Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen fort. Ich rufe die Einzelpläne 06, 33 und 36 auf:
Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 13/506, 13/527 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher
Oswald Metzger
Einzelplan 33 Versorgung
- Drucksachen 13/524, 13/527 -
Berichterstattung:
Abgeordnete
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher
Oswald Metzger
Einzelplan 36 Zivile Verteidigung
- Drucksachen 13/525, 13/527 -
Berichterstattung: Abgeordnete
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein
Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher Oswald Metzger
Die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses liegen auf den Drucksachen 13/506, 13/524, 13/525 und 13/527 vor.
Zum Einzelplan 06 liegen zwei Änderungsanträge und zum Einzelplan 36 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Zum Einzelplan 06 liegen sieben Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Zu einem Änderungsantrag hat die Gruppe beantragt, namentlich abzustimmen. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von mindestens 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob der Antrag der PDS das erforderliche Quorum erreicht, werde ich nach der Aussprache feststellen.
Außerdem hat die PDS zum Einzelplan 33 zwei Änderungsanträge eingebracht. Zwei weitere Änderungsanträge zum Einzelplan 06 sind von der PDS angekündigt.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste spricht die Kollegin Uta Titze-Stecher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß trotz des Schneetreibens doch eine ganze Reihe von Ihnen den Weg hierher gefunden hat.
Ich habe heute morgen auf dem Weg hierher einen Kollegen meiner eigenen Fraktion vor dem tiefen Sturz in den Schnee bewahrt. Der Name wird nicht verraten.
Gestatten Sie im Zusammenhang mit der verbundenen Debatte zu immerhin drei Einzelplänen zwei Vorbemerkungen: „Der Haushalt des Innenministers ist das in Zahlen dokumentierte Eingeständnis von Hilflosigkeit, Pleiten, Pannen, Unfähigkeiten, mangelnder Sensibilität und in nicht wenigen Bereichen schlichter politischer Dummheit." So lautete im November 1993 das vernichtende Urteil meines Vorgängers in der Berichterstattung des Einzelplans 06. Sie kennen alle den verehrten Kollegen Purps.
Uta Titze-Stecher
Damals konnte der zuständige Innenminister noch als Novize gelten; denn er war gerade hundert Tage im Amt. Heute allerdings gibt es kein Mitleid, Herr Kanther. Sie sind 14 Monate im Amt, gestählt und gehärtet durch Wahlen. Sie sind zu einem echten Überzeugungstäter geworden.
Um so schlimmer, wenn ich die Einschätzung meines Kollegen von damals teile.
- Beruhigen Sie sich bitte, Kollegen von der rechten Seite!
Zweite Vorbemerkung: Der Haushalt zeichnet sich insbesondere durch mangelnden Mut zu echten Strukturreformen und in allen drei zur Debatte stehenden Einzelplänen durch unverantwortliche Konzeptionslosigkeit aus. Ich werde das in Einzelfällen belegen.
Der Einzelplan 06 umfaßt zwar nur - wir sind bei Milliarden - knappe 8,5 Milliarden DM, doch es lohnt sich, einen näheren Blick auf die Verteilung des Volumens zu werfen. Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gleicht einem orientalischen Basar, was die Vielfalt seiner Aufgaben betrifft.
Ich will nicht alle Kapitel vorlesen. Damit Unkundige wissen, worum es geht: Es geht um Verfassungs- und Staatsrecht, Verwaltung, innere Sicherheit, Polizei, zivile Verteidigung, Informationstechnik, Datenschutz, Kommunalwesen, Statistik, aber auch um die wichtigen Bereiche Sport, Kultur, Medien, soweit bundesrelevante Thematik angesagt ist. Wir finden in diesem Einzelplan sowohl die GauckBehörde als auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die Bewilligungen für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte - Herr Waffenschmidt ist da - und die Zuweisungen für die Stiftungen der politischen Parteien.
Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mich angesichts dieser Fülle auf exemplarische Beispiele in meiner Kritik beschränke. Wir führen ja nicht erst in den letzten Monaten die Debatte über die dringend notwendige Reform des öffentlichen Dienstes, Gutachten zum Thema moderner Staat und effiziente Verwaltung liegen zur Genüge vor, beispielsweise von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Warum, Herr Minister, erfolgt keine Umsetzung? Sonst fehlt Ihnen doch nicht der Mut, wenn Sie etwa den Aufwuchs beim Bundesgrenzschutz mit der wachsenden Zahl illegaler Grenzgänger begründen müssen oder wenn Sie keine Berührungsängste zeigen, im rechtsextremen „Deutschlandmagazin" ein Interview zu geben,
in dem Sie Ausländer in Deutschland mit Begriffen
wie Umtriebe und Verbrecherverbände in Zusammenhang bringen. Für eine solche Entgleisung ist
auch der hessische Wahlkampf keine Rechtfertigung.
Denn in meinen Augen darf sich ein biederer Minister, für den ich Sie halte, nicht zu einer solchen Sache hinreißen lassen, d. h. zündeln, ohne sich den Vorwurf anhören zu müssen, daß er auch als Brandstifter angesehen werden kann, von der Anbiederung an rechtsnationale Stammtischbrüder und deren Parolen 50 Jahre nach Kriegsende einmal ganz zu schweigen.
Zurück zum öffentlichen Dienst: Sie wissen, Herr Minister, daß die Reform zwingend ist. Zum einen zwackt uns die finanzielle Lage. Ich will nur folgendes andeuten: Die Pensionsleistungen des Bundes werden im Jahre 2030 nach einer soliden Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung satte 165 Milliarden DM betragen; wir sind heute schon bei 35 Milliarden DM jährlich angelangt. Das heißt, wir sind gezwungen, den öffentlichen Dienst zu reformieren. Zweitens wissen Sie, Herr Kanther, auch, daß wir unter den Druck der EU geraten; denn unser breitgefächertes Beamtenwesen widerspricht in Teilen dem Europäischen Vertragsrecht, auch dem Art. 48 des EWG-Vertrags, der Freizügigkeit der Arbeitnehmer herstellt.
Ich denke, aus all diesen Gründen ist es dringendst erforderlich, daß Sie das, was Sie bereits in der Berichterstatterrunde versprochen haben, die Vorlage eines Konzepts bis zum Frühsommer, einlösen.
Ich denke, daß es höchste Zeit ist, den hoheitlichen Bereich zu definieren. Denn warum, in Kuckucks Namen, müssen denn Archivare, Bibliothekare, ja sogar Tierpfleger in zoologischen Gärten verbeamtet sein?
- Der Minister hat nachher Zeit, diese Fragen zu beantworten.
Zeigen Sie Mut, Herr Minister, alte Zöpfe abzuschneiden, das Alimentationsprinzip aufzugeben, die Privilegien einzelner Gruppen zu beschneiden. Ich erinnere nur an die Vorzugsstellung der Beamten bei der Anpassung der Beihilfevorschriften im Rahmen der Pflegeversicherung. Ich will niemanden abschaffen; ich will das effiziente System noch effizienter machen.
Uta Titze-Stecher
Da wir schon einmal beim Kapitel „Mut" sind, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu den sogenannten Spaziergängern der Nation. Das sind die Spitzenpolitiker und Spitzenbeamten, die im Bund und in den Ländern in den vorzeitigen politischen Ruhestand geschickt werden.
Diese Sache läßt sich diese Regierung pro Jahr 46 Millionen DM kosten.
77 Spitzenbeamte wurden in den ersten zehn Jahren der Kohlschen Regierung gefeuert, weil die Chemie nicht stimmte. Das kann ja nur ein schlechter Witz sein.
Abschließend - ich bin sicher, ich finde den Beifall auch bei der rechten Seite - sei versöhnlich gesagt: Selbstverständlich weiß die SPD, daß die deutsche Verwaltung ihre beachtliche Leistungsfähigkeit und Qualität gerade bei der deutschen Vereinigung unter Beweis gestellt hat. Aber das reicht nicht. Es gilt jetzt, sie fit zu machen und den veränderten Bedürfnissen in Staat und Gesellschaft anzupassen. Was ich jetzt sage, gehört auch zum Thema Standortdebatte: Wir halten die Reform des öffentlichen Dienstes auch für eine Voraussetzung für einen effektiven und funktionierenden Privatsektor.
Wie verträgt sich allerdings die Forderung nach einer schlanken Verwaltung - das bedeutet ja nun wohl: Abbau von hierarchischen Strukturen, dezentrale und eigenverantwortliche Erledigung von Aufgaben - mit der Tatsache, daß beispielsweise, Herr Minister, im Rahmen der Neuorganisation des Bundeskriminalamts zwei Hauptabteilungen geschaffen wurden? Selbst der Bundesrechnungshof - er ist ja nun wirklich unser bester Ratgeber - kritisiert die vierstufige Gliederung des BKA unterhalb der Amtsleitung mit dem Argument, diese Konstruktion verlängere Entscheidungs- und Informationswege. Dem kann man nur zustimmen.
- Das sagen Sie bitte mal Ihren Kollegen im Rechnungsprüfungsausschuß.
Der Verzicht auf die erwähnten beiden Hauptabteilungen würde finanzielle Mittel freimachen für die Übernahme Auszubildender. Aber wir haben ja gestern in der Debatte schon mitgekriegt: Sie sorgen sich mehr um die Häuptlinge und weniger um die Indianer.
Apropos BKA und Kriminalität: Wir wissen, daß die Gesamtkriminalität sinkt, auch wenn die Gewalt nicht abnimmt. Das heißt, die Zahl der Straftaten geht laut offizieller Kriminalstatistik zurück, auch wenn Sie, Herr Minister, Ende Januar auf einer Tagung in Wiesbaden zum Thema „Wertewandel und innere Sicherheit" das blanke Gegenteil davon behauptet haben, nach dem Motto, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf". Offensichtlich paßt eine Kriminalstatistik nur dann in die Landschaft, wenn sie die Forderung nach immer mehr und immer schärferen Gesetzen unterstützt. Klar ausgedrückt: Der Bürger soll subjektiv Angst empfinden, sie subjektiv schlimmer empfinden, als objektiv gerechtfertigt ist. Nur wissen wir selbst, daß man subjektive Angst auch durch noch so viel Statistik niemandem nehmen kann.
Auch die SPD nimmt die neuen Zahlen durchaus nicht zum Anlaß für eine Entwarnung. Nur haben wir andere Ansätze, Herr Minister. Immerhin erinnere ich mich, daß wir bei der Diskussion über das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 von Ihnen das Argument hörten, das sei ja nur ein Einstieg für weitere Verschärfungen, weil Sie von einer weiterhin steigenden Massendelinquenz ausgingen. Nun gut; die Realität ist anders.
Nur frage ich Sie, wie Sie es Ihrem Koalitionspartner verklickern wollen, daß Sie a) bereits in der Vorbereitung für ein Verbrechensbekämpfungsgesetz, Teil 2 sind und b) dort datenschutzrechtliche Einschränkungen vorgesehen haben. Wir wissen, daß die Gewaltbereitschaft, wie schon erwähnt, besorgniserregend zugenommen hat. Wir denken, daß zweierlei notwendig ist, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Minister, erstens Gegensteuern durch ein Bündel von sozialen, präventiven und repressiven Maßnahmen, damit wir Gewalt bereits bei der Entstehung bekämpfen, zweitens eine inhaltliche und organisatorische Neukonzeption aller mit Polizeibefugnissen ausgestatteten Bundeseinrichtungen, BKA, Bundesgrenzschutz, Zoll- und Finanzbehörden, damit Reibungs- und Kompetenzverluste bei der Bekämpfung der länderübergreifenden Kriminalität nicht auftreten können.
In diese neue Konzeption ist Europol natürlich einzubinden. Allerdings stellen wir uns vor, daß es mit operativen Befugnissen ausgestattet ist und zum Kernstück der internationalen Kriminalitätsbekämpfung wird.
Bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Herr Minister, tragen Sie ein erhebliches Maß an Mitschuld. Warum unterstützen Sie denn nicht die SPD-Forderung nach Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern?
Die Bundesregierung - ich sage das einmal ganz drastisch - fördert mit ihrer Weigerung praktisch die Ausbreitung der organisierten Kriminalität im In-
Uta Titze-Stecher
und Ausland. Ja, sie begünstigt über geltendes Steuerrecht aktives Bestechungsverhalten. Nicht nur das: Sie fördert damit auch korruptives Verhalten von Amtsträgern. Ich denke, das sollten wir nicht unterstützen.
Das jüngste Husarenstück aus Ihrem Hause darf ruhig „dilettantisch" genannt werden. Wenn es nicht so schlimm wäre, würde man hier ja lachen können. Auf Grund schwerer politischer Fehler der Bundesregierung bei der Neuordnung im Telekommunikationsbereich - Stichwort „unkontrollierte Lizenzvergabe" - haben sich die Funktelefone zum abhörsicheren paradiesischen Reservat für Schwerkriminelle gemausert. Offensichtlich haben kommerzielle Interessen absoluten Vorrang vor sicherheitspolitischen Notwendigkeiten. Daß ich mit diesem Verdacht nicht ganz falsch liege, beweist die Beantwortung eben dieser Frage durch die Bundesregierung im Innenausschuß. Da hieß es wörtlich: Abhörmöglichkeiten hätten die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der mobilen Kommunikation gefährdet.
Da kann ich nur sagen: Das ist ein Skandal.
Eine Ohrfeige für Sie, Herr Minister - symbolisch gesprochen -, ist aber auch, wenn private Netzanbieter mit der Abhörsicherheit ihrer Netze Werbung betreiben mit der wunderschönen Folge, daß große Teile des Drogenhandels, aber auch die logistische Kommunikation rechtsradikaler Gruppen inzwischen per Funktelefon läuft und gesteuert wird.
Als Haushälterin fordere ich Sie dringend auf, die erforderlichen Nachinvestitionskosten auf gar keinen Fall aus der Bundeskasse mit Steuergeldern zu begleichen.
Noch eine Bitte: Entkräften Sie die Befürchtungen der Länder - dies liegt auf dem Tisch -, Sie wollten nach und nach Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt zu einer Bundespolizei ausbauen, obwohl dies, wie Sie wissen, grundgesetzwidrig ist. Sie sagen etwas anderes; aber sagen Sie einmal, daß Sie das nicht im Sinne haben. Wenn Sie die Machtbalance in diesem sensiblen Bereich zugunsten des Bundes ändern wollen, geht das nur mit den Ländern und nicht gegen die Länder.
Das dürfte Ihnen das Kompetenzgezerre um den Abschiebestopp für die Kurden ja hinlänglich klar gemacht haben.
Wir denken, daß es dem inneren Frieden in diesem Lande allemal dienlicher wäre, wenn die Bundesregierung verstärkte Anstrengungen für ein friedliches Zusammenleben von Ausländern und Deutschen unternähme. Ich nenne in diesem Zusammenhang stichpunktartig folgende Forderungen: die Schaffung eines eigenständigen Aufenthaltsstatus für ausländische Ehepartner, der B-Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, die Regelung des Zuzugs von Ausländern durch ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient, und die Möglichkeit des Erwerbs der doppelten Staatsbürgerschaft.
Da werden Sie uns an Ihrer Seite haben. Ich mahne auch die dringende Reform des überfälligen Staatsangehörigkeitsrechts aus den Zeiten des Dritten Reichs an.
Seit 1992 fordert der Innenausschuß einstimmig, also mit den Stimmen der Koalition, ein Gesamtkonzept für die Neuordnung der zivilen Verteidigung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für Personal- und Stellenpläne. Bis heute liegt nur - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - ein endgültiger Zwischenbericht vor. Erst gab es einen Zwischenbericht, dann einen endgültigen Zwischenbericht. Wir warten auf den endgültigen Bericht, Herr Minister.
Sie ignorieren damit die Beschlußlage des Parlaments, obwohl Haushaltsberatungen stattgefunden haben und obwohl wir durch teilweise Sperrung versucht haben, die Berichtsvorlage zu erzwingen. Bis jetzt Fehlanzeige! Sie schaffen also Strukturen durch Stellenabbau, -umbau, -umsetzungen und Budgetierung, anstatt umgekehrt nach Vorlage eines Konzepts diese Dinge in Angriff zu nehmen. Das offenbart in meinen Augen ein etwas leicht gestörtes Verhältnis zum parlamentarischen System. Da kann ich nur sagen: In gewohnter Manier brüskiert der kantige Innenminister das Parlament.
Als Haushälterin bin ich - ich sage das, damit keine Mißverständnisse im Raume stehenbleiben - fürs Sparen, aber an der richtigen Stelle und in angemessener Höhe. Warum müssen - ich greife hier den Antrag der GRÜNEN auf, der heute morgen vorlag - z. B. beim Objekt Marienthal/Eifel - besser bekannt unter Regierungsbunker - 11 Millionen DM allein angeblich für die Unterhaltung angesetzt werden? Oder ist die Zahl von 200 Bewachungskräften für den Ausweichsitz der Bundesregierung gerechtfertigt? Die Frage ist, ob das Ganze überhaupt noch notwendig ist.
Und weiter: Warum reduzieren und plafondieren Sie die Mittel des Kulturhaushaltes, nicht hingegen die Mittel nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes - immerhin satte 30 Millionen DM - in angemessener Weise? Die veränderten politischen Gegebenheiten in Osteuropa erfordern eine völlig neue Konzeption aller Institutionen und aller Programme. Das heißt, die gesamte Kiste gehört auf den Prüfstand. Beispielsweise die Bundeszuwendungen an die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat und an die Kulturstif-
Uta Titze-Stecher
tung der deutschen Vertriebenen sollten nicht nur wegen des allgemeinen Sparzwangs reduziert werden, sondern auch in Anbetracht der Tatsache, daß heute, 50 Jahre nach Kriegsende, der Blick nach vorne auf die künftigen Generationen wichtiger ist als der Blick nach hinten. Auch da sind wir in der Pflicht.
Eine Umschichtung der Mittel für ein Regionalförderprogramm Kultur könnte den dringenden Nachholbedarf der Kultur in den strukturschwachen Grenzregionen an der deutschen Ostgrenze decken. Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ist die Sache kurz vor der Umsetzung geplatzt. Es wäre bei gutem Willen der Koalition und auch - zugegeben - bei vernünftiger Projektauswahl möglich gewesen, den Einstieg in diese Kulturförderung in einer Größenordnung von 10 bis 20 Millionen DM bereits beim Haushalt 1995 zu wagen.
Um dem Argument der Koalition gleich vorzugreifen: Hier ist keinesfalls eine Wiederauflage der Zonenrandförderung gemeint. Hier geht es nur darum, daß der Bund den Ländern gegenüber gemachte Zusagen schlicht und einfach ohne ausreichende Begründung zurückgenommen hat.
Die SPD hält auch die von der Bundesregierung beschlossenen 690 Millionen DM für die Bundeskulturförderung für unvereinbar mit den Verpflichtungen aus Art. 35 des Einigungsvertrages. Dieser plafondierte Betrag reicht in keinem Falle aus, um kulturelle Einrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung auch unter dem Aspekt der regionalen Ausgewogenheit zu sichern und zu fördern.
Nun komme ich zur Berliner Kulturförderung: Unter Berücksichtigung der Hauptstadtfunktion wurden trotz nachweislichen Bedarfs von 148 Millionen DM lediglich 28 Millionen DM festgelegt - und das nur auf Druck der SPD, um das einmal öffentlich zu machen.
- Das sehe auch ich als Schande an. Ich halte das für eine eklatante Verletzung von § 5 Abs. 2 des BonnBerlin-Gesetzes, in dem der Bund ausdrücklich zusagt, das Land Berlin bei den ihm vom Bund zur Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Repräsentation vereinbarungsgemäß übertragenen besonderen Aufgaben zu unterstützen.
Ebenso wortbrüchig handelt der Bundesinnenminister im Bereich des Sports. Die Koalition hat den seit 15 Jahren reifenden Plan zur Errichtung eines deutschen Sportmuseums zunichte gemacht, obwohl in dem zuständigen Fachausschuß, dem Sportausschuß, die Fragen der Finanzierung und der Folgekosten einvernehmlich unter den Fraktionen und mit dem Sport geklärt waren.
- Sie können sich äußern, Frau Albowitz.
Auf der anderen Seite werden großzügig Mittel an alle möglichen Organisationen vergeben, die von sich selber behaupten, deutsche Kultur in Osteuropa zu fördern. Trotz jahrelanger Recherchen von Bundesrechnungshof und Staatsanwaltschaft ist es bis heute schwer, den Mantel des Schweigens über fehlgelaufene und undurchsichtige Geschäfts- und Vergabepraktiken bei der Projektrealisierung aufzudekken.
Neuestes Beispiel im Zusammenhang mit den Ausgaben für Rußlanddeutsche - vor zwei Wochen in „Spiegel" -: Ein evangelisches Gemeindezentrum im Omsk - Herrn Waffenschmidt werden die Ohren klingen - sollte zu 90 % vom Bund bezahlt werden. Unter Druck der russischen Baumafia geraten, haben Sie sich, Herr Waffenschmidt, über den Tisch ziehen lassen. Sie sind für mich ein personifiziertes Haushaltsrisiko geworden.
Um es klar zu sagen: Dieser Ausdruck stammt aus dem Ministerium selbst - nicht von mir.
Ich komme zum Schluß. Angesichts der erheblichen Fehlentwicklungen der in die GUS fließenden Unterstützungsleistungen halten wir die gesamte Konzeption der Bundesregierung, mit hohem finanziellen Einsatz die Deutschstämmigen zum Verbleiben zu bewegen, für in weiten Teilen gescheitert. Wolga-Projekte sind - wie wir alle wissen - allenfalls geeignet, Ausreisewillige hinzuhalten, eröffnen aber - wie die Zahlen verdeutlichen - keine Perspektive.
Wir sehen die Aussiedlerprogramme für Deutsche in der Ukraine schlicht als gescheitert an. Deswegen fordern wir Sie auf, einen detaillierten Bericht über die Förderung und vor allem die Einschätzung der geplanten Projekte abzugeben.
Ich denke, die wenigen angeführten Beispiele verdeutlichen, warum wir die Einzelpläne 06 und 36 ablehnen und uns bei dem Einzelplan 33 - Versorgung - der Stimme enthalten werden. Sie tragen zu eindeutig die Handschrift dieses Innenministers - und dies zum Teil ohne Rücksicht auf parlamentarische Beschlüsse und Forderungen sowie ohne Konzepte. Die Prioritäten - besonders im Bewilligungsteil, aber nicht nur in diesem - halten wir für unvertretbar. Neue überfällige Konzepte stehen aus.
Ein gravierender Vorwurf: Existenz, Zielsetzung, Aufgaben und finanzielle Dimensionierung von einigen Bundesbehörden und einigen Instituten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern sind nicht nur nach Meinung der Berichterstatterin und der SPD, sondern sogar nach Meinung des Bundesrechnungshofs unzeitgemäß.
Uta Titze-Stecher
Aus diesen Gründen lehnen wir die bereits erwähnten Einzelpläne 06 und 36 mit Entschiedenheit ab.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Klaus-Dieter Uelhoff.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ein abenteuerliches Szenario, was unsere im übrigen geschätzte Kollegin Titze-Stecher hier vorführt.
In welchem Land leben wir eigentlich? Die Bundesregierung ist für Korruption zuständig?
Sie unterstützt die organisierte Kriminalität?
Meine Damen und Herren von der Opposition, dann setzen Sie die Bundesregierung, wenn es denn so ist, in den Stand und geben Sie ihr auch die rechtlichen, die sächlichen, die finanziellen und die organisatorischen Möglichkeiten, daß dieses alles abgestellt wird.
Sie sind doch die Nein-Sager in diesem Fall.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbst die geschätzte Kollegin Titze-Stecher muß es sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn eine hier völlig unbekannte Kollegin, eine gewisse Abgeordnete Bruni Irber, in der Zeitung vor wenigen Tagen verkündet, auf Grund gemeinsamer Anstrengungen der SPDHaushaltsgruppe - federführend sel, so wird erläutert, diese Frau Irber - sei es gelungen, Besoldungsanhebungen beim Bundesgrenzschutz durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, das ist doch abenteuerlich! Wer kennt denn diese Abgeordnete? Die Kollegin Titze-Stecher
ist Gott sei Dank selbst mit dabei gewesen, als wir es in einer gemeinsamen Anstrengung erreicht haben - bei mir im Dienstzimmer ist der Anfang gesetzt worden -, für den Bundesgrenzschutz 3 000 Stellen von A 7 nach A8 anzuheben, und nicht eine gewisse Kollegin Irber, die niemand hier im Hause kennt.
Herr Kollege Uelhoff, gestatten Sie eine Frage der Kollegin TitzeStecher?
Fragen darf ich der Kollegin Titze-Stecher nie abschlagen.
Jetzt fragt die Kollegin Titze-Stecher.
Herr Kollege Uelhoff, bestätigen Sie, daß im Haushaltsentwurf keineswegs Anhebungen von A7 nach A8 in der von Ihnen angegebenen Größenordnung vorgesehen waren, daß wir erst in der Bereinigungssitzung über Personalia diese Kiste zu Ende brachten, weil der Antrag der SPD vorlag, weil der Antrag der GRÜNEN vorlag, und weil vor allem die Betroffenen selbst, der Bundesgrenzschutz, massiv Druck gemacht haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Titze-Stecher, ich bin ja kein Neuling in dieser Frage, und ich weiß, wie die Polizeien der Länder besoldet werden. Mir ist genau wie Ihnen und anderen Kollegen aufgefallen, daß hier ein objektiver Mißstand vorliegt, daß nämlich die Polizeibeamten der Länder - die Länder klagen ja immer, sie hätten so wenig Geld - wesentlich besser besoldet werden und auch in der Struktur des Stellenkegels besser dastehen als der Bundesgrenzschutz.
Genau dies war für mich der Anlaß, in Gesprächen mit dem Bundesinnenminister, mit den Vertretern des Bundesgrenzschutzes, mit der Arbeitsgruppe Innen unserer Fraktion, gemeinsam mit der Koalition und dann auch Gott sei Dank gemeinsam mit Ihnen, verehrte Frau Kollegin Titze-Stecher,
und gemeinsam mit den GRÜNEN diese Anhebungen durchzusetzen. Sie hätten sich diese Frage ersparen können. Hätten Sie mich meinen Text weiter sprechen lassen, dann hätte ich genau diesen Punkt genannt, daß wir in wenigen Punkten der inneren Sicherheit Gott sei Dank auch noch gemeinsam handeln können, weil dies für die Motivation des Bundesgrenzschutzes ganz entscheidend ist.
Ich will in diesem Zusammenhang auch noch eine Anmerkung an die Bundesregierung machen, nicht nur an den Innenminister, sondern auch an den Finanzminister: Eigentlich hätte ich erwartet, daß sich ein solches Mißverhältnis nicht im Etatentwurf der Regierung niedergeschlagen hätte. Ich erwarte jetzt, daß sich auch eine Durchschlüsselung dessen, was wir begonnen haben, im nächsten Etat niederschlägt.
Herr Kollege Uelhoff, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen,
daß die Innenpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion in all den Jahren der Vergangenheit im Innenausschuß des Deutschen Bundestages stets gefordert haben, nun endlich das Personalstrukturgesetz durchzusetzen, in dem es darum geht, daß der Bundesgrenzschutz an die Entwicklung in den Landespolizeien angepaßt wird, und das seit 1974, daß aber unsere Anträge mit permanenter Boshaftigkeit in den entsprechenden Ausschußberatungen abgelehnt worden sind?
Herr Kollege Graf, dies nehme ich zur Kenntnis. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß eine gewisse Kollegin Bruni Irber, die sich hier als federführend darstellt, überhaupt nichts damit zu tun hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon wichtig, daß dem Bundesgrenzschutz durch eine solche gemeinsame Aktion deutlich gemacht wird,
daß er sich auf die Koalition und in diesem Falle auch auf alle Kollegen des Bundestages verlassen kann.
Das Schengener Abkommen ist, wie wir wissen, in diesen Tagen in Kraft getreten, und der Bundesgrenzschutz hat bereits im Vorfeld hervorragende Arbeit geleistet,
wenn er etwa im Pfälzer Wald in den letzten Wochen gezielt -
Kolleginnen und Kollegen, hier kann kein Mensch mehr etwas verstehen. Ich bitte jetzt zuzuhören!
- über 1 600 Personen aufgegriffen hat, die aus Südosteuropa, aus der Levante und aus dem Maghreb kommen. Der Bundesgrenzschutz hat ja nicht das friedliche Treiben der Elwetritsche im Pfälzer Wald gestört, sondern Verbrecherbanden, Schlepperbanden und die Drogenmafia, aufgespürt. Ich bin sehr dankbar dafür, daß wir hier deutlich Flagge zeigen können. Innere Sicherheit beginnt beim einzelnen Polizeibeamten und bei seiner Motivation.
Meine Damen und Herren, ich kann in der Kürze der Zeit - ich habe, obwohl ich Hauptberichterstatter bin, leider nur zehn Minuten - nicht auf all das eingehen, was die Kollegin Titze-Stecher gesagt hat. Deshalb will ich ein paar weitere Themen nur stichwortartig ansprechen.
Zum Sport. Der Bundeskanzler hat dem Sport bereits 210 Millionen DM zugesagt. Wir haben diesen Betrag im Haushaltsausschuß abgesichert, weil wir es für angemessen halten, daß für Hochleistungssport und Bundesleistungszentren Mittel in diesem Umfang bereitgestellt werden und so auch auf Bundesebene Flagge gezeigt wird. Wir haben eine qualifizierte Sperre ausgesprochen, um den Spitzenverbänden des Sports die Chance zu geben, strukturelle Defizite in Eigenregie zu beseitigen. Wir wünschen uns darüber hinaus - dies als Anregung an das Innenministerium - auch bei der Trainerförderung eine Plafondierung. Denn es kann nicht angehen, daß der Bund die Rolle der Arbeitgeber übernimmt. Dies sollten die Sportverbände selbst machen.
Wir haben den Ansatz für das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte, FES, in Berlin gegenüber dem Regierungsentwurf um 1 Million DM erhöht.
Und was noch wichtiger ist: Wir haben den Vermerk „künftig wegfallend" aufgehoben und damit die Voraussetzungen geschaffen, daß sich die Forscher jetzt auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können.
Eine letzte Bemerkung zum Bereich des Sports: Wir sind durchaus der Meinung - daran lassen wir keinen Zweifel -, daß sich der Bund an den Investitionen des Sportmuseums in Köln beteiligen muß. Er wird sich daran beteiligen, weil er das versprochen hat. Allerdings muß im Vorfeld absolut sicher sein, daß die Stadt Köln oder das Land Nordrhein-Westfalen den Bund freihalten von jedem Pfennig Betriebskosten und Kosten für den laufenden Unterhalt. Leider haben der Oberbürgermeister
und der Oberstadtdirektor der Stadt Köln drei Kollegen - dem Kollegen Niese, der Kollegin Albowitz und mir - mitgeteilt, daß die Stadt Köln diese Zusicherung natürlich nicht geben wird. Deshalb erwarten wir eine Klärung der Angelegenheit. Wie ich höre, hat sich auch der Bundesinnenminister hier helfend und vermittelnd eingeschaltet.
Ein weiterer Punkt, den ich stichwortartig ansprechen möchte - er ist von meiner Vorrednerin in einer alten, nicht korrekten Form dargestellt worden -, nämlich den Schutz und die Hilfe für die deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sowie die Vertriebenen: Im Haushalt des Bundesministers des Innern sind Mittel für die Kulturarbeit unserer hei-
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
matvertriebenen Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie für die Unterstützung deutscher Minderheiten in Mittel- und Osteuropa, auch in Rußland, enthalten. Diese Haushaltsmittel sind leider immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen in den Ausschüssen und auch hier im Plenum. Ich meine, gerade in den letzten Jahren nach den 1990 und 1991 abgeschlossenen Verträgen hat sich der verständigungsstiftende Charakter dieser Haushaltsmittel gezeigt.
Sie haben dazu beigetragen, daß sich unsere heimatvertriebenen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der Neugestaltung der Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn nicht ausgegrenzt gefühlt haben. Im Gegenteil: Sie sind Brücke zur Verständigung, insbesondere gegenüber Polen und gegenüber der Tschechischen Republik.
Unsere Heimatvertriebenen haben gelernt, mit den abgeschlossenen Verträgen zu leben, sie auch als Chance zu begreifen, sich mit einzubringen in das Werk der Verständigung und der Versöhnung. Für uns, meine Damen und Herren, stehen diese Haushaltsmittel nicht zur Disposition.
Lassen Sie mich abschließend - nicht nur weil dieser. Bereich schön ist, sondern weil er unglaublich wichtig ist - noch ein paar Anmerkungen zum Kulturhaushalt des Innenministers machen. 792 Millionen DM beträgt die Summe der eingesetzten Mittel, 40 % davon gehen in die deutsche Hauptstadt, Berlin. Das ist ein stolzer Betrag, der dem Historischen Museum, dem Rundfunkorchester, Chören, der Filmakademie, der Festspiel GmbH und den vielen Maßnahmen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zugute kommt. Ich würde mir wünschen, daß die 330 Millionen DM, die im Haushalt der Regierung bereits vorgesehen waren - wir haben diesen Betrag um weitere 30 Millionen DM aufgestockt -, nicht als „lachhaft" hingestellt werden, wie dies der Kultursenator von Berlin, Roloff-Momin, in einer unglaublichen Formulierung getan hat. Die Qualifikation „lachhaft" in bezug auf 30 Millionen DM Steuergelder erinnert mich allerdings an das andere Unwort des letzten Jahres, „Peanuts", das allerdings privatwirtschaftlich erwirtschaftetes Geld betraf und nicht Steuermittel des deutschen Steuerzahlers.
30 Millionen DM haben wir zusätzlich auf die 330 Millionen DM, die ohnehin für den Haushalt in Berlin vorgesehen waren, draufgelegt. Ich meine, man muß überall anerkennen, daß das Geld nur einmal verteilt werden kann. Ich würde mir wünschen, daß auch die Berliner Kulturpolitiker jetzt ihren Beitrag zu einer kritischen Bestandsaufnahme leisten und uns im Haushaltsausschuß sagen - darum haben wir die Mittel qualifiziert gesperrt -, für welche konkreten Maßnahmen, die hauptstädtischen Charakter haben, diese 30 Millionen - es sind genau 28 Millionen, die wir gesperrt haben - verwandt werden sollen.
Eine letzte Anmerkung zu dem wichtigen Thema Kunst und Kultur in den neuen Bundesländern -58 Millionen DM. Ich muß schon sagen - Stiftung Weimarer Klassik, Bauhaus Dessau, Bach-Archiv Leipzig, Luther-Stätten, Lessing-Gedenkstätte Kamenz usw. -: Wir Berichterstatter haben unsere erste Berichterstatterreise zu einigen dieser Leuchttürme deutscher Kultur in Ostdeutschland gemacht und uns davon überzeugen können, daß das Geld der Steuerzahler hier hervorragend angelegt ist und sachkundig verwaltet wird. Wir konnten ein wenig von dem Reichtum der Kultur und der Geschichte erleben, die jetzt nach der Einheit unseres Vaterlandes auch den Mitbürgern aus Westdeutschland wieder ohne Mauer und Stacheldraht zugänglich ist. Ich war mit unserer Landtagsfraktion aus Rheinland-Pfalz 1983 auf den Spuren Martin Luthers in der damaligen DDR. Es ist schon ein Unterschied, Luthers Geburtshaus in Eisleben 1983 erlebt zu haben, ertragen zu haben und jetzt Luthers Geburtshaus in Eisleben gesehen zu haben, mit viel Liebe, mit viel Feinfühligkeit und Sensibilität gestaltet.
Meine Damen und Herren, wir alle haben Grund, für die Einheit Deutschlands dankbar zu sein.
Für mich persönlich ist dieser Teil des Kulturetats des Innenministers einer der - ich sage es jetzt sehr salopp - Highlights. Ich bin dankbar dafür, daß wir alle daran teilhaben können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushaltsplan des Innenministers ist wohldurchdacht. Er ist gut strukturiert. Dies gilt übrigens auch - das darf ich für meinen Kollegen Freiherr von Hammerstein sagen - für den Einzelplan 36. Das Zivilschutzkonzept liegt vor. Ruhe ist eingekehrt. Wir halten es für angemessen und angebracht, Sie alle zu bitten, dem Einzelplan 06 und dem Einzelplan 36 zuzustimmen.
Als nächster spricht der Kollege Rezzo Schlauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesinnenministerium mit Herrn Minister Kanther an der Spitze soll nach dem Willen der Regierungsfraktionen mit 8,5 Milliarden DM ausgestattet werden. Es stellt sich aus bündnisgrüner Oppositionssicht die Frage, wie Herr Kanther seine Aufgaben in den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen erfüllt bzw. wie sie denn besser zu erfüllen wären.
Eine Kernaufgabe des Innenministers ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, im Wörterbuch „Staat und Politik" wie folgt definiert:
Innere Sicherheit ist in der Regel Schutz, Gefahrlosigkeit, Verläßlichkeit und Abwehr von Gefahren für Individuen, aber auch für politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung.
Rezzo Schlauch
Ein erfolgreicher Innenminister hätte demnach für weniger Gefahren, für mehr Schutz und für einen hohen Grad an Verläßlichkeit zu sorgen. Sie, Herr Kanther, haben während Ihrer Amtszeit nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Unsicherheit produziert.
Das subjektive Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung ist signifikant geschwunden, was sich schon daran zeigt, daß der private Sicherheitsmarkt als präziser Gradmesser hierfür wie nie zuvor in der BRD boomt. Und dies, Herr Kanther, trotz der von Ihnen vorangetriebenen und ins Werk gesetzten Verschärfung der repressiven Instrumentarien wie das Geldwäschegesetz oder das Verbrechensbekämpfungsgesetz. Auch Ihre zukünftig geplanten Maßnahmen, wie der Lauschangriff, werden daran nichts ändern. Sie haben weniger Sicherheit geschaffen, gerade weil Sie in Ihrer blinden ideologischen Fixierung auf die Repression, auf den starken Staat, auf sich selbst als starken Mann, wie Sie sich gerne darstellen, Zusammenhänge falsch analysieren, diese im genannten Sinne ideologisieren und dann zu falschen, hilflosen und unwirksamen Reaktionen kommen.
Ich möchte dies an vier Punkten deutlich machen. Wenn sich, wie wir wissen, Bürgerinnen und Bürger in allererster Linie von der sogenannten Alltagskriminalität, also von Wohnungseinbrüchen, Diebstählen aus Wohnungen und Pkws, Fahrrad- und Pkw-Diebstählen sowie Handtaschenrauben auf Straßen und öffentlichen Plätzen, bedroht fühlen, dann helfen der große Lauschangriff, das Geldwäschegesetz oder das Verbrechensbekämpfungsgesetz nicht. Damit schaffen Sie weniger Sicherheit für die betroffenen Opfer und nicht mehr Sicherheit.
Wenn Sie bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens das Geschwister hiervon, nämlich die Korruption, ausblenden und, um Ihre eigene Wirtschaftsklientel zu schonen, die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern im In- und Ausland unangetastet lassen, dann bleibt Ihr Kampf gegen das organisierte Verbrechen unglaubwürdig und zahnlos mit gefährlichen Folgen für die Stabilität der Gesellschaft und der Demokratie.
Wenn eine jahrelange Ausweitung und Verschärfung der Repression den Drogenkonsum nicht eindämmt, sondern verbreitert, dann ist es doch allerhöchste Zeit, eine durch und durch gescheiterte repressive Kriminalpolitik durch Gesundheits- und Marktpolitik zu ersetzen, die Märkte harter Drogen Schritt für Schritt auszutrocknen und so der Beschaffungskriminalität, die in den Ballungszentren 50 % der Alltagskriminalität ausmacht, den Boden zu entziehen und dem organisierten Verbrechen die hohen
Gewinnerzielungsmöglichkeiten und damit den Saft, von dem es lebt, abzudrehen.
Benjamin Franklin hat gesagt:
Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um die Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.
Sie sind auf dem besten Wege hierzu, mit verhängnisvollen Folgen für unsere Demokratie.
Ich komme zu einem Punkt, der quantitativ nicht ins Gewicht fällt, qualitativ aber von hoher Bedeutung ist und auch davon zeugt, wes Geistes Kind dieser Innenminister und diese Regierung sind,
nämlich zur Frage der Kulturförderung in Berlin. Die jetzt eingestellten 28 Millionen DM, gesperrt noch dazu, reichen, wie wir alle wissen, hinten und vorne nicht aus. Während des Kanzlers liebstes Kind, das Deutsche Historische Museum, mit einer völlig verstaubten nationalhistorischen Konzeption verschwenderisch ausgestattet wird, wird die lebendige Berliner Kulturszene in ihrer Substanz bedroht.
Daß wir heute unseren Antrag, der den Haushalt nicht erhöht, sondern der nur umschichtet, überhaupt stellen müssen - auch das muß in diesem Hause einmal gesagt werden -, verdanken wir übrigens just denjenigen, die sich hier als die angeblichen Wahrer von Berlin und des Ostens immer aufspielen. 19:18 statt gehabter 18:18 hätte die Abstimmung enden können, wenn die Vertreterin der PDS anwesend gewesen wäre.
Gehen Sie lieber in Sack und Asche, Frau Kollegin Höll und liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, als hier mit dem von Ihnen versaubeutelten Antrag schauzulaufen.
Während wir hier debattieren, marschiert die türkische Armee durch den von Kurden bewohnten Nordirak, um mit deutschen Waffen ganze Dörfer plattzuwalzen. Dem Innenminister fällt dazu in einer Talk-runde am Sonntagabend nur ein, deutsche Waffen würden lediglich bis zur Grenze eingesetzt.
Das Schlimme daran ist, daß Sie, Herr Kanther, nicht naiv sind, sondern nur so tun, als ob.
Rezzo Schlauch
Die Massaker der türkischen Polizei an den Aleviten, der Einmarsch in den Irak und das Verhalten der türkischen Regierung gegenüber Herrn Kinkel, der allerdings in diesem Zusammenhang wieder einmal gezeigt hat, daß er im Vergleich zu Herrn Kanther naiv bis zur Halskrause ist,
zeigen, daß die Halbwertszeit der Zusicherungen der türkischen Regierung auf wenige Tage zusammengeschrumpft ist.
Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, in welch peinlicher Form sich die Bundesregierung von dem menschenrechtsschindenden Regime der Türkei am Nasenring vorführen läßt. Abgesehen davon ist es auch ein Skandal, mit welch läppischen Zusicherungen Sie, Herr Innenminister Kanther, sich von der türkischen Regierung abspeisen lassen.
Die Garantie der Zusicherung eines Anwalts bei der Abschiebung steht unter dem Vorbehalt, daß die zuständigen Justizbehörden dies erlauben - wie wir wissen, im Bereich der Staatssicherheitsjustiz ein völlig willkürlicher Akt. Wer solche Vereinbarungen trifft, der ist nicht Wahrer und Förderer der inneren Sicherheit; er ist selber zum Sicherheitsrisiko geworden,
zum Sicherheitsrisiko für die, für deren Sicherheit Sie auch verantwortlich sind, für diejenigen, die im guten Glauben auf die Garantie unserer humanen Rechtsordnung vor Verfolgung und Folter Schutz suchen und statt dessen hier auf den Kumpanen ihrer Häscher treffen.
Meine Damen und Herren, diese Regierung schmückt sich ja gern mit dem Anschein, als strebe sie zielbewußt die Modernisierung der Gesellschaft an, als stelle sie sich den Herausforderungen der Zukunft. Der Eindruck trügt. Betrachtet man das Innenressort, sieht man Stillstand. Weltoffenheit paßt nun einmal nicht unter einen Stahlhelm.
Eine moderne, weltoffene Einwanderungsgesellschaft, die wir eigentlich längst sind, die Sie nur nicht wahrnehmen wollen, schafft man nicht mit dem Blick zurück. Dorthin fließen munter weiter Ihre Gelder und Sympathien, auch wenn wie im Falle des Vereins des Deutschtums im Ausland längst der Bundesrechnungshof prüft und die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Der Blick nach vorn, das wäre nicht dumpfe Deutschtümelei, das ist geregelte Einwanderung, das ist doppelte Staatsbürgerschaft,
das ist Integration statt Ausgrenzung, das ist pluralistische, offene Gesellschaft statt formierter Gesellschaft, das ist Humanität statt Kantherscher Inhumanität, und das ist mehr lebendige Kultur. Diese Option, diesen Blick nach vorn haben Sie sich ideologisch verstellt.
Deshalb ist Ihr Beitrag zur Lösung der dringenden Probleme in unserer Gesellschaft zu dürftig. Wir lehnen diesen Etat und Sie als Innenminister ab.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Gott, Herr Schlauch, glauben Sie wirklich alles selber, was Sie hier verkündet haben?
Wie Sie die Bundesregierung bewertet haben, kann ich aus Ihrer Sicht sogar noch nachvollziehen. Aus unserer Sicht sieht das dezidiert anders aus.
Denn wenn man in der Koalition arbeiten und Verantwortung übernehmen muß, sehen manche Probleme in dieser Welt ein bißchen anders aus, als wenn man hier nur Utopia fordern kann.
Meine Damen und Herren, aus den bisherigen Debattenbeiträgen zum Haushalt 1995 ist deutlich geworden, daß die Koalition ihre strikten Sparbemühungen auch in dieser Wahlperiode konsequent fortsetzen will und muß. Dabei konnte der Einzelplan 06 natürlich nicht ausgenommen werden, doch ich glaube, wir haben nur Wasser gespart, ohne den Boden auszutrocknen.
In dieser Woche, meine Damen und Herren, beginnen die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Wir wünschen Ihnen, Herr Minister, und den Verhandlungsführern von Ländern und Gemeinden viel Erfolg,
Ina Albowitz
allerdings mit dem Hinweis verbunden, daß wir zwar den öffentlichen Dienst nicht aus der allgemeinen Einkommensentwicklung abkoppeln wollen, aber andererseits deutlich bewertet werden muß, daß ein Arbeitsplatz bei der öffentlichen Hand in der heutigen Zeit ein besonderer Wert an sich ist.
Große Sorgen bereitet uns die zunehmende Immobilität der Beamten und Angestellten im Hinblick auf ihre Versetzungsbereitschaft. Hier werden wir noch in dieser Wahlperiode zu Reformen kommen müssen, damit wir der Situation Herr bleiben, auch im Hinblick auf das, was in den Jahren 1998/2000 auf uns zukommt.
In den Koalitionsvereinbarungen haben wir festgeschrieben, daß wir das geltende Haushaltsrecht flexibler anwenden und auch neue Formen der Bewirtschaftung von abgegrenzten Verwaltungsbereichen erproben wollen. Zwei dieser Modellversuche gehören in den Einzelplan 06, und zwar die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Für beide Behörden bietet sich in den kommenden zwei Jahren die große Chance, eigenverantwortlich zu gestalten und zu wirtschaften. Ich hoffe, daß die Versuche erfolgreich sind, damit bald weitere folgen können.
Herr Kollege Fischer, ich gebe Ihnen irgendwann einmal Nachhilfeunterricht. Vielleicht kann der Kollege Metzger das viel besser. Es ist nämlich auch sein Kind.
Die Sorge des Staates um die Sicherheit seiner Bürger, die Ermöglichung der Teilhabe der Bürger am demokratischen Staatswesen und die Behandlung kultureller Angelegenheiten sind Schwerpunkte dieses Etats, auf die ich näher eingehen möchte.
Das nachvollziehbare Begehren der Bürger, in Sicherheit ihre Freiheit ausleben zu können und einen zuverlässigen Schutz vor Kriminalität durch den Staat zu erhalten, hat bei den Beratungen seinen Niederschlag gefunden. Der Bereich des Bundeskriminalamtes mit den Schwerpunkten Informationstechnik, Europol, Personal wird jetzt mit 518,8 Millionen DM etatisiert.
Beim Bundesgrenzschutz haben wir jetzt 2,73 Milliarden DM veranschlagt. Innerhalb eines Jahres wurde hier um 654 Millionen DM aufgestockt. Diese Mehrausgaben dienen zur Schließung der Personallücke und zur Steigerung der Attraktivität dieses Dienstes. Daß wir von Haushaltsseite ein Hebungsprogramm für rund 2 500 Polizeibeamte einstellen mußten, ist der erste Schritt des Gesamtprogramms, dem in den kommenden Jahren noch rund 9 000 Hebungen von A7 nach A8 folgen müssen.
Ich glaube, da sind wir unisono, Herr Kollege Graf. Wir sollten hier wirklich keine Geschichtsklitterung oder Wahrheitsdefinition betreiben. Die Koalition hat sich sehr intensiv darum bemüht. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn die SPD und die GRÜNEN nachziehen. Die Verantwortung für den Haushalt aber trägt immer noch die Koalition. Dabei würde ich es auch gerne belassen.
Dringend erforderlich - aus meiner Sicht ist es schon fast peinlich, wie in dieser Frage vom Finanzminister geblockt wurde - ist es, die Ausstattung des Bundesgrenzschutzes mit modernen Kommunikationstechniken zu verbessern. Der Einsicht des Ausschusses ist es zu verdanken, daß es mir gelungen ist, den ersten Schritt für ein Beschaffungsprogramm für Mobilfunktelefone und Autoradios zu tun. Es entbehrt nicht einer besonderen Pikanterie, wenn auf der einen Seite argumentiert wird, wir müßten der organisierten Kriminalität mit dem verstärkten Einsatz technischer Mittel begegnen, und auf der anderen Seite die Grenzschützer ihre Einsätze von der Telefonzelle aus halten oder mangels billiger Autoradios mit Verkehrsfunk unerwartet im Stau stehen. .
- Das ist mir schon öfter aufgefallen, Herr Kollege Schily. Deswegen habe ich auch nicht die Opposition kritisiert, sondern den Finanzminister.
Wir erwarten von der Regierung, daß das Programm in den kommenden Jahren weiter ausgebaut wird.
Bei aller Zufriedenheit, die man aus Bundessicht für den Etat im Bereich der inneren Sicherheit haben kann, will ich hier deutlich machen, daß man die Sicherheit der Bürger nicht erkaufen kann. Der Koalition ist es aber gelungen, diesen Schwerpunkt der Innenpolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, fernab einer James-Bond-Mentalität.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion geht davon aus, daß ein die innenpolitischen Grundsätze widerspiegelnder Haushalt dem Bürger die Teilhabe am demokratischen Staatswesen ermöglichen muß. Hierunter verstehe ich besonders die Möglichkeit, daß sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes politisch bilden bzw. weiterbilden können. Diesen Bereich decken zum großen Teil die politischen Stiftungen und die vielen kleinen Weiterbildungseinrichtungen ab. Ihre Arbeit ist in der Regel nicht zu kritisieren, wie auch der Herr Bundespräsident erst vor wenigen Tagen festgestellt hat.
Ina Albowitz
Ärgerlich ist aber, daß wir seit Jahren die Finanzierung der Stiftungen nicht gesetzlich geregelt haben.
Meine Fraktion hat jetzt als Initiative einen umfangreichen Gesetzentwurf vorgelegt und lädt alle Fraktionen dieses Hauses zu einer intensiven Diskussion und Debatte ein.
Wir sollten die kritischen Diskussionen in der Öffentlichkeit ernst nehmen und, bevor uns das Verfassungsgericht vorschreibt, was der Gesetzgeber zu tun hat, selber unsere Hausaufgaben erledigen, damit wir endlich aus dem Geruch der Begünstigung herauskommen.
Meine Damen und Herren, die Übereinstimmung des Bürgers mit dem Staat, in dem er lebt, resultiert auch daraus, daß er sich in seinem Land kulturell und geistig gefordert fühlt. Ich habe in den bisherigen Haushaltsberatungen den Stellenwert insbesondere der Kultur immer deutlich angesprochen, den sie in einem demokratisch-föderalen Staatsgefüge hat.
Auch in einer Zeit haushaltswirtschaftlicher Probleme hat der Bund seine traditionellen Fördermaßnahmen als Beitrag zur Sicherung des notwendigen Freiraums für Kunst und Kultur auf einem vertretbaren Niveau fortschreiben können.
Die bisherigen Prioritäten der Kulturförderung in den alten Bundesländern sind nach 1992 neu bewertet worden und gleichzeitig bislang nicht etatisierte Kultureinrichtungen in den neuen Bundesländern in die Bundesförderung einbezogen worden.
Ich persönlich allerdings habe meine Zweifel, ob die bisherige Bewertung in den kommenden Jahren hält oder ob wir nicht in einer Gesamtschau in relativ kurzer Zeit mit den Ländern gemeinsam Kriterien entwickeln müssen, wie Spitzenkulturförderung im Verhältnis Bund/Länder auszusehen hat.
Insgesamt verfügt der Innenminister jetzt über einen Etat von rund 1,5 Milliarden DM in diesem Bereich. Schwerpunkte sind Denkmalschutz, die Kulturförderung in den neuen Bundesländern, das Gedenkstättenkonzept Ost und die sogenannten Sondermaßnahmen Ost.
Die in einer Agenturmeldung vom 16. März kolportierte Aufforderung der Ministerpräsidenten, der Bund solle sich weiter an der Kulturförderung in den neuen Bundesländern beteiligen, ist eine ziemlich dümmliche Effekthascherei. Wir widmen uns dieser Aufgabe mit erheblichem personellen und finanziellen Engagement. Wenn aber die Ministerpräsidenten schon soviel Herzblut einfließen lassen, möchte ich
noch einmal die notwendige Definition erstens der Spitzenkulturförderung in Deutschland und zweitens der Formierung von Kulturkonzeptionen dringend anmahnen.
Es ist schon ziemlich ernüchternd, meine Damen und Herren, anzusehen, daß die ach so vornehme Kultusministerkonferenz immer mehr zu einer bundesweiten Lehrerkonferenz gerät, die sich fast ausschließlich mit Bildungsfragen beschäftigt, aber sich den Erfordernissen von programmatischer Kulturarbeit konsequent entzieht.
In Nordrhein-Westfalen, wo demnächst Wahlen anstehen, kann man dies ja vielleicht mit dem momentanen, alle Kräfte verzehrenden Glaubenskrieg um die Gesamtschule in Verbindung bringen. Nur, zu billigen ist dies in keinem Fall. Und was das Verhalten bei der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angeht, stellt sich ja wohl die Frage, wie vertragstreu eigentlich die Länder sind.
Auf einen besonderen Streitpunkt, meine Damen und Herren, muß ich noch eingehen. Auch im Kulturbereich scheint die Berlin-Bonn-Sklerose immer noch weiterzugehen. Mit Argusaugen wird darüber gewacht, mit keinem Pfennig schlechter dazustehen als die jeweils andere Stadt und die in ihr geförderten kulturellen Maßnahmen.
So geisterten in der letzten Zeit Zahlen durch die Presse, die den konstruierten Gegensatz von Berlin-Gegnern und Bonn-Freunden neu aufleben lassen sollten. Aus der Gesamtsumme von 352,3 Millionen DM, die zur Förderung kultureller Einrichtungen und Vorhaben in Berlin für das laufende Jahr eingestellt werden sollen bzw. eingestellt sind, wurde der Sondertitel Berlinförderung für 1995 in Höhe von 30 Millionen DM herausgezogen und vergleichend den im Rahmen des Hauptstadtvertrages für Bonn vorgesehenen Mitteln gegenübergestellt. Hier sollte Meinung gemacht und Unruhe geschürt werden.
Fakt ist, daß in den Jahren 1991 bis 1994 rund 2 Milliarden DM in die Kulturförderung Berlins - einschließlich der Übergangsfinanzierung und der Sondermittel aus dem Bundeshaushalt - geflossen sind. Berlin erhält ab 1995 über den Länderfinanzausgleich erhöhte Zuwendungen und kann selber entscheiden, wofür es diese erhöhten Sonderzuweisungen benutzen möchte.
Die von uns eingestellten 30 Millionen DM entsprechen im übrigen exakt dem Anteil, den das Land Berlin 1994 aus der Übergangsfinanzierung „Sondertopf Unabhängige Kommission" erhalten hat.
Ina Albowitz
Wenn der Doppelhaushalt des Berliner Senats ein Defizit von 148 Millionen DM hat, kann ja wohl der zuständige Kultursenator nicht allen Ernstes angenommen haben, daß wir seine Defizitberechnungen einfach abgleichen.
Hier ist schon sein eigener Kopf gefragt. Die von uns eingestellten zusätzlichen 30 Millionen DM allerdings als „lachhaft" zu bezeichnen, das ist ein Niveau, meine Damen und Herren, angesichts dessen ich mir wünschen würde, daß der Regierende Bürgermeister dazu Stellung nimmt. Oder noch besser: Die Berliner Bürger sollten diesen Senator endlich abwählen, denn das hat er längst verdient.
Die Berliner können sich aber darauf verlassen, daß wir den Hauptstadtvertrag, der ab 1996 gilt, einhalten werden, ebenso wie die Bonner wissen, daß der Bonn-Vertrag 1999 ausläuft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zwei Sätze zum Einzelplan 36 sagen. Ich kann die Kollegin Titze ja verstehen. Wir haben den Innenminister schon vor Jahren aufgefordert
- nein, noch länger, Uta -,
uns eine schlüssige Gesamtkonzeption vorzulegen. Weil die Defizite in diesem Bereich so groß waren, hat der Finanzminister in den vergangenen Jahren natürlich die Gunst der Stunde genutzt und den Haushalt plafondiert. Da nützt das Drumherumreden überhaupt nichts; ich denke, das muß man in dieser Offenheit auch ansprechen.
Seit 1992 hat der Haushaltsausschuß den Innenminister aufgefordert, eine Gesamtkonzeption vorzulegen. Frau Kollegin Titze, diese Gesamtkonzeption liegt vor. Der Innenminister hat die Koalitionsfraktionen und den Ausschuß - die Ausschußvorlage ist im übrigen da - darüber auch informiert. Wir haben während der Ausschußberatungen und in der Berichterstatterrunde schon über die Konzeption geredet.
Daß sie im Innenausschuß und im Haushaltsausschuß noch nicht abschließend beraten worden ist, das, glaube ich, ist im Augenblick nicht zu kritisieren. Aber da wir in den kommenden Monaten keine Haushaltsberatungen haben, bleibt uns eine Menge Zeit, das nachträglich zu erledigen.
Ich bedanke mich vor allem bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums, hier vor allen Dingen bei denen des Haushaltsreferats. Die Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr Innenminister, haben in diesem Jahr mit zwei Haushalten Beachtliches zu leisten. Nur Haushälter wissen, was das heißt. Wir leiden alle gemeinsam.
Ich bedanke mich.
Als nächste spricht die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen erhalten wir Anschauungsunterricht darüber, wie sich der Bundesinnenminister die Lösung des Problems der Flüchtlinge aus der Türkei vorstellt. Mit dem Kerkermeister der türkischen Regierung wollen Sie, Herr Kanther, Verträge darüber schließen, daß die Menschenrechte in der Türkei eingehalten werden sollen.
Ihr strategisches Ziel ist aber völlig unabhängig von dem Erfolg dieser Politik. Ernsthaft glauben auch Sie, Herr Kanther, meines Erachtens nicht daran, daß die Türkei die Menschenrechte achten wird. Von daher setzen Sie alles daran, die Flucht der Menschen in die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern.
In dieser Beziehung ist der Bundesinnenminister meines Erachtens Pragmatiker: Wenn keine Flüchtlinge mehr hereinkommen, weil wir sie an unseren hochgerüsteten Außengrenzen abfangen, dann braucht man auch nicht darüber zu streiten, ob ihre Herkunftsländer sicher sind oder nicht.
Die vorgelagerten Pufferzonen deutscher Asylpolitik müssen so gut funktionieren, daß der Flüchtlingsstrom aus Kurdistan am Bosporus zum Stoppen kommt, daß der Flüchtlingsstrom aus Bosnien von unsichtbarer deutscher Hand in Kroatien aufgefangen wird und daß Flüchtlinge aus Afrika keine Chance mehr haben, legal oder illegal ein Flugzeug oder ein Schiff in Richtung Europa zu besteigen.
Mit diesem Modell der „Festung Europa" gegen die Flüchtlinge wird Kanther zwar zum indirekten Büttel der Unrechtsregime, er hat sich damit aber aller rechtlichen und politischen Probleme der Abschiebungen entledigt. Der Beamte des Bundesgrenzschutzes und sein rumänischer Kollege - quasi auf Außenposten - werden zu Sachwaltern einer de facto abgeschafften bundesdeutschen Asylpolitik.
Unter diesem Gesichtspunkt erfahren das eben in Kraft getretene Schengener Abkommen und die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa ihre Bedeutung.
Die absolute Sicherung dieser hochtechnisierten Außengrenze mit Wärmebild- und Nachtsichtgeräten, Computerterminals und Patrouillenbooten wird zur zentralen Aufgabe, desgleichen die finanzielle und technische Polizeihilfe für die osteuropäischen Nachbarstaaten, aber auch der Ausbau von Sicherheitsanlagen auf den Flughäfen und Seehäfen, die zu Außengrenzen erklärt werden, sowie der Auf- und Ausbau des Schengener Informationssystems. Hierhin fließen die Summen aus dem Haushalt des Innenministeriums in Höhe von zig Millionen.
Ich will hier nur anmerken: Es ist bezeichnend für den Bundeshaushalt, daß im gleichen Atemzug durch die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes den Flüchtlingen noch mehr Sozialleistungen zusammengestrichen werden sollen. Die Bundesregierung unterstreicht damit ein weiteres Mal,
Ulla Jelpke
daß sie gar nicht verbergen will, daß sie Menschen wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft benachteiligen will. Sie übererfüllt damit die Forderungen der rechten „Republikaner".
Hochgezüchtet wird aber auch, wie es in diesem Haushalt zum Ausdruck kommt, ein gigantischer Polizeiapparat in und für Kerneuropa. Während die Grenzen innerhalb der Schengen-Staaten scheinbar fallen, setzt auch der grenzenlose große staatliche Datentransfer ein. Mit aufwendiger Computertechnologie werden die Bürgerinnen und Bürger von den Sicherheitsbehörden umfassend ausgeleuchtet und erfaßt. In Spanien kann die dortige Polizei Auskunft über alle möglichen Bürgerinnen und Bürger einholen, deren Namen auf irgendeinem Wege in den Computer eingegeben worden sind, und sei es, weil sie als Zeugen in Hamm ausgesagt haben.
Es geht hier nicht um die Möglichkeit des eventuellen Mißbrauchs dieser staatlichen Machtfülle, die einzelne Beamte wie die rassistisch verhetzten Hamburger Polizisten oder Killerkommandos in der spanischen Polizei haben. Nein, der normale Gebrauch dieser Technologie, die hier stattfindende Machtzusammenballung, ist das eigentliche Problem; denn dieses Informationssystem basiert ja auf den Sicherheitsvorstellungen, die die Strategen der inneren Sicherheit im Kampf gegen die sogenannte organisierte Kriminalität entwickelt haben. Kleine und große Lauschangriffe, Kontrollen, die nun hinter und nicht an den Grenzen stattfinden, sollen das dem Bürger und der Bürgerin eingeredete Unsicherheitsgefühl aufheben.
Meine Damen und Herren, 50 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus müssen wir erleben, daß der Neofaschismus für dieses Land immer noch oder schon wieder eine große Bedrohung darstellt. Die Gewalt, die von ihm ausgeht, bewegt sich immer noch auf einem hohen Niveau. Das große Geflecht der neofaschistischen Gruppierungen ist weiterhin so gut wie unangetastet. Ich behaupte hier: Heute sind wir so weit wie nie zuvor von der Realisierung des Potsdamer Abkommens entfernt, nach dem der deutsche Militarismus und Nazismus „ausgerottet" werden sollte.
Die Verbote der neofaschistischen Kleinstgruppen in der letzten Zeit unterstreichen eher: Die wichtigen rechtsextremistischen Organisationen und Einrichtungen werden nicht verfolgt. Im Gegenteil, sie können sich ausbreiten. Sie können ihren Einfluß ausdehnen und gehen Bündnisse mit dem Konservativismus ein. In Denkfabriken wie dem Studienzentrum Weikersheim, in Zeitungen wie der „Jungen Freiheit" wächst zusammen, was offenbar zusammengehört. Rechtsextreme Ideologen findet man bei der Lektüre dieser Zeitung neben dem sächsischen Justizminister Heitmann und dem Parlamentarischen Staatssekretär Lintner.
Wir haben für diese Haushaltsberatungen eine Reihe von Anträgen gerade zu diesem Bereich vorgelegt. Sie unterstreichen nicht nur die Zurückhaltung, die die Bundesregierung gegenüber Rechtsextremisten beispielsweise in den Vertriebenenverbänden an den Tag legt, sondern sie verdeutlichen die offene Komplizenschaft der Bundesregierung. Fast 700 000 DM hat die Bundesregierung der Landsmannschaft Ostpreußen 1994 zukommen lassen.
- Ja, hören Sie einmal, Herr Marschewski: Dies, obwohl in deren Zentralorgan, dem „Ostpreußenblatt", die Leugnung des Holocaust betrieben wird, obwohl dort nach dem Anschlag auf die Synagoge in Lübeck Schönhuber nach seinen Schmähungen gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden offen verteidigt wird und obwohl die Zeitung von Rechtsextremisten durchsetzt ist. Der Bundesregierung ist dies egal. Sie nimmt lieber heftige Kritik entgegen, als auch nur ernsthaft die Sachverhalte prüfen zu wollen, geschweige denn Konsequenzen zu ziehen.
Die Ausdehnung des Einflusses der „Neuen Rechten" ist eine Entwicklung, die viele Menschen zu tiefer Sorge treibt. Der Kollege Pflüger von der CDU beispielsweise spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, daß die Republik „driftet". Der den Liberalen nahestehende Politikprofessor Gessenharter spricht von einem möglichen „Kippen" der Republik. Beide meinen damit, daß es die „Neue Rechte" geschafft hat, bestimmte Politikfelder, vor allem die Asyl- und Flüchtlingspolitik, gravierend zu beeinflussen.
Von diesen Entwicklungen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nichts mitbekommen. Auf die Gefahren durch die „Neue Rechte" angesprochen, antwortete die Bundesregierung 1994 auf eine Anfrage von mir:
Zum Zwecke der Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit fanden und finden Ergebnisse Eingang in Verfassungsschutzberichte, z. B. des Bundes 1971.
Ich wiederhole: 1971. 24 Jahre lang wurde also vom Bundesamt die „Neue Rechte" entweder gewollt oder ungewollt übersehen. Beides kann aber nur zu dem Schluß führen: Der Etatansatz für das Bundesamt muß gestrichen werden.
Zum Schluß noch zwei Anmerkungen. Erstens. Die PDS hat beantragt, die Zuschüsse für repräsentative kulturelle Einrichtungen in Berlin in Höhe von 30 Millionen DM auf 150,5 Millionen DM anzuheben und den Sperrvermerk zu streichen. Das ist nötig, um der Zerstörung der kulturellen Infrastruktur in Berlin entgegenzuwirken. Die Kollegen von den GRÜNEN können also sehen: Wir haben gelernt. Sie können unserem Antrag heute zustimmen.
Frau Jelpke, bitte kommen Sie zum Ende.
Ich komme zum letzten Satz.
Ulla Jelpke
Zweitens. Wir haben auch in diesem Jahr wieder die Bereitstellung von Mitteln für die parteinahe Stiftung der PDS beantragt. Im Jahr 1993 wurden für die Stiftungen der Parteien in diesem Haus 645 Millionen DM ausgegeben. Die PDS wird aus dieser Förderung mit fadenscheinigen Begründungen herausgehalten.
Wir fordern, daß auf jeden Fall auch die PDS Gelder zur Unterstützung einer Stiftung bekommt.
Danke.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Kanther.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die innere Sicherheit zählt zu den wichtigsten Voraussetzungen für ein freiheitliches und friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft und damit zu den wichtigsten Fragen der Politik, die wir zu bewältigen haben. Bei der Bekämpfung der Kriminalität, insbesondere ihrer bedrohlichsten Variante, der organisierten Kriminalität, besteht innerstaatlich, im Bereich der europäischen Kooperation und bei der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit über Europa hinaus bei sich schnell und ständig verändernden Gefährdungslagen immer neuer Handlungsbedarf. Die Koalition stellt sich dieser Herausforderung mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, das an die erfolgreichen Entscheidungen der vergangenen Legislaturperiode anknüpft.
Den Entwurf eines Gesetzes über das Bundeskriminalamt hat die Bundesregierung als eine der ersten Maßnahmen der neuen Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Es muß so schnell wie möglich verabschiedet werden. Nach der Koalitionsvereinbarung sind weitere Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung sofort anzugehen und das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sowie das Geldwäschegesetz auf der Grundlage von Erfahrungsberichten und auch ersten praktischen Erfahrungen von Polizei und Justiz bis Anfang 1996 zu bewerten und gegebenenfalls zu novellieren. Die Opposition ist selbstverständlich eingeladen, hier, im Bundesrat und in den Ländern, wo sie wesentliche Mitverantwortung für die innere Sicherheit trägt, mitzuwirken.
Im ganzen gesehen gibt es einen erheblichen Bedarf bei der Ergänzung unseres Handwerkszeugs zur Verbrechensbekämpfung. Dabei ist der gelegentlich zu hörende Vorhalt, es gehe mir zuerst um Gesetze, und das sei es dann, völlig falsch. Es geht immer darum, vor allem in der Praxis mit der Kriminalität fertig zu werden. Aber wo im Bereich der Eingriffs-
verwaltung das gesetzliche Handwerkszeug nicht hinreicht, muß es zunächst geschaffen werden, ohne daß damit das Problem gelöst wäre. So herum ist die Reihenfolge richtig.
Wenn wir über das Handwerkszeug sprechen, ist ein wichtiger Punkt die Verbesserung der Möglichkeiten der Überwachung moderner Telekommunikationssysteme, die wir entsprechend dem technischen Fortschritt brauchen, um bei der Bekämpfung der Kriminalität nicht Nischen entstehen zu lassen, die Verbrecher zu kontrollfreier Kommunikation miteinander befähigen.
Ich merke an: Dies werden wir schnell umsetzen. Ich merke weiter an: Dies steht für mich persönlich, auch wenn es in der Koalition noch streitig ist, in einem Zusammenhang zum Abhören von Gangsterwohnungen; denn wenn es auf Grund des technischen Fortschritts immer schwieriger werden wird, das - um dieses Bild zu gebrauchen - gesprochene Wort im Fluge zu erwischen, muß man es den Tätern von den Lippen ablesen. Das ist eine unverzichtbare Entwicklung. Wir werden sehen, wie wir im Rahmen der Novellierung des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität auch mit diesem Vorgang fertig werden.
Der Bereich der inneren Sicherheit ist ein Paradebeispiel für die Verantwortung der Länder im Bundesstaat. Ihre Mitverantwortung ist gerade auf dem Gebiet des Polizeirechts, des Verfassungsschutzes und der Terrorismusbekämpfung enorm: Sie sind für Polizei und Justiz zuständig.
Ich appelliere deshalb von dieser Stelle aus an diese Mitverantwortung. Bund und Länder sind Sicherheitspartner, und keiner kann seine Aufgaben ohne den anderen bewältigen. Hier ist Kooperation gefordert.
Föderalismus bedeutet auch, daß sich Bund und Länder nicht als Konkurrenten in einem nur einheitlich zu beackernden Feld verstehen, daß sie die Kompetenz des anderen nicht als Hemmschuh der eigenen Aufgabenerfüllung betrachten, sondern im Interesse der gemeinsamen Sache konstruktiv handeln. Er bedeutet auch, sich veränderten Sicherheitslagen ständig anzupassen, parteipolitische Ladenhüter wegzustellen und den staatlichen Sicherheitsauftrag streng rational zu erfüllen.
Deshalb freue ich mich darüber, daß sich andeutet, daß die Kriminalitätsrate im letzten Jahr geringfügig zurückgegangen ist. Nur: Daraus, verehrte Kollegen von der SPD, auch nur den Ansatz eines Schlagstocks zum gegenseitigen Traktieren zu gewinnen, ist doch völlig abwegig. Wen wollen wir denn damit beruhigen, wenn wir - betreffend das Handwerks-
Bundesminister Manfred Kanther
zeug und die Durchführung von Sicherheitspolitik - sagen, daß die Zahl der Verbrechen und Straftaten vielleicht von 6,7 auf 6,5 Millionen im Jahr gesunken ist?
Das ist doch kein Anlaß zur Beruhigung, sondern lediglich der Ansatz einer erfreulichen Entwicklung, die wir insbesondere auch auf die richtige Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung zurückführen.
Ich komme noch einmal darauf zu sprechen, daß dabei Bund und Länder zusammengehören und daß die Länder untereinander darauf achten müssen, daß die Elemente der Sicherheitspolitik nicht auseinanderdriften. Ich bin voller gutem Willen, aber ich muß darauf hinweisen, daß sich unsere Welt auf diesem Sektor unentwegt ändert - leider, und zwar nicht zum Besseren -, daß neue Deliktsformen auf diesen Markt kommen, daß die internationalen Zusammenhänge stärker werden, daß die Kriminalitätsbekämpfung nicht mehr zuvörderst in den eigenen Grenzen gedacht werden kann, wenn es um die organisierte Kriminalität geht. Darauf muß man sich auch in einer föderalen Ordnung neu einstellen. Das ist das Petitum.
Deshalb werden wir z. B beim Bundeskriminalamtsgesetz sehen, wieviel Bereitschaft auch bei der SPD hier im Hause besteht, diesen modernen Ansatz zu verfolgen.
- Herr Kollege Schily, es ist eben ein Zeichen in die falsche Richtung, wenn jetzt im Bundesrat - wir werden sehen, wie das übermorgen im Plenum des Bundesrats gehen wird - angesetzt wird, die wenigen vorhandenen Möglichkeiten des Bundes über das Bundeskriminalamtsgesetz, die seit ungezählten Jahren in diesem Gesetz stehen und von denen von allen Regierungen der Bundesrepublik sehr maßvoll Gebrauch gemacht worden ist, abzuschneiden. Das zeigt, daß die veränderte Sicherheitslage gelegentlich unter einer allzu provinziellen Betrachtungsweise verlorengeht.
Neben diese nationalen Maßnahmen tritt die Zusammenarbeit in Europa, z. B. bei Europol, die wir im letzten Jahr weit vorangebracht haben. Sie ist sicher noch nicht voll ausgebildet, aber das liegt auch nicht allein an uns. Die deutsche Politik ist hier bei weitem großzügiger auf eine Zusammenarbeit mit den Nachbarn, auch auf die Abgabe nationaler Souveränitätsrechte, die für manchen unserer Nachbarn noch eine so große Rolle spielen, eingestellt.
Uns geht es zuallererst darum, daß die Kriminalität bekämpft wird. Ob ein über die Grenze geflohener Gangster in Straßburg oder in Kehl und von welcher Polizei festgenommen wird, ist mir verhältnismäßig egal, Hauptsache wir kriegen ihn. Deshalb sind wir in diesen Fragen großzügiger.
Vor ein paar Tagen ist das Schengener Durchführungsabkommen in Kraft getreten. Es ist ganz wichtig, daß wir ihm auch in Zukunft seine beiden Dimensionen beimessen. Denn es ist ein Freizügigkeitsabkommen, und es ist ein Sicherheitsabkommen. Es war auch nie etwas anderes gewollt. Der Schutz der gemeinsamen Außengrenzen ist unverzichtbar und wird von uns äußerst ernst genommen. Rund 10 000 Grenzschutzkräfte sind an den Übergängen und an der grünen Grenze im Einsatz. Unsere Partner verlangen das von uns.
Wir müssen auch sehen, daß der Schengen-Gedanke, der 1985 geboren worden ist und der jetzt in die Praxis umgesetzt wird, mit einer weltgeschichtlichen Entwicklung in Europa, nämlich mit dem Zusammenbruch des östlichen Machtsystems und der Herstellung von Freizügigkeit - legaler wie illegaler -, zusammengetroffen ist. Wir müssen daher den Schengen-Gedanken unter diesen Sicherheitsaspekten in der Praxis richtig umsetzen, worüber im westlichen Europa Einvernehmen besteht.
Dies stellt übrigens wiederum neue Anforderungen an die Sicherheitspolitik der Länder; denn die Eingriffsmöglichkeiten des Bundes und seiner Polizei, der Grenzpolizei, gehen zurück, und die Länder müssen den Sicherheitsschleier aus ihrer Kraft stellen. Ob sie das wie Bayern mit einem neuen Polizeirecht tun oder im Rahmen ihres geltenden Rechts, ist nicht Gegenstand des Urteils des Bundesinnenministers, aber notwendig ist der Sicherheitsschleier.
Schlepper werden noch stärker versuchen, Ausländer über die Binnengrenzen nach Deutschland einzuschleusen. Deshalb sind Schwerpunktkontrollen an unseren Grenzen in Ausnahmefällen auch in Zukunft notwendig. Deshalb müssen wir auch die auswärtigen Beziehungen in den Dienst dieser Politik stellen. Wenn die jüngste Schlepperroute über Italien und Südeuropa ins Elsaß und nach Süddeutschland führt, bevorzugt deshalb, weil Italien als einziges europäisches Land von Serbien-Montenegro, also von Rest-Jugoslawien, kein Visum verlangt, dann ist doch offensichtlich, daß wir von unseren italienischen Freunden hier eine Änderung erbitten müssen. Dies nur als Beispiel für das Zusammenspiel in der Politik.
Ich bedanke mich für die von Herrn Kollegen Uelhoff schon deutlich gemachte großzügige Behandlung des Bundesgrenzschutzes, einem wichtigen und in vieler Weise neu zu bewertenden Sicherheitsinstrument der deutschen Politik. Es liegt auf der Hand, daß dort noch mannigfaltige Umstellungen notwendig sind. Die Grenze, die diese Einrichtung noch vor fünf Jahren bevorzugt zu bewachen hatte, gibt es heute glücklicherweise nicht mehr: die Demarkationslinie zwischen Ost und West. Natürlich gibt es Eingewöhnungsschwierigkeiten bei der Übernahme so vieler neuer Aufgaben in kurzer Zeit.
Die Koalition macht selbstverständlich ihre Schularbeiten im Bereich Katastrophen- und Zivilschutz. Das Konzept liegt vor. Ich führe das jetzt im einzelnen nicht näher aus. Es war mühsam, jetzt ist es aber gut. Es erfüllt die Aufgaben eines modernen Zivil- und Katastrophenschutzes in Zusammenarbeit mit den Ländern, die sich bis jetzt bewährt hat. Außerdem zeigt es unseren ernsthaften Willen, dort zu sparen, wo wir dies können. Hunderte von Millionen
Bundesminister Manfred Kanther
Mark werden eingespart, weil sich die Sicherheitslage unter den Aspekten einer kriegsmäßigen Verwüstung des Bundesgebietes Gott sei Dank wesentlich verbessert hat.
Zu den wichtigen Projekten der nächsten Zeit gehört - worüber hier schon gesprochen worden ist - die Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechtes. Diese schreitet voran. Wir werden das neue Rechtsinstitut der Kinderstaatszugehörigkeit zu einem tauglichen Instrument machen.
Zu den wichtigen Projekten gehört auch die Novellierung des öffentlichen Dienstrechtes in breit angelegter Form. Ich weise aber auch darauf hin, daß jede Debatte zu kurz greift, die das öffentliche Dienstrecht - vorzugsweise oder allein - als Beamtenrecht und damit als Sache dieses Hauses versteht. Die Probleme des öffentlichen Dienstrechtes ergeben sich im Tarifrecht ganz genauso wie dort, wo eine Regelung durch Gesetz erfolgt.
Die Frage lautet: Herr Kollege Kanther, haben Sie bei Ihrer Diskussion über moderne Formen der Kriminalität auch die Schlepperroute untersucht, die von Deutschland nach Österreich führt und auf der sich Herr Flick dem deutschen Fiskus entzogen hat, und haben Sie die Schlepperroute untersucht, die Herr Schneider gewählt hat, der 5 Milliarden DM in den Sand gesetzt hat, der kleine Firmen kaputtgehen läßt und der mit seinen Rechtsanwälten in Deutschland ganz offen kommunizieren kann, was dennoch nicht als irgendeine Form moderner Kriminalität ernsthaft von Ihnen verfolgt wird?
Es zeigt sich wieder einmal, daß es selbst dann keinen Sinn hat, mit Vertretern der PDS zu diskutieren, wenn man aus Versehen einen Zwischenruf zuläßt.
Für die Sicherheitspolitik, die ich Ihnen darstelle, ist von Bedeutung, daß wir nicht allein den Staat als Handelnden betrachten. Die Gesellschaft hat wichtige Aufgaben auf diesem Felde, ebenso der einzelne. Die Prävention ist das, was immer als erstes gefragt ist, ehe man sich der Polizei und den Gerichten zuwendet. Die gesellschaftlichen Phänomene und die Erziehungsphänomene müssen uns beschäftigen. Wachsende Gewaltbereitschaft, zunehmende Verrohung und die Tendenz zu rücksichtslosem Verhalten im Alltag sind Probleme, die nicht zuvörderst vom Staat bewältigt werden können, sondern bei denen auch der einzelne gefragt ist, wenn es darum geht, wie er seine Kräfte in der Gesellschaft einsetzt. Die Defizite, die sich ergeben, wenn etwas in der Gesellschaft, in der Familie oder vom einzelnen gering geachtet wird, können kaum oder nur sehr begrenzt und mit hohem Aufwand vom Staat ausgeglichen werden.
Der als Ergebnis der Haushaltsberatungen jetzt vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts 1995 bietet eine gute Grundlage für alle Bereiche der Innenpolitik in diesem Jahr. Er bietet selbstverständlich auch eine gute Grundlage im Bereich der Kulturpolitik. Ich möchte noch klarstellen, was die Berliner Einrichtungen angeht. Von 690 Millionen DM Bundesmitteln werden 332 Millionen DM in Berlin und für die dortigen Institutionen eingesetzt. Das heißt nicht, daß wir dort schon am Ende aller Überlegungen wären. Noch ist die Bundesregierung nicht dort.
Manches ist noch in der Entwicklung. Der Auftrag, den sich die Bundesregierung hier selbst stellt, die hauptstädtische Kulturförderung zu ihrem Anliegen zu machen, wird auch in Zukunft einen besonders herausragenden Platz in diesem Etat einnehmen.
Ich danke allen, die an diesem Haushalt mitgewirkt haben, insbesondere auch für eine großzügige Bemessung der Aufwendungen, die für die innere Sicherheit notwendig sind. Wenn ich daran denke, wie wir den Bundesgrenzschutz von seinen Einsatzmöglichkeiten und der Attraktivität des Dienstes her ausgestattet haben, und ein guter Grund für die Annahme besteht, daß das durch ein längeres Programm fortgesetzt wird, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß der Bund bei seiner Polizei seine „Schulaufgaben" gut gemacht hat.
Bundesminister Manfred Kanther Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Innen- und Rechtspolitik der Bundesregierung leidet an Zwiespältigkeit, Unentschlossenheit, zunehmender geistiger Verarmung und Einfaltslosigkeit.
- Auch Sie, Herr Kollege Schäuble, leiden leider an Einfallslosigkeit, weil Ihnen seit einigen Monaten gar kein anderer Zwischenruf einfällt.
Herr Kanther flüchtet sich mit Vorliebe in forsche Sprüche und macht das Ganze dadurch nur noch schlimmer. So kommt nirgends etwas Rechtes zustande, nicht zuletzt auf Grund der unüberbrückbaren Meinungsgegensätze zwischen der Bundesjustizministerin und dem Bundesinnenminister. Herr Kanther sagt hü, Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt hott. So bleibt der Karren stecken.
: Das bedauern
Sie?)
Weil sich die Koalitionäre offenbar hoffnungslos argumentativ verkeilt haben, konnte das Bundesjustizministerium weder einen Gesetzentwurf zum § 218 noch zur Vergewaltigung in der Ehe einbringen.
Herr Kanther versteift sich auf die unsinnige Forderung nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, während die von der SPD seit langem geforderte Reform des Jugendstrafvollzugs auf sich warten läßt. Die Bundesregierung erweist sich als unfähig zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und zur Integration von Ausländern - ein politisches Debakel ohne Ende, meine Damen und Herren Kollegen.
Bisher ist auch nicht, außer allerlei unverbindlichen Ankündigungen, erkennbar, daß die Bundesregierung die Kraft zu einer umfassenden Restrukturierung staatlichen Handelns und zu einer Modernisierung staatlicher Institutionen aufbringen könnte.
Wenn jedoch die Entfremdung zwischen Gesellschaft und Staat, die bereits gefährliche Ausmaße angenommen hat, nicht weiter fortschreiten soll, sollten wir gemeinsam alle Anstrengungen darauf verwenden, die Modernisierung des Staates voranzubringen. Leitmotiv in diesem Zusammenhang muß sein, daß sich der Staat als Dienstleistungsunternehmen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern versteht und nicht als Herrscher gegenüber den Untertanen.
An intelligenten Reformmodellen und Reformideen fehlt es gewiß nicht. - Ich erinnere nur an die Vorschläge aus den Kreisen der Gewerkschaft ÖTV. - Wir müssen sie nur in die Tat umsetzen. Wir verkennen nicht, daß es für ein solch umfassendes Modernisierungsvorhaben eines breiten politischen Konsenses bedarf. Ich will durchaus auf Ihre Einladung, Herr Kollege Scholz, zu einem Gespräch auf diesem Gebiet zurückkommen. Ich nehme dieses Gesprächsangebot ausdrücklich an.
„Stabilität durch Integration war das Erfolgsgeheimnis der alten Bundesrepublik", schrieb Warnfeed Dettling am 30. September 1994 in der Wochenzeitung „Die Zeit". Mittlerweile scheint diese Erkenntnis in Vergessenheit geraten zu sein. Innen- und Rechtspolitik ist immer und in erster Linie eine Integrationsaufgabe, meine Damen und Herren Kollegen. Herr Kanther ist dieser Aufgabe leider in keiner Weise gewachsen.
Wer wie Herr Kanther Zuwanderung nur und ausschließlich als Bedrohung und Unheil für unser Volk wahrnimmt, statt die Notwendigkeit und auch die Chancen der Zuwanderung einzusehen und zu begreifen, hat ohnehin jeden Realitätsbezug verloren.
Herr Kanther hält noch immer krampfhaft an der Illusion fest, daß Deutschland kein Einwanderungsland sei. Diese Behauptung wird schon durch ein kleines, unscheinbares Schildchen am Flughafen München widerlegt, das den Weg zu folgendem Büro weist: Deutsche Grenzpolizei, Immigration.
Was heißt es denn, daß inzwischen sieben Millionen Ausländer, die in ihrer Mehrzahl de facto längst Inländer geworden sind, unter uns leben? Ist das keine Einwanderung? Haben Sie nicht begriffen, daß wir auf Grund des demographischen Wandels diese Einwanderung nicht nur hinnehmen können, sondern sogar dringend brauchen? Begreifen Sie noch immer nicht, daß es dem inneren Frieden dient, ja daß es die Voraussetzung inneren Friedens ist, wenn
Otto Schily
wir den hier auf Dauer lebenden Ausländern die Einbürgerung erleichtern, ihnen stärkere Mitwirkungsmöglichkeiten verschaffen? Das ist die Voraussetzung inneren Friedens.
Gewiß - darin sind wir uns einig -: Eine unbegrenzte Zuwanderung kann es nicht geben. Deshalb ist der Staat immer wieder vor die schwierige Aufgabe gestellt, ob, unter welchen Voraussetzungen und für welche Zeitdauer Flüchtlinge aufgenommen werden können. Die aktuelle Diskussion um die Aufhebung des Abschiebestopps zugunsten von Kurden ist ein Beispiel dafür. Einer sachgerechten Auseinandersetzung mit diesen schwierigen Fragen verweigern wir uns nicht. Eine sorgfältige Auswertung des Ergebnisses der Anhörung des Innenausschusses muß stattfinden.
Eines geht aber nicht: die seltsame Arbeitsteilung, die wir bei der Bundesregierung beobachten: Herr Kinkel beschwört die Freundschaft mit der Türkei, vertraut auf die Zusicherungen der türkischen Regierung und bezichtigt die Kurden pauschal der Anschläge auf türkische Einrichtungen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger erklärt: Nur wer schweigt, sei in der Türkei vor Verfolgung sicher. Herr Blüm entrüstet sich, die Kurden würden in der Türkei schlimmer als Tiere behandelt. Herr Kanther macht sich ungerührt zum Vorkämpfer von möglichst eiligen Abschiebungen. - Das geht nicht zusammen, meine Damen und Herren.
Und so ganz nebenbei verwirren Sie die Debatte zusätzlich mit der Behauptung, der Abschiebestopp habe auch für Straftäter gegolten. Das ist Irreführung der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren.
Angesichts der Eskalation der Kämpfe in den kurdischen Provinzen im Osten der Türkei ist besondere Sorgfalt bei der Prüfung von Abschiebungshindernissen vonnöten. Im Zweifel müssen wir in Deutschland immer für die Menschenrechte eintreten. Das ist meine Überzeugung.
Freilich: Den verbrecherischen, terroristischen Aktivitäten der PKK ist mit Härte und Entschiedenheit entgegenzuwirken. Wer immer in Deutschland Gastrecht genießt, hat sich strikt an die hier geltenden Gesetze zu halten. Da gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel.
Unsere türkischen Mitbürger haben Anspruch auf wirksamen Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit und von Hab und Gut. Die freundschaftlichen Verbindungen zwischen Türken und Deutschen dürfen auf keinen Fall Schaden nehmen.
Unverkennbar, meine Damen und Herren, ist auch die Hilflosigkeit der Bundesregierung auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung. Ihre schubartig wiederkehrende Gesetzgebungshektik kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie kein schlüssiges Konzept zur Kriminalitätsbekämpfung hat. Die Bundesregierung setzt ausschließlich auf Repression statt auf Prävention. Bei ihrem gesetzgeberischen Aktionismus schert sie sich wenig um rechtsstaatliche Prinzipien, wenn beispielsweise die Befugnisse des BND bei der innerstaatlichen Strafverfolgung erweitert werden sollen. Dabei wird die notwendige, strikte Abgrenzung der Strafverfolgung von geheimdienstlicher Tätigkeit verwischt. Da, wo andererseits gesetzgeberische Verschärfungen dringend erforderlich wären, sträubt sie sich aber, z. B. bei der Novellierung des Geldwäschegesetzes.
Am erfolgversprechendsten ist Kriminalitätsbekämpfung dort, wie es Winfried Hassemer in einem kürzlich in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlichten Aufsatz präzise beschrieben hat, wo sie nicht in erster Linie auf normative, d. h. gesetzliche, sondern auf technische und organisatorische sowie auf soziale Prävention setzt. Wegfahrsperren bei Kraftfahrzeugen sind der wirksamste Schutz vor Autodiebstählen, Kontroll-, Aufklärungs- und Meldepflichten die beste Prävention gegen den strafbaren Vertrieb von aidsverseuchten Blutkonserven, strenge Kontrollvorschriften die beste Prävention auch zur Verhinderung der Geldwäsche. Organisatorische Prävention ist die beste Bekämpfung der Korruption. Ein Beispiel dafür ist die mehrfach erwähnte Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Schmiergeldzahlungen. Da, Herr Kollege Kanther, sollten Sie nicht unbedingt nur auf die Familienerziehung und ähnliches setzen. Da ist in der Tat der Staat gefordert.
Angesichts einer überregional und international operierenden organisierten Kriminalitätsszene hat die überregionale und internationale Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung erheblich an Bedeutung gewonnen.
Die SPD hat dazu einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Die Bundesregierung hat in dieser Richtung kaum etwas zustande gebracht. Bei der internationalen Zusammenarbeit hapert es an allen Ecken und Enden. Insofern hat es schon fast symbolische Qualität, daß das sogenannte Schengener Informationssystem, das Computerfahndungssystem SIS, gestern für mehrere Stunden ausgefallen ist.
Otto Schily
Das wichtigste Instrument zur Kriminalitätsbekämpfung bleibt aber nach wie vor die soziale Prävention. Diese Einsicht bleibt der Koalition leider vollständig verschlossen.
Der Zusammenhang zwischen sozialer Verelendung, Obdachlosigkeit und geistiger Verödung einerseits und Zunahme von Kriminalität andererseits ist unübersehbar. Niemand sollte sich über seine Verantwortlichkeiten täuschen. Wenn sich die Bundesregierung anschickt, die Sozialhilfeleistungen massiv zu kürzen, wird sie unweigerlich Kriminalität ernten. Das ist nicht nur verantwortungslos, sondern auch ökonomisch unsinnig; denn die Kriminalitätsbekämpfung mit allen ihren Auswirkungen wird ein Mehrfaches an Kosten verursachen gegenüber dem, was vermeintlich an Kosten für Sozialhilfeleistungen eingespart wird.
Prävention ist immer billiger als Repression.
Armut, Arbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen, Wohnungsnot und nicht zuletzt kulturelle Verödung sind vor allem auch ein Nährboden für die sich explosiv ausbreitende Jugendkriminalität. Wir werden den inneren Frieden nur wahren, wenn wir die soziale Situation von Jugendlichen nachhaltig verbessern und ihnen mehr Freiräume für ihre Entwicklung verschaffen.
Messen wir die Politik der Bundesregierung an den drei klassischen Fragen Immanuel Kants: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was können wir hoffen? Die Antwort lautet dann: Erstens. Wir wissen, daß die Bundesregierung nichts taugt. Zweitens. Die Bundesregierung muß so bald wie möglich abgelöst werden.
Drittens. Wir hoffen, daß sich das überall herumspricht.
Vielen Dank.
Als letzter in dieser Debatte spricht der Kollege Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schily, Sie haben Ihre Rede mit Kant geschlossen. Kant stammt aus Königsberg, und ich bedanke
mich bei der Bundesregierung ausdrücklich dafür, daß sie die Förderung von Ostdeutschland, die Förderung ostdeutscher Kultur weiterhin unterstützt. Dies ist eine gute Sache. Sie sollten sich daran ein Beispiel nehmen, Herr Kollege Schily; ich meine damit die ganze SPD.
In einem Punkt sind wir wiederum einer Meinung, Herr Kollege Schily: Die Innenpolitik ist eine ständige Aufgabe, die Gewährleistung der inneren Sicherheit selbstverständlich. Sie haben von einem Debakel gesprochen, Herr Kollege Schily. Wissen Sie, was für mich ein Debakel ist und was mich sehr bedrückt? Mich bedrückt sehr, Herr Kollege Schily, daß Sie von der Ausländer- und Asylpolitik, die wir bis dato gemeinsam formuliert haben - ich denke an die gemeinsamen Asylverhandlungen -, immer mehr Abstand nehmen.
Immer neue Vorschläge zu Altfall- und Bleiberechtsregelungen, generelle Abschiebestopps - das ist nicht die Politik, die weiterhin dazu führt, einen vernünftigen Asylrechtskompromiß in die Wirklichkeit umzusetzen.
Hierzu ein paar Worte: Erstens. Wir sind kein Einwanderungsland, das vermehrte Zuwanderung anstrebt. Ich meine, genau das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen eine Begrenzung des illegalen Ausländerzuzugs.
Zweitens - und jetzt hören Sie einmal zu, Herr Kollege Schily, und insbesondere Sie, Herr Kollege Fischer -: Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land. Ich habe die Sorge, daß diese Ausländerfreundlichkeit beeinträchtigt werden kann, wenn wir die Grenze der Integrationsmöglichkeiten überschreiten. Wir sollten versuchen, das nicht zu tun.
Ein dritter wichtiger Punkt: Meine Verantwortung gilt in erster Linie den ausländischen Mitbürgern, die schon sehr lange in Deutschland wohnen. Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, daß sie integriert werden in die Gesellschaft, in den Staat und in das Arbeitsleben. Deswegen ist es nicht gut, meine Damen und Herren, wenn Sie immer wieder versuchen, das Asylrecht zu unterlaufen. Herr Kollege Schily, meine Damen und Herren der SPD, wenn Sie eine neue Altfallregelung wollen, dann benachteiligen Sie ausdrücklich diejenigen, die sich bisher rechtstreu verhalten haben, und begünstigen genau diejenigen, die das nicht getan haben.
Der Asylkompromiß war friedensstiftend. Er hat verhindert, daß die Nazis in die Parlamente einzogen. Dieser Asylkompromiß darf nicht beeinträchtigt werden. Deswegen ist auch die Entscheidung der letzten Woche, als wir keine Verlängerung des Abschiebestopps für Kurden beschlossen hatten, richtig. Wer individuelle Gerechtigkeit leisten will, der muß letzten Endes Einzelschicksale prüfen. Deswegen ist es ganz schlimm, daß Länder wie NordrheinWestfalen Abschiebestopps entgegen der geltenden Rechtslage immer wieder verlängern. Diese Nichtbe-
Erwin Marschewski
achtung der gesetzlichen Vorschriften durch den Innenminister in Nordrhein-Westfalen ist nicht mehr hinnehmbar. Das ist klarer Rechtsbruch, meine Damen und Herren!
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, das ist klarer Rechtsbruch. Herr Kanther hat völlig recht: Das ermutigt radikale Kräfte.
Zu einem wichtigen Punkt - über den wir reden müssen - der inneren Sicherheit: Ich freue mich, daß der Bereich der inneren Sicherheit bei uns einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Der Innenminister hat darauf verwiesen, daß wir insbesondere im Bereich des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes erhebliche Verbesserungen erreicht haben. Mein herzlicher Dank gilt insbesondere Frau Albowitz von der F.D.P. und dem Kollegen Uelhoff. Sie haben sich dafür eingesetzt, daß wir bei der Bezahlung des Bundesgrenzschutzes beträchtlich zugelegt haben. Ich glaube, das ist eine gute Regelung.
Leider muß ich feststellen, daß die personelle und materielle Ausstattung von Polizei und Justiz in den Ländern beträchtliche Mängel aufweist. In Nordrhein-Westfalen fehlen rund 10 000 Polizeibeamte. Ich habe den Eindruck, daß die technische Entwicklung an manchen Gerichten - ich kenne mich da ein bißchen aus - vorübergegangen ist.
Dies ist nicht in Ordnung. Deswegen wäre es natürlich viel besser, der Ministerpräsident dieses Landes würde sich darum kümmern, anstatt an alten Länderkompetenzen festzuhalten. Es kann doch nicht sein, Günter Graf, daß die Vorfeldbeobachtung durch das Bundeskriminalamt daran scheitert, daß die Länder hierzu nein sagen.
Wir machen eine andere Politik. - Herr Schily, Sie können die Fortschritte nicht leugnen. - Wir haben das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität beschlossen. Wir haben das Geldwäschegesetz beschlossen, wir haben das Verbrechensbekämpfungsgesetz beschlossen. Natürlich, es ist richtig: Die soziale Prävention gehört an die Spitze der Maßnahmen.
Das ist völlig richtig, darin sind wir einer Meinung. Der Umstand, daß die Kriminalitätsquote in Deutschland sinkt - das ist kein Grund zur Beruhigung -, zeigt doch auch, daß wir diese sozialen Fragen sehr ernst nehmen.
Aber Sie kennen doch die Begriffe der 70er und 80er Jahre: „totale Selbstverwirklichung", „Rundumfreiheit" und ähnliches.
- Meine Damen und Herren, Herr Kollege Fischer, dies hat dazu beigetragen, das Rechtsbewußtsein gewaltig zu mindern. Das ist unser Problem.
Jetzt komme ich einmal zu Ihnen, Herr Kollege Fischer,
der Sie ja nur Zwischenrufe machen, ohne sich einmal zur Sache zu äußern. Wir haben beschlossen, das Bundeskriminalamt und insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz in die Bekämpfung von Rechtsradikalen intensiv einzubeziehen. Wir wollen, daß alles aufgewandt wird, um den Rechtsradikalismus in diesem Lande zu bekämpfen. Was haben Sie gemacht? Sie haben beschlossen - und durch Ihre Kollegen verkünden lassen -, dieses Bundesamt für Verfassungsschutz, das wir gegen Nazis und Linksradikale einsetzen wollen, solle aufgelöst werden. Dies ist ein seltsames Verständnis der Gewährleistung innerer Sicherheit und der Bekämpfung des Radikalismus von rechts und links.
Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?
Bitte schön, Herr Kollege Dr. Hirsch.
Herr Kollege Marschewski, an sich wollte ich Sie nicht unterbrechen, aber was Sie eben gesagt haben, fasziniert mich.
Könnten Sie bitte etwas näher ausführen, wieso die Erziehung zur Selbständigkeit und zu Selbstbewußtsein die Kriminalität in unserem Land gefördert haben soll?
Herr Kollege Dr. Hirsch, es wäre das erste Mal, daß Sie eine solche Frage nicht gestellt hätten. Was ich gesagt habe, ist
Erwin Marschewski
folgendes: Die totale Freiheit, die es unterläßt, junge Menschen dahin zu bringen, den Weg, auf den es wirklich ankommt, selbst zu erkennen, wollen wir nicht.
Dieses Leben bedeutet auch Selbstbeschränkung. Totale Freiheit mag richtig sein, aber ist dann nicht richtig, wenn sie die Freiheit des anderen beeinträchtigt, wenn sie andere in Gefahr bringt. - Ich hoffe, mit dieser Beantwortung sind Sie zufrieden.
Meine Damen und Herren, wir werden auf unserem Weg fortfahren und das Verbrechensbekämpfungsgesetz fortschreiben. Ich kann nicht verstehen, meine Kollegen von der SPD, daß Sie zum Thema Hauptverhandlungshaft im Vermittlungsausschuß nein gesagt haben. Wir wollen Leute, wie das beispielsweise in Oberhof geschehen ist, die ausländische Gäste an Leib und Leben gefährden, sofort festsetzen, sofort bestrafen. Das ist doch ein wichtiger Punkt.
Ich glaube, es war nicht richtig, dies abzulehnen, meine Damen und Herren.
Wir wollen weiterhin, Herr Kollege Hirsch - Sie können wieder eine Zwischenfrage stellen -, intensiver als bisher den Bundesnachrichtendienst in die Bekämpfung des Verbrechens einbeziehen. Wir wollen die Rechtsposition des verdeckten Ermittlers stärken, und wir wollen den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen. Darum müssen wir ringen. Es kann nicht richtig sein, daß Gangster frei herumlaufen, die unsere Kinder in die Drogensucht treiben, die Morde auf Bestellung ausführen lassen. Dagegen müssen wir im Rahmen der organisierten Kriminalität vorgehen. Deswegen brauchen wir nach einer intensiven Diskussion mit dem Koalitionspartner dieses technische Mittel.
Meine Damen und Herren, es ist völlig richtig: Wir brauchen auch die Möglichkeit, im Rahmen des Mobilfunks zu überwachen. Aber es müssen die technischen Einrichtungen dafür vorhanden sein. Darüber haben wir im Ausschuß geredet. Dabei ist natürlich ganz wichtig, Herr Kollege Fischer, daß wir den Kriminellen keinen Freiraum geben.
Ein Wort zu Europa. Wir freuen uns natürlich, daß die Abkommen jetzt abgeschlossen sind. Wir bleiben bei dem Satz: Europa soll ein Europa der freien Bürger werden und nicht ein Europa der Kriminellen. Deswegen sagen wir: Wir müssen eine Antwort auf die kriminellen Machenschaften europäischer Gangster geben, uns gegen deren internationale Verbindungen und gegen deren High-Tech-Möglichkeiten zur Wehr setzen. Europa soll ein Europa freier Bürger sein.
Ich bin mit vielem zufrieden. Ich bin auch damit zufrieden, daß wir im Rahmen der europäischen Polizei zu Lösungen kommen. Nur, meine Damen und Herren, da gibt es Verbesserungsbedarf. Ich denke, daß die Bundesregierung hier, gerade im Bereich der Nacheile, einiges geleistet hat.
Wir sind bereit - Herr Kanther hat es gesagt -, Herr Kollege Schily, Sie in die Gesamtverantwortung einzubinden. Das können wir gar nicht anders, weil Sie im Bundesrat die Mehrheit haben und weil die Länder ausdrücklich für die Polizeien, für die Gerichte verantwortlich sind. Sie wissen, daß wir in diesem Bereich nur Gesetze machen können, mehr nicht.
Ich bin durchaus dafür, z. B. über eine neue Formulierung der Geldwäsche zu reden. Ich denke daran, den Vorstrafenkatalog zu erweitern. Wir müssen über eine Beweiserleichterung nachdenken. Ob es dann zur Beweislastumkehr kommt, weiß ich nicht. Das könnte ein mögliches Ergebnis sein. Ich denke, daß wir auch die Verdachtsmeldepflicht bei Banken ein wenig erweitern sollten.
Ich lade Sie herzlich ein, wie es auch der Bundesinnenminister getan hat, mit uns gemeinsam diese wichtigen Dinge der inneren Sicherheit zu regeln. Dabei muß es unser gemeinsames Bestreben sein, uns mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaates der Gewalt und der Kriminalität zu erwehren. Innere Sicherheit - so sagen wir zu Recht - ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Meine Damen und Herren, zu unserer Position: Wir sind ein freies Land; wir sind ein Land, in dem es sich zu leben lohnt, zu investieren lohnt, zu arbeiten lohnt. Dies wird in Deutschland so bleiben, solange wir die Verantwortung haben, solange Manfred Kanther Innenminister ist und wir gemeinsam die Innenpolitik in diesem Hause bestreiten.
Ganz herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 06. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sieben Änderungsanträge der PDS vor.
Wir stimmen zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/925? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Gegenstimmen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. abgelehnt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/935? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Gegenstimmen der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zu den Änderungsanträgen der PDS, über die nicht namentlich abgestimmt werden soll.
Drucksache 13/938: Wer stimmt für den Antrag auf dieser Drucksache? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt.
Drucksache 13/939: Wer stimmt für den Antrag? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Drucksache 13/940: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei weitgehender Enthaltung der SPD abgelehnt.
Drucksache 13/941: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf Drucksache 13/941 ist ebenfalls mit den Stimmen der CDU/ CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Drucksache 13/942: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt worden.
Wir kommen zur Drucksache 13/943. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/937. Wie bereits zu Beginn der Aussprache mitgeteilt, hat die PDS beantragt, über diesen Änderungsantrag namentlich abzustimmen. Dafür ist die Unterstützung von mindestens 34 anwesenden Abgeordneten erforderlich. Ich frage deswegen: Wer unterstützt den Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung? - Ich sehe keine weiteren Abgeordneten.
- Zwei. Dann sind wir bei 32 Abgeordneten. Damit ist der Antrag auf namentliche Abstimmung abgelehnt.
Ich komme damit zur Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/937. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag bei Enthaltung von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 06 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 06 bei Gegenstimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie einzelnen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 33. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 13/964?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 13/944?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 33 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 33 bei Gegenstimmen der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 36, zivile Verteidigung. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/888 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Damit ist dieser Änderungsantrag bei Gegenstimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 36 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 36 bei Gegenstimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich rufe auf: Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 13/507, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe
Oswald Metzger
Dr. Wolfgang Weng
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht - Drucksache 13/527 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gunter Weißgerber .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 07 hat, gemessen am Bundeshaushalt, ein Volumen von 0,14 %. Daraus ergibt sich schon, daß er nicht Beutezügen irgendwelcher pauschaler Kürzungsgelüste anheimfallen kann.
Herr Kollege Weißgerber, einen Augenblick.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie um ein bißchen Fairneß gegenüber dem Redner bitten? Würden diejenigen, die sich diese Debatte nicht anhören möchten, bitte das Plenum verlassen? Lieber wäre es mir natürlich, Sie blieben und würden Platz nehmen, damit ich unterscheiden kann, ob jemand aufsteht, um eine Zwischenfrage zu stellen, oder nicht.
Würden Sie bitte meiner Bitte nachkommen, auch in dem mittleren Gang?
Bitte, Herr Kollege Weißgerber.
Danke schön, Herr Präsident.
Streichungen und Kürzungen, wie teilweise in anderen großen Haushalten geschehen, könnten hier leicht zum Verschwinden des gesamten Geschäftsbereiches führen. Daran kann uns natürlich nicht gelegen sein. Dennoch ist es uns gelungen, zu Einnahmesteigerungen von 5,3 Millionen DM und zu Ausgabereduzierungen von 10,4 Millionen DM gegenüber dem Regierungsentwurf zu kommen.
Für Ostdeutsche lohnt es sich noch immer, die verschiedenen Haushaltsposten auf ihre Einheitswirklichkeit zu prüfen. Beispielsweise kann es 1995 nicht mehr möglich sein, jedwede Technik mit Hinweis auf die besonders schlechten Verhältnisse im Osten unseres Landes zu beantragen.
Ein Beispiel, das mir aufgefallen ist: Da wurden drei Funktelefone beantragt; verwiesen wurde auf die Notwendigkeit, die sich daraus ergebe, daß es eben im Osten des Landes mit den Kommunikationsbedingungen so miserabel stehe.
Herr Kollege Weißgerber, ich muß noch einmal um Entschuldigung bitten.
Ich bitte doch sehr darum, daß Sie den amtierenden Präsidenten nicht dauernd in die Situation bringen zu pädagogisieren. Es ist zu unruhig im Raum, da kann man nicht ordentlich verhandeln. Man kann nicht einmal hier vorn im Präsidium verstehen, was gesagt wird.
Ich verweise auf die Möglichkeit, daß bei störender Unruhe, die den Fortgang der Verhandlungen unmöglich macht, die Sitzung unterbrochen werden kann. Also bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die nicht an den Beratungen teilnehmen wollen und sich privat unterhalten, sich nach außerhalb des Plenarsaals zu begeben.
Bitte Herr Weißgerber.
Dort wurden also Telefone beantragt mit der Begründung, im Osten seien
die Kommunikationsverhältnisse noch immer miserabel. Das hätte für 1990/91 bedingt zutreffen können; für 1995 kann dies so nicht mehr hingenommen werden. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, diesbezüglich einmal die verschiedenen Haushaltspläne danach zu durchforsten, ob sie vom Inhalt und der Formulierung her überhaupt auf das, was wir hier wollen, zutreffen.
Es lohnt sich auch anzuschauen, inwieweit Formulierungen und inhaltliche Ausgestaltung der bundesdeutschen Wirklichkeit des Jahres 1995, des Jahres 3 nach den Beschlüssen der Föderalismuskommission, entsprechen. Damals war es der Wille des Bundestages, verschiedene Bundesinstitutionen auf Ostdeutschland zu verteilen. Entsprechende Ausführungsgesetze fehlen bis zum heutigen Tage. Deshalb ist es besonders wichtig, daß sich der damalige Wille des Gesetzgebers nun in den Präambeln der zu verteilenden Einrichtungen klar ausdrückt.
Ich danke meinen Mitberichterstattern und dem gesamten Ausschuß für die Zustimmung zu den entsprechenden Aktualisierungen der Texte in der Ausschußfassung.
Damit komme ich zu den einzelnen Schwerpunkten im Bereich des BMJ hinsichtlich der Beschlüsse der Föderalismuskommission. Der 5. Senat des Bundesgerichtshofs, der Berliner Senat, und die Dienststelle des Generalbundesanwaltes werden 1997 in Leipzig ihre Arbeit aufnehmen können. Damit wird Leipzig außer Berlin die erste ostdeutsche Stadt sein, in welcher eine Bundeseinrichtung in voller Funktion arbeitet. Die Finanzierung ist klar: 1995 werden die ersten 500 000 DM, bis Oktober 1997 die gesamten 20 Millionen DM realisiert sein.
Neue Senate können später entsprechend der Rutschklausel in Leipzig eingerichtet werden; davon haben wir uns vor Ort überzeugt. In der Leipziger Karl-Heine-Straße wird die zukünftige Entwicklung nach glaubwürdiger Darstellung von BMBau und BMJ nicht verbaut.
Der größere Brocken hinsichtlich der Belebung der Vorstellungen der Föderalismuskommission ist ohne Zweifel der Umzug des Bundesverwaltungsgerichtes von Berlin nach Leipzig in das Gebäude des ehemaligen Reichsgerichtes. Leider steht außer dem guten Willen des BMJ und der Betroffenen vom Bundesverwaltungsgericht noch nichts Konkretes zu Buche. Im Bundeshaushalt 1996 erwarte ich den entsprechenden Titel, untersetzt mit den zugehörigen Zahlen.
Für das Haus wird es von Interesse sein, zu hören, daß ursprünglich gehandelte Kosten von 400 Millionen DM auf 200 Millionen DM seitens des BMBau präzisiert wurden. Von diesen 200 Millionen DM sind lediglich rund 53 Millionen DM als umzugsbedingt zu charakterisieren. Drei Viertel der Kosten müssen so oder so zur Instandsetzung dieses Bundesvermögens aufgewendet werden. Der Bund wird schließ-
Gunter Weißgerber
lieh das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig nicht abreißen wollen. Ziel muß sein, das Bundesverwaltungsgericht bis zur Jahrtausendwende in Leipzig anzusiedeln.
An dieser Stelle sei noch ein wichtiges Problem benannt. Der Präsident des Bundesgerichtshofes nahm sich dankenswerterweise nach dem staatlichen Zusammenschluß der Restbestände der Bibliothek des Reichsgerichtes an. Wertvolle Bücher wurden dadurch vor weiterem Verfall bewahrt bzw. vor endgültiger Vernichtung durch miserable Lagerung gerettet. Dies ist Professor Odersky und seinen Mitarbeitern hoch anzurechnen.
Jedoch darf uns dies nicht die Augen davor verschließen, daß die endgültige sachgerechte Lagerung dieser Buchbestände natürlich in Leipzig zu erfolgen hat. Leipzig war Sitz des Reichsgerichtes, Leipzig wird wieder eine bedeutende Stadt der Rechtsprechung. Es ist nur allzu logisch, daß die Bibliothek des Reichsgerichtes an ihren ursprünglichen Standort zurückkehren muß,
zumal in der vormaligen Debatte der Föderalismuskommission zwischen Reichsgericht und Bundesgerichtshof streng unterschieden wurde.
Um die Kosten für die Instandsetzung des Reichsgerichtsgebäudes nicht noch weiter anschwellen zu lassen, muß sich die Bundesregierung allerdings bequemen, bereits 1995 das Dach des Gebäudes in Ordnung bringen zu lassen. Im Moment regnet es wie zu DDR-Zeiten rein. Mit Sicherheit sind jetzt aufgewendete Kosten in geringerer Höhe zu erwarten als später aufzuwendende. Wer heute klug repariert, spart Geld für morgen.
Eine gute Investition in die Einheit ist der im Berichterstattergespräch festgelegte Zuschuß für den diesjährigen Jugendgerichtstag.
Durch die nun vom Bund bereitgestellten zusätzlichen 10 000 DM kann dieses Ereignis in Potsdam und damit zum erstenmal in den neuen Ländern stattfinden.
Die Beratung des Einzelplans 07 gibt natürlich auch gute Gelegenheit, Probleme deutscher Gesetze und Rechtsprechung aufzuzeigen. Als einem Nichtjuristen - es ist doch wohl in diesem Haus keine Schande, kein Jurist zu sein;
oder doch? - fällt mir vielleicht manches mehr auf als Leuten vom Fach. Die Gesetzgebungsarbeit leidet zunehmend unter Verkomplizierung. Gewählt werden wollen wir alle. Daß die Bürger, die uns, bitte schön, wählen sollen, unsere Produkte verstehen und anwenden können, scheint uns nicht zu jucken.
Jüngstes Beispiel ist der Entwurf eines Mietenüberleitungsgesetzes. Es geht um die Einführung der Vergleichsmieten in Ostdeutschland. Wer, meine Damen und Herren, soll denn diesen Wust von Quer- und Rückverweisungen und Ausnahmebestimmungen überhaupt verstehen?
Ist sich die Bundesregierung im klaren, daß sie Gesetze für ganz normale Bürger produziert? Oder sollen die Menschen das Zeug gar nicht verstehen? Dann werden sie auch irgendwann dieses Gemeinwesen nicht mehr verstehen oder gar akzeptieren wollen.
Auch die zunehmende Gesetzesflut an sich sollte uns zu tieferem Nachdenken bewegen, wenn sich sogar der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Dr. Franßen, am 14. Februar 1995 beklagt, daß die Beschleunigung der Gesetzgebungsmaschinerie die Gerichte zunehmend zu überfordern beginne. Qualität muß auch hier eindeutig vor Quantität gehen.
Wir benötigen unbedingt eine diesbezügliche Berichterstattung der Bundesregierung über den Vollzug der Gesetze in der Praxis. Wie funktionieren unsere Gesetze? Benötigen wir überhaupt neue Gesetze, oder ist es besser, Defizite beim Vollzug der Gesetze abzubauen? Wer gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger erwartet, muß den Menschen unbedingt Durchblick im Gesetzeswerk zuerkennen und ermöglichen. An letzterem hapert es zunehmend und gewaltig.
Ein seit Jahren immer wiederkehrendes Problem ist das Kapitel Wehrstrafgerichtsbarkeit.
Für die SPD sind Soldaten Staatsbürger in Uniform. Sie unterliegen damit der allgemeinen Gerichtsbarkeit. Wir sind strikt gegen dieses Kapitel.
Ein letztes Wort an den Finanzminister - er sitzt ja hier. Die von Ihnen vor einigen Wochen angezettelte Diskussion über die angebliche Steuergelderverschwendung im Osten war boshaft und ein gewaltiger Bärendienst an der deutschen Einheit.
Herr Waigel hat seine früheren Bekenntnisse zur Wiedervereinigung und seine Tränen selbst ad absurdum geführt. An sich hätten Sie, Herr Waigel, für diesen Schlag gegen die Einheit den Hut nehmen
Gunter Weißgerber
müssen, oder man hätte Ihnen den Hut nehmen müssen.
Es ist nicht geschehen. Alles wird in Ihrer Regierung weiterhin ausgeschwitzt und ausgesessen.
Die SPD vermag dem Einzelplan aus den genannten politischen Gründen nicht zuzustimmen.
Das Wort hat der Kollege Manfred Kolbe .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sparsamkeit, Sicherung der Zukunft, Vollendung der Einheit - das sind die zentralen Themen des Bundeshaushalts 1995. Das sind auch die Themen der Einzelpläne 07 und 19, die wir jetzt beraten.
Sparsamkeit: Der Justizetat ist ein kleiner Etat - Kollege Weißgerber hat es gesagt -, aber er leistet einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Die Gesamtausgaben in Höhe von 680 Millionen DM werden zur Hälfte durch Einnahmen, insbesondere Patentgebühren, gedeckt. Die Ausgaben steigen, weil wir die Investitionen steigern. Die Personal- und Verwaltungsausgaben bleiben stabil.
Zukunft: Dieser Einzelplan leistet seinen Beitrag zur Zukunftssicherung. Ich erwähne als Beispiel das Patentinformationssystem PATIS, das beim Deutschen Patentamt in München installiert wird. Bei der Prüfung eines Patents hat das Deutsche Patentamt den Stand der Technik weltweit und über alle Zeiten hinweg zu prüfen. Die technische Literatur umfaßt mittlerweile 26 Millionen Dokumente. Jedes Jahr kommen 700 000 neue hinzu. Diese Papierflut war mit konventionellen Mitteln nicht mehr zu bewältigen. Wir installieren deshalb jetzt das elektronische Patentinformationssystem PATIS, welches die elektronische Speicherung der Dokumente und den mehrdimensionalen Zugriff ermöglicht. Damit leisten wir einen Beitrag, um den Wirtschaftsfaktor Patente für Deutschland zu sichern.
Mit diesem Einzelplan legen wir die haushaltsrechtlichen Grundlagen: Gesamtkosten 160 Millionen DM; 15 Millionen DM werden in diesem Einzelplan veranschlagt.
Einheit: Mit diesem Einzelplan treiben wir auch die Vollendung der Einheit Deutschlands weiter voran. Ich glaube, es kann keinen Zweifeln unterliegen, daß eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Einheit der Sitz von Bundeseinrichtungen in den östlichen Bundesländern ist.
Zu diesem Zweck hatten wir eine unabhängige Föderalismuskommission installiert mit dem Ziel, die Bundeseinrichtungen gleichgewichtig über ganz
Deutschland zu verteilen. Diese Kommission hat auf einer Klausurtagung im Mai 1992 erste Vorabentscheidungen getroffen. Seitdem ist es um diese Kommission ruhiger geworden.
Man hört derzeit, daß es sie in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben soll. Ich würde es bedauern, wenn das so wäre. Ich halte die Fortsetzung der Arbeit dieser Kommission für erforderlich, und wir alle gemeinsam sollten darüber noch einmal nachdenken.
- Herr Kollege Weng, wenn Sie die Fortsetzung der Arbeit der Föderalismuskommission unterstützen, ist das wunderbar.
Am heftigsten umstritten war innerhalb dieser Föderalismuskommission der Sitz der obersten Bundesgerichte. Gerade in meiner Fraktion genießt ja der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung fast kult-ähnliche Verehrung. Es hätte deshalb eigentlich auf der Hand gelegen, den Bundesgerichtshof nach Leipzig zurückzuverlagern. Wie das Leben aber so spielt, hat die Föderalismuskommission anders entschieden, Herr Kollege Weng,
und er bleibt in Karlsruhe. Nach Leipzig kommen das Bundesverwaltungsgericht und der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs aus Berlin. Außerdem war Teil eines sehr zäh verhandelten Kompromisses, daß weitere BGH-Senate nach Leipzig kommen, und zwar dergestalt, daß neue Strafsenate direkt nach Leipzig kommen, neue Zivilsenate nach Karlsruhe kommen und dafür ein alter Strafsenat nach Leipzig verlagert wird. Wir akzeptieren diesen Kompromiß. Wir bestehen aber darauf, daß er vollständig akzeptiert und vollständig realisiert wird - auch hinsichtlich der neuen Senate, Frau Bundesministerin.
Der Umzug selber ist nach den Beschlüssen vom Sommer 1992 bisher allerdings etwas zäh angelaufen. Was das Bundesverwaltungsgericht betrifft, ist eine Arbeitsgruppe gebildet worden. Sie hat zwar schon ein paarmal getagt, hat aber bisher noch keinerlei konkrete Entscheidungen getroffen. Deshalb sind in diesem Etat insoweit bedauerlicherweise noch keinerlei Haushaltsmittel etatisiert. Ich meine, es ist an der Zeit, damit zu beginnen.
Ich glaube, es kann keinerlei Zweifel unterliegen, daß das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig seinen Sitz wieder im historischen Reichsgerichtsgebäude nehmen wird. Der 26. Oktober dieses Jahres - das ist der hundertste Jahrestag der Einweihung des Reichsgerichtsgebäudes - sollte für uns der Anlaß sein, mit der Sanierung des Gebäudes und dem Umzug des Bundesverwaltungsgerichts zu beginnen. Vielleicht können wir darüber einmal in Gespräche treten, Frau Ministerin.
Manfred Kolbe
Zur Bibliothek - das darf ich nur in Parenthese anmerken - schließe ich mich den Ausführungen des Kollegen Weißgerber an. Wir sind dem Bundesgerichtshof für das, was er in den letzten Jahren für die Bibliothek gemacht hat, sehr dankbar. Aber ich glaube, es kann nach allgemeinen Grundsätzen keinen Zweifel daran geben, daß diese Bibliothek wieder an ihren historischen Standort gehört.
Bedeutend weiter sind wir, was den Umzug des 5. Strafsenats aus Berlin betrifft. Wir haben in Leipzig ein Gebäude gefunden, in der Karl-Heine-Straße 12. Dieses Gebäude ist für den 5. Strafsenat auch geeignet.
Wir haben besonders darauf geachtet - die Berichterstattergruppe war im Februar dieses Jahres in Leipzig -, daß dieses Gebäude nicht nur für den 5. Strafsenat geeignet ist, sondern daß Erweiterungsmöglichkeiten für weitere Senate bestehen. Wir in der Berichterstattergruppe gehen jedenfalls davon aus, daß wir noch in diesem Jahrzehnt zwei Strafsenate nach Leipzig bekommen werden. Das ist eine Prognoseentscheidung, die so oder so ausfallen kann. Jedenfalls ist unstreitig, daß wir die baulichen Voraussetzungen dafür schaffen müssen. Ob der Zuwachs dann eintritt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Aber wir dürfen jetzt nichts zubauen.
Das Gebäude ist auch für diesen Zuwachs geeignet; wir haben deshalb die entsprechenden Haushaltsmittel etatisiert. Die Bauarbeiten beginnen in diesem Sommer, und im Herbst 1997 werden sie beendet sein. Wir haben dann jedenfalls den ersten Teil einer Bundeseinrichtung, der sieben Jahre nach der Einheit in den östlichen Bundesländern außerhalb Berlins arbeiten wird. Das Beste, was man darüber noch sagen kann, ist: Was lange währt, wird gut, vorausgesetzt, die Verlagerung des Senats wird im Herbst 1997 erfolgen.
Diese Gerichtsverlagerungen, Frau Ministerin, sind Signale, die wir dringend brauchen. Wer die am 8. März in der „FAZ" veröffentliche Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie zum Rechtsbewußtsein im vereinten Deutschland gelesen hat, der mußte zur Kenntnis nehmen, daß Handlungsbedarf besteht. 60 % der Bürger im Osten sind mit den Gesetzen und der Rechtsprechung in Deutschland nicht zufrieden, 72 % fühlen sich durch das Recht nicht gut beschützt, und gar 88 % - das macht mir besonderen Kummer - meinen, die DDR habe sie besser vor Verbrechen geschützt.
Nun haben gerade Sie, Frau Ministerin, sich große Verdienste bei der Herstellung der Einheit der Rechtsordnung in Deutschland erworben.
Ich denke da nur an die schwierigen Gesetzesvorhaben zum Sachenrechtsbereinigungsgesetz und zum Schuldrechtsbereinigungsgesetz, bei denen Sie immer ein offenes Ohr für beide beteiligten Seiten hatten und wir dadurch zu einer ausgewogenen Regelung gekommen sind. Um diese Gesetze ist es still geworden; das ist in der Politik immer ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Sache funktioniert und wir einen angesichts der Schwierigkeit der Materie doch einigermaßen ausgewogenen Kompromiß gefunden haben.
Dennoch ist der Gesetzgeber hier weiterhin gefordert, die Rechtseinheit herzustellen. Nach meinem Gefühl ist es mit der Rechtseinheit unvereinbar, wenn wir in einem vereinten Land teilweise noch geteiltes Recht haben. Ich denke da nur an das Bergrecht, also die Rechtslage bei Steinen, Kies und Sanden: Im Westen sind sie Grundeigentum, im Osten haben wir das alte DDR-Volkseigentum perpetuiert. Das ist mit einem gemeinsamen Rechtsstaat, mit einem gemeinsamen Rechtsbewußtsein unvereinbar,
zumal wir ja mit diesem Bergrecht auch einen wesentlichen Grundsatz unserer Verfassung, nämlich das Eigentum, in Frage stellen. Wie wollen wir den Bürgern die Bedeutung des Eigentums verdeutlichen, wenn wir gleichzeitig bei dieser wichtigen Position sie als Eigentümer durch den Einigungsvertrag ausgeschlossen haben?
- Ich komme jetzt zu Ihnen, Herr Diller.
Oder nehmen wir die Kriminalitätsbekämpfung. 88 % der Bevölkerung meinen, die DDR habe sie besser vor Verbrechen geschützt, Herr Diller. Wir müssen hier handeln, wir müssen entschiedener etwas tun. Es kann nicht sein, daß sich DDR-Nostalgie deshalb entwickelt, weil der Rechtsstaat Bundesrepublik nicht in der Lage ist, die Kriminalität entschieden genug zu bekämpfen.
Deshalb kann ich Sie nur auffordern, unsere Bemühungen beim Verbrechensbekämpfungsgesetz zu unterstützen. Sie können nicht nur dann klatschen, wenn es Ihnen einmal paßt; Sie müssen dann auch die andere Seite der Medaille zur Kenntnis nehmen.
Abschließend möchte ich mich noch bei den Mitberichterstattern bedanken. Wir hatten eine sehr angenehme Atmosphäre sowohl hier in Bonn als auch bei unseren gemeinsamen Besuchen in Karlsruhe
Manfred Kolbe
und Leipzig. Ich möchte mich bei Ihnen, Frau Ministerin, und den Beamten Ihres Hauses, insbesondere Herrn Ministerialrat Schubert, für die sehr sachliche und gute Zusammenarbeit bedanken.
Zum Schluß bitte ich Sie alle um Zustimmung zu diesem Einzelplan.
Mit diesem Einzelplan gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung Sparsamkeit, Zukunftssicherung und Vollendung der inneren Einheit. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat Kollege Volker Beck .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerechtigkeit und Bürgerrechte lassen sich nicht in Mark und Pfennig berechnen, sie machen aber den Wert eines Gemeinwesens aus. Rechtsstaatlichkeit darf Staat und Gesellschaft nicht zu teuer sein.
Frau Justizministerin, Sie und Ihre Partei haben in den letzten Jahren bürgerrechtliche Prinzipien zu Schleuderpreisen verkauft:
1992 das erste OrgKG, 1993 das erste Rechtspflegeentlastungsgesetz, 1994 das Verbrechensbekämpfungsgesetz. So lautet Ihr rechtsstaatliches Sündenregister. Anscheinend war Ihr Motto: Jedes Jahr ein Gesetz, das muß schon sein.
Jetzt droht aus einer anderen Ecke neues Unheil. Durch einen Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung der StPO soll das Beweisantragsrecht weiter eingeschränkt werden. Allen voran marschierte Noch-Justizminister Krumsiek aus Nordrhein-Westfalen, denn diesmal wird die Rechtsstaatsdemontage von SPD-Ländern angestoßen. Nicht zuletzt deshalb bin ich sehr froh, daß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN demnächst in Hessen mit Rupert von Plottnitz den Justizminister stellen. Bürgerrechte haben nun einen engagierten Anwalt in Justizministerkonferenz und Bundesrat.
Ein noch schlimmerer Hammer als der Gesetzentwurf des Bundesrates ist die Vorschlagsliste im Bericht des Strafrechtsausschusses der 65. Justizministerkonferenz. Der Strafprozeß lebt von einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren. Anders als im Inquisitionsprozeß ist sein Ziel nicht die Überführung des Angeklagten, sondern ein möglichst objektiver Ausspruch über Schuld und Strafe. Neben der grundgesetzlich garantierten Unschuldsvermutung ist der
Anspruch des Beschuldigten - wohlgemerkt nicht des Verteidigers - auf umfassendes rechtliches Gehör die zweite tragende Säule eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.
Diesen Anspruch wollen die Autoren der Horrorliste aus der Justizministerkonferenz eliminieren. Man gaukelt der Öffentlichkeit vor, böse Verteidiger seien für überlange Prozesse verantwortlich, sie zwängen die Strafjustiz so zur Kapitulation vor dem Verbrechen und gefährdeten die innere Sicherheit. Gleichzeitig behauptet man wider besseres Wissen, die Qualität der Urteilsfindung für den Betroffenen bleibe erhalten, es gehe nur gegen bestimmte Verteidigerstrategien.
Meine Damen und Herren, jedes Jahr werden zirka 1 Million Anklagen vor den Gerichten verhandelt. Jeder von uns kann also leicht in die Situation geraten, sich dort verteidigen zu müssen. Die bereits erlassenen und zu erwartenden Prozeßvorschriften werden sich auf den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger verheerend auswirken.
Ein Beispiel: Schon wieder will die Justizministerkonferenz Gefängnisstrafen - diesmal sogar bis zu zwei Jahren - durch einen einfachen Strafbefehl verhängen lassen, per Postboten ins Haus geliefert. Ganz abgesehen von der Gefahr, Einspruchsfristen zu versäumen, gerät der Prozeß anschließend unter die Räder des sogenannten beschleunigten Verfahrens. So können Sie im Zivilrecht durch Mahnbescheid Geldforderungen rechtskräftig werden lassen, aber doch nicht im Strafprozeß operieren.
Da geht es um das Vorbestraftsein, um Freiheitsstrafe und damit auch um die Vernichtung von beruflichen Existenzen.
Auch der Vorschlag, das Beweisantragsrecht des Angeklagten weiter einzuschränken, stößt auf unseren entschiedenen Widerstand.
Übrigens wird keiner dieser Vorschläge eine Entlastung des Strafverfahrens bringen. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns diese Horrorliste gemeinsam entsorgen!
Sie, Frau Justizministerin, müssen endlich öffentlich eine rechtstatsächliche Bilanz ziehen, welchen Nutzen oder vielmehr Schaden Ihre alljährlichen Bekämpfungsgesetze der vergangenen Wahlperiode bewirkt haben. Wir fordern Sie weiterhin auf, den Strafprozeß durch Reformen zu entlasten, die gleichzeitig positive kriminalpolitische Auswirkungen haben.
Für gewaltlose Eigentums- und Vermögensdelikte sollte der Grundsatz gelten: Zivilrecht vor Strafrecht. Führen Sie den Täter-Opfer-Ausgleich nicht als Unterwerfungsgeste, wie wir es jetzt haben, sondern endlich als echte Wiedergutmachung ein! Sorgen Sie für eine bessere Prävention bei gesellschaftlichen Krisenerscheinungen! Last but not least: Entschärfen Sie Ihre eigene Angstkampagne der vergangenen
Volker Beck
Jahre! Die Bundestagswahl ist vorbei. Sie brauchen die unverhältnismäßige Kriminalitätsfurcht der deutschen Bevölkerung nicht weiter für Ihre populistischen Ziele anzuheizen.
Meine Damen und Herren, Gerechtigkeit muß dem Staat einiges wert sein. Daher noch einige Worte zu einer Gerechtigkeitslücke, die schon seit Jahrzehnten klafft: Es geht darum, daß immer noch viele Opfer des Nationalsozialismus keine oder nur minimale Entschädigungen für das ihnen widerfahrene Unrecht erhalten haben.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in ihrem Entschließungsantrag zum Haushalt eine Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Opfer" gefordert. Ich bin Mitglied im Beirat des hessischen Landeshärtefonds für NS-Verfolgte. Ich sehe dort die Verfolgtenschicksale, sehe, wie der lange Arm des Nationalsozialismus das Leben der Betroffenen auch heute noch prägt.
Viele Menschen sind aus der beruflichen Bahn geworfen worden, keiner hat die Verfolgung ohne gesundheitlichen Schaden überstanden. Es ist einfach empörend, wenn Menschen mit solchen Schicksalen verfolgungsbedingt heute auf Sozialhilfe angewiesen sind, in bitterer Armut und nicht selten in gesellschaftlicher Isolation leben.
Die GRÜNEN bemühen sich seit 1983 im Bundestag um eine umfassende Regelung für die ausgegrenzten Opfer wie Zwangssterilisierte, Zwangsarbeiter, Kommunisten, Schwule, Deserteure und andere Opfer der Militärjustiz, Sinti und Roma und viele andere. In jeder Wahlperiode wiederholt sich seitdem das gleiche beschämende Ritual: Minimale Zugeständnisse an die Verfolgten werden von den Regierungsparteien mit großer Geste als „endgültige Abschlußregelung" deklariert.
Es ist überdeutlich: Auf dem Gebiet der NS-Entschädigung will die Regierungsmehrheit mit aller Kraft einen Schlußstrich ziehen. Das darf nicht geschehen.
Alle Verfolgten müssen volle gesellschaftliche Anerkennung und rechtliche Rehabilitierung erfahren. Sie haben Anspruch auf einen Lebensabend in Würde ohne materielle Not. Der Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus ist ein wichtiger Prüfstein für die demokratische Kultur in diesem Land. Wenn den Verfolgten nicht endlich Gerechtigkeit widerfährt, bleiben all die schönen Worte zum 8. Mai wohlfeile Lippenbekenntnisse.
Das Wort hat der Kollege Detlef Kleinert .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Beck, wenn Ihr Aufenthalt hier Sinn machen soll, dann müßten Sie das Mindestmaß an Fairneß walten lassen, das zur Erzielung der von Ihnen mindestens vorgeblich gewünschten Erfolge führt. Sie wissen ganz genau, daß wir zu dem zuletzt angesprochenen Punkt in den letzten Wochen sehr nützliche und konstruktive Gespräche gehabt haben, daß wir alle gemeinsam wollen, daß die von Ihnen zu Recht geschilderten Unrechtsurteile einer endgültigen - soweit das heute noch möglich ist - Bereinigung zugeführt werden.
Sie wissen, daß sich alle Seiten dieses Hauses darum ernsthaft bemühen. Warum also solche Verhandlungen dadurch stören, daß Sie von diesem Pult aus die Sache so darstellen, als bestünde die Welt aus Bösen einerseits und Guten, zu denen selbstverständlich in erster Linie Sie gehören, andererseits? Das wird die Entscheidung nach allen Erfahrungen im Parlament nicht fördern.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kleinert, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meiner Rede nicht nur die Frage der Deserteure angesprochen habe, sondern alle ausgegrenzten Opfer des Nationalsozialismus? Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in der letzten Woche als Bundestagsfraktion eine Anhörung mit allen Verfolgtenverbänden, mit Herrn Bubis vom Zentralrat der Juden, Herrn Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma und vielen anderen durchgeführt haben?
Sie haben bemängelt, daß die gegenwärtigen Härtefonds zum allgemeinen Kriegsfolgengesetz nicht ausreichen, um die nichtentschädigten oder nicht ausreichend entschädigten Opfer zu befriedigen. Es ist gegenwärtig eine einmalige Zahlung von 5 000 DM pro Opfer vorgesehen. Ich hoffe, daß Sie mit mir die Meinung teilen, daß 5 000 DM für Konzentrationslager- und schwere Gesundheits-, Freiheits- und Rentenschäden usw. keine angemessene Reaktion der Bundesrepublik Deutschland sind.
Das Teilen der Meinung wird wesentlich durch die richtige Darstellung des Sachverhaltes erleichtert. Ich bin viel mehr bemüht, Ihre Meinung zu teilen, als Sie sich bemühen, meine Meinung zu teilen. Das ist der Punkt.
Detlef Kleinert
Es freut uns natürlich, daß Sie in dieser Frage auch mit unserem Parteifreund Bubis Übereinkommen erzielt haben.
Sie haben es hier so dargestellt, als kämpften Sie alleine gegen den Rest der Welt. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn ich zugeben muß, daß Sozialdemokraten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie auch CDU/CSU und F.D.P. in der Obleutebesprechung des Rechtsausschusses völlig einer Meinung gewesen sind, als es um die Frage ging, ob wir uns von seiten des Bundesrates, von seiten der Länder - damit nähern wir uns unmittelbar der Debatte über den Haushalt - immer wieder Versuche zur Vereinfachung, Entlastung, Beschleunigung, Ersparnis, zu Reformen usw. gefallen lassen und damit wesentliche Einbußen an Recht und Gerechtigkeit in Kauf nehmen sollen. Das ist für die Landesjustizminister kein ordentliches Gewerbe. Das ist nicht die Art, wie sie ihr Amt als Justizminister wahrnehmen sollten. Ich schließe mich auch denen an, die heute schon gesagt haben, daß gerade beim Recht nicht gespart werden darf.
Es kommt auf ganz andere Dinge an als auf das kleinliche Nachrechnen von Ausgabenpositionen. Deshalb müßten wir gemeinsam mit dem Bundesrat versuchen, das zu tun, was dem Recht nützt, also Verfahrensabläufe verbessern, was dem Recht und der Gerechtigkeit und dem Ansehen der Justiz besonders in den neuen Ländern hilft. Vieles können wir hier gemeinsam tun, und es gibt sehr viel weniger, was sich für streitige Auseinandersetzungen eignet.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Uta Titze-Stecher?
Ja.
Herr Kollege, Sie haben im Zusammenhang mit dem Recht das Geld genannt und gesagt, beim Recht dürfe nicht gespart werden. Halten Sie es denn für richtig, daß nur auf Druck der SPD-Bundestagsfraktion und nach einer großen Reportage in der „Süddeutschen Zeitung" der Internationale Suchdienst in Arolsen um lediglich 20 Planstellen erweitert wurde, und das angesichts der Tatsache, daß NS-Geschädigte, die in KZs gesessen haben, vier Jahre auf eine Antwort warten mußten, um bestätigt zu bekommen, daß sie KZ-Häftling waren, mit dem Effekt, daß sie für diese Zeit Kleinstbeträge in Höhe von 900 DM bekommen haben?
Ich halte das nicht für richtig, so wie ich viele andere Mängel in der Art, wie die nun einmal bestehenden Behörden ihre Arbeit tun, nicht für richtig halte. Das gibt es allerdings, abgesehen von dem speziellen Fall, den Sie eben darstellten, auch in vielen anderen Bereichen der Justiz. Hier liegen genau die Aufgaben, denen wir uns widmen sollten. Deshalb, Frau Kollegin, habe ich erwähnt, daß sich die Obleute darüber einig gewesen sind, in der Zeit, in der der Rechtsausschuß noch nicht so belastet ist wie im späteren Verlauf der Legislaturperiode, eine Anhörung durchzuführen, um das breite Feld der Möglichkeiten organisatorischer Verbesserungen und organisatorischer Erleichterungen auszuleuchten, bevor uns neue Ansinnen vorgetragen werden, wie wir etwa durch dramatische Einschränkungen des Beweisrechts Ersparnisse an genau der falschen Stelle erzielen könnten.
Überall gibt es diese organisatorischen Mängel. Wir wollen gerne - auch in kollegialer Zusammenarbeit mit den Zuständigen in den Ländern - hilfreich sein und zu besseren Ergebnissen beitragen.
Im übrigen haben wir im Laufe der Jahre hinsichtlich nützlicher Vereinfachungen sehr viel Vernünftiges geleistet. Man bekommt heute amtsrichterliche Urteile in einfachen Zivilsachen ohne Tatbestand und Urteilsgründe oder mit einer Urteilsbegründung von wenigen überzeugenden Sätzen. Sie sparen nicht nur dem Richter Zeit und Arbeit, sondern sie sind auch überzeugender als frühere kunstvoll, fast relationstechnisch vorbereitete Urteile über mehrere Seiten in solchen einfachen Dingen. Das ist eine deutliche Verbesserung. Insofern ist es eine Freude zu sehen, wie bei Amts- und Landgerichten das geltende Recht immer noch in überzeugender Weise trotz aller Schwierigkeiten und trotz der viel zu hohen Zahlen von zu bearbeitenden Fällen angewendet wird.
Das gleiche möchte ich nicht von den obersten Bundesgerichten behaupten. Wir haben in der „Welt" vor einigen Wochen eine Galerie eindrucksvoller Köpfe gesehen. Es handelte sich um die nebeneinander abgelichteten Präsidenten aller obersten Bundesgerichte, die diesem Hause Ratschläge gegeben haben, was wir in der Rechtspolitik tun und lassen sollten. Der Hauptmangel dieser Darstellung ist, daß sie offenbar nicht das Ergebnis einer Konferenz der Abgebildeten gewesen ist, sondern das Ergebnis der Befragung jedes einzelnen; denn anders lassen sich die eklatanten Widersprüche nicht erklären. Der eine Präsident hat uns empfohlen, fünf Jahre lang überhaupt kein Gesetz mehr zu machen, und der andere hat gesagt, wir sollten ganz schnell ein Gesetz machen, insbesondere eines mit dem interessanten Ziel, seinem Gericht die „schäbige Einzelfallgerechtigkeit" zu entziehen, damit dort in Zukunft nur noch der Rechtsfortbildung gelebt werden könne. Rechtsfortbildung wollen wir allerdings in erster Linie hier in diesem Hause weiterhin betreiben, wenn auch so zurückhaltend wie möglich.
Ein Großteil der Überlastung der obersten Bundesgerichte - ich will nicht übertreiben -, ein nicht unbeträchtlicher Teil - so möchte ich lieber sagen - beruht
Detlef Kleinert
auf hausgemachten Problemen. Wenn der VIII. und der IX. Senat des Bundesgerichtshofs völlig gegensätzliche Entscheidungen zur Sicherungsübereignung treffen, dann ist das gerade im Zusammenhang mit dem schönen Wort „Sicherung" eine sehr unsichere Angelegenheit. Wie soll man denn die Verträge noch machen?, so fragen die Bankensyndizi mit Recht. Die Zuverlässigkeit der Rechtsprechung ist bedeutend wichtiger als ein originelles Urteil, das noch Jahre später in der Kommentarliteratur ergebnisreich und mit vielen Schattierungen behandelt werden kann.
Herr Kollege Kleinert, wir hören Ihnen alle sehr gern zu, aber Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Herr Präsident, ich wollte lediglich andeuten, in welcher Richtung wir uns in Zukunft weiter bemühen wollen, und zwar viel mehr gemeinsam, als das bei einigen vorangegangenen Ausführungen den Anschein hatte.
Ich darf, Herr Präsident, zum Schluß noch zum Ausdruck bringen, daß wir Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der Bundesjustizministerin, und ihren Mitarbeitern sehr dankbar für die Arbeit sind, die sie geleistet haben und die, meine ich, aus liberaler Sicht sehr trefflich dadurch charakterisiert wird, daß auch von unserem Koalitionspartner einige Kritik an „viel zu linken" Einstellungen geübt wird, während ich soeben von Herrn Beck hören konnte, daß die Bundesjustizministerin in ihren gesetzgeberischen Bemühungen viel zu weit rechts stehe. Das spricht für die Position, die im Recht gewahrt werden muß, die vernünftige Mitte.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heuer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun spricht vielleicht die vernünftige Linke.
Das Institut für Demoskopie Allensbach hat in einer Untersuchung im Februar 1995 herausgefunden, daß 73 % der Ostdeutschen der Meinung sind, in dieser Bundesrepublik seien die Bürger vor dem Gericht nicht gleich. 60 % waren mit den Gesetzen und der Rechtsprechung nicht zufrieden; 72 % fühlten sich durch das Recht nicht geschützt. Diese Zahlen signalisieren im fünften Jahr nach der Vereinigung Defizite im Rechtsbewußtsein, auf die die Rechtspolitik reagieren müßte.
Die Gesetzgeber des Einigungsvertrages haben sich 1990 für die schlagartige Einführung der Rechtsordnung der Bundesrepublik im Beitrittsgebiet entschieden. Sie hatten alle Wünsche auf Demokratisierung des Rechts und des Rechtsbildungsprozesses, wie sie in dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches enthalten waren, beiseite geschoben. Das hatte notwendigerweise eine gewisse Verwirrung bei den Rechtsunterworfenen und ein Chaos bei den Rechtsanwendern zur Folge.
Es kam hinzu - das wissen Sie -, daß 50 bis 70 % des Personals in den Gerichten und in den Staatsanwaltschaften im Beitrittsgebiet ausgetauscht wurden. Inzwischen ist das Ostrecht weitgehend durch das Westrecht ersetzt. Der Umbau der Gerichtsorganisation ist weitgehend abgeschlossen, der rechtliche und rechtspflegerische Alltag ist da.
Die Ostdeutschen haben ihre Erfahrung mit diesem Alltag gemacht. Dieser Alltag produziert eine Zweidrittelunzufriedenheit mit dem Rechtssystem. Ich meine, daß das eine ernste Frage ist, über die wir uns hier Gedanken machen müssen.
Augenscheinlich korrespondiert diese Unzufriedenheit mit Gesetzgebung und Rechtspflege auch mit unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen in der west- und der ostdeutschen Gesellschaft. Immerhin halten nach dieser Umfrage 48 % im Westen die Gesellschaft für gerecht, im Osten nur 19 %. Dies würde meine hier schon wiederholt vertretene These untermauern, daß in Ostdeutschland unter den Trümmern des Staates die Konturen einer DDR-Gesellschaft mit eigenen Werten, darunter auch offenbar mit anderen Vorstellungen über Gerechtigkeit und Bürgernähe des Rechts, sichtbar geworden sind.
Es ist weiterhin alarmierend, daß das, was den Kern des formalen Rechtsstaats ausmacht, nämlich die Regelgerechtigkeit, nicht mehr als Vorzug oder gar nicht mehr als existent wahrgenommen wird. 73 % der Ostdeutschen und immerhin auch 67 % der Westdeutschen meinen, es gebe keine Gleichheit vor dem Gesetz, es würden doch Unterschiede gemacht. Generell erscheint den Bürgern - das zeigen mir Gespräche mit Wählern und Briefe immer wieder - das für sie unverständlich formulierte Recht und die Triade von „Recht haben, Recht bekommen, Recht durchsetzen" als ein Wald von Hürden.
Was kann Rechtspolitik leisten? Sicherlich kann dieses System den Wünschen der Ostdeutschen - immerhin 35 % denken bei Menschenrechten vor allem an das Recht auf Arbeit - nicht Rechnung tragen. Aber Rechtspolitik könnte einen Beitrag zum Abbau dieses tiefen Unbehagens leisten, das sich eben darin äußert, daß 60 und bis über 70 % der Ostdeutschen sagen: Dieses Recht ist ein Recht der Reichen.
Im Bericht der sogenannten Eppelmann-Kommission hieß es:
Das für sie neue Rechtssystem ist den Menschen fremd. Von ihm Gebrauch zu machen und seine Vorteile zu erfahren ist für sie schwierig. Es wäre fatal, wenn sich den Bürgern als Erfahrung mit dem für sie neuen Rechtssystem die Schlußfolgerung aufdrängte, daß die Wahrnehmung ihrer Rechte eine Frage von Wissen und Geld sei.
Die Antwort der Enquete-Kommission lautet: Der Rechtsstaat muß besser propagiert werden. - Ich halte diese Antwort für absolut unzureichend. Es
Dr. Uwe-Jens Heuer
geht nicht um mehr oder andere Öffentlichkeitsarbeit - das ist auch gut und vernünftig -, es geht um Änderungen des Rechts und der Rechtsbildung, die aus der Sicht der Mehrheit der Ostdeutschen einfach fällig sind und die es ihnen ermöglichen, den Rechtsstaat als etwas anzunehmen, das ihnen nicht völlig feindlich und bedrohlich gegenübersteht.
Herr Kolbe, ich meine, der große Lauschangriff ist dabei wohl nicht das richtige Angebot. Dazu gehört einmal eine stärkere soziale und sozialstaatliche Komponente im Recht. Dazu gehört die stärkere Einbeziehung der Bürger in die Rechtsetzung.
Dazu gehört aber auch - ich werde nicht müde, es von diesem Platz aus zu fordern - ein Recht, das Bürger auch verstehen können. Herr Weißgerber hatte es hier ausdrücklich gesagt.
Uwe Wesel hat dazu zutreffend geschrieben, im Bereich der dritten Gewalt laufe „das Prinzip von Öffentlichkeit noch immer leer. Hier bewegen wir uns immer noch im vordemokratischen Raum, leben wir noch nicht unter der Herrschaft des Grundgesetzes. Was uns von der Öffentlichkeit trennt, ist eine Sprachbarriere, die Mauer der Sprache des Rechts."
Für die Kollegen von der anderen Seite des Hauses, denen Herr Wesel sicherlich zu links ist, möchte ich auf den Bundespräsidenten Herzog hinweisen, der die Unverständlichkeit der deutschen Juristensprache auf dem Juristentag in Münster beklagt hat. Vielleicht könnten wir hier wirklich eine gemeinsame Anstrengung unternehmen, etwa auf dem Gebiet des Wohnungsmietrechts. Ich halte es auch für eine Frage der Demokratie, daß wir nicht ein Recht von Rechtsanwälten für Rechtsanwälte machen.
Frau Noelle-Neumann hatte den zitierten Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen" vom 8. März 1995 überschrieben: „Kein Schutz, keine Gleichheit, keine Gerechtigkeit." Sorgen wir für mehr Schutz, für mehr Gleichheit, für mehr Gerechtigkeit!
Danke sehr.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Tiemann .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So klein der Haushalt des Bundesjustizministers ist, ich meine, er bietet wieder einmal Anlaß, sich öffentlich darauf zu besinnen, welche überragende Bedeutung unser Rechtsstaat für jeden einzelnen und für unsere ganze Gesellschaft hat. Unser Rechtsstaat ist der Lebensnerv unseres Staates, unseres friedlichen Zusammenlebens und unseres Wohlstandes. Ohne ihn ist sorgenfreies und sicheres Leben, ohne ihn ist wirtschaftliche Betätigung und schließlich die Freiheit unserer Gesellschaft undenkbar.
Gerade wir in der Bundesrepublik Deutschland sollten aus unserer Geschichte immer neu das gemeinsame Bewußtsein herausbilden, wie schwer Rechtsstaat erkämpft werden muß, welch verheerende Folgen eine Unrechtsgesellschaft erzeugt und welcher permanenten Anstrengungen es bedarf, rechtsstaatliche Strukturen wirksam werden zu lassen. Der Konsens auf dieser Basis muß die Grundlage unserer Rechtspolitik sein.
Sicherheit im Recht und Sicherheit durch das Recht sind der legitime Anspruch an die Rechtsordnung und jede staatliche Aktivität. Meine Damen und Herren, es ist deshalb um so wichtiger, daß sich der Staat wieder auf den Kernbereich seiner Aufgaben konzentriert. Dann kann er nämlich Mittel und Instrumente freisetzen, um den Bürgern und Bürgerinnen diese Sicherheit geben zu können.
Wenn diese Koalition eine Senkung der Staatsquote anstrebt, eine Privatisierung von Aufgaben, die der einzelne mindestens genausogut erfüllen kann wie der Staat, dann tun wir das doch gerade auch, um den Staat wieder neu und vermehrt in die Lage zu versetzen, seine wichtige rechtsstaatliche Aufgabe der Sicherheit für alle Bürger und Bürgerinnen noch effizienter erfüllen zu können.
Wir müssen diese Politik deshalb konsequent weiterverfolgen, denn nur auf dieser Basis lassen sich auch andere staatliche Aufgaben wirksam ausfüllen. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz war auf diesem Weg ein wichtiger Schritt. Wir müssen ihn weitergehen. Um aber den Weg wirksamen Schutzes der Bürger, meine Damen und Herren, weitergehen zu können, muß das Unrechtsbewußtsein in unserer Gesellschaft aufrechterhalten und zum Teil auch neu geschärft werden. Gerade wenn es um Delikte geht, die zum Schaden der Mitmenschen bzw. der Allgemeinheit begangen werden, gilt dies in ganz besonderer Weise.
Die Gewaltkriminalität muß dabei unsere besondere Zielscheibe sein. Es sind immer neue Kampagnen erforderlich gegen die Gewalt, dagegen, daß Gewalt in der Gesellschaft und gerade bei Jugendlichen gewissermaßen salonfähig und zur Normalität gemacht wird. Aus dieser Normalität heraus nähert sich Gewaltkriminalität. Gewalt muß angeprangert werden, wo immer dies geht. Die persönliche Verantwortung der Menschen füreinander muß neue Impulse erfahren.
Gleichzeitig muß es jedoch auch eine gemeinsame Kampagne geben, um klarzumachen, was es bedeutet, wenn die Allgemeinheit durch das Verhalten des einzelnen geschädigt wird, daß hier nicht eine anonyme Einrichtung geschädigt wird, sondern alle, jeder einzelne. Hier müssen die öffentliche Verantwortung und das Bewußtsein wieder neu geweckt werden, daß die Bürger und Bürgerinnen selbst Träger des Gemeinwesens sind. Eine Bagatellisierung von
Dr. Susanne Tiemann
Delikten wie Drogenbesitz, Schwarzfahren und Ladendiebstahl ist hierzu nicht der richtige Weg, ebensowenig wie ein Zurücktreten des Strafrechts, wenn ein Gericht Schadensersatz zugesprochen hat.
Derartige Verfahrensweisen verharmlosen solches Fehlverhalten, machen es zu Kavaliersdelikten und ebnen den Weg zu einer weiteren Verniedlichung von Delikten wie eben auch der Steuerhinterziehung oder den Mißbrauch staatlicher Leistungen. Wir werden uns solchen Bestrebungen jedenfalls energisch widersetzen, meine Damen und Herren.
Wenn die Bürger zum Rechtsstaat Vertrauen haben sollen, müssen sie von ihm auch wirksamen Rechtsschutz erhalten können. Es ist eben eine Tatsache, daß unsere Gerichte nach wie vor überlastet sind. Insofern werden wir, wenn wir keine Situation herbeiführen wollen, wie sie zu Zeiten des Reichskammergerichts bestand, wo sich Prozesse Generationen lang hinschleppten, an Überlegungen über durchgreifende Reformen der Verfahren nicht vorbeikommen.
Nur, meine Damen und Herren, dies muß wohlüberlegt in Angriff genommen werden. Zunächst einmal müssen die Erfahrungen mit dem Rechtspflegeentlastungsgesetz 1993 gesammelt und evaluiert werden, und dann müssen wir uns an die schwierige Aufgabe machen, gemeinsam zu einer Reform zu kommen, die auf der einen Seite mehr Verfahrensökonomie herstellt, die auf der anderen Seite aber auch nicht Rechtsmittel beschneidet und die richterliche Wahrheitsfindung damit beeinträchtigt.
Dies wird eine schwierige Aufgabe sein, zumal wir nicht der Versuchung erliegen dürfen, Reformen um der Reformen willen zu schaffen und vielleicht sogar noch mehr bürokratischen Aufwand zu erzeugen, als wir heute schon haben. Also: Vorsicht bei diesem Unterfangen.
Allerdings stimme ich mit all denen überein, die darauf hinweisen, daß sich der Gesetzgeber in Bund und Ländern selber fragen muß, ob er nicht durch zu viele und zu komplizierte Gesetze maßgeblich mit zur Überlastung unserer Gerichte beiträgt.
Unser Grundsatz muß „Eher weniger denn mehr" sein. Wir müssen Abschied nehmen von dem perfektionistischen Bestreben, Einzelfallgerechtigkeit um jeden Preis schaffen zu wollen, die undurchschaubare und unpraktikable Gesetze und damit letztlich Ungerechtigkeit erzeugt.
Unser Steuerrecht ist ein sprechendes Beispiel hierfür, aber auch unsere Genehmigungsverfahren und leider auch viel zu viele Sozialgesetze.
Wir alle wissen, daß immer wieder die Begehrlichkeit nach gesetzgeberischen Maßnahmen geschürt wird durch noch höhere Standards, die es zu erfüllen gilt, immer neue Ansprüche, die abgesichert werden sollen, immer mehr Perfektion, die vom Rechtssystem erwartet wird. Solchen Bestrebungen sollten und müssen wir gemeinsam widerstehen. Auch der Grundsatz der Subsidiarität sollte uns auf nationaler wie auf europäischer Ebene bei der Weiterentwicklung unserer Rechtsordnung leiten.
Einfaches und verständliches Recht ebenso wie praktikable Verfahren sind maßgeblich dafür, daß dem Bürger der hochentwickelte Rechtsstaat auch tatsächlich etwas nützt. Sie sind aber auch ganz entscheidend für die wirtschaftenden Bürger und damit für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmensstandorts Bundesrepublik Deutschland. Das Recht muß den Rahmen schaffen, der klar und auch flexibel genug ist, um unternehmerische Initiative zuzulassen und zu fördern, nicht aber durch Regelungschaos und Übermaß im Keim zu erstikken oder gar in die Emigration zu treiben. Und Unternehmen, die wegen bürokratischer Belastungen abwandern, nehmen immer auch Arbeitsplätze mit. Dies müssen wir durch unsere Rechtspolitik mit verhindern.
Wir müssen also eine große Entrümpelungskampagne unternehmen, wenn wir unser Recht lebensnah und gerecht gestalten wollen. Wir müssen uns auch abgewöhnen, auf jede Einzelsituation mit einem Gesetz zu reagieren, interventionistische Gesetzgebung zu betreiben,
was dann meistens und häufig genug normative Flickschusterei bedeutet und neuen Regelungsbedarf erzeugt.
Der Rechtsstaat braucht die Kontinuität seiner Regelungen, und die Bürger wie die Unternehmen müssen sich langfristig auf eine Rechtslage einstellen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird von unserer Rechtspolitik, die Schlüsselpolitik ist, abhängen, welche Qualität unsere Gesellschaft hat, wie frei sie sein wird, wie frei jeder sein wird, seine Aktivitäten zu entfalten, aber auch wieviel Verantwortung er haben wird. Ich möchte Sie alle dazu einladen, eine solche Rechtspolitik gemeinsam mit uns zu machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese wichtigen Aufgaben, die uns gerade die Rechtspolitik
gibt, zeigen uns, wie umgekehrt proportional der
Dr. Susanne Tiemann
Umfang des Haushalts des Bundesjustizministers zur Bedeutung dieser großen Aufgaben ist.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, es ist nicht die Summe Geldes, das der Bund für den Justizhaushalt ausgibt, welche es rechtfertigt, daß wir uns sogar schon heute morgen in der öffentlichen Sitzung darüber unterhalten. Es geht vielmehr um die Frage: Wie geht es mit unserem Rechtsstaat weiter? Es ist richtig - ich danke deswegen auch Frau Tiemann und Herrn Kleinert dafür, daß sie nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen haben -, daß der Haushalt der Justiz im Bereich des Bundes relativ wenig Geld kostet. Es ist wichtig, das immer wieder festzustellen, weil in der Öffentlichkeit häufig der Eindruck entsteht, die Justiz sei viel zu teuer. Das ist gar nicht der Fall.
Führen wir uns die Zahlen noch einmal vor Augen: Der Bund zahlt in diesem Jahr etwa 95 Milliarden DM Zinsen. Der Justizhaushalt, wenn man alles zusammenfaßt, umfaßt in etwa 1 Milliarde DM, d. h. rund 1 % davon, wenn man es grob rechnet. Meine Damen und Herren, das sollte die Justiz dem Bund durchaus wert sein.
Bei den Ländern ist das natürlich ein bißchen mehr. Auch das trägt zu dem Problem bei, das wir in der Öffentlichkeit oft hören. Mich bringt dies zu meinem zweiten Punkt, daß wir eine Politik zur Sicherung des Rechtsstaates - um diese Frage geht es doch im Bereich der Innen- und der Rechtspolitik - nur machen können, wenn Bund und Länder nicht nur wissen, daß sie beide Zuständigkeiten haben und beide Verantwortung tragen, sondern auch zusammenarbeiten.
Bundesinnenminister Kanther - ich sehe ihn nicht mehr im Raum - hat neben Herrn Kollegen Marschewski, der noch hier ist, dazu Stellung genommen. Dazu muß ich sagen, daß es natürlich nicht angehen kann, daß Sie den Bundesländern einerseits öffentlich in die Kniekehle treten, sich aber andererseits die Feder, daß die Straftaten laut polizeilicher Kriminalstatistik zurückgegangen sind - sie ist ja nicht mehr als ein Indikator der Verbrechen -, an den Hut stecken und nicht einmal danach fragen, ob nicht z. B. die Umstrukturierung bei der Polizei, verbesserter Vollzug oder andere Maßnahmen, die in den Verantwortungsbereich der Länder fallen, dafür ursächlich sind.
Herr Marschewski, ich bitte deswegen darum, daß Sie hier nicht mehr solche Reden halten. Wenn es Ihnen darum geht, Gewalt und Verbrechen zu bekämpfen - das will ich ausdrücklich unterstellen -, dann sollten Sie auch so reden und nicht meinen, Leute prügeln zu müssen, die keine Schuld an den Phänomenen haben, die Sie schildern - und das noch nicht einmal richtig.
Meine Damen und Herren, ich schließe mich dem, was der Kollege Weißgerber zum Haushalt gesagt hat, voll an. Dennoch will ich einige Anmerkungen zur Rechtspolitik machen, weil ich den Eindruck habe, Frau Bundesjustizministerin, daß sich hier in den kommenden Jahren eine ganze Menge ändern muß. Uns alle verbindet die Sorge um den sozialen Rechtsstaat - damit will ich das aufgreifen, was Frau Tiemann sagte -, daß unsere Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte ausüben können, daß Kriminalität da, wo sie auftritt, bekämpft werden muß und daß wir unseren Rechtsstaat weiterhin gut instandhalten. An einigen Stellen ist dies nicht mehr der Fall. Dort müssen wir Verbesserungen erreichen. An Stellen aber, wo er instand ist, muß er sorgfältig gepflegt werden.
Meine erste Bitte an Sie ist, daß Sie sehr viel stärker als bisher darauf achten, daß die Gesetzesvorlagen, die in den Bundestag kommen - soweit sie aus Ihrem Haus sind, können Sie dafür ja selber Sorge tragen; auch sonst sind Sie ja sehr häufig zeichnungsbefugt -, qualitativ erheblich besser werden. Das Justizministerium hat eine Menge an hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Produkte, die wir zur Zeit auf den Tisch bekommen, sind ziemlich schlecht.
In den letzten Jahren - das merke ich kritisch in Richtung des Bundestages an - hat man es Ihnen auch leichtgemacht, weil es Ihnen insbesondere in der Innen- und Rechtspolitik nur darum ging, daß sich die CDU/CSU mit der F.D.P. geeinigt hat; das Ergebnis wurde dann automatisch geschluckt. Die Mehrheiten sind heute nicht mehr so. Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, daß die Gesetze, die wir vorgelegt bekommen, nicht so kompliziert sind - der Kollege Weißgerber hat bereits darauf hingewiesen -, daß kein Mensch sie mehr versteht. Dann nämlich braucht man die Gesetze nicht mehr. Die Gesetze, die der Bundestag beschließt, müssen verständlicher und lesbarer werden.
Das Beispiel, das er angeführt hat - nämlich das Mietenüberleitungsgesetz -, ist sehr passend. Ich meine, wir dürfen es nicht dabei belassen, daß sogar von den Experten beklagt wird, die Mietrechtsgesetzgebung lese sich beinahe so schwer wie die Steuergesetzgebung oder das Sozialrecht. Ich sähe es vielmehr am liebsten, wenn Sie diesen Gesetzentwurf zurückziehen und - meinetwegen mit dem Inhalt, den Sie für richtig halten; darüber streiten wir uns dann politisch - auf den Tisch legen würden, so daß er Qualitätsansprüchen genügt.
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Ich habe mich sehr darüber amüsiert, Herr Kleinert, was Sie über die Galerie unserer Gerichtspräsidenten, die Sie aufgeführt haben - es waren ja nur Männer, was, wie immer, wahrscheinlich nur ein Zufall war -, gesagt haben. Ich stimme Ihnen zu: Wir hier machen die Gesetze, und die Gerichte sollen sie anwenden - das ist gar keine Frage -, d. h. das nötige Selbstbewußtsein können wir uns immer wieder bestätigen. Aber es wäre natürlich außerordentlich unklug, wenn wir nicht die Hinweise zur Kenntnis nähmen, die wir aus der Rechtsanwendung der Gerichte und dem Vollzug der Praxis bekommen.
Darüber stand auch in den Zeitungen eine ganze Menge zu lesen: In der Tat kommen viele der Urteile, über die Sie sich - Sie haben da meine volle Sympathie - ärgern, auch daher, daß in vielen Bereichen die notwendige Klarheit und Präzision der Gesetzgebungsbeschlüsse nicht gegeben sind. Ich weiß, daß viele davon auch Ergebnisse von Kompromissen im politischen Bereich sind. Das ist gar keine Frage. Aber wir Sozialdemokraten werden in den kommenden vier Jahren darauf achten, daß das, was politisch gewollt ist, wenigstens präzise und klar und damit als Anleitung für die Gerichte und für den Praxisvollzug tauglich ist.
Die zweite Forderung, die ich an Sie habe, betrifft nicht nur die Bundesjustizministerin, sondern sehr viel mehr die Regierungsmehrheit als Ganzes. Ich habe den Eindruck, Sie müssen bei manchen Ihrer Gesetze die Konzeption ändern, beim Verbrechensbekämpfungsgesetz ebenso wie beispielsweise beim Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege. Übrigens, denke ich, sind wir uns alle darüber einig, daß das, was hier als Horrorliste gehandelt wird, Gott sei Dank kein Bundesratsgesetzentwurf ist - er wird wohl auch keiner werden -, sondern eine Zusammenstellung von Überlegungen und Äußerungen, die für uns in keiner Weise verbindlich sind und es im übrigen auch nicht sein sollten.
Sie sehen das auch so; ich habe Ihre Äußerung, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, gestern mit Wohlgefallen zur Kenntnis genommen.
Aber was beim Verbrechensbekämpfungsgesetz natürlich geändert werden muß - ich weiß nicht, ob der Kollege Kolbe noch da ist -, ist folgendes: Lieber Kollege Kolbe, wenn Sie feststellen, daß die Verbrechensfurcht in den Ländern im Osten der vereinigten Bundesrepublik zunimmt, dann hat das begreifliche Ursachen. Denen müssen wir nachgehen. Die müssen wir gemeinsam mit den Dienststellen, auch gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort und in den Ländern beheben. Die müssen wir auch überwinden. Nur, Ihre Reaktion war darauf: Die haben Angst vor Verbrechen, und deswegen müssen wir Gesetze verschärfen. Diese Reaktion war ebenso typisch wie falsch. So geht das einfach nicht mehr weiter.
Wir haben hauptsächlich - das sagen übrigens auch die Rechtsanwender - Vollzugsprobleme. Diese Vollzugsprobleme liegen sehr häufig an unklaren, unpräzisen Gesetzen. Da können wir helfen. Aber mit noch mehr Gesetzen die Vollzugsproblematik zuzudecken ist einfach falsch.
Dritter Punkt. Zum Bereich der Bürgerfreundlichkeit der Justiz. Ich hätte es sehr gerne, Frau Justizministerin, daß wir durchaus auch aus Umfragen, die wir nicht mögen, das ernst nehmen, was uns von dort entgegenschallt. Der Rechtsstaat steht bei denjenigen Bürgerinnen und Bürgern im Ansehen am höchsten, die am wenigsten mit Gerichten und Gesetzen zu tun haben.
- Ja, das mag sein, daß Ihnen das klar ist, liebe Frau Albinowitz. Aber es ist Ihre Aufgabe, als Mitglied der Regierungsmehrheit dafür zu sorgen, daß es nicht dabei bleibt. Gesetze und Gerichte sind nämlich um der Bürger willen da, nicht darum, daß wir ausnahmsweise ein Mitglied dieses Hohen Hauses gefunden haben, das diesen Zusammenhang versteht. Das kann nun nämlich nicht der Rechtfertigungsgrund sein, alles so weiterschludern zu lassen.
Wir werden uns darum bemühen müssen - darum bitte ich Sie -, auch mit den Ländern zusammen bald grundlegende Reformen einzuleiten, damit das Ziel, nämlich Bürgerfreundlichkeit, Vereinfachungen und Klarheit, wieder stärker als Motiv für Reformen zum Vorschein kommt und nicht unter dem Druck des Einsparens zusammengestrichen wird.
Als vierten Punkt lassen Sie mich noch anmahnen: Frau Bundesjustizministerin, Sie haben wahrscheinlich deswegen, weil es in Ihrer Koalition schwer ist, Konsens zu finden, große Bereiche der Gesetzgebung vernachlässigt: Kindschaftsrecht, neue Medien.
Die Entwicklungen dort berühren Millionen von Menschen, bedrohen Ihre Sicherheit und Ihre Rechte. Wir können die Ausgestaltung so wichtiger Felder nicht den Rechtsanwendern und den Gerichten überlassen, gerade dann nicht, wenn wir uns darüber ärgern, daß Gerichte entscheiden, wenn sie angerufen werden.
Wir brauchen gerade dort erheblich mehr gesetzlich vernünftige und präzise Regelungen. Die SPD wird sie deshalb verstärkt bei Ihnen einfordern.
Als letzten Punkt würde ich gerne etwas aufgreifen, was Herr Beck gesagt hat; Herr Kleinert, auch Sie haben das aufgegriffen. Unser Rechtsstaat zeichnet sich in der Tat auch dadurch aus, daß er begangenes Unrecht wiedergutmachen kann und will. Das tun wir noch nicht in ausreichendem Maße im Bereich des Unrechts, das durch die DDR-Gerichte, durch die DDR-Gesetzgebung und durch die Stasi begangen wurde. Es ist schon eine Schande - und man kann, glaube ich, schon einmal sagen, daß ei-
Dr. Herta Däubler-Gmelin
nen da der Frust packen kann -, daß dieses schreckliche Unrecht gegen die sogenannten Deserteure und Wehrkraftzersetzer nach 50 Jahren immer noch nicht bereinigt ist.
Doch ich kann auch die Frustration von Leuten verstehen, die wissen, daß wir das in den letzten Legislaturperioden vergeblich versucht haben. Sie wissen - ich will das jetzt einmal sehr freundlich und sehr pfleglich ausdrücken-: Das ist nicht an uns gescheitert. Ich setze deshalb große Hoffnungen darauf, daß wir es dieses Mal schaffen und daß wir es bald schaffen. Nur, wenn das nicht gelingen sollte, einfach deswegen, weil Sie sich nicht mit uns darauf verständigen können, daß diesen Menschen Unrecht getan wurde und daß ihnen auch ihre Würde wiedergegeben werden muß, würde sich unser Rechtsstaat ein außerordentlich schlechtes Zeugnis ausstellen. Ich hoffe, wir können das gemeinsam vermeiden.
Danke schön.
Ich muß zwei Anmerkungen machen: Erstens heißt die Kollegin „Albinowitz" eigentlich Albowitz. Zweitens habe ich vergessen, für das Protokoll zu erwähnen, daß die Kollegin Dr. Tiemann heute ihre erste Rede im Plenum des Bundestages gehalten hat. Herzlichen Dank und many happy returns!
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Zum Ende dieser Debatte über den Justizhaushalt, dessen Größenordnung schon mehrmals hier erwähnt worden ist, darf ich mich bei den Berichterstattern für die sehr gute, sachliche und konstruktive Beratung des kleinen Haushalts bedanken. Er weist nicht nur wichtige Weichenstellungen auf, sondern enthält auch ein Stückchen Glaubwürdigkeit insofern, als wir jeglichen Vorwürfen, wir hielten uns nicht an die Beschlüsse der Föderalismuskommission, begegnen, indem wir das auch textlich im Einzelplan 07 zum Ausdruck bringen. Deshalb darf ich Ihnen, Herr Kolbe, aber auch Ihnen, Herr Weißgerber, klar sagen: Wir werden uns in vollem Umfang an die Beschlüsse der Föderalismuskommission halten.
Wir gehen derzeit davon aus, daß beim Bundesgerichtshof nicht neue Senate eingerichtet werden müssen, was zur Folge hätte, daß dann die Klausel gelten würde, wonach diese dann in Leipzig ihre Arbeit aufnehmen würden. Aber wenn es einmal dazu käme - das ist eine Prognose, die Sie, Herr Kolbe,
aufstellen; ich glaube, daß sie im Moment noch nicht auf sicherem Fundament steht -, dann würde in den Räumlichkeiten, die wir gerade herrichten, auch ein weiterer Senat seinen Aufgaben nachgehen können.
Der Justizetat ist - Sie werden es feststellen, wenn Sie sich die einzelnen Positionen ansehen - fast schon eher ein Bauetat, weil die Schwerpunkte der Beratungen bei den notwendigen Investitionen zur Herrichtung von Gebäuden lagen, um gerade in den nächsten Jahren sichere Voraussetzungen für den Umzug des Bundesverwaltungsgerichtes, des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofs und der Mitarbeiter des Generalbundesanwalts zu schaffen.
Die konsequente Umsetzung dieser Vorgaben ist, glaube ich, ein wesentlicher Beitrag für ein Zusammenwachsen von Ost und West in Deutschland. Denn auch die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern sollen sehen, daß wir hier - auch wenn das natürlich auf Grund der Baumaßnahmen einige Jahre dauern muß - alles tun, damit auch oberste Gerichte in östlichen Bundesländern wieder ihre Tätigkeit aufnehmen können.
Der Erhalt des Rechtsstaats hat in der heutigen Debatte eine wesentliche Rolle gespielt. Ich kann hier nur aus voller Überzeugung sagen, daß ich uneingeschränkt die Auffassung teile, daß sich der Staat selbstverständlich auf den Kernbereich seiner Aufgaben zurückziehen muß. Dazu gehören gerade der Erhalt des Rechtsstaats und die Funktionsfähigkeit seiner Institutionen und Organisationen. Das ist für den Bereich der Rechtspolitik natürlich die Justiz in den Ländern, aber auch im Bund, soweit es sich um die obersten Gerichte handelt.
Deshalb möchte ich nur ganz wenige Zahlen ergänzend zu denen, die Sie, Frau Däubler-Gmelin, genannt haben, nennen, die doch noch einmal deutlich machen, daß wir uns wirklich Justiz leisten können und leisten müssen und daß es nicht so ist, daß unser Rechtsstaat insgesamt unbezahlbar wäre. Denn wenn Sie die Gesamthaushalte der Länder nehmen, stellen Sie fest, daß sie bei 480 Milliarden DM liegen. Davon entfallen auf die Justizausgaben in den Ländern insgesamt gut 16 Milliarden DM. Das macht durchschnittlich 3,3 % in einem Landeshaushalt aus, und davon entfallen ca. 5 bis 6 Milliarden DM auf Gebühreneinnahmen von denjenigen, die dieses System nutzen und auch in Anspruch nehmen oder in Anspruch genommen werden. Letztendlich sind es dann rund 10 Milliarden DM aus allgemeinen Steuereinnahmen.
Das heißt, uns kostet die Justiz tatsächlich rundherum ca. 10 Milliarden DM Steuergelder. Wenn Sie das auf die Bürger insgesamt umrechnen, dann sind das 130 DM im Jahr.
Und dann frage ich Sie, meine Damen und Herren: Ist die Frage berechtigt, der Rechtsstaat sei unbezahlbar? - Er ist es nicht. Er ist natürlich nicht belie-
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
big vergrößerbar. Es ist nicht möglich, weiter beliebig Stellen für Richter, für Staatsanwälte, für Beschäftigte bei der Justiz zu schaffen - das wissen wir seit vielen Jahren.
Aber der Kollaps der Justiz steht auch nicht kurz vor der Tür. Es ist nicht notwendig, zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Justiz jetzt zu tiefen Einschnitten in rechtsstaatliche Grundsätze und in die Rechte derjenigen überzugehen, die vor Gericht stehen, sei es in einem Strafprozeß, sei es in einem Zivilprozeß.
Deshalb freue ich mich über den breiten Konsens, der in den Wortbeiträgen deutlich wurde, daß wir das, was jetzt im Moment im Bundesrat an Einschränkungen im Strafverfahren, aber auch in anderen Verfahrensrechten überlegt wird, hier nicht nur mit äußerster Zurückhaltung und Distanz gesehen wird, sondern daß wir hier, glaube ich, weitgehend einer Meinung sind: Bevor nicht eine vernünftige Bilanz über die Auswirkungen der Maßnahmen gezogen worden ist, die wir in der letzten Legislaturperiode - 1993, 1994 - beschlossen haben, kann auch nicht vernünftig begründbar und mit Rechtstatsachen untermauert ein weiteres Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt werden.
Deshalb ist es so wichtig, daß wir uns mit den Erkenntnissen, die sich aus umfangreichen Berichten zur Struktur der Rechtsanalyse ergeben, gemeinsam beschäftigen.
- Auch Herr Geis ist gerade im Rechtsausschuß immer sehr konstruktiv, wenn wir uns mit diesen wichtigen Fragen beschäftigen.
Wir müssen dann am Schluß einer solchen Bewertung überlegen und prüfen, wo eine gesetzgeberische Maßnahme sinnvoll sein kann und wo nicht.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Ministerin, würden Sie mir zugeben, daß sehr viele Vorstellungen zur Entlastung der Justiz aus den Beratungen und der Entscheidung des Bundestages nicht so verwirklicht worden sind, wie sie im Bundesrat vorgedacht waren, und daß deshalb seitens des Bundesrates die Kritik an dem Rechtspflegeentlastungsgesetz, das wir
vor drei Jahren diskutiert haben und das vor zwei Jahren in Kraft getreten ist, kommt, ob man nicht insofern die alten Vorstellungen, die dort damals erwogen worden sind, jetzt umsetzen sollte, um eine wirkliche Entlastung zu erreichen?
Herr Geis, es ist richtig, daß das, was jetzt an Vorstellungen vorgebracht wird, alles alte Vorstellungen sind, denen man aus guten Gründen nach den Beratungen im Rechtsausschuß nicht entsprochen hat. Das, was im Bereich der Beschneidung von Rechtsmitteln, der Beschleunigung von Verfahren und auch bezüglich der Korrekturen im Beweisantragsrecht schon gemacht worden ist, hat nach den bisherigen, noch nicht endgültigen Erkenntnissen nicht zu den Entlastungen geführt, die man bewirken wollte.
Das heißt: Warum sollten, wenn schon getroffene Maßnahmen nicht das Ziel, das man damit verfolgen wollte, erreicht haben, mehr Maßnahmen in diese Richtung mit einem Male dieses Ziel, das noch fern ist, ganz nahe sein lassen? Ich glaube also, daß es angebracht ist, sehr kritisch und mit äußerster Distanz an den Katalog, der uns da präsentiert wird, heranzugehen.
Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte, Herr Kollege Bachmaier.
Frau Ministerin, sind Sie, nachdem heute bereits mehrmals von Bundesratsentwürfen oder Erwägungen des Bundesrats die Rede war, bereit, hier einzuräumen, daß es bis dato keinerlei Gesetzentwurf des Bundesrates zu weiteren verfahrensrechtlichen Schritten gibt und daß Gesetzentwürfe dieser Art noch nicht auf den Weg gebracht worden sind?
Im Bundesrat sind noch keine Beschlüsse gefaßt worden, so daß uns jetzt noch keine Vorstellungen unmittelbar auf dem Tisch liegen.
Es liegen nur einige Initiativen aus verschiedenen Ländern vor, über die beraten wird.
Wenn man die Historie betrachtet und an die Jahre 1992 und 1993 denkt, wird unter den Justizministern und Justizministerinnen wohl leider eher ein sehr breiter Konsens dafür gefunden, an der Schraube, die man einmal in Gang gesetzt hat, weiterzudrehen.
Ich bin Herrn Kleinert dankbar dafür, daß er unsere Auffassung deutlich gemacht hat, daß das weitere Gehen in diesen Furchen, auf diesen festen We-
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
gen nicht richtig sein kann, daß wir uns vielmehr der sehr viel mühsameren Aufgabe unterziehen müssen, uns mit den Fragen zu beschäftigen, die zu einer Modernisierung der Justiz und zu einer Entlastung durch den Ausbau außergerichtlicher Streitbeilegungen führen können. Dies hätte zur Folge, daß Verfahrensabläufe verkürzt werden, daß Organisationsstrukturen moderner und effektiver werden und
daß dann wahrscheinlich, gerade unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, mehr Einsparpotential vorhanden ist,
als wir es mit einfachen Mitteln messen können.
Deshalb wird auch die Bundesregierung - sie hat die Grundlagen dazu mit den Gutachten, die sie in Auftrag gegeben hat, geschaffen - alles tun, damit unser Rechtsstaat und unsere rechtsstaatlichen Verfahren erhalten bleiben und Gesetze nicht in Hektik beraten werden. Vielmehr sollten wir uns in Ruhe, mit Sorgfalt, aber auch mit der nötigen Intensität mit den Vorschlägen auseinandersetzen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Schily.
Frau Ministerin, Sie haben sich zu den Überlegungen in Kreisen der Landesjustizminister geäußert. Wie nehmen Sie denn zu den Vorhaben der CDU/CSU unter Mitwirkung Ihres Kabinettskollegen Kanther Stellung, die dahin gehen, eine Hauptverhandlungshaft einzuführen und die Zuständigkeiten des BND zu erweitern? Und wie nehmen Sie zu dem BKA-Gesetzentwurf Stellung, der aus dem Hause Ihres Kabinettskollegen Kanther stammt?
Um gleich beim letzten anzufangen: Es handelt sich um einen Regierungsentwurf, der jetzt in den Ausschüssen beraten wird. Es wird noch Anlaß geben, sich sehr offen und sehr sachlich mit einigen Punkten auseinanderzusetzen. Daran hat gerade die F.D.P.-Fraktion ein großes Interesse.
Zu der Frage der Hauptverhandlungshaft: Es handelt sich um einen Restanten aus dem Verbrechensbekämpfungsgesetz, das im Dezember letzten Jahres in Kraft getreten ist. Es ist an die Beratungen zu erinnern, die wir dazu zusammen mit Vertretern der Opposition geführt haben. In den letzten Tagen der Beratungen, die wir sehr intensiv geführt haben, ist die Hauptverhandlungshaft nicht mit der nötigen Mehrheit verabschiedet worden.
Deshalb werden wir uns überlegen, ob und zu welchem Zeitpunkt dieses Thema noch einmal aufgegriffen wird. Es ist ein Punkt der Koalitionsvereinbarung und steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Ich könnte mir denken, daß gerade Erfahrungen, die mit dem beschleunigten Verfahren im Verbrechensbekämpfungsgesetz gesammelt werden können, Anhaltspunkte bieten können, ob es notwendig und richtig ist, hier zu weiteren Veränderungen zu kommen.
Es gibt Vorschläge in anderen Bereichen, da ist die Palette sehr viel größer. Ich kenne auch Vorschläge aus den Kreisen der Opposition. Über sie werden wir dann auch politisch kontrovers beraten. Dazu sind dieses Gremium und andere da. Ich und meine Fraktion werden mit Sicherheit kein Hehl aus unserer Auffassung machen.
Damit ist meine Redezeit zu Ende. Ich habe keine Gelegenheit, noch auf aktuelle Fragen der Rechtspolitik einzugehen. Aber, Frau Däubler-Gmelin, Ihr Appell, weniger Gesetze, einfachere Gesetze, lesbarere Gesetze zu haben, ist - wie immer - auf fruchtbaren Boden gefallen.
Eines müssen wir jedoch in dieser Debatte festhalten: Vieles, was wir in der letzten Legislaturperiode zur Vollendung der deutschen Einheit im rechtlichen Bereich getan haben, war notwendig und richtig und konnte nicht immer mit dieser strengen Meßlatte gemessen werden. Gerade hier finden wir Sachverhalte vor, die es nicht gestatten, mit kurzen und wenigen Paragraphen den berechtigen Anliegen der davon Betroffenen Rechnung zu tragen.
Deshalb mußten das Sachenrechts- und das Schuldrechtsänderungsgesetz ein gewisses Volumen haben. Daß man jetzt nicht täglich darüber redet, zeigt ja, daß es gut zu funktionieren scheint.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Wir stimmen zunächst über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, ab. Wer stimmt für den Einzelplan 07 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und PDS angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 19 ist mit breiter Mehrheit bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe auf: Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksachen 13/511, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Ina Albowitz
Hans-Joachim Fuchtel
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und neun Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Die Gruppe hat beantragt, über einen Änderungsantrag namentlich abzustimmen. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von mindestens 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob der Antrag der PDS das erforderliche Quorum erreicht, werde ich nach der Aussprache feststellen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Konstanze Wegner .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst einige allgemeine Bemerkungen zur sozialen Lage in Deutschland und zur gegenwärtigen Diskussion um den Sozialstaat. Vor diesem Hintergrund möchte ich anschließend etwas zum Entwurf des Einzelplans 11 und zu seinen Veränderungen, die er im Zuge der Haushaltsberatungen erfahren hat, sagen.
In dem Positionspapier zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, das Verantwortliche der evangelischen und der katholischen Kirche 1994 herausgegeben haben, wird soziale Gerechtigkeit folgendermaßen definiert:
Soziale Gerechtigkeit verlangt, daß alle Bürger an Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten der Gesellschaft teilnehmen können.
Wird dieser Definition im Alltag des wiedervereinigten Deutschlands des Jahres 1995 entsprochen? Ich sage klipp und klar nein. Dieses Nein will ich auch begründen.
Um mich aber nicht dem Vorwurf einseitiger Schwarzmalerei auszusetzen, sage ich zu Beginn ausdrücklich, daß Deutschland insgesamt gottlob ein wohlhabendes Land ist, in dem es etwa einem Drittel der Bevölkerung gut bis sehr gut und einem weiteren Drittel zufriedenstellend geht.
Wir blicken inzwischen auf fast fünf Jahrzehnte politischer und wirtschaftlicher Stabilität zurück. Dies verdanken wir vor allem dem Einsatz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Land,
den vielen Frauen, die die Familienarbeit machen - leider sind das in unserem Land noch immer überwiegend die Frauen, den Gewerkschaften und einem immer noch leistungsfähigen und innovationsfreudigen Mittelstand.
Aber folgendes ist unübersehbar: Das System der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft zeigt zunehmend Mängel. Im letzten Jahrzehnt hat sich Armut in unserem Land ausgebreitet. Die großen Wohlfahrtsverbände haben darauf seit Jahren hingewiesen, und jetzt tun es auch die Kirchen. Das müßte eigentlich gerade diejenigen unter den Regierungsparteien, die sich christlich nennen, zum Nachdenken anregen.
Laut Aussage der Arbeiterwohlfahrt sind von Armut heute vorrangig Kinderreiche, Arbeitslose, Alleinerziehende, Kleinrentnerinnen, chronisch Kranke und Obdachlose betroffen. 1994 hatten wir mit einem Jahresdurchschnitt von 3,7 Millionen registrierter Arbeitsloser den Höchststand der Arbeitslosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Daran beträgt der Anteil der Langzeitarbeitslosen - das ist besonders bedrükkend - 1,2 Millionen. Nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände sind derzeit etwa 10 % der Bevölkerung dauernd und 15 % immer wieder, also zeitweise, von Armut betroffen. Ich glaube, mit einer solchen Bilanz kann man sich nicht einfach zufriedengeben.
Von konservativer Seite ist nun immer wieder zu hören, in Deutschland müsse ja niemand verhungern, deshalb sei Armut kein Thema für die Politik, sondern höchstens eine Art überzogenen Anspruchsdenkens. Ein derartig verengter Armutsbegriff ist auf Deutschland nicht anwendbar - wenn überhaupt, dann auf die Verhältnisse in der Dritten Welt.
Armut in Deutschland bedeutet heute - abgesehen von einer Minimalversorgung im Bereich Nahrung, Kleidung und Wohnung - den fast völligen Verzicht auf Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben; d. h. Ausgrenzung aus der Gesellschaft, fehlende Entfaltungsmöglichkeiten und Perspektivlosigkeit, und dies für immer mehr junge Leute.
Eine solche Situation ist sozial ungerecht und kulturell beschämend.
Dr. Konstanze Wegner
Sie ist auch eine der Ursachen für den wiederaufkommenden Rechtsextremismus und die wachsende Fremdenfeindlichkeit in unserem Land.
- Das ist kein dummes Zeug. - Sie machen sich bei einer Politik, die diese Zusammenhänge ignoriert, mitschuldig am Abbau der demokratischen Substanz unseres Staates.
Damit setzen Sie die im Grunde positiven Leistungen, an denen Sie selbst mitgewirkt haben, aufs Spiel. Dazu komme ich noch.
Wie läuft das denn im 13. Regierungsjahr des Kanzlers Kohl in Deutschland?
Statt zu versuchen, die nun wirklich vielfach aufgezeigten und analysierten Mängel zu beheben, wird in der Wirtschaft, in den Parteien, in den Medien und an den deutschen Stammtischen eine teilweise abenteuerliche Diskussion über die Zukunft des Sozialstaates geführt, der angeblich wegen des weit verbreiteten Mißbrauchs sozialer Leistungen und des fehlenden Lohnabstandsgebots nicht länger finanzierbar sei. Ich halte diese Diskussion für oberflächlich und teilweise für regelrecht verlogen. Ich will das hier ganz deutlich sagen.
Natürlich gibt es in allen großen Versicherungssystemen Mißbrauch, und es ist die Pflicht der Verantwortlichen - das ist in diesem Fall vor allem die Regierung -, diese Mißbräuche zu verfolgen und dafür zu sorgen, daß soziale Leistungen vor allem denen zugute kommen, die sie wirklich brauchen.
- Ich bitte Sie, wer so laut über Sozialbetrug jammert wie Sie, sollte aber auch ehrlich genug sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß zwei Drittel der Kosten des sogenannten Sozialbetrugs in unserem Land zu Lasten der Arbeitgeber gehen.
Was das angeblich verletzte Lohnabstandsgebot angeht, so hat - das ist hier schon oft gesagt worden; aber scheinbar muß man es immer wiederholen - eine vom Familienministerium in Auftrag gegebene Studie klar erwiesen - solange Herr Seehofer mir nicht das Gegenteil nachweist, werde ich daran festhalten -, daß das Abstandsgebot in der Regel gewahrt ist und nur in etwa 10 % der Fälle, nämlich bei den Familien unter den Sozialhilfeempfängern, die viele Kinder haben,
die Sozialhilfeempfänger zu nahe an die niedrigen Lohngruppen heranrücken. Das liegt aber überhaupt nicht an etwa zu üppig bemessenen Sozialhilfesätzen, sondern schlicht und einfach daran, daß wir seit Jahren einen völlig unzureichenden Familienlastenausgleich haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünschte mir einmal anstelle einer Stammtischdiskussion über Sozialmißbrauch und angeblich zu luxuriösen Sozialhilfesätzen, daß in unserem Land ähnlich engagiert über die Steuerhinterziehung diskutiert würde.
Hier gehen dem Staat in der Tat jährlich dreistellige Milliardenbeträge verloren, und auf dieses Geld wäre er angesichts der leeren Kassen und der horrenden Verschuldung, in die Sie uns geführt haben, wirklich angewiesen.
Zu Selbstgerechtigkeit besteht also nicht der geringste Anlaß in der deutschen Politik, auch nicht im Bereich der Sozialpolitik. Die Regierungsparteien haben die Zunahme der Armut durch ihre Politik der letzten Jahre entscheidend mit zu verantworten.
- Hören Sie nur zu, Herr Austermann! Mittels der sogenannten Konsonantengesetze FKP und SKWP haben Sie 1994 allein im Sozialbereich rund 23 Milliarden DM gekürzt. Zur Zeit bereiten Sie eine weitere Kürzung im Bereich der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe vor. Sie haben die sogenannte Gerechtigkeitslücke vergrößert, indem Sie die Kosten der Einheit zu großen Teilen über die Sozialversicherungssysteme finanzieren und - das halten wir für besonders verkehrt - indem Sie den Solidaritätszuschlag auch von den niedrigen und mittleren Einkommen erheben, die ohnehin seit Jahren verfassungswidrig zu hoch besteuert werden.
Wie ist nun der Haushaltsplan des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung vor diesem Hintergrund zu bewerten? Bevor ich mich einigen Schwerpunkten des Einzelplans zuwende, möchte ich mich bei meinen Mitberichterstattern und beim Ministerium bedanken. Die Beratungen fanden in einer sachlichen und fairen Form statt, und das Haus hat uns zügig und korrekt zugearbeitet.
Zunächst das Erfreuliche - es gibt ja nie nur schwarz und weiß in der Politik -: Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wurden einvernehmlich einige positive Zeichen gesetzt. Das ausgelaufene Langzeitarbeitslosenprogramm wurde mit einem Gesamtvolumen von rund 3 Milliarden DM bis 1999 verlängert, die Erstattung für Maßnahmen nach den §§ 249h und 242s AFG wurde um 240 Millionen DM aufgestockt, die Modellmaßnahme zur Förderung neuer
Dr. Konstanze Wegner
Wege in der Arbeitsmarktpolitik ebenso und gleichfalls auch die Zuschüsse zur Errichtung und Modernisierung von Pflegeeinrichtungen auf insgesamt 83 Millionen DM.
Jetzt kommt aber der negative Teil, lieber Kollege Fuchtel; denn ein Vielfaches von dem, was die Koalition mit der einen Hand gegeben hat, hat sie mit der anderen durch die Kürzung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit wieder weggenommen. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb wir diesen Einzelplan ablehnen werden. Sie haben diesen Ansatz schon zu Anfang gegen den Willen der Mehrheit des Verwaltungsrates um 3,5 Milliarden DM und in der Bereinigungssitzung ganz zum Schluß auf Wunsch des Finanzministers noch einmal um weitere 3,5 Milliarden DM auf insgesamt nur noch 8 Milliarden DM gekürzt.
Wir sind überzeugt, daß diese Kürzungen durch die gegenwärtige Lage am Arbeitsmarkt nicht gerechtfertigt sind.
Sie degradieren die Bundesanstalt für Arbeit damit schlicht zum „Einsparschwein" des Bundesfinanzministers.
Die GRÜNEN haben den Antrag gestellt, den ursprünglichen Ansatz wiederherzustellen. Er ist in der Sache richtig. Aber leider haben Sie für die 3,5 Milliarden DM keinen Deckungsvorschlag vorgelegt.
Bei der Bundesanstalt selbst sind 1994 insgesamt 2 Milliarden DM Mittel für Forschung, Umschulung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, also ausgerechnet für aktive Arbeitsmarktpolitik, nicht abgeflossen. Das ist wirklich ein Skandal, denn alles, was hier versäumt und an der falschen Stelle eingespart worden ist, wird mit einer Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit bezahlt werden müssen und letztlich in Ihren Haushalt zurückkommen und schließlich an die Kommunen weitergedrückt werden.
Um so unverständlicher ist, daß die Koalition den Ansatz für die Arbeitslosenhilfe von ursprünglich 19,4 Milliarden DM auf 18 Milliarden DM gekürzt hat. Der Präsident der Bundesanstalt, Herr Jagoda - sicher kein Linker -, hat im Fachausschuß vor einer Kürzung gewarnt und wörtlich gesagt:
Ich prognostiziere, daß die Arbeitslosenhilfe nicht rückläufig sein kann, weil die Langzeitarbeitslosigkeit steigt.
Die Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung orientiert sich vollkommen an dem Prinzip „stop and go", und sie ist willkürlich und ohne erkennbare Konzeption.
Sie hätten das Langzeitarbeitslosigkeitsprogramm
gar nicht erst auslaufen lassen dürfen, denn jetzt
muß es mit enormem Arbeits-, Kosten- und Publicity-aufwand mühsam wieder angekurbelt werden.
- 6 Millionen DM habt Ihr Euch zusätzlich an Öffentlichkeitsarbeit bewilligt.
Was wir brauchen, ist endlich Stetigkeit und Berechenbarkeit in der Arbeitsmarktpolitik und ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, das u. a. auch eine Reform des - darauf haben meine Kollegen immer wieder hingewiesen - mittlerweile völlig unlesbaren AFG und eine neue Regelung der Arbeitszeit in Deutschland beinhalten muß.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einige Einzelpunkte eingehen. Die Eingliederungshilfen für Spätaussiedler dürfen künftig nicht noch weiter gekürzt werden. Andernfalls werden neue Gruppen von Sozialhilfeempfängern geschaffen, und damit würde dann wieder einmal eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe den Kommunen zugeschoben.
Ihre Regierungskommission zur Durchleuchtung des sozialen Systems, die Sie sich für 1,2 Millionen DM bewilligen wollen, lehnen wir schlicht ab.
Wir halten sie einfach für überflüssig. Im Bundesfinanzministerium und im Bundesarbeitsministerium steht hinreichender Sachverstand zur Verfügung, liebe verehrte Frau Albowitz, wenn solche Fragen einer Klärung bedürfen sollten. In Ihrer Regierung ist derzeit eine wahre Kommissionitis ausgebrochen.
Wenn Sie nicht weiter wissen, setzen Sie eine Kommission ein, aber die Ergebnisse dieser Kommission landen regelmäßig als Direktablage im Papierkorb. Das ist wirklich herausgeworfenes Geld, und es ist außerdem eine Mißachtung der einbezogenen Wissenschaftler.
Der Mittelabfluß beim wichtigen Bereich Arbeitsschutz ist unbefriedigend. Hier muß sich die Regierung stärker engagieren. Wenn das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung stolz „Zahl der Arbeitsunfälle rückläufig" meldet, sollte es der Ehrlichkeit halber auch erwähnen, daß die Anzahl der tödlichen Unfälle in den Betrieben um über 9 % gestiegen ist und daß in Deutschland überhaupt nur ein Drittel aller Arbeiter und Arbeiterinnen gesund und in Arbeit befindlich das Rentenalter erreicht.
Bei der Öffentlichkeitsarbeit hat das Haus wieder zugeschlagen. Über 30 Millionen DM, abgesehen von den Mitteln für Fachinformationen, stehen dem Ministerium zur Verfügung. Da werden wir wieder
Dr. Konstanze Wegner
viele schöne Broschüren und Anzeigen mit Konterfeis und Vorworten unseres Arbeitsministers zu sehen bekommen. Daran habe ich nicht die geringsten Zweifel.
Beim Personalhaushalt sind die bescheidenen Wünsche des örtlichen Personalrats und des Hauptpersonalrats leider in keiner Weise berücksichtigt worden. Die Koalition war bereit, beim Bundesarbeitsgericht drei zusätzliche befristete Stellen für den Aufbaustab in Erfurt zu genehmigen. Das war sicher eine richtige Entscheidung.
Das Bundesarbeitsgericht wird eine der ersten Behörden sein, die auf Grund des Beschlusses der Föderalismuskommission umzieht. Ich erinnere daran: Die den dort Beschäftigten zugesagten sozialverträglichen Maßnahmen, nämlich Personalbörse und Wohnungsförderung, müssen eingehalten werden. Der Umzug des Bundesarbeitsgerichts wird auch ein Testfall dafür werden, wie der Bund zu seinen Versprechungen im Zusammenhang mit dem beschlossenen Umzug nach Berlin steht.
- Zum Minister komme ich gleich.
Niemand wird Minister Blüm echtes soziales Engagement absprechen. Aber, Herr Minister, Sie sind nicht nur ein engagierter Sozialpolitiker, Sie sind auch ein begnadetes Showtalent. Wenn Sie die Hand aufs Herz legen und zum Himmel blicken, dann kommt unweigerlich Rührung im Saal auf.
Ihre Politik, Herr Minister, ist jedoch außerordentlich widersprüchlich. Einerseits bekennen Sie sich immer und überall zum Erhalt des Sozialstaats, andererseits können wir Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie mit Ihrer Politik und der Politik der Regierungsparteien, die Sie mitvertreten, auch zur Aushöhlung und zum Abbau dieses Sozialstaats beitragen.
Eine solche Politik führt aber zur Ausgrenzung immer breiterer Schichten unserer Bevölkerung und zur Stärkung extremistischer Kräfte. Was wir brauchen, ist nicht Abbau und Aushöhlung des Sozialstaats; was wir brauchen, ist die Stärkung und die Modernisierung des Sozialstaats.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Minister ein so großes Talent im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ist, dann müssen Sie doch auch zugeben, daß die Mittel gerade für einen solchen Mann besonders gut angelegt sind und nichts dagegen spricht, wenn er im Sinne von uns allen die Sozialpolitik darstellen kann.
Zu Beginn eine klare haushaltspolitische Aussage: Wer den Staatshaushalt ernsthaft sanieren möchte, der muß auch die Sozialausgaben begrenzen. Ich habe gestern Frau Matthäus-Maier hier reden gehört, die leidenschaftlich dafür geworben hat, daß man die Schulden reduziert, die sich große Sorgen über die Lasten der Zinsen macht. Dazu muß ich sagen: Wenn dem so ist, dann sollten wir uns darüber einig sein, daß man sparen muß.
Dann sollte man bei der Diskussion über den Sozialetat nicht einen solchen Zungenschlag in der Diskussion haben, wie Sie ihn immer mit sich führen, nämlich einen Zungenschlag, der sagt: Wer im sozialen Bereich weniger Geld ausgibt, der schafft auf jeden Fall soziale Kälte. Dem ist nicht so.
Ich möchte Ihnen hier den Umkehrschluß nennen. Das würde bedeuten, daß der größte Einzeletat mit immerhin 130 Milliarden DM von jeder Diskussion über die Begrenzung der Ausgaben ausgenommen werden müßte. Das kann doch wohl nicht sein; denn sonst kommen wir niemals zu einer Haushaltskonsolidierung.
Meine Damen und Herren, wenn Sie tatsächlich der Meinung sind, wir müssen diesen großen Etat von den Einsparungen ausnehmen, dann hören Sie bitte auf, darüber zu reden, daß gespart werden soll. Hören Sie auf, über die Zinslast zu lamentieren; dann ist es ehrlich.
Bei den engen Verteilungsspielräumen ist doch klar, zumindest ist es Norbert Blüm und auch mir klar, auch Ihrem Kollegen Struck: Auf einer Glatze können Sie einfach keine Locken wickeln. Aus diesem Grund müssen wir noch konsequenter als bislang die Prioritäten formulieren. Wir müssen diese Prioritäten auch in der Haushaltsgestaltung zum Ausdruck bringen.
Es heißt, es geht um neue, zukunftsorientierte Arbeitsplätze, und es geht darum, die sozialen Sicherungssysteme so umzubauen, daß sie finanzierbar bleiben. Genau dem trägt der Einzelplan 11 Rechnung. Nicht mehr und nicht weniger.
Der große Unterschied zwischen dem, was Sie wollen, und dem, was die Koalition möchte, ist doch wohl, daß wir versuchen, die Belange der Wirtschaft und des Sozialen zusammenzubringen. Das macht
Hans-Joachim Fuchtel
sich auch in der Wortwahl bemerkbar. Sie reden ständig von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aber es ist viel wichtiger, davon zu reden, daß man neue Arbeitsplätze schaffen möchte.
Nur, wenn man diese Zusammenhänge darstellt, wird deutlich, welchen Raum die Sozialpolitik einnehmen kann und daß eben erst wirtschaftlicher Erfolg eintreten muß, bevor das Geld ausgegeben werden kann. Verteilen nach dem Motto, wir holen das Geld von der Bank, ist einfach. Aber erst dafür zu sorgen, daß das Geld in die Kasse kommt, und dann zu verteilen, das ist der Auftrag, den wir haben und den wir gestalten müssen.
Wir haben in den 70er Jahren - -
- Ich habe dir schon einmal vor vielen Jahren gesagt, du sollst dich im Plenum vorsichtig äußern; das ist für dein Ansehen besser. Ich sage das heute wieder.
Es bleibt dabei: In den 70er Jahren ist das schon einmal, mißlungen. In Schweden ist es danebengegangen. In Niedersachsen und in Hessen müssen ganz aktuell die sozialen Leistungen einkassiert werden, weil man nicht versteht, mit diesen Prinzipien umzugehen.
Meine Damen und Herren, wir müssen am Beispiel der Bundesanstalt für Arbeit sehen: Wenn wir nach dem Motto verfahren, es ist einmal so viel Geld da, dann muß es auch auf jeden Fall ausgegeben werden, dann machen wir nicht das, was richtig ist, nämlich die Mittel der Situation gemäß einzusetzen.
Wenn man hergeht und sagt, wir haben jetzt 17 Milliarden DM im Topf, und dann müssen diese 17 Milliarden DM auch ausgegeben werden, so heißt das doch nichts anderes, als daß man den Leuten, die damit arbeiten müssen, weismachen möchte: Lege die Dinge großzügig aus, wenn du es sonst nicht alles ausgeben kannst. Das kann nicht Sinn einer sparsamen Politik - auch bei der Bundesanstalt für Arbeit - sein.
Es ist gelungen, die Mittel auf die Hälfte der ursprünglichen Ansätze zurückzufahren. Das ist eine hervorragende Leistung, die wir als CDU/CSU sehen. Wir bedanken uns bei den Mitarbeitern, daß sie so sorgfältig mit den Beiträgen umgegangen sind.
Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt auch ganz klar, daß wir uns noch über Prioritäten unterhalten müssen. Wenn es gelingt, mit weniger Geld auszukommen, wenn mehr Geld da ist, dann laßt uns doch einen Teil dieses Geldes in Bereiche geben, in denen es eine längerfristige Wirkung hat. Wie lange haben wir uns beispielsweise um eine Erhöhung im Hochschulbau gestritten? 120 Millionen DM sind dabei herausgekommen, aber wenigstens sind 120 Millionen DM dabei herausgekommen. Wenn man völlig in dem anderen Bereich geblieben wäre, hätte man das nicht geschafft. Keiner wird bestreiten, daß es viele Bereiche gibt, in denen man bei knappen Mitteln eben die richtige Verteilung vornehmen muß. Wenn das Geld einmal für AB-Maßnahmen vergeben ist, holen Sie es nie mehr zurück. Es geht in den konsumtiven Bereich. Ansonsten ginge es vielleicht in den Bereich der Investitionen. Deswegen gilt es immer, abzuwägen, ob wir nicht noch mehr den investiven Bereich stärken müssen. Dann muß man den Mut haben, auch Ansätze bei solchen Etats wie dem der Bundesanstalt für Arbeit zu korrigieren. Allzu viele von der Sorte haben wir ja nicht.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch ordnungspolitische Gründe. Das möchte ich an dieser Stelle ganz klar sagen. Es geht um die schwierige Gratwanderung, daß alles, was wir tun, auf den ersten Arbeitsmarkt zuläuft, ohne daß unabhängig davon ein zweiter Arbeitsmarkt entsteht.
Wenn wir das nämlich zulassen, arbeiten wir kontraproduktiv. Der zweite Arbeitsmarkt muß immer vom ersten Arbeitsmarkt getragen werden. Wird rationalisiert, weil die Kosten begrenzt werden müssen, so führt dies zur Abwanderung von Arbeitsplätzen oder eben dazu, daß die Rationalisierung Arbeitsplätze frißt. Das wollen wir nicht.
Meine Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zu den leidenschaftlichen Anhängern der Theorie der sozialen Verelendung.
Es stimmt, auch in Deutschland gibt es viele Menschen, die von der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe leben. Aber das ist keine Armut in dem Sinne, wie man sie in der Öffentlichkeit definiert.
Hans-Joachim Fuchtel
Wir lehnen solche Darstellungen ab, weil man bei „Armut", so wie es von manchen Seiten immer wieder formuliert wird, an Situationen in der Dritten Welt denkt.
Das ist sicher mit unserer Situation nicht vergleichbar.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uta Titze-Stecher?
Bitte.
Herr Kollege Fuchtel, ist Ihnen bekannt, daß Armut offiziell in der EU definiert wird als ein Tatbestand, der sich dann ergibt, wenn jemand nur über die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens in einem Land verfügt?
Meine Damen und Herren, für mich ist ganz klar, daß Armut so definiert werden muß, daß eine Grundlage zum Leben besteht. Aber in bezug darauf behaupte ich, daß in Deutschland diese Grundlage durch die Sozialhilfe gegeben ist. Das ist nicht mit dem vergleichbar, was in der Dritten Welt unter Armut verstanden wird. Das ist für mich maßgebend.
18,4 Milliarden DM Arbeitslosenhilfe sind zuviel; über 40 Milliarden DM Sozialhilfe sind zuviel. Wir müssen zu einer neuen Abgrenzung kommen. Ich sage ganz klar: Wir werden uns darum bemühen, daß bei denjenigen, die arbeitsfähig sind - hören Sie gut zu, weil in diesem Satz einiges an Substanz enthalten ist -, dem Leistungsbezug mehr als bisher eine Gegenleistung in Form von Arbeit gegenüberstehen muß. Es ist für mich ein Unding, daß wir immer noch über 200 000 ausländische Saisonarbeiter in den Sommermonaten in den verschiedensten Bereichen brauchen, angesichts dieser Zahl von Arbeitslosen. Auch hier muß sich etwas ändern. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und müssen bereit sein, eine solche Änderung durchzuführen.
Es geht um die Akzeptanz des Sozialstaates. Es wird deswegen noch wichtiger sein, in der Zukunft das Angebot an sozialen Leistungen auch aus dem Blickwinkel dessen zu sehen, der sie bezahlen muß.
Man darf hier dem Minister ebenfalls für seine Bemühungen um die Mißbrauchsbekämpfung Dank sagen. 1,7 Milliarden DM sind hereingeholt worden durch viele Ideen, durch die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter, aber auch durch den Mut des Ministers, der das gegen Widerstände von Ihnen - überlegen Sie einmal, was Sie noch vor zwei oder drei Jahren zu diesem Thema erzählt haben! - durchgesetzt hat.
Heute sind wir froh, daß wir das erreicht haben. Es geht um die Kultur des sozialen Rechtsstaats, die gesichert werden muß.
Meine Damen und Herren, insgesamt trägt der Haushalt, so wie er jetzt vorliegt, den aktuellen Belangen Rechnung. Er bekommt deswegen unsere volle Unterstützung. Wir bedanken uns bei allen, die an der Vorbereitung beteiligt gewesen sind, beim Haus, beim Minister. Ich bedanke mich auch bei der Kollegin Dr. Wegner dafür, daß die Diskussion in diesem Jahr erheblich fairer abgelaufen ist. Es wurde kein Mikrofon durchgebissen und ähnliches, wie wir das an dieser Stelle in anderen Jahren schon erlebt haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wollen im Haushalt 1995 einen klaren Schwerpunkt auf aktive Arbeitsmarktpolitik setzen. Ein Patentrezept gegen Massenerwerbslosigkeit ist das nicht, aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Konkret handelt es sich bei unserem Vorschlag um 130 000 Maßnahmen, die über die Bundesanstalt für Arbeit mit 3,5 Milliarden DM zusätzlich finanziert werden könnten.
Wenn Sie, Herr Kollege, wirklich etwas gegen die Kosten der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, die Sie hier vorhin noch einmal so eindrücklich in den Raum gestellt haben, tun wollen, dann tun Sie etwas gegen die Erwerbslosigkeit und nicht gegen die Erwerbslosen.
Diese 3,5 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik einzusetzen, das wäre ein klares Signal, daß sich der Bundestag dem immensen Problem der Erwerbslosigkeit wirklich stellt. Das wäre ein klares Signal der Ermutigung für die Gesellschaft.
Annette Buntenbach
Diese Ermutigung ist bitter nötig. 3,6 Millionen Erwerbslose weisen allein die offiziellen Statistiken für das Jahr 1994 aus. Zur gleichen Zeit befanden sich rund eine Million Arbeitslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung.
Um den wirklichen Umfang des Problems zu erkennen, müssen wir die versteckt Erwerbslosen hinzurechnen, die in den offiziellen Statistiken gar nicht mehr auftauchen, z. B. die Frauen, die sich nicht mehr erwerbslos melden, weil sie keine Leistungen erwarten können und die Hoffnung auf Arbeitsvermittlung inzwischen aufgegeben haben, z. B. die Erwerbslosen, die mittlerweile zwischen den Sozialhilfeberechtigten verborgen sind. Nimmt man all dies zusammen, ergibt das die niederschmetternde Zahl von sechs Millionen fehlenden Arbeitsplätzen.
Ein Drittel der Erwerbslosen - zumindest der in den Statistiken erfaßten - sind inzwischen Langzeitarbeitslose. Das bedeutet sozialen Abstieg, Verunsicherung, Perspektivlosigkeit für die Betroffenen und ihre Angehörigen, besonders in den Regionen, wo, wie in den fünf neuen Ländern, die Erwerbslosenquote erschreckend hoch ist.
Was unternimmt die Bundesregierung angesichts dieses immensen Problems? Viel ist es wahrlich nicht. Sie haben immerhin das Programm „Lohnkostenzuschuß für Langzeitarbeitslose" wieder aufgelegt.
- Immerhin. Das reicht aber bei weitem nicht aus.
Ich will hier auch nicht die indiskrete Frage stellen, was Sie überhaupt dazu getrieben hat, dieses Programm aus dem Haushalt zu streichen
- bei all dem Lob, das Sie sich in dieser Richtung für. seinen Erfolg selber gespendet haben. Oder wollen Sie sich vielleicht den Spielraum mit den Sozialpartnern offenhalten, die man ja auch nicht ohne Erfolg wieder heimschicken kann?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Babel?
Ja.
Bitte.
Frau Kollegin, Sie bekritteln die Höhe der Beträge für dieses Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Wie hoch müßten Ihrer Meinung nach die Beträge für das Programm sein,
um das Ziel zu erreichen, das Sie und das wir alle im Auge haben, nämlich Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland völlig zu beseitigen?
Es handelt sich bei den Beträgen, die jetzt eingesetzt sind, um jährlich durchschnittlich 45 000 Maßnahmen, die aus diesen Mitteln entstehen. Aus meiner Sicht ist eine zusätzliche aktive Arbeitsmarktpolitik dringend erforderlich, die wie bei dem Vorschlag der Verwaltungsratsmehrheit der Bundesanstalt in diesem Falle für 130 000 zusätzliche Maßnahmen Mittel zur Verfügung stellt. 45 000 Maßnahmen für Langzeitarbeitslose weiß ich wohl zu würdigen - das habe ich vorhin ja auch so dargestellt -, aber nichtsdestotrotz reicht das aus meiner Sicht einfach nicht aus. Auch zusammen mit den anderen Lohnkostenzuschüssen ist es in Anbetracht der Größe des Problems, das ich vorhin dargestellt habe, ein Tropfen auf den heißen Stein.
- Lassen Sie mich meine Argumentation jetzt lieber zu Ende führen.
- Sie kommen nach mir dran. Dann können Sie Ihre Sachen ja sicherlich noch bringen.
Neben diesem Langzeitarbeitslosen-Programm setzen Sie auf alte, unbewährte Rezepte, d. h. Entlastung, gesamtgesellschaftlich gesehen Umverteilung zugunsten der Unternehmer, die dieses Geld seit Jahren entweder auf der hohen Kante liegen haben oder in beschleunigte Rationalisierungen investieren, aber offensichtlich nicht in Arbeitsplätze.
Ihr zweites Rezept wie immer in den letzten 13 Jahren heißt Konjunkturaufschwung. Daß Sie noch immer an das Märchen glauben, daß mit einem Aufschwung der Konjunktur auch die Menschen wieder von der Straße kommen, zeigt sich schon darin, wie Sie die Erwerbslosenzahlen für diesen Haushaltsentwurf heruntergerechnet haben. Aber auch Sie müssen sich endlich der bitteren Erfahrung und Erkenntnis stellen, daß der Aufschwung am Arbeitsmarkt vorbeigeht.
Nach 13 Jahren angebotsorientierter Wirtschaftspolitik hat sich die Erwerbslosenzahl über immer höhere Sockelarbeitslosigkeit nach jeder Konjunkturkrise inzwischen auf einen historischen Höchststand geschraubt. Gerade nach fünf Jahren deutsch-deutscher Vereinigung müßten doch auch Sie begriffen haben, daß kein Gesundbeten hilft, keine pauschalen Entlastungen der Industrie, keine Gießkannensubventionen, sondern daß politisches Eingreifen, politisches Handeln gefordert ist.
Annelie Buntenbach
Es ist bekannt, daß wir die Orientierung am Wirtschaftswachstum aus vielen Gründen kritisieren. Aber völlig unabhängig davon, wie Sie Wirtschaftswachstum bewerten: Es ist einfach ein Faktum, dem Sie sich stellen müssen, daß Wirtschaftswachstum und Beschäftigung inzwischen entkoppelt sind.
Wenn wir von dieser Realität ausgehen, dann stellt sich die Frage: Welche politischen Hebel stehen uns zur Verfügung, um gegen die andauernde Beschäftigungskrise vorzugehen, und zwar mit dem Ziel, daß alle Frauen und Männer, die dies wünschen, durch existenzsicherndes Erwerbseinkommen am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben können, auch wenn das kaum Vollbeschäftigung bedeuten kann?
- Ich habe von dem Ziel gesprochen. Ich habe nicht davon gesprochen, daß unser Antrag imstande wäre, dieses Ziel an dieser Stelle zu realisieren.
Unser Antrag ist ein Schritt in diese Richtung. Ich möchte gerne eine Grundsatzentscheidung für diese Richtung. Ich möchte, daß diese Entscheidung hier in diesem Bundestag fällt, weil ich das für ein Signal der Ermutigung in die Gesellschaft hinein halte.
Ich habe nicht behauptet, daß wir hiermit ein Patentrezept vorlegen. Aber mit dem Schritt in die richtige Richtung unterscheiden wir uns immerhin sehr von Ihnen.
Erstens. Wir brauchen eine Umverteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit durch eine umfassende, generelle Arbeitszeitverkürzung und die Ausnutzung aller Mittel zur Arbeitsumverteilung, soweit sie - das muß ich in diesem Haus besonders betonen - sozialverträglich sind.
- Sind Sie jetzt fertig? Kann ich weiterreden?
Ich wiederhole: Wir brauchen eine generelle Arbeitszeitverkürzung und die Ausnutzung aller Mittel zur Arbeitsumverteilung, soweit sie - das möchte ich in diesem Hause besonders betonen - sozialverträglich und mit den Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen vereinbar sind.
Dies ist nicht nur Sache der Tarifparteien, sondern auch der politischen Rahmenbedingungen, die von hier aus gesetzt werden - z. B. ein Arbeitszeitgesetz, das die Höchstarbeitszeit drastisch begrenzt, anstatt sie auszuweiten, oder eine restriktive Regelung von Überstunden.
Zweitens. Wir brauchen Investitionen für den ökologischen Umbau z. B. eine umweltverträgliche Energieversorgung oder die Verlagerung der Verkehrsströme auf die Schiene. Das würde per saldo einen deutlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen bedeuten.
Drittens. Wir halten öffentlich geförderte Arbeit nicht für ein Allheilmittel, aber Sie müssen sich doch fragen lassen: Wie viele dringliche öffentliche Aufgaben gerade im Umwelt- und Sozialbereich bleiben im Moment liegen, werden auf die lange Bank geschoben, obwohl allen klar ist, daß hier langfristig immense Probleme und Folgekosten entstehen?
Der Widersinn liegt doch auf der Hand: Millionen Menschen stehen mit ihren Qualifikationen und ihrer Energie auf der Straße. Die gesamtfiskalischen Folgekosten der Erwerbslosigkeit liegen jährlich in dreistelliger Milliardenhöhe, und genau das unterschlagen Sie ständig, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen. Gleichzeitig bleibt dringende und sinnvolle Arbeit liegen. Diese Arbeit muß in erheblicher Größenordnung öffentlich organisiert werden.
Öffentlich geförderte Arbeit - aktive Arbeitsmarktpolitik - ist außerdem der Bereich, der von dieser Stelle hier direkt beeinflußt werden kann, also auch der erste Maßstab für das Engagement der Regierung gegen Erwerbslosigkeit. Sich dem Problem der strukturellen Massenerwerbslosigkeit in seiner ganzen Schärfe zu stellen wäre ein erster Schritt für die Politik, Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Genau das tun Sie nicht, wenn Sie in Ihrem Haushaltsentwurf gläubigen Optimismus zum Programm machen. Ihrem Zahlenwerk liegt die Annahme zugrunde, daß die Erwerbslosenzahlen deutlich zurückgehen werden.
Das scheint mir aber weniger durch die wirtschaftlichen Fakten begründet, sondern durch Ihr Ziel, die Nettokreditaufnahme herunterzurechnen. Hier ist aus meiner Sicht der Haushalt ein ungedeckter Wechsel auf eine rosige Zukunft, auf blühende Landschaften, an die niemand mehr glaubt.
Wenn Sie sich in Ihrem Zweckoptimismus irren - davon gehe ich und, ich glaube, gehen auch Sie aus -, wird Ihnen am Jahresende die Rechnung präsentiert werden.
Annette Buntenbach
- Sie wissen doch genau, warum die Gelder zurückgeflossen sind. Das liegt einerseits daran, wie die Vergaberichtlinien aussehen, und andererseits daran, daß die Bundesanstalt zum ersten Mal auf dezentrale Vergabe umgestellt hat.
Bei den heruntergerechneten Ansätzen müssen Sie sowieso nachbewilligen, soweit es um Pflichtaufgaben geht. Ich befürchte nur, es handelt sich nicht nur um eine rein rechnerische Haushaltsbeschönigung - darum sicher auch -, sondern um ein deutliches Zeichen dafür, daß Sie sich aus Ihrer Pflicht stehlen wollen und die rechtlichen Grundlagen verändern, um die Leistungen für Erwerbslose ein weiteres Mal zu beschneiden. Wie so etwas geht, führt gerade Minister Seehofer beim Asylbewerberleistungsgesetz vor, und zwar in der widerlichsten Tradition der Asyldebatte.
Herr Waigel verfolgt seit Jahren den Plan, die Bezugsdauer der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu begrenzen. Dieser Plan ist immer noch nicht vom Tisch, obwohl er nichts anderes bedeutet als eine weitere Belastung und Ausgrenzung der Langzeitarbeitslosen und eine Verschiebung von Kostenstellen weg aus dem Bundeshaushalt hin zu den Kommunen.
Daß im Rahmen der Reform von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe weitere Kürzungen beabsichtigt sind, haben Sie schon wiederholt angekündigt.
Die Botschaft all dieser Maßnahmen und Debatten ist, daß Arbeitslose gar nicht arbeiten wollten, ihnen gehe es noch viel zu gut, und wer wirklich wolle, der finde ja etwas. Wo, frage ich Sie da nur, wo bei diesen 6 Millionen fehlenden Stellen?
Das ist genau wie bei der damit im Zusammenhang stehenden Debatte über sogenannten Sozialmißbrauch eine abgrundtief zynische Verdrehung der Tatsachen.
Um sich selbst aus der politischen Verantwortung für die Zustände in diesem Land zu stehlen, machen Sie die Opfer zu Tätern,
als wären die Arbeitslosen selbst schuld, als bräuchten sie Anreize, um wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Denn genau das unterstellen Sie mit der untertariflichen Bezahlung im zweiten Arbeitsmarkt. Glauben Sie denn wirklich, irgend jemand bliebe freiwillig im zweiten Arbeitsmarkt und hangele sich befristet von Maßnahme zu Maßnahme? Wir brauchen keine Anreize für Arbeitslose, wir brauchen Arbeitsplätze.
Außerdem liegen Risiken und Nebenwirkungen dieser untertariflichen Bezahlung auf der Hand und sind gewollt. Die Situation derjenigen, die sich am schlechtesten wehren können, wird ausgenutzt, um über das Einfalltor des zweiten Arbeitsmarktes auch auf dem ersten Arbeitsmarkt Standards auszuhöhlen und das Lohnniveau weiter abzusenken.
Mit jeder Aushöhlung der Mindeststandards verfolgen Sie ein Ziel, nämlich die Menschen dahin zu treiben, daß sie jede Arbeit zu jedem Preis und zu jeder Bedingung annehmen.
Darum stehen wir ein für branchenübliche Tariflöhne und für entsprechende Absicherung auch im zweiten Arbeitsmarkt.
Eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die über Deregulierung und Senkung der Erwerbseinkommen einen Wachstumsschub und sich dann davon noch Beschäftigungseffekte verspricht, ist zum Scheitern verurteilt. Die Ökonomie ist doch kein Heißluftballon, der durch den Abwurf des vermeintlichen Ballasts von existenzsichernden Löhnen, Arbeitnehmerrechten und sozialer Sicherheit an Höhe gewinnt. Das ist nun wirklich keine Politik gegen Arbeitslosigkeit, die diesen Namen verdient, sondern Ihre Politik besteht im wesentlichen aus folgenden Faktoren: Sie rechnen das Problem herunter, Sie setzen gegen jede Erfahrung auf Konjunkturaufschwung,
Sie grenzen aus und machen die Betroffenen zur Verschiebemasse zwischen Kostenstellen. Sie schieben den Leuten selbst die Schuld zu.
Mit einem Schritt in Richtung auf mehr Solidarität hat das gar nichts zu tun. Im Gegenteil, das ist eine Fortsetzung Ihrer bekannten Politik der Entsolidarisierung. Aber genau dieser Schritt zu mehr Solidarität, dieses Signal der Ermutigung, ist dringend nötig.
Zum Schluß noch eine Anmerkung an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der PDS. Dieser Schritt wird deshalb nicht größer, weil der Betrag dafür höher angesetzt wird. Abgesehen von dem Aufschrei unserer Haushaltsexperten und -expertinnen, und so sehr wir das Anliegen ihres Antrages teilen, macht es doch wenig Sinn, Gelder anzusetzen, für deren Verausgabung im Moment die Grundlagen fehlen. Bei den augenblicklichen Vergabebedingungen besteht dafür keine reelle Chance. Deshalb bitten wir um Unterstützung für unseren Antrag.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist mit 129 Milliarden DM im Gesamthaushalt für 1995 nach wie vor der dickste Brocken - der Haushalt, nicht der Minister, obwohl vom schlanken Staat - - Aber das machen wir nachher.
Der Bund gibt jede dritte Mark für soziale Belange aus, und dies trotz der Kürzungen, die der Haushaltsausschuß vorgenommen hat. Ich finde, daß wir uns damit sehen lassen können.
Die meisten Mittel werden erneut für die Sozialversicherung einschließlich Bundeszuschüssen für die Rentenversicherung, die Arbeitsmarktpolitik sowie den Kriegsopferhaushalt zur Verfügung gestellt. Damit sind über 90 % der Mittel durch Gesetze gebunden, entziehen sich also tagespolitischen Erwägungen.
Die Tatsache, daß wir auf Grund des späten Termins der Bundestagswahl 1994 erst zum jetzigen Zeitpunkt dazu kommen, den Haushalt zu lesen und zu verabschieden, hat neben all den negativen Auswirkungen auch einen positiven Effekt. Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland hat sich im Laufe der letzten Wochen und Monate erheblich verbessert. So gibt uns diese positive Entwicklung auch die Möglichkeit, sparsam zu wirtschaften, ohne soziale Leistungssysteme unzulässig zu beeinträchtigen.
Angesichts des Konjunkturaufschwungs und der damit verbundenen Belebung am Arbeitsmarkt müssen wir uns aber weiter bemühen, diesen Trend fortzusetzen bzw. zu beschleunigen. Für die F.D.P. steht eine effektive Arbeitsmarktpolitik ganz oben auf der Prioritätenliste.
- Gut, daß wir uns einig sind. - Jeder weiß, daß eine derart hohe Arbeitslosigkeit, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, Gift für den Sozialstaat ist.
Der Tiefpunkt ist zwar überschritten, aber es gibt auch aus unserer Sicht keinen Grund zum Jubilieren. Wir werden auch weiterhin hohe Arbeitslosenzahlen haben. Dies schönzureden ist den Menschen, die davon betroffen sind, und dem Problem nicht angemessen.
Deshalb eignet sich die Arbeitsmarktpolitik nicht im geringsten zur parteipolitischen Spielwiese.
Hinter jeder Finanzierung von Weiterbildung, Umschulung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - um nur einige Beispiele zu nennen - steht unsere Pflicht, denen zu helfen, die durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes in Not geraten sind.
Auch wenn die Opposition das jetzt gerne unter den Tisch fallen lassen würde - die Kollegin hat dies noch einmal nachdrücklich belegt -, möchte ich noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in 1994 um 7,4 Milliarden DM geringer ausgefallen ist, als ursprünglich veranschlagt und etatisiert. Flankiert werden die Zahlen 1995 durch die nach oben gerichtete Korrektur der bisherigen Wirtschaftsannahmen, nach denen im Westen von einer Arbeitslosenzahl von 2,4 Millionen und im Osten von 1 Million ausgegangen wird. Die Ausgabenentwicklung der Bundesanstalt deuten auf eine günstigere Entwicklung des Finanzbedarfes in 1995 hin, so daß nach vorsichtigen Berechnungen in 1995 über die schon beschlossene Kürzung von 3,5 Milliarden DM hinaus weiter eingespart werden kann.
Die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit wird in Zukunft noch mehr Effizienz bei der Arbeitsvermittlung bringen.
Einen ersten Schritt auf diesem Weg haben wir im Haushaltsausschuß bereits getan: Zehn ausgesuchte Arbeitsämter können im laufenden Jahr mit einem dafür frei verfügbaren Budget auf die aktuellen Bedingungen ihres Vor-Ort-Arbeitsmarktes reagieren. Wir sind sehr gespannt, welche Bilanz wir im nächsten Jahr aus diesem Modellversuch ziehen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Das Problem Arbeitslosigkeit lösen wir nicht mit unendlichen Beschäftigungsprogrammen, wie sie auch heute morgen unendlich gefordert wurden.
Für uns Liberale ist klar: Wir wollen keinen zweiten Arbeitsmarkt; er nützt den Menschen nichts und ist im übrigen auch nicht finanzierbar. Was wir brauchen, sind neue dauerhafte Arbeitsplätze, nicht aber neue staatlich finanzierte Arbeitsprogramme.
Ein besonderes Problem ist die Langzeitarbeitslosigkeit in unserem Land. Wie wir wissen, trifft sie vor allem Menschen, die schon ein längeres Berufsleben hinter sich haben, also auch über viel Erfahrung verfügen. Für mich - ich sage das nur ganz persönlich für mich - ist es unverständlich, daß in unserer Gesellschaft ein derartiges Erfahrungspotential nicht genutzt wird bzw. ungenutzt ausgesondert wird. Deshalb sollten wir die derzeitige Phase des Wirtschaftsaufschwungs nutzen, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit besser in den Griff zu bekommen.
Unser Ziel ist es, Einstellungsentscheidungen zugunsten der Betroffenen zu fördern. Ich bin deshalb froh, daß die Aktion „Beschäftigungshilfe für Lang-
Ina Albowitz
zeitarbeitslose" bis 1999 fortgesetzt werden kann. Für 1995 sind 375 Millionen DM etatisiert. Frau Kollegin Buntenbach, wenn ich Ihnen einen kleinen Nachhilfeunterricht geben kann: Damit sind 180 000 Maßnahmen beabsichtigt. Vielleicht lassen Sie sich da von den Kollegen oder vom Ministerium noch einmal aufklären.
Das Gesamtprogramm ist bis 1999 mit rund 3 Milliarden DM angelegt.
Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, daß natürlich auch andere Wege, abseits von staatlichen Programmen und Initiativen, zu beschreiten sind, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu mildern. Für ganz wichtig halte ich die Anstrengungen zur effektiveren Gestaltung der Arbeitsvermittlung. Minister Blüm hat in einer Sitzung des Haushaltsausschusses die Auffassung geäußert, daß das in einigen Bundesländern schon angelaufene START-Programm dazu einen Beitrag leisten kann. Dieser Meinung schließe ich mich vom Grundsatz her an.
- Wart's ab, ich sage ja gleich etwas dazu.
Das START-Programm birgt allerdings auch Gefahren. Das Prinzip solcher Vermittlungstätigkeit ist nämlich, daß der Arbeitgeber keinerlei Verpflichtungen eingeht. Der Arbeitslose hat also keine Garantie, daß ihm auf Dauer geholfen wird - außer daß er an START zurückgegeben wird.
Der Versuch, Vorurteile gegenüber Langzeitarbeitslosen abzubauen, ist mit Sicherheit begrüßenswert. Wir müssen allerdings aufpassen, daß wir bei den sogenannten START-Gesellschaften keine neue Art von Beschäftigungsgesellschaften schaffen.
Nach den vielen Fragen zu diesem Komplex, die bei den Beratungen im Ausschuß nicht restlos geklärt werden konnten, gehe ich allerdings jetzt davon aus, daß wir die gesperrten 2,6 Millionen DM schnellstmöglich wieder entsperren können, damit START auch wirklich durchstarten kann. Zufrieden, Konstanze?
- Wunderbar.
Wir werden aber schon zum Haushalt 1996 genau überprüfen, ob dieses Projekt Früchte trägt oder nur Kosten verschlingt.
Aber, meine Damen und Herren, was nützen uns all unsere Bemühungen, wenn sich die Tarifparteien auch nicht mit Ruhm bekleckern? Gerade in den letzten Wochen konnte man wieder einmal den Eindruck. gewinnen, daß sie hier eher ein Kartell der Arbeitsplatzbesitzer als ein Mitstreiter im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sind. Dennoch bin ich der Meinung, daß unser Sozialstaat auf solidem Fundament steht.
Sicherlich würden wir Liberalen die Sozialpolitik in einigen Punkten zielgenauer und effektiver gestalten.
- Ja, das ist so. Wenn Ihr das tätet, wäre hier Chaos. - Nach wie vor werden in Deutschland zu viele Einzelsozialleistungen ausgeschüttet. Die Entscheidungsbefugnisse sind auf zu viele staatliche Stellen verteilt. Nach wie vor bleibt selbst dem Fachmann im Dickicht der Steuer- und Genehmigungsvorschriften die Sicht versperrt. Manchmal blickt halt keiner mehr durch. Wir werden uns weiter darum bemühen, diesem Übel abzuhelfen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch auf einen Punkt hinweisen. In letzter Zeit häufen sich wieder die Meldungen über die angebliche Unsicherheit unserer Renten. Es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die demographische und die wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft Probleme mit sich bringen. Ich halte es allerdings für unseriös und gefährlich, wenn heute die Beitragslast für die Sozialversicherung im Jahr 2040 als Argument für das Scheitern unseres Sozialsystems herangezogen wird.
- Doch, auch. - Nackte Statistik reicht bei weitem nicht aus, um den Wert unseres Generationenvertrages einzustufen. Aber wir können und sollten nicht die Augen vor den warnenden Hinweisen verschließen, von Prognos, der Bundesbank und der Bundesversicherungsanstalt. Nur wenn wir uns den Problemen stellen und sie nicht verniedlichen, werden wir sachgerecht mit ihnen umgehen. Deshalb sollten Zahlen, die sich auf einen realistischen Zeitraum beziehen, in unsere Planung einfließen.
Betrachtet man den Etat des Einzelplanes 11 als Ganzes, steht für mich fest: Die Koalition hat ihre Hausaufgaben gemacht, nämlich den Balanceakt zwischen finanzpolitischem Zwang und sozialpolitischer Notwendigkeit ordentlich abzuliefern.
Ich bedanke mich bei Herrn Minister Blüm, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Hauses. Auf weitere gute Zusammenarbeit, Herr Minister!
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Albowitz, ich beneide Sie manchmal um Ihre Selbstzufriedenheit. Das muß ich schon sagen.
Dr. Heidi Knake-Werner
Der hier zur Debatte stehende Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung spielt insofern in der Haushaltsberatung immer eine besondere Rolle - das ist auch schon gesagt worden -, weil es sich um den größten Brocken aus dem Gesamtkuchen handelt. Doch das ist kein Grund zum Jubeln, finde ich. Der vorliegende Einzelplan 11 desillusioniert und beweist einmal mehr, wie wenig man mit so viel Geld zur Lösung der drängendsten sozialen Probleme beitragen kann.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Anfang März wurden die Leser des ansonsten eher nüchternen Bundesarbeitsblattes Zeugen einer Art Verkündigung des Bundesarbeitsministers, von der sich schlecht sagen läßt, ob sie nun eine verspätete Weihnachts- oder eine verfrühte Ostergeschichte sein sollte. Jedenfalls wurden dort sogenannte „Fünf gute Botschaften" verkündet, wohl eben, um auf diese Haushaltsdebatte vorzubereiten.
Eine dieser Botschaften lautete - ich darf zitieren -:
Die positive konjunkturelle Entwicklung macht sich zunehmend auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird auf hohem Niveau fortgesetzt.
Es ist umgekehrt, würde ich sagen, Herr Minister. Die Arbeitslosigkeit besteht auf hohem Niveau weiter. Und was Sie aktive Arbeitsmarktpolitik nennen, wird zunehmend zu einem Synonym für die hohen Investitionen in die Arbeitslosigkeit. Aber so war Ihre Botschaft auch gar nicht gemeint. Wo 6 bis 7 Millionen reguläre Arbeitsverhältnisse fehlen, kann niemand ernsthaft von einer „guten Botschaft" reden, wenn es einige zehntausend Arbeitslose weniger gibt. Wo die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf 1,2 Millionen gestiegen ist, kann niemand wirklich meinen, daß sich die Konjunktur positiv auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Wo den älteren Arbeitnehmern nichts weiter fehlt als ein Arbeitsplatz, wie ein Werkstattbericht des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung ausweist, ist die These des Bundesarbeitsministers ebenso zynisch wie gegenüber den vielen Frauen, deren Chance, qualifizierte Vollzeitjobs zu bekommen, zunehmend gegen Null tendiert.
Verständlich wird die Botschaft von Arbeitsminister Blüm erst, wenn man sie mit dem traurigen Zahlenwerk des Einzelplans 11 konfrontiert. Der um 400 Millionen DM gekürzte Ansatz für Arbeitslosenhilfe und die drastische Reduzierung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit bedürfen schließlich einer Rechtfertigung. Die gute Botschaft dient zugleich als Rechtfertigung für die geplante Reform des Arbeitsförderungsgesetzes in Sachen Arbeitslosenhilfe, wo noch in diesem Jahr 1 Milliarde DM, also 5,6 % der Gesamtausgaben, eingespart werden soll. Schließlich, was das angeblich hohe Niveau der Arbeitsmarktpolitik betrifft, werden die Aufwendungen dafür auf ein Drittel der Ausgaben der Bundesanstalt beschränkt. Durch einen Federstrich des Haushaltsausschusses fällt der Zuschuß an die Bundesanstalt jetzt sogar um insgesamt 10 Milliarden DM niedriger aus als im Vorjahr.
Genau das ist der Grund, warum wir diesen Antrag heute in der Form und in der von uns ausgewiesenen Höhe stellen: weil wir keinen Grund sehen, den Zuschuß an die Bundesanstalt zu ändern. Wir haben nicht den Eindruck, daß sich die volkswirtschaftlichen Daten entsprechend geändert haben.
Begründet wird das alles mit abnehmenden Arbeitslosenzahlen. Ich frage natürlich: Was ist, wenn die optimistischen Prognosen nicht eintreten, wofür ziemlich viel spricht? Haben wir es dann mit einer neuen Runde der Leistungskürzungen zu tun - auch dafür spricht ziemlich viel - oder mit einer weiteren Verschlechterung der Förderbedingungen bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen? Schon heute müssen viele Wohlfahrtsverbände und andere Maßnahmenträger um ihre Fortexistenz bangen, wobei doch gerade deren Angebot längst ein unverzichtbarer Bestandteil der lokalen und regionalen sozialen Infrastruktur geworden ist.
Die gekürzten Milliarden an die Bundesanstalt muß man auch dann im Hinterkopf haben, wenn sich Bundeskanzler Kohl und Bundesarbeitsminister Blüm rühmen, etwas für Langzeitarbeitslose zu tun. 3 Milliarden DM - das hat hier schon eine Rolle gespielt -, ganze 375 Millionen DM für dieses Jahr, das reicht etwa für so viele Maßnahmen, wie Menschen jährlich neu in die Langzeitarbeitslosigkeit abzugleiten drohen.
Ich denke, der Bundesarbeitsminister weiß, daß die veranschlagten Kürzungen schon sehr bald mit der Realität zusammenstoßen werden. Die guten Botschaften sind kein Vorgriff auf einen Rückgang der Arbeitslosigkeit, sondern ein Vorgriff auf die geplanten Leistungskürzungen. Der Aufschlag, den das Haus Seehofer in dieser Woche hinsichtlich der Kürzungen der Sozialhilfe gemacht hat, zeigt überaus deutlich, wohin die Reise geht.
Begleitet wird dies von einer beispiellosen und diffamierenden Mißbrauchskampagne gegen diejenigen, die auf die sozialen Leistungen angewiesen sind. Die sogenannte aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung folgt dem Kredo, daß dort, wo Ware liegenbleibt, die Preise sinken müssen: niedrige Einstiegslöhne, Tarifunterschreitungen, Verleih, Probebeschäftigung usw. Diese Politik behandelt arbeitslose Menschen wie Schrauben, Bettwäsche oder liegengebliebenes Gemüse. Was nicht zu normalen Preisen weggeht, wird verramscht.
Wie haben Sie so schön auf dem Weltsozialgipfel formuliert, Herr Blüm? „Arbeit ist die Quelle des Wohlstands. Arbeitslosigkeit ist der Nachschub für Armut." Jawohl. Wahr ist, daß diese Verbilligung des Arbeitsangebotes noch mehr dazu führen wird, daß selbst arbeitende Menschen der zusätzlichen Unterstützung durch Sozialhilfe bedürfen werden. Wahr ist, daß der Nachschub für Armut anhält.
Herr Fuchtel, es ist immer einfach, sich aus dieser Problematik herauszulügen, indem man auf die Dritte Welt verweist.
Dr. Heidi Knake-Werner
Die Vergleiche, was Armut und was nicht Armut ist, müssen hier in diesem Land getroffen werden. Nur das ist realistisch.
Dazu möchte ich Ihnen einige Daten liefern. Anfang dieses Jahres erreichte die durchschnittliche Höhe der Arbeitslosenhilfeleistung im Westen nur knapp das Existenzminimums, im Osten lag sie deutlich darunter. Zwei Drittel der männlichen Bezieher von Arbeitslosenhilfe und fast drei Viertel der weiblichen im Westen erhielten im Monat Leistungen unter dem amtlichen Existenzniveau, im Osten waren es vier Fünftel der Männer und neun von zehn Frauen. 6 % der Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld und 12 % der Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosenhilfe im Westen - im Osten waren es 6 bzw. 24 % - bekamen im Januar 1995 monatliche Leistungen von weniger als 600 DM! Das, Herr Minister Blüm, ist der statistisch erfaßte Armutsnachschub.
Und in dieser Situation bereiten Sie Leistungskürzungen vor und planen, ganze Gruppen von arbeitslosen Armen zu armen Arbeitenden zu machen, die zukünftig zu allen Bedingungen arbeiten sollen. Aktive Arbeitsmarktpolitik, die diesen Namen verdient, muß erkennbar auf eine nachhaltige Ausweitung des Arbeitsvolumens zielen und nicht auf eine Verbilligung der Arbeit. Selbst im Rahmen dieses Haushaltes besteht dazu noch eine Chance.
In den neuen Bundesländern sollten die arbeitbeschaffenden Maßnahmen von einer Notmaßnahme, als die sie ursprünglich geplant waren, zu einer Dauermaßnahme als Antwort auf die Strukturkrise werden. Die bestehenden Maßnahmen sind zu sichern und im Zusammenspiel mit der regionalen Strukturplanung dauerhaft auszubauen.
Die prinzipiell positiven Erfahrungen mit Arbeitsbeschaffungsgesellschaften müssen für die alten Bundesländer nutzbar gemacht werden. Massenarbeitslosigkeit auf der einen Seite, eine mindestens mittelfristig anhaltende globale Arbeitsplatzlücke bei gleichzeitigem Bedarf an notwendiger Arbeit andererseits erfordern die Einbeziehung des kreativen und innovativen Potentials von Arbeitslosengruppen, Kommunen und Arbeitsämtern.
Beispiele solcher dezentraler Entwicklungsprojekte gibt es massenhaft. Ihnen fehlt teilweise die Planungssicherheit, und sie werden durch engstirnige Bürokratie gebremst. Die öffentliche Förderung hochwertiger Arbeit muß auf Dauer und auf Projektförderung ausgerichtet sein. Die weitgehende Bindung der Personalkosten an Arbeitslose als Individuen bietet den bereits bestehenden Beschäftigungsgesellschaften keine langfristige stabile Entwicklungschance. Sie leiden daran, daß ihre Zukunftsperspektive ausgesprochen unsicher ist.
Notwendig sind Maßnahmen der Verstetigung durch einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. In diesem Zusammenhang haben wir auch einen Antrag eingebracht.
Aufgabe des Bundestages ist es, die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und finanziell zu unterstützen. Ein positives Signal ist der Antrag zur Erhöhung der Maßnahmen und zur Erprobung neuer Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik. Mit den weiteren Anträgen, insbesondere mit dem, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit zu erhöhen, wollen wir diese Entwicklung vorantreiben.
Nicht die aktive Arbeitsmarktpolitik allein - auch das ist uns natürlich bewußt - entscheidet darüber, ob wir in absehbarer Zeit mit dem Problem der Massenarbeitslosigkeit fertigwerden; aber sie ist ein wesentlicher Bestandteil dazu.
Zum Abschluß möchte ich gern noch zwei Sätze zu einem weiteren Problem sagen, das sich auch in einer der guten Botschaften des Ministers wiederfindet: „Die Rente ist sicher." Ich will jetzt darüber nicht streiten. Mit unseren Anträgen zu diesem Haushaltsetat wollen wir eine rückwirkende Bereinigung von Mißständen in den neuen Ländern bewirken. Hier geht es uns um einzustellende Mittel, die den Anspruchsberechtigten bisher vorenthaltene Gelder zur Verfügung stellen. Dies führt unabhängig von dem Rentenstrafrecht bisher zu großen Ungerechtigkeiten. Bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte und Ärztinnen, -
Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Schluß kommen.
- ich komme zum letzten Satz. - Künstlerinnen und Künstler erhalten maximal 35 % der Altersbezüge ihrer Kolleginnen und Kollegen in den westlichen Ländern, und das ist ein unmöglicher Zustand. Deshalb fordern wir, daß Sie sich zumindest der Verbesserung des Frauenrentenrechts annehmen und mit der Bewilligung der Sozialzuschläge einen Beitrag gegen Frauenarmut leisten.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder frappierend, mit welcher Dreistigkeit die SED-Nachfolger hier über Fragen des Arbeitsmarkts und der Arbeitsplätze reden,
die es dank Murks und Marx nicht einmal geschafft haben, die normalen Güter des täglichen Bedarfs für die Leute bereitzustellen, die sich dies möglicherweise mit der Sozialhilfe hätten kaufen müssen, bei einer latenten Arbeitslosigkeit in der DDR, die etwa bei 50 % liegen dürfte.
Dietrich Austermann
- Herr Gysi, daß es Sie nachträglich fröhlich macht, solch einen Schrotthaufen hinterlassen zu haben, muß mich allerdings wundern.
Meine Damen und Herren, ich glaube, man muß darauf hinweisen, daß es keine Möglichkeit gibt, hier im Parlament Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe vorzunehmen, die sich nachteilig auf die Arbeitslosen auswirken können. Auf Arbeitslosenhilfe gibt es einen gesetzlichen Anspruch. Dieser ist genauso begründet wie der Anspruch auf Sozialhilfe, die ein menschenwürdiges Leben gewährleisten soll. Beides sind Regelungen, die unter CDU-Regierung gemacht wurden.
- Ich weiß, daß es beunruhigt, wenn man immer wieder mit den Sünden der Vergangenheit konfrontiert wird,
wenn man sich immer wieder sagen lassen muß, daß es nichts Unsozialeres in Westeuropa gegeben hat als die Regierung der DDR und ihre Auswirkungen auf die Menschen.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat sich in den zurückliegenden Jahren mit Erfolg intensiv um die Schaffung neuer Arbeitsplätze bemüht: Seit dem Regierungswechsel 1982 entstanden in den alten Bundesländern 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze.
Auch in der laufenden Wahlperiode wird der weiteren Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze ein Hauptaugenmerk gewidmet werden.
Unser Ziel bleibt die Rückkehr zur Vollbeschäftigung. Dazu gehört, daß wir die Wachstumskräfte der Wirtschaft stärken:
durch Steuerentlastung, durch Abgabenbegrenzung, durch solide Finanzen. Bei kräftigem Wirtschaftswachstum und zurückgehender Arbeitslosigkeit ist verhaltener Optimismus angesagt. Dazu gehört natürlich auch, daß wir uns den Problemgruppen des Arbeitsmarktes zuwenden, die nicht automatisch durch die bessere Konjunktur in den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden; das ist wahr.
Der Kritik der Opposition, die es sich gelegentlich leicht macht, indem sie die Folgen der sozialistischen Planwirtschaft und jedes einzelbetriebliche Mißmanagement mit Freude begleitet, die Zuwanderung von 4 Millionen Menschen der Bundesregierung zurechnet und dabei regionalwirtschaftliche Verantwortung ablehnt, muß entgegengehalten werden, daß in der Bundesrepublik bis an die Grenze staatlicher Leistungsfähigkeit im Arbeits- und Sozialbereich geholfen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hermenau?
Ja, gerne.
Danke schön, Herr Austermann. - Herr Kollege, Sie sprachen davon, daß es Ihr Ziel sei, zur Vollbeschäftigung zurückzukehren. Wir haben die Situation, daß im Osten ehemals ca. 90 % der Frauen vollbeschäftigt waren. Herr Biedenkopf, ein Mitglied Ihrer Partei, spricht davon, daß wir zum Westniveau der Vollbeschäftigung der Frauen zurückkehren müßten; das liegt bei ungefähr 60 %. Welche Marge der Vollbeschäftigung für die Frauen im Osten meinen Sie denn: 60 % oder 90 %?
Frau Kollegin, ich bestreite nicht, daß die Situation auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere für Frauen in den neuen Bundesländern, besonders schwierig ist, daß sie die eigentlichen Hauptopfer der Entwicklung sind, die sich jedoch aus der Vergangenheit und nicht aus der letzten Zeit ergeben hat.
Ich habe davon gesprochen, daß es in der DDR eine latente Arbeitslosigkeit gegeben hat, die bei mindestens 50 % gelegen hat. Sie werden sich erinnern, daß es durchaus möglich war, bestimmte Verrichtungen, die mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun hatten, während der Arbeitszeit zu erledigen. Dies erklärt auch ein wenig die Produktivität und den Produktivitätsrückschritt; ich habe das Stichwort „Murks und Marx" genannt. Die Frauen sind jetzt die Leidtragenden dieser Fehlentwicklung.
Meine Damen und Herren, das gesamte Sozialbudget - -
- Sie scheinen besonders unruhig zu sein. Dabei habe ich noch gar nichts über die Bilanz von 1982 und die Bilanz des letzten Bundeskanzlers, Helmut Schmidt, im Sozialbereich gesagt. Ich kann Ihnen gerne einmal vorhalten, wie der Sozialetat 1982 aus-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 30, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 2183
Dietrich Austermann
sah und wie er heute aussieht, welche Mittel Sie zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft im Jahre 1982 gekürzt haben.
- Sie sollten nicht ganz so laut brüllen, sondern sich lieber mit den Fakten befassen. Zu diesen Fakten gehört, daß der Arbeits- und Sozialbereich in einem Maße angewachsen ist, daß es kaum noch finanziell vertreten werden kann. Der Kollege Fuchtel hat darauf hingewiesen, daß auch hier gespart werden muß.
Immerhin beträgt das gesamte Sozialbudget heute deutlich über 1 Billion DM, ein Drittel des Bruttosozialproduktes. Das hat nichts mit Sozialabbau und ungerechter Kälte zu tun. Wer dies sagt, sagt die Unwahrheit.
Im Bundeshaushalt sind für soziale Sicherung, Jugendhilfe und Arbeitsmarkt 180 Milliarden DM vorgesehen, und zwar bei einem Gesamtetat von 477,7 Milliarden DM. Hinzu kommt der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, der ohne Bundeszuschuß 92 Milliarden DM umfaßt.
Der Anteil des BMA-Haushalts am Gesamthaushalt ist deutlich gestiegen. Wenn ich mir noch einmal das Thema ABM und das Jahr 1982 ansehe, muß ich sagen: Damals, im Februar 1983, wurde bei etwa gleicher Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern von Ihnen ein Kümmerprogramm aufgelegt, das überhaupt nicht den Anforderungen entsprochen hat.
Ich glaube, es ist wichtig, daß wir in diesem Jahr besonders die Investitionsausgaben des Bundes hochgefahren haben. Mit 15,5 % Anteil am Bundesetat ist dies der höchste Investitionsanteil eines Bundeshaushalts in den letzten 20 Jahren. Ich glaube, das ist wichtig, gut und richtig.
Dann kommt der entscheidende Punkt. Bei Ihnen hat man manchmal den Eindruck, es gehe nur um das Thema des zweiten Arbeitsmarktes, wenn es sich um aktive Arbeitsmarktpolitik handelt. Auch hier können wir gern mit 1982 vergleichen. Wir haben heute die Situation, daß wir etwa 50 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stellen. 1,1 Millionen Menschen können von Arbeitsförderungsmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Rehabilitation Gebrauch machen. Davon entfällt etwa die Hälfte auf die neuen Bundesländer. 1,1 Millionen Menschen stehen in einem Arbeitsverhältnis, das sie ohne unsere aktive Arbeitsmarktpolitik nicht hätten. Sie zahlen selber Steuern und haben das Bewußtsein, für ihre eigene Situation aufkommen zu können.
Das muß man immer wieder deutlich auch unter Hinweis darauf sagen, daß im Jahre 1994 die Mittel für Arbeitsbeschaffung, Fortbildung und Umschulung gar nicht ausgeschöpft werden konnten. Das muß man sich einmal vorstellen. Sie fordern ständig neue Mittel; die Mittel konnten aber noch nicht einmal ausgegeben werden.
Das sagt auch etwas über die Situation in unserem Land aus. Es macht doch überhaupt keinen Sinn, Frau Kollegin Wegner - was Sie gesagt haben, war Stammtischgerede im umgekehrten Sinne -,
wenn wir die Mittel für Fortbildung und Umschulung so ausweiten, daß jeder zweimal, dreimal oder viermal umgeschult wird. Es muß so sein, daß die Fortbildung und Umschulung ihn fähig machen, wieder einen aktiven Arbeitsplatz zu finden.
Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 haben wir viele kurzfristig wirksame Maßnahmen getroffen. Dazu gehören die private Arbeitsvermittlung, die die Bundesanstalt zunächst beunruhigt, aber dann doch auf Trab gebracht hat, der gezielte Einsatz von Lohnzuschüssen, die Förderung der Selbständigkeit, die Förderung von Teilzeitarbeit und auch die Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes und der Kampf gegen illegale Beschäftigung.
Ich stehe nicht an, hier zu sagen: Selbstverständlich gilt das, was für Arbeitnehmer im illegalen Bereich gilt, gleichermaßen auch für Arbeitgeber. Mißbrauch muß bekämpft werden.
Die Kollegin Albowitz hat das Thema der Arbeitsmarktprogramme angesprochen. Ich sage es noch einmal: Es gibt drei wesentliche Bereiche, in denen wir während der Haushaltsberatungen Veränderungen vorgenommen haben. Das scheint mir entscheidend zu sein. Man hat ja immer den Eindruck, die Regierung legt einen Entwurf vor, der dann in zweiter und dritter Lesung wieder auf den Tisch kommt. Nein, es war so, daß wir im Haushaltsausschuß eine ganze Reihe von erheblichen Veränderungen - zum Teil auf Vorschläge des Ministeriums - vorgenommen haben, die sich zugunsten der Menschen im Land, die Arbeit suchen und Arbeit brauchen, positiv auswirken werden.
Dazu gehört das Langzeitarbeitslosigkeitsprogramm. Das sind nicht 375 Millionen DM in diesem Jahr, sondern es sind 375 Millionen DM plus eine Verpflichtungsermächtigung in der Größenordnung von insgesamt 3 Milliarden DM für 180 000 neue Arbeitsplätze, für die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt.
Bedauerlicherweise ist es so, daß gerade die älteren Arbeitslosen in der Regel Langzeitarbeitslose sind, d. h. das erste Mal arbeitslos geworden sind. Da wollen wir helfen. Das ist vernünftige und gute Sozialpolitik.
Wir wenden uns besonders den gehandikapten Arbeitnehmern zu, denen, die besondere Schwierigkeiten im Arbeitsprozeß haben.
Dietrich Austermann
Das zweite Programm, das START-Programm, ist angesprochen worden. Es handelt sich um 83 Millionen DM. Hier soll ein interessanter Versuch unternommen werden, der zu meinem Erstaunen sogar vom DGB mitgetragen wird. Erstmals gibt es den Weg, daß in gemeinnützigen wie auch in privaten Einrichtungen Leiharbeit erfolgen kann. An dieser Leiharbeit beteiligen sich auch Vertreter des DGB, nachdem sie vor kurzem noch einen Entwurf für eine europäische Charta vorgelegt haben, in dem es ausdrücklich heißt: Die Leiharbeit ist abgeschafft. Aber nachdem Herr Schulte, der DGB-Vorsitzende, jetzt sogar für befristete Arbeitsverhältnisse ist, scheint sich ein Wandel zur Vernunft bei Ihnen einzustellen.
Wir wollen die Möglichkeit schaffen, mit Leiharbeit wieder Dauerarbeitsplätze zu entwickeln; denn wir haben die Erfahrung gemacht, daß aus den vorläufigen Arbeitsverhältnissen, aus ABM wie auch aus Leiharbeitsverhältnissen, oft Dauerarbeitsplätze werden. Dies wollen wir unterstützen.
Wir machen als drittes - neben Langzeitarbeitslosigkeits- und START-Programm - ein Programm, das neue Vorhaben zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beinhalten soll. Dieses Programm wird sich in verschiedenen Regionen der Bundesrepublik als beispielhaft erweisen. Hier ist Kreativität gefragt, hier sind viele gute Ideen gefragt. Auf der Seite der Opposition habe ich wenig davon gehört.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Bundeszuschuß der Bundesanstalt für Arbeit sagen. Ziel muß es sein, daß alles das, was an Maßnahmen aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit finanziert wird, durch Beiträge gedeckt wird. Nur in Ausnahmesituationen darf dies durch Steuergelder ergänzt werden. Wir tun das, was erforderlich ist, um diese Ergänzung zu leisten. Aber nachdem wir in diesem Jahr und im vorigen Jahr den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit heruntergeführt haben, muß die Zielrichtung ganz eindeutig sein, im nächsten Jahr die Nullgrenze zu erreichen. Ich sage dies ganz klar: Das Ziel muß sein, den Bundeszuschuß auf Null herunterzuführen.
- Dadurch, daß auch er das gesagt hat, wird bestätigt, daß es richtig ist. - Wir wollen jedenfalls die Politik entsprechend fortsetzen, und es gibt dahin gehende Tendenzen aus den ersten Monaten dieses Jahres.
Neue Arbeitsplätze können auf Dauer nur geschaffen werden, wenn es gelingt, Deutschland für die Zukunft fit zu machen. Dazu müssen aber wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Barrieren weggeräumt werd en. Die regionalpolitische Verantwortung muß gestärkt werden.
Dann fragen wir ganz konkret die Bundesländer: Was tun Sie, um technologische Barrieren wegzuräumen, um neue Technologien Platz greifen zu lassen, um dafür zu sorgen, daß große Verkehrsprojekte, die geplant sind, zu beschleunigen? Ich erwähne z. B. das konkrete Projekt des Transrapid, das alleine
30 000 Arbeitsplätze bringt. Da sind die Länder gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Das sind nämlich im ersten Arbeitsmarkt praktische Hilfen für neue Arbeitsplätze.
- Auf Dauer! Sie können doch davon ausgehen, daß ein solches Verkehrssystem, wenn es geschaffen ist, in Betrieb genommen wird und bei einer entsprechenden Zahl von Fahrgästen auch vernünftig in Betrieb gehalten werden kann.
Die Zahl von 30 000 Arbeitsplätzen bezog sich auf den Betrieb auf Dauer, wenn der Transrapid fertig ist. Während der Bauphase gibt es selbstverständlich eine wesentlich größere Zahl von Arbeitsplätzen.
- Das liegt möglicherweise daran, daß sie davon ausgehen, daß alles das, was ich sage, ihre Zustimmung hat; das braucht nicht extra bestätigt zu werden.
Der Haushalt 1995 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung setzt ein deutliches Signal für mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose. Die Opposition ist gefordert, in den Bundesländern, in denen sie die Regierung stellt, ihre regionalpolitische Verantwortung wahrzunehmen. Das kann man nicht, indem man wie in Schleswig-Holstein ständig Orgien von neuen Ländersteuern verkündet, sondern dies kann man nur, indem man den Kurs vertritt, den auch wir vertreten, nämlich die Belastung der Wirtschaft, der Betriebe und der Bürger zu reduzieren.
Sie setzen sich mit Ihrer falschen Subventionsforderungspolitik zugunsten von Technologien von gestern oder vorgestern dafür ein, daß mehr ökonomische Werte verbraucht als geschaffen werden.
Wer neue Arbeitsplätze will, die die hohen Lohnkosten einspielen, darf nicht neue Technologien behindern. Der darf auch nicht die Beschleunigung von Planung und Durchführung neuer zukunftsträchtiger Projekte, auch Verkehrsprojekte, vertrödeln. Es ist ganz konkrete Arbeitsmarktblockade, was Sie betreiben - auch die GRÜNEN, teilweise mit kleinen und kleinsten Grüppchen in sogenannten Bürgerinitiativen.
Wer mehr Arbeitsplätze will, muß dem Etat des Bundesarbeitsministers und dem Gesamtansatz zustimmen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Gisela Babel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Haushaltsdebatten wird regelmäßig der für die Demokratie unerläßliche Wett-
Dr. Gisela Babel
streit zwischen den besten Ideen zur Lösung bestehender Probleme ausgetragen.
Der Haushalt des Arbeitsministers in seiner eindrucksvollen Supergröße - 129 Milliarden DM oder 27 % des Gesamthaushaltes - bietet sich für den Schlagabtausch besonders an. Das Thema ist der soziale Staat, das Ausmaß seiner Verpflichtungen und Leistungen, sein Können und Wollen.
Sehr schnell sind wir bei dem drückendsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, vor allem aber auch sozialen Problem: der Arbeitslosigkeit.
3,8 Millionen waren im Februar 1995 ohne Arbeit. Das ist die registrierte Zahl; hinzuzurechnen sind noch Arbeitssuchende und die in Maßnahmen des Arbeitsamtes Untergebrachten in Millionenhöhe.
Selten wird in einer Debatte über Arbeitslosigkeit aber der Frage ernsthaft nachgegangen, was Arbeit ist. Für die SPD und die übrige linke Seite des Hauses ist Arbeit eine feste Größe x, ein Kuchen, der verteilt und, wenn er nicht für alle reicht, in immer kleinere Stücke zerteilt wird. Arbeitslosigkeit ist demnach nur ein Mangel an Arbeitsverteilungsgerechtigkeit. Die F.D.P. teilt diese Auffassung nicht.
Wir halten die Grundauffassung für falsch, daß die Herabsetzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich mehr Menschen in Arbeit gebracht habe und die Einschränkung der Überstunden mehr Arbeitsplätze schaffen könnte. Nein, meine Damen und Herren, für die Entstehung von Arbeitsplätzen ist nach wie vor der Ertrag ausschlaggebend, den Arbeit bringt, und für diesen Ertrag sind Lohnkosten entscheidende Faktoren.
Solange der Prozeß andauert, in Tarifverhandlungen den in den Unternehmen erwirtschafteten Gewinn in Lohnerhöhungen zu verteilen und nicht in neue Investitionen zu stecken, werden immer weniger Arbeitsplatzhabende immer größere Lohnzuwächse bekommen, und zwar auf Kosten derer, die dann ihre Arbeitsplätze verlieren. Die letzte Tarifrunde läßt für die Beschäftigung Schlimmes ahnen.
Der Gesetzgeber setzt Rahmenbedingungen und versucht nun auf der anderen Seite mit den Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik die Rückführung Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hinzufügen: mit zweifelhaftem Erfolg. Wir investieren unwahrscheinlich viel Geld: 18 Milliarden DM für berufliche Bildung, 9,6 Milliarden DM für ABM, 3 Milliarden DM für produktive Arbeitsförderung, insgesamt 50 Milliarden DM für diesen Bereich. Das ist eindrucksvoll; aber wir können uns alle nicht der unangenehmen Er-
kenntnis verschließen, daß das alles nicht richtig hilft. Die Opposition meint, das sei noch zu wenig, mehr wäre besser.
Sie meint, wenn wir das Land mit Beschäftigungsgesellschaften und AB-Maßnahmen bepflasterten und mit Industrieplanungen überzögen und den Steuerzahlern einen Teil der Finanzierung aufbrummten, dann könnte die Arbeitslosigkeit verschwinden.
Wenn ich nur im mindesten diesen Wunderglauben teilen könnte, würde ich auch gegen den Widerstand der eigenen Parteifreunde und der Koalition selber für mehr Mittel kämpfen. Aber die Fakten sprechen klar dagegen. Nehmen wir das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit: Seit Beginn der 70er Jahre investieren wir immer mehr in aktive Arbeitsmarktpolitik, und trotzdem steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen.
Im Jahr 1977 waren es 13 % der Arbeitslosen, und im Jahr 1994 sind es schon 31 % gewesen.
Sicher kann diese Erkenntnis nicht dazu verleiten, nun gar nichts zu tun oder diese Anstrengungen zu unterlassen. Aber ich mache aus meiner Skepsis kein Hehl. Unsere Arbeitsämter bekommen ein Riesenarsenal an unterschiedlichen Programmen und Maßnahmen, und manche spielen übrigens souverän auf diesem Klavier. Die Kommunen helfen über ABM fleißig mit, die Drehtür Arbeitslosigkeit/Maßnahmenteilnahme/Arbeitslosigkeit zu bewegen. Aber die Zahlen beweisen: Langzeitarbeitslosigkeit ist damit nicht zu bekämpfen.
Woran liegt es denn, daß in den ersten drei Monaten bei uns nur 36 % der Arbeitslosen eine neue Stelle finden, in Japan aber 60 % und in den USA gar 90 %? Das ist nicht nur für Working-poor, sondern das sind qualifizierte Arbeitsplätze. Die Antwort kann ich auch nicht liefern; aber ich denke, daß wir viel gründlicher und viel radikaler forschen und nachdenken sollten, wenn es uns damit ernst ist. Die Opposition behauptet ja immer gleich, der soziale Staat sei in Gefahr, wenn mancher an Veränderung denkt. Aber ich meine, wir haben heute soziale Verhältnisse vor allem für Arbeitsplatzhabende, und sie werden durch Arbeitsplatzlose erkauft. Das kann nicht sozial sein.
Eine weitere bedrückende Auswirkung der Arbeitslosigkeit liegt in der explodierenden Zunahme von Vorruhestand und Erwerbsunfähigkeitsrente. Meine Damen und Herren, nicht nur die langfristigen Finanzprobleme der Rentenversicherung, die das Prognos- Gutachten aufzeigt, machen Sorgen, sondern auch die heute sich abspielende Erosion der Rentenversicherung. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, daß die Bundesregierung gesetzliche Klarstellungen plant, die eine ausufernde Rechtspre-
Dr. Gisela Babel
chung bei der Zuerkennung der EU-Rente bremst. Aber auch die betriebliche Rente bedarf der Unterstützung durch den Gesetzgeber, während die berufsständischen Versorgungswerke wegen ihrer Anziehungskraft vor neuen Rentenflüchtlingen geschützt werden müssen.
Meine Damen und Herren, zur Pflegeversicherung sage ich jetzt nichts. Man hört fast ausschließlich Schreckensmeldungen, die ich aber für verfrüht halte. Wir sind eine hochnervöse Nation. Sicher ist, daß unser eigentliches Geschäft als Sozialpolitiker, die Systeme der sozialen Sicherung zu warten, zu pflegen, zu verbessern, auch die Pflegeversicherung umfassen wird. Damit kommen wir nie zum Ende.
Die F.D.P. stimmt dem Haushalt des Bundesarbeitsministeriums zu.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte am Beginn meinen Dank an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung richten, an den Haushaltsausschuß, besonders an die Berichterstatter Frau Dr. Wegner, Frau Albowitz, Frau Hermenau, Herrn Fuchtel und Herrn Austermann, und an die Mitarbeiter, die es möglich gemacht haben, diesen Haushalt so sachgerecht und zügig zu behandeln.
Ich wollte mich heute eigentlich zwei Themen besonders widmen, der Pflegeversicherung und der Rente. Ohne die Wörter Untergang, Zusammenbruch und Katastrophe beschreiben wir kein Problem unserer Gesellschaft mehr, es gibt keine Debatte ohne polemischen Durchlauferhitzer. „Chaos in der Pflegeversicherung" meldeten diese Wochen die Zeitungen. Tatsache ist: Am 1. April 1995 werden eine Million Menschen neue Leistungen von der Pflegeversicherung erhalten.
Das ist nicht Chaos, das ist die Tatsache. 700 000 Menschen werden ohne jede Antragstellung entweder statt des bisher gezahlten Pflegegeldes von 400 DM das doppelte, nämlich 800 DM, oder Sachleistungen von 1 800 DM statt wie bisher 750 DM erhalten. Das ist kein Chaos, das ist eine handfeste Verbesserung für das Schicksal von einer Million Menschen. 300 000 Anträge werden bearbeitet sein.
Ich finde es schon merkwürdig: Über die Verbesserung der Situation von einer Million Mitbürgerinnen und Mitbürger redet hier kein Mensch, aber über möglicherweise 30 000 oder 50 000 Streitfälle gibt es
stündlich Katastrophenmeldungen. Das ist der Zustand einer aufgeregten Gesellschaft, der die Geduld fehlt, Probleme zu bearbeiten, und sie statt dessen nur bespricht.
Die Rentenversicherung - seit über 100 Jahren gut eingefahren - benötigt für die Antragsbearbeitung in der Rentenversicherung noch heute vier bis fünf Monate. Wieso soll die neue Pflegeversicherung schneller sein und alle Anträge, auch die, die erst im Februar oder März gekommen sind, bis April bearbeitet haben? Was haben eigentlich die Wohlfahrtsverbände, die im Kritisieren so kräftig sind, getan, daß ihre Mitglieder rechtzeitig Anträge stellen? Das wäre besser gewesen, als am Spielfeldrand zu sitzen und zu kritisieren.
Auch werden diejenigen, die erst jetzt ihren Antrag gestellt haben, so daß er noch nicht bis zum 1. April bearbeitet sein wird, keine Geldleistungen verlieren. Es wird nachgezahlt. Ich will einmal die ganze Landschaft schildern. - Die Caritas - der Name heißt immerhin Liebe -, droht aus der ambulanten Pflege auszusteigen, weil die Pflegekassen nicht das Geld bezahlen wollen, das die Caritas fordert. Was - ich sage das ganz ruhig - die Caritas nicht kann oder nicht will, werden dann private Anbieter lösen. Da ist der Wettbewerb ganz hilfreich.
In der Tat, auch gemeinnützige Institutionen müssen sich dem Wettbewerb stellen. Wieso soll eigentlich für das, was bisher mit 35 DM entlohnt worden ist, in Zukunft 80 DM bezahlt werden, mehr als eine Verdopplung über Nacht? Auch Wohlfahrtsverbände müssen sich Wirtschaftlichkeitsprüfungen stellen. Gutherzigkeit befreit nicht von der Rechnungsprüfung.
Untersuchungen haben ergeben, daß es bei Ausschöpfung aller derzeit noch brachliegenden Wirtschaftlichkeitsreserven in vielen Fällen möglich ist, die Kosten um bis zu 30 % zu senken. Hier sind die Verbände aufgerufen, denn die Sozialeinrichtungen müssen jede Mark zweimal umdrehen, bevor sie sie einmal ausgeben. Wissen Sie, warum? Es ist nämlich das Geld der Beitragszahler, das sie ausgeben. Wenn sie das Geld an einer falschen Stelle ausgeben, fehlt es uns an der richtigen Stelle. Es geht nämlich um das Geld für die Bedürftigen.
Sozialeinrichtungen stehen in der Pflicht, erstens das Geld der Beitragszahler richtig zu verwalten und zweitens dafür zu sorgen, daß es an der richtigen Stelle ankommt. Die Länder versuchen, sich um ihre Investitionsverpflichtungen zu drücken. Hessen hat ein Gesetz verabschiedet, nach dem das Geld für die Pflegeeinrichtungen je nach Haushaltslage eingesetzt wird. Das können Sie dann auch beim Wetteramt in Offenbach oder bei der Klassenlotterie abrufen.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich stelle fest: Das ist ein klassischer Wortbruch. Wir haben vereinbart, daß die Länder mindestens die Hälfte dessen, was die Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung spart, an die Einrichtungen weitergeben. Die Pflegeversicherung ist nicht die Sparkasse der Landesfinanzminister. Dafür haben wir den Streit nicht gemacht.
Wir müssen darauf bestehen, daß die Länder ihr Wort halten. Je mehr Investitionskosten bezahlt werden, um so mehr sinken die Pflegesätze, und wir holen mehr Menschen aus der Sozialhilfe heraus.
Die Pflegeversicherung hat noch keine Mark ausgezahlt. Übermorgen ist der erste Tag, aber schon sagen Kritiker, daß es zu drastischem Kostenanstieg kommen wird, Andere wissen, daß der Sachverständigenrat im August erklären wird, daß ein Feiertag zur Kompensation nicht ausreicht und deshalb ein zweiter Feiertag abgeschafft werden muß. Der Sachverständigenrat hat die Anhörung noch gar nicht beendet, das Bundesarbeitsministerium hatte noch keine Gelegenheit zur Anhörung gehabt.
Wir sind noch mittendrin, und schon wird verkündet, es wären zwei Feiertage notwendig. Hier muß ich den Sachverständigenrat in Schutz nehmen. Das ist kein Unsachverständigenrat. Sachverständigenrat heißt: erst Prüfung, dann Ergebnis. Deshalb wollen wir abwarten, was der Sachverständigenrat vorlegt.
Ich höre: Chaos, Chaos. Richtig ist: Nicht im Gesetz herrscht Chaos, sondern in den Köpfen herrscht das Chaos, sonst könnte man diese Diskussion nicht verstehen.
Ich habe noch ein paar Punkte. Gestern zitiert die „Süddeutsche Zeitung", eine ganz angesehene Zeitung, voller Entrüstung einen Mitbürger, der sich beschwert, „daß das neue Gesetz alte Menschen verpflichtet, erst pflegebedürftig zu werden, bevor sie Hilfe bekommen".
Die Beschwerde ist von der „Süddeutschen Zeitung" weitergegeben worden: Du mußt erst pflegebedürftig werden, um Hilfe zu bekommen. Hören Sie mal, das ist bei einer Versicherung so. Die Feuerversicherung zahlt auch kein Geld, bevor nicht das Haus brennt. Die Krankenversicherung zahlt kein Geld, bevor nicht jemand krank ist, und die Unfallversicherung nicht, bevor ein Schaden eintritt.
Ist denn die Verwirrung so groß? Kann denn jeder sagen, was er will? Was dabei herauskommt, ist nur das eine. Deshalb wende ich mich auch dagegen. Es kommt in diesem Hexentanz von Verdrehungen und Polemik bei den Betroffenen nur Verwirrung an. Gegen diese Verwirrung durch eine leichtfertige Diskussion wehre ich mich.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischer?
Ja, bitte.
Wenn Sie noch einen Moment warten würden, würde ich Ihnen noch ein paar Prachtexemplare zu dieser Verwirrung nennen. Hätten Sie noch etwas Zeit?
Ich bin voller Zuversicht, daß Sie davon noch ganz viele Beispiele haben. Selbstverständlich haben Sie gerade ein besonders skurriles Beispiel genannt.
Ich gebe Ihnen in dem Fall recht, daß Sie sagen: Es handelt sich um eine große Reform, und es ist kein Wunder, daß es am Anfang schwierig wird. Trotzdem würden Sie vielleicht auch mir zustimmen, daß es bei dem, was Sie so empört als das Chaos in den Köpfen bezeichnen, um Menschen geht, die in einer ganz schwierigen Lebenslage sind. Diese Menschen sind mit einer gravierenden Veränderung ihrer Lebenslage konfrontiert.
Können Sie mir zustimmen, daß es berechtigt ist, daß diese Menschen Sorgen haben und daß man sie deswegen nicht einfach als Chaoten beschimpfen darf?
Ich kann die Frage zurückgeben. Können Sie mir zustimmen, daß, wenn mehr Mitbürger Aufklärung und Beratung und nicht Verwirrung und Polemik betreiben würden, man den Menschen, um die es Ihnen und mir geht, damit mehr helfen würde als durch die Panikdiskussion, die in dieser Woche geführt worden ist? Darin stimme ich mit Ihnen überein.
Aber über die Pflegeversicherung kann ja scheinbar jeder reden, wie er will. Sie ist auch nicht die Superkuh. Ich habe nämlich den Eindruck, manchmal wird sie als Superkuh mit einem Supereuter verstanden. Zwanzig Hände greifen an dieses Euter: Die Sozialhilfe versucht abzudrängen, was eigentlich Aufgabe der Sozialhilfe ist.
Ich habe eine Bescheinigung vorn Sozialamt in Gießen; da wird einem Sozialhilfeempfänger eine hauswirtschaftliche Leistung mit der Begründung gestrichen: Einführung der Pflegeversicherung.
Jeder versucht, sich zu retten und alles der Pflegeversicherung zuzuschieben. Davor werde ich sie bewahren. Es geht nicht, daß man der Pflegeversicherung erst alle Lasten aufbürdet, dann erschrickt, wenn sie unter den Lasten ertrinkt und anschließend sagt: Sie funktioniert nicht.
Ich bin mit Ihnen, verehrte Frau Kollegin, der Meinung, daß jede große soziale Einrichtung Anlaufschwierigkeiten hat. Das ist ja sogar bei jeder Maschine so. Gerade deshalb bedarf die Pflegeversicherung in ihrer Anfangsphase der Unterstützung, der Beratung, und viele müssen der Pflegeversicherung helfen.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich kann noch ein paar Beispiele nennen. Caritas und Kommunen ziehen sich aus der Pflege zurück, weil sie sagen, jetzt gebe es ja eine Pflegeversicherung.
Herr Minister - -
Nein. Ich möchte das jetzt im Zusammenhang darstellen. - Wenn ich in dieser Woche manchen Caritas-Funktionär gehört habe, so kann ich nur sagen: Hätte es ihn schon im Neuen Testament gegeben, so wäre der Samariter erst nach Jerusalem geschickt worden, um ein Fachhochschulstudium zu beginnen, bevor er dem unter die Räuber Gefallenen helfen konnte.
Wir können den Sozialstaat auch kaputtmachen, und zwar durch eine perfekte Professionalisierung, bei der gar nicht mehr gefragt wird, ob es um Zuwendung, um ein gutes Herz, um direkte Hilfe, um Spontaneität oder um eine Planstellenolympiade geht.
Ich wehre mich dagegen, daß die Betroffenen dabei aus dem Blick geraten. Aber es gibt Gott sei Dank - das will ich ausdrücklich auch für die Sozialverbände feststellen - noch immer viel guten Willen.
- Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Wissen Sie, wenn man Zyniker wäre, könnte man auf den Gedanken kommen: Mache nichts, rede viel, zeige Betroffenheit, und schon bist du ein guter Mensch. Meine Erfahrung nach zwölf Jahren ist, daß der, der etwas macht, immer in die Schußlinie gerät. Dem einen ist es zuwenig, dem anderen ist es zuviel, einem dritten erscheint es falsch. Du könntest auf die Idee kommen: Rede und mache nichts, dann bist du jedermanns liebes Kind. Ich werde dieser Versuchung immer widerstehen!
An Besprechern besteht doch Überfluß. Was wir brauchen, sind nicht Besprecher, was wir brauchen, sind Bearbeiter.
Auch die Rentenversicherung ist von dem Virus aufgeregter Wichtigtuerei infiziert. Der Beitrag zur Rentenversicherung ist am 1. Januar 1995 von 19,2 % auf 18,6 % abgesenkt worden, so wie es unser Rentensystem vorsieht. Diese Beitragssenkung liegt gerade drei Monate zurück und entlastet die Beitragszahler in diesem Jahr um 8 Milliarden DM, den Bund um 1,9 Milliarden DM. Diese Beitragssenkung ist das bestgehütete Geheimnis in der Beitrags- und Steuerdebatte der letzten Monate. Darüber redet kein Mensch. Jetzt steigt - wie es das Rentensystem vorsieht - aller Wahrscheinlichkeit nach der Rentenbeitrag im nächsten Jahr wieder auf 19,1 %. Über diese Erhöhung werden alle reden, obwohl der Beitrag dann immer noch niedriger ist als zwölf Monate zuvor. Das ist ein Beipiel, wie bei uns sozialpolitisch diskutiert wird.
Die Beiträge der Rentenversicherung der letzten Jahre waren zwischen 0,2 und 1,2 Prozentpunkte niedriger, als wir sie bei der Rentenreform geschätzt haben. Im Jahre 1993 hatten wir mit 17,5 % den niedrigsten Beitragssatz seit Beginn der 70er Jahre. Wir haben diesen niedrigen Beitragssatz trotz der Tatsache gehabt, daß die Rentenversicherung einen großen Solidarbeitrag in Sachen deutsche Einheit leistet. Im letzten Jahr waren es 14 Milliarden DM, und in diesem Jahr sind es noch einmal 14 Milliarden DM. Zusammen sind es also 28 Milliarden DM. Obwohl wir diese Transferleistung - die ich verteidige - von West nach Ost leisten, haben wir diese Beitragssätze.
Ich warne auch vor einer Debatte auf der Grundlage langfristiger Expertenprognosen. In diesem Zusammenhang will ich Ihnen einmal die Prognosen vorführen, die bei der Rentenreform 1957 gemacht wurden. Damals hat der Experte Luzius den Rentenbeitrag des Jahres 2000 auf 35 % geschätzt, der Herr Mehring auf 33 % und der Herr Heubeck auf 29,5 %. Wahrscheinlich wird er unter 20 % liegen.
Für 1986 - das haben wir ja schon hinter uns - hat Heubeck den Rentenbeitrag auf 24,2 % geschätzt. Tatsächlich lag er bei 19,2 %. Die Treffsicherheit dieser Expertenprognosen ist diejenige einer alternden, verrosteten Schrotflinte; darauf können Sie nun wirklich keine langfristige Politik aufbauen.
Herr Ehmke, von Ihnen ja geschätzt, hat früher, zur Zeit der sozialliberalen Koalition, verlangt: Alle drei Tage eine innere Reform!
Eine Perspektive in die Zukunft kommt auf diese Weise nicht in die Debatte. Was uns fehlt und was die größte Mangelware ist, ist eine handwerkliche Ausdauer, die bewirkt, daß man sich Zeit nimmt, Gesetze durchzusetzen, daß man nicht jeden Tag einen neuen Vorschlag macht und dadurch die Verwirrung nicht immer weiter trägt. Denn jeder glaubt, wenn er nicht alle 24 Stunden einen neuen Vorschlag macht, würde er als dumm und wenig kreativ gelten. Diese neue Mode erinnert mich an Feuerwerker. Wenn sie nicht alle 24 Stunden einen Knallfrosch zünden, meinen sie, die Welt wäre eingeschlafen. Was wir brauchen, ist die Konzentration auf wichtige Fragen und darauf, Sachen auch durchzusetzen.
Das Rentenreformwerk hat mehr als einen Hebel, damit man auf Veränderungen reagieren kann. Ich nenne die Lebensarbeitszeitverlängerung. Das ha-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
ben wir doch gemeinsam vorgesehen. Herr Prof. Schmähl, der Vorsitzende des Sozialbeirates, weist nach: Wenn wir das Renteneintrittsalter nur um zwei Jahre nach hinten verschieben würden, könnten wir die Beiträge um 3 % senken. Jetzt liegt das Renteneintrittsalter bei 59 Jahren. Diejenigen, die am Sonntag über Lohnnebenkosten reden, die Vertreter der Großbetriebe, tun ab Montag alles, was bewirkt, daß die Lohnnebenkosten steigen, weil sie ihre Personalprobleme mit der Frühverrentung lösen.
Das halte ich für erstens scheinheilig und zweitens ungerecht. Es bezahlen nämlich die Beitragszahler in den Kleinbetrieben, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit, was die einfallslose Personalpolitik der Großbetriebe verursacht. Unternehmen des Maschinenbaus suchen jetzt schon wieder Facharbeiter, die sie vor 12 Monaten durch Frühverrentung mit dem goldenen Handschlag ins Freie geschickt haben. Hätten wir eine intelligente Arbeitszeit, beispielsweise eine Altersteilzeit, einen flexiblen Übergang in den Ruhestand, bräuchten wir eine solche Rasenmähermethode nicht, und allen wäre geholfen.
Lieber Herr Minister, Sie dürfen zwar unendlich lange reden. Nur, die mit der Fraktion ausgemachte Redezeit ist vorbei.
Na gut, dann mache ich es kurz.
Sie wissen, Sie haben die Verfassung auf Ihrer Seite.
Es gibt mehr als einen Hebel. Wir legen die Hände nicht in den Schoß. Frau Babel hat schon gesagt, daß wir die Erwerbs- und Berufsunfähigkeit neu regeln wollen. Ferner wollen wir die Fluchtversuche aus der Solidarkasse abwehren und verhindern, daß immer neue Sachen der Solidargemeinschaft aufgebürdet werden.
Es gibt viel zu tun. Nur müssen wir die Rentenversicherung nicht neu erfinden. Wir haben es hier nämlich nicht mit einem Spielzeug zu tun, sondern mit den Erwartungen von Menschen, die ihre Lebensplanung darauf aufbauen wollen.
Ich weiß nichts Besseres als eine leistungs- und lohnbezogene Rente. Auf der ganzen Welt gibt es eine Konvergenz. Privatversicherungssysteme sehen, daß es nicht langt; Staatsversorgungssysteme stellen fest: Die Anonymität ist zu groß. Es gibt geradezu eine Konvergenz in Richtung auf eine beitragsfinanzierte Sozialversicherung. Es wäre Geisterfahrerei, wenn wir aussteigen wollten, während sich die ganze Welt eher an einem selbstverwalteten, staatsfernen, leistungsbezogenen Alterssicherungssystem orientiert. Mit mir wird es keine Grundrente geben, keinen Schlag aus der Gulaschkanone.
Die Rente ist keine Fürsorgeleistung, kein Almosen; sie ist Leistungslohn. Das werde ich verteidigen, weil darin auch ein Stück Selbständigkeit und Selbstbewußtsein unserer älteren Mitbürger liegt.
Es gibt viel zu verändern, es gibt aber auch viel zu verteidigen, was in einem 100jährigen Sozialstaat gewachsen ist. Dazu lade ich alle ein.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Abgeordnete Marieluise Beck.
Herr Minister, mit Verlaub, ich finde es etwas unsportlich, wenn Sie keine Zwischenfragen mehr zulassen.
Da Sie ja so gern Komplimente entgegennehmen, möchte ich Ihnen eines gleich zu Anfang machen: Sie sind ein Meister der Demagogie. Wenn Sie dabei so meisterhaft sind, müssen Sie es aber hinnehmen, daß Sie bei Ihren demagogischen Ausführungen gestört werden.
Wenn Sie wirklich reklamieren, mit dem Chaos in den Köpfen umgehen zu wollen, dann ist Sorgfalt angesagt. Deswegen finde ich es unverantwortlich - das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen -, in welchen Zusammenhang Sie das Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung", das in der Wortwahl richtig sein mag - das kann und will ich auch nicht bestreiten -, gestellt haben. Es geht um die Interpretation, Herr Minister. - Hören Sie mir zu?
- Gut.
Wenn hier gesagt wird: „Man muß erst zum Pflegefall werden, bevor man Ansprüche hat" , steht dahinter ein reales Problem für viele Betroffene - Behinderte und eingeschränkt Lebende -, die nicht eine tägliche Unterstützung, nicht eine tägliche Pflegeleistung benötigen, sondern nur zwei- oder dreimal die Woche Unterstützung z. B. beim Baden und bei anderen Verrichtungen.
Dieser Personenkreis fällt jetzt aus der Pflegeversicherung heraus, weil die Hürden zu hoch gesetzt sind. Das sind die Menschen, die ihre Situation so formulieren: Müssen wir denn erst zum Pflegefall werden, bevor wir Leistungen aus der Pflegeversicherung bekommen, obwohl wir doch eigentlich selbständig lebende Menschen sein können und nur minimale Unterstützung benötigen?
Marieluise Beck
Um diesen Sachverhalt geht es. Ich glaube, daß Sie klug und wissend genug sind, um den Hintergrund dieses Sachverhalts zu kennen.
Das Wort zur Kurzintervention erhält der Abgeordnete Blüm.
Frau Kollegin, ich möchte mich ausdrücklich entschuldigen, daß ich in der Hitze des Gefechtes Ihre Wortmeldung nicht mehr gesehen und den Faden meiner Ausführungen nicht unterbrochen habe.
- Herr Kollege Andres, was ich als Gefecht bezeichne, überlassen Sie einmal mir. Ich bin nicht so militärisch wie Sie. Bei mir beginnen Gefechte schon bei einem kurzen Pingpong.
Nun zurück zur Sache. Das, was Sie sagen, kann deshalb nicht stimmen, weil 500 000 erheblich Pflegebedürftige bisher von keiner Versicherung etwas bekommen haben. Sie können nicht aus einer Versicherung herausfallen, wenn sie bisher null bekommen haben. Anders ist es, wenn jemand von der Sozialhilfe Leistungen bekommt, weil er minderbemittelt ist. Das hat aber mit der Pflegeversicherung nichts zu tun.
Ausdrücklich halte ich fest, daß es wider das Gesetz ist - trotzdem wird es probiert -, daß sich die Sozialhilfe von Leistungen zurückzieht, die sie bisher gezahlt hat. Das sollten wir gemeinsam abwehren.
Ich lese Ihnen das noch einmal vor. In dem Zusammenhang, in dem die „Süddeutsche Zeitung" das dargestellt hat, war das nicht das Thema, das Sie vorgebracht haben. Hier steht ganz klar und unkommentiert: Er kann nicht verstehen, „daß das neue Gesetz alte Menschen verpflichtet, erst pflegebedürftig zu werden, bevor sie Hilfe bekommen". Das, finde ich, ist ein Ausweis für eine leicht verrückte Diskussion, die ich so nicht widerspruchslos hinnehme.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ottmar Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den vielen Beiträgen aus den Koalitionsfraktionen weiß man gar nicht so recht, wo man anfangen soll. Ich beginne einmal bei dem Zwischenrufer Herrn Fuchtel, nicht deshalb, Herr Fuchtel, weil ich Ihr inhaltsloses Gefasel für besonders bedenkenswert halte, sondern deshalb, weil
ich vermute, daß diese inhaltslose Phraseologie fast repräsentativ ist für große Teile Ihrer Fraktion. Das ist wirklich ein Problem.
Sie haben davon gesprochen und uns angegriffen, auf dieser Seite des Hauses säßen die sozialen Verelendungstheoretiker. Sie haben versucht, über den Armutsbegriff nachzudenken, und haben sich getröstet, die Armut in Deutschland sei weniger ausgeprägt als die Armut in der Dritten Welt.
Wenn Sie Nachhilfe in Sachen Armut brauchen, will ich Ihnen aus einem Papier zitieren, das Sie als guter Christenmensch eigentlich gelesen haben müßten, aus dem Text „Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland", der Diskussionsgrundlage der beiden großen Kirchen in Deutschland für den Konsultationsprozeß für ein gemeinsames Wort der Kirchen. Ich zitiere das in aller Ruhe, weil ich denke, daß es sich lohnt, darüber zu diskutieren:
Die Armutssituationen treffen besonders Familien und Einzelpersonen, die mehrere Jahre auf Sozialhilfe angewiesen sind. Elementare Merkmale eines humanen Lebens, wie z. B. Spielräume haben, Chancen haben, etwas geben oder helfen können, entfallen. Es ist die Lebensqualität, die hier nachhaltig und tiefgreifend beeinträchtigt ist. Armut ist das Verwiesensein auf die Befriedigung sogenannter „primärer Bedürfnisse" und das Nicht-befriedigen-Können der „höheren Bedürfnisse" (Selbstentfaltung in der Arbeit, gesellschaftliche Teilhabe und Mitgestaltung, Unterhaltung, Geschenke machen u. a.). In der Psyche der Menschen trägt solche Armut die Kennzeichen einer Lebenskatastrophe. Viele unter uns leben in diesem Sinn in Armut. Es sind „Mühselige und Beladene", die besonders uns Christen am Herzen liegen müssen.
Meine Damen und Herren von der sich christlich nennenden Fraktion, anstatt hier wirklich dümmliche Polemiken gegen sogenannte Verelendungstheoretiker vom Stapel zu lassen, sollten Sie einmal ernsthaft über die Bemühungen der beiden Kirchen nachdenken, dem Armutsbegriff auf die Spur und zu Erläuterungen zu kommen, über die nachzudenken sich wirklich lohnen würde.
Es wäre zum ersten Mal in Ihrer Regierungszeit, daß ein Koalitionsabgeordneter aus den christlichen Parteien im Deutschen Bundestag bezogen auf die Armutsentwicklung in Deutschland das Wort von den Mühseligen und Beladenen auch nur in den Mund genommen hätte.
Ottmar Schreiner
Was Ihr parteichristliches Verständnis von der christlichen Botschaft mit der Realität zu tun hat, frage ich mich um so mehr nach diesem platten Redebeitrag des Kollegen Fuchtel.
Das hat mit Sozialpolitik sehr viel zu tun. Ich komme darauf angesichts der aktuellen Sozialhilfedebatte noch zurück.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Vom Generalsekretär? - Bitte schön, Herr Generalsekretär.
- Sein Hauptanliegen ist ja, daß das Saarland an Rheinland-Pfalz angeschlossen wird, damit Baden-Württemberg beim Länderfinanzausgleich besser abschneidet.
Herr Kollege Schreiner, ich glaube, nach solchen Reden ist es den Rheinland-Pfälzern nicht mehr zuzumuten, daß die Saarländer dort hinkommen.
Ich habe eine ganz konkrete Frage: Sie haben aus dem Kirchenpapier zitiert, es dem Kollegen Fuchtel vorgehalten und die gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefragt, ob wir das auch machen, was uns die Kirchen vorschlagen. Beziehen Sie die Positionen der Kirchen auch dann, wenn es um § 218 geht, oder suchen Sie sich immer nur das heraus, was Ihnen paßt?
Ich bin jederzeit bereit, über die Vorschläge der Kirchen, auf welchem politischen Feld auch immer, zu diskutieren, ob das die Entwicklungshilfe, § 218 oder die Armut in Deutschland betrifft. Das ist für mich überhaupt keine Frage. Ich muß nicht jeden Vorschlag nachvollziehen können, aber ich bin gerne bereit, jeden Vorschlag ernsthaft zu prüfen und zu diskutieren.
Ich habe den ernsthaften Verdacht, daß Sie - zumindest bezogen auf die sozialpolitischen Exzesse, auf die sich verbreitenden und vertiefenden Armutsprozesse in unserer Republik - nicht mehr bereit sind, die Vorschläge und Analysen der Kirchen ernstzunehmen, geschweige denn ernsthaft zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, der Kollege Fuchtel - um noch einmal bei dem bedeutenden Zeitgenossen zu verweilen - hat dann als zweiten Schwerpunkt benannt, es gehe nicht darum, uferlos den zweiten Arbeitsmarkt auszuweiten - dabei hat er außerordentlich bedeutungsschwer in Richtung SPD-Opposition geblickt -, sondern das Kernanliegen sei die Erhöhung der Zahl von Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Gegen diesen Satz ist überhaupt nichts einzuwenden. Es gibt nicht einen einzigen Sozialdemokraten und keine sozialdemokratische Kollegin in diesem Haus, die der Auffassung wären, das Heil der Beschäftigungsentwicklung läge in einer uferlosen Expansion des zweiten Arbeitsmarkts. Das ist von uns hier niemals vorgetragen worden.
Sie bauen sich irgendwelche Popanze auf, auf denen Sie dann um so lieber herumtrommeln. Das ist eine uralte, hin und wieder auch bewährte Taktik.
Ich werde aber auf Ihren Vorschlag, entscheidend sei die Mehrbeschäftigung auf den regulären Arbeitsmärkten, gerne zurückkommen; denn Sie haben es unterlassen, auch nur einen einzigen Satz zu sagen, wie Sie denn Mehrbeschäftigung auf den regulären Arbeitsmärkten erreichen wollen.
Nicht einen einzigen Satz habe ich bislang - weder von Ihnen noch von anderen Rednern der Koalitionsfraktionen einschließlich des Ministers - dazu gehört.
- Nein. Ich habe ein paar Kritiken gehört. Ich habe die Kritik von Frau Dr. Babel gehört, in der immer wieder die Lohnkosten thematisiert worden sind. Das ist eine alte Leier, die wir zweieinhalb Jahre während der Debatte über den Standort Deutschland gehört haben.
Es hieß immer, die Lohnkosten seien an allem schuld. Dies alles ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver vom zentralen wirtschaftspolitischen Versagen dieser Regierung. Ich komme darauf gleich zurück.
Meine Damen und Herren, ich habe mir gestern das Mißvergnügen angetan, mir die erste Runde der Haushaltsdebatte anzuhören. Dabei ist mir aufgefallen, daß sich die Beiträge aus den Koalitionsfraktionen zusammengesetzt haben aus einer Mischung von abstrakten Zahlen, die hier vorgetragen werden, und einer geradezu unglaublichen Schönfärberei der wirklichen Situation.
Ich werde versuchen, das an Hand von wenigen Punkten zu belegen.
Ottmar Schreiner
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Roth, hat gestern hier mit stolzgeschwellter Brust verkündet, 119 Milliarden DM im Bundeshaushalt entfielen auf den sozialen Bereich. Diese Zahl ist heute erneut vorgetragen worden. Diese Zahlen - in welcher Höhe auch immer - besagen zunächst einmal überhaupt nichts über die Qualität eines Sozialstaats. Und sie besagen überhaupt nichts über die Qualifizierung einer Marktwirtschaft als „soziale" Marktwirtschaft. Je höher beispielsweise die Arbeitslosigkeit ist, je breiter und je tiefer die Armut ist, desto höher sind natürlich die Sozialkosten in einer Gesellschaft. Man könnte also geradezu zu der entgegengesetzten Vorstellung kommen: Je höher die Sozialausgaben bei verbreiteter Armut, desto bedenklicher ist es um die innere Verfassung, um die soziale Verfassung einer Gesellschaft bestellt.
Deshalb ist die entscheidende Frage nicht - um das vorwegzunehmen, lieber Herr Kollege Unbekannt -, wie groß die Etats sind. Der Kollege Austermann hat sich heute selbst verwirrt mit der Bemerkung, ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts entfiele auf die sogenannte Sozialleistungsquote. Auch das ist völlig nichtssagend. Übrigens war es vor zwölf Jahren etwas mehr als ein Drittel. Aber das ist eine andere Frage; ich will darauf nicht eingehen.
Entscheidend für die Qualität eines Staates als Sozialstaat ist nicht das Volumen sozialer Ausgaben,
sondern entscheidend ist - das ist der Kern jeder Arbeits- und Sozialpolitik -, ob und inwieweit es uns gelingt, die Menschen aktiv teilhaben zu lassen an den entscheidenden gesellschaftlichen Prozessen.
Das ist die Kernaufgabe jeder Sozialpolitik: Hilfe zur Selbsthilfe, beitragen zu können in Selbstverantwortung, teilzuhaben am sozialen Geschehen. Das ist die eigentliche Aufgabe.
Wenn man die Regierung an dieser Aufgabe mißt, dann kann man als Schlußbenotung nur sagen: im günstigsten Falle sechs plus.
Es gibt doch millionenfache Ausgrenzungen. Wir sehen eine Verdreifachung der Zahl von Sozialhilfeempfängern. 500 000 Menschen hausen in schäbigsten Unterkünften. Es gibt viele zehntausend Kinder, die davon betroffen sind. Nach Schätzungen der beiden Kirchen leben rund 7 Millionen Menschen an oder unterhalb der Armutsgrenze. Wir haben nahezu vier Millionen registrierte Arbeitslose, die eine totale Ausgrenzung aus einem gesellschaftlichen Zentrum, nämlich der Erwerbsarbeit, erfahren.
Die Regierung und die Koalitionsfraktionen waren nicht einmal bereit, die 3,5 Milliarden DM der Bundesanstalt für Arbeit zusätzlich zu geben. Damit hätte man rund 250 000 Menschen aus der offenen Arbeitslosigkeit herausholen können.
Gemessen an diesem Anspruch, vorhandene Gelder möglichst sinnvoll einzusetzen, um die Integration von Menschen zu erleichtern und zu befördern, haben Sie jämmerlich versagt.
Es deutet sich keine Besserung an entlang den Planungsdaten des Haushalts 1995.
Ich habe gestern früh das Mißvergnügen gehabt, Herrn Theodor Waigel hier zuzuhören. Ich fasse einmal in wenigen Sätzen zusammen, was er in bezug auf die Beschäftigungssituation gesagt hat. Er hat darauf hingewiesen: 3 % zu erwartendes Wirtschaftswachstum für 1995, 3,6 % Wachstum für 1996. Er hat dann frohlockt: die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Kurzarbeit spielt keine Rolle mehr, und „die verbleibenden Probleme" - so das wörtliche Zitat von Herrn Theodor Waigel - „werden mit dem 3-MilliardenProgramm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zielgerichtet angegangen".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Babel?
Bei dieser Schönfärberei ist man fast so traurig, daß man in sich gehen und auch keine Zwischenfragen zulassen möchte. Aber bitte sehr. Es ist wirklich nicht zu fassen, was die Regierung sich hier an Schönfärberei, an Realitätsverlusten erlaubt.
Bitte sehr, Frau Kollegin Dr. Babel.
Herr Kollege Schreiner, meine Frage gibt Ihnen bei Ihrem Prestissimo die Möglichkeit, zwei Sekunden Atem zu schöpfen. Auch das ist der Vorteil einer Zwischenfrage.
Sie sagen, es sei eine unglaubliche Schande, daß wir der Forderung der Bundesanstalt nach noch mehr Mitteln nicht nachgekommen sind.
Teilen Sie denn den Glauben, daß eine Aufstockung der Mittel im zweiten Arbeitsmarkt die Langzeitarbeitslosigkeit im Industriestaat Deutschland wirklich bekämpft, daß es nicht nur eine Beschäftigungsmaßnahme, nicht nur eine Salve ist?
Das ist erneut eine Vorlage; ich wollte im Laufe meines Beitrages auf die Probleme der Wirtschaftspolitik zu sprechen kommen.
Ich will das jetzt vorwegnehmen: Vor wenigen Tagen hat die Bund-Länder-Kommission für Forschung und Bildungsplanung im Rahmen eines Gutachtens u. a. darauf hingewiesen - das war der Kern -, daß in absehbarer Zeit rund die Hälfte der Arbeitsplätze der fünf Millionen Ungelernten, die wir in dieser Republik noch haben, wegfallen wird.
Sie haben darauf hingewiesen - das ist eine aktuelle Diskussion, die wir seit geraumer Zeit führen -, daß es in der ökonomisch-sozialen Entwicklung zwei Grundtendenzen gibt, die genau diesen von der Bund-Länder-Kommission diskutierten Prozeß befördern. Die erste Grundtendenz ist die Globalisierung der Märkte, d. h. wir sind in wachsendem Maße nicht mehr in der Lage, mit sogenannten Niedriglohnländern in den Bereichen zu konkurrieren, in denen ungelernte oder wenig qualifizierte Arbeitnehmer gebraucht werden.
Die zweite Grundtendenz ist das wachsende Eindringen neuer Technologien, das zum Ergebnis haben wird, daß Arbeitnehmer, die einfache Tätigkeiten ausführen, in wachsendem Maße durch computergesteuerte Techniken wegrationalisiert werden.
Angesichts dieser beiden Grundtendenzen ist eine der Kernaufgaben sowohl der Wirtschaftspolitik als auch der Sozialpolitik die Qualifizierung von Arbeitslosen und die Qualifizierung von noch in Arbeit befindlichen Menschen, die in absehbarer Zeit arbeitslos werden, wenn es ihnen nicht gelingt, ihr Qualifikationsniveau zu erhöhen.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich, daß die Zeit eben nicht angerechnet wurde.
Ich will nun versuchen, darzulegen, an welchen Maßstäben eine Haushaltsdebatte zumindest im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik gemessen werden müßte: Zum ersten wäre es notwendig - das würde den Regierungsfraktionen nicht schaden -, eine gesellschaftspolitische Bestandsaufnahme vorzunehmen. In einem zweiten Schritt müßte man - da können wir sehr wohl unterschiedlicher Meinung sein - über Chancen und Gefahren dieser Entwicklung diskutieren und daraus die Prioritäten politischer Handlungen begründen. Das wäre der Versuch, dem Thema Bundeshaushalt, angeblich das Schicksalsbuch der Nation, halbwegs gerecht zu werden, anstatt diese uferlosen Beschönigungsreden zu halten, die substanzlos, phraseologisch sind.
Das einzige, was Ihnen dazu einfällt, ist: Die SPD ist im übrigen an allem schuld. Das ist wirklich eine Primitivpolitik, wie sie kaum noch zu überbieten ist. Sie wird den wirklichen Problemen dieses Landes noch nicht einmal ansatzweise gerecht.
In Richtung von Herrn Waigel, bei dem die Arbeits-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik in Butter zu sein scheint, möchte ich einige wenige Punkte nennen, die in eine Bestandsaufnahme gehören. Zu einer Bestandsaufnahme gehört, daß wir 3,8 Millionen registrierte Arbeitslose haben. Zur Bestandsaufnahme gehört, daß sich die Sockelarbeitslosigkeit nach den Rezessionen der 70er und 80er Jahre jeweils um ca. 800 000 Personen erhöht hat und nach der letzten Rezession von 1993 ein ähnlich dauerhafter Anstieg zu befürchten steht.
Zu einer Bestandsaufnahme gehört auch, daß der Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Arbeitslosen insgesamt inzwischen weit mehr als 30 % erreicht hat, während er in den frühen 80er Jahren noch bei knapp 10 % lag. Das müßten Teile einer kritischen Bestandsaufnahme sein.
Zu einer kritischen Bestandsaufnahme gehört auch der lauter werdende Aufschrei unserer Städte und Gemeinden, die die ihnen aufgebürdeten Soziallasten nicht mehr tragen können.
Ich will Sie darauf hinweisen, daß die Kommunen zu nahezu 80 % Träger der öffentlichen Investitionen und damit ein eminent wichtiger Beschäftigungsfaktor sind. In dem Maße, in dem die Kommunen von wachsenden Sozialhilfelasten schier stranguliert werden, fallen die Kommunen auch als Auftraggeber für das lokale Handwerk, für örtliche Kleinbetriebe und mittelständische Unternehmungen aus. Das ist ein fundamentaler beschäftigungspolitischer Zusammenhang.
Die Zeitung „Die Welt" vom vergangenen Samstag brachte eine große Überschrift:
Städte klagen über Sozialhilfelasten - Volumen seit 1985 verdreifacht - Immer mehr sachfremde Kosten - Waigel für Befristung
Dort heißt es:
Die Sozialhilfekosten sind nach Darstellung des Deutschen Städtetages „nicht mehr zu ertragen". Sie haben sich für die deutschen Städte und Gemeinden in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht, sagte ... der Präsident des Städtetages ... Ein Grund dafür sei, daß „Gruppen von Menschen in die Sozialhilfe hineinfallen, für die die Sozialhilfe ursprünglich nicht gedacht war". Wegen der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit seien bereits 35 Prozent der Sozialhilfeempfänger Erwerbslose, in den Städten seien es sogar bis zu 50 Prozent.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel?
Wenn sie halbwegs angemessen ist, bitte schön.
Ich halte ja immer die Uhr an.
Herr Kollege Schreier, sorry - - -
Nehmen Sie die Hand aus der Hosentasche!
Ich bin so aufgeregt. - Herr Kollege, geben Sie mir recht, daß man einen Teil der Sozialhilfekosten hätte einsparen oder reduzieren können, wenn Ihre Partei bereit gewesen wäre, die Asylgesetzgebung frühzeitiger zu beschließen?
Ich bin überhaupt nicht bereit, diese unsinnige Frage zu beantworten.
Sie wissen, daß es sich um ein extrem delikates Thema gehandelt hat. Sie wissen, daß das Bundesgesundheitsministerium, das neuerdings für die Sozialhilfe zuständig ist, jetzt augenscheinlich bestrebt ist, bestimmte Regelungen dieses Kompromisses im nachhinein in einer Form und in einer Weise zu korrigieren, die von den Sozialdemokraten auf keinen Fall mitgetragen werden kann. Ich komme darauf zurück.
Die Sozialhilfe ist von ihrer ganzen Konzeption her ein subsidiärer, also ein nachrangiger Leistungsträgen. Diesen Charakter als Nothilfe in letzter Instanz hat sie längst verloren, weil die Bundesregierung - das ist der entscheidende Punkt - seit geraumer Zeit die vorrangigen Sicherungs- und Leistungssysteme durchlöchert, und zwar systematisch durchlöchert. Ein typisches Beispiel sind die fast ins Dutzende gehende Verschlechterungen bei der Arbeitslosenversicherung, die mit dazu beigetragen haben, daß in wachsendem Maße Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose, in die Sozialhilfe hineingeraten.
Meine Damen und Herren, noch einige Sätze zur aktuellen Sozialhilfedebatte. Nach den Informationen aus dem Bundesgesundheitsministerium - wo ist denn der hübsche Junge? - da hinten ist er - ist beabsichtigt, daß die Sozialhilfe zukünftig mindestens 10 bis 20 % unterhalb der niedrigsten Arbeitseinkommen liegen soll. Das ist das, was zu lesen ist. Das bisherige Bedarfsdeckungsprinzip soll aufgegeben werden. Meine Damen und Herren, die dem Bedarfsdeckungsprinzip bei der Sozialhilfe zugrunde liegenden preislichen Anpassungsmechanismen geben dafür nicht den geringsten Anlaß. Die neuesten Schätzungen gehen darauf hinaus, daß der Erhöhungsbedarf unter Beibehaltung des Bedarfsdeckungsprinzips bei etwa 2 % liegen wird.
Das Bundesgesundheitsministerium erwägt nach den Informationen, die zugänglich sind, eine Korrektur, eine Verschlechterung bei der Sozialhilfe mit dem Hinweis, das Lohnabstandsgebot sei nicht hinreichend eingehalten.
Meine Damen und Herren, wenn man dieses Argument hört, dann ist man beinahe fassungslos. Im Frühsommer vergangenen Jahres hat das Bundesfamilienministerium - damals unter Ministerin Frau Rönsch, die wie immer freundlich in der zweiten Reihe sitzt - der Öffentlichkeit eine Studie präsentiert. Der Kern dieser Studie war: Das Lohnabstandsgebot zwischen Sozialeinkommen und den unteren Tarifeinkommen ist sehr wohl eingehalten. Die Studie hat eine einzige Einschränkung gemacht. Man hat gesagt: Im Bereich der Familien mit mehreren Kindern kann es zu Berührungen kommen.
Aber die Konsequenz daraus können nicht Kürzungen bei der Sozialhilfe sein, sondern das Herstellen eines Familienlastenausgleichs, der seinen Namen wirklich verdienen würde.
Das war die Position der Bundesregierung im Frühsommer letzten Jahres.
Was hat sich an den Grundlagen dieser Position eigentlich geändert? Welche neuen Erleuchtungen sind Ihnen, Herr Seehofer, seit dem Frühsommer letzten Jahres zugeflogen, die Sie jetzt zu Ihren Positionsänderungen bewegen? Oder geht es Ihnen, anstatt die Ursachen der Abhängigkeit von der Sozialhilfe beseitigen zu wollen, nicht in Wirklichkeit darum, die Sozialhilfeempfänger schamlos zu mißbrauchen, um billigste Stimmungsmache in diesem Land zu betreiben? Das ist wahrhaft keine christliche Politik. Diese Politik, würde ich ganz gerne sagen, ist nur noch zum Kotzen; ich sage es aber nicht.
Das gleiche gilt im übrigen, wie zu hören ist, für die beabsichtigte Absenkung der Sozialhilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge. Das Bedarfsdeckungsprinzip leitet sich aus der Würde des Menschen ab, geregelt in § 1 des Bundessozialhilfegesetzes. Fremde Menschen, die vor Bürgerkriegen in unser Land geflüchtet sind und in unserem Land vorübergehend Aufnahme gefunden haben, verdienen den gleichen Begriff der menschlichen Würde wie die einheimischen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch.
Die Würde des Menschen ist nicht teilbar.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer?
Ja, bitte sehr.
- Der hat die linke Hand in der Hostentasche.
Lieber Herr Kollege Schreiner, nachdem Sie das Bedarfsdeckungsprinzip und die Menschenwürde hier in die Diskussion gebracht haben: Könnte es denn richtig sein, daß es gerade auch die SPD war, die der zur Zeit gültigen Dekkelung der Sozialhilferegelsätze, die immerhin bis Mitte des nächsten Jahres völlig unabhängig von der Bedarfsdeckung noch gilt, zugestimmt hat?
Könnte es auch so sein, daß Sie im Asylbewerberleistungsgesetz genau den Tatbestand, den Sie jetzt kritisieren, für Asylbewerber für die Geltungsdauer von einem Jahr mit beschlossen haben? Und könnte mein Verdacht richtig sein, daß Sie in dieser Diskussion vergessen machen wollen, daß es sich bei den Dingen - die ich im Grunde für vernünftig halte, die Sie auch mit beschlossen haben - ähnlich verhält wie bei Ihren Beschlußlagen in der Gesundheitsreform, wo Sie uns die höchste Selbstbeteiligung für die Patienten seit Bestehen der gesetzlichen Krankenversicherung vorgeschlagen haben?
Herr Minister, nichts von dem kann sein.
Wie sollte es auch anders sein? Ich will versuchen, Ihnen das zu erläutern. Sie spielen bei der ersten Frage auf die damaligen Regelungen an, Erhöhungen der Sozialhilfe um jeweils 2 %, 3 % vorzusehen und zwar bis Mitte des nächsten Jahres. Die neuesten Schätzungen, die ich kenne, bezogen auf die preislichen Bewertungsgrundlagen für das Bedarfsdeckungsprinzip, schwanken in der Größenordnung exakt zwischen 2 % und 3 %.
Es hat vor einigen Monaten Horrormeldungen gegeben, das Bedarfsdeckungsprinzip würde kurzfristig zu Steigerungsraten von um die 10 % führen. Von diesen Horrormeldungen ist überhaupt nichts übriggeblieben. Das heißt, Sie müßten jetzt umgekehrt den Nachweis führen, daß die Regelungen der letzten zwei, drei Jahre das Bedarfsdeckungsprinzip in eklatanter Weise verletzt haben. Ich fürchte, diesen Nachweis können Sie nicht erbringen.
Zur zweiten Frage: Der Asylkompromifi war wirklich eine schwierige Angelegenheit. Dabei haben sich auch viele Kolleginnen und Kollegen in Ihrer eigenen Fraktion - ich sehe den Kollegen Geißler - sehr schwergetan. Damals ist ausdrücklich auf Bestreben der SPD-Fraktion die Regelung getroffen worden, daß Menschen, die vorübergehend in
Deutschland sind, wie Bürgerkriegsflüchtlinge, unter Sozialhilfegesichtspunkten so behandelt werden wie Einheimische. Nun ist in Informationen zu lesen, daß Sie genau diese Regelung ändern wollen.
- Das ist überhaupt nicht die entscheidende Frage, wer hier im Bundestag wem zugestimmt hat.
- Das ist doch überhaupt nicht die Frage.
- Na gut, ich werde Ihnen diese Frage beantworten. Wenn Sie auf die Beantwortung dieser Frage, die ja nun wirklich von dem hier zu diskutierenden Thema ablenkt, so großen Wert legen, dann sage ich Ihnen, daß ich als Abgeordneter persönlich im Deutschen Bundestag dem Asylkompromiß nicht zugestimmt habe,
weil ich der Meinung gewesen bin, daß eines der reichsten Länder dieser Welt mit Menschen, die in Not sind, die auf der Flucht sind, die vom Tode bedroht sind, -
Liebe Kollegen, ich bitte um Ruhe!
- großzügiger umgehen muß als die konservative Debatte der letzten Jahre dies gezeigt hat.
Das war der entscheidende Grund für mein Abstimmungsverhalten. Und da bin ich auch in guter Gesellschaft: Lesen Sie die Stellungnahmen der Kirchen nach, lesen Sie die Stellungnahmen der Gewerkschaften nach, lesen Sie die Stellungnahmen vieler Einzelpersönlichkeiten nach! Ich stehe da nicht allein. Ich habe eher das Gefühl, Sie sind da in schlechter Gesellschaft, Herr Minister.
Im übrigen hat niemand bestritten, daß es damals Regelungsbedarf gab. Meine Auffassung war, daß dem Regelungsbedarf auch unter Beachtung des damals gültigen Art. 16 Grundgesetz hinreichend entsprochen werden könne. Das war meine sehr persönliche Überzeugung. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Wir diskutieren hier den Arbeits- und Sozialhaushalt.
Meine Damen und Herren, wenn man eine Bestandsaufnahme macht, wenn man über Bestandsaufnahmen redet, dann muß man auch darauf hin-
Ottmar Schreiner
weisen, daß es einen breiten Konsens gibt: Das EG-Weißbuch 1993 und der vor wenigen Tagen veröffentlichte Weltbeschäftigungsreport der Internationalen Arbeitsorganisation, in der auch die Arbeitgeber drittelparitätisch in den Führungsorganen vertreten sind, kommen zu dem Ergebnis: Das Wirtschaftswachstum wird bis zum Jahre 2000 die Massenarbeitslosigkeit, auch in Deutschland, selbst im günstigsten Fall nur marginal verändern. Und zur Bestandsaufnahme gehört, daß 1 % Wachstum ca. 150 000 Arbeitsplätze schafft.
Wenn man all diese Einschätzungen kennt, dann stellt sich doch die entscheidende Frage an die Bundesregierung: Welches ist ihr Vollbeschäftigungskonzept?
Was haben Sie angesichts der Tatsache vorzuschlagen, daß die Bundesregierung vor wenigen Tagen, die Zehn-Punkte-Grundsatzerklärung auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen mit unterschrieben hat? Da heißt es in Ziffer 3:... das Ziel der Vollbeschäftigung als wesentliche Basis unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verfolgen und allen Männern und Frauen zu ermöglichen, einen sicheren und dauerhaften Lebensunterhalt durch frei gewählte Beschäftigung und Arbeit zu erlangen. - Also, Sie haben diese Erklärung unterschrieben. Nun möchte ich von irgend jemandem im Rahmen dieser Haushaltsdebatte hören, was die Grundrisse des Vollbeschäftigungskonzepts der Bundesregierung sind.
Wir können es Ihnen nicht durchgehen lassen, daß Sie in Kopenhagen und anderswo auf internationalen Kongressen Sonntagsreden halten und hier in Deutschland in der Praxis das genaue Gegenteil betreiben. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen!
Es ist heute mittag mehrfach der erste Arbeitsmarkt angesprochen worden. Ich will mit Blick auf politische Prioritäten auf einen Beitrag in einer großen, überregionalen deutschen Tageszeitung verweisen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 27. März dieses Jahres ist folgendes zu lesen - und das ist unter Wachstumsgesichtspunkten eigentlich eine spannende Information -: Deutschland droht im Wettbewerb mit Japan, aber auch mit den USA weiter zurückzufallen. Vor allem in den Spitzentechnologien ist die Bundesrepublik zu einem Importland geworden. Forschung und Entwicklung sind Überlebensstrategien für ein rohstoffarmes Land. Für um so bedenklicher halten es die Hochschulprofessoren, daß das Gewicht der Forschung sinkt. Für wichtig gehalten wird, daß die Beschäftigung in den letzten zehn Jahren lediglich in den forschungs- und entwicklungsintensiven Branchen deutlich zugenommen hat.
Meine Damen und Herren, wenn man das Gewicht der Forschungs- und Technologiepolitik an dem mißt, was diese Bundesregierung in den letzten Jahren tatsächlich getan hat und was sie in den nächsten Jahren zu tun gedenkt, dann bekommen Sie wieder einmal nur eine Notenbewertung zwischen fünf und sechs. Fakt ist, daß die Bundesregierung bis zur Stunde nicht die Chancen sieht, die in einem verstärkten forschungs- und entwicklungspolitischen Ansatz liegen, und daß sie hier ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für die soeben beschriebene Lage trägt.
Einige knappe Hinweise mögen genügen: 1982, bei der Übernahme der Regierung, bewegte sich der Anteil des früheren BMFT-Haushalts am Gesamthaushalt bei 2,8 %; inzwischen liegt er unter 2 %. Der Forschungshaushalt ist nicht nur vom Umfang her völlig ungenügend; ihm fehlt auch eine klare inhaltliche Ausrichtung auf die aktuellen Herausforderungen. Es ist seit längerem bekannt, daß die Wettbewerbsvorteile vor allem japanischer Unternehmen auch auf der Überwindung monotoner, ja stumpfsinniger, tayloristischer Arbeitsteilung beruhen. - Die Antwort der Bundesregierung: Kürzung des Programms Arbeit und Technik um nahezu 8 %.
Man könnte diese Beispiele auf ein elementares Zentrum der ökonomischen Diskussion weiterführen, das von Ihrer Seite in dieser Debatte kaum eine Rolle gespielt hat, nämlich die Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank. Erklären Sie mir doch einmal, unter welchen Gesichtspunkten Sie die gegenwärtige Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank verteidigen wollen! Sie führt im Ergebnis dazu, daß noch mehr Fremdkapital ins Land gelockt wird, daß sich die Währungsparitäten immer stärker verändern, daß die Aufwertung der D-Mark ein Ausmaß bis zu 15 % annimmt und daß sich die in Deutschland hergestellten Produkte auf den Exportmärkten um diesen Prozentsatz verteuern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Erklären Sie mir, womit Sie die Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank, die Investitionen, die unter beschäftigungspolitischen Aspekten mehr als wünschenswert wären, geradezu abbremst, rechtfertigen!
Bitte schön.
Herr Kollege Schreiner, überrascht es Sie, wenn ich feststelle,
daß mir nach Ihren jetzigen Ausführungen die Empfehlung des früheren Bundesbankpräsidenten Pöhl,
Jürgen W. Möllemann
sich in Hessen so zu verhalten, wie er empfohlen hat, sich zu verhalten, durchaus einsichtig ist?
Lieber Herr Kollege, ich bin zwar kein Riesenstaatsmann,
will Ihre Frage aber gerne beantworten.
Vor wenigen Tagen hat Herr Stihl - -
- Nein, ich rede jetzt von Herrn Stihl. Er ist nicht Mitglied der hessischen Landesregierung; soweit mir bekannt ist - man kann nie ganz sicher sein -, ist er auch nicht Mitglied der Sozialdemokratischen Partei.
- Vor wenigen Tagen hat der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Herr Stihl, die Wachstumsprognose der deutschen Wirtschaft für 1995 von bislang geschätzten 3 % auf 2 % herunter-korrigiert. Das entscheidende Argument von Herrn Stihl lautete, die überwertete starke D-Mark drücke spürbar auf die Exporte. - Meine Güte, ich vermute einmal, daß der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages mehr von Währungsrelationen versteht als der ehemalige Riesenstaatsmann Möllemann.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß, weil es angesichts der Qualität dieser Zwischenfragen offenkundig wenig Sinn macht, noch weitere Ausführungen zu diesem Thema zu machen.
- Ich habe mich jetzt auf Herrn Stihl bezogen; das müßte ausreichen. Ich bin zudem nicht dafür da, Ihnen permanent Nachhilfeunterricht in Ökonomie zu erteilen. Das führte ein bißchen zu weit.
Meine Damen und Herren, wenn man zusammenfassend über die Arbeits- und Sozialpolitik der Bundesregierung referiert, dann läßt sich als Fazit sagen, daß es kläglich versäumt wurde, die Kernaufgabe des Bundeshaushaltes umzusetzen: mit dem ihm innewohnenden Potential dazu beizutragen, daß Millionen von ausgegrenzten Menschen in dieser Republik wieder die Möglichkeit gegeben wird, am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen. Tatsache ist, daß Sie das Gegenteil betreiben: Sie machen die Sozialpolitik zu einer reinen Verwaltungsbürokratie, die ausgegrenzte Menschen mehr schlecht als recht zu verwalten hat.
Ich will zum Schluß an einen Satz des Kollegen Schily anknüpfen.
Das war doch schon ein schönes Schlußwort. Ihre Zeit ist jetzt abgelaufen.
Gut. Dann sage ich als letzten Satz: Die Politik dieser Bundesregierung verschiebt seit Jahren schon das Entwerfen und den Einsatz dringend überfälliger Alternativen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Deshalb ist jeder Tag, den Sie regieren, ein verlorener Tag für unser Land und unsere Menschen.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Heiner Geißler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe kaum die Chance, auf den Kollegen Schreiner richtig zu antworten. - Mein lieber Herr Schreiner - es sind jetzt eine ganze Reihe andere Abgeordnete hier im Raum -, ich möchte denen, die sich nicht täglich mit der Sozialpolitik beschäftigen, versichern, daß es bei uns in der Sozialpolitik - über die Parteigrenzen hinweg - nicht immer so zugeht wie in der letzten halben Stunde.
Herr Schreiner, Sie haben eine ganze Reihe von durchaus richtigen Fragen gestellt. Ich habe allerdings bei all dem, was Sie gesagt haben, nicht die Antworten darauf gefunden.
Sie haben teilweise zu Recht Kritik geübt. Was Sie über Armut, auch in Deutschland, gesagt haben, kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Aber ich mache Sie auf der anderen Seite auch auf folgendes aufmerksam: Sie können doch nicht fast eine halbe Stunde eine Darstellung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Inhalt geben, hier sei eine flächendeckende Verelendung vorhanden, dies sei ein Land, das sozialpolitisch kurz vor dem Absturz ins gesellschaftspolitische Chaos stehe. Aber drei Sätze später, wenn es Ihnen in den Stiefel paßt, dann erklären Sie, daß Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt doch in der Lage sein müsse, eine andere Entscheidung über Leistungen für Asylbewerber zu treffen.
Also entweder das eine oder das andere!
Ich muß schon sagen - ich will keine billige Polemik machen -,
es wäre ganz gut, wenn man sich, außer sich stichprobenartig in einem bestimmten Land umzusehen,
einmal grundlegend informieren würde, wie andere
Dr. Heiner Geißler
Länder in Europa oder in Übersee die sozialpolitische Situation in Deutschland beurteilen. Alle Schwierigkeiten, die wir haben, die aber auch darauf zurückzuführen sind, daß wir bis auf den heutigen Tag eine Erblast im anderen Teil Deutschlands, in den neuen Bundesländern, von 57 Jahren Diktatur aufarbeiten müssen, haben wir in der Beurteilung anderer Länder gut bewältigt.
Ungeachtet der Schwierigkeiten, die wir miteinander bewältigen müssen, sage ich dennoch: Wenn man sich im Ausland informieren will, bekommt man bestätigt, daß trotz dieser enormen Schwierigkeiten Deutschland ein Land mit hohen Löhnen - mit im Vergleich zu vielen Ländern höchsten Löhnen -, mit einem am besten ausgebauten Arbeitsrecht - mit Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Betriebsverfassungsgesetz -, mit sicheren Renten, dem besten Gesundheitssystem aller Industrieländer der Welt und mit Preisstabilität ist.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, im Blick auf 14 von 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland, die zumindest zu 50 auch für die soziale Ordnung in Deutschland Verantwortung tragen, finde ich die Rede, die Sie gerade gehalten haben, absolut unangemessen gegenüber dem, was wir in Deutschland in den vergangenen 45 Jahren für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner geleistet haben.
Ich hatte mich auf diese Rede mit der Absicht vorbereitet, auf Polemik einer Partei nicht mit Gegenpolemik zu antworten. Lassen wir doch diese billige Geschichte! Ich möchte vielmehr etwas zu den Mächten und Kräften außerhalb dieses Parlamentes sagen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
Wir erleben zur Zeit - das ist meine Beurteilung - wieder eine typische Welle. Das hat Norbert Blüm gerade an dem Beispiel der Pflegeversicherung erfahren müssen. Auch ich habe meine Erfahrungen - vielleicht mehr als Sie -, machen müssen, wenn es darum geht, neue Leistungen einzuführen, Reformen in der Sozialpolitik zu realisieren. Ich weiß, wie es dann zugeht.
Als ich mit der Einführung von Sozialstationen in Rheinland-Pfalz begonnen habe, habe ich nach einem Jahr zu mir selber gesagt: Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wir hätten das gar nicht gemacht. - Es gab nur Kritik. Dem einen Träger haben 100 DM gefehlt, dem anderen Träger etwas anderes. Dennoch haben die Sozialstationen einen Siegeszug durch die ganze Bundesrepublik Deutschland angetreten.
Wir haben heute wie selbstverständlich den Erziehungsurlaub, die Anerkennung von Erziehungsjahren und - in Ablösung des Mutterschaftsgeldes, das es für vier Monate gegeben hat - das Erziehungsgeld. Als wir das eingeführt haben, gab es in den ersten Monaten nur Lärm, Streit, Ärger und Unzufriedenheit. Aber es waren Reformen, die sich durchgesetzt haben.
Jetzt sind wir bei der Pflegeversicherung - fast zwei Millionen Pflegebedürftige! -; wir haben sie miteinander beschlossen. Anstatt in den Chor derer mit einzustimmen, die schwarzmalen, anstatt eine Politik zu betreiben, wie sie im Moment von außen gefordert wird, anstatt an Einzelfällen die Problematik hochzuziehen, sollten wir miteinander befriedend dem deutschen Volk die Informationen vermitteln, die notwendig sind, um die Menschen, die sich selber nicht helfen können, die auf unsere Informationen angewiesen sind und für die wir das alles gemacht haben, richtig zu informieren. Wir sollten sie nicht aufheizen und die Sache nicht dadurch verschlimmern, daß wir die Dinge nicht richtig darstellen.
Das hängt alles mit einer Entsolidarisierung, die ich empfinde, zusammen. West gegen Ost z. B.: Dafür sorgen Politiker und Journalisten aller Schattierungen, die Verschwendung anprangern, die aber die Folgekosten - ich sage es noch einmal - von 57 Jahren Diktatur nicht mehr solidarisch tragen wollen.
Ost gegen West - auch das erleben wir in Ost-Berlin und in den neuen Ländern -: Dafür sorgen die Nachfolger der SED, die die ganze Sache angerichtet haben, und diejenigen, die sich mit ihnen verbünden.
Wir haben hier eine Entsolidarisierung, die wir im wesentlichen außerhalb dieses Hauses erleben, und das stimmt mich bedenklich.
Die Pflegeversicherung ist gerade noch einmal gutgegangen. Sie wäre fast am Egoismus der Interessengruppen gescheitert. Gott sei Dank haben wir uns hier noch einmal zusammengefunden. Aber ein solches Theater in einem Land mit den meisten bezahlten Feiertagen und mit den meisten bezahlten Urlaubstagen zu veranstalten, wenn wir wollen, daß die Deutschen acht Stunden im Jahr mehr arbeiten, damit zwei Millionen der Hilflosesten in diesem Land endlich zu ihrem Recht kommen
- da mache ich keinen Unterschied zwischen den Parteien und den Ländern, den Kirchen und den Gewerkschaften -, empfinde ich als einen sozialpolitischen Skandal ersten Ranges in diesem reichen Land, lieber Herr Schreiner, von dem Sie gerade geredet haben.
Was mich bei der sozialen Frage am meisten bedrückt, ist, daß Leistungsfähige gegen Behinderte, Beitragszahler gegen Pflegebedürftige aufgehetzt werden sollen. Jetzt erleben wir wieder etwas Neues: Pseudowissenschaftlich vorbereitet, wird ein neuer Generationenkonflikt - Jung gegen Alt, Alt gegen
Dr. Heiner Geißler
Jung - von wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Instituten über hochgestellte Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland bis hin - ich muß es sagen; an sich brauchte man es nicht zu erwähnen; aber in der öffentlichen Diskussion spielt es halt eine Rolle - zu Ihrer Heidi Schüller konstruiert, von der Sie sich Gott sei Dank distanziert haben. Trotzdem empfinde ich es als einen Skandal, wenn gesagt wird, wir alle miteinander würden zugunsten der Alten unberechtigterweise eine Politik zu Lasten der jungen Leute treiben. Wer in dieser Form Junge gegen Alte aufhetzt, der zerstört die Grundlagen des Generationenvertrages, auf dem unsere Sozialversicherung aufgebaut ist.
Das eine ist mir auch klar: Ob es Frau Schüller oder die Bundesbank oder wirtschaftswissenschaftliche Institute sind, es läuft im Ergebnis immer auf dasselbe hinaus: Die Renten sollen gekürzt werden, und das ist eine ernsthafte Herausforderung. Da sollten wir hier nicht solche Reden halten, sondern erkennen, worum es im Moment geht. Was wir an rentenpolitischer Diskussion zur Zeit haben, ist psychologisch verheerend, ökonomisch falsch und sozialpolitisch nicht zu verantworten. Ich würde hierzu gern noch mehr sagen, aber die Zeit reicht nicht; ich gebe zu Protokoll, was ich sagen wollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Rentenpolitik anbelangt, sind wir - davon bin ich zutiefst überzeugt - auf dem richtigen Weg. Wir müssen verändern, aber wir müssen auch verteidigen. Das ist wahr. Das war eine völlig richtige Aussage, Frau Albowitz; ich bedanke mich bei Ihnen für das, was Sie zum Rentenversicherungssystem gesagt haben. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten gibt es keinen vernünftigen Grund für Kürzungen. Es gilt das alte Mackenrothsche Gesetz: Alles, was an sozialem Aufwand in einem Jahr geleistet wird, muß auch in dem betreffenden Jahr erarbeitet werden. Ob es im Umlageverfahren oder im Kapitaldekkungsverfahren finanziert wird, es muß immer aus der Volkswirtschaft mit ihren Arbeitsplätzen heraus erwirtschaftet werden. Nur, die im Umlageverfahren erwirtschaftete leistungsbezogene Rente im Alter - unser gemeinsames Ergebnis, um das uns die ganze Welt beneidet - hat den großen Vorteil gegenüber allen anderen Rentensystemen, daß sie demjenigen, der ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich hat, auch im Alter seinen erarbeiteten Lebensstandard garantiert, wohingegen jede Grundrente dies nicht leisten kann und letztendlich die Menschen im Alter zur Bedürftigkeit und zur Armut verurteilt.
Wir haben in der westlichen Welt zwei Systeme: Wir haben die Soziale Marktwirtschaft, die in Deutschland entwickelt worden ist, und wir haben das angelsächsische System. Die Soziale Marktwirtschaft hat Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik immer als eine Einheit gesehen. Sie hat vom Prinzip her die Aufgabe, alle am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben zu lassen, auch diejenigen, die sich nicht im Produktionsprozeß befinden und nicht über die Droh- und Störpotentiale verfügen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Das ist Soziale Marktwirtschaft.
Und wir haben das angelsächsische System, in dem man sich mehr schlecht als recht auf die Verhinderung der Armut beschränkt und eine Zweidrittelgesellschaft in Kauf nimmt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen daran arbeiten, daß die Soziale Marktwirtschaft, die erfolgreich und auch für andere Länder vorbildlich gewesen ist, durch diese außerhalb des Parlaments über die Renten geführte Diskussion nicht kaputtgemacht wird. Es gibt auch Ergebnisse und Erfolge in 40, 45 Jahren Politik, die man im Interesse derjenigen verteidigen muß, die nach uns kommen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache mit einer Bemerkung: Herr Kollege Geißler, Sie haben freundlicherweise angeboten, Ihre Rede, die Sie nicht gehalten haben, zu Protokoll zu geben. Nach der Geschäftsordnung kann ich das nicht zulassen; denn wer geredet und seine Redezeil ausgenutzt hat, kann nicht eine zusätzliche Rede zu Protokoll geben.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und neun Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/977 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zu den Änderungsanträgen der Gruppe der PDS. Zunächst stimmen wir über die Änderungsanträge ab, über die nicht namentlich abgestimmt werden soll.
Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/946. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/ CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/947. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-Fraktion und eines Kollegen der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der Gruppe der PDS und bei Stimmenthaltung der übrigen SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/948. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/949. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist jetzt einigermaßen kompliziert, denn es gab von den Fraktionsmehrheiten abweichende Stimmen. Da ich es genau machen möchte, darf ich noch einmal abstimmen lassen. Ich bitte um Nachsicht. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und einer Stimme aus der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und bei mehrheitlicher Stimmenthaltung der übrigen Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt worden. Das ist kompliziert, aber ich muß das für das Protokoll festhalten.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/950. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 951 auf: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/952: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe PDS abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 976 auf: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und einer Stimme aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrheitlich und der Gruppe PDS abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/945. Wie ich bereits zu Beginn der Aussprache gesagt habe, hat die PDS beantragt, über diesen Änderungsantrag namentlich abzustimmen. Wir hatten diesen Fall schon einmal heute morgen. Sie wissen, daß dafür die Unterstützung von mindestens 34 Abgeordneten erforderlich ist.
Ich frage deshalb: Wer unterstützt den Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung? - Ich brauche nicht mehr zu fragen, wer dagegen stimmt; denn dieses Ergebnis ist für eine namentliche Abstimmung nicht ausreichend. Es gab keine zusätzliche Stimme. Damit ist das erforderliche Quorum nicht erreicht. Über den Antrag wird nicht namentlich abgestimmt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/945? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 11 in der Ausschußfassung? Ich bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS angenommen.
Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie
- Drucksachen 13/522, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Schanz
Antje Hermenau Steffen Kampeter Jürgen Koppelin
Ich bitte, wie ich es heute schon einmal getan habe, diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen, den Plenarsaal möglichst schnell und möglichst geräuschlos zu verlassen. Zum Einzelplan 30 liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dieter Schanz .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, es besteht Einvernehmen darüber, wenn ich sage: Es ist wahr, daß eine große Industrienation, die nicht über ausreichende Bodenschätze
Dieter Schanz
verfügt, wenn sie ökonomisch und ökologisch überleben will, wenn sie sich weiterentwickeln will, andere Ressourcen mobilisieren muß. Darüber ist heute zu reden. Der Bundeskanzler hat das nach zwölf Jahren politischer Verantwortung erkannt. Donnerwetter, kann man da sagen. Aber es ist dennoch zu begrüßen, daß er es erkannt hat. Aus diesem Grunde hat er seinem Kabinett einen Zukunftsminister verordnet
und ihm als Handlungsinstrumentarium die Verantwortung für Bildung, Wissenschaft und Innovation übertragen.
Herr Bundesminister Rüttgers, ich wünsche Ihnen auch im Namen meiner Fraktion Erfolg bei Ihren Bemühungen, diese Aufgabe zu erledigen.
Ob Sie allerdings in dieser Koalition oder in diesem Kabinett eine Zukunft haben,
das wird sich zeigen. Ich habe große Zweifel, und darüber lassen Sie uns streiten. Sie können sich aber darauf verlassen, daß Sie dort, wo Sie vernünftige Entscheidungen treffen, die im Kontext unserer bildungs- und technologiepolitischen Vorstellungen liegen, unserer Unterstützung sicher sein können.
Wenn der Bundeshaushalt das Schicksalsbuch der Nation ist, so sind Forschung und Technologie, Innovation und Entwicklung neuer Produkte, sind Bildung und Wissenschaft und qualifizierte Ausbildung die grundlegenden Voraussetzungen für die Weiterentwicklung des Forschungs- und Bildungsstandortes Deutschland.
Dies sind auch die Voraussetzungen für wirtschaftliche und soziale Stabilität in unserem Lande.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir alle zusammen Erfolg haben und recht schnell die richtigen Signale setzen und die richtigen Entscheidungen treffen.
Nun ist aber die Vorlage eines Haushaltes auch die Stunde der Wahrheit. Herr Bundesminister, ich hätte Ihnen einen besseren Start gewünscht. Ich stelle aber fest: Die Koalition läßt den hochgepriesenen Zukunftsminister im Regen stehen.
Der Gesamtansatz des Einzelplans 30, des sogenannten Zukunftsressorts, ist mehr als mager. Die Steigerung des Mittelansatzes ist, rechnet man die Pläne der beiden alten Ministerien zusammen, verschwindend gering. Zumeist handelt es sich lediglich um Tarifanpassungen und nicht etwa um Anschubfinanzierungen im innovativen Bereich. Also Stagnation
statt Bewegung, nicht mehr als Schall und Rauch. Dies nehmen wir, die wir am Wohlergehen der deutschen Wirtschaft und an einer guten Beschäftigungslage, die ja notwendiger denn je ist, ein vitales Interesse haben, aus sozialer Verantwortung nicht hin.
Vergleiche zwischen dem Ist des Vorjahreshaushaltes und dem Sollansatz für 1995 sind unzulässig; denn auf das Ist wirken nicht nur die Sparauflagen des Bundesfinanzministers nach der Parlamentsentscheidung über das Haushaltsgesetz, sondern auch hausinterne Entscheidungen über einzelne Projekte ein. Ein Beispiel: Wenn im Umweltforschungsbereich im Jahre 1994 Antragsteller abgewiesen wurden und das Haushalts-Ist deshalb entsprechend geringer ausfiel, so ist ein Vergleich mit dem Haushalts-Soll für 1995 hausgemacht. Hier werden wieder einmal Äpfel mit Birnen verglichen.
Somit sind auch auf dieser Basis errechnete Steigerungen, mit denen eine haushaltspolitische Priorität zugunsten von Bildung und Innovation begründet werden soll, unzutreffend. Sie dienen dazu, dem Parlament Sand in die Augen zu streuen.
Dies wurde in den vergangenen Tagen immer wieder insbesondere von meiner Kollegin Bulmahn zu Recht thematisiert und kritisiert.
Wie Minister Rüttgers nun mit einer solchen Mittelausstattung dem Anspruch gerecht werden soll, in seinem Zukunftsministerium die Weichen für die innovative Entwicklung in Deutschland zu stellen, erscheint mir rätselhaft; zumindest wird es aber sehr schwierig sein.
Herr Minister, Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn Sie sich intensiv bemühen, die deutsche Industrie mit ins Boot von Forschung und Technik zu nehmen. Es ist - da stimme ich Ihnen mit Bezug auf Ihre Veröffentlichungen zu - unerträglich, wenn sich große deutsche Unternehmen erlauben, ihre Forschungsetats zu halbieren bzw. zu reduzieren.
Diese Unternehmen, die nur darauf hoffen, daß der Staat und die Steuerzahler für die Finanzierung der Zukunftsfragen herangezogen werden, müssen von uns, dem Parlament, eine klare Sprache hören. Ich fordere Sie auf, die Möglichkeiten, die Sie haben, zu nutzen; denn dieses Land braucht Innovation und qualifizierte Ausbildung. Die Zukunft des Industriestandortes Deutschland hängt davon ab.
Es ist wirklich beschämend, wenn nur das deutsche Randwerk - was ich hier lobend erwähnen will -
Dieter Schanz
bereit ist, zusätzliche Ausbildungsplätze nicht nur in den neuen Ländern zur Verfügung zu stellen. Wenn sich Großbetriebe, wie es vorhin auch Herr Blüm kritisiert hat, aus der sozialen Verantwortung, aus den Bemühungen um Vollbeschäftigung und Weiterbeschäftigung und jetzt auch aus der Ausbildung verabschieden, dann führt das in ein Chaos.
Herr Rüttgers, machen Sie auch Ihrem Kollegen Rexrodt - er ist jetzt schon wieder verschwunden - an diesem Beispiel deutlich, wie viele internationale Marktchancen die Bundesrepublik Deutschland verliert, wenn sie den bereits erworbenen Forschungsvorteil, beispielsweise bei der Solarenergie, im Vergleich zu anderen Industrienationen, wie Japan und den Vereinigten Staaten, aber auch anderen, verliert und wenn sie zusieht, wie der große Konkurrent Japan in den Schwellenländern, beispielsweise in Indonesien und Saudi-Arabien - aber nicht nur dort -, heute schon mit diesen Produkten präsent ist und über kluge und geschickte Markteinführungsstrategien imstande und auf dem Wege ist, die Zukunftsmärkte auch auf diesem Sektor zu erobern. Wenn wir hier erfolgreich sein wollen, muß der Staat - das kann er sicherlich nicht allein tun - im Benehmen mit den Unternehmen, die auf diesem Gebiete arbeiten, tätig werden.
Wir sollten ebenfalls daran denken, daß eine Energieversorgung in einem ökologisch notwendigen Maß Auswirkungen auf die Lösung der Energieprobleme der Dritten Welt haben könnte.
Sie müssen nicht zwangsläufig die Fehler wiederholen, die wir gemacht haben, und allein auf die Produktion von Energie durch Energieträger setzen. Wir haben jetzt die Chance, den Ländern der Dritten Welt mit einer entsprechenden Entwicklungsstrategie zu helfen.
Meine Damen und Herren, betrachtet man den Einzelplan 30, so ist durchgängig festzustellen, daß gerade dort, wo ein enormer Mittelanstieg erforderlich wäre, wie z. B. bei der Förderung von überbetrieblichen Ausbildungsstätten und -maßnahmen, bei der Qualifizierung von Ausbildungspersonal, in den neuen Bundesländern, bei der Förderung der angewandten Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen, bei der Klima- und Ökologieforschung, bei der Forschung und dem Einsatz erneuerbarer Energien, entweder eine Stagnation oder sogar eine Kürzung zu verzeichnen ist. Ich begrüße aber dennoch, daß die Koalition im Haushaltsausschuß bereit war, den Mittelansatz für überbetriebliche Ausbildungsstätten in den neuen Ländern entsprechend zu erhöhen. Ich habe das im Ausschuß begrüßt. Ich finde es gut und sage auch, weshalb.
Gerade in den neuen Ländern, wo ein großer Aufhol- und Nachholbedarf an Qualifizierung ist - nicht nur im Bereich der Ausbilder, sondern auch bei den Auszubildenden -, ist eine solche Einrichtung von überbetrieblichen Ausbildungsstätten dringend ge-
boten. Ich meine, wir sollten uns darauf verständigen, auch im nächsten Jahr hier nicht zu kürzen, sondern dafür zu sorgen, daß wir die Ausbildung dort weiterhin fördern.
Für mich steht fest, daß Qualifizierung und technologischer Fortschritt für den Produktionsstandort Deutschland von großer Bedeutung sind. Dann müssen aber auch die, die immer von ihrer eigenen Verantwortlichkeit reden, aber nicht danach handeln, bereit sein, jetzt zusätzliche Lasten zu übernehmen. Wer beispielsweise bei der Umwelt- und Sicherheitstechnik die Nase vorn hat, wird die Märkte von morgen erobern und so für sozialen Fortschritt und Arbeitsplatzsicherung sorgen.
Wer immer nur dann handelt, wenn er durch staatliche Rahmengesetzgebung verpflichtet wird, könnte zu spät kommen.
Die gleichen, die das duale System, das sich ja nun wirklich bewährt hat, weltweit feiern, es gerade wie eine Monstranz vor sich hertragen, lassen es, wie erkennbar wird, verkommen. Mein Verständnis von einem sozialen System ist, daß der Staat eine qualifizierte, schulisch-berufliche Ausbildung garantiert und die Ausbildenden, die Unternehmen und die Betriebe, eine sachgerechte und fortschrittsorientierte betriebliche Ausbildung anbieten. Daß das nicht mehr gewährleistet ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Es geht aber zu Lasten der jungen Generation, die eine Zukunftsperspektive braucht.
Deshalb Herr Minister, handeln Sie auf diesem Wege konsequent. Sie bekommen unsere Unterstützung, aber Sie werden auch Verständnis dafür haben müssen, daß wir Sie kritisieren, wenn aus dem Reden kein Handeln wird.
Nun hat der Bundeskanzler, wie von den Sozialdemokraten schon seit langem gefordert, einen Technologierat berufen. Der Technologierat soll zukunftsorientierte Handlungsoptionen entwickeln sowie Chancen, Risiken und Rahmenbedingungen für wichtige Innovationsfelder besprechen. Es geht also um technischen Fortschritt.
Der Kanzler hat eingeladen und seinen Zukunftsminister Rüttgers und den Wirtschaftsminister Rexrodt beauftragt, zum Thema Informationsgesellschaft eine Projektgruppe einzurichten. Daß dabei die Schaffung eines neuen Propagandainstruments für vermeintliche innovative Politik des Kabinetts Kohl erfolgen würde, lag nicht in der Absicht der Sozialdemokraten, als wir vor zwei Jahren eine solche Projektgruppe gefordert haben.
Ich habe Zweifel, ob im Rahmen dieses Gremiums die notwendigen Leitlinien für den Aufbruch in die Zukunft entwickelt werden. Offenbar geht es wiederum nur darum, Themen öffentlichkeitswirksam zu
Dieter Schanz
besetzen und sie dann gegebenenfalls auszusitzen. Gesellschaftliche Interessengegensätze und Konflikte über zukünftige Strategien sollen propagandistisch übertüncht und wegdiskutiert werden. Eine Lösung unserer brennenden Wirtschaftsfragen und gesellschaftlicher Aufgaben ist auf diese Weise nicht zu erzielen.
Herr Minister, in diesen Rahmen paßt Ihre Absicht, jungen Technologieunternehmen Unterstützung zu gewähren. Ich befürchte, daß Sie einen neuen Subventionstopf zur Verfügung stellen, mit allen damit verbundenen Negativeffekten. Ich fordere Sie daher im Namen meiner Fraktion dringend auf, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß von vornherein feststeht, daß Subventionsempfänger auch bereit sein müssen, Eigenkapital in entsprechender Höhe einzusetzen. Wir fordern Sie auf, durch Abbau gesetzlicher Hemmnisse und bürokratischer Hürden sowie durch steuerliche Anreize privates Risikokapital zu mobilisieren. Die SPD bietet an, diesen Weg durch konstruktive Vorschläge - lesen Sie bitte hierzu einmal unsere schon lange vorliegenden Papiere zur Gestaltung einer ökologischen Marktwirtschaft - mitzugestalten, damit die Bundesrepublik Deutschland im Technologiebereich nicht weiter zurückfällt. Dies ist an so kleinen Signalen wie dem Rückgang der angemeldeten Patente im Verhältnis zu anderen Industrienationen deutlich abzulesen.
Der sogenannte Zukunftsminister ist aufgefordert, sehr schnell und konsequent zu handeln. Wir werden unsere Unterstützung nicht verweigern. Wir haben, wie ich schon gesagt habe, aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ein großes Interesse am Überleben, an der Entwicklung des Produktionsstandortes Bundesrepublik Deutschland.
Ich fordere Sie dringend auf, meine Damen und Herren von der Koalition, unsere Kritik nicht leichtfertig zu ignorieren. Sie schaden damit nicht in erster Linie den Sozialdemokraten, sondern den Fundamenten unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und damit dem deutschen Volk. Ich fordere Sie auf, unser positives Angebot ernst zu nehmen.
Ich fasse zusammen: Wir brauchen eine Bildungs- und Technologieoffensive. Innovation, technischer Fortschritt und Qualifikation sind der Schlüssel für die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Hierbei wollen wir mithelfen. Der Staat kann und muß hier wichtige Impulse geben. Deshalb ist die Stagnation im Etat des Einzelplans 30 das falsche Signal. Diese Bereiche sind deutlich zu stärken.
Unsere Anträge, die Sie im Haushaltsausschuß abgelehnt haben, stellen wir heute noch einmal zur Debatte. Sie haben die Chance, hier und heute auf diesem Wege mit uns gemeinsam nach vorne zu gehen.
Andernfalls - und bitte nehmen Sie mir dies nicht übel - kann ich Ihre Reden über Zukunftsaufgaben nicht mehr ernst nehmen und halte sie schlicht für Sonntagsreden.
Meinen Sie es mit den diversen Ausführungen im Rahmen der Standortdebatte, die ja von Herrn Rexrodt immer besonders angeführt werden, wirklich ernst, so bin ich sicher, daß Sie Ihr Abstimmungsverhalten zugunsten unserer Anträge ändern müssen. Den Hinweis auf eine enge Finanzdecke, bezogen auf den Einzelplan 30, lassen wir nicht gelten.
Der Bundeskanzler und die Koalition haben es zugelassen, daß durch die sogenannten Wilms- und Riesenhuber-Dellen der Anteil für Forschung und Bildung am Gesamtetat seit 1982 ständig zurückgegangen ist. Im Jahre 1982 betrug der Anteil des Forschungs- und Bildungsetats zusammengerechnet 4,67 %. 1995 sind es gerade einmal 3,3 %.
Eine Fortschreibung des von mir erwähnten Anteils am Gesamthaushalt, bezogen auf 1982, könnte für 1995 ein Plus von rund 7 Milliarden DM bedeuten.
Zwingend notwendig sind der Aufbau eines attraktiven und qualifizierten Ausbildungssystems in den neuen Ländern und eine bedarfsgerechte Weiterbildungsinfrastruktur sowie der Wiederaufbau einer leistungsfähigen Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern. Dies muß einen hohen Stellenwert haben.
Die Verwendung öffentlicher Investitions- und sonstiger Fördermittel in den Bereichen Wirtschafts-, Technologie-, Wissenschafts- und Infrastrukturförderung muß effizienter gestaltet werden. Dazu sind die Fördermittel aus den verschiedenen Bundesressourcen programm- und projektgerecht zusammenzufassen und mit Länderfördermaßnahmen abzustimmen. Nur so wird es gelingen, die Chancen zu nutzen, die durch neue Märkte in der Umwelttechnik, in der Informationstechnik und ihren Dienstleistungen, in der Biotechnologie, bei neuen Materialien und einer ressourcensparenden neuen Produktionstechnik ebenso wie bei der Humangestaltung der Arbeitswelt und der Nutzung des steigenden Qualifikationspotentials der Erwerbsbevölkerung entstehen können.
Im Zusammenwirken von Bund und Ländern ist dafür Sorge zu tragen, daß die Qualität des Berufsbildungssystems durch Ausbau und Modernisierung der beruflichen Bildungsstätten sowie entsprechende Gestaltung der Ausbildungsgänge weiter verbessert wird.
Die Effizienz der Hochschulen ist ebenfalls zu verbessern. Der langfristige Qualifikationsbedarf und die Lernbereitschaft der jungen Menschen, aber auch der Erwachsenen machen es notwendig, den
Dieter Schanz
Ausbau und die Modernisierung der Hochschulen und die Ausweitung der Weiterbildung zum vollwertigen vierten Bildungsbereich mit Nachdruck voranzutreiben.
Der Hochschulbau, insbesondere zugunsten der Fachhochschulen mit der Möglichkeit der verbesserten Kooperation von Fachhochschule und Betrieb, ist in einem Umfang zu fördern, wie er vom Wissenschaftsrat als fachlich notwendig eingeschätzt wird.
Die Hochschulsonderprogramme sind zusammenzufassen, auszuweiten und zu verstetigen. Sie müssen gezielter als bisher auf den Abbau von Engpässen in überlasteten Fächern und Fachbereichen, die Modernisierung der Hochschuleinrichtungen in den neuen Ländern, die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Verbesserung von Studium und Lehre ausgerichtet werden. Hierzu gehört auch der Erhalt der geisteswissenschaftlichen Zentren,
die Förderung von Innovationskollegs und die wissenschaftliche Integration in den neuen Ländern.
Für die notwendige zügige Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe des Bundesrates und der SPD-Bundestagsfraktion zu einer 17. BAföG-Novelle ist es erforderlich, daß die Bundesregierung endlich auch bei diesem Thema ihre Blockadehaltung aufgibt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz kurz einige Anmerkungen zu vorliegenden Anträgen machen. Den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Bereich Hochschulsonderprogramm müssen wir deshalb ablehnen, weil er nicht sachgerecht ist; denn die Möglichkeit, daß aus diesem Programm der Forschungsreaktor München II gefördert wird, ist zwar gegeben, gilt aber erst für den Haushalt 1996. Ich erkläre für meine Fraktion, daß wir im nächsten Jahr sehr genau darauf achten werden, wenn das anstehen sollte. Die Unterlagen liegen uns vor.
Ihr zweiter Antrag enthält eine kleine Falle. Ich verstehe nicht, Herr Fischer und Frau Hermenau, daß Sie den Forschungsanteil für den Bereich der thermischen Abfallverwertung verweigern. Es ist doch nicht verkehrt, wenn in einer Industriegesellschaft, die nun wirklich hochgiftige Abfälle entsorgen muß, geforscht wird, ob und in welcher Form man das auch thermisch machen kann. Von daher verstehen wir Ihren Antrag nicht. Wir müssen ihn deshalb ablehnen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir Berichterstatter zum Einzelplan 30 sind in diesem Falle alles Neulinge gewesen. Aber ich denke, im nächsten Jahr werden wir anders auftreten und kräftiger zuschlagen als diesmal.
Der Kollege Kampeter wird das sicherlich genauso tun wollen wie ich.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann Sie beruhigen: Wir wollen keinesfalls zuschlagen, weder im Einzelplan 30 noch in anderen Bereichen, sondern wir wollen sinnvoll gestalten und überprüfen, ob dieser oder jener Titel vernünftig verwendet wird. Das ist der Gestaltungsauftrag, den die Koalition auch beim Einzelplan 30 hat.
Ernst Jünger, der große Philosoph und Wissenschaftsfreund
der heute seinen 100. Geburtstag feiert, ist ein begeisterter Insektensammler. Es wäre sicherlich reizvoll und auch interessant, seine etwas über 90 Jahre alte, naturwissenschaftlich höchst relevante Sammlung hier einmal Revue passieren zu lassen und mit dem Erfahrungsschatz dieser Person zu überprüfen, ob das, was wir im Einzelplan 30 heute unter Forschungsförderung betreiben, auch in 100 Jahren noch Bestand haben wird.
Aber wir müssen uns heute auf die harten Fakten konzentrieren, und die besagen nun, daß wir Ihnen den Einzelplan 30 nach langen und intensiven Beratungen mit einem Plafond von 15,5 Milliarden DM in der Höhe nahezu unverändert zur Beschlußfassung vorlegen. Angesichts des Umstandes, daß wir im Gesamtetat Ausgaben in Höhe von 6,4 Milliarden DM eingespart haben, ist der gleichbleibende Ausgabenanteil ein politischer Erfolg für die Zukunftsgestaltung durch diese Bundesregierung.
Insbesondere im Bereich Forschung und Technologie ist sogar ein Zuwachs festzustellen, der weit über dem Durchschnitt liegt, nämlich bei rund 2,6 %. Trotzdem haben die Koalitionsfraktionen diese Haushaltsberatungen dazu genutzt, um im Rahmen des Machbaren Umschichtungen vorzunehmen und politische Akzente deutlich zu machen.
Damit wird die Zusage des Bundeskanzlers, auch im Haushaltsplan 1995 außerordentlich viel für die Zukunft zu investieren, mit dem Beratungsergebnis für den Einzelplan 30 eingehalten.
Der Gestaltungsauftrag hier lautete nicht so sehr, kurzfristige Sparaktionen durchzuführen, sondern es sollten mittelfristig die notwendigen Synergien mobilisiert werden, die durch die Zusammenlegung der beiden Häuser erreichbar waren. Dies ist insbeson-
Steffen Kampeter
dere im Personalbereich sehr gut gelungen. Es war der Erfolg der Haushälter, 80 weitere Stellen „kw" zu stellen. Es wird schon eine besondere Leistung dieses Zukunftsministeriums sein, im Laufe der nächsten Jahre insgesamt 140 Stellen - das sind mehr als 10 % des Personalbestandes - kegelgerecht abzubauen. Es war bei unseren Haushaltsberatungen ein Anliegen, daß dieser „Verschlankungseffekt" im Zukunftsministerium, den wir auch bei unseren Partnern in Wirtschaft und Wissenschaft erwarten, insoweit flexibel gestaltet ist, als dem Minister auch für interne Umsetzungen noch hinreichend viel Gestaltungsspielraum bleibt.
Trotz oder gerade wegen der Mobilisierung von Synergien auch im sächlichen Bereich und trotz der schwierigen Haushaltslage hat die Koalition im Einzelplan 30 eine Reihe von wichtigen politischen Akzenten setzen können. Obwohl es in der Öffentlichkeit hohe Erwartungen gab, ist es der Koalition, so glaube ich, gelungen, mit dem Einzelplan die von ihr gesetzte hohe Hürde zu überspringen. Wer hier von Fehlstart spricht, macht deutlich, daß er sich mit der Thematik nicht beschäftigt hat.
Wir leisten mit einem Zuwachs von 120 Millionen DM beim Hochschulbau und einem Bundesanteil von insgesamt 1,8 Milliarden DM den bisher höchsten Investitionsbeitrag in diesem Sektor. Insbesondere die Sonderprogramme im Hochschulbereich gewährleisten den Aufbau der wissenschaftlichen Strukturen in den neuen Bundesländern. Von einem großen Rückstand kann hier kaum mehr gesprochen werden.
Im Bereich der überbetrieblichen Ausbildungsstätten haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen die Investitionsmittel noch einmal um 20 Millionen DM erhöht. Das ist gerade ein wichtiges Signal für den handwerklichen Mittelstand und außerordentlich positiv zu bewerten.
Es war ein Anliegen der Berichterstatter der Koalition, den Haushaltsansatz bei den regenerativen Energien auszubauen.
Darüber hinaus begrüßen wir es ausdrücklich, daß durch die sparsame und solide Haushaltsführung im Zukunftsministerium die von Minister Rüttgers angekündigte moderate BAföG-Erhöhung aus den bestehenden Haushaltstiteln finanziert werden kann.
Der Haushalt 1995 verstärkt darüber hinaus die Bemühungen im Bereich der Vorsorgeforschung, d. h. neue Aufgaben in der Gesundheits- und Umweltforschung werden im Rahmen des Programms „Gesundheit 2000" und anderen Titeln zusätzlich finanziert. Wir leisten somit einen Beitrag dazu, daß insbesondere der rasch wachsende Markt für Biotechnologie nicht an den deutschen Unternehmen vorbeigeht.
Auch andere Schlüsseltechnologien des
21. Jahrhunderts werden im Etat des Zukunftsministeriums akzentuiert, beispielsweise die Informationstechnologie und die Fertigungstechnik, die Materialforschung und die zukunftsorientierte Verkehrstechnologieforschung.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich begrüßen - auch wenn die Antragslage gelegentlich etwas anderes andeutet -, daß sich einige Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion im Rahmen der Haushaltsausschußberatungen ausdrücklich für das Transrapid-Projekt und die dafür im Etat verankerten Mittel ausgesprochen haben.
Dies ist insbesondere deswegen wichtig, weil die Bundesrepublik als Anbieter von technologischen Spitzenleistungen nur dann auf dem internationalen Markt bestehen wird - wie dies der Kollege Schanz gefordert hat -, wenn wir diese Technologien im Inland anwenden. Dies gilt für den Transrapid, aber ebenso auch für die Energietechnologien einschließlich der Kernenergie. Deswegen halten wir an Maßnahmen wie beispielsweise dem Forschungsreaktor in Garching mit voller inhaltlicher Überzeugung fest.
Ferner möchte ich betonen, daß das Zeitalter der Ideologien auch in anderen Bereichen beendet zu sein scheint. Beispielsweise bei der Raumfahrtforschung, aber auch in anderen Bereichen waren die Verhandlungen mit den übrigen Mitberichterstattern außerordentlich konstruktiv, auch wenn es Meinungsunterschiede gab. Deshalb möchte ich mich bei den Berichterstatterkollegen und dem Ministerium nachdrücklich bedanken.
Die Arbeitsaufnahme des neuen Ministeriums und des neuen Ministers wurden überaus positiv kommentiert.
Es hat zahlreiche Anregungen gegeben. Es werden sicherlich nicht alle Vorschläge von uns kritiklos übernommen, beispielsweise wie sie Herr Glotz formuliert hat. So gibt es innerhalb der Union große Skepsis, ob Studiengebühren zur Finanzierung des Hochschulwesens geeignet sind. Es hätte mich gefreut, wenn Vorschläge nicht nur in Zeitungen begründet werden, sondern wenn wir sie heute im Plenum hätten ausführlich diskutieren können.
Mir liegt auch daran, an dieser Stelle deutlich zu machen, daß Zukunftsgestaltung und -aufwendungen in diesem Bereich nicht allein Aufgabe des Staates sind. Vor diesem Hintergrund muß es sehr nachdenklich stimmen, wenn die privaten Aufwendungen aus der Wirtschaft für diesen Bereich sinken. Wir müssen daher jenseits der Haushaltsgestaltung noch mehr für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung aufwenden. Die Wirtschaft bleibt jedoch stärker gefordert.
Steffen Kampeter
Mit gänzlichem Unverständnis nehme ich in diesem Zusammenhang zur Kenntnis, was die Opposition zur Einrichtung des Rates für Forschung, Technologie und Innovation zu Protokoll gegeben hat oder gegenüber der Presse erklärt hat. Es ist schon ein schlechter Stil, wenn man ein Gremium, das gerade erst zu arbeiten angefangen hat, schon mit solch unqualifizierter Polemik überzieht, wie ich es in der Presse habe lesen müssen. Aber wenn Sie, Herr Kollege Schanz, allen Ernstes diesen Rat als ein Propagandainstrument der Bundesregierung charakterisieren, so glaube ich, unterschätzen Sie alle die dort berufenen Persönlichkeiten in ihrer Kritikfähigkeit.
So ist beispielsweise aus meinem Wahlkreis ein mittelständischer Unternehmer als Vertreter in diesen Rat berufen worden, den ich aus vielen persönlichen Gesprächen kenne. Er wird vieles machen, sich aber sicherlich nicht als Propagandainstrument instrumentalisieren lassen, sondern kritisch konstruktive Beiträge leisten, wie es mit dem Forschungs- und Technologie-, mit dem Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland weitergehen muß. Daran werden wir als Koalition weiter mitarbeiten.
Lassen Sie mich schließen. Die Zusammenlegung von zwei Ministerien bietet große Chancen, auch alte Pfründe auf den Prüfstand zu stellen, um so Gestaltungsräume für neue Aufgaben zu erwirtschaften. Haushaltsgestaltung bedeutet sinnvolles Ausgeben und nicht Sparen um jeden Preis. Deswegen haben wir in diesem Bereich noch außerordentlich viel zu tun. Wir werden im nächsten Jahr einige große Aufgaben schultern. Ein Herzensanliegen ist beispielsweise die Einführung des Meister-BAföGs. Wir werden die Zusammenführung der Hochschulprogramme und ihre Überprüfung hinsichtlich der Effizienz haben. Ich glaube, daß wir auch in der Hochschulbaufinanzierung mittelfristig zu kostengünstigeren Lösungen werden kommen müssen. Wichtig erscheint mir darüber hinaus, daß wir das System der Großforschungseinrichtungen haushälterisch auf den Prüfstand stellen oder Blaue-Liste-Einrichtungen überprüfen. Ich glaube, daß wir haushälterisch noch sehr große Gestaltungsspielräume für diesen Zukunftsetat haben. Dazu lade ich auch die Opposition recht herzlich ein. Wir werden dem Einzelplan 30 zustimmen.
Das Wort hat die Kollegin Antje Hermenau .
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kampeter, jetzt kommt ein konstruktiver Beitrag. Der Anteil des Ministeriums, über das wir hier sprechen, am Gesamthaushalt beträgt nicht 10 % oder 8 % oder 6 %, was man vermuten könnte, weil es doch ein wichtiges Ressort ist; er beträgt noch nicht einmal 4 %.
Kürzungen, meine Damen und Herren von der Koalition, können mitunter durchaus Druck ausüben, die Effizienz zu erhöhen, was Sie hier begründet haben. Aber erstens ist die Bundesrepublik Deutschland kein verarmtes Land, und zweitens inflationieren Sie diese Wahrheit, indem Sie sie ständig wiederholen, wenn Sie sich für die von Ihnen nach mir manchmal völlig unerfindlichen Kriterien vorgenommenen Kürzungen öffentlich zu entschuldigen versuchen, Herr Kampeter.
Globalhaushalte der Unis verlängern das Siechtum baufälliger Immobilien, indem man für kleinere unverzichtbare Reparaturen aus dem eigenen Budget der Uni anspart, um wenigstens neue Waschbekken zu installieren. Begrüßenswert ist, daß viele Mitarbeiter an den Unis dadurch haushälterisches Verhalten kennenlernen und die finanziellen Forderungen von seiten der Universitäten in den nächsten Jahren sicherlich diese vertiefende Erfahrung auch widerspiegeln werden. Aber Sie versuchen damit, sich Jahr für Jahr um die Finanzierung beim Hochschulneubau zu drücken, denn es ginge gerade noch so, . indem man Eimer unter die löchrigen Dächer stellt.
Vergleiche ich die Stellungnahme des Bundesrates vom 20. Januar und das, was der Wissenschaftsrat dazu sagt, dann frage ich mich, welche Räte Sie ernst nehmen, Herr Kollege Kampeter, und welche Räte nicht. Natürlich hat unser Änderungsantrag zum Reaktor in Garching damit zu tun.
Es ist sicher so, daß im Raumschiff „Bonnerprise" manche Geschichten noch nicht ganz so bekannt sind. Aber eins ist sicher: Wenn es soweit kommt, daß das Uranium an den Straßenecken in kleinen Puderdöschen verkauft wird, weil es inzwischen überall zu bekommen ist, Herr Kampeter, und wenn dann der Haarausfall bei den Kollegen einsetzt, dann reden wir weiter.
Sie wissen ganz genau, daß die versteckten und offenen Finanzmittel für die Glorie einer bayerischen Partikulargewalt aus diesem Etat bestritten werden. Auch Sie wissen das, Herr Schanz. Ich habe schon zur Kenntnis genommen, mit wieviel Mühe Sie hier versucht haben, sich darum zu drücken, erklären zu müssen, warum Sie dem nicht zustimmen können. Es ist eine Verschwendung aus dem Budget, das eigentlich für den Bau von Hochschulen zur Verfügung steht. Das muß man einmal klarstellen.
Zu der Berufsbildung in den fünf neuen Ländern haben wir folgendes zu sagen: Es gibt eine funktionierende Dualität eigentlich nur dann, wenn auch die Großbetriebe mit ausbilden. Das wissen Sie selbst. Wir hatten im letzten Jahr die Situation, daß fast ein Fünftel aller Lehrverträge im Osten subven-
Antje Hermenau
tioniert werden mußten. Sie wissen ganz genau, welche Chancen junge Leute mit einer außerbetrieblichen Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt haben. Das ist zweitklassig und wird nicht anerkannt.
Wir haben in Sachsen ein Beispiel dafür. Der Stand von Februar 1995 ist, daß von den 42 000 Bewerbern 36 000 noch nicht vermittelt sind, und es gibt sowieso bloß 17 000 Lehrstellen. Wir werden sehen, wie weit sich das bis zum Sommer noch verschiebt; wir wissen, daß immer noch ein bißchen hin und her gedreht wird. Aber im Sommer bleiben in Sachsen mindestens 6000 Leute übrig. Auch das müssen wir einmal feststellen.
Appelle an die Wirtschaft allein reichen da sicher nicht. Wir reden jetzt eigentlich über ein Problem, das Sie mit der Diskussion über die Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Hochschulbildung zu umgehen versuchen, indem Sie so tun, als könnte man mit Appellen und Wertediskussionen in der Gesellschaft etwas verändern. Aber wir leben in einem Zeitalter, Herr Kampeter, in dem die Eröffnung von Zukunfts-
und Einkommenschancen einen sehr hohen Wert für die meisten Leute darstellt, ob uns das paßt oder nicht. Daran muß sich die Diskussion doch orientieren.
In diesem Jahrhundert beginnen immer mehr Menschen zu erfahren, was es bedeutet, auf jegliche mystische Bindung im Denken zu verzichten und nur der Wissenschaft zu vertrauen. Die ethische Verwirrung nicht nur der Europäer, die daraus folgt, ist offensichtlich. Ich glaube nicht, daß Wissenschaft ein Religionsersatz ist. Aber der Verzicht auf Gott verlangt von der Wissenschaft, sich an der Neudefinition dieses Wertevakuums zu beteiligen.
Seit Dürrenmatts „Die Physiker" sollte dies eigentlich gesellschaftskritisches Allgemeingut sein. Aber Sie sparen bei der Technikfolgeneinschätzung 400 000 DM ein, und Sie werden auch die kleinen ökologischen Institute nicht auf die Liste der förderungswürdigen Institute setzen; vielleicht nächstes Jahr - wir schauen mal.
Unser zweiter Änderungsantrag - der Ihnen, Herr Schanz, so unerfindlich war - beschäftigt sich genau damit, nämlich mit der Umschichtung von Mitteln aus der Müllverbrennung hin in die Schadstoffvermeidung, was wir für sinnvoller halten, als den Müll lieb und nett zu verbrennen und dann atomisiert in die Atmosphäre zu jagen.
Die Welt verändert sich atemberaubend schnell. Früher verstanden die Großväter die Enkel nicht mehr. Die gesellschaftlichen Veränderungen spiegelten sich zwar in Familienzusammenhängen wider, aber nicht innerhalb einer Generation. Heute hat die Veränderungsbeschleunigung eher den Charakter, daß ein Mensch im Laufe seines Lebens einen oder sogar mehrere historisch- gesellschaftliche Brüche hinnehmen muß und schon mancher Dreißigjährige vor sich hin murmelt, er verstehe die Welt nicht mehr. Das ist eine enorme Anforderung, die eigentlich eines Wiederauflebens aufklärerischer Ideale bedürfte, um dem Menschen zu helfen, sich zurechtzufinden.
„Zukunftsministerium": Diesmal sei es Ihnen noch nachgesehen, Herr Rüttgers; als Sie das Haus übernahmen, war der Haushalt 1995 schon geschrieben. Aber Sie sind jetzt in der Pflicht. Wir werden gerne mit Ihnen in den Wettstreit der Ideen eintreten. Ich habe gehört, Sie haben schon einen E-Mailbox-Anschluß - willkommen im Club. An Ihren Worten und Taten werden wir Sie messen, Herr Minister. Diesem Etat können wir unsere Zustimmung natürlich nicht geben. Ich habe eben versucht, zu begründen, in welchen Einzelteilen das nicht möglich ist, in welchem gesellschaftlichen Zusammenhang das überhaupt nicht geht und wie der Name Zukunftsministerium auch in die Irre führen kann.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhardt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hätten uns gut vorstellen können, daß es in dem Haushalt weitere Steigerungen gibt. Es ist unbestreitbar, daß wir noch darüber reden müssen, auch im Laufe dieser Legislaturperiode, die Mittel im Bereich des Hochschulbauförderungsgesetzes zu steigern. Bund-Länder-Gespräche stehen bevor. Das kann man überhaupt nicht verschweigen.
Aber ich sage auch ganz deutlich: Staatliche Haushalte sind in diesem Bereich nicht alles. Auch die Notwendigkeit, staatliche Haushalte zu konsolidieren und die Fähigkeit bei anderen in der Gesellschaft zu erzeugen, in Investitionen und Forschung zu gehen, ist wichtig.
Das ist ein Punkt, der beachtet werden muß.
Eines möchte ich hier auch bemerken: Das ist der erste Haushalt - eigentlich sind es ja die nacheinandergeschalteten Haushalte von zwei Häusern, die zu einem Ressort zusammengelegt wurden - der beginnt, eine innere Philosophie zu entwickeln.
Ich will zu dieser inneren Philosophie feststellen, daß es auch einige sehr, sehr positive Entwicklungen in diesem Haushalt gibt, die man benennen kann.
Es ist eindeutig so, daß die Mittel für Forschungsförderung deutlich gesteigert worden sind,
und zwar in den wichtigen Bereichen, die ja sehr wahrscheinlich in den Querschnittstechnologien Vorläufer für Beschäftigungsverhältnisse von morgen sein werden. Bei den Umwelttechnologien gibt es eine Steigerung von über 10 %. Ebenso gibt es Stei-
Dr. Wolfgang Gerhardt
gerungen bei den Verkehrstechnologien und den Biotechnologien. Das sind überproportionale Zuwächse, die wir begrüßen. Das ist ein richtiger Weg, der hier eingeschlagen worden ist.
Wir wollen im übrigen zum Thema Forschungsreaktor hier sagen - das sage ich für die F.D.P.-Fraktion -: Diese Gesellschaft muß die Fähigkeit behalten, mit Kerntechnik umgehen zu können,
und deshalb dürfen wir diese Fähigkeit nicht durch den Abbau von Forschungsförderungsmitteln begrenzen.
Dieses Land braucht die Fähigkeit zur Entwicklung inhärent sicherer Kernreaktoren und braucht auch die Forschungsfähigkeit in Fusionsbereichen. Diese dürfen wir nicht aufgeben.
Im übrigen gilt das auch für Energiekonsensgespräche. Wenn hier über Optionen diskutiert wird, müssen wir uns im Kopf auch die Fähigkeit zur Option offenhalten, und deshalb kann das keine Angelegenheit von Portokassen und des Abschaltens von Forschungsreaktoren sein. Wir begrüßen, wenn wir auch Garching hier mit einbeziehen.
Wir begrüßen die Mitteilung des Ministers zum Thema Weltraumforschung. Meine Damen und Herren Kollegen, wir wollen schon, daß die ESA ein realistisches Konzept auf der Basis der jetzt zur Verfügung stehenden Mittel entwickelt. Wir wollen nicht dauernd damit bedrängt werden, hier Mittelsteigerungen vorsehen zu müssen. Wir wollen wissen, ob andere Nationen sich an diesem Konzept haushaltspolitisch überhaupt beteiligen können; wir wollen etwas Realistisches haben.
Wir begrüßen die Aufstockung der Mittel - das ist von den Berichterstattern gesagt worden - für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Das geht in die neuen Länder, das ist eine richtige Entscheidung. Ich bedanke mich bei unserem Haushaltsberichterstatter Jürgen Koppelin für das Engagement in diesem Bereich. Das ist eine gemeinsame Leistung der Koalition in diesem Bereich gewesen.
Das soll mehr sein als nur die 20 Millionen DM; das sind ja jetzt 140 Millionen DM.
Es geht nicht nur um die Summe; es geht um den Hinweis, daß diese Koalition - über die jahrelang diskutierten Trampelpfade im allgemeinbildenden Schulwesen und im Hochschulsystem hinausblikkend - den großen Teil der jungen Generation sieht, die über berufliche Ausbildung den Weg in eine Berufstätigkeit suchen. Das ist mehr als Gleichwertigkeit. Das ist ein Signal an die Menschen, daß wir sie schätzen, und das ist mehr, als 140 Millionen DM es ausdrücken können.
Im übrigen: Das, was hier als Meister-BAföG bezeichnet wird und was in diesem Bereich als Steigerung vorgesehen wird, aber auch vieles andere macht es aus meiner Sicht sehr vernünftig, daß wir an die Opposition appellieren, nicht noch einmal im Laufe dieses Jahres unnötig beim BAföG hin und her zu widersprechen.
4 % BAföG-Steigerung und das, was wir an beruflichen Bildungschancen vorsehen, ist ein gewaltiges Stück Leistung dieser Koalition für den Teil der jungen Generation.
Hätte die Opposition früher vorgesehenen maßvollen BAföG-Steigerungen zugestimmt, hätte die Studentengeneration heute schon mehr, als sie tatsächlich hat.
Es lohnt sich nicht, darüber ideologisch weiter zu streiten.
Die großen Wissenschaftsorganisationen erhalten weiter Mittel, die Grundlagenforschung wird gestärkt.
Eines möchte ich zum Abschluß sagen. Ich möchte bestreiten, daß die Opposition in diesem Hause glaubwürdig ist, wenn ich einmal darauf hinweise, was in Hessen vor wenigen Tagen geschehen ist. Da tritt eine amtierende Wissenschaftsministerin zurück und behauptet, die Koalitionsvereinbarung von SPD und GRÜNEN konterkariert jede Möglichkeit zur Hochschulreform. Sie stellt fest - so wörtlich -:
Ausgerechnet BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vertreten mit aller Härte eine primär fiskalisch orientierte Politik für die Hochschulen.
Sie sagt: Für Studentinnen und Studenten in I lessen ist dies wissenswert. - Ich meine: auch darüber hinaus. Die Anträge der GRÜNEN sind für mich unglaubwürdig, weil sie in Koalitionsverhandlungen in den Ländern einen Abbau von Mitteln im Hochschulsystem vorsehen.
Nur hier können Sie, Herr Fischer, noch vorgeben, Sachwalter der jungen Generation zu sein.
Ich sage Ihnen: Die Auffassung, die Sie in Hessen bezüglich hochschulpolitischer Aktivitäten vertreten, macht Sie unglaubwürdig.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Es geht um den ersten Haushalt des Zukunftsministeriums. Daß nicht alle Ansätze die Höhe erreichen, die man sich vorgestellt hat, ist richtig; die Richtung aber stimmt. Deswegen stimmen wir ihm zu.
Das Wort hat der Kollege Dr. Elm .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hat der Geburtstag eines Schriftstellers mit der Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik dieses Landes zu tun? Er hat ziemlich viel damit zu tun, wenn es sich um den 100. Geburtstag eines Autors handelt, der im rechtsextremen Spektrum der Weimarer Republik einflußreich an der ideell-politischen Vorbereitung der faschistischen Diktatur und des opferreichsten Krieges der Weltgeschichte teilgenommen hat, jener Verbrechen und Tragödien also, an deren Beendigung vor 50 Jahren in den nächsten Wochen weltweit mit Schmerz und Trauer erinnert wird. Er hängt noch mehr damit zusammen angesichts des Skandals, daß sich heute politische Repräsentanten der Bundesrepublik, darunter sinnigerweise Theodor-Maunz - Schüler und Preisträger der rechtskonservativen Deutschland-Stiftung, in Wilflingen als Gratulanten an einer Demonstration der Unbelehrbarkeit in Belangen der Geschichte, der Demokratie und der Menschlichkeit
beteiligen und wiederum Zeichen für Fehlorientierungen des historisch-politischen Selbstverständnisses und Handelns setzen.
Die Ausgestaltung nahezu auf der Ebene eines Staatsaktes muß Anlaß sein, heute auch in diesem Haus einige kritische Bemerkungen zu machen.
Ja, es geht um Ernst Jünger. Es geht um deutsche Geschichte, um Krieg und Soldatentum, um Scheitern oder Gefährdung der Demokratie in Deutschland,
um Wertauffassungen in Bildung, Wissenschaft und Kultur.
Jener Jünger soll der Held dieses Tages sein, der 1921 etwas Zauberhaftes und ein tiefes Gefühl der Heiterkeit empfand, als eine Maschinengewehrsalve einen Demonstrationszug von der Bildfläche verschwinden ließ, der 1930 erklärte, daß für den Juden
auch der leiseste Wahn, Deutscher sein zu können, unvollziehbar werde und er sich vor seiner letzten Alternative sehen müsse, in Deutschland Jude zu sein oder nicht zu sein,
und der schließlich rückblickend 1982 die kriegswirtschaftliche Unzweckmäßigkeit der Judenvernichtung beklagte, da sie auch im volkswirtschaftlichen Sinn absolut schädlich gewesen sei - wörtlich:
Wenn ich an die ungeheuren Mengen von Wagen, von Güterzügen, Truppen usw. denke, die dafür benötigt wurden, das war doch irrsinnig.
Das habe auch zum ökonomischen und strategischen Verlust des Krieges beigetragen.
Konfrontiert mit den verlogenen Szenen des heutigen Tages ist daran zu erinnern, daß der Schriftsteller Jünger durch jenes völkische, nationalistische, soldatische und demokratiefeindliche schriftstellerische Wirken der 20er und 30er Jahre namhaft wurde und blieb, das das Nazitum und die Kriegsvorbereitung förderte. So umstritten seine literarische und philosophische Qualität stets war, blieb er unübersehbar der autoritären und elitären Arroganz seiner Gesellschafts- und Geschichtsbetrachtung treu.
Der Jünger-Kult ist die Fortsetzung von Bitburg und des Historikerstreits mit den Mitteln der Literatur. Er erschließt den Zynismus als Ethik des nationalen und internationalen Krisenmanagements. Es ist nicht nur die rechtsextreme „Junge Freiheit", die sich auf die Rückkehr zu den ärgsten geistigen Ursprüngen der konservativen Revolution hin orientiert, wie wir an diesem Tag erleben.
Uns veranlaßt dies, von der Bundesregierung eine definitive Absage an militärische Weltraumforschung, ein Konzept des Abbaus der Rüstungsforschung und des Ausschlusses der militärischen Verwertbarkeit sonstiger wissenschaftlich-technischer Resultate zu verlangen. Wir wenden uns erneut gegen den Abbau der Friedens- und Konfliktforschung, der im Gegenteil eine spürbar verstärkte Förderung zuteil werden muß.
Die Aufwendungen für die Biotechnologie sind in ihrer Gesamtheit offenzulegen, und die kritische öffentliche Kontroverse, insbesondere um die Gentechnologie, ist fortzuführen, um durchschaubare und kontrollfähige Rahmenbedingungen für deren perspektivische Entwicklung festzulegen.
In den Reden des Bundesministers ging es bergab bis zum haushaltskonformen Argumentationsstil. Wir haben das in seinen Positionen zur BAföG-Diskussion erlebt. Wir stellen fest:
Wer eine Hochschulreform durch faktische Kürzungen beim BAföG befördern will, der handelt verantwortungslos.
Dr. Ludwig Elm
Wer den sozialen Status von Nachwuchswissenschaftlern auf Sozialhilfeniveau ansiedelt - wie wir dieser Tage aus einem Brief Potsdamer Doktoranden erfahren haben -, gibt zu erkennen, welchen Stellenwert er der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses einräumt.
Wer die chronische Unterfinanzierung des Hochschulbaus festschreibt, sagt etwas über seine Haltung zur Überlast an den Hochschulen aus.
Wer die Lehrstellenkatastrophe Ost und den sich abzeichnenden Lehrstellennotstand West durch Appelle an die Wirtschaft beheben will, stiehlt sich aus der Verantwortung.
Herr Kollege Dr. Elm, achten Sie auf die Zeit. Sie ist abgelaufen.
Ich stelle abschließend stichwortartig fest: Im Etat fehlen ausreichende öffentliche Mittel für Ökologie, erneuerbare Energien, Minimierung des Energieeinsatzes, Verkehr, Technik und Technologiefolgenabschätzung.
Um den Kreis zu schließen: Ernst Jünger gewinnt in unserer Zeit eine neue Anziehungskraft mit seinem elitären Zynismus, der manchem für die Bewältigung der anstehenden sozialen Probleme angemessen erscheint.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Lenzer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist verständlich, daß es bei einer Haushaltsdebatte nicht ganz ohne Zahlen geht. Aber da Kollege Kampeter aus der Sicht unserer Fraktion schon auf die Beratungssituation im Haushaltsausschuß hingewiesen hat, will ich sagen: Ich hatte den Eindruck - wie es auch Kollege Schanz am Anfang seiner Rede gesagt hat -, daß dort ein viel höheres Maß an Übereinstimmung in manchen Punkten besteht als vielleicht in anderen Fachausschüssen. Ich wünschte mir das manchmal in unserem Ausschuß - das Stichwort Transrapid ist hier genannt worden. Das ist eine Möglichkeit, an die man anknüpfen kann.
Ich will mich deswegen an den Zahlenspielen überhaupt nicht beteiligen. Mit einem Haushalt von 15,526 Milliarden DM haben wir eine Fülle von Chancen, wenn wir sie nur wahrnehmen.
Wir müssen einmal von der kurzsichtigen Betrachtung wegkommen, man brauche nur viel Geld auszugeben, um gleichzeitig auch eine erfolgreiche Bildungs- und Forschungspolitik zu machen. Herr Kollege Elm, so einfach kann man es sich nicht machen, daß man einen Änderungsantrag stellt, um die
BAföG-Titel von 2 Milliarden DM auf 4 Milliarden DM zu erhöhen. Das muß man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das ist doch unseriös.
Von den Ländern, soeben von Hessen, war schon die Rede. Ich könnte jetzt auf Niedersachsen Bezug nehmen, wo der Herr Ministerpräsident Schröder sich in Hannover gegen Demonstrationen wehren muß, bei denen ihm vorgeworfen wird, im Bereich der Bildung und der Hochschulen voll ins Fleisch hineinzuschneiden. Das machen die doch alle nicht, um die Leute zu ärgern, sondern weil einfach nicht mehr Geld zur Verfügung steht.
Meine Damen und Herren, trotzdem sind die Akzente korrekt und richtig gesetzt. Aus- und Neubau von Hochschulen wird mit 1,8 Milliarden DM im Haushalt ausgewiesen.
Natürlich brauchten wir hier wenig Phantasie, um auch noch weitere 300, 400 oder 500 Millionen DM zu verbauen. Aber man kann doch einfach nicht zaubern und muß der Haushaltslage Rechnung tragen.
Lassen Sie mich zum Inhalt des Bildungsbereichs noch einige Schwerpunkte nennen. Da ist die Strukturreform im Hochschulbereich, mit der wir uns einmal beschäftigen müssen. Der Minister wird sich sicherlich dazu äußern. Die Bund-Länder-Hochschulbaufinanzierung sollte überhaupt auf eine neue Grundlage gestellt werden. Sie sollte sich konzentrieren. Sie sollte neu geordnet werden.
Die Hochschulsonderprogramme - das ist von der Bundesregierung bereits angekündigt worden - werden mit dem WIP und dem HEP, dem Hochschulerneuerungsprogramm, in eine gemeinsame Initiative eingebracht. Auch das ist eine wichtige Aufgabe, ebenso wichtig wie die Stärkung der Attraktivität der beruflichen Bildung, z. B. die Öffnung der Hochschulen für qualifizierte Bewerber auch ohne Abitur.
Nicht zuletzt hat auch der Minister angekündigt - dafür sind wir dankbar, und dabei unterstützen wir ihn besonders, daß er noch in diesem Jahr eine Initiative zur Meisterförderung, zur Aufstiegsfortbildung im gewerblichen Bereich vorlegen wird.
Auch im Haushaltsbereich des ehemaligen Ministeriums für Forschung und Technologie hat z. B. die Grundlagenforschung jetzt einen Anteil von 17,3 %. Niemand wird uns also vorwerfen können, daß hier nicht genug Investitionen, nicht genug Betriebsmittel zur Verfügung stünden. Aber auch die Grundlagenforschung - das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen - wird sich in Zukunft kritische Fragen gefallen lassen müssen. Es kann nicht angehen, daß bestimmte Prozentsätze ad infinitum fortgeschrieben werden. Vielmehr muß man da angesichts der Haushaltslage genau hinschauen.
Christian Lenzer
Ich will nicht im einzelnen auf den Aufwuchs etwa im Bereich der Vorsorgeforschung, der Gesundheitsforschung, der ökologischen Forschung, der Klima- und Umweltforschung eingehen. Ich möchte auf die Umwelttechnologie verweisen, die gerade für unser Land zu einem Exportschlager zu werden scheint. Es wird jetzt auch ein entsprechendes Transferinstitut in Leipzig geben; wir haben uns im Fachausschuß vor kurzem damit beschäftigt.
Das geht bis hin zu der sehr starken Betonung der Schlüsseltechnologien, die für unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sind. Ich nenne hier nur die Multimediatechnik, wo ebenfalls dieser Minister zum erstenmal eine solche Initiative ergriffen hat. Er hat sie jetzt auf der Cebit in Hannover vorgestellt. Das geht weiter über die Materialforschung bis hin zur Biotechnologie und zum bodengebundenen Transport und Verkehr.
Natürlich bleibt der Ausbau der wissenschaftlichen Infrastruktur in den neuen Bundesländern eine herausragende Aufgabe der Zukunft.
Lassen Sie mich auch folgendes sagen: Wir freuen uns, daß einer unserer Wünsche jetzt in Erfüllung gegangen ist, nämlich daß der Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik beim Regierungschef, beim Bundeskanzler selbst, also quasi als Chefsache in Gang gekommen ist.
Wir versprechen uns davon ganz konkrete Vorschläge. Die Mitglieder - ich möchte sie in Schutz nehmen; sie haben es nicht verdient, daß sie hier von einigen abqualifiziert werden - sind herausragende Wissenschaftler, sind herausragende Wirtschaftsführer, die nicht nur schwadronieren, sondern eine wirtschaftliche Praxis aufzuweisen haben. Wir erwarten sehr viel an gutem Rat.
Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein: Helfen Sie mit, die Innovationsgeschwindigkeit zu erhöhen! Helfen Sie mit, Märkte zu erschließen! Ich fordere die Opposition auf, überall vor Ort, wo sie gefragt ist - auch etwa im Bereich der Kernenergie inklusive der Anlagen des Brennstoffkreislaufs, bei der Gentechnik, beim Transrapid, beim Forschungsreaktor München II -, mitzuhelfen. Dies alles sind ganz wichtige Investitionen für die wissenschaftlich-technische Infrastruktur.
Helfen Sie da mit, und verunsichern Sie nicht die Bevölkerung! Das wäre ein wichtiger Beitrag, den wir alle leisten müssen. Lassen Sie uns nicht immer die Chancen negieren und die Risiken überbetonen! Sonst machen unsere Wettbewerber das Geschäft, und wir haben hier bei uns im Land die Diskussionen.
Ich möchte mit einem Zitat schließen, das der Bundeskanzler in der Regierungserklärung am 23. November gebracht hat:
Ohne positive Einstellung der Gesellschaft zu
wissenschaftlich-technischem Fortschritt kann
der Wohlstand in Deutschland nicht dauerhaft
gesichert werden. Wer z. B. Chemie, Gentechnologie oder Kernenergie verteufelt, verkennt die großen Chancen einer ethisch verantworteten Nutzung dieser Möglichkeiten.
Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen. Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.
Ich begrüße zuerst einmal Herrn Diller und will ihm erklären, warum ich in der letzten Reihe sitze: Ich sitze nämlich gerne bei netten Menschen; deshalb sitze ich so selten neben Ihnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß jetzt ein bißchen Leben hereinkommt. Es war ja schon etwas schwierig für mich, festzustellen, was ich jetzt sagen soll, nachdem so viel kritische Solidarität und so viel Lob zu unserer Arbeit diese Diskussion geprägt hat.
Meine Damen und Herren, wir bemühen uns im neuen Ministerium sehr, uns mit den Zukunftsfragen auseinanderzusetzen, obwohl es natürlich eine Vielzahl von Problemen gibt, die zu lösen sind. Es ist auch ganz sicher nicht so, daß wir alles das, was wir uns vorgenommen haben, schon umgesetzt hätten. Aber wir führen hier ja eine Haushaltsdebatte, und ich bin sehr dankbar, daß kaum noch kritisiert worden ist, daß der Haushalt meines Ministeriums im Konzert der Haushalte schlecht weggekommen sei. Sie kennen mein Glaubensbekenntnis: Wer Zukunft gestalten will, muß mit öffentlichen Finanzen sorgsam umgehen.
Deshalb ist es richtig, was Theo Waigel macht, daß er die Konsolidierungspolitik fortsetzt. Deshalb ist es aber auch richtig, daß Prioritäten gesetzt werden, und dies gerade im Bereich von Forschung und Entwicklung, wo es ja einen überproportionalen Anstieg um 2,7 % gibt.
Meine Damen und Herren, Zukunftspolitik ist ja nicht nur eine Frage des Geldes, sondern wahrscheinlich liegt ein besonderer Ansporn darin, in Zeiten knapper Kassen mit dem Geld optimal umzugehen. Wir haben uns in den ersten Monaten sehr darum bemüht, mit den Mitteln unseres Ministeriums strukturelle Veränderungen zu bewirken, und zwar im Verfahren wie im Mitteleinsatz.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich sehr herzlich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses bedanken, die im Rahmen ihrer Kürzungs-
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
bemühungen den Etat für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie von Kürzungen ausdrücklich ausgenommen haben. Ich werde mich auch im laufenden Haushaltsjahr bemühen, dies durch einen optimalen Mitteleinsatz zu rechtfertigen, und ich glaube, daß uns dies in der einen oder anderen Frage auch schon beispielhaft gelungen ist.
Wie Sie wissen, sind wir alle stolz darauf, daß wir in Genf mit CERN ein europäisches Kernforschungszentrum haben, das weltweit anerkannt ist. Es war notwendig, hier zu weiteren Investitionen in Milliardenhöhe zu kommen, die die Arbeit dieses Forschungszentrums bis ins nächste Jahrtausend hinein sicherstellen. Wir haben hier einen Weg beschritten, der dazu geführt hat, daß den Physikern neue Arbeitsmöglichkeiten eröffnet werden und trotzdem Kosteneinsparungen von insgesamt 1,4 Milliarden DM erzielt werden können. Das, meine Damen und Herren, ist einer der Wege, wie man nach meinem Dafürhalten Forschungs- und Technologiepolitik angehen soll.
Wir haben zum zweiten - da möchte ich denjenigen widersprechen, die hier gesagt haben, es bedürfe staatlicher Lenkung - versucht, bei dem zentralen Problem der beruflichen Bildung in diesem Jahr einen Schwerpunkt zu setzen. Es gibt eine neue Lehrstelleninitiative, und ich bin der deutschen Wirtschaft für ihre Selbstverpflichtung dankbar, die sicherstellt, daß wir in diesem Jahr 600 000 Ausbildungsplätze erreichen werden, so daß jeder junge Mann und jede Frau, die wollen und können, auch einen Ausbildungsplatz finden. Dafür sind wir dankbar.
Meine Damen und Herren, wir haben dies mit qualitativen Veränderungen begleitet, weil wir die berufliche Bildung stärken wollen. Ich nenne hier wirklich nur summarisch die Neuordnung der Ausbildungsberufe, die in zwei Jahren abgeschlossen wird, die Ausbildungsplatzverbünde und Ausbildungsplatzentwickler vor allen Dingen in den neuen Bundesländern sowie unsere Maßnahmen für mehr Durchlässigkeit und Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung. Last not least nenne ich das Konzept zur Aufstiegsfortbildung für Meister und mittlere Führungskräfte.
Meine Damen und Herren, wer schon anwesend war, als hier eben der Etat für Arbeit und Soziales diskutiert worden ist, der hat eine mehr als merkwürdige Rede des Kollegen Schreiner - so heißt er, glaube ich - gehört.
Dieser Kollege hat versucht, gleichsam im Rundumschlag sich auch mit Technologiepolitik zu beschäftigen, und u. a. ein Vollbeschäftigungskonzept der Bundesregierung verlangt. Es ist schon mehr als merkwürdig, wenn hier jemand, der in der Vergangenheit gegen alles, was es an neuen Technologien gegeben hat, sei es im Bereich Transrapid, sei es im
Bereich Gentechnik, sei es im Bereich Kernenergie, gestimmt und polemisiert hat, jetzt plötzlich vom Saulus zum Paulus wird und als Befürworter neuer Technologien auftritt.
Konkrete Schritte sind notwendig. Dies bedeutet, daß wir mit diesem - wie es im Volksmund heißt - Meister-BAföG nicht nur eine Stärkung der beruflichen Bildung erreichen, sondern gleichzeitig einen Beitrag dazu leisten, daß die 200 000 Handwerker und die 500 000 klein- und mittelständischen Unternehmer, die in den nächsten Jahren einen Nachfolger suchen, diesen auch finden. Denn dies ist nicht nur eine Frage der beruflichen Bildung, sondern es ist auch eine Frage der Sicherung der Arbeitsplätze und der Sicherung des Standorts Deutschland, vor allen Dingen im mittelständischen Bereich.
Christian Lenzer und andere haben die BAföG-Erhöhung schon angesprochen. Ich will dies wegen der Kürze der Zeit jetzt nicht tun. Auch haben wir das schon vor 14 Tagen diskutiert.
Ich bin mir darüber im klaren, daß es in den nächsten Monaten und Jahren noch Erhebliches zu tun gibt, um die Überlast an unseren Hochschulen zu beseitigen oder zumindest zu mindern. Deshalb habe ich vor, in den nächsten Wochen und Monaten Gespräche mit den Ländern über eine Novellierung des Hochschulbauförderungsgesetzes aufzunehmen, um auch hier den Mitteleinsatz zu optimieren. Es kann nicht richtig sein, daß wie im Haushalt 1995 die Mittel für den Hochschulbau um 120 Millionen DM erhöht werden, ohne daß dies überhaupt jemand zur Kenntnis nimmt, ohne daß das überhaupt eine Auswirkung in der Diskussion hat. Es kann auch nicht richtig sein, daß wir auf der einen Seite über Multimedia diskutieren und auf der anderen Seite bei den Ländern überhaupt keine Vorstellungen vorherrschen, was denn diese neuen Techniken etwa im Hochschulbau für Veränderungen in der Konzeption, in der Bauplanung und in der Umsetzung zur Folge haben.
Steffen Kampeter hat die Bedeutung der Bemühungen in den neuen Bundesländern für die Bildungs- und Forschungslandschaft herausgestellt. Wir bleiben dabei: Die Arbeit in den neuen Bundesländern wird kontinuierlich fortgeführt. Der BMBF wird 1995 rund 3 Milliarden DM für die neuen Bundesländer bereitstellen.
Es gibt eine neue Zahl, die mich freut. Wir sind da noch nicht über den Berg, aber es könnte eine Trendwende sein. Sie wissen, daß im Bereich des nationalen Forschungsbudgets die Mittel der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung leider in den alten Ländern auch 1994 rückläufig sind. Aber ich bin froh darüber, daß von 1993 auf 1994 die Mittel der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung in den neuen
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Bundesländern von 1,54 Milliarden DM auf 1,6 Milliarden DM gestiegen sind. Ich hoffe, daß dies eine Trendwende ist. Für mich ist es ein Signal, daß wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg sind.
Einer der Punkte, die wir auch in den neuen Bundesländern immer in den Mittelpunkt unserer Arbeit gestellt haben, war die Hilfe für junge technologieorientierte Unternehmen. Gerade junge technologieorientierte Unternehmen brauchen die Chance, aus Ideen Produkte zu entwickeln. Deshalb habe ich vor einem Monat das neue Programm „Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen" mit 110 Millionen DM Steuergeldern vorgestellt. Ich hoffe, daß es uns damit gelingt, Beteiligungskapital von rund 900 Millionen DM für Leute mit Ideen, für Leute mit Wagemut zu mobilisieren. Verehrter Kollege Schanz, Ihre Bemerkung, ich möge aufpassen, daß hier kein Subventionstopf entsteht, müssen Sie mir bei Gelegenheit noch erklären, vor allen Dingen nachdem ich von Ihrem Kollegen Jens gehört habe, daß er diese Initiative ausdrücklich begrüßt.
Wenn es gelingt, mit optimiertem Mitteleinsatz mehr für Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie zu erreichen, dann ist es auch ganz wichtig, daß wir uns über die Instrumentarien dieser Politik Klarheit verschaffen. Wir haben diese Veränderungen erreicht, weil wir uns eben nicht in Kommissionen und Verordnungen verfangen haben, sondern wir gesagt haben: Wir packen etwas an. Wir haben Mut zur Zukunft. Wir handeln, statt zu reden, und wir sagen offen, was mit knappen Mitteln geht und was nicht geht.
Ich hoffe sehr, daß die anderen Fraktionen dieses Hohen Hauses diese Veränderungen in der Politik noch mitmachen können, daß sie aufhören, immer nur vom Staat mehr Geld zu fordern, oder daß sie wie die GRÜNEN immer nur von Risiken reden und den Ausstieg propagieren, statt zusammen Schritte für eine gute Zukunft zu unternehmen.
Wenn Frau Kollegin Hermenau eben vorgetragen hat, daß es manchen Menschen sicherlich schwerfällt, die schnellen Entwicklungen und Veränderungen zu verarbeiten, und, wie sie formuliert hat, mancher 30jährige die Welt nicht mehr versteht, dann, verehrte Frau Kollegin Hermenau, scheinen Sie in der Fraktion der GRÜNEN besonders viele von diesen versammelt zu haben.
Wer Ausstiegsszenarien vertritt, wer nur auf staatliche Lösungen setzt, ist zu zukunftsträchtigen Lösungen unfähig, weil Antworten nur durch Innovation und vernetztes Denken zu finden sind.
Deshalb ist es auch richtig - Christian Lenzer hat darauf hingeweisen -, daß wir im Bereich der Weltraumpolitik jetzt versuchen, eine Umsteuerung im Verfahren vorzunehmen.
Ich erwarte Antworten von der ESA auf den Brief, den der französische Kollege Rossi und ich der ESA übermittelt haben. Wir erwarten von der ESA, daß die Planungen für die internationale Raumstation überprüft werden.
Ich bin froh, meine Damen und Herren, Ihnen sagen zu können, daß die übrigen ESA-Mitgliedsstaaten diese Initiative begrüßt haben. Mehr als vier Milliarden DM kann Europa bis zum Jahr 2000 für sein internationales Engagement in der bemannten Raumfahrt nicht ausgeben.
Um es klar zu sagen: Ich will ein zuverlässiger Partner beim Projekt der internationalen Raumstation bleiben. Wir haben diese Haltung in der ESA-Ratssitzung vergangene Woche nochmals bekräftigt. Aber ich sage ebenso klar, daß die bisherigen Antworten der ESA unbefriedigend sind.
Ich erwarte von der Europäischen Raumfahrtbehörde:
Erstens. Wir brauchen ein finanzierbares und inhaltlich überzeugendes Konzept, das die industriellen Interessen der europäischen Partner berücksichtigt.
Zweitens. Ein substantieller europäischer Beitrag zur internationalen Raumstation setzt die Solidarität und das Engagement aller ESA-Mitgliedstaaten voraus. Hier muß die ESA aktive Überzeugungsarbeit leisten.
Drittens. Für die langfristigen Betriebs- und Nutzungskosten erwarte ich einen belastbaren Rahmen und eine faire Aufteilung zwischen den europäischen Partnern.
Die ESA kennt unsere Anforderungen. Bislang habe ich allerdings nicht den Eindruck, daß sie die Brisanz dieser Fragen und dieses Anliegens vollständig erkannt hat und mit dem notwendigen Nachdruck arbeitet.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ich erwarte von der ESA, daß sie in den nächsten Monaten - spätestens bis zur Ministerkonferenz im Oktober - durch ein aktives Engagement eine konsensfähige Lösung vorbereitet. Sonst werden wir auch über das Management in europäischen Raumfahrtangelegenheiten diskutieren müssen.
- Lieber Herr Catenhusen, wir zwei kennen uns jetzt seit 1987. Wir haben schon lange darüber diskutiert. Ich sage es noch einmal: Schreiben Sie das Buch über die Vergangenheit, ich schreibe das Buch über die Zukunft. Das ist eine gute Aufgabenverteilung.
In vielen Bereichen haben wir in der Zukunft erhebliche Veränderungen zu erwarten. Das gilt für die neuen Technologien, das gilt für die Informations-und Kommunikationstechnologie, das gilt für die Bio- und Umwelttechnologie. Das sind zum Teil revolutionäre Veränderungen, die auch von den Menschen nachvollzogen werden müssen. Deshalb ist auch die offene Diskussion über diese neuen Technologien, z. B. über die Gentechnik, wichtig.
In der Gentechnik steckt ein riesiges ökonomisches Potential, das wir auch zur Sicherung unserer Arbeitsplätze einsetzen müssen. Wir haben jetzt mit der Novellierung des Gentechnikgesetzes und der Novellierung der Gentechniksicherheitsverordnung die Rahmenbedingungen entscheidend verbessert. Wir haben europäisches Niveau erreicht.
Ich sage das auch in Richtung derer, die in diesen Tagen auf Bilanzpressekonferenzen Bemerkungen zu diesem Thema machen. Wer meint, es müsse im Bereich der Rahmenbedingungen noch etwas verändert werden, der soll das klar benennen. Er soll aber nicht seine betriebswirtschaftlichen, seine ökonomischen Entscheidungen, die wir zu akzeptieren bereit sind, damit begründen, daß die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Es ist nicht die Aufgabe der Politik, die Schuld dafür zu übernehmen, wenn aus ökonomischen Zwängen betriebliche Entscheidungen erforderlich sind.
Meine Damen und Herren, es gibt Bereiche, in denen wir weltweit führend sind, etwa im Bereich der Umwelttechnologien. Wir werden dafür im Haushalt 1995 fast 300 Millionen DM einsetzen. Es zeigt, daß es Bereiche gibt, wo wir auch in bezug auf die Arbeitsplätze wirklich etwas einzubringen haben. Aber, meine Damen und Herren, es kommt darauf an, schon jetzt zu erkennen, was in den nächsten Jahren notwendig ist. Deshalb werden wir insbesondere Maßnahmen für den produktionsintegrierten Umweltschutz unterstützen.
Antoine de Saint-Exupéry hat einmal gesagt: Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen. Dies ist unsere gemeinsame Aufgabe. Der Haushalt 1995 leistet dazu einen Beitrag.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Dazu liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/968? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/969? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/886?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/887?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU, der F.D.P. und der SPD - dort bei einer Enthaltung - gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/953? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/954? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei einigen Enthaltungen aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Drucksachen 13/517,13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby Ina Albowitz
Siegrun Klemmer
Andrea Fischer
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Siegrun Klemmer .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lobbyistin und Verfechterin für die Interessen der Familien, Senioren, Frauen und Jugendlichen zu sein, darin sehe ich meine Aufgabe als Ministerin. Gerade die sozial Benachteiligten unter diesen Menschen dürfen in unserer Gesellschaft nicht zu kurz kommen.
Das hört sich gut an. Es ist ein Zitat aus den politischen Schwerpunkten der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, gesprochen in der 13. Legislaturperiode, am 21. Februar dieses Jahres.
Allerdings hält dieser begrüßenswerte Vorsatz beim Blick auf seine finanzpolitische Umsetzung im Einzelplan 17 der Nachprüfung überhaupt nicht stand.
Dabei könnten die Voraussetzungen in bezug auf Ihre Person, Frau Ministerin, eigentlich besser gar nicht sein: Eine junge Frau, Mutter mit einer qualifizierten Ausbildung als Diplomingenieurin, mit den speziellen Erfahrungen von Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR - sollte man meinen - ist bestens geeignet, neue Akzente in der Politik für Kinder, Jugendliche, Frauen, Familien und die ältere Generation zu setzen.
Doch leider, ebenso wie Ihre Vorgängerinnen seit 1981, halten Sie an einer Politik fest, die in weiten Teilen der gesellschaftlichen Realität in Deutschland überhaupt nicht Rechnung trägt.
- Ich werde es Ihnen gleich entwickeln, Herr Kollege; seien Sie doch nicht so ungeduldig.
Ihr Familienbild ist konservativ geprägt. Frauen sind in erster Linie Mütter. Die immer größer werdende Zahl junger Leute, die nach ihren eigenen Werten, eigenen Verhaltensmustern, bis hin zu Kleidung und Musik, leben, kommt bei Ihnen nicht vor. Experimentelle Ermutigungen, das Neuausprobieren da, wo Herkömmliches möglicherweise nicht mehr unbedingt funktioniert, das geht von Ihnen nicht aus. Nicht einmal der Aufgabe einer sozusagen kompensatorischen Auffangstelle für das, was in den anderen Ministerien versäumt wird - die Notwendigkeit dazu ist in der Debatte heute des öfteren zur Sprache gebracht worden -, werden Sie gerecht.
In der ersten Lesung des Haushalts sprachen Sie, Frau Ministerin, angesichts eines Haushalts von rund 33 Milliarden DM für 1995 von einer guten Grundlage für erfolgreiche Arbeit. Sie wissen aber ganz genau, daß von diesen 33 Milliarden DM 30 Milliarden DM auf gesetzliche Leistungen entfallen. Es bleiben also nach deren Abzug lediglich 3 Milliarden DM als sozusagen frei verfügbare Masse, die den politischen Gestaltungsspielraum Ihres Ministeriums bestimmen könnte. Hier von einer guten Grundlage zu sprechen, halte ich angesichts der Fülle von Problemen und Aufgaben, die allein der letzte Jugendbericht aufgezeigt hat, schlichtweg für falsch,
ganz abgesehen davon, daß Sie nicht einmal diesen geringen Handlungsspielraum nutzen.
Die geringfügige Erhöhung des Gesamtetats ist angesichts der Preissteigerungen und der enormen Aufgaben in den neuen Ländern daher nicht der Rede wert. Der Etat jedenfalls deutet von neuer Prioritätensetzung nichts an.
Über die mögliche Effizienzsteigerung, die die Zusammenlegung der beiden Ministerien bedeuten könnte, möchte ich heute noch kein Urteil abgeben. Die Zahlen und die Unterlagen dazu haben die Berichterstatter relativ spät bekommen. Ich möchte dem neuen Ministerium in der zusammengelegten Form zumindest eine Chance geben; darüber können wir in einem halben Jahr reden.
Lassen Sie mich zu Beginn ein Beispiel anführen, das besonders verdeutlicht, wie groß der Unterschied zwischen Worten und Taten ist, ein Beispiel, daß das konservative Leitbild Ihres Ministeriums symptomatisch widerspiegelt.
Siegrun Klemmer
Bereits 1988 hat die CDU auf ihrem Bundesparteitag eine große Aufklärungskampagne zum Schutz des ungeborenen Lebens beschlossen. Diese Kampagne hat bis heute nicht stattgefunden. Das haben auch Sie, Frau Ministerin, mittlerweile erfreulicherweise bekannt. Doch mit der Feststellung geben Sie sich dann auch zufrieden.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangeren- und Familienhilfegesetz ist der Bund für die Aufklärung, sind die Länder für die Beratung verantwortlich. Nach unwidersprochener Schätzung von Experten und Sachverständigen sind dafür jeweils 20 Millionen DM jährlich notwendig. Der Ansatz bei Ihnen betrug kümmerliche 6 Millionen DM. Die Koalition hat gegen unseren Antrag, die Mittel zu erhöhen, gestimmt - und das, obwohl unser Vorschlag haushaltspolitisch seriös war und ein erster wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg gewesen wäre,
der Prävention endlich die Bedeutung zukommen zu lassen, die von wissenschaftlicher Seite international gefordert und die ihr auch durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zugewiesen wird. Sie haben sozusagen in letzter Minute den Etat um 1 Million DM erhöht, obwohl auch Ihnen genau bekannt ist, daß diese Summe bei weitem nicht ausreicht, damit die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihrem Auftrag gerecht werden kann.
Es ist uns zwar gelungen, den Titel „Informationsprogramm Zukunft der Familie", in dem Sie sage und schreibe 14 Millionen DM veranschlagt hatten, zu kürzen. Bedauerlicherweise waren Sie nicht bereit, die eingesparten Mittel der gesundheitlichen Aufklärung zukommen zu lassen.
Hier wird Ihre Haltung zu § 218 nur allzu deutlich, Frau Ministerin. Es wird erklärbar, daß Sie in den Präventionsbereich offensichtlich nur widerwillig investieren wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das von der Koalition Anfang März beschlossene Modell zum Familienlastenausgleich ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und konnte bei erstem Hinsehen durchaus überraschen, da sich der Vorschlag dem argumentativ überzeugenden 250-DM-KindergeldModell meiner Fraktion nähert. Ohne den ständigen Druck von seiten der SPD wäre diese neue Weichenstellung sicherlich nicht möglich gewesen.
Ihr Ziel aber, Frau Ministerin, das Sie in einer Presseerklärung vom 21. Februar formulierten, einen gerechten Kinderlastenausgleich zu schaffen und das
heutige System der Familienförderung zu vereinfachen, haben Sie mit der vorgelegten Regelung verfehlt.
Die Bundesregierung läuft mit ihrem Modell weiter dem Verfassungsgerichtsurteil hinterher, indem sie nicht einmal das erreicht, was die gesetzlich vorgeschriebene Freistellung des Existenzminimums gebietet, weil seit dem Urteilsspruch vor vier Jahren der Geldwert mittlerweile um ein Sechstel geschrumpft ist. Sie müßten hier sofort nachbessern.
Nach wie vor ist Ihr Vorschlag nicht sozial gerecht; denn das Modell hält weiterhin an einem steuerlichen Kinderfreibetrag fest und entlastet somit Spitzenverdiener deutlich stärker als Gering- und Mittelverdiener. Auch ist die effektive Entlastung bei genauer Betrachtung nicht so hoch, wie von Ihnen angegeben. Einschließlich der Entlastung aus dem Kinderfreibetrag bzw. dem Kindergeldzuschlag ergibt sich aus Ihrem Vorschlag höchstens folgende Entlastung: für das erste Kind 65 DM, für das zweite 5 DM, für das dritte und vierte Kind häufig sogar weniger als bisher. Bei allen weiteren Kindern führt die vorgeschlagene Regelung sogar zu einer Verschlechterung von mindestens 5 DM. Vollends unakzeptabel ist die Entlastung von Spitzenverdienern von bis zu 277 DM. Rund gerechnet ergibt sich als tatsächliche Fördersumme pro Familie der stolze Betrag von 26,25 DM monatlich.
Die Öffentlichkeit, Frau Ministerin,
aber vor allen Dingen die Familien werden Ihnen nicht abnehmen, daß Sie mit diesem Betrag der großen gesellschaftlichen Leistung der Familien gerecht werden, der Familien, einer soziologischen Gruppe, deren wichtigen gesellschaftsstabilisierenden Charakter Sie doch ständig im Munde führen. Darüber hinaus bleibt der Familienlastenausgleich weiterhin kompliziert und unnötig bürokratisch, weil Sie an dem dualen System von Steuerfreibetrag und Kindergeld festhalten. Das SPD-Modell eines einheitlichen, für alle Berechtigten gleichen Kindergeldes als Abzug von der Steuerschuld ist nach wie vor die bessere Alternative.
Wenn Sie dennoch - und das steht ja zu befürchten - an Ihrem unsozialen und bürokratischen Modell festhalten, dann sollte - und das geht dann an Ihre Adresse, Frau Staatssekretärin Karwatzki -, der Bundesfinanzminister umgehend eine gesetzliche
Siegrun Klemmer
Formulierung vorlegen, die in den Entwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz aufgenommen wird, damit diese Regelung wenigstens dann noch zum 1. Januar 1996 in Kraft treten kann.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen Monaten wurde von seiten der Bundesregierung bei der Diskussion um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz starke Kritik an der Haltung der Bundesländer geübt. Lassen Sie mich hierzu kurz Stellung nehmen: Es besteht kein Zweifel, daß die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz und des bedarfsgerechten Ausbaus von Tageseinrichtungen in allen Teilen der Bundesrepublik eine unverzichtbare Hilfe für Familien, besonders auch für Alleinerziehende ist.
Bei der Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes wurde durch den Deutschen Bundestag ausdrücklich anerkannt, daß die Finanzkraft der Länder und Gemeinden durch die alleinige Finanzierung der Begleitmaßnahmen überfordert wird. Wer wie Sie anerkennt, daß der Schutz des vorgeburtlichen Lebens eine gesamtpolitische Aufgabe ist, der muß auch zugestehen, daß die Folgeaufgaben nur durch finanzielle Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam bewältigt werden können.
Die Kommunen sind zur Erfüllung dieses Auftrags auf die solidarische finanzielle Unterstützung der Länder und des Bundes angewiesen, und unser Vorschlag eines zeitlich befristeten Aktionsprogramms zur Umsetzung des Rechtsanspruchs, in dessen Rahmen sich der Bund an den Investitionskosten mit einem Viertel beteiligen muß, bleibt der einzig sinnvolle Weg, um die notwendige Unterstützung von Familien und Alleinerziehenden durchzusetzen.
Da ist es unredlich, Frau Ministerin, auf die Länder einzuschlagen. Wenn Sie wirklich - wie eingangs zitiert - die Lobbyistin der Kinder und ihrer Eltern - und nicht nur der ungeborenen Kinder, sondern vor allem auch der geborenen Kinder sind,
dann hätte sich Ihnen gestern die Gelegenheit geboten, sich couragiert unserem Antrag anzuschließen, um seine Ablehnung zu verhindern.
Ich komme nun zu einem Punkt, der mir bisher lediglich vor Augen geführt hat, wie wenig Konkretes für ihn in diesem Ministerium getan wird, und das ist die Seniorenpolitik, für die es seit rund vier Jahren einen eigenen Titel gibt. Die Gesellschaft insgesamt wird älter, und damit vergrößert sich die Zahl aktiver Männer und Frauen, die nicht zuletzt auf Grund ihrer Lebensleistung innerhalb des Generationenvertrags
einen berechtigten Anspruch auf ein ausgefülltes würdevolles Leben nach der Arbeitsphase haben, und diese Menschen fordern das auch immer selbstbewußter ein.
Auch Sie, Frau Ministerin, bezeichnen völlig zu Recht die Seniorenpolitik als Querschnittsaufgabe. Doch bleibt bis heute unklar, wie es z B. mit den von Ihrer Vorgängerin eingerichteten Seniorenbüros weitergehen soll, wie deren Existenz auf Dauer zu sichern ist, denn den Bereich Seniorenarbeit haben Sie erst einmal um 6,6 % gekürzt.
Wie sehr die Politik der Bundesregierung von einer Stagnation gekennzeichnet ist, die vorwiegend Erklärungen produziert, zeigt sich ganz besonders in der Frauenpolitik.
- Jetzt passen Sie gut auf, Herr Kollege Weng, Sie können etwas lernen.
Frauenpolitik, Frau Ministerin, bezeichnen Sie selber als zentrale Aufgabe innerhalb Ihres Ministeriums. Doch auch hier lassen Sie wieder die finanziellen Konsequenzen außer acht.
Nach wie vor ist die Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben ein entscheidendes Hindernis für die Gleichstellung von Frau und Mann. Trotz gleichwertiger, ja zum Teil besserer schulischer und beruflicher Qualifikation werden Frauen seltener eingestellt, geringer bezahlt, weniger befördert und in der Regel auch als erste entlassen.
Wer diese Aussage als richtig erkennt - und bis dahin sind Sie ja mit uns noch einer Meinung -, der muß auch endlich etwas vorlegen, d. h. der muß politische Abhilfe schaffen, damit diese Benachteiligung wirksam abgebaut wird.
Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf werden Sie dies nicht erreichen. Den Frauen haben Sie leider nicht viel zu bieten.
Für Frauenprojekte steht ein Titel im Haushalt zur Verfügung, der nach den Kürzungen der Koalition nur noch ein Gesamtvolumen von ca. 25 Millionen DM hat. Er enthält nicht nur eine diffuse Ansammlung von Projekten, sondern er ist finanziell angesichts einer Fülle von vorhandenen förderungswürdigen Ideen und Vorschlägen mehr als dürftig ausgestattet.
Daß Sie, Frau Ministerin, dieser finanziellen Ausstattung dennoch positiv gegenüberstehen, bleibt aus meiner Sicht völlig unverständlich. Dieser Frauentitel hat seinen Namen wahrhaftig nicht verdient und reicht bei weitem nicht aus für eine Frauenpolitik, in der es grundsätzlicher Reformen bedarf und in der die besondere Lage der Frauen gerade in den
Siegrun Klemmer
neuen Ländern ein kräftiges Signal verdient. An Ihre Adresse ganz speziell: die Vereinheitlichung der Lebensbedingungen, die gerade Ihnen besonders am Herzen liegen müßte, wird so weiter auf sich warten lassen.
Ich komme zur Jugendpolitik. Die Situation von Kindern und Jugendlichen ist besonders nach der deutschen Wiedervereinigung mehr als unbefriedigend, die Infrastruktur der Jugendhilfe unzureichend, die Ausbildungssituation besorgniserregend, und das Desinteresse Jugendlicher an traditionellen Organisationsformen sowie die Gewaltakzeptanz nehmen zu.
Dem Bericht der Sachverständigenkommission mit seiner Fülle von jugendpolitischen Hinweisen wird diese Bundesregierung in keiner Weise gerecht. Sie verschließt sich im Gegenteil durch beschönigende und rechtfertigende Hinweise auf die eigene Politik der Lösung der im Bericht aufgezeigten Probleme. In der Stellungnahme der Bundesregierung zum Jugendbericht gibt es keinen politischen Impuls für eine zukunftsorientierte Jugendpolitik.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle Ihnen die Situation noch einmal an wenigen Zahlen verdeutlichen, obwohl das bereits bei dem Einzelplan, den wir als vorletzten beraten haben, sehr deutlich wurde. Zahlen, für die die Regierung Kohl die Verantwortung trägt, sich der Realität allerdings permanent verschließt: 1 Million Kinder gehören zu Sozialhilfeempfängern, 1,7 Millionen leben in Arbeitslosenfamilien, und eine halbe Million Kinder leben in Obdachlosenunterkünften oder in schlechtesten Wohnverhältnissen. Daß Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko sind, wird von niemandem bestritten. Die jüngsten Pläne des Gesundheitsministers zur Sozialhilfe - auch davon war vorhin schon die Rede - lassen hier eine weitere dramatische Steigerung befürchten.
Angesichts dieser Zahlen kann man nur zu dem Schluß kommen, daß die Politik für Kinder und Jugendliche auf ganzer Linie versagt hat.
Doch trotz dieser ernüchternden Fakten und der bekannten Mißstände scheut sich die Bundesregierung nicht, die Unterstützung für Kinder und Jugendliche weiter zurückzufahren. Der Kinder- und Jugendplan des Bundes wird reduziert und damit der finanzielle Spielraum der betroffenen Verbände immer enger. Alle Versuche meiner Fraktion, hier mehr Mittel bereitzustellen, scheiterten an den Mehrheitsstimmen der Koalition.
Inakzeptabel bleibt nach wie vor, daß die Koalition nicht bereit ist, den Haushaltsvermerk von 1992 zurückzunehmen, der es nicht ermöglicht, Rückflußmittel erneut zur Verfügung zu stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kürzungen im Bundesjugendplan bedeuten angesichts der schwierigen sozialen Lage vieler Jugendlicher und angesichts der latenten Neigung zu Fremdenhaß und Gewalt Sparen am falschen Platz. Wir werden die Kosten später drei- und vierfach zurückzahlen müssen.
Die Jugendarbeit - insbesondere in den neuen Ländern - braucht Berechenbarkeit und Perspektiven.
Mit dem von Ihnen vielzitierten Sozialen Jahr und dem freiwilligen ökologischen Jahr oder auch mit dem Austauschprogramm „Jugend für Europa III" läßt sich die Situation der wirklich hilfsbedürftigen Kinder und Jugendlichen nicht verbessern, ja diese Maßnahmen gehen an dem überwiegenden Teil der eigentlichen Zielgruppen vorbei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich möchte, so wie es meine Vorgängerin schon in den vergangenen Jahren getan hat, dringend an Sie appellieren, den Bundesjugendplan von den Kürzungen auszunehmen.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch ein paar Bemerkungen zum Zivildienst. Der Zivildienst steht vor wichtigen Weichenstellungen, die sich durch die drei Faktoren „Verkürzung - Gestaltung - Finanzierung" charakterisieren lassen. Diese entscheiden, ob der Zivildienst eine gute, persönlich ertragreiche und förderliche Zeit sowohl für die jungen Männer als auch für die von ihnen betreuten Menschen wird.
Leider sind in diesem für unsere Gesellschaft so wichtigen Bereich immer noch große Defizite zu beklagen: Bereits im siebten Jahr sind die Zuschüsse des Bundes für Einführungslehrgänge nicht an die allgemeine Preisentwicklung angepaßt worden; sie betrug in diesem Zeitraum 21 %. Das hat zur Konsequenz, daß die Kraft der Lehrgangsveranstalter und Zivildienstbildungsstätten bei der Leistung von Eigenmitteln völlig am Ende ist. Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, eine Anpassung des Zuschußsatzes vorzunehmen, damit diese wichtige Arbeit auch in Zukunft geleistet werden kann.
Die Folge der im Zivildienst vorhandenen Mißstände ist, daß unausgebildete Zivildienstleistende auf kranke und hilfsbedürftige Menschen losgelassen werden mit nicht akzeptablen Folgen für beide Seiten.
Ich komme zum Schluß. In nahezu allen Bereichen des Einzelplans 17 klafft der Anspruch zwischen Ankündigung und realer Politik der Bundesregierung weit auseinander.
- Das stimmt sehr wohl, Herr Kollege Weng. Aber ich
gebe Ihnen nach einer Sitzung des Haushaltsaus-
Siegrun Klemmer
schusses gerne einmal ein Privatissimum. Sie haben es nötig.
Manches Problem wird erkannt, aber es werden keine - nicht nur aus haushälterischer Sicht - relevanten Schritte eingeleitet, um die Situation unserer Familien, unserer Jugend, der älteren Menschen und nicht zuletzt der Frauen tatsächlich zu verbessern. Ihr „Haus der Generationen", wie Sie es mit Vorliebe nennen, Frau Ministerin, steht finanziell auf äußerst schwachem Fundament. Gerade die, die einen geschützten Platz in diesem Haus besonders nötig hätten, bleiben zu oft ausgesperrt.
Leider verfolgt Ihr Ministerium eine Politik, die von Stagnation, leeren Ankündigungen und von nach wie vor leider ideologisch geprägten konservativen Wertvorstellungen gekennzeichnet ist, und versperrt sich den wichtigen Reformen, die für die Zukunft unserer Gesellschaft notwendig sind.
Wenn Sie, Frau Ministerin, was ich zwar nicht zu hoffen wage, unsere Vorschläge aufgriffen, hätten Sie engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter bei den Auseinandersetzungen mit dem Finanzministerium. Dem Haushalt in der vorliegenden Form - das wird Sie nicht wundern - müssen wir ablehnen.
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Jacoby, dem ich für seine Rede Glück wünsche; denn - es ist gesagt worden - es ist seine erste im Plenum des Bundestages.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beläuft sich auf insgesamt 33 Milliarden DM. Das sind 2 Milliarden DM mehr, als im vergangenen Jahr in Ansatz gebracht worden ist. Das bedeutet eine Steigerung dieses Einzeletats um 6,5 %.
Wenn man diese Größenordnung zur Steigerung des Gesamtetats, der lediglich eine Steigerung von 1,3 % aufweist, in Rechnung setzt,
dann kommt darin doch eine deutliche Akzentsetzung zum Ausdruck. Sie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, wie er sie am 24. November des vergangenen Jahres abgegeben hat und in der er für diese
Legislaturperiode insbesondere eine familienpolitische Schwerpunktsetzung unter dem Motto „Familie stärken - soziale Gerechtigkeit absichern" angekündigt hat.
Wir als Koalition vertreten diese Akzentsetzung für die Dauer dieser Legislaturperiode.
Deshalb, Frau Kollegin, hat es keinen Zweck, wenn hier nur der Versuch gemacht wird, Etiketten anzukleben, wenn der Versuch gemacht wird, Vorurteile zu pflegen; denn damit wird die Realität - die haushaltsbezogene Realität, aber insbesondere auch die gesellschaftspolitische Realität - in unserem Lande verbogen.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf zu sprechen kommen, daß die Haushaltsansätze in diesem Ressort in Übereinstimmung zu bringen sind mit den vielen Aktivitäten im sogenannten ehrenamtlichen Bereich. Wir bieten in vielerlei Hinsicht die Voraussetzung dafür, daß der Sozialstaatscharakter dieses Landes durch ehrenamtliches Engagement umsetzt wird. Deshalb möchte ich in dieser Haushaltsdebatte die Gelegenheit wahrnehmen, um mich dafür zu bedanken, daß das ehrenamtliche Engagement - auf der Basis der Haushaltsansätze, die wir hier verabschiedet haben - von vielen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande in der Vergangenheit so eindrucksvoll an den Tag gelegt wird, wie das immer und immer wieder der Fall gewesen ist.
Und, meine Damen und Herren, man muß natürlich die Vergleichsebenen bemühen. Man kann doch nicht verdrängen, was mittlerweile auf der Länderebene, gerade auch in den sozialdemokratisch geführten Bundesländern, an Streichüberlegung en angestellt wird, was alles zur Diskussion gestellt wird, gerade im sozialen Bereich. Sozialstationen, soziale mobile Dienste bis hin zum Recht auf einen Kindergartenplatz werden von den Ländern und gerade auch von den sozialdemokratisch geführten Ländern in Frage gestellt. Dann finde ich es unangemessen, hier in einer einseitigen Schuldzuweisung die finanzpolitischen Zwänge zu verdrängen und dem Gesamtanliegen nur unzureichend Rechnung zu tragen.
Wenn ich lese, daß z. B. Nordrhein-Westfalen eine verbindliche Entscheidung in Sachen Kindergartenplätze erst zur Jahresmitte treffen will, wenn ich sehe, daß jetzt gehandelt werden muß, wenn wir am 1. Januar 1996 ausreichend Plätze anbieten wollen, dann kann doch die Opposition bei dieser Debatte nicht undifferenziert, nicht pauschal in der Schuldzuweisung an den Bund argumentieren und einfach verdrängen, daß es im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerverteilung zugunsten der Länder einen Zu-
Peter Jacoby
schlag gegeben hat, sozusagen im Vorgriff auf die Finanzierung dieses Rechtes auf einen Kind ergartenplatz. Auch diese Zusammenhänge gilt es bei dieser Diskussion zu berücksichtigen.
In der Tat, meine Damen und Herren, orientieren wir uns als Koalition an den Ausgaben des vergangenen Jahres, was die freiwilligen Ausgaben anbelangt. Dazu bekennen wir uns. Wir sind der Auffassung, daß man, wenn man Modellmaßnahmen macht, dann an einen Punkt kommt, wo diese ausgewertet werden müssen. Wir bekennen uns dazu, daß diese Modellmaßnahmen auch zu einem späteren Zeitpunkt in die finanzpolitische Verantwortung anderer Träger einmünden. Vieles ist gerade als Anschubfinanzierung gedacht gewesen. Dazu stehen wir.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen: Wir haben deutlich erhöhte Ausgaben, und zwar in der Größenordnung von sage und schreibe 2 Milliarden DM, beim Kindergeld, beim Erziehungsgeld und beim Unterhaltsvorschuß. Allein die Verlängerung der Bezugsdauer beim Erziehungsgeld auf 24 Monate schlägt mit einem Plus von 1,3 Milliarden DM zu Buche, ein Ergebnis, das wir wollten, ein Ergebnis, zu dem wir stehen und ein Ergebnis, bei dem man auch die sonstigen Entwicklungslinien sehen muß. Deshalb meine ich, auch mit Blick auf den Bundesjugendplan, den Sie angesprochen haben: Vor fünf Jahren wurde der Bundesjugendplan mit 129 Millionen DM in unserem Land finanziert. Heute sind es 208 Millionen DM, eine nachhaltige Entwicklung nach vorne. Dann, finde ich, kann es nicht sein, daß diese Beträge pauschal herabgewürdigt werden. Die Betroffenen selbst sehen es viel differenzierter und sprechen von einer - Zitat - „verbesserten Absicherung der Förderung". Ich finde, das spricht dafür, daß wir auch im Bereich des Bundesjugendplanes nicht einen Kahlschlag oder ein unkritisches Zurückfahren zu vertreten haben. Ganz im Gegenteil.
Vieles ist eine Frage der Priorität. Und diese Priorität wird auch in diesem Haushaltsplan gesetzt. Ich spreche nur etwa den konstant gehaltenen Beitrag zum deutsch-französischen Jugendwerk in der Größenordnung von 21 Millionen DM oder den Beitrag zum deutsch-polnischen Jugendwerk in der Größenordnung von 5,3 Millionen DM an. Jawohl, wir kümmern uns um Randgruppen. Wir machen aber auch Maßnahmen und insbesondere auch Maßnahmen zugunsten der breiten Mehrheit der Jugendlichen in unserem Land und spielen nicht die beiden Gruppen gegeneinander aus.
Ich meine, daß man unter diesem Gesichtspunkt, gerade auch nach der Zusammenfassung der bisher selbständigen Ministerien, das Ganze entsprechend sehen muß und dem Ganzen entsprechend Rechnung tragen muß. Deshalb haben wir jetzt eine Akzentsetzung im Zusammenhang mit dem zukünftigen Familienleistungsausgleich vorgenommen. Das steht in der Kontinuität der Einführung des Erziehungsurlaubes, des Erziehungsgeldes, der Anerkennung der Erziehungsjahre auf die Rente. Wir haben mit diesen Maßnahmen eine Aufwertung der Familienarbeit erreicht, etwas, was doch gesellschaftspolitisch erwünscht ist und was auch dem geänderten Rollenverhalten der Frau in unserer Zeit geradezu entspricht.
Insofern müssen auch diese Zusammenhänge gesehen werden.
Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: Vieles wollen und müssen wir ressortübergreifend sehen. Vieles ist auch gar nicht mehr mit Mitteln der Haushaltspolitik in den Griff zu kriegen, sondern es geht um die Gestaltung von Strukturen in unserem Land. Wohnungseigentumsförderung für Familien mit Kindern, kostensparendes Bauen, mehr Bauland für Familien mit Kindern - das betrifft alle Ebenen, das sind strukturelle Fragen, das sind Fragen, die etwas mit der Zukunftsgestaltung zu tun haben, und dieser Zukunftsgestaltung stellen wir uns. Ich sage es noch einmal: Es geht gar nicht so sehr um die Frage der Veränderung von Haushaltstiteln, sondern es geht um die Bereitschaft, Strukturen entsprechend kritisch zu hinterfragen.
Wenn z. B. der Fünfte Familienbericht von einer „strukturellen Rücksichtslosigkeit einer Gesellschaft gegenüber der Familie" spricht, dann mag die Bundesregierung ein Adressat dieser Aussage gewesen sein. Aber genauso sind sämtliche Landesregierungen über Parteigrenzen hinweg und die ganze Gesellschaft Adressaten dieser Aussage außerhalb dieses Raumes.
Deshalb bemühen wir uns um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Das hat Auswirkungen auf die Arbeitszeitgestaltung, auf die Öffnungszeiten von wichtigen Institutionen und auf dergleichen Dinge mehr. Das heißt, wenn wir dem Haushalt Rechnung tragen wollen, müssen wir uns der Diskussion um diese strukturellen Notwendigkeiten entsprechend stellen. Ich möchte sagen, Frau Ministerin: Wir unterstützen Ihr Bemühen, das auch gerade bei diesem Haushalt in vielen Initiativen, Modellmaßnahmen und dergleichen zum Ausdruck kommt, hier das umzusetzen, was am Anfang dieser Legislaturperiode angekündigt worden und was das Programm dieser Koalition für die Dauer von vier Jahren ist.
Vielen Dank.
Sie wurden ja im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede regelwidrig schon vorher beglückwünscht; aber ich schließe mich gerne an.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Haushalt eines Ministeriums, das gerade neu zugeschnitten wurde und das in seinem Titel vier gesellschaftliche Gruppen nennt. Das legt die Vermutung nahe, es handele sich hier um Minderheiten, die einer besonderen Zuwendung durch die Politik bedürften. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich dann allerdings, daß die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft mit diesen vier Gruppen - Frauen, Familie, Jugend und Senioren - beschrieben ist. Im Grunde sind es nur alleinstehende Männer zwischen 18 und 60 Jahren, die von der Politik dieses Ministeriums nicht erfaßt werden.
Was sagt uns das über die Gesellschaft, daß sie eine Sonderpolitik für die Mehrheit Ihrer Mitglieder betreiben zu müssen glaubt? Offenbar wird doch der Mainstream der Politik von denjenigen bestimmt, die sich selber keß als die Norm ansehen, ohne es zu sein.
Kann ein solches Ministerium diese Fehlentwicklung korrigieren? Kann es die notwendige Wende in der dominierenden Politik einleiten? Hat es das in den letzten Jahren ernsthaft versucht? Ist es mit der entsprechenden Macht und den entsprechenden Mitteln ausgestattet? Nach meiner Auffassung nicht.
Nehmen wir nur den Familienleistungsausgleich. Das Erziehungsgeld ist in diesem Haushalt angesiedelt, aber bestimmt wird Höhe und Ausgestaltung vom Finanzminister, nicht von den Erfordernissen des Lebens mit Kindern. Dasselbe gilt für den Dauerbrenner Kindergeld, den wir nach meiner Auffassung auch nach den jüngsten Koalitionsbeschlüssen leider noch immer nicht loswerden. Deshalb muß sich die Regierung immer wieder fragen lassen, ob sie die richtigen Prioritäten setzt. Warum ist Ihnen das Recht auf einen Kindergartenplatz nur in warmen Reden wert und teuer?
Zu einer Umschichtung der Gelder für einige Militärprojekte zugunsten von Kindergarteninvestitionen sind Sie aber nicht bereit. Es verblüfft uns immer wieder, wie bei Ihnen die Moral nach dem Geld, der Kindergarten nach dem U-Boot kommt.
Wie wäre es mit einem Umbauprogramm für ostdeutsche Kindertagesstätten, die nicht mehr gebraucht werden, zu Familienzentren?
Aber mit alldem erklärt sich, daß Sie Ihr traditionell hohes Ansehen in der Familienpolitik inzwischen längst verspielt haben.
Wir Bündnisgrünen sind doch die letzten, die behaupten würden, die Entscheidung für Kinder sei nur vom Geld abhängig. Nein, selbstverständlich
geht es dabei zunächst und vor allem um die Entscheidung für ein gutes Leben, für die Freude an Kindern, die ihren Eltern die Welt in immer neuem Licht erscheinen lassen.
Aber die materiellen Bedingungen für dieses Leben mit Kindern sind eben nicht unerheblich, ebenso die Möglichkeit, daß diese Entscheidung nicht zwangsläufig alternativ zur Berufstätigkeit stehen muß, und hier liegt die Zukunft der Entscheidung für Kinder. Wer das nicht versteht, kann bloß von einem Frauenbild der 50er Jahre ausgehen.
Wer statt dessen eine moderne Politik machen will, der muß sich an den jungen Frauen von heute orientieren, die zum Glück unbescheiden sind und beides wollen. Dementsprechend müssen das Kindergeld gestaltet, die Kinderbetreuung organisiert, die Arbeitszeiten flexibilisiert werden.
Zu einer positiven Entscheidung für Kinder gehört auch, daß jede sich in Freiheit dafür entscheiden kann. Eine der Voraussetzungen dafür ist Wissen und Information über Schwangerschaft und Verhütung. Was aber machen Sie? - Sie knausern genau beim Titel für die Aufklärungsmaßnahmen, und das, obwohl es eindeutige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gibt, obwohl es eindeutige Beschlüsse und Selbstverpflichtungen des Bundestages dazu gibt.
Auf Nachfragen sagen Sie, die Vorlagen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung seien unbefriedigend gewesen. Da kann ich nur fragen: Wer ist denn hier die Aufsichtsbehörde? Bei wem liegt die politische Verantwortung? Wer hindert Sie daran, für die Zukunft mehr in den Haushalt einzustellen und bessere Durchführung zu gewährleisten?
Sie haben behauptet, die Stellenneubesetzung brauche ihre Zeit. Haben Sie schon einmal etwas von der Vergabe von Aufträgen an Auftragnehmer von außen gehört? - Ihre Erklärungen zu diesem unglaublichen Vorgang haben mich nicht überzeugt.
Wir haben dem Koalitionsvorschlag für eine Erhöhung der Mittel um 1 Million DM zugestimmt, weil wir lieber mit Ihnen zusammen mehr Geld in diesem Titel haben als ohne Sie noch weniger. Aber meiner Auffassung nach kann das im kommenden Haushalt nicht so in diesen kleinen Schritten weitergehen.
Auch wenn die freien Haushaltsmittel des Ministeriums nicht üppig sind - manchmal ist wenig auch sehr viel. Beispielhaft sei hier das Deutsch-Polnische Jugendwerk genannt, dessen Arbeit nach unserer Meinung weiterhin großzügig gefördert gehört, weil es einen ganz wichtigen Beitrag zur Zukunft leistet.
Die Programme der Jugendpolitik in Ostdeutschland haben wichtige, unverzichtbare Impulse für den Aufbau der Jugendarbeit geliefert. Nun sind das zwar noch keine buschigen Pflanzen, aber ohne diese Programme wären diese Pflänzchen erheblich
Andrea Fischer
dürrer ausgefallen. Deswegen ist es ein Problem, und wir halten es für eine Fehlentscheidung, diese Programme - AgAG und AFT - jetzt schon zurückzufahren. Natürlich wäre uns eine Normalisierung und Angleichung das allerliebste, aber es ist noch nicht der Fall.
Frau Nolte, Sie halten sich sehr viel auf Ihre ostdeutsche Herkunft zugute, und deswegen ist uns überhaupt nicht klar, wie Sie sehenden Auges zulassen können, daß dort sozialpolitische Ruinen hinterlassen werden.
Ich meine, an dem Punkt dieser Programme wird deutlich, daß spezifische Gruppen auch eine auf ihre Lage zugespitzte Politik brauchen. In diesem Sinne braucht das Ministerium mehr Einfluß, mehr Geld, mehr Macht. Solange Männer die Politik machen, als seien sie das Maß aller Dinge, brauchen wir eine Politik, die dem die Belange all der hier zur Debatte stehenden Gruppen entgegenhält.
Aber die vermeintliche Minderheitenpolitik darf auch nicht Stand der Dinge bleiben. Es gilt, die Norm so löchrig zu machen, daß die Interessen Jugendlicher und die Interessen Alter, die Sorgen der Familien und die Ansprüche der Frauen nicht länger als Gruppeninteressen gelten, sondern daß daraus das Muster der Gesellschaftspolitik wird.
Daher kann der beklagte geringe Handlungsrahmen kein Generalpardon für die Chefin des Hauses sein, im Gegenteil. Dieser Gestaltungsspielraum muß in unseren Augen entschiedener und beherzter als bislang genutzt werden, denn in Ihr Haus der Generationen, Frau Nolte, gehören keine Häkeldeckchen, sondern solide Möbel und ein Blick ins freie Land.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinz Lanfermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die beiden Rednerinnen von SPD und GRÜNEN gehört hat, dann hat man schon manchmal den Eindruck, daß ein gewisses Zerrbild gezeichnet wird. Wenn das alles so zuträfe, wie Sie es hier geschildert haben, dann sähe ich fast schon Millionen von Familien auf der Flucht aus diesem Lande, in dem es ihnen angeblich so schlecht geht und in dem so schlechte Politik gemacht wird.
Tatsächlich aber - man sollte das einmal nüchtern sehen und auch das Positive herausstellen - sind wir innerhalb der Regierungskoalition in den letzten vier Monaten ein gutes Stück vorangekommen. Das Paradebeispiel dafür ist natürlich der Familienleistungsausgleich.
Ich möchte die Regelungen noch einmal ganz deutlich machen, weil Sie sie ein bißchen in die Ecke stellen wollen: Zum einen wird der Kinderfreibetrag immerhin um über 50 % auf 6 264 DM angehoben.
Zum anderen wird das Kindergeld für das erste und das zweite Kind auf 200 DM sowie für jedes weitere Kind auf 300 DM angehoben. Demzufolge erhält eine Familie mit mittlerem Einkommen und zwei Kindern monatlich nicht mehr insgesamt 200 DM, sondern 400 DM Kindergeld, also das Doppelte.
Die Familien haben - und das ist auch richtig - ein Wahlrecht zwischen dem Bezug von Kindergeld und der Inanspruchnahme des Kinderfreibetrags, so daß sich jeder Steuerpflichtige zwischen der direkten Auszahlung des erheblich erhöhten Kindergeldes und der Absenkung seiner Steuerschuld durch die erhöhten Kinderfreibeträge entscheiden kann, je nachdem, was für ihn günstiger ist.
Dies ist, um das ganz deutlich zu sagen, eine soziale Lösung. Denn Sie vergessen bei Ihren Vorschlägen immer wieder, daß Sie den Bürgern, die mehr verdienen, die also auch mehr geleistet haben, von jeder Mark mehr abnehmen.
- Sie haben unser Steuersystem nicht verstanden oder wollen es nicht verstehen.
Sie kennen die Berechnungen, daß jemand, dessen Einkommen einem höheren Steuersatz unterliegt, erheblich mehr verdienen muß als derjenige, für den auf Grund seines geringeren Verdienstes ein niedrigerer Steuersatz gilt,
damit am Ende das Geld für das gleiche Paar Schuhe, das er seinem Kind kauft, übrigbleibt.
Genau das, meine Damen und Herren, muß man sozial ausgleichen. Deswegen ist es richtig, daß man diejenigen Steuerzahler steuerlich prozentual etwas mehr entlastet,
die man vorher durch Aufschlag erheblicher Sätze belastet und mit entsprechend hohen Steuersätzen für jede weitere verdiente Mark bestraft hat.
Heinz Lanfermann
Meine Damen und Herren, wenn Sie jedes Einkommen mit dem gleichen Steuersatz belegten, dann könnten wir auch darüber reden, jede Ausgleichsmaßnahme mit dem gleichen Prozentsatz zu belegen; das tun wir aber nicht. Wir haben unterschiedlich hohe Steuersätze. Sie entfachen eine Neiddiskussion, indem Sie jedes mal darüber hinwegtäuschen, daß es so ist, wie ich gerade dargestellt habe.
Meine Damen und Herren, wenn hier über die Größe eines Haushaltes gesprochen wird, darf man sich auch einmal bei einer Ministerin bedanken,
die bei einer Reform mitgemacht hat, die nicht zuletzt eine große Verwaltungsvereinfachung bringt, indem das Kindergeldsystem unbürokratisch auf eine Institution, auf das Finanzamt, verlagert wird.
Allein dadurch werden wir 650 Millionen DM einsparen. Das bedeutet natürlich in Zukunft eine Verschiebung von Haushaltsmitteln. Welcher Minister ist denn schon damit einverstanden - angeblich wird ja die Bedeutung eines Ministers an der Höhe seines Haushaltes gemessen -, daß sich Verschiebungen ergeben? Das finde ich beispielhaft; auch das sollte an dieser Stelle einmal gesagt werden.
Hier ist schon mehrfach der Haushaltstitel für Aufklärungsmaßnahmen und Verhütung angesprochen worden. Es ist richtig, daß damals bei der Reform vom ganzen Hause eine andere Zielvorstellung gesetzt wurde: Für solche Maßnahmen sollte auf Dauer Geld in einer Größenordnung von 20 Millionen DM bereitgestellt werden, das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu verwalten und auszugeben ist.
Wir von der F.D.P. - darauf bin ich stolz - und insbesondere die Kollegin Ina Albowitz - ich habe den Namen richtig ausgesprochen - haben erreicht, daß der ursprüngliche Ansatz von 6 Millionen DM um 1 Million DM auf 7 Millionen DM erhöht worden ist. Das war wahrscheinlich nach dem Diktat Ihrer Rede, Frau Kollegin Klemmer; das haben Sie nämlich nicht erwähnt. Dafür darf ich mich bedanken.
Ich möchte noch auf die Kollegin Fischer eingehen: Es ist ganz klar, daß dies nur ein erster Schritt ist. Diese Schiene muß weiter nach oben führen. Das gehört zu den Begleitmaßnahmen der Reform des Schwangerschaftskonfliktrechts; das haben wir immer deutlich gesagt.
Wenn wir aber über den § 218 und die gesamten Begleitumstände sprechen, will ich doch aufgreifen, welcher Antrag hier eingebracht worden ist und was in bezug auf die Kindergartenplätze schon wieder mehrfach falsch behauptet worden ist.
Sie haben - zum Teil haben Sie es wörtlich in Ihrer Rede verwendet - im Antrag der SPD behauptet, der Bundestag habe ausdrücklich anerkannt, daß dies alles nicht allein von Ländern und Gemeinden zu leisten sei. Dies mag man so sehen. Aber der Bundestag und auch die Bundesregierung haben anschließend mit dafür gesorgt, daß im Finanzausgleich, beim Umsatzsteuerausgleich, genau diese Mittel - und zwar im Vorgriff - auf die Länder übergehen. Die Länder kassieren schon seit Jahren Milliardenbeträge, die sie was weiß ich wofür ausgeben, jedenfalls nicht für Kindergartenplätze oder nicht für genügend Kindergartenplätze.
Und der Herr Müntefering, der sich immer als so sozial aufspielt, wartet jetzt erst einmal genüßlich den 14. Mai ab, damit die Leute nicht merken, wo das Geld geblieben ist, und will dann Mitte des Jahres entscheiden. Er hat sich gleich erschrocken gezeigt und heftig dementiert, daß etwa tatsächlich beabsichtigt sei - so war ja die schöne Meldung, daß nun die Länder doch bereit seien -, zum 1. Januar diese Kindergartenplätze tatsächlich zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, um es noch einmal vor aller Öffentlichkeit deutlich zu sagen: Die Länder haben diesen Mehrbetrag, sie haben dieses Geld bereits erhalten.
Es kann nicht angehen, daß Sie als SPD-Fraktion hingehen und uns zustimmen, wenn wir sagen, daß der Kindergartenplatz für alle, die ihn brauchen, zum 1. Januar 1996 kommen muß, wie es 1992 im Gesetz hier beschlossen wurde, und daß Sie dann sozusagen von hinten um die Ecke herum Anträge mit über 500 Millionen DM und über 1,7 Milliarden Verpflichtungsermächtigungen stellen, um Ihre Parteikollegen, die in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf führen, zu entlasten, indem Sie die Mär verbreiten, der Bund sei schuld, wenn Länder, und jetzt insbesondere Nordrhein-Westfalen, ihre Pflicht nicht erfüllen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Heidi Lüth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine innere Logik hat der Entwurf des Haushaltsgesetzes 1995 wahrhaftig. Wer - wie in den letzten beiden Tagen erneut durchlebt und durchlitten - die tatsächliche Lage in diesem Land immer schönredet, sich mit dem Haushalt dem Sozial- und Kulturabbau verschreibt, Arbeitslosigkeit abzubauen nicht in der Lage ist und die militärische Weltmacht Deutschland auch mit den Mitteln des Haushalts schnellstens sichern will, der muß diesem Grundsatz zwangsläufig in seiner Finanzpolitik, auch im Einzelplan 17, gerecht werden.
Heidemarie Lüth
Er ist die Antwort, wie die Bundesregierung und die Koalition es meinen, wenn sie mit Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung festgeschrieben wissen wollen, daß sie das Wohl der künftigen Generation im Blick haben. Bei mir macht sich allerdings mehr Unwohlsein breit.
Da erklärt Frau Ministerin Nolte in ihrer Rede zur Regierungserklärung, die Anliegen der Jugend ernst zu nehmen, sie als verantwortungsbewußte und mündige Staatsbürger zu fördern und zu fordern. Besonderen Wert legte sie darauf, Erfahrungen moderner Strukturen der Jugendarbeit in den neuen Ländern zu fördern. Genau dieser Selbstverpflichtung, Frau Nolte, widersprechen die vorgesehenen Ausgaben für die Sondermaßnahmen in den neuen Bundesländern, werden diese Ausgaben doch dem tatsächlichen Bedarf in keiner Weise gerecht.
Die Absicht, die Sonderprogramme auslaufen zu lassen, belegt dies. Mit auslaufender Förderung kommt das gnadenlose Aus für viele kleine Träger. Chancen langfristiger Angebotsstrukturen werden zerstört.
Von entstandenen Erwartungshaltungen bleiben bei Jugendlichen Enttäuschung und Frustration. Die Folge wird auch das Suchen nach anderen Ventilen sein, die der Gewalt nahezu Vorschub leisten.
Die gleichen Gedanken könnte man zu dem Bereich des Investitionsbedarfs in den neuen Bundesländern äußern, der der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Jugendbildungseinrichtungen und Jugendherbergen dient. Die im Planentwurf ausgewiesenen Mittel können den Bedarf in keiner Weise abdecken. Die Beibehaltung des Niveaus seit 1992 allein widerspricht eklatant den erwarteten Erfordernissen.
Es gibt gravierende soziale Probleme bei Frauen und Mädchen, besonders in den neuen Bundesländern. Erschreckend und beispiellos ist die individuelle Reaktion von Frauen auf die Kinder- und Frauenfeindlichkeit in diesem Land, die sich nicht zuletzt in den Geburtenraten äußert. Die Probleme Alleinerziehender potenzieren sich permanent.
Wer denkt, mit dem Haushalt würden günstigere gesellschaftliche Voraussetzungen und Bedingungen zur Verwirklichung des Gleichstellungsanspruchs geschaffen, sieht sich stark enttäuscht. Nein, der Planansatz ist ein anderer. Modellprojekte und Forschungsvorhaben im Bereich der Familienpolitik - Was hält die Ehe zusammen?, ein Väterprojekt usw. usf. - in Höhe von nunmehr 12 Millionen DM sind wohl mehr dazu ausgelegt, regierungsamtliche und koalitionseigene ideologische Wertvorstellungen zu vermitteln und zu sichern, als dazu, tatsächlich kinder- und familienfreundliche Gleichberechtigungspolitik zu gestalten.
Vielleicht führt wenigstens die notwendige Erhöhung von Pflichtausgaben im Bereich des Zivildienstes zum Nachdenken über Quittungen von Jugendlichen für die Militärpolitik.
Für die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ist der Einzelplan 17 - wie auch der Gesamthaushalt - nicht zukunftsweisend. Er erfaßt die tatsächlichen Probleme nicht und untersetzt damit zwangsläufig keine Lösung; schon gar nicht wird das wenige Vorhandene sinnvoll verteilt.
In den Wind geschlagen werden all jene kritischen Bemerkungen aus dem Jugend-, dem Familien- und dem Altenbericht, die zu finanziellen Konsequenzen hätten führen müssen. Wie mit dem Rasenmäher hat der Haushaltsausschuß aus dem Regierungsentwurf noch einmal 8,4 Millionen DM weggemäht oder in den Wartesaal 1996 verschoben.
Den Kollegen von der CDU und der F.D.P. möchte ich sagen: Eigentlich ging es um den Haushalt 1995 und noch nicht um die Zukunft im Jahre 1996.
Das Wort hat jetzt die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Nolte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jedem in diesem Haus müßte klar sein, daß es bei einem Haushaltsentwurf nicht darum gehen kann, alle Wünsche zu erfüllen, sondern darum, unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen Notwendiges zu beschließen. Natürlich ist es Aufgabe der Opposition, die Arbeit der Regierung kritisch zu begleiten. Einmal davon abgesehen, daß wir Ihnen die Aufgabe auf Grund unserer guten Arbeit wahrlich nicht leichtmachen,
reicht es eben doch nicht, nur verbale Kritik zu üben. Ich hätte schon erwartet, daß Sie Vorschläge bringen, die Ihre Kritik rechtfertigen würden.
Ihre Anträge, meine Damen und Herren von der SPD, zeigen, daß Sie der Struktur des Haushalts grundsätzlich zustimmen; denn von großen Neuerungen ist in Ihren Vorschlägen nichts zu sehen.
Der zu verabschiedende Haushalt kann sich sehen lassen. Ich möchte mich bei allen Beteiligten für ihre Bereitschaft bedanken, auch in Zeiten des Sparzwangs den Belangen, die mein Haus vertritt, einen solchen Stellenwert einzuräumen. Mein besonderer Dank gilt den Berichterstattern der Fraktionen im Haushaltsausschuß für die konstruktive Beratung und für die gute Zusammenarbeit.
Bewährte Instrumente unserer Politik für Familien und Senioren, Frauen und Jugend führen wir fort. Sowohl im Kinder- und Jugendplan als auch im Bundesaltenplan, sowohl in unserer frauenpolitischen als
Bundesministerin Claudia Nolte
auch in unserer familienpolitischen Arbeit werden wir Kontinuität wahren und neue Ansätze verwirklichen können. Das ist Ihnen, liebe Frau Klemmer, anscheinend bedauerlicherweise entgangen.
Der Einzelplan 17 mit seinem Ansatz von fast 33 Milliarden DM für das Jahr 1995 ist der erste gemeinsame für die bis zum letzten Jahr getrennten Ministerien Familie und Senioren, Frauen und Jugend. Der größte Teil dieses Haushalts beruht auf gesetzlichen Leistungen des Bundes: dem Kindergeld, dem Erziehungsgeld, dem Unterhaltsvorschuß und den Ausgaben für die Zivildienstleistenden.
Gerade die Leistungen für Familien sind für uns von besonderer Bedeutung. Alleine diese machen im Bundeshaushalt 1995 rund 30 Milliarden DM aus. Trotz enger Spielräume ist es uns gelungen, in den letzten Jahren diese Maßnahmen zu erweitern, was sich auch in diesem Haushalt widerspiegelt. Herr Jacoby hat die Zahlen diesbezüglich genannt.
Die von den Koalitionsfraktionen beschlossenen Eckwerte zum Ausbau des Familienlastenausgleichs sind ein guter und wichtiger Schritt zur weiteren, dringend gebotenen Entlastung der Familien, und zwar um zusätzlich 6 Milliarden DM im Jahre 1996.
Das ist für mich das wichtigste familienpolitische Vorhaben in dieser Legislaturperiode; es muß in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden. Die Bundesländer sind gefordert, sich an der Ausgestaltung aktiv zu beteiligen, damit die praktische Umsetzung des Vorhabens nun auch möglich wird.
Ich hoffe, daß wir auf der Basis des Koalitionsbeschlusses zum Familienlastenausgleich eine Einigung erzielen. Unser Modell mit der Wahlmöglichkeit zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld ist verfassungskonform,
denn es berücksichtigt in voller Höhe das Existenzminimum von Kindern; und es ist finanzierbar. In diesen beiden Punkten unterscheidet sich unser Konzept eben wesentlich von Ihrem Einheitskindergeld.
Es führt zu einer Vereinfachung für Verwaltung und Bürger, und vor allem ist es familienfreundlich. Gemeinsam mit dem Jahressteuertarif 1996 bringt es für nahezu alle Familien spürbare Verbesserungen.
Wir müssen aber auch in anderen familienpolitischen Bereichen Fortschritte erzielen. Besonders wichtig ist die Erhöhung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld ab dem siebten Lebensmonat des Kindes. Sie müssen so angehoben werden, daß wieder der größte Teil der Eltern volles Erziehungsgeld auch nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes erhält. Auf dieser Grundlage ist es 1986 eingeführt worden, und diesen Zustand will ich wieder erreichen. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir, daß dieses familienpolitisch wichtige Instrument durch alle Bundesländer flankiert wird. Ich begrüße sehr, daß die bayerische Staatsregierung gestern den Beschluß gefaßt hat, das Landeserziehungsgeld von sechs auf zwölf Monate auszuweiten. Es wäre gut, wenn andere Länder diesem Beispiel folgten.
Auch beim Unterhaltsvorschuß will ich, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, Verbesserungen erzielen. Gleichfalls müssen wir größere Anstrengungen unternehmen, damit Familien ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum finden. Natürlich ist mir auch die Ausweitung der Mittel für die Aufklärung über vorgeburtliches Leben wichtig, die ich verfolgen werde. Es freut mich zu hören, daß Sie mich darin unterstützen; das war ja nicht zu allen Zeiten so.
Die Notwendigkeit familienpolitischer Maßnahmen ist unbestritten, und wir sollten gemeinsam daran arbeiten, diese umzusetzen. Daneben sollten wir alles unterstützen, was dazu beiträgt, daß unser Land familienfreundlicher wird. Die strukturelle Familienfeindlichkeit in unserer Gesellschaft ist oft beklagt worden. Wir müssen ihr endlich etwas entgegensetzen.
Wie in der Familie muß unsere Gesellschaft auch insgesamt auf ein partnerschaftliches Miteinander setzen: auf Partnerschaft zwischen den Geschlechtern, auf Partnerschaft zwischen den Generationen.
In meinem „Haus der Generationen" gibt ein kein Gegeneinanderausspielen der einzelnen Bereiche.
Wir sind für ein Miteinander in unserer Gesellschaft. Die Senioren- und die Jugendpolitik muß die jeweils anderen Generationen mit einbeziehen. Politik muß dazu beitragen, das Trennende zu überwinden und Verständnis füreinander zu schaffen.
Daß das jüngste Buch einer Dame, die Herr Scharping zur Bundesministerin machen wollte, dazu nicht beitrug, darüber sind wir uns hoffentlich in diesem Hause einig.
Bundesministerin Claudia Nolte
Wir wollen keine Ausgrenzung. Wir brauchen die älteren Menschen genauso wie die jüngeren.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte, gern.
Frau Ministerin, Sie haben sich offensichtlich sehr intensiv mit diesem Buch befaßt. Haben Sie denn genauso intensiv die Gutachten bzw. die bei mir zumindest inzwischen schon so hoch aufgelaufenen Postberge, die die Familienverbände, der Katholische Familienverband, die EAF, Einzelpersonen
- lassen Sie mich doch in Ruhe zu Ende fragen - uns und sicherlich auch Ihnen zu Ihrem „verfassungskonformen" Familienlastenausgleich geschrieben haben, gelesen, und wenn Sie sie gelesen haben, haben Sie verstanden, wovon die Familienverbände reden? Sie schreiben nämlich, daß es einfach nicht stimmt, daß Ihr Modell verfassungskonform sei.
Ich bin mir schon darüber im klaren, daß das Existenzminimum bei allen Einkommensgrößen freigestellt werden muß, was die Unterhaltsleistungen anbelangt, die Eltern für ihre Kinder aufbringen. Das Existenzminimum für 1996 ist mit 6 288 DM festgesetzt. Insofern ist das Existenzminimum in unserem Vorschlag gesichert. Wenn Sie die 250 DM umrechnen, die Sie vorschlagen, dann haben Sie in der Tat eine entsprechende Lücke. Deshalb habe ich auch gesagt, daß Ihr Entwurf nicht verfassungskonform ist.
Das hat etwas mit Mathematik zu tun.
Ich wiederhole: Wir wollen keine Ausgrenzung. Wir brauchen die älteren Menschen genauso wie die jungen.
Wir haben vor wenigen Tagen unter dem Titel „Dialog der Generationen" eine Sammlung von 150 Initiativen veröffentlicht. Aus ihr geht hervor, daß es in unserem Land ein großes Repertoire an Initiativen, Projekten und Ideen gibt, vor allem aber an jungen und alten Menschen, die diesen Dialog wollen. Deshalb auch die Einbeziehung generationsübergreifender Projekte in den Kinder- und Jugendplan - schon innovativ, liebe Frau Klemmer - wie
auch in den Bundesaltenplan. Es ist unser Ziel, das Modellprojekt „Seniorenbüro" für den Gedanken eines „Treffpunkts der Generationen" zu eröffnen. Die 32 Seniorenbüros des Modellprogrammes haben innerhalb eines Jahres 17 000 Senioren erreicht und zusätzlich 1 300 Seniorengruppen unterstützt. Dies beweist die Aktivität älterer Menschen und läßt erwarten, daß auch neue Ansätze gut aufgenommen werden. Liebe Frau Klemmer, es finden bereits Übernahmegespräche mit den Ländern statt, die zum Teil auch schon sehr erfolgreich waren.
Wir alle wissen, daß das Lebensgefühl von uns Menschen auch in großem Maße davon bestimmt wird, wie unsere Wohnbedingungen sind. Durch eine entsprechende Organisation des Wohnens kann die Selbständigkeit im Alter länger erhalten werden. Wir brauchen daher neue zukunftsweisende Konzepte für das Wohnen im Alter und werden dafür ein bundesweites Modellprogramm „Wohnkonzepte für die Zukunft - Für ein selbstbestimmtes Leben im Alter" entwickeln und durchführen. Dies ist ein Beitrag für eine menschliche, altersgerechte und kostengünstige Wohnversorgung. Ich begrüße auch ausdrücklich den Vorschlag des Bundestagsausschusses für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, das Thema „Wohnen im Alter" für den in dieser Legislaturperiode von der Bundesregierung vorzulegenden Altenbericht vorzusehen.
Neue Wege ermöglicht der vorliegende Haushaltsplan auch auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpolitik. Mit seinem Mittelansatz von 207 Millionen DM ist gewährleistet, daß bewährte Programme im Kinder- und Jugendplan weitergeführt werden können. Hier möchte ich doch anmerken, daß das Auslaufen von Programmen nicht mit Kürzungen zu verwechseln ist. Zugleich werden neue Akzente gesetzt, so z. B. bei der Förderung der freiwilligen Dienste durch das freiwillige soziale und ökologische Jahr, der Integration von jungen Ausländerinnen und Ausländern sowie bei Hilfen für nichtseßhafte Jugendliche. Gerade auch das Problem der zunehmenden Zahl von sogenannten Straßenkindern verdient unsere Aufmerksamkeit und vermehrte Anstrengungen.
- Ich habe gerade gesagt, daß wir dafür Mittel bereitstellen.
In allen Feldern der Gesellschaftspolitik geht es heute darum, daß wir die Chancengerechtigkeit für die Menschen verbessern. Das gilt für die Familien und Senioren genauso wie für die jungen Menschen und für die Frauen. Die Aufgabe, die gleichberechtigte Teilhabe an den Ressourcen zu ermöglichen, ist um so wichtiger, wenn diese knapp sind. Eine herausragende Aufgabe ist daher unverändert die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Mich bedrückt, daß mit 21,5 % die Arbeitslosenquote der Frauen in den neuen Bundesländern fast doppelt so hoch ist wie die
Bundesministerin Claudia Nolte
der Männer. Frauen sind im Durchschnitt erheblich länger arbeitslos als Männer. Sie stellen 77 % der Langzeitarbeitslosen im Osten. Frauen dürfen nicht Manövriermasse des Arbeitsmarktes sein.
Niemand sollte damit rechnen, daß sich die Erwerbsneigung der Frauen im Osten den heutigen Zahlen im Westen annähert.
Wir haben mit der Änderung des § 2 Nr. 5 des Arbeitsförderungsgesetzes und durch den gezielten Einsatz der Instrumente der Arbeitsmarktpolitik viele Dinge erreichen können. Bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben Frauen im Februar 1995 einen Anteil von 64,7 %, während er 1991 noch bei 35 % lag. Primäres Ziel muß aber bleiben, die Chance für Frauen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen.
Die Strategien für eine stärkere Vermittlung von Frauen in den ersten Arbeitsmarkt müssen verbessert und weiterentwickelt werden.
Um dies zu erreichen, werde ich in den neuen Bundesländern Gespräche mit den Tarifpartnern, den Landeswirtschaftsministern, Vertretern der Wirtschaftsförderung und der Landesarbeitsämter führen.
Allein durch die flexible Umgestaltung der vorhandenen Arbeitsplätze könnten in Deutschland viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Noch viel zu selten werden Teilzeitmodelle für Frauen und Männer erprobt und genutzt. Das darf so nicht bleiben. Deshalb starten wir in diesen Tagen ein Modellprojekt, in dem Unternehmen Arbeitszeitberatung auch für qualifizierte Fach- und Führungsaufgaben für Frauen und Männer abrufen können.
Berufliche Perspektiven sind gerade auch für junge Menschen besonders wichtig. Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsplätzen in den alten und den neuen Bundesländern bleibt eine der herausfordernden Aufgaben für alle Beteiligten. Die Zusage der Vertreter der Wirtschaftsverbände, einen Zuwachs an Lehrstellen von ca. 10 % in diesem Jahr zu realisieren, ist daher zu begrüßen und muß in jedem Fall umgesetzt werden.
Augenmerk müssen wir aber auch auf die legen, die auf dem Ausbildungsmarkt weniger Chancen haben. Das Modellprogramm „Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit" hat zum Ziel, die berufliche und soziale Integration sozial benachteiligter junger Menschen im Sinne einer ganzheitlichen sozialpädagogischen Förderung mit Schwerpunktlegung auf die Arbeitswelt zu unterstützen.
Auch dieses Beispiel zeigt, daß wir mit dem vorliegenden Haushalt und der darin beschriebenen Politik auf einem guten Weg sind. Er eröffnet weitreichende Möglichkeiten für eine zukunftsorientierte Politik zugunsten von Familien, Senioren, Frauen und jungen Menschen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche war die kasachische Jugendministerin zu Gast. Bei ihrer Abschlußansprache sagte sie, daß sie besonders beeindruckt war, als Frau Ministerin Nolte von ihrem Ministerium als vom Haus der Generationen gesprochen hatte.
Ich meine auch, daß es ein schöner Begriff ist, dieses zusammengeführte Ministerium als Haus der Generationen zu bezeichnen.
Es war richtig, Familie und Senioren und Frauen und Jugend zusammenzuführen. Diese Zusammenführung ist gut gelungen. Die Zusammenarbeit funktioniert. Dafür danke ich der Ministerin und ihrem Haus sehr herzlich.
Die Familienpolitik gehört in dieser Legislaturperiode zur besonderen Priorität dieser Koalition. Zwei Punkte stehen dabei für mich im Vordergrund: erstens die Verbesserung des Familienleistungsausgleichs und zweitens die Schaffung von preiswertem Wohnraum für Familien.
Wir haben ein Modell zum Familienleistungsausgleich vorgelegt, das Familien ab 1996 mit 6 Milliarden DM mehr ausstattet. Das ist immerhin eine Steigerung von 36,5 auf 42,5 Milliarden DM. Ich meine, angesichts der Haushaltssituation ist das eine beachtliche Steigerung von mehr als 16 %.
Meine Damen und Herren, für Familien mit mehreren Kindern und für Alleinerziehende ist es schwer, eine entsprechende Wohnung zu bekommen. Deswegen ist für mich der zweite Schwerpunkt, nämlich
Maria Eichhorn
Schaffung von preiswertem Wohnraum, ganz besonders wichtig. Zur Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums ist die Wohneigentumsförderung von großer Bedeutung.
Diese zur Zeit geltenden steuerlichen Regelungen zur Wohnbauförderung sind schwer durchschaubar und für Normalbürger kaum verständlich. Deswegen muß die Neuregelung gerecht, familienfreundlich und steuervereinfachend sein und vor allen Dingen Familien mit mehreren Kindern zugute kommen.
Das heißt, die Kinderkomponente ist bei der Förderung wichtig; denn Eltern wollen zu Recht Eigentum, solange die Kinder klein sind. Aber nicht nur für junge Familien, sondern auch für die Senioren ist die Wohnfrage eine ganz besonders wichtige Frage.
Ältere Menschen sind heute aktiv. Sie wollen das Leben selbstverantwortlich gestalten. Deswegen haben wir dem bei verschiedenen Modellprojekten auch Rechnung getragen. Wir wollen Selbständigkeit und Engagement der älteren Menschen fördern.
Die SPD-Schattengesundheitsministerin dagegen will den alten Menschen das Wahlrecht verwehren. Das ist eine schallende Ohrfeige für ältere Menschen.
Gott sei Dank ist uns diese Ministerin erspart geblieben.
Aus der Frauenpolitik möchte ich zwei Punkte besonders herausgreifen. Zum einen sollen durch ein besonderes Modellprojekt Frauen in den neuen Bundesländern auf Führungsaufgaben durch bestimmte Qualifikationsmaßnahmen vorbereitet werden, was gerade in den neuen Bundesländern sehr wichtig ist. Ein anderes Modellprojekt hat zum Ziel, daß Arbeitgeber von kleinen und mittleren Betrieben mehr Frauen als bisher einstellen. Das sind zwei Beispiele gezielter Frauenförderung, um Benachteiligungen abzubauen.
Kinder- und Jugendpolitik ist Politik für die Zukunft. Die Berufsausbildung hat hier eine ganz besondere Bedeutung. Deswegen begrüße ich die Zusage der Wirtschaft, in den neuen Bundesländern zusätzlich 10 % Ausbildungsplätze für junge Menschen zur Verfügung zu stellen.
Ein wichtiges Anliegen bleibt nach wie vor die Bekämpfung jeglicher Gewalt. Deswegen wollen wir die Programme gegen Aggression und Gewalt fortsetzen und neue Wege der Gewaltprävention unterstützen. Wenn hier der Kinder- und Jugendplan mehrmals angesprochen worden ist, so ist dazu zu sagen, daß der Ansatz hierfür zwar unter dem Vorjahresansatz liegt; aber Sie müssen wissen, daß dies darauf zurückzuführen ist, daß wir auf Grund des Einigungsvertrages Aufgaben der Länder übernommen haben, z. B. daß AFT-Programm, das eigentlich gar nicht Aufgabe des Bundes ist.
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr sind es 50 Jahre, daß der Krieg zu Ende ist. Es wird viel von Versöhnung und Frieden gesprochen. Der beste Weg, den Frieden auf Dauer zu sichern, ist eine internationale jugendpolitische Zusammenarbeit. Zum letzten diesbezüglichen Zusammenschluß ist es vor kurzem zwischen Deutschland und Kasachstan gekommen. Eine ganz besondere Bedeutung hat die Intensivierung des deutsch-polnischen Jugendaustausches.
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft ist auf das Miteinander von Jung und Alt, von Männern und Frauen angewiesen. Unsere Aufgabe ist es, dieses Miteinander durch unsere Arbeit zu fördern und zu unterstützen. Das ist eine schöne Aufgabe, der wir uns gerne stellen. Ich lade Sie alle dazu ein.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17 - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dazu liegt auf Drucksache 13/ 955 ein Änderungsantrag der PDS vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der PDS und bei etlichen Gegenstimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der anderen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für Einzelplan 17 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und PDS angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit - Drucksachen 13/515, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Kristin Heyne Roland Sauer
Dr. Wolfgang Weng Gerhard Rübenkönig
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der vermeidbaren Blut-Aids-Katastrophe ist das Thema Gesundheit
Gerhard Rübenkönig
noch sensibler geworden. Wie war es überhaupt möglich, daß ein Interessentrio aus Herstellern, Ärzten und Behörden diesen Skandal in der deutschen Medizin jahrelang verbergen konnte?
Heute reden wir über die Gesundheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, über Ihren Haushalt, Herr Minister Seehofer, und damit auch über Ihre Verantwortung in dieser Sache. Ihr Gesundheitshaushalt ruft nicht nur die SPD-Opposition auf den Plan, sondern entmutigt geradezu die Patienten und Versicherten in unserem Lande.
Herr Seehofer, Sie haben mit Blick auf die Contergan-Tragödie, bei der Parlamentsdebatte Anfang des Jahres zu HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte versprochen, eine weitere Katastrophe in der modernen Medizin zu verhindern. Aber schon heute morgen mußten Sie der Öffentlichkeit mitteilen, daß der Entschädigungsfonds nicht zustande gekommen ist.
Die SPD-Fraktion wird sich an der Vereinbarung, wie sie zustande gekommen ist, nämlich an dieser Billiglösung, nicht beteiligen.
Sie haben mit der Pharmaindustrie schlecht verhandelt.
Wir haben in dieser Sache die parlamentarische Pflicht, mehr zu tun. Herr Seehofer, wo bleibt die vom Parlament versprochene Genugtuung für HIV-infizierte Bluter? Dieses Verhandlungsergebnis ist auch ein Beweis für die unglaubwürdige Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Unglaubwürdig, Herr Minister Seehofer, wirkten Sie ebenfalls in der Debatte am 9. März, als Sie gleich zu Anfang wörtlich verkündeten:
Das deutsche Gesundheitswesen gehört nach wie vor zu den leistungsfähigsten auf der Welt. Ich behaupte sogar, es ist das leistungsfähigste auf dieser Erde.
Ich glaube das nicht und meine, daß Ihnen das keiner abnimmt.
Ich meine, Herr Minister, dieser Haushalt wird Sie auf den bitteren Boden der Realität zurückholen. Der Gesundheitshaushalt 1995, der gegenüber 1994 um 6,5 % heruntergefahren wurde, zeigt deutlich, daß jeder Ansatz für eine moderne Gesundheitspolitik in Deutschland unmöglich gemacht und so die Revision des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1993 mit eingeleitet wird.
Dies zeigen drastische Kürzungen auf dem Gebiet der Psychiatrie, auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, auf dem Gebiet der Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker, auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs. Lediglich bei den Ausgaben für die Aids-Bekämpfung konnten wir in der Haushaltsberatung die geplante Kürzung von 7 Millionen DM um 2 Millionen DM, nämlich auf jetzt 5 Millionen DM, herabmildern.
Einen Erfolg, Herr Minister, konnte die SPD-Opposition in diesen Tagen verbuchen. Auf die wiederholte Forderung meiner Fraktion nämlich, die humanitäre Soforthilfe für die PPSB-Opfer zu öffnen, haben Sie endlich reagiert und gehandelt.
Ich muß aber als Haushälter dennoch feststellen: Die Bundesregierung kürzt seit Jahren zunehmend die Mittel in den Bereichen Aufklärung und Prävention. Angesichts der unverminderten HIV-/Aids-Problematik ist dies nicht zu verantworten.
Jedes Jahr wird eine große Zahl von Menschen neu mit HIV infiziert. Andere erkranken; viele sterben an dieser noch immer unbesiegbaren Krankheit. Herr Minister, der von der Bundesregierung durch Sie ausgesprochenen Bitte um Verzeihung muß die ausreichende finanzielle Perspektive für die Betroffenen folgen.
Der Entschließungsantrag der SPD-Opposition zum Schlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses war das Signal für weitere notwendige Schritte nach den Ergebnissen der gemeinsamen Arbeit. So wurde auf Initiative der SPD im Bundeshaushalt 1995 ein parteiübergreifender Konsens in der Frage der Entschädigung von HIV-Opfern erreicht.
Die Schaffung des neuen Haushaltstitels „Beteiligung des Bundes an einer Regelung für angemessene Leistungen an HIV-Opfer von Blut und Blutprodukten" konnte von allen Parteien als ein erster Schritt zur umfassenden Entschädigung der Betroffenen mitgetragen werden. Weiter gefordert hatten wir aber vom Bund, meine Damen und Herren, einen festen Betrag, der sich an den Empfehlungen des 3. Untersuchuñgsausschusses orientierte. Das jetzt erzielte Verhandlungsergebnis, Herr Minister See-
Gerhard Rübenkönig
hofer, lediglich 250 Millionen DM für die Opfer der größten deutschen Arzneimittelkatastrophe, ist natürlich völlig unzureichend.
Eine solche Billiglösung ist für die Opfer und auch für die SPD völlig unakzeptabel.
Die Opfer haben keine Zeit zu verlieren. Deshalb ist der Vorschlag einer Stiftung der falsche Weg.
Statt einer Kapitalentschädigung - der Untersuchungsausschuß hat 350 000 DM als unteren Rahmen für angemessen erachtet - soll jetzt aus dem zu geringen Stiftungsvermögen lediglich eine monatliche Rente gezahlt werden.
Was bei Contergan richtig war, hilft den Menschen auf Grund ihrer geringen Lebenserwartung in diesem Falle nicht.
Viele Menschen starben bereits an den Folgen ihrer Infektion, und, meine Damen und Herren, Woche für Woche werden es mehr.
Kolleginnen und Kollegen, nach der ConterganKatastrophe sollte mit der Schaffung eines sogenannten Pharmapools verhindert werden, daß sich die rechtliche Situation und die nachteilige Behandlung von Opfern wiederholen. Deswegen wurde für die Abdeckung von Großrisiken der Pool gebildet. Aber es rührt sich nichts. Die Gesamtprämieneinnahmen machen heute über 600 Millionen DM aus. Gezahlt hat die Versicherungswirtschaft aber bis heute nichts.
- Nein, natürlich nicht.
Ja, die Versicherer konnten sogar das Mißbrauchsverfahren gegen das Kartellamt mit der Begründung anhalten, dieses Geld werde für die Entschädigung für HIV-Infizierte gebraucht. Aus diesem Grund hätten Sie anders auftreten und anders verhandeln müssen, Herr Minister.
Meine Aufforderung an die Vertreter der Versicherungswirtschaft: Kommen Sie doch endlich Ihren Verpflichtungen nach! Stellen Sie dem Entschädigungsfonds die Hunderte von Millionen DM zur Verfügung, die Sie für eine solche Katastrophe zurückgelegt haben! Zeigen Sie, daß Sie die Steuervorteile nicht zu Unrecht erhalten haben!
Mein Appell an Sie, Herr Minister, und an die Vertreter der Pharmaindustrie und Versicherungswirtschaft: Verhandeln Sie in dieser Sache nach! Wir brauchen dringend vertrauensbildende Maßnahmen. Wir müssen den Opfern sofort helfen, und wir dürfen mit unserer Hilfe nicht zu spät kommen.
Ich meine, wir müssen jetzt die Initiative ergreifen: Der Staat tritt sofort mit den Beiträgen von Bund und Ländern in Vorleistung,
läßt sich von den Betroffenen deren Haftungsansprüche abtreten und macht sie, z. B. in Musterprozessen, gegen die Pharmaindustrie geltend. Die SPD wird zur dritten Lesung hierzu einen Initiativantrag stellen.
Deshalb müssen wir den Antrag vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Frau Heyne, den Sie hier gestellt haben, ablehnen.
Herr Minister Seehofer, neben der ungelösten HIV-Problematik existiert natürlich noch der Aufgabenkatalog des Gesundheitsstrukturgesetzes, der noch nicht abgearbeitet ist. Reden Sie jetzt nicht schon von der dritten Stufe der Gesundheitsreform, son-dem kehren Sie zum Lahnsteiner Kompromiß zurück und lassen Sie uns zum Wohle der Patienten und Versicherten diese tiefgreifende Strukturreform endlich umsetzen!
Schon in der Koalitionsvereinbarung zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens fehlte nach meiner Auffassung ein eindeutiges Bekenntnis zur Umsetzung des Gesundheitsstrukturgesetzes, mit dem im Jahr 1993 eine Reform im Gesundheitswesen unter der Zielsetzung „Modernisierung des Gesundheitswesens statt Rationierung medizinischer Leistungen" begonnen wurde.
Bedenklich stimmt mich die Ankündigung, eine dritte Reformstufe des Gesundheitswesens vorzubereiten, vor allem deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die Fragestellungen des Gesundheitsministers an die Gutachter zur gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere auf eine Rationierung und Privatisierung von Leistungen abzielen.
Prompt will der Sachverständigenrat dann auch das vorhandene Problem der Knappheit der Mittel vorwiegend in der Sphäre der Versicherten lösen.
Gerhard Rübenkönig
Wie ich den bereits in einem Zwischenbericht dargelegten Diskussionsvorschlägen entnehme, geraten die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung unter Druck. Danach stehen der bisherige Arbeitgeberanteil, das Solidarprinzip, das Sachleistungsprinzip, das Finalprinzip - d. h. Leistungen werden unabhängig von der Verursachung der Erkrankung erbracht - und die medizinisch vollwertige Versorgung zur Disposition.
Einer Gesundheitspolitik, die den solidarischen Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung und die Bedarfsgerechtigkeit mit dem Schlagwort einer verstärkten Eigenverantwortlichkeit zu einem wesentlichen Teil außer Kraft setzt, erteilen wir Sozialdemokraten eine klare Absage.
Die Petersberg-Gespräche mit den Verbänden des Gesundheitswesens waren ein weiterer Anlaß für Sie, Herr Minister sich vom Gesundheitsstrukturgesetz zu verabschieden. Denn wer will sich nach der Ankündigung einer weiteren Reform noch freiwillig einem Rationalisierungsdruck für seinen Bereich aussetzen?
Fazit für mich ist: Während vor allem die Patienten und allen voran chronisch Kranke durch Arzneimittelzuzahlungen bereits unverhältnismäßig hoch belastet werden, werden in anderen Bereichen die strukturellen Maßnahmen, die ja die Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisieren sollen, leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Ein deutliches Beispiel, Herr Minister Seehofer, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ist der geplante Verzicht auf die Einführung der Positivliste für Arzneimittel.
Was Herr Lohmann von der CDU schon eine Horror-liste nannte, ist tatsächlich ein wesentlicher Bestandteil des Gesundheitsstrukturgesetzes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle, daß der Arzneiverordnungsreport von Jahr zu Jahr neu beweist, wie unübersichtlich und unverständlich der Arzneimittelmarkt aussieht. Die Mittel der Solidargemeinschaft werden weder unter qualitativen noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimal eingesetzt.
Arzneien mit einem marginalen therapeutischen Nutzen können gleichzeitig mit Risiken behaftet sein. Der Verzicht auf ein Medikament bedeutet in solchen Fällen daher auch einen Verzicht auf Nebenwirkungen. Der deutsche Arzneimittelmarkt, meine Damen und Herren, zeichnet sich durch eine erhebliche Intransparenz aus, die ihrerseits deutliche Qualitätsmängel zur Folge hat.
Die Positivliste als Orientierung im Arzneimittelbereich ist daher ein Instrument zur dringend notwendigen Qualitätsverbesserung und für den Arzt die Grundlage einer rationalen Therapie.
Wir sind der Auffassung, daß durch die AMG-Novelle die Positivliste nicht überflüssig geworden ist. Der Ausschlußtatbestand nach § 92a Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ist neu und geht ganz bewußt über die Kriterien für die Zulassung eines Arzneimittels hinaus, indem er auf das Ausmaß des zu erzielenden Effektes abhebt.
Demgegenüber kann einem Medikament die Zulassung nur dann versagt werden, wenn sich mit ihm keine Wirkung erzielen läßt. Angesichts begrenzter finanzieller Ressourcen stellt sich die Frage, ob EdelPlacebos wirklich von der Solidargemeinschaft bezahlt werden sollten.
Die Positivliste, Herr Minister, die Sie bis zum 31. Dezember 1995 zu erlassen haben, ist ein Qualitäts- und Transparenzinstrument und keine Maßnahme zur Kostendämpfung im Arzneimittelbereich.
Die Tatsache, daß die Frage der Verordnungsfähigkeit mehr als bisher an qualitative Gesichtspunkte geknüpft ist, können wir im Blick auf das Wohl der Patienten und einer hochwertigen Versorgung unserer Versicherten nur begrüßen.
Bevor ich zum Schluß komme, Herr Minister, möchte ich aus aktuellen Gründen auf den unerhörten Entwurf des Ausländerleistungsgesetzes aus Ihrem Hause eingehen.
Sie wollen den Anspruch von Bürgerkriegsflüchtlingen in der Bundesrepublik sowie geduldeten Ausländern und Asylbewerbern, die über ein Jahr in Deutschland leben, um ein Viertel unter das Sozialhilfeniveau drücken. Wenn das der Auftakt für die Neuregelung der Sozialhilfe sein soll, läßt diese würdelose Kalkuliererei Schlimmeres vermuten.
Der von Ihnen erwogene Abstand zwischen Sozialhilfe und Einkommen in den unteren Lohngruppen kann dazu führen, daß mancher Haushalt in die totale Armut abrutscht. Dies ist ein Angriff auf die Würde des Menschen in unserem Lande und ist ein Vorschlag, der mit Sozialdemokraten nicht zu machen ist.
Gerhard Rübenkönig
Für ein solches Gesetz, Herr Seehofer, wird es keine Mehrheit im ganzen Deutschen Bundestag geben. Die SPD-Fraktion lehnt diesen menschenunwürdigen Gesetzentwurf zutiefst ab.
Zum Schluß stelle ich zusammenfassend nochmals die zentralen Aufgaben in der Gesundheitspolitik heraus: erstens die Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips durch die inhaltliche Forcierung der Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten im Krankenhaus, zweitens die Förderung der wirtschaftlichen Verordnungsweise durch Einführung von Richtgrößen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel in der ambulanten Praxis, drittens die qualitative Absicherung der Wirtschaftlichkeit durch Einführung von Qualitätsmaßstäben im Leistungsgeschehen des Gesundheitswesens und viertens die Sicherstellung der Arzneimitteltherapie auf einem höheren Qualitätsniveau durch die Einführung der von mir bereits erwähnten Positivliste im Arzneimittelmarkt.
Herr Minister Seehofer, meine Damen und Herren, die Fülle der Versäumnisse zeigt, daß die Gesundheitspolitik der Bundesregierung unglaubwürdig ist. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Haushalt ab.
Aber im Interesse der Patienten und Versicherten, insbesondere der HIV-Infizierten, bieten wir Ihnen bei der Durchsetzung der Strukturreform und unserer Forderungen bei den Nachverhandlungen mit den Beteiligten unsere Mitarbeit und Unterstützung an.
Ich danke Ihnen.
Das war die erste Rede des Abgeordneten Gerhard Rübenkönig aus Kassel. Ich spreche ihm die Glückwünsche des ganzen Hauses aus.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Roland Sauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Rübenkönig, dies war Ihre Pflichtübung als Oppositionsabgeordneter - mehr nicht.
Ich frage mich, von welchem Land Sie eigentlich gesprochen haben. Wenn man draußen in der Welt hört, daß die Deutschen das beste Gesundheitssystem überhaupt haben, und wenn alle versuchen, uns nachzueifern, dann muß man zu der Auffassung kommen, daß Sie heute abend an der Realität vorbeigeredet haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Titze-Stecher?
Ich möchte gerne zusammenhängend ausführen.
- Frau Kollegin Titze-Stecher, Sie machen ja so schön beim Nichtraucherschutz mit. Deswegen dürfen Sie die Frage stellen. Bitte schön.
- Da sind wir uns einig.
Kollege Sauer, es geht nicht um das Nichtraucherschutzgesetz. Sie erinnern sich sicher, daß ich vor zwei Jahren im Rahmen meiner Haushaltsrede zum Einzelplan 15, dem Einzelplan des Gesundheitsministers - der Gesundheitsminister hieß schon damals Seehofer -, von einer Studie in Amerika berichtet habe, in der an Hand von verschiedenen Kriterien zehn Industrieländer daraufhin untersucht wurden, welches Industrieland das beste Gesundheitssystem hat. Wir landeten auf Platz acht.
Sie wissen vielleicht auch, Frau Kollegin Titze-Stecher, daß die Präsidentengattin Hillary Clinton schon mehrfach davon gesprochen hat, daß Deutschland das beste Gesundheitssystem der Welt hat, und versucht, diesem System nachzueifern.
Nun zum Haushalt. Zunächst möchte ich klar sagen, daß auch dieser Einzelplan ein Sparhaushalt ist. Aber wir haben die Schwerpunkte, die für die Gesundheit unserer Bürger wichtig sind, trotzdem nicht vernachlässigt. Die Ausgabenschwerpunkte des Gesundheitsministeriums liegen bei den Maßnahmen gegen Drogen- und Suchtmittelmißbrauch mit rund 46 Millionen DM, bei der Aids-Bekämpfung mit nahezu 54 Millionen DM, bei der Bekämpfung von Krebs mit 32 Millionen DM, bei den Beiträgen des Bundes zur Bund-Länder-Forschungsförderung mit rund 44 Millionen DM sowie - dies müssen wir leider auch sagen - bei den erheblichen Beiträgen für das internationale Gesundheitswesen mit fast 70 Millionen DM.
Selbstverständlich waren in manchen Bereichen Einsparungen erforderlich. Vielfach waren bei diesen Einsparungen, die wir vorgenommen haben, aber Titel betroffen, deren Mittel im letzten Jahr nicht abgeflossen sind. Sicherlich sind manche der von uns vorgenommenen Kürzungen schmerzhaft. Aber der Gesundheitsschutz und die Gesundheitsvorsorge bleiben im vollen Umfange gewährleistet.
Roland Sauer
Erfreulich positiv hat sich im Zuge der Haushaltsberatungen die personelle Situation der Nachfolgeeinrichtungen des Bundesgesundheitsamtes, insbesondere in den neuen Ländern, entwickelt. Trotz des Sparzwanges gelang es, in diesen Nachfolgeeinrichtungen 140 von 187 Zeitstellen in Dauerstellen umzuwandeln.
Dies ist gerade für die neuen Bundesländer sehr wichtig gewesen, weil damit, beispielsweise in Wernigerode oder Bad Elster, nicht nur die Arbeitsplätze, sondern auch der Fortbestand dieser Institute gesichert werden konnte.
Von großer Bedeutung ist auch der Aufgabenbereich Blut und Blutprodukte. Hier ist insbesondere die Stellenaufstockung im Paul-Ehrlich-Institut zu erwähnen. Es gelang, im Bundeshaushalt 1995 dort insgesamt 69 Dauerstellen und ausreichende Mittel für Aushilfskräfte zur Verfügung zu stellen. Das Paul-Ehrlich-Institut erhält somit eine personelle Ausstattung, die Sicherheit bei Blut und Blutprodukten gewährleistet. Sollte diese Stellenausstattung aber nicht ausreichen, so werden wir bei den Haushaltsberatungen 1996 weitere Stellen bewilligen müssen.
Die Bekämpfung von Aids ist sicher eine der wichtigsten Aufgaben in der Gesundheitspolitik. Angesichts von 50 000 bis 70 000 HIV-Infizierten, 4 500 bis 5 000 Aids-Erkrankten und bislang rund 7 500 Aids-Toten in Deutschland müssen wir weiterhin erhebliche Finanzmittel zur Verfügung stellen.
So konnten wir, wie gesagt, den Haushaltsansatz in diesem Bereich, wenn man auch die nachgeordneten Institute hinzunimmt, auf nahezu 54 Millionen DM anheben, Herr Kollege Rübenkönig. Dabei bleiben die Mittel für die Aids-Aufklärung in Höhe von 20 Millionen DM auf dem Stand von 1994. Im Regierungsentwurf waren nur noch 18 Millionen DM vorgesehen. Aber ich glaube, solange weder ein Impfstoff noch eine ausreichende Therapie gegen die Krankheit zur Verfügung stehen, bleiben Aufklärungsmaßnahmen das wichtigste Mittel zur Aids-Bekämpfung.
Noch ein Wort zur humanitären Soforthilfe für durch Blut und Blutprodukte Geschädigte. Hier bleibt es beim Ansatz des Vorjahres in Höhe von 20 Millionen DM, wahrscheinlich bis zum 1. Juli 1995. Dann wird der nächste Aids-Fonds einsetzen. Hier ist wichtig zu sagen, daß diese Gelder ab sofort auch für Personen verwandt werden können, die auf Grund des bisherigen Stichtages, nämlich 30. Oktober 1993, keine Leistungen erhielten. Dies gilt z. B. für Nichtbluter und für mittelbar HIV-infizierte Lebenspartner, die nun auch Leistungen aus diesem Fonds bekommen. Dies sollten Sie anerkennen und nicht kritisieren, liebe Kollegen von der SPD.
Unsere besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit gilt aber dem neuen geplanten Aids-Fonds „Humanitäre Hilfe", mit dem den Geschädigten nachhaltig geholfen werden soll. Bundesminister Seehofer hat die Mithaftung des Staates akzeptiert. Er hat sich bei den betroffenen Menschen entschuldigt und um Verzeihung gebeten. Dafür gebührt ihm Respekt und Anerkennung.
Eine ähnliche Haltung, aber auch das gleiche Verantwortungsbewußtsein hätte ich mir auch von den anderen Mitbeteiligten - da gebe ich Ihnen durchaus recht - gewünscht.
Unserer Meinung nach muß nun ein weiterer humanitärer Hilfsfonds geschaffen werden, der mehrere hundert Millionen Mark umfassen soll. Auf Vorschlag der Koalition wurde daher im Einzelplan 15 ein Leertitel eingefügt. Dies sollte ein deutliches Signal für die anderen Mitbeteiligten sein.
Bedenkt man die schlechten Erfahrungen mit der humanitären Soforthilfe, bei der sich die Pharmaindustrie, die Versicherungswirtschaft, die Ärzte, die Blutspendedienste
und die Länder - manche haben bis heute noch nichts bezahlt - nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben, so sieht man, daß es ein weiter und schwieriger Weg für Horst Seehofer war, zu einer zufriedenstellenden Lösung zu kommen. Ich sage mit Nachdruck: Die anderen Mitbeteiligten dürfen sich aus ihrer Verantwortung nicht fortstehlen.
Nun hat Bundesminister Seehofer heute morgen den Gesundheitsausschuß über das Ergebnis seiner Verhandlungen mit den Mitbeteiligten unterrichtet und ein Konzept für diesen neuen Fonds vorgestellt. Danach wird dieser Entschädigungsfonds 250 Millionen DM umfassen. Mit diesen Mitteln wird es möglich sein, rückwirkend - das ist ganz wichtig zu betonen - zum 1. Januar 1994 Rentenzahlungen von monatlich 3 000 DM für bereits an Aids Erkrankte, 1 500 DM für HIV-Infizierte sowie 1 000 DM für unterhaltsberechtigte Angehörige zu leisten. Ich glaube, dies ist eine gute Nachricht, denn Sie müssen wissen, daß durch diese Rückwirkung jetzt schon große Summen auf einmal bezahlt werden. So bekommt ein Aids-Erkrankter, wenn dieses Gesetz zum 1. Juli 1995 in Kraft tritt, allein schon 54 000 DM - wie die anderen Gruppen in Abstufungen auch -, also eine Summe, bei der man schon von einer Kapitalisierung sprechen kann.
Ich meine, Sie von der SPD sind kleinlich. Denn man muß klar sehen: Wer schnell hilft, hilft doppelt, hilft um so mehr.
Roland Sauer
Was hilft es den Aids-Opfern, wenn es lange Zeit, Herr Kollege Diller, zu keiner Lösung kommt, wenn es Verfahren gibt und die Leute in der Zwischenzeit sterben? Deswegen meine ich, daß diese Lösung, bei der wir uns durchaus eine größere Beteiligung der Pharmaindustrie und der Versicherungen gewünscht hätten, schnelle Hilfe bringt. Sie sollten nicht so kleinlich sein und von „Billiglösungen" reden. Dies ist der Sache nicht angemessen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wodarg?
Nein. Ich habe leider nur eine kurze Redezeit; deswegen kann ich das nicht mehr zulassen.
Ich möchte noch ein Wort zur Drogenpolitik sagen, weil diese in den Haushaltsberatungen bisher ein bißchen zu kurz gekommen ist, wie ich meine. Wir halten am nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan fest. Unsere Bemühungen gehen dabei in drei Richtungen: die Aufklärung, Prävention und Prophylaxe, die Hilfe für die Abhängigen in Form von Therapie sowie der entschiedene Kampf gegen die Drogenmafia.
Von einer einseitig repressiv ausgerichteten Drogenpolitik kann somit keine Rede sein. Mit uns - gerade die Kollegen von den GRÜNEN, aber auch Teile der SPD müssen zur Kenntnis nehmen: In Frankfurt ist die Kollegin Nimsch von den GRÜNEN an diesem Problem offensichtlich gescheitert - wird es zu keiner Liberalisierung und zu keiner Legalisierung weicher oder harter Drogen kommen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Dabei wissen wir uns im Einklang mit der übergroßen Mehrheit unserer Bürger. Ich betone dies gerade angesichts der modern gewordenen Forderung nach Heroinabgabeprojekten.
- Herr Kollege Fischer, hören Sie zu! - Der zynische Slogan lautet: Heroin auf Krankenschein. Man muß sich einmal diese Perversion des Denkens vorstellen.
Eine staatliche Drogenvergabe würde die Bedrohlichkeit der Abhängigkeit und ihrer sozialen Folgen verharmlosen, jahrelange Präventionsbemühungen würden hintertrieben werden, und die Medikamenten- und Lebensmittelkontrolle würde geradezu lächerlich gemacht.
- Herr Fischer, wenn Sie auch noch so schreien, Ihre Argumente werden dadurch nicht besser.
Ihre Redezeit ist jetzt leider abgelaufen.
Ich möchte noch einen letzten Satz sagen, Frau Präsidentin.
Solange wir es nicht schaffen, ausreichend Entzugs-, Therapie- und Nachsorgeplätze zur Verfügung zu stellen, ist es unehrlich, vom Scheitern einer auf Abstinenz abzielenden Drogenpolitik zu sprechen. Wir begrüßen daher die klaren und deutlichen Worte der Ablehnung durch das frühere BGA und den Nationalen Drogenrat zu derartigen Heroinabgabeplänen.
Ich bedanke mich herzlich.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristin Heyne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesundheitsminister, über dessen Ressort wir hier sprechen, hat sich durchaus einen Ruf erworben, zum Teil durch die Gesundheitsstrukturreform, besonders aber durch die Neustrukturierung des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes: den Ruf eines couragierten, tatkräftigen Ministers.
In zunehmendem Maße wird dieses Profil nicht nur durch das Profil eines Sparministers, sondern auch durch das eines Streichministers ergänzt - eine Kombination, die seinem Landsmann Herrn Waigel ganz sicher Freude macht, die aber auch der genaueren Beobachtung bedarf.
Im Bereich des Gesundheitsministeriums gibt es einen deutlichen Aufgabenzuwachs. Nach den tragischen Erfahrungen mit der HIV-Infizierung durch
Kristin Heyne
Blutprodukte erfolgt deren Kontrolle jetzt mittels Chargenprüfung; das bedeutet einen erheblichen Mehraufwand. Auch bei der Zulassung und Prüfung von Medikamenten ist durch das Arzneimittelgesetz eine erhebliche Mehrbelastung entstanden.
Für einen Minister, dessen Profil nun aber gerade darin besteht, ein ausgezeichneter Sparer zu sein, ist es natürlich unangenehm, wenn er ausgerechnet in seinem Bereich einen erheblichen Zuwachs an Stellen zu fordern hat. Wer aber zusätzliche Aufgaben übernimmt und sie seinen Mitarbeitern überträgt, muß auch rechtzeitig und in genügendem Maße dafür sorgen, daß diese die Aufgaben verantwortlich übernehmen können.
Es ist zu spät, wenn erst mit der Bewilligung dieses Haushaltes zusätzliche Stellen für die Überwachung der Blutprodukte eingerichtet werden. Die Chargenprüfung ist schon im letzten Sommer eingeführt worden.
Ich habe auch erhebliche Zweifel, ob jetzt genügend Stellen eingerichtet worden sind. Die Auffassung „Wir versuchen einmal, ob es geht" ist für mich keine gute Grundlage. Sollte die Qualität der Arbeit in einem so sensiblen Bereich wie dem der Blutprodukteüberprüfung und der Arzneimittelüberwachung nicht mehr zuverlässig sein, so wäre das Sparsoll in fataler Weise übererfüllt, und der nächste Skandal wäre vorprogrammiert.
Nun ist dem Bereich des Gesundheitsministeriums in dieser Legislaturperiode ja eine neue Aufgabe zugeordnet worden, die Sozialhilfe. Wer sich gefragt hat, welcher Systematik denn diese Zuordnung folgt, der weiß seit Ende letzter Woche, welche Systematik das ist. Sie ist schlicht, sie lautet: Da, wo kräftig gestrichen werden muß, da muß der Seehofer ran.
Die erheblich gestiegenen Kosten der Sozialhilfe belasten die Kommunen übermäßig; das ist bekannt. Das liegt aber nicht an überhöhten Leistungen für die Sozialhilfeempfänger, sondern an der Situation auf dem Arbeitsmarkt, an Regelungen und Gesetzen, die viele Menschen in die Abhängigkeit von der Sozialhilfe treiben.
Gerade die Personengruppe, die jetzt mit den erklärtermaßen abschreckenden Bedingungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zusätzlich konfrontiert worden ist, darf doch zu einem großen Teil nicht arbeiten, und jetzt soll sie zusätzlich dafür auch noch bestraft werden, indem ihr Bezüge gekürzt werden. Chronisch Kranke sollen sogar keine ärztlichen Leistungen mehr bekommen. Das entscheidet der Gesundheitsminister dieses Landes!
Herr Seehofer, mit dem Ausländerleistungsgesetz haben Sie die Grenze zwischen couragiertem Sparer und unverantwortlich Porzellan zerschlagendem Streichminister weit überschritten.
Sie schaffen ein eigenständiges Gesetz für Ausländer, ein selbständiges Regelwerk neben den Leistungsgesetzen für Deutsche. Sie ziehen eine dicke Trennlinie zwischen den existentiellen Bedürfnissen von Deutschen und denen von Ausländern. Das entwürdigende „Das da muß für einen wie dich reichen" machen Sie zur Richtschnur staatlichen Handelns. Herr Seehofer, was da geschieht, geht über Spar- und Streichpolitik weit hinaus. Es verletzt die Betroffenen in hohem Maße, aber es verletzt auch uns alle als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in unserer Würde.
Herr Minister, ich fordere Sie dringend auf, diesen unsäglichen Entwurf zurückzuziehen und auch die weiteren Pläne zur Kürzung der Sozialhilfe, die ja laut geworden sind, sehr gründlich zu überdenken.
Die Kollegen haben es schon erwähnt: Es gab in den Beratergesprächen für den Haushalt einen Lichtblick; das war bei der Aids-Aufklärung. Wir konnten da die Sparmaßnahme zurücknehmen. Herr Sauer, ich habe mit Interesse von Ihnen gehört, daß Sie dieses als sehr wichtige Aufgabe ansehen, die nicht weiter zurückgefahren werden darf. Ich hoffe dringend, daß dies auch im nächsten Jahr gilt, daß wir bei den 20 Millionen DM auf lange Sicht bleiben, damit diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten, auch auf lange Sicht planen können. Das wäre doch immerhin ein Schritt.
In einem Bereich hätte ich dem Minister wirklich Erfolg gewünscht. Ich hatte gehofft, Herr Seehofer, Sie würden durch Verhandlungen zu einer akzeptablen Entschädigungsregelung für die durch Blutprodukte mit HIV Infizierten kommen. Sie sind bei den Verhandlungen mit der Pharmaindustrie und mit den Bundesländern weit unterhalb dessen geblieben, was der Untersuchungsausschuß als Bedarf ermittelt hat.
Ich weiß nicht, wofür Sie hier alle so lange getagt haben, wenn das jetzt mal eben unter den Tisch fällt.
Zusätzlich kann man der Presse heute entnehmen, daß die Pharmaindustrie auch von dieser geringen Summe, die zu zahlen sie sich bereit erklärt hat, schon wieder zurücktritt.
Kristin Heyne
Wir haben einen Antrag eingebracht, denn es darf in der Frage der Entschädigung keine weitere Verzögerung geben. Deswegen beantragen wir, in diesen Haushalt sofort Mittel in Höhe von 700 Millionen DM für einen Fonds einzusetzen. Das entspricht den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses.
In diesen Fonds dürfen auch die Länder gern weitere Gelder einstellen. Die HIV-Infizierten können auf das Ergebnis des Streites zwischen dem Bund und den Ländern, der hier so gerne vorgeführt wird, nicht warten.
Der Bund tritt in Vorleistung, zahlt jetzt Entschädigung und holt sich von den anderen Zahlungspflichtigen auf dem Verhandlungswege oder nötigenfalls auf dem Klagewege das Geld zurück.
Bei der ungeheuerlichen Fahrlässigkeit, die im Zusammenhang mit dem Blutprodukteskandal deutlich wurde, kann es nicht sein, daß die Geschädigten jetzt mit einer milden Gabe abgefertigt werden.
Ein Wort an die andere Seite der Opposition: Es wäre sinnvoll, wenn wir in diesem Punkt gemeinsam als Opposition aufträten. Geben Sie sich bitte einen Ruck, stimmen Sie unserem Antrag zu!
Herzlichen Glückwunsch der Kollegin Heyne zu Ihrer ersten Rede.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Dieter Thomae.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt 1995 steht ganz klar im Zeichen des Sparens. Die unerträglich hohe Staatsquote in der Bundesrepublik muß endlich zurückgeführt werden, damit der einzelne wieder über einen größeren Teil seines Einkommens verfügen kann, ohne daß „sein" Geld zunächst durch staatliche Hände gegangen ist.
Dabei kommt es in Zeiten knapper Ressourcen ganz besonders darauf an, Prioritäten zu setzen.
Gesundheit ist nun einmal ein Bereich, der von allen völlig unbestritten mit großer Bedeutung versehen wird. Deshalb erscheint es mir gerechtfertigt, nicht gerade in diesem Bereich den Rotstift drastisch anzusetzen.
Meine Damen und Herren, es freut mich ganz besonders, daß es gelungen ist, auch die Haushälter davon zu überzeugen, daß eine Kürzung der Mittel für die Aufklärung über Aids gerade das falsche Signal für die Öffentlichkeit wäre. Nach wie vor handelt es sich um eine Erkrankung, deren Zurückdrängung keineswegs gewährleistet ist. Solange wir keinerlei Möglichkeiten haben, diese Krankheit zu heilen, so lange muß das Hauptgewicht auf der Aufklärung liegen, damit die Ansteckungsrisiken gemindert werden.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung braucht deshalb Planungssicherheit für die von ihr mittelfristig angelegten Informationskampagnen und die zahlreichen Maßnahmen, die in Kleingruppen sehr erfolgreich durchgeführt werden.
Heute morgen haben wir im Gesundheitsausschuß vom Minister gehört, wie die von uns allen für dringend erforderlich gehaltene humanitäre Hilfe für die durch Blut oder Blutprodukte HIV-infizierten Menschen und ihre Angehörigen aussehen könnte: 3 000 DM monatlich für Aids-Erkrankte, 1 500 DM monatlich für HIV-Infizierte, 1 000 DM monatlich für nicht HIV-infizierte Angehörige von Verstorbenen - dies rückwirkend zum 1. Januar 1994.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst dem Minister danken. Die Verhandlungen waren nicht einfach; teilweise hatte man den Eindruck, daß sie scheitern würden. Von daher finde ich es bemerkenswert, daß nunmehr eine Gesamtsumme von 250 Millionen DM zur Verfügung steht, wovon der Bund 100 Millionen DM, die Pharmaindustrie und das Deutsche Rote Kreuz 100 Millionen DM und die Länder 50 Millionen DM zur Verfügung stellen.
Natürlich wäre uns eine großzügiger ausgestattete Regelung viel lieber gewesen. Man muß aber auch die Realitäten sehen. Ein Zwangsfonds war aus rechtlichen Gründen nicht möglich; so etwas kann nicht für die Vergangenheit eingerichtet werden. Also gab es nur die Alternative, eine freiwillige Lösung auf die Beine zu stellen. Alle wissen, daß eine solche Lösung immer verschiedene Kompromisse beinhaltet. Weder die Pharmaindustrie noch die Länder konnten gezwungen werden, sich zu beteiligen.
Eines muß man ganz deutlich sagen: Die Länder haben sich in diesem Bereich nicht besonders angestrengt. Der einzige, der in dieser Angelegenheit tatsächlich Position bezogen hat, war der Bund. Das möchte ich einmal festhalten.
Lassen Sie uns bitte nicht darüber streiten, ob nicht eine üppigere Ausstattung der Stiftung wünschenswert wäre. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Aber es führt sicher nicht weiter, wenn dadurch die betroffenen Menschen noch viel länger auf finanzielle Unter-
Dr. Dieter Thomae
stützung warten müssen und eventuell mit Ausnahme der durch den Bund konkret zugesagten 100 Millionen DM im Zweifelsfall überhaupt nichts zur Verfügung steht.
Deshalb geht mein Petitum dahin, daß Bund und Länder in einer Kommission mit ihren Vorbereitungen sofort beginnen, damit wir am besten direkt nach der Osterpause die Stiftung ins Leben rufen können. Einzelheiten müssen diskutiert werden. Aber ich sage auch: Wir sollten nicht nachlassen, die Verantwortlichen auch in Zukunft zu bedrängen und mit aller Macht zu versuchen, daß weitere Zuwendungen in diesen Stiftungsfonds eingezahlt werden.
Wir sollten aber sofort anfangen und versuchen, den Betroffenen zu helfen. Wir wissen alle, meine Damen und Herren, es ist wie in all den Jahren bisher: Wenn wir nicht helfen, sterben die Menschen ohne eine finanzielle Unterstützung. Ich glaube, das kann keiner in diesem Hause verantworten.
Lassen Sie mich bitte noch ein Wort zu einer Thematik sagen, die kurz vor der Behandlung im Gesetzgebungsverfahren steht: der Organtransplantation. Ich habe die Hoffnung, daß alle Fraktionen im Deutschen Bundestag dieses Gesetzeswerk gemeinsam auf den Weg bringen; denn ich denke, es ist kein Thema, das politisch auseinandergeredet werden muß. Wir müssen vielmehr den Betroffenen helfen. Sie alle wissen, die Spendenfreudigkeit ist nennenswert zurückgegangen.
Wir müssen das Thema behandeln, auf welche Weise wir eine Lösung herbeiführen. Die Koalition ist für die erweiterte Zustimmungslösung. Wie ich von der SPD vernommen habe, will man dort einen ähnlichen Weg gehen, und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegen etwa auf der gleichen Linie.
Meine Damen und Herren, es wäre gut, wenn wir dieses Gesetz ebenfalls schnell über die Rampe bringen könnten. Dann hätten wir wirklich ein Signal für die betroffenen Personen gesetzt, die dringend auf Hilfe warten.
Gern würde ich noch etwas zu den Petersberger Gesprächen sagen; ich habe noch eine Minute Zeit. Eines steht fest: Die Budgetierungsphase geht zu Ende, und die Selbstverwaltung wird durch das zukünftige Gesetz mehr Spielraum bekommen. Das ist es, was zu einem Wettbewerbsmodell gehört.
Ich höre von der großen Oppositionspartei - im Gegensatz zum BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -, daß das Stichwort Wettbewerb in der Krankenversicherung ein Wort ist, das zur Diskussion steht. Daher freue ich mich auf die weitere politische Auseinandersetzung.
Herzlichen Dank.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner? - Er ist entschwunden.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den Haushaltsberatungen in den Ausschüssen bleibt es dabei: Die Ausgaben des Bundes für gesundheitliche Zwecke werden erneut empfindlich gekürzt. Auch die vorgenommene geringe Wiederaufstockung von 803 Millionen DM auf nunmehr 811 Millionen DM hat im Grundsatz nichts daran geändert.
Dies alles geschieht, obwohl der Einzelplan 15 ohnehin zu den kleinsten Posten gehört. Man muß sich schon in Erinnerung rufen, daß in diesem Bereich gerade erst im Vorjahr, vor allem durch das Abwälzen der Mutterschaftspauschale auf die gesetzliche Krankenversicherung, eine Kürzung um sage und schreibe 20 % stattgefunden hat. Immerhin war das damals die anteilig massivste Reduzierung, die überhaupt in einem Teilhaushalt vorgenommen wurde.
Während also täglich von den Schwierigkeiten der sozialen Sicherungssysteme die Rede ist, verringert der Bund, statt ausgleichend zu wirken, den bisher noch steuerfinanzierten und von ihm unmittelbar beeinflußbaren Anteil der Gesundheitskosten immer weiter. Gerade darin aber besteht unseres Erachtens das Grundübel der Haushaltspolitik der Regierung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens.
Meine Damen und Herren, auch wenn es in den Ausschußberatungen erfreulicherweise gelungen ist, die ursprünglich vorgesehenen Mittelkürzungen speziell für die Aids-Aufklärung wieder rückgängig zu machen, so bleibt es doch insgesamt selbst auf dem hochsensiblen Feld der Aids-Bewältigung bei neuen erheblichen Einschränkungen.
Wie oft wurde schon in diesem Hause, und zwar in einem breiten Konsens, betont, daß in den Anstrengungen bei der Bekämpfung von Aids auch dann nicht nachgelassen werden darf, wenn der ursprünglich dramatische Zuwachs an Infektionen und Neuerkrankungen einigermaßen gebremst ist! Wo aber bleiben diese guten Absichten, wenn es um die Bereitstellung der real notwendigen Mittel geht?
Festgestellt werden muß ebenfalls, daß mit diesem Haushalt auch die finanziellen Möglichkeiten der durch den Bund geförderten Krebsbekämpfung zum Teil drastisch eingeschränkt werden. Gleiches gilt leider auch für die Maßnahmen, die auf eine bessere Versorgung chronisch sowie psychisch kranker Menschen gerichtet sind.
Eine weitere kritische Anmerkung: Wer im Einzelplan 15 ein Zeichen dafür erwartet hatte, daß über gezielt eingesetzte Modellvorhaben die Erprobung effektiverer Versorgungsformen gefördert wird, hat wohl die Weitsicht und Zukunftsorientiertheit der Regierung auch auf diesem Politikfeld überschätzt. Weder unter den vom Gesundheitsministerium geförderten Modellen noch unter den Forschungsaufgaben
Dr. Ruth Fuchs
der neuen Public-Health-Verbände finden sich Vorhaben, die etwa auf eine Evaluierung und Weiterentwicklung unterschiedlicher ambulanter Versorgungsformen gerichtet wären.
Enttäuschend bleibt für mich auch, daß der Haushaltsausschuß die beantragte Schaffung von Dauerstellen in nachgeordneten Institutionen in den neuen Bundesländern trotz des dringlichen und einstimmig verabschiedeten Votums des Gesundheitsausschusses nicht in vollem Umfang bestätigt hat. Kollege Sauer, es war damals von 227 Stellen die Rede, deren Notwendigkeit Frau Staatssekretärin Bergmann-Pohl eindringlich begründet hatte, um die gesetzlich festgelegten Aufgaben zu erfüllen. Wir unterstützen sie weiter darin. Vielleicht ist diesbezüglich ja noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Zusammenfassend ist festzustellen: Erstens. Die Bundesregierung bleibt auch in der neuen Legislaturperiode bei ihrem absolut inakzeptablen Minimalengagement in Sachen Gesundheit.
Mehr noch: Selbst ihr schon traditionell geringer Einsatz auf diesem Feld elementarer Lebensinteressen der Menschen wird weiter zurückgenommen. Das ist gleichbedeutend mit einem weiteren Abbau des Sozialstaates auch im Gesundheitswesen.
Zweitens. Die Bundesregierung setzt auch mit diesem Haushalt keinerlei Akzente für eine aktive, auf grundlegende strukturelle Erneuerung gerichtete Reformpolitik in diesem Bereich. Im Gegenteil: Per Haushaltsbeschluß sollen sogar schon gesetzlich verankerte Strukturmaßnahmen wieder rückgängig gemacht werden. Hierfür steht das fragwürdige Vorgehen der Koalition im Zusammenhang mit der Positivliste.
Drittens. Was den Entschädigungsfonds für die Opfer der HIV-Infektion durch Blut und Blutprodukte betrifft, so will die Bundesregierung offensichtlich gegenüber Industrie und Versicherungen - wie sagt man so schön? - klein beigeben.
Die Privatwirtschaft ist nicht annähernd bereit, den für sie vorgesehenen und vor allem angemessenen Anteil am Gesamtfonds zu tragen. Äußerst bedauerlich ist dabei: Sie bewegt sich offensichtlich mit dieser Verweigerungshaltung auf dem Boden des geltenden Rechts. Gerechtigkeit für die Betroffenen wird so aber wieder einmal nicht erreicht.
Aus all diesen Gründen wird die PDS den Einzelplan 15 ablehnen.
- Das haben Sie doch erwartet. Es wäre doch gar nicht möglich, daß wir da zustimmen. Dann wären Sie so enttäuscht, und das wollten wir Ihnen nicht zumuten.
Dem Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zum Thema Aids stimmen wir zu.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Gesundheit, Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit gestern nachmittag gibt es zwischen dem Bund, den Ländern, den Pharmaherstellern und dem Deutschen Roten Kreuz eine Grundsatzeinigung über die Einrichtung einer Stiftung zur Hilfe von Aidsopfern. Die Stiftung ist mit 250 Millionen DM ausgestattet. Für die einzelnen Betroffenen gibt es spürbare Hilfen, auch rückwirkend. Ich denke, das ist nach den langen Diskussionen der letzten Monate und den zähen Verhandlungen in den letzten Tagen eine gute Nachricht für die Opfer.
Wie immer kann man über die Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel diskutieren. Mir war es jedoch wichtig, nach den endlosen Diskussionen, nach den quälenden und für die Betroffenen manchmal unzumutbaren Diskussionen jetzt nicht weitere Monate zu streiten, sondern ein Beispiel für praktizierte Solidarität zu geben und noch in diesem Monat zu entscheiden und zu handeln.
Meine Damen und Herren, man kann das alles noch verbessern und zustiften. Nur, ich kann mich nicht an eine Hilfsaktion in einer vergleichbaren Größenordnung bei einem vergleichbaren Schaden erinnern. Deshalb sollten wir nicht ständig das kritisieren, was jetzt zustande gekommen ist, sondern sollten uns zunächst einmal freuen, das Erreichte in Kraft setzen und anschließend überlegen, wie wir das eine oder andere vielleicht noch verfeinern können.
Frau Kollegin Heyne, ich habe ja Verständnis, wenn man auf diesen Streit zwischen Bund und Ländern hinweist. Aber es gehört eben auch zu den Feststellungen des Untersuchungsausschusses, daß es hier eine ganz erhebliche Mitverantwortung der Bundesländer, insbesondere der alten Länder in den 80er Jahren, gab und daß es deshalb auch eine moralische Verpflichtung dieser Länder gibt, massiv zu helfen. Ich kann hier nur feststellen, daß die SPD-geführten Länder zunächst überhaupt nicht bereit waren, sich zu beteiligen.
Jetzt sind sie zwar bereit, sich zu beteiligen, haben
aber nur eine Verpflichtung übernommen, die unterhalb dessen liegt, was der Untersuchungsausschuß
Bundesminister Horst Seehofer
fordert, und wollen überdies ihrer Verpflichtung nur in vier Jahresraten und nicht in einer Summe im Jahr 1995 nachkommen, was unsere Handlungsspielräume enorm einengt.
Am Montag haben die SPD-geführten Länder in Anwesenheit der Pharmahersteller, des Deutschen Roten Kreuzes und der Versicherer gegenüber der Bundesregierung erklärt, daß sie mit dem Betrag der Bundesregierung einverstanden sind und von der Bundesrepublik Deutschland einen höheren Betrag nicht fordern. Deshalb ist es eine doppelzüngige Strategie, wenn sie jetzt hier in der Bundestagsdebatte den gegenteiligen Eindruck erwecken.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Knoche?
Ja, natürlich.
Herr Minister Seehofer, Sie haben heute morgen im Ausschuß schon ausführlich diese Argumentation dargelegt. Ich sehe es zwar nicht als meine Aufgabe an, die Position der SPD-Länder darzustellen, möchte aber doch bemerken, daß Hessen seine Bereitschaft erklärt hat.
Mich interessiert die Antwort auf eine andere Frage: Sehen Sie nicht auch angesichts aller öffentlichen Bekundung und Schuldanerkenntnis, die der Bund und Sie - stellvertretend für ihn - im Bundestag gemacht haben, daß Sie mit dem Vorschlag, den Sie hier heute der Öffentlichkeit vorstellen, de facto eine Staatshaftung einführen, weil zwei Drittel der Leistungen vom Staat erbracht werden, die Pharmaindustrie aber nur einen marginalen Anteil leistet? Sind Sie ferner mit mir der Meinung, daß Sie das Ergebnis des Untersuchungsausschusses auch marginalisieren, wenn Sie heute den Geschädigten ihre Entschädigungsrechte im Grunde absprechen und nur noch von humanitärer Hilfe reden?
Frau Kollegin Knoche, ich bin für jeden Beitrag dankbar - das sage ich hier ausdrücklich -, den die Länder, die Pharmahersteller und das Deutsche Rote Kreuz leisten. Ohne Verkennung dieser Dankbarkeit möchte ich trotzdem sagen: Die Länder - wenn Sie Hessen hier einbeziehen, dann gilt das auch für Hessen - wollen 50 Millionen DM einbringen. Auf vier Jahre verteilt sind das 12,5 Millionen DM pro Jahr, und dies ist nochmals durch 16 Bundesländer zu teilen. Wenn die Länder angesichts einer so lächerlichen Größenordnung nur zu Ratenzahlungen in der
Lage sind, dann dürfen Sie mir nicht verwehren, daß ich mir nicht von der SPD die Behauptung gefallen lasse, ich hätte für den Bund unzureichend gehandelt.
Das zweite: Die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, als einzige Beteiligte ihren vollen Beitrag zahlt und damit ihre moralische Verantwortung in Geld ummünzt, und zwar 1995 in einem Betrag 100 Millionen DM - bei einem Entschädigungsvolumen von 500 Millionen DM sind das 20 %, bei einem Volumen von 250 Millionen DM 40 % -, die Tatsache also, daß der Bund als einziger seiner Verantwortung vollständig und pünktlich gerecht wird, lasse ich mir jetzt nicht in den Vorwurf verdrehen, dies bedeute faktisch die Staatshaftung.
Ich habe hier eine Pressemeldung von Herrn Kirschner, in der gesagt wird, ich solle auf das lächerliche Angebot der Pharmaindustrie verzichten und das Geld gar nicht annehmen; anstelle dessen sollten Bund und Länder 700 Millionen DM vorfinanzieren und sich wieder zurückholen. Nun sage ich Ihnen das gleiche, was ich heute im Ausschuß gesagt habe: Ich werde jetzt die SPD-Ministerpräsidenten anschreiben - das geschieht, Sie können sie vorwarnen, morgen vormittag - und werde sie um Bestätigung dieser SPD-Forderung bitten, die darauf hinausläuft, daß die Bundesländer 300 Millionen DM aufzubringen haben.
Herr Kirschner, wenn Sie unter dem Stimmungseindruck des Tages den Mund zu voll genommen haben sollten und wenn sich diese Ankündigung, diese Forderung möglicherweise als Lüge entlarven sollte, dann - das kann ich Ihnen sagen - gnade Ihnen Gott.
Am Montag zu sagen „Keine weitergehende Forderung an den Bund", als Länder 12,5 Millionen DM - geteilt durch 16 - einzubringen und dann hier zu fordern, die Länder sollen einige hundert Millionen DM vorfinanzieren, also einen Blankoscheck ausstellen, der keinerlei Deckung hat, und der Bevölkerung ein Sozialpathos vorzuexerzieren, Herr Kirschner, das hat mich tief enttäuscht, das ist unverantwortliche Politik.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?
Selbstverständlich.
Herr Minister, ist Ihnen eigentlich nicht bekannt, was der Untersuchungsausschuß einstimmig, also nicht nur mit den Stimmen der SPD, sondern auch mit den Stimmen der Vertre-
Klaus Kirschner
terinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen, empfohlen hat, nämlich daß der Anteil der Industrie und der Versicherer 60 % betragen soll? Daran setzt unsere Kritik an. Sie wissen doch genau - oder wissen Sie das nicht? -, Herr Minister, welche Summe sich in dem Pharmapool befindet. Meinen nicht auch Sie, daß diese Summe eigentlich dafür dasein sollte, sich an dem Entschädigungsfonds zu beteiligen?
Herr Kirschner, das weiß ich alles.
Sie wissen, daß wir die Beteiligten rückwirkend nicht rechtlich verpflichten können. Das ist völlig ausgeschlossen. Deshalb bin ich auf eine freiwillige Leistung der Pharmahersteller, des Deutschen Roten Kreuzes und anderer angewiesen. Wir haben mit ganz harten Verhandlungen 250 Millionen DM erreicht. Jetzt 250 Millionen DM zu bekommen mit der Folge, daß ein Aidserkrankter eine Nachzahlung bekommt und unter Einschluß der Zahlungen, die er durch den Soforthilfefonds schon bekommen hat, 1994 und 1995 insgesamt 108 000 DM und dann laufende Leistungen von 3 000 DM monatlich erhalten wird, das ist ein menschlich absolut vertretbares Angebot, bei dem ich den Betroffenen in die Augen schauen kann. Das ist kein Billigangebot!
Die Alternative wäre gewesen, Streit anzufangen. Dann würden wir in fünf Jahren noch verhandeln, dann würden wir möglicherweise in zehn Jahren noch Prozesse führen. Dann hätten wir vielleicht unser Gewissen beruhigt, aber den Betroffenen nicht geholfen. Ich bin für die Tat!
Herr Kirschner, ich hätte überhaupt nichts gesagt, wenn Sie gesagt hätten, der eine oder andere Beteiligte hätte noch mehr einbringen müssen. Aber daß Sie hier an die Länder Forderungen stellen, obwohl Sie in der Mehrheit der Länder politische Verantwortung tragen und die Länder mir gegenüber nicht mehr als 12,5 Millionen DM pro Jahr zu zahlen bereit gewesen sind, nenne ich politische Doppelzüngigkeit. Es wäre eigentlich ein Fall für den SPD-Vorsitzenden, hier einmal eine Koordination zwischen den SPD-geführten Ländern und der SPD-Bundestagsfraktion herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema: Bei dem in Deutschland jetzt modisch gewordenen wöchentlichen Wettbewerb um die schlechteste Nachricht ist diese Woche die Sozialhilfe dran.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle einige Bemerkungen dazu machen. Eine Reform des Bundessozialhilfegesetzes ist in der Koalition vereinbart. Niemand soll sich täuschen, auch noch so viele Kommentare werden es nicht verhindern: Die Sozialhilfereform kommt, wir werden sie durchsetzen. Sie ist notwendig: nicht, um die Menschen zu ärgern, sondern um ein Sozialsystem, das Anfang der 60er Jahre von der Union - nicht von der SPD - geschaffen wurde, auch für die Zukunft stabil zu halten, um auch in der Zukunft zu gewährleisten, daß Menschen, die Hilfe brauchen, Hilfe für ein menschenwürdiges Leben bekommen.
Heiner Geißler hat heute schon einmal dargestellt, daß alle großen Sozialgesetze der Bundesrepublik Deutschland die Handschrift der Union tragen, auch das Bundessozialhilfegesetz. Niemand beabsichtigt, die Axt an dieses Gesetz zu legen.
Ich verfolge drei Ziele - die Einzelheiten werden wir in der Koalition besprechen, entscheiden und dann öffentlich vertreten -: Mein erstes Ziel ist, wo immer es geht, Sozialhilfebedürftigkeit zu vermeiden. Das zweite Ziel ist, die Ausgabendynamik einzudämmen, und das dritte Ziel ist, einen gerechteren Einsatz von Sozialhilfeleistungen da und dort zu erreichen.
Die Vermeidung von Sozialhilfebedürftigkeit muß unsere erste gesellschaftspolitische Verpflichtung sein. Das habe ich schon zweimal im Deutschen Bundestag gesagt. Bei aller Reformnotwendigkeit des Systems, worauf ich gleich komme, müssen wir die Situation integral betrachten. Viele Ursachen für den Bezug von Sozialhilfe liegen außerhalb des Sozialhilferechts. Deshalb müssen wir dort ansetzen.
Da kann sich die Regierung allein mit den politischen Entscheidungen der letzten Wochen sehen lassen: 3 Milliarden DM für ein Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose, Einführung der Pflegeversicherung, steuerliche Freistellung des Existenzminimums und eine massive Stärkung der Familienförderung. Das sind vier Entscheidungen aus den letzten vier Wochen, die alle miteinander das Sozialhilferecht entlasten, die Sozialhilfebedürftigen unterstützen und die Ausgaben der Kommunen massiv senken.
Das zweite ist die Eindämmung der Ausgabendynamik. Vorbehaltlich der Entscheidung in der Koalition: Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand - einschließlich der Opposition - in der Bundesrepublik Deutschland etwas dagegen haben kann, wenn wir zeitlich befristet das fortsetzen, was die SPD mitbeschlossen hat, nämlich das Ansteigen der Sozialhilferegelsätze am Ansteigen der Nettolöhne der Arbeitnehmer zu orientieren.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand etwas dagegen hat. Wollen wir denn vertreten, daß die Renten um 1 % steigen und die Sozialhilfesätze um 5 %?
Bundesminister Horst Seehofer
Das wird doch niemand vertreten können! Wer kann denn etwas dagegen haben, wenn wir möglicherweise eine massive Entbürokratisierung der Sozialhilfe durchführen,
indem wir einmalige Beihilfen pauschalieren, um einen Riesenverwaltungsaufwand mit Prozessen im Gefolge zu verhindern, damit die Sachbearbeiter wieder mehr Zeit haben?
Was wird nicht alles zum Lohnabstandsgebot geschrieben! Die Verstärkung der Familienförderung und die Erhöhung des Kindergeldes sind die beste Maßnahme zur Erhöhung des Lohnabstandsgebots; denn wenn die Arbeitnehmer mehr Kindergeld bekommen, vergrößert das automatisch den Abstand zwischen einem Sozialhilfeempfänger und einem Arbeitnehmer mit Kindern.
Deshalb müssen wir auf dieser Schiene weiterfahren. Ist es denn so schlimm, über diesen Punkt nachzudenken? Meine Damen und Herren von der SPD, im Föderalen Konsolidierungsprogramm haben Sie exakt zu diesem Punkt eine Bestimmung mit in das Bundessozialhilfegesetz aufgenommen und zugestimmt, daß das Lohnabstandsgebot gewahrt bleiben muß. Das wollen wir weiter konkretisieren. Ist denn das so schlimm?
Da gibt es Leute, die konstruieren da einen Anschlag auf die Familienpolitik. Ich sage: Die beste Maßnahme in Sachen Lohnabstandsgebot ist eine Verstärkung der Familienförderung. Wenn ein Arbeitnehmer mit Kindern mehr Kindergeld bekommt, vergrößert sich automatisch der Abstand zu einem Sozialhilfeempfänger mit Kindern. Das ist das Richtige.
Was da oft für Unsinn kommentiert und geschrieben wird! Ich kann mir nicht vorstellen, daß das bewährte Prinzip aus der Krankenhausreform in der Sozialhilfe nicht Platz greifen soll. Die Ausgaben für die stationären Einrichtungen in der Sozialhilfe sind um 170 % gestiegen, die Zahl der Sozialhilfeempfänger nur um 25 %. Wir haben hier die gleiche Kostenexplosion wie bei den Krankenhäusern. Wollen wir denn warten, bis die Kostensteigerungen in den stationären Einrichtungen der Sozialhilfe dazu führen, daß wir die notwendigen Hilfen für Kranke, Pflegebedürftige und Behinderte in der Sozialhilfe nicht mehr bezahlen können? Warum können wir nicht auch hier das gleiche Prinzip verwirklichen, daß die Pflegesätze in den Einrichtungen nicht stärker steigen können als die Löhne? Wer will dagegen etwas haben?
Meine Damen und Herren, wer kann denn etwas dagegen haben, wenn künftig die Sozialhilfeträger - viele Kommunen leisten hier schon vobildliche Arbeit - Qualifizierungsmaßnahmen, Fortbildungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse bezahlen können oder wenn wir einem Arbeitnehmer, einem Langzeitarbeitslosen, der Arbeit aufnimmt, nicht sofort das volle Einkommen anrechnen, sondern dies, zeitlich befristet, degressiv gestalten, damit der Anreiz zur Arbeitsaufnahme und der Brückenschlag zur Arbeitswelt erhalten bleibt?
Meine Damen und Herren, ich bleibe auch dabei - das sagte ich schon zweimal im Deutschen Bundestag; deshalb bin ich jetzt so überrascht, daß das die große Bombe sein soll -, daß es eine kleine Minderheit gibt, die trotz angebotener Arbeit diese nicht aufnimmt. Es gibt schon eine Verpflichtung, wenn man gesund ist und eine Arbeit aufnehmen kann, Selbsthilfe durch Arbeitsaufnahme zu leisten und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wir müssen in der Koalition schon darüber reden, ob in diesen Ausnahmefällen auch einmal das Umsteigen auf eine Sachleistung und die Kürzung der Sozialhilfe möglich sein soll. Wie wollen wir denn sonst solche Menschen motivieren?
Lassen Sie mich auch noch etwas zu den Ausländern sagen. Ich bin weit entfernt von einer emotionalen Diskussion. Ich habe übrigens in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit hierzu überhaupt nichts gesagt. Aber einer schreibt etwas, und der nächste schreibt wieder etwas usw. So ist das in Deutschland, in diesem Wettbewerb. Nichts wird aber verhindern, daß wir eine ordentliche Reform machen. Ich bin ganz sicher, daß ich mich am Schluß auch mit meiner Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen in einer großen Harmonie befinden werde.
Aber, meine Damen und Herren, es gehört auch zur Wahrheit - das sage ich jetzt sehr differenziert daß jeder dritte Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt Ausländer ist. Jetzt wiederhole ich das, was ich hier schon einmal gesagt habe - das sage ich nicht vorwurfsvoll; ich sage es aus folgender Überlegung -: Wir nehmen viele Zuwanderer, Bürgerkriegsflüchtlinge auf. Ich bin auch dafür, daß man Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen, die in einem Bürgerkriegsgebiet leben, daß wir Frauen und Kindern aus solchen Regionen vorübergehend Schutz gewähren. Das gehört zu einer kultivierten Gesellschaft. Das möchte ich dick unterstreichen.
Nur, meine Damen und Herren, wenn die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland - Gott sei
Bundesminister Horst Seehofer
Dank - bereit ist, Menschen vorübergehend Schutz zu gewähren, wenn hierdurch Sozialhilfebedürftigkeit ausgelöst wird und aus diesem Grunde die Zahl der Sozialhilfeempfänger steigt, dann dürfen wir nicht zulassen, daß die steigende Zahl von Sozialhilfeempfängern gegen diese Gesellschaft und gegen die Politik gewendet wird, indem man sagt: Jetzt haben wir die neue Armut in Deutschland.
Deshalb, Frau Fuchs, lassen mich viele Kommentare, Meinungsumfragen usw. völlig kalt.
Frau Fuchs, wenn ich differenziert mit Menschen spreche, also nicht schwarz-weiß malend und nicht polemisch, dann sagen mir die Menschen: Lassen Sie sich nicht beeindrucken! Mir haben heute wieder Menschen gesagt: An diesem Beispiel sieht man, wie weit sich Sozialdemokraten schon von unserer Gesellschaft entfernt haben. Sie sind nicht einmal mehr bereit, über so etwas zu reden.
Nun noch kurz zu dem gerechteren Einsatz von Sozialhilfemitteln: Meine Damen und Herren, in meinem Konzept, das ich der Koalition vorschlagen möchte, steht auch, die Bezahlung von Behindertenarbeit in Werkstätten zu verbessern, weil das, was die Behinderten dort heute bezahlt bekommen, nicht gerecht ist.
Darüber schreibt niemand - oder die wenigsten. Es gehört auch zu meinem Konzept, zu versuchen, Obdachlosigkeit künftig da und dort zu verhindern, indem wir die Sozialhilfe verstärkt in die Lage versetzen, Dauermietschulden zu übernehmen und damit eine Zwangsräumung zu verhindern. Auch das ist ein humaner Ansatz.
Ich sage als letztes etwas zur gerechteren Ausgestaltung unseres Sozialsystems. Ich greife einen Vorschlag, den Ulf Fink zum erstenmal im Bundestag geäußert hat, gern auf. Es könnte in Deutschland 400 000 Sozialhilfeempfänger weniger geben, wenn andere Sozialsysteme und Sozialversicherungen, bei denen ein Antrag gestellt ist, bei denen aber keine Vorschüsse gewährt werden oder die Bearbeitungszeit zu lange dauert, dort, wo ein Anspruch dem Grunde nach berechtigt ist, selbst verstärkt mit Vorschüssen arbeiten würden, damit nicht die Sozialhilfeträger für einige Wochen einen Riesenapparat anwerfen müssen und die Kosten dann anschließend vom Sozialversicherungsträger wieder erstattet bekommen.
Meine Damen und Herren von der SPD, wir werden darüber öffentlich diskutieren, wenn die Koalition ihre Entscheidungen dazu getroffen haben wird. Das werden wir in aller Ruhe tun. Das müssen wir nicht mit Hektik machen. Dann werden wir darüber mit der Bevölkerung öffentlich diskutieren und auch die Argumente darlegen. Ich habe jetzt einmal die wirklich wichtigen Argumente dargelegt und nicht über das gesprochen, worüber in der Öffentlichkeit oft mit Halbwahrheiten und begrifflichen Verschiebungen diskutiert wird. Auch hierzu kann ich absolut stehen.
Das Sozialhilfegesetz bleibt die dritte Säule unseres Sozialstaats. Neben der Sozialversicherung und der Versorgung steht die Sozialhilfe. Niemand braucht sich zu schämen, wenn er als Behinderter, als Pflegebedürftiger, als Geschiedener, als Alleinerziehender Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß. Das gehört zu einem Sozialstaat, wenn er seinen Namen zu Recht tragen will. Die Sozialhilfe mit einer menschenwürdigen Ausstattung bleibt erhalten.
Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses. Es ist ja nichts Neues, daß dort die Atmosphäre immer besser ist als bei den Reden hier im Plenum. Ich bedanke mich insbesondere dafür, daß wir bei der Lösung eines sehr schwierigen Problems eine sehr gute Unterstützung bekommen haben, nämlich vom Kollegen Roland Sauer und allen anderen Berichterstattern.
Ich möchte mich dafür bedanken, daß wir die Zahl der Planstellen für die Außenstellen unserer Institute in Berlin und in den neuen Bundesländern weitgehend erhalten konnten und daß dadurch die Schließung von Instituten in den neuen Bundesländern verhindert werden konnte.
Frau Fuchs, daß Sie in diesem Zusammenhang meine Staatssekretärin gelobt haben und nicht mich, trifft mich sehr und bereitet mir eine schlaflose Nacht.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie die Tatsache berücksichtigen, daß die meisten Zwischenrufe, wenn es zu viele werden, doch nicht verstanden werden und also auch keine Aufnahme ins Protokoll finden, gehen Sie mit diesem wichtigen Instrument vielleicht etwas gezielter um.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Klaus Kirschner.
Herr Präsident! Nachdem der Minister Seehofer mich zitiert hat - ich weiß allerdings nicht, von wo er diese Meldung hat und woraus er zitiert hat -, möchte ich die Pressemitteilung, die der Kollege Schmidbauer und ich abgefaßt haben, darstellen. Deshalb möchte ich mir erlauben, dem Parlament diese Pressemitteilung vorzulesen, damit das klar und deutlich korrigiert wird.
- Es mag Ihnen gefallen oder nicht. Sie haben vorhin ja so lange Beifall geklascht; jetzt können Sie sich das auch noch anhören:
1. „Billiglösung" widerspricht humanitären und sozialstaatlichen Prinzipien. Lediglich 250 Millionen DM für die Opfer der größten deutschen Arzneimittelkatastrophe.
Eine solche Billiglösung ist völlig unakzeptabel für die Opfer und damit auch für die SPD. Nach dem Vorschlag, den das Gesundheitsministerium nach monatelangen Verhandlungen heute dem Ausschuß vorlegte, sollen die Menschen ein zweites Mal für den Verlust von Gesundheit und Leben abgespeist werden, während die Pharmaindustrie sich lediglich mit 100 Millionen DM aus ihrer Verantwortung freikaufen will.
250 Millionen DM bedeuten für die mehr als 2 000 Opfer und ihre Angehörigen im Einzelfall lediglich eine Entschädigungssumme von etwas mehr als 100 000 DM. Den einstimmigen Empfehlungen aus dem 3. Untersuchungsausschuß „HIV-Infektionen durch Blutprodukte" und der aktuellen Praxis der Rechtsprechung wird die vorgeschlagene Lösung nicht gerecht.
2. Pharmaunternehmen und Rückversicherer drücken sich um ihre Verantwortung
Ungerecht, unsozial und unsinnig ist die Vorstellung, daß nicht die primär verantwortliche Pharmaindustrie , sondern die öffentliche Hand für den größten Teil des Schadens aufkommen soll.
Während die Versicherer der Pharmaindustrie aus ihrem mit Hunderten von Millionen DM prall gefüllten Geldsack - dem für Arzneimittel-Großrisiken aus zu 75 % steuerfrei gestellten Rücklagen gebildeten-
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen. Es tut mir leid, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dann, Herr Präsident, werde ich die Presseerklärung zu Protokoll geben.
Ich will hier nur erklären: Bei dem, was der Herr Kollege Seehofer zitiert hat, weiß ich nicht, woher er das hat. Das entspricht auf jeden Fall nicht dem, was in dieser Presseerklärung steht.
Herr Minister Seehofer, wollen Sie dem entgegnen? - Bitte schön.
Also ganz kurz.
Herr Kollege Kirschner, mir liegt eine Pressemitteilung vom 29. März 1995 vor: Klaus Kirschner, Horst Schmidbauer, MdB. Diese Pressemitteilung umfaßt drei Seiten und schließt mit einem Fazit ab:
Bleibt es bei dem lächerlich geringen Angebot der Pharmaindustrie, sollte man auf ihren Beitrag verzichten und statt dessen die vom Untersuchungsausschuß als dritte Alternative angegebene Lösung ins Auge fassen:
Der Staat tritt sofort mit den Beiträgen von Bund und Ländern in Vorleistung, läßt sich von den Betroffenen deren Haftungsansprüche abtreten und macht sie zum Beispiel in Musterprozessen gegen die Pharmaindustrie geltend.
Daraufhin habe ich gesagt: Die Ministerpräsidenten der SPD bekommen morgen von mir ein Schreiben, ob sie dies bestätigen, was für die Länder nicht 12,5 Millionen DM im Jahr bedeuten würde, sondern um die 300 Millionen DM. Wenn sie das nicht bestätigen, sondern das bestätigen, was sie mir am Montag gesagt haben, dann haben Sie den Mund zu voll genommen, und dann treffen wir uns hier wieder.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/ 882 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 15 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 15 angenommen.
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 13/516, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart Kuhlwein Kristin Heyne
Arnulf Kriedner
Dr. Wolfgang Weng
Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte die Kollegen, die der Debatte nicht folgen wollen, vielleicht doch etwas beschleunigt den Saal zu verlassen, damit wir fortfahren können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Eckart Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute im Bundestag über den Haushalt des Bundesumweltministeriums und über die Umweltpolitik der Bundesregierung sprechen, dann läßt sich ein ausführlicher Seitenblick zum Berliner Klimagipfel nicht vermeiden. Ich will zwar jetzt nicht alles wiederholen, was vor zwei Wochen in der Klimadebatte des Bundestages gesagt worden ist, aber die beschwörenden Reden in Berlin dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Vorfeld dieses Gipfels eine große Chance vertan hat;
die Chance nämlich, in der Klimaschutzpolitik selbst das beste Beispiel zu setzen und gleichzeitig die Partner aus den Industrieländern durch ein eigenes Konzept in Bewegung zu bringen.
Wenn ich das sage, bin ich weit davon entfernt, für Deutschland eine wie auch immer geartete Führungsrolle zu reklamieren. Aber wer bei jedem militärischen UNO-Einsatz die Deutschen auffordert, endlich ihrer gewachsenen Verantwortung in der Welt gerecht zu werden, der sollte diese Verantwortung erst recht dann zeigen, wenn es um das Überleben der Menschheit auf diesem Globus geht.
Ich würde gern die jüngsten Thesen des Herrn Bundespräsidenten vom Ende des Trittbrettfahrens in diese Richtung interpretieren - in eine Richtung, die Deutschland Pflichten auferlegt, dem hohen
Stand des Umweltbewußtseins seiner Bevölkerung und der ökologischen Erkenntnisse seiner Wissenschaften entsprechend im besten Sinne politisch Einfluß auszuüben.
Da darf man sich natürlich nicht hinter den Zauderern in der EU oder in den USA verstecken, und man darf auch nicht Blockaden der OPEC-Länder als Schicksal hinnehmen. Es hätte uns gut angestanden, den Vorschlag der 36 kleinen Inselstaaten nicht nur sympathisch zu finden, Frau Merkel, sondern konsequent auch zu unterschreiben.
Die Bundesregierung hat die Chance verpaßt, mit einem eigenen Protokollentwurf für den Klimagipfel die erstarrten Fronten in Bewegung zu bringen. Der Umweltministerin unterstelle ich, daß sie sich in der Zucht des Herrn nicht anders verhalten konnte. Wahrscheinlich hat sie aus dem Flop mit der Flugbenzinsteuer gelernt. Sie wird bei Karl Valentin nachlesen können, wie man solche Vorgänge beschreibt:
„Wollen hätte ich schon mögen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut. "
Die Glaubwürdigkeit umweltpolitischer Sonntagsreden dieser Bundesregierung wird auch als Folge dieses Prozesses weiterhin nachlassen. Die Lücken zwischen wohltönenden Bekenntnissen zur Erhaltung der Natur oder zu einer nachhaltigen und umweltgerechten Entwicklung und dem praktischen politischen Handeln auf der anderen Seite werden immer größer.
Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn immer mehr, vor allem auch jüngere Menschen über diese Art von Politik verdrossen sind.
Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn öffentliche Appelle zur Änderung individueller Verhaltensweisen immer weniger fruchten.
Man muß das bedauern, aber die ökologische Wende im Verhalten der vielen einzelnen setzt voraus, daß die Politik deutlich erkennbar eine neue Richtung einschlägt - in der Klimapolitik in Berlin genauso wie in der Agrarpolitik in Brüssel, in der hausgemachten Umweltpolitik von Frau Merkel oder in der Verkehrspolitik von Herrn Wissmann.
Frau Merkel hat in Berlin die Verantwortung der Industrieländer angesprochen. Sie hat gesagt - Wortlaut -:
Nur wenn wir dies durch überzeugendes eigenes Vorangehen belegen, können wir auch von anderen Staaten Handeln für den Klimaschutz einfordern.
Eckart Kuhlwein
Dann ist sie wieder nach Bonn gefahren, und ihre Regierung macht so weiter, als wäre nichts gewesen, meine Damen und Herren. Solche Widersprüche wollen und können die Menschen nicht mehr akzeptieren.
Immer mehr Menschen haben in den letzten Jahren gelernt, daß das westliche Modell von Wachstum und Entwicklung mit seiner Ausbeutung von Ressourcen nicht auf die ganze Erde ausdehnbar ist. Die Verteilungskämpfe verschärfen sich bereits. Herr Töpfer hat angemerkt, daß dies jetzt Ursache auch für zusätzliche Kriege geworden sei. Die bisherigen sozialdemokratischen Errungenschaften werden in Frage gestellt.
Wenn das richtig ist, dann kann sich eine verantwortliche Bundesregierung nicht in den Kanzlerstuhl zurücklehnen und den unbeteiligten Beobachter spielen. Dann müssen wir von der Bundesregierung vielmehr erwarten, daß gestaltet und gehandelt wird. Das muß heißen, Wirtschaft und Gesellschaft ökologisch zu modernisieren, soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen und internationale Verantwortung durch eine Politik der dauerhaften Entwicklung im Inneren und nach außen zu übernehmen.
Das ist natürlich etwas anderes als die bloße Verwaltung von Strukturen und Besitzständen. Das setzt den Mut zur Veränderung, zu Reformen voraus. Immer mehr Menschen haben verstanden, daß Reformen notwendig sind, wenn wir morgen sicher leben wollen. Eine ökologische Neuorientierung der Politik würde neue Kreativität freisetzen, würde die Bürgergesellschaft zum Mitmachen ermuntern und einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens fördern, der Solidarität an die Stelle einer immer unerbittlicher werdenden Ellenbogengesellschaft treten lassen könnte.
Meine Damen und Herren, viele Bürgerinnen und Bürger an der Drehbank, am Computer, in der Wissenschaft, im Dienst am Mitmenschen, in Umweltschutzverbänden und Bürgerinitiativen warten auf ein Signal der Neuorientierung. Aber sie haben es von dieser Bundesregierung und auch von dieser Bundesministerin bisher nicht bekommen.
Dabei hätte eine solche Wende zur nachhaltigen Entwicklung, in der die Menschen wirtschaften könnten, ohne Natur und Umwelt weiter zu zerstören, auch die ökonomische Rationalität auf ihrer Seite: Das Land, das regenerative Energiequellen kostengünstig einsetzt, das Land, das Energie und Rohstoffe optimal zu nutzen gelernt hat, das Land, das möglichst geschlossene Stoffkreisläufe aufweisen kann, dieses Land braucht sich um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit am wenigsten zu sorgen; denn früher oder später werden auch unsere Partner in aller Welt mit der ökologischen Erneuerung beginnen müssen.
Der Haushalt, den wir heute in zweiter Lesung beraten, zeigt, daß diese Bundesregierung solche Erkenntnisse nicht umsetzen kann oder will. Das gilt leider auch - mit Einschränkungen - für den Haushalt des Bundesumweltministeriums. Mit Einschränkungen deshalb, weil wir die Arbeit des Umweltbundesamtes und des Bundesamtes für Naturschutz durchaus schätzen, weil wir es richtig finden, daß sich der Bund an der Stillegung von Tschernobyl beteiligt, weil wir schließlich auch Investitionszuschüssen für Kläranlagen in Tschechien oder Polen zur Vermeidung grenzüberschreiten der Umweltbelastungen nicht widersprechen können.
Aber wir können es z. B. nicht akzeptieren, daß die Pilotprojekte im Inland, nämlich die Förderung neuer, intelligenter rohstoff- und energiesparender Verfahren, um 25 % auf nur noch 92 Millionen DM gekürzt werden sollen. Und genauso fragwürdig ist es, wenn vom Gesamtetat eines Ministeriums von etwas mehr als 1,3 Milliarden DM mehr als 600 Millionen DM unter der Rubrik Reaktorsicherheit im weitesten Sinne ausgegeben werden müssen, wobei zugegebenermaßen - das müssen Eingeweihte dann auch wissen - rund 500 Millionen DM refinanziert werden durch diejenigen, die radioaktiven Abfall produzieren.
Für die eigentliche Umweltpolitik bleibt in dem so genannten Ministerium danach nicht mehr viel übrig. Die Ministerin verweist deshalb gern darauf, daß dieses Ministerium eben in erster Linie ein Gesetzgebungsministerium sei, das nur wenig Geld für Programme auszugeben habe; für die Programme seien andere Gebietskörperschaften und andere Ministerien zuständig.
Dafür gibt es dann eine stolze Liste der Umweltausgaben aller Bundesressorts,
die sich auf sagenhafte 8,33 Milliarden DM summieren, Frau Homburger, nicht gerechnet Umweltkredite bundeseigener Banken - ich zähle das hier alles auf - mit einem Volumen von noch einmal 5 Milliarden DM. Gemessen am gesamten Haushaltsvolumen von rund 480 Milliarden DM sind das sicherlich bescheidene Summen.
Sieht man einmal kritisch durch, was die Ministerien bei Frau Merkel als Umweltvorhaben angemeldet haben, so reicht dort die Palette von der Beseitigung der Folgen der Sturmschäden noch vom Frühjahr 1990 über die Kanalreinigung von Bundeswehrgrundstücken
bis hin zu Lärmschutzmaßnahmen an einem Truppenübungsplatz. Das ist Umweltpolitik in den anderen Ressorts, Frau Merkel. Wer solche Maßnahmen unter Umweltpolitik verbuchen will, verdient den Vorwurf der versuchten Volksverdummung.
Eckart Kuhlwein
Er müßte überdies die verheerenden Umweltschäden gegenrechnen lassen, die sich z. B. durch den Bundesfemstraßenbau, die Förderung von Überschußproduktionen in der Landwirtschaft oder die Finanzierung militärischer Tiefflugübungen ergeben.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die Kriterien für die Bewertung der Ausgaben der Bundesressorts als Umweltschutzmaßnahmen offenzulegen und konkrete Angaben auch über die Haushaltstitel zu machen, die zu Umweltschäden und Naturzerstörungen führen werden. Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den gesamten Bundeshaushalt, wenn wir uns umweltpolitisch nicht weiter in die eigene Tasche lügen wollen.
Umweltpolitisch ist natürlich auch höchst fragwürdig, was im Haushalt für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz sowie für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen ausgegeben wird. Wer immer behauptet, die Kernenergie sei eine besonders kostengünstige Art der Stromerzeugung, der sollte sich gelegentlich auch diese Zahlen ansehen. Was könnte man mit über 600 Millionen DM nicht alles an Energie sparen oder an regenerierbaren Energieträgern fördern, die eine nachhaltige Entwicklung sichern und keine radioaktiven Abfälle produzieren!
Dabei sind die Endlager ja nicht alles: Auf 3,6 Milliarden DM schätzt die Bundesregierung allein ihren eigenen Anteil an den Stillegungs- und Rückbaukosten alter Kernkraftwerke und kerntechnischer Anlagen in den alten Ländern. Das sind doch keine Peanuts, obwohl wir uns ja an einiges gewöhnt haben. Trotzdem hält Frau Ministerin Merkel die Kernenergie für eine „verantwortbare Art der Energieerzeugung". Sie bekennt sich zu diesem Bereich als einem finanziell bedeutsamen Teil ihrer Umweltpolitik.
Wer den Einsatz dieser Dinosauriertechnologie für ökologisch verträglich hält, der hat von den Herausforderungen der Zukunft nichts begriffen.
Die SPD hält am Ziel des schnellstmöglichen Ausstiegs aus der Atomkraft fest:
weil wir auch bei deutschen Reaktoren Katastrophen nicht mit Sicherheit ausschließen können und weil das Schadensausmaß dann unabsehbar wäre,
weil die Entsorgung weltweit nicht gesichert ist und weil wir nicht noch eigene Beiträge zum illegalen internationalen Handel mit waffenfähigen Kernbrennstoffen liefern wollen.
Das Bundesumweltministerium ist auch für die I Entsorgung bestehender Kernkraftwerke zuständig. Wir als SPD werden daran nur mitarbeiten, wenn bei den anstehenden Energiekonsensgesprächen ein Ausstieg aus der heutigen Kernkraftnutzung vereinbart wird und damit die Mengen radioaktiver Abfälle, die wir noch zu erwarten haben, begrenzt werden können.
Wir fordern auch, daß die Entsorgungsanlagen, vor allem die Endlager, nicht auf Niedersachsen konzentriert bleiben.
Wer im Süden Deutschlands das Hohelied der Kernenergie singt, der muß sich gefallen lassen,
daß auch in seinem Land Endlagerstätten für den strahlenden Abfall gesucht werden - ob er nun Stoiber heißt oder Teufel, Frau Homburger.
Deshalb wollen wir in Deutschland Standorte in verschiedenen geologischen Formationen untersuchen lassen. Und wir wollen sicherstellen, daß Zwischenlager nicht zu faktischen Endlagern umfunktioniert werden.
Meine Fraktion hat deshalb heute auf Drucksache 13/971 einen Antrag, bestehend aus zwei Teilen, zur Abstimmung vorgelegt. Unter Nr. 1 wollen wir die für Gorleben aufgewandten Mittel erheblich kürzen,
weil wir an der Eignung als Endlagerstandort starke Zweifel haben. In Gorleben soll nur noch so viel investiert werden, wie für die Schaffung endgültiger Entscheidungsgrundlagen und gegebenenfalls für die Abwicklung der Einrichtung erforderlich ist.
Wir fordern dafür unter Nr. 2 unseres Antrages auf Drucksache 13/971 einen neuen Titel „Erkundung von neuen Standorten zur Sicherstellung und Endlagerung von radioaktiven Abfällen " , um die Untersuchung von Standorten in verschiedenen geologischen Formationen zu ermöglichen. Wir bitten für beide Teile des Antrages um Zustimmung.
Den Antrag von BÜNDNIS 90/GRÜNE müssen wir leider ablehnen. Frau Heyne, Sie haben eine ganze Reihe von Forderungen aufgelistet - und alles in einem Antrag verpackt -, denen man zum Teil mit Wohlwollen begegnen könnte und sollte. Da steht manches Richtige drin, vieles ist nicht ganz zu Ende gedacht. Wie Sie in sieben Monaten die gesamte Erkundung von Endlagerstätten auf Null stellen wol-
Eckart Kuhlwein
len, ist mir schleierhaft. Das meiste davon ist in 1995 ohnehin so nicht mehr umsetzbar. Wir sollten für den Haushalt 1996 rechtzeitig über einige wichtige Punkte des Antrags ins Gespräch kommen.
Zum Abschluß möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, die am Einzelplan 16 mitberaten haben, für die weit überwiegend sachliche Auseinandersetzung bedanken und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministeriums und seiner nachgeordneten Behörden sagen, daß ich auch als Oppositionspolitiker ihren Rat und ihre Fachkunde schätzengelernt habe.
Wir lehnen - Sie werden das nicht anders erwarten - den Einzelplan 16 ab.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Arnulf Kriedner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kuhlwein, zunächst einmal kann ich mich, in einem etwas kürzeren Teil, Ihrem Dank an die Mitberichterstatter anschließen und vor allen Dingen für die ausgezeichnete Vorbereitung im Ministerium bedanken. Frau Ministerin, ich muß sagen: Uns wurde wirklich jeder Wunsch nach Beschaffung von Unterlagen erfüllt, und das in einer Art und Weise, die ich als kritikfrei bezeichnen würde. Ein herzliches Dankeschön für diese hervorragende sachliche Vorbereitung.
Der Kollege Kuhlwein hat eben den üblichen Rundumschlag der Opposition zu betreiben versucht. Wenn ich einmal mit dem letzten Punkt, als Sie etwas zur Reaktorsicherheit gesagt haben, beginnen darf: Auch da sind Ihnen die GRÜNEN überlegen. Die haben eine in sich schlüssige Politik auf dem Gebiet, auch wenn ich sie nicht teile. Aber Sie müssen erst einmal Ordnung in Ihren eigenen Reihen schaffen und dafür sorgen, daß Sie eine einvernehmliche Linie haben; denn das, was Sie hier gesagt haben, ist nicht die Linie Ihrer Partei.
- Na ja, ich sage, das ist nicht die Linie Ihrer Partei, wenigstens stellen Sie sie nicht so dar. Das ist das erste. Das zweite, Herr Kollege Kuhlwein, ist: Es ist eine Augenwischerei, wenn Sie sich hier hinstellen und Fragezeichen hinsichtlich der Reaktorsicherheit setzen, obwohl Sie genau wissen, daß dies ein Riesenproblem ist, das gelöst werden muß. Und es ist klar, daß dafür auch Finanzen eingesetzt werden müssen.
Übrigens ist das auch die Kritik, die ich an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richte. Man kann sich bei Haushaltsberatungen nicht hinstellen und so tun, als ob dieses Problem gar nicht existiere, und die gesamten Beträge aus dem Haushalt herausstreichen wollen. Was machen wir dann mit dem Problem?
Das gleiche gilt für die Endlagerung. Das ist das berühmte Sankt-Florians-Prinzip: Jeder schiebt die Probleme in irgendein anderes Bundesland, wo er vielleicht zufällig nicht die Verantwortung hat. So leicht kann man es sich bei einem Problem wie diesem nicht machen.
Sie, Herr Kollege Kuhlwein, haben hier von einer Dinosauriertechnologie gesprochen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Auch darüber wird in Ihren eigenen Reihen ganz trefflich gestritten, ob dem so ist, wie Sie behauptet haben.
Ich stelle hier fest - das tue ich mit Blick auf Ihre gesamte Kritik; jetzt lasse ich einmal die Fragen nach der Reaktorsicherheit, Endlagerung, Zwischenlagerung weg -: Die deutsche Umweltpolitik gilt weltweit als Gütesiegel auf diesem Gebiet.
Das sollten Sie sich einmal verinnerlichen. Das wird Ihnen von jedem gesagt, wenn Sie in Berlin aufmerksam zuhören oder wenn Sie irgendwo in der Welt umherreisen.
- Das haben wir sicher nicht durch Technikfeindlichkeit erreicht, Herr Kollege. Ich stimme mit Ihnen völlig überein.
Ich glaube, Sie haben Ihren Warenhauskatalog an der falschen Stelle ausgebreitet.
Ich will im Gegensatz zu Ihnen den Versuch machen, keine umweltpolitische Grundsatzrede zu halten. Das kann nicht Gegenstand der Haushaltsdebatte sein. Vielmehr will ich versuchen, darüber zu sprechen, was der Haushalt als Schwerpunkt in der Umweltpolitik insgesamt aufweist. Da müssen Sie anerkennen, Herr Kollege Kuhlwein - Sie haben das auch in einem eleganten Nebensatz vereinnahmt -, daß Naturschutzgroßobjekte z. B. eine Steigerungsrate von 9 % im Bundeshaushalt aufweisen und jetzt 40 Millionen DM ausmachen.
Sie müssen anerkennen- und auch das haben Sie auch in einem eleganten Nebensatz gesagt, aber Sie haben es nicht so deutlich formuliert -, daß etwa mit den Hilfen, die wir Nachbarstaaten geben - das sind im Grunde Hilfen für uns selbst -, nämlich der Tschechei oder Polen, Projekte von uns unterstützt werden, die für Deutschland und unsere Nachbarländer von großer Wichtigkeit sind; etwa die Rauchgas-Entschwefelungs- und Entstaubungsanlage in Tisora
Arnulf Kriedner
oder die Sanierung des Braunkohlekraftwerks in Leutensdorf, die ökologische Klärschlammverbrenflung, modellhafte kommunale Kläranlagen im Einzugsgebiet der Elbe auf dem Gebiet der Tschechei oder die Großkläranlagen in Polen. Ich finde, da geht Deutschland beispielhaft in seine Nachbarländer und tut etwas.
Dann noch etwas zum Aktionsprogramm Tschernobyl. Ja, meine Damen und Herren, wer denn in der Welt tut auf diesem Gebiet im Ausland mehr als die Bundesrepublik Deutschland? Addieren Sie doch einmal die Beträge, die da zusammenkommen! Allein in diesem Jahr eine Rate von 15 Millionen DM, bis 1997 insgesamt 53 Millionen DM für dieses Projekt. Der multilaterale Sicherheitsfonds in den mittel- und osteuropäischen Ländern wird im wesentlichen von unserem Land gespeist, insgesamt mehr als 200 Millionen DM zur Sanierung und Steigerung der Sicherheitsstandards in diesen Staaten.
- Das ist ein falscher Ansatz? Tschernobyl sanieren zu helfen, ist für Sie ein falscher Ansatz? Wenn Sie diese Meinung vertreten, dann tun Sie mir wirklich leid, Herr Kollege; denn dann diskutieren Sie an den Problemen dieser Welt total vorbei.
- Der Meinung bin ich übrigens auch. Das ist zwischen uns einvernehmlich. Nur, der Kollege will überhaupt nichts im Haushalt dafür haben, und das halte ich für eine falsche Politik.
Sie haben sich hier, Herr Kollege Kuhlwein, mit der Tatsache polemisch auseinandergesetzt, daß diese Regierung den Grundsatz des Verursacherprinzips verfolgt. Ich sage Ihnen, dies ist der richtige marktwirtschaftliche Ansatz. Denn eins haben auch wir schon im anderen Teil Deutschlands, solange es den noch als eigenständiges Staatswesen gab, gewußt: daß ein marktwirtschaftlicher Ansatz allemal bësser ist als eine staatliche Regelung, die keiner befolgt, und als Gesetze, die vom Staat selbst nicht beachtet werden.
Ich glaube, daß wir hier die richtige Politik verfolgen, indem wir sagen: keine aufgeblähte Staatskontrolle, sondern Verursacherprinzip, so daß diejenigen die Umweltschäden bezahlen, die sie verursachen, und nicht der Steuerzahler dafür aufkommen muß.
Das Bundesministerium hat in diesem Jahr und im nächsten Jahr eine wichtige Integrationsaufgabe zu vollziehen: Das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, das vorher beim Bundesgesundheitsamt war, muß integriert werden.
Ich weise auf eine Sonderbriefmarke hin, die dankenswerterweise herausgekommen ist und die für Projekte gemeinnütziger Träger insgesamt 3,5 Millionen DM erbringt.
- Wenn Sie das für Peanuts halten, dann sagen Sie das doch laut! Ich halte 3,5 Millionen DM, die insgesamt in über dreißig Projekte gemeinnütziger Träger fließen, für eine ausgesprochen gute Sache. Diese Sonderbriefmarken sind eine hervorragende Gelegenheit, das zu ermöglichen.
Auch wenn ich der Koalition angehöre: Natürlich habe ich meine Probleme damit - da treffen wir uns, Herr Kollege Kuhlwein -, daß die Möglichkeiten zu Kürzungen in einigen Bereichen erschöpft sind. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Etwa bei der Förderung von Umweltschutzprojekten und auch beim Naturschutz hätte ich mir mehr gewünscht.
Wir werden im nächsten Haushalt gemeinsam darüber reden müssen, ob nicht in der Tat die Untergrenze endgültig erreicht ist. Denn wenn man drei Jahre hintereinander bei einem so wichtigen Zukunftsprojekt spart - auch da stimme ich mit Ihnen überein -, dann muß man einmal darangehen und sagen: Jetzt müssen wir wieder etwas draufpacken. Ich glaube, dieser Punkt ist erreicht.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Ich habe vorhin sehr aufmerksam Herrn Minister Seehofer zugehört, als er gesagt hat, in seinem Bereich seien die Fragen für die im Osten Tätigen zu Arbeitsverträgen, die auslaufen, und zu den kw-Vermerken geregelt. Ich wünsche mir, daß wir dies bei der nächsten Haushaltsfindung auch für den Bereich, den Sie, Frau Ministerin, zu vertreten haben, regeln können.
Wir sollten uns eigentlich bei all dem, was uns sicher bei dem einen oder anderen Punkt trennt, nicht zu weit auseinanderdividieren lassen, weil wir, glaube ich, in einem Grundsatz übereinstimmen: Für Deutschland ist die Frage der Umweltschutztechnik, der Umweltschutzpolitik eine Zukunftsfrage, nicht nur um die eigene Zukunft zu sichern, sondern auch um uns mit diesen Projekten im Umweltschutz wirtschaftlich voranzubringen. Wenn wir in diesem Punkt übereinstimmen und auf unseren Gebieten, auf denen wir tätig sind, dafür etwas tun, dann bin ich zufrieden.
Wir empfehlen, diesen Haushalt anzunehmen, weil wir ihn alles in allem für einen Schritt in die richtige Richtung halten.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Kristin Heyne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Kriedner hat eben eindrucksvoll die erfolgreichen Umweltprojekte der Regierung dargestellt. Der Einzelplan 16 firmiert unter dem Namen Umwelthaushalt. Ich behaupte: Dieser Name ist Etikettenschwindel.
Das Spannende an Haushaltsplänen ist, daß sie unabweisbar Realität zeigen. Wenn ich die Realität des Einzelplans 16 einmal mit einem Namen belegen will, dann ist das der Einzelplan für Förderung der Atomenergie, nochmals Förderung der Atomenergie, Umweltflickschusterei und ein kleines bißchen Naturschutz. Das ist mit Zahlen zu belegen - denn darum geht es schließlich im Haushalt -: Der Bereich der Atomenergie und ihrer Folgekosten umfaßt 60 % dieses Etats. Es verbleiben 33 % für die Umwelt und ganze 7 % für den Naturschutz.
Frau Merkel, Sie sollten fairerweise wenigstens den Namen Ihres Ministeriums umstellen und die Reaktorsicherheit nach vorne nehmen. Sie sind in allererster Linie Ministerin für Atomkraft, und erst unter „ferner liefen" sind Sie Ministerin für Umwelt und für Naturschutz.
Ich habe von 33 % Umweltflickschusterei gesprochen. Damit will ich die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesministerium und in den Bundesämtern keineswegs schlechtmachen. Dort wird sehr engagiert gearbeitet. Aber angesichts der Problemfülle, der geringen Mittel und als Bedienstete dieser Regierung haben sie nicht die Chance, mehr als Flickwerk zustande zu bringen. Sie stehen mit relativ kleinen und unscharfen Schwertern einer Riesenkrake gegenüber, die längst an drei anderen Stellen wildert, wenn sie sie an einer ein bißchen zurückgedrängt haben.
Vermutlich würde gezieltes Anfüttern auch mehr helfen als Nadelstiche mit zu kleinen Schwertern, aber anfüttern kann natürlich nur, wer über die Vorräte verfügt.
Frau Merkel, als wir hier das Vetorecht für Umweltbelange im Kabinett gefordert haben, da haben Sie dies als unnötig zurückgewiesen. Sie haben gesagt, alle Aspekte der Politik werden dort gleichwertig verhandelt. Offenkundig gibt es aber durchaus gleichere Minister, die so etwas wie ein Vetorecht haben. Sonst müßten Sie nicht heute und in dieser Woche in Berlin vor der ganzen Weltöffentlichkeit mit leeren Händen dastehen.
Es ist aber noch schlimmer gekommen. Nur wenige Tage vor dem Weltklimagipfel hat diese Regierung es geschafft, eine Senkung der Strompreise zuzulassen. Gegen so einen dicken Köder an der falschen Stelle kann ein ganzes Heer von tapferen CO2-bekämpfenden Umweltbeamten nicht anpieksen.
Der Kollege Weng, der Mitberichterstatter im Bereich der Umwelt, der leider immer noch nicht erschienen ist,
und Herr Rexrodt haben sich hier in der Debatte damit gebrüstet, die Einführung einer weiteren Steuer verhindert zu haben.
Meine Herren, beim Ersetzen des Kohlepfennigs durch eine Energiesteuer geht es nicht um irgendeine x-beliebige Steuer, um ein paar Haushaltslöcher zu stopfen.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts wird der Einstieg in eine Energiesteuer unumgänglich, um das Sinken des Strompreises zu verhindern. Gemessen an den Folgekosten der Erzeugung des Stroms ist er eindeutig zu billig. Strom ist, mit ein bißchen Weitblick betrachtet, ein hochsubventioniertes Produkt, subventioniert durch die Kosten für die Umwelt und für die Gesundheitsschäden, und das ist eine Subvention, die in D-Mark und in Leid zu zahlen sein wird. Jede auch nur halbwegs auf Nachhaltigkeit und auf Zukunft orientierte Politik muß das Sinken von Strompreisen verhindern.
Sinkende Strompreise geben auf dem Markt das Signal: Energieeinsparung lohnt sich nicht, Erzeugung regenerativer Energie rechnet sich nicht. Wir alle wissen, daß das letztlich eine Milchbubenrechnung ist, aber, meine Herren und meine Dame von der F.D.P., muß ich als GRÜNE Ihnen wirklich etwas über die Mechanismen der freien Marktwirtschaft erklären?
Frau Merkel, als Umweltministerin hätten Sie gegen die Senkung der Strompreise Sturm laufen müssen. Ihr Sturm war eher ein laues Lüftchen, etwa den 33 % Umweltschutz im Haushalt entsprechend.
Als 60-%-Ministerin für Reaktorsicherheit sind Sie sicher mit einer Strompreissenkung ganz einverstanden. Der Reaktorschutz erweist sich also hier eher als Schutz der Atomindustrie.
Kristin Heyne
Der Löwenanteil des Einzelplans 16 - mehr als eine halbe Milliarde DM - ist für die Suche nach Endlagerstätten für radioaktiven Müll vorgesehen. Diese Suche - Herr Kriedner, das sage ich auch auf Ihre Frage - wird vergebens sein, weil eine sichere Endlagerung für Hunderttausende von Jahren weltweit nicht zu realisieren ist.
Endlagersuche macht erst dann Sinn, wenn eine eindeutige und kurzfristige Ausstiegsvereinbarung getroffen ist. Dann kann bilanziert werden, welcher Endlagerbedarf tatsächlich noch für den Müll besteht, und dann kann die am wenigsten schlechte Lösung gesucht werden. Eine gute oder vielleicht sogar eine sichere Lösung gibt es für die Endlagerung von Atommüll nicht.
Weitere 48 Millionen DM Steuergelder wollen Sie für Untersuchungen zu Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen ausgeben. Die wollen wir streichen. Forschungen zu einzelnen Sicherheitsaspekten einer insgesamt nicht beherrschbaren Technologie täuschen eine Sicherheit vor, die Sie letztlich nicht realisieren können, und Sie blockieren Gelder für fortschrittliche und zukunftsfähige Forschung.
Das gilt auch für die 25 Millionen DM, die in diesem Jahr für die so bezeichnete „Sicherung" östlicher Atomkraftwerke eingesetzt werden sollen. Im günstigen Fall werden diese Kraftwerke tatsächlich etwas sicherer, im ungünstigen Fall nicht. Sie werden aber mit Sicherheit nicht sicher genug sein.
Es kann doch wohl nicht angehen, daß zu Zeiten, zu denen hier im Westen neue Atomkraftwerke nicht mehr genehmigungsfähig sind, im Osten Beschäftigungsmaßnahmen für die deutsche Atomindustrie geschaffen werden.
Das ist hinausgeworfenes Geld; vor allem ist dies der Bevölkerung in den östlichen Staaten nicht zumutbar. Auch Weltbank und OECD empfehlen, die unsinnigen und überteuerten Nachrüstungen zu lassen und statt dessen Gaskraftwerke zu bauen.
Natürlich sind wir bereit, aus diesem Fonds auch Geld für den Schutz abgeschalteter Atomkraftwerke zu zahlen. Wir denken aber, daß vor allem eine Unterstützung mit Know-how im Bereich der regenerativen Energie sinnvoll wäre.
Den Einzelplan 16, den Einzelplan für Reaktorsicherheit und den Schutz der Atomindustrie, wird meine Fraktion ablehnen.
Danke schön.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Steffen Kampeter das Wort.
Frau Kollegin Heyne, Sie haben in Ihrer Rede versucht, den Stellenwert der Umweltpolitik in der Bundesrepublik an Haushaltsanteilen festzumachen. Als Mitglied im Haushalts- und im Umweltausschuß muß ich dem natürlich deutlich widersprechen, weil es eine unzureichende, da buchhalterische Sicht der Dinge ist.
Ein Beispiel: Allein mit der Verordnung über Großfeuerungsanlagen haben wir Investitionen der privaten Wirtschaft in Höhe von 30 Milliarden DM induziert.
Das heißt, die tatsächliche Bedeutung der Umweltpolitik läßt sich an vielem ablesen, aber sicherlich nicht an den Positionen im Haushaltsplan 1995 oder an der Vorläuferinvestition.
Ein weiteres Beispiel: Unsere Gesetzgebung in der Abfallwirtschaft hat einige Milliarden DM Investitionen in Deponien und Recyclingtechniken hervorgerufen, dies alles aus der privaten Wirtschaft.
Wenn ich Ihre Argumentation richtig verstehe, können Sie nur folgerichtig fordern, daß all diese Mittel in öffentliche Haushalte hätten eingestellt werden müssen. Ich bin aber froh, daß wir eine marktwirtschaftliche und keine staatswirtschaftliche Umweltpolitik betreiben, die diese Verantwortung in der privaten Wirtschaft beläßt.
Abschließend eine Anmerkung: Hohe Aufwendungen für Reaktorsicherheit bedeuten auch eine hohe Reaktorsicherheit. Wer sich ernsthaft dagegen ausspricht, der kann umweltpolitisch nicht ernstgenommen werden.
Das Wort hat die Abgeordnete Birgit Homburger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank an den Kollegen Kampeter. Seine Ausfüh-
Birgit Homburger
rungen ersparen mir, noch einiges klarzustellen; ich kann auf seine Ausführungen verweisen. Ich möchte aber einige andere Dinge, die ich mir während der Rede von Herrn Kuhlwein aufgeschrieben habe, ansprechen.
In der Tat hat der Kollege Kuhlwein recht, wenn er sagt, daß die Haushaltsdebatte im Zeichen des Klimagipfels in Berlin steht. Trotz der schwierigen Verhandlungssituation muß ein verbindlicher Verhandlungsprozeß in Gang gesetzt werden, um bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz im Jahre 1997 ein Klimaprotokoll verabschieden zu können. Ein solches Klimaprotokoll muß meines Erachtens die bestehenden Verpflichtungen zur Stabilisierung der Emission von Treibhausgasen bis zum Jahre 2000 deutlich verschärfen.
Ich denke, Frau Minister Merkel, daß Grundlage der Verhandlungen der Protokollentwurf der AOSISStaaten sein muß. Ich bitte die Bundesregierung nachdrücklich darum, mit ihrer Verhandlungsstrategie zielstrebig genau darauf hinzuarbeiten.
Die ständige Miesmacherei von seiten der SPD und der GRÜNEN - Herr Kollege Kuhlwein, ich sage gerade etwas dazu - als Begleitmusik für die Verhandlungen ist absolut kontraproduktiv. Mit Ihrer ungerechtfertigten Kritik an der Verhandlungsführung der Bundesregierung, die im übrigen von den AOSIS-Staaten, die als einzige einen Protokollentwurf eingebracht haben, gelobt wurde,
machen Sie sich zum Stichwortgeber für diejenigen, die den Verhandlungsprozeß in Berlin hemmen wollen und selbst nach Ausreden suchen, um die Untätigkeit in der Umweltpolitik zu verschleiern.
Ich finde, Deutschland als Gastgeber dieser Umweltkonferenz kann sich sowohl mit dem internationalen Einsatz im Vorfeld der Konferenz als auch mit seinem nationalen Maßnahmenprogramm sehen lassen.
Ich begrüße auch, daß es jetzt noch gelungen ist, ein Förderprogramm für Energiesparmaßnahmen im Gebäudebestand zu beschließen. Ich begrüße das ausdrücklich. Die F.D.P. hat es lange gefordert. Das ist ein wichtiges Signal für die Industrieländer, und es kommt gerade rechtzeitig für die Verhandlungen in Berlin. Damit wird das hohe Potential der Energieeinsparung im Gebäudebestand realisiert werden. Dort sind nämlich Einsparungen von 100 Millionen t CO2-Emissionen, also 10 % der Gesamtemissionen Deutschlands, möglich.
Es ist auch ein richtiger Schritt, wenn die deutsche Industrie und die deutschen Automobilhersteller sich zu freiwilligen Maßnahmen bereit erklären.
Die Reduzierung der CO2-Emissionen um bis zu 20 % und die Minderung des Kraftstoffverbrauchs um ein Viertel oder mehr werden zu einer Steigerung der Energieeffizienz führen und die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie stärken.
Die F.D.P. hat, wie Sie wissen, immer mehr auf die Freiwilligkeit als auf Staatslenkung gesetzt. Aber ich sage auch deutlich, daß Selbstverpflichtungen und Freiwilligkeit kein Selbstzweck sind. Wir müssen damit unsere umweltpolitischen Zielsetzungen erreichen. Die beiden freiwilligen Selbstverpflichtungen sind zwar gute Schritte auf dem Weg zu einer kooperativen Umweltpolitik, aber jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Die Verpflichtungen dürfen nicht zum Spiel auf Zeit mißbraucht werden. Deswegen ist die Transparenz und die Überwachung der Erfüllung der eingegangenen Selbstverpflichtungen von zentraler Bedeutung.
Sollten sich - das sage ich ganz deutlich - die Zusagen der Industrie nicht bewahrheiten, so läuft sie Gefahr, daß das ordnungsrechtliche Instrumentarium eben wieder zum Einsatz kommt.
Die Umsetzung ihrer Zusage liegt also im Interesse der Industrie. Dafür erwarten wir, daß bei der Organisation der Durchführung der freiwilligen Selbstverpflichtungen sauber gearbeitet wird. Ich finde - das möchte ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen -, daß Konstruktionsfehler wie in dem von der Wirtschaft geschaffenen Dualen System nicht wieder passieren dürfen.
Die Wirtschaft muß ihre marktwirtschaftliche Kompetenz unter Beweis stellen. Das gilt auch für freiwillige Rücknahmesysteme, wie sie jetzt bereits für Altautos diskutiert werden.
Die Industrie sichert sich durch die Umsetzung ihrer Selbstverpflichtungen gleichzeitig einen Wettbewerbsvorteil. Denn nur wer mit dem technischen Fortschritt Schritt hält und ihn umsetzt, kann sich auf dem Weltmarkt behaupten.
Die SPD, lieber Kollege Kuhlwein - weil Sie sich gerade so aufgeregt haben -, betreibt ein durchsichtiges Manöver,
Birgit Homburger
wenn sie die Bundesregierung für die Verweigerung anderer Staaten im Vorfeld der Klimakonferenz verantwortlich machen will. Was hat denn, bitte schön, die SPD getan, um einen internationalen Konsens zum Klimaschutz herbeizuführen?
Haben Sie vielleicht mit Al Gore in den USA, mit den OPEC-Staaten, mit den MOE-Staaten oder den Entwicklungsländern gesprochen? Nein! Alles, was von der SPD in Erinnerung bleibt, sind Kritik und vorlaute Sprüche, aber keine Taten.
Sie schickt den vollmundigen Vorsitzenden Scharping in die Schlacht, der doch in Wirklichkeit von Umweltschutz keine Ahnung hat.
Die gemeinsamen Auftritte mit den Umweltpolitikern, die er jetzt hier hat, sollen doch nur Ihre tiefgreifenden Differenzen übertünchen.
Von den GRÜNEN ist in bezug auf den Klimagipfel nichts in Erinnerung als eine Große Anfrage, die die Bundesregierung in der heißen Vorbereitungsphase mit zusätzlicher Arbeit blockieren sollte.
SPD und GRÜNE mißbrauchen diese Klimakonferenz, um ihr nationales Süppchen zu kochen. Wäre es Ihnen ernst gewesen - jetzt komme ich zu Ihrem Beispiel mit dem Flugbenzin -, hätten Sie die Anträge zur Besteuerung des Flugbenzins rechtzeitig in die parlamentarische Beratung eingebracht. Warum wurden denn die Anträge nicht so frühzeitig eingebracht, daß sie in den internationalen Verhandlungsprozeß hätten Eingang finden können?
Immerhin besteht umweltpolitisch in der Zielsetzung weitgehend Konsens. Es hätte durchaus auch zu einer gemeinsamen Linie kommen können. Aber das wollten Sie ja gar nicht. Sie wollten eine Abstimmung, und das ist unseriös und unehrlich, meine Damen und Herren.
Die F.D.P. will den Klimaschutz voranbringen. Damit komme ich zu dem Thema der CO2-/Energiesteuer. Ein wesentlicher Bestandteil ist die Einführung einer CO2-/Energiesteuer als ein wirkungsvolles marktwirtschaftliches Instrument zur Reduzierung der CO2-Emissionen.
Frau Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Herr Präsident, ich möchte den Gedanken zu Ende führen, denn die Kollegin von den GRÜNEN hat vorhin dieses Thema
aufgeworfen. Deshalb möchte auch ich zum Thema CO2-/Energiesteuer etwas sagen dürfen.
Wir sind für die Einführung einer CO2-/Energiesteuer als marktwirtschaftliches Instrument zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Aber parallel dazu muß es zu einer Absenkung der direkten Steuern im gleichen Umfang kommen.
Wer wie die SPD und manche in der CDU den Bürgern weismachen will, daß ausgerechnet die milliardenschweren Subventionen für den Umweltsünder Steinkohle irgend etwas mit Ökologie zu tun hätten, braucht sich nicht zu wundern, wenn er seine Glaubwürdigkeit verliert.
Die Forderung nach einer Energiesteuer im Zusammenhang mit der Kohlefinanzierung ist nichts anderes als Geldbeschaffung, die nichts, aber auch gar nichts mit ökologischer Lenkungswirkung zu tun hat.
Gerade weil wir Liberalen eine Ersatzsteuer für den Kohlepfennig verhindert haben, können wir überzeugend für eine aufkommensneutrale CO2-Energiesteuer mit ökologischer Lenkungsfunktion eintreten.
Jetzt komme ich noch einmal zu den Anträgen zum Haushalt: Mit den Anträgen zum Haushalt des BMU beweisen Sie von der SPD wieder einmal Ihre Zerrissenheit und Konzeptionslosigkeit im Umweltschutz.
- Herr Kollege, ich habe kein Problem damit, wie ich rede; da müssen Sie halt schneller denken, wenn Sie nicht mitkommen.
Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt hier großspurig die Einstellung der Erkundungsmaßnahmen für das Endlager für radioaktive Abfälle in Gorleben. Aber schon am 20. Januar hat der Bundesrat denselben Antrag Niedersachsens abgelehnt. Die SPD hat für ihren eigenen Antrag keine Mehrheit.
Meine Damen und Herren, ich habe immer wieder gehört, Sie wollen die Koalition jagen. Dabei springen Sie von der SPD als Tiger und landen ständig als Bettvorleger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß. Jetzt wollen Sie die Koalition hier in Bonn gegen Herrn Schäfer aus Baden-Württemberg auf der Suche nach einem neuen Endlagerstandort ins Feld schicken. Wir werden das nicht mitmachen, meine Damen und Herren von der SPD. Ich sage hier deutlich: Die F.D.P. kann sich Ihrer chaotischen Politik in keiner Weise anschließen.
Birgit Homburger
Deswegen werden wir dem Haushalt des BMU in der vorliegenden Form zustimmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Rolf Köhne.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Umwelthaushalt hat im wesentlichen nur eine Alibifunktion.
- Ja, natürlich, genauso ist das. - So dienen die Ausgaben für Gorleben, Morsleben und Schacht Konrad
- das sind die größten Brocken - hauptsächlich der Vernebelung der Tatsache, daß es für den Atommüll keine sichere Endlagerung gibt.
Konsequenterweise will man nun auch bei der Genehmigung des Forschungsreaktors FRM II in Garching auf den Nachweis von Fortschritten bei der Entsorgung verzichten, und man hat sich auf den vagen Begriff der Langzeitzwischenlagerung verständigt.
Im übrigen weist der Haushalt eine interessante Lücke auf: In den Erläuterungen zum Haushalt wird behauptet, die Kosten für den Ausbau von Morsleben werden über die Ablieferentgelte refinanziert. Aber die Kosten, die zukünftig entstehen werden, weil eine Langzeitsicherheit überhaupt nicht gegeben ist und weil die Laugenzuflüsse eine Bergung des Inventars erforderlich machen werden, sind nicht berücksichtigt. Da werden noch ganz gewaltige Kosten auf diese Regierung zukommen - und leider auch auf uns Steuerzahler, weil wir das aus unserer Tasche bezahlen müssen.
Überhaupt scheint über Morsleben seitens der Bundesregierung, aber auch seitens der SPD mit Schröder an der Spitze beredtes Schweigen zu herrschen. Im klammheimlichen Konsens will man den radioaktiven Betriebsmüll den Sachsen-Anhaltinern überlassen.
Auch der SPD-Antrag, Herr Müller, der sich nur mit Gorleben beschäftigt, scheint das zu bestätigen.
Apropos Konsens: Seit im Februar 1980 vom damals zuständigen SPD-Innenminister die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Atomkraftwerke formuliert wurden, halten die SPD-regierten Länder am Atomkonsens fest. Von einem ausstiegsorientierten Vollzug, wie Rexrodt behauptet, spüre ich nichts.
Parteitagsbeschlüsse der SPD - das ist meine Erfahrung - sind eine Sache, konkretes Verhalten der SPD in Parlamenten und Regierungen sind seit 1914 die andere Sache.
- Vielleicht werden wir ja einmal positiv überrascht; ich würde mich freuen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ansonsten enthält der BMU-Haushalt im wesentlichen die Finanzierung der Umweltbehörden. Wir sind sehr dafür, daß dieses Geld ausgegeben wird; denn die Menschen, die dort arbeiten, leisten gute Arbeit. Wir fordern aber auch die Ergebnisse dieser Arbeit ein. Wir wollen, daß die Regierung endlich ihren Pflichten nachkommt und Umweltpolitik betreibt und nicht gesetzlich vorgeschriebene Verordnungen wie die Wärmenutzungsverordnung in der Schublade verschwinden läßt.
Aber bei dieser Regierung ist das mit der Umweltpolitik genauso wie mit der Wirtschaftspolitik: Beides findet in der Wirtschaft statt. Umweltschutz findet in diesem Lande nur insoweit statt, wie es die Geschäfte von Banken und Konzernen befördert. Damit das nicht so auffällt, gibt es dann großen Propagandarummel um sogenannte Selbstverpflichtungen zur CO2-Reduktion. Schaut man aber genauer in die vorgelegten Papiere, dann stellt man fest, daß die VDEW lediglich erklärt hat, daß im Laufe der Zeit alte Kraftwerke durch neuere mit höherem Wirkungsgrad ersetzt werden, weil das profitabler ist. Analog hat der VIK lediglich dargelegt, daß bei verschiedenen Rationalisierungsmaßnahmen, die beim Kampf um den Weltmarkt erforderlich werden, zufälligerweise auch Energie gespart wird. Und die Automobilindustrie hat sich freiwillig verpflichtet, am Siebenliterauto Geld zu verdienen.
All diese Großzügigkeit hat natürlich ihren Preis: Verzicht auf Ordnungsrecht, Verzicht auf CO2- Energiesteuer, Optionen auf neue Atomkraftwerke. Das, was von dieser Regierung als ökosoziale Marktwirtschaft abgefeiert wird, ist aber nur eines: stinknormaler Kapitalismus.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den beiden Änderungsanträgen: Da die Regierungskoalition ja für gute Argumente nicht zugänglich ist, haben diese Anträge nur symbolischen Charakter. Deshalb werden wir dem Antrag vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zustimmen, der zumindest die richtige Richtung angibt. Der SPD-Antrag geht uns nicht weit genug; deshalb werden wir uns da enthalten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Frau Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Umweltschutz ist in der
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Bundesregierung eine Querschnittsaufgabe. Genau deshalb haben wir bei der Debatte um das Vetorecht des Umweltministers auch deutlich gemacht, daß in der Geschäftsordnung der Bundesregierung steht, daß alle gesetzlichen Vorhaben auf ihre Umweltverträglichkeit hin überprüft werden. Das ist der vernünftige Weg, und genau dies spiegelt sich ja auch in dem Haushalt wider. Herr Kuhlwein, ich bin gern bereit, einmal zu überprüfen, ob jede von den anderen Ressorts angegebene Umweltausgabe auch den strengen Betrachtungen standhält; aber unter den 8 Milliarden DM - ich erwähne hier ein Beispiel, das Sie uns natürlich verschwiegen haben - sind Umweltforschungsmittel des Bundesforschungsministers in Höhe von 800 Millionen DM.
Diese Mittel habe ich mir ziemlich genau angeguckt, und sie sind richtig und vernünftig eingesetzt. Dagegen werden auch Sie nichts haben.
Was haben Sie nun eigentlich dagegen, wenn in der Bundesrepublik Deutschland noch an anderen Stellen als im Umweltressort Geld für die Umwelt ausgegeben wird? Warum darf man denn nicht sagen, daß das produzierende Gewerbe und der Staat zusammen im Jahre 1991 nach dem Statistischen Bundesamt - dem können wir alle glauben -41,1 Milliarden DM dafür ausgegeben haben? Das kann man doch einmal würdigen. Wenn in diesem Jahr Umweltkredite in Höhe von 10 Milliarden DM ausgegeben werden, dann sind das Beiträge zum Umweltschutz, denen viele private Investitionen folgen. Ich halte das für richtig und wichtig, damit wir Geld für den Umweltschutz mobilisieren.
Meine Damen und Herren, in Berlin findet die Klimakonferenz statt. Sie hat aus meiner Sicht die ganz herausragende Aufgabe, mit Blick auf mögliche Veränderungen des Klimas durch den Menschen - es gibt viele Hinweise darauf, daß der Mensch daran schuld ist, daß sich das Klima verändern könnte - die notwendigen Schritte weltweit einzuleiten.
Ich frage Sie an dieser Stelle - jenseits dessen, daß man über den richtigen Weg diskutieren kann -: Was treibt Sie eigentlich, bei uns diesen Streit über nationale Unterschiede anzufangen und nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen, in welcher Form in Berlin verhandelt wird, statt die Dinge konstruktiv zu begleiten?
Ich fordere Sie wirklich auf: Kommen Sie nach Berlin! Sie können jederzeit in die Delegation kommen. Führen Sie die notwendigen Gespräche! Denn wir als bundesrepublikanische Delegation werden die Verhandlungsstrategie haben, viel herauszuholen. Wir werden dabei auch drängen, und wir schämen uns auch nicht, in vielen Fragen Vorreiter zu sein.
Aber wenn gerade Sie von uns immer wieder einfordern, tolerant zu sein und andere Völker zu respektieren, dann bitte ich Sie ganz einfach, zur Kenntnis zu nehmen, daß unterschiedlichste Interessen der
ganzen Welt zu berücksichtigen sind. Sie müßten aus den Gesprächen in der Sozialistischen Internationale - spätestens beim Gespräch mit Spanien dürfte es Ihnen auffallen - wissen, daß es eben nicht so einfach ist, wie Sie es sich manchmal vorstellen. Sie gaukeln den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland vor, daß alles nur daran liegt, daß wir nicht exakt das tun, was Sie uns sagen.
Das eigentlich Dramatische daran ist doch nicht, daß wir uns hier im Deutschen Bundestag streiten. Das eigentlich Dramatische daran ist, daß in der Öffentlichkeit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland eher verzweifeln, als sich aufgefordert fühlen, wichtige kleine Schritte zu unternehmen, um Energie zu sparen, sie effizienter einzusetzen und damit etwas für die Umwelt zu tun.
Wenn Sie - ich sage es noch einmal - mir nicht glauben, so lassen Sie es sich einmal von führenden amerikanischen Politikern erklären: Die Menschen sind nur bereit, etwas zu tun, wenn sie den Eindruck haben, sie könnten auch etwas verändern. Die Bürger können etwas verändern, das wissen Sie, aber Sie wollen nicht, daß diese Bundesregierung Menschen dazu auffordert. Deshalb versuchen Sie, es zu zerstören.
Damit versündigen Sie sich aus meiner Sicht daran, daß wir auf einem wichtigen Gebiet gemeinsam vorankommen.
Meine Damen und Herren, bei Umweltbelastungen muß - genau das ist auch der Grundgedanke der Klimakonferenz - nach dem Verursacherprinzip verfahren werden. Deshalb messen wir dem Verursacherprinzip erhebliche Bedeutung zu.
Die Energieversorgungsunternehmen haben für die Entstickung und Entschwefelung der deutschen Kraftwerke seit 1983 ca. 22 Milliarden DM aufgewendet. Der Schwefeldioxidausstoß konnte um rund 74 %, der Staubausstoß um 66 % und der Kohlenmonoxidausstoß um 50 % gesenkt werden. In den neuen Bundesländern werden ausschließlich Kraftwerke nach dem neuesten Stand der Technik gebaut. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt und vor allen Dingen ein Beitrag auch zum Energiesparen.
Lassen Sie mich ein Wort zum Energiekonsens und zu den Verhandlungen, die wir durchführen, sagen. Natürlich ist das Allerwichtigste - ich sage es angesichts der Klimakonferenz noch einmal -: Wir müssen versuchen, den Energieverbrauch auf das Minimum dessen zu senken, was nötig ist. Alles, was dem Energiesparen dient, hat Vorrang. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, daß auf diesem Gebiet mehr Maßnahmen durchgeführt werden. Wir haben dafür heute wieder ein Beispiel geliefert, nämlich das 200-Millionen-DM-Programm für Zuschüsse
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
für Investitionen zum Wärmeschutz im Gebäudebestand. Es läuft über fünf Jahre. Dies ist das Produkt der gemeinsamen Anstrengung aller Ressorts der Bundesregierung. Dieses Programm wird in fünf Jahren 1 Milliarde DM an Zinsverbilligung und 10 Milliarden DM an Investitionen in einem Bereich, in dem Energiesparen wirklich sinnvoll und notwendig ist, bewirken. Wir haben noch 22,7 Millionen Altbauwohnungen, bei denen dringlich etwas gemacht werden muß. Diese Verantwortung nehmen wir an. Ich sage ganz deutlich in Ihre Richtung: In den Energiekonsensgesprächen können wir über weitere Maßnahmen zum Energiesparen reden.
Ich komme zum zweiten Bereich. Es geht um regenerative Energien.
Die Bundesrepublik Deutschland - ich weiß nicht, ob Ihnen das entgangen ist, Herr Kuhlwein, Sie wohnen doch im Norden - hat bei der Erzeugung von Windenergie seit Anfang dieses Jahres den führenden Platz in Europa.
Wir werden nur noch von Amerika übertroffen. In der Welt haben wir den zweiten Platz.
Dies ist durch die Veränderung des Stromeinspeisungsgesetzes möglich geworden. Falls ich mich nicht ganz täusche, ist dies von der Bundesregierung und nicht von der schleswig-holsteinischen Landesregierung gemacht worden.
Nun, Herr Kuhlwein, bitte ich Sie nur noch, daß Sie die Naturschützer so weit im Zaum halten, daß noch ab und zu eine Windenergieanlage gebaut werden kann, denn da droht der nächste Streit.
Gleiches gilt für die Wasserkraft; das wissen alle, die im Süden wohnen. Wasserkraft kommt zwar in Norwegen und Österreich in Betracht, aber bei uns ist der Bau eines kleinen Wasserkraftwerks heute nahezu unmöglich, weil vielerlei Umweltbedenken eine Rolle spielen.
Nun kommen wir zur Solarenergie. Diese halte ich in der Tat durch weitere Forschung für entwickelbar und für einen ganz wesentlichen Schritt. Auch für mich ist unstrittig, daß wir von den fossilen Energieträgern heute sehr viel mehr verbrauchen, als zukünftige Generationen die Möglichkeit dazu haben werden. Deshalb ist es unsere Pflicht, das Machbare, Erforschbare im Bereich der Solarenergie zu tun, um zukünftigen Generationen die Nutzung dieser Energiequelle zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren von der SPD, jetzt lesen Sie doch einmal die Studie Ihres eigenen Ministerpräsidenten, Gerhard Schröder, der gesagt hat: Mit 50 Milliarden DM Investitionen werden im Jahre
2010 7,5 % des heutigen Energieverbrauchs durch regenerative Energien erbracht werden können. Ich sage einfach: Lassen Sie uns die Dinge machen! 153 Millionen DM sind das im Forschungsetat -
- eine Summe, die sich, Herr Fischer, international sehen lassen kann. Wir werden nur noch von dem etwas größeren Land USA übertroffen; schon Japan liegt hinter uns.
Deshalb sage ich: Wir müssen hier weitermachen, wir müssen mehr machen. Aber den Leuten einzureden, wir könnten damit den zukünftigen Energiebedarf eines Industriestandorts decken, ist einfach Augenwischerei.
Damit komme ich zum Energiekonsens. Hier ist in epischer Breite immer wieder dargestellt worden, welche Ausgaben wir in unserem Haushalt für die Kernenergie, die End- und Zwischenlagerung haben. Niemand hat davon gesprochen, Herr Kuhlwein, daß die SPD ganz besonders stark - auch wir tun das aus vernünftigen Gründen - die Kohle mit 8 Milliarden DM subventioniert. Es gehört auch zur redlichen Diskussion, daß man diese Zahlen gegenüberstellt.
Ich kann nur sagen: Die Kernenergie hat sich bis jetzt im wesentlichen aus sich selbst finanziert. Die Kohle schafft das nicht.
- Es wird doch durch das Geschrei nicht besser. Gehen Sie doch einmal zu den EVUs, und fragen Sie einmal, womit die ihr Geld verdienen! - Es gibt doch keinerlei Subventionen für die Kernenergie, da braucht man doch jetzt nicht zu schreien. Herr Kuhlwein, sagen Sie doch einmal Ihren Mitabgeordneten, daß das im allgemeinen refinanzierte Titel sind! Das wissen die doch gar nicht. Das haben Sie uns verschwiegen. Nun müssen wir es hier doch einmal ansprechen.
- Dann ist es ja gut. Dann scheinen es aber die anderen nicht begriffen zu haben; sonst wäre das Geschrei jetzt nicht so groß.
Für uns als Regierungsfraktion, für mich als Bundesumweltministerin ist die CO2-freie Energieerzeugung durch Kernenergie eine verantwortbare Energie. Ich sage es noch einmal.
Frau Ministerin, Sie müssen entweder zum Schluß kommen oder eine Zwischenfrage zulassen.
Insofern stehe ich zum Energiemix.
Ich habe mich angesichts der Klimakonferenz heute beim Haushalt auf Fragen der Energie, auf Fragen, die mit dem Klima zusammenhängen, konzentrieren müssen. Für mich haben Boden- und Naturschutz und viele andere Bereiche der Umweltpolitik eine ebensolche Bedeutung.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und erwarte in den nächsten Tagen trotz allem auch konstruktives Mittun der Opposition in bezug auf das Gelingen der Klimakonferenz in Berlin.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Ulrike Mehl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das europäische Naturschutzjahr wäre allein schon Anlaß genug, sich auch in einer Haushaltsdebatte in einem Redebeitrag mit dem Thema Naturschutz zu beschäftigen. Aber es hat auch mit Geld zu tun. Daß das Geld angeblich nicht da wäre, hat den vorigen Bundesumweltminister dazu gebracht, das Bundesnaturschutzgesetz sechsmal mündlich, aber nicht einmal tatsächlich zu novellieren.
Ich bin darauf gespannt, Frau Merkel, ob Sie es schaffen werden, sich gegen Herrn Borchert, Herrn Rexrodt und Herrn Kohl durchzusetzen.
Ein wenig Hoffnung ist mir geschwunden, weil in Ihrer Rede nur zweimal das Wort Naturschutz vorkam, einmal am Schluß und einmal in dem Zusammenhang, daß Naturschützer im Zaum zu halten seien.
Die Novellierung des Naturschutzgesetzes ist bis heute daran gescheitert, daß die Bundesregierung immer wieder behauptet, daraus entstünden Leistungsansprüche der Landwirtschaft, und diese seien nicht bezahlbar.
Einmal abgesehen davon, daß der Naturschutz nicht dafür zuständig sein kann, daß die Landbewirtschaftung umweltverträglich gestaltet wird, sondern daß die Landwirtschaftspolitik für umweltverträgliche Landwirtschaft zu sorgen hat,
muß man sich folgendes vorstellen. Auf der einen Seite hat die Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre in ihrem Bericht einstimmig festgestellt, daß die Landwirtschaft inakzeptabel und unverträglich in die Natur eingreift. Auf der anderen Seite geben EU sowie Bund und Länder zusammen in der Bundesrepublik fast 30 Milliarden DM für den Agrarsektor aus. Auf deutsch heißt das, das BMU soll
mit seinen 1,3 Milliarden DM das ausbügeln, was die Landwirtschaft mit 30 Milliarden DM im Rücken ruiniert. Das kann ja wohl nicht wahr und nicht richtig sein!
Selbst wenn eine Ökologisierung der Landwirtschaft geschätzte 1 Milliarde DM kosten würde, so ist dies, gemessen an den Gesamtausgaben der Landwirtschaft, ja wohl ein vergleichsweise geringer Betrag. Wir fordern darum die Bundesregierung auf, die Privilegierung der Landwirtschaft aus dem Bundesnaturschutzgesetz ersatzlos zu streichen und statt dessen endlich klare Vorgaben für eine umweltverträgliche Landwirtschaft festzulegen und die finanzielle Förderung genau daran zu orientieren.
Dann ist eine umweltfreundliche Landwirtschaft auch finanzierbar.
Aber nicht nur die herkömmliche Landwirtschaft ist ein Problem für den Naturschutz, sondern alle Wirtschaftsbereiche, die auf den Naturhaushalt einwirken, beispielsweise der Straßen- und Gewässerausbau. Da nützt es überhaupt nichts, wenn, wie eben schon gesagt, die Bundesregierung aus allen Haushalten Beträge zusammenkratzt, die annähernd etwas mit Umwelt zu tun haben könnten, und am Ende auf 8,3 Milliarden DM Umweltausgaben kommt, aber kein Wort darüber sagt, wieviel Milliarden für Naturzerstörung ausgegeben werden.
Frau Merkel, ich habe mit Freude gehört, daß Sie dies in anderen Haushalten prüfen wollen.
Während sich aber die Bundesregierung auf die Schulter klopft, weil die Mittel für Naturschutzprojekte auf - ich sage einmal - schlappe 40 Millionen DM erhöht werden sollen, werden Milliardenbeträge allein für zerstörerische Ausbauten von Fließgewässern eingestellt. Ich höre auch gerne, daß Sie von der CDU bereit sind, darüber nachzudenken, diese Mittel im nächsten Haushalt zu erhöhen. Aber, wie gesagt, im Vergleich zu dem Geld, das für die Zerstörung ausgegeben wird, ist das wirklich ein schlapper Beitrag. Ich vermute, daß Herrn Wissmann bei dem Wort Wasserstraße noch nie das Bild eines Ökosystems vor Augen gekommen ist, sondern eher das Bild von Schwimmbaggern und Betonmischern.
Während für die Bundesregierung das notwendige Maß an Naturschutz angeblich nicht finanzierbar ist, will der BMV in den nächsten Jahren alleine für das Projekt 17 Deutsche Einheit 4,1 Milliarden DM ausgeben. Hier geht es u. a. um den Ausbau des ElbeHavel-Kanals. Selbst unter reinen Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten ist das nicht nachvollziehbar, aus Umweltgesichtspunkten inakzeptabel.
Ulrike Mehl
Daß der wachsende Güterverkehr von der Straße auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel verlagert werden muß, ist im Prinzip richtig. Nur kann die Lösung des Problems nicht darin liegen, daß die Fließgewässer immer größeren Euronorm-Schiffen angepaßt werden. Im übrigen möchte ich festhalten, daß es sehr wenig nützt, lediglich die Zunahme des Güterverkehrs auf Gewässern mit 86 % zu prognostizieren, wenn man dabei die Tatsache übersieht, daß der Güterverkehr auf dem Wasser tatsächlich seit Mitte der 80er Jahre von 26 % auf 20,4 %, bezogen auf das Gesamtvolumen, zurückgegangen ist. Eigentlich müßten wir langsam einmal Lehren aus dem traurigen Beispiel des Rhein-Main-Donau-Kanals ziehen.
Gerade der Gewässerausbau macht die Schizophrenie in der Umweltdiskussion besonders deutlich. Noch vor wenigen Wochen haben wir hier im Bundestag über die Folgen der Hochwasserkatastrophe diskutiert. Wir waren uns relativ einig darüber, daß die Klimaveränderungen bereits eine erhebliche Rolle dabei spielen. Aber Einigkeit müßte auch darüber herrschen, daß der Ausbau unserer Gewässer und die Zerstörung von natürlichen Fluträumen, z. B. von Auwäldern, ebenfalls eine entscheidende Rolle dabei spielen. Dies ist nicht nur für die durch die Folgen des Hochwasser geschädigten Menschen unerträglich geworden, sondern es ist ein riesiger Verlust für den Artenreichtum und für den Naturhaushalt, und das ist es, was wir uns nicht leisten können.
Wenn die Bundesregierung durch die Mitunterzeichnung der Rio-Konvention zur biologischen Vielfalt - es gab ja nicht nur die Konvention zum Klima, sondern auch die zur biologischen Vielfalt, über die bereits im letzten Herbst verhandelt wurde - die Bedeutung dieses Themas ausdrücklich anerkennt, muß sie sich Nachfragen wegen mangelnder Umsetzung gefallen lassen.
Noch einmal zum Naturschutz, den wir uns alle angeblich nicht leisten können. Schon vor zwei Jahren hat Herr Töpfer verkündet, daß er die europäische Flora-, Fauna-, Habitat-Richtlinie für das Instrument des Naturschutzes hält.
Sie ist bis heute, fast zehn Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist, nicht in deutsches Recht umgesetzt. Warum gibt die Bundesregierung den Ländern nicht die Instrumente an die Hand, die sie selbst für notwendig erklärt hat? Sie warten nämlich nur noch darauf. Diese Untätigkeit führt jetzt dazu, daß sich die Länder wegen der fehlenden Planungssicherheit nicht in der Lage sehen, im notwendigen Umfang Schutzgebiete auszuweisen. Diese Planungs- und Rechtssicherheit bekommen sie aber erst, wenn der Bund europäisches Recht in deutsches umsetzt.
Dafür braucht man keinen neuen Haushaltstitel, sondern ein Bundesnaturschutzgesetz.
Wir sitzen alle in einem Boot, hat Frau Merkel anläßlich der Eröffnung des Berliner Klimagipfels sehr richtig festgestellt.
Wenn dies aber so ist, dann müßten wir endlich beginnen, dieses Boot in die richtige Richtung zu lenken, und endlich damit aufhören, mit der Spitzhacke Löcher in die Planken zu schlagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Es geht doch nur darum, daß wir hier zur Sache diskutieren. Das setzt allerdings voraus, daß der Kollege Kuhlwein zuhört, nicht nur die Ministerin zum Zuhören auffordert. Denn einige bei Ihnen hören zwar partiell zu, aber Sie verstehen nicht. Das ist das Bedauerliche daran.
Deshalb wäre es gut, wenn Sie sich einmal der Mühe unterzögen, Argumentationen nachzuvollziehen. Ich kann es langsam nicht mehr hören. Da wird bei den GRÜNEN und der SPD von der Verlagerung des Verkehrs gesprochen. Wo es um die Verlagerung auf die Schiene geht, blockieren Sie den Schienen- und Straßenbau. Ich muß das nicht wiederholen. Diese Doppelstrategie werden wir Ihnen um die Ohren hauen, wo immer das notwendig ist.
Der nächste Punkt. Sie sprechen von einer Verlagerung des Verkehrs auf die Wasserstraßen und bauen gleichzeitig in Frankfurt das Hafengelände zu. So kann ich natürlich nicht Verkehr auf die Wasserstraßen verlagern, wenn ich die Infrastruktureinrichtungen blockiere.
Egal, wo ich bei Ihnen hinschaue, ob Sie in den Ländern oder den Kommunen Verantwortung tragen: Hier klagen Sie es ein, und in den Ländern fahren Sie die Gegenstrategie. Was hat die rot-grüne Koalition denn jetzt in Hessen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, mit denen wir den Umweltschutz schneller umsetzen können, weil nur neue Anlagen mehr Umweltschutz bedeuten, gesagt? Dagegen fahren Sie, sagen Sie, eine Gegenstrategie. Ich frage: Was soll das denn? Diese Heuchelei in diesem Hause lassen wir Ihnen nicht durchgehen, solange Sie auf den anderen Ebenen die Konsequenzen nicht ziehen. Das werden Sie sich sagen lassen müssen.
Dr. Klaus W. Lippold
- Herr Kuhlwein, das ist doch kein Schimpfen; Sie können es nur nicht ertragen, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt, wenn man Ihnen Ihre Doppelstrategie um die Ohren haut.
Herr Kuhlwein, das einzig Richtige, was Sie zur Vertragsstaatenkonferenz gesagt haben, ist, daß sie in Berlin stattfindet. Der Rest war unerträglich neben der Sache.
Das ist doch das Erstaunliche. Selbst Ihre Kollegin Anke Fuchs hat ja hinzugelernt. Nachdem sie anfänglich die Koalitionsstrategie in bezug auf Berlin angegriffen hat, hat sie kleinlaut hinzugefügt, selbstverständlich könnten wir mit den anderen nicht als Spielmasse manövrieren. Diesen Satz hätten Sie sich vielleicht aus dem Protokoll herausschreiben können, bevor Sie hier wieder Teil 1 zitieren, ohne überhaupt etwas hinzuzulernen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn mich Herr Kuhlwein ausreden läßt, ja, Herr Präsident.
Ich nehme an, daß Herr Kuhlwein gern einen Augenblick still ist, damit die Zwischenfrage gestellt werden kann.
Frau Kollegin, bitte.
Herr Kollege Lippold, Sie sprachen das Zuhören an. Wir würden sehr gern zuhören. Wenn Sie sich einer etwas geringeren Lautstärke bedienen könnten, auch im Sinne der zarten Stenographin hier vorne, wären wir alle dankbar.
Sehr verehrte Frau Kollegin, selbst wenn ich hinter das, was Sie gesagt haben, ein Fragezeichen setze, wird es noch immer keine ökologische Frage,
es sei denn, verehrte Frau Kollegin, Sie würden sich so zurückhalten, daß man sich mit normaler Lautstärke in diesem Haus verständlich machen könnte. Dann könnte ich meine Stimme herunterfahren. Das ist eine der einfachsten Übungen, die wir haben.
Zum Naturschutz, Frau Kollegin Mehl. Gehen wir
doch einmal auf die Bund-Länder-Aufgabe ein und
fragen, wie es mit der Finanzierung der Naturschutz-
vorhaben wäre, wenn die Länder die Komplementärfinanzierung einbringen würden. Auch hier höre ich doch nur hohle Worte, aber sehe vor Ort keine Form der Einbringung.
Ich will noch einmal eines deutlich sagen, weil Sie sich damit inhaltlich ja gar nicht auseinandersetzen wollen. Für uns findet Umweltschutz nicht nur über Gesetze, Verordnungen, Bürokratien und durch Ausgaben im staatlichen Haushalt der Bundesregierung statt. Wir haben mehr erreicht durch die Verpflichtungen mit der Wirtschaft, durch Selbstverpflichtungen der Wirtschaft und auch durch Verordnungen und Gebote, wie z. B. seinerzeit bei der Novelle der Großfeuerungsanlagenverordnung, bei der, ohne daß eine D-Mark im Titel des Haushalts erschien, 30 Milliarden DM für den Umweltschutz auf den Weg gebracht wurden. Das sind Leistungen, die Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen, weil Sie ein völlig falsches Verständnis haben, wie Umweltschutz gemacht werden muß. Sie denken immer nur in Bürokratie, in Verwaltungsvorschriften, in Verordnungen, wie ich Industrie belasten kann, statt die Leute dazu zu bringen, mitzumachen und Selbstverpflichtungen einzugehen, statt Anreize zu geben.
Frau Merkel hat hier noch einmal Energieeinsparförderung im Altbaubestand und beim Wohnungsbau dargestellt. Das ist etwas, was es bei Ihnen nicht gegeben hat, was es bei uns jetzt gibt. Bei den Selbstverpflichtungen, die die Wirtschaft jetzt eingegangen ist, hätten Sie zu Ihren Zeiten Halleluja geschrien, wenn Sie so etwas erreicht hätten. Statt dessen haben Sie mit Ihrem Kanzler in Gymnich, wenn Sie mit der Wirtschaft gesprochen haben, Stillhaltevereinbarungen zum Umweltschutz getroffen. Wir treffen Vereinbarungen mit der Wirtschaft, die Selbstverpflichtungen beinhalten, und nicht wie Sie Stillhalteabkommen. Das ist der Unterschied.
Deshalb ist nicht Gängelung und nicht Bevormundung unser Punkt, sondern wir setzen auf den Ideenreichtum der Bürger, den wir nicht durch Bürokratie bändigen. Wir setzen auf den Ideenreichtum der Wirtschaft, die wir ganz einfach dazu bringen, daß sie durch Innovation mehr Umweltschutz leisten kann, als sie sonst leisten würde.
Ich sage auch ganz deutlich, daß z. B. mit der Umsetzung des Öko-Audit, das wir jetzt vornehmen, ein weiterer Punkt in der Übersetzung sozialer marktwirtschaftlicher Ideen in Umweltschutzüberlegungen kommt.
Begrüßen Sie das doch einmal! Machen Sie mit! Ziehen Sie mit uns gemeinsam an einem Strang, statt die Dinge hier oppositionsgemäß einfallslos zu kritisieren, wie Sie es permanent tun! Es wäre doch schön, wenn wir von Ihnen brauchbare Anregungen bekämen. Wir sind ja wirklich begierig, sie aufzunehmen.
Wir sprechen mit Umweltschutzverbänden, wir sprechen mit der Wirtschaft, wir sprechen mit einer Fülle kleiner Erfinder, um zu sehen, was wir praktisch machen können. Genauso wie wir mit denen sprechen und von ihnen das aufgreifen, was sinnvoll
Dr. Klaus W. Lippold
ist, würden wir auch auf Ihre Vorschläge hören, wenn wir denn welche bekämen. Aber befangen in Ihren Ideologien, wie Sie sind, kommen Sie leider nicht dazu, Umweltschutz so umzusetzen, wie es sein muß.
Wenn ich jetzt noch einmal kurz sagen darf, was wir erreicht haben: Neben Selbstverpflichtungen und neben steuerlichen Anreizen haben wir auch in der internationalen Politik mit der gemeinschaftlichen Umsetzung, die wir mit Dritte-Welt-Ländern vereinbaren, einiges erreicht. Wir kombinieren Technologietransfer mit Finanztransfer. Damit machen wir deutlich, daß wir deutsche Spitzentechnologie ins Ausland bringen, dort für mehr Umweltschutz sorgen, hier gleichzeitig Beschäftigung sichern und den Spitzenplatz deutscher Umweltschutztechnologie halten. Stützen Sie das doch, statt es zu karikieren! Denn das sind die Punkte, auf die wir setzen: mit moderner Umwelttechnologie dieser Welt führend sein, Arbeitsplätze, Einkommen und auf diese Art einen ökologischen Standard mit Beschäftigung und Wachstum sichern, wie wir das in dieser Welt brauchen. Das ist der richtige Ansatz. Da könnten Sie mitarbeiten, wenn Sie dazu bereit wären.
Ich bin heute noch dazu bereit, mit Ihnen darüber zu reden, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Aber das setzt voraus, daß Sie nicht die Müllersche Standardrede hier immer wieder variieren, die wir seit fünf Jahren kennen. Herr Müller, es ist ja schön, daß Sie das in der Fraktion so weit durchgesetzt haben. Aber deshalb wird die Rede nicht besser. Deshalb bräuchten wir bei Ihnen einmal mehr Kreativität und neue Ideen. Dann könnte es mit Ihnen etwas werden. Dann kämen wir einen Schritt weiter.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/971 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltung?— Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/883. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - Damit ist der Einzelplan 16 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 25
Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksachen 13/521, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Außerdem hat die Gruppe der PDS sechs Änderungsanträge eingebracht.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Rolf Niese.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht zu leugnen, der neue Bundesbauminister hat sein Amt mit Elan angetreten.
- Klatschen Sie am Schluß meiner Rede. Dann tun sie Gutes.
Zahlreiche Interviews belegen dies - ebenso wie Artikel in Fachzeitschriften und Auftritte vor Fachverbänden.
Unübersehbar sind dabei Annäherungen an Positionen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, mit denen wir in den vergangenen Jahren bei der liberalen Wohnungsbauministerin auf Ablehnung gestoßen sind.
Ich möchte an wenigen Beispielen deutlich machen, wo es Annäherungen an unsere Positionen durch den neuen Bundesbauminister gibt: die beabsichtigte Verbesserung der Bausparförderung, um sie an die veränderten Einkommens- und Baupreisbedingungen anzugleichen; die von Bundesbauminister Töpfer geplante Umgestaltung der Wohnungseigentumsförderung, sprich § 10e Einkommensteuergesetz.
Es ist schon erstaunlich, daß Herr Töpfer am 13. März 1995 in der FAZ zu § 10e folgendes kritisch feststellt:
Diejenigen, die auf Grund eines höheren Einkommens absolut am stärksten begünstigt werden, benötigen diese Entlastung bei ihrer Entscheidung für das Wohneigentum nicht.
Dr. Rolf Niese
Richtig, Herr Minister. Dies sagt die SPD seit Jahren, aber entsprechende Anträge, dies zu ändern, sind von der Koalition mit schöner Regelmäßigkeit abgelehnt und zurückgewiesen worden.
Nächstes Beispiel: Beim Mietenüberleitungsgesetz gibt es - dies muß man zugestehen - deutliche Versuche, den Schulterschluß mit den Wohnungsbauministern der neuen Länder zu erreichen.
Von Konsens war die Rede auch beim Thema Kappungsgrenze bei Wiedervermietungen - bis am Montagabend der F.D.P.-Funke einschlug und die Einigkeit auf der Bauministerkonferenz zum Platzen brachte. Herr Minister Töpfer, Sie sind nun gefordert, die Interessen der ostdeutschen Mieter gegenüber der Mieterhöhungspartei F.D.P. zu wahren und durchzusetzen.
- Ich kann Ihre aufgeregte Betroffenheit verstehen, aber diese Einschätzung ist nicht nur meine, sondern es ist die Einschätzung der ostdeutschen Wählerinnen und Wähler. Denn wie erklären Sie sich sonst, daß Sie aus sämtlichen Landtagen dort herausgeflogen sind?
Insgesamt muß man den Erklärungen des Bundesbauministers entnehmen, daß die Wohnungspolitik wieder soziale Züge annehmen soll. So hat der Bauminister in seiner Antrittsrede am 25. November 1994 im Deutschen Bundestag betont, daß Wohnungspolitik für ihn angewandte Familien- und Sozialpolitik sei. Aber Achtung! Absichtserklärungen und Goodwill-Interviews sind nur die eine Seite der Medaille, die in diesem Falle von Herrn Töpfer recht ansehnlich poliert wird. Wie sieht aber die andere Seite der Medaille aus, die politische Realität? In einer Pressemeldung vom 12. März 1995 heißt es: „Mancherorts sinkende Mieten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß nach wie vor besonders in den Ballungsgebieten erhebliche Engpässe gerade bei preisgünstigen Wohnungen bestehen. " Ihre Vermutung, hier sei ein sozialdemokratischer Pressedienst am Werk, geht fehl. Die Überschrift dieser Pressemitteilung lautet: „Bayern macht Streichkonzert des Bundes beim sozialen Wohnungsbau nicht mit" und stammt vom bayerischen CSU-Minister Dr. Günther Beckstein.
Streichkonzert beim sozialen Wohnungsbau, das ist schon starker Tobak, den der bayerische Innenminister der Bundesregierung vorwirft. Ihnen, Herr Töpfer, sollte dieser deutliche Hinweis auf die Realität Ihrer Wohnungspolitik zu denken geben.
Nun ist mir natürlich klar, daß Bayern bei einem Streichkonzert nicht mitmacht, denn die Bayern lieben viel mehr Marschmusik eines Blasorchesters. Herr Töpfer, der Herr Beckstein hat Ihnen in diesem Punkt ganz gehörig den Marsch geblasen.
Aber keine Sorge, meine Damen und Herren von der Koalition, ich werde nicht die ganze Liste Ihrer wohnungspolitischen Versäumnisse aus der Vergangenheit wiederholen. Aber auf einige Punkte will ich doch hinweisen, die deutlich zeigen, daß Sie auch heute noch gravierende Fehlentscheidungen treffen.
Die Städtebauförderungsmittel für die alten Bundesländer stagnieren für neue Projekte bei einem Ansatz von 80 Millionen DM.
- Ach, mich stört das nicht. Ich wollte die Damen und Herren von der F.D.P. nur ausreden lassen, weil das die Höflichkeit gebietet. - Ich möchte zu den Städtebauförderungsmitteln folgende Anmerkungen machen:
„Die mit Bundesfinanzhilfen geförderten Investitionen in städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsgebieten bewirken hohe öffentliche und private Folgeinvestitionen sowie Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Dieser Anstoßeffekt der Städtebauförderung ist allgemein anerkannt und durch Untersuchungen verschiedener Forschungsinstitute belegt. Eine besondere Bedeutung ist darüber hinaus der beschäftigungspolitischen Wirksamkeit der Städtebauförderung zuzumessen. Die Untersuchungen bestätigen hohe, regional gestreute Beschäftigungseffekte, und zwar sowohl hinsichtlich einer kurzfristigen Beschäftigungsbelebung als auch langfristig wirksamer Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse. "
Diese Anmerkungen zitiere ich aus der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes von 1994 bis 1998. Ich stimme dieser Einschätzung der Bundesregierung voll zu. Ihre Schlußfolgerung, Herr Minister Töpfer, für den Einzelplan 25? Fehlanzeige!
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Wohnungsprivatisierung in den neuen Ländern eingehen. Die Wohnungsprivatisierung in den neuen Bundesländern komme zügig voran, so tönten Bundesregierung und Koalitionsfraktionen noch in der öffentlichen Anhörung am 8. März 1995 zu den Anträgen zur Novellierung des Altschuldenhilfegesetzes. Dies war Grund genug für die Regierungsmehrheit, alle SPD-Forderungen abzulehnen, die Mietern wie Vermietern mehr Sicherheit und Zeit bei der Privatisierung geben sollten.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat mehrfach ihr völliges Unverständnis darüber ausgedrückt, daß die Privatisierungshilfen an die neuen Länder bis Ende 1994 befristet sind, obwohl die Privatisierung noch bis zum Jahre 2003 laufen soll. Jetzt, kurz vor Ultimo, während der abschließenden Lesung des Haushaltes, will die Koalition offenbar das Füllhorn öffnen,
Dr. Rolf Niese
um der Privatisierungsbereitschaft im Osten ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Die hektische Reaktion der Koalition zeigt: Sie hat kein Konzept für eine stetige und verläßliche Wohnungspolitik.
Stop and go bleibt das fragwürdige Markenzeichen dieser Politik.
Privatisierungshilfen für diejenigen Mieter, die Eigentum schaffen wollen, sind zu begrüßen und sind auch von der SPD-Bundestagsfraktion und den Fachpolitikern im entsprechenden Ausschuß begrüßt worden. Aber entscheidend für den Erfolg einer solchen Politik wird sein, ob es gelingt, das Altschuldenhilfegesetz zu ändern und seine Anwendungsmöglichkeiten deutlich zu verbessern.
In anderen Bereichen werden Finanzmittel gestrichen oder verschoben. Die erste Geige im Streichkonzert des Bundes beim sozialen Wohnungsbau spielt zweifellos der Rückzug aus dem Ballungsgebieteprogramm. Daß dies wider besseres Wissens geschieht, macht die Sache noch schlimmer. Schließlich weist selbst der Bundeskanzler in Sonntagsreden regelmäßig auf Engpässe bei der Wohnungsversorgung in den Ballungszentren hin.
Der Bund sendet im übrigen ein falsches Signal an die Investoren im sozialen Wohnungsbau, wenn er sich Stück für Stück aus dieser Ausgabe zurückzieht.
Sie alle kennen die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung, nach denen sich dieser Rückzug auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Diese Politik führt dazu, daß auch den Ländern langsam die Luft ausgeht. Diese haben in der Vergangenheit ein Vielfaches der Finanzmittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt, allein im vergangenen Jahr mehr als 20 Milliarden DM gegenüber 3 Milliarden DM, die der Bund ausgegeben hat.
Die Begleitmusik zur ersten Geige im Streichkonzert beim sozialen Wohnungsbau spielt das Wohngeld. Seit 1990 hat es keine Anpassung des Wohngeldes im Westen an die gestiegenen Mieten gegeben.
Häufig sind Mieten von Wohngeldberechtigten auf Grund der Höhe der Mieten nicht mehr voll wohngeldfähig. Im Bundeshaushalt nimmt sich diese Entwicklung natürlich - weil man alles nur unter dem Diktat des absoluten Einsparens sieht, ohne auf die Aufgabe zu schauen - gut aus, weil dort immer weniger Mittel für die Wohngeldförderung zur Verfügung gestellt werden müssen. Allein im Haushaltsvollzug 1994 wird mehr als eine halbe Milliarde DM eingespart. Aber dies macht doch gerade deutlich, daß
erheblicher Handlungsbedarf für eine Novellierung besteht.
Der Bund saniert sich dabei auf Kosten der Länder und Gemeinden,
eine Entwicklung, die wir auch in vielen anderen Bereichen verfolgen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kommt zu dem Ergebnis, daß die geplante Einführung des Vergleichsmietensystems dazu führen wird, daß Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern bei der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt mit Mehraufwand in Höhe von etwa 500 Millionen DM belastet werden. Das können Sie in der „Frankfurter Rundschau" vom 4. März 1995 nachlesen.
- Nein, es war der Paritätische Wohlfahrtsverband, der diese Äußerung getan hat.
Dagegen sollen die Ausgaben des Bundes für das Wohngeldsondergesetz Ost nur um 63 Millionen DM steigen. Von der überfälligen Anpassung des Wohngelds West ist schon gar keine Rede mehr, obwohl auch hier, wenn nicht gehandelt wird, vergleichbare Mehrbelastungen auf die Gemeinde zukommen. Das wird dann bei notwendigen öffentlichen Investitionen der Gemeinden fehlen, um Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.
Dabei muß ich noch erwähnen: Der Bund sieht zwar 63 Millionen DM für die Verlängerung des Wohngeldsondergesetzes vor, aber mehr als zwei Drittel dieser Summe schneidet er aus den Zuweisungen des Bundes an die neuen Länder für den sozialen Wohnungsbau heraus. Das ist ein starkes Stück und beleuchtet die Politik dieser Bundesregierung.
Dasselbe Spielchen hat die Koalition beim Thema Obdachlosigkeit gespielt. 50 Millionen DM als Wohltat - in ihrem Sinne - für diese benachteiligte Gruppe sollen ebenfalls aus der Titelgruppe 02, sozialer Wohnungsbau, kommen.
Eine Politik, die Wohnungssuchende gegen Wohngeldempfänger und Obdachlose ausspielt, ist zutiefst unsozial und wird von der SPD abgelehnt.
Es ist im übrigen ein Armutszeugnis für diese Koalition, daß sie einen Antrag, 150 Millionen DM für ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit bereitzustellen, ablehnt, obwohl diese Summe nur etwas mehr als 1 % dessen ausmacht, was wir jährlich für die steuerliche Förderung von Wohneigentum in den vergangenen Jahren ausgegeben haben.
Ob Streichorchester oder Verschiebebahnhof: Eine soziale Wohnungspolitik, die auch nur den vom Bundesbauminister selbst gestellten Ansprüchen gerecht
Dr. Rolf Niese
wird, kann auf diese Weise nicht erreicht werden. Eine Neugestaltung der Wohnungspolitik ist überfällig. Als Hauptziele müssen dabei die Beseitigung der Wohnungsnot, insbesondere in den Ballungsgebieten, und die Bezahlbarkeit von Mieten im Vordergrund stehen. Um diese Ziele zu erreichen, muß eine Wohnungspolitik folgende Eckpunkte umsetzen.
Erstens. Angesichts der akuten Unterversorgung mit bezahlbarem Wohnraum ist es notwendig, mindestens den aktuellen Stand bei den Fertigstellungen durch Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel zu halten. Der klassische soziale Wohnungsbau mit langfristigen Bindungen ist auch in Zukunft unverzichtbar, auch wenn die F.D.P. dieses nicht hören will.
Das Ballungsgebieteprogramm muß in der ursprünglichen Höhe weitergeführt werden. Die Kommunen müssen finanziell in die Lage versetzt werden, so lange Belegungsbindungen im Bestand einzukaufen, solange mehr Wohnungen aus der Preis-und Belegungsbindung herausfallen, als neue durch Neubau hinzukommen.
Zweitens. Die Wohneigentumsförderung ist auf einen sozial gerechten einkommensunabhängigen Abzug von der Steuerschuld umzustellen. Auf diese Weise erhalten Haushalte mit mittleren Einkommen eine wesentlich höhere Förderung als bei der bisherigen Regelung. Mitnahmeeffekte bei der Steuerbegünstigung müssen abgebaut werden.
Genossenschaftliches Bauen ist bei der steuerlichen Förderung zu berücksichtigen. Ein verbessertes Baukindergeld soll auch Familien mit mittleren Einkommen zu Wohneigentum verhelfen.
Drittens. Die Bausparförderung - darauf bin ich schon eingegangen - muß ausgeweitet und durch eine Kinderkomponente verbessert werden.
Viertens. Angesichts der Mietbelastungen ist eine Novellierung des Wohngeldgesetzes für die alten Bundesländer, das seit 1990 den stark gestiegenen Mieten nicht mehr angepaßt worden ist, längst überfällig. Die Einführung des Vergleichsmietensystems in den neuen Bundesländern muß durch Verbesserungen beim Wohngeld sozial abgesichert werden.
Fünftens. Das Altschuldenhilfegesetz ist mit dem Ziel zu novellieren, die progressive Erlösabführung in eine lineare Erlösabführung umzugestalten. Die Aus- bzw. Neugründungen von Wohnungsgenossenschaften sind als Privatisierung anzuerkennen.
Wohnungsbaugesellschaften mit schwer zu privatisierendem Wohnungsbestand muß eine Ausnahme oder ein Abweichen von der Privatisierungsklausel ermöglicht werden.
Sechstens. Die Mittel für die Städtebauförderung West müssen erheblich aufgestockt werden. Angesichts der Anstoßwirkung der Städtebauförderungsmittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und für private Investitionen ist die geringe Ausstattung dieses Titels sträflich.
Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich kurz auf den Änderungsantrag vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Einzelplan 25 eingehen. Die Forderungen zu den Themen Obdachlosigkeit, Wohngeld und Städtebauförderung sind genau die von uns in den Beratungen des Haushaltsausschusses vorgetragenen Punkte. Aber der Antrag läßt leider vor allen Dingen bei der Aufstockung Wohngeld und Aufstokkung Städtebauförderung - -
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Feilcke, der Redner ist frei, den Satz zu beenden oder ihn abzubrechen. Ich glaube, wir sollten darüber nicht diskutieren. Der Kollege Niese ist höflich und freundlich genug, sofort eine Zwischenfrage zuzulassen, und nun sollten wir uns dieser zuwenden.
Ich bedanke mich, Herr Kollege. - Sie haben jetzt einen mehrere Punkte umfassenden Katalog vorgelegt. Ich nehme an, daß Sie einen entsprechenden Überblick haben, um dem Hohen Hause mitteilen zu können, wieviel Mark und Pfennig Sie mit diesem Forderungskatalog anfordern.
Sie können das aus dem Antrag ersehen, den wir zum Einzelplan 25 vorgelegt haben. Dort ist auch eine solide Finanzierung vorgesehen.
Noch einmal zu dem Antrag der GRÜNEN: Ihre Forderungen zu den drei Themen Obdachlosigkeit, Wohngeld und Städtebauförderung unterstützen wir, weil das auch unsere Punkte in den Beratungen waren. Aber insbesondere fehlt mir eine solide Finanzierung bei der Erhöhung um 772 Millionen DM beim Wohngeld und knapp 100 Millionen DM bei der Städtebauförderung. Es gibt keine Vorschläge, woher Sie das Geld an anderer Stelle nehmen wollen.
Dr. Rolf Niese
Bei einem Punkt, bei den 115 Millionen DM für das Sofortprogramm Bekämpfung der Obdachlosigkeit, schlagen Sie eine Deckung durch Herausschneiden aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbauprogramm vor, dritter Förderungsweg zugegebenermaßen; aber diese Deckung lehnen wir als Fraktion ab.
Wohnungs- und Baupolitik hat gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten einen hohen sozialen Stellenwert. Für die meisten Menschen ist die Wohnung nicht eine Ware oder ein Wirtschaftsgut, sondern Mittelpunkt ihres Lebens und Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben.
In Deutschland fehlen über zwei Millionen Wohnungen. Dafür ist die Bundesregierung verantwortlich und muß diese Verantwortung auch tragen. Steigende Mieten, Zunahme von Obdachlosigkeit sowie die Tatsache, daß immer mehr Menschen auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind, sprechen eine deutliche Sprache. Die Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung ist völlig unglaubwürdig; denn zwischen den schönen Worten und den Taten liegen Welten.
Daher lehnen wir den Einzelplan 25 mit Entschiedenheit ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dieter Pützhofen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst einmal Dank sagen an Sie, Herr Minister, und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses für die Zusammenarbeit in den letzten Monaten. Der Dank gilt auch - obwohl soeben der gegenteilige Eindruck entstehen konnte - im Hinblick auf die Zusammenarbeit unter den Mitberichterstattern.
Da bin ich allerdings bei einem wichtigen Punkt dieser laufenden Plenardebatte. Wenn man als unvoreingenommener Beobachter die Argumentation der letzten Tage verfolgt hat, diese aufgeplusterten Vorwürfe, diese Schwarzweißmalerei, die hier stattgefunden hat, muß man meinen, Deutschland wäre ein einziges Jammertal, der Sozialstaat wäre am Ende und, bezogen auf den Einzelplan 25, überall in der Welt würde gebaut, nur nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich das anhört,
muß den Eindruck gewinnen: Da hat die Opposition bei den diesjährigen Beratungen im Haushaltsausschuß mal so richtig zugepackt, da seien die Förderinstrumente des Wohnungsbaus völlig verändert
worden, richtungsweisende Anträge zum System der Wohnungsentwicklung hätten auf dem Tisch gelegen, ganz neue Dimensionen im Städtebau, und für die neuen Länder seien strategische Konzepte zur Weiterentwicklung vorgelegt worden und so weiter und so weiter. Das müßte man vermuten bei dem Getöse, was wir soeben wieder gehört haben.
Aber mit der Haushaltsausschußwirklichkeit hat das überhaupt nichts zu tun. Das sah in Wirklichkeit völlig anders aus.
Das sah so aus: Hier ein bißchen mehr fordern, da ein bißchen drauflegen, da einen Ansatz erhöhen - hätten wir ihn erhöht, wäre er dann noch einmal zum Antrag gemacht worden -, hier ein bißchen streichen, dort ein bißchen die Verpflichtungsermächtigungen verbessern, und dann das alljährlich wiederkehrende Ritual, Mehrforderungen im ersten Förderweg.
Und als einem dann überhaupt nichts mehr einfiel, stellte man den Antrag auf Ansatzerhöhungen beim Wohngeld, wohl wissend, daß keine Mark mehr ausgegeben werden kann, wenn das Wohngeldgesetz nicht geändert wird, wohl wissend, daß kein Geld festgehalten und kein Wohngeld verwehrt werden kann, wenn der Anspruch da ist.
Lieber Kollege Metzger, das muß Sie doch eigentlich schmerzen. Der Antrag kam aus Ihrer Fraktion. Sie sind doch ein kluger Kopf; das will ich hier von dieser Stelle aus gern einmal bezeugen.
Aber mit solchen Anträgen können Sie doch nicht einmal den völlig Ahnungslosen beeindrucken. Das ist doch selbst für den noch nicht einmal eine soziale Großtat.
Meine Damen und Herren, selbst bei dem uns alle bewegenden Thema Obdachlosigkeit - soeben fiel ja das Stichwort - sah es in Wirklichkeit nicht anders aus. Ich möchte hier nicht die ordnungspolitische Frage stellen, ob der Bund mit Dotationen eingreifen soll oder nicht, ob er zuständig ist oder nicht. Darüber mag man streiten.
Ich bleibe im übrigen in dieser Frage bei meiner Meinung, daß die Kommunen, wenn sie wollen, heute bereits Instrumente in der Hand haben, um dieses Problem anzugehen - wohlgemerkt, wenn sie wollen.
Sie haben zugegebenermaßen nicht genug Instrumente, um die Entstehung von Obdachlosigkeit zu bekämpfen - im Mietrecht, im Sozialrecht, in der Arbeitsmarktpolitik.
Dieter Pützhofen
Nicht lösen können sie, daß mit öffentlichen Mitteln errichtete Wohnungen von Einzelpersonen und von wohlverdienenden Bürgern weiter bewohnt werden dürfen, sofern sie eine Fehlbelegerabgabe zahlen, deren Einziehung soviel kostet, wie sie dann anschließend bringt.
Meine Damen und Herren, die Wohnungswirtschaft hat höhere Einkommensgrenzen im ersten und zweiten Förderweg gefordert, und wir als Politik haben dem entsprochen. Tatsache ist wohl offensichtlich nun auch, daß durch die höheren Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau und die Vergrößerung der Zahl der Anspruchsberechtigten am unteren Ende der Skala der Hilfsbedürftigen Menschen in die Obdachlosigkeit geraten.
Die Forderung nach höheren Einkommensgrenzen muß deswegen nicht falsch sein, aber dann müssen im wohlverstandenen Sinne des Grundgesetzes alle Beteiligten auch bereit sein, in einer Durchmischung von Anspruchsberechtigten die Obdachlosigkeit zu beseitigen.
Herr Kollege Niese, ein Töpfchen bereitzustellen, wie Sie es gemacht haben, um dann die Betroffenen in das Glücksspiel zu schicken - wer eine Wohnung kriegt, hat Glück gehabt, und wer keine kriegt, hat dann eben Pech gehabt -, das kann es doch wohl nicht sein.
Ganz sicher können wir das Problem nicht in der Weise lösen, daß wir den Wohnungsbestand ausdehnen, koste es, was es wolle, damit bei weiter expandierenden Wohnungswünschen der privaten Wohnungsbesitzer eine Sättigung eintritt. Da ist mir der Weg über den ersten Förderweg immer noch lieber, da er die kommunale und die Landesebene mit in die Pflicht nimmt, meine Damen und Herren, und weil - der Kollege Kansy hat das zu Recht gesagt - das Ganze dann etwas mit Teilen zu tun hat, eine Tätigkeit, die es in unserem Volk mittlerweile sehr selten gibt.
Wissen Sie, bei 37 qm Wohnfläche pro Kopf in der Bundesrepublik Deutschland, einem Spitzenwert im internationalen Vergleich, teile ich die Auffassung derjenigen, die sagen: Die Obdachlosenfrage ist weniger eine Armuts- als eine Wohlstandsfrage.
Meine Damen und Herren, halten wir für diese Plenardebatte einmal fest: Der Ablauf der Beratungen im Haushaltsausschuß gibt, bei Lichte betrachtet, keinen Anlaß, ein solches Feldgeschrei zu veranstalten, wie es hier in den letzten zwei Tagen der Fall war.
Halten wir weiter fest, ohne in das Gegenteil zu verfallen:
Erstens. In einer historisch einmaligen Situation und unter erheblichen finanziellen Belastungen ist es gelungen, die Zahl der Fertigstellungen im Wohnungsbau von mehr als 200 000 Anfang der 90er
Jahre auf mehr als 500 000 im vergangenen Jahr zu erhöhen.
Zweitens. Das Genehmigungsvolumen im Neubau ist im Jahre 1994 auf 713 000 Wohnungen gestiegen und hat damit eine in der Nachkriegszeit bisher nur einmal erreichte Rekordhöhe erlangt.
Drittens. Der Bauetat mit einem Gesamtvolumen von 10 Milliarden DM zeigt klar, daß die positive Entwicklung der vergangenen Jahre keineswegs als Zeichen für eine Entwarnung verstanden werden darf.
Wer das ehrliche Bemühen um den sozialen Wohnungsbau, das Wohngeld und die Städtebauförderung mit dem notwendigen Schwerpunkt in den neuen Ländern dennoch mißverstehen will, der sollte zumindest so fair sein, die Realitäten der sozialdemokratischen Praxis mit in die Überlegungen einzubeziehen. Diese dokumentieren sich da, wo Bundesländer eigene Verantwortung tragen. Beispielhaft nenne ich das Land Niedersachsen.
Gleiches gilt für das Problem der notwendigen Überleitung der Mieten in den neuen Ländern in das Vergleichsmietensystem. Hinter verschlossenen Türen wissen alle, daß dieser Schritt unverzichtbar ist.
Jeder weiß, daß ohne diesen Schritt ein Stillstand bei Instandsetzungen und Modernisierungen stattfände.
Meine Damen und Herren, ich habe hier eine Anzeige der PDS aus der sozialistischen Tageszeitung „Neues Deutschland" vom gestrigen Tag vor mir liegen - man liest ja alles mögliche, aber auch alles unmögliche -,
in der die PDS zu einer Demonstration gegen das Mietenüberleitungsgesetz einlädt. Als Festredner wurden Gerhard Jahn, Ingrid Stahmer, Christiane Bretz und andere angekündigt.
Meine Damen und Herren, während ich den Sozialdemokraten noch ein gewisses Recht auf Demonstrationen in bezug auf den Wohnungsbau entgegenbringe,
fehlt mir dieses Verständnis bei der PDS völlig.
Mit dem, der meint, mit dem sozialistischen Instrument einer dauerhaften steuerfreien Mietrente auf Kosten anderer Bürger den Wohnungsbestand zu
Dieter Pützhofen
verbessern und zu heben, gehe ich einmal durch die Plattenbausiedlungen.
Diesen Murks nennt der Volksmund „Menschenintensivhaltung" und „Arbeiterschließfächer". Das ist das Ergebnis einer glorreichen 40jährigen sozialistischen Wohnungsbaupolitik.
Beim Übergang der Mieten in das Vergleichsmietensystem werden die Mieter in den neuen Bundesländern nicht über Gebühr belastet. Gerade das mit den Entscheidungen zu diesem Haushalt noch einmal verbesserte Wohngeldsondergesetz stellt sicher, daß es hier nicht zu Härtefällen kommt.
Herr Minister, der Haushaltsausschuß hat sich in der vergangenen Woche kurzfristig noch einmal mit dem Thema der Privatisierung in den neuen Ländern beschäftigt und, bis auf die PDS, der Eigentum offensichtlich ein Greuel ist,
auf Ihren Wunsch hin für den Privatisierungsprozeß einvernehmlich erneute 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Ich möchte diese viel zu kurze Diskussion noch einmal aufgreifen und den Wunsch an Sie, Herr Minister, richten, schon für den kommenden Haushalt eine stärkere Akzentuierung des selbstgenutzten Wohnungseigentums und eine Ermutigung dazu vorzunehmen.
Als Haushaltspolitiker sage ich: Ohne eine stärkere Hilfe zur Selbsthilfe, als es im Augenblick der Fall ist, wird die staatliche Belastung immer weiter zunehmen. Förderwege und der Trend zu hundertprozentigen Finanzierungen bei riesigen Abschreibungssätzen fördern im Wohnungsbau eine hohe staatliche Verschuldung. Umgekehrt führt Wohnungseigentumspolitik nicht nur zu geringeren Steuerausfällen; obendrein fällt der Bürger nicht dem Staat anheim.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat offensichtlich die Erfolge der letzten Jahre nicht als Entwarnung oder als Ruhekissen verstanden.
Herr Kollege, würden Sie jetzt bitte zum Schluß kommen!
Wohnungs- und Städtebau - der Satz dauert nur noch Sekunden -werden in den kommenden Jahren weiterhin Priorität haben; aber da helfen keine Parolen. Bei gleichzeitigem Zwang zu sparsamster Ausgabenpolitik geht es darum, knappe Mittel entsprechend den wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten einzusetzen. Und das, Herr Präsident, dokumentiert der Haushalt 1995.
Das Wort hat die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß sagen, man konnte schon wieder fast das Gähnen bekommen. Immer wieder dieselben Thesen von derselben falschen Wohnungspolitik!
- Ja, das glaube ich auch. Ich habe das schon so oft gehört und gelesen.
Ich habe schon, weil wir einen so charmanten Bauminister haben, der selbst große Scheußlichkeiten wie das Mietrecht Ost so verbindlich verkaufen kann, daß man es fast glauben möchte, systematisch gesucht, ob ich nicht etwas finde, womit ich dem Einzelplan 25 etwas Positives abgewinnen kann.
Ich muß ehrlich gestehen - und nach dieser Rede finde ich mich bestätigt -, daß unsere Fraktion dabei bleiben muß: Wir sind der Auffassung, daß die Bau- und Wohnungspolitik sowohl in ihren Grundzügen als auch in diesem Etat in allen seinen Einzelpositionen wirklich falsch gewickelt ist. Letztlich ist das ja auch der Etat, den noch Frau Schwaetzer eingebracht hat, der praktisch den kalten Kaffee aus der letzten Legislaturperiode wieder aufzuwärmen versucht.
Zum ersten möchte ich - darüber ist mir heute ein bißchen zuwenig gesprochen worden, obwohl Herr Niese davon geredet hat - auf den eigentlichen Bauminister zu sprechen kommen. Das ist schließlich Herr Waigel. Wenn man sich den Subventionsbericht anguckt, sind da allein 11 Milliarden DM an Förderungen nach dem Einkommensteuergesetz für die Bauförderung versteckt. Die Zahlen, die für das Fördergebietsgesetz und da wieder für die Immobilienwirtschaft drinstehen, kann man sowieso nicht glauben. Die müßte man mit mindestens 500 Millionen DM ansetzen. Aber wir alle wissen, daß das eigentlich viel, viel mehr ist.
Der Bund der Steuerzahler ist ja davon ausgegangen, daß diese Zahlen mindestens doppelt so hoch anzusetzen sind. Sie sind also deutlich nach unten geschönt. Man kann wirklich nur sagen: Der eigentliche Bauetat ist im Finanzetat bzw. in dem versteckt, was die Steuerzahler für die Steuersparer mitbezahlen müssen. Deswegen gilt ja die berühmte These, daß man, wenn man eigentlich in der Steuerklasse mit 53 % ist, höchstens 30 % Steuern zahlt. Die darunter zahlen mehr.
Franziska Eichstädt-Bohlig
Das ist ein ganz schlechtes Zeichen für Wohnungspolitik. Das ist Wohnungspolitik als Abfallprodukt von Vermögenspolitik; ich habe es schon einmal gesagt. Wenn das nicht geändert wird, können wir uns über die paar Zahlen im Einzelplan 25 hin- und her-streiten. Wir werden nicht allzuviel herausholen können. Denn wir müssen erst einmal den Schritt von der indirekten Förderung zur direkten schaffen.
Der nächste Punkt - jetzt komme ich in den Etat: erster, zweiter und dritter Förderweg. Da haben wir insgesamt 2,7 Milliarden DM für die Wohnungsbauförderung. Jetzt eben wurde wieder voller Stolz von 600 000 fertiggestellten Wohnungen gesprochen.
Ich habe einmal, auch wenn ich weiß, daß die Fördersystematik etwas komplizierter ist, 65 000 DM Wohnungsbauförderung pro Wohnung angesetzt. Das wäre so ein mittlerer zweiter Förderweg - nachher gibt es noch Annuitäts- und Aufwandsförderung -, und damit können wir 40 000, vielleicht 50 000 Wohnungen subventionieren. Mehr ist es nicht.
Da frage ich mich, wieso Sie ständig 500 000 oder 600 000 Neubauwohnungen propagieren, wenn von diesen Wohnungen nur ganz wenige - Sie wissen es, so war es 1994 -, nur relativ wenige bei den wirklich bedürftigen Gruppen ankommen, weil es allenfalls zweiter und dritter Förderweg ist, ansonsten steuerbegünstigte Finanzierung.
Das nützt den eigentlich Betroffenen verdammt wenig. Das sollten Sie endlich einmal einsehen.
Mir fehlt ganz deutlich der eigentliche soziale Wohnungsbau, von dem wirklich nur noch ein paar Rudimente zu sehen sind. Insofern holen uns die Fehler der Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte praktisch ein, weil die Sozialbindungen auslaufen, weil das Tafelsilber verschenkt wird, weil privatisiert wird, weil die Gemeinnützigkeit verschenkt worden ist. All das holt uns jetzt ein, weil wir keinen Haushalt mehr haben, aus dem wir reichlich subventionieren können. Aber die früheren Steuereinnahmen sind letztlich verschenkt worden.
Das nenne ich nach wie vor falsche Wohnungspolitik, auch wenn Sie es nicht glauben wollen und meinen, Sie könnten das einfach wegbeten.
Auf zwei Punkte hat Herr Niese schon hingewiesen: Es ist wirklich makaber, dem mit 674 Millionen DM für alle drei Förderschienen sowieso dürftigen Förderetat Ost noch 43 Millionen DM für das Wohngeld Ost wegzunehmen und sich dann in der Öffentlichkeit ständig hinzustellen und zu sagen, wie toll man die Wohnungspolitik im Osten fördern will. Das halte ich wirklich für eine unverschämte Scheinheiligkeit.
Wir können im Einzelplan 25 nur sehr geringe Etaterhöhungen beantragen. So haben wir unseren Antrag auch formuliert; ich habe das Gefühl, das haben Sie teilweise falsch verstanden. Wir haben sehr viel bescheidenere Etaterhöhungen gefordert, da unsere eigene Forderung lautet: Erst an die indirekte Gießkannenförderung heran, dann können wir umwidmen zugunsten einer sozial und ökologisch ausgerichteten gezielten Förderung.
Als nächstes muß ich noch zur Obdachlosigkeit etwas sagen, weil ich mich da sehr engagiert habe: Wir hatten den ersten Antrag zu einem Sofortprogramm eingebracht, zugegebenermaßen mit einem dicken Etat von 300 Millionen DM. 150 Millionen DM wollten wir dafür aus dem dritten Förderweg umwidmen.
Aber ich muß schon sagen: Das, was nach den Versuchen, hier auch fraktionsübergreifend zu einem Konsens zu gelangen, hier herausgekommen ist, nämlich der kleine, mickrige Haushaltsvermerk beim sozialen Wohnungsbau, halte ich wirklich für beschämend und für ein Zeichen dafür, daß dieses Haus seine Verantwortung gegenüber den Wohnungs- und Obdachlosen nicht wahrnehmen will. Da ist mir die formale Zuständigkeit, Herr Kansy, relativ egal.
Zur Städtebauförderung, denke ich, hat Herr Niese das Wichtigste gesagt. Auch bei der Privatisierung Ost schließe ich mich, weil ich nur wenige Minuten zur Verfügung habe, einfach seinen Ausführungen an.
Aber gestatten Sie mir noch ein Wort zum Wohngeld, solange ich noch das Rederecht habe: Wir, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, halten das Aufbauen der Wohnungspolitik auf Wohngeld wohnungspolitisch für falsch, weil das die Bürger in immer größere Abhängigkeit vom Wohngeld treibt und weil das die Gefahr in sich birgt, daß heute beschlossen wird, daß das Wohngeld sinkt, und morgen, daß es vielleicht wieder steigt. Das gibt den Bürgern keine Sicherheit.
Aber wenn Sie schon eine Wohnungspolitik auf Wohngeld aufbauen, dann fordern wir Sie auf: Lassen Sie das Wohngeld nicht so verkommen, wie Sie es in den letzten Jahren gemacht haben. Streichen Sie dann bitte nicht auch noch am Wohngeld so massiv, wie Sie das in diesem Etat, dem Einzelplan 25, getan haben.
Deswegen ist eine unserer zentralen Forderungen: Der Wohngeldetat muß mindestens in der Höhe sein, wie er im letzten Jahr war. Alles andere ist Augenwischerei. Denn woher nehmen Sie die Einkommensteigerungen, die das kompensieren sollten?
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ja. - Damit möchte ich auch schließen.
Franziska Eichstädt-Bohlig
Ich hätte gerne noch etwas zum Umzug nach Berlin gesagt, weil es auch da ein paar Positionen gibt, wo meiner Meinung nach ganz gut zugelangt wird.
Aber das kann ich hier leider nicht mehr vortragen. Ich denke, wir belassen es bei der Wohnungspolitik.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsentwurf des Bauministers setzt durchaus richtige Schwerpunkte, um die erfolgreiche Wohnungspolitik von Irmgard Schwaetzer fortzusetzen. - Das als Antwort an Sie, lieber Herr Kollege Dr. Niese. Da gibt es auch nichts auseinanderzudividieren. Einigen Sie sich vielleicht auch einmal mit den GRÜNEN über die Beurteilung. Es gibt dort ja eine völlig andere Beurteilung, wenn von der Kollegin von den GRÜNEN gesagt wird, Frau Schwaetzer habe noch die Akzente in diesem Haushalt gesetzt, während Sie das ganz anders sehen. Daher haben wir als Berichterstatter im wohnungspolitischen Teil des Etatentwurfs ja auch kaum Änderungen vorgenommen.
Der Schwerpunkt des Etats bildet nach wie vor der soziale Wohnungsbau mit einem Ausgabenansatz von mehr als 2,8 Milliarden DM. Damit können wir 130 000 Wohnungen fördern, genausoviel wie 1994.
Allerdings geht das nur, wenn auch die Länder mitziehen. Wir Freien Demokraten sehen mit Sorge, daß einige Länder ihre Wohnungsbaufördermittel drastisch zurückfahren. Das betrifft z. B. Niedersachsen, das betrifft aber auch Nordrhein-Westfalen.
In Niedersachsen existiert seit der Landtagswahl nur noch ein Rumpfprogramm des Landes. In Nordrhein-Westfalen hat die Wohnungsbauministerin ihren Tribut an die desolate Finanzsituation der Regierung Rau leisten müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Land Hessen hat den sozialen Wohnungsbau um 40 % gekürzt. Das ist ja nicht uninteressant; ich fand es erstaunlich, daß der Kollege Niese auf diese Dinge überhaupt nicht eingegangen ist. Das gehört natürlich auch zu einer solchen Debatte.
Herr Koppelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?
Nein, ich habe leider so wenig Zeit; ich bitte um Entschuldigung. Sonst mache ich das gern, aber nicht zu so später Stunde.
Für den Wohnungsbau - so meinen wir als Freie Demokraten - ist das ein Alarmsignal. Die F.D.P. appelliert daher an die Bundesländer, in ihren Anstrengungen für den Wohnungsbau nicht nachzulassen. Die Länder müssen ihre Aufgaben erfüllen; der Bund macht es auch. Das jedenfalls weist der Haushaltsentwurf 1995 aus.
Die F.D.P. begrüßt, daß bei der Städtebauförderung klare Schwerpunkte auf die neuen Bundesländer gelegt werden. In den ostdeutschen Bundesländern hat die Städtebauförderung bisher schon sichtbare Zeichen der Erneuerung gesetzt. Das muß weiter vorangebracht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die allgemeine Einkommensentwicklung vor allem in den neuen Bundesländern sorgt in der Folge für niedrigere Ausgaben beim Wohngeld und bei der Wohnungsbauprämie. Allerdings sind auch die allgemeinen Lebenshaltungskosten und die Mieten gestiegen, so daß eine leistungsverbessernde Novellierung beider Instrumente ansteht.
Wohnungsbaupolitik wird jedoch nicht allein mit dem Etat des Bundesbauministers gemacht. Das Mietrecht und das Steuerrecht tragen wesentlich zur Herstellung stabiler Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau bei.
Das ist bei der aktuellen Diskussion um das Mietenüberleitungsgesetz zu erkennen, das jedenfalls nach unserer Auffassung die Wohnungswirtschaft nicht über Gebühr belasten darf.
Weiterhin steht uns eine Reform der steuerlichen Wohnungseigentumsförderung bevor. Hier brauchen wir einen breiten Konsens, damit es eine dauerhafte Reform wird. Die F.D.P. warnt davor, den § 10e des Einkommensteuergesetzes zu überfrachten und alle vermeintlichen und tatsächlichen Ungerechtigkeiten mit diesem einen steuerlichen Förderinstrument lösen zu wollen. Auf jeden Fall wünschen wir Freien Demokraten bei der Reform des § 10 e keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Wohneigentumsbildung.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Prozeß der Privatisierung der kommunalen Wohnungen in den neuen Bundesländern durch den Verkauf an die Mieter muß nach Auffassung der F.D.P. zügig fortgesetzt werden.
Jürgen Koppelin
Hier werden wir darauf achten, daß die Kommunen ihren Wohnungsbestand, den sie mit einer erheblichen Entlastung bei den Altschulden zugewiesen bekommen haben, zu günstigen Preisen an die Mieter weitergeben und nicht den Versuch unternehmen, sich durch Wohnungsveräußerungen sozusagen ungerechtfertigt zu bereichern.
- So ist es doch.
Ein Wort direkt an den Wohnungsbauminister: Die Gestaltung des Übergangs ins Vergleichsmietensystem in den neuen Bundesländern muß nach Auffassung der F.D.P. so gestaltet werden, daß die Investitionsbereitschaft der privaten und der kommunalen Investoren nicht gebremst wird.
Andererseits muß die Belastung der Mieter unter Berücksichtigung des Sonderwohngeldes in einem der Einkommensentwicklung entsprechenden Rahmen gehalten werden. Hier führen wir zur Zeit ja noch eine Diskussion über die Details. Es ist kein Geheimnis, daß die F.D.P. - der Wohnungsbauminister weiß das - Kappungsgrenzenregelungen jeglicher Art skeptisch gegenübersteht.
- Am liebsten ablehnend.
Die Bau- und Wohnungswirtschaft ist ein ganz entscheidender Faktor für den Aufschwung Ost. Jeder preisbegrenzende staatliche Eingriff schmälert Investitionen am Bau. Daher hätten wir Freien Demokraten dem Bundeswohnungsbauminister bei den Gesprächen mit seinen ostdeutschen Kollegen mehr Mut und vor allem mehr marktwirtschaftliches Rückgrat gewünscht.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, 1995 werden wichtige Entscheidungen bei der Wohnungsbauförderung zu treffen sein.
- Wenn der Kollege Fischer nicht da ist, krakeelen Sie anscheinend. - Wir wollen, daß die Bausparförder ung nachhaltig verbessert wird. Nicht das Schuldenmachen, sondern das Ansparen muß prämiert werden.
Weniger Staat, effizienterer Einsatz der knappen Mittel und verläßliche Rahmenbedingungen für die am Marktgeschehen Beteiligten sind Voraussetzung für eine Fortsetzung der Fertigstellungszahlen auf hohem Niveau. Die F.D.P. wird auch weiterhin dazu ihren Beitrag leisten. - Vielen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider habe ich zuwenig Zeit,
um auf einige Argumente hier antworten zu können. Ich möchte aber zu dem Thema „Murkswohnungen" Stellung nehmen. Merken Sie denn nicht, daß hier ein Widerspruch besteht? Auf der einen Seite hat man für eine große Anzahl solcher „Murkswohnungen" alle Beschaffenheitszuschläge erhoben. Andererseits müssen die Mieter in den von Ihnen so genannten Murkswohnungen jetzt nach dem Motto verfahren: Wohnen wie im Osten, aber Miete zahlen wie im Westen.
Daß der Einzelplan des Bauministeriums ein einziger Skandal ist, haben meine Vorrednerinnen und Vorredner von der Opposition schon deutlich gemacht. Mit diesem Haushaltsplan und seinen Prioritätensetzungen wird nichts getan, um spürbar etwas gegen den zunehmenden Mangel an bezahlbaren Wohnungen und gegen das Anwachsen der Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen zu tun.
Im Etatansatz 1995 wurden die sowieso unzureichenden Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und die Gewährung von Wohngeld in Ost und West noch weiter zusammengestrichen. Es ist doch ein Unding, den Wohngeldansatz im Vergleich zum Vorjahr um 770 Millionen DM zu verringern und dann an Sonderwohngeld Ost eine mildtätige Gabe in Höhe von 63 Millionen DM angeblich zusätzlich zu gewähren. Dies ist mehr als durchsichtig und auch unehrlich.
Mit welcher Kälte die Koalitionsfraktionen Sozialabbau zugunsten der Kapitalinteressen durchsetzen wollen, wird an den christlich-liberalen Vorschlägen sichtbar. Dazu gehören - ich habe es vorhin schon genannt - der ungenügende Ausgleich im Wohngeld für die zu erwartenden drastischen Mieterhöhungen in Ostdeutschland, nachdem vorher wesentlich höhere Kürzungen in diesem Etatsansatz vorgenommen wurden, die Orientierung auf ein dürftiges Sofortprogramm zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit - bisher weiß noch keiner, wie man das Geld dafür beschaffen soll - und ein 50-Millionen-DM-Programm, um die Zwangsprivatisierungen von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen in Ostdeutschland schmackhafter zu machen. Dies alles wollen Sie finanzieren, indem Sie die Mittel für den sozialen Wohnungsbau weiter kürzen. Diesen Haushalt und diese Umverteilungen dann noch als Wohltat zu verkaufen ist in meinen Augen Betrug. Der Zynismus, mit dem Wohngeldberechtigte, Wohnungssuchende und Obdachlose gegeneinander ausgespielt werden, ist hier bezeichnend.
Die Bundestagsgruppe der PDS hat zu diesem Einzelplan sechs Änderungsanträge eingebracht, die ich angesichts meiner geringen Redezeit nur in Stichpunkten noch einmal nennen möchte.
Klaus- Jürgen Warnick
Zum ersten wird in den Änderungsanträgen auf den Drucksachen 13/959 und 13/960 die deutliche Anhebung der Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Ost und West vorgeschlagen. Mit der Verdoppelung des Ansatzes für 1995 auf rund 5,4 Milliarden DM und mit jährlichen Steigerungsraten von 20 % von 1996 bis 1998 können wirksame Maßnahmen zur Schaffung und zum Erhalt von bezahlbaren Wohnungen mit Belegungsbindungen ergriffen werden.
Dies ist notwendig, um dem drastischen Rückgang des Sozialwohnungsbestands in den westdeutschen Ländern und dem Fehlen eines Sozialwohnungsbestands in Ostdeutschland überhaupt zu begegnen. Die zusätzlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau können durch radikalen Abbau ungerechtfertigter Eigentumsförderung kompensiert werden.
Als zweites wird mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/956 die Verlängerung der Zinshilfe für die sogenannten Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft bis zum 31. Dezember 1995 vorgeschlagen. Damit wären die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in der Lage, ihre finanziellen, materiellen und personellen Kräfte auf die zügige Sanierung und Modernisierung des vorhandenen Bestands zu konzentrieren, statt ab 1. Juli 1995 den Banken von den Mieteinnahmen durchschnittlich eine weitere Mark pro Quadratmeter abzutreten. Außerdem wäre Zeit gewonnen, um aus dem von allen Seiten kritisierten und völlig unausgereiften Mietenüberleitungsgesetz ein sowohl für die Mieter als auch für die Wohnungswirtschaft und die Kommunen tragfähiges Konzept für die künftige Mietenpolitik in Ostdeutschland zu entwickeln.
Zum dritten wird mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/957 vorgeschlagen, die Vergütungen für die KfW für die Umsetzung des AltschuldenhilfeGesetzes von 20 Millionen DM auf 10 Millionen DM zu reduzieren. Das wird möglich, wenn sich der Aufwand der Bank infolge der von den Demokratischen Sozialisten geforderten ersatzlosen Streichung des § 5 des Altschuldenhilfe-Gesetzes, also der Zwangsprivatisierung, erheblich reduziert.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich komme zum Schluß. Die Anträge der PDS wie auch die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und von der SPD weisen aus sozial- und wohnungspolitischer Sicht in die richtige Richtung. Den Vorschlägen der Koalition können und werden wir nicht zustimmen.
Schönen Dank.
Als nächster spricht der Abgeordnete Gert Willner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Forderungen der Opposition waren nicht neu; neu war auch nicht, daß
Deckungsvorschläge fehlten. Neu ist aber, daß behauptet wird, es gebe welche. Herr Dr. Niese, Ihr Antrag auf Drucksache 13/970 hat keine. Das geht in der Tat so nicht.
Es wird gefordert, daß der Bund mehr Geld bereitstellen müßte. Dabei wird in bezug auf den Wohnungsbau häufig übersehen, daß die Förderung und die Umsetzung des sozialen Wohnungsbaus Aufgabe der Länder ist.
Es gibt nachahmenswerte Länder, die erhebliche Anstrengungen für den sozialen Wohnungsbau unternehmen und dabei einen Schwerpunkt in der Eigentumsförderung setzen. Es gibt Länder, die ihre Wohnungsbaumittel reduzieren. In einigen Bundesländern ist die Reduzierung erschreckend, z. B. in Hessen mit minus 38 %
und in Niedersachsen mit minus 54 %. Das kommt mir so vor wie ein SPD-Wettbewerb um die rote Laterne im Wohnungsbau.
Wir alle wissen, daß sich der Bund auf Finanzierungshilfen beschränken kann, daß aber Bund, Länder und Gemeinden auch den gesetzlichen - nicht den verfassungsrechtlichen - Auftrag haben, Wohnungsbau für die breiten Schichten des Volkes als vordringliche Aufgabe zu fördern.
Deshalb muß es gemeinsames Ziel sein, den Wohnungsbau zu verstetigen und Investitionen zu ermöglichen. Wenn jedoch heute Investoren statt wie bisher 550 000 Wohnungen jährlich 650 000 oder gar 700 000 Wohnungen bauen wollten, wäre das gar nicht möglich, weil es an Bauland fehlte. Deshalb kann eine Verstetigung des Wohnungsbaus nur erfolgreich sein, wenn Städte und Gemeinden Initiativen ergreifen, um mehr Bauland auszuweisen.
Baulandmangel ist bekanntlich ein großer Klemmschuh für den Wohnungsbau. Das kann und muß besser werden. So muß das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz - eine abschrekkende Gesetzesbezeichnung für eine sinnvolle Sache - umfassend genutzt werden. Ich denke an die städtebaulichen Verträge, an den Vorhaben- und Erschließungsplan, der in den alten Bundesländern noch viel zu wenig genutzt wird.
Gemeinden verweisen immer häufiger darauf, daß es schwierig ist, die notwendigen Ausgleichsflächen bereitzustellen. Dabei wäre das Problem zur Zeit noch zielorientiert zu lösen. Das soeben genannte Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz ermöglicht bekanntlich befristet abweichende Ländergesetze. Die Länder nutzen jedoch bedauerlicherweise den § 8 b zugunsten des Wohnungsbaus nicht aus.
Es kann nicht sein, daß über Wohnraummangel lamentiert und geklagt wird, aber Länder sich weigern, die Chance befristeter Erleichterungen für den
Gert Willner
Wohnungsbau zu nutzen. Ich halte es für geboten, diese wohnungsbaufeindliche Haltung von Ländern zu ändern und sich an dem Vorbild Bayerns zu orientieren.
Ein anderes wichtiges Thema ist die Städtebauförderung. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hält es mit den Stimmen der Koalition nach wie vor für geboten, daß bei der Städtebauförderung der Schwerpunkt im Beitrittsgebiet liegt. Andererseits dürfen auch die in den westlichen Ländern drängenden Aufgaben wie Altlastensanierung und Wohnraumbeschaffung nicht vernachlässigt werden, so daß auf Sicht im gesamten Bundesgebiet ein ausgewogenes Verhältnis der Mittelbereitstellung geboten erscheint.
Familien mit Kindern und Alleinerziehende haben es bei der Wohnungssuche besonders schwer. Daher wollen wir, daß 1995 die Bundes- und Landesmittel mit Schwerpunkt für Familien mit Kindern eingesetzt werden und staatliche und kommunale Liegenschaften dazu verbilligt bereitgestellt werden.
Wir stimmen mit dem Bundesbauminister überein, daß künftig Eigentumsbausparförderung verstärkt und vorrangig dem Erwerb vom Wohnungseigentum durch Familien mit Kindern zugute kommen muß.
Der Bund hat von 1991 bis 1994 im Durchschnitt jede Woche rund 1,3 Millionen DM, insgesamt 280 Millionen DM, zur Förderung der Wohnungsprivatisierung in den neuen Ländern zur Verfügung gestellt. Für über 100 000 Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern wurde damit trotz geringer Eigenkapitalausstattung Wohnen in Eigentum möglich.
Das Programm war ein voller Erfolg. Wir wollen es 1995 fortsetzen, um weitere 10 000 private Wohnungsankäufe durch Mieter und damit Eigeninitiative zu fördern. Das ist Politik der CDU/CSU.
Es ist notwendig, Schwerpunkte deutlich zu machen:
Erstens. Wir stellen mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau bereit, als die mittelfristige Finanzplanung vorsieht.
Zweitens. Wir setzen Schwerpunkte bei der Förderung von Familien mit Kindern.
Drittens. Wir treffen klare Aussagen zur Baulanderschließung.
Viertens. Wir tragen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit bei, ohne die Kommunen zusätzlich zu belasten.
Fünftens. Wir geben Signale in der künftigen Ausrichtung der Städtebauförderung.
Sechstens. Wir erleichtern die Privatisierung von Wohnungen in den neuen Bundesländern.
Siebtens. Wir stellen zusätzliche Mittel für eine sachliche Mieterinformation im Zusammenhang mit der Einführung der Vergleichsmiete in den neuen Ländern zur Verfügung. Ich fordere auf, mit der Verunsicherung der Mieter aufzuhören.
Es sind Entscheidungen getroffen, wohnungsbaupolitische Akzente gesetzt. Jetzt müssen Länder und Gemeinden ihren Beitrag zur Umsetzung leisten.
Meine Schlußbemerkung:
Mehr fordern, als der Bund bezahlen kann,
ist oppositionsüblich, das weiß hier Frau und Mann.
Doch wollen wir, daß noch mehr Raum geschaffen wird zum Leben,
hiernach müssen auch Bund, Länder und Gemeinden streben.
Allerdings sind Bund, Land und Gemeinde der Ebenen wohl drei,
dem Bürger ist es einerlei.
Er möchte Wohnung, Haus besitzen,
ist bereit, mit eignem Geld dafür zu schwitzen. Hilfe zur Selbsthilfe wir gern als CDU und CSU unterstützen.
Unser Ziel ist, auch künftig Wohnung anzubieten,
in Eigentum und auch zu mieten.
Drum, liebe Kollegen von GRÜN und auch der SPD:
Laßt's Jammern über Waigel, das Klagen, Ach und Weh.
Sagt ja zu Nr. 25 vom Bundeshaushaltsplan, auch bei knappen Kassen kommen wir voran!
Ein Lob für den „neuen Mann vom Bau" hab' ich parat,
Minister Töpfer, Sie hatten einen guten Start.
Herr Willner, nach der norddeutschen Jungfernrede, die soviel Wachheit und Applaus nach sich zieht,
haben wir nicht den Eindruck, daß Sie ein Newcomer sind.
Jetzt hat als letzter in dieser Runde der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Klaus Töpfer, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte dem Kollegen Willner sehr herzlich gratulieren. Ich hatte jetzt wohl die achte Haushaltsdiskussion mitzumachen; aber mit Versen bin ich noch nie eingeführt worden.
Herzlichen Dank! Ich bin ganz sicher, daß über die Verse hinaus die gute Zusammenarbeit bestehen bleibt.
Meine Damen und Herren, ich kann das jetzt nicht aus dem Stegreif aufnehmen und weiter reimen. Aber eines will ich gerne tun, nämlich mich zunächst einmal bei den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß sehr herzlich dafür bedanken, daß sie in den letzten Wochen und Monaten und bis in die letzten Tage hinein diesen Einzelplan sehr konstruktiv begleitet haben. Wir mußten ja sehr viel Flexibilität erbitten, was für die Sache sehr gut war. Ich komme darauf zurück.
Herr Kollege Niese, ich habe auch die Berichterstattergespräche in bester Erinnerung. Um so mehr hat es mich im Herzen getroffen, daß Sie diesen Einzelplan nicht nur ablehnen, sondern ihn sogar mit Entschiedenheit ablehnen.
Vielleicht nehmen Sie wenigstens die Entschiedenheit zurück. Dann könnte ich die Diskussion heute abend in aller Ruhe weiterverfolgen. Denn das trifft mich wirklich ganz besonders hart. - Dies, meine Damen und Herren, zu der positiven Seite, die ich nicht übersehen möchte.
Eines ist allerdings nur ganz schwer zu ertragen. Das muß ich dazusagen. Schwer zu ertragen ist es für mich, von einem Vertreter der PDS des Betruges gescholten zu werden. Die Partei, die mit verantwortlich dafür ist, daß so viele Menschen um ihre persönliche Freiheit und um ihre persönliche Entfaltung betrogen worden sind, sollte das Wort Betrug nie mehr in den Mund nehmen, nie mehr! Merken Sie sich das!
Von vielen höre ich mir das an, aber von Ihnen nicht! Deswegen wollte ich Ihnen gesagt haben: Seien Sie in Ihrer Wortwahl vorsichtiger und zurückhaltender.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich gibt es in einer solchen Haushaltsdebatte immer vorgefertigte Schablonen. An vielen Stellen wagt man ja gar nicht, darüber nachzudenken, daß man noch vor wenigen Tagen mit Bauministern zusammengesessen hat, die der SPD angehören, und daß
man mit ihnen bis spät in die Nacht hinein in guter, konstruktiver Art und Weise versucht hat, gemeinsame Wege zu finden, daß aber dann, wenn man wieder hierher zurückkommt, von vornherein erst einmal alles, was man macht, schlecht ist - außer der Presseerklärung; die ist jedenfalls positiv erwähnt worden.
Es wäre hervorragend, wenn wir bei der Diskussion dieses Einzelplans des Bundesministeriums für Raumordnung, für Bauwesen und für Städtebau auch wieder einmal mehr darüber diskutieren würden, was wir denn tun, um die kulturelle Identität dieses Landes mit zu bewahren.
Wir reden viel, viel darüber, daß wir 50 Millionen DM aus dem Titel für den sozialen Wohnungsbau herausgenommen haben. Aber welche Bauten wir damit bekommen, wie wir diese Mittel verwenden, um unsere Städte und Gebäude auch für die Zukunft mit etwas Profil zu versehen, darüber reden wir interessanterweise überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, wir klagen darüber, daß es „nur" 620 Millionen DM sind, die für den Städtebau in den neuen Bundesländern eingesetzt worden sind, davon 200 Millionen DM für den städtebaulichen Denkmalschutz. Wie großartig ist es doch, daß dank dieser Möglichkeiten z. B. Quedlinburg in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde, eine Stadt mit einer großartigen Bausubstanz, die zu erhalten eine wunderbare Sache ist.
Daß die 20 Millionen DM, die bisher aus dem Titel nach Quedlinburg geflossen sind, immer noch zu wenig sind, liegt daran, daß in den letzten 40 Jahren überhaupt nichts gemacht worden ist. Dies wird dann hier noch mit einer derartigen Rede der PDS begleitet. Ich fordere uns auf: Lassen Sie uns einmal wieder in diesem Hohen Haus auch über Architektur und Kultur in diesem Bereich jenseits der Frage der Finanzen diskutieren.
- Ich wußte doch, Herr Kollege Großmann, daß an dieser Stelle der Zwischenruf kommt, ich würde das nur sagen, um über die mageren Zahlen hinwegzutäuschen. Dies ist es nicht. Ich komme auch darauf zurück.
Wir haben bei so vielen Gelegenheiten immer wieder auf die Zahlen verwiesen. Lassen Sie uns doch einmal zu später Abendstunde in diesem Hohen Hause auch etwas hinter die Zahlen blicken und fragen, was damit bewirkt wird.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Ich habe mir erlaubt, dies zumindest innerhalb der ersten drei Minuten anzusprechen. Dafür wird ja wohl Zeit gewesen sein.
Etwas Ähnliches gilt für die Raumordnung. Wenn wir über Ökologie sprechen, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, muß ich sagen: Was wir in der Raumordnung falsch machen, ist hinterher das Falsche in der Ökologie. Das weiß jeder, aber wir reden ausschließlich über den Bau. Warum können wir nicht einmal diesen Querverweis mit aufgreifen?
Nun komme ich zu den Zahlen selbst. Wo liegt der Schwerpunkt? Es ist doch ganz unstrittig, daß die sozialste Wohnung, die wir bauen können, die selbstgenutzte Eigentumswohnung ist.
Das ist mit Abstand die sozialste Wohnung.
Wenn wir in bezug auf das selbstgenutzte Wohneigentum so weit wie unsere Nachbarn wären - ich gehe einmal nur 10 Prozentpunkte weiter -, dann hätten wir mehr gemacht, als wir durch eine noch so gute Aufstockung beim sozialen Wohnungsbau für die Entlastung gerade dieser Personen machen können.
Dies ist meine Meinung.
Ich nehme konstruktiv das auf, was Frau Eichstädt-Bohlig gesagt hat. Wie könnte ich das nach ihrer einleitenden Bemerkung auch übersehen haben? Der eine kommt mit Gedichten, die andere mit Charme. Mehr kann man an einem Abend gar nicht verlangen.
Meine Damen und Herren, ich bin ja mit Ihnen der Überzeugung, der entscheidende Punkt in diesem Haushalt steht nicht im Einzelplan für mein Ressort; es sind die steuerlichen Förderungen, die indirekten Förderungen.
- Das habe ich nur aufgegriffen; mehr kann ich doch nicht tun.
Deswegen gehen wir die einzelnen Maßnahmen jetzt durch und fragen: Sind diese steuerlichen Förderungen genau richtig gesetzt? Oder können wir sie nicht mit Blick auf eine bessere Förderung von Familien und von Eigentum so verändern, daß es den Steuerzahler nicht mehr Geld kostet, aber zielgerechter das erreicht wird, was wir wollen? Darum kann es doch nur gehen.
Meine Damen und Herren, dann ist es noch der geringste Vorwurf, der mich treffen kann, wenn man mir entgegenhält, das hätten Herr Niese und die SPD
vorher auch schon so gesagt. Ich habe noch nicht alles nachgelesen, was gesagt worden ist. Der schlimmste Vorwurf ist es ja wohl nicht, oder? Wir dürfen das doch wohl mit aufgreifen.
Ich bin der Meinung, da müssen wir ran. Deswegen sage ich noch einmal herzlichen Dank an den Haushaltsausschuß, auch an den Finanzminister, daß wir die Möglichkeit der 50-Millionen-Privatisierung bekommen haben. Ich bekomme doch die Schreiben von den Bürgerinnen und Bürgern - auch aus diesem Hohen Hause -, in denen steht: Bis 1994 haben wir mit 7 000 DM den Kauf von Wohnungen mitfinanziert, und ab 1995 ist nichts mehr da. Dann wird gefragt: Warum haben jene etwas bekommen und die anderen nicht? Deswegen ist es gut und richtig, wenn wir es machen. Nebenbei, wir erhöhen damit nachhaltig die Investitionskraft der Wohnungsunternehmen. Denn wenn wir mit den 50 Millionen DM 10 000 Wohnungen zusätzlich privatisieren können, also kaufen können, dann ist das so erlöste Geld Investivmittel für die Wohnungswirtschaft. Deswegen will ich das flankierend dazu mit eingesetzt haben. Ich halte es für eine gute, eine außerordentlich sinnvolle Sache, daß wir damit vorankommen.
Wir können weiter fragen: Wie bekommen wir es hin, daß auch und besonders die Kinderkomponente bei unserer Förderung stärker wird? Meine Damen und Herren, ich bin da sehr, sehr offen. Denn es kann doch gar nicht anders sein, als daß wir uns - wie intensiv auch immer - um den Familienlastenausgleich gekümmert haben. Wenn wir das, was wir auf der einen Seite mit 200 und 300 DM Kindergeld geben, auf der anderen Seite über zu hohe Mieten zurückbekämen, wäre das nicht richtig. Deswegen muß das in einen Zusammenhang gebracht werden. Das ist der entscheidende Punkt.
Unser Problem ist doch nicht, daß wir zu wenig Wohnfläche haben. Das ist ja gesagt worden: Wir sind bei 37 m2 pro Kopf.
Finden Sie das einmal woanders. Wir müssen doch dort etwas schaffen, wo die Nachfrage noch nicht zu entsprechenden Kosten befriedigt wird. Das ist unsere Aufgabe. Ich habe mich gefreut, daß Sie diese Meinung teilen.
Nein, dieser Etat ist nicht der Beleg dafür, daß wir kein Konzept haben. Dieser Etat ist ein Beleg dafür, daß wir das Ganze in der Kontinuität eines Konzeptes weiterentwickeln.
Deswegen will ich auch von meiner Seite noch einmal sagen - vielleicht kommen wir irgendwann einmal dazu, daß das von der Opposition gar nicht mehr aufgegriffen wird -: Über 500 000 Wohnungen im letzten Jahr und davon, Herr Kollege Großmann, 150 000 Sozialwohnungen - ein Spitzenwert! Dies ist
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
- das sage ich noch einmal - ein Ergebnis guter Politik, die vor mir entwickelt und vor mir durchgesetzt worden ist. Ich stehe nicht an, das an dieser Stelle noch einmal mit allem Nachdruck zu unterstreichen.
Das hat Frau Schwaetzer prima gemacht. Deswegen kann man darauf aufbauen und das weiterentwikkeln.
Dann werden wir, Herr Kollege Koppelin, die Nachhilfestunden in Marktwirtschaft bei mir ganz sicherlich auch noch unterbringen können. Ich habe nur immer eine kleine Sorge, die ich in meinen ökonomischen Lehrjahren erfahren habe - lassen Sie mich das hinzufügen -: Dort, wo noch kein Markt ist, muß man einen Weg finden, ihn zu entwickeln. Deswegen bemühen wir uns darum, ihn zu entwickeln. Das ist mein besonderer Punkt.
Ich bin gerne bereit, mir an irgendeiner Stelle sagen
zu lassen: Wir müssen möglichst bald in eine Entwicklung kommen, wo wir keine Kappung brauchen.
Aber damit wir sozialverträglich und mit sozialem Frieden in unserem Land dorthin kommen, muß ich einen Markt entwickeln. Auf dem Weg dorthin brauche ich Kappungsgrenzen.
Auch das sage ich. Wir sind ja gar nicht weit auseinander.
- Das ist wirklich das Schöne. Das ist wie bei Paw-low: In dem Moment, in dem man sich einmal mit einem Kollegen aus der Koalition in einer Frage unterhält, die nicht der vorgefaßten Meinung „Die haben alles richtig, und ihr habt alles falsch" entspricht, gibt es höhnische Zwischenrufe.
Es ist in dieser Welt vieles differenzierter, als daß wir es an dieser Stelle in Schablonen hineinpressen könnten.
Deswegen werden wir das Ganze weiterentwickeln, und zwar in aller Sachlichkeit und in der Offenheit, mit jedem auch darüber zu sprechen, ob es einen besseren Weg gibt. Ich werde mir auch in Zukunft
die Freiheit nehmen, eine bessere Idee von der SPD als besser anzusehen.
Die Bewertung, ob es aber eine bessere Idee ist, Herr Kollege Niese, hätte ich nicht gerne Ihnen überlassen. Diese Frage möchte ich schon gerne selbst beurteilen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Es könnte jetzt ruhig noch weitergehen, aber die Aussprache ist zu schließen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vor. Die Gruppe der PDS hat sechs Änderungsanträge eingebracht.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/905 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Gegenstimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/970. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Zustimmung der SPD, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/885. Wer stimmt für den Anderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/ CSU, der F.D.P. und der SPD bei Zustimmung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge der PDS, und zwar zuerst über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/956. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und eines großen Teils der SPD bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und einigen Enthaltungen aus der SPD abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/957. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist ebenfalls mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und großer Teile der SPD bei Zustimmung der PDS und Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie einiger Abgeordneter der SPD abgelehnt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/958. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Zustimmung der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/959. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei Zustimmung der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/960. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD bei Zustimmung der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/961. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Zustimmung der PDS und Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Damit ist dieser Haushalt abgestimmt. Ich rufe Punkt I. 22 auf:
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr - Drucksachen 13/512, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus Kalb
Jürgen Koppelin
Kristin Heyne
Ich bitte diejenigen, die den Saal verlassen wollen, das schnell zu tun.
Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, drei Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so, und es beginnt der Kollege Hans Georg Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist eigentlich schade, daß die Haushaltsdebatten so strukturiert sind, daß man zu dem Ressort und zum Einzelplan sprechen muß. Ich hätte gern ein paar Bemerkungen zu Herrn
Kollegen Töpfer gemacht, und zwar zu seinen Sätzen in den ersten drei Minuten.
Herr Kollege Töpfer, ich unterstreiche, was Sie gesagt haben, daß wir hier nicht nur eingeengt diskutieren sollten, sondern es in der Tat notwendig ist, auch über die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden zu reden. Da haben Sie völlig recht, und ich unterstütze Sie in dieser Forderung. Vielleicht gibt es die Gelegenheit, daß wir einmal über den Städtebau heute und in der Vergangenheit reden, über die Fehler, die gemacht worden sind, und über die Fehler, die heute noch gemacht werden, damit sie möglicherweise einmal vermieden werden können.
Ich denke an das, was jetzt auf dem „ Weltbürgermeistergipfel" in Berlin, parallel zur Weltklimakonferenz, einige Bürgermeister gesagt haben. Beispielsweise hat der Bürgermeister von Portland in den USA erklärt, daß man dort eine Mauer um die Stadt gebaut hat, um den ganzen Verkehr von der Stadt fernzuhalten, und daß man den großen Park in der Stadt der Bevölkerung als Grünzone zugänglich gemacht hat. Und ich denke an Teheran, wo es verboten ist, in die Stadt hineinzufahren. Diese Diskussion können wir dann einmal aufnehmen, Herr Kollege Töpfer, und dann hoffe ich, daß wir immer noch Seite an Seite sind, wenn es darum geht, den Verkehr aus den Städten herauszuhalten und die Städte wieder lebens- und liebenswert zu machen. Das ist eine große Aufgabe, der wir uns dann gemeinsam stellen können.
Aber, wie gesagt, meine Damen und Herren, wir müssen zu den Einzelplänen reden, und deshalb nun zum Einzelplan 12, der jetzt aufgerufen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dem Einzelplan 12, dem Haushalt des Bundesministers für Verkehr, befassen wir uns mit dem zweithöchsten Einzelplan. Denn wenn man den eigentlichen zweithöchsten Einzelplan außer acht läßt, nämlich die Schulden, die ja kaum investive Ausgaben sein können, dann ist der Verkehrshaushalt der zweithöchste und zugleich der investitionsintensivste Einzelplan des gesamten Bundeshaushalts. Das heißt, wir müssen ganz genau hinsehen, welche Maßnahmen in diesem Bundeshaushalt enthalten sind, welche Investitionen für welche Projekte in welcher Höhe zu welchem Zeitpunkt mit welcher Finanzierung. Das ist schon eine gewichtige gesellschaftspolitische Frage. Und jetzt werden natürlich auch die politischen Bewertungsunterschiede zwischen den Regierungsparteien und der SPD deutlich. Wie werden politische Prioriäten gesetzt, und wo trifft man sich zu gemeinsam getragenen Entscheidungen?
Fast 50 %, also die Hälfte des Einzelplans, entfallen auf Investitionen. Schiene, Schiffahrt, Straßenbau und Luftverkehr sind die Schwerpunkte, für die die meisten Mittel aufgewendet werden sollen.
Hans Georg Wagner
Um es gleich vorweg zu sagen, meine Damen und Herren: Die eigentliche inhaltliche Auseinandersetzung werden wir beim Haushalt 1996 deshalb zu führen haben, weil am Ende dieser Haushaltswoche, in der wir jetzt sind, das erste Vierteljahr des Jahres 1995 vorbei ist und zumindest jeder Praktiker weiß, daß die Wirksamkeit der Haushaltsmittel ins zweite Halbjahr verlagert ist und wir deshalb heute nicht so strittig diskutieren müssen, wie das dann bei dem Haushalt, der sich normal in der Abwicklung befinden wird, getan werden muß.
Ich sagte vorhin, daß es natürlich unterschiedliche politische Bewertungen des Verkehrshaushalts zwischen Regierung und SPD gibt. Dabei geht es insbesondere darum, welchen Verkehrsträgern der Vorrang eingeräumt werden soll. Wir Sozialdemokraten bejahen den Vorrang der Schiene vor der Straße als Schwerpunkt der Investitionen.
Dies haben wir in unseren Anträgen zum Verkehrshaushalt auch deutlich gemacht. Ihr Zwischenruf, Herr Kollege, zeigt mir deutlich, daß Sie die Anträge der Koalition nicht gelesen haben; die haben nämlich die Mittel für die Schiene zugunsten des Straßenbaus gekürzt. Ich möchte Sie bitten, bevor Sie Zwischenrufe dieser Art machen, sich zunächst einmal kundig zu machen. Der Blick in den Haushaltsplan erleichtert die Wahrheitsfindung.
Gewiß, die Deutsche Bahn hat es leider 1994 nicht geschafft, die bereitgestellten Mittel so abfließen zu lassen, daß eine öffentliche Diskussion darüber gar nicht erst entstehen konnte. Der Vorstand hat jedenfalls zugesagt, in diesem Jahr, 1995, die Voraussetzungen für einen ordentlichen Mittelabfluß zu schaffen. Wir hoffen alle im Interesse der Bahn, daß dies auch tatsächlich funktioniert, und erwarten, daß Sie, Herr Minister, die Verträge mit der Deutschen Bahn AG, die noch ausstehen, baldmöglichst abschließen,
da dies die Voraussetzung für viele Investitionen im Bereich der Bahn AG ist.
Probleme bereiten nach wie vor die Lärmbelästigungen am bestehenden Schienennetz. Wir Sozialdemokraten wollen durch unseren Antrag, 20 Millionen DM als Barmittel und 180 Millionen DM als Verpflichtungsermächtigungen bereitzustellen, den Einstieg in ein Lärmminderungsprogramm finden. Damit kommen wir zugleich einem Auftrag des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages nach. Dort hat Staatssekretär Manfred Carstens die haushaltsrechtliche Umsetzung solcher Maßnahmen gefordert. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, würden Sie seinem Wunsche folgen, meine Damen und Herren.
Im Kapitel 12 10 sind im Haushaltsjahr 1995 Aufwendungen für den Straßenbauplan in Höhe von 10,4 Milliarden DM vorgesehen. Der Bundesverkehrswegeplan 1992 bietet den investitionspolitischen Rahmen für den neuen Bedarfsplan, der seinerseits die Grundlage für das mittelfristige Bauprogramm zum Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1993 bis 1997, mit Ergänzung bis zum Jahre 2000, bildet. Danach sind 38,85 Milliarden DM bis zum Jahre 2000 eingeplant.
Jedoch klafft zwischen dem Investitionsvolumen des Bundesverkehrswegeplanes 1992 und dem jetzigen Finanzierungsplan eine Finanzierungslücke von mehr als 10 Milliarden DM. Damit steht heute bereits fest, daß viele Pläne Makulatur sind.
Zwischen Zusagen zu notwendigen Projekten vor Ort und der Realisierung im Bundeshaushalt finden sich Welten. Mit „Zusagen vor Ort" meine ich die vielfachen Versprechungen, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in ihren Wahlkreisen machen
und die jetzt im Bundesverkehrswegeplan keine Entsprechung finden können, weil dafür schlichtweg kein Geld da ist.
Diese von Ihnen nicht gehaltenen Versprechen steigern nach meiner Auffassung nur das Mißtrauen der Bürger gegenüber den Zusagen der Politiker.
Die Finanzierungslücke erfordert notwendigerweise die Konzentration auf Maßnahmen, die tatsächlich von vorrangiger Bedeutung für die Bevölkerung sind. Dabei sind Ortsumgehungen allemal wichtiger als der Straßenneubau, den die Regierungskoalition mit so hoher Priorität versieht.
Jede Straßenneubaumaßnahme muß umweltverträglich und den Menschen dienlich sein. Dies hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom August vergangenen Jahres deutlich gemacht. Eigentlich hätten alle Straßenbauvorhaben seit 1988 vor ihrer Realisierung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Das Oberverwaltungsgericht in Koblenz hat vor einiger Zeit in seinem Urteil zu einem Teilstück der A 60 festgestellt, daß diese europäische Regelung auch bei uns längst in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen.
Sie, Herr Minister Wissmann, trifft hier keine Schuld, im Gegensatz zu Ihrem Kollegen Klaus Töpfer,
Hans Georg Wagner
der es in seiner Zeit als Umweltminister nicht geschafft hat, die Richtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen.
Es wurde vielfach versprochen, aber niemals umgesetzt. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was geschieht, wenn das Oberverwaltungsgericht Koblenz von dem Gericht in Karlsruhe bestätigt wird. Dann ist der Herr Töpfer der größte Investitionsverhinderer im Baubereich in Deutschland seit Kriegsende.
Denn hätte er 1988 die Umweltverträglichkeitsprüfung als nationales Recht umgesetzt, wären die meisten Verfahren heute abgeschlossen - positiv oder negativ, aber wir hätten Klarheit. Eben hat ein Kollege von der Verstetigung der Bauaufgaben gesprochen. Die Bauwirtschaft hätte auch Klarheit, was sie im Bereich der Bahn, der Schiffahrt und in anderen Bereichen der Politik erwartet.
Die Koalition hat es in der Beratung des Haushaltsplanes verstanden, dem Ganzen noch eine Krone aufzusetzen, indem sie in völliger Verkehrung und Verkennung der öffentlichen Diskussion die Mittel für den Schienenausbau um 250 Millionen DM reduziert, die sie dann auch noch dem Straßenbau zuführen will, obwohl das eben Gesagte eigentlich die umgekehrte Priorität erfordert hätte.
Gerade jetzt, während der Berliner Klimafolgekonferenz, ist ein derartiges Vorhaben besonders entlarvend. Aber bekanntlich ist die weltweite Blamage der Bundesregierung schon so offenkundig, daß die heutige Absicht der Koalition nur noch ein ergänzendes Mosaiksteinchen im Gesamtbild ihrer falschen Politik darstellt. Wenn wir es mit der Klimaverbesserung ernst meinen, dann müssen wir auch ernsthaft und ehrlich umschalten. Die Koalition schafft dies nachweisbar nicht mehr, denn dies erfordert auch eine Veränderung der Einsichten, und dazu ist sie nicht fähig.
In diesen Tagen sind die Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union völlig weggefallen. Unter dem Aspekt des weiteren Zusammenwachsens Europas verdienen die transeuropäischen Schienenwege deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit. Allein die Vorstellung oder Vision, ungehindert per Bahn von Neapel nach Hamburg oder Skandinavien zu fahren oder von Barcelona über Paris nach Mannheim, Berlin, Warschau bis Moskau oder daß England heute keine Insel mehr ist, seit es durch den Eurotunnel mit dem Festland verbunden ist! Seit die genannten Städte und Länder problemlos per Bahn erreichbar wurden, ist Europa kleiner, aber auch interessanter geworden.
Wir begrüßen daher alle entsprechenden Vereinbarungen auf der Ebene der Europäischen Union, meinen aber, daß die Bundesregierung so schnell wie möglich ihre Aufgaben erfüllen und ihrerseits die vertraglichen Regelungen beschleunigen sollte, z. B. die Verträge mit der Deutschen Bahn AG.
Ich denke hier - natürlich, Herr Minister, völlig selbstlos - an die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Saarbrücken nach Mannheim.
In diesem Zusammenhang darf natürlich die Wirtschaftlichkeit nicht auf der Strecke bleiben.
Ich bezweifle, meine Damen und Herren, ob Sie bei den vielen gegenteiligen Untersuchungen und Gutachten mit der Transrapidentscheidung den Stein der Weisen für die Verkehrspolitik der nächsten Jahrzehnte entdeckt haben.
- Ich sage noch einmal, Herr Kollege Zwischenrufer: Wir sind nicht gegen den Transrapid.
Wir haben nur erhebliche und nicht ungerechtfertigte Bedenken gegenüber der Strecke Berlin-Hamburg, wären aber beispielsweise bereit gewesen, zu sagen, der Anschluß des möglichen Großflughafens Sperenberg an die Bundeshauptstadt Berlin sei eine der Strecken, die wir mittragen könnten. Dies ist keine paralle Strecke zum ICE zwischen Hamburg und Berlin und damit keine Konkurrenz zu ihm.
Selbstverständlich darf man in diesem Zusammenhang die Regionalisierung als ergänzendes Prinzip im ÖPNV nicht vergessen. So schwer dies sein mag, Herr Kollege Wissmann: An einem integrierten Verkehrskonzept kommen Sie nicht vorbei. Je schneller Sie es auf den Weg bringen, desto besser.
Bei der Debatte zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ende November 1994 sprachen Sie, Herr Kollege Wissmann, die Notwendigkeit eines Zukunftspaktes mit der Automobilindustrie an. Ich sehe das genauso. Was allerdings dieser Tage als Ergebnis - zugegebenermaßen nur bruchstückhaft - bekannt wurde, ist mehr als enttäuschend. Ich sage in aller Deutlichkeit: Wenn die Automobilindustrie selber nicht stärker zur Lösung beiträgt, müssen wir gesetzliche Regelungen finden, sonst klappt das nie.
Daß die Bundesregierung in den Gesprächen, die sie mit der Automobilindustrie führte, zusagte, daß sie auf europäischer Ebene einer Verbrauchsreduzierung, die in den Ländern und in der Kommission dis-
Hans Georg Wagner
kutiert wurden, nicht zustimmen werde, wird von uns in aller Schärfe kritisiert. Denn es ist die Umkehrung dessen, was wir alle wollen.
Ich war übrigens immer schon sehr erstaunt, wie flexibel die deutsche Automobilindustrie etwa auf amerikanische gesetzliche Regelungen reagierte, ohne ständig den angeblich unmittelbar bevorstehenden Kollaps anzudrohen. Sie wird sich sicherlich auf einen drastisch reduzierten Benzinverbrauch einstellen. Sie könnte sich nicht nur weltweit Meriten erwerben, sondern auch erhebliche Gewinnzuwächse erzielen, wie es bei anderen Technologien der Fall ist, bei denen wir weltweit Spitze sind. Ich denke dabei an Bergbau-, Kraftwerk- oder Umwelttechnik.
Gestern ist durch die Presse gegangen, daß Indonesien, Herr Kollege Jobst, ein deutsches Steinkohlekraftwerk kauft, weil die Technik weltweit Spitze ist. Darauf sind wir stolz. Allesamt können wir darauf stolz sein.
Das ist der Weg in die richtige Richtung, meine Damen und Herren. Das muß auch in der Automobilindustrie zugegebenermaßen zur Kenntnis genommen werden. Ich meine, daß man das weltweit umsetzen kann und daß dies auch anerkannt wird.
Sie haben, Herr Minister Wissmann, unsere volle Unterstützung, wenn Sie in dieser Sache hart bleiben.
Eine Gruppe wird sich über den Haushalt 1995 sicherlich freuen, und ihre Freude kann um so uneingeschränkter sein, weil sich der ganze Ausschuß einstimmig dem Vorschlag der Bundesregierung angeschlossen hat, die Seeschiffahrtshilfe zum Ausgleich von internationalen Wettbewerbsnachteilen mit 100 Millionen DM zu unterstützen.
Uns allen geht es darum, daß deutsche Reeder auch zukünftig Seeschiffe unter deutscher Flagge wettbewerbsfähig betreiben können. Aus wichtigen politischen Gründen ist der Erhalt einer ausreichend großen deutschen Handelsflotte dringend notwendig, nicht zuletzt zum Erhalt von qualifizierten Arbeitsplätzen. Solange die Rahmendaten noch nicht stimmen, müssen wir diesen Flankenschutz aufrechterhalten. Der Haushaltsausschuß hat außerdem festgehalten, daß in den 100 Millionen DM bis zu 5 Millionen DM Ausbildungshilfe enthalten sind.
Aber nicht nur die Seeschiffahrt, sondern auch die Partikuliere in der Binnenschiffahrt können hoffen. Einstimmig hat der Haushaltsausschuß dem Vorschlag der Bundesregierung zugestimmt, ein finanzielles Hilfspaket von 160 Millionen DM zu schnüren, wovon 100 Millionen DM als einmaliger Zuschuß zur Umstrukturierung und Modernisierung zur Verfügung gestellt werden.
Die dramatische soziale Situation bei den mittelständischen Partikulieren ist durch diesen Vorschlag wenigstens abgefedert worden. Allerdings ist die nachhaltige Modernisierung noch nicht eingeleitet worden. Dies muß noch überlegt werden. Ab Mai können entsprechende Anträge gestellt werden, vorausgesetzt, daß die Europäische Union mit ihren Genehmigungsverfahren zu Rande kommt. Ich höre in den letzten Tagen hier Bedenkliches. Das ist ein Problem, das wir sehen müssen. Auch hierin sind Ausbildungskosten von 3 Millionen DM enthalten.
Einen Bereich der Verkehrspolitik kann ich mit einem gewissen gelassenen Abstand betrachten: Ich meine die Flugsicherung. Wie haben uns doch vor Jahren die Warteschleifen über Frankfurt genervt, die Fluglotsen machten Dienst nach Vorschrift, und Verspätungen waren die Regel. Die Lufthansa erkannte, daß Warteschleifen viel Geld kosten und die Umwelt verschmutzen, und führte ihre damaligen Verluste u. a. auch darauf zurück.
Seit 1. Januar 1993 macht nun die Deutsche Flugsicherung GmbH ihre Arbeit, und plötzlich: Keine Verspätungen, weniger Warteschleifen und mit ihrem Gehalt zufriedene Fluglotsen.
Experten behaupten sogar, daß sich die Gehälter nahezu verdoppelt hätten.
- Die Verdoppelung der Gehälter steigert offensichtlich ihre Freude, liebe Kollegen und Kolleginnen; Sie wissen, daß sich das auch irgendwann auf die Preise auswirkt. Zum Nachdenken regt die Sache schon an.
- Ich versuche, das bei Ihnen heute abend hinzubekommen; aber ich glaube, das gelingt mir nicht.
Das Luftfahrt-Bundesamt ist an den Grenzen seiner Belastbarkeit angelangt. Neben der Zulassung von neuem Luftgerät erfüllt das Amt vor allem wichtige Aufgaben zur Flugsicherheit. Hier geht es konkret um die Sicherheit jedes einzelnen Flugpassagiers, und das erfordert von uns eine besondere Aufmerksamkeit.
Ich habe von den Fluglotsen, der Flugsicherung und über das Luftfahrt-Bundesamt als Dienststelle des Bundesverkehrsministers gesprochen. Da bietet es sich natürlich auch an, über die Bundesbeteiligungen an Flugplätzen zu reden. Ein schöner Fall bot sich uns Haushältern etwa bei der öffentlichen Diskussion über die Berlin Brandenburg International Flughafen Holding GmbH. Die uns Haushältern unter strengster Vertraulichkeit übersandte Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofes konnten die übrigen Mitglieder des Hohen Hauses am gleichen Tage im „Spiegel" nachlesen.
Hans Georg Wagner
Dadurch war die notwendige Vertraulichkeit dann auch hergestellt.
Ich will die Sache jetzt nicht diskutieren, weil die Betroffenen, die das gelesen haben, wissen, daß es um sehr viel Geld geht, sondern nur darauf hinweisen, daß wir natürlich erwarten, daß die Vertreter des Bundes in solchen Gremien ihre Arbeit sehr, sehr ernst nehmen und aufpassen, was dort die Geschäftsführung treibt, damit Millionenverluste gar nicht erst eintreten können; denn das ist das Geld der Steuerzahler.
Das gilt übrigens nicht nur für den möglichen neuen Flughafen in Berlin, sondern das gilt angesichts der neuesten Diskussionen auch für den Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München und die infrastrukturellen Maßnahmen, die dort geplant sind.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir übrigens die Kooperation des Flughafens Köln/Bonn und des Düsseldorfer Flughafens. Dies stärkt nicht nur die Luftverkehrsbasis Nordrhein-Westfalen, sondern dient auch dem verstärkten Wettbewerb mit den angrenzenden Nachbarländern im europäischen Binnenmarkt.
Transeuropäische Schienensysteme, eine lebendige Binnenschiffahrt, eine der Klimabelastung angepaßte Flugpolitik und ein landschaftsschonender Straßenbau sowie die Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger und damit Aufbau von integrierten Transportketten sind die Eckpunkte einer integrierten Verkehrspolitik, die wir heute anmahnen.
Herr Kollege Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Einen Satz noch! Weniger Auto, mehr Fahrrad und mehr ÖPNV sind Bausteine für eine Klimaverbesserung.
So, Herr Kollege, Sie können fragen.
Herr Kollege Wagner, Sie haben die „Spiegel"-Veröffentlichung vom 13. Februar dieses Jahres zum Großflughafen Berlin Brandenburg International angesprochen. Haben Sie es als Haushälter nicht als ausgesprochen hilfreich empfunden und im Grunde begrüßt, daß durch diese Veröffentlichung publik wurde, wie schlampig, wie am Bedarf vorbei und überzogen hier geplant worden ist, so daß im Grunde genommen jetzt die Möglichkeit gegeben ist, zu einer vernünftigeren Finanzentscheidung auch im Sinne eines haushälterischen Umgangs mit Bundesmitteln zu kommen?
Herr Kollege, Sie haben sicherlich recht. Sie haben ja die Meinung der Haushälter unisono, wie ich es ausgedrückt habe - vorsichtig, wie wir nun einmal sind -, gehört.
Es ist so, daß wir natürlich in den Dialog mit der Bundesregierung darüber eintreten müssen. Das ist noch nicht geschehen. Die Veröffentlichung allein reicht nicht aus. Wir müssen noch die Meinung der Bundesregierung dazu hören. Sie ist ja schließlich der Besteller derjenigen, die in den Gremien dieser Flughäfen sitzen. Insofern wird das in Kürze, wenn dieses Thema im Haushaltsausschuß ansteht, eine hochinteressante Diskussion werden. Ich danke, daß Sie mich darauf hingewiesen haben.
Es wird niemand bestreiten, meine Damen und Herren, daß es keine einfache Sache ist, eine solche Integration zu erreichen, zumal wir alle Mobilität benötigen. Aber wurde der Straßenbau über Jahrzehnte nicht so bevorzugt, daß alle anderen Verkehrsträger chancenlos waren und zurückfielen? Deshalb ist es nur recht und billig, jetzt mit Macht ein Umsteuern zu betreiben, um endlich wenigstens den Versuch für eine Chancengleichheit zwischen den einzelnen Trägern zu machen. Bis zum Erreichen einer solchen Chancengleichheit wird es noch eine Weile dauern. Dies ist, wie gesagt, keine leichte Aufgabe. Aber wenn wir nicht endlich damit anfangen, wird es nie dazu kommen.
Ich bin hier bewußt nicht auf Bestrebungen zur Zusammenlegung von Behörden im Bereich des Bundesverkehrsministers eingegangen, die zu einer Störung des regionalen und föderalen Gleichgewichts führen können. Ich meine, daß wir die Einzelheiten dazu in Berichterstattergesprächen mit dem Minister und der politischen Führung bereits erörtert haben.
Gewiß, eine Verwaltung sollte so effizient wie möglich arbeiten, nur darf dabei nicht die ausgewogene regionale Verteilung auf der Strecke bleiben. Zwei Bundesländer, Bremen und das Saarland, haben am 27. Mai 1992 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erstritten, welches Zeichen setzte.
Im Prinzip sind wir ja von Ihren Überlegungen gar nicht so weit entfernt. Aber ich meine, daß es einer regional ausgewogenen Präsenz von Bundesbehörden bedarf. Wir werden uns zwischen den Haushalten 1995 und 1996 daher auch über die Frage zu unterhalten haben, wie der Haushalt des Bundesverkehrsministers in all seinen Verzweigungen regional gleichrangig vollzogen werden kann.
Die sich vollziehende Normalisierung auch in den neuen Bundesländern wird Ausgangspunkt einer Gesamtdiskussion werden müssen. Ich bin überzeugt, daß es zwischen unseren Freunden aus den Ostländern und uns funktioniert, daß es an der Zeit ist, zu einer neuen Rückflußregelung im Haushaltsvollzug zu kommen.
Wenn jetzt, wie es in der Vergangenheit war, irgendwo in der Republik eine Investition, aus welchen Gründen auch immer, nicht läuft, sollten die Mittel an anderer Stelle investiert werden können, wo es läuft. Damit kommen wir auch zu einer Beschleunigung in allen Ecken der Bundesrepublik Deutschland, und das ist eigentlich richtig. Die An-
Hans Georg Wagner
sätze zu einer Optimierung im Haushaltssystem des Bundes sind vorhanden und werden erprobt. Wir müssen, so meine ich, hier bald zu einer klaren Regelung kommen.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 1995 ist ein Kurzhaushalt, seine Abwicklung muß unter Zeitgesichtspunkten gesehen werden. Die eigentliche politische Diskussion - das hatte ich gesagt - werden wir im Herbst dieses Jahres führen. Dann ist hoffentlich auch ein Zustand der Normalität in Deutschland erreicht, so daß wir ohne Emotionen über den Binnenzustand unseres Landes, insbesondere im Bereich der Verkehrspolitik, reden können.
Der Haushalt 1995 läßt jedoch auch im Jahre 5 nach der Wende nicht erkennen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen in der Lage wären, einer integrierten Verkehrspolitik in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, die diesen Namen auch verdient. Daher lehnt die SPD den Haushalt 1995 ab: weil z. B. eine ökologisch notwendige Umorientierung von der Straße zur Schiene nicht erkennbar ist. Wir müssen endlich damit anfangen; sonst wird nie etwas daraus.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht nun der Kollege Bartholomäus Kalb.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Der Verkehrshaushalt ist durch seinen außerordentlich hohen Investitionsanteil gekennzeichnet.
Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist die wichtigste Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes und seiner Regionen. Verkehrswege sind Lebensadern. Wirtschaftliche Entwicklung, Steigerung der Leistungsfähigkeit und Hebung des Wohlstandsniveaus einer Region hängen ganz wesentlich vom Vorhandensein einer guten Verkehrsinfrastruktur ab, neuerdings, Herr Bundespostminister, auch in Verbindung mit den Kommunikationsnetzen.
Diese Erfahrung hat sich immer wieder in den wirtschaftlich schwächeren Regionen der alten Bundesrepublik bestätigt. Um so mehr kommt dem Ausbau der Verkehrswege in den neuen Ländern größte Bedeutung zu. Wie schon in den zurückliegenden Jahren liegt hier ein besonderer Ausgabenschwerpunkt des Haushalts.
Die Diskussion über den Bundesfernstraßenbau wird insbesondere von den GRÜNEN und von Teilen der SPD gemeinsam mit dem BUND ideologisch geführt. Wie anders wäre sonst zu erklären, daß die Verkehrspolitiker der SPD bei den Mitteln für den
Fernstraßenbau eine Kürzung um 1 Milliarde DM vornehmen wollten und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sogar eine Kürzung um 3 Milliarden DM vorgeschlagen haben?
Soeben hat Kollege Wagner auf die Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplans hingewiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das paßt doch nicht zusammen.
Vor allen Dingen stimmt dies nicht mit den Erfahrungen überein, die ich vor Ort mit Politikern aller Seiten mache. Vor den letzten Wahlen sind eine schnellere Realisierung der Straßenbauprojekte,
eine zusätzliche Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan, großzügigere und auch teurere Lösungen massiv gefordert worden.
Wenn man dann als Mitglied der Koalition dieses Hauses der Redlichkeit halber darauf hingewiesen hat, daß dies alles nicht so schnell und nicht so einfach zu machen sei,
ist man dafür auch noch kritisiert und gescholten worden. Vor Ort mehr fordern, hier aber die Mittel zusammenstreichen wollen - das paßt schlicht und einfach nicht zusammen.
Wir alle wissen - Kollege Wagner hat soeben darauf hingewiesen -, daß der Verkehrswegeplan unzureichend finanziert ist, daß wir wesentlich höhere Ansätze dafür bräuchten. Um so mehr freue ich mich, daß die Arbeitsgruppe der Koalition im Haushaltsausschuß meinem Vorschlag gefolgt ist und eine Umschichtung zugunsten der Mittel für den Fernstraßenbau in Höhe von 250 Millionen DM mitgetragen hat.
Wenn jetzt von verschiedener Seite behauptet wird - Kollege Wagner hat das gemäßigt angesprochen, weil er Haushälter ist und die Realitäten kennt -, wir würden den Ausbau der Schienenverkehrswege vernachlässigen, so ist das schlicht und einfach falsch.
Es ist zwar richtig, daß wir die Mittel für den Schienenwegeausbau gegenüber dem Haushaltsentwurf nominal zurückgenommen haben. Tatsache aber ist, daß mit einem Ansatz von rund 10 Milliarden DM
Bartholomäus Kalb
rund 2,3 Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen, als 1994 verausgabt werden konnten. Das heißt, dieser Haushalt erlaubt die Steigerung der Bauleistungen um rund 30 %.
Ich bin deshalb der felsenfesten Überzeugung, daß die Realisierung nicht einer einzigen Maßnahme an mangelnden Mitteln scheitern wird.
Vielmehr hege ich die Befürchtung, daß die Bahn auch 1995 die Mittel nicht in vollem Umfang wird verbrauchen können.
- Was wissen Sie denn vom Bereich Bau! Kollege Wagner und ich verstehen mehr davon.
Bei allem Verständnis und der hohen Priorität der Schienenwegeinvestitionen dürfen wir nicht durch allzu großzügige Mittelbereitstellung die Gefahr der unwirtschaftlichen Verwendung von Steuergeldern selbst heraufbeschwören. Ich möchte deshalb von dieser Stelle aus alle mit der Verwaltung und Verausgabung der Mittel Betrauten nachdrücklich auffordern, dafür zu sorgen, daß die Gelder sehr sorgfältig und effizient eingesetzt werden.
Wegen der allseits anerkannten Engpässe bei der Finanzierung des Straßenbauteils des Bundesverkehrswegeplanes hat der Haushaltsausschuß schon im vergangenen Jahr der Privatfinanzierung von Fernstraßenprojekten und einem Schienenprojekt zugestimmt und weitere Maßnahmen vorgeschlagen. Meiner Erinnerung nach ist dieser Beschluß, zumindest zum Teil, fraktionsübergreifend gefaßt worden.
Wegen der besonderen Anforderung an den Verkehrswegebau einerseits und den Bundeshaushalt infolge der Wiedervereinigung andererseits war man sich weitgehend einig, daß eine derartige Finanzierung für eine begrenzte Anzahl von Maßnahmen in einer besonderen Situation vorzunehmen und zu akzeptieren sei. Dabei verkennen wir nicht die Einwände und Bedenken, die von seiten des Bundesrechnungshofs wie auch der Landesrechnungshöfe hinsichtlich der Privatfinanzierung von Verkehrswegen geäußert wurden.
Auch nach meiner persönlichen Einschätzung - das sage ich ganz offen - ist mit diesem Finanzierungsinstrument sehr behutsam und zurückhaltend umzugehen; in dieser Situation aber ist es vertretbar und geboten.
Angesichts der prognostizierten erheblichen Zunahme sowohl des Personen- als auch insbesondere des Güterverkehrs werden wir uns in Zukunft eine ideologisch gefärbte Diskussion über den einen oder anderen Verkehrsträger nicht mehr leisten können. Vielmehr wird es darauf ankommen, daß jeder einzelne Verkehrsträger seine spezifischen Vorteile zur Geltung bringt. Dazu ist die bessere Nutzung der Binnenwasserstraßen und, wo erforderlich, der Ausbau derselben ebenso dringend erforderlich wie der der Schienenwege und der Fernstraßen.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Albert Schmidt?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Verständnis. Es geht mir nicht darum, die Sitzungszeit unnötig zu verlängern. Ich kann nichts dafür, daß der Verkehrshaushalt als größter Investivhaushalt zum zweitenmal zu so später Stunde auf der Tagesordnung steht. Das ist für sich genommen ein Skandal.
Zur Frage: Herr Kollege, Sie haben soeben gesagt, daß für die private Vorfinanzierung von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen eine Eingrenzung auf ganz wenige Projekte und auf einen zeitlich eng befristeten Horizont stattzufinden hat. Herr Bundesverkehrsminister Wissmann hat in diesem Hause in der Sitzung am 16. Dezember 1994 wörtlich erklärt,-
Kurzintervention oder Frage?
Ich komme sofort zur Frage.
Sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Einlassung des Bundesverkehrsministers vom 16. Dezember hier in diesem Hause, wonach die private Vorfinanzierung von Infrastrukturmaßnahmen im Verkehr der Normalfall werden soll, einen gewissen Widerspruch in Ihrer Einlassung findet? Auf deutsch gesagt, befinden Sie sich in der Koalition jetzt auf dem geordneten Rückzug?
Herr Kollege Schmidt, erstens, beklagen Sie sich nicht, daß wir so spät noch zusammen sind. Zumindest die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses sind noch sehr viel spätere Zeiten gewöhnt, zu denen sie sinnvolle Arbeit leisten.
Zweitens hat Bundesminister Wissmann die Aussage so, wie Sie sie gerade unterstellen, nie getroffen. Es ist über eine Reihe von Möglichkeiten der künftigen Finanzierung öffentlich diskutiert worden. Die Begrenzung der Maßnahmen ist im Haushalt nachzulesen. Wenn diese Begrenzung geöffnet wer-
Bartholomäus Kalb
den soll, muß es wieder durch den Haushaltsausschuß gehen. Und dort werden wir das - wie bisher auch - sehr sorgfältig beraten. Nichts anderes wird passieren.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich darf fortfahren. Von dem geplanten Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen bin ich selber in meinem Wahlkreis und in meiner Heimatgemeinde unmittelbar betroffen. Als örtlich Betroffener wäre es viel leichter und populärer, gegen eine derartige Maßnahme zu sein. Darum sage ich aber hier klar und deutlich, wie ich es auch vor der Wahl gesagt habe: Der Donauausbau in diesem Abschnitt ist dringend erforderlich. Das wird auch von niemandem ernsthaft bezweifelt.
Die Frage der anzuwendenden Methode ist keine Frage der Politik, sie muß von den Fachleuten entschieden werden. Aber Politik und Verwaltungen müssen dafür sorgen, daß baldmöglichst Klarheit geschaffen wird, um den betroffenen Kommunen und Bürgern möglichst schnell Planungssicherheit für ihre weiteren Überlegungen zur örtlichen und regionalen Entwicklung zu geben.
Noch mehr Bedeutung als bisher wird in Zukunft der Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger sowie modernen und modernsten Logistik- und Verkehrsleitsystemen zukommen. Im übrigen scheinen sich hier sehr aufnahmefähige Märkte aufzutun, von denen ich hoffe, daß wir sie auch von deutscher Seite aus ausreichend bedienen können. Allerdings sind Betonkübel, wie sie gegenwärtig zuhauf in manchen Städten aufgestellt werden, noch kein Verkehrsleitsystem - weder intelligent noch innovativ, noch exportfähig.
In den letzten Wochen, meine sehr verehrten Damen und Herren, war in öffentlichen und internen Diskussionen häufig die Rede davon, daß die Belastungsgrenze des Bürgers erreicht sei. Wenn wir diese Erkenntnis teilen, muß diese Feststellung unter Einbeziehung des Verkehrsbereichs gelten. Häufig wird in den Diskussionen so getan, als wäre der Verkehrsteilnehmer und insbesondere der Autofahrer ein völlig anderes Wesen. Angesichts des hohen Motorisierungsgrades und der hohen Pkw-Dichte kann meines Erachtens aber sehr begründet davon ausgegangen werden, daß es sich um ein und denselben Steuerbürger handelt.
Wir sind in Europa, was die Belastung des Autofahrers betrifft, nicht mehr im unteren Bereich, sondern längst in die Spitzengruppe aufgerückt - siehe den Preisvergleich für Benzin in der „Süddeutschen Zeitung" von heute. Im übrigen läßt sich die Forderung nach einer höheren Belastung des Individualverkehrs insbesondere dann sehr leicht erheben, wenn man selber das Angebot des hochsubventionierten öffentlichen Personennahverkehrs in Ballungsgebieten optimal nutzen kann. Damit will ich die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs in keiner Weise schmälern. In ländlichen Räumen und dünner besiedelten Gebieten kann jedoch auf das Auto nicht verzichtet werden.
Wirtschaftlicher Aufschwung und eine damit einhergehende Steigerung des Wohlstandes in periphären ländlichen Räumen waren im übrigen erst möglich, als breite Schichten der Bevölkerung die Möglichkeiten des Individualverkehrs nutzen, sprich: in der Regel auf das Auto zurückgreifen konnten. Die wegen der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geforderte Mobilität wäre ohne den Pkw nicht darstellbar.
Interessant war und ist die Haltung von SPD und GRÜNEN in der Frage neuer Verkehrssysteme. Spitzen der SPD, z. B. Herr Scharping oder eine in München gelandete ehemalige Bundespolitikerin, verkünden zwar verbal, man wolle das Land zu einem Technologie- und Innovations-, ja geradezu zu einem High-Tech-Standort machen; auch Herr Hampel hat das im übrigen gestern wieder getan. Wenn es aber darauf ankommt, daß man konkret etwas ins Auge faßt, dann ist damit natürlich immer etwas anderes gemeint, nur nicht das konkrete Projekt.
Nur so ist die ablehnende Haltung des größten Teils der Opposition gegen den Transrapid zu erklären. Angesichts des hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwandes ist es gänzlich unverständlich, daß man die Nutzung eines solchen Systems im eigenen Lande nicht haben will. Damit wird die Exportfähigkeit natürlich nicht ermöglicht.
Es scheint wirklich so zu sein, wie es Siemens-Chef Heinrich von Pierer zum Ausdruck gebracht hat. Er sagte wörtlich:
Während in Südostasien Begeisterung und Freude über neue Technologien anzutreffen ist, wird Technik bei uns nicht als Bereicherung empfunden.
Herr Kalb, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. - Wie aber und womit wollen wir dann in Zukunft unseren Wohlstand sichern und soziale Verteilungskämpfe vermeiden?
Schönen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Rainder Steenblock.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Für die Sicherung der Zukunft sind heute Innovationen und Investitionen gefragt, wenn wir den Herausforderungen des Verkehrs mit Blick auf das 21. Jahrhundert begegnen wollen." Mit diesen
Rainder Steenblock
Worten haben Sie, Herr Minister Wissmann, Ihre Rede vor dem Umweltforum von Mercedes-Benz abgeschlossen.
Wenn gerade der investive Teil des Verkehrshaushaltes, mit 26 Milliarden DM der größte Investitionsbrocken dieses Haushalts, die Richtung anzeigen soll, wie diese Bundesregierung die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen will, dann kann einem für die finanzielle und für die ökologische Zukunft dieses Landes nur angst und bange werden.
Dieser Haushalt bietet keine überzeugende Antwort auf die großen ökologischen Herausforderungen, denen sich die Verkehrspolitik stellen muß angesichts der drohenden Klimakatastrophe, angesichts des fortschreitenden Waldsterbens und angesichts der ökologischen Probleme, die wir durch die zunehmende Flächenversiegelung haben.
Trotz dieser Probleme scheint das oberste Erfolgskriterium des Verkehrsministers dieser Republik immer noch die Anzahl der fertig betonierten Autobahnkilometer zu sein. Herr Wissmann, mit dieser Verkehrspolitik manövrieren Sie sich in eine Sackgasse. Was noch schlimmer ist: Mit dieser Verkehrspolitik übernehmen Sie eine ganz große Verantwortung für die sich verschärfenden Klimaprobleme auf diesem Planeten,
sowohl als Klimakiller in Deutschland als auch - was vielleicht noch viel schlimmer ist - als Motor für die schlechte Verkehrsentwicklung in ganz anderen Teilen dieser Welt,
die wir hier mit verantworten müssen.
Zukunftsfähigkeit ist für Sie häufig das gleiche wie Hochtechnologie. Dazu gibt es in diesem Verkehrshaushalt zwei Stichworte: Telematik und Transrapid.
Ich sage für die GRÜNEN ganz deutlich - auch Sie, Herr Kalb, haben das Problem der Hochtechnologie in diesem Bereich angesprochen -: Ich halte es für Umweltpolitikerinnen und -politiker für ausgesprochen lohnend, sich sehr differenziert mit den neuen Verkehrssteuerungssystemen auseinanderzusetzen. So unterstützen wir ganz ausdrücklich die Telematik-Investitionen im Schienenbereich.
Ich habe allerdings den Verdacht, daß Telematik für Sie, Herr Wissmann, und für die Regierung in allererster Linie dazu dient, auf einer begrenzten asphaltierten Fläche immer mehr und noch mehr Automobile in Bewegung zu setzen - ohne Rücksicht auf die Menschen, ohne Rücksicht auf die Natur und ohne Rücksicht auf das Klima.
Zweites Stichwort: Transrapid. Dieses Milliardengrab der Hochtechnologie, mit dem Sie dieses Land trotz allen verkehrswissenschaftlichen Sachverstandes unbedingt beglücken wollen, ist so überflüssig wie ein Kropf.
Er ist völlig unwirtschaftlich; das haben eine Reihe von Studien - neulich erst eine des DIW - nachgewiesen. Er ist eine unnötige, hochsubventionierte Konkurrenz zur Schiene. Deshalb ist jeder Pfennig für dieses Projekt herausgeworfenes Geld.
Herr Wissmann, Sie wissen genausogut wie ich: Mit diesem Technosaurus Rex werden Thyssen, Siemens und Co. noch weitere Milliardenlöcher in den Verkehrshaushalt und in den Technologiehaushalt reißen.
Das Transrapid-Projekt wird trotzdem immer das bleiben, was es heute schon ist: größenwahnsinnig und völlig unverkäuflich.
Das wirklich Neue an diesem Haushalt ist die haushalts- und verfassungsrechtlich höchst bedenkliche und ökonomisch völlig unsinnige Privatfinanzierung von Bundesfernstraßen. Ich kann Ihnen nur sagen: Die vernichtende Kritik des Bundesrechnungshofs an dieser Form der Baufinanzierung teilen wir in jedem Punkt.
Der erste Etikettenschwindel besteht schon in der Wortwahl „Privatfinanzierung". Das suggeriert, daß es hier tatsächlich um eine Entlastung des Staates gehen soll. Das genaue Gegenteil ist allerdings richtig:
Ein Konsortium privater Investoren baut und finanziert die geplante Maßnahme. Der Bund verpflichtet sich, das Projekt nach Fertigstellung zurückzukaufen. Der Zahlungsbeginn wird zwar für den Bund in die Zukunft verlagert; aber dafür kommt es dann um so dicker. In 15 Jahresraten sollen nämlich aus dem Investitionsteil des Straßenbauhaushaltes die Bau- und die Finanzierungskosten zurückgezahlt werden.
Es handelt sich hier also lediglich um eine private Vorfinanzierung mit staatlich garantierter Rückzahlung der Baukosten, mit staatlich garantierter Rückzahlung der Kreditkosten und mit staatlich garantier-
Rainder Steenblock
ter Zahlung der Bankgewinne. Ein profitables Unterfangen ohne jedes Risiko für die beteiligten Unternehmen!
Jedem Kind ist heutzutage klar, daß ein Ratenkauf immer teurer wird. Nur der Finanzminister und der Verkehrsminister dieser Republik scheinen davon noch nichts gehört zu haben.
- Die staatliche Garantie? In den Verträgen, die abgeschlossen werden - das wissen Sie sehr gut, wenn Sie sich ein bißchen damit auseinandergesetzt haben -, werden eine Gewinnmarge für das Bankenkonsortium, das diese Investition finanziert, und ein Zinssatz festgelegt, der deutlich über den Zinssätzen liegt, die die Bundesbank oder der Bund an jeder anderen Stelle erreichen könnten.
Herr Steenblock, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kalb?
Aber gerne.
Herr Kollege, Sie haben doch gerade darauf hingewiesen, daß es um eine staatlich garantierte Rückzahlung von Bankgewinnen gehe. Was verstehen Sie darunter?
Das kann ich Ihnen gerne erklären. Beim Abschluß dieser Verträge wird ja ein privates Konsortium eine Finanzierung vorlegen. Diese Aufträge werden in gebundener Form vergeben. Das heißt, Kredit und Bauinvestition werden bei der Auftragsvergabe zusammengefaßt. Im Rahmen dieser Auftragsvergabe wird festgelegt, was an Baukosten, an Kreditkosten und an Gewinnen der Banken, also der Kreditoren dieses Unternehmens, dann tatsächlich auch zurückgezahlt wird. Das ist staatlich garantiert. Das wird von Anfang an festgesetzt bzw. nach einem Überprüfungszeitraum von jeweils fünf Jahren kann das innerhalb dieser fünfzehnjährigen Rückzahlungsphase immer wieder noch einmal erhöht werden.
Das ist staatlich festgelegt und völlig risikofrei. Das Geld wird den großen Banken, die ja in dieser Gesellschaft so notleidend sind, noch vom Staat in den Hintern gepustet.
Ich fordere Sie auf: Kämpfen Sie um diese Form der Straßenfinanzierung doch einmal offen, debattieren Sie den Bericht des Bundesrechnungshofs einmal in der Öffentlichkeit! In ihm werden alle genannten Kritikpunkte ausgeführt. Ich kann gern noch einmal daraus zitieren. Der Bundesrechnungshof sagt sehr deutlich: Diese Form der Privatfinanzierung darf es in Zukunft nicht mehr geben, und diese Form der Privatfinanzierung wird für den Staat viel teurer als die herkömmliche Haushaltsfinanzierung.
Sie machen mit diesem Instrument doch einen Taschenspielertrick, indem Sie versuchen, neue Schattenhaushalte zu bilden, weil Sie sich nicht trauen, das Geld, das Sie für die Straßen, für den Beton und den Asphalt ausgeben, den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich offenzulegen.
Herr Steenblock, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Jobst?
Ja.
Herr Kollege Steenblock, Sie richten Ihre Kritik an die Koalition und an die Bundesregierung, und die SPD klatscht dazu noch Beifall. Ist Ihnen bekannt, daß die SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß der Privatfinanzierungsregelung zum großen Teil zugestimmt haben?
Herr Kollege Jobst, das ist mir bekannt. Auch ist mir bei den Ausführungen, die Kollege Wagner gemacht hat, deutlich geworden, daß es in vielen Bereichen eine große Koalition zwischen Sozialdemokraten und CDU gibt und daß die Oppositionsrolle in der Verkehrspolitik tatsächlich vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgeübt wird.
Diese Form - ich sage das noch einmal deutlich - der Privatfinanzierung ist eine gigantische Verschleuderung von Steuergeldern, und sie ist auch zutiefst undemokratisch. Denn rechnet man einmal eine Bauzeit von sechs Jahren und eine Zeit von 15 Jahren, in der der Ratenkredit zurückgezahlt werden muß, haben wir im Jahr 2016 eine Bundesregierung, die von Menschen gewählt worden ist, die heute noch gar nicht geboren sind und die dann auch schon ihre Steuern zahlen. In dieser Zeit zahlt die Bundesregierung immer noch die Raten für die
Rainder Steenblock
vierte Elbtunnelröhre, für die A 60 und für die anderen Großprojekte ab. Das ist eine Politik eines absolut verantwortungslosen Umgangs mit dem Selbstbestimmungsrecht zukünftiger Generationen.
Herr Steenblock, kommen Sie bitte zum Schluß!
Ja. - So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen eine Wende in der Verkehrspolitik und eine Umschichtung von Geldern aus dem Straßenbau in Richtung ÖPNV, in Richtung Schiene, in Richtung einer ökologischen Verkehrspolitik. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag, der eine solche Umschichtung vorsieht und der ein Einstieg in die Energiewende ist, zuzustimmen und damit den Transrapid und auch die private Straßenfinanzierung über das Konzessionsmodell abzulehnen.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, das war die zweite Jungfernrede aus dem Wahlkreis Pinneberg.
Ich gebe jetzt das Wort an den Kollegen Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als verkehrspolitischer Sprecher der F.D.P.-Fraktion möchte ich zunächst den Verkehrshaushalt als einen weiteren Schritt zur Harmonisierung der Lebensverhältnisse in Ost und West in bezug auf die Angleichung der Verkehrsverhältnisse dort begrüßen.
Wenn das hier als gigantisches Flächenversiegelungsprogramm bezeichnet wird, dann sollte man wissen, daß sagenhafte 1,2 % der Gesamtfläche Deutschlands von der Verkehrsinfrastruktur bedeckt werden.
- Lesen Sie doch die Berichte nach! - Dabei sind aber alle Verkehrsträger bis hin zur kommunalen Ebene beinhaltet.
In der Verkehrspolitik ist aus unserer Sicht als erstes darauf hinzuweisen, daß die 17 Verkehrsprojekte Deutsche Einheit einen Schwerpunkt der Investitionsteile des Haushalts bilden. 4,5 Milliarden DM der Gesamtinvestitionen sind ausschließlich auf die
Verkehrsprojekte Deutsche Einheit ausgerichtet, die dazu beitragen, den Standort Deutschland auch auf diesem Sektor zu stärken.
Kommen wir zur Bahn. Im Februar lief es über den Ticker, aufgeregt wurde geschrieen, die Verkehrspolitiker der Koalition hätten der Schiene jetzt den Garaus gemacht und hielten ihre Versprechen nicht ein.
Was war der Hintergrund? Die Deutsche Bahn AG hat es tatsächlich geschafft, von ihren investiven Mitteln für das Jahr 1994 2,3 Milliarden DM nicht auszugeben. 1,3 Milliarden DM konnten noch verarbeitet werden, aber eine satte Milliarde mußte an den Finanzminister zurückgegeben werden. Das freut diesen zwar, aber die Verkehrspolitiker nicht.
Die Konsequenz der Haushaltspolitiker war nach unseren Regeln, daß sie auf diese Situation reagieren mußten. Deswegen gab es den verkürzten Mittelansatz. Ich hoffe, daß es jetzt gelingt, wenigstens die Mittel zu verbauen, die der Bahn zur Verfügung stehen.
Allerdings - und das füge ich auch nicht ohne Hintergedanken hinzu - hat diese Situation auch den Vorteil, daß das schon lange innerhalb der Bahn kursierende Konzept „Netz 21", mit dem überlegt wird, daß man bei anderer Sortierung der Verkehrsträger im bestehenden Netz einen effizienteren Verkehr stattfinden lassen kann, ohne daß in einigen Bereichen ein Streckenneubau nötig ist, jetzt konkret umgesetzt werden kann.
Nur - jetzt muß ich auf den Kollegen Schmidt eingehen -, der Umkehrschluß, daß dann überhaupt kein Streckenneubau mehr nötig ist, ist genauso falsch wie verschiedene andere Vorstellungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; denn selbstverständlich ist es notwendig, in einigen Bereichen, z. B. im Personenfernverkehr, neue Strecken zu bauen, um endlich eine Alternative zum Pkw auf den entsprechenden Entfernungen zu erhalten. Das kann ich nicht auf einem Gleiskörper, auf dem ich nur 80 km/h fahren kann.
Das muß man irgendwann einmal einsehen.
10 Milliarden DM investive Mittel bei einem Gesamtvolumen - das sollte man auch einmal sagen - von 31 Milliarden DM - das sind fast 60 %, denn der Verkehrshaushalt umfaßt knapp 53 Milliarden DM - stehen ausschließlich dem Verkehrsträger Schiene zur Verfügung. Das muß man einmal in der Gesamtbetrachtung der komplexen Zahlen sehen, um dann bestimmte Sachen vielleicht etwas losgelöster von bestimmten Emotionen oder leichtem Schubladendenken zu sehen, das ja sehr einfach ist.
Die Bahn ist allerdings auch gefordert, auf Grund ihrer Tarifgestaltung dafür zu sorgen, daß die Einnahmen die entstehenden Kosten decken können. Ich bin in der Vergangenheit etwas schief angeredet
Horst Friedrich
worden, weil ich mir erlaubt habe, das 15-DM-Ticket dahin gehend zu hinterfragen, ob die Bahn die 3 DM pro Person zumindest im Blick auf die Kostendekkung untersucht hat.
Die Gewerkschaft GdBA hat das heute öffentlich als tarifpolitischen Schwachsinn bezeichnet. So weit möchte ich nicht gehen. Aber klar ist, daß mit dieser Aktion, die dazu führen soll, daß mehr Leute mit der Bahn fahren - das ist ja zu begrüßen -, das Gegenteil dessen erreicht worden ist, was gedacht war.
Aus einem guten Vorsatz ist ein gutgemeinter Vorsatz geworden, weil jetzt der Effekt eintritt, daß alle die, die im bisherigen Schienenfernverkehr als Vollzahler unterwegs waren, mittlerweile auf die Nah- und Eilzüge umsteigen, um mit 3 DM pro Person wesentlich günstiger zu fahren. Ob dann der Mehrverkehr, der prognostiziert worden ist, ausreicht, um die Kosten einzuspielen, wage ich zumindest in Frage zu stellen. Bisher ist diese Frage noch nicht beantwortet worden.
Deswegen werde ich mir auch weiterhin erlauben nachzufragen, ob die Bahn in der Lage ist, das, was im Personenbeförderungsgesetz steht und auch für die Bahn gilt, nämlich die Eigenwirtschaftlichkeit der Tarife, tatsächlich umzusetzen.
Der nächste Bereich umfaßt die Haushaltsmittel für die deutschen Binnenschiffer. Die 100 Millionen DM, die vom Deutschen Bundestag beschlossen worden sind, sind in Europa auf den Prüfstand gestellt und mit relativ fadenscheinigen Begründungen an Bedingungen geknüpft worden, die die deutsche Binnenschiffahrt nicht erfüllen kann. Ganz zu schweigen davon, daß man dieses Thema unter dem Begriff Subsidiarität neu aufrollen sollte, ist auch Europa gefragt, ob nicht durch eine fehlende Harmonisierung in der europäischen Verkehrspolitik und dadurch, daß andere Länder solche Subventionen auch geben oder bestimmte Beschlüsse nicht umsetzen, eine bestimmte Europaverdrossenheit besteht. Auch da ist Europa gefordert, und zwar vorrangig.
Zum Thema Privatfinanzierung: Die Privatfinanzierung ist sicher nicht ein alleinseligmachendes Mittel. Sie ist aber ein möglicher Ansatz. Das gilt auch für die Bahn. Ich denke hier insbesondere an den bislang immer wieder verhinderten Verkauf der Bahnbusgesellschaften.
- Ich lasse mich gerne als Lobbyisten für die privaten Busunternehmer bezeichnen. Sie haben mindestens den Vorteil, daß sie Steuern bezahlen und keine Subventionen empfangen.
Der Bund muß endlich lernen, sich als Verkehrsunternehmer zu verabschieden. Er hat die Rahmenbedingungen zu garantieren, er hat für die Infrastruktur zu sorgen; aber er soll das, was andere besser können, nämlich den eigentlichen Transport, auch den anderen überlassen. Wenn wir hieran weiterarbeiten, sind wir auf dem richtigen Weg.
Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, daß der Haushalt des Verkehrsministers zwar kein Etat der Sensationen ist, aber eine gute Grundlage für eine ordnungsgemäße Verkehrspolitik. Deswegen stimme ich ihm im Namen meiner Fraktion mit voller Überzeugung zu.
Die Kollegin Dagmar Enkelmann möchte ihre Rede zu Protokoll geben. Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.*)
Als nächster spricht der Kollege Dirk Fischer.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als zweitgrößter Einzeletat und größter Investitionshaushalt des Bundes ist der Verkehrshaushalt auch weiterhin Garant für die Aufwärtsentwicklung in Deutschland und wird seiner gesamtwirtschaftlichen Aufgabe als Investor gerecht werden. Der Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, und zwar für alle Verkehrsträger, ist und bleibt Schwerpunkt unserer Verkehrspolitik.
Wir werden auch unter schwierigeren finanziellen Bedingungen den ökologisch ausgewogenen Aus- und Neubau der Straßen- und Schienenwege und der Binnenwasserstraßen fortsetzen. Dabei werden die umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und Schiff weiter gestärkt werden. Sie genießen einen ganz klaren Investitionsvorrang.
Wir wollen in den neuen Bundesländern zügig moderne Verkehrswege ausbauen, weil dies gerade für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland, für das Zusammenwachsen Europas und auch für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Ländern völlig unverzichtbar bleibt.
Wir sehen es nicht mit Freude, daß trotz vereinfachter Planungsinstrumente baureife Vorhaben und Planfeststellungsbeschlüsse Mangelware sind, so daß auch in den neuen Ländern 1994 nicht alle Investitionsmittel umgesetzt werden konnten. Es muß dringend angestrebt werden, die Baureife zügig herzustellen, auch unter Zuhilfenahme der Kapazitäten privater Planungsbüros, damit wir hier kein Nadelöhr haben, sondern zügig vorankommen.
Rund 10 Milliarden DM Investitionen der DB AG setzen die Entscheidung der Regierungskoalition um, einerseits einen klaren Vorrang für die Schieneninvestitionen, andererseits aber auch eine attraktive
*) Anlage 2
Dirk Fischer
marktgerechte Wettbewerbsposition durch moderne Infrastruktur zu schaffen. Wir setzen auf die Schiene. Deswegen muß hier investiert werden. Aber auch die innere Bahnreform muß dringend erfolgreich zu Ende gebracht werden. Nach einer schwierigen Anlaufphase wollen wir den Privatisierungseffekt voll ausschöpfen. Deswegen sind wir daran interessiert, daß es hier zügig vorangeht.
Für die Bundeswasserstraßen haben wir 200 Millionen DM mehr Investitionen im Haushalt als 1994, wohingegen wir - das beweist den Vorrang für Schiene und Schiff - beim Bundesfernstraßenbau knapp unterhalb des Vorjahresniveaus liegen. Das heißt, das, was wir gesagt haben, wird in Mark und Pfennig umgesetzt.
Die Grundsatzentscheidungen für den Bau des Transrapid zwischen Hamburg und Berlin sind Ende der letzten Legislaturperiode gefallen.
Die Innovationsfähigkeit in Deutschland und die Entwicklung deutscher Spitzentechnologie, das Werk, das von Schorsch Leber und Helmut Schmidt angelegt worden ist, wird von uns zum Erfolg geführt und ist nur durch eine Anwendungsstrecke unter Beweis zu stellen.
- Es geht nicht an, liebe Kollegen der SPD, daß man sich jetzt nicht mehr in dieser historischen Verantwortung sehen will und versucht, ein Hochgeschwindigkeitssystem der weiten Distanzen mit einer sehr halbherzigen Alternative zu einem Vorortbahnsystem zu machen. Das ist der größte Unfug aller Zeiten.
Schmidt und Leber waren gerade der Meinung, dies sei das Hochgeschwindigkeitssystem, das nach Ausschöpfung der Potentiale des Rad-Schiene-Systems notwendig ist. Das war damals die Begründung dafür, warum sie dieses ins Werk gesetzt haben. Das realisieren wir. Deswegen wollen wir möglichst schnell die Planungsgrundlagen für die Strecke Hamburg-Berlin erarbeiten. Bereits 1994 ist die Planungsgesellschaft gegründet worden. Sie arbeitet bei der Realisierung zügig voran. Für Planungs- und Gutachterkosten waren deswegen in den Haushalt 1995 17,5 Millionen DM einzustellen.
Die Regierungskoalition will die Beschlüsse des Deutschen Bundestages zügig und konsequent umsetzen.
Ich finde es faszinierend, daß hier zum erstenmal
Staat und Wirtschaft gemeinsam eines der ganz großen Infrastrukturprojekte umsetzen. Insoweit hat das Modellcharakter.
Meine Damen und Herren, der Kollege Friedrich hat schon auf die schwierige Lage der Partikuliere, der Binnenschiffahrt hingewiesen. Die Bundesregierung hat ein Hilfsprogramm für die Umstrukturierung und Modernisierung der Partikulierschiffahrt und zur Anpassung an den liberalisierten europäischen Markt vorgelegt. 100 Millionen DM sind in den Haushalt 1995 eingestellt worden.
Darüber hinaus wollen wir eine zusätzliche Abwrackaktion für die Jahre 1995 bis 1997 unter Einsatz von insgesamt 60 Millionen DM durchführen, unter der Voraussetzung, daß die Mitgliedstaaten der EU, die hier betroffen sind, ihre Anteile in diese Aktion entsprechend einbringen.
Das heißt, wir sind auch hier konsequent dabei und bitten die zuständigen Kommissare der EU, auch die deutschen, und die deutschen Parlamentarier im Europaparlament, ihre zögerliche Haltung zu überwinden und dem Programm umgehend zuzustimmen, damit die Hilfe sehr schnell bei den bedrängten Partikulieren, also bei den Betrieben und Arbeitsplätzen, ankommt. Dieses ist wichtig.
Für die Seeschiffahrtshilfen sind für 1995 100 Millionen DM vorgesehen. Dies ist um so erfreulicher, als diese Hilfen ursprünglich nur bis 1994 vorgesehen waren. Diese können gemeinsam - wirklich nur gemeinsam - mit dem verfassungsrechtlich bestätigten internationalen Schiffahrtsregister die Möglichkeit schaffen, deutsche Handelsschiffe unter deutscher Flagge zu betreiben, damit für die Seeleute das deutsche Arbeitsrecht, deutsche Schiffsicherheitsstandards usw. garantiert werden können.
Es ist wirklich schamlos, daß die ÖTV mit Boykottmaßnahmen alles daransetzt, deutsche Schiffe aus der deutschen Flagge fortzutreiben und damit den deutschen Seeleuten den Schutz der deutschen Systeme zu nehmen. Es ist ein Skandal.
Meine Damen und Herren, das Überleben der deutschen Handelsflotte ist auch wichtig für deutsche Werftbetriebe; denn der deutsche Reeder ist der größte Auftraggeber deutscher Werften. Dieser Zusammenhang ist wirklich wichtig und muß gesehen werden.
Als letztes will ich sagen: Wir freuen uns im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit über eine positive Unfallentwicklung. Es gab einen deutlichen Rückgang bei der Zahl der im Jahre 1994 im Straßen-
Dirk Fischer
verkehr Getöteten. Das sind die günstigsten Zahlen seit Beginn der Statistik im Jahre 1953, und das trotz viel mehr Fahrzeugen und trotz gestiegener jährlicher Kilometerleistungen. Ich sage dazu: Gott sei Dank. Wir freuen uns darüber, daß es endlich eine Trendumkehr auch in den neuen Bundesländern gegeben hat. Daran werden wir auch unter dem Haushalt 1995 weiterarbeiten.
Ich komme zum Ende.
Der Verkehrshaushalt 1995 wird trotz schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen seiner verkehrspolitischen, gesamtwirtschaftlichen und umweltpolitischen Verantwortung gerecht.
Wir leisten unseren Beitrag bei der Ausgabenkonsolidierung, aber wir werden den Neu- und Ausbau von Verkehrswegen intensiv fortsetzen. Der Einzelplan 12 ist eine verläßliche Grundlage, um die wichtigen verkehrspolitischen Ziele umzusetzen.
Irgendwer in diesem Lande muß ja noch für das Gedeihen des Landes, für Arbeitsplätze und für eine positive Entwicklung des Standortes Deutschland sorgen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Man kann sich nicht nur in einer Haltung von Fundamentalopposition verweigern. Die Ziele der Regierungskoalition werden umgesetzt, und deswegen bitte ich, dem Einzelplan 12 aus Vernunftgründen die Zustimmung zu geben.
Ich erteile dem Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vieles Richtige zum Haushalt des Bundesverkehrsministeriums ist hier gesagt worden. Es ist in der Tat der zweitgrößte Einzelhaushalt; es ist der größte Investitionshaushalt des Bundes.
Ich möchte zuallererst, weil ich finde, es gebührt den Beteiligten Dank, den Haushaltsberichterstattern - ich betone: aller Seiten - des Haushaltsausschusses für die umsichtige und kluge Arbeit danken. Man spürt: Haushaltsberichterstatter führen meistens das Florett und nicht den schweren Säbel, weil sie die Fakten und Zahlen kennen. Ich danke Ihnen für die Arbeit. Ich danke auch den Mitarbeitern des Verkehrsministeriums für die Arbeit in den letzten Monaten.
Ich sagte gerade: Wer die Zahlen kennt, führt das Florett und nicht den schweren Säbel. Dabei dachte ich an den Kollegen von den GRÜNEN, Herrn Steenblock, dem ich zwar zu seiner Jungfernrede gratuliere, mir allerdings noch den Hinweis erlaube: Halten Sie sich an den Satz von Manfred Rommel: Man kann Politik gegen alle machen, bloß nicht gegen Adam Riese.
Schauen Sie sich einmal, wenn Sie polemisieren, schlicht die nackten Zahlen und Fakten des Haushalts im investiven Bereich an. Vom gesamten Investitionsvolumen 1995 gehen exakt 10 Milliarden DM in die Bahn, exakt 8,6 Milliarden DM in Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen, exakt 1,1 Milliarden DM in die Bundeswasserstraßen und rund 6,3 Milliarden DM in die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Wer da noch behauptet, wir wollten mit Straßenbau Landschaften zubetonieren, der macht Polemik, nimmt aber die Fakten nicht zur Kenntnis, wie wir sie im Verkehrshaushalt ganz offen ausbreiten.
Meine Damen und Herren, zu einem will ich mich hier ganz nachdrücklich bekennen: So wichtig der Ausbau der Infrastruktur gerade im Schienenbereich und - in behutsamem Umfang - im Straßenbereich im Westen ist, Vorrang in diesem ganzen Jahrzehnt wird der weitere Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern haben. Das ist die herausragende gesamtdeutsche Aufgabe, vor der wir uns gemeinsam sehen und die wir auch erfüllen wollen.
Ich nenne zwei konkrete Beispiele - Fakten können nicht betrügen -: Über 50 % der Mittel unseres Fünfjahresplans Straßenbau gehen in die neuen Bundesländer, und von dem soeben vorgelegten Dreijahresplan Schienenbau gehen 60 % der Mittel in die neuen Bundesländer und nach Berlin. Wir nehmen diese Aufgabe weiter ernst. Ich bitte hier um die Unterstützung des ganzen Hauses.
Meine Damen und Herren, wie wichtig wir die Bahnreform, die Stärkung des umweltfreundlichsten Verkehrsträgers, nehmen, können Sie daran sehen, daß im Haushaltsentwurf 1995, wenn Sie alle Investitionen und alle weiteren Mittel für die Bahn und Schiene nehmen, 31,5 Milliarden DM für die Bahn zur Verfügung gestellt werden. Mit anderen Worten: Kein anderer Verkehrsträger hat eine solche öffentliche Aufmerksamkeit und eine solche finanzielle Unterstützung.
Wir tun das ganz einfach deswegen, weil jeder vernünftige Mitbürger weiß: Auch das Auto hat nur eine Perspektive, wenn uns Verkehrsverlagerung gelingt, wenn vom Zuwachs des Verkehrs mehr auf die Schiene geht, wenn in einer behutsamen Weise die Wasserstraßen ausgebaut werden. Wir würden in ei-
Bundesminister Matthias Wissmann
nigen Jahren auf den Straßen durchparken, wenn die Bahn nicht modernisiert wird und wenn die Schiene nicht mehr Verkehr auf sich ziehen kann. Das muß unser Ziel für die Zukunft bleiben.
Deswegen haben wir die Bahnreform durchgesetzt. Deswegen kommen am 1. Januar 1996 die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs und - parallel dazu - das größte Programm zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und des Schienenpersonenverkehrs, das es in dieser Republik je gegeben hat: im ersten Jahr 8,7 Milliarden DM, im zweiten Jahr 12 Milliarden DM, um die Jahrtausendwende fast 17 Milliarden DM Transfer des Bundes an die Regionen, um den Schienenpersonennahverkehr und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Wer da noch behauptet, wir würden diese Verkehre vernachlässigen, der kennt wiederum die Fakten nicht. Ich empfehle schlicht die Lektüre des Haushaltsentwurfs.
Aber, meine Damen und Herren, eines sage ich auch klar - und da mögen wir unterschiedlicher Meinung sein -: Ohne technische Innovation, ohne den Einsatz moderner Verkehrstechnologien werden wir die großen Verkehrsprobleme von heute und morgen nicht lösen können.
Deswegen haben wir als erstes europäisches Verkehrsministerium im Europäischen Ministerrat bewußt die Initiative mit einem strategischen Konzept zur Einführung der Telematik in Deutschland und Europa ergriffen, das natürlich interoperabel und kompatibel sein muß, weil wir wissen: Weder bei der Schiene noch bei der Straße nutzen wir die Kapazitäten genügend aus, sichern wir den Verkehrsfluß, wenn wir nicht moderne Technologien einsetzen.
Ein Beispiel: In diesen Wochen werden die ersten erfolgreichen Pilotprojekte der sogenannten City-Logistik vorgestellt. Durch elektronische Vernetzung und durch ein intelligentes logistisches Konzept soll bei gleichen Transportmengen die Zahl der LKW- Fahrten in die Städte und Gemeinden verringert werden.
Ein anderes Beispiel: In Kassel wird bei gleicher Transportmenge durch Zusammenarbeit der Speditionen und durch den Einsatz moderner Logistikkonzepte die Zahl der Fahrten von 14 auf fünf verringert.
Ein weiteres Beispiel ist der parkplatzsuchende Verkehr, der fast 40 % unseres Verkehrs ausmacht. Wie anders als mit modernem Verkehrsmanagement und intelligenten Verkehrsleitsystemen wollen wir ihn reduzieren und unnötigen Verkehr vermeiden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Sie sehen, daß wir dabei nicht nur an die Straße denken, nehme ich wieder, Herr Kollege Steenblock, schlicht die Fakten. Im Bundeshaushalt - in der Planung der nächsten Jahre - sehen wir allein für das System CIR-ELKE, bei dem an der Strecke Basel-Offenburg eine elektronische Steuerung von Zügen die Steuerung durch den Lockführer ersetzt, über 300 Millionen DM vor. Für den Verkehrsfluß auf den Autobahnen durch Wechselverkehrszeichen sehen wir eine Summe von 138 Millionen DM vor, Wir vernachlässigen auch hier die Schiene nicht.
Meine Damen und Herren, wir wissen ganz genau: Ohne moderne Verkehrstechnologien werden wir der Verkehrsprobleme nicht Herr. Das gilt auch für den Transrapid. Auch da bitte ich einmal, die Scheuklappen beiseite zu legen. Wir wissen heute, daß der Transrapid einen deutlich geringeren Energieverbrauch als das konventionelle Schienensystem hat. Wir wissen, daß der Transrapid eine deutlich geringere Lärmemission als das klassische Schienensystem hat. Es gibt also nicht nur industrie- und verkehrspolitische, es gibt durchaus auch umweltpolitische Gründe, warum dieses Hochgeschwindigkeitssystem in Deutschland eine Perspektive haben muß.
Nicht umsonst haben einige Kollegen der SPD im Haushaltsausschuß - entgegen der Haltung anderer - der Einstellung der ersten 17,5 Millionen DM für den Transrapid in den Haushalt zugestimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, eines muß ich sagen: Als Sie vorhin gesprochen haben, Herr Steenblock, habe ich mich an den Satz erinnert, den nach Zeitungsberichten ein SPD-Kollege im Seeheimer Kreis der SPD an seine Partei gerichtet haben soll. Er soll gesagt haben, das Problem sei, daß die letzte technische Innovation, für die die SPD gewesen sei, der Farbfernseher gewesen sei. Bei Ihnen habe ich den Eindruck, es war das Transistorradio.
Ich kann Ihnen nur raten, diese Einstellung zur technischen Innovation zu verändern und zu verstehen,
daß ein Land mit hohen Lohnkosten, mit hohen Lohnnebenkosten, das auf den Weltmärkten konkurrieren will, das seine Verkehrs- und Umweltprobleme lösen will, auf technische Innovation angewiesen ist. Generelle Bekenntnisse nützen wenig, wenn man sich dann, wenn es konkret wird, in die grüne Nische zurückzieht. Herr Kollege, dann muß man - wie beispielsweise beim Transrapid - Farbe bekennen.
Ich will es ganz deutlich sagen, meine Damen und Herren: Wir setzen nicht nur auf technische Innovation, sondern wir setzen auch auf innovative Finanzierungsinstrumente. 13 Konzessionsmodelle der Privatfinanzierung sind mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen und der SPD im Haushaltsausschuß beschlossen worden, darunter auch das wichtige Schienenprojekt Nürnberg-Ingolstadt-München.
Bundesminister Matthias Wissmann
Natürlich wissen wir, daß die Finanzierung nach dem Konzessionsverfahren nur ein Teil einer sinnvollen Privatfinanzierungsstrategie sein kann und daß wir direkte Privatfinanzierung durch Betreibermodelle auf Dauer noch stärker zum Durchbruch bringen werden.
Nehmen Sie - das empfehle ich Ihnen, Herr Kollege - auch hier wieder die Fakten! Nehmen Sie die Ausschreibung der Warnow-Querung. Es kann sehr gut sein, daß wir mit der Warnow-Querung ein erstes Betreibermodell in Deutschland verwirklichen.
Warum sollen beim Straßenbau in Deutschland Betreibermodelle nicht selbstverständlicher werden, so wie auch anderswo in Europa?
Ich bitte, auch hier die Scheuklappen abzulegen. Privatfinanzierung nach dem Konzessionsmodell oder nach Betreibermodellen ist in Europa überall selbstverständlich: in Italien, in Frankreich, in vielen anderen europäischen Ländern. Warum soll der Einsatz solcher Finanzierungsinstrumente nicht auch in Deutschland behutsam eingesetzt werden?
Meine Damen und Herren, Sie sehen, im Verkehrshaushalt ist ein großes Maß an Stetigkeit und Verläßlichkeit,
aber auch ein großes Maß an Innovation.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalition im Haushalts- und Verkehrsausschuß für die Unterstützung dieser Politik. Es ist keine Politik des kleinsten gemeinschaftlichen Vielfachen. Es ist eine Politik, die auch den Mut hat, für Projekte einzustehen, wenn es im Wind stürmisch wird. Ich glaube, nicht derjenige, der bei jedem Verkehrsprojekt vor Schwierigkeiten in die Knie geht, macht auf Dauer vernünftige Wirtschafts- und Umweltpolitik, sondern der, der auch in schwierigen Zeiten für eine verantwortliche Verkehrs- und Umweltpolitik steht.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12, Bundesministerium für Verkehr. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, drei Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/972 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zu den Änderungsanträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/879? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/880? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/923? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/962? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 12 ist mit der Mehrheit der Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und PDS angenommen.
Die Kollegen, die an der Beratung des Einzelplans 13 nicht mehr teilzunehmen wünschen, bitte ich, den anderen möglichst rasch Platz zu machen.
Ich rufe auf: Einzelplan 13
Bundesministerium für Post und Telekommunikation
- Drucksachen 13/513, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein
Jürgen Koppelin Gerhard Rübenkönig
Antje Hermenau
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die. Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle gen Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß wir heute anläßlich der Beratung des Bundeshaushalts endlich eine Grundsatzdebatte zu den wichtigen Herausforderungen im Bereich von Post und Telekommunikation führen.
Hans Martin Bury
Noch immer wird die Bedeutung des Themas in Deutschland in sträflicher Weise unterschätzt.
Ich stimme dem US-Vizepräsidenten Al Gore zu, der in seiner Rede vor der International Telecommunications Union in Buenos Aires folgendes gesagt hat:
Die Länder, die im 21. Jahrhundert wachsen und gedeihen werden, werden jene Länder sein, die im Bereich Telekommunikation eine klare Strategie und Politik verfolgen und die Gesetze schaffen, die ihren Bürgern einen breiten Zugang zu Informationsdiensten eröffnen.
Die anstehenden Entscheidungen, die in diesem Parlament insbesondere hinsichtlich der bevorstehenden Marktöffnung im Bereich der Telekommunikation, aber auch der Post zu treffen sein werden, werden tiefgreifende wirtschafts-, gesellschafts-, Industrie- und strukturpolitische Auswirkungen auf unser Land haben.
Ab 1. Januar 1998 soll auf Beschluß des Europäischen Ministerrats das Netz- und Sprachmonopol der Telekom fallen. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen rechtzeitig die Rahmenbedingungen für den dann offenen Telekommunikationsmarkt festgelegt werden. Ein entsprechendes Regulierungsgesetz muß noch 1996 vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden, damit auf dessen Grundlage im Jahre 1997 Lizenzen für Wettbewerber im Telekommunikationsmarkt vergeben werden, die dann 1998 tätig werden können. Auch im Postbereich wird in Kürze mit einer weiteren Marktöffnung zu rechnen sein, die wir politisch gestalten müssen.
Meine Damen und Herren, im Rahmen der Postreform II sind die ordnungspolitischen Entscheidungen im Hinblick auf die künftige Marktstruktur ausgespart worden. Der Telekom AG und der Post AG wurden die bestehenden Monopole bis Ende 1997 gesetzlich verliehen. Damit erhielten die Unternehmen einen klaren, rechtlich verbindlichen Vertrauensschutz. Mit anderen Worten: Vor 1998 wird es keinen Eingriff in den Kernbereich dieser Monopole geben. Die Postunternehmen, die erhebliche Altlasten zu bewältigen haben und vor gravierenden beschäftigungspolitischen Herausforderungen stehen, brauchen diesen Anpassungszeitraum, um sich auf die neue Marktsituation vorbereiten zu können.
Diese grundsätzliche Feststellung halte ich im Hinblick auf die Diskussion über vorzeitige Marktöffnungen, über die in besonderen Einzelfällen zu diskutieren sein wird, für notwendig. Voraussetzung für eine Diskussion und Entscheidung ist in jedem Fall ein Grundkonsens über das Wettbewerbs- und Regulierungsmodell für die Zeit ab 1998.
Meine Damen und Herren, der ordnungspolitische und rechtliche Rahmen, den wir zu erarbeiten und im Deutschen Bundestag zu verabschieden haben, betrifft einen der bedeutendsten Sektoren unserer Volkswirtschaft. Information und Kommunikation werden zunehmend zu entscheidenden Erfolgsfaktoren für den Standort Deutschland. Hier entstehen neue Märkte, Schlüsseltechnologien und Dienstleistungsangebote, die für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft ausschlaggebend sind. Unsere wirtschaftliche Zukunft und damit vor allem auch die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze werden entscheidend davon abhängen, ob es uns gelingt, bei den Zukunftstechnologien und den darauf aufbauenden Diensten und Anwendungen im Informations- und Kommunikationsbereich eine führende Rolle einzunehmen.
Der Telekommunikationssektor gehört zu den dynamischen Märkten, die weltweit am schnellsten wachsen. Umsatz und Beschäftigtenzahl in der Kommunikations- und Medienbranche werden voraussichtlich schon in wenigen Jahren höher sein als in der Automobilindustrie.
- Sehr wohl. - Multimedia, Interaktivität, Information Highways sind Schlagworte, die die zukünftige Entwicklung skizzieren. Das Zusammenwachsen von Telefon, Computer und Fernsehen und der Auf- und Ausbau von digitalen Hochgeschwindigkeitsnetzen, die gewaltige Informationsmengen übertragen können, ermöglichen interaktive Dienstleistungen, die heute erst in Ansätzen erkennbar sind. Es geht dabei nicht nur um die Übertragung weiterer Fernsehprogramme, sondern um völlig neuartige Angebote, z. B. im Bereich der Information, des Handels, der Produktion und der Arbeitswelt, des Gesundheitswesens, der Bildung und Freizeit, die nachhaltigen Einfluß auf unser privates und berufliches Leben haben werden.
Herr Kollege Bury, darf ich Sie einen Moment unterbrechen?
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Form der Unruhe, die sich an den Äußerungen des jeweiligen Redners entzündet und ihn im Regelfall beflügelt, und es gibt eine Form der Unruhe, die sich darin manifestiert, daß man vom Redner überhaupt keine Kenntnis nimmt und eine ganze Serie von Nebengesprächen führt, was viel störender ist. Ich bitte also, entweder dem Redner zuzuhören, auf ihn zu reagieren oder Gespräche, die Sie führen wollen, außerhalb des Saales zu führen.
Bitte fahren Sie fort.
Vielen Dank, Herr Präsident, daß Sie die Ignoranz auf der rechten Seite des Hauses noch einmal zum Ausdruck gebracht haben.
Das ist unser zentrales Problem in Deutschland in der Debatte über Informations- und Kommunikationstechnologien.
- Ich freue mich, daß Sie aufgewacht sind.
Herr Kollege Bury, Sie sollten diesen Versuch von mir, Ihnen Aufmerksamkeit zu verschaffen, nun nicht parteipolitisch oder fraktionsmäßig nutzen.
Herr Präsident, wo Sie recht haben, haben Sie recht. Ich freue mich, daß die Kollegen wach geworden sind.
In den USA, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat die Ankündigung von Präsident Clinton zum flächendeckenden Ausbau von Data-Highways, die wegen ihrer industriepolitischen Bedeutung massiv mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollen, für Furore gesorgt. - Der deutsche Bundeskanzler ist so weit wie Sie: Der denkt bei Data-Highways an den Stau auf der Asphaltstraße. Aber das war das Thema des vorigen Einzelplanes. -
In den USA schließen sich in diesem Zusammenhang Fernmelde- und Kabelgesellschaften, Software- und Unterhaltungselektronikunternehmen, Filmstudios, Verlage, TV-Anstalten und Versandhäuser zusammen, gehen Kooperationen und strategische Allianzen ein, um sich Know-how und Zugang zu den künftigen Märkten zu sichern und zu erschließen.
Wir können uns nicht erlauben, den Anschluß an die technologische Entwicklung zu verschlafen, wenn neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland entstehen sollen.
Angesichts der strategischen Bedeutung muß der Staat die Entwicklung im Bereich Multimedia aktiv gestalten und technologische Innovationen unterstützen.
Meine Damen und Herren, es wird einige Zeit dauern, bis die entsprechenden Endgeräte und die notwendige benutzerfreundliche Software für dieses multimediale Zeitalter ausgereift zur Verfügung stehen, und nicht jede technische Spielerei wird einen breiten Markt finden. Ich füge hinzu: Es wird auch nicht alles technisch Machbare gesellschaftlich wünschenswert sein.
Während über die Perspektiven der technischen Basis für die Multimedia-Infrastruktur weitgehend Klarheit besteht, herrscht große Unsicherheit darüber, welche neuen multimedialen Dienste kommerziell erfolgreich sein werden und von einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern als erwünscht und als Bereicherung ihres Lebens angesehen werden. Es muß deshalb vorrangig im Dialog mit den potentiellen Nutzern geklärt werden, für welche Dienstleistungen ein Bedarf besteht und welche Infrastrukturen dafür geschaffen werden müssen. Deshalb ist es gut, daß - beispielsweise in Baden-Württemberg - die Breite möglicher künftiger Multimediadienste in Pilotprojekten erprobt wird.
- Das macht Spöri, selbstverständlich. - Diese Erprobung muß mit einem Dialog über Chancen und Risiken von Multimedia verbunden werden, der sich mit den gesellschaftspolitischen Auswirkungen und den möglichen sozialen und kulturellen Veränderungen auseinandersetzt. Dabei muß - sorgfältiger als bisher - auch über Probleme und entsprechenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf diskutiert werden. Meine Fraktion hat deshalb beschlossen, eine Grolle Anfrage im Deutschen Bundestag einzubringen, um diesen Dialog zu forcieren und erstmals im Deutschen Bundestag in aller Breite über das Thema Multimedia zu debattieren.
Der Bundesminister für Post und Telekommunikation hat am Montag dieser Woche seine Eckpunkte zur Öffnung des Telekommunikationsmarktes, die Grundlage für ein Regulierungsgesetz sein sollen, vorgelegt. Goldgräber und Glücksritter sind demnach bei der Bundesregierung gut aufgehoben. Denn in ihren Eckpunkten ist u. a. vorgesehen, eine flächendeckende Grundversorgung als Auflage nur für marktbeherrschende Unternehmen vorzuschreiben, Unternehmen, die nicht marktbeherrschend sind, faktisch keiner Regulierung zu unterwerfen und Telefonlizenzen auch für einzelne Regionen, Städte oder Ballungsräume zu vergeben.
Diese Eckpunkte sind nach unserer Auffassung völlig unzureichend. Ihre Verwirklichung würde dazu führen, daß auf unabsehbare Zeit allein die Telekom AG reguliert und mit Infrastrukturauflagen versehen würde,
während sich ihre potentiellen Konkurrenten hei den Verbindungen und im Telefondienst völlig frei von Verpflichtungen bewegen könnten und ausschließlich lukrative Teile des Marktes heraussuchen könn-
Hans Martin Bury
ten. Eine solche Regelung widerspricht eklatant allen Geboten eines fairen Wettbewerbs, zumal es sich bei den möglichen Wettbewerbern um finanzstarke in-und ausländische Konzerne handelt.
Für die SPD sind diese Eckpunkte, die einen asymmetrischen, ja völlig schiefen Wettbewerbsrahmen festlegen, nicht akzeptabel.
Wir wollen einen fairen Wettbewerb, der allen Verbrauchern zugute kommt. Dazu bedarf es klarer Regeln für den Marktzugang und für einen funktionierenden, qualitativ hochwertigen Wettbewerb sowie klarer Vorgaben für die Bereitstellung von Infrastrukturleistungen. Denn wir wollen eine wirtschaftlich starke und technisch innovative Telekom, deren Börsengang nicht gefährdet wird, und keine Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft.
Die SPD ist für das Ordnungsprinzip des Wettbewerbs. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die wesentlichen Initiativen im Deutschen Bundestag zur Bekämpfung der Konzentration in der Wirtschaft, zur Verschärfung der Fusionskontrolle oder zur Bekämpfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen von der SPD-Bundestagsfraktion bzw. sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen initiiert und verwirklicht worden sind. Wettbewerb kann seine positiven Wirkungen aber nur entfalten, wenn er funktioniert. Dazu sind klare Regeln erforderlich, mit denen sowohl der Mißbrauch von Marktmacht unterbunden wird als auch Wettbewerbsverzerrungen, z. B. durch einseitige Belastungen einzelner Marktteilnehmer, verhindert werden.
Die Eckpunkte des Bundesministers für Post und Telekommunikation genügen diesen Anforderungen nicht. Seine Absicht, nur marktbeherrschende Unternehmen bzw. Unternehmen mit einem Marktanteil von Tiber 25 % mit belastenden Auflagen zur Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen zu versehen, führt zu gravierenden Verfälschungen des Wettbewerbs. In der Praxis bedeutet das, daß allein die Telekom AG auf unabsehbare Zeit reguliert und mit Infrastrukturauflagen belastet werden soll. Alle anderen Marktteilnehmer sollen dagegen frei darüber entscheiden, wo und wie sie welche Telekommunikationsdienstleistungen einschließlich des Telefondienstes anbieten.
Es liegt auf der Hand, daß dieser Zustand auf Dauer angelegt wäre. Denn welches Unternehmen sollte überhaupt ein Interesse daran haben, einen Marktanteil von über 25 % anzustreben, um sich im Gegenzug dazu belastende Auflagen einzuhandeln? Denn das besonders gewinnbringende Geschäft mit
lukrativen Kunden und Regionen wird in einem Marktsegment abgewickelt, das deutlich unter 25 % liegt. Sie brauchen sich dazu nur die Entwicklungen in den USA und in Großbritannien anzuschauen.
Ich benutze den Begriff des Rosinenpickens nicht gerne; aber hier ist er angebracht, weil er voll und ganz zutrifft. Wer sich nicht mehr als zwei Stücke vom Telekommunikationskuchen abschneidet, darf sich aus dem ganzen Kuchen noch die Rosinen stehlen. Wir werden uns dafür einsetzen, daß diese unangemessene, einseitige Belastung der Telekom AG im Interesse eines fairen Wettbewerbs nicht zum Tragen kommt.
Zu einem fairen Wettbewerb gehört für uns im übrigen auch, daß Energieversorgungsunternehmen, die sich im Verbund mit kapitalstarken in- und ausländischen Konzernen als potentielle Wettbewerber der Telekom formieren, ihre laufenden Aktivitäten im Telekommunikationsbereich nicht durch Einnahmen aus Monopolen für die Energieversorgung quersubventionieren. Ich hielte es unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten zumindest für pikant, ausgerechnet für diejenigen Unternehmen praktisch unreguliert den Markt öffnen zu wollen, die ihrerseits Milliardengewinne aus den Monopolen für die Energieversorgung erwirtschaften und diese zur Diversifikation ihrer Geschäftsbereiche verwenden statt für eine zukunftsfähige Energieversorgung.
Meine Damen und Herren, Markt und Wettbewerb allein können nicht immer sicherstellen, daß gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich erwünschte Zielsetzungen verwirklicht werden. Dies gilt z. B. im Hinblick auf den grundgesetzlich festgeschriebenen Infrastrukturauftrag zur Sicherung eines flächendekkenden, angemessenen und ausreichenden Dienstleistungsangebotes im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation, für den der Staat die Verantwortung trägt.
Wir wollen deshalb, daß die Gewährleistung einer angemessenen Infrastruktur durch klare Lizenzbestimmungen geregelt wird. Dies kann vor allem durch verbindliche Auflagen, z. B. für die flächendeckende Bereitstellung von Netzen und Diensten, vorgenommen werden. Für den künftigen Universaldienst im Telekommunikationsbereich, der ein bestimmtes Angebot an Dienstleistungen umfassen soll und zu dem im Kern der Telefondienst gehört, muß nach unserer Auffassung ein flächendeckendes Angebot vorgeschrieben werden. Die in den Eckpunkten des Bundespostministers vorgesehenen „Insellösungen" für das Angebot im Telefondienst, die Wettbewerbern die Möglichkeit eröffnen würden, den Telefondienst nur in besonders lukrativen Bereichen zu betreiben, lehnen wir ab.
Im Bereich der Netzinfrastruktur muß nach unserer Auffassung eine Option vorgesehen werden, mit der Netzbetreiber dazu verpflichtet werden können, auch eine breitbandige Kommunikation im Rahmen einer Universaldienstverpflichtung zu ermöglichen.
Hans Martin Bury
Eine breitbandige Telekommunikationsinfrastruktur ist die Voraussetzung für einen wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreichen Einstieg in die Informationsgesellschaft.
Eine Beschränkung auf schmalbandige Kommunikation, wie Sie sie überlegen, wäre weder unter ökonomischen Gesichtspunkten noch unter den Aspekten von chancengleichem Zugang zu Informationen, Pluralismus und Meinungsfreiheit sinnvoll. Ich freue mich, daß wir auch zu später Stunde noch in der Debatte Kollegen der Koalitionsfraktionen überzeugen können.
Meine Damen und Herren, nicht diskriminierende Wettbewerbsbedingungen und gleichverpflichtende Infrastrukturauflagen für alle relevanten Marktteilnehmer sind nicht nur aus Fairneßgründen notwendig. Sie sind auch die Voraussetzung dafür, daß sich die Telekom AG als eine der grollen internationalen Kommunikationsgesellschaften im weltweiten Wettbewerb bewähren und zu einem führenden „global player" entwickeln kann.
Es liegt in unserem unmittelbaren volkswirtschaftlichen Interesse, daß die Telekom AG sich auf dem Weltmarkt erfolgreich behauptet.
Eine wirtschaftlich starke und technisch leistungsfähige Telekom AG ist nicht nur für den engeren Bereich der Netzinfrastruktur und der Telekommunikationsdienstleistungen von großer Bedeutung. Sie ist gleichermaßen als Auftraggeber, Nachfrager und Partner nachgelagerter Industrie- und Dienstleistungsbereiche, die Hard- und Software im Kommunikationsbereich entwickeln und herstellen, unverzichtbar. Eine wirtschaftlich und finanziell gefährdete Telekom würde der deutschen Volkswirtschaft schaden. Wir sind auch deshalb gegen unangemessene einseitige Regulierungsmaßnahmen.
Sowohl übermäßige asymmetrische Belastungen als auch vorgezogene gravierende Liberalisierungsschritte hätten insbesondere auf den für 1996 vorgesehenen Börsengang und die Beschäftigungsentwicklung der Telekom erhebliche negative Auswirkungen. Die wirtschaftliche und finanzielle Schwächung würde zu einer deutlichen Reduzierung des angestrebten Emissionskurses und damit zu einer spürbaren Verringerung der angestrebten Aufstokkung des Eigenkapitals führen. Damit wäre ein zentrales Ziel der zweiten Postreform substantiell gefährdet.
Die Eckpunkte des Bundespostministers sind unter diesem Gesichtspunkt geradezu geschäftsschädigend.
Herr Bötsch, Sie müssen aufpassen, daß Sie nicht bald als „Bundesminister gegen Post und Telekom" firmieren,
Meine Damen und Herren, die vom Bundespostminister vorgelegten Punkte erfüllen unsere Anforderungen an einen verläßlichen, fairen Wettbewerbsrahmen für den offenen Telekommunikationsmarkt nicht. Sein Wettbewerbsmodell ist nicht nur asymmetrisch, sondern schief. Wir werden uns bemühen, auf der Grundlage der von mir hier vorgetragenen Eckpunkte dieses Wettbewerbsmodell vor der Formulierung der Gesetzentwürfe geradezurücken.
Ich hoffe sehr, daß der Minister aufgeschlossen in die jetzt anstehenden interfraktionellen Gespräche über die Eckpunkte hineingeht und ergebnisorientiert mit uns verhandelt. Es liegt im volkswirtschaftlichen Interesse, für einen so wichtigen Bereich wie den Telekommunikationsmarkt einen breiten politischen Konsens über die Rahmenbedingungen anzu- streben. Sowohl die Telekom AG als auch potentielle Wettbewerber und ihre Kunden brauchen verläßliche Regeln. Nur dann haben sie die notwendige Planungssicherheit.
Wir werden uns in dieser Legislaturperiode nicht nur mit Liberalisierungsfragen des Telekommunikationsmarktes, sondern auch des Postmarktes zu beschäftigen haben. Grundlage für eine Marktöffnung im Postbereich ist u. a. das Grünbuch der EU-Kommission. Dessen allgemeine Zielsetzung, in allen Mitgliedsstaaten qualitativ gute, zuverlässige, flächendeckende Postdienstleistungen sicherzustellen, die zu tragbaren Preisen leicht zugänglich angeboten werden sollen, wird von uns unterstützt. Bei der Umsetzung dieser Zielsetzungen wird es jedoch entscheidend darauf ankommen, wie dieser Universaldienst, also die Infrastrukturleistungen, aussehen und wie er finanziert werden soll.
Insgesamt darf die Marktöffnung im Postbereich kein Stückwerk sein. Notwendig ist, wie in der Telekommunikation, ein geschlossener, konsistenter Ordnungsrahmen. Wir sollten dabei behutsam und im europäischen Gleichklang vorgehen.
Für alle „Liberalisierungsschritte", die der Postminister vor 1998 vorzunehmen gedenkt, ist auch der Regulierungsrat zuständig.
- Die F.D.P. werden wir dazu nicht brauchen.
Alle Schritte zu einer vorherigen Marktöffnung bedürfen der Zustimmung des Regulierungsrats. Ich halte dies mit Blick auf die leidige Diskussion über die Freigabe der Infopost ab 250 Gramm für einen großen Fortschritt. Wir werden im Regulierungsrat gemeinsam mit den Ländern darauf achten, daß Li-
Hans Martin Bury
zenzen nur mit klaren Auflagen hinsichtlich Flächendeckung, Kontrahierungszwang, Qualität der Dienstleistungen etc. vergeben werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Abschluß noch eine kurze Bemerkung zum Vertriebsverbund von Post und Postbank machen. Bekanntlich hat es hier Irritationen auf Grund kritischer Anmerkungen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen im Hinblick auf die Weisungsbefugnisse für die Mitarbeiter im Schalterdienst gegeben.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Rahmen der Postreform II mit Nachdruck deutlich gemacht, daß sie eine Zusammenarbeit zwischen Postdienst und Postbank als notwendige Voraussetzung für eine flächendeckende Versorgung mit Dienstleistungen der beiden Unternehmen betrachtet.
Die Notwendigkeit des Vertriebsverbundes, Herr Kollege, wird ausdrücklich in einer einstimmig angenommenen Entschließung des Deutschen Bundestages bekräftigt. Ich weiß aber nicht, ob Sie bei der Abstimmung wach waren.
Wir stehen zu dieser Aussage und erwarten, daß Postdienst und Postbank tragfähige Lösungen für eine weitere, wie ich hoffe, erfolgreiche Zusammenarbeit im Hinblick auf die Kritik des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen entwickeln.
Hier ist auch die Bundesregierung gefordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist deutlich geworden, daß wir noch große Aufgaben zu bewältigen haben. Unsere Entscheidungen in dieser Wahlperiode sind von enormer Tragweite. Deshalb müssen sie auch tragfähig sein; da ist noch einiges zu tun. Lassen Sie uns an die Arbeit gehen!
Meine Damen und Herren, vorhin, während der Abstimmung, hatte sich der Kollege Karl Diller zur Geschäftsordnung gemeldet. Ich weise darauf hin, daß auch zur Geschäftsordnung während der Abstimmung nicht das Wort erteilt werden darf.
Im übrigen handelte es sich nicht um einen Geschäftsordnungsantrag, sondern um den Hinweis - ich gebe dies hiermit zur Kenntnis und setze voraus, daß dies allgemein akzeptiert wird -, daß sich die SPD-Fraktion bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/879 in der Drucksachennummer verguckt hat und sich eigentlich der Stimme enthalten wollte. So etwas kommt im Zuge der Geschäfte einer Haushaltsdebatte immer wieder vor. Ich finde, wir sollten das zur Kenntnis nehmen und im Protokoll entsprechend vermerken.
Als nächstem erteile ich jetzt unserem Kollegen Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten, lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Bury, Sie haben heute abend einen kleinen Fanclub mitgebracht, eine Viererbande, die hin und wieder geklatscht hat. Die anderen haben gar nicht verstanden, was Sie während Ihrer gesamten 21minütigen Rede gesagt haben.
Ich bin erstaunt, daß Ihr haushaltspolitischer Sprecher für den Einzelplan 13 überhaupt nicht anwesend ist. Mit ihm hatten wir - das muß ich fairerweise sagen - in vielen Dingen einen ausgesprochen guten Konsens.
Ich möchte mich bei allen Mitberichterstattern herzlich dafür bedanken, daß wir gemeinsam den Einzelplan 13 ohne große Widersprüche der Opposition verabschiedet haben.
Ich möchte, lieber Herr Minister, Ihnen und Ihrem ganzen Hause ganz herzlich für die konstruktive und gute Zusammenarbeit danken. Ich bitte Sie, diesen Dank Ihrem Hause weiterzuleiten.
Sicherlich gibt es in der Koalition und Opposition in einigen Teilen Änderungswünsche. Aber im Endeffekt haben wir uns geeinigt, und der gesamte Einzelplan ist beiderseitig akzeptiert worden.
Drei entscheidende Faktoren hatten bei den Beratungen eine große Bedeutung: erstens das weitere Vorantreiben der Privatisierung, zweitens die Schwierigkeit - ich glaube, das ist das Entscheidende -, ein aufzulösendes Ministerium bis zum Endpunkt dennoch funktionsfähig zu halten, und drittens das gleichzeitige Bestreben, den Bundeshaushalt zu konsolidieren.
Nach der Gründung der Aktiengesellschaften Deutsche Post, Telekom und Deutsche Postbank im letzten Jahr in Köln richtet sich jetzt der Blick auf die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für den Einstieg in einen geordneten Wettbewerb während der
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
vor uns liegenden drei Jahre. Die Befristung bis zum 31. Dezember 1997 entspricht unserer politischen Willensbildung und steht auch zugleich im Einklang mit der Europäischen Union
- so ist es, lieber Arne Börnsen - im Hinblick auf die Öffnung der Märkte der Telekommunikation und der Post.
Mit dem Abschluß der Parlamentsberatungen zur Postreform II war die Arbeit des Postministeriums natürlich nicht abgeschlossen. Vollendung der Postreform II heißt nämlich Erarbeiten der vielen Rechtsverordnungen, die auch noch in verschiedenen Gremien behandelt werden müssen. Vollendung der Postreform II heißt aber auch Erarbeiten der Gesetzesregelungen für die Zeit nach 1997, und zwar parallel zu den genannten Rechtsverordnungen. Vollendung der Postreform heißt schließlich auch Erarbeiten eines völlig neuen Regulierungssystems.
An allen Ecken und Enden sind also neu entstehende Herausforderungen zu erkennen, die auch aktiv aufgegriffen und finanziell so ausgerüstet werden müssen, daß alles erledigt werden kann.
Ich glaube, lieber Herr Postminister, hier haben wir den Haushalt so bestückt, daß Sie all die Dinge, die von großer Wichtigkeit sind, bestreiten können, nämlich Beiträge an internationale Organisationen, Kosten für Sachverständige. Herr Kollege Arne Börnsen, unser Ausschußvorsitzender, legt ja äußerst großen Wert darauf und ist häufig, wie ich weiß, in Amerika. Ich werde gleich noch etwas dazu sagen.
Dazu gehören auch Kosten für internationale Tagungen und Konferenzen, die du sicherlich in Anspruch nehmen wirst.
Wir haben meines Erachtens auch für den Regulierungsrat in angemessenem Rahmen Geldmittel zur Verfügung gestellt.
Er hat, wenn ich richtig informiert bin, diesen Montag schon zum erstenmal getagt
und hat sicherlich auch schon maßgebliche Entscheidungen getroffen.
- Meine Fraktion hat wie die Ihrige, lieber Kollege Arne Börnsen, gewisse Bauchschmerzen gehabt,
aber inzwischen haben wir uns einigen können.
Entscheidend ist meines Erachtens aber eine Position, die von Wichtigkeit ist, und zwar sind das die Gelder, die wir für die Ausbildung, Fortbildung und Umschulung wichtiger Mitarbeiter zur Verfügung gestellt haben, die in Anbetracht der Verkleinerung des Postministeriums ausscheiden müssen.
Daß wir mit der Privatisierung und dem vom Bundespostminister Wolfgang Bötsch am Montag in Bonn vorgelegten Eckpunktepapier zur Liberalisierung des deutschen Telekommunikationsmarktes richtig liegen, beweisen viele positive Stimmen, die man zur Zeit in den Medien lesen kann.
- Herr Bury, ich glaube, Sie haben in den letzten Tagen vergessen, Zeitungen zu lesen und Fernsehinterviews zu hören. Alle in der Bundesrepublik haben sich klar und deutlich positiv über diese Maßnahme ausgesprochen.
Sie als Arbeitsgruppenvorsitzender sollten sich lieber informieren, bevor Sie solche Aussagen wie vorhin machen.
- Das werden wir feststellen, Herr Börnsen.
Hiermit sind die richtigen ordnungspolitischen Signale in die Informationsgesellschaft gesetzt. Sicherlich haben zur Zeit Großbritannien, Amerika, Japan und vielleicht auch einige andere Länder einen gewissen Vorsprung.
- Bist du da gewesen? - Aber der jetzige Ministerentwurf bietet gute Ansatzpunkte, um Anschluß an das internationale Niveau zu finden.
Um alle soeben genannten Erkenntnisse durchzusetzen, brauchen wir natürlich hochmotivierte, qualifizierte Mitarbeiter im Ministerium. Bei den Vorgesprächen im Ministerium gab es natürlich gravierende Auseinandersetzungen auch mit dem Finanz-
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
ministerium und mit dem Bundesrechnungshof - das muß ich klar und deutlich sagen -; denn der Bundesrechnungshof hatte vor, weit über 100 Mitarbeiterpositionen im Postministerium zu streichen.
Ich glaube, mit der Regelung, die wir jetzt getroffen haben, nämlich im Jahre 1995 26 Stellen und in den folgenden Jahren 1996 und 1997 jeweils 15 Stellen zu streichen, kann das Ministerium gut leben. Die Streichungen der Planstellen gelten nur für das jeweilige Jahr. Das muß klar und deutlich gesagt werden, weil wir diese Position in der Bereinigungssitzung nicht klären konnten.
Neben diesen Kürzungen halten wir auch die einprozentige Personalkürzung, die die jetzige Bundesregierung festgelegt hat, ein. Ich freue mich, daß es allen Mitberichterstattern gelungen ist, einen Konsens zu finden, den Personalabbau so zu regeln, daß - -
- Du hast sicherlich feststellen können, daß noch so viele Personen da sind, daß gute Gesetze noch ordnungsgemäß vorbereitet werden können. Das wird der Vorsitzende des Ausschusses für Post und Telekommunikation, Arne Börnsen, sicherlich auch in Zukunft feststellen,
Für mich war die Personalfürsorge ein großes Problem. Viele Mitarbeiter in diesem haus machen sich Sorgen um ihre Zukunft und orientieren sich neu. Ich habe in vielen Gesprächen im Haus feststellen können, daß viele von ihnen vorzeitig das Haus verlassen, um in den drei neugegründeten Post-Aktiengesellschaften eine neue Anstellung zu bekommen. Häufig ist es so, daß gerade die besten Leute als erste das Haus verlassen. Ich hoffe trotzdem, daß die übriggebliebenen ihre Arbeit genausogut machen.
Ich darf als dritten Punkt die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ansprechen. Sie wissen, daß es uns sehr schwerfällt, für 1996 weitere drastische Maßnahmen der Kürzung vorzunehmen. Aber mit dem Haushalt 1996 werden wir uns dann beschäftigen, wenn uns die Regierung im Herbst den neuen Einzelplan vorlegt.
Ich darf mich herzlich bedanken.
Herr Kollege Börnsen, wenn ich dem Kollegen von hammerstein wieder
einmal das Wort erteilen muß, dann werde ich es Ihnen, glaube ich, gleich mit erteilen; dann können Sie im Couplet hier auftreten.
Als nächstes hat der Kollege Dr. Manuel Kiper das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist natürlich keine Jungfernrede; das ist nicht einmal eine „Jungmannrede". Vielmehr ist das hier der normale Alltag eines Abgeordneten. Nachts, 23.50 Uhr, sind wir hier im Plenum und sollen uns noch an so wichtigen Fragen abarbeiten.
Der Kollege Hammerstein hat die Aufmerksamkeit ein wenig auf das gelenkt, worum es heute eigentlich geht: die Haushaltsplanberatungen.
Kollege Bötsch, Sie sind ja die allgemeine Sparbüchse dieses Haushalts geworden. Selbst wir von seiten der GRÜNEN haben, wenn ich richtig informiert bin, keine Einwände dagegen gehabt, daß bei Ihnen im Haushalt des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation gespart wurde. Sie sind ja sowieso abgängig. Aber natürlich verbleiben die Probleme der Post.
Wir möchten hier doch wenigstens einmal betroffen anmerken, daß einige Aufgaben, die eigentlich auch über Haushaltstitel gelöst werden müßten, aber nun nicht mehr in Ihre Zuständigkeit fallen - ich denke beispielsweise an die Verseuchung von ungefähr 200 Stellen der Telekom durch PCB -, natürlich noch enorme Geldmittel verlangen, die im Augenblick nicht zur Verfügung gestellt werden. Das ist heute außerhalb der Reichweite dessen, was wir im Zusammenhang mit dem Haushaltsplan zu beraten haben, weil Sie, Herr Bötsch - ich möchte das noch einmal ansprechen -, ja eigentlich abgängig sind. Es geht hier tim die Abwicklung Ihres Bundesministeriums.
Ich hin dem Kollegen Bury dankbar, daß er die Gelegenheit genutzt hat, hier wenigstens einmal eine Grundsatzdebatte über das zu führen, worum es heute eigentlich bei Post und Telekommunikation geht, wenn wir schon nicht. um den Haushalt streiten: die Informationsgesellschaft. Der G-7-Gipfel hat es zum Programm erklärt. Selbst der Innovationsrat bei unserem verehrten Herrn Bundeskanzler, der ja um diese Uhrzeit absent ist, hat es zum wesentlichen Programmpunkt erhoben, über die Informationsgesellschaft zu philosophieren.
Es ist in der Tat auch sehr wichtig, daß wir uns darüber verständigen und die Informationsgesellschaft
Dr. Manuel Kiper
nicht länger verkürzt behandeln. Ich meine die verkürzte Behandlung der Informationsgesellschaft, wie es Herr Bury und eigentlich die gesamte SPD-Fraktion, besonders aber die Koalitionsfraktionen gewöhnlich tun. Da wird von 100 Milliarden, 200 Milliarden an Umsätzen, von 2 Millionen, 10 Millionen, 20 Millionen Arbeitsplätzen für die nächsten Jahre geredet. Das sind doch alles Märchen.
Schminken Sie sich das ab! Darum geht es überhaupt nicht. Diese Multimedia-Geschichten können Sie sich weiß ich wohin schmieren.
Das sind überhaupt nicht die entscheidenden Fragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier um die Informationsgesellschaft. Das, was wir heute aus Nordrhein-Westfalen erfahren, ist genauso beschämend wie das, was wir in Baden-Württemberg bei Herrn Spöri erleben. Überall wird auf Multimedia gesetzt, und es soll ein bißchen Video on demand herausgekitzelt werden, als ob man damit die Herausforderungen der Zukunft bestehen könnte.
- Ja, die Pilotversuche in Nordrhein-Westfalen: Nordrhein-Westfalen möchte auch viele öffentliche Mittel dafür ausgeben.
- Ja, auch in Baden-Württemberg; natürlich, 4 000 Beschäftigte.
- Ich bin doch ein bißchen informiert. Herr Bury, machen Sie mir hier doch nichts vor! Sie sind anscheinend noch nicht einmal darüber informiert, daß das Technologiefolgenabschätzungsbüro des Deutschen Bundestages inzwischen eine Vorstudie über die Technikfolgen der Informationsgesellschaft und von Multimedia hat. Wenn Sie hier eine Große Anfrage stellen, dann machen Sie es doch. Wir haben die Technikfolgen inzwischen längst auf dem Tisch, und Sie sollten sie einfach auch zur Kenntnis nehmen, damit Sie ein wenig besser darüber informiert sind, was in dieser Welt passiert
und welches die Aufgaben eigentlich sind, wenn man die Informationsgesellschaft regulieren will, anstatt den Medienkonzernen hinterherzulaufen, damit die Leute zu Hause noch einen dritten Videofilm abrufen können, ohne um die Ecke laufen zu müssen.
Das ist doch keine technische Innovation, und damit besteht man auch nicht die Herausforderungen der Zukunft.
- In der Tat geht es um die Informationsgesellschaft.
Bei der Informationsgesellschaft geht es - lassen Sie mich das festhalten - erstens um die informationelle Selbstbestimmung. Diese Diskussion aus den 80er Jahren muß man hier einmal ins Gedächtnis rufen. Zweitens geht es - auch das muß einmal klar gesagt werden - um die informationelle Grundversorgung. Es geht darum, daß wir nicht informationelle Habenichtse auf der einen und die Mediengiganten auf der anderen Seite haben. Es geht darum, daß wir eine demokratische Gestaltung der Netze und eine Teilhabe der Öffentlichkeit an der Informationsgesellschaft erreichen, d. h. daß wir uns wirklich alle daran beteiligen und untereinander kommunizieren können, und dies zu angemessenen Preisen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein paar weitere Punkte ansprechen. Zunächst zur vorausschauenden Regulierung. Auch sie steht hier zur Debatte. Herr Kollege Bötsch, die Eckpunkte, die Sie am Montag vorgestellt haben - einigen Eingeweihten haben Sie sie schon letzte Woche zugesteckt -, sind wirklich unzureichend.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Gut. Dann möchte ich damit zum Schluß kommen. Ich habe eigentlich sechs Punkte. Immerhin bin ich schon beim zweiten Punkt. Alles andere erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal.
Wir haben im Jahr 1995 oder im Jahr 1996 sicher noch einmal eine postpolitische Debatte. Da sprechen wir dann über den Rest.
Herr Kollege!
Aber es geht natürlich um eine sinnvolle Regulierung. Da ist das, was uns Herr Bötsch an Eckpunk ten vorgelegt hat, zu kurz gegriffen. Die Kritik von Herrn Bury greift ebenfalls zu kurz. Es geht um eine tatsächliche Regulierung der Märkte. Es geht nicht darum - -
Herr Kollege, es geht darum, daß Sie Ihre Rede abschließen.
Es geht nicht darum, den Mediengiganten am Markt - -
Dr. Manuel Kiper
- Daß Sie mir die letzten fünf Worte, Herr Präsident, abgeschnitten haben, ist wirklich kleinlich.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kiper, nach Ihrem Beitrag frage ich mich wirklich: Haben Sie hier vorne gestanden, weil Sie Zeit schinden wollten, oder haben Sie etwas zur Sache sagen wollen? Zur Sache habe ich jedenfalls nichts gehört. Das war mehr die Abteilung Kraut und Rüben.
Nach fast zweijährigen mühsamen Verhandlungen haben wir im letzten Jahr die Postreform beschlossen. Sie erlauben, daß ich namens der F.D.P. bei dieser Gelegenheit unserem ehemaligen Kollegen Jürgen Timm noch einmal sehr herzlich für sein Engagement in dieser Sache danke.
Mit der getroffenen Entscheidung über die Privatisierung der Postunternehmen haben wir die Weichen für die notwendige Liberalisierung der bisher staatlichen Postunternehmen gestellt, mehr jedoch nicht. Die unbedingt notwendigen ordnungspolitischen Entscheidungen waren nicht durchsetzbar, Kollege Bury, weil die SPD unter dem Druck der Postgewerkschaft eingeknickt ist.
Insofern rate ich Ihnen, Ihre Rede - sie war gar nicht so schlecht - einmal der Postgewerkschaft zuzuschikken. Dann werden wir sehen, was sie davon hält.
Bisher ist mit der Postreform II nur die Ablösung eines staatlichen Monopols durch ein privates gelungen.
Der fehlende Mut der SPD zu ordnungspolitisch richtigen Konzepten hat bewirkt, daß die Deutsche Telekom international handlungsunfähig zu werden droht und damit im Wettbewerb auf dem internationalen Telekommunikationsmarkt zurückfällt. Das können wir alle nicht wollen.
- Frau Kollegin Fuchs, hören Sie ruhig zu, denn ich spreche jetzt über die Gewerkschaften, und das interessiert Sie doch.
Der Druck der Gewerkschaften hat auch dazu geführt, daß wir Pensionsverpflichtungen übernehmen mußten, die 100 Milliarden DM überschreiten, und tarifvertraglich zugesicherte Sozialleistungen eine zweistellige Milliardenhöhe ausmachen.
- Sie werden nicht bestreiten, daß diese Zahlen stimmen. - Das ist im harten internationalen Wettbewerb nicht unbedingt ein Startvorteil.
Auch da, meine ich, können Sie nicht widersprechen.
Wenig hilfreich ist, daß wir abwarten, bis uns die EU zu Liberalisierungsschritten zwingt, anstatt selbst initiativ zu werden und damit deutsche Interessen selbst definieren zu können. Salopp gesagt: Wir dürfen nicht erst warten, bis wir zur Jagd getragen werden. Wir sollten und müssen die Jagd im internationalen Wettbewerb selbst eröffnen.
Mit Ihnen scheint das nicht möglich zu sein.
Die Umwandlung der Postunternehmen in Aktiengesellschaften stellt formell die Organisationsprivatisierung dar. Dabei ist die Telekommunikation der Motor der Reformen, der den Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft antreibt. Wir sind Zeugen einer grundlegenden Wandlung von wichtigen Branchen und Bereichen.
Das eben Gesagte gilt für die Postdienst AG nur eingeschränkt. Die F.D.P. ist sich darüber im klaren, daß dieses Unternehmen noch mit Verlust arbeiten wird. Mit der Umwandlung in eine AG ist der Gang an die Börse vorbestimmt. Bis dahin muß die Postdienst AG durch konsequente Rationalisierung, verbesserte Dienstleistungen, Kooperation mit privaten Unternehmen und Öffnung von Teilmärkten in die Lage versetzt werden, Gewinne zu erwirtschaften. Mit der dann verbesserter Eigenkapitalausstattung wird auch dieses Unternehmen hoffentlich immer mehr zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen unserer Wirtschaft werden.
Die dritte Tochter ist die Postbank AG. Sie wird als erstes Unternehmen die Möglichkeit erhalten, Kooperationspartner aufzunehmen und in neue unternehmenspolitische Dimensionen vorzustoßen. Sie kann alle Bankdienstleistungen anbieten und ist flächendeckend vertreten. Sie ist nach unserer Auffassung ein starker Partner und interessant für Kooperationen.
Herr Kollege Koppelin, ich muß Sie einen Moment unterbrechen.
Wenn man gerade eine Rede gehalten hat, dann gehört es sich eigentlich, daß man dem nächsten Redner zuhört und sich nicht umdreht und ihm den Rücken zeigt.
Bitte fahren Sie fort.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Aus Sicht der F.D.P. ist die soeben vorgelegte Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsminister, der sich mit dem Thema Orientierung für eine Postreform III befaßt, sehr hilfreich.
- Hören Sie doch zu! Sie müssen auch einmal zuhören. Ich habe ja gerade erst mit der Postreform III angefangen.
Es drängt die Zeit. Der auf den 1. Januar 1998 ausgerichtete Liberalisierungsbeschluß des Rats der EU ist die Schlußfolgerung aus technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Man fragt sich - jetzt dürfen Sie erst recht zuhören -, oh die SPD diesmal bereit ist, die notwendigen Liberalisierungsschritte mitzutragen. Ich habe da, Herr Kollege, erhebliche Zweifel.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich als Mitglied des Haushaltsausschusses auf ein Problem aufmerksam machen: Zwar steht fest, daß noch gegen Ende dieser Legislaturperiode das Postministerium aufgelöst wird, trotzdem gibt es kein schlüssiges Personalabbaukonzept des noch bestehenden Ministeriums. Es kann nicht angehen, daß die jetzt noch besetzten Stellen und Planstellen nach Wegfall des Ministeriums im luftleeren Raum schweben.
Es darf auch nicht automatisch davon ausgegangen werden, daß diese Stellen dann in die neu gegründeten Aktiengesellschaften einfach mit besseren Arbeitsverträgen umgesetzt werden. Ein mahnendes Beispiel ist die privatisierte Flugsicherung. Auch hier waren nach der Umwandlung zu viele Planstellen und Stellen vorhanden, deren Inhaber dann zum Teil mit teurem Geld in den Vorruhestand versetzt wurden.
Die F.D.P. erwartet, daß die Bundesregierung hier ein schlüssiges und glaubwürdiges Konzept vorlegen wird, damit diese Probleme gelöst werden.
Ich bedanke mich vor allem beim Kollegen Börnsen für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Gerhard Jüttemann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man müßte „guten Morgen" sagen, wenn man auf die Uhr sieht. Wenn man jedoch zu diesem Thema spricht, könnte man auch „gute Nacht" sagen.
In der Haushaltsdebatte im November 1993 äußerte der Kollege Dr. Ilja Seifert die Befürchtung, daß die Postreform II verhängnisvolle Folgen haben werde. Ich zitiere:
Ich fürchte, daß Sie das wieder mit einer Brachialgewalt durchpeitschen, die den betroffenen Menschen - denen, die dort arbeiten, und denen, die diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen - nur zum Schaden gereichen wird.
Leider können wir heute nur konstatieren, daß Kollege Seifert - nach dem, was schon geschehen ist und nach dem, was in Zukunft zu befürchten ist - recht gehabt hat. Daß die Lage für die Beschäftigten nicht noch schlimmer gekommen ist, ist nur ihr eigenes Verdienst und das ihrer Gewerkschaft, auf keinen Fall aber das der Postreformer.
30 Tage Arbeitskampf waren notwendig, urn 13 Tarifverträge für den relativen Schutz der Arbeitnehmer durchzusetzen, einen Schutz, der normalerweise wichtigster Bestandteil einer angestrebten Reform sein müßte; denn Reform heißt ja wohl Verbesserung und nicht Verschlechterung des Bestehenden. Statt dessen mosert nun auch noch der Haushaltsausschuß an der Höhe der Abfindungen herum, die die Telekom im Zuge ihrer Verschlankung denjenigen Beschäftigten zahlen muß, die freiwillig ihren Arbeitsplatz räumen. Das ist schließlich keine milde Gabe, meine Damen und Herren, die man mir nichts, dir nichts im Ausschuß noch ein bißchen milder gestalten kann, sondern Tarifvertrag.
Schlimm genug bleiben die Auswirkungen der Reform trotzdem. Die Post AG hat seit 1991 46 000 Jobs bei der Brief- und Frachtpost wegrationalisiert, weitere 35 000 sollen folgen. Das ist nicht etwa geschehen, weil es weniger Arbeit gegeben hätte, sondern um Kosten zu sparen. Wer geblieben ist, hat entsprechend mehr zu arbeiten. Eine der Folgen ist ein gegenwärtiger Krankenstand in der Briefzustellung von etwa 30 % bundesweit.
Katastrophenlage auch in der Ausbildung: Die Telekom will in diesem Jahr von ihren 5 700 Absolventen ganze 600 übernehmen, die Postbank hat die Ausbildung vorübergehend völlig eingestellt, und die Post denkt darüber nach, eine Light-Ausbildung von nur zwei Jahren Dauer einzuführen. - Wenn wir sie erst einmal hätten!
Allein bei der Telekom sollen 60 000 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Am Anfang war noch von „nur" 30 000 die Rede. Welche Zahl morgen genannt werden wird, wissen wir noch nicht. Aber man beruhigt die Betroffenen: Bei den potentiellen Wettbewerbern der Telekom würden neue Arbeitsplätze entstehen - angeblich viel mehr, als bei der Telekom verlorengehen. Teilweise ist von Arbeitsplatzzahlen in abenteuerlicher Höhe zu hören. Aber leider ist von alledem nichts greifbar. Greifbar ist nur der Verlust von 60 000 Arbeitsplätzen.
Dann gibt es noch die Erfahrungen mit der 1984 privatisierten britischen Telecom. Dort wurden
Gerhard Jüttemann
100 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert, aber nur wenige tausend tatsächlich neu geschaffen.
Übrigens kann man von Großbritannien, das uns ja mit der Privatisierung mehr als zehn Jahre voraus ist, noch etwas über die Richtung erfahren, in die das ganze Projekt läuft. Dort gibt es z. B. keine landesweit einheitlichen Telefontarife mehr, die Telekommunikationsversorgung der ländlichen Regionen wird systematisch vernachlässigt, und die Bürger haben die weltweit höchsten Gebühren für Ortsgespräche zu berappen. Das sind wirklich reizende Aussichten.
Aber bei uns sollen ja solche Probleme alle reguliert werden. Im Grundgesetz ist ein Infrastrukturauftrag festgeschrieben, so daß eigentlich nichts passieren kann - außer dem Scheitern der Regulierung. Wieso glauben Sie eigentlich, daß der Staat, der als Posteigentümer mit dem Problem schon nicht fertig geworden ist, nun als Regulierer, also mit wesentlich eingeschränkteren Möglichkeiten als vorher, erfolgreich sein wird? Ich glaube das nicht. Die vorgestern von Bundespostminister Dr. Bötsch vorgelegten Eckpunkte für die Ordnung des künftigen Telekommunikationsmarktes geben zum Optimismus in dieser Richtung auch keinerlei Anlaß. Faktisch laufen diese Eckpunkte darauf hinaus, der Telekom die Infrastrukturverantwortung allein aufzuerlegen, während ihre Konkurrenten die Rosinen picken können. Immer lauter werden auch die Forderungen der potentiellen Konkurrenz, teilweise Monopolrechte der Telekom bereits vor 1998 aufzuheben, und schon längst wird das von den Reformverantwortlichen nicht mehr entschieden abgelehnt.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Am Ende jedoch liegt das alles in der Logik der von Ihnen gewollten Privatisierung, die nichts anderes ist als die Privatisierung der Einnahmemöglichkeiten aus der größten Wachstumsbranche, der Telekommunikation. Das Bezahlen der Rechnung wird wie immer der Allgemeinheit überlassen.
Herr Kollege!
Da der Einzelplan 13 einen anderen Sinn als den beschriebenen nicht hat, wird er von den Abgeordneten der PDS abgelehnt.
Ich danke Ihnen trotz alledem für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Post und Telekommunikation, Dr. Wolfgang Bötsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Eigentlich wollte ich mit Belsazar anfangen: Die Mitternacht zog näher schon, in stiller Ruh' lag Babylon. - Es ist aber schon nach Mitternacht. Insofern möchte ich mich auf die Bemerkung beschränken, daß der Posthaushalt traditionsgemäß immer im Schutze der Dunkelheit verhandelt wird,
nicht, weil er das Licht zu scheuen hätte, sondern weil natürlich - ich habe ja selbst einmal dieser Spezies angehört - die parlamentarischen Geschäftsführer in ihrer unnachahmlichen Weisheit dies so vorsehen.
Die Zeitverschiebung und Verspätung, die wir heute haben, haben mir allerdings Gelegenheit gegeben, heute abend an der Einführung des neuen Vorstandsvorsitzenden der Telekom zusammen mit den führenden Mitarbeitern bei der Telekom teilzunehmen. Eigentlich hätte ich erwartet, daß Sie, Herr Bury, mir zu dem neuen Vorstandsvorsitzenden gratulieren, nachdem Sie mich am letzten Freitag zusammen mit der Kollegin Fuchs in einer Presseerklärung noch verdächtigt haben, es würden alle Anzeichen dafür sprechen, daß ich einer parteipolitischen Lösung zustrebe. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Wieder muß ich den Kollegen Bury enttäuschen. - Erkennen Sie es an, es ist eine gute Lösung. Sie ist gut für die Telekom und für das, was auch Sie wollen.
Meine Damen und Herren, es ist heute zur Informationsgesellschaft viel gesagt worden, es ist aber noch nicht von allen gesagt worden. Insofern könnte auch ich natürlich dazu jetzt noch Ausführungen machen. Ich werde es abkürzen.
Welche Bedeutung die Informationsgesellschaft hat, zeigt sich daran, daß sich vor wenigen Wochen ein Sondergipfel der G 7 mit diesen Fragen beschäftigt hat, übrigens nicht nur mit der Frage Video on demand. Das ist natürlich das Stichwort, das jedem sofort ins Auge fällt, weil er meint, das Fernsehen sei es.
Man hat wirklich nicht erkannt, welche Möglichkeiten es im Wissenschaftsbereich, im Gesundheitsbereich, im Informationsbereich insgesamt geben wird. Das wird auch kein Closed Shop der Industrieländer, der Europäischen Union oder der G 7, sondern das ist auch eine Chance für Entwicklungsländer und für
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
Schwellenländer, die sich hieran beteiligen und Anschluß an die Möglichkeiten finden können, die uns heute schon zur Verfügung stehen. Auch das ist eine Aufgabe für uns.
Ich komme jetzt zur Postreform II. Herr Kollege Koppelin, womit wir es jetzt zu tun haben, ist sicher keine Postreform III - das ist sicherlich eine falsche Bezeichnung -, sondern es handelt sich um das, was wir im Vollzug der Postreform II noch zu bewerkstelligen haben. Sie war schon eine wirtschaftspolitische Weichenstellung.
- Jetzt vergessen Sie das einmal. Ich bin dafür zuständig, auch wenn sich der Kollege Rexrodt dauernd dazu meldet.
Es war eine wichtige Weichenstellung in der letzten Legislaturperiode, daß wir die Deutsche Telekom AG, die Deutsche Post AG und die Deutsche Postbank AG mit Wirkung vom 1. Januar 1995 gegründet haben.
Ich verschweige nicht, daß ich mich auch heute noch darüber freue, daß 123 Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion dieser Verfassungsänderung zugestimmt haben.
Leider waren Sie zum damaligen Zeitpunkt nicht bereit - da stimme ich Ihnen zu -, auch die ordnungspolitischen Dinge schon einen Schritt weiterzubringen. Ich hoffe, daß wir es jetzt schaffen.
Liberalisierung ist kein Selbstzweck, sondern entspringt der Erkenntnis, daß Wettbewerbsmärkte am besten geeignet sind, den Kunden preiswert in der von ihm gewünschten Menge und Qualität mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Das ist das ganze Geheimnis.
Das war auch das Hauptmotiv für die Europäische Union, den Termin 1. Januar 1998 für die Freigabe des Telefondienst- und Netzmonopols festzulegen. Da hat uns niemand zum Jagen tragen müssen. Es war die deutsche Präsidentschaft, die am 17. November 1994 diesen Beschluß in Brüssel nach vielen Vorgesprächen und - um noch einmal auf das Reisen zurückzukommen - auch nach einigen Reisen von mir in die europäischen Hauptstädte durchgesetzt hat.
Meine Damen und Herren, wir müssen allerdings der Telekom AG den notwendigen Zeitraum lassen, um sich auf den Wettbewerb einzustellen. Deshalb werden wir bis zum 31. Dezember 1997 nur solche Liberalisierungsmaßnahmen beschließen, in denen die Kernbereiche der Monopole unangetastet bleiben.
- Ja, das steht im Protokoll.
Im übrigen, Herr Kollege Bury: Ich hatte das Privileg, während Ihrer Rede die Uhr am Rednerpult im Auge zu haben. Von Minute 21 bis Minute 12 haben Sie überhaupt nichts Falsches gesagt. Von Minute 11 bis Minute 7 haben sie unberechtigte Kritik an dem Eckpunktepapier erhoben. Minute 7 bis Minute 5 waren wieder sehr gut, und von Minute 4 bis Minute 0 haben Sie Ihre Ausführungen dem Nullpunkt angenähert.
Es wird sich bei den Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten im Detail ergeben, inwieweit Ihre Lippenbekenntnisse in Presseerklärungen zum Wettbewerb wirklich tragen.
Zu irgendeinem Zeitpunkt wird es heißen: Hopp oder top.
Ich habe hier bisher unterschiedliche Eindrücke. Ich höre Reaktionen der SPD, bei denen man meinen kann: Jetzt sind sie aber schon ziemlich nahe dran. - Aber dann kommt wieder das Gegenteil von allem. Ich empfehle jedem, die Presseerklärungen von Montag bis Donnerstag der letzten Woche zu lesen, die von der SPD, wenn auch unter verschiedenen Namen, gebracht worden sind. Da konnten Sie wirklich alles und das Gegenteil von allem lesen.
Ich bin aber überzeugt, daß die SPD im Regulierungsrat und auf Länderebene - es gibt in den SPD-Ländern durchaus unterschiedliche Interessen - unsere ausgewogene Liberalisierungspolitik letztendlich unterstützen und das eine oder andere beitragen wird. Sie sollten nicht schon jetzt mit dem Vermittlungsausschuß drohen. Wir haben noch viel Zeit, bis wir in der dritten Lesung das Gesetz verabschieden. Wir können noch viel miteinander reden.
Betrachten Sie die Linie, die ich am Montag vorgelegt habe, als das, was ich mir vorstelle und was ich für richtig halte. Wir werden die Eckpunkte im Amtsblatt des Postministeriums veröffentlichen. Dann werden wir es einer breiten Diskussion zuführen. Gute, konstruktive Vorschläge sind selbstverständlich willkommen.
- Da brauchen Sie nicht viel zu korrigieren. Da können wir die eine oder andere Maßnahme bzw. Nuance anders gestalten. Im wesentlichen, so prophezeie ich Ihnen, werden wir bei dieser Linie bleiben,
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
weil sie die einzig richtige, gangbare und für die Telekom und die Postmärkte richtige ist.
- Das ist keine Schlingerlinie. Sie werden erleben, daß wir bei der Post keine Schlingerlinie fahren.
Dort werde ich bis Ende Mai die nötigen Eckpunkte vorlegen. Wir werden sie ebenfalls einer Diskussion zuführen. Auch dort werden wir unsere Vorstellungen über die Liberalisierung im Postbereich anschließend an das, was wir bereits bei der Info-Post angefangen haben, vorlegen.
Ich bin mir bewußt, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Zeitpläne sowohl im Bereich der Telekommunikation als auch im Bereich der Post sehr ehrgeizig sind. Ich bin gleichwohl überzeugt, daß nur durch diese Art der Vorgehensweise der Bedeutung von Post und Telekommunikation für unsere Volkswirtschaft und - das sage ich noch einmal - zum Wohle der Verbraucher angemessen Rechnung getragen wird.
Was der Kollege Koppelin am Schluß zu den Fragen des Haushalts oder des Personals gesagt hat, das habe ich zum Teil nicht so ganz verstanden. Jetzt bauen wir nämlich noch kein Ministerium ab. Wir haben, wie Sie aus der Diskussion sehen, noch eine Reihe von Maßnahmen durchzuführen. Dazu brauchen wir motivierte Mitarbeiter.
Ich möchte mich bei vielen, die am Haushalt beteiligt waren, vor allen Dingen bei meinen Mitarbeitern, bedanken,
die trotz der Kürzungen die anstehenden Aufgaben motiviert angehen. Denn es ist nicht so leicht, unter der Überschrift von kw-Stellen zu arbeiten und die Motivation zu behalten. Insofern möchte ich das in besonderer Weise betonen.
Es gab da ja einige Fragen und Auseinandersetzungen - auch mit den Mitgliedern des Haushaltsausschusses. Jeder hatte seine Aufgabe in diesem Bereich wahrzunehmen, und ich hoffe, jeder hat sie verantwortungsbewußt wahrgenommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Elmar Müller möchte seinen Redebeitrag gerne zu Protokoll geben.')
*) Anlage 3
Ich muß dazu das formale Einverständnis des Hauses einholen. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13: Bundesministerium für Post und Telekommunikation. Wer stimmt für den Einzelplan 13 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 13 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 13/510, 13/527 - Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Jürgen Koppelin
Ilse Janz
Kristin Heyne
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Ilse Janz das Wort.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Amtsantritt Anfang 1993 haben Sie, Herr Minister Borchert, erklärt, Ihr Ziel sei, eine leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche Landwirtschaft herzustellen.
Frau Kollegin, Entschuldigung, aber ich muß Sie mit einem Satz für das Protokoll unterbrechen. Sie haben mit den Worten „Guten Morgen, Herr Präsident" im Blick auf die frühe Stunde, in der diese Debatte stattfindet, angefangen. Wenn das aber ein Unbefangener liest, könnte es sein, daß er auf die Idee kommt, Sie hätten mich aufwecken müssen.
Ich kann für das Protokoll bestätigen: Herr Präsident, Sie sind hellwach.
Herr Borchert, dieses Ziel hat uns Sozialdemokraten ganz schön imponiert, aber leider warten wir immer noch auf Umsetzungskonzepte und Strategien.
Ilse Janz
So war die Reform der EU-Agrarpolitik von 1992 ein Schritt in die richtige Richtung, aber es muß auch eine Fortentwicklung geben. Die Forderung nach einer nachhaltigen Landwirtschaft - festgelegt in der Agenda 21, die auch die Bundesregierung in Rio unterzeichnet hat - kann aber durch die bisher eingeleiteten minimalen Reformmaßnahmen absolut nicht erfüllt werden.
Natürlich ist es gut, wenn wir nachlesen können, daß in Deutschland ein Rückgang des Verbrauchs von Stickstoff und Phosphor verzeichnet werden kann. Aber wie heißt es so schön: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Denn trotz vielerlei Umorganisation und des Umdenkens bei den Landwirten werden vielfach in zu hohen Konzentrationen Handelsdünger und Wirtschaftsdünger auf die Felder aufgebracht.
Dies hat in zweifacher Hinsicht negative Folgen für den Boden: einmal die Verschlechterung der natürlichen Fruchtbarkeit, zum anderen die Kontamination des Grundwassers. Dies kann nicht in unserem Sinn sein.
- Schauen Sie sich doch die Acker an!
Nachhaltige Landwirtschaft muß das Stichwort sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier ist die von Ihnen, Herr Borchert, angekündigte Neuorientierung der Landwirtschaft dringend erforderlich. Sozialdemokratisches Ziel ist es, daß Ausgleichszahlungen an ökologische Auflagen gebunden werden.
Auf lange Sicht darf es keine Subventionen geben, ohne daß es eine konkrete ökologische Gegenleistung gibt.
Daß ein solches Ziel natürlich nicht von heute auf morgen erreicht werden kann, wissen wir auch. Aber es muß jetzt von Ihnen angepackt werden.
Im übrigen gibt es immer wieder und vermehrt Kritik an der EU-Agrarpolitik, trotz der Reform 1992 und trotz des vollen Inkraftretens dieser Reform durch die dritte Stufe erst 1995/96. Dies muß für die Bundesregierung für ihr Verhalten in Brüssel Folgen haben, und zwar dahin gehend, daß sie sich stark macht für eine Weiterentwicklung der EU-Agrarpolitik, um insbesondere die Defizite der gegenwärtigen Regelungen im Hinblick auf Finanzvolumen und erheblichen bürokratischen Aufwand zu beseitigen.
Was heißt denn nun eigentlich „nachhaltige Landwirtschaft" für uns? Nachhaltigkeit ist nicht nur Umweltverträglichkeit im engeren Sinne, meint also nicht nur die Erfolge für Boden, Wasser oder Luft. Nein, wir müssen hier die Situation ganzheitlich betrachten, und dies geht über die Landwirtschaft als eigentliche Produktionsstätte hinaus. Dies muß auch soziale und kulturelle Aspekte umfassen.
Das Ziel muß sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen zu erhalten bzw. wieder zu entwickeln, damit zukünftige Generationen wieder Chancen haben. Hier muß es für die Zukunft eine Verbindung zwischen ökologischen Zusammenhängen, Verbraucherinteressen, Ernährungsberatung, aber auch Tierschutz, Arten- und Klimaschutz geben. Dazu muß ein umfassendes Konzept von nachhaltiger Landwirtschaft entwickelt und vorgelegt werden. Halten Sie sich an die Agenda 21, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.
Ich habe mir den Agrarhaushalt genau angesehen und auch frühere Entscheidungen noch einmal nachvollzogen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt lebt vom Prinzip Hoffnung. Es steht fest, daß z. B. das Europäische Währungssystem suspendiert wurde und damit die Switch-over-Regelungen wegfallen. Nun darf es aber nach diesem vorgelegten Haushalt auf keinen Fall zu einer DM-Aufwertung kommen, denn Vorsorge für die deutsche Landwirtschaft ist nicht zu erkennen. Deshalb ist dieser Haushalt mit hohem Risiko verbunden. Allein die dann erforderliche Anhebung der Ausgleichszahlungen aus der EU-Agrarreform sowie die Anhebung der Strukturbeiträge machen zig Millionen aus. Woher sollen die bei diesem erneut abgespeckten Haushalt herkommen, Herr Minister?
Ich will noch einmal daran erinnern, was mein Kollege Kastning zum Haushalt 1994 auch an Bedenken zu diesem System vorgetragen hat. Es scheint so, daß seine Vermutungen gen Brüssel richtig waren und das finanzielle Risiko unweigerlich auf uns zukommt.
Daß unsere Überlegungen stimmen, macht Ihre Reaktion deutlich, Herr Minister Borchert, denn Sie haben diese Woche noch versucht, Ihre Kollegen in Brüssel zu Entscheidungen über Wechselkursveränderungen erst ab Juli 1995 zu bewegen.
- Ja, er macht den Versuch, aber er hat in diesem Haushalt 1995 nicht die Risiken abgesichert, um das noch einmal deutlich zu sagen.
- Er kommt ja noch, er kriegt dann auch noch Streicheleinheiten.
Frau Kollegin, ich darf Sie für einen Moment unterbrechen. Es gibt da und dort - ich will es jetzt nicht genau lokalisieren - offen-
Vizepräsident Hans Klein
bar starke Konferenzbedürfnisse. Ich bitte, diesen Bedürfnissen außerhalb des Saales zu entsprechen.
Bitte fahren Sie fort.
Wir Sozialdemokraten sehen außerdem bei dem Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit ein weiteres Haushaltsrisiko. Aber die Regierungskoalition hat unseren diesbezüglichen Erhöhungsantrag im Haushaltsausschuß mit Bravour abgelehnt. Sie sieht dort angeblich keine Probleme.
So wie nach dem FELEG vermehrt mit Anträgen aus den neuen Bundesländern zu rechnen ist, so müssen wir Ihnen in der Lösung der Altschuldenfrage, die ja ebenfalls die neuen Bundesländer betrifft, vorwerfen, kein brauchbares Konzept zu haben.
Es wird immer wieder betont, daß das Überleben der größten Teile der landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Bundesländern unbedingt erforderlich ist. Umstrukturierungsprozeß kann aber nicht heißen, daß alles von der Bildfläche verschwindet. Es bleibt nämlich sonst hier ebenfalls nur das Prinzip Hoffnung, daß die Viehbestände nicht weiter abgebaut werden.
Auf Grund solcher Entscheidungen dürfen keine weiteren Arbeitsplätze auf Dauer verlorengehen.
Herr Minister, Sie kennen unseren Antrag. Wir verlangen nichts Unmögliches, und es geht auch nicht um eine allgemeine Entschuldungsaktion. Auch Sie wissen, daß die Treuhandentschuldung trotz Zusagen erst zu 60 % abgeschlossen ist. Die auflaufenden Zinsen übersteigen bei den Landwirten heute, aber auch künftig, den realisierbaren Gewinn um ein Mehrfaches. Oftmals ist ihnen eine Tilgung überhaupt nicht möglich. Hier muß dringend Abhilfe geschaffen werden. Den Unternehmen, die das Prüfverfahren für eine Rangrücktrittsvereinbarung bestanden haben, muß ein Teil der Altschulden erlassen werden, wenn sie in einer bestimmten Frist einen festzulegenden Teil ihrer Altschulden tilgen. Wir Sozialdemokraten wollen helfen, Konkurse zu verhindern sowie Beschäftigung und Wertschöpfung in ländlichen Räumen zu sichern.
Bereits in der Debatte im Haushaltsausschuß habe ich die Zukunft der Milchquotenregelung angesprochen. Diese ist bis zum Jahr 2000 befristet. Nun stellen die Agrarbeschlüsse des GATT und sicherlich auch bald das aktivierte gewaltige Produktionspotential der osteuropäischen Staaten, die dann auf den EU-Markt drängen, unsere Landwirte vor einige
Probleme. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrer Großen Anfrage ja schon deutlich gemacht, daß sie der Auffassung ist, daß die deutschen Milcherzeuger jetzt verläßliche Rahmenbedingungen benötigen. Nur so können sie ihre Zukunftsentscheidungen fällen: entweder Investitionen in die Milcherzeugung oder eventuell Aufgabe.
Denn trotz der Quotenregelung hat sich die negative Erzeugerpreisentwicklung der Milch fortgesetzt. Vor allem die Situation der Pächter hat sich auf Grund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das die 5-ha-Klausel für verfassungswidrig und damit für unwirksam erklärt hat, verschlechtert.
Nun gibt es schon Landwirtschaftsverbände, die gemeinsam mit dem Fachausschuß Milch des Deutschen Bauernverbandes über neue Konzeptionen nachgedacht haben. Wo bleiben da die Entwicklungen aus dem Ministerium?
Unsere Meinung darf nicht nur sein - wie das ab und zu einmal im Haushaltsausschuß gesagt wird -, daß es gesund ist, Milch zu trinken. Wir alle müssen etwas dafür tun, daß sie bei uns erzeugt wird, und zwar zu herkömmlichen Preisen für die Landwirtschaft.
Die Sicherung der Milcherzeugung für den Agrarstandort Deutschland hat eine besondere Bedeutung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gäbe noch eine ganze Reihe von Anmerkungen zur gemeinsam geschaffenen Agrarsozialreform zu machen. Natürlich sind wir bereit - das ist von meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachausschuß signalisiert worden -, über eine Korrektur am Gesetz Gespräche zu führen, und zwar insbesondere hinsichtlich einer Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen der Alterssicherung der Landwirte und der Rentenversicherung.
Aber daß sich die Nebenerwerbsbäuerinnen von der gerade erst eingeführten Versicherungspflicht in der Altersversicherung der Landwirte nun allgemein befreien lassen können, können wir so nicht mittragen.
Mir ist schon bekannt, daß einige Landwirtschaftsverbände ähnliche Positionen wie Sie bezogen haben.
Aber lassen Sie mich aus einem Leserbrief der 1. Vorsitzenden einer Landfrauenvereinigung vortragen. Sie schreibt:
So diskussionsbedürftig die Kostenbelastung der Frauen von Nebenerwerbslandwirten jetzt auch ist, eine für alle Betroffenen gerechte Lösung ist nur schwer zu erreichen. Der Gesetzgeber hatte
Ilse Janz
mit der Einführung der Bäuerinnenrente ausreichende Alterseinkünfte der landwirtschaftlichen Rentner und Rentnerinnen im Auge. Es würde mich freuen, wenn
- ich habe eingefügt: endlich -
Frauen von der Notwendigkeit einer eigenen Altersversorgung überzeugt werden würden.
Die eigenständige Sicherung der Landfrauen wird, wie Sie hören, unterschiedlich beurteilt, auch zwischen Ihnen und uns. Uns ist sie so, wie sie dargestellt ist, sehr wichtig.
Ein „Dokument fehlender Konzepte und unterlassener Taten" hat mein Kollege Sielaff den Agrarbericht 1995 genannt.
- Sie müssen einmal deutlicher reden, Herr Rossmanith, dann kann ich Ihre Zwischenrufe auch verstehen. Aber vielleicht geht das zu dieser Zeit nicht mehr.
Das Ministerium selbst schreibt in den Agrarpolitischen Mitteilungen: „Trotz Gewinnzuwachs keine zufriedenstellenden Einkommen". Nun kann man natürlich aus einem Minus von 6,1 % pro Unternehmen in den alten Bundesländern auch keinen Gewinn machen.
Angesichts der unzureichenden Datenlage würde ich die Situation für die neuen Bundesländer nicht mit „anhaltender Stabilisierung" bezeichnen. Denn die besonders verlustreichen Jahre 1993 und 1994 sind bei weitem nicht aufgeholt. Gerade in den neuen Ländern schlagen jetzt die Belastungen zu Buche: zum einen aus Altschulden - ich habe bereits darauf hingewiesen -, zum anderen aus Zinsen und Tilgung für die getätigten Investitionen.
Immer noch haben die Vollerwerbsbetriebe Eigenkapitalverluste zu verzeichnen; sie betrugen im Berichtszeitraum ungefähr 50 %. Die Stabilität und Existenzfähigkeit dieser Betriebe gerät gefährlich ins Wanken. Außerdem gibt es immer noch eine äußerst unbefriedigende landwirtschaftliche Struktur. Sie müssen sich in der Koalition und in Ihrem Ministerium endlich einig werden und erforderliche Rechtsgrundlagen schaffen, z. B. im Bodenschutzgesetz, im Bundesnaturschutzgesetz und auch bei der Düngeverordnung.
Daß dies hier geht, haben einige Länder vorgemacht.
Nun hat vor einigen Tagen das Ministerium zur Düngeverordnung eine Vorlage vorgelegt. Wir werden sie sehr genau prüfen und erwarten, daß nun endlich die anderen Gesetze bzw. Rechtsgrundlagen verändert werden.
Aber, Herr Minister Borchert, Sie sollen auch einmal gelobt werden,
nämlich was Ihren Einsatz bei der Tiertransportregelung angeht. Nun glaube ich allerdings, daß Sie auf das Lob der SPD-Bundestagsfraktion da nicht so angewiesen sind. Es scheint da höhere Hilfen zu geben. Ich habe gelesen, daß sich Brigitte Bardot vertrauensvoll an Sie mit der Bitte um Unterstützung gewandt hat, da die französische Regierung blockt. Also, Herr Borchert: Mit Brigitte Bardot und der SPD-Bundestagsfraktion an Ihrer Seite muß es Ihnen doch in Brüssel gelingen, eine tierwürdige Transportregelung durchzusetzen.
Ich wünsche mir nicht, daß Sie die gemeinsame Linie verlassen, obgleich die Presse diese Woche verbreitete, daß Ihr Staatssekretär Feiter bereits vorab Kompromißvorschläge des neuen EU-Kommissars Fischler begrüßt. Also, wir werden Sie sehr wachsam im Auge behalten.
Meine Fraktion, Herr Borchert, vermißt allerdings Ihr verstärktes Eintreten in Brüssel zu einer Veränderung der Fischereipolitik. Daß Fisch zur Zeit im Verbrauchertrend liegt, ist bei Rinderwahnsinn und Schweinepest vielleicht kein Wunder. Aber Spaß beiseite: Die verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zum Lebensmittel Fisch trägt sicher auch dazu bei, daß der Pro-Kopf-Verbrauch in der Bevölkerung sehr gestiegen ist. Veränderte Zubereitungsgewohnheiten tun ein übriges.
Wie sieht eigentlich die Situation für die Fischer aus? Das Wort „katastrophal" wird dem Stand nicht annähernd gerecht. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich das absolute Stillegen und Abwracken der Fischereifahrzeuge fortgesetzt, der Abbau an Arbeitsplätzen ist immens. 1990 hatte dort die große Hochseefischerei noch 30 Schiffe. Stand 1. Januar 1995: 8 Schiffe. Bei der kleinen Hochseefischerei sagt der Abbau im Schiffbereich, nämlich 118, nicht allzuviel aus. Aber von den am 1. Januar 1990 noch vorhandenen 2 000 Arbeitsplätzen sind zur Zeit noch weniger als 650 vorhanden; Tendenz sinkend.
Die Krabbenfischerei Schleswig-Holsteins kann auch nicht gerade überschäumende Gewinne abschöpfen. Die deutsche Hochseefischerei in Cuxhaven muß einen Vollfroster verkaufen, einen von den letzten dreien, da sie ihn auf Grund der schlechten Fangmöglichkeiten vor Grönland, wo sie zwar eine ausreichende Quote hat, aber nur kleine Kabeljaue vorhanden sind, nicht einsetzen kann.
Ilse Janz
Aber wenn Sie, wie das anscheinend der Fall ist, den Haushalt ohne Kenntnis betrachten - denn sonst könnten die dummen Zwischenbemerkungen nicht kommen -,
könnte man bei den deutlich zurückgegangenen finanziellen Aufwendungen für die Fischerei meinen, daß alles bestens läuft.
- Ich scheine Recht zu haben, weil Sie sich so aufregen.
Weit gefehlt! Auf Grund der in den vergangenen Jahren konsequent reduzierten Fischereifahrzeuge im Osten wie im Westen sind die Beträge für Abwrack- und Stillegekosten drastisch zurückgegangen. Kleine Fangmengen, schlechte oder zu junge Fischbestände, niedrigste Erzeugerpreise, läßt unsere Fischerei nicht mehr konkurrenzfähig sein. Hier muß etwas getan werden, denn sonst stehen diese traditionsreichen Unternehmen eines Tages vor dem Ruin.
Mir ist es deswegen im übrigen auch unerklärlich, daß Sie angesichts der abgespeckten Situation bei uns immer wieder von einem weiteren Kapazitätsabbau sprechen können. Hier bei uns ist die Vorleistung erbracht, Herr Minister Borchert.
Aber ich bin dann wieder mit Ihnen einig, was Ihre Forderung zum Kapazitätsabbau der überdimensionalen Flotten in der Gemeinschaft angehen. Tun Sie jetzt etwas!
Wenn ich mir den Streit zwischen der EU und Kanada ansehe, dann scheint dies nur die Spitze des Eisberges zu sein. Der massive Widerstand gegen die Nichtbeachtung von international vereinbarten Fang- und Erhaltungsmaßnahmen muß endlich her. Der Fang von untermäßigen und Jungfischen muß unterbleiben, damit sich die Bestände regenerieren können.
Wir müssen aber gar nicht bis nach Kanada schauen. Auch im EU-Bereich gibt es intern die Probleme; aber leider fehlen uns die Beweise. Dies alles zeigt deutlich: Sie müssen in Brüssel auf eine neue Fischereipolitik drängen.
Noch ein Wort zur Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz. Hier ist Auffassung des Ministeriums, daß 1995 im Rahmenplan, der gemeinsam mit den Ländern abgesprochen wird, wegen der angespannten Haushaltslage Prioritäten zu setzen seien, insbesondere bei der einzelbetrieblichen Förderung. Damit sollen die Leistungsfähigkeit der einzelnen Betriebe verbessert und die deutsche Landwirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht werden.
So weit, so gut. Diese Tendenz tragen wir mit. Aber nach unserer Auffassung kann das Ministerium nicht nur auf die Länder verweisen, wie es das immer tut, was die Inhalte angeht. Das Ministerium und die Regierungskoalition müssen auch sagen, in welche Richtung die Reise gehen soll.
Uns auf eine Anfrage mitzuteilen, daß das Ergebnis einer Bilanz der zusätzlichen Investition z. B. im überbetrieblichen Bereich und dem verstärkt geförderten einzelbetrieblichen Bereich davon abhängig sei, in welchem Bereich die Länder umschichten wollen, heißt nur eine Abschiebung der Verantwortung auf die Länder.
Das Ministerium ist doch wohl gleichberechtigter Partner im PLANAK und kann und soll eigene Initiativen und Ideen durchsetzen.
Beim Küstenschutz hat sich das Ministerium ebenfalls schlicht und einfach auf die Länder zurückgezogen. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, daß das so nicht geht. Auch der Bund muß sich endlich einmal entscheiden, wie wichtig ihm der Küstenschutz ist; denn immerhin trägt er 70 % der Kosten.
Die Beträge für den Küstenschutz sind ständig zurückgegangen. 1991 waren es noch 147,1 Millionen DM Anteil des Bundes. In 1994 wurde kontinuierlich zurückgefahren auf 131,7 Millionen DM. In den jetzigen Verhandlungen im PLANAK, die in diesem Monat vorgelegt wurden, gibt es zum Küstenschutz überhaupt noch kein Ergebnis. Dabei liegen die Anmeldungen der Länder immer wesentlich höher, z. B. in 1995 207,9 Millionen DM, so daß ein Bundesanteil von 145,5 Millionen DM erforderlich gewesen wäre. Wir haben als Bundestagsfraktion der SPD im Haushaltsausschuß darauf gedrängt, daß ein fester Betrag für Küstenschutzmaßnahmen eingestellt wird. Unsere Forderung von 200 Millionen DM wurde aber abgelehnt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
Nein, danke, möchte ich nicht.
Was wir auch überhaupt nicht verstehen, ist die Haltung der Bundesregierung zu dem Problem Binnenhochwasser. Dieses jährliche pressewirksame Jammern in der Hochwasserzeit reicht nicht.
Wir haben Ihnen den vernünftigen Vorschlag gemacht, 50 Millionen DM an Soforthilfe einzustellen und im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe die Finanzierung der Vorsorgemaßnahmen gegen Binnenhochwasser einzuschließen.
Ilse Janz
Dies haben Sie abgelehnt. Sie sind dann auf zinsverbilligte Darlehen gekommen. Das mag eine kurzfristige Lösung sein, ist aber nie eine langfristige Hilfe.
Wissen Sie, es macht keinen Sinn
- ach, Charly, setz dich doch mal hin -, bei eingetretenem Hochwasser ständig zu jammern, aber eine vernünftige, langfristige Vorsorge abzulehnen. Ich kann Ihnen versichern: Wir werden im Haushalt 1996 wieder auf Sie zukommen. Dann werden wir mit Ihnen weiter über den Stellenwert der Gemeinschaftsaufgabe streiten. Denn 1994 waren es noch 2,5 Milliarden DM Mittel, 1995 nur noch 2,44 Milliarden DM, wovon 100 Millionen DM in die einzelbetriebliche Förderung gegangen sind, und das trotz erweiterter Aufgaben der Gemeinschaftsaufgabe. Es kann einfach nicht sein, daß hier ständig eine Reduzierung des Plafonds vorgenommen wird. Wir machen dies nicht mit.
Aus diesen und den von mir vorher genannten Gründen wird es Ihnen auch keine besondere Verwunderung abringen, daß die SPD-Bundestagsfraktion den Einzelplan 10 ablehnen wird.
Zum Antrag der GRÜNEN möchte ich sagen: Auch diesen werden wir ablehnen, und zwar deshalb, weil er jetzt erneut massiv in den GA-Haushalt eingreift und damit die Mittel in anderen Bereichen einschränkt. Wir sind gerne bereit, für den Haushalt 1996 mit Ihnen darüber zu reden; denn Ihre Ziele teilen wir.
Ich danke für nicht immer ganz ungeteilte Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kalb.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, daß jetzt viele sehr froh wären, wenn ich darum bitten würde, die Rede zu Protokoll geben zu dürfen.
Aber ich denke, es ist keine Schande für dieses Parlament, wenn wir uns auch zu so vorgerückter Stunde noch sehr ernsthaft über die Agrarpolitik und den Agraretat unterhalten,
und ich meine auch, es ist ganz gut, das in dieser Besetzung tun zu können. Auch das ist es wert, erwähnt zu werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst vor wenigen Wochen hat dieser Bundestag den Agrarbericht und damit die Lage der Landwirtschaft erörtert. Wir haben in der Beratung des Agraretats des Haushaltsausschusses versucht, der besonderen Situation und den besonderen Belangen der Landwirtschaft Rechnung zu tragen. Insbesondere wegen der Leistungen und Zahlungen für von der EU nicht übernommene Marktordnungsausgaben, aber auch wegen zusätzlicher Ausgaben für Maßnahmen zur Bekämpfung der Schweinepest und zugunsten des Milchsektors hat der Agraretat in den Beratungen trotz Einsparungen an verschiedenen Stellen insgesamt eine Erhöhung von 155 Millionen DM erfahren.
Eine besondere Entwicklung in der Landwirtschaft zeigt aber auch, daß erstens die vielgescholtene EG-Agrarreform positive Wirkung zeigt, zweitens unsere nationalen Mittel einen ganz wesentlichen Beitrag zum Einkommen und zu dessen Stabilisierung leisten und daß das agrarpolitische Ziel der Entlastung der Märkte richtig und erfolgreich ist.
So hat z. B. ein bayerisches landwirtschaftliches Fachblatt bereits im August 1994 positiv festgestellt:
Als Grundlage für die Preisfindung dienen nicht mehr wie in den Vorjahren die Interventionspreise, sondern die aktuellen Verhältnisse am Markt, die von Angebot und Nachfrage bestimmt werden.
Dadurch wird sozusagen im nachhinein bestätigt, daß eine sogenannte aktive Preispolitik, wie sie lange Jahre gefordert und verstanden wurde, mit den alten Instrumenten nicht leistbar war, für die öffentlichen Kassen unbezahlbar wurde und für die Bauern immer weniger erbrachte.
Den größten Ausgabenblock, meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen mit über 7 Milliarden DM die Mittel für den Agrarsozialbereich dar. Ich denke, daß dieser Bereich höher bewertet werden dürfte, als dies gemeinhin geschieht, weil gerade durch die Agrarsozialausgaben ein wesentlicher Beitrag geleistet wird, um die Spanne zwischen Gewinn und verfügbaren Einkommen der Landwirtschaft kleiner und die verfügbaren Einkommen vergleichsweise größer zu halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, den zweiten großen Block stellt die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes dar. Kollegin Janz hat soeben darüber gesprochen.
Bartholomäus Kalb
Auf Vorschlag von Bundesminister Borchert haben die Länder im PLANAK der Verstärkung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung zugestimmt. Im Hinblick auf die notwendige agrarstrukturelle Anpassung vieler Betriebe kommt diesem Schwerpunkt besondere Bedeutung zu.
Die aus der Gemeinschaftsaufgabe geleistete Ausgleichszulage in den sogenannten benachteiligten Gebieten gewinnt unter dem Gesichtspunkt des Entgelts für landeskulturelle Leistungen immer mehr an Bedeutung und ist für viele Betriebe in schwierigen Agrarzonen zu einem wesentlichen Einkommensbestandteil geworden.
Leider - ich sage bewußt leider, auch wenn es sich um Mittel des Bundes handelt - sind wir gezwungen, den soziokulturellen Einkommensausgleich weiter zurückzuführen. Wir wissen, daß das aus anderem Grund entstanden ist und eingeführt wurde, aber er wäre auch weiterhin in Verbindung mit der Ausgleichszulage ein sehr brauchbares Instrument für einen flächenbezogenen Einkommensausgleich, so wie ihn der Berufsstand als Honorierung für die landeskulturelle Leistung immer gefordert hat.
Während der Bund bis an den obersten Rand von der EU-Ermächtigung Gebrauch gemacht hat, haben sich die Länder längst aus der Mitfinanzierung verabschiedet. Einzig Bayern stellte und stellt seinen Landwirten die Mitfinanzierungsanteile entsprechend dem ursprünglichen Verteilungsschlüssel zur Verfügung.
Das Verhalten der Länder, Herr Kollege Sielaff, verwundert um so mehr,
als Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der SPD landauf und landab immer mit den Forderungen nach flächenbezogenen Einkommensübertragungen durch die Lande gezogen sind. Wenn es darauf ankommt, ist nichts mehr davon zu hören.
Statt dessen verspürt man landwirtschaftsfeindliche und landwirtschaftsferne Einstellungen; das habe ich schon einmal gesagt.
Dies reicht von Frau Griefahn, die einmal Schattenministerin war, über Herrn Düvel bis zu Herrn Kolo. Ähnliche Tendenzen haben Herr Kollege Diller gestern und die Frau Kollegin Mehl vorhin erkennen lassen.
Im übrigen müssen Sie sehr froh sein, daß Frau Griefahn und Frau Schüller, die Zugpferde im Schattenkabinett des Herrn Scharping, im Schatten stehengeblieben sind.
Stellen Sie sich vor, sie wären ans Licht gekommen und würden hier sitzen! Welch lange Schatten würden diese beiden Damen jetzt auf Sie werfen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, landwirtschaftsfreundliche Politik spiegelt sich nicht nur im Agrarhaushalt wider. Sie zeigt sich auch in vielen anderen die Landwirtschaft tangierenden Gesetzen und Regelwerken. So ist z. B. im Entwurf des Jahressteuergesetzes vorgesehen, die zunächst bis Ende 1995 befristete Gewährung von Freibeträgen beim Verkauf von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken zur Abfindung weichender Erben in Höhe von 120 000 DM und zur Tilgung von Altschulden in Höhe von 90 000 DM bis Ende 1999 zu verlängern. Besonders hervorzuheben ist, daß nach dem Entwurf des Jahressteuergesetzes, das Bundesfinanzminister Dr. Waigel hier morgen einbringen wird, der Freibetrag nach § 14a EStG von 90 000 auf 150 000 DM angehoben werden soll.
Ich möchte mich ausdrücklich bei Minister Waigel und Staatssekretär Professor Faltlhauser dafür bedanken, daß noch Maßnahmen ergriffen werden konnten,
die, wie ich meine, angesichts des enormen Strukturwandels für viele landwirtschaftlichen Familien von größter Bedeutung sind, Herr Kollege Sielaff.
Lassen Sie mich etwas ansprechen, was mich in den zurückliegenden Wochen sehr geärgert hat. Ich verstehe sehr wohl, wenn Kollegen aus den Kohlerevieren für den Erhalt des deutschen Steinkohlebergbaus leidenschaftlich eintreten. Wenn aber im Zusammenhang mit der Diskussion, ob die Kohlefinanzierung im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden soll oder aufrechterhalten werden muß, einige Kollegen quer durch alle Fraktionen der Meinung sind und dies in geradezu erpresserischer Art und Weise deutlich machen: „Wenn ihr nicht für die Kohlefinanzierung seid, dann werden wir euch mal vorrechnen, wie hoch die Agrarsubventionen sind und wer davon am meisten profitiert; dann werden wir schon sehen, ob das so weitergeht! " , dann finde ich das unerträglich.
- Nein, Herr Kollege Sielaff.
Bei allem Verständnis für die Betroffenheit und den leidenschaftlichen Einsatz ist so etwas nicht hinnehmbar. Ich will jetzt nicht in eine Kohledebatte abgleiten, möchte aber deutlich machen: Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Steinkoh-
Bartholomäus Kalb
lebergbau und der deutschen Landwirtschaft hinsichtlich der Auswirkungen auf unser ganzes Land.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Einstellung des Steinkohlebergbaus würden das Gesicht unseres Landes und die Situation insgesamt nicht wesentlich verändert. Auf die Frage der Versorgungssicherheit will ich nicht eingehen.
Man mag einwenden, man könne mehr Nahrungsmittel im Ausland einkaufen. Warum aber, so frage ich, soll man sich im hochbedeutsamen und hochsensiblen Bereich der Nahrungsmittel auf Importe verlassen, wenn man dies in dem vergleichsweise sicheren Bereich der Energieversorgung nicht tut und deswegen Milliardenbeträge einsetzt? Eines kann man ganz bestimmt nicht importieren, nämlich die intakte Natur- und Kulturlandschaft.
Diese aber gibt es nur durch eine intakte Landwirtschaft und bäuerliches Wirtschaften.
Das ist nicht nur eine Frage der Landwirtschaft oder der Menschen im ländlichen Raum. Daß unsere Landwirtschaft diese mit ihrem Wirtschaften verbundene Wohlfahrtsleistung für alle erbringt, ist für die Menschen in den Ballungsgebieten mindestens ebenso bedeutsam und Ausdruck und Bestandteil unseres Wohlstandes, unseres Lebensgefühls und unserer Kultur.
- Vielen Dank für die Zustimmung, Kollege Sielaff.
Bei der gegebenen Situation der Märkte einerseits und der nach wie vor gegebenen Steigerung der Flächenproduktivität - trotz teilweise erheblicher Reduzierung des Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatzes - andererseits, Frau Kollegin Janz, kommt der Sicherung einer möglichst flächendeckenden Landbewirtschaftung größte Bedeutung zu.
Deswegen legen wir auch auf den Bereich der nachwachsenden Rohstoffe so großen Wert und haben in diesem Haushalt dafür wieder in besonderer Weise Sorge getragen.
Die Zukunft unserer Landwirtschaft und unserer ländlichen Regionen wird auch davon abhängen, ob es uns gelingt, mit neuen Produkten neue und zusätzliche Märkte zu erschließen.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Uli Höfken.
Ich habe es nicht so mit dem Schreiben von Reden. Deswegen halten wir sie auch lieber.
Herr Kalb, mit den Importen von Steinkohle und Energie werden wir doch etwas vorsichtig sein. Ich möchte da die Bergleute etwas verteidigen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Borchert! Mit der Vorlage dieses Haushaltsplans hat die Bundesregierung ihre Drohung wahrgemacht, wieder einmal „verläßliche" Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft gesetzt und die Unterstützung für Landwirtschaft und Forsten um 5,5 % gekürzt. Kontinuität kann man der Bundesregierung jedenfalls nicht absprechen.
Nun zu den Tiertransporten, wenn wir schon gerade beim Loben sind.
Sicherlich ist eine Begrenzung wünschenswert und unterstützenswert. Aber ich wäre froh, Sie würden die Exporterstattungen für Lebendviehsubventionen streichen. Das wäre der richtige Schritt und eine Einsparmaßnahme.
Auch daß solche Kürzungen im Haushalt als Erfolg verkauft werden, gehört zum Ritual.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie werden sich sicher gewundert haben, daß wir es uns verkniffen haben, vorzuschlagen, die Gasölbeihilfe und die Mineralölsteuerbefreiung zu streichen, obwohl ja auch Herr Heereman Vorschläge in dieser Richtung macht. Wir haben es nicht getan, nicht, weil wir diese Subventionen für besonders sinnvoll hielten, sondern weil wir der Auffassung sind, daß das gesamte EU-Subventionssystem faul ist, auf den Prüfstand gehört und hier die tatsächlichen Einsparmöglichkeiten liegen. Wir wollen keine Flickschusterei zu Lasten einzelner landwirtschaftlicher Betriebe betreiben, sondern eine gesamte Debatte.
Herr Koppelin, ich habe ganz erstaunt gelesen, daß Sie uns vorwerfen, bei nachwachsenden Rohstoffen eine Streichung vornehmen zu wollen. Sie müssen das richtig lesen: Wir wollen eine Umwidmung, und zwar von der Treibstofförderung hin zu einer Biomasseförderung und einer Förderung im Bereich stofflicher Verwertung.
Aus einem Minus von 700 Millionen DM im Einzelplan 10 macht Minister Borchert die Erfolgsmeldung von plus 100 Millionen DM für die einzelbetriebliche Förderung bzw. das Agrarinvestitionsförderprogramm im Rahmen der GA. Da muß ich sagen, Frau Janz, daß dem die SPD-regierten Länder ja zugestimmt haben. Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen! Aber auch das ist Etikettenschwindel, denn dieses Geld muß durch Umschichtungen irgendwoher genommen werden.
Ulrike Höfken-Deipenbrock
Die Bundesregierung setzt die Prioritäten in Richtung agrarindustrielle Entwicklung. Das ist aber keine natürliche Auslese, sondern eine subventionierte Wettbewerbsverzerrung - das an die Herren von der F.D.P.
1993 sind gerade einmal 0,4 % aller Betriebe bzw. 0,7 % aller Vollerwerbsbetriebe in den zweifelhaften Genuß einer einzelbetrieblichen Förderung gekommen. Das heißt, mit Hilfe von Staatsknete gingen sie in die Rationalisierung zu Lasten anderer Betriebe, die ohne diese Förderung auskommen müssen.
Sie sagen jetzt natürlich, Sie wollen diese Förderung erweitern und den Antragsstau lösen. Aber auch dann wird dieser Prozentbereich an der Marge von 1 bis 2 % bleiben. Auch das ist eine Doppelstrategie der Bundesregierung, auf der einen Seite von der Marktwirtschaft zu reden und auf der anderen Seite staatliche Eingriffe in den Wettbewerb zu praktizieren. Das können Sie Ihrem Herrn Kollegen Lippold ausrichten.
Es stellt sich die Frage, ob die Minderungen der Mittel zugunsten des AFP sinnvoll sind. Wo soll es denn weniger sein? Bei der Ausgleichszulage für die benachteiligten Gebiete, die dann in Zukunft die standortbedingten Nachteile nicht mehr ausgleichen können? Oder aber im Bereich der Dorferneuerung, was die Möglichkeiten für die regionale Entwicklung im ländlichen Raum reduziert? Es wird kaum etwas übrigbleiben für die markt- und standortangepaßte Landwirtschaft, für die sicherlich notwendige Unterstützung der Betriebe im Bereich Abwasser, für Hochwasserschutzmaßnahmen oder gar den Küstenschutz.
Mit dem Agrarinvestitionsförderprogramm können viele Boxenlaufställe im Kreis Bitburg-Prüm gebaut werden. Allein dort stehen zur Zeit 100 an. Sicherlich ist es besser, daß unsere regionale Bauwirtschaft in Bitburg-Prüm und im Kreis Trier sich mit Stallbauten statt mit privat finanzierten Autobahnen beschäftigt.
Die Gefahr ist aber groß, daß diese Vorhaben als Bauruinen enden. Diese Entwicklung haben wir z. B. im Schweinebereich vorexerziert bekommen.
Wer soll denn die Arbeit in den aufgestockten Ställen bei sinkenden Milchpreisen noch leisten, wenn sich nicht gleichzeitig das Einkommen so weit erhöht, daß Arbeitskräfte bezahlt werden können? Auch Kooperationen können eine solche Entwicklung nicht auffangen. Keine Hofnachfolgerin und kein Hofnachfolger, keine Betriebsleiterin und kein Betriebsleiter - auch nicht im Osten - wird noch in der Lage und bereit sein, die immer größer werdenden arbeitsmäßigen und finanziellen Belastungen und Schuldenlasten zu tragen, die die Konsequenzen Ihrer Agrarförderung sind.
Nicht durch eine immer stärkere Intensivierung der Produktion ist die Existenz der meisten landwirtschaftlichen Betriebe zu sichern, sondern durch eine Politik, die angemessene Erzeugerpreise durchsetzt.
Umwelt- und tiergerechte Produktionsweisen sind nicht erst seit der Klimadebatte eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Wenn das Instrument des Agrarinvestitionsförderprogrammes für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft wirksam werden soll, dann müssen folgende Forderungen, die wir in einem Antrag einbringen, umgesetzt werden:
Die Kriterien Umwelt- und Tiergerechtigkeit müssen allen Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe zugrunde gelegt und zentrale Fördervoraussetzung werden; d. h. die allgemeinen Grundsätze bei der Gemeinschaftsaufgabe müssen entsprechend geändert werden.
Das zweite. 50 % dieser Mittel sollen in den Bereichen Vermarktung und Dienstleistung eingesetzt werden. Erzeugerzusammenschlüsse sollen wesentlich erleichtert werden. Dem stehen im Moment die Rahmenbedingungen entgegen.
Eine Förderung in diese Richtung hieße, neue Rahmenbedingungen für eine Verbesserung der Einkommen in der Landwirtschaft in Ost und West zu schaffen, statt Ställe zu bauen, die später ebenfalls mit Staatsgeldern zu Wohn- oder Gewerberaum umgebaut werden müssen, es sei denn, die Pohlmannschen Skandalproduktionsstätten sind das Leitbild der Agrarpolitik der Bundesregierung.
Ich denke, wir wünschen der Kollegin gute Besserung für die Stimme.
Der Kollege Jürgen Koppelin hat darum gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit einverstanden? *)
- Das ist der Fall.
Als nächstes erteile ich dem Abgeordneten Dr. Günther Maleuda das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Professor Süssmuth, gewährte der „Berliner Morgenpost" ein Interview zur Verwaltungsreform, veröffentlicht in der letzten Sonntagsausgabe. Ich meine, gerade im Zusammenhang mit dem Verlauf der heutigen Debatte kann man einen guten Vergleich dazu herstellen. Ich finde, sie hat dort vor allem solche Fragen aufgeworfen, die im Zusammenhang mit der Verlagerung wichtiger fachlicher Probleme in die Fachausschüsse
*) Anlage 4
Dr. Günther Maleuda
stehen. Die Tatsache, daß wir uns jetzt schon in der 17. Beratungsstunde des heutigen Tages befinden, unterstreicht Überlegungen in dieser Richtung.
- Selbstverständlich. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren, obwohl der Agraretat 1995 gegenüber 1994 um über 700 Millionen DM gekürzt wurde, erfolgte im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nach kontroverser sachlicher Diskussion eine mehrheitliche Zustimmung. Damit waren eigentlich bereits die wesentlichen Entscheidungen zum Einzelplan 10 getroffen.
Die Anträge der Abgeordnetengruppe der PDS wurden abgelehnt. Wir möchten sie aber zusammengefaßt doch öffentlich machen. Sie bezogen sich vor allem auf konkrete Soll-Ist-Nachweise in der Personalpolitik des Landwirtschaftsministeriums, eine Kürzung der Mittel für Anzeigen und Beilagen zur Regierungspropaganda um 50 % sowie die Aufstokkung der Zuschüsse für bundeszentrale Informationsveranstaltungen der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft auf 100 000 DM.
- Das hatten wir nicht besonders hervorgehoben. Aber wenn Sie das so sagen, würde ich meinen: Auch dafür, warum nicht?
Vorgeschlagen war ferner, Fördermittel in Höhe von 500 000 DM für betriebswirtschaftliche Untersuchungen zur Einordnung nachwachsender Rohstoffe in landwirtschaftliche Unternehmen, eine zweckmäßige Standortverteilung des Anbaus sowie der Verarbeitung dieser Rohstoffe bereitzustellen. Die Zielstellung der Dorfrevitalisierung in den neuen Bundesländern sollte um neue marktorientierte landwirtschaftliche bzw. außerlandwirtschaftliche Beschäftigungsfelder als Grundlage dauerhafter Arbeitsplätze erweitert werden.
Wir hatten vorgeschlagen, die Fördermittel der Agrarwirtschaft in Mittel- und Osteuropa als Hilfe zur Selbsthilfe und weniger als Brücke für Investitionsvorhaben der deutschen Wirtschaft einzusetzen. Schließlich wurde der Antrag gestellt, die Mittel für Untersuchungen zur Umgestaltung in den neuen Bundesländern und zur EG-Agrarpolitik um 20 % zu erhöhen und damit auch landwirtschaftliche Fakultäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen im Osten zu beauftragen.
Meine Damen und Herren, als eine besondere haushaltspolitische Maßnahme der Bundesregierung wird die Erhöhung der einzelbetrieblichen Förderung hervorgehoben. Wissen muß man jedoch, daß in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" gegenüber 1994 ein Betrag von über 200 Millionen DM gestrichen wurde. Das heißt, es erfolgte eine Umverteilung im Haushalt auf Kosten anderer Positionen.
Nun ist gegen die Verstärkung der einzelbetrieblichen Förderung nichts einzuwenden. Im Gegenteil, die Abgeordnetengruppe der PDS unterstützt ausdrücklich das im Agrarbericht 1995 formulierte Ziel, in der Bundesrepublik eine leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche Landwirtschaft aufzubauen.
Auch uns ist natürlich klar, daß die Möglichkeiten eines Agrarhaushaltes begrenzt sind. Jeder kann den eigentlichen Wert der einzelbetrieblichen Förderung jedoch erkennen, wenn er erfährt, daß in den letzten drei Jahren jährlich nur etwa 2 125 Betriebe die Mittel der einzelbetrieblichen Förderung erhalten haben. Das sind weniger als 0,4 % aller landwirtschaftlichen Betriebe bzw. knapp 1 % der Vollerwerbsbetriebe.
Wie wir inzwischen über die Ergebnisse der PLANAK-Runde aus dem „Bayernkurier" erfahren konnten,
hat sich bei den Vergabekriterien für die einzelbetriebliche Förderung der bayerische Landwirtschaftsminister durchgesetzt. Danach sind nur Betriebe mit bis zu zwei Beschäftigten anspruchsberechtigt.
Da meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich abschließend nur noch sagen, daß der Agrarhaushalt der Regierung nach unserer Auffassung der realen Lage und den Erwartungen der Bauern nicht gerecht wird. Unter diesem Gesichtspunkt können wir diesem Haushaltsplan nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Meinolf Michels.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu früher Stunde am Morgen die Haushaltsberatung zur Landwirtschaft ist ein gutes Omen.
Die Haushaltsberatungen standen unter der Notwendigkeit, den Haushalt zu konsolidieren und Ausgaben zu kürzen. Herr Minister Borchert, ich möchte Ihnen und Ihrem Hause für den Kampf, den Sie im Interesse der deutschen Ernährungs- und Landwirtschaft ständig führen, recht herzlich danken.
Der Agrarhaushalt konnte von Einsparungen über Gebühr verschont werden. Dies ist anzuerkennen. Es ist auch gut so, denn in vielen landwirtschaftlichen Betrieben ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Agrarreform und GATT-Abkommen verlangen unseren Landwirten ein Höchstmaß an Einsatz und Anpassung ab. Die dritte Stufe der Agrarreform führt zu einem weiteren starken Einschnitt. Da sind von Brüssel verordnete zusätzliche Preissenkungen nicht mehr akzeptabel. Im Währungsbereich darf es keine weiteren Sonderlasten für die deutsche Landwirt-
Meinolf Michels
schaft geben. Eine Anpassung der landwirtschaftlichen Umrechnungskurse hätte unmittelbar Preisverluste zur Folge. Diese müßten vom europäischen Haushalt unverzüglich und ungekürzt ausgeglichen werden, denn sie sind die direkte Folge der Integration, und sie treffen einseitig die deutsche Landwirtschaft.
Schon gegenwärtig entstehen der deutschen Landwirtschaft wie der gewerblichen Wirtschaft durch die starken Währungsschwankungen Wettbewerbsnachteile. Bereits jetzt gehen unserer Landwirtschaft Marktanteile z. B. bei Rind- und Schweinefleisch, Obst und vor allem bei Milch und Milchprodukten verloren. Währungsbedingt erhalten die Milcherzeuger in den Schwachwährungsländern dadurch Preisvorteile. In diesen Ländern gibt es daher wenig Bereitschaft zur Anpassung auch der Milchquoten. Der subventionierte Absatz überschüssiger Milchprodukte ist keine Dauerlösung. Darüber hinaus üben die Überschüsse Druck auf die Erzeugerpreise aus. Zusammen mit einer aufwertenden Währung kann dies von der Landwirtschaft nicht so ohne weiteres verkraftet werden. In England macht der Anteil der währungsbedingten Veränderungen an der Anhebung der Milchpreise seit 1984 bis heute 49 % aus.
Die Quotenregelung wird über das Jahr 2000 Bestand haben. Sie ist ein Schutzwall gegen ein Abwandern der Quoten aus den angestammten Regionen geworden und verhindert den weiteren Milchpreisverfall. Dabei müssen die Milcherzeugerbetriebe gestärkt werden. Die Milchquoten gehören eben in die Hände der aktiven Milcherzeuger.
Sie dürfen nicht zum Spekulationsobjekt werden, wenn die unterschiedlichen Milchquotensysteme in Deutschland Ost und West zusammengeführt werden.
Übergeordnetes Ziel ist ein annäherndes Gleichgewicht in Europa. Dies ist auch im Interesse gerade unserer Landwirtschaft. Daher dürfen die bisherigen Erfolge in der EU nicht durch eine einseitige Osterweiterung unterlaufen werden. Der Beitritt muß sich sehr behutsam und mit langen Übergangszeiten vollziehen. Andererseits profitiert auch die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft von der wachsenden Kaufkraft in diesen Ländern. Unterschiedliche Mehrwertsteuersätze an den Grenzen zu den EU-Partnerstaaten schwächen unsere Agrarwirtschaft.
Trotz einiger kurzfristiger Vorteile geht dies letztlich auch zu Lasten der Landwirtschaft. Daher müssen die Steuerunterschiede abgebaut werden.
Um im europäischen Wettbewerb mithalten zu können, müssen sich die Betriebe weiter strukturell anpassen können. Es geht darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu stärken und der für 1995 beschlossenen vereinfachten finanziellen Aufstokkung bei der einzelbetrieblichen Investitionsförderung zu einem großen Erfolg zu verhelfen.
Die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern hat sich besser entwickelt als andere Bereiche der gewerblichen Wirtschaft. Dies ist vor allem auf ihre umgehende volle Integration in das EU-Marktordnungssystem zurückzuführen. Die Landwirtschaft ist aber auch in der Umstrukturierung ein sehr gutes Stück vorangekommen. Dies ist in erster Linie ein Erfolg der in der Landwirtschaft tätigen Menschen. Viele haben oft unter großen Schwierigkeiten einen Neuanfang gewagt und geschafft.
Mit der Entschuldungs- und Förderpolitik konnte die Entwicklung der Betriebe entscheidend unterstützt werden. Es kommt jetzt darauf an, die Förderbedingungen in Deutschland zu vereinheitlichen und ab Januar 1997 in Kraft zu setzen. Wir müssen für die deutsche Landwirtschaft eine einheitliche Agrarpolitik gestalten. Diese muß der deutschen Landwirtschaft insgesamt gerecht werden. Sie sollte aber auch den regional unterschiedlichen Strukturen und Produktionsbedingungen in Deutschland Rechnung tragen.
Die Altschuldenregelung hat verhindert, daß Betriebe auf Grund von Zahlungsverpflichtungen aus Altschulden zusammenbrechen. Sie bietet den Unternehmen die Chance, in einem für langfristige Darlehen üblichen Zeitraum die Altschulden zu tilgen. Die Unternehmen müssen diese Chance aber auch nutzen. Restschulden und aufgelaufene Zinsen müssen unbedingt bedient werden.
Davon sollten die Betriebe und die Banken in jedem Fall ausgehen. Die Bundesregierung tut gut, diese Position unmißverständlich klarzustellen.
Auch in Zukunft ist es unser Anliegen, die mit dem Strukturwandel einhergehenden Härten zu mildern. Auch deshalb räumen wir der landwirtschaftlichen Sozialpolitik einen sehr hohen Stellenwert ein. Die unter großen Anstrengungen zuwege gebrachte Agrarstrukturreform wird weitergeführt werden müssen. Wir werden uns in einer Arbeitsgruppe intensiv mit den Beschwerdefällen beschäftigen, damit Nebenerwerbsbetriebe auch hier ohne besondere Härten weiter integriert werden können.
In diesem Sinne glauben wir, der Agrarpolitik, die bisher schwierige Kluften überwinden konnte, auch in Zukunft zum Erfolg weiterverhelfen zu können.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Interesse der Öffentlichkeit der Agrarpolitik sollten wir sicher diese Debatte nicht immer zu dieser frühen Morgenstunde führen, auch wenn es die Bauern gewohnt sind, früh aufzustehen.
Aber die Beteiligung und die Präsenz der Kollegen an der Debatte zeigen das Interesse an der Agrarpolitik, wenngleich das Interesse, Herr Sielaff, sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.
Ich darf mich sehr herzlich bei den Berichterstattern für die konstruktive und intensive Beratung des Einzelplans bedanken. Ich bedanke mich auch sehr herzlich bei den Mitarbeitern für die viele Arbeit, die sie auch in der vergangenen Zeit wieder auf sich genommen haben, vor allen Dingen, wenn es darum ging, in langen Brüsseler Nächten die Interessen der deutschen Bauern auch in Europa zu vertreten.
Mich hatte es etwas verblüfft, Frau Janz, daß hier auch von anderen beklagt wurde, daß in diesem Agraretat gekürzt worden ist. Ich habe nicht gehört, daß Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen Vorschläge dafür gemacht haben, wo an anderer Stelle eingespart werden kann, um den Agraretat aufzustocken.
Ich finde, wir können nicht Kürzungen beklagen, zugleich beklagen, daß der Haushalt nicht energisch genug konsolidiert wird, und keine Vorschläge dazu machen, wo von anderen Einzelplänen zu diesem Einzelplan umgeschichtet werden soll.
Lassen Sie mich mit den Ausführungen zur Fischereipolitik beginnen. Sie haben auf der einen Seite beklagt, daß der Kapazitätsabbau in der deutschen Fischereiflotte stattgefunden hat, und haben gleichzeitig bedauert - das zeigt der Fang untermäßiger Fische -, daß die Bestände viel zu stark überfischt worden sind. Ich glaube, es geht nicht beides: Kapazität beibehalten und gleichzeitig Bestände schonen. Wir sind uns doch darüber einig, daß nach dem Abbau in Deutschland jetzt dringend auch der Abbau in den anderen europäischen Ländern erfolgen muß.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung unterstützt die Landwirtschaft mit der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe mit steigenden Mitteln in der Agrarsozialpolitik. Sie sichert eine flächendeckende Landwirtschaft u. a. mit der Ausgleichszulage, die unter dieser Bundesregierung in den vergangenen Jahren verdreifacht worden ist.
Angesichts der derzeitigen Umsetzung der dritten Stufe der Agrarreform haben wir in Brüssel, in Europa, alle Preisvorschläge abgelehnt, die direkt oder indirekt über die Vorschläge der Agarreform hinausgehen. Dies gilt bei Getreide für die Verkürzung des Interventionszeitraumes, für die Verkürzung der monatlichen Reports, aber auch für die Kürzung des Butterinterventionspreises. Ich meine, Bauern brauchen in dieser Phase ein Signal für eine verläßliche und beständige Agrarpolitik und ein Signal dafür, daß wir die Preise der Agarreform einhalten.
Frau Janz, Sie haben die Agrarreform als einen wichtigen Schritt gelobt, aber Weiterentwicklung gefordert. Ich glaube, daß die Weiterentwicklung erst stattfinden kann, wenn wir diese Agrarreform umgesetzt haben. Wir befinden uns jetzt in der dritten Stufe der Agrarreform. Erst wenn diese Agrarreform umgesetzt ist, sollten wir prüfen, wo die Ziele erreicht worden sind und wo nicht. Dort, wo die Ziele nicht erreicht worden sind, sollten wir die Agrarreform weiterentwickeln, auch in die Richtung, daß die Landwirtschaft zunehmend stärker Rücksicht auf Interessen des Tierschutzes und auf ökologische Belange nimmt.
Zu Recht hat die agrarmonetäre Frage im Agrarrat eine wichtige Rolle gespielt. Ich habe unmißverständlich deutlich gemacht, daß an der Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen der Agrarreform nicht gerüttelt werden darf, und ich habe auch darauf hingewiesen, daß die derzeitige Entwicklung der Währungen nicht in erster Linie durch wirtschaftliche Daten, sondern durch Spekulation bestimmt ist.
Herr Thalheim, da kann man es sich nicht so einfach machen, wie Sie es sich in Ihrer Presseerklärung gemacht haben, zu fordern, Bundesregierung und Bundesbank seien aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, damit die durch wirtschaftliche Daten keineswegs gerechtfertigte Spekulation ein Ende finde, aber nicht zu sagen, welche Maßnahmen das wohl sein könnten. Ich wäre sehr daran interessiert, einmal zu hören, welche Maßnahmen das möglicherweise sein könnten.
Wir werden bei der weiteren Beratung der agrarmonetären Fragen - diese findet auf der Sonderratssitzung am 10. und 11. April statt - darauf drängen, daß es hier nicht zu Belastungen der Landwirtschaft kommt, und wir werden alles tun, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Nur, verehrte Frau Kollegin, wir können natürlich die Risiken jetzt noch nicht in den Haushalt einstellen. Dies würde gegen alle Haushaltsgrundsätze verstoßen, weil überhaupt noch nicht absehbar ist, ob und in welcher Höhe überhaupt nationale Ausgleichsleistungen anfallen. Ich glaube, Sie sollten sich über die Rahmenbedingungen der Haushaltsordnung noch einmal erkundigen.
Bundesminister Jochen Borchert
Ich bedanke mich für das Lob für meine Bemühungen im Bereich der Tiertransporte. Dabei habe ich auch mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie erklärt haben, daß ich hierbei von der SPD-Fraktion unterstützt werde,
aber von höherer Stelle Hilfe erhalten habe, und habe dabei festgestellt, daß Frau Bardot offensichtlich die höhere Stelle ist. Damit haben Sie gleichzeitig den Stellenwert der SPD-Fraktion charakterisiert.
Frau Höfken-Deipenbrock, Sie werden wahrscheinlich beobachtet haben, daß wir die Exporterstattung für Lebendvieh ständig gesenkt haben. Nur zu fordern, die Exporterstattung ganz zu streichen und damit die Probleme der Tiertransporte zu lösen, ist natürlich etwas zu kurz gesprungen. Was wir im Augenblick in erster Linie regeln müssen, sind doch die Tiertransporte in Europa, und die Tiertransporte in Europa sind unabhängig von den Exporterstattungen, die wir für Lebendvieh zahlen. Deshalb müssen wir beides machen, den Anteil der Lebendviehexporte und die Transportzeiten in Europa reduzieren.
Mit der einzelbetrieblichen Förderung sind wir, glaube ich, auf einem richtigen Weg. Hier haben wir Prioriäten gesetzt. Diese Prioritäten sind auch von den Bundesländern akzeptiert worden. Wir haben innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe umgeschichtet und haben 100 Millionen DM mehr für die einzelbetriebliche Förderung zur Verfügung gestellt. Wenn in dem Antrag der GRÜNEN kritisiert wird, hier sei zu Lasten der Länder umgeschichtet worden, sage ich: Hier ist nicht zu Lasten der Länder umgeschichtet worden. Ihr Antrag, der diese Umschichtung nur für etwas andere Zwecke einsetzen will, würde natürlich auf die Länder die gleichen Auswirkungen haben wie unser Umschichtungsantrag.
Ich will zu Ihrem Antrag nur darauf hinweisen: Wir fördern im einzelbetrieblichen Bereich, weil es hier einen Antragsstau gibt, weil junge Landwirte im Augenblick nicht investieren können, da ihre Anträge nicht genehmigt werden können. Wir fördern - wir haben dies ausgeweitet - auch Maßnahmen im ökologischen Bereich. Wir werden dies weiter ausweiten. Hier gibt es keinen Antragsstau. Deswegen ist in dem Bereich eine Verstärkung, eine Umschichtung nicht erforderlich.
Im Bereich der Milchviehhaltung werden wir rechtzeitig die Milchquotenregelung über das Jahr 2000 hinaus verlängern. Wir werden dabei auch rechtzeitig nach intensiver Diskussion mit den Fraktionen und dem Berufsstand entscheiden, ob und in welcher Form wir diese Milchquotenregelung weiter verbessern.
Ein wichtiger Bereich bleibt auch in Zukunft die Förderung der nachwachsenden Rohstoffe. Hier werden wir weiter an der Spitze der Entwicklung in Europa bleiben.
Deswegen werden wir weiter intensiv in den Bereich Forschung, Entwicklung, Förderung von Modellvorhaben investieren, um rechtzeitig neue Märkte zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, wir werden unsere Anstrengungen darauf konzentrieren, eine leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten, die nach bäuerlichen Prinzipien wirtschaftet, die nachhaltig wirtschaftet, die hochwertige Nahrungsgüter und Rohstoffe erzeugt. Wir werden eine Landwirtschaft fördern, die die Umwelt schont und die Landschaft pflegt. Denn nur mit einer bäuerlichen Landwirtschaft werden wir eine Kulturlandschaft in allen Regionen Deutschlands erhalten können.
Mit den Maßnahmen der nationalen und europäischen Agrarpolitik werden wir diese Ziele erreichen. Der Agrarhaushalt 1995 setzt hier die richtigen Akzente.
Er beweist, daß sich die Bauern auf diese Bundesregierung verlassen können.
Ich darf auch die SPD-Opposition um Zustimmung zum Einzelplan 10 bitten. Ich meine, Sie sollten mit einer Zustimmung Ihr Interesse an der Entwicklung der Landwirtschaft signalisieren
und zeigen, daß Ihr Interesse ernsthafter ist, als es Ihre jetzige Beteiligung vermuten läßt.
Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit zu später Stunde und bei gut gefülltem Hause zur Abstimmung über den Einzelplan 10, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/924 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS und gegen die Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Gruppe der PDS zur Einladung von Repräsentanten aller Länder, die Opfer des von Nazi-Deutschland ausgegangenen Aggressionskrieges wurden, zu erweitern. Der Antrag auf Drucksache 13/965 soll jetzt gleich, ohne Aussprache, an den Ältestenrat überwiesen
werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Sind Sie auch mit der Überweisung einverstanden? - Auch das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Donnerstag, 30. März 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.