissen wollen, ist schlicht unverschämt. Die verlangen teilweise einen Riesenaufwand, wenn es um die Unternehmensdaten geht. Dafür müßte ich
- der Unternehmer -
eigentlich einen eigenen Stab beschäftigen. Ich habe als Unternehmer zunächst mal eine andere Aufgabe, ich muß erst mal Geld verdienen.
Zweitens. Eine Dame, 30 Jahre alt, die Inhaberin eines Baugeschäftes ist, sagt:
Wir hatten gerade einen Fall, daß die Bank einem
Unternehmer über Nacht ein Kontokorrent von
1 Million DM gesperrt hat. Der mußte daraufhin
' Konkurs anmelden, obwohl es seiner Firma nicht einmal schlechtging.
Alle in diesem Hohen Hause, die schon mit Vertretern kleiner und mittlerer Unternehmen geredet haben, wissen: Dieses ist das eine Problem.
Es gibt aber ein anderes Problem, von dem ich so explizit noch nicht gelesen habe. Sie wissen alle - ich denke, da sind wir uns einig -, daß gerade der Bundesverband Junger Unternehmer für uns alle in diesem Hause so etwas wie der Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft sein sollte.
- Das mache ich gleich. Ich habe übrigens einen Antrag eingebracht, den ich Ihnen gleich vorstellen werde.
Die Damen und Herren dieses Verbandes wurden gefragt: „Was nervt Sie denn am Standort Deutschland?" Darauf haben sie gesagt: „Uns nervt, daß die Unternehmerinnen und Unternehmer heute immer noch als Sündenböcke begriffen werden." Das sollte gerade die CDU/CSU-F.D.P.-Koalition - Sie regieren ja schon lange in diesem Land - nachdenklich machen.
- Herr Merz, Sie gehören zu der Nachfolgegeneration. Mich macht das sehr nachdenklich.
- Da mache ich mir Sorgen, Sie offensichtlich nicht. Das sollten Sie aber tun.
Ich denke, es fehlt in diesem Land derzeit tatsächlich an einem Netzwerk aus Ideenträgern, aus Kapitalgebern, aus Unternehmern, also an einem Netzwerk, das tatsächlich innovative Unternehmensgründungen voranbringt und so etwas wie ein positives Klima schafft.
Jetzt komme ich zu dem hier Eingeforderten. Was wollen wir denn eigentlich?
- Sie haben gleich noch genug Gelegenheit, Ihre innovative Politik für die KMUs vorzustellen, Frau Wöhrl.
Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, in dem wir Sie auffordern, ein langfristiges Finanzierungskonzept vorzulegen, mit dem die Anschubfinanzierung für eine überregionale Informationsbörse ermöglicht wird. Das Konzept der Deutschen Börse AG für diese Börse liegt seit zwei Jahren vor.
Wir erhoffen uns erstens, gerade unter den Stichworten „Raus aus der Nische", „Raus aus der Isolation", „Mehr Kommunikation", „Mehr Zusammenarbeit", „Mehr Interdisziplinarität", „Mehr Risikokapital" , von dieser Börse - das erwarten auch die Wissenschaftler, die die entsprechenden Konzepte geschrieben haben - die Etablierung eines informellen Marktes für Risikokapital.
Wir erhoffen uns zweitens dadurch, daß die Hemmnisse für die Zusammenführung von potentiellen Kapitalgebern und -nehmern abgebaut werden. Sie wissen, daß die Anzahl der potentiellen Kapitalgeber heute viel größer ist als die Anzahl derer, die ihre mentalitätsbedingten Hemmnisse im Unternehmensbereich tatsächlich schon abgebaut haben.
Drittens. Durch die Tatsache, daß die Vermittlung von Information im Vordergrund steht, können diese mentalitätsbedingten Hemmnisse gegenüber Beteiligungskapital weiter abgebaut werden - so glauben wir.
Wir halten diese Informationsbörse für den ersten tatsächlich wirkungsvollen Schritt zur Belebung von Risikokapitalmärkten in der Bundesrepublik. Diese Meinung teilen viele in der Finanzwissenschaft tätige Personen. Von daher würde ich mir wünschen, daß auch Sie diese Börse unterstützen. Zum Beispiel der Mittelstandsbeirat von Herrn Kolb unterstützt dieses unser Anliegen von der Idee her und auch in der Sache, wie ich gestern zu meiner großen Freude lesen durfte.
Wir würden uns wünschen, daß diese Infobörse - analog dem Börsen-AG-Konzept - ihren Platz in
Margareta Wolf
Leipzig erhält. Das würde den Finanzplatz Leipzig stärken und gleichzeitig ein - hoffentlich - positives Signal in die neuen Bundesländer senden.
Ich glaube tatsächlich, meine Damen und Herren, Sie sind jetzt gefordert, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zu setzen und so was wie einen Sicherheitsrahmen zur Verfügung zu stellen. Das entsprechende Know-how muß nach Leipzig, das Personal muß nach Leipzig. Es gibt keine empirischen Daten, wieviel das kostet. Aber ich denke, eine Anschubfinanzierung so um die 3 Millionen DM wäre notwendig - so sagen es uns das Institut für Mittelstandsforschung und die Deutsche Börse AG. Der zeitliche Rahmen für diese Infobörse ist tatsächlich begrenzt auf maximal fünf Jahre.
Die Gegenfinanzierung soll - ich weiß, daß jetzt gerade in der CDU einige aufjaulen werden - durch eine jährliche Umschichtung von Mitteln aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm erfolgen. Das halten wir nur für konsequent. Wir denken, zu berücksichtigen ist, daß durch die Arbeit dieser Informationsbörse die Anforderungen an die klassische Fremdfinanzierung sukzessive zurückgeführt werden können. Das liegt auch im Interesse der Haushaltspolitiker.
Ich würde mir wünschen, daß wir in dieser Richtung gemeinsam weiter diskutieren. Denn es hilft nicht, daß wir uns in jeder Debatte über Risikokapital für den Mittelstand versichern, das sei eine richtige, gute und wichtige Sache. Das tun wir bereits seit geraumer Zeit: ich seit zwei Jahren, Sie, die Sie länger in diesem Hause sind, schon länger. Das bringt uns nicht weiter. Die Insolvenzrate steigt und steigt - und damit auch die Zahl der Arbeitslosen.
Danke schön.
Das Wort nimmt jetzt der Kollege Paul Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Lesen der Anträge habe ich mich sehr über sie gefreut; denn ich kann vielen Punkten der Analyse dort zustimmen.
- Wenn die Analyse zutrifft, muß die Therapie, die man daraus ableitet, noch nicht die richtige sein.
Wir sind uns jedenfalls in der Analyse einig, daß die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen in Deutschland zu gering ist, daß dies insbesondere auf die kleinen und mittleren Unternehmen zutrifft, daß sie - das muß eigentlich jeden Mittelständler freuen - die Spezialisten für Wachstum und Beschäftigung, die Spezialisten für Strukturwandel sind. Da ist nicht nur etwas Wahres dran; nein, diesbezüglich können wir ganz sicher sein.
Wenn wir die Arbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen wollen, müssen wir dort ansetzen. Dabei ist es vielleicht nicht so ganz wichtig, wieviel die Telekom in gewissen Bereichen ausgibt. Wenn wir uns auf die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Betriebe konzentrieren, dann bin ich sehr einverstanden, in diesem Bereich richtig zuzulegen.
Jetzt muß man nur wissen, daß Eigenkapital - wie der Name schon sagt - Kapital ist, das dem Unternehmen gehört. Dabei hilft es dem Unternehmensgründer oder einem Unternehmen, das in der ersten Wachstumsphase ist, überhaupt nichts, wenn es tolle Finanzmarktgesetze gibt. Denn die Mehrzahl der Unternehmensgründer wird vermutlich nicht versuchen, ihre Idee zu vermarkten, indem sie auf dem Kapitalmarkt Geld aufnimmt. Vielmehr muß sie ihr Vorhaben durch Risikokapital - geliehenes Eigenkapital, das zurückgezahlt werden muß - finanzieren. Die Möglichkeit, geliehenes Eigenkapital, das zurückgezahlt werden muß, zu bekommen, besteht in Deutschland zwar - Beteiligungsgesellschaften warten geradezu darauf, daß sie Leute finden, die ihnen das Kapital abnehmen, bei denen sie das Geld erfolgreich anlegen können -, nur, der Unternehmer, der dieses Kapital annimmt, denkt dann immer nur daran, wie er das zurückzahlen kann.
Eben ist gesagt worden, die Bundesregierung tue überhaupt nichts, sie kündige nur an. Da liegt der grundlegende Unterschied zu meiner Bewertung: Diese Bundesregierung versucht eine steuerliche Entlastung der Unternehmen, insbesondere der Unternehmensgewinne.
Heute morgen wurde im Bundesrat über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die wir im Jahressteuergesetz festgeschrieben haben, debattiert. Ich bin gespannt, ob dieser Vorschlag, wie schon in der Vergangenheit, wieder zurückkommt. Wir wollen die Unternehmensteuern erheblich senken. Das können wir nicht alleine, dazu brauchen wir die Mithilfe des Bundesrates. An dieser Stelle scheitert das Ganze.
Wenn mir von den Unternehmensgewinnen nur ein Drittel zur Verfügung steht, weil ich zwei Drittel dieses Kapitals meinem Partner, dem Staat, geben muß, während es bei meinen ausländischen Konkurrenten genau umgekehrt ist - die Unternehmensteuern sind dort nur halb so hoch -, dann darf man sich nicht wundern, daß der Kapitalmarkt dort funktioniert, hier aber nicht. Denn wenn die Unternehmen gleich gut sind, kann das ausländische Unternehmen geliehenes Eigenkapital doppelt so schnell zurückzahlen. Das ist der Kernpunkt.
Natürlich ist dies auch in anderen Phasen wichtig: wenn man in die zweite oder dritte Wachstumsphase kommt, wenn man groß genug ist, um sich auf dem Kapitalmarkt, dem Aktienmarkt oder wo auch immer mit Geld zu versorgen. Wir unterstützen die Bundesregierung, damit die entsprechenden Gesetze verbessert werden, damit in Deutschland auch der Finanzmarkt besser funktioniert.
Paul K. Friedhoff
In den kleinen und mittleren Unternehmen arbeiten die Eigentümer mit. Man darf ihnen nicht zwei Drittel ihrer Gewinne für den Staat wegnehmen, wenn sie diese Mittel für die Finanzierung des eigenen Unternehmens benötigen. Darauf zielen alle Maßnahmen, welche die Bundesregierung im Bereich der Steuerpolitik ergreift, ab.
Wir als F.D.P. unterstützen und ermuntern die Bundesregierung, im Rahmen der Steuerreform auf dem eingeschlagenen Weg fortzuschreiten und die Unternehmen weiter zu entlasten, damit sie international wettbewerbsfähig werden können. Sie können ja nur an Eigenkapital kommen, wenn sie dieses auch zurückzahlen können.
Wir unterstützen natürlich alle Bemühungen, die Position des Kapitalmarktes Deutschland für die zweite Phase zu stärken. Mir scheint es allerdings etwas blauäugig zu sein, hier zu beklagen, es gebe zuwenig Unternehmen, die in die Lage kommen, an die Börse zu gehen, wenn man die erste Phase außer acht läßt. Die erste Phase ist die Gründungsphase, die Phase der ersten Finanzierung.
In Ihrem Antrag finde ich dazu nichts; ich finde alle möglichen sonstigen Dinge. Aber dies ist der entscheidende Punkt. Wir hätten Sie dabei gern an unserer Seite, aber das blockieren Sie, Herr Schwanhold und Herr Bury. Sie dürfen dieses Ergebnis nicht beklagen, sondern müßten entsprechende Vorschläge unterbreiten.
- Ich bedanke mich, daß ich diese Frage beantworten darf. Sie brauchen zur Entgegennahme der Antwort nicht aufzustehen, Herr Bury; Frau Präsidentin, Sie brauchen mir diese Intervention auch nicht von meiner Redezeit abzuziehen. Wenn ich es richtig sehe, habe ich sowieso noch drei Minuten Redezeit.
Die Frage, ob ich in ein Unternehmen investiere, hat eine Menge mit den Gewinnerwartungen zu tun. Davon hängt wesentlich ab, ob ich mithelfe, ein Unternehmen zu finanzieren. Wenn es wirklich so wäre, daß kein Unternehmen Gewerbekapitalsteuer zahlt, dann könnten wir die Gewerbekapitalsteuer ja auch abschaffen. Die Unternehmen zahlen aber Gewerbekapitalsteuer, sogar dann, wenn sie Verluste machen. Sie können doch nicht leugnen, daß es sich dann um eine substanzverzehrende Steuer handelt. Deshalb gehört sie abgeschafft. Ich meine, Sie sollten sich vernünftigerweise in diese Richtung bewegen.
Wir wollen, um die Eigenkapitalbasis zu stärken und um Arbeitsplätze zu schaffen, sowohl die Unternehmenssteuern senken als auch gleichzeitig einen Beitrag dazu leisten, daß der Finanzmarkt Deutschland gestärkt wird.
Ich danke Ihnen.
Als nächster der Kollege Uwe-Jens Rössel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast möchte ich sagen: wie wohltuend, endlich einmal im Zusammenhang mit dem Thema Attraktivität des sogenannten Standorts Deutschland nicht eine unselige Debatte über die Lohnnebenkosten führen zu müssen. - Die SPD hat mit ihrem Antrag ein grundsätzliches Problem benannt: Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen ist schlechter denn je. Die Pleitewelle rollt weiter; die jüngsten Zahlen von Montag belegen es. Nicht nur im Osten ist eine Hauptursache für diese Entwicklung die völlig unzureichende Ausstattung der meisten kleinen und mittleren Unternehmen mit Eigenkapital.
Aber gerade diese Unternehmen sind es, die oft genug in den Innovationsbranchen tätig sind, die sich für Neuerungen einsetzen, die - dies wurde auch bereits gesagt - den weitaus größten Teil der so dringend notwendigen Ausbildungsplätze schaffen.
Die Banken sind jedoch oft nicht bereit, Kredite zu angemessenen Konditionen für die Entwicklung immaterieller Vermögenswerte einzusetzen. Wie „großzügig" sie sich jedoch andererseits verhalten können, zeigen nicht nur die Vorgänge um die Schneider-Immobilien-Pleite, welche gerade dieser Tage die Gemüter wieder erregt hat.
Die Bundesregierung wiederum schafft mit ihren Eigenkapitalhilfeprogrammen bestenfalls eigenkapitalähnliche Zustände, vor allem deshalb, weil in der Endkonsequenz natürlich die Rückzahlungspflicht bestehen bleibt.
Richtig ist auch, daß die Emission neuer Aktien in Deutschland gering entwickelt - die Vergleichszahlen zu den USA sind genannt worden - und zugleich konkurrenzlos teuer ist und durch die Monopolstellung der Großbanken für kleine und mittlere Unternehmen kaum funktioniert. Positive Beispiele wie bei der SERO AG, die das DDR-Sekundärrohstoffsystem bekanntlich wiederbelebt hat und deren Börsengang durchaus erfolgreich war, sind eher die Ausnahme denn die Regel. Soweit die kurze Analyse des Antrags der SPD, der ich zustimmen kann.
Was schlägt die SPD aber als Heilmittel vor? Mancher Vorschlag erinnert mich etwas an mittelalterliche Ärzte - entschuldigen Sie, Herr Bury, diesen Vergleich -, die mitunter versucht haben, mit Aderlässen Beinbrüche zu heilen. Glaubt die SPD denn wirklich, durch eine Steuerfreistellung von Kapitalerträgen wie Zinsen und Dividenden Kleinanleger zur stärkeren Aktienanlage zu bewegen? Geht nicht die öffentliche Debatte - ich nenne das Thema „große Steuerreform" - genau in die umgekehrte Richtung?
Die PDS ist der Auffassung, daß die Besteuerung von Wertpapierkursgewinnen auch bei Privatanlegern notwendig ist. Das ist eine Praxis, die in Frankreich und im angelsächsischen Raum seit jeher auf der Tagesordnung steht. Das Gerede, daß, wenn eine solche Besteuerung in der Bundesrepublik einge-
Dr. Uwe-Jens Rössel
führt würde, der Finanzplatz Deutschland zugrunde ginge, führt der Finanzplatz London doch ad absurdum; denn er funktioniert und floriert im besten Sinne des Wortes, und zwar mit der Besteuerung von Kursgewinnen.
Glauben Sie wirklich, daß Kleinanleger ihre Groschen für die Altersvorsorge auf 12 Jahre in Risikokapitalanlagen anlegen werden, wie Sie es vorschlagen? Glauben Sie wirklich, massenhaft Kleinanleger mit Aktien an eine im globalen Wettbewerb stehende Börse - Sie kennen den Börsenwettbewerb in Deutschland und die Existenzangst der kleinen Regionalbörsen - locken zu können und damit in mittelständische Unternehmen zu investieren? Glauben Sie, die Kleinanleger investieren in eine Börse, die zwar gigantische Wachstumsraten für einige Aktien des DAX bzw. des M-DAX verzeichnet, zugleich aber vom Mißbrauch von Finanzderivaten begleitet wird? Ich nenne hier nur die Auswirkungen des Baring-Skandals, der Devisenspekulationen bei der Metallgesellschaft und bei Balsam, durch die das Anlegergeld sehr schnell spürbar aufgezehrt wurde.
Die jüngsten Fehlspekulationen der DeutscheBank-Tochter Morgan Grenfell sind auch nicht gerade eine Sicherheitsgarantie für Kleinanleger; das gleiche gilt für den Skandal des European Kings Club, dessen Prozeß gegenwärtig durchgeführt wird.
Die von der SPD geforderte Änderung des § 20 Einkommensteuergesetz stellt daher - so löblich die Absicht auch sein mag -, kein geeignetes Mittel zur Aufbringung von Risikokapital dar. Bevor sich das Anlegerverhalten in Deutschland grundsätzlich ändert, muß auch die Rolle der Bundesaufsichtsämter - sie sind in der Verantwortung der Bundesregierung - für den Wertpapierhandel und das Versicherungswesen weiter gestärkt und auf diesem Weg ein wirklicher Schutz der Anleger von Wertpapieren gewährleistet werden. Es ist schon mehr als paradox, wenn jüngst mit den Stimmen von CDU/CSU und - leider - auch der SPD im Haushaltsausschuß die ohnehin geringfügigen - ich möchte sagen: läppischen - Mittel für die Kontrolle der Finanzderivate beim Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen für 1997 noch weiter zusammengestrichen wurden. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung; ich habe das bereits im Ausschuß sehr deutlich gesagt.
Selbst wenn zu erwarten wäre, daß Sparer stärker an die Börse gehen, ist doch vollkommen unklar, ob Aktien, festverzinsliche Wertpapiere oder gar Derivate gekauft werden. Mit dem Handel von Derivaten läßt sich im Einzelfall in der Bundesrepublik sogar eine Rendite von 500 bis 1 000 Prozent per annum - und das noch steuerfrei - erzielen. Das war in den Kursübersichten auch der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu den Optionsscheinen auf Aktien der deutschen Großchemie zu lesen.
Der Derivatehandel aber hat mit der Schaffung von Risikokapital überhaupt nichts zu tun. Diese Renditen sind Ausdruck der Tatsache, daß sich die Finanzmärkte immer mehr von den realwirtschaftlichen Prozessen abgekoppelt haben und ein Eigenleben - mit allen negativen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsentwicklung - führen.
Schließlich führen die gegenwärtigen Praktiken insbesondere der Großbanken bezüglich der Kleinanleger dazu, daß diese in hohem Maße an Depotgebühren und ähnlichem verdienen.
In diesem Zusammenhang muß endlich das Depotstimmrecht der Banken abgeschafft und deren bedeutender Industriebesitz drastisch eingeschränkt werden. Die höchstzulässige Anzahl der Aufsichtsratsmandate - zur Zeit zehn - muß spürbar verringert werden. Gerade an diese Privilegien vor allem der Banken will die Bundesregierung mit ihrer vollmundig angekündigten sogenannten Reform des Aktienrechtes aber nicht heran. Sie hat sich in diesem Fall - da kann ich der Einschätzung des Börsenmagazins „Effectenspiegel" vom 26. September 1996 nur zustimmen - vom Großkapital über den Tisch ziehen lassen.
Im Gegenteil, wo es. bisher vernünftige Regelungen gab, sollen sie nach Absicht der Bundesregierung sogar abgeschafft oder verändert werden. Ich nenne als Beispiel das „VW-Gesetz". Mir liegt das Schreiben des Gesamtbetriebsrates von VW vom 23. Oktober 1996 vor, der sich ganz entschieden über diese beabsichtigten Veränderungen beklagt und um Unterstützung unserer Gruppe, aber auch aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zu deren Verhinderung warb. Der VW-Betriebsrat kann sich unserer Unterstützung gewiß sein.
Noch eine Bemerkung zum Schluß: Bisher sind es oft genug gerade die Sparkassen, die bei Risikofinanzierungen im Interesse der Strukturentwicklung tätig werden und Risikokapital bereitstellen. Sie gehen damit oft viel weiter als die meisten Privatbanken. Sie können das, weil die Kommunen als Gewährträger der Sparkassen ihr Interesse an einer aktiven Strukturpolitik stimulieren können. Nicht nur, aber auch deshalb wenden wir uns ganz entschieden gegen jegliche Versuche - die vor allem aus Richtung der F.D.P. immer wieder kommen -, die Sparkassen zu privatisieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster der Kollege Ernst Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich die Entwicklung der Diskussion um Risikokapital und Stärkung des Kapitalmarktes für den Mittelstand bei uns anschaut, dann sind in dem Zusammenhang drei Daten festzuhalten: Januar 1995: Mittelstandsantrag der SPD betreffend Stärkung des Risikokapitalmarktes für Existenzgründer und schnellwachsende Technologieunternehmen, Februar 1996: Antrag zu Risikokapital, über den wir jetzt diskutie-
Ernst Schwanhold
ren, und Ende März 1996, als diese Koalition, die permanent vom Mittelstand redet, das erste Mal dieses Thema entdeckt und es ins 50-Punkte-Programm schreibt. So ist das. Plötzlich sagen Sie, Sie hätten ein neues Thema entdeckt.
- Es mag ja für Sie abwegig sein, aber bis heute haben Sie noch nicht einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir hier abarbeiten könnten; die Kollegin Wolf hat es völlig zu Recht so dargestellt. Sie spielen sich zwar zum Hüter des Mittelstandes auf.
Aber noch nie hatten es der Mittelstand, schnellwachsende Technologieunternehmen und junge, innovative Menschen in diesem Lande so schwer wie in den Zeiten der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P.
Es ist wichtig, dieses zu Anfang festzuhalten.
- Nun lassen Sie das Gequatsche von der Gewerbesteuer sein!
Schauen Sie sich doch einmal den Fall eines jungen Mannes an, der von der Universität kommt, eine gute Idee mitbringt, irgendwo „ein paar Mark fünfzig" hat und möglicherweise auch noch das Grundstück von der Großmutter oder dem Großvater geerbt hat; er beleiht es und kann dann den ersten Ansatz finanzieren. Danach versucht er, das Unternehmen an den Markt zu bringen und zu wachsen; da setzt es dann mit der Finanzierung aus, weil er kein schiechstes Grundstück mehr hat, das er verpfänden kann. - Sie lassen zu, daß man in diesem Land für schlechte Grundstücke mehr Geld bekommt als für gute Geschäftsideen.
- Ja, natürlich! - Und dann wundern Sie sich, daß die Arbeitsplatzbilanz so ist, wie sie ist: Es fehlen 6 Millionen Arbeitsplätze in diesem Land.
Es ist doch kein Wunder, daß Menschen, die von der Universität abgehen, die Bundesrepublik Deutschland verlassen, weil sie für die Umsetzung ihrer Idee kein entsprechendes Kapital bekommen. Sie reden jetzt von Existenzgründungsdarlehen; die sind wichtig. Aber das Existenzgründungsdarlehen trägt nur eine ganz bestimmte Zeit. Es muß nämlich zu einem frühen Zeitpunkt zurückgezahlt werden; gerade dann würde eigentlich neues Geld gebraucht werden.
Dabei haben wir sehr viel Geld auf den Banken liegen. Wir müßten nur den Versuch unternehmen, dieses Geld so anzureizen, wie Sie Beton und Boden anreizen: mit hohen Abschreibungsmöglichkeiten im Rahmen von Bauherrenmodellen. Manchmal kommt man in Versuchung, zu sagen: Es sind leider viel zuwenig dabei pleite gegangen. Wenn wir die Energie aufwenden würden, um die Abschreibungsmöglichkeiten, die für Bauherrenmodelle oder auch für den Schiffbau da sind, auch im Bereich des Risikokapitals und dieser Kapitalanlagen zu eröffnen, dann wären wir auf dem richtigen Weg, dann hätten wir Eigenkapitalersatz mit hoher Renditemöglichkeit für Menschen, die über Geld verfügen. Dieses wünsche ich mir.
- Ja, auch über Abschreibungen. Die Frage nach Steuersenkungen hat man woanders zu stellen. Sie wissen, daß wir über die Gewerbekapitalsteuer durchaus miteinander reden können. Die Frage der Gewerbekapitalsteuer hat aber wirklich nichts mit den mittelständischen Unternehmen zu tun,
die mit einer guten Geschäftsidee, mit drei, fünf oder zehn Beschäftigten begonnen haben und dann mit 20 Beschäftigten in jenen Bereich hineinwachsen. Erst dann wird dies zum Thema. Es wird nicht vorher zum Thema, vorher zahlen sie keine Mark Gewerbekapitalsteuer.
Sie bauen hier ein Szenario auf, das nicht existiert.
Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Man muß sich auch einmal die Frage stellen: Warum gelingt es eigentlich in anderen Ländern über Börsen - zum Beispiel mit Aktien mit einem Nennwert von 0 DM - Kapital zu sammeln, um aus guten Ideen Geschäfte zu machen? Warum kommen wir da eigentlich nicht weiter? Warum vertun wir eigentlich die Chance, die Bereitschaft der Menschen in diesem Land, die über Kapital verfügen, zu nutzen, um auch das Investitionskapital zu stärken? .
Herr Hauser sagt: Wir wollen keine zusätzlichen Förderprogramme. - Drei Sätze später fordert er ein eigenes Förderprogramm und erinnert noch einmal an das Eigenkapitalhilfeprogramm, anstatt darüber nachzudenken, wie wir das private Kapital - welches ja teilweise wirklich auf den Konten fast brachliegt; es könnte sehr viel effektiver für Arbeitsplätze eingesetzt werden - aktivieren können. Darum geht es, und deshalb wollen wir mit diesem Antrag in genau jene Lücke hineinstoßen.
Ich will einen dritten Punkt ansprechen, Herr Friedhoff. Sie und Frau Wolf haben von der InfoBörse in Leipzig gesprochen. Ich glaube, wenn wir mittelständische Unternehmen an den Markt bringen wollen, brauchen wir nicht nur die Emissionsmöglichkeiten über Banken, sondern auch die über Freihändler. Da gibt es durchaus Hemmnisse. Die Berliner Börse ist da intelligent vorangegangen. Wir könnten andere Börsen ermuntern, dies auch zu tun. Das ist aber nur dann denkbar, wenn wir die regionalen Börsen stärken und sie nicht unter das Dach von Frankfurt lassen.
Ernst Schwanhold
Es wäre dringend notwendig, in Ostdeutschland eine regionale Parkettbörse zu haben, weil man kleine Unternehmen nämlich zunächst nur in regionalen Bezügen mit Freihändlern an die Börse bringen kann.
Es wird über eine Info-Börse geredet. Ich halte eine solche für eine Spielzeugbörse. Ich glaube, wir brauchen eine Parkettbörse in Leipzig oder in Dresden oder wo auch immer. Berlin muß gestärkt werden, und die anderen jetzt vorhandenen regionalen Börsen müssen ihre eigene Freiheit gegenüber der Frankfurter Börse und ihre eigene Existenzsicherung bekommen. Das ist ein gutes Geschäft für sie, das ist lukrativ hinsichtlich des Einsammelns von Geld, und das bringt Investitionen und die Sicherheit für schnell wachsende Unternehmen, sich zu finanzieren, ohne sich zu verschulden und zu 100 Prozent in die Hände der Banken zu begeben. Dies ist doch der eigentliche Knebel, mit dem es diese Unternehmen irgendwann zu tun haben.
Eine vierte Bemerkung. Mich hat in diesen Tagen geärgert - ich will das noch einmal sagen -, daß sich Rektoren der deutschen Hochschulen zum Erhalt von 590-DM-Jobs äußern. Das mag möglicherweise richtig sein. Ich würde die Rektoren der deutschen Hochschulen bitten, einmal darüber nachzudenken, wie sie es schaffen, die wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer Forschungsinstitute und der Diplomarbeiten so umzusetzen, daß Diplomanden Patente anmelden können und Kapital gesammelt wird, damit sich wie um das MIT herum kleine Unternehmen, die schnell wachsen, aus Höchsttechnologiebereichen, in denen uns solche Unternehmen fehlen, ansiedeln. Das wäre auch Aufgabe von Hochschulen, und es wäre Aufgabe von Politik, insbesondere dafür die Rahmenbedingungen zu setzen, damit das gemacht werden kann.
Ich weiß, daß dies auch Sache der Länder ist, aber das Risikokapital für diese kleinen und mittelständischen Unternehmen haben wir nicht zur Verfügung. Deshalb würde ich mir sehr wünschen, daß wir intelligente Modelle finden, um privat vorhandenes Vermögen in jenen Kapitalmarkt hineinzulenken, der letztlich die zukünftigen Arbeitsplätze im Mittelstand finanziert.
Es geht dabei nicht um Programme, die wir mit staatlichem Geld ausrüsten, sondern darum, durch den Verzicht auf Steuern Wachstum zu ermöglichen.
Dieses alles gehört neben der Höchstleistungsforschung - das sage ich ganz bewußt - zu dem eigentlichen Aufbauprogramm, mit dem wir die Arbeitsplätze bei uns schaffen können, die den hohen Standard dieses Sozialstaates tragen können. Die eigentlichen Schwächen liegen im innovativen und im investiven Bereich, weil dort die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Verehrter Herr Hauser, 14 Jahre ist nichts geschehen.
Das, was Sie uns vorgetragen haben, sind Absichtserklärungen. Alle Maßnahmen wollen Sie erst noch prüfen. Sie selbst haben fünf Punkte aufgezählt und zu jedem Punkt bemerkt: Wir prüfen das im Rahmen der Steuerdebatte.
Sie haben überhaupt nichts vorzuweisen, noch nicht einmal einen Antrag, über den wir diskutieren können. Ein Jahr liegt Ihnen unser Antrag vor, und Sie waren noch nicht einmal in der Lage, einen eigenen Gegenentwurf vorzulegen. Dieses ist Beleg genug für ein Trauerspiel, welches diese Regierung in einem Bereich bietet, der dringend auf Wachstum ausgerichtet werden muß.
Kollege Schwanhold macht mich gerade darauf aufmerksam, daß er fünf Minuten Redezeit eingespart hat.
- So kommen wir schneller voran.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl.
Wenn die Opposition auch sonst einsparen würde, wären wir ebenfalls dankbar.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Es ist natürlich nicht zu bestreiten, daß der Kapitalmarkt in Deutschland im Moment noch unzureichend funktioniert. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß wir unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet noch verzehnfachen müssen, um den etwa zehnjährigen Rückstand in der Marktkapitalisierung im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern aufzuholen.
Solange jedoch der Finanzplatz Deutschland insgesamt einen deutlich besseren Ruf hat als - sagen wir einmal - der Finanzplatz Saarland, brauchen wir von Herrn Lafontaine und Co. in Sachen Kapital bestimmt keinen Nachhilfeunterricht.
Mit Teilen der Opposition gerade über Kapital und Kapitalisierung zu reden ist für mich schon sehr gewöhnungsbedürftig, wahrscheinlich genauso gewöhnungsbedürftig, wie mit einem Elefanten über Porzellan, mit einem Moslem über Schweinesteaks oder mit einem Einbrecher über die Zukunft von Sicherheitsschlössern zu reden.
Sie verdrängen in Ihrem Antrag die Tatsache, daß kleine und mittlere Unternehmen für Anleger nur bei einer guten Ertragslage interessant sind. Sie sind es, die hier verhindern, daß sich die Besteuerung nicht
Dagmar Wöhrl
dauernd an der Unternehmenssubstanz vergreift. Das muß hier ganz deutlich erwähnt werden.
In Ihrem Antrag sind durchaus vernünftige Maßnahmen enthalten - mit einem kleinen Nachteil:
Sie sind wirklich nicht neu. Wenn Sie vorhin dem Herrn Staatssekretär zugehört hätten, wüßten Sie, daß viele Maßnahmen schon auf den Weg gebracht worden sind und wir momentan dabei sind, sie zu realisieren.
- Sie haben genau die gleichen Vorlagen wie wir.
- Sie wissen genau Bescheid über das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz; Sie wissen genauso über die Börsenreformen Bescheid wie wir alle im Saal.
Wir wissen, auf Grund von Kapitalknappheit fehlen notwendige Investitionen für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und der Arbeitsplätze. Auf der anderen Seite hat sich unser Geldvermögen von 1980 bis 1992 real sogar um 68 Prozent vermehrt. Allein die Zinseinnahmen daraus betragen fast 900 Millionen DM täglich. Diese Tatsache muß man berücksichtigen.
Zum Homo oeconomicus kann man bemerken: Der deutsche Sparer ist sicherheitsliebend. Das wissen wir. Er pflegt sein sauer Verdientes auf dem Sparbuch zu 2 Prozent Zinsen anzulegen, vielleicht noch in Bundesschatzbriefen zu 5 Prozent.
Hierin liegt das Problem: Sein Geld arbeitet nicht; es ruht statt dessen in Immobilien, steuerbegünstigten Abschreibungsmodellen oder in festverzinslichen Papieren.
Obwohl unsere Medien von früh bis spät über den neuesten Stand des deutschen Aktienindexes berichten, gibt es bei uns kaum soviel Aktionäre, daß mit ihnen die Fünf-Prozent-Hürde bei einer Bundestagswahl zu schaffen wäre.
Trotz Vermögen in Billionenhöhe - das wissen auch Sie - meiden die Bürger in Deutschland die Aktienbörse, man kann sogar sagen: wie der Teufel das Weihwasser. Jeder fünfte Amerikaner und jeder vierte Kanadier investiert in Aktienbesitz, bei uns ist es nur jeder achtzehnte Bürger.
Wir erreichen eine stärkere Beteiligung der Bürger nur über eine Vergrößerung der Ertragschancen von Risikokapital. Das ist, glaube ich, unstrittig. Denn solange dem im Vergleich zu anderen Anlageformen größeren Risiko nicht auch wesentlich größere Ertragschancen gegenüberstehen - sondern im Gegenteil oft sogar geringere -, ist es schwer, hier eine Trendwende zu erreichen.
Hierzu sind wiederum vor allem steuerpolitische Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Ertragslage der Unternehmen dringend notwendig. Es ist nicht so, wie Sie vorhin gesagt haben, daß die Gewerbekapitalsteuer in diesem Zusammenhang nichts zu bedeuten habe. Wir müssen auch dahin kommen, daß der Begriff Gewinn nicht immer wieder im Sinne eines Schimpfwortes gebraucht wird.
Unser Ziel muß es sein, daß wir ein generell investitionsfreundliches Unternehmensteuerrecht bekommen, das die Eigenkapitalbildung fördert. Dazu gehören unter anderem auch die Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung des Eigenkapitals sowie der aktiven Kapitalanlagen gegenüber anderen Anlageformen, Anreize für das finanzielle Engagement bei innovativen Existenzgründungen,
steuerliche Präferenzen für einbehaltene, in das Unternehmenswachstum investierte Gewinne und auch die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer sowie die Senkung der Gewerbeertragsteuer.
Liebe Kollegen, dem Aufbau eines funktionierenden Eigenkapitalmarktes stehen bei allen Beteiligten auch viele mentale Widerstände entgegen - bei den mittelständischen Unternehmen ebenso wie bei den Banken und Anlegern. Zum Kapitalmarkt zu gehen bedeutet für den deutschen Unternehmer, sich zu entblößen. Er muß seine Zahlen offenlegen, einen Aufsichtsrat berufen, in der Hauptversammlung öffentlich Rede und Antwort stehen. Das widerstrebt unwahrscheinlich vielen. Es sind nur sehr wenige bereit, Mitsprache und Kontrollrechte externer Kapitalanleger zu akzeptieren und um ihre Anleger mit einem offenen Visier zu werben.
Hier muß man es schaffen, daß Unternehmer ihre Vorstellungen von einem geschlossenen Unternehmen aufgeben, daß sie kooperativer und informationsfreudiger werden, daß Publizitätsphobien und Überfremdungsbefürchtungen objektiviert werden.
Dazu kommt noch ein anderes Problem. Kleinaktionäre stehen natürlich auch bei Großunternehmen oft nicht sehr hoch im Kurs. Es wird sehr massiv um sie geworben. Die Wertschätzung eines solchen Kleinaktionärs hält sich jedoch sehr in Grenzen. Als Geldgeber ist er äußerst willkommen. Kurssteigerungen gönnt man ihm. Als Dividendenempfänger wird er gerade noch geduldet. Als mitbestimmender Eigentümer jedoch hat der „shareholder" oft überhaupt keinen „value".
Auch emissionsbegleitende Banken, Zulassungsausschüsse und freie Makler zeigen wegen der höheren Risiken oft keine Begeisterung, Mittelständler an die Börse zu bringen. Unsere Banken betrachten den bisherigen Umsatz noch viel zu statisch als Krite-
Dagmar Wöhrl
rium für die Börsenfähigkeit, hingegen viel zuwenig das Entwicklungspotential, das in einem Unternehmen steckt.
Doch gerade für unseren Mittelstand mit seinem Eigenkapitalmangel, seiner anstehenden Nachfolgeregelung und seinen strukturellen Defiziten kann insbesondere der Gang zur Börse Abhilfe schaffen und ist auch oft der beste Weg. Es zeigt sich auch immer wieder, daß die Hemmschwelle des Mittelständlers, den Gang zur Börse einzuschlagen, noch sehr hoch ist.
Man muß hier aber auch ganz offen und ehrlich aussprechen, daß mittelständische Unternehmen im Vergleich zu Großunternehmen natürlich viele zusätzliche Probleme zu lösen haben. Sie haben nicht die personellen und finanziellen Ressourcen wie ein Großkonzern für die Vorbereitung der Emissionen und zur Erfüllung der Anforderungen des organisierten Kapitalmarkts nach dem Börsengang.
Deshalb ist es wichtig, daß neben der Emissionsbegleitung durch die Banken zusätzlich eine Betreuung nach der Aufnahme der Notierung erfolgt, damit sich auch die Mittelständler nach der Aktieneinführung mit Fragen der Ad-hoc-Publizität, Investor-Relations usw. auseinandersetzen können.
In der Umsetzung der EU-Wertpapier-Dienstleistungsrichtlinie ist die erleichterte Zulassung von Wertpapierhandelshäusern vorgesehen. Eine Aufgabe dieser Häuser ist die Emissionsbegleitung. Es stellt sich die Frage, ob man das Angebot auch auf die weitere Betreuung von Börsenneulingen nach der Emission ausdehnen könnte.
Wir wissen: Die Deutsche Börse AG hat ein eigenständiges Börsensegment „Neuer Markt" für innovative, wachstumsträchtige kleine Unternehmen geplant. Dies ist in ein Netzwerk europäischer Wachstumsbörsen eingebettet. Es wird eine enge Zusammenarbeit mit dem „Nouveau Marché" und dem geplanten belgischen „New Market" angestrebt. Das bedeutet unter anderem: gemeinsames Marketing, einheitliche Regelung der Börsenzulassung und Publizitätsanforderungen. An diesem Beispiel, glaube ich, sieht man sehr gut, daß die Kooperation nationaler Börsen in gleicher Weise Vorteile bieten kann wie die Kooperation mit großen zentralen europäischen Börsen. Speziell für mittelständische Unternehmen sollen jetzt auch an der bayerischen Börse ein eigenes Marktsegment „Prädikatsmarkt München" sowie eine eigene Unternehmensdatenbank geschaffen werden.
Unsere demographische Entwicklung macht eine größere Vielfalt von Vorsorgesystemen und mehr Eigenverantwortung notwendig. Rund 100 Milliarden DM legen die Deutschen jährlich für das Alter zurück. Der Löwenanteil - das wissen wir - wandert in die Lebensversicherungen. Pensionsfonds sind in den USA mit einem Marktanteil von rund 44 Prozent der größte Kapitalgeber der US Venture Capital Market. Altersvorsorge über ein Pensionssondervermögen, in dem Aktien, Renten und Immobilien in einem Fonds verwaltet werden, ist hier der richtige Weg. Neben der Kapitalansparung für das Alter, die man hier bekommt, würde auch der Wagniskapitalmarkt durch diesen Investitionsweg vergrößert werden.
Man kann sagen: Die Zukunft sitzt uns im Nacken. Wichtig ist aber, daß der Staat seine Bürger endlich mündig spricht, daß öffentliche Aufgaben wieder mehr auf private Schultern verteilt werden, das Steuersystem restrukturiert und weitere Deregulierungen vorgenommen werden. Von diesen Maßnahmen - davon bin ich überzeugt - wird vor allem der Aktienmarkt profitieren. So können wir es vielleicht schaffen, daß wir zu einer neuen Epoche der deutschen Aktie kommen.
Aber trotz unserer vielfältigen Initiativen am Finanzplatz Deutschland, die wir zum Teil abgeschlossen haben und die zum Teil im Moment in der Bearbeitung sind, dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, unsere Aktienkultur weiterzuentwickeln und unseren Kapitalmarkt zu verbreitern.
Unser Finanzplatz ist jedoch nicht eine Art gigantisches Kasino, in dem wir als Spieler nur eine Glückssträhne brauchen. Vielmehr sind wir alle Aktionäre in einer großen „Deutschland AG", und auf die Dividenden der Zukunft sind wir alle angewiesen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Steiger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Antrag der SPD-Fraktion läßt sich sagen: Er ist vielleicht gut gemeint, aber er ist zu kurz gesprungen. Denn wenn die SPD die kleinen und mittleren Unternehmen wirklich unterstützen will, wenn Sie wirklich eine Aktienförderung, eine hilfreiche Börsenkapitalisierung und einen erfolgreichen Risikokapitalmarkt wollen, dann können Sie dafür ein ganz klares Zeichen setzen, indem Sie zur Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer ja sagen. Das haben Sie nicht getan.
Lieber Herr Bury, nachdem ich mir Ihre Antragsbegründung vor Augen geführt habe, will ich Ihnen wirklich einmal ganz deutlich sagen: Hören Sie auf, hier die Diskussionen der Urzeiten zu führen, und leisten Sie einen wirklich wichtigen Beitrag zu einer besseren Eigenkapitalausstattung der Unternehmen. Ich bin froh darüber, daß gar nicht mehr so strittig ist, daß Eigenkapital eine wichtige Voraussetzung ist, um Unternehmen krisensicherer zu machen. Nur, es gibt wichtige Steuern, die diese Eigenkapitalbildung belasten, und das sind die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer. Also ist es konsequent: Wenn Sie eine bessere Eigenkapitalausstattung wollen, dann müssen wir diese Steuern abschaffen. Das verhindern Sie.
Wolfgang Steiger
Für die Frage, wie wir eine bessere Eigenkapitalausstattung für unsere Unternehmen erreichen können, haben nicht nur die rechtlichen Gegebenheiten, sondern auch die steuerlichen Rahmenbedingungen eine Bedeutung. Gerade was die SPD-geführten Bundesländer - wir haben in diesen Tagen das Jahressteuergesetz 1997 beraten - in diesem Zusammenhang getan haben, ist alles andere als eine Förderung der Aktie oder des Risikokapitals. Daß sich auch in Ihrem Antrag zum Thema Steuern, steuerliche Behandlung, Vermögensteuer und Gewerbekapitalsteuer überhaupt kein Beitrag findet, macht deutlich, daß wir heute schon wieder einen Antrag beraten müssen, der in seinen Konsequenzen überhaupt nicht zu Ende gedacht ist.
Einmal mehr beschäftigen wir uns also in dieser Konsequenz mit Einzelforderungen, die der großen Komplexität des Themas aber überhaupt nicht gerecht werden. Vielmehr brauchen wir eine umfassende, ideologiefreie und vorbehaltlose Diskussion, die tatsächlich dazu beiträgt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland zu fördern und seine aktive Rolle als Finanzier und Partner gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu stärken.
Wir müssen in diesem Zusammenhang die Frage beantworten, ob unser Finanzplatz über eine ausreichende Markttiefe verfügt, welche Anstrengungen wir in Deutschland gerade im Hinblick auf die Aktivitäten unserer Partnerländer in der Europäischen Union - diese sind damit natürlich auch ein Stück weit Mitbewerber - unternehmen, um auf den anstehenden Wettbewerb ausreichend vorbereitet zu sein. Wir müssen als Konsequenz daraus den Blick gerade auf die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland richten, die zwei Drittel aller Arbeitsplätze und vier Fünftel aller Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
Eine wirklich funktionierende Eigenkapitalausstattung der Unternehmen werden wir nur ermöglichen können, wenn wir einen funktionierenden Markt mit einem entsprechend großen und vor allem dauerhaften Angebot und einer ebenso großen wie stetigen Nachfrage schaffen. Dabei wird uns das weiterhelfen, was die Bundesregierung hierzu unternommen hat.
Ich begrüße ausdrücklich die auf den Weg gebrachte europäische Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und die Kapitaladäquanzrichtlinie. Gerade hier hat die Bundesregierung im Rahmen verschiedener Maßnahmen, die meine Vorredner bereits aufgeführt haben, sehr viel getan, um den Finanzplatz Deutschland zu unterstützen.
Herr Bury, wir waren gemeinsam bei der Deutschen Börse. Sie wissen auch, was die Marktteilnehmer hinsichtlich der Aktivitäten der Bundesregierung gesagt haben, nämlich daß gerade die Aktivitäten dieser Bundesregierung, dieses Finanzministeriums, wesentlich dazu beigetragen haben, eine bessere Wettbewerbsfähigkeit der Börsen zu erreichen. Sie waren dabei, Herr Bury. Bitte verleugnen Sie heute nicht das, was Sie damals zur Kenntnis genommen haben.
Mit der Umsetzung dieser Richtlinien werden wir insbesondere die Erwartung verknüpfen, daß es zu einem intensiven Wettbewerb auf diesem Nischenmarkt für kleine und mittlere Unternehmen kommen wird. Letztendlich obliegt es den professionellen Marktteilnehmern wie der Kreditwirtschaft, den Börsen und den großen institutionellen Anlegern, wie die Möglichkeiten hin zu einer besseren Aktienförderung ausgeschöpft werden können.
Ich möchte auch - genauso wie dies bereits meine Kollegin Dagmar Wöhrl getan hat - noch einmal die Aktivitäten der Deutschen Börse begrüßen, im Frühjahr 1997 einen funktionierenden Markt für kleine und mittlere Unternehmen einzurichten.
Ich weise trotzdem in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hin - ich bestätige damit die Aussage des Staatssekretärs -, daß auch das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz ausdrücklich dazu beigetragen hat, daß der Finanzplatz Deutschland wettbewerbsfähiger und funktionstüchtiger für die Wirtschaft geworden ist.
Wir werden damit weitermachen, lieber Herr Schwanhold und lieber Herr Bury, aber nicht wie Sie in Trippelschritten, sondern mit einem Gesamtkonzept, das wichtig und hilfreich für eine bessere Eigenkapitalausstattung der Unternehmen ist.
Wichtig erscheint uns natürlich, daß wir uns intensiv mit dem Risikokapitalmarkt befassen, daß wir die Nachfrage insbesondere der professionellen Anleger, der professionellen Marktteilnehmer herausfordern. Hierfür gibt es sehr gute Beispiele, wie uns die USA zeigen. Die wichtigsten Garanten für diesen funktionierenden Venture-Capital-Markt sind nun einmal die institutionellen und die großen Anleger.
Auch die NASDAQ hatte erst Erfolg, als sie die sogenannten Pensionsfonds entdeckt und zukunftsträchtige Jungunternehmen in diesem Zusammenhang wesentlich unterstützt hat. Deshalb werden wir in Deutschland ohne eine entsprechende Pensionsfondskultur in diesem Marktsegment nur wenig Erfolg haben.
Pensionsfonds können uns in drei Bereichen sehr hilfreich sein: Sie können erstens den Unternehmen zu mehr Risikokapital verhelfen, zweitens bei der Stärkung der Altersvorsorge einen wichtigen Beitrag leisten und drittens dem Finanzplatz Deutschland bei seinem Wettbewerb wesentlich helfen.
Herr Steiger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bury?
Gern!
Herr Steiger, da Sie sich nahtlos in die Riege leerer Ankündigungen einreihen,
möchte ich Sie konkret fragen, welche der folgenden Maßnahmen aus dem unter Ihrem Namen publizierten Programm zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland diese Regierungskoalition wann vorlegen wird. Ich nenne einmal aus Ihrem Papier die steuerpolitische Gleichbehandlung aller Anlageformen, die Beschränkung der Steuerbelastung von Dividenden, die Erhöhung des Sparerfreibetrages, die Abschaffung der Besteuerung von Spekulationsgewinnen und eine steuerliche Gleichbehandlung des Aktiensparens beim Sonderausgabenabzug.
Ist es nicht vielmehr so, daß Sie bei all diesen Maßnahmen eine glatte Bauchlandung in der Koalition erlebt haben?
Lieber Herr Bury, da wir uns gemeinsam um den Finanzplatz sorgen, darf ich Sie in diesem Zusammenhang ganz höflich beruhigen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird in dieser Frage sehr schnell auf Sie zukommen. Sie werden ausreichend Gelegenheit bekommen, Ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen, den Finanzplatz Deutschland sowie kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen.
Nehmen Sie das Papier, das Sie eben zitiert haben, und vergleichen Sie den Inhalt mit dem, was auf Sie zukommt. Sie werden dann wieder ganz zufrieden schlafen können und sich mit diesen Themen nicht mehr beschäftigen müssen. Aber Sie sollten dann, wenn es darauf ankommt, wenn Sie als Opposition die Chance erhalten, Ihren Beitrag zu einer Förderung der besseren Eigenkapitalausstattung, zu einer Förderung des Finanzplatzes Deutschland zu leisten und gerade den kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen, die Gelegenheit wahrnehmen und uns bei der Durchsetzung der genannten Forderungen unterstützen.
Schon jetzt richte ich an Sie den eindringlichen Appell, sich dieser notwendigen Entwicklung nicht zu versagen und eben nicht eine ähnliche Blockadehaltung wie bei der Vermögensteuer und bei der Gewerbekapitalsteuer an den Tag zu legen.
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt in Ihrem Antrag, den ich vorhin schon als nur in wenigen Teilen zu Ende gedacht bezeichnet habe, eingehen. Ihr Antrag ist im übrigen mit Regularien und Fallstricken gespickt, dies gerade in einer Zeit, wo Deregulierung und Hilfe angesagt sind. Bei der geforderten Verbesserung der Rechtsstellung der Klein- und Minderheitsaktionäre wird nämlich übersehen, daß die bereits heute bestehende starke Stellung von ebendiesen Klein- und Minderheitsaktionären eine ganze Reihe von Unternehmen vom Börsengang abhält. Wir müssen uns auch mit diesem „Herrim-Haus-Denken", das in Deutschland nun einmal an den Tag gelegt wird, befassen. Ihr Antrag hilft uns in dieser Frage nicht weiter.
Wir müssen über die Frage nachdenken, wie die Hauptversammlungen in diesem Land ablaufen, ob wir es kleinen und mittleren Unternehmen wirklich zumuten wollen, daß in den Hauptversammlungen über branchenfremde Bereiche diskutiert werden muß. Wir müssen uns mit dem Druck und der Ausgabe von Aktienurkunden, dem Versand von Geschäftsberichten und der Prospekt- und Beratungshaftung befassen, was auch der Staatssekretär schon angekündigt hat.
Sie sehen also, daß nur eine grundsätzliche, in sich geschlossene und die Zusammenhänge berücksichtigende Diskussion hilfreich ist. Der SPD-Antrag wird uns dabei leider nicht weiterbringen. Umgekehrt sage ich noch einmal ganz ausdrücklich: Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden in den nächsten Wochen und Monaten ausreichend Gelegenheit bekommen, Ihren ernsthaften Willen als Partner und Finanzier gerade des Mittelstandes unter Beweis zu stellen. Die Union wird hier entsprechende weitreichende Initiativen und auch praktikable Konzepte vorlegen.
Aber trotzdem und noch einmal: Sie hatten und Sie haben die Gelegenheit, Ihren Willen in vielfältiger Weise auch jetzt schon in diesen Tagen eindrucksvoll unter Beweis zu stellen, indem Sie endlich zur Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewebekapitalsteuer ja sagen und damit eine wichtige Voraussetzung für die Börsenkapitalisierung in Deutschland schaffen. Wenn Sie dies wirklich wollen und damit auch Investitionen freizusetzen helfen, dann haben wir einen wichtigen Schritt getan; denn Investitionen sind die ganz wichtige Voraussetzung, daß neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen und bestehende Arbeitsplätze gesichert werden können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang bei einem Thema, bei dem es um Banken und Börsen geht, abschließend den ermordeten Bankier Dr. Alfred Herrhausen mit dem Satz zitieren: „Die meiste Zeit geht dadurch verloren, daß man nicht zu Ende denkt." Dieser Antrag ist nicht zu Ende gedacht. Zeit haben wir angesichts der drängenden Probleme nicht zu verlieren.
Danke.
Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär Herr Kolb das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Problem einer notwendigen Stärkung des Risikokapitalmarktes in Deutschland ist der Bundesregierung wohlbekannt, und sie hat, Herr Kollege Schwanhold, hierzu schon längst Maßnahmen ergriffen. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken wollen, die Bundesregierung sei erst im März dieses Jahres auf den Plan getreten, dann stellt das wirklich die Dinge auf den Kopf.
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Herr Kollege Schwanhold, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
- nein, das müssen Sie nicht -, daß eine Ressortarbeitsgruppe, übrigens unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft, bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1995 einen Bericht über Risikokapital für Existenzgründer und mittelständische Unternehmen erstellt hat, und zwar mit einer Reihe von ganz konkreten Vorschlägen? Diese Vorschläge sind in der Kanzlerrunde im Januar 1996 öffentlich geworden. Sie sind Teil des Jahreswirtschaftsberichtes.
- Ich komme darauf zurück. Ihr Antrag datiert vom 9. Februar dieses Jahres, also fürwahr eine rasche Reaktion der SPD-Fraktion. So sehen die Dinge in Wirklichkeit aus.
Es ist aber zu begrüßen, Herr Kollege Schwanhold, Herr Kollege Bury, daß die SPD in ihrem später datierenden Antrag zu derselben Analyse kommt wie auch die Bundesregierung, nämlich daß es bei der privaten Risikokapitalversorgung vor allen Dingen bei den Gründern, aber auch bei wachstumsstarken kleinen und mittleren Unternehmen und Unternehmen in den neuen Bundesländern eine Lücke gibt. Diese Lücken können zwar teilweise durch staatliche Programme geschlossen werden. Ich nenne hier etwa das ERP-Existenzgründungsprogramm, das ERP-Beteiligungsprogramm oder das Eigenkapitalhilfeprogramm
und auch den Beteiligungsfonds Ost, Beteiligungen der Deutschen-Ausgleichsbank-Tochter tbg. Es gibt also eine ganze Menge von Maßnahmen, aber es muß darüber hinaus eine Verbesserung der staatlichen Rahmenbedingungen geben.
- Wir haben die Eigenkapitalhilfe nicht gekürzt. Es ist zu keinen Engpässen gekommen. Das Entscheidende ist, Herr Kollege Schwanhold, daß alle Anträge auf Eigenkapitalhilfe bedient werden können. Darum geht es letztendlich. Wir brauchen aber auch verstärkt private Initiativen.
Frau Wolf, ich bin gern bereit, heute auch hier noch einmal zu sagen: Was wir gesamtwirtschaftlich brauchen, sind in erster Linie Gründer, sind kleine und mittlere Unternehmen, die Beschäftigung schaffen. Das Wachstum und die Aktivitäten dieser Unternehmen dürfen nicht an fehlendem Eigenkapital scheitern.
Es ist übrigens schwer verständlich, wenn Sie sagen, die Sündenbock-Rhetorik stamme von der Koalition. Ich glaube, wenn man den Begriff Sündenbock in Richtung des Begriffes Ausbeutung weiterdenkt, was manche in der Opposition - nicht die Koalition - mit dem Begriff Unternehmer in Verbindung bringen, dann ist diese Ausbeutungs-Rhetorik doch sehr viel näher bei Ihnen, bei der SPD, oder auch bei der PDS.
Schieben Sie uns hier bitte nicht falsche Termini in die Schuhe!
Immerhin, die SPD erkennt an, daß nicht allein der Staat gefordert ist. So hat es auch die Arbeitsgruppe der Bundesressorts gesehen. Wir brauchen die Mitwirkung aller Beteiligten, das heißt der Unternehmen, wir brauchen eine Mentalitätsänderung, anlegerfreundliches Verhalten, mehr Transparenz. Die Banken müssen Unternehmen, aber auch Anleger mehr in Richtung Risikokapital beraten. Versicherungsunternehmen und Kapitalanlagegesellschaften müssen verstärkt die Möglichkeit der Anlage in Risikokapital im Rahmen der Altersvorsorge nutzen.
- Es wird nicht dadurch falsch, daß es darin steht.
- Nein, nein, über die Reihenfolge habe ich Sie eingangs schon nachhaltig aufgeklärt, glaube ich.
Privatanleger müssen ihre Mentalität verändern. Sie müssen auch über die langfristig höheren Chancen, also die langfristig höhere Rentabilität einer Anlage in Risikokapital aufgeklärt werden. Das muß man ganz deutlich sagen.
Es geht letztlich um die Börsen, das heißt um die Schaffung neuer Marktsegmente. So ist, übrigens auch unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft, die Errichtung eines neuen Marktes für wachstumsstarke, publizitätsfreudige, insbesondere technologieorientierte Unternehmen durch die Deutsche Börse AG vorangetrieben worden. Sie wird ihre Tätigkeit im Frühjahr 1997 aufnehmen. Das ist übrigens entgegen Ihrem Antrag auch ohne eine Gesetzesänderung möglich gewesen. Ferner gibt es weitere Initiativen in Leipzig und in München; das ist hier gesagt worden.
Ich glaube, daß das, was im SPD-Antrag steht - abgesehen von einigen Ladenhütern wie Tariffonds und die kontraproduktiven Vorschläge zu dem Thema „Macht der Banken und Versicherungen" -, durchaus diskussionswürdig ist, aber das, was Sie bringen, ist sehr selektiv. Das muß man doch sehen. Es ersetzt einfach nicht die im Risikokapitalbericht der Bundesregierung enthaltenen Vorschläge. Ich möchte die hier im einzelnen nicht noch einmal aufführen.
Nur, wenn Sie sagen, Frau Kollegin Wolf, wir betrieben hier eine Ankündigungsrhetorik, dann will ich Ihnen sagen: Zu den einzelnen Maßnahmen, die im Jahreswirtschaftsbericht, im Aktionsprogramm
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
und im Risikokapitalbericht enthalten sind - das taucht an mehreren Stellen auf -, haben wir einen sehr detaillierten Fortschrittsbericht. Wenn Sie es wünschen, bin ich gerne bereit, Ihnen diesen Fortschrittsbericht zuzuschicken. Sie werden sehen, daß wir in allen Punkten sehr hart an der Umsetzung sind.
- Wenn Sie es möchten, kann ich ihn auch Ihnen zuschicken, Herr Kollege Schwanhold.
Sie werden also sehen, wir sind hier hart an der Umsetzung dran. So wird das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz noch in diesem Jahr ins Kabinett gehen, und das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz wird Anfang 1997 ins Kabinett gehen. Jetzt kann man natürlich bedauern, daß es erst dann sein wird; aber es sind eben auch umfassende Maßnahmen, die intensiv beraten werden müssen.
Ich kann hier nur sagen, die Bundesregierung arbeitet an der Sache.
Zum Schluß möchte ich noch etwas persönlichkonstruktiv sagen. Angesichts der gemeinsamen Analyse, Herr Kollege Schwanhold, auch angesichts des gemeinsamen Interesses an der Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen für Risikokapitalbildung sollten wir - der Antrag wird jetzt in die Ausschüsse verwiesen - bei der Umsetzung der notwendigen Gesetze zusammenarbeiten. Das dient dem Beschäftigungsziel und verdient von daher unsere gemeinsame Anstrengung.
Vielen Dank.
Herr Kollege Schwanhold, auf Ihren Zwischenruf, ob Sie antworten müssen, möchte ich Ihnen noch die Rechtslage nach der Geschäftsordnung verdeutlichen. Wenn die Regierung einen Abgeordneten etwas fragt, muß er nicht antworten.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3784 und 13/5962 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung beim Antrag der Fraktion der SPD soll jedoch beim Ausschuß für Wirtschaft liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 - das ist, soweit ich sehe, der letzte für heute - auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Angelika Köster-Loßack, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Import von Kinderspielzeug aus chinesischen Arbeitslagern
- Drucksachen 13/3054, 13/5079 -
Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerne hätten wir hier eine Debatte über die deutsche Südostasienpolitik gehabt. Die Reisen von Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel waren Anlaß genug, über das Verhältnis von Wirtschaftspolitik und dem Stellenwert von Menschenrechten hier im Parlament zu diskutieren.
Sie wissen, wir hatten vor einem Jahr den chinesischen Menschenrechtler Harry Wu zu Besuch, der selbst 19 Jahre lang in chinesischen Straflagern interniert war und sich jetzt in den USA bemüht, Aufklärungsarbeit über das chinesische Straflagersystem zu leisten. Damals war Bundeskanzler Kohl wenige Wochen zuvor in China gewesen. Kaum hatte er das Land verlassen, wurde der Bürgerrechtler Wei Jinsheng verhaftet. Kaum war Außenminister Kinkel jetzt aus Peking abgereist, wurde der Dissident Wang Dan in einem Schnellprozeß zu elf Jahren Haft verurteilt.
China verbittet sich die sogenannte Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Aber der Protest gegen menschenrechtswidrige Praktiken und das Bestehen darauf, daß das geltende Völkerrecht eingehalten wird, sind keine unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten.
Die Kritik an einer Politik diktatorischer Regime ist alles andere als Politik gegen die Interessen der betroffenen Völker. Wer in diesem Zusammenhang von Diktatoren geachtet werden will, provoziert doch nur, daß Demokratie und ihre Spielregeln verachtet werden.
Meine Damen und Herren, China leugnet den Export aus Straflagern. Es gibt aber immer wieder Beweise dafür, daß Ware aus diesen Lagern exportiert wurde. Deutsche Unternehmen wollen sogenannte saubere Ware. Die Händler in Deutschland wollen doch gar keine Waren verkaufen, die in Straflagern hergestellt wurden. Die Wirtschaft braucht die Unter-
Rita Grießhaber
stützung der Politik, damit sich der Handel und die Achtung von Menschenrechten nicht ausschließen.
Wir kritisieren überhaupt nicht generell wirtschaftliches Engagement in China. Investitionen, zum Beispiel im Umweltschutz, wie Entschwefelungsanlagen, können außerordentlich segensreich sein. Wir wollen aber auch, daß die Bundesregierung mit ihrer Politik solche Rahmenbedingungen schafft, daß die Wirtschaft und die Konsumenten hier sicher sein können, daß an diesen importierten Waren kein Blut klebt.
Es ist gut, daß mit dem vorliegenden interfraktionellen Antrag ein erster Schritt zum Handeln getan wird. Wir wollen von der Bundesregierung so schnell wie möglich einen Bericht darüber, wie die Selbstverpflichtung des europäischen Dachverbandes der Spielwarenhersteller eingehalten wird, keine Ware aus Straflagern zu importieren. Wir stehen hier doch total am Anfang. Was nutzt es, wenn die Spielwarenhersteller ihren Kunden versichern: Wir haben eine Selbstverpflichtung, wir importieren gar nichts aus Straflagern. Wir wissen doch überhaupt nicht, ob diese Hersteller kontrollieren können, woher diese Waren überhaupt stammen.
Deshalb ist es ganz dringend notwendig, daß sich die Bundesregierung mit den Importeuren zusammensetzt und klärt, ob und wie eine solche Kontrolle durch die Importeure überhaupt stattfinden kann.
Auch die Zollbehörden sollten prüfen, woher die Waren stammen. Was die USA können, müßte doch bei uns auch möglich sein.
Ich möchte ganz klar und eindeutig sagen: Ich als Konsumentin möchte, wenn ich Spielzeug oder andere Waren einkaufe, wissen, ob Waren aus Straflagern identifizierbar sind. Wenn ich nicht mit Sicherheit ausschließen kann, daß diese Ware aus Straflagern stammt, kaufe ich lieber nichts mehr „Made in China".
Die Beschränkung unseres Antrags auf das Spielzeug ergab sich aus der konkreten Situation des Besuchs von Harry Wu. Er zeigte bei seinem Besuch zwei Beispiele aus der Lagerproduktion, einen Teddybären und ein Plastikspielzeug.
Natürlich müssen entsprechende Regelungen für alle in Frage kommenden Produkte getroffen werden. Es geht wirklich nicht nur um sauberes Spielzeug, sondern um die Bedingungen, unter denen diese Waren in China hergestellt werden. Das heißt, es geht um die Menschen in China, es geht um die Anprangerung des Systems der Straflager.
Politik muß alle Möglichkeiten für die Menschenrechte nutzen. Es ist nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft, daß die deutsche Politik unter Berufung auf wirtschaftliche Interessen dem Dialog über die
Menschenrechte ausweicht. Es ist eine Brüskierung dieses Hauses, wenn sich der deutsche Botschafter in China über die Tibet-Resolution des Bundestages so äußert, wie er es getan hat.
Und wenn der chinesische Staatschef Jiang Zemin beim Besuch des Außenministers in China lächelnd gesagt hat: „Nach dem Regen wurde der Himmel schnell wieder klar", kann ich nur sagen: Das gilt vielleicht für die millionenschweren Wirtschaftsaufträge, die mitgenommen wurden. Über den Menschenrechten aber hängt ein dicke schwarze Wolke. Lassen Sie uns das gemeinsam ändern!
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit der heutigen Vorlage eines von allen Fraktionen dieses Hauses getragenen Änderungsantrages zum Thema „Verhinderung von Spielzeugimporten aus chinesischen Straflagern" und mit der gemeinsamen Empfehlung, den ursprünglichen Antrag in dieser geänderten Fassung anzunehmen, zeigen wir, daß wir bei allen auch notwendigen Auseinandersetzungen in Fragen der Menschenrechte zu gemeinsamen Positionen finden können. Ich füge hinzu: Auch durch den Versuch, Menschenrechtsdebatten und Menschenrechtspolitik parteitaktisch einzusetzen, wie wir das am gestrigen Morgen erleben konnten, werden wir uns von dem Bemühen, eine Gemeinsamkeit zu erzielen, nicht abhalten lassen.
Gemeinsam sagen wir: Die schrecklichen Zustände in den chinesischen Straflagern, im chinesischen Archipel Gulag, in denen Menschen zur Sklavenarbeit ohne Lohn gezwungen werden, Hunger, Prügel und Folter ausgesetzt sind, sind eine Schande und nicht zu akzeptieren.
Wir verurteilen diese Zustände nachdrücklich und stehen auf der Seite derer, die sich für die Überwindung dieser Unterdrückungsmechanismen und für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Wir wissen, daß wir zu ihrer Unterstützung leider nur allzuwenig beitragen können. Ganz sicher aber wollen wir von der Sklavenarbeit in den Lagern nicht profitieren.
Handel mit Produkten, die unter unmenschlichen Bedingungen in Zwangslagern hergestellt werden, darf es nicht geben. Darüber sind wir uns einig. Dies hat auch die gute Debatte anläßlich der Einbringung dieses Antrags gezeigt.
Hermann Gröhe
Nun hat die chinesische Seite als Reaktion auf Erklärungen der Bundesregierung, wonach Einfuhren aus Straflagern nicht hingenommen werden können, wiederholt erklärt, Exporte aus Straflagern seien streng verboten. Ein solches Verbot des chinesischen Außenhandelsministeriums aus dem Jahre 1994 hat auch ein BND-Bericht bestätigt.
Andererseits haben chinesische Dissidenten dem wiederholt widersprochen. Harry Wu, auf den bereits verwiesen wurde, hat gesagt:
Man kann sicher nicht sagen, daß jeder Teddybär aus China in Straflagern produziert wird, aber es ist gut möglich, daß so ein Spielzeugbär aus Blut und Tränen ist.
Wir nehmen solche Aussagen sehr ernst.
Wenn wir diese Aussagen miteinander vergleichen, gilt: Lieber etwas zuviel Skepsis den Herrschenden in China gegenüber als zuwenig Vertrauen in die Aussagen derer, die die Stimme der Unterdrückten sind.
Deshalb fordert der neue Antragstext die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit die Erklärungen der chinesischen Dissidenten zutreffen.
In diesem Zusammenhang ist gut, daß die Spielwarenhersteller und -händler in Deutschland wie in Europa erklärt haben, daß sie den Import von Spielwaren aus Arbeitslagern ablehnen. Wir fordern die Bundesregierung daher gemeinsam auf, den zuständigen Ausschüssen zu berichten, inwieweit die Selbstverpflichtungsvorgaben des Europäischen Dachverbandes der Spielwarenhersteller wirksam sind. Dabei geht es uns insbesondere um die Arbeit jenes Komitees dieses Dachverbandes, das gegründet wurde, um die Arbeits- und Produktionsbedingungen vor Ort zu überprüfen. Auf das Problem der Kontrolle dieser Vorgaben hat bereits die Kollegin hingewiesen. Diese Aktivitäten zeigen Eigenverantwortung der beteiligten Wirtschaft, die unter Umständen viel zielgenauer arbeiten kann als staatliche Kontrollen.
Wir sind uns einig - auch dies klang an -, daß wir die Wirtschaftsbeziehungen zu diesen Ländern nicht abbrechen wollen. Zwar führen derartige Kontakte sicherlich nicht automatisch zu innenpolitischen Veränderungen. Sie können aber Chancen eröffnen, deren wir uns begeben würden, wollten wir auf gegenseitige Abschottung und Boykottierung setzen.
Es geht also nicht um das Ob, sondern um das Wie von Handelsbeziehungen.
Ich füge an - das haben wir auch im Unterausschuß Menschenrechte besprochen -: Das, was wir an Erfahrungen am Beispiel der Spielwarenimporte diskutieren werden, müssen wir auf andere Produkte, auf Textilien und Werkzeuge, übertragen. Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen und Erfahrungen der Komitees, die vor Ort die Arbeitsbedingungen kontrollieren, können uns in dieser Debatte weiterbringen.
Ich darf Sie bitten, der gemeinsamen Beschlußempfehlung zu folgen.
Vielen Dank.
Jetzt spricht der Kollege Bindig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor fast genau einem Jahr haben wir uns hier mit einem besonders düsteren Kapitel des chinesischen Herrschaftssystems befaßt, der Existenz des chinesischen Archipel Gulag, des Laogai-Systems. In den Laogai-Lagern, den „Reform durch Arbeit"-Lagern, werden aus den verschiedensten Gründen Millionen von Gefangenen festgehalten, unter denen nach Angaben chinesischer Dissidenten zirka hunderttausend politische Gefangene sind. Die Gefangenen müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Wir haben uns darüber unterhalten, daß in diesen Lagern in Zwangsarbeit eine Palette von Produkten hergestellt wird, die in den wirtschaftlichen Kreislauf in China eingebracht werden und für den Export bestimmt sind, mit dem Ziel, Devisen zu verdienen.
Besonders kraß wird der Gegensatz zwischen der Produktionsweise in Zwangsarbeitslagern und dem Verwendungszweck der erzeugten Güter empfunden, wenn es sich um Kinderspielzeug handelt. Weihnachtsbaumschmuck und Teddybären auf deutschen Gabentischen, die unter sklavenartigen Bedingungen hergestellt worden sind - das rüttelt auf bei den Bürgern im Land und auch hier im Parlament.
Für den Bereich „Kinderspielzeug aus chinesischen Arbeitslagern" ist aus den Beratungen in den Fachausschüssen ein gemeinsamer Antrag hervorgegangen, mit dem Titel „Verhinderung von Spielzeugimporten aus chinesischen Straflagern" . Gemeinsam wollen wir die Bundesregierung auffordern, zu prüfen, ob es zutrifft, daß entgegen offizieller chinesischer Darstellung doch Spielzeug in die Bundesrepublik Deutschland exportiert wird, das in Arbeitslagern produziert worden ist. Die Bundesregierung soll ferner berichten, wie konsequent die Selbstverpflichtungsvorgaben des Europäischen Dachverbands der Spielwarenhersteller von den europäischen und deutschen Importeuren eingehalten werden und wie die Einhaltung überprüft wird. Bei verifizierbaren Verstößen gegen die Selbstverpflichtung soll die Bundesregierung in der Europäischen Union Schritte zur Unterbindung von Spielzeugimporten aus chinesischen Arbeitslagern ergreifen.
Die Empfehlung geht deutlich über das hinaus, was zur Frage des Imports von Spielwaren aus chinesischer Zwangsproduktion bisherige Praxis im Bundeswirtschaftsministerium gewesen ist. Dort hat man sich bisher passiv verhalten und abgewartet, ob dem Bundeswirtschaftsministerium „verifizierbare Verstöße" zugetragen werden. Selbst sorgfältig recherchierten Berichten wie dem ARD-Fernsehbericht „Laogai" des Westdeutschen Rundfunks ist man mit Skepsis und eher mit einer Abwehrhaltung begeg-
Rudolf Bindig
net. So wurde mir aus dem Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt, daß es nicht leicht sei, dem ARD-Bericht verwertbare und belastbare Beweise zu entnehmen, daß die darin gezeigten Erzeugnisse ihren Ursprung tatsächlich in Straflagern haben. Es handele sich durchweg um Massengüter ohne jede Individualität, die sich nicht eindeutig einer bestimmten Produktionsstätte zuordnen ließen. Selbst sorgfältig recherchierte Nachweise werden so zurückgewiesen.
Dies ist eine Verhaltensweise, die man auch das „Schützenpanzersyndrom" der Bundesregierung nennen kann.
So hat die Bundesregierung bei der Frage des Nachweises, ob in die Türkei gelieferte Schützenpanzer im Kampf gegen die Kurden und zur Unterdrückung der Bevölkerung in Ostanatolien verwendet werden, immer auf einer Beweislastumkehr der Art bestanden, daß von Kritikern zu 100 Prozent der Beweis einer Beteiligung eines aus deutscher Lieferung stammenden Schützenpanzers zu erbringen ist. Selbst eine hohe Anscheinsvermutung reichte der Bundesregierung nicht aus.
Damit bei dem Spielzeug aus chinesischer Zwangsproduktion nicht ähnlich verfahren werden kann, hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, nunmehr selbst aktiv tätig zu werden und zu prüfen, ob es nicht doch zu einem Import von Spielzeug, das in Arbeitslagern produziert worden ist, in die Bundesrepublik Deutschland kommt. Wir hoffen und erwarten, daß die Bundesregierung auf Grund der Aufforderung aus dem Bundestag nunmehr wirklich aktiv wird und von sich aus allen Hinweisen nachgeht, daß sie selbst nach Belegen für den Import von Kinderspielzeug aus dem Laogai-System fahndet und nicht mehr wie bisher nur Hinweise an sich herantragen läßt und diesen mit abwehrender Skepsis begegnet.
Bewußt sein muß uns allerdings, daß die heutige Beschlußempfehlung nur einen Teil des Problems umfaßt. In den Laogai-Lagern wird nämlich nicht nur Kinderspielzeug hergestellt, sondern es werden auch andere Produkte hergestellt,. nämlich Tee, Werkzeuge, Textilien, Chemikalien, Mineralien und Rohstoffe. Es kann nicht angehen, daß wir uns bei Kinderspielzeug anrühren lassen, weil hier der Gegensatz zwischen Zwangsarbeit und Kinderglück besonders scharf hervortritt, und bei weniger anrührenden Produkten die finstere Seite der Herkunft übergehen. Wer den Import von Kinderspielzeug aus den Zwangsarbeitslagern in China unterbinden will, muß bereit sein, dies für alle Produkte zu tun, die unter solchen Produktionsbedingungen erzeugt worden sind - in China und auch anderswo in der Welt.
Im Verhältnis zu China muß es das Ziel bleiben, zwischen der Europäischen Union und China eine Vereinbarung zu treffen, wie sie mit dem „Memorandum of Understanding on Prohibiting Import and Export Trade in Prison Labor Products" zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China abgeschlossen worden ist. Dieses Memorandum verbietet den Ex- und Import von Produkten aus Gefangenenarbeit und sieht Regelungen zur Überprüfung und Kontrolle in Zweifelsfällen vor.
Sollte ein solches Abkommen mit China nicht erreicht werden können, so müßte beim nachgewiesenen Export von Produkten aus Zwangsproduktion einseitig von der EU-Verordnung 3281/94 Gebrauch gemacht werden, welche für solche Fälle die Rücknahme von Zollpräferenzen vorsieht, oder von Art. XX des WTO/GATT-Abkommens, der es auch einzelnen Ländern - wie Deutschland - erlaubt, „Maßnahmen hinsichtlich der in Strafvollzugsanstalten hergestellten Waren" zu ergreifen.
Wenn sich die heutige Entschließung des Bundestages auch nur auf den Teilbereich des Kinderspielzeuges bezieht, so bleibt doch die Erwartung, daß die Bundesregierung durch diesen Impuls angestoßen wird, sich des Problems nun endlich in seiner ganzen Breite anzunehmen.
Die Handelspolitik pflegt immer sehr reserviert zu reagieren, wenn die Forderung nach Sozial- oder Ökostandards laut wird, unter denen Produkte zu erzeugen sind, die für den Ex- bzw. Import vorgesehen sind. Dieses kann allerdings keinesfalls für Waren gelten, welche aus Zwangsarbeitslagern stammen. Es ist überhaupt erstaunlich, wie wenig die menschenrechtliche und soziale Seite der Produktion im Handel beachtet wird. Es ist selbstverständlich, bestimmte technische Anforderungen, wie zum Beispiel VDE-Sicherheit, oder ökologische Anforderungen, wie zum Beispiel das Vorhandensein eines Katalysators, an die Produkte zu stellen. Aber hinsichtlich der Arbeitsbedingungen für die Menschen, welche die Produkte herstellen, werden kaum Anforderungen gestellt. Das allermindeste ist es da, daß wir nicht erlauben, daß Produkte im Umlauf sind und mit Produkten Geld verdient wird, an denen Schweiß, Tränen und Blut hängen.
Dieser ersten Initiative des Bundestages in bezug auf das Kinderspielzeug müssen deshalb noch weitere und umfassendere folgen.
Als nächster spricht der Kollege Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluß dieser wahrlich turbulenten Plenarwoche demonstrieren wir mit dem Antrag über das Importverbot von Kinderspielzeug aus chinesischen Arbeitslagern, daß wir uns in einer Sache auch einig sein können. Das tut zur Abwechslung mal wieder ganz gut.
Jürgen Türk
Alle Fraktionen fordern die Überprüfung der schwerwiegenden Behauptung, daß die Volksrepublik China in Straflagern produziertes Kinderspielzeug nach Deutschland exportiert; und sie fordern - weiter gehend als der zuerst vorliegende Antrag der Grünen -, dieser Einfuhr bei Verstößen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU einen Riegel vorzuschieben.
Andere Länder, andere Sitten. Diese Kurzformel ist die neue alte Begründung für die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes bei Menschenrechtsfragen. Das Exportverbot von Kinderspielzeug aus Zwangsarbeit in Strafgefangenenlagern hat nichts mit der Verhinderung von freiem Welthandel oder mit Protektionismus zu tun. Die Freiheit im Welthandel findet gerade dort ihre Begrenzung, wo sie auf Kosten der Unfreiheit von Menschen beruht.
Dies darf aber nicht nur für Kinderspielzeug gelten - das wurde schon gesagt -, sondern muß für alle Produkte aus Zwangsarbeit gelten.
Wir geben der Bundesregierung einen Auftrag zur Überprüfung der schwerwiegenden Behauptung des Imports von Kinderspielzeug aus chinesischen Zwangslagern. Diesen Prüfauftrag, auch wenn er schwer auszuführen ist - das müssen wir ehrlicherweise sagen -, wünscht im übrigen auch der deutsche Spielwarenhandel.
Wir fordern in unserem Antrag die Überprüfung der Selbstverpflichtungsvorgaben des europäischen Dachverbandes der Spielzeugwarenhersteller und deren Einhaltung bei Importen. Es muß im Selbstinteresse der Spielzeugwarenhersteller liegen, alles Erdenkliche zu tun, damit dieser Vorwurf aus der Welt geschafft wird und bei Verstößen rigoros vorgegangen werden kann.
Die Verluste durch Spielzeug, an dem im wahrsten Sinne des Wortes Blut klebt, sind für die Spielzeughersteller und -importeure um ein Vielfaches größer als die vermeintlich schnell gemachte Mark durch diese Produkte, wenn das Vertrauen der Kunden damit verlorengeht.
Sollte sich die Behauptung über den Spielwarenexport aus chinesischen Zwangslagern bestätigen, so darf das Einfuhrverbot nicht nur für Deutschland, sondern muß für die gesamte EU gelten: nicht nur, weil eine EU-Verordnung diesen Handel untersagt, nicht nur, weil durch Umdeklarieren in einem anderen EU-Land sonst keine Chance mehr auf Verhinderung der Einfuhr nach Deutschland besteht, sondern weil ein vereintes Europa mindestens bei Menschenrechten die gleiche Sprache sprechen sollte. Darum halte ich den Hinweis auf die europäische Ebene im Antrag für besonders wichtig.
Vielen Dank.
Jetzt hat der Herr Kollege Hartmann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen komme, einige einleitende Worte vorweg: Bei seiner Chinareise hatte Außenminister Kinkel eine Bürgschaftserklärung der deutschen Hermes-Kreditbank über 500 Millionen DM im Koffer. Das war am Parlament vorbei von der Bundesregierung entschieden worden. In dieser Größenordnung sollen sich die deutschen Firmen an dem höchst umstrittenen chinesischen Drei-Schluchten-Staudamm-Projekt beteiligen.
Man sei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vorteile überwiegen. Aber damit sind mit Sicherheit nicht die Vorteile für die chinesische Bevölkerung gemeint.
Nun zum vorliegenden Antrag der Bündnisgrünen. Der Wille, der schamlos auf Wirtschaftsprofit ausgerichteten Südostasienpolitik der Bundesregierung ein an den Menschenrechten orientiertes Herangehen entgegenzusetzen, ist sichtbar und findet deshalb unsere volle Unterstützung. Natürlich lehnt die PDS entwürdigende Lebensverhältnisse für Menschen ab, auch für Gefangene. Natürlich muß die entwürdigende Lebenssituation von Gefangenen kritisiert werden.
Die PDS tut das, nicht nur wenn es China betrifft, sondern auch anderswo.
Die in der Beschlußfassung beantragte Untersuchung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in den Gefängnissen und Lagern kann deshalb nur nützlich sein, weil dabei auch solche Fragen geklärt werden können, wie sie hier in der Debatte aufgeworfen wurden.
Nur, wir sollten auch nicht übersehen, was aus Gewinnsucht in Europa, vor unserer eigenen Haustür, geschieht. Mancher, der hier so vollmundig über die Einhaltung der Menschenrechte in Asien gesprochen hat, sollte sich einmal dafür interessieren, unter welchen Arbeits- und Lebensbedingungen und für welchen Lohn Menschen in dem Gürtel der Billiglohnländer, von Portugal über die Türkei bis nach Polen, mit dem sich „Kerneuropa" umgeben hat, produzieren. Haben Sie einmal gesehen, wie polnische Familien Kugelschreiber kistenweise zusammenmontie-
Hanns-Peter Hartmann
ren, um dafür einen Stundenlohn von umgerechnet knapp einer Mark zu bekommen?
Ich wiederhole deshalb: Es darf in diesem Bundestag nicht an deutlicher Kritik an der gewinnsüchtigen Außenpolitik der Bundesregierung fehlen. Dieser Politik, meine Damen und Herren, erteilt die PDS eine ganz klare Absage.
Vielen Dank.
Jetzt hat der Abgeordnete Erich Fritz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Handelsfragen - das ist in dieser Debatte schon mehrfach deutlich geworden - können nicht von anderen politischen Zielen abgekoppelt werden. Es gibt nicht eine Welt des Handels, eine für Menschenrechte, eine für Arbeitsverhältnisse, eine andere für Umweltfragen, sondern es gibt sozusagen nur das ganze Leben.
Auf der anderen Seite dürfen die Handelsfragen nicht in der Weise überfrachtet werden, daß man alles über den Handel abwickeln will. Dann ist er nämlich bald nicht mehr möglich. Man muß nach Lösungswegen suchen, die auf der einen Seite den nationalen Standpunkt in solchen Fragen ganz deutlich machen, die auf der anderen Seite aber vor allen Dingen dazu beitragen, daß das multilaterale System funktioniert und weiter ausgebaut wird. Man muß dafür sorgen, daß die globalen Verhältnisse im Handelssystem so gestaltet werden, daß auf Dauer Erscheinungen wie jene, die wir hier behandeln, beseitigt werden.
Bilaterale Wege sind immer weniger geeignet, erfolgreiche Beiträge zur Lösung von Problemen zu liefern. Einseitige nationale Maßnahmen sind so gut wie aussichtslos. Deshalb ist auch in Richtung China Schritt für Schritt in multilateralen Vereinbarungen der Versuch zu unternehmen, dieses Land einzubinden. Was wir hier tun, ist dazu ein wichtiger Beitrag. Es ist auch in der deutschen Öffentlichkeit spektakulär. Es ist etwas, woran man Diskussionen neu entzünden kann.
Daneben brauchen wir ganz zielstrebige und in jedem einzelnen Punkt bewußte Schritte. Deshalb glaube ich, daß der Weg, alles dafür zu tun, mit China zu reden, es dahin zu führen, daß es Mitglied der Welthandelsorganisation, WTO, werden kann, richtig ist. Heute müssen viel größere Hoffnungen auf diese Veränderungen gesetzt werden als auf alte politische Rezepte, wie wir sie aus der Zeit der bipolaren Welt kennen.
Hier wurden bereits Art. 20 des GATT und die europäische Regelung angesprochen. Ich will darauf nicht noch einmal eingehen. Es gibt also Möglichkeiten, auf der Basis von internationalen Regularien bei
Importen aus Straflagern entsprechend tätig zu werden. Es ist gut, daß es dieses Instrument gibt. Deshalb haben wir es in dem Antrag als Ultima ratio aufgeführt, auch als Aufforderung an die Bundesregierung, dieses Thema ernst zu nehmen. Wir haben in der Debatte vor einem Jahr gesagt: Wir wollen diesen Sachverhalten ernsthaft nachgehen. Ich glaube, das haben wir in der Zwischenzeit in gemeinsamen Diskussionen getan.
Der bessere und nach meiner Auffassung auf Dauer wirksamere Weg besteht allerdings darin, die Akteure des Welthandels und vor allem die Konsumenten aufzuklären, sie sensibel zu machen und sie zu einem anderen Verhalten zu ermuntern. Deshalb bin ich sehr froh, daß wir diesen gemeinsamen Weg gefunden haben. Wir wollen auf diesem Weg der Selbstverpflichtung und ihrer Kontrolle vorangehen, um bei dieser Gelegenheit Erfahrungen zu sammeln, ob es denn wirklich realistisch ist, das, was man sich mit dem Komitee zur Überprüfung vor Ort vorgenommen hat, auf privater Basis durchzuführen. Das ist nach meiner Kenntnis etwas Neues. Es ist eine sehr spannende Geschichte, ob wir andere Vorgehensweisen finden.
Es wird immer darauf hingewiesen, daß die Amerikaner in dieser Hinsicht sehr streng sind. In den USA gibt es die Diskussion, daß man sehr sorgfältig unterscheiden müsse zwischen der Arbeit in Straflagern generell, was gar nicht zu Importrestriktionen führen müsse, und den Arbeitsverhältnissen in den Lagern. Die ILO unterscheidet dies in ihrer Konvention ebenso.
Ich glaube, gerade in Richtung China sollten wir diese Unterscheidung nicht treffen. Eine derartige Unterscheidung kann man nur vornehmen, wenn ein auf der Basis eines rechtsstaatlichen Verfahrens Verurteilter eine Strafe auf sich nehmen muß. Aber das, was in China vor sich geht, hat mit alldem nichts zu tun. Dort herrscht reine Willkür.
Ich meine, es ist gut, daß wir gemeinsame Positionen gefunden haben. Das gilt generell für die Frage der Menschenrechte.
Ich möchte davor warnen - das klang hier heute ein wenig an -, in diesem Parlament folgende Form der Arbeitsteilung zu praktizieren. Damit meine ich gar nicht unbedingt diejenigen, die dazu gesprochen haben. Frau Grießhaber ist viel zu anständig, um so etwas zu tun. Häufig klingt in der öffentlichen Diskussion durch, die einen seien sozusagen für die hohe Moral und die Menschenrechte zuständig, die anderen für die Arbeitsplätze. Ich glaube, die Diskussion dürfen wir so nicht führen. Sie macht das Parlament auch unglaubwürdig.
Natürlich ist richtig, daß wir eine hohe moralische Position haben. Aber geben Sie bitte denjenigen, die das tägliche Geschäft des Umgangs mit diesen Regimen pflegen müssen, den Spielraum, von Fall zu Fall zu entscheiden, was möglich ist. Denn natürlich können wir Resolutionen machen, aber Sie können im Umgang mit dem Regime vor Ort und bei Auftragsabschlüssen nicht jeweils Resolutionen verfassen
Erich G. Fritz
oder große Statements halten, sondern Sie müssen darauf drängen, daß jedesmal ein wenig verbessert wird.
Sehen wir uns an, wie schnell sich jetzt das entwikkelt hat, was mit dem WTO-Prozeß in Richtung Arbeits- und Umweltstandards begonnen hat. Vor einem Jahr hätten wir alle zusammen noch nicht geglaubt, daß diese Dinge in Singapur auf der Tagesordnung stehen würden. Ich setze in diese Sache sehr viel Vertrauen und glaube, daß das Wort vom Wandel durch Handel nicht eine leere Floskel ist, sondern daß wir durch die Einbindung jeweils einen Schritt weiterkommen.
Das ist ein langer Prozeß, aber wir müssen diesen Weg gehen, weil er erfolgversprechend ist und dafür sorgt, daß die Verhältnisse auch in China besser werden.
Herzlichen Dank.
Als letzter hat der Parlamentarische Staatssekretär Kolb das Wort für die Bundesregierung.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die bisherigen Beratungen dieses Antrags haben Übereinstimmung darüber gezeigt, daß wir einen Import von Spielwaren, die in chinesischen Straflagern hergestellt wurden, nicht dulden können. Ich will zu Beginn ganz deutlich sagen: Wir wollen kein Geschäft mit der Notlage von Menschen machen, die in solchen Lagern unter schwierigsten Umständen leben müssen. Diese Haltung - eigentlich eine Selbstverständlichkeit - wird auch von allen mir bekannten Wirtschaftsvertretern und Verbänden geteilt.
Auch auf internationaler Ebene zeichnet sich eine einhellige Ablehnung der Importe aus Arbeitslagern ab. Ich verweise hierzu nur auf Resolutionen Nr. 29 und 105 der ILO und auf die bereits im Antrag zitierte EU-Verordnung 3281/94.
Die Bundesregierung begrüßt daher auch nachdrücklich die Initiative des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie. Er hat bekanntlich seine Mitglieder veranlaßt, die Selbstverpflichtung einzugehen, kein Spielzeug aus chinesischen Straflagern zu importieren.
Wichtig ist, Frau Kollegin Grießhaber: Bisher konnte in der Bundesrepublik noch kein Spielzeugimport aus chinesischen Straflagern nachgewiesen werden. Ich möchte aber gleichwohl heute erneut unterstreichen - ich habe das bereits früher gesagt -: Die Bundesregierung wird auch in Zukunft jedem konkreten Hinweis nachgehen und, falls er sich als zutreffend erweisen sollte, alles tun, um solche Importe zu verhindern.
Diese Haltung der Bundesregierung ist im übrigen auch der chinesischen Regierung bekannt, die ihrerseits darauf hingewiesen hat, daß sie den Export von
Produkten, die in Straflagern hergestellt wurden, verboten hat.
Ein Importverbot - das streben Sie an - für solche Waren ist im Rahmen des Art. 20 des GATT zwar grundsätzlich möglich, aber man muß sehen, daß die Zuständigkeit hierfür bei der Europäischen Union liegt. Das heißt, ein Importverbot könnte durch Deutschland allein nicht verhängt werden. Voraussetzung für ein EU-Importverbot sind in jedem Fall konkrete und nachprüfbare Beweise. Hieran fehlt es bisher.
Sie können sicher sein, daß die Bundesregierung zusammen mit ihren Partnern in der Europäischen Union und den USA die Situation auch weiterhin sehr genau beobachten und den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages hierüber entsprechend dem Petitum des vorliegenden interfraktionellen Antrags berichten wird. Das schließt insbesondere auch die Frage der Einhaltung und Überprüfung der erwähnten Selbstverpflichtung ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Grießhaber hat dem deutschen Botschafter in Peking, wenn ich das richtig verstanden habe, mangelhaftes Demokratieverständnis und eine Brüskierung des Parlamentes vorgeworfen. Ich weise diese Vorwürfe nachdrücklich zurück. Ich nehme an, daß sich diese Vorwürfe, Frau Kollegin Grießhaber, auf eine verzerrende Wiedergabe der Äußerungen von Botschafter Seitz in der Presse stützen.
Ich möchte an dieser Stelle eindeutig feststellen: Botschafter Seitz hat sich bei dem Treffen des AsienPazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft in Neu-Delhi keineswegs von der Tibet-Resolution des Deutschen Bundestages distanziert, sondern in seinem Vortrag lediglich die chinesische Sichtweise zur Entwicklung des bilateralen Verhältnisses während dieses Jahres referiert, und das in einer Weise, daß niemand hieraus falsche Schlüsse ziehen könnte, der sich ernsthaft die Mühe macht, die Äußerungen so zur Kenntnis zu nehmen, wie sie in Neu-Delhi tatsächlich gemacht worden sind. Daß die chinesische Führung der Resolution dieses Hauses kritisch gegenübersteht, wird niemanden überraschen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poppe?
Ja, bitte sehr.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie hier ausdrücklich dementieren, daß das in einer großen deutschen Tageszeitung in Anführungsstrichen zitierte Wort des Deutschen Bundestages als antichinesische Lobby im Zusammenhang mit der gemeinsam beschlossenen Resolution unzutreffend und nicht gefallen ist?
Herr Kollege, was ich zu
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
sagen habe, habe ich hier bereits gesagt. Herr Botschafter Seitz hat in seinem Vortrag dort die Position der chinesischen Regierung referiert. Ich kann ausschließen, daß er selbst eine solche Äußerung mit solchem Inhalt getätigt hat. Das ist selbstverständlich und bedarf hier auch keiner besonderen Erwähnung.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Bindig?
Eine noch.
Herr Staatssekretär, da das eine wichtige und auch sensible Frage ist: Können Sie vielleicht arrangieren, daß den Rednern, die in der Debatte zu diesem Punkt gesprochen haben, der Wortlaut der dortigen Rede des deutschen Botschafters zugeleitet wird, damit wir uns an der Urquelle orientieren können?
Herr Kollege Bindig, ich halte es für einen ausgezeichneten Vorschlag und werde es gerne tun. Ich glaube, das ist auch geeignet, die hier und in der Presse teilweise aufgetretenen Mißverständnisse aus der Welt zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß. Ich betone abschließend noch einmal: Exporte aus Straflagern können wir nicht hinnehmen. Dem Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen in der jetzigen interfraktionellen Fassung stimme ich von daher auch im Namen der Bundesregierung zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen Import von Kinderspielzeug aus chinesischen Arbeitslagern auf Drucksache 13/5079. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3054 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit einstimmig mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. November 1996, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und den Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.