Rede von
Hartmut
Büttner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung die Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Der Deutsche Bundestag hat dieses Gesetz 1991 mit großer Mehrheit, gegen die Stimmen der PDS, verabschiedet. Der Kernpunkt des Gesetzes war die Öffnung der Stasiakten für die ehemals Unterdrückten und ihre Nutzung für Forschung und Aufarbeitung. Die mögliche Alternative wäre eine Vernichtung der Akten gewesen. Nur, dann hätten die Opfer niemals erfahren, ob und wann sie das Ziel von Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes waren.
Es war vor allem Initiative und Auftrag der Bürgerbewegung, daß sowohl die frei gewählte Volkskammer als auch der Deutsche Bundestag diese Grundentscheidung akzeptierten. Dieses Gesetz war ohne Beispiel und ohne Vorbild. So war es völlig klar, daß im Laufe seiner praktischen Anwendung ein Änderungs- und Präzisierungsbedarf entstanden ist.
In Zeiten der Zunahme der politischen Auseinandersetzungen ist es noch wichtiger, daß einige sensible Bereiche der deutschen Politik im Konsens behandelt werden. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein solcher Bereich. Es war für die Akzeptanz dieses Gesetzes in unserer Bevölkerung sehr wichtig, daß wir uns über Parteigrenzen hinweg einigen konnten. Wir haben gezeigt, daß der demokratische Staat diese schwierigen Regelungen mit Augenmaß und Würde treffen konnte.
Die Fraktionen, die im Jahre 1991 das Gesetz einmütig auf den Weg gebracht hatten - CDU/CSU, F.D.P. und SPD -, haben sich in fast zweijährigen
Hartmut Büttner
Gesprächen bemüht, alle Änderungsvorschläge eingehend zu prüfen. Dabei stand für uns außer Frage, daß das Gesetz in seinem Grundbestand so wenig wie möglich angetastet werden sollte.
Auch der Zweite Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR belegt noch einmal nachdrücklich, daß sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz grundsätzlich bewährt hat. Deshalb erteilen wir auch all denjenigen eine ganz klare Absage, die nach einem Schlußstrich rufen.
Ein Straffreiheits- oder Amnestiegesetz lehnt die Mehrheit dieses Deutschen Bundestages eindeutig ab.
Die Novellierungsvorschläge gehen grundsätzlich in zwei Richtungen. Relativ unumstritten sind vorsichtige Ausweitungen der gesetzlichen Möglichkeiten. Unstrittig ist die zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit für Mitarbeiter von Fraktionen oder für Mitarbeiter von Abgeordneten usw.
Ebenso unstrittig ist die Begleitung bei Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, durch eine Person des Vertrauens. Das gilt ebenso für die Nutzung von NS-Akten, die vom MfS für Zwecke der Aufarbeitung gesammelt worden sind.
Auch die weitere Nutzung der Identifizierungsdaten aus dem ehemaligen zentralen Einwohnerregister der DDR durch die Gauck-Behörde bis zum Jahre 2005 trifft auf allgemeine Akzeptanz. Wir wissen: Ohne diese Daten wäre es in vielen Fällen, zum Beispiel bei Rentenfragen, unmöglich, Auskünfte zu erteilen. Allgemeine Zustimmung gibt es auch für die Verschiebung der Anonymisierung oder Löschung der eigenen Daten um zwei Jahre.
Kritik und Bedenken gab es gegen den Teil der Gesetzesvorschläge, der die bisherigen Möglichkeiten etwas einschränkt. Kritiker sehen vor allem in der Einführung der Stichtagsregelung „eine Amnestie durch die Hintertür" oder eine „vorzeitige Entlassung der Täter des SED-Unrechts aus der Verantwortung".
Tatsächlich geht es bei der Stichtagsregelung in der Sache um Personalüberprüfungen sechs Jahre nach der Einheit Deutschlands. In der Arbeitsgerichtsbarkeit kommt es bei einer lange zurückliegenden MfS-Zusammenarbeit kaum noch zu Kündigungen.
Es besteht außerdem zunehmend die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht wegen einer angeblichen Unverhältnismäßigkeit einer viele Jahre zurückliegenden Zusammenarbeit mit dem MfS einige Artikel des Stasi-Unterlagen-Gesetzes suspendiert. Damit geriete die Akzeptanz des ganzen Gesetzes in Gefahr. Mit unserer Neufassung dürften wir entsprechende Bedenken ausgeräumt haben.
Wir haben mit Argusaugen darauf zu achten, daß das Stasi-Unterlagen-Gesetz verfassungsfest bleibt. Deshalb geht es für die Einbringerfraktionen gerade nicht um eine Amnestie durch die Hintertür.
- Danke schön. - Wer sich 14 Jahre, bevor die SED-Diktatur durch die eigene Bevölkerung beseitigt wurde, bereits eindeutig vom Staatssicherheitsdienst gelöst hatte, dem sollte man diese Zusammenarbeit heute nicht mehr vorwerfen können, wenn er in den nachfolgenden eineinhalb Jahrzehnten keinerlei Kontakte zum MfS mehr hatte. Wer in der besonderen Situation einer Diktatur, deren Ende niemand vorhersehen konnte, so viel Kraft und Courage aufgeboten hatte, um sich eindeutig vom MfS zu trennen, ging wahrlich keinen einfachen Weg.
Die Stichtagsregelung gilt nicht bei Straftaten, die im Dienste des MfS verübt worden sind, und auch nicht bei Sicherheitsüberprüfungen. Zur Beurteilung, ob jemand sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben kann, können auch Erkenntnisse aus einem länger zurückliegenden Zeitraum von Bedeutung sein.
Von den Grünen wurde angeregt, die Gauck-Behörde solle weiterhin auch eine endgültig beendete Zusammenarbeit vor dem Jahre 1976 mitteilen, die personalführende Stelle solle dieses Wissen aber nicht gegen den Betroffenen verwerten dürfen.
Abgesehen davon, ob es rechtlich tatsächlich möglich ist, Kenntnisse über MfS-Verstrickungen zu erhalten, ohne dieses Wissen verwerten zu dürfen, ist diese Absicht doch etwas weltfremd. Gerade die unterschiedliche Weiterbeschäftigungspraxis bei Bund, Ländern und Gemeinden hat den Gauck-Beirat und auch die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages immer wieder beschäftigt. Die Bandbreite reicht vom völligen Negieren selbst stärkster Verstrickungen bis zu hysterischen Überreaktionen, wenn das Wort „Stasi" fiel.
Wir sind mit unseren Bemühungen - das sollte man in einer Debatte wie dieser freimütig sagen - um eine einheitliche Bewertung von Auskünften der GauckBehörde ziemlich kläglich gescheitert. Es gab zwar die Handreichung des Bundesinnenministeriums, aber noch nicht einmal sämtliche Bundesbedienstete wurden nach denselben Bewertungskriterien beurteilt. Dabei - auch das will ich sagen - beruhte die Handhabung in den Bundesbehörden noch am ehesten auf den gleichen Grundsätzen.
Ein zweiter Vorschlag wurde ebenfalls in die Diskussion eingeführt: Man möge die Bewertung der Überprüfungsergebnisse doch der Behörde von Joachim Gauck überlassen. Genau das wollen wir nicht.
Den Bundesbeauftragten in die Rolle des römischen Kaisers abzudrängen, der in der Arena des Lebens den Daumen über menschliche Schicksale heben oder senken kann, sähen einige interessierte Kreise sehr gern. Das belegen Äußerungen bis in die jüngsten Tage.
Hartmut Büttner
Wie viele Kübel schmutziger Vorwürfe hatten dabei die Mitarbeiter der Gauck-Behörde zu ertragen? Selbst vor größten Geschmacklosigkeiten wurde nicht zurückgeschreckt. Der mildeste solcher Vorwürfe war noch die Einführung eines neuen Verbes in die deutsche Sprache. Mit dem Wort „gaucken" sollte bewußt immer wieder eine Nähe zu Praktiken des verbrecherischen MfS suggeriert werden.
Herr Gauck, in diese Rolle wollen wir Sie und Ihre Mitarbeiter nicht abdrängen lassen. Sie und Ihre Behörde haben sich um das Schicksal der anständig gebliebenen Menschen in Deutschland verdient gemacht, und dafür danken wir Ihnen nachdrücklich.
Um Sie nicht in diese Negativrolle zu drängen, haben wir in das Gesetz klar und eindeutig geschrieben, in welchen Fällen die Behörde Mitteilungen über die Spitzeltätigkeit vornehmen muß und in welchen nicht.
Wir wollen zum Beispiel, daß nur diejenigen mögliche Konsequenzen zu ziehen haben, die dem MfS tatsächlich personenbezogene Informationen geliefert haben. Eine Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben, ohne tatsächlich als Spitzel aktiv geworden zu sein, ist künftig kein ausreichender Grund für eine Mitteilung der Behörde.
Vor Aufnahme der offziellen Ausschußberatungen haben CDU/CSU, F.D.P. und SPD den Versuch unternommen, die Phalanx der Einbringerfraktion zu erweitern. So kam es zu einem - ich will das deutlich betonen - sehr guten Gespräch mit dem zuständigen Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben erst im Laufe der Legislaturperiode bemerkt, daß der Wechsel von Personen in Ihrer Fraktion Chancen für eine neue Zusammenarbeit eröffnete. Allerdings kam dieses Gespräch etwas spät.
Daß Bündnis 90/Die Grünen nicht von Anfang an dabei war, lag schlichtweg daran, daß 1991 diese Fraktion bei der Erarbeitung des Stasi-UnterlagenGesetzes kurz vor der letzten Lesung offiziell die damals bestehende Zusammenarbeit aufgekündigt hat. In der Schlußabstimmung zerfiel sie bekanntlich in zwei Teile. Ich sage das nicht, um neues Salz in alte Wunden zu streuen, sondern um einer Legendenbildung vorzubeugen.
Heute hat man den Eindruck, die neue Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen verteidige das von ihr erkämpfte Stasi-Unterlagen-Gesetz gegen Verwässerungsbemühungen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD. Wie ich Ihnen an einigen Beispielen hoffentlich belegen konnte, ist die Gesamtproblematik differenzierter.
Noch haben Sie die Gelegenheit, die Mehrheit des Deutschen Bundestages für die Novellierung zu vergrößern. Zeigen wir gemeinsam unserer Bevölkerung, daß bei allen Meinungsverschiedenheiten im Detail Ihre Fraktion die Grundentscheidung einer weiteren Nutzung der Stasiakten eindeutig mitträgt.