Rede von
Dr.
Uwe-Jens
Rössel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast möchte ich sagen: wie wohltuend, endlich einmal im Zusammenhang mit dem Thema Attraktivität des sogenannten Standorts Deutschland nicht eine unselige Debatte über die Lohnnebenkosten führen zu müssen. - Die SPD hat mit ihrem Antrag ein grundsätzliches Problem benannt: Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen ist schlechter denn je. Die Pleitewelle rollt weiter; die jüngsten Zahlen von Montag belegen es. Nicht nur im Osten ist eine Hauptursache für diese Entwicklung die völlig unzureichende Ausstattung der meisten kleinen und mittleren Unternehmen mit Eigenkapital.
Aber gerade diese Unternehmen sind es, die oft genug in den Innovationsbranchen tätig sind, die sich für Neuerungen einsetzen, die - dies wurde auch bereits gesagt - den weitaus größten Teil der so dringend notwendigen Ausbildungsplätze schaffen.
Die Banken sind jedoch oft nicht bereit, Kredite zu angemessenen Konditionen für die Entwicklung immaterieller Vermögenswerte einzusetzen. Wie „großzügig" sie sich jedoch andererseits verhalten können, zeigen nicht nur die Vorgänge um die Schneider-Immobilien-Pleite, welche gerade dieser Tage die Gemüter wieder erregt hat.
Die Bundesregierung wiederum schafft mit ihren Eigenkapitalhilfeprogrammen bestenfalls eigenkapitalähnliche Zustände, vor allem deshalb, weil in der Endkonsequenz natürlich die Rückzahlungspflicht bestehen bleibt.
Richtig ist auch, daß die Emission neuer Aktien in Deutschland gering entwickelt - die Vergleichszahlen zu den USA sind genannt worden - und zugleich konkurrenzlos teuer ist und durch die Monopolstellung der Großbanken für kleine und mittlere Unternehmen kaum funktioniert. Positive Beispiele wie bei der SERO AG, die das DDR-Sekundärrohstoffsystem bekanntlich wiederbelebt hat und deren Börsengang durchaus erfolgreich war, sind eher die Ausnahme denn die Regel. Soweit die kurze Analyse des Antrags der SPD, der ich zustimmen kann.
Was schlägt die SPD aber als Heilmittel vor? Mancher Vorschlag erinnert mich etwas an mittelalterliche Ärzte - entschuldigen Sie, Herr Bury, diesen Vergleich -, die mitunter versucht haben, mit Aderlässen Beinbrüche zu heilen. Glaubt die SPD denn wirklich, durch eine Steuerfreistellung von Kapitalerträgen wie Zinsen und Dividenden Kleinanleger zur stärkeren Aktienanlage zu bewegen? Geht nicht die öffentliche Debatte - ich nenne das Thema „große Steuerreform" - genau in die umgekehrte Richtung?
Die PDS ist der Auffassung, daß die Besteuerung von Wertpapierkursgewinnen auch bei Privatanlegern notwendig ist. Das ist eine Praxis, die in Frankreich und im angelsächsischen Raum seit jeher auf der Tagesordnung steht. Das Gerede, daß, wenn eine solche Besteuerung in der Bundesrepublik einge-
Dr. Uwe-Jens Rössel
führt würde, der Finanzplatz Deutschland zugrunde ginge, führt der Finanzplatz London doch ad absurdum; denn er funktioniert und floriert im besten Sinne des Wortes, und zwar mit der Besteuerung von Kursgewinnen.
Glauben Sie wirklich, daß Kleinanleger ihre Groschen für die Altersvorsorge auf 12 Jahre in Risikokapitalanlagen anlegen werden, wie Sie es vorschlagen? Glauben Sie wirklich, massenhaft Kleinanleger mit Aktien an eine im globalen Wettbewerb stehende Börse - Sie kennen den Börsenwettbewerb in Deutschland und die Existenzangst der kleinen Regionalbörsen - locken zu können und damit in mittelständische Unternehmen zu investieren? Glauben Sie, die Kleinanleger investieren in eine Börse, die zwar gigantische Wachstumsraten für einige Aktien des DAX bzw. des M-DAX verzeichnet, zugleich aber vom Mißbrauch von Finanzderivaten begleitet wird? Ich nenne hier nur die Auswirkungen des Baring-Skandals, der Devisenspekulationen bei der Metallgesellschaft und bei Balsam, durch die das Anlegergeld sehr schnell spürbar aufgezehrt wurde.
Die jüngsten Fehlspekulationen der DeutscheBank-Tochter Morgan Grenfell sind auch nicht gerade eine Sicherheitsgarantie für Kleinanleger; das gleiche gilt für den Skandal des European Kings Club, dessen Prozeß gegenwärtig durchgeführt wird.
Die von der SPD geforderte Änderung des § 20 Einkommensteuergesetz stellt daher - so löblich die Absicht auch sein mag -, kein geeignetes Mittel zur Aufbringung von Risikokapital dar. Bevor sich das Anlegerverhalten in Deutschland grundsätzlich ändert, muß auch die Rolle der Bundesaufsichtsämter - sie sind in der Verantwortung der Bundesregierung - für den Wertpapierhandel und das Versicherungswesen weiter gestärkt und auf diesem Weg ein wirklicher Schutz der Anleger von Wertpapieren gewährleistet werden. Es ist schon mehr als paradox, wenn jüngst mit den Stimmen von CDU/CSU und - leider - auch der SPD im Haushaltsausschuß die ohnehin geringfügigen - ich möchte sagen: läppischen - Mittel für die Kontrolle der Finanzderivate beim Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen für 1997 noch weiter zusammengestrichen wurden. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung; ich habe das bereits im Ausschuß sehr deutlich gesagt.
Selbst wenn zu erwarten wäre, daß Sparer stärker an die Börse gehen, ist doch vollkommen unklar, ob Aktien, festverzinsliche Wertpapiere oder gar Derivate gekauft werden. Mit dem Handel von Derivaten läßt sich im Einzelfall in der Bundesrepublik sogar eine Rendite von 500 bis 1 000 Prozent per annum - und das noch steuerfrei - erzielen. Das war in den Kursübersichten auch der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu den Optionsscheinen auf Aktien der deutschen Großchemie zu lesen.
Der Derivatehandel aber hat mit der Schaffung von Risikokapital überhaupt nichts zu tun. Diese Renditen sind Ausdruck der Tatsache, daß sich die Finanzmärkte immer mehr von den realwirtschaftlichen Prozessen abgekoppelt haben und ein Eigenleben - mit allen negativen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsentwicklung - führen.
Schließlich führen die gegenwärtigen Praktiken insbesondere der Großbanken bezüglich der Kleinanleger dazu, daß diese in hohem Maße an Depotgebühren und ähnlichem verdienen.
In diesem Zusammenhang muß endlich das Depotstimmrecht der Banken abgeschafft und deren bedeutender Industriebesitz drastisch eingeschränkt werden. Die höchstzulässige Anzahl der Aufsichtsratsmandate - zur Zeit zehn - muß spürbar verringert werden. Gerade an diese Privilegien vor allem der Banken will die Bundesregierung mit ihrer vollmundig angekündigten sogenannten Reform des Aktienrechtes aber nicht heran. Sie hat sich in diesem Fall - da kann ich der Einschätzung des Börsenmagazins „Effectenspiegel" vom 26. September 1996 nur zustimmen - vom Großkapital über den Tisch ziehen lassen.
Im Gegenteil, wo es. bisher vernünftige Regelungen gab, sollen sie nach Absicht der Bundesregierung sogar abgeschafft oder verändert werden. Ich nenne als Beispiel das „VW-Gesetz". Mir liegt das Schreiben des Gesamtbetriebsrates von VW vom 23. Oktober 1996 vor, der sich ganz entschieden über diese beabsichtigten Veränderungen beklagt und um Unterstützung unserer Gruppe, aber auch aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zu deren Verhinderung warb. Der VW-Betriebsrat kann sich unserer Unterstützung gewiß sein.
Noch eine Bemerkung zum Schluß: Bisher sind es oft genug gerade die Sparkassen, die bei Risikofinanzierungen im Interesse der Strukturentwicklung tätig werden und Risikokapital bereitstellen. Sie gehen damit oft viel weiter als die meisten Privatbanken. Sie können das, weil die Kommunen als Gewährträger der Sparkassen ihr Interesse an einer aktiven Strukturpolitik stimulieren können. Nicht nur, aber auch deshalb wenden wir uns ganz entschieden gegen jegliche Versuche - die vor allem aus Richtung der F.D.P. immer wieder kommen -, die Sparkassen zu privatisieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.