Wenn die Opposition auch sonst einsparen würde, wären wir ebenfalls dankbar.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Es ist natürlich nicht zu bestreiten, daß der Kapitalmarkt in Deutschland im Moment noch unzureichend funktioniert. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß wir unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet noch verzehnfachen müssen, um den etwa zehnjährigen Rückstand in der Marktkapitalisierung im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern aufzuholen.
Solange jedoch der Finanzplatz Deutschland insgesamt einen deutlich besseren Ruf hat als - sagen wir einmal - der Finanzplatz Saarland, brauchen wir von Herrn Lafontaine und Co. in Sachen Kapital bestimmt keinen Nachhilfeunterricht.
Mit Teilen der Opposition gerade über Kapital und Kapitalisierung zu reden ist für mich schon sehr gewöhnungsbedürftig, wahrscheinlich genauso gewöhnungsbedürftig, wie mit einem Elefanten über Porzellan, mit einem Moslem über Schweinesteaks oder mit einem Einbrecher über die Zukunft von Sicherheitsschlössern zu reden.
Sie verdrängen in Ihrem Antrag die Tatsache, daß kleine und mittlere Unternehmen für Anleger nur bei einer guten Ertragslage interessant sind. Sie sind es, die hier verhindern, daß sich die Besteuerung nicht
Dagmar Wöhrl
dauernd an der Unternehmenssubstanz vergreift. Das muß hier ganz deutlich erwähnt werden.
In Ihrem Antrag sind durchaus vernünftige Maßnahmen enthalten - mit einem kleinen Nachteil:
Sie sind wirklich nicht neu. Wenn Sie vorhin dem Herrn Staatssekretär zugehört hätten, wüßten Sie, daß viele Maßnahmen schon auf den Weg gebracht worden sind und wir momentan dabei sind, sie zu realisieren.
- Sie haben genau die gleichen Vorlagen wie wir.
- Sie wissen genau Bescheid über das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz; Sie wissen genauso über die Börsenreformen Bescheid wie wir alle im Saal.
Wir wissen, auf Grund von Kapitalknappheit fehlen notwendige Investitionen für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und der Arbeitsplätze. Auf der anderen Seite hat sich unser Geldvermögen von 1980 bis 1992 real sogar um 68 Prozent vermehrt. Allein die Zinseinnahmen daraus betragen fast 900 Millionen DM täglich. Diese Tatsache muß man berücksichtigen.
Zum Homo oeconomicus kann man bemerken: Der deutsche Sparer ist sicherheitsliebend. Das wissen wir. Er pflegt sein sauer Verdientes auf dem Sparbuch zu 2 Prozent Zinsen anzulegen, vielleicht noch in Bundesschatzbriefen zu 5 Prozent.
Hierin liegt das Problem: Sein Geld arbeitet nicht; es ruht statt dessen in Immobilien, steuerbegünstigten Abschreibungsmodellen oder in festverzinslichen Papieren.
Obwohl unsere Medien von früh bis spät über den neuesten Stand des deutschen Aktienindexes berichten, gibt es bei uns kaum soviel Aktionäre, daß mit ihnen die Fünf-Prozent-Hürde bei einer Bundestagswahl zu schaffen wäre.
Trotz Vermögen in Billionenhöhe - das wissen auch Sie - meiden die Bürger in Deutschland die Aktienbörse, man kann sogar sagen: wie der Teufel das Weihwasser. Jeder fünfte Amerikaner und jeder vierte Kanadier investiert in Aktienbesitz, bei uns ist es nur jeder achtzehnte Bürger.
Wir erreichen eine stärkere Beteiligung der Bürger nur über eine Vergrößerung der Ertragschancen von Risikokapital. Das ist, glaube ich, unstrittig. Denn solange dem im Vergleich zu anderen Anlageformen größeren Risiko nicht auch wesentlich größere Ertragschancen gegenüberstehen - sondern im Gegenteil oft sogar geringere -, ist es schwer, hier eine Trendwende zu erreichen.
Hierzu sind wiederum vor allem steuerpolitische Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Ertragslage der Unternehmen dringend notwendig. Es ist nicht so, wie Sie vorhin gesagt haben, daß die Gewerbekapitalsteuer in diesem Zusammenhang nichts zu bedeuten habe. Wir müssen auch dahin kommen, daß der Begriff Gewinn nicht immer wieder im Sinne eines Schimpfwortes gebraucht wird.
Unser Ziel muß es sein, daß wir ein generell investitionsfreundliches Unternehmensteuerrecht bekommen, das die Eigenkapitalbildung fördert. Dazu gehören unter anderem auch die Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung des Eigenkapitals sowie der aktiven Kapitalanlagen gegenüber anderen Anlageformen, Anreize für das finanzielle Engagement bei innovativen Existenzgründungen,
steuerliche Präferenzen für einbehaltene, in das Unternehmenswachstum investierte Gewinne und auch die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer sowie die Senkung der Gewerbeertragsteuer.
Liebe Kollegen, dem Aufbau eines funktionierenden Eigenkapitalmarktes stehen bei allen Beteiligten auch viele mentale Widerstände entgegen - bei den mittelständischen Unternehmen ebenso wie bei den Banken und Anlegern. Zum Kapitalmarkt zu gehen bedeutet für den deutschen Unternehmer, sich zu entblößen. Er muß seine Zahlen offenlegen, einen Aufsichtsrat berufen, in der Hauptversammlung öffentlich Rede und Antwort stehen. Das widerstrebt unwahrscheinlich vielen. Es sind nur sehr wenige bereit, Mitsprache und Kontrollrechte externer Kapitalanleger zu akzeptieren und um ihre Anleger mit einem offenen Visier zu werben.
Hier muß man es schaffen, daß Unternehmer ihre Vorstellungen von einem geschlossenen Unternehmen aufgeben, daß sie kooperativer und informationsfreudiger werden, daß Publizitätsphobien und Überfremdungsbefürchtungen objektiviert werden.
Dazu kommt noch ein anderes Problem. Kleinaktionäre stehen natürlich auch bei Großunternehmen oft nicht sehr hoch im Kurs. Es wird sehr massiv um sie geworben. Die Wertschätzung eines solchen Kleinaktionärs hält sich jedoch sehr in Grenzen. Als Geldgeber ist er äußerst willkommen. Kurssteigerungen gönnt man ihm. Als Dividendenempfänger wird er gerade noch geduldet. Als mitbestimmender Eigentümer jedoch hat der „shareholder" oft überhaupt keinen „value".
Auch emissionsbegleitende Banken, Zulassungsausschüsse und freie Makler zeigen wegen der höheren Risiken oft keine Begeisterung, Mittelständler an die Börse zu bringen. Unsere Banken betrachten den bisherigen Umsatz noch viel zu statisch als Krite-
Dagmar Wöhrl
rium für die Börsenfähigkeit, hingegen viel zuwenig das Entwicklungspotential, das in einem Unternehmen steckt.
Doch gerade für unseren Mittelstand mit seinem Eigenkapitalmangel, seiner anstehenden Nachfolgeregelung und seinen strukturellen Defiziten kann insbesondere der Gang zur Börse Abhilfe schaffen und ist auch oft der beste Weg. Es zeigt sich auch immer wieder, daß die Hemmschwelle des Mittelständlers, den Gang zur Börse einzuschlagen, noch sehr hoch ist.
Man muß hier aber auch ganz offen und ehrlich aussprechen, daß mittelständische Unternehmen im Vergleich zu Großunternehmen natürlich viele zusätzliche Probleme zu lösen haben. Sie haben nicht die personellen und finanziellen Ressourcen wie ein Großkonzern für die Vorbereitung der Emissionen und zur Erfüllung der Anforderungen des organisierten Kapitalmarkts nach dem Börsengang.
Deshalb ist es wichtig, daß neben der Emissionsbegleitung durch die Banken zusätzlich eine Betreuung nach der Aufnahme der Notierung erfolgt, damit sich auch die Mittelständler nach der Aktieneinführung mit Fragen der Ad-hoc-Publizität, Investor-Relations usw. auseinandersetzen können.
In der Umsetzung der EU-Wertpapier-Dienstleistungsrichtlinie ist die erleichterte Zulassung von Wertpapierhandelshäusern vorgesehen. Eine Aufgabe dieser Häuser ist die Emissionsbegleitung. Es stellt sich die Frage, ob man das Angebot auch auf die weitere Betreuung von Börsenneulingen nach der Emission ausdehnen könnte.
Wir wissen: Die Deutsche Börse AG hat ein eigenständiges Börsensegment „Neuer Markt" für innovative, wachstumsträchtige kleine Unternehmen geplant. Dies ist in ein Netzwerk europäischer Wachstumsbörsen eingebettet. Es wird eine enge Zusammenarbeit mit dem „Nouveau Marché" und dem geplanten belgischen „New Market" angestrebt. Das bedeutet unter anderem: gemeinsames Marketing, einheitliche Regelung der Börsenzulassung und Publizitätsanforderungen. An diesem Beispiel, glaube ich, sieht man sehr gut, daß die Kooperation nationaler Börsen in gleicher Weise Vorteile bieten kann wie die Kooperation mit großen zentralen europäischen Börsen. Speziell für mittelständische Unternehmen sollen jetzt auch an der bayerischen Börse ein eigenes Marktsegment „Prädikatsmarkt München" sowie eine eigene Unternehmensdatenbank geschaffen werden.
Unsere demographische Entwicklung macht eine größere Vielfalt von Vorsorgesystemen und mehr Eigenverantwortung notwendig. Rund 100 Milliarden DM legen die Deutschen jährlich für das Alter zurück. Der Löwenanteil - das wissen wir - wandert in die Lebensversicherungen. Pensionsfonds sind in den USA mit einem Marktanteil von rund 44 Prozent der größte Kapitalgeber der US Venture Capital Market. Altersvorsorge über ein Pensionssondervermögen, in dem Aktien, Renten und Immobilien in einem Fonds verwaltet werden, ist hier der richtige Weg. Neben der Kapitalansparung für das Alter, die man hier bekommt, würde auch der Wagniskapitalmarkt durch diesen Investitionsweg vergrößert werden.
Man kann sagen: Die Zukunft sitzt uns im Nacken. Wichtig ist aber, daß der Staat seine Bürger endlich mündig spricht, daß öffentliche Aufgaben wieder mehr auf private Schultern verteilt werden, das Steuersystem restrukturiert und weitere Deregulierungen vorgenommen werden. Von diesen Maßnahmen - davon bin ich überzeugt - wird vor allem der Aktienmarkt profitieren. So können wir es vielleicht schaffen, daß wir zu einer neuen Epoche der deutschen Aktie kommen.
Aber trotz unserer vielfältigen Initiativen am Finanzplatz Deutschland, die wir zum Teil abgeschlossen haben und die zum Teil im Moment in der Bearbeitung sind, dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, unsere Aktienkultur weiterzuentwickeln und unseren Kapitalmarkt zu verbreitern.
Unser Finanzplatz ist jedoch nicht eine Art gigantisches Kasino, in dem wir als Spieler nur eine Glückssträhne brauchen. Vielmehr sind wir alle Aktionäre in einer großen „Deutschland AG", und auf die Dividenden der Zukunft sind wir alle angewiesen.
Vielen Dank.