Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor fast genau einem Jahr haben wir uns hier mit einem besonders düsteren Kapitel des chinesischen Herrschaftssystems befaßt, der Existenz des chinesischen Archipel Gulag, des Laogai-Systems. In den Laogai-Lagern, den „Reform durch Arbeit"-Lagern, werden aus den verschiedensten Gründen Millionen von Gefangenen festgehalten, unter denen nach Angaben chinesischer Dissidenten zirka hunderttausend politische Gefangene sind. Die Gefangenen müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Wir haben uns darüber unterhalten, daß in diesen Lagern in Zwangsarbeit eine Palette von Produkten hergestellt wird, die in den wirtschaftlichen Kreislauf in China eingebracht werden und für den Export bestimmt sind, mit dem Ziel, Devisen zu verdienen.
Besonders kraß wird der Gegensatz zwischen der Produktionsweise in Zwangsarbeitslagern und dem Verwendungszweck der erzeugten Güter empfunden, wenn es sich um Kinderspielzeug handelt. Weihnachtsbaumschmuck und Teddybären auf deutschen Gabentischen, die unter sklavenartigen Bedingungen hergestellt worden sind - das rüttelt auf bei den Bürgern im Land und auch hier im Parlament.
Für den Bereich „Kinderspielzeug aus chinesischen Arbeitslagern" ist aus den Beratungen in den Fachausschüssen ein gemeinsamer Antrag hervorgegangen, mit dem Titel „Verhinderung von Spielzeugimporten aus chinesischen Straflagern" . Gemeinsam wollen wir die Bundesregierung auffordern, zu prüfen, ob es zutrifft, daß entgegen offizieller chinesischer Darstellung doch Spielzeug in die Bundesrepublik Deutschland exportiert wird, das in Arbeitslagern produziert worden ist. Die Bundesregierung soll ferner berichten, wie konsequent die Selbstverpflichtungsvorgaben des Europäischen Dachverbands der Spielwarenhersteller von den europäischen und deutschen Importeuren eingehalten werden und wie die Einhaltung überprüft wird. Bei verifizierbaren Verstößen gegen die Selbstverpflichtung soll die Bundesregierung in der Europäischen Union Schritte zur Unterbindung von Spielzeugimporten aus chinesischen Arbeitslagern ergreifen.
Die Empfehlung geht deutlich über das hinaus, was zur Frage des Imports von Spielwaren aus chinesischer Zwangsproduktion bisherige Praxis im Bundeswirtschaftsministerium gewesen ist. Dort hat man sich bisher passiv verhalten und abgewartet, ob dem Bundeswirtschaftsministerium „verifizierbare Verstöße" zugetragen werden. Selbst sorgfältig recherchierten Berichten wie dem ARD-Fernsehbericht „Laogai" des Westdeutschen Rundfunks ist man mit Skepsis und eher mit einer Abwehrhaltung begeg-
Rudolf Bindig
net. So wurde mir aus dem Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt, daß es nicht leicht sei, dem ARD-Bericht verwertbare und belastbare Beweise zu entnehmen, daß die darin gezeigten Erzeugnisse ihren Ursprung tatsächlich in Straflagern haben. Es handele sich durchweg um Massengüter ohne jede Individualität, die sich nicht eindeutig einer bestimmten Produktionsstätte zuordnen ließen. Selbst sorgfältig recherchierte Nachweise werden so zurückgewiesen.
Dies ist eine Verhaltensweise, die man auch das „Schützenpanzersyndrom" der Bundesregierung nennen kann.
So hat die Bundesregierung bei der Frage des Nachweises, ob in die Türkei gelieferte Schützenpanzer im Kampf gegen die Kurden und zur Unterdrückung der Bevölkerung in Ostanatolien verwendet werden, immer auf einer Beweislastumkehr der Art bestanden, daß von Kritikern zu 100 Prozent der Beweis einer Beteiligung eines aus deutscher Lieferung stammenden Schützenpanzers zu erbringen ist. Selbst eine hohe Anscheinsvermutung reichte der Bundesregierung nicht aus.
Damit bei dem Spielzeug aus chinesischer Zwangsproduktion nicht ähnlich verfahren werden kann, hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, nunmehr selbst aktiv tätig zu werden und zu prüfen, ob es nicht doch zu einem Import von Spielzeug, das in Arbeitslagern produziert worden ist, in die Bundesrepublik Deutschland kommt. Wir hoffen und erwarten, daß die Bundesregierung auf Grund der Aufforderung aus dem Bundestag nunmehr wirklich aktiv wird und von sich aus allen Hinweisen nachgeht, daß sie selbst nach Belegen für den Import von Kinderspielzeug aus dem Laogai-System fahndet und nicht mehr wie bisher nur Hinweise an sich herantragen läßt und diesen mit abwehrender Skepsis begegnet.
Bewußt sein muß uns allerdings, daß die heutige Beschlußempfehlung nur einen Teil des Problems umfaßt. In den Laogai-Lagern wird nämlich nicht nur Kinderspielzeug hergestellt, sondern es werden auch andere Produkte hergestellt,. nämlich Tee, Werkzeuge, Textilien, Chemikalien, Mineralien und Rohstoffe. Es kann nicht angehen, daß wir uns bei Kinderspielzeug anrühren lassen, weil hier der Gegensatz zwischen Zwangsarbeit und Kinderglück besonders scharf hervortritt, und bei weniger anrührenden Produkten die finstere Seite der Herkunft übergehen. Wer den Import von Kinderspielzeug aus den Zwangsarbeitslagern in China unterbinden will, muß bereit sein, dies für alle Produkte zu tun, die unter solchen Produktionsbedingungen erzeugt worden sind - in China und auch anderswo in der Welt.
Im Verhältnis zu China muß es das Ziel bleiben, zwischen der Europäischen Union und China eine Vereinbarung zu treffen, wie sie mit dem „Memorandum of Understanding on Prohibiting Import and Export Trade in Prison Labor Products" zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China abgeschlossen worden ist. Dieses Memorandum verbietet den Ex- und Import von Produkten aus Gefangenenarbeit und sieht Regelungen zur Überprüfung und Kontrolle in Zweifelsfällen vor.
Sollte ein solches Abkommen mit China nicht erreicht werden können, so müßte beim nachgewiesenen Export von Produkten aus Zwangsproduktion einseitig von der EU-Verordnung 3281/94 Gebrauch gemacht werden, welche für solche Fälle die Rücknahme von Zollpräferenzen vorsieht, oder von Art. XX des WTO/GATT-Abkommens, der es auch einzelnen Ländern - wie Deutschland - erlaubt, „Maßnahmen hinsichtlich der in Strafvollzugsanstalten hergestellten Waren" zu ergreifen.
Wenn sich die heutige Entschließung des Bundestages auch nur auf den Teilbereich des Kinderspielzeuges bezieht, so bleibt doch die Erwartung, daß die Bundesregierung durch diesen Impuls angestoßen wird, sich des Problems nun endlich in seiner ganzen Breite anzunehmen.
Die Handelspolitik pflegt immer sehr reserviert zu reagieren, wenn die Forderung nach Sozial- oder Ökostandards laut wird, unter denen Produkte zu erzeugen sind, die für den Ex- bzw. Import vorgesehen sind. Dieses kann allerdings keinesfalls für Waren gelten, welche aus Zwangsarbeitslagern stammen. Es ist überhaupt erstaunlich, wie wenig die menschenrechtliche und soziale Seite der Produktion im Handel beachtet wird. Es ist selbstverständlich, bestimmte technische Anforderungen, wie zum Beispiel VDE-Sicherheit, oder ökologische Anforderungen, wie zum Beispiel das Vorhandensein eines Katalysators, an die Produkte zu stellen. Aber hinsichtlich der Arbeitsbedingungen für die Menschen, welche die Produkte herstellen, werden kaum Anforderungen gestellt. Das allermindeste ist es da, daß wir nicht erlauben, daß Produkte im Umlauf sind und mit Produkten Geld verdient wird, an denen Schweiß, Tränen und Blut hängen.
Dieser ersten Initiative des Bundestages in bezug auf das Kinderspielzeug müssen deshalb noch weitere und umfassendere folgen.