Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über die Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz. Ich will mich auf drei Bemerkungen konzentrieren:
Zum ersten. Wir bekommen mit dieser Gesetzesnovelle wichtige Erweiterungen gegenüber dem bisherigen Stasi-Unterlagen-Gesetz. Es ist zum erstenmal möglich, die beim Bundesbeauftragten vorhandenen Akten aus der NS-Zeit jetzt ebenso wie die anderen Aktenbestände einer Erforschung und der politisch-historischen Aufarbeitung zuzuführen.
Das ist ein großer Fortschritt gegenüber der früheren Situation.
Wir haben es geschafft - man erinnere sich, wie schwierig noch 1991 gerade die Frage der Personalüberprüfung war -, den Kreis der zu überprüfenden Personen zu erweitern. Die Mitarbeiter der Fraktionen und der Abgeordneten - Kollege Büttner hat es richtig gesagt - können nun überprüft werden. Wir haben es in diese Novelle hineingeschrieben; das ist ein wichtiger Fortschritt.
Ebenfalls hat sich bei den Beratungen des Innenausschusses eine Veränderung ergeben, die ich hier nicht unerwähnt lassen will: Der Bundesbeauftragte hat im Innenausschuß erklärt, daß vor dem Hintergrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichtes in Bautzen hauptamtliche Mitarbeiter des K I in der ehemaligen Volkspolizei der DDR hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS gleichgestellt werden. Die Behörde hat erklärt, daß sie von nun ab dies auch zur Kenntnis nimmt, ihre Rechtsauffassung verändert und die Beauskunftung zu hauptamtlichen K-I-Leuten gibt - ein wichtiger Punkt.
Wir mußten es deswegen nicht in die Novelle hineinschreiben; aber wir begrüßen selbstverständlich, daß damit die Ungleichheit zwischen der Überprüfungsmöglichkeit bei IMs und der in der Vergangenheit nicht vorhandenen Überprüfungsmöglichkeit bei den Hauptamtlichen beseitigt wird.
Zweite Bemerkung. Es gibt bei dieser Gesetzesnovelle auch Einschränkungen. Wir wollen, daß künftig keine Auskunft mehr erteilt wird, wenn die nachgefragte Person seit dem 31. Dezember 1975 nicht mehr als Inoffizieller Mitarbeiter tätig war. Kollege Büttner hat völlig zu Recht darauf hingewiesen: Wir haben seit vielen Monaten in den Rechtsprechungsbereichen eine veränderte Situation. Es gibt eine ganze Reihe von höchstrichterlichen Entscheidungen, die zu dem Schluß kommen, daß hier faktisch keine dienstrechtliche Konsequenz mehr möglich ist. Wir stehen deswegen als Gesetzgeber vor der Verpflichtung, nicht tatenlos zuzuschauen und den Bundesbeauftragten in einer zeitlich unbegrenzten Beauskunftungspflicht zu belassen, während statt dessen die anfragende Stelle, der Dienstherr, faktisch keine Umsetzungsmöglichkeit mehr hat. Hier bewegen wir uns auf dünnem Eis. Auch ich möchte keine entsprechende Entscheidung aus Karlsruhe haben. Das ist eine Frage der politischen Verantwortung auch einem unbequemen Thema gegenüber, das wir hier behandeln.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen, welche Ausnahmeregelungen wir hineingeschrieben haben. Seit vielen Monaten wird in den Zeitungen nämlich von Amnestie und ähnlichem Unsinn geredet. Ich will die Ausnahmeregelungen auflisten, die nicht von dieser Einschränkung erfaßt sind. Nicht erfaßt sind die Mitglieder von Bundesregierung und von Landesregierungen. Nicht erfaßt sind Abgeord-
Rolf Schwanitz
nete von Bundestag und Landtagen. Nicht erfaßt sind Kommunalabgeordnete. Nicht erfaßt sind Sicherheitsüberprüfungen. Nicht erfaßt - selbstverständlich nicht erfaßt - sind die Opfer, die selber dort anfragen und Auskunft erhalten wollen. Kein Mensch denkt daran hier, irgendeine zeitliche Begrenzung einzuführen. Nicht enthalten ist die Frage der Strafverfolgung. Selbstverständlich wollen wir, daß weiterhin Strafverfolgung betrieben werden kann. Die Zugangsmöglichkeit besteht dort. Auch Rehabilitierungsanfragen sind weiterhin zeitlich unbegrenzt.
Ich glaube, es tut einfach not, daß man einmal etwas zur Versachlichung der Debatte beiträgt. Deswegen sei das hier noch einmal klargestellt.
Meine Damen und Herren, insbesondere Thüringen hatte in der Zwischenzeit angeregt - ich will das ausdrücklich noch einmal sagen -, hier eine weitere Ausnahmeregelung aufzunehmen. Es bestand der Wunsch, einen bestimmten Bereich im öffentlichen Dienst ebenfalls zeitlich unbegrenzt weiter zu beauskunften. Wir haben das nicht weiter verfolgt, weil uns aus Thüringen nicht Konkreteres zum Hineinschreiben in die Novelle mitgeteilt worden ist. Ich denke, auch das verdient hier eine besondere Erwähnung.
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft den Änderungsantrag und auch jüngste Äußerungen von seiten des Bündnisses 90/Die Grünen. Wir haben einen Änderungsantrag vorliegen, dem wir heute unsere Zustimmung nicht geben werden, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen sagen wir: Das, was dort gefordert worden ist, ist mit der Novelle erledigt. Zum anderen geben wir unsere Zustimmung nicht, weil wir die Position, die in dem Änderungsantrag steht, inhaltlich nicht teilen.
Ich will aber auf einen Punkt schon noch einmal ganz genau eingehen. In dem Änderungsantrag fordert Bündnis 90/Die Grünen, daß wir eine Stichtagsregelung, die auf diese 15-Jahres-Frage zur zeitlichen Begrenzung der Auskunft abstellt, ausdrücklich nicht aufnehmen. Ich zitiere hier einfach einmal aus dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Da wird davon geredet, daß man die Ausschlußfrist strikt ablehnt, daß man weiter zeitlich unbegrenzt mitteilen möchte. Hier steht - ich zitiere wörtlich -:
Darüber hinaus ist die Festlegung des Stichtages gerade auch auf den 31. Dezember 1975 abzulehnen.
Meine Damen und Herren, ich will in Erinnerung rufen: Von Bündnis 90/Die Grünen liegt uns auf Drucksache 13/1619 unter dem Titel „Weiterer Umgang mit DDR-Unrecht" schon seit fast anderthalb Jahren ein Papier vor, aus dem ein anderer Duktus hervorgeht. Ich zitiere hier einmal einen Satz aus diesem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Dort wird formuliert:
Grundsätzlich nicht mehr zu Lasten der Bewerberin oder des Bewerbers berücksichtigt werden sollen Tätigkeiten für das MfS/AfNS, die vor dem Jahr 1975 lagen.
Meine Damen und Herren, ich akzeptiere es, Herr Häfner, daß Sie sagen: Das ist ein völlig anderer Ansatz. - Sie wollen nicht wie wir bei der Frage Beauskunftung einschneiden, sondern Sie wollen dem Dienstherrn im Prinzip die Möglichkeit nehmen. Aber stellen wir doch, bitte schön, einmal fest: Die Stichtagsfrage, die Frage 1975, ist von Ihnen vehement verfochten worden und liegt dem Hause in einer Drucksache vor.
Eine letzte Bemerkung will ich mir dann auch nicht ersparen. Heute morgen habe ich ganz fleißig Radio gehört. Im Deutschlandfunk, Herr Häfner - Herr Büttner hatte noch einmal geworben -, war von Ihnen leider bereits im Vorgriff eine doch harte, polemisierende Position zu hören. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, was 1991 Ihre damalige Vertreterin, Frau Köppe, hier im Parlament gesagt hat. Denn es ist für mich natürlich sehr, sehr schmerzlich, wenn Sie uns heute vorwerfen, wir hätten Sie links liegen lassen und nicht hinreichend beteiligt, und das vor dem Hintergrund Ihrer großen Verdienste, die Ihre Fraktion an diesem Gesetzentwurf hat.
Frau Köppe führte damals aus - das sind alles Zitate -: Der Gesetzentwurf „hat einen Januskopf". Der „Vorrang der Opferrechte" ist letztendlich nur ein „Lippenbekenntnis" geblieben, hat Frau Köppe damals gesagt. Die Unterlagen sollten in den „Giftschrank ... weggeschlossen werden", hat sie gesagt. Der „Gesetzentwurf bewertet die Geheimdienstinteressen ... höher als das Interesse der Opfer nach .. . Aufarbeitung." Die Presseregelung sei eine „Zensur", haben wir hier im Parlament gehört. Es seien „ordnungspolitische Anliegen" gewesen, die „Vorrang " hätten. Eine „Ausplünderung der Archive" durch die Geheimdienste würden wir regeln.
Ich belasse es einmal dabei; das Zitieren könnte beliebig fortgesetzt werden.
Also, Herr Häfner, wenn Sie heute inhaltlich zu einem anderen Ergebnis kommen und sagen: „Das ist ein ordentliches Gesetz, das hat uns vorangebracht", dann freut uns das alle, aber bitte keine Geschichtsklitterung im nachhinein. Ich finde, das wird dem Anspruch einfach nicht gerecht.
Schönen Dank.